Henry M. Taylor/Margrit Tröhler Zu ein paar Facetten der menschlichen Figur im Spielfilm Bei der Arbeit am Projekt zur „narrativen Funktion der Figur im Spielfilm"1 stellten sich eingangs grundsätzliche Kommunikationsprobleme, wenn von Begriffen wie Charakter, Rolle, Typ, Held/Heldin, Star usw. die Rede war. So fingen wir an, diese Begriffe zu beschreiben und, soweit als möglich, voneinander abzugrenzen. Dabei erschien uns die filmische Figur immer schillernder: Will man sie als Komposition und Konstruktion, als kulturelles Zeichen lesen, das wir im Kino quasi leibhaftig vor uns sehen, so kommen immer mehr Aspekte in ihr zum Vorschein. Die Erarbeitung und Beschreibung einer Begrifflichkeit dient der Sensi­ bilisierung für die unterschiedlichen Facetten der menschlichen Figur im Spielfilm; Facetten, die auch verschiedene theoretische Ansätze und Analy­ seebenen ermöglichen. Diese sind zwar, wie die Begriffe selbst, miteinander verknüpft, ihre Differenzierung erscheint jedoch vorübergehend für das Vorgehen fruchtbar. So stellt dieser Text den Versuch dar, die Verdichtung der semiologischen, narrativen, perzeptiven und kognitiven (d.h. emotiona­ len und intellektuellen) Bezüge in der filmischen Figur bewußt zu machen und zu diskutieren. Die hier vorgeschlagenen Begriffe möchten also keines­ wegs harte Definitionen begründen, sondern ein Instrumentarium bieten, welches im Rahmen filmwissenschaftlicher Arbeiten unter anderem in be­ zug auf ein Genre, eine historische Epoche oder einen einzelnen Film je­ desmal modifiziert und differenziert werden müßte. Im allgemeinen beziehen sich die von uns benutzten Begriffe auf die vorgefundene Terminologie, wie wir sie vom Theater her, aus der Literatur oder aus der Alltagssprache kennen. Aufbauend auf den Arbeiten von An­ dre Gardies (1980) und Stephen Heath (1981: 179f.), die bereits vor Jahren 1 Das Projekt wird vom Schweizerischen Nationalfonds zur Förderung der wissenschaftli­ chen Forschung unterstützt und ist an das Seminar für Filmwissenschaft angegliedert, unter der Leitung von Prof. Dr. Christine N. Brinckmann, der wir hier für ihre Anregun­ gen und Hinweise danken möchten. Es beinhaltet - nebst einem gemeinsamen Teil, aus welchem hier ein paar Überlegungen vorgestellt werden sollen - zwei individuelle Teil­ projekte, die einerseits die Filmbiographie (Henry M. Taylor) und andererseits die kollek­ tiven Erzählmodelle oder das Erzählen ohne Hauptfigur (Margrit Tröhler) betreffen. 135 Henry M. Tqy lor/M argrit Trö"hler begonnen haben, die Filmfigur von ihren unterschiedlichen Aspekten und Funktionen her zu beschreiben, haben wir versucht, die größtenteils histori­ schen Konzepte aufzugreifen, filmspezifisch zu variieren und wenn nötig anzupassen. Das vorgeschlagene Vokabular ist keineswegs als definitiv zu betrachten; Begriffsschöpfungen sollten jedoch vermieden werden. Zur Zeit umfaßt die Liste zu den Facetten der filmischen Figur 15 Ru­ briken, die unter die vier Schwerpunkte „außerfilmisch" oder „referentiell", ,,vorfilmisch", ,,filmisch" und „inter- oder transtextuell"2 eingeordnet sind. Selbstverständlich treten diese Merkmale, die auf die filmische Figur als Knotenpunkt von Verweisen (vgl. Hamon: 1977: 121f.) aufmerksam ma­ chen sollen, in der Figur eines Films meist kombiniert auf; die Kategorien wurden deshalb nach den dominanten ( oder primären) Merkmalen erstellt. Die Ausgangslage für diese Überlegungen bildet der filmische, wahrnehm­ bare Text, der zwischen der außerfilmischen Welt und der Rezeption steht und deren beider Pole in sich trägt. Zuerst sollen nun in Kürze ein paar grundsätzliche Aspekte skizziert werden, die als Voraussetzung für die Beschreibung der sechs ausgewählten Facetten dienen. Mit Person ist im folgenden das Individuum gemeint, der außerfilmisch reale Mensch (als a-filmisches Element bei Souriau 1953: 7), der einen per­ sönlichen, doppelten Namen trägt; die Person ist eine psychische und physi­ sche Entität. Sie stellt die Grundlage der schauspielerischen Leistung und der menschlichen Figur im Film dar. Obwohl sich in diesem Punkt die Theatertheoretiker (cf. z.B. Manfred Pfister 1977: 221f. und Bernhard As­ muth 1980: 91f.) nicht einig sind, haben wir es zwecks Abgrenzung zwi­ schen realen Menschen und Kunstfiguren vorgezogen, den Begriff nicht analytisch zu verwenden. Die Person bleibt somit von der Filmanalyse aus­ geschlossen, dient jedoch zur differentiellen Beschreibung der Figur. Die schauspielerische Leistung einer Person prägt den Begriff des Schau­ spielers/ der Schauspielerin als vorfilmisches Element G,profilmique" nach Etienne Souriau 1953: 8). Dazu gehört im weitesten Sinne jegliche (bewuß­ te) mimetische Aktivität, angefangen bei den Statisten und Statistinnen, ob 2 lntertextualität wird dabei verstanden als das Zirkulieren und gegenseitige Verweisen von Bildern innerhalb des Mediums Film, von Film zu Film. Transtextualität impliziert die Verweise eines Films oder einer Figur auf andere kulturelle Produkte (Literatur, Theater, Presseerzeugnisse). Transtextualität beinhaltet ebenfalls den Aspekt eines synchronen Querschnitts durch verschiedenen Kunstprodukte auf einer tiefenstrukturellen Ebene, sowie einen historisch diachronen, kumultativen Aspekt durch die Kulturentwicklung hindurch. 136 Zu ein paar Facetten der menschlichen Figur im Spie!film diese professionell erlernt wurde oder nicht. Im Film wird der Schauspie­ ler/ die Schauspielerin automatisch zum Darsteller oder der Darstellerin. Dies scheint uns der neutralste Begriff zu sein, um den Körper eines Men­ schen im Film, als imaginäres Analogon zur Person, in seiner darstellenden (mimetischen) Funktion zu beschreiben. Es ist die Konstruktion einer pri­ mär fiktionalen Figur, die konkret von den Zuschauern und Zuschauerinnen wahrgenommen und durch welche der Schauspieler/ die Schauspielerin zum Zeichen wird (wenn Alfred Hitchcock in seinen Filmen erscheint, so ist auch er ein Darsteller). Soweit zu den wichtigsten Voraussetzungen unserer Diskussion der Fi­ gur, ein Begriff, den wir als Überbegriff benutzen und den wir am Schluß noch einmal aufgreifen. Die Diskussion des Stars, des Images, der Persön­ lichkeit (celebrity), aber auch die Analyse der Aktanten und andere Ansätze zur handlungsfunktionalen Strukturierung des Personals eines Films fließen hier nicht oder nur am Rande in unsere Ausführungen ein. 1. Der Körper im Film Der erste und grundlegende Begriff zur Beschreibung der Figur im Spielfilm ist der „filmische" oder der „gefilmte" Körper respektive das Körperbild3. Er stellt das auf der Analogie und der Bewegung aufbauende photographi­ sche Bild des außerfilmischen menschlichen Körpers dar, der grundsätzlich abwesend ist und im zweidimensionalen Filmbild als dreidimensionaler wahrgenommen wird. Er ist die sinnlich materielle Grundlage der Figur in bezug auf die Bild- und die Tonspur, ihre primärste vorfilmische Instanz, die eigentliche Basis der anderen Facetten der filmischen Figur. Er ist je­ doch von vorneherein ein kinematographischer Körper, d.h. kein Abbild, sondern eine ästhetische und soziale Konstruktion mit einem phy­ sisch-psychischen Ausdruckspotential (die Diskussionen der 20er Jahre, die unter den Begriffen der „photogenie" und der „Physiognomie" geführt wurden, fallen in diesen Bereich (z.B. Balazs 1924, Epstein 197 4, Delluc 1985 oder Aumont 1990; Kessler 1996.). Das Schwarzweiss-Bild zum Bei­ spiel macht deutlich, daß der menschliche Körper ein filmischer ist, d.h. ein im und vom Film inszenierter. 3 Alle drei Ausdrücke scheinen uns zu kurz zu greifen oder könnten mißverständlich sein. Auch wenn wir fortan nur von „Körper" sprechen, so beziehen wir uns auf die Be­ schreibung in diesem Absatz. 137 Henry M. Tqy lor/M argrit Trö"hler Im Glanz seiner Inszenierung erhält der Körper eine außergewöhnliche Präsenz auf der Leinwand, wird zum (erotischen) Blickfang, erhält ein filmi­ sches Image (im Sinne von Heath 1981: 181), dessen Höhepunkt der Star darstellt. Durch die Natur des filmischen Signifikanten imaginär aufgeladen, wird er zum Träger einer nicht völlig festzumachenden versinnlichten Be­ deutung, ein Konglomerat von spezifischen Bildern und Tönen, das in den Köpfen der Zuschauer und Zuschauerinnen weiterlebt und vervollständigt wird oder gar erst entsteht. In seiner Ganzheitlichkeit kann der filmische Körper als ein Analogon zur Person angenommen werden; als fragmentier­ ter besitzt er eine Tendenz zum Objektstatus und somit zur Fetischisierung. Wenn die quasi körperliche Leinwandpräsenz ein attributives Element der Figur darstellt, so ist die performance, der Körper in Aktion, ihre prädi­ kative Ergänzung. Richard Maltby (1995: 234f.) unterscheidet zwischen dem Aspekt der ,,integrierten" und jenem der „autonomen" performance. Erste­ re betrifft das Zusammenspiel von schauspielerischer Leistung, fil­ misch-ästhetischer Präsenz und Inszenierung des Körpers und deren Ein­ bindung in die Narration. Letztere bezieht sich auf das explizite Zurschau­ stellen des Körpers entweder durch einen expressiven, kodierten Stil (wie z.B. jener der Divas der zehner Jahre) oder durch die Inszenierung von Nummern (Gesangs- und Tanzeinlagen etc.). Auf jeden Fall entsteht in diesen Momenten ein starker Eindruck der Gegenwärtigkeit bezüglich des Filmbil­ des und des Körpers, die viel zum filmischen Image beiträgt und oft den Rahmen der Narration sprengt. Stephen Heath (1981: 113f.) unterscheidet sogar vier Ebenen von performance, auf die hier nicht weiter eingegangen wird: Zwei der vier Ebenen der performance von Heath treffen sich jedoch prinzipiell mit den Konzepten von Maltby. 2. Der Charakter Der Begriff des Charakters steht in einer theatralischen und literarischen Tradition und hat sich durch die künstlerische Praxis und die verschiedenen Epochen hindurch stark verändert. Für den Aristoteles-Schüler Theophrast bis hin zu den französischen Moralisten bezeichnet der Charakter 1. nicht den ganzen Menschen, sondern nur seine geistige Eigenart, 2. nur deren konstante Merkmale (ethos), nicht den augenblicklichen Gemütszustand (pathos). Innerhalb dieser Grenzen hat sich der Be­ deutungsschwerpunkt seit der frühen Neuzeit vom Mora­ lisch-Normativen zum Deskriptiven und vom Allgemeinen zum In- 138 Zu ein paar Facetten der menschlichen Figur im Spie!film dividuellen verschoben (nach Asmuth 1980: 91; cf. auch Pavis 1987: 279f.). Dem Drehbuchspezialisten Eugene Vale (1992: 104 f.) zufolge muß - zumindest im Film - unterschieden werden zwischen der Charakterisierung, dem Charakter und den Charakteristika: ,,Die Charakterisierung erfaßt alle Faktoren über einen Menschen, wobei sein Charakter nur ein Aspekt ist. Charakteristika sind die einzelnen Komponenten, die seinen Charakter aus­ machen" (104; Hervorhebungen im Original). Für eine erste Beschreibung möchten wir vorschlagen, den Begriff des Charakters im Sinne von V ales Charakterisierung zu benutzen und darunter auch gewisse Handlungen und die Entwicklung der Figur einzuordnen, da der latent existierende Charakter (als Wesensmerkmale) erst in diesen zutage tritt und untrennbar mit ihnen verschmolzen ist. Wir verstehen unter Cha­ rakter also die individualisierten psychischen Eigenschaften, die Entwick­ lungen und Verhaltensweisen einer fiktionalen Konstruktion als Analogon zur ganzheitlichen Person, den „Entwurf einer Person" wie Hans Jürgen Wulff (1997) es nennt. So gesehen ist er das Signifikat des Darstellers/ der Darstellerin, eine Hülle, ein Konzept, eine Idee, die jedoch an veräußerte, individuelle Merk­ male gebunden ist, nicht nur einen Körper, ein Geschlecht, einen Namen, sondern auch eine Identität und eine Geschichte besitzt. Der Charakter ist ein virtuelles, fiktionales Wesen, das aber in einem gegebenen Film attributiv und differentiell als Bündel von Merkmalen (Levi-Strauss 1973: 170; Vernet 1986: 82f.; Gardies 1993: 56f.) beschrieben werden kann. Natürlich gibt es den Charakter in ähnlicher Weise auch in der Literatur, nur daß er im Film meist durch einen Darsteller/ eine Darstellerin aktualisiert wird, der/ die seine Züge verkörpert. Einen besonders privilegierten Stellenwert (vor allem in bezug auf die emotionale Implikation des Zuschauers/ der Zuschauerin) nehmen hier das Gesicht und die Stimme ein. Doch auch wenn die Charak­ terbeschreibung der Figur nur in Dialogen erscheint, so besitzt diese einen (imaginären) Körper, der zur Diegese gehört und sich in ihr analysieren läßt. Im fiktionalen Universum definiert sich die Entität Darstel­ ler/Darstellerin - Charakter durch ihr Sein und Wirken (ihre Aktivitäten, die sich auf die eigentliche Handlung des Films auswirken - was vor allem im klassischen Kino prägend ist -, ihr Einwirken auf andere Figuren, die eben­ falls auf sie reagieren) und durch den sozialen Kontext der Diegese sowie jenen der Rezeptionssituation. Der Wirkungskreis des Charakters, seine Wirkungsart, sein ganzes Wesen kann sich innerhalb eines Films verändern, 139 Henry M. Tqy lor/M argrit Trö"hler sofern diese Veränderungen (psychologisch oder vom Kontext her) moti­ viert sind4. Der Charakter einer Figur ist mehr oder weniger ausgearbeitet, je nach dem, welchen Platz sie in der Hierarchie des Beziehungsgeflechts von Haupt- und Nebenfiguren einnimmt. Auch die Erzählweise (Stil des Au­ tors/ der Autorin, die Zeitepoche, das Genre) beeinflußt stark die Gestal­ tung des Charakters (z.B. transparente versus nicht-transparente Charakte­ re). Meistens ist nur der engere Kreis der Hauptfigur und der sekundären Hauptfiguren zu Charakteren ausgearbeitet, welche Forster (1949: 75 f.) ,,runde" Charaktere nennt, die er von den „flachen" unterscheidet. Die :fla­ chen Charaktere vergleicht er mit Typen, gemäß dem Begriff, der im Thea­ ter des 17. und 18. Jahrhunderts die Rollenfächer der standardisierten Figu­ ren aus der Commedia dell'Arte und das vergleichbare Figurenarsenal der französischen Bühne bezeichnete (vgl. Asmuth 1980: 88). Erst als der Cha­ rakter individuelle, persönliche Züge annahm, machte es überhaupt Sinn, ihn von den verallgemeinerbaren Merkmalen des Typus zu unterscheiden. Wir werden dem Begriff „Typ" eine veränderte Bedeutung zukommen las­ sen, um ihn von der Rolle zu unterscheiden: zwei Begriffe und zwei Facet­ ten der Figur, die sich im Typus, wie er fürs Theater und die Llteratur be­ schrieben ist, zu vermengen scheinen. Zuerst jedoch nochmal zum Charakter: Der Charakter einer Filmfigur kann - wie in jeglicher Fiktion - durch eine reale Person oder historische Persönlichkeit inspiriert sein; er dient sodann als referentieller Verweis für die Zuschauer und Zuschauerinnen, hat jedoch als solcher keine Existenz ausserhalb des Textes (Film, Llteratur etc.). Der Charakter kann auch auf Grund einer kulturell vorgeprägten Rolle gestaltet sein, er stellt dennoch immer eine spezifische Ausformung dieser Rolle in einem bestimmten Film dar, auch wenn er ihr Programm lediglich aktualisiert; der Charakter ist also eine mehr oder weniger eigenständige Variante der Rolle, die wir als Hand­ lungsprogramm beschreiben werden. Wir können ebenfalls unterscheiden zwischen filmischen Charakteren, die auf filmischen, literarischen, theatralischen und anderen kulturellen Mo­ dellen basieren - hier schneiden wir das weite Gebiet der Adaption und des Remakes an - und die also eine intertextuelle und/ oder transtextuelle Di­ mension besitzen, und solchen, die sich nur auf das Drehbuch eines be- 4 In a-psychologischen oder auch in poetischen Filmen kann diese Veränderung auch ohne offensichtlichen Grund erfolgen; es stellt sich jedoch die Frage, ob die Beschreibung des Charakters, wie wir sie hier versuchen, noch auf diese Figuren passt. 140 Zu ein paar Facetten der menschlichen Figur im Spie!film stimmten Films beziehen, in dem sie sozusagen ex nihilo auftauchen. Na­ türlich werden auch im letzteren Fall, mehr oder weniger explizit und be­ wußt, oft bestehende Charaktere aufgenommen, imitiert und verändert. 3. Der Protagonist/ die Protagonistin oder die Hauptfigur Um vorerst noch bei den primär filmischen Merkmalen zu bleiben, möchten wir nun auf das Beziehungsgeflecht von Haupt- und Nebenfiguren zu spre­ chen kommen. Der Begriff Protagonist kommt vom Theater und bezeich­ net schon im antiken griechischen Theater jenen Schauspieler, der die Hauptfigur mit dem bedeutendsten Part spielt; der zweite Part wird Deute­ ragonist genannt, der dritte Tritagonist. Heute ist nach Patrice Pavis (1987: 306) nur mehr der erste Begriff gebräuchlich, der die Hauptfiguren, die im Zentrum der Handlung und der Konflikte stehen, bezeichnet. (Nur als kur­ ze Nebenbemerkung: der Antagonist gehört also primär nicht in diese Defi­ nitionsreihe.) Die Unterteilung in Haupt- und Nebenfiguren ist syntagmatischer sowie paradigmatischer Art. Sie bezieht sich auf die Wichtigkeit der Figuren be­ züglich der Handlung, ihrer Präsenz auf der Leinwand sowie ihrer Inszenie­ rung und Verteilung. Da, zumindest im klassischen Modell, Figur und Handlung immer eng miteinander verbunden sind, definiert die Hauptfigur auch den hauptsächlichen Handlungsstrang (und umgekehrt) und stellt den ausgearbeitetsten Charakter dar, der auch für die emotionale Einbindung der Zuschauer und Zuschauerinnen in den Film stark hervortritt. Über Hauptfi­ guren erhält der Text- aber auch die Fiktion, die Diegese, die Montage etc. - die nötige Kohärenz und Kohäsion, d.h. sie bewirkt die Perspektivierung der Darstellung und der Erzählung (recit/plot); oft wird die Narration (das Erzählen als manifester Akt) ebenfalls auf und/ oder durch sie fokalisiert, wie sich auch die Momente der Subjektivierung hauptsächlich auf sie bezie­ hen (Vemet 1980: 177f.) Unter diesem erzähltechnischen Aspekt organisiert die Hauptfigur oder Protagonist/Protagonistin �,main character" nach Field 1979: 23) das Netz der anderen Figuren, die sich in ihren Positionen und Handlungen auf sie beziehen und je nach Fall in sekundäre Hauptfiguren �,major character", Field 1979: 23), eigentliche Nebenfiguren, funktionale Figuren und Hinter­ grunds- oder Dekorfiguren unterschieden werden können (Hintergrunds­ und Dekorfiguren, sowie rein funktionale Figuren könnten in der Hierarchie des Figurengeflechts eventuell als „Drittfiguren" bezeichnet werden). 141 Henry M. Tqy lor/M argrit Trö"hler In der prototypischen klassischen Erzählung behält eine Hauptfigur (meist in der Einzahl) ihren Status grundsätzlich durch einen ganzen Film hindurch bei. Es ist jedoch immer möglich, innerhalb bestimmter narrativer Segmente (Szenen, Sequenzen, Akte) eine Hauptfigur auszumachen, die nicht dieselbe sein muß, die den Film als Ganzes strukturiert. Das Netz der Figuren und ihrer Hierarchien wird durchkreuzt von einem Netz der sozialen Formationen, das nicht zwingend von denselben Hierar­ chien und Abhängigkeiten der Figuren untereinander bestimmt ist. So kann die Hauptfigur, um bei dieser zu bleiben, Teil eines Paares sein, Mitglied einer Familie, einer beruflichen Gruppe, einer sozialen Klasse. Sie besitzt einen Freundeskreis, sie hat Feinde (Positionen und Pole, die sich wiederum auf der Ebene der Handlungssphären der Aktanten analysieren lassen). Jede Figur, ob als Charakter ausgearbeitet oder nicht, ist in einem Film meist in ein soziales Gefüge eingebettet und - wie im Leben selbst - mehifach sozial veror­ tet und orientiert. Deshalb schlägt Hans Jürgen Wulff (1997) vor, eine Typolo­ gie der Figuren über die Analyse der sozialen Distanz und Nähe zwischen den Figuren zu erstellen. Das Personal der Erzählung und seine sozialen Verflechtungen müssen wohl dennoch als zwei Aspekte behandelt werden, die sodann miteinander in Beziehung gesetzt werden können und woraus sich gewisse Spannungsfelder ergeben. Zum Beispiel kann in einer Paarfor­ mation, wovon ein Teil die Hauptfigur ist, der andere Teil sehr wohl eine Hintergrundfigur darstellen, obwohl die soziale Distanz grundsätzlich als eher klein angenommen werden muß. Auch ist die soziale Distanz zu defi­ nieren, nach verschiedenen Arten von Beziehungen und Hierarchien (z.B. Freundschaft, Llebe etc., sozialer Status etc.). Diese Strukturen im Text sind auf jeden Fall eng verknüpft mit den Operationen der Rezeption, die intellektueller, emotionaler und sozialer Art sind: Zum Verstehen eines Films müssen die Zuschauer und Zuschauerin­ nen somit verschiedene Beziehungsgefüge des Textes miteinander kombi­ nieren, wobei sie auf ihre Kompetenzen im Umgang mit fiktionalen Texten sowie auf Erfahrnu gen aus dem sozialen Alltag zurückgreifen können. 4. Der Held/ die Heldin Ein weiterer Aspekt, der sich in dieses Geflecht einmischt, ist der Held oder die Heldin. In klassischen Erzählungen fällt der Held/ die Heldin meist mit der Hauptfigur zusammen, steht jedoch zu den anderen Figuren nach Andre Gardies (1980: 75) in einer vertikalen Beziehung, die über den einzelnen 142 Zu ein paar Facetten der menschlichen Figur im Spie!film Film hinausweist. Der Held/die Heldin ist mit moralischen Werten ausge­ zeichnet, die ihn/s ie als einen außerordentlichen Charakter kennzeichnen, und stellt somit eine attributive, symbolische Kategorie dar, die die Perspek­ tivierung auf der Ebene der Geschichte (story) bestimmt. Er/sie ist über sein/ihr Wesen (oder Essenz) charakterisiert, das auch die Handlungen der Figur prägt; somit ist das Glück oder Unglück, das einem Helden/ einer Heldin widerfährt, immer in ihm/ihr selbst als innere Qualität oder Fehler angelegt. Auch der Anti-Held/die Anti-Heldin ist als Double und Ge­ genstück des Helden oder der Heldin immer noch eine aus dem Geflecht der Figuren herausragende Gestalt. Im Konzept des Helden liegt immer eine mythische Dimension, die bis auf die Halbgötter (Heroen) der griechischen Antike zurückreicht, sich im Laufe der Zeit aber stark verändert hat. Der klassische tragische Held, der noch dieses unerreichbare Wesen auszeichnet, das einzig den göttlichen Gesetzen unterstellt ist, verliert im 19. Jahrhundert seinen exemplarischen Gehalt, wo der Begriff auch auf die Komödie ausgedehnt wird (c f. Pavis 1987: 189 f.) bis er heute fast synonym zu jenen der Hauptfigur (Protago­ nist) und des Charakters benutzt wird. Wir plädieren hier also für eine einge­ schränkte Verwendung des Begriffs, denn nicht jede Hauptfigur und nicht jeder runde Charakter ist auch heldenhaft. Das Konzept des Helden/d er Heldin ist im Grunde nicht an eine be­ stimmte Erzählform gebunden und ist stark vom Genre, aber auch von der Rolle (also auf einer inter- und transtextuellen Ebene) bestimmt. Der Held/d ie Heldin lässt sich in einem Film aber in der spezifischen Ausfor­ mung eines Charakters, der somit eine der Varianten eines Helden/e iner Heldin darstellt, erkennen. Der Held/d ie Heldin scheint auch schon vor der bürgerlichen Zeit von einem individualistischen, d.h. sich auf den Einzelmenschen beziehenden Mo­ dell geprägt. Auch müßten seine geschlechtsspezifischen Unterschiede er­ forscht werden, da die beiden Begriffe „Held" und „Heldin" nicht gleichge­ setzt werden können. Sie implizieren nicht nur sozial unterschiedlich inter­ pretierte Werte, sondern unterhalten im Zusammenhang mit der Position der Hauptfigur nicht dieselben Beziehungen zu den anderen Figuren und zum anderen Geschlecht und haben nicht dieselbe Einwirkung auf die Handlung. Mit dem Begriff des Helden oder der Heldin, die hier nicht weiter diffe­ renziert werden können, haben wir die primär filmischen Merkmale der Figur verlassen. Mit den beiden letzten Begriffen, jenen des Typs und der 143 Henry M. Tqy lor/M argrit Trö"hler Rolle, möchten wir nun noch einen weiteren Schritt in die Richtung des Inter- und Transtextuellen tun. 5. Der Typ Unser Begriff des Typs schränkt sich, wie bereits angedeutet, auf einen Aspekt seiner Bedeutung in der theatralischen und literarischen Tradition ein und lehnt sich eher an den alltagssprachlichen Gebrauch des Wortes an. Der Typ gehört für uns primär in zwei Merkmalkategorien: in die außer­ und vorfilmische als physische Ausgangslage der Figur und in die inter- und transtextuelle als mediale, kulturelle Konstruktion. Diese beiden Aspekte des Typs stehen in einem steten Wechselverhältnis. Grundsätzlich aber ist der Typ über körperlich nach außen getragene Merkmale, die mehr oder weni­ ger auffällig (!ypisch) sein können, definiert und unterscheidet sich dadurch von der Rolle. Der erste Aspekt, die physische Ausgangslage, betrifft kulturelle, körper­ lich konnotierte Merkmale der Person und des Schauspielers/d er Schau­ spielerin als deren veräußerlichte Zeichen. Dieser Aspekt des Typs impliziert auch ein Verhalten und ein Handlungsprogramm (eine Rolle), das jedoch nicht aktualisiert werden muß. Auch wenn die Typenkonstruktion schon in diesem Punkt eine mediale ist und zum Beispiel das type-casting (als Ver­ bindung von Typ, Rolle und schauspielerischer Leistung) bestimmt, bleibt das Referenzsystem auf dieser Ebene außermedial, an einen konkreten, indi­ viduellen Körper gebunden, an physische und soziale Momente des Ausse­ hens, an den Habitus, die Gestik, an Attribute, die der Schauspieler/ die Schauspielerin in den Film hinein trägt, den historischen Kontext. Beinahe untrennbar damit verschmolzen markiert der zweite Aspekt das auf der physischen Grundlage veräußerte Zeichen als signifikante Kon­ struktion, als „Look" zum Beispiel. Hier können zwei Ausrichtungen des Typs beschrieben werden: a) Als tendenziell realitätsgebundene Kategorie ist der Typ (im Sinne der ,,typage" bei Eisenstein oder auch im Neorealismus) Repräsentant ei­ ner sozialen Gruppe/Klasse (z.B. der Arbeiter/d ie Arbeiterin) vor allem wenn er/sie als Laienschauspieler/Laienschauspielerin von der Straße auf die Leinwand geholt wird. So definiert ist der Typ Träger eines referentiellen Verweises, der historisch verankert ist und sich in der Zeit verändern kann; er ist jedoch immer auch von einer ab­ strakten Idee bestimmt, die manchmal sogar transkulturell in einer 144 Zu ein paar Facetten der menschlichen Figur im Spie!film bestimmten Zeit zu verorten ist. Ein neuer Typ kann entstehen im wechselseitigen Verhältnis von medialer Konstruktion und Zeitent­ wicklung (z.B. das ästhetisch dominierte Bild des neuen Mannes). b) Als von vorneherein stärker medial-kulturell gebundene Kategorie ist der Typ auch die Verkörperung einer abstrakten Personen-Idee, de­ ren Ausformung sich empirisch in keinem spezifischen Individuum finden ließe und die vollständig im Dienst der Rolle steht; in diesem Falle ist die Rolle als Prädikat, als Handlungsprogramm, und der Typ als deren attributive Veräußerung zu verstehen; z.B. die äußerlichen, überzeichneten Merkmale, über die bei Billy Wilder ein raffsüchtiger Kapitalist dargestellt wird: fett, unsympatisch, grauer Anzug, dicke Zigarre, großes Büro; oder die Rolle der femme fatale, die mehrere Typen kennt, wovon einer vom Aussehen der italienischen Divas der 10er/20er Jahre, ein anderer vom Bild von Louise Brooks als Flapper bestimmt ist - dunkle Haare, stark geschminkte Augen, verführeri­ scher come-on-Blick, leicht seitliche Pose, tiefes Dekollte, Zigaretten­ halter etc. -, einen weiteren Typ dieser Rolle ergeben auch die blon­ den Lolitafiguren. Dieser mediale Aspekt des Typs kann gewissermaßen ahistorisch zitiert oder der Zeit angepaßt werden, wobei dieser einige seiner relevanten Merk­ male beibehält. Die äußerlich individuellen Züge eines Schauspielers/ einer Schauspielerin gehen entweder in der Entsprechung des Typs auf, oder sie spielen mit den Unstimmigkeiten zwischen dem ersten und dem zweiten Aspekt des Typs (und gleichzeitig meist auch noch mit der Disharmonie von Typ und Rolle oder Charakter). 6. Die Rolle Zuerst einmal bezeichnet der umgangssprachliche Gebrauch des Begriffs der Rolle natürlich die Rollenverteilung an die Schauspieler und Schauspiele­ rinnen bezüglich der Haupt- und Nebenrollen. Die Rolle, mit der im grie­ chischen Theater das Pergament gemeint war, das den Text und die Regie­ anweisungen enthielt, ist im Bereich des Films auf das Drehbuch zurückzu­ führen. Da die Rolle in diesem Sinne jedoch oft gleichgesetzt wird mit den Begriffen der Haupt- und Nebenfigur oder dem des Helden, haben wir ver­ sucht, diesen Anwendungsbereich von der Definition der Rolle auszugren­ zen und bezeichnen diesen vorläufig als „Part". 145 Henry M. Tqy lor/M argrit Trö"hler Die Rolle in einem engeren Sinne verweist (im Gegensatz zum Hel­ den/z ur Heldin) auf die horizontale Organisation der Erzählung, weist je­ doch ebenfalls über den einzelnen Film und das Kino hinaus. Sie ist ein kulturbedingtes Muster, das ein Bündel von attributiven Eigenschaften so­ wie ein Handlungsprogramm enthält und das dem Charakter zugrunde lie­ gen und sich durch den Typ veräussern kann. Mit dieser Beschreibung der Rolle lehnen wir uns eng an Andre Gardies (1980: 75s) an, der den Begriff „role" aus dem Bereich des Theaters entlehnt (vgl. auch die Definition von Pavis 1987: 340, der die Rolle an die Begrifflichkeit von Greimas annähert und sie als Verbindungsglied zwischen den Charakteren und den Aktanten als strukturelle Funktionen sieht; die Rolle kann also nicht mit dem Aktan­ tenbegriff gleichgesetzt werden). Wir möchten die Rolle beschreiben als ein abstraktes, mehr oder weniger starres, semantisches Programm, das entweder transtextuell bestimmt ist - zum Beispiel gibt es die Rolle des Verräters, des Königs, des Dieners auch in der Literatur oder im Theater - oder spezifischer kinematographisch einen starken Bezug zum Genre unterhältS. Das Rollenarsenal einer Erzähl­ kultur ist sicherlich nicht homogen und ein für allemal festgeschrieben. Ver­ schiedene Rollen können mehr oder weniger stark kodiert sein, Rollen kön­ nen sich im Laufe der Zeit verändern oder dem Medium anpassen, neue Rollen können entstehen. Nebst diesen textuellen und eher künstlichen Rollen bestehen auch solche, die wirklichkeitsnäher und sozialer Natur sind, also eher referentiell be­ stimmt sind, die deshalb aber nicht von vorneherein weniger imaginär be­ setzt oder weniger kulturell und/o der medial bestimmt sind: z.B. die Rolle des Vaters, der Mutter, des Arbeiters/der Arbeiterin. Es ist anzunehmen, daß referentielle und textuelle, fiktionale Rollen in einem wechselseitigen Verhältnis der Beeinflußung stehen. So hat z.B. die feministische Bewegung seit Ende des letzten Jahrhunderts viele neue Frauenrollen entstehen lassen, die auch neue fiktionale Rollen inspiriert haben; diese können sich parallel zur sozialen Wirklichkeit verändern, können sich aber auch von ihr abkop­ peln und eine selbständige Entwicklung durchmachen. 5 Es stellt sich grundsätzlich die Frage, ob es spezifische kinematographische Rollen über­ haupt gibt oder ob diese immer nur eine spezifische Ausformung einer auch in der Lite­ ratur oder im Theater bestehenden Rolle repräsentieren. Ist Walter Brennan in Fords Filmen als side-kick nicht auf die Rolle eines Sancho Pansa oder eines Zanni (schlauer und komischer Diener aus der Commedia dell'Arte) zurückzuführen? Hiermit stellt sich zugleich die Frage nach der Generalisierbarkeit und der Reduzierbarkeit von Rollenmu­ stern, je nach der semantischen und strukturellen Analyseebene. 146 Zu ein paar Facetten der menschlichen Figur im Spie!film Die Rolle unterhält einen engen Bezug zum Typ, jedoch keine zwingen­ de; duldet diese Beziehung keine individuelle Ausformung, also keine Vari­ anten, so ist der Beitrag des Charakters eher gering, und es besteht die Ten­ denz zur stereotypen Figur, welche nach Patrice Pavis (1987: 428) keinerlei persönliche Züge mehr trägt, oberflächlich und beliebig wiederholbar ist, also zu einer Marionette wird und somit in den Figuren der kommerziellen Werbung zu finden ist (zum Stereotyp im Unterschied zum Typ vgl. auch Amossy 1991: 49f.). Die Figur als Facetten-Konglomerat Abschließend noch ein paar Bemerkungen zum Begriff der Figur, der wie bereits gesagt als allgemeiner, umfassender und sozusagen neutraler Begriff verwendet wird. Die Figur ist durch die Gesamtheit der oben angeführten Aspekte definiert, wobei keiner dieser Aspekte zwingend vorhanden sein muß, auch wenn sie nicht alle gleichwertig zur Kreation einer Figur beitra­ gen. Die Figur kann somit attributiv beschrieben werden (das alles ist die Figur) wie auch differentiell und dynamisch ( d.h. über gewisse Aspekte, die nicht unbedingt gleichzeitig vorhanden sein müssen), und sie ist immer relational (in Bezug auf die anderen Figuren eines Films und den sozialen Kontext der Diegese) zu sehen. Sie definiert sich entlang zweier Achsen, einer pa­ radigmatischen und einer syntagmatischen (d ie auch ihre filmische Präsenz umfaßt). Nicht einmal der gefilmte Körper ist für eine (menschliche) Figur un­ umgänglich: sie kann z.B. nur in den Dialogen der anderen Figuren auftau­ chen (d irekte oder explizite Charakterisierung nach Pfister 1977: 251 f. und Asmuth 1980: 86). Auch kann sie - etwa als Statist/Statistin oder als Schat­ ten einer auf der Strasse zufällig vorbeihuschenden Person - komplett in einer Hintergrunds- oder Neben-Szene untergehen oder im Dekor aufgehen, so dass ihr unter Umständen keine eigentliche narrative Funktion zukommt. Die Aspekte und Funktionen einer Figur zirkulieren, überlappen sich, gehen zum Teil ineinander auf, ohne aber völlig miteinander zu fusionieren. Bei den ausgeformtesten Figuren eines Films entsteht durch die verdichtet vorhandenen Aspekte (und Lesarten) ein Mehrwert, wie es Andre Gardies (1980: 81/89f.) nennt; bei Stephen Heath ist dieser durch den Begriff der „figure" benannt. Dieser Mehrwert oder Überschuß läßt die Figur zu einem emotionalen Zentrum werden, das polysem (auch widersprüchlich) bleibt 147 Henry M. Tqy lor/M argrit Trö"hler und sich letztlich der Analyse entzieht. Die Figur verweist somit immer auf ein punctum (im Sinne Barthes): Als Element, das erst bei der Rezeption seine volle Wirkung entfaltet, wird sie zu einem Moment der Faszination und des Begehrens, ein jedoch immer flüchtiges, nie wirklich faßbares Mo­ ment. So ist die Figur ein imaginärer Signifikant zweiter Ordnung, nach der Existenz desjenigen erster Ordnung, zu welcher der kinematographische Signifikant gehört. 148 Zu ein paar Facetten der menschlichen Figur im Spie!film Bibliographie: Amossy, Ruth: Les idees re<;ues. Semiologie du stereotype. Paris 1991. Asmuth, Bernhard: Einführung in die Dramenanalyse. Stuttgart 1980. Aumont,Jacques: L'image. Paris 1990. Balazs, Bela: Der sichtbare Mensch. (1924). In: B.B.: Der Film. Wesen und Werden einer neuen Kunst. Wien 1972, S. 28-35. Delluc, Louis: Ecrits cinematographiques. Bd. 1, Paris 1985. Epstein,Jean: Ecrits sur le cinema. Bd. 1, Paris 1974. Forster, E.M.: Ansichten des Romans. (1927) Berlin 1949. Field, Syd: Screenplay. Tue Foundations ofSreenwriting. New York 1979. Gardies, Andre: L'acteur dans le systeme textuel du film. In: Etudes Litteraires, Vol. 13, Nr. 1, April 1980, S. 71-108. Gardies, Andre: Le recit filmique. Paris 1993. Hamon, Philippe: Pour un statut semiologique du personnage. In: Genette, G./Todorov, T. (Hg.): Poetique du recit. Paris 1977, S. 115-180. Heath, Stephen: Questions ofCinema. Bloomington 1981. Kessler, Frank: Photogenie und Physiognomie. In: Campe, Rüdiger/Schneider, Manfred (Hg.): Geschichten der Physiognomie. Rombach Litterae, Bd. 36, 1996, s. 515-534. Pavis, Patrice: Dictionnaire du Theatre. Paris 1987. Pfister, Manfred: Das Drama. München 1994. Levi-Strauss, Claude: La structure et 1a forme (1960). In: Anthropologie structurale II. Paris 1970. Maltby, Richard/Craven, Ian: Hollywood Cinema. An Introduction. Oxford 1995. Souriau, Etienne: L'Univers filmique. Paris 1953. Vemet, Marc: Le personnage. In: Jean Collet et al.: Lectures du film. Paris 1980, S. 177-180. Vemet, Marc: Le personnage de film. In: Iris, Nr. 7, Vol 4/2, 1986, S. 81-110. Vale, Eugene: Die Technik des Drehbuchschreibens für Film und Fernsehen. Mün­ chen 1992. Wulff, Hans Jürgen:La perception des personnages de film. In: Iris, Revue de Theo­ rie de l'Image et du Son. No 24, 1997, S. 15--32. 149