Alexandra Schneider · «Die Stars sind wir» ZÜRCHER FILMSTUDIEN HERAUSGEGEBEN VON CHRISTINE N. BRINCKMANN Alexandra Scheider «DIE STARS SIND WIR» HEIMKINO ALS FILMISCHE PRAXIS Die Deutsche Bibliothek – CIP-Einheitsaufnahme Ein Titeldatensatz für diese Publikation ist bei Der Deutschen Bibliothek erhältlich Die vorliegende Arbeit wurde von der Philosophischen Fakultät der Universität Zürich im Sommersemester 2001 auf Antrag von Prof. Dr. Christine N. Brinckmann als Dissertation angenommen. Schüren Verlag Gmbh Universitätsstr. 55 ⋅ D-35037 Marburg www.Schueren-Verlag.de © Schüren 2004 Alle Rechte vorbehalten Gestaltung: Erik Schüßler Umschlaggestaltung: Bringolf Irion Vögeli, Aarau/Zürich Druck: AZ-Druck und Datentechnik, Kempten Printed in Germany ISBN 3-89472-509-5 Für meine Mutter Ursula Schneider-Rupp (1942–1998) Inhalt Einleitung: «Die ganze Schweiz in Feststimmung …» 9 1. Gegenstand und Vorgehen 21 Ansatzpunkte 21 Der Familienfilm als kulturell standardisierte Form visueller Kommunikation 22 Der Familienfilm unter filmtheoretischen und filmhistorischen Gesichtspunkten 27 Definitionen und Begriffe: Amateurfilm, Familienfilm, Home Movie, Heimkino 35 Überlegungen zur Theoriebildung 41 Quellenlage 44 Nichtöffentlichkeit – Privatheit – Anonymität 47 Filmanalyse 50 «Cinegraphieren ist kinderleicht!»: Die untersuchten Filme und ihr Umfeld 51 Die Amateurformate der Zwanziger- und Dreissigerjahre 53 Zwei Fallstudien 62 2. Das Motiv als Schauwert: Man darf nur filmen, was man filmen muss 65 Der Urlaub als Motiv – «Sommerferien am See!» 71 Autosonntag (CH 1930) – eine Filmsafari im Klöntal 74 «Ein Durcheinander von Postkartenaufnahmen»: Merkmale des touristischen Familienfilms 86 Der touristische Familienfilm als «verbesserter Alltag» 93 Das Kind als Motiv – «Auf schwankenden Beinchen versucht Ihr Kind seine ersten Schritte» 97 Kommemorative Kinderaufnahmen 100 Präsentieren, Inszenieren und Beobachten 104 Beobachtung versus Katalyse 114 Verfestlichung und Verfestigung 116 7 3. Die Performance als Schauwert: «Suchen Sie nach einem Filmstar in Ihrer Familie!» 119 Zu einer Terminologie der filmischen Performance 120 Performance als filmtheoretisches Problem 123 Akteurinnen und Akteure 128 Performance-Register 134 Artistik, Akrobatik und andere Formen der Darbietung 140 Dokumentierte Artistik: Der Spezialfall einer nicht medial situierten artistischen Darbietung 142 Komiker und Komikerinnen 142 Die szenische Selbstdarstellung 145 Posen 147 Gesten 161 Kamerakörper und Kamerablick 172 Die unwillkürliche Darstellung 174 Zurschaustellung von Körpern, Blicken, Inszenierungen 177 4. Die Nummer als Schauwert und die Lust am Kino: «Filmen Sie selbst!» 179 Dramaturgie im Familienfilm 180 Was macht einen Film zum Film? 181 Anfänge, Auftritte, Aufzählungen 184 Das Ende 196 Feststellen, Mitteilen, Erzählen 197 Narrative Funktionen 208 Die zweite Produktion des Films: Von der Herstellung zur Rezeption 210 Rezeption 210 Erinnerung 214 Unterhaltung 217 Der Familienfilm als kombinierende und verwertende Kunstfertigkeit 225 5. Der Familienfilm als mediale Konstruktion und doppelte Aufführung 227 Dank 231 Abbildungsnachweis 233 Analyseparameter 234 Filmisches Quellenmaterial 236 Literaturverzeichnis 247 Register 271 9 Einleitung: «Die ganze Schweiz in Feststimmung …» «Die ganze Schweiz in Feststimmung…»: Mit diesem Slogan warb Ko- dak im Juni 1931 in der Zürcher Illustrierten für die «Ciné-Kodak», eine 16-mm-Kamera mit Federantrieb für den Hausgebrauch. Anfang der Zwanzigerjahre kamen in Europa und den USA die ersten Amateurfilm- kameras und -projektoren auf den Markt. Zwar hatte man bereits mit der kinematografischen Technik für den Hausgebrauch experimentiert, doch der eigentliche Durchbruch sollte erst 1923 mit der Standardisierung des Formats und dem Einsatz von nicht brennbarem Umkehr-Filmmaterial gelingen. Sowohl das von der Firma Pathé in Europa lancierte 9,5-mm- wie das von Kodak zuerst in den USA und später auch in Europa ver- triebene 16-mm-Format waren ab 1923 verfügbar. 1932 schob Kodak das preisgünstigere Normal-8-Format nach, das nach dem Zweiten Welt- krieg den 16-mm-Film im Heimbereich weit gehend ablöste. Mit dem Super-8-Format, das 1965 marktreif wurde, nahm die Verbreitung des privaten Films weiter zu: Mitte der Siebzigerjahre besass in der Bundes- republik Deutschland jede fünfte Familie eine Filmausrüstung (Sierek 1990: 148). Seit den Achtzigerjahren wurde das Super-8-Format sukzessi- ve von der Videotechnologie abgelöst. Als neuste Entwicklung kamen in den Neunzigerjahren die Webcams und die Veröffentlichung privater Filme im Internet hinzu. Um 1930 im Garten einer Fabrikantenvilla in einem Vorort von Genua: Zwei Familien aus der «Schweizerkolonie» verbringen gemeinsam den Sonntagnachmittag. Die Kaufmannsfamilie U. weilt mit ihren beiden Söhnen beim befreundeten Direktoren-Ehepaar S. und dessen beiden Söhnen zu Besuch. Von diesem Nachmittag sind viereinhalb Minuten Film überliefert. Darin ist zunächst eine Frau zu sehen, die von einer kleinen Terrasse aus beobachtet, wie vier Kinder aus dem Haus in den Garten marschieren, als ob sie eine Bühne betreten würden: «Meet the stars of the following attraction.» Anschliessend sieht man die Kinder zusammen mit ihren Müttern und einer Hausangestellten im Garten herumspringen und ein- 10 ander nachjagen. Die Frauen stehen lachend und leicht verlegen herum und feuern die Kinder an. Sie sind Publikum und Regieassistentinnen zugleich: Der kleinste der vier Jungen – etwa eineinhalb Jahre alt – muss immer wieder ins Bild geschoben werden. In der nächsten Sequenz füh- ren die drei grossen Jungen Purzelbäume vor. Dazwischen sind Aufnah- men vom Kleinen zu sehen, der auf die Kamera zuläuft. Er will Herrn U., dem Kameramann, eine Bocciakugel überreichen, was diesen veran- lasst, die Kamera kurz abzustellen. Dann steigen alle vier Kinder auf eine Gartenbank und posieren wir für ein Gruppenporträt. Einen kurzen 11 Moment lang bleiben sie unbeweglich, als ob es sich um eine fotografi- sche Aufnahme handelte. Doch schon tritt Herr S. dazu und beginnt, an der Bank zu rütteln, sodass die Kinder hin und hergeschüttelt werden, was sie zum Lachen bringt. Herr S. nimmt die drei Grossen auf seine Schultern und beginnt, ausgelassen im Garten herumzuhüpfen. Er legt sich ins Gras und lässt die vier auf seinen Rücken klettern, um sie so- gleich wieder abzuwerfen. Dann nimmt er den Kleinsten in den Arm und zeigt ihn der Kamera; dazu pustet Herr S. dem Kind ins Gesicht. Diese Aufnahmen sind für den Familienfilm der Dreissigerjahre ty- pisch. In der Regel filmt man Angehörige, nächste Freunde und Freundin- nen in der gemeinsamen Freizeit und im Urlaub; das beliebteste Sujet bilden Kinder. Die Kamera führt meist der Vater; nur selten greifen Frauen zum Apparat. Man versucht, «Film zu machen», indem man sich bewegt oder et- was vorführt. Hier ist dieses Phänomen ganz ausgeprägt: Herr S. schneidet Grimassen, inszeniert die Kinder und trägt vor allem Sorge, dass sie stets in Aktion bleiben. Es wird gehüpft und gesprungen, in Reih und Glied gestan- den und stramm marschiert. Fast wie in einem Varieté-Programm reihen sich die verschiedenen Darbietungen als Nummern aneinander. «Die Stars sind wir»: Selber einmal Regie zu führen und auf der priva- ten Leinwand für einen Moment ein Filmstar zu sein, ist für viele Menschen mit Vergnügen verbunden – einem Vergnügen, das nicht erst durch das Pri- vatfernsehen geweckt wurde, wie heute gern behauptet wird. Seit es Film gibt, investieren immer mehr Menschen Zeit und Geld, um die kinemato- grafische Technik auch im Privaten anzuwenden. Sie kaufen Kameras, Pro- jektoren, Leinwände; sie dokumentieren die ersten Schritte ihres Nach- wuchses und filmen ihre Aktivitäten an Feiertagen oder auf Reisen. «Die ganze Schweiz in Feststimmung…»: So präsentiert sich auf den ersten Blick die intakte Welt des Familienfilms. Eine Idylle des mo- dernen bürgerlichen Lebens, voller Freude und Glück. In den Dreissiger- jahren sind es nur the happy few, die sich dieses Vergnügen leisten kön- nen. Abgesehen vom Geld, spielen noch andere Faktoren eine Rolle dabei, wer sich eine Filmausrüstung anschafft und wer nicht. Beispiels- weise das Bewusstsein, dass man einer bestimmten Familie angehört, verbunden mit dem Bedürfnis, den eigenen Status zu dokumentieren. Auffallend viele Auswanderer scheinen damals gefilmt zu haben: Ihren Verwandten wollen sie zeigen, wohin sie gegangen sind und wie sie le- ben, und für sich selbst halten sie Erinnerungen aus der alten Heimat fest.1 Darüber hinaus verfügen die damaligen Kamerabesitzer oft über 1 Vgl. hierzu Alexandra Schneider (2003). 12 ein besonderes Interesse an technischen Neuheiten und Entwicklungen. Herr U. zum Beispiel fertigte auch Stereofotografien an und besass ein Pianola, ein elektrisches Klavier. Was man in den Filmen aus der Anfangszeit des Amateurfilms zu se- hen bekommt, ist weit gehend eine comédie bourgeoise. Obwohl mit den in den Zwanzigerjahren aufkommenden Amateurfilmklubs spezielle Arbei- terfilmklubs gegründet werden, sind es vorwiegend Kamerabesitzer aus bürgerlichem Milieu, die sich und ihre Angehörigen filmisch festhalten. Doch was genau «tut» der Familienfilm? Auf welche Art und Weise und zu welchem Zweck wird im Privaten gefilmt? Diesen Fragen geht das vorliegende Buch nach. Es untersucht den Familienfilm als mediale Praxis und als Kulturtechnik und betritt in drei Punkten Neuland: in Be- zug auf das Quellenmaterial, im methodischen Zugriff und im theoreti- schen Ansatz. Private Filme sind in öffentlichen Sammlungen kaum zugänglich und wurden bislang von Filmarchiven nur vereinzelt und nicht systema- tisch gesammelt oder erfasst. Die Aufarbeitung von Quellen bildet einen integralen Bestandteil meiner Studie, da hier zum ersten Mal überhaupt Material aus der Schweiz während des fraglichen Zeitraums untersucht wird. Familienfilme sind in der Regel Gebrauchsfilme, die in hochspezifi- schen Kontexten hergestellt und rezipiert werden. Während ihre Rezep- tion sowohl in der filmwissenschaftlichen wie in der sozialwissenschaft- lichen Forschung wiederholt Gegenstand von Untersuchungen war, fand die Herstellung, das gemeinsame «Filmemachen» in der Familie, bislang wenig Beachtung. Meine Arbeit versucht diese Lücke zu schliessen. In- dem ich den Fokus der Analyse erweitere und neben dem Text und sei- ner Rezeption auch die Produktion und ihren Kontext mit einbeziehe, versuche ich, neue theoretische und methodologische Perspektiven zur Untersuchung des privaten Films zu entwickeln. Die Analyse meines Korpus dient nicht dem hermeneutischen Ziel, einen ursprünglichen Sinn zu rekonstruieren; vielmehr geht es darum, den Sinnhorizont und die Bedeutungspotenziale einer Gattung aufzuzei- gen, deren Relevanz über einen einzelnen filmischen Text hinausreicht. Dabei werden auch die Möglichkeiten und Grenzen einer filmanalyti- schen Lektüre erprobt, die aus den Werken eine Praxis zu rekonstruieren versucht, welche zuerst sozialer und erst in zweiter Linie filmischer Na- tur ist. Familienfilme sind Teil einer filmischen oder audiovisuellen Praxis: Eher zwischen als neben dem fiktionalen und nicht fiktionalen Film an- gesiedelt, fordern sie traditionelle ästhetische Vorstellungen, die man 13 sich von dem Medium macht, heraus. Ihre Faszination liegt gerade in ih- rer Alltäglichkeit, Intimität und Nicht-Öffentlichkeit. Abgesehen von produktionstechnischen Aspekten, äussern sich Halb- und Unprofessio- nalität in immer wiederkehrenden stilistischen Figuren, weshalb private Filme aus der Perspektive der professionellen Produktion oft als «schlecht gemachte» Versuche erscheinen. Gleichwohl funktionieren sie für ihr spezifisches Publikum. Sie sind verständlich, können Vergnügen bereiten und zur Sinnstiftung beitragen: bei den Filmenden, den Zu- schauenden und den Gefilmten. Familienfilme sind, so gesehen, Kultur im Sinne Max Webers, insofern «‹Kultur› ein vom Standpunkt des Men- schen aus mit Sinn und Bedeutung bedachter endlicher Ausschnitt aus der sinnlosen Unendlichkeit des Weltgeschehens» ist (Weber 1988: 180). Anhand von Beispielen versuche ich, zu zeigen, dass der Familien- film nicht nur der Repräsentation der Familie und der Bekräftigung ihres Zusammenhalts durch Repräsentation dient. In gewissem Sinn, so meine These, geht die Familie aus dem Familienfilm überhaupt erst hervor. Der Familienfilm produziert die Familie als mediales Konstrukt, als im Fami- lienkreis konsumierbare Attraktion, und die filmische Praxis bildet ein wichtiges Ritual des familiären Alltagslebens. Das Besondere an dieser filmischen Praxis besteht zunächst darin, dass Kameraperson und gefilmte Personen per definitionem in einer engen sozia- len, typischerweise verwandtschaftlichen Beziehung zueinander stehen. Ein gegenseitiges Verhältnis von sozialem Tun und medialem Ereignis prägt also den Rahmen, innerhalb dessen der Familienfilm stattfindet. Die Mit- wirkenden realisieren immer zwei Aufführungen zur gleichen Zeit, wobei sie eine Mischung aus familiären und fiktionalen Rollen darstellen: Eine Aufführung gilt der Familie, die andere dem Film. Der Familienfilm «pro- duziert» nicht nur «Familie», sondern auch «Film». Die filmwissenschaftli- che und die sozialwissenschaftliche Forschung haben sich bislang vor allem auf Ersteres konzentriert: auf die «Herstellung» der Familie durch den Film. Diese Perspektive möchte ich im Folgenden umkehren, um mich mit der Herstellung des Films durch die Familie zu beschäftigen. Das Medium ist mehr als nur eine Technik, die aus einem bestimmten Datenträger und ei- nem spezifischen Aufzeichnungsvorgang besteht, und der Familienfilm er- schöpft sich auch nicht darin, dass eine Kamera auf- und angestellt wird, während Familienleben stattfindet. Die untersuchten Aufnahmen suggerie- ren vielmehr, dass man vor und mit der Kamera auch «Kino» zu machen ver- sucht. Man stellt sich dar und bewegt sich für die Kamera, wie es schon die eingangs beschriebene Performance von Herrn S. zeigt. Entsprechend ist der Familienfilm nicht nur ein leeres Ritual, das «im Grunde vor allem sich selbst feiert» (Sierek 1990: 160) und andere 14 Familienfilme zu imitieren sucht (Chalfen 1986: 68). Er ist vielmehr, wie diese Arbeit zeigen wird, als kulturelle Praxis zu verstehen, in der er- lernte und tradierte Verhaltensweisen und Wahrnehmungsmuster ihren Niederschlag finden. Die vorliegende Arbeit untersucht den privaten Film, wie er ab Mit- te der Zwanziger- und in den Dreissigerjahren bis vor Ausbruch des Zweiten Weltkriegs im häuslichen Kreis vor allem bürgerlicher Familien praktiziert wurde, die sich den technischen Aufwand leisten konnten. Die Arbeit untersucht drei zentrale Aspekte der Praxis des Familien- films: die Motive, die Performance sowie die Struktur. Sie orientiert sich dabei an der Filmpraxis. Der Familienfilm beginnt selten damit, dass je- mand ein Drehbuch verfasst; überhaupt wird der Planung und Vorberei- tung in der Regel wenig Beachtung geschenkt. Vielmehr fängt die Pro- duktion des Familienfilms mit der Auswahl des Ereignisses und des Sujets an, mit der Festlegung dessen, was man als «filmwürdig» empfin- det. Wie ich im ersten Teil «Das Motiv als Schauwert» zeigen werde, sind für den Familienfilm der Zwanziger- und Dreissigerjahre zwei Motive paradigmatisch: touristische Sujets und die eigenen Kinder. Die zweite Gegebenheit des Familienfilm-Drehs sind die Menschen, die man aufnimmt. Es stellt sich die Frage, wie sich diese vor und hinter der Kamera benehmen, und ferner auch, wie die vorfilmischen Ereignis- se filmisch festgehalten und gemeinsam im Kreise der Familie rezipiert werden. Ausgehend von einer Analyse des Verhaltens der Personen vor und hinter der Kamera, vom Zurschaustellen und Inszenieren der Dar- steller und Darstellerinnen – ihrer Performance also –, werde ich in ei- nem zweiten Teil mit dem Titel «Die Performance als Schauwert» den kommunikativen Rahmen des Familienfilms untersuchen. Es geht mir dabei zunächst um die Personen, die hierfür konstitutiv sind. Das ist zum einen das «Kamera-Ich», also diejenige Person, die den Film auf- nimmt, gegebenenfalls montiert und später im privaten Kreise vorführt. Vor der Kamera und der Leinwand befindet sich sodann der zweite wichtige Personenkreis: die Darsteller und späteren Zuschauer und Zu- schauerinnen. Um das Darbietungsverhalten im Familienfilm zu be- schreiben, werde ich eine Typologie entwickeln, mit deren Hilfe sich die charakteristischen Eigenschaften der Familienfilm-Performance analysie- ren lassen. Die Spezifik meines Ansatzes ergibt sich daraus, dass ich die Kame- raperson ins Zentrum der filmischen Aktivität stelle, ohne aber deswe- gen eine Autorenperspektive einzunehmen. Vielmehr sehe ich die einzel- nen Filme als Produkte eines komplexen medialen Systems. Die Kameraperson stellt eine Produktionsinstanz unter anderen dar, wenn 15 auch eine singuläre und privilegierte. Im Unterschied zum Spiel- und zum Dokumentarfilm findet im Familienfilm jede Performance als rela- tionales Verhalten mit Bezug auf die Kameraperson statt, liegt die Be- sonderheit dieser Gattung doch darin, dass das Kamera-Ich und die dar- stellenden Personen in einer engen sozialen Beziehung zueinander stehen. Zur Illustration ein Beispiel: Rennt das Kind vor laufender Ka- mera auf den filmenden Vater zu, weil es ihm eine Bocciakugel bringen will, ist dieser möglicherweise gezwungen, die Kamera zur Seite zu le- gen. Der erste Eindruck ist, dass sich in dieser Situation die Rolle des Ka- meramannes und die Vaterrolle überkreuzen. Andererseits lässt sich auch die Lesart vertreten, dass der Filmdreh für die Kameraperson über- haupt erst eine Rolle bereitstellt, die es ihr erlaubt, am Familienleben teil- zunehmen. Sowohl der Film wie die Familie, so könnte man sagen, ent- stehen als Momente der Herstellung oder der Verweigerung des Kontaktes zwischen der filmenden und den gefilmten Personen. So ist es auch zu verstehen, dass der Familienfilm nicht nur eine Repräsentation der Familie darstellt, sondern ebenso eine performative Praxis von «Fa- milie». In einem dritten Teil, «Die ‹Nummer› als Schauwert», setze ich mich mit den strukturellen Eigenschaften des Familienfilms auseinander. Dabei geht es um die Art und Weise, wie die gefilmten Ereignisse «er- zählt» werden. Zwar verfügen nur wenige Familienfilme über einen durchkomponierten und folgerichtigen Aufbau, geschweige denn über einen, den man in einem engeren Sinn als narrativ beschreiben kann. Dennoch lassen sich strukturierende Momente erkennen. So werden bei- spielsweise Sujetwechsel oft markiert. Strukturierende Elemente ergeben sich auch bei Versuchen, eine Art Anfang zu konstruieren. Häufig wer- den auch Situationen gefilmt, die profilmisch bereits eine innere Dra- maturgie aufweisen, beispielsweise Turnszenen und andere akrobatische Darbietungen. Die häufig vorkommenden Nummernsituationen verwei- sen dabei auch auf andere Unterhaltungsformen wie das Varieté, den Zirkus oder komische Filme aus der Frühzeit des Kinos, während die ar- rangierten Gruppenporträts, die im Familienfilm ebenfalls häufig zu fin- den sind, auch auf die Formensprache der Fotografie Bezug nehmen. Meine Beobachtungen führen zum Schluss, dass der Amateurfilm eher als verwertende und kombinierende Form, als eine Art Bricolage, denn als misslungenes Kino verstanden werden sollte. In privaten Filmen werden nur im Ausnahmefall eigenständige ästhetische Sichtweisen entwickelt. Gleichwohl sind sie nicht einfach primitive Imi- tationen eines professionellen Standards. Private Filme entspringen viel- mehr zu einem guten Teil dem Wunsch, an bekannten medialen Darstel- 16 lungsweisen teilzuhaben. Verwirklicht wird dieser Wunsch durch eine mehr oder weniger geschickte und eigenwillige Anverwandlung des Be- kannten. In diesem Sinn lässt sich der Familienfilm auch als Konsum- form verstehen, die sich «im wesentlichen als eine ‹Kunstfertigkeit› im Umgang mit diesem oder jenem, das heisst als kombinierende und ver- wertende», zeigt (de Certeau 1988: 17). Ausgehend von der Einsicht, dass sich der Alltagskonsum populärer Kultur nicht in der Rezeption massenkultureller Produkte erschöpft, sondern ebenso die Herstellung eigener kultureller Erzeugnisse und Texte umfasst, schlage ich entspre- chend vor, den Familienfilm als eine Form von alltäglichem Medienhan- deln und von Medienaneignung zu betrachten. Mein Vorgehen ist dabei von einer pragmatischen Sichtweise ge- prägt. Im Vordergrund stehen der spezifische Gebrauch und der konkre- te Umgang mit einer Technik zu einem Zeitpunkt, in dem diese etabliert ist und eine relativ weite Verbreitung findet. Ich will demnach weder eine medienökonomische Untersuchung über den privaten Filmge- brauch leisten, noch werde ich eine ideologiekritische Auseinanderset- zung mit diesem damals fast ausschliesslich bürgerlichen Vergnügen an- bieten. Methodisch habe ich mich von der im Rahmen der qualitativen Sozialforschung entwickelten Grounded Theory2 anleiten lassen. Die Grounded Theory versteht sich als datengeleitete, gegenstandsve- rankerte Methode der Theoriebildung. Sie erlaubt, aus Fallstudien theo- retische Aussagen zu gewinnen und im gleichen Zug die gewonnenen Verallgemeinerungen an empirische Daten zurückzubinden. Die Auswahl meines spezifischen Untersuchungskorpus basiert auf verschiedenen Kriterien. Zum einen ist der Amateurfilm in der Schweiz noch nicht untersucht worden, obwohl die Praxis des privaten Films in diesem hoch industrialisierten Land mit seinen jahrhundertealten bür- gerlichen Traditionen schon früh Fuss fasste und Verbreitung fand. Im Sinn einer Vorarbeit für spätere Untersuchungen schien es mir sinnvoll, mich auf diejenige Phase zu konzentrieren, in welcher der Film für den privaten Gebrauch erstmals zu einem einigermassen weit verbreiteten Konsumartikel wurde. Ferner machte sich auch der Eigensinn des Mate- rials bemerkbar. Die Filme, die ich im Lauf der Recherche gesichtet habe, waren mir einerseits nah genug, um sich mir als Gegenstand für eine 2 Die Grounded Theory geht auf die Arbeiten der beiden amerikanischen Sozialwissen- schafter Anselm Strauss und Barney Glaser zurück und entstand in den Sechzigerjah- ren als Reaktion darauf, dass in den Sozialwissenschaften der Abstand zwischen em- pirischen und theoretischen Arbeiten immer grösser wurde. Vgl. hierzu Barney G. Glaser/Anselm Strauss (1967) und Anselm Strauss/Juliet Corbin (1990). Eine ausführ- lichere Diskussion findet sich im Abschnitt «Überlegungen zur Theoriebildung». 17 längere Auseinandersetzung anzubieten. Andererseits empfand ich ge- nügend Distanz zum Material, um mit diesem in einen produktiven wis- senschaftlichen Dialog zu treten. Letztlich bilden die Filme selbst das Herzstück meiner Arbeit – in ihrer Materialität und Sperrigkeit, ihrer Vertrautheit und Fremdartigkeit. Meine Untersuchung basiert auf privaten Familienfilmen, die in der Schweiz oder von Auslandschweizern zwischen 1923 und 1939 realisiert wurden.3 1923 markiert zwar nicht den Anfang des Familienkinos, aber mit der Entwicklung der so genannten Schmalfilmformate (16, 9,5 und später 8mm) beginnt die Geschichte der spezifischen Verbraucherforma- te für Filmamateure. Mit ihnen setzt die Entwicklung eines Konsumarti- kels ein, der inzwischen zum Massenartikel avanciert ist. Mein Untersu- chungszeitraum endet vor dem Zweiten Weltkrieg mit der Mobil- machung am 1. September 1939 – bildet der Zweite Weltkrieg doch in Bezug auf die Konsumgeschichte des privaten Films unzweifelhaft einen Einschnitt4 – während der Kriegsjahre fehlte in aller Regel das notwendi- ge Rohmaterial. In den Nachkriegsjahren wiederum verbreitete sich die Praxis des Familienfilms dank des wachsenden Wohlstands in den west- lichen Gesellschaften rasch über die Kreise (gross)bürgerlicher Familien hinaus. Der Forschungsstand und die Überlieferungsproblematik stellen in- des gerade für den untersuchten Zeitraum ein grosses methodisches Pro- blem dar. So weiss man letztlich zu wenig darüber, welche Filme und wie viele in diesem Zeitraum gedreht wurden, um ein Korpus zu bilden, das als repräsentativ für die gesamte Praxis des Familienfilms in der Schweiz der Dreissigerjahre gelten kann. Es ist deshalb umso wichtiger, mögliche Verzerrungen mit zu reflektieren. Dies betrifft vor allem einen Aspekt: Man muss davon ausgehen, dass in einem überproportionalen Ausmass Filmbestände von Familien überliefert sind, die ein relativ un- gestörtes Verhältnis zu sich selbst haben und über einen ausgeprägten Familiensinn verfügen, während die Bestände in Familien mit einer pro- blematischen Geschichte tendenziell eher der Überlieferung entzogen wurden. Wenn meine Argumentation sich bislang – mit Ausnahme des Ver- weises auf die Herkunft der Filme – so ausnimmt, als handle es sich beim Familienfilm um ein weit gehend ahistorisches Phänomen, so hat 3 In der Schweiz erscheint das erste Inserat für eine 9,5-mm-Pathé-Baby-Kamera am 22. Dezember 1923 in La vie romande (Cosandey 1986: 253). 4 Eine solche Periodisierung legt auch Patricia Zimmermann (1995) in ihrer Sozialge- schichte des US-amerikanischen Amateurfilms nahe. 18 dies auch mit einem methodologischen Problem zu tun. Noch ist der Ge- genstand zu wenig erforscht, als dass sich vergleichende Rückschlüsse darüber ziehen liessen, inwiefern sich der Familienfilm in der Schweiz der Dreissigerjahre von derselben Praxis in anderen historischen oder kulturellen Zusammenhängen unterscheidet. Über die historische und kulturelle Variabilität lassen sich bislang nur Hypothesen anstellen. Die Untersuchung meines Korpus legt den Schluss nahe, dass der Familien- film eine relativ statische Gattung ist, die sich im Verlauf der Zeit nur wenig entwickelt. Ähnlich wie beim frühen Reisefilm bildet sich rasch ein gängiges Modell heraus, das für lange Zeit stabil bleibt. Das Fehlen von Veränderung und Ausdifferenzierung lässt sich auf verschiedene Faktoren zurückführen, deren tatsächliche Auswirkungen man aber in einer längerfristig angelegten diachronen Studie eruieren müsste. Die Veränderungen, die auf Anhieb sichtbar sind, hängen in ers- ter Linie mit technischen Entwicklungen zusammen – etwa mit der Ein- führung der Videokamera oder des computergestützten Videoschnitts – oder aber mit Veränderungen im medialen Umfeld, werden doch heut- zutage oft Anleihen an populäre Fernsehformate gemacht oder Musikvi- deos inszeniert. In einer längerfristig und komparativ angelegten Studie wäre zudem zu klären, ob und inwiefern sich die soziale Herkunft der Benutzer und Benutzerinnen auf die Gestaltung der Filme auswirkt. Für meine Arbeit standen mir eine Reihe von Filmsammlungen zur Verfügung, die sich in drei unterschiedliche Quellengruppen zusammen- fassen lassen:5 • Den Kern meiner Ergebnisse werde ich anhand von zwei exemplari- schen Vergleichskorpora darstellen. Dies erlaubt mir eine exemplari- sche und präzise Präsentation des Materials, und gleichzeitig bilden diese beiden «Familiengeschichten» den erzählerischen Faden meiner Arbeit. Diese Quellengruppe beinhaltet zwei Konvolute, wovon das eine aus 177 9,5-mm-Filmen aus dem Zeitraum von 1928 bis zirka 1938 besteht. Unter den Titeln befinden sich 122 Kassetten selbst gedrehter Familienfilme und 55 Kassetten mit Pathé-Baby-Kauffilmen (insgesamt etwa sieben Stunden Material). Das zweite Konvolut der Kerngruppe umfasst 14 Rollen anonymes 16-mm-Material aus der Zeit von 1927 bis zirka 1951 (etwa zweieinhalb Stunden Film). • Eine zweite Gruppe umfasst etwa 35 weitere Bestände: 10 Konvolute aus unbearbeiteten Familienfilmen aus dem Untersuchungszeitraum 5 Vgl. die ausführliche Filmografie im Anhang. 19 und 25 weitere Sammlungen aus einer späteren Periode. Alle diese Fil- me stammen aus der Schweiz. • Darüber hinaus habe ich ein internationales Korpus von Amateur- und Familienfilmen durchgesehen, das in Form von 28 edierten Kompilatio- nen überliefert ist.6 Ich habe so lange weitere Filmbestände beigezogen, bis ich davon ausge- hen konnte, dass die im Verlauf der Analyse identifizierten Kategorien gesättigt waren – bis zu dem Zeitpunkt also, an dem ein paar Filme mehr oder weniger nichts mehr am Resultat geändert hätten. Bestimmte Kategorien liessen sich aber auf Grund der bereits benannten Überliefe- rungsprobleme nur theoretisch sättigen. Ich werde auf das Problem der Quellenlage und das Vorgehen, das sich aus der Überlieferungsproble- matik beim untersuchten Material ergibt, noch ausführlich zu sprechen kommen. Die Filmwissenschaft hat sich bislang vorwiegend mit veröffentlich- ten Filmen beschäftigt, die theoretisch für jeden und jede zugänglich und einsehbar sind. Vor allem aber hat sie sich lange Zeit kaum für nicht pro- fessionelle Filmpraktiken interessiert. Das historisch gewachsene diszi- plinäre Selbstverständnis hielt an einer Interpretation des Gegenstandes Film fest, das verlangte, dass es sich um eine für den Massenkonsum be- stimmte Ware oder aber um ein einzigartiges Kunstwerk handelte. Da- mit einher ging eine Privilegierung des filmischen Texts. Dies hat sich in den letzten Jahren zu verändern begonnen. In gleichem Masse, wie heut- zutage audiovisuelle Texte auf vielfältige Art und Weise in den Alltag vieler Menschen vorgedrungen sind, haben das wissenschaftliche Inter- esse und die Neugier zugenommen, sich nicht nur mit dem alltäglichen Gebrauch von Filmen, sondern auch mit so genannten Gebrauchsfilmen zu beschäftigten, zu denen unter anderem der Familienfilm zählt. Fragen der Rezeption gewinnen dabei zunehmend an Bedeutung. Meine Arbeit versucht nochmals einen Schritt weiter zu gehen, indem sie den Film nicht nur als Gegenstand der Rezeption, sondern als kulturelle Praxis versteht, die Produktion und Rezeption umfasst. 6 Die Kompilationsfilme sind oft nur punktuell für einen Vergleich geeignet. Zum Bei- spiel sind die primären Quellen bearbeitet, unscharfe oder überbelichtete Einstellun- gen werden häufig eliminiert. Ein anderes Problem bildet oft auch die fehlende Quellenangabe. So verwendet Daniel Schmid in seinem Les Amateurs (CH 1991) Auf- nahmen, die für die Fremdenverkehrswerbung gefilmt wurden, die also kein Ama- teurmaterial darstellen. 21 1. Gegenstand und Vorgehen Ansatzpunkte Reiche Leute legen schon heute Wert darauf, alle wichtigen Handlungen ihres Lebens vor einer ki- nematographischen Kamera vorzunehmen, um so ihren Memoiren auch Illustrationen hinzufügen zu können, und diese Mode, die vorläufig noch den Multimillionären vorbehalten ist, hat sicherlich noch eine grosse Zukunft. – Emilie Altenloh: Zur Soziologie des Kino (1914: 35). Die wissenschaftliche Beschäftigung mit dem privaten Film setzt erst in den Siebzigerjahren ein. Zuvor findet man in der Literatur nur einzelne verstreute Bemerkungen zum privaten Film, wie etwa die vorangestellte Beobachtung von Emilie Altenloh in ihrer Soziologie des Kino von 1914. In den Dreissigerjahren tauchen die ersten programmatischen Schriften von Avantgarde- und später von Experimentalfilmern auf, die im Amateur- film eine Alternative zum kommerziellen Kino sehen.7 Als Folge eines sprachanalytischen und historiografischen Paradig- menwechsels in den Sozial- und Kulturwissenschaften entwickeln sich in den Sechziger- und Siebzigerjahren neue Ansätze, die der wissen- schaftlichen Beschäftigung mit dem Familienfilm zuträglich sind. Dieses neu entstandene Interesse lässt sich auf ein verändertes Verständnis da- von zurückführen, was überhaupt als forschungsrelevanter Gegenstand gilt. Familienfilme beginnen, sich als Quellenmaterial, als Daten und Texte zu legitimieren, von denen man sich neue Perspektiven für die 7 Einer der Ersten, die den Amateurfilm in dieser Weise sehen, ist László Moholy-Nagy, der 1933 in einem Text über «Neue Filmexperimente» die Vorteile des Amateurfilms beschreibt. Eine andere Filmemacherin, die sich in den Vierziger- und Fünfzigerjahren auf ähnliche Weise äussert, ist Maya Deren (vgl. dazu Deren 1995); es folgen – um nur die prominentesten Vertreter zu nennen – Stan Brakhage (1971) und Jonas Mekas (1972). Weiterführend hierzu Laurent Allard (1995), Patricia Zimmermann (1995) und speziell zu den Filmen von Jonas Mekas: Jeffrey Ruoff (1992). 22 Forschung verspricht.8 In der Filmwissenschaft nimmt die Auseinander- setzung mit dem Thema in den Achtzigerjahren ihren Anfang.9 Ich will zunächst einen kurzen Einblick in die sozial- oder kulturwissenschaftli- chen Arbeiten zum Thema geben, um danach die filmwissenschaftliche Forschungsliteratur zu diskutieren. Dabei werde ich jeweils darzulegen versuchen, in welchen Punkten meine Studie über die vorliegenden Ar- beiten hinausgeht oder von diesen unterschiedene Sichtweisen entwi- ckelt. Der Familienfilm als kulturell standardisierte Form visueller Kommunikation In der Anthropologie10 sind es zunächst Vertreter der konstruktivisti- schen Richtung, die sich für den privaten Film interessieren. Im Vorder- grund steht für diese Forscher die Frage nach der sozialen und kulturel- len Funktion von Familienfilmen. Eine wichtige Rolle spielen dabei die Untersuchungen des amerikanischen Anthropologen Sol Worth, die auf die Visuelle Anthropologie insgesamt einen prägenden Einfluss ausüb- ten. Für Worth sind Familienfilme kulturelle Dokumente konstruierter Wirklichkeit, die nicht einfach als Abbild von Realität zu verstehen sind, sondern als visuelle Statements, als strukturierte Äusserungen (Worth nach Chalfen 1987: 6).11 Worth erachtet den privaten Film und die private 8 Da die sozialhistorischen Untersuchungen für meine Fragestellung keine bedeutende Rolle spielen, werde ich sie im Folgenden nicht speziell diskutieren. Sie stellen aber ei- nen wichtigen Forschungszweig dar. Suzanne Aasman (1993; 1995) hat beispielsweise Familienfilme als Quellenmaterial zur Untersuchung der sozialen und ideologischen Konstruktion der Kleinfamilie beigezogen. Zu erwähnen sind zudem die mentalitäts- geschichtlichen Arbeiten, in denen man unter dem Eindruck des Zweiten Weltkriegs beginnt, das kollektive Gedächtnis anhand individueller Erinnerungen zu rekonstru- ieren. Individuelle Erinnerungen lassen sich nicht nur mithilfe der Zeitzeugenbefra- gung erschliessen – auch private Dokumente wie Tagebücher und Filme werden nun als Quellen beigezogen (Huet 1997: 19). Dabei gibt es in der Geschichtsforschung un- terschiedliche Positionen, was den Stellenwert und die Aussagekraft von Amateurfil- men anbelangt. Für die einen sind sie spezifische, für andere «gewöhnliche» und für eine dritte Gruppe limitierte Quellen (nach Hogenkamp 1997: 107). 9 Eine Ausnahme bildet ein früher Text von Roger Odin (1979). Einen Überblick über den europäischen und amerikanischen Forschungsstand vermitteln Patricia Erens (1986), Richard Chalfen (1987) und Patricia Zimmermann (1995) für die USA, Roger Odin (1995a und 1999) für Westeuropa. Es gibt bislang keine übergreifenden biblio- grafischen Darstellungen, die einen systematischen Überblick über die weit verstreute internationale Forschung verschaffen. Die ausführlichsten Bibliografien finden sich bei Roger Odin (1995a und 1999). 10 Anthropologie oder Ethnologie oder auch Soziologie – die Bezeichnungen sind vom jeweiligen Sprach- und Kulturraum abhängig. 11 Sol Worth hat sich auch mit allgemeinen filmsemiotischen Problemen beschäftigt, so zum Beispiel mit dem Negationsproblem von Bildern, vgl. Sol Worth (1981). 23 Fotografie als moderne Varianten symbolischer Aktivitäten, die das Le- ben mit Sinn zu versehen helfen. Seine wohl bekannteste und folgen- reichste Arbeit ist das Navajo-Projekt, das er gemeinsam mit John Adair durchführte (Worth 1972). Die beiden Forscher machten eine Gruppe von Navajo-Indianern mit der Super-8-Technik vertraut und liessen sie Filme drehen. In der Analyse der Resultate stiessen sie auf signifikante Unterschiede im Vergleich zu Filmen weisser US-Amerikaner. 12 Worths Studien zur visuellen Kommunikation finden eine Fortset- zung in den Arbeiten seines Schülers Richard Chalfen. In Snapshot Ver- sions of Life (1987) fasst Chalfen die privaten Gebrauchsweisen von Foto- grafie, Film und Video unter dem Begriff der home mode communication zusammen.13 Er definiert den häuslichen Kommunikationsmodus als eine Form interpersonaler und kleingruppenspezifischer Kommunikati- on, die im häuslichen Umfeld stattfindet und deren Teilnehmer und Teil- nehmerinnen über einen gemeinsamen Erfahrungsraum verfügen (Chal- fen 1987: 8). Visuelle Kommunikation im privaten Rahmen erfüllt nach Chalfen eine doppelte Funktion: Sie erlaubt den Menschen gleichermas- sen die Darstellung ihrer Individualität und die Darstellung gemein- schaftlicher oder gesellschaftlicher Mitgliedschaften. Sie ist zudem stark von kulturellen Konventionen geprägt, die in den stereotypen inhaltli- chen und ästhetischen Mustern dieser Werke zum Ausdruck kommen: «Probably home moviemaking and appreciation imitates previous home moviemaking and not professional forms of film communication» (Chal- fen 1986: 68). Der Autor äussert sich indes nicht darüber, wie diese Kon- ventionen entstanden sind und worauf sie beruhen. Ich werde in meiner Analyse zeigen, dass Familienfilme, entgegen Chalfens Annahme, Reak- tionen auf ein komplexes mediales und soziales Umfeld darstellen, dass sie also nicht nur Nachahmungen anderer Familienfilme sind, sondern sich weit über diesen Horizont hinaus bei anderen Darstellungsformen bedienen oder darauf anspielen, ohne sie deswegen vollumfänglich zu imitieren. Diese Genese der Visuellen Soziologie, die in den Arbeiten von Worth und Chalfen einen wichtigen Anstoss fand, wäre einseitig skiz- ziert, würde nicht auch Pierre Bourdieus et al. (1965) wegweisendes For- schungsprojekt über die sozialen Gebrauchsweisen der Fotografie er- 12 Die Resultate der Navajo-Studie sind umstritten; David MacDougall (1969) zweifelt an der kulturellen Variabilität von Familienfilmen. Trotzdem bildet die Navajo-Studie einen zentralen Ausgangspunkt für die visuelle Anthropologie. Für eine umfassende Darstellung vgl. Robert Schändlinger (1998) und Jay Ruby (2000). 13 Richard Chalfen hat über diverse Aspekte der so genannten home mode communication geschrieben. Vgl. dazu Richard Chalfen (1975, 1976, 1982, 1986, 1987, 1988 und 1992). 24 wähnt. Diese Untersuchung basiert auf mehreren komparativen Studien. So stellt sie unter anderem bäuerliche und städtische fotografische Prak- tiken einander gegenüber sowie Hobbyfotografen und organisierte Klubfotografen. Vor allem in Europa wurde Bourdieus Buch zum Aus- gangspunkt einer kritischen Beschäftigung mit visueller Kommunikation und leistete einen wichtigen Beitrag dazu, die private Fotografie als legi- timen Gegenstand der Forschung zu etablieren.14 Wie später Chalfen streicht schon Bourdieu hervor, dass die Fami- lienfotografie und der private Film in erster Linie kommunikativen Zie- len und der Stabilisierung von Gruppenidentitäten dienen. Die Fotogra- fie vermag sich zu einem Zeitpunkt zu verbreiten, der mit der Entwicklung der Familie zur Kleinfamilie einhergeht, in deren Verlauf die (emotionale) Häuslichkeit an Bedeutung gewinnt, andererseits aber die Hausgemeinschaft an sozialer und ökonomischer Bedeutung verliert. Die Fotografie, so Bourdieu, dient der Familie nun als Technik der Kom- pensation einer verlorenen Einheit; nur dank der fotografischen Verewi- gung vermögen Familienrituale noch eine Sinn stiftende Funktion zu er- füllen. Insbesondere dient die Fotografie als «Festtechnik», indem sie die wichtigen Momente im Leben einer Familie vergrössern hilft. Die Foto- grafie suggeriert der Kleinfamilie künstliche Grösse und verleiht ihr eine Pseudogeschichtlichkeit, wodurch sie die Familie als Einheit erhält.15 Die funktionalen Aspekte, die Bourdieu benennt, sind zweifellos auch für den Familienfilm bedeutsam. Ich werde in meiner Analyse jedoch weni- ger auf die Kompensationsthese zurückgreifen als auf die Idee der Fest- technik. Die Praxis des Familienfilms verleiht dem Alltag den Charakter des Besonderen, indem er ihn dramatisiert und ihn unter dem Gesichts- punkt des Spektakels erscheinen lässt. Zugleich leistet der Film damit ei- nen Beitrag dazu, Erfahrungen im Familienkreis erzählbar und überlie- ferbar zu machen. Eine Weiterführung, die für meinen Zusammenhang von Interesse ist, erfährt Bourdieus Arbeit bei der deutschen Kommunikationssoziolo- gin Angela Keppler.16 Ihr Interesse gilt der kommunikativen Vergemein- 14 Um ein paar Beispiele aus der inzwischen vielfältigen Forschungsliteratur zu nennen: Jaap Boerdam (1980), Michael Lesy (1980), Pauline Greenhill (1981), Julia Hirsch (1981), Jo Spence (1991), Timm Starl (1994) und Annette Kuhn (1995). Für die Schweiz: Martin Heller (1989), Paul Hugger (1991) und Ricabeth Steiger (1998 und 1999). Auf- schlussreiche Hinweise finden sich auch in den klassischen Texten zur Fotografie von Roland Barthes (1989), Gisèle Freund (1993) und Susan Sontag (1993). 15 Kritik an Pierre Bourdieus Studie ist vor allem auf Grund der fehlenden Zeitperspekti- ve vorgebracht worden; sie macht sich insbesondere an seinem ahistorischen Fami- lien- und Kulturbegriff fest. Vgl. dazu Jaap Boerdam (1980) oder pointiert Michael Leinweber (1991). 25 schaftung in Familien; am Beispiel familiärer Tischgespräche hat sie die gemeinschaftsbildende Rolle alltäglicher Kommunikationszusammen- hänge beleuchtet (Keppler 1995). Tischgespräche sind soziale Veranstal- tungen, in denen verschiedene Gattungen der alltäglichen Kommunika- tion in eine signifikante Verbindung zueinander treten. Mediale Dokumente wie Fotografien, Dias oder Filme spielen dabei eine wichtige Rolle, bieten sie doch einen Anlass zum kommunikativen Austausch, während sie zugleich als Dokumente der Erinnerung dienen. Erinne- rungsbilder halten aber nicht einfach flüchtige Ereignisse fest – sie «er- halten ihre Relevanz und prägende Kraft erst im kommunikativen Aus- tausch: Erinnerungen werden in der Familie durch Gespräche am Leben erhalten und tradiert» (Keppler 1995: 187). Entsprechend untersucht Keppler nicht den ästhetischen Gehalt, «die mehr oder weniger kunstlo- se Form dieser Fotografien» (ebd.). Vielmehr analysiert sie die Vorgänge, die sich an den gesammelten Dokumenten bei deren Betrachtung voll- ziehen, und die Rolle, die Bilder im kommunikativen Ritual des familiä- ren Beisammenseins spielen. Für Keppler erlangen visuelle Dokumente ihre Funktion für den Erinnerungshaushalt also erst in der gemeinsamen Betrachtung und Besprechung. Spezifisch auf den Familienfilm bezogen, räumt eine solche Sicht- weise jedoch dem kommunikativen Gehalt nonverbaler Praktiken und dem affektiven und kognitiven Potenzial kinematografischer Bilder zu wenig Raum ein. Zudem wird auch der Aspekt der gemeinsamen Her- stellung von Familienfilmen ausgeblendet: Sie werden ja nicht nur gemeinsam rezipiert, sondern auch im Kreis der Familie gedreht. Um diesen bedeutsamen Aspekt mit zu berücksichtigen, scheint es mir ange- zeigt, den Familienfilm umfassend als kulturelle Praxis zu verstehen, die neben der Rezeption auch die Produktion umfasst. Neben dem Familienfilm im Speziellen ist auch der Amateurfilm als solcher zum Gegenstand wissenschaftlicher Auseinandersetzung ge- worden.17 Der nicht professionelle Gebrauch der filmischen Technik beschränkt sich bekanntlich nicht auf den Familienkreis. Seit den Zwan- zigerjahren werden Amateurfilme in der Freizeit in Vereinszusammen- hängen gedreht. Für die Aktivitäten der Filmamateure, die in Klubs or- ganisiert sind, hat sich zuerst die Volkskunde interessiert, die den Amateurfilm als Phänomen von Alltagskunst und Alltagskultur unter- suchte.18 Zwei neuere Arbeiten aus diesem Bereich verdienen im Zusam- 16 Angela Keppler (1984, 1990 und 1995). 17 Zum Unterschied von Familien- und Amateurfilm vgl. die Ausführungen im Ab- schnitt «Definitionen und Begriffe». 26 menhang mit meiner Untersuchung besondere Erwähnung. Eckhard Schenke (1998) analysiert in seiner Dissertation die gängigen Gebrauchs- weisen der filmischen Technik für die private AV-Produktion. Schenke bedient sich des Mittels der Befragung von Amateurfilmern und unter- sucht namentlich die Funktionen, die deren Umgang mit der filmischen Technik erfüllen, sowie die Bedeutungszusammenhänge, in denen sie sich ansiedeln (Schenke 1998: 9). In seiner Analyse unterscheidet er drei Typen des privaten Filmgebrauchs: denjenigen von Freizeitaktivisten und -aktivistinnen, denjenigen von Amateuren, die in Vereinen organi- siert sind, sowie denjenigen von Film- und Videofans, die über eine An- bindung an Institutionen verfügen und zu denen namentlich Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen offener Fernsehkanäle zählen. Schenke ordnet die verschiedenen Typen unterschiedlichen kommunikativen Kreisen zu, in denen das jeweilige Filmschaffen seine Bestimmung und Funktion fin- det. Für die Freizeitfilmer und -filmerinnen richtet sich «das Kommuni- kat Amateurfilm […] an den umgrenzten Kreis der Familienmitglieder». Für die organisierten Amateure steht die «Entwicklung von individuel- len Fertigkeiten und Selbstbewusstsein in der Arbeit mit Gleichgesinn- ten» im Vordergrund. Beim dritten Typus ist «die selbstbestimmte Ver- mittlung von Informationen an die Öffentlichkeit zu erwähnen, die den Übergang zum interpersonalen kommunikativen Austausch betont» (Schenke 1998: 314). Schenkes Untersuchung betrifft einen anderen Zeit- raum als diese Arbeit. Gleichwohl lassen sich seine Kategorisierungen und Ergebnisse extrapolieren und auch für meinen Zusammenhang fruchtbar machen. Dabei beschränke ich mich auf einen bestimmten Typ von nicht professionellen Filmschaffenden, auf die so genannten Frei- zeitaktivisten. Ich möchte allerdings festhalten, dass im Rahmen einer filmanalytischen Studie zu untersuchen wäre, ob sich die Filme tatsäch- lich so eindeutig unterscheiden lassen, wie dies die Selbsteinschätzung ihrer Realisatoren und Realisatorinnen nahe legt. Eine Untersuchung des filmischen Materials könnte zeigen, dass die Übergänge zwischen den einzelnen Gebrauchstypen, wie sie Schenke einleuchtend beschreibt, auf der Ebene der Produkte durchaus fliessend sind. Ich will an dieser Stelle zudem eine unveröffentlichte Arbeit erwäh- nen, die mir wichtige Impulse gegeben hat: Rainer Puntigams (1994) Ma- gisterarbeit über das Amerika-Bild, das österreichische Touristen in ihren Ferienvideos konstruieren. Sein Interesse gilt insbesondere den Motiven 18 Vgl. hierzu die Darstellung von Sharon Sherman (1998): Ihre grösste Aufmerksamkeit gilt dabei der traditionellen volkskundlichen Beschäftigung mit Film, dem volks- kundlichen Film selbst. 27 und visuellen Metaphern, die verwendet werden. Er kommt zum Schluss, dass Amateurfilme keine eigenständigen ästhetischen Sichtwei- sen entwickeln, sondern vielmehr auf dem Wunsch basieren, an bekann- ten Diskursen teilzuhaben. Zu einer solchen Einschätzung komme auch ich auf Grund der Analyse meines Ausgangsmaterials.19 Der Familienfilm unter filmtheoretischen und filmhistorischen Gesichtspunkten Amateurfilm und Heimkino als Gegenstand der Filmgeschichte In der Filmwissenschaft beginnt die Auseinandersetzung mit dem priva- ten Film wie erwähnt in den Achtzigerjahren. Die wichtigsten Studien entstehen dabei in den USA, in Frankreich und teilweise auch im deutschsprachigen Raum. Zu nennen sind insbesondere die Arbeiten von Patricia Zimmermann und Roger Odin. Zimmermann zeichnet in ihrer Sozialgeschichte des US-ameri- kanischen Amateurfilms die ideologische Entwicklung des Amateurdis- kurses von seinen Anfängen um 1895 bis in die Sechzigerjahre nach.20 Sie analysiert, wie der öffentliche Diskurs den Amateurfilm innerhalb eines spezifischen ökonomischen, ästhetischen, sozialen und politischen Pro- zesses positioniert. Zimmermann geht dabei von der These aus, dass es sich nicht um eine untergeordnete Filmpraxis von vernachlässigbarer ideologischer Bedeutung handelt, sondern diese vielmehr als histori- scher Prozess der sozialen Kontrolle über die Repräsentation zu be- schreiben sei. Mit besonderer Deutlichkeit tritt dieser Prozess in der Ent- wicklung zu Tage, die das Amateurfilmhobby in den Fünfzigerjahren durchläuft, als den privaten Filmen die narrativen Konventionen des Hollywood-Kinos übergestülpt werden, die eine Form von kinematogra- fischem Esperanto darstellen (Zimmermann 1995: 126). Zimmermanns Verdienst ist es, am Beispiel des Amateurfilms und auf der Grundlage einer grossen Menge bislang unausgewerteten schriftlichen Quellenmaterials eine Sozialgeschichte diskursiver Prakti- ken entwickelt zu haben. Problematisch erscheint mir ihre Arbeit dort, 19 Speziell zum privaten Video vgl. auch Roger Odin (1998) und James M. Moran (2002). 20 Zum Amateurfilm in der Schweiz existieren zwei kleine populär gehaltene Arbeiten. Ihr Verfasser, Ernst Wolfer, war lange Zeit Präsident des Zürcher 9,5-mm-Filmclubs. Die 9,5mm-Bewegung in der Schweiz (1990) vermittelt ein paar Einblicke in die Ge- schichte des Amateurfilmklubwesens; namhafte Vertreter – vorwiegend aus der Deutschschweiz – sind biografisch vorgestellt; daneben werden auch ein paar Klubak- tivitäten erläutert. Die zweite Publikation, Filmen damals… (1992), ist ein Verzeichnis von Kameras und Projektoren. 28 wo sie das Amateurhafte als Ort eines herrschaftsfreien Diskurses veran- schlagen möchte, der sich als Alternative zur Ideologieproduktion Hol- lywoods verstehen lässt. In einer solchen Sichtweise bleibt der Amateur- film ein idealisiertes und vages Konzept, während man über die spezifischen Qualitäten seiner medialen Praxis eher wenig erfährt. Zim- mermanns Tendenz zur Idealisierung des Amateurfilms zeigt sich nicht zuletzt an ihrer These, dass der Familialismus erst in den restaurativen Nachkriegsjahren vom Familienfilm Besitz ergreife. Wie ich anhand mei- nes Materials darlegen werde, findet der Sündenfall jedoch viel früher statt; in der Schweiz jedenfalls ist der bürgerliche Familialismus im pri- vaten Film schon in den Jahren vor dem Krieg vollumfänglich etabliert. In die Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg fällt hingegen die Ausbreitung einer vom Familialismus geprägten privaten Filmpraxis in kleinbürgerli- chen Kreisen. Für eine Sichtweise, wie ich sie vorschlagen möchte, spricht auch Stacey Johnsons (1998) Untersuchung über den Siegeszug des 8-mm- Formats nach dem Zweiten Weltkrieg in Kanada.21 Nach Johnson profi- tierte der Familienfilm von einer bereits existierenden visuellen Kultur der Familie und in der Familie, die den Nährboden seiner raschen Aus- breitung bildete; die Erfindung des Home Movie blieb ohne grosse Aus- wirkung auf die Formen der Repräsentation der Familie in visuellen Me- dien, sieht man einmal davon ab, dass die Vorführung im häuslichen Kreis eine neue Form des Konsums der visualisierten Familiengeschichte darstellt (Johnson 1998: 153). Anders als Zimmermann (1995) behandelt Johnson den Familienfilm nicht als Nachahmung des professionellen Films – er sieht den privaten Film vielmehr als direkte historische Fort- setzung der Familienfotografie, nicht zuletzt da beide Medien einem Wunsch nach Erinnerung und einer Sehnsucht nach Bildern der Fami- liengeschichte entsprechen. Ich gehe mit Johnson darin einig, dass der Familienfilm in seiner Funktion wie teilweise auch in seinem Formenre- pertoire an die Fotografie anschliesst. Allerdings werde ich in der Analy- se des Materials darlegen, dass die Unterschiede zwischen Familienfilm und Familienfotografie nicht nur die Form der Präsentation oder Vorfüh- rung betreffen. Vielmehr bestehen auch wesentliche ästhetische Differen- zen zwischen den beiden Techniken des Festes und der Erinnerung, die es nicht zu vernachlässigen gilt. 21 Stacey Johnsons Arbeit mit dem Titel Taking Pictures, Making Movies and Telling Time: Charting the Development of a Producing and Consuming Visual Culture in the Family ist noch nicht greifbar. Ich beziehe mich auf seinen zusammenfassenden Aufsatz (John- son 1998). 29 Einen wichtigen Hintergrund für meine Untersuchung bilden fer- ner filmhistorische Studien zum Heimkino, und zwar insofern sie den Familienfilm im medialen Umfeld des Kinos situieren. Im Mittelpunkt steht dabei das «Wohnzimmerkino» – eine Unterhaltungsform, im Rah- men derer in den eigenen vier Wänden Programme aus gekauften und selbst gedrehten Filmen angeschaut werden. Das Wohnzimmerkino, das mitunter auch als Vorläufer des Fernsehens gilt, stellt mit Unterbrüchen seit den Zehnerjahren eine beliebte Form der privaten Unterhaltung, aber auch der Information dar, wobei anfangs die gekauften Filme im Vordergrund standen, später immer mehr auch selbst gedrehte Filme in die Programme integriert wurden.22 Moya Luckett (1995) zeichnet am Beispiel der USA nach, wie die Filmindustrie in den Zehnerjahren mithilfe des Heimkinos versuchte, den Ruf ihrer Produkte zu verbessern (Luckett 1995: 21). In einer Argu- mentation, die an Bourdieus Ausführungen zum Aufkommen der priva- ten Fotografie erinnern, weist Luckett darauf hin, dass die Einführung des Kinos als häusliche Unterhaltungsform mit einer zentrifugalen Ent- wicklung der Familie einhergeht und dieser in gewisser Weise entgegen- wirkt. Die Familie begann Anfang des 20. Jahrhunderts, ihre organische Einheit zu verlieren: Im Kreis der Familie fand man sich nur noch zu- sammen, wenn ein spezielles Ereignis oder ein bestimmter Zeitvertreib dazu Anlass bot. In dieser Situation erfreute sich das Heimkino unter an- derem deshalb immer grösserer Beliebtheit, weil es zugleich ein Ereignis und einen gemeinsamen Zeitvertreib darstellte (Luckett 1995: 23). Wie ich darlegen möchte, gilt dies in ähnlicher Weise für den Familienfilm. Nicht nur wurden Familienfilme in der Regel im Rahmen des Heimkinos vorgeführt. Die Praxis der Filmherstellung bildete schon ein Ereignis und einen Zeitvertreib, zu dem man sich zusammenfand und sich als Fa- milie konstituierte. Filmtheoretische Ansätze Von Moya Lucketts Untersuchung abgesehen, hat sich die Filmwissen- schaft bislang kaum mit dem Phänomen der privaten Vorführung von gekauften Filmen befasst; im Zentrum der Auseinandersetzung standen vielmehr selbst gedrehte Filme. Ich will im Folgenden auf diejenigen Ar- beiten eingehen, die für meine Untersuchung von Belang sind. Nicht ausführlich diskutiert werden dabei die verschiedenen filmanalytischen 22 Vgl. für die USA: Ben Singer (1988), Moya Luckett (1995) und Barbara Klinger (1998); für Grossbritannien John Barnes (1997) und für Deutschland Martina Roepke (1999). 30 Studien über einzelne Filmsammlungen sowie Arbeiten, die auf die Ver- wendung von Familienfilmen in Dokumentar-, Spiel- und Experimental- filmen eingehen. Die Ergebnisse dieser Studien werden in die Darstel- lung meiner eigenen Analysen einfliessen.23 Zweifellos die wichtigsten Arbeiten stammen von Roger Odin, der im Rahmen seiner Forschungsprojekte zum Familienfilm ein eigentliches Theoriedesign entwickelt hat: die Semiopragmatik des Films. Bereits in seiner ersten Veröffentlichung zum Thema Rhétorique du film de famille (1979) leistet Odin eine systematische Beschreibung der Gattung. Er un- tersucht zunächst die stilistischen und rhetorischen Figuren, die dafür kennzeichnend sind, vergleicht den Familienfilm in ästhetischer Hinsicht mit dem Kinofilm und charakterisiert ihn anhand einer Reihe von spezi- fischen «Figuren des Missratens». Hierzu zählen die fehlende Geschlos- senheit des Werks, das Bruchstückhafte der Narration, die ungewisse Zeitorganisation und die Willkürlichkeit in den räumlichen Beziehun- gen. Die Bestimmung dieser stilistischen Figuren reicht aber nicht aus, um den Familienfilm von anderen filmischen Praktiken zu unterschei- den, tauchen sie doch ebenso in Experimentalfilmen und in Fernsehre- portagen auf. Entsprechend kommt Odin zum Schluss, dass ein textim- manentes Vorgehen, wie es in der französischen Filmsemiologie üblich ist, angesichts des Familienfilms an seine Grenzen stösst und durch ein Modell ersetzt werden muss, das sich an der Pragmatik orientiert (Odin 1979: 368). Ferner erweist sich auch die Vorstellung vom Kino als homo- gener und einzigartiger Institution als problematisch. Vielmehr zeigt sich für Odin am Familienfilm, dass es verschiedene Kinos und verschiedene institutionelle Kontexte des Kinos gibt: das klassisch fiktionale, das päd- agogische, das industrielle und eben das familiale Kino (Odin 1979: 368). Diese Unterscheidung verschiedener Kontexte ist deshalb wichtig, weil es die Institution ist, welche den internen Figuren des filmischen Texts ihren Sinn verleiht (Odin 1979: 369). Mit diesen Feststellungen legt Odin den Grundstein für seine se- miopragmatische Filmtheorie, die er in den nachfolgenden Jahren for- muliert und die sich im Wesentlichen als pragmatische Gattungstheorie 23 In der filmwissenschaftlichen Literatur finden sich vereinzelte filmanalytische Aufsät- ze zum Familienfilm, in denen einzelne Sammlungen untersucht werden (die meisten davon in einer Sondernummer des Journal of Film and Video von 1986): Michelle Citron (1986), Patricia Erens (1986b), Chuck Kleinhans (1986) und Jeffrey Ruoff (1995). Zur Verwendung von Familienfilmen in Spielfilmen vgl. Patricia Erens (1986c), Eric de Kuyper (1995) und Marie-Thérèse Journot (1995a). Zur Verwendung im Experimen- tal- und im Found-footage-Film vgl. Maureen Turim (1986), Christine N. Brinckmann (1992) und Robin Curtis (2000). Für den Werbefilm: Marie-Thérèse Journot (1995b) und Margrit Tröhler (1999). 31 beschreiben lässt.24 In seinem zweiten grossen theoretischen Artikel Le film de famille dans l’institution familiale (1995b) kommt er zum Schluss, dass der Nutzen einer Gattung für ein bestimmtes Publikum eng mit den impliziten oder expliziten Erwartungen verbunden ist, die es daran heranträgt. Beim Familienfilm bilden die Erwartungen der Familie den Bedeutungshorizont für die konkreten filmischen Äusserungen; er funk- tioniert für sein Publikum, nicht obwohl er unter professionellen Ge- sichtspunkten dilettantisch aussieht («mal fait»), sondern gerade weil er ein mangelhafter Text ist. Innerhalb des familiären Rahmens funktioniert der Familienfilm, weil er als tendenziell ungeschlossener Text potenziell unterschiedliche Lesarten und gleichzeitig eine gemeinsame Vision an- zubieten vermag. Das Gezeigte gerät, so Odin, dank seines bruchstück- haften Charakters kaum mit den Erinnerungen der Zuschauenden in Konflikt. Der Familienfilm lässt den Familienmitgliedern offen, zuvor Erlebtes nach eigenem affektiven und kognitiven Ermessen zu modifi- zieren. Damit trägt er zur Herstellung und Bestätigung eines familialen Sinns bei und erfüllt eine gemeinschaftsstiftende Funktion. Odin geht noch weiter, wenn er schreibt, dass der Familienfilm so- zial gesehen zu denjenigen Texten gehört, deren Funktion gemäss Louis Althusser darin bestehe, auf die Menschen einzuwirken «par un proces- sus qui leur échappe pour régler leurs comportements» (Odin 1995b: 39). Es geht also beim Familienfilm auch darum, das Verhalten zu regulieren. Odins Ansatz ist äusserst fruchtbar, wirft aber auch Fragen auf. Wie lässt sich beispielsweise erklären, dass Familienfilme stilistisch und rhetorisch zwar mehrdeutig sind, trotzdem aber so rigoros in eine bestimmte Rich- tung – von oben nach unten, vom Text zum Zuschauer – wirken? Wie ist dies mit der gleichzeitigen Behauptung in Einklang zu bringen, eine ak- tive Arbeit des Publikums sei dem Familienfilm textuell inhärent, jede und jeder müsse sich also einen eigenen Film machen können? Meine Einwände betreffen zwei Punkte: Zum einen scheinen mir die Filme entscheidend stärker strukturiert, als dies ein Vergleich mit den Konventionen des Erzählkinos nahe legt. Obwohl auch Odin aner- kennt, dass ein solcher – negativer – Vergleich problematisch ist, lassen sich die von ihm beschriebenen Figuren des Missratens nur in Relation zum Erzählkino verstehen. Die «Offenheit» des Familienfilmtextes ist mit anderen Worten immer nur relativ zum Erzählkino. Ich möchte statt- dessen vorschlagen, den Familienfilm auch mit anderen Traditionen in Verbindung zu bringen – zum Beispiel mit der frühen Kinematografie – 24 Neben Roger Odin haben auch Francesco Casetti (1986) und Hans-Jürgen Wulff (1999) an der Entwicklung einer Semiopragmatik des Films gearbeitet. 32 und sein Verhältnis zum professionellen Kino nicht primär als imitatori- sches, sondern, wie erwähnt, als eines der Kombination, der Anspielung und Bricolage zu verstehen. Zum anderen wird auch die Position und Funktion des Kamera- mannes – der zugleich Regisseur, Darsteller und Vater ist – genauer un- tersucht werden müssen. Es lohnt sich, darüber nachzudenken, ob die Eigenaktivität des Publikums nicht grösser ist, als Odin implizit behaup- tet; vor allem wenn man bedenkt, dass dieses Publikum in der Regel schon bei der Aufnahme partizipiert und sich auch selbst inszeniert. Von diesen Einwänden abgesehen, folge ich weit gehend Odins Vorstellung, dass sich für den Familienfilm ein semiopragmatischer An- satz geradezu aufdrängt, weil sich ohne Einbezug des situativen Kontex- tes das Bedeutungspotenzial der Filme nicht erschliessen lässt. Die we- sentlichste Veränderung, die ich an Odins Modell vornehme, stellt in theoretischer Hinsicht die Ausweitung auf den Herstellungskontext25 und in methodologischer meine induktiv angelegte filmanalytische Un- tersuchung dar. Wie einführend angesprochen, hatten Odins Arbeiten einen wesent- lichen Einfluss auf die filmtheoretischen Publikationen zum Thema. So nehmen zum Beispiel Jean-Pierre Esquenazi (1995) und Patrick Lacoste (1995), aber auch Karl Sierek (1990) Bezug auf sein Modell. Was sie von Odin unterscheidet und miteinander verbindet, ist die psychologische respektive psychoanalytische Fundierung ihrer Erklärungsversuche. Für meinen Zusammenhang spielen vor allem die Überlegungen von Sierek und Esquenazi eine Rolle. Sierek geht zunächst von seiner Position als Betrachter aus, indem er sich als Person beschreibt, die in einen Diskurs eindringt, in dem ei- gentlich kein Platz für sie vorgesehen ist, weil diese nicht zur Familie ge- hört. In Anlehnung an Odins semiopragmatischen Ansatz skizziert Sie- rek zwei verschiedene potenzielle Lektüreanweisungen, «Valenzen des Produzierens von Text», die ein Familienfilm anbietet: Die eine ist derje- nigen Person vorbehalten, die das Werk herstellt; diese Valenz gestaltet sich reflexiv. Die andere, transitive, Valenz kann auch für eine aussen ste- hende Person gelten. Für beide Rezeptionstypen findet der Familienfilm jedoch immer in einem Zwischenbereich zwischen Fiktion und Doku- mentation statt, «zwischen dem unverstellten günstigen Augenblick und dem Wunsch, ja Zwang, zur Inszenierung und Gestaltung» (Sierek 1990: 160). 25 In einem neueren Aufsatz geht auch Roger Odin auf die Herstellungsphase ein (Odin 2004). 33 Der Urlaubsfilmer macht also Bilder, die zwar am unmittelbarsten seine Wirklichkeit zu erdichten und zu verdichten scheinen, doch sind es ihm zugleich solche, die am reinsten von seinen Wünschen Zeugnis ge- ben: der Wirklichkeit und Dokument von Imaginärem in einem; und zwar sowohl für sich selbst, also reflexiv, als auch für den, der nicht von ihm weiss, also für den Eindringling. (Sierek 1990: 165) Sierek beschreibt damit aber nicht nur den ambivalenten Status der Familienbilder. Insbesondere bringt er eine Autorenschaft ins Spiel, die bei Odin so nicht vorgesehen ist; eine Idee, die ich – unter anderen theo- retischen Vorzeichen – wieder aufgreifen werde. Siereks Arbeit läuft ins- gesamt auf die These hinaus, dass der Familienfilm einen Ritus darstellt, der vor allem sich selbst feiert: Die Entelechie dieser filmischen und also auch sozialen Praxis be- stünde demnach weniger darin, einen Gegenstand oder ein Ereignis fest- zuhalten, sondern vor allem den Akt des Herstellens selbst darzustellen, das Filmen zu filmen oder eben: das Sehen sichtbar zu machen. Was hier geschieht, ist in unmittelbarer Weise der Versuch, den eigenen Blick nach aussen auf Eis zu legen, um sich später sehen zu sehen. (Sierek 1990: 160) Es trifft sicher auf viele Momente zu, dass es beim Familienfilm ums Sehen des Sehens geht, doch lässt sich die Gattung nicht darauf re- duzieren. Wie ich zeigen will, handelt es sich immer um eine doppelte Praxis: So sehr der Familienfilm Film zu sein versucht, so sehr stellt er auch Familie dar – und umgekehrt. Als Letztes möchte ich noch eine weitere Arbeit vorstellen: Auf bis- lang singuläre Art und Weise hat sich die amerikanische Filmemacherin und Autorin Michelle Citron mit Home Movies aus ihrer eigenen Fami- lie beschäftigt. Sie greift dazu auf psychoanalytische Konzepte zurück, was in diesem Fall nahe liegend ist. Citrons autobiografische Auseinan- dersetzung beginnt in den Siebzigerjahren mit dem experimentellen Do- kumentarfilm Daughter Rite (USA 1978), worin sie eine Tochter-Mutter- Beziehung thematisiert.26 Diese Arbeit setzt sie 1998 mit dem Buch Home Movies and Other Necessary Fictions fort. Citron sieht in den «personal home images» Fetische mit kontraphobischer Wirkung. Wie der Traum sei auch der Familienfilm ein zu entzifferndes Dokument eines psychi- schen Vorgangs: […] we provide a second track, either stories or memories, at the moment of viewing. By doing so we fuse the present tense of viewing to the past tense of recording. […] In this moment of superimposition, a space is crea- 26 Vgl. hierzu Maureen Turim (1986) und Eva-Maria Warth (1992). 34 ted from which insight can arise. This is the latent hope in all home movies. (Citron 1998: 23–25) Entstehen kann dieser Wunsch also, weil sich im Familienfilm Vergan- genheit und Gegenwart wie in einer Doppelbelichtung überlagern. Da- rin sieht Citron auch eine der Erklärungen, weshalb Familienfilme über- haupt hergestellt und angeschaut werden – nämlich weil sie ein Versprechen nach Einsicht suggerieren: «We confront what we both long for and deny» (Citron 1998: 23).27 Citrons Arbeit erscheint mir nicht zu- letzt deshalb bedeutsam, weil sie auf die Abgründe und Schattenseiten der privaten filmischen Praxis verweist. Die wissenschaftliche Literatur zum Familienfilm kreist also im We- sentlichen um drei Aspekte: um seine soziale Funktion, um seine psychi- sche Funktion und um gattungsspezifische Überlegungen. Was bei fast allen Untersuchungen zu kurz kommt, ist zum einen die ästhetische Be- schaffenheit der Filme, vor allem aber der Prozess ihrer Herstellung. Die- sen Aspekten soll im weiteren Verlauf dieser Arbeit besondere Aufmerk- samkeit zukommen. 27 Einen wenn auch ganz anders motivierten, so doch im Grunde sehr ähnlichen Ansatz- punkt zur Erklärung des Familienfilms liefert Patrick Lacoste (1995). Er stellt die These auf, dass die psychische Funktion von Familienfilmen im Zurückdrängen des Familienromans bestehe. Der Familienroman wird von der Psychoanalyse als phan- tasmatische Konstruktion begriffen, die sich in der Negierung der Eltern oder im Adoptionstraum manifestiert. Zum Ziel hat sie die Defamiliarisierung der Eltern; der Familienroman übernimmt dadurch die psychische Funktion, inzestuöses Verlangen oder Mordfantasien zu verschleiern. Diesen weitverbreiteten Fantasien, so Lacoste, stellt sich der Familienfilm dadurch entgegen, dass er uns unablässig mit unseren rea- len Verhältnissen konfrontiert und unsere Zweifel oder Wünsche nach anderen Eltern tendenziell zu blockieren vermag. 35 Definitionen und Begriffe: Amateurfilm, Familienfilm, Home Movie, Heimkino That something can exist without a name doesn’t mean that giving it a name will suddenly tell us what it is. – Roland Cosandey: Some Thoughts on «Early Documentary» (1997: 50). Daniel Lopez ordnet in Films by Genre: 775 Categories, Styles, Trends and Movements (1993) die Filmpraxis, um die es hier geht, dem Amateurfilm zu: AMATEUR FILM (Home Movie) A film made by anyone who is not professionally connected with the film industry. Amateur films may be made by aspiring filmmakers or students who at times enlist the help of friends and family in making their films, or they may consist of family shots or scenes filmed on holiday; this latter type is better known as home movies. Amateur filmmakers usually use ca- meras and projectors equipped for 16mm or 8mm gauges, but lately, video cameras have simplified the making of amateur movies. Amateur films, alt- hough normally not accessible to the public at large, are a very important branch of the film industry.28 (Lopez 1993: 9 f.) Aber welchen Objektbereich umfasst der Begriff des Amateurfilms? Ist er eine Gattung, ein Genre, und welche Unterkategorien enthält er? Im Unterschied zum Genrebegriff – wobei dieses Wort je nach Sprachraum eine andere Bedeutung hat – lässt der deutsche Gattungsbegriff im Ver- gleich zum Englischen einen grösseren und lose verbundenen Objektbe- reich zu.29 Eva Hohenberger (1988) schlägt für den filmwissenschaftli- 28 Bei der zweiten Verwendung ist mit film industry hier die Geräte produzierende Indu- strie gemeint und nicht die Studios. 29 Ob man nun den filmischen Genrebegriff narratologisch, wirkungsästhetisch, soziolo- gisch oder tiefenpsychologisch versteht: Er beschreibt immer eine Gruppe von Fil- men, die mit einer bestimmten Regelhaftigkeit thematische, formale oder inhaltliche Grundkonstellationen benutzen und sich latent oder manifest als Genrebeispiele und als Einzelwerke aufeinander beziehen (vgl. Rick Altman 1999). Dieses Kriterium ver- mögen Amateurfilme nicht zu erfüllen: Gemeinsamer Nenner ist ihre Produktionssi- tuation, ihr Entstehen unter nicht professionellen Bedingungen. Eine weitere Charak- teristik eines Genres ist seine historische Entwicklung. Auch dieses Kriterium lässt sich nicht auf den Amateurfilm anwenden: Es gibt kein gemeinsames und geteiltes 36 chen Begriff «Gattung» eine ähnlich triadische Gliederung vor, wie sie die Literaturwissenschaft zwischen Epik, Dramatik und Lyrik kennt. Sie unterscheidet zwischen Spiel-, Dokumentar- und Experimentalfilm, de- nen verschiedene Objektwelten zugeordnet werden: das Imaginäre, das Reale und das filmisch Symbolische (Hohenberger 1988: 114). Zu einem solchermassen traditionellen Gattungsbegriff stellt sich der Amateurfilm jedoch quer. Eigentlich hat Roger Odin mit seinem pragmatischen An- satz30 schon einen Ausweg aus dieser Schwierigkeit skizziert. Er besteht darin, dass man zwischen verschiedenen filmischen Institutionen unter- scheidet sowie zwischen divergenten Erwartungshaltungen, welche die Rezipienten und Rezipientinnen verschiedener Gattungen jeweils an die- se herantragen.31 Mit seinem Vorschlag bin ich allerdings nicht ganz glücklich, und zwar aus zwei Gründen: Gattungsbegriffe sind in erster Linie Instrumente zur Klassifikation von Texten; nach meinem Ermessen geht es bei der Frage nach der Gattung aber auch darum, jeweils ein Set zu definieren, das aus einer Produktionstätigkeit, einer Textsorte und ei- ner Rezeptionstätigkeit besteht. Eine solche Sichtweise impliziert eine Unterscheidung zwischen der Text- und der Praxisebene. Zum anderen schafft Odins Begriffswahl auch ein Differenzierungsproblem innerhalb des Amateurfilms, unterscheidet er doch zwischen der Gattung Ama- teur- und der Gattung Familienfilm. Gemäss meiner Kategorisierung von Gattungen nach Sets von Produktionstätigkeiten, Textsorten und Rezeptionstätigkeiten bildet der Amateurfilm aber eine Oberkategorie, zu der unter anderem der Familienfilm gehört. Auf die Schwierigkeiten, die sich aus dem Gattungsmodell von Odin für die Definition der ver- schiedenen Formen der privaten Filmpraxis ergeben, möchte ich in den nächsten Abschnitten im Detail eingehen. Unter den diversen Filmtypen, die Lopez unter dem Begriff «Ama- teurfilm» subsumiert, findet sich auch das Home Movie. Allerdings hat sich der Begriffsinhalt dieser Bezeichnung im Laufe der Zeit verschoben: Wissen, kein ausgeprägtes Genrewissen, und somit auch keine historische Entwick- lungslogik. 30 Roger Odin spricht selbstverständlich von «Genre», wobei das Französische wie das Englische eben keinen anderen Begriff kennt. Im Deutschen ist, zumindest von der Filmwissenschaft, der Ausdruck «Genre» übernommen worden und bezeichnet die klassischen Filmgenres wie den Western oder das Musical. 31 Diese Gattungsdefinition schliesst implizit an die Pragmatik der Sprechakttheorie an, die für die Literaturwissenschaft eine vergleichbare Gliederung literarischer Diskurse vorgeschlägt. Alan Williams (1984) hat in einer Rezension zu verschiedenen englisch- sprachigen Publikationen zum Thema Genre auch schon in diese Richtung argumen- tiert. 37 Interestingly, amateur movie discourse of the 1920s and 1930s considered any movie shown in the home to be a home movie. In other words, films rented from film libraries and those made in the family and viewed there, although differentiated from each other, were all considered home movies by virtue of their viewing location in the domestic space; it was not until the postwar and the 1950s that the term exclusively referred to family docu- ments and memoirs. (Johnson 1998: 157)32 Im Deutschen oder im Französischen werden «family shots or scenes fil- med on holiday» (Lopez 1993: 19) als Familienfilme respektive als film de famille bezeichnet. In der Umgangssprache kann dieser Ausdruck jedoch zu Missverständnissen führen, da dabei in erster Linie an einen familien- tauglichen Spielfilm gedacht wird. Gemeint wären damit Werke, die sich an die «ganze» Familie richten, also mehr als eine Generation erreichen wollen. «Familienfilm» in diesem Sinn ist ein Prädikat, das zu Werbe- zwecken geeignet ist, weil es das anvisierte Publikum genau definiert und eine moralische Garantie verbürgt: Man wird einen Film ohne Se- xualität und ohne Gewalt zu sehen bekommen. Die Bezeichnung «Familienfilm» ist aber noch in anderer Hinsicht problematisch: Insofern sie nämlich die private Filmpraxis begrifflich auf denjenigen Bereich festlegt, den Patricia Zimmermann als privatistische und familialistische Ideologie des Nachkriegs-Home-Movie bezeichnet. Diese Bezeichnung schliesst nicht nur alle anderen Verwendungsformen aus, sondern auch alle nicht in Familien gebundenen Menschen, die für zu ihrem Privatvergnügen filmen. Ich würde deshalb lieber vom «Heim- kino» in seiner ursprünglichen englischen Bedeutung sprechen, doch be- zeichnet «Heimkino» auf Deutsch wiederum eher die Aufführungspra- xis als den Prozess der Herstellung («Heimkino» und nicht «Heimfilm»). Schliesslich könnte man auch vom «privaten Film» sprechen. Dies wäre vielleicht die neutralste Bezeichnung, doch gleichzeitig müsste sie erst eingeführt werden, da sie nicht geläufig ist. Ich habe mich für einen Kompromiss entschieden und werde von «Familienfilm» und von «Heimkino», aber auch von der «privaten Filmpraxis» sprechen. Die Be- zeichnung «Familienfilm» lässt sich im übrigen sehr gut als Gegenüber- stellung zum «Klubfilm» verwenden, der einen weiteren eigenen Typus von Amateurfilm bezeichnet: nämlich den Amateurfilm, der in Vereins- 32 Es wäre zu untersuchen, ob der terminologische Bruch mit der Verbreitung des Fern- sehens zusammenfällt, weil dieses unter anderem eine Fortsetzung des Heimkinos darstellt. 38 zusammenhängen und nicht im Familienkreis hergestellt und rezipiert wird.33 Schon früh haben sich Filmamateure in Klubs und Vereinen zusam- mengeschlossen. Die vereinsmässige Organisation beginnt 1923 in Grossbritannien, während der erste Amateurfilmklub Deutschlands 1927 in Frankfurt am Main ins Leben gerufen wird.34 In der Schweiz wird der erste Amateurfilmklub in Zürich erst 1934 gegründet (Messerli 981: 9).35 Die Amateurfilmklub-Bewegung ist ein freizeitgeschichtliches Phäno- men, das viele Gemeinsamkeiten mit der Entstehung anderer Vereine aufweist. Der Klubfilm kennzeichnet sich dadurch, dass er immer mehr sein will als ein Amateurfilm; seine Realisatoren träumen davon, dass ih- rem Werk die gleiche künstlerische Wertschätzung entgegengebracht wird wie einem professionellen Produkt. Colette Sluys beschreibt den Unterschied zwischen Familien- und Klubfilm anhand ihrer unterschied- lichen Funktion: [L]es films de famille répondent à la faculté de l’image d’évoquer l’absence, les films d’amateurs à sa fonction créatrice. (Sluys 1983: 301) Klubfilme (oder films d’amateurs im Sinne von Sluys) sind in der Regel abgeschlossene Werke mit Vor- und Abspann; Familienfilme stellen im Gegensatz dazu meist nur Fragmente dar.36 Das Gros der Klubfilme sind zudem keine Familienfilme im engeren Sinne, weil sie weder in der Fa- milie entstehen noch in diesem Kreise aufgeführt werden; ihr Zielpubli- kum bilden andere Amateure, im Idealfall sogar die Öffentlichkeit. So- wohl der Familien- wie der Klubfilm lassen sich daher über den sozialen 33 Abgesehen von «Amateurfilm», «Heimkino» und «Familienfilm» sind in der Um- gangssprache noch weitere Bezeichnungen für den «privaten Film» gebräuchlich. Der Begriff «Schmalfilm» beispielsweise verweist auf das Filmformat. Es wäre aber nicht korrekt, die private Filmpraxis mit einem bestimmten Format gleichzusetzen, wurde doch auch das professionelle 35mm-Material zuweilen für private Zwecke verwendet. Um ein paar bekannte Beispiele zu nennen: die Familienfilme, die der letzte russische Zar Nikolaj II. Anfang des 20. Jahrhunderts durch den Hoffotografen anfertigen liess und die Teil der erst später veröffentlichten filmischen Hofchroniken sind (vgl. hier- zu: Viktor Belyakov 1995); die frühen Familienfilme des niederländischen Dokumen- tarfilmers Joris Ivens aus den Zwanziger- oder die privaten Aufnahmen der Zürcher Filmproduzenten-Familie Wechsler aus den Dreissigerjahren. 34 Zur britischen Amateurfilmbewegung vgl. Marjorie A. Lovell Burgess (1940); Anga- ben zu Deutschland aus Eckhard Schenke (1998). 35 Es ist davon auszugehen, dass es noch frühere Klubgründungen als die in Zürich gab. 36 Die Klubfilme sind textuell immer abgeschlossen; es wäre deshalb falsch, den Ama- teurfilm durch textuelle Unabgeschlossenheit zu definieren, wie es zum Beispiel Eva Hohenberger vorschlägt (1988: 280). Auf die Textproblematik des Familienfilms kom- me ich noch zurück. 39 Kontext ihrer Herstellung und Rezeption bestimmen. Davon geht auch Roger Odin aus. Er definiert den Familienfilm wie folgt: Par film de famille j’entends un film (ou une vidéo) réalisé/e par un mem- bre d’une famille à propos des personnages, d’événements ou d’objets liés d’une façon ou d’une autre à l’histoire de cette famille et à usage privilégieé des membres de cette famille. (Odin 1995b: 27) Mit dieser Definition lässt sich der Familienfilm im Kontext anderer fil- mischer Praktiken situieren und von den drei weiteren nicht professio- nellen Produktionstypen unterscheiden. Zunächst vom Amateurfilm, unter dem Odin sowohl Klubfilme wie Experimentalfilme zusammen- fasst. Beide Typen funktionieren auf einer spezifischen Publikumsachse: In beiden Fällen handeln die Filmschaffenden als Cineasten und richten sich an eine Öffentlichkeit. Als zweite Gruppe, von der sich der Fami- lienfilm mit dieser Definition unterscheiden lässt, fungieren die Agita- tionsfilme. Sie operieren auf einer politischen Achse, indem sie sich an andere politische Akteure und Akteurinnen wenden. Die dritte Katego- rie von nicht oder semiprofessionellem Filmschaffen bildet der Lehrfilm. Er entsteht im Rahmen einer schulischen Institution und funktioniert auf einer pädagogischen Achse.37 Meines Erachtens ist diese Abgrenzung nicht ganz so eindeutig, wie Odin behauptet, da die Frage nach der Pro- fessionalität hier zu eng an den Kinospielfilm gebunden wird. So können sowohl Experimental- und Lehrfilme wie auch Agitationsfilme unter nichtprofessionellen Bedingungen entstehen und von Filmschaffenden realisiert werden, deren Beruf es ist, Filme zu machen. Odins Definition des Familienfilms kümmert sich überdies kaum um die Inhalte, was mir wiederum wichtig scheint. Auch wenn die Sze- nen aus dem Familienleben generell überwiegen, so darf nichts ausge- schlossen werden: nicht die Aufnahme einer Autoreparatur, einer Bal- lonfahrt, eines Beatles-Konzerts oder des Kennedy-Attentats.38 Das Einzige, was zählt, ist, dass das Objekt, die Person oder das Ereignis für wert befunden wurde, in die Sammlung familialer Erinnerungen aufge- nommen zu werden. 37 Vgl. hierzu Roger Odin (1995b: 27 f.). Zum wissenschaftlichen Film vgl. Roger Odin (1995c). 38 Der so genannte Zapruder-Film, der die Ermordung John F. Kennedys zeigt, ist wohl bislang der berühmteste Amateurfilm. Vor allem mit Oliver Stones Verwendung des Materials in JFK ist der Film allgemein bekannt geworden; zuvor wurde er jedoch schon im Fernsehen gezeigt und Bilder daraus veröffentlicht. Der Zapruder-Film wur- de 1994 in die Filmsammlung der Library of Congress aufgenommen. 40 Auf der Ebene des Textbegriffs erweist sich Odins Definition dem- nach sinnvoll; problematisch bleibt jedoch die implizierte Gattungstheo- rie. Ich ziehe es vor, den Amateurfilm als filmische Praxis und nicht al- lein als eine Gruppe bestimmter Filmtexte zu definieren. Innerhalb dieser Gattung unterscheide ich sodann zwischen Familien- und Klub- film.39 Ungelöst bleibt damit das theoretische Problem, ob der Familien- film als ein kulturell und historisch invariables System zu definieren sei. Dieses Problem betrifft in gleicher Weise den Dokumentarfilm. Carl Plantinga (1987) hat deshalb den wittgensteinschen Vorschlag, bestimm- te Definitionen als offene Konzepte zu verstehen, auf den Dokumentar- film übertragen. Wittgenstein hat am Beispiel von «Spiel» gezeigt, dass eine Definition, die nach einer gemeinsamen Eigenschaft aller Spielfor- men und -arten sucht, scheitern muss, da keine solche Eigenschaft iso- liert werden kann. Vielmehr lässt sich ein «kompliziertes Netz von Ähn- lichkeiten, die einander übergreifen und kreuzen» feststellen (Wittgenstein 2003: 57), welche die einzelnen Spiele miteinander verbin- den. Diese gemeinsamen Merkmale nennt Wittgenstein die «Familien- ähnlichkeiten» eines offenen Konzeptes (ebd.). Ich will im Folgenden davon ausgehen, dass es sich beim Familien- film um eine kulturelle Praxis handelt, die sich als bestimmte Konstella- tion einer Produktionstätigkeit, einer resultierenden Textsorte und der zugehörigen Rezeption beschreiben lässt. Andere Filmformen oder -gat- tungen lassen sich ebenso durch eine Bestimmung von Produktionstätig- keit, Textsorte und Rezeption definieren, wobei sich zwischen Familien- und Klubfilm stärkere Übereinstimmungen ergeben werden als etwa zwischen Familien- und Kinospielfilm. So gesehen, ist der Begriff des Fa- milienfilms als kulturelle Praxis ein offenes Konzept im Sinne Wittgens- teins, und ich will eine solche, aus der Bestimmung von Familienähn- lichkeiten gewonnene Definition zum Ausgangspunkt nehmen, um jene Aktivitäten zu untersuchen, die die kulturelle Praxis des Familienkinos ausmachen. 39 Auch stellt sich die Frage, ob Familienfilme von einem Klubfilmer als Familien- oder Klubfilme zu klassifizieren sind. 41 Überlegungen zur Theoriebildung So springen wir ständig von einer Seite auf die an- dere, betrachten das Ganze aus der Perspektive seiner Teile, die ihm zu Lebendigkeit und Nähe verhelfen, und die Teile aus der Perspektive des Ganzen, aus dem sie verständlich werden. Wie ein perpetuum mobile wollen wir beständig eins aus dem anderen erklären. – Clifford Geertz: Dichte Beschreibung (1983: 307) Methodisch habe ich mich, wie erwähnt, an der Grounded Theory40 orientiert, die im Rahmen der qualitativen Sozialforschung entwickelt wurde. Die Grounded Theory versteht sich als gegenstandsverankertes Verfahren der Theoriebildung, das auf der Idee basiert, Theorie auf die Sozialforschung selbst zu gründen, «sie aus den Daten zu generieren» (Glaser/Strauss 1998: 8). Dabei sind weniger die «grossen» theoretischen Gedankengebäude gemeint, wie sie zum Beispiel Marxismus, Psycho- analyse, Strukturalismus oder Dekonstruktivismus darstellen – um die für die Filmwissenschaft wichtigsten «grossen» Theorien zu nennen.41 Vielmehr gilt es, «zu einer Theorie zu gelangen, die Zwecke erfüllt, die sie sich selbst gesetzt hat» (ebd.: 13). Glaser/Strauss sind im Gegensatz zu «logiko-deduktiven Theoretikern» der Meinung, dass eine (soziologi- sche) Theorie nicht vom Prozess, in dem sie generiert wird, getrennt werden könne. Darüber hinaus soll Theorie induktiv und prozessual ent- wickelt werden (ebenda: 15). Für meine Arbeit bietet dieses Vorgehen zwei grosse Vorteile: Ers- tens ist die Grounded Theory als induktiv theoriegenerierende Methode besonders geeignet, einen Gegenstand zunächst explorativ und dann systematisch zu erforschen, der noch wenig theoretisch durchdrungen ist. Auf der anderen Seite lässt die Grounded Theory nicht nur eine Me- thodentriangulation zu – sie fordert sie geradezu heraus. Die Grounded Theory schafft nicht nur Raum für die verschiedensten Vorgehenswei- 40 Vgl. hierzu Barney G. Glaser/Anselm L. Strauss (1998) und Anselm Strauss/Juliet Corbin (1996). 41 Vgl. David Bordwell (1996) und Noël Carroll (1996), wobei ich ihre Kritik an den «grossen» Theorien nicht vollständig teile. 42 sen; sie hilft auch, unterschiedliche Daten inklusive bestehender theore- tischer Konzepte in den Erkenntnisprozess einzubeziehen, da sie ein bot- tom-up und kein top-down-Verfahren darstellt und zudem eine parallele Datenerhebung und -analyse gestattet. Viele dieser methodischen Postu- late decken sich mit den gängigen heuristischen Prinzipien geisteswis- senschaftlicher Methoden. So gilt dies zum Beispiel für das komparatisti- sche Credo der Grounded Theory: Wir verstehen und benutzen die mittels der komparativen Analyse gewon- nenen Elemente der Theorie erstens als konzeptuelle Kategorien und deren konzeptuelle Eigenschaften und zweitens als Hypothesen oder zwischen den Kategorien und ihren Eigenschaften hergestellte allgemeine Beziehun- gen. (Glaser/Strauss 1998: 45) Im Mittelpunkt der Grounded Theory steht das so genannte theoretische Sampling, der theoriegenerierende Prozess der Datenerhebung, wäh- renddessen die Daten parallel gewonnen, kodiert und analysiert werden. Das Kriterium, nach dem beurteilt wird, wann mit der Datenerhebung aufgehört werden kann, ist die «theoretische Sättigung der Kategorie» (Hervorhebung im Original): Sättigung heisst, dass keine zusätzlichen Daten mehr gefunden werden können, mit deren Hilfe […] weitere Eigenschaften der Kategorie [entwi- ckelt werden können]. (Glaser/Strauss 1998: 69) Mit ihrem Postulat der auf Daten gestützten Theorie setzt die Grounded Theory im Grunde eine Tradition in der Soziologie fort, die in Max We- bers Bürokratietheorie und in Emile Durkheims Theorie des Selbstmords schon zu Beginn des 20. Jahrhunderts entwickelt wurde. Neben den Vor- schlägen der Grounded Theory hat mich bei der Formulierung und Strukturierung meiner Erkenntnisse vor allem Max Webers Idee des Idealtypus (1904) geleitet. Die von mir beschriebenen Typen des Fami- lienfilms, sei es der touristische oder der Kinderfilm, aber auch Typen der Darstellung sind nicht auf Grund eines Durchschnitts aller beobach- teter Einzelfälle gebildet worden, sondern als Idealtypen. Ein Idealtypus, so Max Weber, wird gewonnen durch einseitige Steigerung eines oder einiger Gesichtspunkte und durch Zusammenschluss einer Fülle von diffus und diskret, hier mehr, dort weni- ger, stellenweise gar nicht, vorhandenen Einzelerscheinungen, die sich je- nen einseitig herausgehobenen Gesichtspunkten fügen, zu einem in sich einheitlichen Gedankengebilde. (Weber 1988: 191) 43 Dieses «Gedankengebilde» ist in seiner «begrifflichen Reinheit» in der Wirklichkeit nicht vorzufinden; es ist deshalb in «jedem einzelnen Falle festzustellen, wie nahe oder wie fern die Wirklichkeit jenem Idealbilde steht» (ebd.). Zu Beginn meines Projektes hatte ich mich weder für einen bestimmten Untersuchungszeitraum noch für eine Einschränkung auf die Filme als Quellen entschieden. Meine Recherchen begannen relativ breit, umfass- ten neben dem filmischen auch schriftliches und mündliches Quellenma- terial. In einer ersten Phase analysierte ich Amateurzeitschriften und -handbücher, Gratispublikationen von Foto- und Filmfachgeschäften, aber auch Interviews mit Filmern und ihren Angehörigen. Auf Grund der Forschungslage, aber auch auf Grund meines besonderen Interesses an der konkreten filmischen Praxis, habe ich mich schliesslich nicht nur zu einer zeitlichen Eingrenzung, sondern auch zu einer Privilegierung des filmischen Materials entschlossen. Im Mittelpunkt meiner Arbeit ste- hen die Filme, die ich mit filmanalytischen Methoden untersucht habe. Mit dieser Entscheidung privilegiere ich das praktische Tun gegenüber den normativen Vorstellungen, die dieses begleiten und in bestimmte Bahnen zu lenken versuchen. Im Unterschied zur sozialwissenschaftlichen Filmanalyse, die weit ge- hend als Inhaltsanalyse angelegt ist, haben sich in der geisteswissenschaft- lich orientierten Filmwissenschaft verschiedene, eher hermeneutisch aus- gerichtete Verfahren der Filmanalyse durchgesetzt (Hickethier 1996). Im Vordergrund steht dabei nicht das Sinnverstehen künstlerischer Texte, viel- mehr sollen «hinter [dem] Schein des allgemein Verständlichen die Struktu- ren der Gestaltung hervorgehoben und die zusätzlich noch vorhandenen Bedeutungsebenen und Sinnpotentiale aufgedeckt werden» (Hickethier 1996: 33, Hervorhebung im Original). Damit reagiert die Filmwissenschaft auf die Kritik an hermeneutischen Verfahren, wie sie spätestens seit den Sechziger- jahren geäussert wurde: Strukturalistische und ideologiekritische, später dekonstruktivistische Ansätze bemängelten vor allem, dass die traditionel- le literarische Hermeneutik eigentlich nur idealistische Sichtweisen hervor- gebracht hätte. Eine kritische Hermeneutik darf sich deshalb nicht damit be- gnügen, Bedeutungsebenen wund Sinnpotenziale in Texten offen zu legen, sie soll diese auch als soziale Konstruktionen kultureller Bedeutungen inter- pretieren.42 Eine kritische Reinterpretation des hermeneutischen Paradig- 42 Zum Problem des Verstehens von Filmen vgl. Stephen Lowry (1992: 114); zur Kritik an dem romantischen Verstehensbegriff der traditionellen Hermeneutik vgl. Volker Gottowik (1997). 44 mas tangiert das zentrale methodische Paradigma des Verfahrens, das Wil- helm Dilthey mit der Denkfigur des «hermeneutischen Zirkels» beschrieben hat. Ziel ist es, die «hermeneutische Differenz» zwischen dem «Eigensinn» (Habermas 1988: 159) des Textes, dem vom produzierenden Subjekt ge- meinten und dem vom rezipierenden Subjekt aufgefassten Sinn zu reduzie- ren, auch wenn diese Differenz letztlich nie völlig aufgehoben werden kann (Hickethier 1996: 33). Clifford Geertz schlägt eine Modifikation des dilthey- schen hermeneutischen Zirkels vor: Anstatt nach der Rekonstruktion oder Annäherung an einen ursprünglich gemeinten Sinn des Textes zu suchen, plädiert er für ein dialektisches Verständnis von Verstehen und Erklären, wobei er sich wiederum auf Max Webers (1921) Postulat des «erklärenden Verstehens» beruft. Weber meint mit «Verstehen» eine «deutende Erfas- sung»: Erklären bedeutet für eine mit dem Sinn des Handelns befasste Wissen- schaft soviel wie: Erfassung des Sinnzusammenhangs, in den, seinem sub- jektiv gemeinten Sinn nach, ein aktuell verständliches Handeln hineinge- hört. (Weber 1980: 4) Nach Geertz unterliegen die mittels kritischer Hermeneutik gewonnenen Aussagen drei Einschränkungen: Sie sind immer perspektivisch, zirkulär und unabgeschlossen. Dies gilt auch für meine Ergebnisse. Im Unter- schied zu einem klassischen hermeneutischen Verfahren öffne ich jedoch die Analyse vom Text und seiner Rezeption auf die Produktion und ih- ren Kontext hin. Nur so lassen sich die manifesten und latenten Sinnpo- tenziale rekonstruieren, die erklären, was der Familienfilm als kulturelle Praxis «tut». Quellenlage Familienfilme sind fast immer Unikate, da sie in der Regel auf Umkehr- film gedreht sind, der direkt ohne Negativ zu einem Positiv entwickelt und im Allgemeinen nicht weiterkopiert wird. Umso wichtiger sind des- halb Orte, an denen dieses Material gesammelt, auf kopierbares Träger- material transferiert und zugänglich gemacht werden kann. Seit den Siebzigerjahren ist vielerorts in Europa, aber auch in Ame- rika ein zunehmendes Interesse an privaten Filmmaterialien zu beobach- ten. Sammler, Filmemacher und Institutionen haben Infrastrukturen ins Leben gerufen, welche erst die notwendigen Voraussetzungen für die Er- forschung dieser Gattung geschaffen haben. Vor allem in öffentlich- rechtlichen Fernsehanstalten sind Initiativen entstanden, die den Ama- 45 teurfilm zu einem Gegenstand von öffentlichem Interesse machten; dort wurden in den Siebzigerjahren auch die ersten Sammlungen angelegt. Dass gerade in dieser Zeit ein Interesse für den Amateurfilm entsteht, ist kein Zufall. In den Geschichtswissenschaften beginnt sich die Alltagsge- schichte zu entwickeln, und einige ihrer Vertreter und Vertreterinnen ar- beiten nach ihrem Studium bei den staatlichen Fernsehanstalten. Eine konkrete Umsetzung dieser neuen historiografischen Perspektiven ist zum Beispiel die vom belgischen Fernsehen initiierte Sendereihe Inédits. 1979 wird mithilfe einer landesweiten Ausschreibung eine grosse Samm- lung privater Dokumente – Fotos, Filme, aber auch Zeichnungen und Tonträgerdokumente zusammengetragen und in einer Sendereihe verar- beitet. Im Deutschen Fernsehen macht 1978 eine siebenteilige Serie mit dem Titel «Familienkino» den Anfang.43 Realisiert wird sie vom Kom- munikationswissenschaftler Michael Kuball in Zusammenarbeit mit dem Schriftsteller und Filmautor Alfred Behrens. Kuball veröffentlicht in der Folge ein zweibändiges Werk mit dem Titel Familienkino – Geschichte des Amateurfilms in Deutschland (1980). Publikation wie Fernsehsendung um- fassen die Zeitspanne zwischen 1900 und 1960; sie basieren auf einer Sammlung von über 100 000 Metern Amateurfilm.44 Ausserhalb des Fernsehens tut man sich mit der Anerkennung des Amateurfilms aber noch längere Zeit schwer. 1984 nimmt die FIAF, die Internationale Vereinigung der Filmarchive, den «film personnel» als neue Kategorie auf, die es wert sei, gesammelt zu werden. Darunter fal- len für folgende Werke: […] des films produits non par une équipe mais œuvres entièrement d’une seule personne. Il peut s’agir d’œuvres d’art, de travaux de recherche, do- cuments privés, imitations de films industriel par des amateurs, journaux, messages filmés, films faits par des enfants, homemovies, etc. (Huet 1997: 27) 1991 wird in Belgien ein gesamteuropäischer Zusammenschluss von In- stitutionen und Einzelpersonen, Filmarchiven, Fernsehanstalten, Filme- machern und Wissenschaftlerinnen unter dem Namen «Association eu- ropéenne des inédits» gegründet. Bis 1993 sind in über zehn europäischen Ländern mehr als 300 Sendestunden mit privaten Filmdo- kumenten produziert und ausgestrahlt worden (Huet 1997: 28). 43 Die Reihe wurde 1978/79 in den Dritten Programmen der ARD ausgestrahlt. 44 In Buch und Film sind zwischen filmanalytischen Erörterungen technikgeschichtliche, medientheoretische und gesellschaftspolitische Überlegungen eingearbeitet. Die bei- den Bände bieten eine Fülle von Anregungen und Daten, sind jedoch eher essayistisch und explorativ als systematisch angelegt. 46 In der Schweiz existieren bislang zwei Institutionen, die systema- tisch privates Filmmaterial sammeln und bearbeiten.45 Seit Mitte der Achtzigerjahre wird, angegliedert an das Staatsarchiv des Kantons Wal- lis in Martigny, die «Médiathèque Valais, image et son» von Jean-Henry Papilloud geführt, die sich zum Ziel gesetzt hat, jegliche Form von au- diovisueller Produktion zu archivieren. In Martigny sind über zwei Dut- zend Nachlässe von Walliser Familien- und Amateurfilmern zugänglich, die sich über den Zeitraum von 1927 bis in die Gegenwart erstrecken. Ei- nen zweiten Sammlungsort bildet das Tessiner Fernsehen, wo Maria Grazia Bonazzetti seit 1996 Sendungen mit Amateur- und Familienfil- men produziert. 46 Ein grösserer Teil der Quellen, die ich für meine Arbeit durchsehen konnte, wurde mir von Freundinnen und Bekannten vermittelt. Weiteres Material konnte ich in der Cinémathèque Suisse einsehen, wobei sich dieser Bestand im Vergleich zum Walliser Archiv bescheiden ausnimmt. Obwohl die FIAF seit 1984 «films personnels» zu den offiziellen Samm- lungsobjekten zählt, hat sich die Archivierung des Amateurfilm in der Cinémathèque Suisse auf Grund fehlender Ressourcen bislang kaum konkretisieren können.47 Für meine Untersuchung habe ich mich an weitere Archive und Bi- bliotheken gewendet, speziell recherchiert habe ich in Nachlässen. Es existiert zwar ein Verzeichnis aller handschriftlichen Schweizer Nachläs- se, doch Filmmaterial wird darin nicht gesondert erwähnt.48 Anfragen gingen an die Schweizerische Landesbibliothek, an das Staatsarchiv des Kantons Zürich, an das Stadtarchiv Zürich, an das Archiv für Zeitge- schichte der ETH, das Schweizerische Sozialarchiv und das Schweizeri- sche Landesmuseum. Das Resultat fällt ziemlich ernüchternd aus. Zwar 45 Daneben existieren noch zwei weitere Initiativen: ein «audiovisuelles Gedächtnis» der Stadt Biel, das vom Filmsammler Peter Fasnacht geleitet wird, und ein Projekt zur Sammlung und Archivierung von privatem Filmmaterial aus dem Mittelland: «Super- Aargau», unter der gemeinsamen Ägide des Stapferhauses Lenzburg und des Staats- archivs Aargau. 46 Die Befragung von Zeitzeugen und -zeuginnen (vor allem Amateure, die über ein grosses technisches und historisches Wissen verfügen) ist eine wichtige Informations- quelle. Das Centre valaisan und das Tessiner Fernsehen haben auch hier Pionierarbeit geleistet: Im Wallis zum Beispiel wurde in Zusammenarbeit mit dem lokalen Fernse- hen eine Reihe von Sendungen mit Angehörigen von Amateurfilmern aus der Region produziert. 47 Ich habe 1999 fünf Familienfilm-Depots aus dem Zeitraum von zirka 1928 bis 1960 durchgesehen und rudimentär inventarisiert. 48 Quellen zur Schweizer Geschichte: Repertorium der handschriftlichen Nachlässe in den Bibli- otheken und Archiven der Schweiz, 1992. Die recherchierten Nachlässe werden im An- hang aufgeführt. 47 scheinen sich immer mehr Archive für filmisches Material zu interessie- ren, doch fehlt es überall an personellen und finanziellen Ressourcen, um diese Quellen systematisch zu sammeln und zu erschliessen. Besonders schlecht steht es um die Frühgeschichte des Amateur- films. Im Verlauf meiner Recherchen habe ich nur eine einzige Quelle aus der ersten Phase von 1895 bis 1922 gefunden.49 Das bedeutet nicht, dass es kein Material mehr gibt, nur befindet es sich wahrscheinlich noch in Privatbesitz, liegt unidentifiziert in einem Archiv oder ist Teil ei- ner privaten Sammlung.50 Interessanterweise gibt auch keines der durch- gesehenen Konvolute Auskunft über die Zeit vor 1927; dies obwohl Pat- hé in Frankreich 1923 die erste 9,5-mm-Kamera und Kodak 1925 die ersten 16-mm-Geräte in Europa auf den Markt brachten und die Technik schon 1923 in der Schweiz beworben wurde (Pinel 1994). Auf Grund der Erfahrungen in anderen Ländern kann man davon ausgehen, dass die Heimkinematografie in der Schweiz dank der wirt- schaftlichen Situation und der damit verbundenen Verfügbarkeit von Konsumgütern verbreiteter war, als das von mir recherchierte Filmmate- rial vermuten lässt. Der Zugriff auf dieses Material muss allerdings noch ermöglicht werden. Nicht viel besser verhält es sich mit den gedruckten Quellen. Im internationalen Vergleich stellt sich eine Sensibilität für das audiovisuelle Erbe in der Schweiz auch in diesem Bereich nur mit einer gewissen Verzögerung ein. Nichtöffentlichkeit – Privatheit – Anonymität Im Unterschied zu Kinofilmen, sind diejenigen Filme, die ich untersucht habe, nie öffentlich aufgeführt worden. Nach Ansicht des Fotohistorikers Timm Starl würde die Wissenschaft das Spezifische ihres Untersu- chungsgegenstandes nachgerade vernichten, wenn sie private Fotogra- fien oder Filme zur öffentlichen Sache erklärte (1994: 59). Ich sehe diesen Vorgang aber weniger als Zerstörung denn als Eingriff. Jede wissen- schaftliche Betrachtung führt zu einer Veränderung des Gegenstandes; jede Beschreibung ist eine Interpretation. Entscheidend ist, wie mit die- sem Problem verfahren wird. Ich erachte es grundsätzlich als sinnvoll, 49 Mariann Lewinsky datiert die frühesten Privataufnahmen aus der Sammlung Leuzin- ger auf 1921. Dabei handelt es sich um 35mm-Material. Vgl. Mariann Lewinsky (2001). 50 Ich habe während meiner Arbeit verschiedene private Sammler kennen gelernt. Lei- der sind sie nur selten an einer Zusammenarbeit interessiert, da sie ihr Material ent- weder überhaupt nicht zeigen wollen oder nur gegen Bezahlung. 48 wenn wir als Forscherinnen unsere eigene Position und unsere eigenen Reaktionen im Erkenntnisprozess mit zu reflektieren versuchen. Georges Devereux wendet in Angst und Methode in den Verhaltens- wissenschaften (1998) die von Freud beschriebenen Mechanismen der Übertragung und Gegenübertragung auf die sozialwissenschaftliche Forschung an. Devereux führt vor, wie der Forscher oder die Forscherin unbewusst ihre Persönlichkeitsproblematik auf die untersuchte Kultur überträgt. Als auslösendes Moment wirkt dabei oft die Angst, welche die «fremde» Kultur in der beobachtenden Person hervorruft. Diese ent- steht als Reaktion auf eine – von inneren und äusseren Faktoren beding- te – Situation, die das Individuum nicht bewältigen kann. Einen anderen Umgang mit der Subjektivitätsproblematik schlagen der poststrukturalistische Dekonstruktivismus und der konstruktivisti- sche Relativismus vor: Da es keinen Denkort ausserhalb von Diskursen gibt, kann es auch keinen privilegierten Ort für die forschende Person geben. Sogar ein selbstreflexives Vorgehen muss deshalb unausweichlich in Diskursen verstrickt bleiben. So gesehen, stellt sich die Frage, wie un- ter diesen Bedingungen überhaupt Erkenntnis zu Stande kommen kann. Im Zusammenhang mit dem Familienfilm ist regelmässig von ei- nem Unbehagen die Rede, das die Privatheit der Werke auslöst. Eric de Kuyper (1995) bezeichnet dieses Problem als «Obszönität der Intimität»: Familienfilme, die ihres Kontextes entledigt sind, bekommen eine gewis- se Anrüchigkeit, weil sie beim Publikum, das nicht zur Familie gehört, Scham hervorzurufen vermögen (de Kuyper 1995: 17). Diese Scham hängt mit einer als illegitim empfundenen Nähe und Vertrautheit zu- sammen, die das Sichten von «fremden» Familienfilmen auslösen kann. Mit der Zeit lernt man nicht nur die familiären Verhältnisse kennen, man beginnt – ähnlich wie der Fotograf in Antonionis Blow up (GB 1967) –, auch Dinge zu sehen, die nicht für «fremde» Augen bestimmt sind: Um- gangsweisen zwischen Paaren, Eltern und ihren Kindern, aber auch Fa- milienrituale, Fantasien und Wünsche, die in und zwischen den Bildern aufblitzen. Neben dem beschriebenen Unbehagen stellen sich aber selbstverständlich auch positive Gefühle ein: Rührung, Belustigung, Sympathie, Faszination oder gar Bewunderung. In Umarete wa mita keredo (Ich wurde geboren, aber…, Japan 1932) von Yasujiro Ozu lösen private Filmaufnahmen die Entidealisierung der Va- terfigur aus. Der Sohn schämt sich dafür, wie sein Vater sich vor einer privaten Kamera darstellt. In Paris, Texas (Wim Wenders, BRD 1984) be- trachten Vater und Sohn gemeinsam Super-8-Familienfilme aus Tagen, als die Familie noch «vollständig» war. Hier sind Familienfilme der visu- elle Ausdruck für vergangene Momente des Glücks und verweisen auf 49 einen verloren gegangenen Zustand. In Peeping Tom von Michael Powell (GB 1960) verbirgt sich in der Amateurfilmerei des Vaters die Genese ei- nes krankhaften Voyeurismus, wobei die Obsessionen und Ängste des Vaters diejenigen seines Sohnes formen – das Medium der «Pathologie» ist für beide der Film. Alle erwähnten fiktionalen Beispiele spekulieren auf unterschiedliche Weise über die verschiedenen Funktionen und Im- plikationen von Familienfilmen, die sie in einem affektiven, intellektuel- len, sozialen, dokumentarischen oder kommemorativen Nutzen sehen. Gemeinsam ist ihnen allen, dass Familienfilme in Verbindung mit psy- chischen und physischen Irritationen und Verletzungen, zuweilen sogar mit traumatischen Erlebnissen in Verbindung gebracht werden. Meine eigenen Erinnerungen an den Familienfilm sehen anders aus: Trotz gewisser Ambivalenzen sind mir die Nachmittage meiner Kindheit in guter Erinnerung, an denen wir zwischen Charlie Chaplin und Hänsel und Gretel uns selbst auf der Leinwand betrachteten. Diese Arbeit ist demnach auch geprägt von meinen eigenen Erfahrungen; der Zugriff auf das Thema ist aber nur insofern ein persönlicher, als ich versucht habe, mit dem Material in einen wissenschaftlichen Dialog zu treten. Ich habe mit einem Sample gearbeitet, das sowohl aus anonymen wie aus identifizierten Filmsammlungen besteht. Zu Beginn habe ich alle Filme ohne Bezug auf zusätzliche Informationen ein erstes Mal gesichtet und erste Analysen vorgenommen. Es schien mir wichtig, das Material zunächst mit einem möglichst unvoreingenommenen Blick anzuschau- en: ohne etwas über die Herkunft und die Zusammensetzung der Fami- lien zu wissen. Da ich weder eine familiensoziologische noch eine histo- rische Arbeit anstrebte, sondern mich mit der Ästhetik der Filme beschäftigen wollte, schien mir alles zusätzliche Wissen hinderlich. Erst dann habe ich angefangen, weiteres Material, falls verfügbar, in meine Untersuchung mit einzubeziehen. Anonyme Dokumente bleiben aus wissenschaftlichen Untersuchun- gen oft ausgeschlossen, doch bilden sie gerade im Bereich der privaten Fotografie und des privaten Films wichtiges Quellenmaterial. Ob ganze Fotoalben, einzelne Dias oder Filme viele private visuelle Dokumente sind ohne Kontext überliefert. Ihre Anonymität ist jedoch graduell: Sie hängt davon ab, wie viel der forschenden Person aus ergänzenden Quel- len über das Material und seinen Entstehungskontext bekannt oder wie viel aus den Dokumenten selbst in Erfahrung zu bringen ist. Von der Herkunftsfamilie der einen Filmsammlung liessen sich noch lebende Verwandte eruieren, ein anderes Konvolut stammt vom Flohmarkt und ist anonym überliefert. Mit einigem Spürsinn lässt sich aber vielleicht doch eine partielle Identifikation vornehmen. 50 Ob die Filme in ihrer ursprünglichen Form überliefert sind, ist oft schwierig festzustellen. Wenn sie gekürzt oder neu zusammengestellt wurden, lässt sich der ursprüngliche Zustand nur selten rekonstruieren. Einzelne Sammlungen wurden von Söhnen, Enkelinnen oder anderen Angehörigen auf Video transferiert und dabei möglicherweise zensuriert oder mit zusätzlichem Material angereichert: mit Titeln, Musik oder Kommentaren. Dazu kommt das Problem, dass es sich bei den Filmen auch deshalb um unvollständige Quellen handelt, weil ein wichtiger Teil dessen, was sie ausmacht, gar nicht überliefert ist: nämlich die Erzählun- gen und Gespräche, die ihre Vorführung begleiten. Trotz all dieser offe- nen Fragen habe ich mich für ein Vorgehen entschieden, das vom Film- text ausgeht. Dort, wo Überlieferungsprobleme die Interpretation erschweren oder sogar zu verzerren drohen, versuche ich, dies offen zu legen und produktiv in die Überlegungen einzubeziehen. Filmanalyse Die ersten Sichtungen überraschten: Im Vergleich mit den Beschreibun- gen, die ich aus der sekundären Literatur kannte, schienen mir die Filme vielfältiger, komplexer und differenzierter. Ich hielt es deshalb nicht für sinnvoll, sie mit einem filmanalytischen Raster zu vermessen, das am Er- zählkino entwickelt wurde. Auch wollte ich möglichst induktiv vorge- hen. Ich habe also nicht mit einem bestehenden Untersuchungsraster ge- arbeitet, sondern dieses erst in der Analyse generiert.51 Meine Untersuchung ergab einen Raster von 22 relevanten Parame- tern. Einige davon gehören zu den Standardkategorien der Filmanalyse, an- dere sind spezifisch am Material entwickelt. Wie aber lassen sich die Ergeb- nisse sinnvoll präsentieren? Ich habe einleitend erwähnt, dass mein Sample aus drei Kreisen besteht, wobei der innerste Kreis sich aus zwei exemplari- schen Sammlungen zusammensetzt, die mir als Beispiele dienen. Ich habe mich für dieses Vorgehen entschieden, weil es mir wichtig schien, meine Er- gebnisse möglichst nah am Material zu beschreiben. Da es sich um Filme handelt, die kaum öffentlich zugänglich sind, kann ich mich nicht auf die prinzipielle Einsehbarkeit meines Materials stützen. Damit ich aber nicht bei jedem Film erneut den Kontext erklären muss, beschränke ich mich auf zwei exemplarische Fallstudien. Dies erfordert, dass das Verhältnis des «Singulären in seinen typischen und typisierbaren Beziehungen zu allge- meinen Strukturen […] notwendig zur Diskussion von Erscheinung und 51 Vgl. die Analyseparameter im Anhang. 51 Horizont, Gegebenem und Mitgegebenem, Einzelfall und verallgemeiner- barer Struktur» führt (Soeffner 1989: 9). Meine Fallanalysen zielen «auf das Typische und Verallgemeinerungsfähige der untersuchten konkreten […] Ereignisse» (Keppler 1994: 41). Abgesehen von der Auswahl der beiden Sammlungen, habe ich ei- nen weiteren «Kunstgriff» vorgenommen, um meine Ergebnisse zu prä- sentieren. Die charakteristischen Parameter werden nicht der Reihe nach diskutiert, sondern sind drei grossen Kapiteln zugeordnet, die sich an der Praxis des Familienfilms orientieren und den Weg von der Herstel- lung bis zur Rezeption nachzeichnen. Die drei Teile entsprechen den drei charakteristischen Momenten des Familienfilms: Motiv, Performance und Struktur. Dieses Vorgehen bringt es mit sich, dass bestimmte The- men in bestimmten Kontexten diskutiert werden, obschon der jeweilige Aspekt nicht nur an der besagten Stelle vorkommt. Man darf bei der Lektüre nicht vergessen, dass es sich über die konkreten Beispiele hinaus immer um idealtypische Formationen des Familienfilms als kultureller Praxis handelt. «Cinegraphieren ist kinderleicht!»: Die untersuchten Filme und ihr Kontext Der Familienfilm ist in verschiedener Hinsicht in einen Kontext einzubet- ten: Historisch lässt er sich mit den diversen Traditionen von Selbst- und Fremddarstellungen im Allgemeinen und mit der Geschichte der familiä- ren Repräsentationsmedien und -formen im Speziellen in Verbindung brin- gen: Das geht von Totenmasken, Büsten, gemalten oder in Stein gehauenen Bildnissen der Antike über das gemalte Familienporträt, den Scheren- schnitt, die Familienchronik, das Lebensbuch bis hin zur privaten Fotogra- fie. Dabei wäre nach der Kontinuität beziehungsweise Diskontinuität die- ser Medien und Darstellungsformen zu fragen und ihre allfällige Koexistenz zu diskutieren. Ich werde diese verschiedenen Formen der in- dividuellen und kollektiven Selbstdarstellung hier jedoch nicht erörtern, sondern die entsprechenden Aspekte dort behandeln, wo sie für meinen Zusammenhang eine Rolle spielen.52 Nur so viel sei hier gesagt: Für eine 52 Zur Familienikonografie vgl. Philippe Ariès (1992); zur Geschichte familiärer Reprä- sentationsmedien Suzanne Aasmann (1995); zur Autobiografie: Mark Rance (1986), James Olney (1980); Rudolf Schenda (1981) und Shanon Sherman (1998); zur Familien- chronik und zum Lebensbuch Alfred Messerli (2001). Literaturangaben zur Familien- fotografie finden sich im Kapitel 2. 52 Sichtweise, die sowohl von Kontinuität wie von Koexistenz ausgeht, spricht, dass in den meisten Familien, in denen gefilmt wird, nach wie vor fotografiert wird. Der Familienfilm hat die Fotografie nicht abgelöst. Darüber hinaus gilt es, den jeweiligen spezifischen Entstehungs- kontext einer einzelnen Sammlung historisch, politisch, sozial, aber auch technikgeschichtlich zu bestimmen und in den konkreten Lebenszusam- menhang der Familie einzuordnen. Ich werde im Folgenden zuerst einen kurzen Abriss über die Amateurformate in den Zwanziger- und Dreissi- gerjahren geben, um dann die beiden Fallstudien vorzustellen, die das Zentrum meiner Darstellung bilden. 53 Die Amateurformate der Zwanziger- und Dreissigerjahre Mit der kinematografischen Technik beginnen auch die Mutmassungen über Möglichkeiten, Nutzen und Gefahren ihrer privaten Verwendung. Bis in die Zehnerjahre beschränken sich diese Mutmassungen auf verein- zelte Bemerkungen von Fans, Verkäufern und Skeptikern. In Ratgebern, Handbüchern und Zeitschriftenartikeln finden sich gelegentliche Äusse- rungen über die Möglichkeiten sowie Vor- oder Nachteile einzelner Pro- dukte. So widmet Frederick Talbot in seinem Buch Moving Pictures von 1912 den «Moving pictures in the home» ein eigenes Kapitel. Der Autor spekuliert über die Zukunft des privaten Filmgebrauchs: Will the cinematograph ever enter home life? Will the world and his wife ever become wedded to a camera with which they can secure life in motion by some simple and easy method, just as now they can obtain still-life pic- tures by the aid of the hand-camera? Will the cinematograph become as po- pular as the ubiquitous Kodak? (Talbot 1912: 301) Es sollte jedoch eine Weile dauern, bis es so weit war. Erst nach dem Zweiten Weltkrieg vermochte der Familienfilm in die Wohnzimmer brei- ter Bevölkerungskreise vorzudringen; zu kostspielig oder kompliziert blieben die Verfahren bis zu diesem Zeitpunkt. Noch waren die Genüsse, die 1919 in der Zürcher Zeitschrift Kinema in Aussicht gestellt wurden, wohlhabenderen Kreisen vorbehalten. Einen «Hochzeitsfilm» konnte sich damals nicht jeder leisten: Der Hochzeitsfilm für das Familienarchiv. Eine Pariser Filmfabrik unterhält einen Geschäftszweig, der sich mit der Herstellung kinematographischer Aufnahmen privaten Charakters befasst. So übersendet die Firma beispiels- weise allen Paaren, die vor dem Weg zum Pariser Standesamt stehen, die nachstehende zeitgemässe Ankündigung: «Der Heiratskinematograph. An alle Verlobten! Wünschen Sie eine packende, lebende Erinnerung an den glücklichsten Tag Ihres Lebens? Wenn ja, dann lassen Sie die Zeremonie der Trauung kinematographisch aufnehmen und in Ihrem Alter können Sie sich dann auf der Leinwand als junges, liebendes, hoffnungsvoll in die Zu- kunft schauendes Paar wiedererblicken.» Das ist nur der erste Schritt zu ei- ner vollständigen Serie von Familienbildern, die des Menschen Leben von der Wiege bis zum Grabe festhalten, zu seinem eigenen Ergötzen schon, mehr aber noch zur Freude seiner Nachkommen, die dann dereinst das Le- ben ihres Ahnen bewundern können. (in: Kinema IX , Nr. 35, 1919: 3). 54 Eine skeptischere Stimme ertönt 1909 aus Russland, wo sich der Schriftsteller Leonid Andreyew Gedanken darüber macht, wie der Film unser Selbstbild modifizieren wird: Cinema kills the very idea of identity. Today my mental image of myself is still formed by what I am at this moment. Imagine what will happen when the cinematograph splits my self-image into what I was at eight years old, at eighteen, at twenty-five! … What on earth will remain of my integrity if I am given free access to what I was at different stages of my life? … It’s frightening! (Zitiert nach Tsivian 1991: 4) Was der Autor als Verlust von Integrität beschreibt, ist letztlich nichts an- deres als eine Aufweichung des bürgerlichen Identitätsmodells, das im Laufe des 20. Jahrhunderts an Funktion und Bedeutung verlieren wird. Der Gedanke, dass die von der Kinematografie geschaffene Möglichkeit zum filmischen Selbstbild diese Entwicklung zwar nicht ausgelöst, aber auf entscheidende Weise mitgetragen hat, steht den geläufigen Vorstel- lungen über den Familienfilm entgegen. Diesem wird ja in erster Linie eine integrative und Sinn stiftende Funktion zugeschrieben. Mit der Idee, dass er ebenso zur Zersplitterung und Kontingenz beitragen kann, beginnt eine Diskussion, die bis heute anhält und in deren Rahmen in kulturpessimistischem Tonfall vor einer medialen Durchdringung des Lebens durch den privaten Film gewarnt wird. Ich vertrete im Folgenden die Ansicht, dass es nicht das Medium per se ist, das auf die eine oder andere Weise wirkt, die Gesellschaft beeinflusst oder gar verändert. Es geht mir eher um die Frage welche Bedürfnisse, An- sprüche und Vorstellungen an ein Medium herangetragen werden und in- wiefern sie dessen Gebrauch strukturieren, als darum, zu welchen Utopien oder Dystopien ein bestimmtes Medium Anlass bietet.53 Die erste Phase des Amateurfilms (1897–1923) ist nach Patricia Zim- mermann (1995) von einer Atmosphäre der Konkurrenz zwischen Unter- nehmern, Künstlern, Freizeitfilmern und Arbeitern geprägt. Im Vorder- grund steht das unternehmerische Ziel, Patente zu erwerben; die Möglichkeiten des filmischen Ausdrucks bleiben vorerst zweitrangig.54 Aus einem ersten ökonomischen Konzentrationsprozess der filmtechni- schen Betriebe, der Anfang der Zwanzigerjahre in den USA zu Ende geht, gehen zwei Firmen hervor: Bell & Howell und Eastman Kodak, die ab 1923 zuerst den 16-mm- und ab 1932 auch den 8-mm-Markt unter 53 Zu den medialen Utopien des privaten Films vgl. Alfred Messerli (2001). 54 Zur Geschichte der Amateurfilmtechnik vgl. Patricia Zimmermann (1995), Alain Kat- telle (1986), Michael Kuball (1980) und Reinhard Schenke (1998). 55 sich aufteilen. In Europa kommt zur gleichen Zeit das von Pathé entwi- ckelte 9,5-mm-Format dazu. In den Jahren zuvor wurden allein in den USA 70 verschiedene Amateurkameras und dazugehörige Projektionsapparate entwickelt. Auch in Deutschland begann die Geschichte des Amateurfilms schon 1897 mit der Herstellung des ersten Amateurkinematografen durch Os- kar Messter (Kuball 1980: 26). Verwendete dieser Apparat noch das 35mm-Format, so kam schon 1899 der erste Schmalfilm auf den Markt: ein Format, auf dem auch die frühesten in Deutschland auffindbaren Amateurfilme gedreht wurden (etwa die Filme von Julius Neubrunner, vgl. Kuball 1980). Die Dresdner Kamera-Fabrik von Heinrich Ernemann prägte 1902 den Begriff «Kino» für ihre erste Schmalfilmkamera, die Er- nemann Kino 1. Gemäss Kuball beherrschte Ernemann mit diesem For- mat über ein Jahrzehnt lang den Markt für Filmamateure in Deutschland (ebd.: 29). In den Zehnerjahren kam eine weitere wichtige Neuerung dazu: der unbrennbare Safety-Film. Die beiden wichtigsten Systeme stellten zu diesem Zeitpunkt der Edison Home Kinetoscope (von Tho- mas A. Edison, Inc. of Orange, New Jersey) und das Pathé Kok dar, die beide 1912 lanciert wurden. Dass die Verbreitung massenproduzierter Heimkinosysteme na- mentlich durch Kodak und Pathé Frères in die Zehnerjahre fällt, ist kein Zufall. Die Kinoindustrie unternimmt in dieser Zeit vielfältige Anstren- gungen, den Ruf ihrer Produkte zu verbessern. Insbesondere nahm man sich vor, das bürgerliche Milieu für das Kino zu gewinnen, also einen Kreis, der dieses bis dahin als Vergnügungsort der einfachen Leute be- trachtete und dem neuen Medium skeptisch gegenüberstand. Wie die neuere Forschung zum frühen Kino zeigt, ist der Aufstieg des Kinos in 56 seinen Anfängen zu einem guten Teil Kindern und Jugendlichen zu ver- danken (Müller 1994: 193). Je grösser die finanziellen Aufwendungen der Filmindustrie, desto stärker aber wurde der Druck, alle Publikums- segmente und Altersklassen zu erreichen.55 Von der Heimkinematogra- fie und einer «Kolonialisierung des Heims» durch die filmische Technik (Luckett 1995: 21) versprach sich die Kinoindustrie einen Legitimitätszu- wachs, der sich auf das Kinogeschäft im Ganzen günstig auswirken soll- te.56 Wenn gewisse Schichten sich davor fürchteten, die Kinos zu besu- chen, lag es auf der Hand, diesen Menschen entgegenzukommen und ihnen das neue Medium in die Intimität ihres Hauses zu bringen (Pinel 1994: 197). Die Heimkinematografie sollte also auch dazu beitragen, den Kinobesuch aufzuwerten. Sie erlaubte es, der Öffentlichkeit zu zeigen, dass der Film auch anspruchsvollen und erwachsenen Zuschauern und Zuschauerinnen etwas zu bieten hatte. Tatsächlich beginnt das Kino in dem selben Moment seinen schlechten Ruf zu verlieren, als erstmals auch Systeme für den Gebrauch der Kinotechnik im bürgerlichen Haus- halt zur Verfügung stehen. Dass das Heimkino nicht nur zum Zweck der Erbauung im Wohn- zimmer Einzug hielt, sondern bald auch anderen Interessen diente, etwa dem Anschauen – und später auch dem Selbermachen – von pornografi- schen Filmen, stellt diesen Zusammenhang nicht in Frage (es unter- streicht ihn allenfalls noch).57 Doch die Zeit war noch nicht reif für den vollständigen Durchbruch der Heimkinotechnik. Alle heimkinematografischen Systeme der Zeh- nerjahre wurden nach relativ kurzer Zeit wieder aufgegeben. Erst An- fang Zwanziger kamen mit dem 9,5-mm-Format von Pathé und dem 16-mm-Format von Kodak zwei Produkte auf den Markt, die sich auf Dauer durchsetzen konnten. Im Gegensatz zu den Versuchen der Zeh- nerjahre boten beide Systeme sowohl Apparate zur Vorführung wie auch 55 Die Verbürgerlichungsthese des Kinos, die besagt, dass in den Zehnerjahren der Wan- del der Programmstruktur im Wesentlichen auf eine Veränderung der sozialen Zu- sammensetzung des Publikums abzielte, ist in dieser zugespitzten Form umstritten. Nach Corinna Müller war das Kinopublikum von Anfang an sozial heterogen (Müller 1994: 191). 56 Don Slater (1983) erachtet die Entwicklung der Fotokamera als Teil eines neuen Kon- summusters, welches mit einer neuen Definition der privaten häuslichen Atmosphäre einherging. Für die moderne (und bürgerliche) konsumierende Familie begannen Häuslichkeit, Geborgenheit und vor allem auch Freizeitaktivitäten eine wichtige Rolle zu spielen. Mit der Kamera wurden nicht die alltäglichen, sondern die speziellen Mo- mente festgehalten. Freiheit, Mobilität und eine idealisierte Gemeinschaft, wie sie von der modernen Konsumgesellschaft versprochen wurden, fanden in den Fotografien (und Filmen) ihren Ausdruck. 57 Zur Geschichte der Privatpornografie vgl. Linda Williams (1989). 57 zur Aufnahme an. Die Frage, inwiefern der Durchbruch der Heimkine- matografie auf die Verfügbarkeit von Kameras zurückzuführen ist, lässt sich gegenwärtig nicht schlüssig beantworten, wäre aber eine gesonderte Studie wert. 1929 waren in den USA schon 13 verschiedene 16-mm-Kameras auf dem Markt. In Europa produziert die Münchner Firma von Niezoldi & Kramer 1927 als erste eine 16-mm-Kamera; kurz darauf folgen die Pail- 58 lard-Bolex von Paillard (CH), Ensign (GB), Agfa, Siemens und Zeiss (D), um nur die populärsten Hersteller zu nennen (Kattelle 1986). 1932 wur- de der 8-mm-Film angekündigt. Mit der Halbierung des Formats konn- ten die Kosten für Ausrüstung und Rohmaterial massiv verringert wer- den, wodurch sich der potenzielle Markt für die Amateurkinematografie deutlich vergrösserte (Kattelle 1986: 52). Wurde das 16-mm-Format von Profis und Amateuren, die das 35-mm-Format gewohnt waren, noch verächtlich als «Spaghetti» bezeichnet, so erging es dem 8-mm-Format zunächst kaum besser. Nicht von ungefähr brachten Bell & Howell – eine Firma, die für Qualität stand – erst 1935 eine 8-mm-Kamera auf den Markt. In den frühen Fünfzigerjahren boten in den USA und Europa mehr als zwei Dutzend Firmen 8-mm-Ausrüstungen an. Die Schweizer Firma Paillard bringt 1936 die Bolex-H-Kamera-Serie, die sowohl in 8-mm- wie in 16-mm-Ausführung zu kaufen ist. Im Frühjahr 1965 folgt die Lancierung von Super-8. Eine noch stärkere Verbreitung findet der private Film zu Beginn der Achtzigerjahre mit der Einführung des Heimvideos. Das System Pathé-Baby Schon 1912 unternehmen die Pathé Frères einen ersten Versuch, ein Heimkinosystem auf den Markt zu bringen – fast gleichzeitig mit Ko- daks erstem solchen System: dem so genannten Kinetoscope. Das franzö- sische Modell eines «cinéma chez soi» mit dem Namen Pathé Kok basiert auf einem 28mm breiten Filmstreifen. Neu ist nicht nur das Format, son- dern vor allem das nicht brennbare Trägermaterial. Die Bedienungsanlei- tung zum Projektor – noch werden keine Kameras angeboten – ver- spricht, dass diese wunderbare Entdeckung jedem erlaube, den Kinematografen selbst in die Hand zu nehmen, denn «désormais, cha- cun pourra sans danger projeter des vues chez soi, le film ne s’enflammant en aucun cas» (Pinel 1994: 198). Tatsächlich stellten die Ri- siken, die der Nitratfilm barg, neben den hohen Kosten das grösste Hin- dernis für eine Verwendung im Privaten dar. Vor diesem Hintergrund ist auch die Formatwahl zu erklären: Man versuchte damit, allfälligen Ver- wechslungen vorzubeugen. Obwohl Pathé Kok nicht nur in Frankreich, sondern auch in Eng- land und in den USA gut aufgenommen wird, verliert die Firma schon bald das Interesse an einer Weiterentwicklung. Pathé Kok wird vor allem wegen seiner Nähe zum 35-mm-Format aufgegeben, das inzwischen weltweit zum Standard geworden ist. Der schmalere und damit materi- algünstigere Filmstreifen bringt durch das kleinere Bildformat einen 59 Qualitätsverlust mit sich, der – gemessen an den ökonomischen Einspa- rungen – zu hoch ausfällt. Zwar nimmt Pathé noch bis 1925 neue Titel im 28mm-Format in den Katalog der Kauffilme auf. Das Hauptinteresse der Forschung gilt aber längst einem neuen Produkt: dem 9,5-mm-Format, das auf den Namen Pathé-Baby getauft wird. Mit einem cleveren Werbe- coup gelingt es der Firma 1922, dieses völlig neue Filmformat auf dem Markt einzuführen. Rechtzeitig zum Weihnachtsgeschäft wird ein neuer Apparat lanciert: der Pathé-Baby-Projektor, der nicht nur klein und ein- fach zu bedienen ist, sondern auch wesentlich billiger als alle vorange- gangenen Systeme. Noch ist die Technik nicht so preiswert, dass sich alle dieses Gerät leisten können. Im Vergleich zum 16-mm-«Herren-Format» fällt das 9,5-mm-Format um einiges günstiger aus.58 Der erste Projektor kostet 275 französische Franc (zum Vergleich: das kleinste Auto von Peugeot ist damals für knapp 10000 französische Franc zu haben, vgl. Eyrad 1994: 206). Zum handgekurbelten Projektor werden den Kunden Reproduktionen von kommerziellen Pathé-Filmen angeboten, die in run- den Metallkassetten bedienungsfreundlich verpackt sind. Es ist Charles Pathés Vision, diese «Filmathèque» mit allen wichti- gen Werken auszustatten, die seit Beginn des Kinos produziert wurden (Pinel 1994: 200). Das Angebot wächst mit jedem Tag: Es umfasst Doku- mentarfilme, wie sie für die Vorkriegsproduktion der Pathé charakteris- tisch sind, aber auch Zeichentrickfilme wie Felix the Cat, Tierfilme und komische Szenen mit den beliebten Komikern Max Linder, Charlie Cha- plin und Buster Keaton, was übrigens zeigt, dass auch Filmrechte von anderen Produzenten aufgekauft wurden. Die grossen Klassiker des französischen Stummfilms fehlen ebenso wenig wie wissenschaftliche Filme – die zum Beispiel eine Nasenoperation zeigen –, touristische An- sichten oder Dokumentationen aus den Kolonien. Mit der Zeit kommt die Wochenschau Pathé Gazette dazu, die im 14-tägigen Abonnement be- stellt werden kann. Klassiker wie Metropolis oder Sturm über Asien run- den das Angebot ab.59 Schon im ersten Katalog sind 194 Titel aufgeführt, darunter eine 32 Kassetten umfassende Version von Vie de Jésus aus dem Jahre 1912. Man kann davon ausgehen, dass im Laufe der Zeit mehrere Hundert Filmtitel verfügbar waren – vorerst nur zum Kauf, später auch zur Ausleihe. 58 Der Schmalfilmamateur und Arbeiter René Pfister spricht von der «16-mm-Vereinigung» (gemeint ist die «Vereinigung der Zürcher Filmamateure») als «Klub für bessere Herren» (in: Alfred Messerli 1981: 9). 59 Angaben zur Pathé-Baby «Filmathèque» nach Gérard Conreur (1995) und Vincent Pi- nel (1994). 60 In den Vierziger- und Fünfzigerjahren, als Reprisen im Kino rar sind, das Fernsehen erst im Entstehen ist und die Kinematheken und Programm- kinos sich auf Grossstädte beschränken, bieten die Pathé-Baby-Filme vielen jungen Interessenten die Möglichkeit, Klassiker zu entdecken. Von dieser Möglichkeit machen unter anderem die Regisseure Alain Resnais und Jacques Demy oder der Filmhistoriker Kevin Brownlow Gebrauch (Pinel 1994: 202). Den Pathé-Baby-Vorführungen haftet mitunter die Qualität von virtuellen Zeitreisen in die Vergangenheit an. Daran erinnert sich auch ein Filmamateur in den Sechzigerjahren: «Die nun folgende Projektion liess uns jenen denkwürdigen Tag im Jahr 1927 miterleben, als Charles Lindbergh nach seinem Alleinflug von 33 Stunden von New York herkommend in Paris landete» (Wolfer 1990: 42). Für viele stellen diese Filmvorführungen über- haupt die erste Begegnung mit dem Medium der Heimkinematografie dar. So zum Beispiel für den Sankt Galler Filmamateur Walter Glaser: «Das Jahr 1925 – oder war es 1926 – so genau weiss ich das nicht mehr, bescherte einem Schulfreund einen mich direkt faszinierenden Projektor mit dem Namen ‹Pathé Baby›. Die Vorstellungen waren jeweils ‹ausverkauft›» (Wolfer 1990: 8). Auch der Amateur Heinrich Zwicky aus Zürich erinnert sich an seine ers- te Begegnung mit dem neuen Format: «Schon als Zehnjähriger begegnete ich 1928 dem 9,5-mm-Format, als ein Lehrer […] gelegentlich gemietete oder gekaufte Kurzfilme […] in privatem Kreis vorführte» (Wolfer 1990: 11). Auch Heinrich Pfisters Filmbegeisterung begann mit einem Pat- hé-Baby-Projektor: «Als ich in der Sekundarschule war, brachte mein Vater eines Tages einen Pathé-Baby-Projektor, den mit Handantrieb für 10-m-Spulen. […] Im Keller zeigte ich meinen Klassenkameraden die 10-m-Kauffilme, die es damals gab.» Wie bei vielen anderen entstand bei Heinrich Pfister damit «auch der Wunsch, selber Filme aufnehmen zu kön- nen» (nach Wolfer 1990: 33). In Frankreich ist das Pathé-9,5-mm-System sofort erfolgreich, so- dass die Firma schon im Dezember 1923 eine Kamera mit Handkurbel- antrieb auf den Markt bringt – zu einem Preis von 350 französischen Franc. Die nächste Generation von Kameras erscheint 1926 und verfügt über einen eingebauten Federwerkmotor.60 Gleichzeitig mit der ersten Kamera wird 1923 von Pathé auch eine eigene Version des Umkehrfilms angeboten, den man entweder selbst entwickeln oder in die Kopierwer- 60 In der Folge entwickelte Pathé bis 1955 diverse Kameragenerationen. Für das 9,5-mm- Format entwickelte 1935 auch die österreichische Firma Eumig Kameras (nach Valper- ga 1983: 24). Die Schweizer Firma Paillard brachte 1932 einen 9,5-mm-Projektor he- raus. Das «Tonkino Paillard» konnte mit 33- oder 78-Touren-Schallplatten oder einem direkt angeschlossenen Radiogerät synchronisiert werden. 61 ke von Pathé schicken kann; die erste Option fällt aber schon bald wie- der weg. Trotz substanzieller Vermarktungsbemühungen stösst das 9,5-mm- System in den USA, ganz im Gegensatz zu Europa, nicht wirklich auf Gegenliebe.61 Ab 1926 erscheint im Zweimonatsrhythmus das Magazin Le cinéma chez soi, in dem neben technischen Ratschlägen und neu entwi- ckelten Apparaten auch die neuen Titel der Filmathèque vorgestellt wer- den.62 1937 wird bei Pathé-Baby das Lichttonsystem eingeführt, und auch für den Projektor in seiner neuen Ausstattung ist ein rund 250 Titel umfassendes Filmrepertoire erhältlich. Der Tonprojektor ist allerdings noch auf Lichtton ausgerichtet, also nur für gemietete oder gekaufte Fil- me geeignet. Erst 1950 bringt Pathé als erste europäische Firma den Magnetton für das Amateurformat auf den Markt (Wolfer 1992: 30).63 Beim 8-mm-Format hingegen wird selbst Super-8 im Jahr 1965 noch ohne Ton lanciert; eigentlich wird der Synchronton im Familienfilm überhaupt erst mit der Videotechnologie zum Standard. Generell kann man feststellen, dass das Haus Pathé im Bereich des Schmalfilms immer wieder innovative Wege ging. 64 Für den Erfolg des 9,5-mm-Systems sind insbesondere die Innovat- ionen im Bereich des Filmmaterials verantwortlich, die überhaupt erst die Voraussetzung für die entscheidende Verbilligung und Handlichkeit bildet: das Umkehrverfahren, das eine doppelte Verwendung des Mate- rials erlaubt – für Aufnahme und Projektion, ohne den Umweg über eine kostspielige Kopie. Der Umkehrfilm ist mit den Einsparungen, die er er- möglicht, der ausschlaggebende Faktor für die Verbreitung des Ama- teurkinos (Pinel 1994: 200). Abgesehen davon, bietet das 9,5-mm-Format aber noch weitere vorteilhafte Neuerungen. Um den Materialverbrauch zu verringern, führt Pathé den so genannten Kerben- oder Stillstandstitel ein. Dieses Verfahren erlaubt eine noch sparsamere Verwendung von Filmmaterial. Anstelle der sonst üblichen 50 und mehr Kader sind nur gerade drei bis vier erforderlich, um einen Titel herzustellen. Eine spe- 61 Wahrscheinlich sind protektionistische Massnahmen der USA dafür verantwortlich zu machen, dass das 9,5-mm-Format dort nicht greifen konnte (nach Wolfer 1992: 17). 62 Die italienische Ausgabe von Le cinéma chez soi erscheint seit 1928 (vgl. Valperga 1983). 63 Dass der Synchronton im Familienfilm trotzdem erst in den Achtzigerjahren mit Vi- deo zum Standard wird, hängt damit zusammen, dass das Verhältnis von Aufwand und Ertrag von Tonaufnahmen bis zu diesem Zeitpunkt unbefriedigend ausfällt. Der fehlende Synchronton scheint aber nicht als wirklich gravierender Mangel empfun- den worden zu sein, sonst hätte die Industrie sicher reagiert. 64 So wurde im Sommer 1927 mit Pathé Rural ein weiteres Schmalfilmformat lanciert, diesmal aber nicht für den Amateurmarkt: Es handelt sich um eine 17,5-mm-Kamera für den professionellen Gebrauch (Pinel 1994: 203). 62 zielle Kerbung bringt den Film im Projektor für eine bestimmte Dauer zum Stillstand. Beim handgekurbelten Projektor zum Beispiel wurde der Film erst nach zehn Umdrehungen wieder weitertransportiert. Das Ver- fahren lässt sich überdies nicht nur für Schrifttafeln verwenden, sondern auch für Einzelbilder, die auf diese Weise als freeze frames auf der Lein- wand erscheinen und eine intensive Betrachtung zulassen. Damit die Bildqualität des 9,5-mm-Formats akzeptabel ausfällt, wird die Perforati- on nicht wie bei 35mm am Rand des Filmstreifens, sondern zwischen den einzelnen Kadern platziert. Auf diese Weise kann der Filmstreifen optimal in seiner vollen Breite genutzt werden. Was die Ausstattung der Pathé-Baby-Kameras anbelangt, so kommt 1928 ein Modell mit Wechseloptik auf den Markt, das im Vergleich zum Standardmodell jedoch sehr teuer ist. Die meisten Filmer arbeiten deshalb mit der Fixfokuskamera, «deren Optik dank der bescheidenen Öffnung 1:3,5 ab 1,5 m alles (mehr oder weniger) scharf» aufzuzeichnen vermag (Wolfer 1992: 25). Mit den Wechselobjektiven ist ein Bereich von 10 bis 50 Millimeter Brennweite abzudecken; ab 1955 steht dann auch ein Zoomobjektiv zur Ver- fügung. Die Filmempfindlichkeit beträgt zu Beginn nur 4 ASA, damit ist ei- gentlich nur bei Sonnenlicht zu filmen; später wird die Empfindlichkeit des Schwarzweissmaterials auf 40 ASA gesteigert. Zwei Fallstudien In meinem Untersuchungszeitraum kommen drei Formate zur Anwen- dung: 16mm, 9,5mm und 8mm. Ich habe mich für die Darstellung der Ergebnisse jedoch auf zwei Fallbeispiele konzentriert: auf eine 9,5-mm- und eine 16-mm-Sammlung. Die beiden Fallbeispiele unterscheiden sich nicht nur hinsichtlich der verwendeten Formate: Im Unterschied zur «Sammlung U.» (9,5mm) ist die «Sammlung H.» (16mm) anonym überliefert. Die Sammlung H., die ich auf einem Fotoflohmarkt gekauft habe, ist unvollständig.65 Dank des Formats, aber auch dank der technischen Qualität der Filme kann man davon ausgehen, dass die Sammlung H. von einem Filmamateur stammt, der sein Hobby nicht nur in der Familie, sondern auch im Rah- men eines Klubs betrieb. Dafür sprechen insbesondere einige Aufnah- men, in denen andere Filmer zu sehen sind. Ich gehe davon aus, dass das mir zugängliche Material aus dieser Sammlung dem Bestand an Fami- lienfilmen entsprechen – die Klubfilme jedoch fehlen. Diese Sammlung 65 Dies wurde mir schon beim Kauf mitgeteilt. Durch Zufall habe ich inzwischen noch einen weiteren Film von Herrn H. bei einem Privatsammler lokalisieren können. 63 kann demnach als exemplarisch für denjenigen Bereich des Familien- films gelten, der von Klubfilmern betrieben wurde. Beim Filmer handelt es sich vermutlich um einen Zahnarzt, der mit Frau und Sohn seit Ende der Zwanzigerjahre in Zürich lebte.66 Das überlieferte Konvolut umfasst zirka zweieinhalb Stunden, das zwischen 1929 und 1959 belichtet wurde. Es enthält viele Aufnahmen des Sohnes (erster Haarschnitt, erste Geh- versuche, erster Geburtstag), aber auch so genannte Jahresschauen, in denen ganz unterschiedliche Sujets chronologisch zusammengefasst sind. Die Sammlung U. besteht aus einem fast komplett überlieferten Be- stand privater Familienfilme. Ausserdem umfasst sie eine Kollektion von Pathé-Baby-Kauffilmen. Die Sammlung setzt sich aus sechs Filmspulen à 120 Meter und 171 Pathé-Baby-Kassetten zusammen, die im Originalzu- stand überliefert sind. Das Material wurde mir von einem der beiden Söhne der Familie zur Verfügung gestellt. Heutzutage sind fast keine 9,5-mm-Projektoren mehr zu finden, die über den Stillstandstitel- Mechanismus verfügen wurde dieses Verfahren doch mit dem Aufkom- men des Tonfilms und der Herstellung von Multiformatprojektoren auf- gegeben. Deshalb hat Herr U. einen Teil der Filme auf 120-Meter-Spulen transferiert. Dadurch sind die Kerbtitel bei der Projektion nicht mehr wirksam, sondern nur noch auf dem Material selbst festzustellen. Die einzelnen Filmkassetten (10 oder 20 Meter lang) wurden beim Transfer nach thematischen Gesichtspunkten zusammengestellt. Die Schweizer Familie U. ist bis 1940 in Genua wohnhaft, wo der Vater seit 1900 lebt und als Kaufmann arbeitet. Als Sohn einer Schweizer Familie wird er in Süddeutschland geboren. Aus beruflichen Gründen wandert er nach Genua aus, wo er seine spätere Gattin, die ebenfalls aus einer Familie von Auslandschweizern stammt, kennen lernt und 1920 heiratet. 1924 und 1927 kommen die beiden Söhne zur Welt. Die Mutter stirbt 1932, als die Kinder noch klein sind. Nach ihrem Tod zieht ihre um fünf Jahre jüngere Schwester in den Haushalt ein. 1928, als der zweite Sohn erst wenige Monate alt ist, kauft Herr U. eine Pathé-Baby-Kamera mit Fixfokuslinse und dem dazugehörigen Projektor. In den folgenden Jahren, bis zirka 1938, entstehen fast fünf Stunden Familienfilm. Herr U. belichtet etwa 140 Pathé-Baby-Kassetten mit Aufnahmen von seiner Fa- milie, entfernten Verwandten und Freunden. Die Familie ist gut situiert: Zur 12-Zimmer-Wohnung im vierten Stock im Stadtzentrum von Genua gehört auch ein kleiner Garten. 66 Diese Angaben lassen sich aus den Filmen rekonstruieren. 64 Familienfilmer bilden oft ihre Autos ab, doch in der Sammlung U. sind keine solchen Aufnahmen zu finden, denn die Familie besitzt kein Auto. Herr U. filmt jedoch nicht nur – er ist auch ein passionierter Foto- graf: von den meisten gefilmten Sujets existieren gleichzeitig Papierab- züge und Stereofotografien.67 Sein Interesse an technischen Neuheiten beschränkt sich nicht auf fototechnische Apparate. Man besitzt zum Bei- spiel auch ein Pianola desjenigen Typs, der in der Stummfilmzeit in vie- len Kinosälen zur musikalischen Direktbegleitung dient. Für das Kino soll sich Herr U. nach den Angaben seines Sohnes jedoch nicht sonder- lich interessiert haben. Die beiden Buben wurden jeweils vom Grossva- ter, der mit seiner Frau ebenfalls in Genua lebte, von der Schule direkt zum Kinobesuch abgeholt: King Kong (1933), aber auch Walt-Disney- Cartoons und Tarzan (1932) mit Johnny Weissmüller sind die frühesten Filme, an die sich Herr U. erinnern kann. Zur überlieferten Filmsammlung der Familie U. gehören neben den eigenen Familienaufnahmen auch 57 Kauffilmkassetten aus der Pathé- Baby-Filmathèque. Vorwiegend an Kindergeburtstagen und anderen An- lässen mit Kindern pflegte der Vater zur Unterhaltung Trickfilme, komi- sche Szenen und wissenschaftliche Tieraufnahmen vorzuführen. Diese Filmnachmittage waren beim Nachwuchs der Schweizer Kolonie äus- serst beliebt. Besonders gut gefielen die Trickfilme. Herr U. erinnert sich vor allem an den Erfolg der diversen Felix the Cat-Folgen und an Charlie Chaplin, während ihm die nicht fiktionalen Aufnahmen von fernen Län- dern und Tieren heute weniger präsent sind. Einzelne Kassetten schei- nen im Laufe der Zeit verschwunden zu sein. Als Herr U. 1999 – also mehr als sechzig Jahre nachdem er sie in seiner Kindheit zum letzten Mal gesehen hatte – sich diese auf Video wieder anschauen kann, ver- misst er einzelne Sujets und kann sich auch an Fehlendes erinnern: so zum Beispiel an den dritten Teil von Max Toreador mit Max Linder oder an einen «richtigen» Boxkampf zwischen einem schwarzen Jungen und einer Ziege. Die Datierung und Identifizierung der Aufnahmen ist nicht in allen Fällen eindeutig zu bewerkstelligen. Der Filmer hat zwar einen grossen Teil seiner Aufnahmen beschriftet, andere wurden aber nachträglich vom Sohn identifiziert, der sich nicht immer an das genaue Jahr, den konkreten Ort, den Anlass oder die abgebildeten Personen erinnern kann. 67 Ein Teil der Aufnahmen befindet sich inzwischen im Schweizerischen Landesmu- seum in Zürich. 65 2. Das Motiv als Schauwert: Man darf nur filmen, was man filmen muss1 Ihr dagegen wollt noch eine Auswahl vornehmen. Aber was für eine? Eine verniedlichende, tröstliche Auswahl, die nur das Idyll zeigt, den Frieden mit der Natur, der Nation, den Verwandten. Sie ist nicht bloss eine photographische Auswahl, die eure; sie ist eine Auswahl des Lebens, die auch da- hin führt, die dramatischen Gegensätze auszu- schliessen, die Widersprüche, die Spannungen der Leidenschaft, der Abneigung. – Italo Calvino: Abenteuer eines Photogra- phen (1957: 80) In diesem Kapitel steht der Schauwert des Motivs im Mittelpunkt. Was und wann wird am meisten gefilmt, welches sind die beliebtesten Sujets des Familienfilms, wie werden sie inszeniert und präsentiert? In einem ersten Schritt will ich einige empirische Eckdaten zur Mo- tivwahl im privaten Film anführen, um dann theoretische Überlegungen zur Funktion und Bedeutung des Motivs anzustellen. Darauf aufbauend, werde ich die zwei wichtigsten Motivkreise des Familienfilms anhand von Beispielen vorstellen und im Hinblick auf ihre Relevanz für die Gat- tung diskutieren. Um es vorwegzunehmen: Die meisten Aufnahmen in meinem Sam- ple sind Urlaubsfilme, die während Ferien oder Ausflügen entstanden sind. Die zweitgrösste Gruppe bilden Kinderaufnahmen. Dieser Befund ist nicht weiter überraschend und wird von den bislang vorliegenden Er- hebungen zur privaten Fotografie bestätigt. Nach Pierre Bourdieu sind mehr als zwei Drittel der Fotoamateure so genannte «Saisonkonformis- ten, die ihre Aufnahmen bei Familienfesten oder Freundestreffen oder Sommerferien machen» (Bourdieu, 1983: 31). Bourdieu kann sogar eine 1 In Anlehnung an Pierre Bourdieu: «Nichts darf photographiert werden, ausser das, was photographiert werden muss» (Bourdieu 1983: 35; Hervorhebungen im Original). 66 äusserst enge Korrelation zwischen dem Merkmal «Haushalt mit Kin- dern» und dem Besitz eines Fotoapparats nachweisen: Doppelt so hoch ist nämlich der Anteil der Geräte, sobald Kinder da sind (ebd.: 31). Susan Sontag weist auf den Zusammenhang zwischen Fotografie und Touris- mus hin, es sei «positively unnatural to travel for pleasure without ta- king a camera along» (Sontag 1977: 9). Ferien, Reisen und Kinder sind auch nach einer niederländischen Erhebung aus dem Jahre 1975 die be- liebtesten Fotosujets überhaupt: 69 Prozent der Befragten nannten als Lieblingsmotiv Ferien, 50 Prozent erwähnten Kinder, es folgen Natur- und Landschaftsaufnahmen und fast gleichauf Familienanlässe mit 30 Prozent, danach Weihnachten und Nikolausfest mit 20 Prozent und Tier- aufnahmen, die 15 Prozent der Befragten favorisieren (Boerdam 1980: 67 100). Diese Ergebnisse werden auch von Chalfen bestätigt (1987: 75). Das bislang grösste und am breitesten angelegte Sample – 70000 Abzüge aus fast hundert Jahren privater Fotografie (1885–1975) – hat der österreichi- sche Fotohistoriker Timm Starl untersucht. Bezüglich Motivwahl kommt er zu vergleichbaren Ergebnissen: 50 Prozent der Aufnahmen sind dem Thema Urlaub und Reise zuzuordnen, ein Drittel entstand in der Frei- zeit, an Festen und Feiern im Familien- und Freundeskreis (Starl 1994: 62).2 Zur Frage, welchen historischen Veränderungen die Motivwahl al- lenfalls unterworfen ist, gibt es – mit Ausnahme von Starl – bislang kaum Untersuchungen. Dieser kann für den Zeitraum zwischen 1885 und 1989 eine leichte Verschiebung bei den Urlaubs- und Reiseaufnah- men feststellen, insofern deren Anteil zu Gunsten von Wochenenden und Feiertagen abnimmt (Starl 1994: 66). Diese Entwicklung hängt nicht zuletzt mit einer Veränderung in der Schichtzugehörigkeit der fotogra- fierenden Person zusammen. Es besteht nämlich, so Starl, eine erhebliche Diskrepanz bei den Themen Urlaub und Reise, die bei der Oberschicht 64.9 Prozent gegenüber 47.4 Prozent der übrigen Schichten ausmachen – Letztere verreisen weniger als wohlhabendere Kreise, bei denen Urlaube auch meist erheblich länger dauern. Aufnahmen von der Familie und von Freunden hingegen kommen bei der Oberschicht weit seltener vor (5,9 Prozent) als bei den anderen Gruppen (15, 2 Prozent) (Starl 1994: 65).3 2 Timm Starl erwähnt ein weiteres Motiv, das häufig vertreten ist: Aufnahmen vom Kriegs- und Militärdienst, die immerhin 10 Prozent aller Bilder ausmachen (ebd.: 62). Das ist nicht weiter erstaunlich, wenn man sich die konkreten Umstände des Militär- dienstes vergegenwärtigt: viel «leere» Zeit, die in Kameradschaft verbracht wird. Auch in den von mir gesichteten Filmbeispielen tauchen immer wieder Aufnahmen vom Militärdienst auf. Erstaunlich ist jedoch, dass diese Art privater Fotografie – aus- ser bei Timm Starl und Michael Kuball (1984) – bislang kaum untersucht wurde. Dies mag damit zusammenhängen, dass in deduktiven Inhaltsanalysen viel zu häufig nur das gefunden wird, was bereits in früheren Untersuchungen im Zentrum stand, wo- mit die immer gleichen blinden Flecken reproduziert werden. Oft werden auch Pro- motionstexte wie Inserate und andere Formen von Produktewerbung beigezogen, um daraus das Nutzungsversprechen der privaten Bilderpraxis zu rekonstruieren. Doch gibt es meines Wissens keinerlei Werbung, die Amateurapparate damit zu verkaufen versucht, dass man mit diesen seine Dienstkameraden filmen kann; ebensowenig gibt es Inserate, die die private Pornografie bewerben. Solche Werbung würde dem Image einer primär entlang der Familie vermarkteten Produktepalette widersprechen. Inter- essant ist in diesem Zusammenhang auch, dass in der Werbung überproportional häufig die Schmalfilmkamera von Frauen benutzt wird. 3 Für den Familienfilm fehlen vergleichbare Analysen, doch muss man bei den hier un- tersuchten Beispielen aus den Dreissigerjahren davon ausgehen, dass der soziale Hin- tergrund relativ homogen bürgerlich ist. 68 Ich habe bislang vor allem Vergleichsdaten aus privaten Fotobestän- den angeführt, weil diese Angaben um einiges aussagekräftiger sind als die Untersuchungen zu privaten Filmbeständen. Der ungarische Ama- teurfilmsammler und Filmemacher Peter Forgacs gehört zu den weni- gen, die einen umfangreichen Bestand an Amateurfilmen überblicken. Er schätzt auf der Grundlage seiner eigenen Sammlung, die von den Zwan- ziger- bis in die Fünfzigerjahre reicht, dass etwa ein Drittel aller privaten Filmaufnahmen Kinder und ein weiteres Drittel Ferienreisen zum Sujet haben (in Hertogs 1994: 59).4 Was für die Fotografie gilt, trifft also auch auf das Filmen zu: Der ei- gene Nachwuchs und der Urlaub bilden die beliebtesten Sujets. Trotz ei- ner schier unendlichen Fülle möglicher Motive, die das alltägliche Fami- lienleben bieten würde, werden immer wieder die gleichen Momente für erinnerungswürdig befunden. Richard Chalfen meint dazu: «The list of topics that home movie-makers actually do record is not endless» (Chal- fen 1986a: 95). Es gibt aber nicht nur eine relativ begrenzte Anzahl von Anlässen, die einen Kanon an möglichen Motiven hergeben, sondern auch eine Reihe von Sujets, für die man die Filmkamera nie auspackt. Man könnte von einem Pflichtprogramm sprechen, das ex negativo be- stimmt, was sich nicht eignet oder «schickt», aufgezeichnet zu werden. Kaum vorhanden sind Aufnahmen von Konflikten und Spannun- gen, von Unglück, Trennung und Tod. Deshalb geht es vielen ähnlich wie der Filmemacherin Michelle Citron, die beim Anschauen der eige- nen Familienfilme feststellt: «I was surprised and disturbed that the smi- ling family portrayed on the screen had no correspondence to the family preserved in my childhood memories» (Citron 1986: 93). Manchmal kön- nen zuweilen trotzdem – sozusagen zwischen den Bildern – Konflikte, Spannungen und Herrschaftsverhältnisse aufblitzen. Bestimmte Ereig- nisse, Szenen und Gesten evozieren ambivalente Gefühle, die beim An- schauen aktualisiert werden. Auch weinende oder trotzige Kinder und Personen, die sich abrupt von der Kamera abwenden, können auf Span- nungen verweisen. Meistens sind derartige Aufnahmen jedoch nur für den Bruchteil einer Sekunde auf der Leinwand sichtbar, weil die Kamera in solchen Momenten sofort abgestellt wird. Es kann aber auch vorkom- men, dass die Kameraperson nicht alles «sieht», was sie filmt: wenn zum Beispiel die Kadrage im Sucher nicht mit dem Bildausschnitt auf dem 4 Auf vergleichbare Zahlen kommen auch Chalfen (1987) und Schenke (1998), wobei in diesen beiden Untersuchungen die Ferien- vor den Kinderaufnahmen liegen. Da für jede Untersuchung ein unterschiedliches Erhebungs- und Klassifikationsverfahren angewendet wurde (mal mit Mehrfachnennungen, mal ohne), lassen sich die Ergeb- nisse nur begrenzt vergleichen. 69 Zelluloid identisch ist oder wenn neben der eigentlichen Haupthand- lung noch ein zweites Ereignis stattfindet (wie im Beispiel Jungen, der Turnübungen vorzeigt, währenddessen sein kleiner Bruder am Bildrand mit einem Holzstock herumfuchtelt und auf den Boden schlägt, um die Aufmerksamkeit der Kamera – die Aufmerksamkeit des Vaters – zu ge- winnen). Ein Filmer kann aber auch unverhofft Zeuge eines unerwarte- ten Ereignisses werden – wie Zapruder bei der Ermordung John F. Ken- nedys. Kaum zu finden sind im Familienfilm Aufnahmen von Toten.5 Be- vor die Totenfotografie im frühen 20. Jahrhundert aufgegeben wird und zunehmend Berührungsangst gegenüber diesem Thema einsetzt, gehö- ren «die Bildlichkeit des Todes, die öffentlichen pompes funèbres, Zeich- nungen von Verstorbenen im Totenbett oder bei der öffentlichen Aufbah- rung wie auch die Kindertotenfotografie durchaus zur Regel» (Daxel- müller 1991: 248).6 Der Beginn des Familienfilms fällt damit in eine Zeit, in welcher der Tod seine bildliche Repräsentation schon zu verlieren be- ginnt, bis er in unserer gegenwärtigen Bilderkultur unsichtbar geworden ist.7 Amos Vogel weist darauf hin, dass es in Dokumentarfilmen deshalb so selten Aufnahmen von Toten gibt, weil diese «die Illusion von Ewig- keit und Ordnung zerstör[en], auf der unsere Existenz aufgebaut ist» (Vogel 1979: 265). Andererseits erinnern uns Fotografien und Filme von mittlerweile verstorbenen Verwandten, immer an unsere eigene Sterb- lichkeit.8 Welche Bilder wir sehen und welche unsichtbar bleiben, hängt eng mit der gesellschaftlichen und psychologischen Bedeutung zusammen, die sie in einem bestimmten Kontext erfüllen. Es ist deshalb sinnvoll, an dieser Stelle auf Pierre Bourdieus Formulierung zurückzukommen, ge- mäss derjenigen der private Gebrauch der Fotografie als «Festtechnik» («une technique de la fête») zu beschreiben sei. Wie anhand der belieb- testen Motive sichtbar wird, lässt sich diese Aussage weniger auf die konkreten Inhalte und Anlässe beziehen, an denen fotografiert oder ge- 5 Vgl. hierzu die Aufnahmen von toten Verwandten und Hunden in Dusi and Jenö (Ungarn 1990) von Peter Forgacs, die eine Ausnahme bilden. 6 Zum Verhältnis von Tod und Dokumentarfilm vgl. Amos Vogel (1979) und Vivian Sobchack (1998). 7 Japp Boerdam et al. bringen das Verschwinden der Totenfotografie mit Norbert Elias’ Theorie in Verbindung, dass im Laufe der Zeit immer mehr Aspekte des Lebens un- sichtbar, sozusagen hinter dem Bühnenvorhang verschwinden (Boerdam et al. 1980: 102). Jay Ruby (1995) hat in seiner umfangreichen Studie zur Totenfotografie in Ame- rika jedoch diverse Indizien dafür gefunden, dass die Totenfotografie nicht ver- schwunden ist, sondern im Privaten weiter praktiziert wird. Beispiele von Totenfoto- grafien finden sich auch bei Michael Lesy (1973). 8 Vgl. hierzu Flavia Giorgetta (1999). 70 filmt wird, weil nicht primär Familienfeste dokumentiert werden; viel- mehr versucht Bourdieu mit «une technique de la fête» die Fotografie als Ersatzhandlung zu verstehen, die den verlorenen Zusammenhalt der Fa- milie und die abhanden gekommene Gemeinschaftlichkeit zu kompen- sieren sucht. Die Fotografie und später der Film tragen eben nicht nur dazu bei, memorable Augenblicke zu schaffen und zu verfestigen, wie es Italo Cal- vino beschreibt: «‹O wie schön, das müsste man wirklich photographie- ren› und schon seid ihr auf dem Boden dessen, der meint, dass alles, was nicht photographiert ist, verloren ist, als hätte es nie existiert» (Calvino 1980: 80). Sie dienen ebenso sehr der Verfestlichung. Um nun als Verfesti- gungs- und Verfestlichungstechnik zu gelingen, verwendet der Familien- film mit Vorliebe Bilder, die von glücklichen Momenten, von Fröhlich- keit und entspanntem Beisammensein, von einer «wolkenlosen Vergangenheit» (Boerdam 1080: 102) erzählen. Familien neigen dazu, sich als Orte des Glücks und der Zufriedenheit, als heile Welt darzustel- len; Eric de Kuyper spricht von «signes flagrants du bonheur» (de Kuy- per 1995: 15). Der Familienfilm ist ein effektives Mittel, dieses imaginäre Idealbild zu formen und zu transportieren, wobei der Motivwahl – die leicht zu kontrollieren ist – zentrale Bedeutung zukommt. Die im Familienfilm symbolisch geschaffene Welt einer Familie als Ort des Glücks versinnbildlichen im 20. Jahrhundert zwei Motive: die ei- genen Kinder und die gemeinsam auf Ausflügen und Ferienreisen ver- brachte Freizeit. Sie sind die Sinnbilder der bürgerlichen Kleinfamilie. 71 Der Urlaub als Motiv – «Sommerferien am See!» Wo waren Sie in diesem Sommer? heisst es von Oktober bis Weihnachten. Wohin werden Sie sich im Sommer wenden? heisst es von Weihnachten bis Ostern; viele Menschen betrachten elf Monate des Jahres nur als eine Vorbereitung auf den zwölften, nur als eine Leiter, die auf die Höhe des Daseins führt. […e]lf Monate muss man leben, den zwölften will man leben […]. Was der Schlaf im engen Kreise der vierundzwanzig Stunden ist, das ist das Reisen in dem weiten Kreise der 365 Tage. – Theodor Fontane: Unterwegs und wieder daheim (1894). Um die Filmkamera auszupacken, bedarf es der Zeit und Musse, es braucht einen Moment, der frei von Verpflichtungen ist und keine ande- ren Rollen dringlicher erfordert als die der Familienregisseurin oder des Kameramannes. Es ist also nicht erstaunlich, dass die meisten Familien- filme in der Freizeit entstehen. Das klassische Modell dieser Gattung lässt sich entsprechend als fragmenthafte Dokumentation gemeinsam verbrachter Freizeit beschreiben: Gefilmt wird vor allem an Sonn- und Feiertagen oder im Urlaub, in der «arbeitsfreien» Zeit der Erwerbstäti- gen, was in den sozialen Verhältnissen, von denen hier die Rede ist, meistens die Freizeit des Vaters bedeutet. Die alltägliche Arbeit – ob (weibliche) Haus- oder (männliche) Erwerbsarbeit – wird kaum gefilmt.9 Am Wochenende und in den Ferien wächst zudem der Druck auf den (klein)bürgerlichen Vater, sich mit seinen Kindern zu beschäftigen. Das Filmen kann ihm dabei eine praktische Möglichkeit bieten, sich in die Familie einzubringen. Aber nicht nur aus Gründen des familiären Zeitarrangements eig- net sich die Freizeit ideal, um zu filmen: Freizeit wird immer mehr zu einer Art Auszeit, die komplementär zum Berufs- und Familienalltag zu gestalten ist. Mit der Zunahme an arbeitsfreier Zeit nimmt das Bedürfnis nach «sinnvoller» Strukturierung und Betätigung zu. War die Freizeit früher aufs Engste mit kirchlichen Pflichten, mit Besinnung, Kontempla- 9 Zu diesem Schluss kommt auch Patricia Erens (1986: 21). 72 tion, mit Festivitäten und Pflege des Brauchtums verbunden, so löst sie sich immer mehr aus dem gemeinschaftsstiftenden Kontext. Sie wird zu- nehmend als Handlungsbereich gesehen, der mit Begriffen wie Aktivität, Selbstverwirklichung und Freiheit besetzt ist. Im Laufe des 19. Jahrhun- derts entwickelt sich ein neues Freizeitverständnis, das auf zwei Elemen- ten basiert, welche auch die zeitgenössische Definition kennzeichnen: auf der «quantitativen Bestimmung von Freizeit als Restzeit» und auf der Vorstellung von «Freizeit als Freiraum für die individuelle Entfal- tung» (Lamprecht et al. 1994: 99). Unter der «Leitung des Bürgertums» (ebd.: 102) entstehen neue Formen der Freizeitaktivität, die später auch in andere Bevölkerungsgruppen diffundieren. Diese Entwicklung ist mitunter widersprüchlich, da sich die Freizeit zum einen immer mehr auf den häuslichen Bereich verlagert und andererseits sich eine Entwick- lung zu ausserhäuslicher, organisierter Aktivität abzeichnet; allerdings bleibt diese vorderhand weit gehend auf Männer aus dem bürgerlichen Milieu beschränkt (ebd.: 102).10 Dieser Trend erfasst auch den Amateur- film, da er «unter der Leitung des Bürgertums» entsteht und seit den Zwanzigerjahren sowohl als häusliche Freizeit (Familienfilm) und als «männeröffentliche» Vereinsfreizeit (Klubfilm) stattfindet. Einen wichtigen Stellenwert innerhalb dieser neu entstandenen Freizeit nimmt die Ferienreise ein. Oder wie Hans Magnus Enzensberger schreibt: «Je mehr sich die bürgerliche Gesellschaft schloss, desto ange- strengter versuchte der Bürger, ihr als Tourist zu entkommen» (Enzens- berger 1969: 191). Die Industrialisierung des Tourismus kann sich aber erst in dem Moment vollziehen, als die vertraglich gesicherten Urlaubs- ansprüche und die Realeinkommen steigen.11 Auch die seit Mitte des letzten Jahrhunderts immer effizienteren Transportmittel – namentlich die Eisenbahn –, die zur Verbilligung und zu enormen Zeitersparnissen beim Reisen geführt haben (ebd.: 492), gehören zu den Voraussetzungen des modernen Tourismus und seiner Ausdifferenzierung.12 Noch bis Ende des letzten Jahrhunderts einer kleinen Elite vorbehalten, der «leisu- re class», wie sie Thorstein Veblen (1899) nannte, entwickelt sich der Tou- 10 Zu dieser Entwicklung gehört auch, dass Verhaltensweisen, die schon existierten, nun zunehmend als eigentliche Freizeitaktivitäten ausgeübt wurden – so wie die Buchlek- türe, Hausmusik, Spiele, aber auch Häkel- und Strickarbeiten. Vgl. Markus Lamprecht et al. (1994: 102). 11 Nach Hans Magnus Enzensberger taucht der Begriff «Tourist» erstmals 1800, «Touris- mus» 1811 in deutschen Wörterbüchern auf (Enzensberger 1969: 182). 12 Nach Jost Krippendorf ist die Explosion des Tourismus in der Nachkriegszeit in West- europa auf vier Faktoren zurückzuführen: auf die Wohlstandssteigerung, die Ver- städterung, die Motorisierung und die allgemeine Freizeitzunahme (Krippendorf 1984: 42). 73 rismus erst nach dem Zweiten Weltkrieg zum Massenphänomen (Lamp- recht et al. 1994: 492). Nach einem ersten Tourismusboom in den Zehnerjahren diffundierte in den Zwanziger- und Dreissigerjahren Rei- sen als Freizeitunterhaltung langsam in den Mittelstand; gleichwohl blieb sein Exklusivitätscharakter noch unangetastet.13 Für diese Zeit gilt, dass wer sich das Filmen leisten kann, auch über die nötigen Ressourcen zum Reisen verfügt und umgekehrt. Wenn ich im Folgenden das Verhältnis von Familienfilm, Freizeit und touristischer Mobilität erläutere, beziehe ich mich auf all jene Auf- nahmen meines Samples, die zwei Bedingungen erfüllen: Erstens müs- sen sie an einem anderen Ort als dem Wohnort aufgenommen worden sein, und zweitens müssen darin «Sehenswürdigkeiten» vorkommen. Dabei spielt keine Rolle, ob es sich um den Eiffelturm und andere archi- tektonische «Ereignisse» oder um Naturphänomene wie Wasserfälle oder pittoreske Klippen handelt. Ich unterscheide nicht zwischen einer Sonntagsfahrt, einem Wochenendausflug oder einer eigentlichen Ferien- reise. Von meiner Analyse ausgeschlossen bleiben Filmaufnahmen von Verwandten- oder Bekanntenbesuchen ohne touristische Ansichten wie auch Sport-, Wehr- und andere Schauanlässe – es sei denn, dass sie in- nerhalb einer touristischen Sequenz auftauchen: Ein Schwingfest in Adelboden zum Beispiel. Ausgeschlossen habe ich zudem alle hobbyeth- nologischen und Kulturfilmaufnahmen:14 Filme, in denen zwar auch Rei- sen festgehalten werden, die aber nicht «im Kreise der Familie» entstan- den sind. 15 Beginnen will ich mit einem Spezialfall, der als aussergewöhnliches Beispiel betrachtet werden muss, sich aber als Einstieg eignet, weil darin vieles, was sich als charakteristisch für den touristischen Familienfilm herausstellen wird, in zugespitzter Form vorkommt. Es handelt sich um einen Film aus der Sammlung H. mit dem Titel Autosonntag. 13 Nach Hasso Spode ist der Fremdenverkehr in Deutschland vor 1933 eine Angelegen- heit des Bürgertums und der Mittelschichten (Spode 1980: 284). 14 So zum Beispiel die privatethnografischen Aufnahmen von Oskar Treyer-Haab aus Ostasien, aber auch die Amateur-Expeditionsfilme ihres Vaters, die Christine N. Brinckmann in ihrem Film Der Fater (BRD 1984) bearbeitet hat. 15 Zum Verhältnis von hobbyethnologischen Reisefilmen und touristischen Familienfil- men vgl. Alexandra Schneider (2003). Zum Filmtourismus im Orient vgl. Annette Deeken (2002). 74 Autosonntag (CH 1930) – eine Filmsafari im Klöntal To travel is to possess the world. – Burton Holmes: The World Is Mine (195316) Im Juni 1930 fährt Herr H. aus Zürich mit seiner Frau und einem be- freundeten Paar ins Klöntal, wo die vier ein Wochenende im Kurhaus Ri- chisau verbringen.17 Mit der 16-mm-Filmkamera werden Pflanzenwelt und Gebirgspanorama, aber auch Tiere und Bergbauern dokumentiert. Von diesem Ausflug ist ein fünfeinhalbminütiger, stummer Schwarz- weissfilm überliefert, in dem die Städter beim Essen, Spazieren und Er- kunden der Bergwelt zu sehen sind.18 Wie bei den anderen Filmen von Herrn H. handelt es sich auch bei Autosonntag um das Werk eines organi- sierten Amateurs, der in seiner Freizeit die Kamera dabei hat und – wie es der Familienfilmer zu tun pflegt – für sich, seine Familie und Freunde die gemeinsam verbrachte Zeit zu Dokumentations- und Erinnerungs- zwecken filmt. Ich will mich bei den folgenden Ausführungen zunächst auf das spezifische Darstellungs- und Inszenierungsgefüge konzentrieren, das sich aus der Überlagerung von Amateurfilm und touristischem Bilder- diskurs ergibt. Der Tourismus und die Safari: Ambivalenz der Bilder Wenn ich im Folgenden von «Safari» spreche, so geht es mir in erster Li- nie um einen Begriff, der symptomatisch etwas zum Ausdruck bringt: das Dreiecksverhältnis von «Reisen», «in Besitz nehmen» und dem Vor- gang der «filmischen Exotisierung».19 Die Safari ist als Chiffre für dieses Verhältnis zu verstehen. «Safari» bezeichnet zunächst eine spezifische Form des Tourismus; das Wort ist dem Suaheli entlehnt, wo es so viel wie «Reise» bedeutet (und auf das arabische «safara» zurückgeht; nach Klute 1995: 699). In Meyers Universallexikon wird die Safari als «Gesellschaftsreise nach Afri- 16 Burton Holmes (Veranstalter von bebilderten Reisevorträgen), zitiert nach Lynne Kir- by (1997: 265). 17 Das Klöntal wird seit dem 18. Jahrhundert als Ausflugsziel bereist. Eine interessante Dokumentation findet sich unter: www.kunsthausglarus.ch/kloental/. 18 Der Film ist an vier Stellen geklebt, die restliche Montage wurde in der Kamera vorge- nommen. 19 Vgl. hierzu das wunderbare Kapitel «The Wilderness» in Kevin Brownlow (1979). 75 ka mit der Möglichkeit, Grosswild zu jagen oder zu beobachten und zu photographieren (Photosafari)» beschrieben (Ahlheim 1981: 182, Hervor- hebungen durch die Autorin). Aus der ursprünglichen «Reise mit Trä- gerkarawanen in Ostafrika» hat sich ein touristisches Vergnügen entwi- ckelt, das eng mit gewissen Formen der Aneignung verknüpft ist: mit der Jagd und der Fotografie. Das Illustrierte Lexikon der deutschen Um- gangssprache führt noch eine weitere Bedeutung an, die den implizit ko- lonialen Kontext beleuchtet: In der «Halbwüchsigensprache» wird «auf Safari gehen» auch für «einkaufen» oder «intim berühren» verwendet, also entweder für eine ökonomische oder sexuelle Form der Aneignung (Küpper 1984: 2378). Die Safari ist immer mit Neugier verbunden – dies, obwohl die Menschen meistens «reisen, um etwas zu sehen, von dem sie schon wissen, dass es da ist» und sich ihre Neugier zunehmend auf sich selbst zu richten beginnt, da die eigenen Reaktionen «die einzige Quelle für Überraschungen» zu bieten vermögen (Boorstin 1987: 104). Es ist kein Zufall, dass auf die Grosswildjagd das Beobachten mit der Foto- und später auch mit der Filmkamera folgt.20 Interessant sind in diesem Zusammenhang Publikationen wie Carl Georg Schillings’ Mit Blitzlicht und Büchse im Zauber des Eleléscho von 1905, in dem zum ersten Mal Fotografien von wild lebenden afrikanischen Tieren zu finden sind.21 In der Foto- oder Filmsafari ersetzt das Bild die Trophäe, wird selbst zum Siegeszeichen. Es geht darum, Beute zu machen, die Erfah- rung einzufangen und auf die Leinwand zu bringen (Zimmermann 1996: 91). Mit dem modernen Tourismus entsteht nach und nach eine vielfältige Industrie touristischer Bilder (Panoramen, Ansichtskarten22, Stereobilder, Filme).23 Ellen Strain (1996) präzisiert das Verhältnis von Kino und touristi- schem Sehen, indem sie feststellt, dass «the notion of touristic viewing as an historically-specific phenomenon […] developed in the decades immediate- ly preceding cinema’s inception and […] was imported into cinema as a de- veloping form» (Strain 1996: 72). Zu diesen touristischen Bildern gehören auch der Reise- und später der Expeditionsfilm. Der nicht fiktionale Reise- film hat sich schon 1906 zu einem eigenen Genre, dem travelogue, entwickelt, 20 Vgl. Vinzenz Hediger (2002). 21 Das Buch wurde bis in die Dreissigerjahre immer wieder aufgelegt; mir steht die 15. Auflage von 1931 zur Verfügung. 22 Ansichtskarten gelten seit der Jahrhundertwende als die Reisebilder schlechthin. Vgl. Karin Walter (1995: 212). 23 Vgl. Lynne Kirby (1997: 36 f.); zum Reisefilm vgl. Tom Gunning (1995), Charles Mus- ser (1984), Karin Walter (1995), Lauren Rabinovitz (1998), Jeffrey Ruoff (1998), Ine Van Dooren (1999), Daniel Speich (1999). 76 das gut zehn Jahre lang einen festen Platz im Kinoprogramm innehatte (Pe- terson 1997: 79). Das Genre gliedert sich in landschafts- und in menschen- orientierte Reisefilme. Insgesamt lässt es sich über die ihm eigene ambiva- lente Spannung von Anziehung und Rückweisung charakterisieren: Exotik wird präsentiert und wieder entzogen: These tensions appear to have been highly efficient and adaptable; they characterize films of colonial or exotic landscapes and are also present in films of European locales. (Peterson 1997: 76) Aber nicht nur Exotik, auch eine bestimmte Form von Ambivalenz ge- hört zum Reisefilm, und zwar nicht nur als beschreibende Haltung, son- dern als konstitutiver Mechanismus (ebd. 1997: 84). Die Faszination für fremde Bilder führt nicht nur zum Konsum von visuellen Erzeugnissen, sie regt auch dazu an, selber solche herzustellen. Die touristischen Bilder beginnen immer mehr, den Reiseprozess zu durchdringen und die Erfahrung der Reise zu strukturieren; die Reise wird dadurch immer häufiger zu einem Mittel, sich die Welt durch Bil- der anzueignen (Gunning 1995: 22). Dabei spielt auch eine Rolle, dass der filmischen oder fotografischen Kadrage eine «magische und zugleich imperiale Macht der Absorption» zukommen kann – sie vermag «die Welt [zu] bannen und einzugemeinden» (Hediger 1997: 27). Symptoma- tisch tritt diese Form der Aneignung im Safarifilm auf, wenn der Jäger bei der tödlichen Schussabgabe zusammen mit dem gejagten Tier gezeigt wird. Diese Einstellung dient aber nicht nur einem Authentizitätsein- druck, wie André Bazin (1953) beschrieb; diese Einstellung ist auch eine Form der Aneignung, die «gesellschaftliche Machtverhältnisse zum Aus- druck bringt» (ebd.: 27). Selbstverständlich evozieren solche Bilder im- mer auch die emotionale Sensation des thrills, der durch die Suggestion von Risiko und Gefahr zu Stande kommt.24 24 Wenn im Tierfilm (wie schon im Zirkus) der Dompteur zusammen mit dem wilden Tier in einer Einstellung gezeigt wird. 77 Im Zusammenhang mit touristischen Filmmotiven ist die Einstel- lung, auf der beides zu sehen ist, die dominierende Bildkomposition. Neben der zugespitzten Form von Bildern von Jäger und Gejagtem las- sen sich weitere Formen dieser Kategorie beobachten: Ähnlich funktio- nieren zum Beispiel die Aufnahmen von Jäger und Trophäe oder von Touristin und besuchter Sehenswürdigkeit. Im ästhetischen Repertoire des privaten Reisefilms sind zwei weitere Varianten auszumachen: ers- tens die inszenierte Aufnahmesituation, in der Fotograf oder Fotografin zusammen mit dem zu Fotografierenden im Bild ist; zum andern gehört im privaten Film der Kameramann sozusagen zur Diegese, er beobachtet also nicht von aussen, sondern ist oft selber Teil der gefilmten Hand- lung.25 Indem wir seine Anwesenheit durch die Kamerabewegung oder dadurch, dass sich die Gefilmten an den Kameramann richten, erahnen, kann es vorkommen, dass schon aus dieser Konstellation der Eindruck erwächst, er sei als Jagender implizit im Bild. Seine abwesende Anwe- senheit verweist direkt auf die Drehsituation, in der er den vorfilmischen Raum mit dem Objekt teilte.26 Zurschaustellung der Exotik Erzählt wird in Autosonntag von einem Ausflug auf eine Alp, wo eine Be- gegnung zwischen «fremden» Städtern und «einheimischen» Sennenfa- milien stattfindet. Der Titel legt die Vermutung nahe, dass wir ein Auto- mobil zu sehen bekommen, doch taucht im gesamten Werk kein einziges auf. Der Titel Autosonntag bezieht sich auf das noch heute weit verbreite- te Freizeitvergnügen der Überlandfahrt.27 Der Film verfügt zwar weder über Anfangs- noch Schlusstitel (die Überschrift Autosonntag stammt von einem Notizzettel, der sich in der Film- büchse fand) und ist nur mit Schwarzfilm von anderen Aufnahmen auf der Spule abgesetzt; doch lässt sich ein mehr oder weniger klarer zeitlicher und räumlicher Aufbau ausmachen. Autosonntag ist grob in drei Phasen oder Segmente unterteilt: erstens eine Art Exposition, während der wir die Perso- nen und den Ort vorgestellt bekommen, zweitens ein Mittelteil, der aus der besagten Konfrontation besteht, und am Ende eine Art Auflösung. Der Film 25 Vgl. hierzu meine Ausführungen zur Diegese im Abschnitt zur Kameraperson und zum Kamera-Ich. 26 Seit es das Teleobjektiv gibt, gilt dies nur noch bedingt. 27 Hellmuth Lange, der Geschäftsführer des Bundes der Filmamateure in Berlin, schlägt in seinem Handbuch Filmmanuskripte und Film-Ideen auch ein Skript für den «Wochen- endfilm» Mit dem Auto ins Grüne vor (Lange 1930: 40). Über den Zusammenhang von Autofahren und Familienfilm vgl. auch Alexandra Schneider (2002). 78 ist im Positiv viermal montiert worden, und zwar jeweils an Stellen, welche die «Erzählung» voranzutreiben helfen. Autosonntag beginnt mit einem Blick hinter die Kulissen: Wir sehen zwei Frauen im Gras, die sich gegenseitig einen Taschenspiegel vorhal- ten, um sich (für den Film) zurechtzumachen. Es folgt der eigentliche Anfang: Drei Personen – die beiden Frauen und ein Mann – gehen über eine Wiese. Als Nächstes sehen wir ein Gebäude: das Kurhaus Richisau. Eine Frau (die wir von der Exposition her kennen) tritt ans Fenster und winkt der Kamera zu, dann treten auch die zweite Frau und der Mann hinzu, der sich gerade noch rasiert, um die Kamera(person) zu begrüs- sen. Es folgen Aufnahmen vom Frühstückstisch. Schnitt in der Kamera auf Schweine und Hühner beim Fressen. Erneuter Schnitt in der Kamera: Nun ist wieder die Gesellschaft am Frühstücken. Es folgt ein kurzer Be- such bei den Ziegen, wo Fotos geknipst werden (Städterinnen mit Tie- ren: die touristische Trophäe); schliesslich folgt ein Spaziergang. An dieser Stelle hat der Filmer zum ersten Mal in der Postprodukti- on eingegriffen. Ob er dies tat, weil er bestimmte Szenen weglassen woll- te, die technisch oder ästhetisch problematisch waren, lässt sich nicht be- urteilen. Doch scheint mir diese Montage auch aus dramaturgischen Gesichtspunkten motiviert, denn es findet ein Ortswechsel statt. Der fol- gende Spaziergang führt die Städter vom Kurhaus weg. Schon bald folgt der nächste Schnitt oder Zwischenschnitt: Die Bewegung erhitzt die Spa- zierenden, die kokettere der beiden Frauen entledigt sich ihrer Bluse und geht im Unterhemd weiter. Nach dieser kurzen Szene erfolgt ein weite- rer Schnitt. Der Übergang von der leicht bekleideten Städterin zur nächs- ten Einstellung ist abrupt: Aus der Sicht der Städter sehen wir nun einen 79 Bergbauern mit (seinen) Kindern. Es folgt ein interessantes Detail: Der Filmer richtet seine Kamera auf die traditionellen Holzschuhe («Holzbö- de») des Bauern. Von nun an zieht sich das Schuhmotiv wie eine idée fixe durch dieses mittlere Segment: Immer wieder werden uns Holz- schuhe vorgeführt. Mit diesen Bildern verschiebt der Städter das Gefühl der Fremdheit auf die eigentlich einheimischen Älpler, sodass sie ihrer- seits zu Fremden werden. Der Kontrast wird durch die vorletzte Einstel- lung noch verstärkt: eine sichtlich ausgelassene Städterin trifft auf einen «archaischen», naturverbundenen Bauern. Durch die exzessive Wieder- holung der Schuhe – das visuelle Insistieren – werden die Bauern exoti- siert und zugleich dramatisiert. Die Fussbekleidung erscheint dem Städ- ter als grösstmögliche Evidenz nicht nur für die Echtheit des Bauern, sondern auch für die von ihm empfundene Differenz gegenüber den Ge- filmten. Eine ambivalente Andersheit, die nach Homi K. Bhabha, sowohl Objekt des Begehrens wie auch Spott und Distanzierung beinhaltet (Bhabha 1994: 66). Die Exotik drückt sich in der stereotypen Spannung zwischen dem als etwas Anderes Inszenierten und dem als «normal» Empfundenen aus. Heutzutage spricht man davon, dass das Kulturspezifische für die Touristen hergerichtet wird. Nach Hermann Bausinger wird «den kultu- rellen Erscheinungen ein Stück von ihrer Eigenart und damit auch Wi- derspenstigkeit genommen». Dadurch wird das, was «einmal bedrohlich fremd war, […] bekömmlich exotisch» (Bausinger 1991: 345). Dem Film und der Fotografie kommt dabei eine wichtige Funktion zu: Schon Susan Sontag wies darauf hin, dass touristische Fotografien auch dazu beitra- gen, Menschen dabei zu helfen, «to take possession of space in which they are insecure» (Sontag 1977: 9). Die Unsicherheit des Städters auf dem Lande wird durch die Kamera wie in einem Parabolspiegel gebün- delt und nach aussen geworfen. Durch das Filmen werden die erwähn- ten Schuhe zu Trophäen, die man von der Safari nach Hause bringt: Schaut, erinnert euch an diese komischen Alpenbewohner. In dieser Hin- sicht sind die Bilder von den Holzschuhen nicht zuletzt Beweise für den Mythos des gleichermassen primitiven wie natürlichen Älplers. Die «interkulturelle» Begegnung wird nun «weitererzählt»: Wir se- hen, wie der Bauer den Hügel erklimmt, dann in identischer Bildkompo- sition die Städter hinaufmarschieren. Der Bauer führt sie zu einer Alp- hütte, wie wir bald sehen können. In der folgenden Sequenz werden die Städterinnen gemeinsam mit den Berglern in einer gemeinsamen Einstel- lung auftauchen. Doch zunächst gruppieren sich die Älpler für das Por- trät vor der Kamera. Die oben beschriebene Differenz zwischen Stadt und Land spitzt sich in dieser an ein Tableau vivant erinnernden Se- 80 quenz weiter zu. Zuerst werden Männer, Kinder und typische Requisi- ten wie ein kupferner Milchkessel und ein grosser Käselaib ins Bild ge- setzt, dann treten die Frauen dazu. Dem ganzen Arrangement haftet etwas Starres an: Die Menschen posieren für den Film. Fast scheint es ein wenig «unvorteilhaft», wie sie sich verhalten – ein Eindruck, der nicht mit den «Modellen» selbst zu- sammenhängt, sondern mit ihrer fehlenden Mediengewöhnung oder -kompetenz.28 Im Gegensatz zu den Städterinnen scheinen die Bergbau- ern noch keine Vorstellung, kein imaginäres Bild davon zu haben, was die Filmkamera mit ihnen macht und wie sie später auf der Leinwand aussehen werden. Die Bauern und Bäuerinnen stehen da, als ob sie für ein arrangiertes Studioporträt posieren würden: möglichst bewegungs- los. Diese Reaktion wird durch allfällige «Regieanweisungen» noch ge- fördert: Die Mise-en-scène ist die eines Gruppenporträts, wie wir es hin- länglich kennen, zum Beispiel aus Albert Ankers Darstellungen des Bauernmilieus. Ganz anders verhalten sich die Städterinnen, die nun ins Bild drän- gen: Zunächst zurückhaltend, aber bald schon selbstbewusster treten sie mit ihrer Performance zu den Berglern in Konkurrenz. Eine Frau be- ginnt, aus dem Hintergrund in die Kamera zu winken: Sie weiss im Un- terschied zu den erstarrten Bauern um die kinematografische Qualität des filmischen Vorgangs und versucht, Bewegung ins Bild zu bringen. Damit lenkt sie auch die Aufmerksamkeit der Kamera (die von ihrem Ehemann geführt wird) und diejenige des potenziellen Publikums (zu dem sie selbst gehört) auf sich: Schaut, hier bin ich, hier war ich – wie be- urteilt ihr meine Qualitäten als Filmstar? Eine weitere Zuspitzung er- fährt die Einstellung in dem Moment, als auch der Filmer sich zur Grup- pe setzt und die Kamera von jemand anderem geführt wird.29 Tritt der Kameramann selbst ins Bild, so setzt er sich überdeutlich in Szene, als ob es nötig wäre, etwas Besonderes zu tun, um später auf der Leinwand ge- sehen zu werden. Um seine Präsenz im Bild zu unterstreichen, zieht er 28 Vgl. hierzu folgendes Zitat: «Afrikaner sind von Haus aus unvorteilhafte Modelle, was das ‹Mitmachen› bei einer Aufnahme betrifft. Sie meinen, sie müssten sich beim Fotografieren mucksmäuschenstill verhalten, und bauen sich deshalb steif und mit verkrampftem Gesicht vor Ihnen auf. Eine gelöste Pose und ein entspanntes, lächeln- des Gesicht aber ist für ein Porträt unerlässlich» (Schleinitz 1968: 62). 29 Das primäre Publikum erkennt selbstverständlich den Filmer sofort; für Aussenste- hende ist es schon schwieriger. Und doch lässt sich auch in Unkenntnis der abgebilde- ten Personen meistens irgendwann mit Gewissheit die Kameraperson identifizieren. Es ist mir kein Familienfilmer bekannt, der sich nicht auch selbst ab und zu (von seiner Frau, von den Kindern, von einem Gast oder per Selbstauslöser) abbilden lässt. Bei unserem Beispiel wird erst in dem Moment, wo er die Kamera wieder übernimmt, deutlich, um wen es sich auf dem Bild handelte. 81 82 ein kleines Bauernmädchen auf seinen Schoss, das jedoch sofort zu wei- nen beginnt, sodass er es umgehend wieder dem Vater reicht. Gleich an- schliessend geht der Filmer Richtung Kamera, um sie wieder zu über- nehmen. Als Erstes filmt er in Grossaufnahmen Kindergesichter. An- schliessend zeigt er uns zum letzten Mal Holzschuhe: also jenes Sujet, das wir als Sinnbild für seinen Eindruck von Differenz identifiziert ha- ben.30 Auf dieses Gruppenporträt folgen ein paar Aufnahmen mit Tieren; die Bauern und ihre Kinder führen den Städtern Kühe und Ziegen vor. Abgeschlossen wird der Film mit einem kurzen dritten Teil, in dem wir aus relativ grosser Distanz die Städter beim Fotografieren der Kinder be- obachten können. Als ob der Filmer sein eigenes Tun kommentieren wollte, zeigt er uns in dieser Einstellung, wie der Fotograf eine Gruppe von Kindern arrangiert und in Szene zu setzen versucht. Gleichzeitig wird auch wieder das «Sehen sichtbar gemacht». Der Amateur be- schliesst sein Werk – es folgt nämlich die vierte und letzte montierte Stel- le, mit Aufnahmen von Wiesenblumen und einem malerischen Bergpan- orama im Gegenlicht. Die Alpensafari – eine Zeitreise Da liegt ein Werkplatz, wo die Natur ihre Schön- heiten zusammengetragen hat und die Maler her- kommen, sie ihr abzulauschen. […] Wie drei ver- schiedene Jahrhunderte oder drei Perioden der Siedelung stehen die drei Gebäude nebeneinander, die ursprüngliche Alphütte, das alte Wohngebäu- de und das neue Kurhaus; zugleich zwei Stufen der Wirtschaft, das Alp- und das Talleben, Wiese und Weide, Ahorn und Tanne. – F. Becker (191231) In unserem Beispiel versteckt sich eine «schweizerische Binnensafari»: Zwischen spontaner Beobachtung, inszeniertem Spiel und fotografischer Pose entsteht in Autosonntag eine Begegnung, die sowohl auf das Genre des Reise- wie auf dasjenige des Expeditionsfilms verweist. Die Ähnlich- keit zwischen Autosonntag und dem Reisefilm, so habe ich zu zeigen ver- 30 Auch vom Schweizer Fotografen Jakob Tuggener existiert eine ganz ähnliche Abbil- dung von Holzschuhen, in: Forum Alpinum, Zürich 1965, S. 205. 31 Zitiert nach www.kunsthausglarus.ch/kloental/. 83 84 sucht, liegt in der ambivalenten Inszenierung des Anderen und des Nor- malen.32 Solche Filme bieten einem städtischen Publikum vielleicht auch einen Blick in so genannt natürliche, wenn man so will ursprüngliche Verhältnisse. «Echte» Bilder von «Primitiven» lassen sich aber nicht nur von fernen Kulturen generieren. Der Historiker Daniel Boorstin weist in Anlehnung auf René Descartes darauf hin, dass die Reise zur Zeitreise werden kann, da sie einer Unterhaltung mit Menschen aus anderen Jahr- hunderten ähnelt (nach Boorstin 1986: 22).33 Auch unser Amateur, so vermittelt uns seine Inszenierung der Bau- ern, war beim Ausflug ins Klöntal vom Moment der Zeitreise fasziniert. Die eigene städtische Herkunft bildet dabei die sichere Gegenwart, in die man nach einem solchen Ausflug zurückkehren kann. Dem Drang zur und in die Natur, der sich damals in einer schon fast mythischen Über- höhung der Natur und des natürlichen Lebens äussert, scheint Herr H. zwiespältig gegenübergestanden zu haben. Seine ländliche Schweiz ist nicht nur ein natürliches und wahrhaftiges Refugium für den Stadtmen- schen – sie wird ebenso sehr als überwundener Zustand wahrgenom- men, dem sich der Städter überlegen fühlt. Die Bauern erscheinen in Au- tosonntag nicht nur als folkloristische und damit auch nostalgische Fantasie eines verloren gegangenen Zustandes;34 sie sind zugleich bereits zu «exotischen» Kuriositäten geworden. Diese Welt wollen die Städter nicht gegen die ihre eintauschen – oder wenn, höchstens in Form einer vorübergehenden touristischen Aneignung. Der «Fortschritt» steckt in der Filmkamera und damit auch in der Medienkompetenz, er steckt aber auch im Auto, der dem Film seinen Titel gab. So zumindest legt es uns Autosonntag nahe. Autosonntag als touristischer Familienfilm Autosonntag ist ein aussergewöhnliches Beispiel, weil es sich um ein mehr oder weniger abgeschlossenes Werk mit Anfang und Ende handelt. 32 Dies gilt in groben Zügen auch für die in den Zwanziger- und Dreissigerjahren belieb- ten Kultur- und Expeditionsfilme wie zum Beispiel August Kerns Das Geheimnis der Kalmückensteppe (CH 1922). 33 An diesen Moment der Zeitreise scheint auch ein Navajo-Indianer anzuknüpfen, der den Tourismus mit einem Schild am Strassenrand in sein Dorf zu lenken versucht: «Take pictures of the past» (zwischen Gallup und Flagstaff, USA, gesehen auf einer Reise im September 1999). 34 Wie im Bergfilm, wo der Held im Austausch mit der Natur Läuterung finden kann, oder im Kleinbürgerfilm, wo die Landbevölkerung mit ihren traditionell gemein- schaftlichen Gesellschaftsstrukturen als sozial intakt präsentiert wird. Ähnliches gilt für den Heimatfilm, in dem uns immer eine in sich geschlossene, moralisch integre Gemeinschaft vorgeführt wird. 85 86 Doch obwohl sein «Autor» für einen Familienfilmer über eine über- durchschnittliche kinematografische Sensibilität verfügt, verhält er sich in vielen Punkten dennoch als Tourist und Familienfilmer: als Tourist, indem er mit seinem Film eine touristische Erfahrung festhält. Diese be- schreibt Ellen Strain als Konfrontation mit «the spectacle of difference, the exotic landscape dotted with wondrously ‹alien› human and animal faces» (Strain 1996: 72). Doch hält er mit seiner Kamera nicht nur etwas fest, sondern schafft mit ihr eine Konfrontation – dies muss der touristi- schen Erfahrung nämlich nicht vorausgehen, sondern kann auch erst durch diese erzeugt werden. Der filmtouristische Blick in Autosonntag beginnt mit einem «exotisierenden» In-Szene-Setzen der Bergbauern, der das Resultat einer ambivalenten Konstruktion von «Begehren» und dis- tanzierendem Spott ist. Die Exotik existiert nicht a priori, sondern ist das Resultat einer vermittelten Differenzerfahrung: Dies geschieht zum Bei- spiel, wie bereits gesagt, mittels einer Einstellung, die Jäger und Tro- phäe oder – harmloser – den Touristen mit Souvenirs oder Sehenswür- digkeit zeigt. Ein Ereignis wird mithilfe des Films als touristisch inszeniert, indem es dramatisiert oder exotisiert und zur nach Bedarf ge- schaffenen «synthetischen Sehenswürdigkeit» wird (Enzensberger 1969: 197). Das Bildermachen ist somit nicht nur Bestandteil der touristischen Erfahrung, es kann mitunter auch dazu beitragen, diese erst zu erzeu- gen. «Ein Durcheinander von Postkartenaufnahmen»: Merkmale des touristischen Familienfilms Denn die Sehenswürdigkeit ist der Besichtigung nicht nur würdig, sie verlangt nach ihr auf gebiete- rische Weise. Sehenswürdig ist, was man gesehen haben muss. – Hans Magnus Enzensberger: Einzelheiten (1969: 196). Wenn ich mich nun weiteren touristischen Filmen zuwende, so wird es darum gehen, die Idee der filmischen Konstruktion von «Sehenswürdig- keiten», die erst durch den Film «sehenswürdig» werden, nochmals auf- zunehmen. Abgesehen von der gemeinsamen Einstellung, wie ich sie im Zusammenhang mit Autosonntag erläutert habe, werde ich weitere, für den touristischen Familienfilm typische Verfahren vorstellen: das Pan- orama, die Postkartenansicht und den phantom ride. Dazu greife ich auf 87 einige Ferienfilme der Familie U. zurück. Im Unterschied zu den Werken von Herrn H. sind diese Aufnahmen absolut durchschnittlich, nicht nur was die filmische Qualität, sondern auch was die Motive und ihre visu- elle Umsetzung anbelangt. Ungefähr zwei Drittel der gesamten Aufnahmen der Familie U. sind während Ferienaufenthalten entstanden. Davon fast alle in den schulfreien Sommermonaten – die Ferien an der «Ecole suisse de Gènes» dauerten drei Monate –, die man entweder in Italien am Meer oder in den Schweizer Bergen verbrachte. Meistens fuhr die Familie zuerst nach Sestri an den Strand, wo der Onkel von Frau U. ein Hotel besass. An- schliessend besuchte man zusammen mit anderen Verwandten die Berge und reiste in die heimatliche Schweiz. Gefilmt wurde in Adelboden, Crans Montana und Pontresina. Im Winter ging es ebenfalls dorthin. San Fruttuoso (1928) Diese für den touristischen Familienfilm äusserst typische 3-Minuten- Rolle besteht aus insgesamt 25 Einstellungen und beginnt wie folgt: Zu sehen ist eine kurze, unscharfe, damit missglückte und entsprechend schnell abgebrochene Aufnahme der Bucht von San Fruttuoso.35 Mit der zweiten Einstellung beginnt der Film quasi ein zweites Mal, diesmal mit einem halbtotalen Panoramaschwenk über die Bucht vom Meer her aus einem Boot gefilmt. Im Vordergrund ist der Strand, im Hintergrund eine malerische Häuserzeile zu sehen, wo Wäsche vor den Fenstern flattert. Der Schwenk über die Bucht wird mittels Stehkader (gekerbter Still- standstitel) dreimal für ein paar Sekunden angehalten. Diese Abfolge von horizontalem Schwenk und statischer Einstellung kommt nicht nur beim 9,5-mm-Format häufig vor, sie wird im Familienfilm generell gerne verwendet, vor allem bei Landschafts- und Architekturaufnahmen, aber auch zum Exponieren einer Situation. Im Unterschied zu 9,5 mm, wo man nachträglich das Bild «anhalten» und sozusagen zur Fotografie werden lassen kann, muss die Entscheidung, den Schwenk anzuhalten, bei allen anderen Formaten schon während des Filmens fallen. Im 9,5-mm-Format können die mittels Kerbung nachträglich erzeugten An- sichten entsprechend präziser gesetzt werden: Genau dort und nirgend- wo anders soll das Bild zum Stehen kommen. Damit wird zudem die 35 San Fruttuoso ist ein Ausflugsort, der von Sestri aus – wo die Familie jeweils einen Teil der Sommerferien verbrachte – mit dem Boot erreichbar ist. San Fruttuoso war aber kein Ort, den man häufig besuchte, was erklärt, warum er als touristische Sehenswür- digkeit gefilmt wird. 88 Geschwindigkeit eines Schwenks in der Postproduktion in gewisser Weise korrigierbar, was von Vorteil ist, da die Kamera im Amateurfilm oft zu schnell bewegt wird. Sollte der Schwenk also zu hektisch ausgefal- len sein, bleibt wenigstens für die angehaltenen Bilder genügend Zeit zur Betrachtung. Von 25 Einstellungen hat Herr U. insgesamt 14 gekerbt; zumeist Ansichten der Bucht und der Architektur von San Fruttuoso; auf den Rest sind Porträts von Bekannten (die meistens Grimassen schnei- den). Zu sehen sind zum Beispiel eine kleine Kathedrale und ein histori- sches Gebäude – klassische Ansichtskartenmotive. San Fruttuoso hört auf, wie die meisten gängigen Familienfilme: relativ abrupt. Wurde der Anfang noch möglichst als Anfang inszeniert, so fällt das Ende nur mehr mit dem Auslaufen der Filmkassette zusammen. Ähnlich sehen auch die Aufnahmen im Streifen mit dem Titel Nervi aus – nur dass in diesem Fall an Stelle der Architektur die Natur das Spektakel bietet: Eine wilde Meeresbrandung umspült die Klippen. Die- ser Film beginnt mit einer Aufnahme der Klippen, als Nächstes wird die Familie eingeführt: Die beiden Kinder springen frontal auf die Kamera zu. Die ganze Kassette besteht aus diesen zwei Motiven: Natur- und Fa- milien- respektive Kinderbilder. Eine «überraschende» Einstellung zeigt die Mutter, die den kleineren der beiden Buben zum Pinkeln hochhält. Da sich diese Aktion am Bildrand und teilweise von der Hauswand ver- deckt abspielt, kann man davon ausgehen, dass es sich um einen «Schnappschuss» handelt. Darauf weist auch die spontane Reaktion der Mutter hin, die erst im Verlauf der Aufnahme begreift, dass sie gefilmt wird. Weiter sehen wir (meistens) die Mutter oder (gelegentlich) den Va- ter mit den Kindern an der Stadtmauer spazieren, manchmal mit Klip- pen und Meer im Hintergrund. Am meisten Filmzeit machen aber die mit fixer Kamera aufgenommenen Ansichten von der Brandung aus. Auf vergleichbare Art und Weise mischen sich in den Filmen von Pontresina und Adelboden aus derselben Sammlung touristische Se- henswürdigkeiten mit Familienbildern. Wobei die Familienaufnahmen dominieren: Angehörige und Freunde, Erwachsene und Kinder beim Spazieren, Wandern und Picknicken, bei Tennis und Fussball oder auf dem Spielplatz. Dazwischen ein Schwenk über das Dorf mit pittoreskem 89 Alpenpanorama im Hintergrund; von einer Kuh im Vordergrund auf den Kirchturm oder über die verschneiten Gebirgsketten. Dann Bilder, die beides vereinen: Berge und Familie. Bekannte Gesichter, die auf die Kamera zuwandern, welche so positioniert wurde, dass sie die Wander- gruppe auf dem Gipfel sozusagen empfängt. Schön im Zentrum die Menschen, die sich vom Mittel- in den Vordergrund und auf die Kamera zubewegen, am Horizont das Gebirgspanorama. Vollends dem Familiären verhaftet bleiben die Filme über die Bade- ferien. Nur kurz und selten werden die geografischen oder architektoni- schen Verhältnisse filmisch «erklärt». Zu sehen gibt es vor allem die Familie – beim Baden, Plantschen, Sandburgen-Bauen und beim Sonnen- bad. Es wird posiert, gelacht, Kleider werden an- und ausgezogen, Gri- massen geschnitten. Sehenswürdigkeiten Die am Beispiel von Autosonntag beschriebene direkte Begegnung zwi- schen Touristen und lokaler Bevölkerung sind im untersuchten Zeitraum eher selten. Trotzdem ist auch hier ein changierendes Wechselspiel von Ver- traut- und Fremdheit durchaus konstitutiv: Gefilmt werden vertraute Menschen in unvertrauter Umgebung. Die Frau, die Kinder, aber auch be- freundete Familien und andere Verwandte im gemeinsamen Strandurlaub beim Baden. Das «Fremde» ist, wie in San Fruttuoso, meistens die Land- schaft: Meer und Strand, die Berge, der Wasserfall, die Brandung. Oder die Architektur. Das Andere – die Differenz, der Unterschied – stellt sich über zwei traditionelle touristische Sehenswürdigkeiten her, die auch die häu- figsten Motive auf Ansichtskarten ausmachen: Landschafts- und Architek- turbilder.36 Die Touristen übernehmen oft – bewusst oder unbewusst – die Mo- tiv- und Bildgestaltung von Postkarten für die eigenen Aufnahmen; ihr Sehen ist durch diese Bilder konditioniert (Walter 1995: 220).37 Doch er- schöpft sich die touristische Inszenierung nicht allein in der entsprechen- den Motivwahl; sie ist – wie wir bei Autosonntag gesehen haben – ebenso sehr eine Frage der spezifisch medialen Inszenierung. Paradoxerweise 36 Es fehlt das dritte Motiv: das Brauchtum. Helmut Höge konstatiert nach der Durch- sicht von 15000 überwiegend privat aufgenommenen Dias aus der Nachkriegszeit, dass drei Themenbereiche dominieren, nämlich «unberührte Natur», «unverdorbene Bräuche» und «unvergleichliche Sehenswürdigkeiten» (Höge 1989: 64). 37 Das Zusammenfallen der Phänomene Ansichtskarte und Tourismus vollzieht sich nach Karin Walter erst vollständig mit dem Massentourismus nach dem Zweiten Weltkrieg (Walter 1995: 230). 90 kann im Grunde jede Natur- oder Architekturansicht nur schon da- durch, dass sie gefilmt wird, den Status einer «Sehenswürdigkeit» erhal- ten. Es geht eben nicht allein um ein «Sichtbarmachen des Sehens», wie Sierek den Präsentationsgestus des Familienfilms beschrieben hat, son- dern ebenso um das touristische Bild, das mit diesen filmisch produzier- ten «Sehenswürdigkeiten» gleichzeitig konstruiert, imitiert und perpetu- iert wird. Hans Magnus Enzensberger spricht, wie erwähnt, von «synthetischen» Sehenswürdigkeiten, die für den Tourismus nach Be- darf produziert werden. Dazu gehören auch die vom Touristen selber geschaffenen, gefilmten oder fotografierten Ansichten. Bewegung und Stillstand – Panoramaschwenk und Diashow Abgesehen von der Motivwahl und vom Vorgang des Festhaltens mit der Kamera an sich spielt beim touristischen Film die Frage, wie Bewe- gung ins Bild gesetzt ist, eine wichtige Rolle. Es ist signifikant, dass stati- sche Sehenswürdigkeiten oft mit bewegter Kamera, bewegte Objekte mit statischer Kamera gefilmt werden. Generell findet man bei touristischen Motiven vor allem zwei Arten von Kamerabewegung: den Panora- maschwenk (ein horizontaler Schwenk in der Halbtotalen oder Totalen) und den phantom ride, bei dem die Kamera auf einem beweglichen Un- tergrund steht (diegetische Dollies sozusagen – wie zum Beispiel Autos, Eisenbahnen, Schiffe oder Seilbahnen). Béla Balázs beschreibt den Panoramaschwenk als Bildwechsel ohne Schnitt […] er lässt die Kamera wandern […]. Der Zuschau- er kann den Raum sozusagen mit den Augen austasten. Nichts wird über- sprungen. Das Panorama kann nicht ‹trügen› – wie es der Schnitt kann –, und es ermöglicht dem Zuschauer im Bildraum eine genaue Orientierung. (Balázs 1972: 124, Hervorhebungen im Original) Im touristischen Reisefilm, ob privat oder professionell, wird der Pan- oramaschwenk bevorzugt für Aufnahmen von Gebirgsketten und Glet- scherformationen verwendet; manchmal auch für einen ersten Überblick über einen Ort oder eine Landschaft. Im Kauffilmbestand der Familie U. findet sich ein typischer «Tourismusfilm», in dem exzessiv mit Panora- maschwenks gearbeitet wurde. Nach links und nach rechts wird in Le cascate del Niagara: Il fiume Niagara versa le acque del lago Erie nel lago Onta- rio über die Wasserfälle geschwenkt und die Natur als Spektakel insze- niert. Wer es noch nicht gemerkt hat, dem teilt es ein Zwischentitel mit: Es handelt sich um «…uno dei piu grandiosi spettacoli della natura». 91 Der Panoramaschwenk imitiert zum einen den Sehvorgang: Er lässt den Blick schweifen. Auf der anderen Seite lädt die Bewegung des Schwenks die Landschaft auf und attribuiert ihr damit Bedeutsamkeit. Durch einen Panoramaschwenk findet eine Art Musealisierung der Landschaft statt, indem sie zu sehenswürdigen Ansichten, zu touristi- schen Filmbildern gerinnt. Die Bewegung vermag für kurze Momente Spannung zu vermitteln, da sie mit ihrem Gestus der fortlaufenden Ent- hüllung sowohl Entdeckung wie Überraschung suggerieren kann. Meis- tens bleibt der Schwenk aber in einer Pose des Entzückens stecken, um dem Publikum zu befehlen, beim Betrachten in dasselbe Entzücken zu verfallen wie die filmende Person «Oh, wie schön!».38 Damit hat sich die eigene Reaktion zur Sehenswürdigkeit gewandelt. Wird der Schwenk, wie in San Fruttuoso, immer wieder angehalten, so resultiert eine hybride Mischung aus Diashow und Filmvorführung. Dieses Verfahren der aneinander gereihten Einzelansichten findet sich bei Reiseaufnahmen sehr häufig. In einem deutschen Amateurhandbuch von 1931 ergeht dazu folgender Kommentar: Amateurreisefilme kranken meist daran – das ist in Fachzeitschriften schon oft genug behandelt worden –, dass sie nichts weiter sind als ein Durchein- ander von Postkartenaufnahmen, die, wenn der Film besonders gut gelun- gen ist, mit einigen gelungenen Grossaufnahmen durchschossen sind. (Lange 1931: 33) Was als «Durcheinander von Postkartenaufnahmen» bemängelt wird, bezieht sich auf zwei verschiedene ästhetische Parameter, denen der Amateurfilm offenbar nur selten Rechnung trägt: Das «Durcheinander» spielt auf die fehlende dramaturgische oder erzählerische Struktur an. Im Begriff «Postkartenaufnahme» schwingt implizit der Vorwurf mit, dass es den Filmen an Bewegung mangelt; dass sie der Fotografie ver- haftet bleiben. Oft schwanken Familienfilme tatsächlich zwischen starrer und bewegter Darstellungsweise, doch nur ein essenzialistisches oder normatives Verständnis sieht darin ein Problem im Sinne eines regressi- ven Rückschritts des Mediums. Tatsächlich ist gerade der Schwenk im Familienfilm oft nichts ande- res als bewegte Fotografie. Der durch die Kamera vermittelte Blick glei- tet suchend über die Landschaft, um schliesslich bei der vermeintlich schönsten Kadrage anzuhalten. Das Filmen wird zum fotografischen Suchvorgang, das Anhalten zum Moment des «Abdrückens». Wobei 38 Vgl. Karl Sierek (1990: 160). 92 dem Suchvorgang, der eigentlichen Vorbereitungsphase – und dies ist ganz wichtig –, mehr Zeit eingeräumt wird als dem Bild. Das heisst: Weil die Dauer der filmischen Einstellung nicht mitgedacht wird (ein Bild erscheint auf der Leinwand nur, solang es auch gefilmt wurde – ausser es handelt sich um ein Stehkader), fallen diese pseudofotografi- schen Einstellungen meistens zu kurz aus, um wirklich als Dia oder Fo- tografie zu funktionieren. Bewegung: phantom ride Eine weitere Möglichkeit, die im frühen Reisefilm sehr gerne verwendet wird, um Bewegung ins Bild zu bringen, ist der phantom ride. Die Kame- ra wird in ein Fahrzeug mitgenommen, fährt mit. Diese Variante findet sich in meinen exemplarischen Fallbeispielen nur in einer der beiden Sammlungen. Nur Herr H. – den wir inzwischen als relativ versierten Amateur kennen gelernt haben – hat dieses Verfahren verwendet. Auf der Filmrolle, die mit Zürich 1936 überschrieben ist, finden sich solche phantom rides: Einer entstand bei einem Motorbootausflug. Vater, Mutter und Sohn haben ein Boot gemietet und kurven auf dem Zürichsee he- rum. Gefilmt wurden vor allem die verschiedenen Familienmitglieder, dazwischen finden sich aber auch ein paar vom Seebecken aus aufge- nommene Ansichten von der Stadt Zürich und der Badeanstalt Utoquai, darunter auch eine Aufnahme vom (relativ schnell) fahrenden Boot aus: eine Uferansicht. Spektakulärer – aber nicht unbedingt touristisch – sind die auf einer Achterbahn gedrehten Aufnahmen, die sich auf der gleichen Filmrolle befinden. Die Kamera auf dem Jahrmarkt: Auch dies ist ein typischer phantom ride, wie er in der Frühzeit der Kinematografie beliebt war.39 Touristischer Natur ist wiederum eine Ansicht der Stadt Luzern, die vom fahrenden Auto aus gedreht wurde.40 Ein phantom ride findet sich auch in der Jahresschau 1929/30 II, wo Herr H. Strassenimpressionen von Zürich (General-Guisan-Quai mit Rentenanstalt-Gebäude) vom Auto aus aufge- nommen hat. Für den Familienfilmer ist die Gestaltung eines phantom ride wahr- scheinlich vor allem deshalb schwierig, weil diese Form – um wirklich zu gelingen – einer Vorbereitung bedarf. Dies steht im Widerspruch zur gängigen Praxis des Familienfilms, der spontan entsteht; seine stilisti- 39 Vgl. Lauren Rabinovitz (1998). 40 Diese kommt im zweiten Autosonntag vor, einem Film über einen Ausflug der am 6. Juli 1930 nach Engelberg unternommen wurde. 93 schen Charakteristika (nach Odin die «Figuren des Missratens») resultie- ren gerade aus der Abwesenheit von Planung. Es ist oft nicht nur das erste Mal, dass sich das Gefilmte ereignet; häufig ist die Kamera sogar die erste Instanz, die etwas sieht. Diese Unmittelbarkeit des ersten Blicks ist indirekt auch für das «Durcheinander» der Aufnahmen verantwort- lich, da die Filme meist so vorgeführt werden, wie sie aufgenommen wurden. Sowohl Erzählung wie ästhetische Komposition kommen selten ohne planende Voraussicht zu Stande. Es scheint, als ob ein phantom ride ästhetisch für den durchschnittlichen Familienfilm schon zu anspruchs- voll wäre. Damit meine ich in erster Linie, dass er ein Zuviel an Planung und Entscheidung erfordern würde. Trotzdem wird er zuweilen ver- wendet – nicht zuletzt, weil bis heute keine andere Präsentationsform so stark mit dem Reisefilm in Verbindung gebracht wird wie diese. Im folgenden Abschnitt werde ich anhand von Roncato (1930) – ei- nem weiteren touristischen Film aus der Sammlung H., am gleichnahmi- gen Ort in der italienischsprachigen Schweiz gedreht – das ganze Pro- gramm des touristischen Familienfilms zusammenfassend darstellen. Der touristische Familienfilm als «verbesserter Alltag» Der Tourismus, ersonnen, um seine Anhänger von der Gesellschaft zu erlösen, nahm sie auf die Reise mit. Von den Gesichtern ihrer Nachbarn lasen die Teilnehmer fortan ab, was zu vergessen ihre Ab- sicht war. In dem, was mitfuhr, spiegelte sich, was man zurückgelassen hatte. Der Tourismus ist seit- her das Spiegelbild der Gesellschaft, von der er sich abstösst. – Hans Magnus Enzensberger: Einzelheiten (1969: 199). Wie schon Autosonntag ist auch Roncato mehr oder weniger in sich ge- schlossen. Der Film dauert zirka acht Minuten und wurde in der italie- nischsprachigen Schweiz und in Italien aufgenommen. Er beginnt in Zü- rich auf dem Bahnhof mit Aufnahmen der Eisenkonstruktion des Hallendachs und von Sanierungsarbeiten rund um das Gebäude. Es folgt ein abrupter Wechsel: eine Villa in einer Parkanlage, wahrscheinlich ein Hotel, im Garten wachsen die für das Tessin typischen Palmen. Eine Frau geht auf den Hoteleingang zu; sie hat der Kamera den Rücken zu- gekehrt, läuft von dieser weg, dreht sich plötzlich um und winkt zurück. Es ist Frau H., die in der folgenden Einstellung gemeinsam mit einer an- 94 deren Frau über die Terrasse des Hotels frontal in Richtung Kamera spa- ziert und sich mit ihrem Auftritt der Kamera quasi präsentiert. Die bei- den Frauen defilieren zusammen die Treppe herunter, als seien sie Fotomodelle oder Filmstars, wobei Frau X. der Kamera die Zunge he- rausstreckt und Frau H. (ein bisschen weniger elegant und geschickt in ihrer Performance) ihren Arm um Frau X. legt. Jetzt laufen sie gemein- sam – Arm in Arm – auf die Kamera zu; küssen sich dabei kurz auf den Mund und beginnen zu lachen. Als Nächstes wird ein steinerner Brun- nen mit einer nackten Frauenfigur gezeigt: Als ob es sich um eine be- kannte Sehenswürdigkeit handelte, erklärt die Kamera den Brunnen zu etwas Besonderem. Die beiden Frauen versuchen, sich posierend dazu- zustellen; doch bevor sie sich zusammen mit dem objet du tourisme fil- men lassen können, schwenkt die Kamera über Villa und Garten, um schliesslich eine Schildkröte zu zeigen, die im Brunnen schwimmt. Anschliessend befinden wir uns in einem Auto auf der Anfahrt zur Hafenpromenade von Locarno. Ein erneuter abrupter Ortswechsel führt in den Garten einer anderen Villa, wo Frau H. und eine andere Frau ge- meinsam Fotografien anschauen. Es entsteht der Eindruck, als habe man sich länger nicht gesehen, komme von weit her, habe Bilder mitgebracht (das Anschauen vorführen). Diese Einstellung schafft einen Zusammen- hang zwischen den beiden Frauen. Bis jetzt hat uns der Film – Schauwert um Schauwert – lauter Se- henswürdigkeiten vorgeführt. Es folgt eine Art Schnappschuss, der Frau H. beim Schliessen ihrer Riemchenschuhe zeigt. Diese Einstellung wirkt irritierend (wie schon der spontane Kuss zwischen den beiden Frauen), weil sie so unvermittelt privat ist. Auch in anderen Filmen von Herrn H. fällt seine Vorliebe für Frauenbeine und -füsse auf; (un)verhohlen gibt er damit etwas über sich preis. Der Familienfilmer, so Karl Sierek, macht Bilder, die «Fiktion der Wirklichkeit und Dokument von Imaginärem in einem» sind (Sierek 1990: 150). Das Anziehen der Schuhe sieht wie eine Überleitung aus: Inzwi- schen ist man auf einem Spaziergang. Wieder Palmen im romantischen Gegenlicht der Abendsonne. Und schon befindet man sich erneut in ei- nem Garten, wo Frau H. der Kamera eine Kamelienblüte zeigt; es folgen Blüten in Grossaufnahme, Hausansichten, Margeriten im Garten. Wieder eine Überleitung in Form eines Zwischenschnitts auf einen mächtigen Türklopfer – und man ist in der Villa, die in der Folge mit der Kamera entdeckt wird. Dann treten ein Mann und die beiden Frauen vor das Haus und begrüssen die Kamera, ein Luftkuss zwischen dem unbekann- ten Herrn X. und Frau H. Die Gruppe scheint wie für einen Ausflug zu- rechtgemacht. Der Mann interagiert mit der Kamera: Er posiert zunächst 95 als «starker» Vertreter seines Geschlechts, um anschliessend einen grüs- senden Staatsmann zu mimen. In der Folge verlässt ein Auto das Anwe- sen. Diese Sequenz beginnt, als ob der Kameramann nicht Teil der Handlung wäre – sobald jedoch der Fahrer der Kamera zuwinkt, sind wir wieder im Modus des Familienfilms. Was schon im ersten Auftritt der beiden Frauen spürbar war, scheint sich immer mehr zu verdichten: Viele Einstellungen wurden ab- gesprochen, vielleicht sogar geübt und wiederholt. Im Unterschied zum durchschnittlichen touristischen Familienfilm wurde hier ein «richtiger» Film geplant. Ein phantom ride bringt uns nach Mailand, und es folgt eine typisch touristische Sequenz: Der Mailänder Dom – die Sehenswürdig- keit vor Ort – wird besucht. Herr H. wechselt nun vor die Kamera und posiert kurz mit Frau X. vor dem Dom, während wahrscheinlich seine Frau die Kamera führt. Ganz ähnlich wie in Autosonntag tritt er vor die Kamera, um sich gemeinsam mit den wichtigsten Sehenswürdigkeiten filmen zu lassen. Und schon ist man wieder zurück im Tessin. Nach einem Spaziergang folgt die letzte Episode von Roncato: das Abschiednehmen. Diesem ist eine ganze Sequenz gewidmet, es wird umarmt, geküsst, gewunken und um das Auto herumgestanden. Herr und Frau H. sind reisefertig gekleidet. Und damit ist der Film zu Ende. Die touristische Erfahrung beschränkt sich, wie gezeigt, nicht auf die Konfrontation mit dem «wondrously ‹alien› human», sondern um- fasst ebenso die Begegnung mit fremdartigen Berglern, mit Natur und Landschaft, aber auch mit Architektur. Zentral sind die «Sehenswürdigkeiten», die manchmal nichts ande- res sind als die Empfindungen der Urlauber. Es spielt dabei keine Rolle, ob es sich um vorfilmische oder aber um «synthetische» Sehenswürdig- keiten handelt, die erst durch das Filmen entstanden sind. Besonders be- liebte Verfahren, um solche touristischen Sehenswürdigkeiten, zu beto- nen oder gar zu kreieren, bilden dabei die gemeinsame Einstellung von Person und Sehenswürdigkeit und das Panorama. Die meisten touristischen Unternehmungen sind im Grunde «harm- loser», als Ellen Strain sie beschreibt. Hermann Bausinger hat darauf hin- gewiesen, dass man in der Tourismusforschung lange Zeit zu einseitig auf das Fremde und seine mangelhafte Aneignung und Verarbeitung ge- starrt und darüber vergessen hat, dass im Urlaub auch das Eigene ver- fremdet und damit neu erfahrbar wird: «Der Bezugspunkt des Urlaubs ist immer auch das Zuhause» (Bausinger 1991: 350). Im Grunde ist dieser Widerspruch für die touristische Erfahrung konstitutiv: Es dreht sich al- les ums Weggehen und Dableiben, um das Eigene und das Fremde. Im konkreten Fall ist das Ausmass dieser polaren Strebungen sehr verschie- 96 den (man denke an den Unterschied zwischen einem Kluburlaub am Mittelmeer, Badeferien in der Südsee und einem Individual-Trekking in Nepal). Der Urlaub ist aber nur zum Teil eine Abkehr vom Alltag. Bau- singer bezeichnet ihn deshalb als «verbesserten» Alltag: Das Ziel ist es «abzuschalten»; aber das geht nicht so glatt, wie es der tech- nische Begriff nahelegt. Das Alltägliche wird deshalb auch gar nicht voll- ständig verneint; teilweise sind die Urlauber bestrebt, es gewissermassen in verbesserter Fassung zur Geltung zu bringen. (Bausinger 1991: 351) Besser, schöner, fremder, anders oder einfach besonders und doch ver- traut – das ist die Beschaffenheit der Orte, denen man sich auf Ausflügen und Ferienreisen zu nähern wünscht. In der idealen Kombination von Sich-Entspannen, Sehen und Erleben oder Durch-Erfahrung-Lernen (am liebsten von allem ein bisschen, aber von nichts zu viel) wird der Urlaub zum besseren Alltag. Er lässt sich von diesem unterscheiden, indem er fotografisch oder filmisch verewigt, verfestigt und verfestlicht wird. Eine spezifische Mischung aus Familienaufnahmen und touristi- schen Ansichten prägt diese Filme. Sie sind zunächst und in erster Linie immer Familienfilme: Der eigentliche Bezugspunkt bleibt der familiäre Kreis. 97 Das Kind als Motiv – «Auf schwankenden Beinchen versucht Ihr Kind seine ersten Schritte» Einer der ersten Instinkte der Eltern, nachdem sie ein Kind in die Welt gesetzt haben, war, es zu pho- tographieren; und bei der Schnelligkeit des Wachs- tums erwies es sich als notwendig, es oft zu photo- graphieren, weil nichts vergänglicher und leichter zu vergessen war als ein Kind mit sechs Monaten, schnell ausgelöscht und abgelöst von jenem von acht Monaten und dann von einem Jahr […]. – Italo Calvino: Abenteuer eines Photogra- phen (1957: 77 f.) «Es würde mir gut gefallen, wenn ich schreiben könnte: Am Anfang des Kinos war der Familienfilm», sinniert Eric de Kuyper (1995: 11, Überset- zung durch die Autorin) im Zusammenhang mit den Filmen der Brüder Lumière, die nicht nur in Le repas de bébé einen Darsteller aus der eigenen Familie und ein Sujet aus dem persönlichen Umfeld als Motiv für ihre ersten Filmversuche wählten.41 Versteht man unter einem Familienfilm jedoch einen Film, der nicht nur im Kreise der Angehörigen entstanden ist, sondern sich auch an diese richtet, so kann dieses frühe Beispiel von der «Fütterung» eines Kleinkindes nicht zur Gattung des Amateurfilms gezählt werden.42 In seiner ästhetischen Gestaltung unterscheidet sich Le repas de bébé jedoch nicht von vergleichbaren Aufnahmen im privaten Film, die in fast jedem Familienarchiv zu finden sind. Das Filmen von Kindern ist mit Problemen verbunden, die man mit bestimmten Verfahren der Inszenierung, Präsentation und Beobachtung – geplant oder spontan – zu kompensieren versucht. Anhand der Kin- deraufnahmen lassen sich die unterschiedlichen Zugriffsformen des Fa- milienfilms auf die vorfilmische Wirklichkeit – die ich bei der Beschrei- bung der touristischen Bilder bislang nur am Rande berücksichtigt habe – genauer beschreiben. 41 Das Gebäude, das in La sortie d’usine verlassen wird, ist bekanntlich die Lumièrsche Fabrik für fotografische Technik in Lyon. 42 Die Lumières haben mit ihren Produkten kommerzielle Ziele verfolgt und kamen als Fotoprofis zum Film. In der Rezeptionsgeschichte dieses kleinen Films wird immer wieder darüber debattiert, was überhaupt seine Attraktion für das Publikum ausge- macht habe: das Kind oder die vom Wind bewegten Blätter im Hintergrund. 98 Darüber hinaus bietet sich anhand der Kinderfilme die Gelegenheit, über einen weiteren, bislang nicht diskutierten Aspekt nachzudenken: Abgesehen davon, dass das Filmen mithilft, besondere Erfahrungen zu erzeugen, wie sich am Beispiel der touristischen Bilder gezeigt hat, kön- nen Filmaufnahmen flüchtige in dauerhafte Erfahrungen und individu- elle in intersubjektive und vorzeigbare Erlebnisse verwandeln. Insbeson- dere bei den Kinderfilmen steht die kommemorative und dokumentarische Funktion im Vordergrund. Es geht weniger um eine Verfestlichung als um eine Verfestigung von Augenblicken. Diesen Aspekt will ich am Beispiel des «ersten Mals» (die ersten Schritte, der erste Haarschnitt etc.) und anhand der Inszenierung von Geschenken und Spielsachen ausführen. 99 Augenfällig wird in diesem Kapitel zudem, wie die für den Fami- lienfilm charakteristischen Gestaltungsstrategien mit der konkreten Si- tuation verbunden sind, in der sie entstehen. Es genügt nicht, sich auf die Rezeptionsästhetik zu beschränken: Die Drehsituation selbst muss ebenso ins theoretische Blickfeld treten. Der familiale Aspekt strukturiert nicht nur die Rezeption, sondern bereits den Prozess der Herstellung. Die meisten Familienarchive beginnen wenn nicht mit Bildern der Hochzeit oder der Flitterwochen, mit Aufnahmen von kleinen Kindern oder Säuglingen – das war in den Zwanziger- und Dreissigerjahren nicht anders. Die Kleinen werden zuerst der Kamera (dem stolzen Vater) und dann den Freundinnen und Verwandten auf der Leinwand präsentiert. Kinder bilden in den meisten Familien überhaupt erst den Anlass, fotografische oder kinematografische Apparate anzuschaffen. Italo Cal- vino beschreibt die Fotografierleidenschaft nachgerade als «physiologi- sche Folge der Vaterschaft» (Calvino 1988: 77), und auch in Krzysztof Kieslowskis Amator (Der Filmamateur, Polen 1979) ist die Geburt des ers- ten Kindes für den Protagonisten Grund genug, sich eine Filmkamera zu kaufen. Für Susan Sontag besteht zwischen der privaten Fotografie und der Familiengründung fast ein moralischer Zusammenhang, insofern «keine Aufnahmen von Kindern zu machen – insbesondere wenn sie noch klein sind – […] als Zeichen elterlicher Gleichgültigkeit [verstanden wird], wie es andererseits als Zeichen jugendlicher Auflehnung gilt, sich nicht für ein Examensfoto zur Verfügung zu stellen» (Sontag 1993: 14 f.).43 Abgesehen von der sozialen Verpflichtung, weist Sontag auf einen weiteren Aspekt hin, der sich auch in meiner Untersuchung bestätigt: Mit Anbruch der Pubertät geht die Häufigkeit filmischer Aufnahmen von Söhnen und Töchtern eklatant zurück. Oft bieten Firmung, Bar-Mizwa oder Konfirmation eine letzte formelle Gelegenheit, Bilder von «Kindern» zu machen. Glaubt man den privaten Dokumentationen, so scheint bis in die heutigen Tage die religiöse Initiation rituell die Kindheit zu beschliessen. Die Probleme, die sich beim Filmen von Kindern stellen, hängen zu- nächst von deren Alter ab. Sind sie noch zu klein, um die Kamera be- wusst wahrzunehmen, so gilt es, eine Inszenierungsweise zu finden, die sie überhaupt zu filmwürdigen Sujets macht. Schlafende Säuglinge bie- ten nur bedingt ein interessantes Motiv. Doch sobald Kinder anfangen, 43 Zimmermann zitiert in diesem Zusammenhang die Untersuchung eines Kameraher- stellers von 1954: «Bell and Howell’s internal marketing studies confirmed that photo- graphing children compelled families to purchase amateur-film equipment; typical consumers who had one or two children at the time of purchase shot movies most fre- quently» (Zimmermann 1995: 123). 100 zu kriechen oder zu gehen, wird wiederum das Filmen komplizierter. Noch haben sie kein Bewusstsein für die Situation und bewegen sich deshalb von der Kamera weg oder auf sie zu, befinden sich ausserhalb des Bildes oder verstellen den Blick. Nur selten halten sie die adäquate Distanz zum Aufnahmegerät. Sind die Kinder dann in einem Alter, in dem sie wissen, was es heisst, gefilmt zu werden weil sie nun in der Lage sind, sich auf der Leinwand zu erkennen, und weil sie zudem Er- fahrungen mit der Fotografie gemacht haben –, wollen sie sich von ihrer besten Seite zeigen – oder sie zeigen sich gar nicht mehr. In den untersuchten Filmen lassen sich für alle angesprochenen Probleme Lösungsversuche in Form von inszenatorischen Verfahren und Tricks beobachten. Diese unterschiedlichen Taktiken will ich im Folgen- den eingehender beschreiben, und zwar entlang der verschiedenen Al- tersstufen der Protagonisten. Zunächst möchte ich aber auf zwei überaus typische und charakteristische Motive des Kinderfilms eingehen, an de- nen sich der erinnerungsstiftende und evozierende Charakter dieser Gat- tung gut beschreiben lässt. Kommemorative Kinderaufnahmen Übergangsmomente: Erste Gehversuche, erster Haarschnitt, erster Geburtstag Dass alles im Leben irgendwann zum ersten Mal passiert, ist eine banale Feststellung. Ebenso banal ist die Beobachtung, dass das Abenteuer der Elternschaft auch darin besteht, mit jedem neuen Kind viele Dinge, die man selbst schon einmal erlebt hat, wieder neu zu erleben. Viele Kinder- aufnahmen beruhen auf dem Prinzip des «first-time event» (Chalfen 1987: 77). Vergleicht man das Repertoire solcher Instant-Übergangs- momente, wie sie auch in der privaten Nachkriegsfotografie zu beobach- ten sind, mit denjenigen des Familienfilms der Zwanziger- und Dreissi- gerjahre, so hinkt der Film hinterher. Was Richard Chalfen als typische 101 «first-time event»-Kinderfotografien beschreibt (Chalfen 1987: 76), geht über das hinaus, was sich in den von mir untersuchten Filmen finden lässt. Es sind mir beispielsweise keine Säuglingsbilder bekannt, die im Spital entstanden sind. Auch vom Moment des Nach-Hause-Kommens, wenn die Mutter mit dem Kind auf dem Arm aus dem Auto steigt und ins Haus geht – ein beliebtes Motiv der amerikanischen Familienfotogra- fie der Sechziger- und Siebzigerjahre –, gibt es in meinem Korpus keine Aufnahmen.44 Welche ersten Momente werden in bürgerlichen Familien in den späten Zwanziger- und Dreissigerjahren gefilmt? Äusserst beliebt (und beliebt geblieben) sind, ganz dem Medium entsprechend, die ersten Gehversuche. Ebenso wichtig ist der erste Geburtstag. Kindergeburtsta- ge werden überhaupt gerne dokumentiert, doch darf gerade der erste keinesfalls verpasst werden. Schon spezieller und seltener sind Aufnah- men wie die vom ersten Haarschnitt, die sich in der Sammlung H. fin- den. Dieses Motiv ist mir aus anderen Familienfilmen nicht bekannt. Der erste Haarschnitt mag zwar auch heute noch ein grosser Moment sein, doch geht es nur selten darum, einen «richtigen» Haarschnitt durchzu- führen, wie das für bürgerliche Familien im untersuchten Zeitraum noch durchaus im Zentrum stand. Meistens schneiden Mütter oder Väter die Haare ihrer Kinder ohnehin selber. Nicht so bei «Hasi», dem Sohn der Familie H., dessen erster Haarschnitt auf der gleichen Filmrolle doku- mentiert ist, wie sein erster Geburtstag. In seinem Fall kommt ein Friseur im weissen Kittel zu Besuch, der dem Kind den typischen Knabenhaar- schnitt verpasst. Es ist eine richtiggehende Verwandlungsszene, in der aus dem geschlechtsneutralen Säugling ein kleiner Junge wird. Spielsachen Aus der Geschichte der privaten Fotografie ist bekannt, dass das Ge- schlecht von Säuglingen und Kleinkindern in einer Zeit, wo Mädchen und Buben gleichermassen Röckchen trugen, gerne über Spielsachen oder andere Accessoires ausgedrückt wurde. Einen Jungen fotografierte man mit Spielpferd und Peitsche, ein Mädchen mit einer Puppe (Steiger 1998: 10, 12). Das Fotografieren von Kindern mit Spielsachen legte aber nicht nur das Geschlecht fest – es verlieh auch der sozialen Position der Familie 44 Früher waren die Väter von der Geburt ausgeschlossen und verweilten vor der Tür. Inzwischen haben sie Zugang zum Kreissaal; mit dem Aufkommen der Videotechno- logie beginnen viele Väter, bei der Geburt ihrer Kinder zu filmen. 102 Ausdruck; abgesehen davon, dass vorfabriziertes Spielzeug die Kindheit überhaupt als spezielle Phase darzustellen hilft.45 Angesichts der mir bekannten Familienfilme der letzten achtzig Jahre, komme ich zur Ein- schätzung, dass die Dokumentation und Zurschaustellung von Spielsa- chen im Laufe der Zeit an Bedeutung verloren hat. In den Dreissigerjah- ren war das Motiv aber noch durchaus verbreitet. Zudem: Wer sich in den Dreissigerjahren keine Spielsachen leisten konnte, besass auch keine Kamera und umgekehrt.46 Wie die untersuchten Filme zeigen, wurden die Spielsachen vor al- lem an Weihnachten und an Geburtstagen, aber auch bei ganz alltägli- chen Gelegenheiten richtiggehend vorgeführt.47 Hasi zum Beispiel wird auf dem ersten Geburtstagsfilm zusammen mit seinen Geschenken in- szeniert. Sein Korbstuhl ist nahe ans Fenster gerückt, aus dem Off über- reicht eine Frauenhand lose eingepackte Geschenke: Ein Stoffhase auf Rädern und ein Plüschhund werden von ihm mit Fingern und Mund er- forscht. Dazwischen scheinen ihm die Eltern aus dem Off zuzurufen und zuzuwinken, denn er schaut für einen kurzen Moment in die Kamera 45 In der historischen Forschung wird seit dem Erscheinen von Philippe Ariès’ Geschichte der Kindheit (L’enfant et la vie familiale sous l’ancien régime, 1960) diskutiert, inwieweit die Kindheit eine Erfindung der Moderne sei – so die von Ariès formulierte These. Er behauptet, dass die Kindheit als Schonraum und damit verbunden die Familie als ein auf Emotionen gründender Verbund letztendlich ein Produkt des bürgerlichen Zeital- ters sei: «[…]die Fürsorge für das Kind weckt neue Empfindungen, schafft eine neue Affektivität, die die Ikonographie des 17. Jahrhunderts mit ebensoviel Nachdruck wie Geschick zum Ausdruck gebracht hat: den modernen Familiensinn» (Ariès 1992: 561). Denn bis dahin liess «die Dichte der Geselligkeit […] der Familie keinen Raum. Nicht dass die Familie als erlebte Wirklichkeit nicht existiert hätte, […] sie existierte jedoch nicht als Faktor des Gefühlslebens oder als Wert» (ebd.: 557). Die Kritik an Ariès’ The- se macht sich im Wesentlichen an der Frage fest, ob die vorbürgerliche Familie tat- sächlich in erster Linie ein funktionaler Verband war, und, wie es Ariès behauptet, die Kindersterblichkeit der wesentliche Grund für diesen Mangel an affektiver Hinwen- dung war. Eine kritische Diskussion findet sich bei Hugger (1998). 46 Heutzutage haben Spielsachen ihre soziale Distinktion weit gehend eingebüsst. Man kann aus ihnen eher ideologische Rückschlüsse ziehen, wie im Falle von Kunststoff- spielsachen versus Spielzeug aus natürlichen Materialien. 47 Der Filmemacher Fredi M. Murer nimmt diese Inszenierung von Spielsachen in sei- nem Auftragsfamilienfilm Christopher & Alexandre (CH 1974) auf, vgl. Schneider (1999). 103 und beginnt auch zu winken. In einer weiteren Einstellung sind die Ge- schenke auf einem Korbstuhl vor ihm aufgebaut. Nicht nur diese Auf- nahme, auch die Art der Inszenierung erinnert dabei an den Trophäen- gestus, den ich am Beispiel des touristischen Bilds beschrieben habe. Zu Weihnachten 1934 bekommt Hasi eine elektrische Autorenn- bahn geschenkt, aber vor allem Weihnachten 1936 ist das Fest der Kin- derspielsachen: Da gibt es nicht nur eine elektrische Eisenbahn – auch ein Kindertelefon, ein Holzgewehr und sogar eine funktionstüchtige kleine Nähmaschine finden sich unter den Geschenken.48 Auch in der Familie U. dienen die Weihnachtstage zweimal als Filmsujet. Beide Male wird jedoch nicht die Feier, sondern das Schmü- cken des Baumes festgehalten. Geschenke werden keine gezeigt. Auch in dieser Sammlung werden immer wieder Kinderspielsachen für den Film vorgeführt: sei es der Esel auf Rädern, der öfters gefilmt wird, die Spiel- zeugeisenbahn, die sogar eine eigene Filmrolle mit dem Titel Tschi-Tschi füllt und, wie es scheint, speziell für die Kamera auf einem Tisch aufge- baut wurde, oder das Flugzeug, das man an einer Schnur kreisen lassen kann. «Bürgerlichen Kindern», schreibt der Historiker Albert Tanner, «fehlte es nicht an Spielsachen» (Tanner 1998: 67), war doch die bürgerli- che Familie nicht nur eine «Oase der Harmonie und des Gefühls», son- dern ebenso sehr ein «Hort von Gütern» (ebd.: 70): eine Einschätzung, die Familienfilme aus den Dreissigerjahren bestätigen. Der Familienfilm als Archiv der Kindheit Gerade Filmaufnahmen von Lieblingsspielsachen scheinen noch Jahre später die Erinnerung an vergangene Tage in Gang zu setzen. Plötzlich sieht man sich als Kind auf der Leinwand wieder, mit vielleicht inzwi- schen vergessenen (Ersatz-)Objekten des Begehrens in den Händen. Die weit in die Vergangenheit entrückte Kindheit wird für Sekunden wieder gegenwärtig. Vielleicht ist es die Erinnerung der Eltern an ihre eigene, vergessene Kindheit, die sie dazu veranlasst, unablässig die ersten Jahre ihres Nachwuchses mit der Kamera festzuhalten. Kinderfilme wären demnach Elemente eines Versuchs, dem unausweichlichen und auch notwendigen Vergessen, der «infantilen Amnesie», wie Sigmund Freud sagt, die «für jeden einzelnen seine Kindheit zu einer gleichsam prähis- 48 Im Hintergrund einer Filmaufnahme ist in dieser Sequenz übrigens für einen kurzen Moment ein Stapel 16-mm-Filmbüchsen auf der Anrichte zu sehen; auch gerät einmal eine Filmlampe, die von einem Mann gehalten wird, ins Bild. 104 torischen Vorzeit macht» (Freud 1989: 83), etwas entgegenzustellen. Der Film hilft mit, einen Blick von aussen auf die vermeintlich unschuldige kindliche Wirklichkeit zu werfen, und er vermischt das Gesehene mit der Erinnerung an die eigene Kindheit. Auf diese Weise bezweckt der Familienfilm, aus etwas Flüchtigem etwas Dauerhaftes zu erzeugen. Pa- radoxerweise scheint dies zu gelingen, während der Film gleichzeitig auch dessen Scheitern dokumentiert. Der Familienfilm kann zwar dazu beitragen, Vergangenheit zu evozieren, und er ist in diesem Sinne erin- nerungsstiftend. Zugleich jedoch verweist er auf die Unmöglichkeit, den flüchtigen Moment als solchen festzuhalten. Wie jedes Filmbild sugge- riert auch das private, dass es die Dinge so wiedergibt, wie sie sich vor der Kamera zugetragen haben: Was im Film zu sehen war, erscheint oft real bekannt, selbst erschaut. […] Andererseits sind die medienspezifischen Unterschiede zur Wirklichkeit mindestens ebenso bedeutsam wie die Ähnlichkeiten. Film irrealisiert das Gezeigte und verleiht ihm eine Faszination, die auf die Dinge zurückwirkt. (Brinckmann 1995: 127) Auch wenn die Rezipierenden von Familienfilmen behaupten, dass es genau so gewesen sei, zeigen die Bilder doch eher, wie es hätte gewesen sein können. Christian Metz hat darauf hingewiesen, dass im Grunde je- des filmische Bild auf Grund des Realitätseindrucks, den es erweckt, eine Art Fetisch ist, der an die Stelle eines Objekts tritt und zugleich so wahrgenommen wird, als ob er dieses Objekt auch wirklich sei (Metz 2000: 70). Was für Filmaufnahmen generell der Fall ist, spitzt sich im Fa- milienfilm zu. Der Familienfilm ist nicht nur in der Betrachtung, sondern schon in der Entstehung ein «remodelage de l’histoire antérieure vécue» (Odin 1995b: 32). Der Familienfilm funktioniert zwar als Speichermedium, doch teilt er mit dem Gedächtnis das Prinzip der Auslassung, Idealisie- rung und Stilisierung. Die Inszenierung der eigenen Familie ist nicht nur Dokument, sondern auch Ausdruck von Wunsch und Fantasie. Präsentieren, Inszenieren und Beobachten Das Kind wird der Kamera gezeigt Das ganz kleine Kind wird selten alleine gefilmt; üblicherweise erscheint es zusammen mit Erwachsenen in einer Einstellung. Aufnahmen, bei de- nen die Kamera in Kinder- oder Stubenwagen «blickt» und den liegen- den Säugling filmt, kommen auch vor, sind jedoch seltener. Oft entste- 105 hen sie in Momenten, in denen ein Säugling überhaupt zum ersten Mal gefilmt wird. Häufig handelt es sich dabei auch um Kinder, die nicht zur eigentlichen Kernfamilie gehören – Kinder von Freunden oder Verwand- ten. Auch bei Säuglingsaufnahmen sind gemeinsame Einstellungen be- liebt. Als ob der Gestus, mit dem das Kind präsentiert wird, die Aufnah- me mit einem Ausrufzeichen versehen könnte, scheint diese mitzuteilen: Schaut euch dieses Kind an!. Noch ist alles neu, und so wird es auch in- szeniert: Das Spektakel besteht im Umstand, dass es das Kind gibt. Meis- tens ist es die Mutter, die es in den Armen hält, um es der Kamera (dem Vater) zu zeigen. Ob auf dem Schoss oder auf dem Arm: Es lässt sich un- schwer feststellen, wer im Mittelpunkt steht.49 Als ob die Mutter ihr Glück zuweilen noch nicht fassen könnte, springt ihr Blick unablässig vom Kind zum Vater, weiter zur Kamera und zurück. Diese Blickstruktur macht aus der Mutter-Kind-Dyade eine Triade. Indem der Blick der Mutter hin- und hergeht, sie auf das Kind zeigt oder gar ein Händchen des Säuglings führt, um der Kamera zu zu- winken, wird der Kreis geschlossen und der unsichtbare Dritte (der Va- ter) durch diese augenscheinliche Adressierung «spürbar» gemacht. Aus der Vermutung wird Gewissheit: Die Familie ist vollständig. Was schon in der privaten Fotografie angelegt ist, wenn die Mutter mit Kind zum Fotografen blickt, spitzt sich im Film zu. Der Raum vor dem Bild öffnet sich in Richtung Kamera und Kameraperson, als ob diese mit zur Insze- nierung und zur Diegese gehörten. De Kuyper beschreibt dies folgender- massen: 49 Der französische Historiker Antoine Prost schreibt im Zusammenhang mit dem Wan- del der Intimsphäre und des privaten Lebens zu dem Familienfoto einer Arbeiterfami- lie: «[…]es [gibt] einen König: das Kind auf dem Arm der Mutter» (Prost 1995: 51). 106 Dieser Blick des Familienfilms ist etwas ganz anderes. Dieser Blick geht hinter die Kamera, […] es ist eine wirkliche, physische Kommunikation mit derjenigen Person, welche die Kamera bedient […] es ist ein Dialog. (de Kuyper 1995: 16, Übersetzung durch die Autorin) Diese Idee schlägt sich auch in der Werbung zur Lancierung des Nor- mal-8-Formats von Kodak im Jahre 1932 nieder. Das Bild zeigt Mutter, Kind und (filmenden) Vater in einer an Michelangelos Fresken in der Sixtinischen Kapelle erinnernden Komposition: die heilige Familie, ver- eint und belebt durch die Filmkamera. Ein typischer Säuglingsfilm: Hasi I Hasi I aus der Sammlung H. dient als Beispiel für einen Säuglingsfilm. Es ist anzunehmen, dass es sich dabei um die ersten Aufnahmen des einzi- gen Sohnes handelt. Die Rolle beginnt mit einem Kalenderblatt, auf dem ein alter Stich zu sehen ist, «Zürich um 1850 von der Helmhausbrücke aus, 25. Dezember 1928» (von Hand wurde zusätzlich «Hasi» darauf ge- schrieben). Der Filmer richtet seinen Sohn, der vor dem Haus winter- fest verpackt im Kinderwagen sitzt, für die Kamera her. Eine ältere Frau steht daneben; wahrscheinlich führt zunächst die Mutter die Ka- mera. Der Vater blickt immer wieder zur Kamera, versucht, den Blick von Hasi in dieselbe Richtung zu lenken. Ersterer zieht sich aus dem Bild zurück, erscheint aber sofort wieder, um dem Kind die Strickmüt- ze vom Kopf zu ziehen. In der nächsten Einstellung tritt die Mutter mit Hasi auf dem Arm aus dem Haus; dazu blickt sie lachend zur Kamera. Dann sitzt Hasi wieder im Kinderwagen, die Mutter steht daneben, winkt, nimmt ihn dann auf den Arm und winkt gemeinsam mit ihm er- neut zur Kamera. In der nächsten Sequenz befinden wir uns in einem Innenraum – in der Wohnung der Familie H. Innenaufnahmen sind auf Grund der ho- hen Anforderungen an Material und Technik schwieriger zu realisieren als Aussenaufnahmen. Als versierter Filmamateur weiss Herr H. um 107 diese Probleme und hat deshalb den Stubenwagen mit Hasi ans Fenster gerückt. Damit auch wirklich etwas «passiert», setzt man eine Katze in den Wagen. Das Tier verstellt aber nur den Blick und springt gleich wieder aus dem Bild. Als Nächstes wird versucht, den Säugling aus dem Off mit Spielsachen zu aktivieren. Die Mutter erscheint im Bild mit einer Rassel, dann wird noch einmal die Katze auf einen Stuhl ne- ben den Stubenwagen gestellt. Doch das Kind scheint sich am meisten für seinen Schatten zu interessieren, den es auf das Tuch wirft, das als Sonnenschutz aufgehängt wurde. Auch diese Komposition bleibt unbe- friedigend, weil Hasi sich von der Kamera wegdreht. Noch einmal nimmt die Mutter ihn auf den Schoss und winkt gemeinsam mit ihm der Kamera zu. Auf Grund von Hasis Äusserem ist anzunehmen, dass die dritte Se- quenz am Tag seiner Taufe entstand. Die Mutter präsentiert zunächst das Kind im Vorgarten: ganz in Weiss und festlich hergemacht. Plötzlich steht der Vater daneben. Er postiert sich frontal, zupft am Kind herum und zeigt mit dem Finger in Richtung Kamera: Dorthin musst du schau- en! Es folgt ein für den Familienfilm seltenes Arrangement: die komplet- te Kleinfamilie als Taufbild (eine Drittperson führt die Kamera). Nun nimmt der Vater den Kleinen auf seine Schultern, die Mutter tritt einen Schritt zurück und kreuzt in melodramatischer Stummfilmgeste die Hände vor der Brust, wie wenn sie fragen würde: Sind sie nicht goldig, meine beiden Männer? Dieser in vielerlei Hinsicht typische Säuglingsfilm besteht aus drei Sequenzen, die sich wiederum aus mehreren Szenen und Arrangements zusammensetzen. Hasi I fasst im Grunde das ganze Programm des Fami- lienfilms zusammen: Er dient als Bühne für eine Performance im Sinne Goffmans – also als Bühne für eine Dramatisierung sozialer Rollen – und trägt dazu bei, Herrn H. zu einem Vater, Frau H. zu einer Mutter und Hasi zu einem Sohn zu machen. Gemeinsam werden sie zu einer Fami- lie. Gemeinsamkeit herrscht jedoch nicht nur vorfilmisch im Moment der Aufnahme, sie ist auch auf dem Bild zu sehen, und sie prägt das Erleb- nis, wenn der Streifen auf der Leinwand betrachtet wird. In diesem Sinn 108 haben wir es mit einer doppelten Aufführung zu tun: Die eine gilt der Familie, die andere dem Film. Wenn ich Hasi I als typischen Säuglingsfilm bezeichne, so gilt dies wie- der unter dem Vorbehalt der Einschränkung, dass der Grad der Explizitheit in dieser Filmsammlung überdurchschnittlich ist. Abgesehen von dem «vollständigen» Kleinfamilienporträt, trifft dies vor allem auf die Inszenie- rungsarbeit zu. Damit ist zunächst der Präsentationsgestus an sich gemeint, dazu gehören aber auch die offensichtlicheren Interventionen, mit denen das Kind für die Kamera hergerichtet, animiert und aktiviert wird. Die Inszenierung von Kindern, die krabbeln oder laufen können Sobald Kinder aktiver und mobiler werden, sind sie für die Filmkamera attraktivere Akteure als noch im Säuglingsalter. Jetzt können «richtige» Handlungen gefilmt werden. Gleichzeitig gilt es, die Kleinen nicht nur vor die Kamera zu bringen, sondern auch vor der Kamera zu behalten. Auffallend viele Aufnahmen im Krabbelalter entstehen deshalb in einem Setting, in dem die Kinder in einer bestimmten Position oder auf be- grenztem Raum festgehalten werden. Das Laufgitter ist eine ideale Büh- ne, aber auch die «Fütterung» im Kinderstuhl (wie in Le repas de bébé) oder auf dem mütterlichen Schoss verhindert das Entkommen. Im Kinderfilm tritt das wichtigste inszenatorische Hilfsmittel des Familienfilms besonders häufig in Erscheinung: die Regieanweisung aus dem Off. Da Szenen nur selten vor der Aufnahme mit den Beteiligten be- sprochen, geschweige denn geprobt werden, findet die Regiearbeit wäh- rend der Aufnahme statt. Sie vollzieht sich mittels nonverbaler Zeichen (winken, mit einer Rassel scheppern) oder durch sichtbares Zurufen. Manchmal ist es den Kopf- oder Augenbewegungen der Gefilmten anzu- merken, dass eine Anweisung vorausging. Zwar sind solche Direktiven, so sie von der «Kameraregie» kommen, im Film unsichtbar und unhör- bar, doch lassen sie sich aus den Reaktionen rekonstruieren. Sichtbar werden sie erst, wenn die «Regieassistenz» in Gestalt von Mutter, Tante oder Dienstmädchen im Bild zu sehen ist oder aus dem Off hineinragt. 109 A Star is Born: Inszenierte und sich inszenierende Kinder Sobald Kinder in der Lage sind, während ein paar Sekunden Anweisun- gen Folge zu leisten, werden sie gerne in starren Porträtaufnahmen ge- filmt. Weil das Filmen im Familienzusammenhang schon immer als Er- gänzung zur Fotografie und somit nicht als einziges bildgebendes Verfahren praktiziert wurde, kann man davon ausgehen, dass die Kinder mit dem fotografischen Ritual und seinen Anweisungen zur Bewegungs- auslosigkeit vertraut sind. Das unbewegte Porträtbild hat auch den Vor- teil, dass sich die Selbstinszenierung zu Gunsten der Fremdinszenierung kontrollieren lässt – sobald Kinder anfangen, für ein Publikum zu agie- ren, beginnen sie auch, sich selbst zu inszenieren. Schaut man nun die filmische Weiterführung des fotografischen Posierrituals an, das Vorführen einer bestimmten Handlung, die nach Aufforderung erfolgt, so zeigen sich auch die daraus entstehenden Pro- bleme sehr schnell. Ich meine damit Aufnahmen, bei denen Kinder dazu angehalten werden, auf die Kamera zuzulaufen, etwas zu zeigen, zu winken oder mit dem Dreirad eine Runde zu drehen. Sobald sie bei solchen Szenen in einem Alter sind, in dem sie diese als Filmsituation oder zumindest als Aufführungssituation wahrnehmen, ist der Auf- nahmeprozess davon beeinflusst. Dazu gehören neben den eigentlichen Vorführungen auch Aufnahmen, in denen etwas Besonderes gezeigt wird – ein Spielzeug oder eine Verkleidung –, aber auch solche, in de- nen Kinder als kleine Erwachsene in Erscheinung treten: sei es am Steu- er eines Autos oder bei der Imitation von Musikern und Prinzessinnen. Sie beginnen, sich als «Stars» zu inszenieren oder werden als solche in- szeniert. «Star»- oder «Heldenszenen» sind oft davon geprägt, dass Kinder sich körperlich exzessiv verhalten: Es herrscht Aktion. Wenn Hasi sich auf einer Schaukel wild bewegt (Hasi 14) oder im Bad herumspritzt, so hat dies auch damit zu tun, dass die Kamera zu einer Anerkennungsins- 110 tanz werden kann: Schau Vater, was ich schon alles kann! Die Kamera kann die Hauptfigur für einen Augenblick zum Star und Helden ma- chen, indem sie ihr ungeteilte Aufmerksamkeit zukommen lässt. Dieses Verhalten ist nicht zuletzt oft auch als Reaktion auf ein Schamgefühl zu sehen. Der ungebärdige Körper – dies lässt sich übrigens auch in der Re- zeption des Films feststellen – ist Ausdruck einer Schamlust, die zur ex- hibitionistischen Handlung gehört. Inwieweit solche Starszenen geschlechtsspezifisch codiert sind, lässt sich auf der Basis meines Materials nicht eindeutig beantworten. Augenfällig ist aber, dass sich kleine Mädchen und Knaben gern ge- schlechtsspezifisch verhalten, indem sie die Erwachsenen imitieren50 (Mädchen mit Puppen, Knaben mit Maschinen). Insofern gilt Patricia Erens’ Feststelllung, dass Frauen eher posieren, während Männer ver- mehrt in wilden Aktionismus verfallen, auch für Kinder (Erens 1986a: 21).51 Absorbierende Situationen Um der Selbstinzenierung der kleinen Stars zu entkommen, werden vor- filmische Situationen gesucht, welche die Kamera vergessen machen. Am einfachsten wäre es, die Kinder mit versteckter Kamera zu beobach- ten – also Aufnahmen zu machen, in denen sie nicht auf die Drehsituati- on reagieren können; in denen es vielleicht sogar gelingt, so genannt pri- vate Momente festzuhalten, wo das Kind, mit sich selbst beschäftigt, sich «authentisch» verhält. Dominieren beim Familienfilm generell diejenigen Momente, in denen die Situation des Filmens nicht versteckt und negiert wird, sondern präsent und ausgestellt bleibt, so finden sich in allen Sammlungen auch Aufnah- men, die aus einer (mehr oder weniger getarnten) Beobachtung hervorge- hen. Zwar gibt es dabei immer wieder Schnappschüsse von schlafenden Er- wachsenen (besonders beliebt ist es, jemanden beim Aufwachen zu filmen) oder von solchen, die zumindest so tun, als ob sie die Kamera nicht bemerk- ten. Mehrheitlich stehen in versteckten Beobachtungen aber doch Kinder im Zentrum. Dies mag damit zusammenhängen, dass es gerade für Kinder schwierig ist, während des Filmens so zu tun, als ob sie nicht gefilmt wür- den, oder sich an bestimmte Regeln zu halten. Wenn sich die Erwachsenen endlich einmal für das Spiel des Kindes interessieren, warum soll es dann so tun, als ob sie nicht anwesend wären? 50 Das Imitieren von Erwachsenen beschreibt Patricia Erens (1986a: 21). 51 Auf geschlechtsspezifische Aspekte gehe ich im Performance-Kapitel detaillierter ein. 111 Vor Erfindung der ersten mehr oder weniger lautlosen Kameras und der Zoomlinse in den Fünfzigerjahren ist das Filmen aus dem «Hin- terhalt» auch ein technisches Problem. Trotzdem wird es von Anfang an praktiziert oder zumindest versucht. Die meisten beobachtenden Szenen entstehen, indem sich die Kameraperson versteckt hält oder grosse Dis- tanz zum Geschehen wahrt. Häufig handelt es sich um eine Planse- quenz, in der ein Ereignis in der Totalen kontinuierlich aufgezeichnet wird. Manchmal besteht eine solche Sequenz auch aus mehreren langen Einstellungen, zwischen denen sogar der Standpunkt der Kamera ge- wechselt wird. Das Mass der Unbeobachtetheit hängt aber nicht nur von technischen Parametern ab; entscheidend ist mitunter auch die Situation, in der sich die gefilmte Person befindet. Kinder werden deshalb gerne in absorbierenden Situationen gefilmt, vor allem beim Spielen, wobei offen- bar namentlich bei Wasserspielen eine Form der Involviertheit entsteht, welche die Kamera vergessen macht. Auch Raufereien und andere Situa- tionen, in denen ein hohes Mass an körperlicher Präsenz, Anstrengung oder Konzentration (Malen und Zeichnen) erforderlich ist, haben eine absorbierende Wirkung. Es gibt in der Sammlung U. eine Stelle, in der die beiden Knaben eine Kissenschlacht auf dem elterlichen Bett inszenieren. Der Schau- kampf verwandelt sich schnell in eine «richtige» Schlacht, und die Ka- mera gerät in Vergessenheit. So scheint es zumindest auf den ersten Blick. Plötzlich beginnen die beiden, sich gegenseitig auf den Hintern zu schlagen, und ebenso überraschend zieht der Grössere dem Kleinen die Hosen herunter. Diese Provokation richtet sich indirekt an die Kamera und thematisiert, wie mir scheint, die exhibitionistische Konstellation.52 Wasserspiele – ob in der Badewanne oder am Meer – gehören zu den beliebtesten Sujets des Familienfilms. Schon in der Kinderfotografie kommen Badeszenen häufig vor. Kinder werden nicht zuletzt deshalb gerne beim Baden gefilmt, weil dieses Arrangement eine Art Bühnensi- tuation schafft, zugleich ähnlich wie das Laufgitter eine Immobilisierung leistet und ausserdem die Gefilmten von der Aufnahmesituation ab- lenkt. Abgesehen von den Vorzügen der Disziplinierung und der Ab- sorption der Protagonisten, verfügen die Badeszenen auch über den Reiz der Bewegung. Fliessendes, spritzendes Wasser, aber auch die Bewegung des Körpers nassen Element sind äusserst filmwürdige Motive, wie die «Hasi-Filme» augenfällig belegen. 52 Eine psychoanalytische Deutung würde in dieser Szene die Inszenierung des elterli- chen Beischlafs vermuten. 112 Ein Kind wird gebadet: Hasi 14 (1933) 1929 wird Hasi zum ersten Mal beim Baden gefilmt: Er sitzt in einer Blechwanne, die eigens ans Fenster gerückt wurde. 1933 entsteht ein zweiter Badefilm. Im Unterschied zu vergleichbaren Sequenzen aus an- deren Sammlungen ist die Kamera und mit ihr der Vorgang des Filmens in diesen beiden Szenen äusserst präsent. Zwar kommt es zu Momenten, in denen sich das Kind beim Plantschen, Herumspritzen und Nuckeln an einem Waschlappen vergisst, doch überwiegen die ausgestellten Mo- mente. Dies hängt auch mit der Drehsituation zusammen. Der Drehort ist gut (das heisst unter Beizug zusätzlicher Lichtquellen) ausgeleuchtet, die Einstellungen sind vergleichsweise gross und bewusst komponiert; die Kamera wurde nicht spontan hervorgeholt; die Aufnahmen wirken geplant. Im ersten Beispiel badet und wäscht die Mutter den Jungen, seift ihn ein und kämmt ihm zwischendurch die Haare. Im zweiten Bei- spiel ist Hasi schon grösser; er kann nun schon allein in der Badewanne sitzen. Doch auch in diesem Beispiel blickt er immer wieder zur und in die Kamera, als ob er die Anerkennung des väterlichen Blicks suchen würde. Die Spannung steigert sich zusätzlich, weil er immerfort über- prüfen muss, ob seine «Spritzaktionen« nicht doch zu weit gehen.53 So adressieren die stolze Mutter und das badende Kind auf ähnliche Weise immer wieder Blick und Gunst der Kameraperson. Der zweite Badefilm beginnt damit, dass Hasi aus dem Bademantel und in die Wanne steigt – auch hier ein «richtiger» Anfang (wie in Auto- sonntag). In den Kacheln spiegelt sich die zusätzliche Lampe, die den Drehort Badezimmer voll ausleuchten hilft. Wie wild beginnt der Junge im Wasser Wellen zu erzeugen, rutscht hin und her, dreht und wendet sich. Die Einstellungen sind relativ kurz: Er wäscht sich mit Lappen und Seife, dazwischen immer wieder ein kurzer Blick zur Kamera. Es folgt ein nächstes Showelement: Das Haar wird nass gemacht, dann lässt Hasi sich aus dem Stand ins Wasser plumpsen. War er zu Beginn noch ganz mit sich selbst beschäftigt, zieht er jetzt für den Vater die totale Bade- show ab. Die mediale Rahmung, so viel scheint das Beispiel zu belegen, verstärkt und unterstützt die exhibitionistische Regung. Vielleicht äus- sert sie sich in der Badeszene besonders deutlich, weil der inzwischen Fünfjährige die eigene Nacktheit ambivalent zu empfinden gelernt hat; die Unbefangenheit des kleinen Kindes ist verschwunden. Kulturelle Konnotationen kindlicher Nacktheit mögen im Übrigen mit zur Beliebt- 53 Beim Baden unbeaufsichtigte Kinder richten bekanntermassen immer Überschwem- mungen an; das Wasser scheint die Kontrolle über den eigenen Körper herabzusetzen. 113 heit des badenden Kindes als fotografisches und filmisches Sujet beitra- gen: Nackt kommen die Kinder dem rousseauschen Ideal unversehrter Natur am nächsten.54 Krisensituationen Im Zusammenhang mit dem touristischen Motiv bin ich der Frage nach- gegangen, was im Familienfilm nicht gefilmt wird und was es damit für eine Bewandtnis hat, dass glückliche, ja idyllische Momente überwiegen. Auch bei den Kinderaufnahmen dominieren generell Szenen, in denen die Welt «in Ordnung» scheint. Andererseits gehen Krisensituationen, soweit sie in privaten Filmen überhaupt auftauchen, meistens von Kin- dern aus. Unter Krisensituationen verstehe ich solche, in denen das Filmen an sich kritisch wird, sowie Situationen, in denen gefilmte Personen krisen- hafte Momente durchleben oder diese vorfilmisch produzieren. Gerade bei Kinderaufnahmen finden sich häufig abrupte Unterbrüche und Sprünge in den Szenen, weil Dinge passieren, die das Drehen verunmög- lichen oder von der Kameraperson nicht als filmenswert beurteilt wer- den. Beginnen sich Kinder zu streiten oder werden sie trotzig und bre- chen in Tränen aus, so ist der Kameramann als Bezugsperson gefragt. Dann gilt es, den Apparat wegzulegen und vorfilmisch zu intervenieren. Drohen Situationen zu kippen, wird die Kamera meistens freiwillig, manchmal aber auch, wie es scheint, unfreiwillig abgestellt. Solche Kri- senmomente bleiben jedoch die Ausnahme. Im Grunde vermitteln auch die Kinderaufnahmen den Eindruck, dass die gefilmte Zeit keine Krisen kennt. 54 Interessanterweise habe ich in meinen Beispielen kaum Nacktaufnahmen von Er- wachsenen gefunden, obwohl die private Pornografie immer schon ein wesentlicher Bestandteil des privaten Films war. 114 Beobachtung versus Katalyse Kommen wir auf die zweite Badeszene zurück. Es handelt sich dabei nur noch in wenigen Augenblicken um einen beobachtenden Film: Inszenie- rung und Darbietung dominieren. Die Kamera wird zu einem Katalysa- tor des Verhaltens. Habe ich die Wasserszenen zunächst ganz allgemein als Situationen beschrieben, in denen die absorbierende Kraft des Spiels meist etwas vom «Wesen» der Person enthüllt, so gilt es, diese Aussage nun zu präzisieren. Effekte der Enthüllung entstehen im Familienfilm auf zwei Arten: als private Momente, in denen die gefilmte Person in ei- ner «öffentlichen» Situation vergisst, dass sie beobachtet wird, und als Momente der Konfrontation mit der filmischen Situation, die immer auch eine familiäre ist. Es handelt sich um zwei Varianten des Zugriffs auf eine vorfilmische Wirklichkeit, die sich als nicht intervenierende Be- obachtung respektive katalytische Konfrontation mit der Aufnahmesi- tuation beschreiben lassen. Bei der ersten Variante steht der Wunsch im Vordergrund, dass sich die Gefilmten so verhalten, als gäbe es keine Ka- mera; bei der zweiten Variante entsteht die gefilmte Situation gerade da- raus, dass die Kamera anwesend ist und als solche wahrgenommen wird. Zur zweiten Variante wären demnach auch explizite Fiktionalisie- rungen zu zählen, in denen eine Art Familienspielfilm inszeniert wird.55 Die beiden Varianten – nicht intervenierende Beobachtung und katalyti- sche Konfrontation mit der Aufnahmesituaiton – sind als Idealtypen zu verstehen; die meisten Aufnahmen changieren zwischen diesen Regis- tern. In dieser Unterscheidung klingen Bill Nichols’ (1985 und 1989) Ka- tegorien des beobachtenden und des interaktiven dokumentarischen Modus an, die er anhand des amerikanischen Direct Cinema und des französischen Cinéma Vérité entwickelt hat.56 Es geht mir dabei nicht um einen historischen Vergleich. Die filmischen Methoden, die Nichols un- tersucht, stammen aus den Sechzigerjahren – die hier untersuchten Filme aus den Dreissigern, sodass sich die Frage nach dem historischen Zu- sammenhang letztlich gar nicht stellt. Vielmehr geht es darum, aus der Perspektive des Herstellungsprozesses verschiedene Verfahren des Fa- milienfilms zu beschreiben und damit an einer Binnendifferenzierung der Gattung zu arbeiten. 55 Auch wenn in meinem Sample die Variante des Familienspielfilms, in dem man eine fiktionale Handlung inszeniert, nicht vorkommt, so bleibt auch dieser unter kommu- nikationstheoretischen Gesichtspunkten immer ein Familienfilm. Beschreibungen zu Spielfilmen finden sich bei Kleinhans (1986), Kuball (1980) und Roepke (2003). 56 Zur Kritik an Nichols’ Modell vgl. Christof Decker (1998). 115 Um zu seiner Unterscheidung zu gelangen, untersucht Nichols in wirkungsästhetischer Perspektive die unterschiedlichen Darstellungs- und Anspracheformen der genannten Dokumentarfilme, die Art und Weise, wie sie ihr Publikum adressieren. Schaue ich von aussen auf ein in sich – mehr oder weniger – geschlossenes Universum, bei dem ich als Zuschauerin nicht direkt adressiert werde (beobachtender Modus), oder werde ich verbal oder visuell direkt angesprochen (expositorisch, inter- aktiv, selbstreflexiv)? Obwohl beim Familienfilm der Ton in der Aufnah- me wegfällt und damit die Möglichkeit der direkten Ansprache nicht ge- geben scheint, lässt sich eine solche Unterscheidung auch für Familienfilme treffen. Das Filmmaterial wird bei der Vorführung kom- mentiert, ob von einer Person oder mehreren, und obwohl die Kommen- tarstimmen nicht zum Filmtext gehören, sind sie doch Teil dessen, was man den Aufführungstext nennen könnte. Deshalb scheint es mir legi- tim, auch für den Familienfilm die Möglichkeit der direkten Ansprache mit zu bedenken. Dies gilt umso mehr, als der Familienfilm auch den personalisierten Kamerablick kennt, der in den meisten Dokumentarfil- men so nicht vorkommt.57 Der Eindruck einer Adressierung des Gefilm- ten stellt sich im Familienfilm dann ein, wenn der Kamerablick «perso- nalisiert» ist, wenn der Eindruck entsteht, mimetisch den Blick einer Person nachzuvollziehen. Ob nun die nicht intervenierende Beobachtung oder die katalyti- sche Konfrontation mit der Aufnahmesituation überwiegt: Wichtig scheint mir die Beobachtung, dass der Familienfilm einen Versuch dar- stellt, unter Aufbietung filmischer Verfahren verschiedene Zugriffe auf die vorfilmische Wirklichkeit zu erproben. In ihrer jeweiligen Ausfor- mung lassen sich diese Zugriffe auf verschiedene Einflüsse, Anregungen und Vorbilder zurückführen: auf Hinweise aus Anleitungsbüchern für den Amateur, auf Inspirationen durch professionelle Filme, die man aus Heimkino und Kinobesuch kennt; aber auch auf Lektionen, die der Fil- mer aus anderen privaten Filmen lernt und aus eigenen Erfahrungen mit der Fotografie bezieht. Der Familienfilm lässt sich demnach nicht von den Bildern, Vorstellungen und Erfahrungen trennen, in deren Kontext er entsteht. Was ich bei den touristischen Aufnahmen anhand eines kon- kreten Beispiels aufzeigte, bestätigt sich auch für die Kinderaufnahmen: Der Familienfilm ist eine spezifisch filmische Diskursform, die sich in 57 Für den Dokumentarfilm wäre dies untersuchungswürdig: Speziell bei so genannten Kamerafilmen oder bei Beispielen, in denen die Kamera durch die Situation spürbar wird (wenn die Person hinter der Kamera angegriffen wird oder ohne Steadicam zu Fuss geht etc.). 116 der Praxis in entsprechenden Verfahren und in Vorlieben für bestimmte Motive und Situationen niederschlägt, sich mit einer Reihe von anderen visuellen Diskursen verschränkt, und deren Reiz nicht zuletzt in der Er- probung von Verfahren besteht, die anderen Diskursen entlehnt sind. Wie beim Dokumentarfilm entspringt auch die Beobachtung im Fa- milienfilm dem Wunsch, möglichst dicht an die «unbeeinflusste» Reali- tät heranzukommen sowie möglichst spontane und wirklichkeitsnahe Momente einzufangen. Verfestlichung und Verfestigung Obschon die private Fotografie wie auch der Film weniger stark formali- siert sind als die Familienchronik, dokumentieren auch sie Entwicklun- gen. Auch Fotografie und Film sind an der kulturspezifischen Struktu- rierung und Überlieferung des Lebenslaufs beteiligt. Bei den Kinderaufnahmen zeichnet sich ein ähnliches Muster ab wie bei den Fe- rien- und Reiseaufnahmen: Auf den ersten Blick Alltägliches wird durch das Filmen zu etwas Besonderem und Speziellen. In der vorfilmischen Auswahl der Motive und durch das Drehen werden Ereignisse in dop- pelter Weise verfestigt (das Moment der Dauerhaftigkeit) und verfest- licht (das Moment der Besonderheit). Das Entzücken des Augenblicks wird in seiner Aufzeichnung potenziert; aus einem subjektiven Eindruck wird etwas intersubjektiv Vermittelbares (das Moment der Vorzeigbar- keit). Die Kinderaufnahmen verweisen aber noch auf einen weiteren Aspekt des Familienfilms: auf seine kommemorative Funktion. Meine Analyse der Kinderaufnahmen deutet darauf hin, dass man im Hinblick auf deren kommemorative Funktion gerne auf vorfilmische Situationen zurückgreift und mit Vorliebe Inszenierungen wählt, die eine Art Bühnenraum schaffen. Der Idealfall wäre ein nach allen sechs Seiten begrenzter Bühnenkubus, der sich zudem durch eine Art Proszenium ex- plizit vom Raum unterscheidet, in dem sich die Kamera befindet. Nur so könnten die Kleinen problemlos in ihrem Tun aufgezeichnet werden. Be- ginnt der Familienfilmer also strukturierend auf die vorfilmische Situati- on einzuwirken, so greift er auf das nahe liegende Modell eines Bühnen- settings zurück, das aus dem Theater vertraut ist. Dort, wo im Theater das Publikum sitzt, befindet sich aber im Kinderfilm die Kamera, die in- des manchmal auch mit dem Publikum gleichzusetzen ist (wenn das Kind eine Show für den filmenden Vater abzieht). Die analysierten Bei- spiele legen den Schluss nahe, dass unabhängig von der räumlichen Si- tuation Inszenierungsweisen bevorzugt werden, in denen die Darstellen- den möglichst frontal zum Publikum (zur Kamera) hin agieren; zugleich 117 aber auch Situationen, in denen sich die Gefilmten ungeachtet der Künstlichkeit des Arrangements möglichst «natürlich» und «authen- tisch» verhalten, als ob es sich gar nicht um eine Aufführung handelte. Sie sollen möglichst wie immer agieren und sich gleichzeitig von ihren besten Seiten zeigen. Augenfällig ist bei den Kinderaufnahmen, wie stark die paradigma- tischen Gestaltungsstrategien des Familienfilms mit der konkreten Ent- stehungssituation verbunden sind. Es reicht also nicht aus, diese allein aus der Rezeption heraus verstehen zu wollen und ihre Analyse, wie Ro- ger Odin vorschlägt, auf den Bereich der Rezeption zu beschränken: Die Drehsituation zählt ebenfalls. So, wie der familiale Aspekt die Rezeption strukturiert, beeinflusst er bereits den Prozess des Filmens. 118 119 3. Die Performance als Schauwert: «Suchen Sie nach einem Filmstar in Ihrer Familie!» [The camera] presence transforms the people it be- holds into actors standing in sets, posing with symbolic props, the whole scene a private allegory of love. – Michael Lesy: Time Frames: The Meaning of Family Pictures (1980: XV). Seit Erving Goffmans The Presentation of Self in Everyday Life (1959) ist die Feststellung, dass wir in unserem Alltag unablässig Theater spielen, zu einem Allgemeinplatz geworden. Doch was bedeutet es, wenn wir im «Alltag Kino zu spielen» beginnen? Wie verhalten sich Menschen vor der Kamera? Was passiert, wenn ihr Tun plötzlich von einer medialen Si- tuation gerahmt wird? Was bringt sie überhaupt dazu, sich vor der Ka- mera verhalten zu wollen? Wie ich am Beispiel der Kinder- und Ferienaufnahmen gezeigt habe, hängt die Entstehung eines Familienfilms immer damit zusam- men, dass ein bestimmter Anlass, eine bestimmte Situation als «filmwür- dig» empfunden wird. Sobald die Kamera läuft, wird im Familienfilm agiert und vorgeführt; man beginnt, sich mittels Mimik, Gestik und über Blicke zu präsentieren, oder verweigert sich der Inszenierung. Dieses Kapitel befasst sich mit der Lust am Gefilmtwerden, aber auch mit der Weigerung, gefilmt zu werden. Es geht um Fragen der Selbstdarstellung und Performance1 im Familienfilm. Auf Grund der technischen Gegebenheiten musste in den Dreissi- gerjahren bei der Filmaufnahme weit gehend auf den Ton verzichtet werden. In einer Zeit, in welcher der Tonfilm schon in den Kinos Einzug gehalten hatte, beschränkte sich die Performance im privaten Film wei- 1 Ich werde im Folgenden den ursprünglich englischen (im neuen Duden eingedeutsch- ten) Begriff der Performance verwenden. Wörtlich ins Deutsch übersetzt, bedeutet «Perfomance» «Erfüllung», «Ausführung«, «Leistung», «Vorstellung» oder «Auf- tritt». Ich verwende ihn jedoch im goffmanschen Sinne als «wahrgenommene Darstel- lung oder Darbietung». 120 terhin im Wesentlichen auf den Körper und sein Ausdrucksverhalten. Im Folgenden möchte ich die (Körper-)Performance der verschiedenen Akteure untersuchen, die sowohl vor wie hinter der Kamera beteiligt sind: also die Performance der Kameraperson, die den Film aufnimmt, ihn eventuell montiert und später auch im Kreise der Familie vorführt, ebenso wie diejenige der Darsteller, die vor der Kamera handeln, biswei- len mit der Kameraperson interagieren und später zusammen mit ihr auch das Publikum bilden. Ich werde eine kurze Diskussion über den Stellenwert der Perfor- mance in der Filmtheorie vorausschicken, um dann ein Konzept von Performance im Familienfilm zu formulieren, das mir erlaubt, das Dar- stellungs- und Darbietungsverhalten vor der Kamera präzise zu analy- sieren. Es geht darum, ein Begriffsrepertoire zu entwickeln, mit dessen Hilfe so etwas wie eine Grammatik des körperlichen und mimischen Ausdrucksverhaltens beschreib- und systematisierbar wird. Im Unter- schied zum Dokumentarfilm fallen hier Produktionsgemeinschaft, Ge- genstand und Publikum zusammen; der Familienfilm stellt also eine kul- turelle Praxis dar, die von der Produktion über die Postproduktion bis zur Rezeption in einem gleich bleibenden relationalen Gefüge handeln- der Personen erfolgt. In diesem Gefüge nimmt die Kameraperson eine privilegierte Position ein. Wie wir sehen werden, bilden diese beiden Merkmale – einheitliches relationales Gefüge und privilegierte Position der Kameraposition – wichtige Faktoren in der Bestimmung der Perfor- mance-Spezifik im Familienfilm. Zu einer Terminologie der filmischen Performance Gestik und Mimik, Posen und Attitüden, Aus- drucksgebärde und pantomimisches Spiel: Der Zu- schauer des stummen Films muss den Körper des Schauspielers regelrecht «entziffern», will er dem Geschehen auf der Leinwand folgen. – Frank Kessler: Lesbare Körper (1998: 15). Noch bevor Schauspielerei und das Verhalten allgemein vor der Kamera in der Filmwissenschaft zum Thema wurden, setzten sich Disziplinen wie Soziologie und Ethnomethodologie mit der Frage nach der Perfor- mance auseinander. Das Hauptaugenmerk galt dabei weniger medialen Zusammenhängen als den Rollenspielen des Alltagslebens. Erving Goff- man, Pionier in diesem Feld, untersucht in seinen Arbeiten aus den Sech- 121 ziger- und Siebzigerjahren, wie später auch Victor Turner (1989), alltägli- ches Handeln mithilfe von dramatischen Konzepten und Erkenntnissen aus der Theatertheorie. Symbolischer Interaktionismus und Ethnome- thodologie haben es sich zur Aufgabe gemacht, menschliches Handeln unter den Gesichtspunkten von sozialen Darstellungs- und Wahrneh- mungsprozessen zu beschreiben.2 Sie gehen davon aus, dass das Han- deln und Verhalten auf einem kulturell codierten und tradierten Zei- chensystem basiert, um dessen Rekonstruktion sie sich bemühen. Ganz allgemein lässt sich festhalten, dass in der alltäglichen Face- to-face-Interaktion mithilfe von sprachlichen und nicht sprachlichen, mimischen wie gestischen Zeichen kommuniziert wird. Ob dabei die Kommunikation gelingt oder missrät, hängt im Wesentlichen von der Performance des Darstellenden und deren Wahrnehmung durch das Ge- genüber ab. Unter einer Performance versteht Goffmann «the activity of an individual which occurs during a period marked by his continuous presence before a particular set of observers and which has some influ- ence on the observers» (Goffman 1959: 22). Die alltägliche Performance unterscheidet sich von der theatralischen oder filmischen insofern, als sie nicht folgenlos, also nicht ausschliesslich Spiel, sein soll. Auch ist die Rollenverteilung im Alltag meistens fliessend: Bald bin ich Darstellende, bald Publikum. Unabhängig davon, ob sie alltägliches Darstellen oder fiktionales Rol- lenspiel behandeln, gehen die meisten Theorien der Performance davon aus, dass es ohne «Vorstellung» keine Darstellung geben kann (Carlson 1996: 15). Der Zuschauende vergleicht das Verhalten von Darstellenden im- mer mit einer Vorstellung davon, wie dieses Verhalten aussehen sollte – sei es mit einem Modell der Kommunikation, einem Ideal des Verhaltens oder einem Drehbuch. Aus diesem Grund involviert nach Marvin Carlson jede Performance ein doppeltes Bewusstsein, durch welches die Handlung men- tal mit einem potenziellen Modell dieser Handlung verglichen wird. Nor- malerweise nimmt ein aussen stehender Beobachter diesen Vergleich vor. Im Extremfall kann aber auch der Darstellende sein eigenes Publikum sein. Das bedeutet jedoch nicht, dass eine Performance auch ohne Zuschauer stattfinden könnte. Vielmehr richtet sich jede Performance an ein Publikum, das diese als solche erkennt und validiert (Carlson 1996: 5 f.). Das gilt auch für Performances in Abwesenheit eines manifesten Publikums: Richten sich diese doch immer an einen imagniären Adressaten. Wie Goffman schon zeigte, unterteilt sich der symbolische Ausdruck eines Verhaltens deshalb 2 Die Ethnomethodologie geht auf Harold Garfinkel (1967), der symbolische Interaktio- nismus auf George Herbert Mead (1973) zurück. 122 immer in eine Darstellung und die Wahrnehmung derselben. Diese Doppel- heit bildet die Voraussetzung dafür, dass wir in sozialen Situationen über- haupt in der Lage sind, das Verhalten unseres Gegenübers zu interpretieren. Personen, die miteinander interagieren, geben durch ihre Darstellung ein Bild von sich, während sie zugleich unablässig damit beschäftigt sind, die Darstellungen der anderen zu entziffern (Müller 1999: 86). Wie in allen medialen Situationen, in denen jemand auch sich selbst spielt, kommt im Familienfilm eine weitere Ebene hinzu. Gehen wir aus von der Interviewsituation am Fernsehen: Ein Interviewer und sein Ge- sprächspartner unterhalten sich. Die Kamera (beziehungsweise das Dis- positiv der Aufzeichnung) beobachtet das Gespräch und nimmt in ge- wisser Weise diejenige Position ein, der in Carlsons Modell des doppelten Bewusstseins die individuelle Selbstbeobachtung der Ge- sprächspartner entspricht. Gleichzeitig öffnet die Kameraposition die In- teraktion auf eine dritte Instanz hin. Die Darstellung der Interagierenden gilt nun nicht mehr nur dem jeweils anderen, sondern auch – und in ers- ter Linie – dem dritten, nicht intervenierenden Beobachter. Wie man weiss, werden für Fernsehinterviews in der Regel Vorgespräche geführt. Gleichwohl geben sich die Gesprächspartner vor laufender Kamera in der Regel so, als würde sich ihre Unterhaltung spontan entwickeln. In dieser Komplizität zwischen Interviewer und Interviewtem, dem mitein- ander geteilten Bewusstsein, dass man für einen Dritten spielt, liegt die zweite Doppelung der Performance in der medialen Situation. Im Familienfilm erhält die zweite Doppelung der Performance, die durch die mediale Rahmung entsteht, ein besonderes Profil. Wie ich ein- gangs festhielt, findet das Darstellungsverhalten hier innerhalb eines ein- heitlichen relationalen Gefüges statt, das die gesamte Praxis des privaten Films trägt. Darsteller und Publikum sind damit im Wesentlichen iden- tisch. Ferner ist die Interaktion mit der Kamera oder das Agieren für die Kamera immer auch eine Interaktion mit der Kameraperson, die ihrerseits innerhalb dieses relationalen Gefüges steht. Hinzu kommt schliesslich eine Doppelung der medialen Rahmung an sich. Die Kamera zeichnet nicht nur Verhalten auf; ihre Anwesenheit bewirkt zugleich, dass die Fa- milienmitglieder nicht nur Familie für die Kamera sind oder spielen, son- dern auch «Kino machen», also die Kamera als Filmkamera adressieren. Die Performance im Familienfilm spielt sich, so gesehen, auf drei Ebenen ab. Eigentlich soll man zur Hauptsache «sich selbst» bleiben und nicht etwas vorgeben. Unweigerlich wird aber auch dort, wo man «sich selbst» sein soll, gespielt; soziale Rollen erfahren eine Dramatisierung und Zuspitzung. Schliesslich schafft die zusätzliche mediale Rahmung «Wir machen Kino» einen Raum für blosses Spiel. Als Akteur ist man 123 sich also nicht nur seiner eigenen Performance bewusst. Man teilt sich mit den anderen Familienmitgliedern, wie der Interviewte am Fernsehen mit dem Interviewer, das vorgängig mitgeteilte Bewusstsein, dass man für eine Kamera agiert. Die Öffentlichkeit, für die man sich darstellt, ist aber zugleich privat, fällt sie doch vorzugsweise mit dem Kreis der betei- ligten Akteure zusammen. Innerhalb dieser privaten Öffentlichkeit si- muliert man wiederum ein Bewusstsein für die virtuelle Öffentlichkeit des Kinos, für das Publikum, das einen sähe, wenn das «Kinospiel», das man vor der privaten Kamera treibt, tatsächlich Kino wäre. Der Alltag im Familienfilm ist deshalb zugleich vorfilmische Situation, also «All- tag», dann aber auch die Darstellung von Alltag und schliesslich auch – zumindest teilweise – Bühne für blosses Spiel, «Kino»: hier die Kamera, dort die Stars; hier das Publikum, dort die Gefilmten. Um die verschiedenen Dimensionen zu beschreiben, die in eine ein- zelne Performance einfliessen, braucht es eine Typologie, die eine be- griffliche und analytische Auffächerung in eben diese unterschiedlichen Darstellungs- und Darbietungsdimensionen erlaubt. Diese Typologie muss dem Umstand Rechnung tragen, dass die Performance im Fami- lienfilm eine komplexe Kombination von alltäglicher und ausseralltägli- cher medialer Selbstdarstellung ist, in der sich die Übergänge zwischen Alltags- und Bühnenperformance zuweilen vermischen. Performance als filmtheoretisches Problem Im Unterschied zur alltäglichen ist die nicht alltägliche Performance – sieht man einmal von den szenischen Künsten Theater und Ballett ab – bislang nur punktuell untersucht worden. Theoretische Diskussionen über Perfor- mance im Film konzentrieren sich in der Regel auf Spielfilme.3 Die meisten Studien zum Thema, die hauptsächlich aus der Forschung zum frühen Kino stammen, befassen sich überdies eher mit Fragen des Schauspielstils, etwa mit dem Problem der Pantomime in ihrem Verhältnis zur frühen Filmschauspielerei, als mit dem theoretischen Problem der medial gerahm- ten Performance.4 Die Performance in nichtfiktionalen medialen Formaten in Film und Fernsehen ist hingegen noch kaum systematisch untersucht worden. Dies lässt sich auf verschiedene Gründe zurückführen: Zum einen ist es generell schwierig, für nicht-sprachliches Darstellungs- und Aus- drucksverhalten eine Beschreibungsterminologie zu entwickeln, die den 3 Der Versuch, Goffman auf den Spielfilm anzuwenden, findet sich bei Grahame F. Thompson (1985). 4 Vgl. dazu Roberta Pearson (1992), Jon Burrows, Ben Brewster (2003). 124 Verbindlichkeitsansprüchen der etablierten Wissenschaft genügt. Zum an- deren – und damit wohl in einem uneingestandenen Zusammenhang ste- hend – billigten die beiden lange Zeit dominierenden filmwissenschaftli- chen Ansätze, die Filmsemiologie und die neoformalistische Schule, dem Filmschauspiel im Vergleich zu anderen relevanten Parametern wenig be- deutungsstiftendes Potenzial zu. Da die Filmperformance nie durch die Arbeit der Schauspieler allein zu Stande kommt, sondern ebenso ein Effekt der Kamera und des Schnitts ist, und da sie in einzelne Einstellungen frag- mentiert und diskontinuierlich ist, wird sie für den Signifikationsprozess als «unbedeutend» eingeschätzt. Barry King formuliert dies folgendermas- sen: «[…]the formative capacity of the medium can […] confine the actor more and more to being a bearer of effects that he or she does not or cannot originate» (King 1985: 32). Wie problematisch eine solche Blickverengung ist, zeigt sich nicht zuletzt im Fall des Dokumentarfilms, aber auch des Familien- films. Zumindest auf den ersten Blick gibt es bei beiden keine Inszenierung und damit auch keine schauspielerische Darstellung. Dies bedeutet aber nicht, dass sich das Problem der Performance nicht stellt. Im Gegenteil: Ge- rade an diesen beiden Formen des Films zeigt sich, dass das Ausdrucksver- halten der Gefilmten in jedem Fall bedeutungskonstitutiv ist. Richard Maltby schlägt im Zusammenhang mit dem Starschauspiel die Unterscheidung zwischen einer «integrierten» und einer «autono- men» Performance vor (Maltby 1995: 249). Die integrierte Performance ist eine Darstellungsform, die sich nahtlos in die Narration des Films ein- gliedert und sich den Zielen der Erzählung dienstbar macht. Als autono- me Performance hingegen bezeichnet Maltby einen Schauspielstil, der sich selbst geltend macht und sich damit zur Erzählung autonom ver- hält: einen Stil also, bei dem Spektakel, Exzess und die technische Fertig- keit des Schauspielers im Vordergrund stehen. In Anlehnung an James Naremore (1988) spricht Maltby im Zusammenhang mit der autonomen Performance von «presentation», was mit «Darbietung» übersetzt wer- den kann (Taylor 2002: 270). Die integrierte Performance hingegen nennt er «representation», also «Darstellung» (ebd.). Der repräsentierende Stil zielt auf Unsichtbarkeit des Ausdruckshandelns und folgt der Motivat- ion der Figur. Nicht nur steht bei der Darstellung im Unterschied zur Darbietung die Erzählung gegenüber der schauspielerischen Darstellung im Vordergrund. Auch die Psychologie des Charakters hat bei der inte- grierten Performance ein grösseres Gewicht als bei der autonomen. 5 5 Roberta E. Pearson (1992) unterscheidet in ihrer Studie zum Darstellungsstil der Bio- graph-Filme in den Zehnerjahren zwischen einem «histrionic» und einem «verisimilar code», zwischen einem übertreibenden und einem naturalistischen Stil. 125 Diese beiden unterschiedlichen Performance-Stile charakterisieren nicht nur das amerikanische Starschauspiel. Sie entsprechen im Wesent- lichen auch dem Gegensatzpaar zwischen einem «naturalistischen» und einem «antinaturalistischen» Stil, mit dem Jerome U. Butler (1991) die unterschiedlichsten Schaupielansätze zu klassifizieren versucht. Nach Henry Taylor kann dieses binäre Schema auch zur Unterscheidung von Innen und Aussen verstanden werden: «Naturalisten» (oder «Realisten») streben […] nach einem Spielen von in- nen nach aussen; dem liegt die Konzeption der Veräusserlichung (im Ver- halten) von inneren Gemütszuständen zu Grunde. […] «Naturalisten» le- gen Wert darauf, dass die SchauspielerInnen sich so weit in ihre Parts einleben und einfühlen, dass sie die jeweilige Figur «nachleben» oder – wie beim freudianischen Konzept Strasbergs – versuchen, eine vergleichbare Emotion aus der eigenen Biographie «hervorzuholen». (Taylor 2002: 272) Im Unterschied dazu tendieren bei den «Anti-Naturalisten» die «Schau- spielstile eher von aussen nach innen zu operieren». Ihnen geht es «um eine Formalisierung und Kodifizierung darstellerischer Techniken» (ebd.). Es stellt sich nun die Frage, inwiefern solche Kategorien der Analy- se von Schauspielstilen zum Verständnis der nicht fiktionalen Perfor- mance beitragen können. Eine der wenigen filmwissenschaftlichen Arbeiten, die sich explizit mit der nicht fiktionalen Performance ausein- ander setzen, ist Thomas Waughs Aufsatz Acting to Play Oneself (1990). Waugh versucht eine historische Verortung verschiedener performativer Stile im dokumentarischen Schaffen seit Flahertys Nanook of the North (USA 1922) zu leisten. Interessanterweise stellt er in seinen Überlegun- gen keinen Bezug zu Naremores Ausführungen her, obwohl er ebenfalls auf die Unterscheidung von repräsentierendem und präsentierendem Stil zurückgreift, die dieser verwendet. Waughs Aufsatz beginnt mit der Diskussion eines Texts des holländi- schen Dokumentarfilmers Joris Ivens von 1940, der sich mit den praktischen Problemen der Performance beschäftigt. Gemäss Waugh war für die Doku- mentaristen jener Zeit, anders als heute, die Performance «an element of do- cumentary filmmaking […] something to be taken for granted» (Waugh 1990: 67). Ivens’ Terminologie ist geprägt von der Praxis des im Studio ge- drehten Spielfilms. Er spricht von Rollen, Re-Takes (Wiederholungen), von Kontinuität, vom Proben und vom Casting.6 Waugh bezeichnet den Darstel- 6 Joris Ivens greift dabei auf die Arbeiten des russischen Regisseurs Wsewolod Pu- dowkin zurück, dessen Schriften und Filme er genaustens studiert hat. Vgl. dazu Waugh (1990: 67). 126 lungsstil, den Ivens postuliert, als repräsentierenden Stil, der versucht, das Schauspiel möglichst natürlich und unsichtbar zu halten. Mit den Begriffen Maltbys ausgedrückt: Ivens geht es darum, eine integrierte Performance zu erzielen. Entsprechend gilt es beispielsweise in Anlehnung an die Konventi- on des klassischen narrativen Spielfilms, den illusionszerstörenden Blick in die Kamera unbedingt zu vermeiden. Den Gegenpol zu diesem unsichtba- ren Stil bildet nach Waugh der präsentierende Ansatz, der mit dem Auf- kommen des Interviews gegen Ende der Sechzigerjahre zum dominanten Modus der Performance im Dokumentarfilm wird: The convention of performing an awareness of the camera rather than a no- nawareness, of presenting oneself explicitly for the camera – the convention the documentary cinema absorbed from its elder sibling photography – we shall call «presentational» performance. (Waugh 1990: 68) Der Unterschied zwischen einem Repräsentations- und einem Präsenta- tionsstil liegt für Waugh – wie für Naremore – darin, ob der Stil auf Unsicht- barkeit oder Sichtbarkeit der Performance abzielt. Der unsichtbare Stil ne- giert die performativen Komponenten der Darstellung, indem er Konventionen wie das Verbot des Blicks in die Kamera befolgt; der sichtba- re Stil anerkennt die performativen Komponenten und nutzt sie aktiv aus. Der Dokumentarfilm-Theoretiker Bill Nichols widmet der Perfor- mance in Representing Reality (1991) zwar kein eigenes Kapitel; sein Buch enthält aber zwei Hinweise, die für eine differenziertere Analyse der nicht fiktionalen Performance fruchtbar gemacht werden können. Gene- rell geht Nichols davon aus, dass zwischen Spiel- und Dokumentarfilm ein wesentlicher Unterschied besteht, und er versucht, eine solche Diffe- renz auch mit Blick auf die Performance auszuweisen. Er führt dazu den Begriff des «social actor» und der «virtuellen Performance» ein (Nichols 1991: 43, 122). Demnach werden die sozialen Akteure des Dokumentar- films mit Vorliebe danach ausgewählt, inwiefern sie vor der Kamera «sich selbst» zu sein vermögen, was auch meint: ob sie über die Fähig- keit und Neigung zur emotionalen Selbstentblössung verfügen (Nichols 1991: 120). Damit formuliert Nichols zunächst einmal nichts anderes als eines der zentralen Kriterien für das Casting von Dokumentarfilmen. Zugleich schwingt in Nichols’ Begriff von «Sich-selbst-Sein» auch eine Vorstellung von Performance mit, die etwas mit «Naturalismus» zu tun hat. Das naturalistische Schauspiel wie das «sich-selbst-Sein» von Ni- chols orientieren sich letztlich beide am Ideal einer möglichst «authenti- schen» Ausdrucksweise. Im Zusammenhang mit den möglichen Perfor- mance-Formen, die sich im Familienfilm isolieren lassen, werde ich auf diese «authentische» Ausdrucksweise zurückkommen. Dabei möchte ich 127 namentlich zeigen, dass die Vorstellung, die Performance im Familien- film sei stets «authentisch» ist, zwar einem verbreiteten Verständnis des Familienfilms entspricht, dass die «authentische» Performance aber letztlich nur eine Form unter anderen darstellt, die sich im Familienfilm beobachten lassen. Für Nichols hat der «authentische» Auftritt des sozia- len Akteurs im Dokumentarfilm den Charakter einer «virtuellen Perfor- mance», insofern sie «the power and effect of actual performance» hat, ohne eine solche zu sein. Das heisst, dass es sich um eine Performance handelt «without signs of conscious awareness that this presentation is an act» (Nichols 1991: 122). Es wäre in einem anderen Zusammenhang zu diskutieren, ob diese Analyse auf die Performance im Dokumentar- film in jedem Fall zutrifft. Die Performance im Familienfilm lässt sich auf jeden Fall nicht als «virtuelle Performance» in dem Sinn beschreiben, den Nichols vorschlägt. Tatsächlich werde ich darzulegen versuchen, dass das performative Handeln im Familienfilm in den meisten Fällen deutlich von einem Bewusstsein des Performance-Charakters der Prä- sentation zeugt: dass also die «signs of conscious awareness that this presentation is an act» eines der Kriterien zur Beschreibung der Perfor- mance im Familienfilm darstellen. Es würde den Rahmen dieser Arbeit sprengen, die theoretischen Pro- bleme und Herausforderungen der filmischen Performance auch nur an- satzweise erschöpfend zu diskutieren. Es soll hier nur um die Frage gehen, inwieweit die vorgestellten Konzepte dazu beitragen, die Performance im Familienfilm begrifflich genauer zu fassen. Die Gegensatzpaare inte- griert/repräsentierend und autonom/präsentierend scheinen für eine Ana- lyse der Performance im Dokumentar- wie auch im Familienfilm durchaus fruchtbar. In der konkreten Analyse von Beispielen allerdings findet man sich im Fall des Familienfilms mit Nuancen der Performance und mit Über- gängen zwischen verschiedenen Registern und Schichten konfrontiert, die nach einer Verfeinerung des analytischen Instrumentariums verlangen. Die Unterscheidung zwischen Darstellung und Darbietung greift hier vor allem deshalb zu kurz, weil im Familienfilm die Kamera oder die Kameraperson und das antizipierte Publikum, zu denen man sich als darstellende oder dar- bietende Person verhält, einen anderen Status innehaben als im Dokumen- tar- und vor allem im Spielfilm. Performance findet im Familienfilm im häuslichen Kreis statt. Die Familie ist Produktionsgemeinschaft, Gegen- stand und Publikum des Films zugleich. Beim Dokumentarfilm hingegen stellen diese Instanzen in der Regel drei verschiedene Personenkreise dar.7 7 Auch im Dokumentarfilm sind zwar Überschneidungen zwischen den drei Gruppen möglich, doch sind sie für die Praxis nicht konstituierend. Gleichzeitig wäre es meines 128 Die Identität von Produktionsgemeinschaft, Gegenstand und Publikum ist für die Performance im Familienfilm jedoch von zentraler Bedeutung, weil sie dadurch zu einem mehrstelligen relationalen Verhalten wird. Die Perfor- mance im Familienfilm ist ein mehrstelliges relationales Verhalten, insofern sie sich auf mehrere Personen in ihrem Verhalten zueinander verteilt, wobei jede darstellende/handelnde Person zugleich Trägerin mehrerer Rollen ist. Bevor ich die Kriterien näher zu bestimmen versuche, nach denen sich un- terschiedliche Performance-Stile im Familienfilm bestimmen lassen, will ich deshalb auf die verschiedenen Akteure und Akteurinnen eingehen. Akteurinnen und Akteure Personen vor der Kamera und technisches Personal Wie bei jeder Inszenierung gibt es auch im Familienfilm nicht nur die Person hinter und die Personen vor der Kamera. Es wirken auch Regis- seure, Beleuchterinnen und andere Hilfskräfte mit, deren Beitrag eine möglichst optimale Aufnahme gewährleisten soll. Anders als im Spiel- und Dokumentarfilm, die den Produktionsprozess in der Regel aus der Darstellung ausblenden, finden die «Arbeiten» am Familienfilm häufig vor der Kamera statt. Oft sind Auf- und Abbau einer Szenrie, Regiean- weisungen und letzte Make-up-Korrekturen Teil der Aufnahme, obwohl in Handbüchern immer wieder darauf hingewiesen wird, dass die Tech- nik unsichtbar bleiben sollte. Als ob die Kamera zu früh oder zu spät an- oder abgeschaltet würde, zeugen zahlreiche Einstellungen von den viel- fältigen Anstrengungen, nicht nur sich selbst, sondern auch die andern möglichst gefällig ins Bild zu rücken.8 Soweit es im Familienfilm eine Regiearbeit gibt, obliegt sie in der Regel der Kameraperson. Sie gibt aus dem Off die Anweisung, loszuge- hen, zu fahren oder zu springen; sie bestimmt rufend, wohin man zu schauen und was man zu tun hat. Manchmal übernimmt auch die Regie- assistenz die Kontrolle über die Inszenierung. Je nach Familie kann die Arbeitsteilung ausgesprochen strikt sein. Oft ist die Mutter – nur knapp angeschnitten – am Bildrand zu erkennen. Sie beobachtet das Geschehen Erachtens interessant, wenn man in der Dokumentartheorie und -analyse dem Her- stellungsmoment vermehrt Aufmerksamkeit schenken würde. 8 Vor allem bei den Kinderaufnahmen werden diese Vorbereitungshandlungen sicht- bar, wenn zum Beispiel Arme im Bild erscheinen, um ein Kind zu aktivieren, oder wenn man ihm die Haare aus dem Gesicht streicht. Andere Aufnahmen halten fest, wie Erwachsene mit Spucke den Kindern noch schnell die Mundwinkel putzen, den Kopf ins Bild drehen, wie Frauen die Hemden und Krawatten ihrer Liebsten zurech- trücken usw. 129 und kontrolliert, ob alles gut vonstatten geht.9 In anderen Familien wie- derum wird die Arbeitsteilung der Filmcrew flexibel gestaltet. Solche Prozesse laufen in den wenigsten Fällen bewusst und ge- plant ab, sondern ergeben sich situativ und spontan. Über die Organisa- tion der Filmaufnahmen kann unausgesprochene Einigkeit herrschen; dann wieder stellt sich am Set oder im Vorfeld der Dreharbeiten Streit ein. Schon die Beispiele aus den Dreissigerjahren aber legen nahe, dass diejenigen Beteiligten, die mit der Filmtechnik einigermassen vertraut sind, implizite Vorstellungen davon mitbringen, in welcher Funktion und auf welche Weise sie sich vor der Kamera zu verhalten haben. Den- noch sind die Grenzen zwischen Bühne, Vor- und Hinterbühne fliessend, und weil sie nicht respektiert werden, zeigen die Filme häufig «film in the making» – als sei das Herstellen ein Teil der Darbietung. In jeder Performance überlagern sich unterschiedliche Handlungs- anforderungen, die auf die verschiedenen Rollen zurückzuführen sind, die während des Drehens eingenommen werden (können). Die inneren und äusseren Verhaltensanforderungen und -anpassungen, die jede ein- zelne Person auf dem Set erbringen muss und will, sind nicht nur von den verschiedenen sozialen und medialen Rahmungen abhängig – auf einer anderen Ebene sind sie ebenso sehr von ihren Funktionen inner- halb der Filmcrew beeinflusst. Man könnte von einer Ordnung dritter Art sprechen, da die Verhaltensanforderungen auch auf einer Ebene zum Tragen kommen, die man als meta- oder parafilmische bezeichnen kann. Die Akteurinnen und Akteure von Familienfilmen haben es also immer mit einer «gemischten Wirklichkeit» zu tun (Müller 1999: 95 ff.).10 9 Die Mutter kontrolliert, ob das Kind alles recht macht – droht es die Bühne zu verlas- sen, hält sie es davon ab. 10 Müller verwendet diesen Ausdruck im Zusammenhang mit den verschiedenen Wirk- lichkeitsbezügen von Beziehungsshows im Fernsehen. Er erklärt oder definiert den Begriff jedoch nicht. 130 Kameraperson und Kamera-Ich Die Kameraperson nimmt im Familienfilm, wie bereits erwähnt, eine be- sondere Stellung ein. Sie bildet das Zentrum, den eigentlichen Flucht- punkt des sozialen Gefüges der Produktionsgemeinschaft; sie führt Ka- mera und Regie. Ist die Kameraperson nun als Autor, Autorin, zu verstehen oder ist sie nicht vielmehr ein Kamera-Ich, das mit seinem Blick den Film erschaut? Um die Rollenkonstellation besser zu verste- hen, gilt es, sich mit dem Status der Kameraperson als Trägerin von Äus- serungen auseinander zu setzen. Ist der Familienfilm eine Form von fil- mischem Tagebuch, ein autobiografisches Dokument oder der Ich-Film eines grossen väterlichen «Voyeurs»? Was im Spiel- und Dokumentarfilm die Ausnahme oder eine spe- zielle Konstellation kennzeichnet, gehört im Familienfilm sozusagen zum Dispositiv der Aufnahme: Die Kamera ist Akteurin. Als solche «schaut» sie nicht von aussen auf ein Geschehen, sondern ist vielmehr Teil davon. Die Beziehung zwischen der Person vor und hinter der Ka- mera organisiert den Darstellungs- oder Darbietungsraum. Letztlich heisst das nichts anderes, als dass sich die Kameraperson, wie die Ge- filmten, performativ verhält. Sie reagiert auf die Gefilmten und tritt bis- weilen auch mit ihnen in Interaktion. Mit der Kameraperson wird die Trennlinie zwischen äusserem und innerem Kommunikationssystem übersprungen: Sie ist Kameraperson und handelnde Figur in einem. So könnte man sagen, dass die Kamera im Familienfilm zur Diegese ge- hört.11 Eine solche relationale Konstellation trifft man ausser im Familien- film auch im filmischen Tagebuch12 oder im autobiografischen Experi- mental- oder Dokumentarfilm13. Auch in diesen Fällen sind Kamera oder Autor und Figur identisch.14 Thomas Waugh spricht in diesem Zusam- menhang von einer «first-person performance». Mit diesem Begriff be- 11 In Bezug auf die Diegeseproblematik des Familienfilms bin ich Oliver Müller zu Dank verpflichtet, der diese im Rahmen einer Seminararbeit untersucht hat. Vgl. Müller (1998). 12 Es gibt auch eine private Verwendung von Film, die insofern dem Tagebuch ent- spricht, als diese Filme nicht im Hinblick auf ein Publikum (auch nicht für die Familie) und nicht in Kooperation mit anderen entstehen, sondern vor allem selbsttherapeuti- schen Zwecken dienen. Was nicht ausschliesst, dass sie zuweilen öffentlich vorgeführt werden. Es gibt zum Beispiel eine Reihe von tagebuchartigen Filmen, die von Men- schen mit psychischen Problemen gedreht wurden. Vgl. dazu Christine N. Brinck- manns Aufsatz (1999) über die Filme von Anne Charlotte Robertson. 13 Der autobiografische Film erlebte in den Siebzigerjahren einen ersten Boom, vgl. P. Adams Sitney (1977), John Stuart Katz (1978) und Christof Decker (1995). Letzterer setzte sich mit dem Privaten im amerikanischen Dokumentarfilm medien- und gesell- schaftshistorisch auseinander. 131 zeichnet er die autobiografische Präsenz einer Filmemacherin oder eines Filmemachers innerhalb der filmischen Diegese (Waugh 1990: 85).15 Die- ser Präsenz ist die Anwesenheit der Kameraperson im Familienfilm durchaus vergleichbar. Trotzdem gibt es eine Reihe von Unterschieden. Filmische Tagebücher sind in der Regel für eine Öffentlichkeit bestimmt – Familienfilme ausschliesslich für ein «familiäres» Publikum. Zudem gelangen filmische Tagebücher nur selten in einer völlig «rohen», also nicht bearbeiteten Form an die Öffentlichkeit – im Gegensatz zu den Fa- milienfilmen. Der wesentliche Unterschied zwischen der Tagebuchform und dem Familienfilm aber liegt darin, dass das filmische Tagebuch ein individuelles Projekt darstellt, das künstlerisch motiviert ist – und als Gattung in der Tradition der romantischen Ästhetisierung von Subjekti- vität steht –, wohingegen der Familienfilm stets ein gemeinschaftliches Unterfangen ist, auch wenn der Kameraperson innerhalb der Produk- tionsgemeinschaft eine privilegierte Stellung zukommt.16 In der Forschungsliteratur wird die Bedeutung der Kameraperson im Familienfilm unterschiedlich eingeschätzt und behandelt. Richard Chalfen und Karl Sierek messen ihr – wenn auch vor einem jeweils unterschiedlichen theoretischen Hintergrund – grossen Stellenwert zu. Richard Chalfen, der sich für das Wissen interessiert, das in die Praxis des privaten Bilderma- chens einfliesst, arbeitet mit Interviews und Handbüchern, aus denen er die Intentionen zu rekonstruieren sucht, welche die Praxis massgeblich struktu- rieren. Dabei kommt er zum Schluss, dass im Familienfilm ein Regisseur oder Autor am Werk ist, der mit bestimmten Absichten an sein Vorhaben he- rangeht. Sierek wiederum stellt «den Mann mit der Kamera» (Sierek 1990: 153) als grossen Bildermacher, Inszenator und Voyeur in den Vordergrund, dessen Wünsche sich in seinen Filmen niederschlagen (Sierek 1990: 165). Die Performance der gefilmten Personen müsste man entsprechend als Darbie- tung verstehen, die sich mehr oder weniger exklusiv an den «Mann mit der Kamera» richtet. Dazu ist allerdings anzumerken, dass sich das Handeln der gefilmten Personen nicht in der Bezugnahme auf die Kamera erschöpft. Nicht jede Performance ist Teil einer Show, die ausschliesslich für die Kame- 14 Als filmische Tagebücher kann man z. B. bestimmte Werke von Jonas Mekas (Reminis- cences of a Journey to Lithuania, USA 1972), Matthias Müller (Aus der Ferne. The Memo Book, D 1992) oder Jan Peters (Dezember 1–31, D 1999) bezeichnen. Zum so genannten autobiografischen Pakt in der Literatur vgl. Philippe Lejeune (1994). Eine weiterfüh- rende Diskussion des Autobiografischen im Film findet sich bei Robin Curtis (2003). 15 Die «first-person performance» interessiert Thomas Waugh unter dem Gesichtspunkt der auktorialen Stimme und ihrem Verhältnis zum Privaten respektive dessen Ver- hältnis zum Politischen (Waugh 1990: 85 f.). 16 Ein Problem, das auch den Ichfilm betrifft: «Der kollektiv produzierte Film lässt sich also nur partiell, mit Abstrichen, als Ichfilm ausweisen» (Brinckmann 1997: 88). 132 raperson zum Besten gegeben wird; vielmehr ist der Familienfilm ein Prä- sentationsritual für ein Publikum, innerhalb dessen dem «Kamera- mann/Vater» die Rolle des ersten Zuschauers zukommt (Turim 1986: 91). Den Gegenpol zu den autorzentrierten Untersuchungen von Chal- fen und Sierek bildet die Arbeit von Roger Odin. Odins These, dass ein Familienfilm nicht gut gemacht sein dürfe, weil er sonst den Familien- mitgliedern eine bestimmte Sichtweise aufdränge, impliziert, dass er ein offener und unstrukturierter Text ist, weit gehend losgelöst von der Per- son, die ihn geschaffen hat. Es ist kein Zufall, dass der Familienfilm in Odins Verständnis ohne personifizierte Instanz der Produktion aus- kommt. Im Rahmen seines semiopragmatischen Ansatzes interessiert er sich primär für die Prozesse der Sinngebung in der Rezeption und schenkt dem Vorgang der Herstellung weniger Beachtung. Für ein Verständnis dafür, wie die Rolle der Kameraperson konstru- iert wird, sind weder die autorzentrierte Perspektive noch die semio- pragmatische, rezeptionszentrierte Perspektive wirklich zufrieden stel- lend. Mein Fokus unterscheidet sich von beiden Zugriffsweisen, indem ich zwar die Kameraperson auch ins Zentrum der filmischen Aktivität stelle, die einzelnen Filme jedoch als Produkte eines komplexen medi- alen Kontextes oder Systems verstehe, bei dem die Kameraperson eine Produktionsinstanz unter anderen darstellt – wenn auch eine singuläre. Zwar benutzt sie die Kamera nicht als «Bleistift» – im astrucschen Sin- ne17 eines filmischen Essays –, doch ist sie ebenso wenig das Stativ im Sinne einer Haltevorrichtung für eine Apparatur. Sie ist ein Kamera-Ich, insofern sie sich als reagierendes Subjekt in einem sozialen Umfeld be- wegt und die Kamera zuweilen zur Verlängerung ihres eigenen Blicks verwendet, also diesen mimetisch mithilfe der Apparatur wiederzuge- ben versucht. Dabei geht es weniger darum, ihre Sichtweise zum Aus- druck zu bringen – im Sinne einer wie auch immer verstandenen ästheti- schen Perspektive –, als vielmehr, nach einer Verdoppelung des eigenen Blicks zu trachten. In manchen Momenten verhält sich die Kameraper- son, als wolle sie sich aus der Diegese heraushalten, indem sie sich mög- lichst nicht als Person, sondern als unsichtbarer Beobachter verhält, der zu sehen und zu registrieren vermag, aber nicht in die Situation invol- viert ist. Wie bei der teilnehmenden Beobachtung und beim beobachten- den Dokumentarfilm ist dies jedoch nur in Form einer Annäherung möglich. Das Kamera-Ich kann versuchen, sich in einer «reinen» Beob- achtung zum «Verschwinden zu bringen», sich als Äusserungsinstanz zu 17 Vgl. Alexandre Astruc (1992 [1948]). 133 negieren. Sobald es jedoch von den Beobachteten als Beobachter wahrge- nommen wird, manifestiert sich seine Anwesenheit. In beiden Fällen bleibt das Kamera-Ich immer im Text repräsentiert: entweder als Dialog- partner oder als abwesendes Anwesendes. Die Kameraperson ist aber auch keine Blackbox, die auf äussere Im- pulse kontextunabhängig reagiert. Ihr Handeln ist nicht nur situativ be- dingt, es ist auch von ihren sozialen und psychologischen Eigenschaften geprägt. Ende des 19. Jahrhunderts tauchen neue Konzepte des Häusli- chen auf, welche auch die Geschlechterbeziehungen in der bürgerlichen Familie zu tangieren beginnen: Mehr und mehr werden die Männer der Mittelklasse in die häuslichen Angelegenheiten und ins Familienleben miteinbezogen; für ihre Kinder sollen sie zunehmend die Rolle eines Spielgefährten und für ihre Frauen die eines Begleiters einnehmen (Lu- ckett 1995: 23). Es sind zunächst vor allem «Familienfeste wie Weihnach- ten und Geburtstage, aber auch die obligaten Familienspaziergänge am Sonntag und grössere Familienausflüge sowie vor allem die gemeinsa- men Ferien, […] die die Väter etwas mehr mit den Kindern in Kontakt brachten» (Tanner 1998: 66). Wie die Fotografie so ist auch der Familien- film ein praktisches Hilfsmittel, das über die Rollenunsicherheit hinweg- hilft, weil dieses dem Vater die Möglichkeit gibt, am Familienleben teil- zuhaben.18 Empirisch gesehen, sind es in den Dreissigerjahren vor allem Män- ner – und unter diesen in erster Linie die Familienväter –, die in der Frei- zeit ihr privates Umfeld filmen. Die Kamera erlaubt es ihnen, sich in der Position des partizipierenden Beobachters in den häuslichen Alltag ein- zubringen. Gleichzeitig hilft die Kamera, Nähe und Distanz herzustellen oder zu regulieren: In Momenten der Beobachtung kann sie zum Schutz- mechanismus werden, der Distanz schafft und den schnellen Rückzug aus der Situation ermöglicht. Sie kann aber auch zu einem foucaultschen Machtinstrument werden, zu einem Instrument der Kontrolle durch den Blick und das Festschreiben von Informationen.19 Der Filmer bestimmt mit, was und wie wir etwas sehen. In diesem Sinne tragen auch die Bil- der des Familienfilms in sich die Spuren der ambivalenten Macht des Kamerablicks (und nicht nur die Bilder des ethnografischen Films, wie zuweilen behauptet wird): Auch der väterliche Blick ist apparativ ver- stellt. Die Position der Kamera und mit ihr die Figur der Kameraperson 18 Die ersten grossen Heimkinoversuche der Zehnerjahre fallen, so Moya Luckett, auch just in die Zeit, in der der Vater auf eine der Mutter vergleichbare Weise am Familien- leben teilnehmen soll (Luckett 1995: 23). 19 Diese Überlegung geht auf Christof Decker (1995) zurück. 134 ist, so gesehen, immer komplex und zuweilen ambivalent; aber die Ka- meraperson ist vor allem und in erster Linie ein unverzichtbarer Aktant im Darstellungsgefüge. Performance-Register Nachdem die verschiedenen Personen im spezifischen Performance- Gefüge des Familienfilms bestimmt sind, gilt es, auf die Frage zurückzu- kommen, weshalb die Unterscheidung von präsentierendem und reprä- sentierendem Stil für die Analyse von Familienfilmen nicht hinreichend präzise erscheint. Ich werde zwischen zwei Dimensionen unterscheiden, die in jeder Performance zum Tragen kommen und ihren Stil kennzeichnen: dem Modus und der Form der Darstellung oder Darbietung. Mit dem Modus ist zunächst nichts anderes gemeint als das, was bei Waugh und Nare- more als Stil oder Typ bezeichnet wird. Aber anstatt die Unterscheidung zwischen den verschiedenen Modi der Performance alleine an der Adressierung festzumachen, also am Kriterium ihrer Sichtbarkeit oder Unsichtbarkeit, möchte ich ein zusätzliches Kriterium einführen: dasjeni- ge der medialen Situierung. Der zweite Aspekt, den ich zur Bestimmung einer Performance bei- ziehe, betrifft ihre Form. Ich werde dabei vier hauptsächliche Formen be- stimmen: die transfigurative szenische Darstellung, die artistische Dar- bietung, die szenische Selbstdarstellung und die unwillkürliche Darstellung (Müller 1999). Mit der doppelten Begrifflichkeit von Modus und Form lässt sich jede Performance im Hinblick auf Akteur, Handlung und Rahmung analysieren und als performatives Ereignis beschreiben. Die Kombination eines bestimmten Modus und einer bestimmten Form ergibt jeweils einen spezifischen Performance-Stil, oder ein spezifisches Darstellungs- beziehungsweise Darbietungsregister. Eine Performance wird damit als eine Sequenz beschreibbar, die sich aus einer Abfolge be- stimmter Register zusammensetzt. Konkret interessiert mich, wie die verschiedenen Performan- ce-Register benutzt werden, um strukturierende Momente des relationa- len Gefüges der Produktionsgemeinschaft Familie zu symbolisieren. Es stellen sich Fragen wie: Auf welche Art und Weise tragen Performan- ce-Register zur Artikulation der Geschlechterdifferenz bei? Wie werden diese verwendet, um gewisse Abgrenzungen von Rollenbereichen aus- zuhandeln? Wie sich zeigen wird, sind Gesten der Verweigerung in diesem Zu- sammenhang von besonderem Interesse, dienen sie doch als Mittel, um 135 die Zugriffsmacht der Kameraperson zu beschränken. Soweit ich auf Beispiele zu sprechen komme, wähle ich wiederum das Vorgehen, Typi- sches exemplarisch zu rekonstruieren. Im Vergleich zum vorhergehen- den Kapitel verfahre ich in gewisser Weise systematischer, insofern ich für das Problem der Performance eine mehr oder weniger vollständige typologische Ordnung zu entwickeln versuche. Wie schon in der Analy- se der touristischen Familienfilme und des Kinderfilms sind die Typen, die ich im Folgenden beschreibe, nicht auf Grund eines arithmetischen Mittels aller beobachteten Fälle gebildet worden; vielmehr handelt es sich um Idealtypen im Sinne Max Webers.20 Der Modus der Performance: Mediale Situierung und Adressierung Mit «Modus» bezeichne ich diejenigen Aspekte einer Performance, die diese für das Publikum als solche auszeichnen oder sie vielmehr unsicht- bar werden lassen. Dazu gehört zunächst die Frage nach der Adressie- rung.21 Richtet sich eine Darstellung direkt an die Kamera oder an die Person hinter ihr, oder bleibt sie nicht adressiert? Diese Frage ist insofern von Belang, als sich mit der Adressierung der kommunikative Rahmen des Films verändert, indem er sich direkt in Richtung Publikum öffnet. Abgesehen von derjenigen Adressierung, die eine sehr direkte Be- zugnahme zur Kamera oder Kameraperson zum Ausdruck bringt, lassen sich aber noch andere Verhaltensweisen von gefilmten Personen be- schreiben, mit denen eine Performance sichtbar gemacht und als solche markiert wird. Ich möchte in diesem Zusammenhang von einer medi- alen Situierung der Performance sprechen. Es geht dabei – in Anlehnung an Bill Nichols Bemerkungen zur virtuellen Performance des Dokumen- tarfilms – um die Frage, ob die Person vor der Kamera die Situation als mediale anerkennt und sich entsprechend verhält. Die Frage ist also nicht einfach, ob die Performance an die Kamera gerichtet ist, sondern ob sich in ihr ein Bewusstsein ihrer institutionellen und medialen Rah- mung kundtut. Dieser Unterschied lässt sich am besten mit dem Begriff der «medialen Situierung» fassen: Sie definiert sich dadurch, dass in ihr das Wissen um die mediale Situation erkennbar ist. Eine medial nicht si- 20 Vgl. den entsprechenden Abschnitt in der Einleitung. 21 Den Begriff der «Adressierung» verwende ich in Anlehnung an die Unterscheidung, wie sie Bill Nichols trifft, um die unterschiedlichen Anspracheformen im Dokumen- tarfilm zu beschreiben (Nichols 1991: 32 ff.). Ihn interessiert dabei, wie der Film zum Publikum «spricht», ob ich als Zuschauerin direkt, sei es von einem Voice- over-Kommentar oder von einer Figur, adressiert werde (durch einen Blick oder eine verbale Äusserung, frontal an die Kamera gerichtet). 136 tuierte Performance bezeichnet im Gegensatz dazu ein Verhalten, wel- ches die Anwesenheit einer Kamera nicht zur Kenntnis nimmt oder gar nicht zur Kenntnis nehmen kann. Charak teristische Beispiele hierfür sind Szenen, in denen mit versteckter Kamera gefilmt wird oder die ge- filmte Person gänzlich von ihrem Tun absorbiert ist; ein Spezialfall wie- derum sind Szenen, in denen jemand schläft (denn welche Art von Per- formance ist beobachtetes Schlafen?). In jedem Fall aber unterscheidet sich die medial situierte von der nicht situierten Performance dadurch, dass in Letzterer die Relation zwischen darstellender und kameraführen- der Person nicht thematisch werden kann. Im Zusammenhang mit den unterschiedlichen filmischen Präsenta- tionsmodalitäten im Kinderfilm habe ich das Kriterium der Adressierung implizit schon angewendet. Was ich dort als beobachtende und katalytische Kamerahaltung beschrieben habe, entspricht im Fall der beobachtenden Haltung einer Darstellung ohne Adressierung und im Fall der katalytischen Haltung einer Darstellung mit Adressierung. Man könnte einwenden, dass es sich dabei auch um den Unterschied zwischen einer medial situierten und einer nicht situierten Darstellung im eben bestimmten Sinn handelt. Das ist zunächst richtig, doch sind der adressierte und der medial situierte Modus nicht deckungsgleich. Vielmehr ergänzen sie sich. Das selbstversunkene Spiel eines Kindes ist, wenn es gefilmt wird, eine nicht situierte und nicht adressierte Darbietung. Sobald man das Beispiel eines katalytischen Ver- hältnisses zwischen vorfilmischer Wirklichkeit und Kamera anschaut, wird der Unterschied klar: Läuft ein Kind Richtung Kamera, so richtet es sich da- mit zwar direkt an die Kameraperson; zugleich aber wird die mediale Situa- tion negiert, handelt es sich doch um ein Verhalten, das nicht dem Film, son- dern der Kameraperson gilt: um ein Verhalten also, das zwar nicht situiert, wohl aber adressiert ist. Mit dem Kriterium der Adressierung und dem der medialen Situie- rung werden die feinen Unterschiede beschreibbar, die aus dem relatio- nalen Gefüge resultieren, innerhalb dessen eine Performance im Fami- lienfilm stattfindet. Insgesamt sind vier grundlegende Darstellungsmodi auszumachen: situiert adressiert, situiert nicht adressiert, nicht situiert adressiert und nicht situiert nicht adressiert. Mit dem Begriff des «Mo- dus» lässt sich nun die Relationalität einer Performance adäquat be- schreiben. Um die in der Praxis vorkommenden Differenzierungen der Performance präzise zu erfassen, brauchen wir jedoch ein weiteres Krite- rium der Bestimmung. 137 Vier Perfomance-Formen Was für den Filmstar zutrifft, gilt auch für die Laiendarstellerin im Fami- lienspielfilm: Beide sind immer unvollständig als Charakter «verklei- det». Würde zum Beispiel Frau H. in einem Familienspielfilm – einem Familienfilm mit fiktionalen Rollen, die von den verschiedenen Mitglie- dern verkörpert werden – eine Mutter spielen, so bliebe sie immer auch die konkrete Mutter ihres Sohns Hasi, und dies würde ihre Darstellung auch entsprechend prägen. Was aber liegt – abgesehen von der gemisch- ten Wirklichkeit, die sich in den unterschiedlichen Verhaltensanforde- rungen niederschlägt – dieser Differenz zu Grunde? Wie lässt sich ein fiktionales Rollenspiel von der dargestellten Mutterrolle überhaupt un- terscheiden? Für die Beantwortung solcher Fragen erweist sich die Diffe- renzierung zwischen verschiedenen Performance-Formen als nützlich, wie sie Eggo Müller (1999) vornimmt. In seiner Analyse von Spielshows adaptiert er eine Typologie von Darstellungsformen, die ursprünglich von Jan Berg stammt und für den Spielfilm entwickelt wurde (1987). Müllers Adaption dieser Typologie lässt sich auch für meine Zwe- cke verwenden. Nach Berg existieren für Bühnensituationen (hier in einem engen Sinn gemeint und aufs Theater bezogen) folgende Möglich- keiten: die szenische Selbstdarstellung eines mehr oder weniger authen- tischen Selbst, die artistische Darstellung besonderer Fertigkeiten und die transfigurative szenische Darstellung einer Rolle (Berg 1987: 62 ff.).22 Eggo Müller fügt in seiner Untersuchung zu Partnerwahl-Spielshows noch eine weitere hinzu: die unwillkürliche Darstellung, die aus der Konfrontation des amateurhaften Spiels eines Kandidaten mit dem pro- fessionellen Spiel des Showmasters entsteht (Müller 1999: 88 f.). Diese vier idealtypischen Darstellungsformen finden sich im Prin- zip auch im Familienfilm. Als problematisch erweist sich die von Berg und Müller vorgeschlagene Terminologie in ihrer Anwendung auf den Familienfilm aber insofern, als sie dem Unterschied zwischen Darstel- lung und Darbietung keine Rechnung trägt. Was von Berg und Müller «artistische Darstellung» genannt wird, werde ich im Folgenden als «ar- tistische Darbietung» bezeichnen, weil damit immer ein explizit als Per- formance gekennzeichnetes Verhalten gemeint ist. Im Fall der Selbstdar- stellung hingegen werde ich den Ausdruck in dieser Form beibehalten, weil es sich um einen etablierten Begriff handelt, der auch ein Element 22 Jan Berg erweitert die Typologie noch um die unfreiwillige Selbst- oder szenische Zwangsdarstellung, die bei öffentlichen Hinrichtungen, Stierkämpfen und bestimm- ten Dokumentarfilmgenres zu beobachten sei (Berg: 1987: 63 f.). 138 von Darbietung mit abdeckt, das die Selbstdarstellung mitunter ein- schliessen kann. Die transfigurative szenische Darstellung Eine transfigurative szenische Darstellung ist gegeben, wenn in einer fik- tionalen Handlung der Schauspielende mit seiner Rolle verschmilzt, er also die Rolle illusionär verkörpert. Kommt eine solche Performance im Familienfilm vor, dann handelt es sich in der Regel eher um eine autono- me Darbietung als um eine integrierte Darstellung: Wird nämlich ein «richtiges» Drehbuch mit vorgegebenen Rollen inszeniert, so gehen die Familienmitglieder in der Regel nicht in ihren Rollen auf. Der Vergleich mit der Starperformance im Spielfilm drängt sich in diesem Fall auf: Kennzeichnet sich diese doch ebenfalls dadurch, dass der Star oft auch sich selbst spielt, also unvollständig «verkleidet» bleibt. Eine transfigurative Performance ist immer situiert; mit der fiktio- nalen Rahmung geht automatisch ein Wissen um die Medialität der Si- tuation einher. Was die Adressierung anbelangt, so gibt es sowohl adres- sierte wie nicht adressierte transfigurative Darstellungen, wobei diese Form im Familienfilm nur sehr selten vorkommt.23 Die artistische Darbietung Als «artistische Darbietung» werden alle Handlungen bezeichnet, bei de- nen besondere Fertigkeiten zur Schau gestellt werden: Purzelbäume, Bocksprünge, Jongliernummern, Tanzschritte und so weiter. Die meisten artistischen Darbietungen sind situiert und adressiert. Wenn es sich aber um eine Form von dokumentierter Artistik handelt, wie zum Beispiel in einem Film, der den Besuch eines Schwingfestes zeigt, so kann es sich auch um eine nicht situierte Darbietung handeln: also um den Fall einer Darbietung, die sich zwar an ein innerfilmisches Publikum richtet, je- doch nicht im Hinblick auf den Film dargeboten wird. Diese Form kommt meistens nur in der nicht adressierten Variante vor, da in der Re- gel in dem Moment, in dem ein Blick in Richtung Kamera fällt, auch ein Bewusstsein für die mediale Situierung entsteht. Für eine nicht situierte, aber adressierte artistische Selbstdarstellung kenne ich kein konkretes Beispiel. Man könnte sich aber einen Fall vorstellen: Wird im Laufe einer dokumentierten Darstellung die Kamera überrannt (weil sie von einem 23 Mein Korpus enthält keine wie erwähnt wirklichen Familienspielfilme. 139 Akteur übersehen wurde), so könnte aus einer nicht adressierten eine adressierte Performance werden. Die szenische Selbstdarstellung Die weitaus verbreitetste Form der Familienfilm-Performance ist die sze- nische Selbstdarstellung eines mehr oder weniger authentischen Selbst. Sie lässt sich je nach den involvierten körpersprachlichen Ausdrucksmit- teln – Posen, Gesten und Blicken – in verschiedene Verfahren unterteilen: Wie ich zeigen werde, spielen diese Verfahren, die meistens medial situ- iert und adressiert sind (aber auch nicht situiert oder nicht adressiert vorkommen), oft auf ausserfilmische Darstellungspraktiken und -kon- texte an. So kann die Pose zum Beispiel auf die Fotografie und die Geste auf das Theater verweisen. Die unwillkürliche Darstellung Eggo Müller bezeichnet mit der «unwillkürlichen Darstellung» eine wahrnehmbare Differenz zwischen einer Laien- und einer Profidarstel- lung (1999: 89). Diese Form findet sich im Familienfilm bei der Perfor- mance von Personen, die scheinbar über wenig oder gar keine Filmer- fahrung verfügen und auf kein situationsadäquates Repertoire von Verhaltensregistern zurückgreifen können. Wenn die Grosseltern oder die Bauern in Autosonntag sich vor der Kamera so verhalten, als wären sie in einer Bühnensituation – auf Grund ihrer mangelnden Erfahrung letztlich aber überfordert und auch leicht irritiert wirken, so entsteht der Eindruck einer Darstellungsdifferenz, weil das gefilmte Verhalten aus dem für den Familienfilm üblichen Repertoire herausfällt. Auch andere Momente können als unwillkürliche Darstellungen beschrieben werden, namentlich solche, wie sie in Situationen entstehen, in denen die Akteure von ihrer Tätigkeit gänzlich in Anspruch genom- men sind, von einer Bühnensituation aber nicht die Rede sein kann. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn jemand ohne sein Wissen gefilmt wird. In solchen Situationen ist die Performance kaum mehr als solche zu erkennen. Was unterscheidet aber eine unwillkürliche Darstellung von einer nicht situierten und nicht adressierten Selbstdarstellung? Eine unwillkürliche Darstellung liegt dann vor, wenn jemand im Laufe der Vorführung die Kontrolle über die Performance verliert oder nicht in der Lage ist, sie zu kontrollieren. Unwillkürliche Darstellungen können ent- 140 sprechend in allen modalen Varianten auftreten: situiert, nicht situiert, adressiert und nicht adressiert. Artistik, Akrobatik und andere Formen der Darbietung Béla Balázs schrieb 1930: Da der Film eine Schau ist, also eine Kunst körperlichen Handelns, ist es klar, dass sportliche und akrobatische Darbietungen, also menschliche Kraftleistungen, in ihm eine grössere Rolle spielen können als in anderen Künsten. (Balázs 1982: 123) Darauf baut auch der Familienfilm: Die Bewegung des menschlichen Körpers ist bei weitem seine beliebteste Objektbewegung. Die artisti- schen oder akrobatischen Darstellungen umfassen in der Regel den gan- zen Körper. Ob die Akteure,springen, hüpfen, klettern oder balancieren oder ob sie ganze Bewegungsabläufe vorführen wie Bockspringen oder Turnnummern an Geräten, ob beim Eislaufen, Ballspiel oder bei der Schneeballschlacht, einem sehr beliebten Sujet: Immer sind die Körper in Bewegung. Manchmal geht es auch um physische Disziplinierung: etwa wenn Kinder vor laufender Kamera Rumpfbeugen vorführen, angeleitet von der Mutter, die sie mit Handgriffen unterstützt. Stehen bei solchen Szenen die körperliche Ertüchtigung und Kraft- leistung im Vordergrund, so sind die Turnnummern in den meisten Fäl- len spielerischer angelegt. Geradezu exzessiv wird das Bockspringen be- trieben: keine Familienfilm-Sammlung, in der nicht mindestens einmal Bockspringen vorkommt, und das nicht nur von Kindern. Als ob sich 141 der Gedanke daran mit Macht aufdrängen würde, sobald die Kamera hervorgeholt wird: Man steht gut gelaunt im Garten herum und wartet darauf, dass gefilmt wird, weiss aber nicht recht, was man eigentlich tun soll, wenn die Kamera dann läuft. Im Garten befindet man sich, weil man sich einen solchen leisten kann und hier die Lichtverhältnisse güns- tig sind. Offenbar favorisiert eine solche Situation nicht nur die Erinne- rung an Kinderspiele, sondern auch das regressive Ausagieren der ent- sprechenden Erinnerungen. Das Bockspringen als artistische Darbietung bewirkt dabei oft amüsante Effekte. Entweder wirkt der Körper von vornherein komisch (zu lang, zu dick, zu ungelenkig), oder er gerät aus- ser Kontrolle.24 Im Familienfilm entstehen witzige Momente vor allem durch den Verlust körperlicher Kontrolle. Das Bockspringen von Er- wachsenen amüsiert, weil man sieht, dass sie aus der Übung gekommen sind und weil ihre Kleider verrutschen. Sigmund Freud schreibt, dass die Komik, die solche körperlichen Kontrollverluste erzeugen, mit realen Körpererfahrungen, Erinnerungen und Ängsten zusammenhängen: zum Beispiel mit dem Laufenlernen (Freud 1905). Entsprechend kann die Lust an diesem Spiel sowohl in seinem Gelingen wie in seinem Misslin- gen liegen. Nicht alle artistischen Darbietungen zielen aber von vornherein auf komische Wirkung ab, so etwa Musikvorführungen, die ein beliebtes Su- jet sind, auch wenn die Filmaufnahme stumm bleibt25; tanzende Paare; Hunde und andere Haustiere, die Kunststücke vorführen, oder der Schimpanse, der sich mit dem Wärter balgt: All das sind Szenen, in de- nen körperliche Fähigkeiten in Bewegung umgesetzt und für den Film zur Schau gestellt werden. Die meisten artistischen Darbietungen sind adressiert; immer wieder wird mit anerkennungsheischendem oder fragendem Blick Richtung Ka- mera geschaut: Guck mir zu! Filme mich! Siehst du mich? scheint der Blick zu sagen. Auch sind die Darbietungen meistens medial situiert, weil die Vor- führung vor allem der Kameraperson gilt und sich nur selten an die innerfil- mischen Zuschauer und Zuschauerinnen vor Ort richtet. 24 Die Homevideo-Shows am Fernsehen basieren im Wesentlichen auf diesen Effekten. Oft wird in der professionellen Nachbearbeitung mittels Schnitt und Musik die Komik herausgestrichen. 25 Vom «Ernemannkino» ist ein Beispiel von Julius Neubrunner überliefert (Willy der Geiger, D 1906), in dem sein Sohn Geige spielt und bei der Filmvorführung diese Auf- nahme live zu vertonen pflegte (Kuball 1980: 34). Doch diese Art der Vorführung bil- det die Ausnahme. 142 Dokumentierte Artistik: Der Spezialfall einer nicht-medial situierten artistischen Darbietung Anders sieht es aus, wenn eine artistische Darbietung auf einem Fami- lienfilm quasi dokumentarisch und unbemerkt festgehalten wird. Ein Beispiel sind die Schwingkämpfe aus der Sammlung U. (Schwinget in Adelboden; Adelboden; Adelboden 1) oder die Radrennen und Eiskunstlauf- veranstaltungen, die Herr H. gefilmt hat (Jahresschau 1929; Aya Vrzanova). Der Standort, den Familienfilmer bei solchen Aufnahmen wählen, ist meistens weit gehend identisch mit demjenigen, den sie als nicht filmen- de Zuschauer einnehmen würden. Ihr Blick auf das Geschehen ist, so ge- sehen, nicht privilegiert, und sie sind nicht so nahe, dass die Gefilmten der Kamera gewahr würden.26 Im Unterschied zu den Darbietungen von Angehörigen stehen hier die Akteure nicht in einer verwandt- oder be- kanntschaftlichen Beziehung zur Kameraperson (wie im Übrigen ja auch die Bergbauern in Autosonntag nicht zur Familie gehören). Folglich tun sie das, was sie tun, nicht eigens für die Kamera des Familienfilmers. Komiker und Komikerinnen Kaum eine Familie kommt ohne sie aus: die Onkeln, Tanten, Freundin- nen und Bekannten, die bei Familienanlässen gerne Witze und Anekdo- ten zum Besten geben und sich, sobald die Kamera läuft, als spassige Fi- guren darstellen.27 Diese kleinen Szenen zähle ich zu den artistischen Darbietungen, weil sie häufig als eigenständige Pausenclown-Einlagen funktionieren. Gleichwohl könnte man sie als szenische Selbstdarstel- lung eines mehr oder weniger authentischen Selbst verstehen, da es sich meistens um Personen handelt, die sich vermutlich auch ohne die Ge- 26 Herrn H. gelingen zuweilen Aufnahmen, die von denen der zeitgenössischen Wo- chenschauen kaum zu unterscheiden sind. Dafür begibt er sich so nah an das Gesche- hen, dass im Fall der Eiskunstläuferin diese in die Kamera blickt. 27 Darauf bauen auch die seit den Achtzigerjahren beliebten Homevideo-Shows im Fernsehen, in denen Amateuraufnahmen von häuslichen Missgeschicken im Wettbe- werb gegeneinander antreten. 143 genwart der Kamera als «Unterhaltungskünstler» und «Clowns» gebär- den würden. Überhaupt wirkt die Kamerasituation oftmals als Verstär- kers oder Lupe: Man stellt sich selbst in überhöhter oder unterstrichener Form dar. Komische Effekte in Familienfilmen entstehen demnach unfreiwillig oder durch den Beitrag von Akteuren, die sich als Komiker begreifen und verhalten. Sie können aber auch durch die Inszenierung intendiert sein. Im Unterschied zur Situationskomik, die zufällig entsteht, bildet in solchen Szenen der Humor den Mittelpunkt der Darbietung. Ein Beispiel dafür ist die letzte Szene von Hasi I: Frau H. und eine Freundin treten aus dem Haus und verlassen gemeinsam den Garten. Dabei schauen beide unablässig in die Kamera und lachen. Frau H. bückt sich und wirft ihrem Mann, der die Kamera führt, einen Schneeball zu. Die beiden Frauen machen nun Anstal- ten, sich eine Schneeballschlacht zu liefern, nehmen aber wieder Abstand davon. Aufgeregt kichern und hüpfen sie herum, bis ein Auto vorfährt. Spä- testens hier wird klar, dass es sich um eine kleine Spielszene handelt, bei der die einzelnen Handlungen im Voraus abgesprochen und geplant wurden. Das Auto hält vor dem Gartentor, und die beiden Frauen begeben sich – im- mer noch heftig kichernd – zur Türe des Beifahrersitzes, die sie vergeblich zu öffnen suchen. Aus ihren Reaktionen lässt sich schliessen, dass dies ein un- geplantes Missgeschick ist. Jetzt lachen sie nämlich umso mehr, und die Auf- nahme bricht ab. In der nächsten Einstellung steigt der Fahrer mit grosser Geste aus und begrüsst die Frauen, indem er zuerst seinen Hut lüftet, dann beiden die Hand schüttelt. Die Performance der drei ist alles andere als «na- turalistisch», sie ist überzeichnet und soll – so macht es den Eindruck – ko- misch wirken.28 Jetzt hängt sich der Mann rechts und links bei den Frauen ein, und das Trio bewegt sich auf die Kamera zu. Dabei hüpft der Mann äus- serst seltsam: Anstatt zu gehen, macht er kleine Sprünge. Der «Sicherheits- 28 Hier sei noch einmal auf Roberta E. Pearsons Studie zum Darstellungsstil (1992) der Biograph-Filme verwiesen. Was den übertreibenden Stil der Zehnerjahre mit dem ausgestellten, überbetonten Stil des Familienfilms verbindet, ist seine Theatralität und seine Nähe zu den szenischen Künsten wie Zirkus, Varieté, Theater und Pantomime. 144 abstand» zur Kamera wird unterschritten, bis sein Gesicht das gesamte Bild – unscharf – ausfüllt. In der nächsten Einstellung hüpft derselbe Mann im Kreis und macht Faxen. Es folgt eine Art Zwischenschnitt auf das Haus; man sieht, dass ganz oben jemand am geöffneten Fenster steht, etwas ausschüt- telt und gleichzeitig die Szenerie beobachtet (als diegetisches Publikum). Dann nimmt der Mann die Freundin von Frau H. lachend in den Schwitz- kasten, Frau H. tritt dazu und versucht, sich bei beiden einzuhängen; damit ist die Filmrolle zu Ende. Diese Szene ist einerseits ein Beispiel dafür, wie in der Freizeit zur Unterhaltung «Film gespielt» wird. Andererseits ist sie auch typisch für eine intendierte komische Darbietung: Erwachsene benehmen sich wie Kinder und albern herum. Ein Beispiel hierfür ist auch der Mann in Hasi 14, der in der Badeanstalt den Clown für die Kamera mimt, indem er im Kreis herumtanzt wie Rumpelstilzchen. Wie bei den Kindern scheint das Filmen auch bei den Erwachsenen bisweilen richtiggehende Energie- schübe und einen unbändigen Bewegungsdrang auszulösen, aber auch Verlegenheit, die sich hinter dem Bewegungsexzess verbirgt. Ein ähnliches Beispiel stammt aus der Sammlung U. (Bocchetta gennaio 1929, 2 Rollen)29. Es handelt sich um eine artistische Darbietung mit Slapstick-Potenzial. Die Aufnahme entstand Anfang der Dreissiger- jahre aus Anlass einer Bergwanderung von vier Männern. Zu Beginn kämpfen zwei von ihnen für die Kamera auf einem Schneefeld; sie füh- ren ein Showringen vor. Später liegt einer der Männer auf dem Boden und wird von zwei anderen mit etwas beworfen. Wegen der schlechten Bildqualität ist nicht genau zu erkennen, ob es sich um Schneebälle oder Steine handelt oder ob man nur so tut, als würde der Mann zur Ziel- scheibe gemacht. Der am Boden Liegende reagiert jedenfalls mit Gesten, die grossen Schmerz ausdrücken sollen, auf den Angriff. Die Szene erin- nert, ähnlich wie schon die vorhergehenden, an klassische Slapstick- Nummern des frühen Kinos. «Slapstick» bezeichnet dort ursprünglich 29 Passo della Bocchetta ist der Namen eines Passübergangs bei Genua. 145 den Schlagstock des Harlekins oder Clowns, mit dem er auf seine Kolle- gen einschlagen kann, ohne sie zu verletzen. Diesem entsprechen hier die falschen Steine, mit denen das vermeintlich bedauernswerte Opfer beworfen wird. Der Slapstick ist ein pantomimischer und sehr physi- scher Humor, der auf anarchischem Witz mit sadistisch-destruktiver Grundnote basiert: Verfolgungsjagden, Tortenschlachten, Tücke des Ob- jekts, infantile Scherze, alles in hohem Tempo und grotesker Übertrei- bung: Charakteri stiken, die auch auf Szenen intendierter Komik im Fa- milienfilm zutreffen. Die szenische Selbstdarstellung Nicht alle Menschen verhalten sich vor der Kamera gleich und nehmen automatisch die Rollen von Clowns und Komikerinnen ein. Der Hang zur Selbstdarstellung, die Motivation, sich der Kamera zu zeigen, ist nicht allen im selben Mass gegeben. Bei Castings für Spielshows und Do- kumentarfilme werden deshalb die Akteure im Vorfeld nach einem ex- pliziten oder impliziten Auswahlverfahren auf ihre Eignung für die vor- gesehene Rolle geprüft. Es sind in der Regel Personen mit besonderer Begabung zur Selbstdarstellung, die sich für solche Castings melden (Müller 1999: 88). Wenn im Folgenden von der szenischen Selbstdarstel- lung eines mehr oder weniger authentischen Selbst die Rede ist, so be- zieht sich dies auf die Darstellungsformen, die auf den ersten Blick nicht medial situiert oder «authentisch» aussehen. Es bedarf keiner besonde- ren Neigung zur Selbstdarstellung, um im Familienfilm zur Geltung zu kommen. Im Falle des Fernsehens und des Dokumentarfilms ist es für das Gelingen des Projekts entscheidend, dass die mitwirkenden Perso- nen sorgfältig ausgesucht werden. Der Familienfilmer hingegen hat kaum die Wahl. Er will sie aber auch nur bedingt haben. Seine filmische Arbeit dient nicht der Unterhaltung eines breiten Publikums, sondern der Verewigung seiner Familie, und diese wird in vollzähliger Besetzung einbezogen. 146 Bei genauerem Hinsehen wird hier aber trotzdem eine Art implizi- tes Casting sichtbar. Dies beginnt nicht erst auf dem Set, sondern in ge- wisser Weise schon beim Kauf der Ausrüstung. Nicht alle Familien sind gleichermassen daran interessiert, sich selbst auf Film festzuhalten. Da- rüber hinaus gibt es zahlreiche Fälle, in denen sich der Spass am Fami- lienfilm auf den Filmenden beschränkt und von den Familienmitglie- dern nicht geteilt wird. Doch es ist nicht nur ein grundsätzlicher Mangel an Interesse an der Selbstdarstellung, der den Kreis der potenziellen Filmer und Filmerinnen einschränken kann. Die filmische Selbstinsze- nierung der eigenen Familie kommt für viele oft einer idealisierenden Stilisierung gleich, welche die real erfahrenen innerfamiliären Machtver- hältnisse verschleiert – ein Eindruck, der sich insbesondere dann ein- stellt, wenn man die entsprechenden Filme später als Erwachsene wie- der sieht (Michelle Citron 1998). Dieser Eindruck kann sich schon in der Aufnahmesituation einstellen. Man kann entsprechend versuchen, sich diesem Zwang zu entziehen, indem man sich der Darstellung verwei- gert. Insbesondere in der Pubertät verlieren die Kinder das Interesse am Posieren für die Eltern. Sich nicht filmen zu lassen und sich von der fa- miliären Selbstdarstellung zu distanzieren, kann auch Ausdruck des Be- dürfnisses sein, nicht mehr im gewohnten Ausmass am Familienleben teilnehmen und sich aus der Gruppe lösen zu wollen. Solche innerfami- liären Dynamiken können sich auch auf die Überlieferungsgeschichte des Materials auswirken. Damit ein Filmnachlass tradiert und für eine potenzielle Nutzung zugänglich wird, muss das Material als unbedenk- lich freigegeben werden. Kommen in den Filmen zu viele innerfamiliäre Dysfunktionalitäten zum Ausdruck, so ist die Wahrscheinlichkeit klei- ner, dass die Filme erhalten bleiben. Aber auch innerhalb einer Familie gibt es, wie ich am Beispiel der «Komiker» und «Komikerinnen» gezeigt habe, grosse Unterschiede da- rin, wer sich gerne zur Schau stellt und wie sich die einzelnen Mitglieder der Kamera präsentieren. 147 Posen Sobald ich […] das Objektiv auf mich gerichtet füh- le, ist alles anders; ich nehme eine «posierende» Haltung ein, schaffe mir auf der Stelle einen ande- ren Körper, verwandle mich bereits im voraus zum Bild. – Roland Barthes: Die helle Kammer (1989: 18 f.) Familienfilme zeigen entweder Körper in Bewegung, die den Eindruck vermitteln, von einer Energiequelle angetrieben zu werden, oder sie zei- gen arretierte Körper in Ruheposition. Ebenso gerne und oft, wie Men- schen sich in Bewegung präsentieren, gefrieren sie zu einer Pose. Diese ist eine Form der szenischen Selbstdarstellung, und sie ist die am meis- ten beschriebene Darstellungsform und das am intensivsten diskutierte Darstellungsverhalten, das Menschen vor einer Kamera einnehmen.30 Was unterscheidet die Pose von anderen körpersprachlichen Aus- drucksformen? Der Begriff ist dem französischen «poser» entlehnt und heisst zunächst nichts anderes als «eine künstliche Haltung einnehmen» (Kluge 1995: 641). Im Unterschied zur Geste und zu mimischen Ausdrucks- formen geschieht das Posieren bewusst und nicht als Folge eines unbewuss- ten Reflexes. Es ist eine gezielt gesteuerte und an eine spezifische Kommuni- kationsabsicht gekoppelte Körperhaltung (Trimborn 1997: 49). Die Pose ist «immer eine Mischung aus spontanem Empfinden (Gefühle), körperge- schichtlicher Gewordenheit (Sein) und selbstbezogenen Wunschprojektio- nen (Ideale)» (Maier 1991: 49). Posen betreffen in der Regel den ganzen Kör- per, während bei einer Geste nur einzelne Körperteile involviert sind. Im Alltag spielt das Einnehmen von Posen im Unterschied zur Gestik eine un- tergeordnete Rolle. Posen, so Trimborn, werden besonders gerne in Situatio- nen benutzt, in denen über eine grosse räumliche Distanz Informationen übermittelt werden sollen, wie zum Beispiel im Theater oder in Situationen, in denen auf die Sprache verzichtet werden muss, wie im Stummfilm oder der Pantomime (ebd.: 51). Wenn im Familienfilm gerne Posen eingenom- men werden, so hängt das auch mit dem Charakter der Performance zusam- men. Namentlich die medial situierte Performance ist oft eine Art interme- 30 Für die private Fotografie vgl. Roland Barthes (1989), Jaap Boerdam et al. (1980) und Helmut Maier (1991). Letzterer untersuchte weibliche und männliche Posen auf priva- ten Urlaubsfotografien. Für den Familienfilm s. Karl Sierek (1990) und für den Spiel- film Jürgen Trimborn (1997), der die Pose als Inszenierungsmittel der Sexbombe im amerikanischen Film der Fünfziger- und Sechzigerjahre analysiert. Zum männlichen Pin-up vgl. Richard Dyer (1992). 148 diales Darbieten, das sich codifizierter Ausdrucksformen anderer Medien oder Traditionen bedient.31 Tatsächlich werden Posen im Familienfilm der Dreissigerjahre nicht nur verwendet, um das Fehlen des sprachlichen Aus- drucks zu kompensieren, sondern vor allem auch als Referenz auf Theater, Film und Pantomime. Entsprechend werden in der Regel keine eigenständi- gen Posen entwickelt; vielmehr bedient man sich, wie posierendes Darstel- len im Alltag allgemein, eines Repertoires etablierter medialer und sozialer Vorbilder. Die fotografische Pose Die mit Abstand am meisten verbreitete Pose im Familienfilm ist die so genannte fotografische Pose. Obwohl das Posieren älter ist als die Foto- grafie, besteht zwischen beiden, so Roland Barthes, eine fundamentale Verbindung: Was die Natur der Photographie begründet, ist die Pose. Dabei ist die reale Dauer dieser Pose nicht von Belang […], denn die Pose ist hier weder eine Haltung des photographierten Objekts noch eine Technik des operator, son- dern der Begriff für eine «Absicht» bei der Lektüre: wenn ich ein Photo be- trachte, so schliesse ich unweigerlich in meine Betrachtung den Gedanken an jenen Augenblick, so kurz er auch gewesen sein mag, mit ein, als sich et- was Reales unbeweglich vor dem Auge befand. Ich übertrage die Unbe- weglichkeit des Photos, das ich vor Augen habe, auf die in der Vergangen- heit gemachte Aufnahme, und dieses Innehalten bildet die Pose. (Barthes 1989: 88; Hervorhebung im Original) Barthes spricht von einem Rückkoppelungseffekt zwischen medialer Er- fahrung und medialem Verhalten und führt den Zusammenhang von Foto- grafie und Pose auf diesen Effekt zurück. Man könnte, daran anschlies- send, behaupten, dass im Familienfilm deshalb so oft fotografische Posen eingenommen werden, weil eine andere mediale Erfahrung, an die man anknüpfen könnte, noch fehlt. Dem stehen allerdings die Beobachtungen im Zusammenhang mit der artistischen Darbietung entgegen. Das obsessi- ve, Slapstick-artige Sich-Bewegen vor der Kamera liesse sich nämlich eben- so auf einen medialen Rückkoppelungseffekt zurückführen, wie Barthes ihn für die unbewegte Fotografie beschreibt – nur würde das Kino in die- sem Fall den Horizont der medialen Erfahrung bilden. Gleichwohl trifft es 31 Ich verwende den Begriff der «Intermedialität» hier nach Jens Schröter im Sinne der transformationalen Intermedialität, bei der die intermediale Beziehung darin besteht, «dass ein Medium ein anderes repräsentiert» (Schröter 1998: 144). 149 zu, dass die meisten Menschen, die ausschliesslich die Fotografie kennen, sich in der Regel beim Filmen so verhalten, als ob sie fotografiert würden. Dies gilt nicht nur für die Grosseltern der Familie U. und die Bauern in Au- tosonntag, sondern auch für die steif posierenden Menschen auf einem eth- nografischen Kauffilm aus der Sammlung U. (Une fête chez les tribus Moïs, Pathé-Baby).32 Gleichzeitig muss man sich aber fragen, ob nicht auch die Regiean- weisung des Kameramannes die Gefilmten zum Stillstehen animiert hat: Die fotografische Pose als Anfang der Sequenz, als Ausgangspunkt, an dem man gespannt auf das Kommando «Film läuft» wartet. Unbestreit- bar ist indes, dass die Fotografie auch schon in den Dreissigerjahren für diejenigen Leute, die sich das Filmen leisten konnten, so alltäglich war, dass sie auf die Art und Weise einwirkt, wie Bilder gemacht werden. Als «fotografische Pose» bezeichne ich demnach das Stillhalten vor der Kamera im Moment der Aufnahme in einer Körperhaltung, die auf kulturell präformierte Vorbilder Bezug nimmt. Die Dokumentation foto- grafischer Posierrituale gehören zum Standardrepertoire des Familien- films.33 Die fotografische Pose kommt hier in verschiedenen Ausprägun- gen vor: Die beiden wichtigsten Formen sind diejenige, mittels derer mit filmischen Mitteln ein Erinnerungsfoto simuliert wird, sowie diejenige, in der das Einnehmen der Pose «gespielt» wird. Im Ferienfilm Pontresina 7 (Familie U.), der Anfang der Dreissiger- jahre in den Schweizer Bergen entstand, ist eine gefilmte fotografische Pose zu finden, bei der das Fotografieren gefilmt wurde. In diesem spe- ziellen Fall gruppiert sich eine ganze Wandergruppe zum Fototermin und nimmt eine entsprechende Pose ein. Eine vergleichbare Szene habe ich in Autosonntag im Zusammenhang mit der gemeinsamen Einstellung von Touristen und besuchter Sehenswürdigkeit beschrieben und dabei erwähnt, dass sie den Eindruck hinterlässt, als ob der Filmer sein eigenes Tun kommentiere. Im Hinblick auf eine Analyse des Darstellungsverhal- tens sind solche Bilder von Interesse, weil sie uns konkrete Hinweise auf die Koexistenz verschiedener medialer Praktiken geben. Ein Beispiel da- für ist die nachfolgend beschriebene Sequenz. In Pontresina 7 sind zwei Frauen auf einem Waldspaziergang stehen geblieben, um sich miteinander zu unterhalten. Zunächst bemerken sie nicht, dass sie gefilmt werden (medial nicht situiert), doch nach wenigen Sekunden dreht die eine den Kopf lachend in Richtung Kameramann 32 Bei diesen Beispielen handelt es sich genau genommen um unwillkürliche Darstellun- gen, vgl. den entsprechenden Abschnitt weiter unten. 33 Vgl. auch Irene Vögeli (1999). 150 (adressiert). Dieser nimmt den Finger kurz vom Auslöser, schaltet die Kamera aber umgehend wieder ein. In der Zwischenzeit haben sich die beiden Frauen ein bisschen «zurechtgeschüttelt»: Diejenige, die den Arm schon zu Beginn in die Hüfte gestemmt hielt, tut dies nun expliziter – als ob sie mit dem Kameramann kokettieren würde (eine typische mediale Situierung). Für einen Moment halten die beiden inne, um zu einer be- wegungslosen fotografischen Pose zu erstarren. In vergleichbaren Situationen dauert das Posieren mitunter länger. Man steht zwar nicht unbedingt längere Zeit still, Auf- und Abbau der In- szenierung sind aber meistens ausführlicher dokumentiert. Ein Beispiel aus dem gleichen Pontresina-Film: Mutter und Sohn installieren sich auf einem kleinen Felsen zum fotografischen Porträt. Sie setzt ihn in Pose – kurzes Ver- harren. Dann lässt sie das Kind wieder los, es steigt vom Stein herunter. Hier haben wir es im Grunde mit einer touristischen Komposition zu tun: Mutter, Sohn, Fels und Landschaft gerinnen zu einer sehenswür- digen Ansicht. Am häufigsten findet sich diese Form der fotografischen Pose im Zusammenhang mit Porträts, wenn verschiedene Familienmit- glieder sich zum Gruppenbild arrangieren. Man sitzt im Garten um ei- nen Tisch, es wird gestrickt, gesprochen, gelacht, Kinder spielen, und plötzlich beginnt die Gruppe, sich für eine Aufnahme herzurichten (als wäre diese nicht schon längst im Gange). Man rückt zusammen, Kinder stellen sich neben die sitzenden Mütter, und man blickt kurz in die Ka- mera. So wechseln sich bewegte und unbewegte Bilder ab, als ob Foto- grafien in die Filmaufnahmen einmontiert wären. «Richtige» Fotografien finden sich wie bei den touristischen Auf- nahmen auf 9,5-mm-Filmen, da die Kerbentechnik ein kurzes Anhalten und Einfrieren der Bilder ermöglicht. Ein Beispiel ist die fotografische Pose einer picknickenden Skifahrer-Gruppe in Olux 1938, wobei der Film in dem Moment gekerbt wurde, als die Gruppe kurz in die Kame- ra schaut. Dem Anhalten voraus geht auch hier ein Posierritual: Sobald die Posierenden die Kamera zur Kenntnis nehmen, rücken diese sich schnell zurecht; das Ganze dauert nur den Bruchteil einer Sekunde. Im ersten Fall gilt die Pose vor allem der fotografischen Aufnahme – im zweiten explizit der Filmkamera. Beide Formen verweisen direkt auf die Praxis der Fotografie. Die Motivation des Posierens ist die des Still- und Innehaltens zwecks Herstellung eines Bildes. Solche Posen kom- munizieren in erster Linie: Ich posiere für ein Bild. Sie handeln vom Angeschaut- und Betrachtetwerden und sind alles andere als bedeu- tungsleer; nur tritt die Repräsentation in den Hintergrund, weil das Ri- tual des fotografischen Posierens die Darstellung überdeckt und domi- niert. 151 Eine weitere Form ist die Eröffnungspose, mit der Einstellungen oft beginnen. Sie signalisiert, dass man auf das Kommando «Kamera läuft» wartet. Es handelt sich um eine Technik des Anfangens, auf die ich im nächsten Kapitel näher eingehen werde. Das Geschlecht als Pose Ich will nun Posen analysieren, bei denen es nicht primär um ein fotogra- fisches, sondern eher um ein performatives Posieren geht. Eines der wich- tigsten Darstellungsrituale, das im Familienfilm zu beobachten ist, gilt der Darstellung des Geschlechts. Im Zusammenhang mit den Kinderauf- nahmen habe ich Patricia Erens’ Bemerkung erwähnt, dass Frauen im Fa- milienfilm zum Posieren tendieren, während Männer eher wildem Aktio- nismus zugeneigt sind und artistische Darbietungen vorziehen. Helmut Maier spricht im Zusammenhang mit Urlaubsfotografien von einem «männlichen Expandieren» und einem «weiblichen Zusammenschrump- fen» (Maier 1991: 50). Dieser Befund deckt sich mit Marianne Wex’ Studie über weibliche und männliche Körpersprache (1979). Im Unterschied zu Maier hat Wex jedoch nicht die mehr oder weniger bewusste fotografi- sche Pose untersucht, sondern ihrerseits das unwillkürliche Einnehmen von Haltungen in öffentlichen Räumen fotografisch dokumentiert. Das entsprechende Material ergänzt sie mit Abbildungen von Körperhaltun- gen in Kunst, Medien und Werbung und leitet aus dieser Gegenüberstel- lung ein Inventar von geschlechtsspezifischen Körperhaltungen her. Lässt sich im Sinne von Maier und Wex von einem «männlichen Expan- dieren» und «weiblichen Zusammenschrumpfen» im alltäglichen Leben und in der privaten Fotografie sprechen, so finden diese geschlechterspezi- fischen Verhaltensformen im Medium des Films im Gegensatz zwischen «männlicher Bewegung» und «weiblicher Arretierung» ihre Entsprechung. Es ist gewiss nicht so, dass Männer in Familienfilmen nie eine posierende Körperhaltung wählen. Dennoch nehmen Frauen eher als Männer Posen des «Sich-beschauen-Lassens» ein oder werden mit Vorliebe in solchen Po- sen inszeniert. In den Dreissigerjahren handelt es sich dabei noch nicht um eigentliche Pin-up-Posen, wie sie nach ihrem Aufkommen in den Vierziger- und Fünfzigerjahren auch Eingang in den privaten Film finden. Bereits in den Familienfilmen der Dreissigerjahre allerdings geht es unübersehbar um eine «Dramatisierung des Sexus in der Pose» (Seesslen et al. 1978: 78).34 34 Pin-up-Fotos von spärlich bekleideten Frauen in sexuell eindeutigen Posen existieren schon vor dem Zweiten Weltkrieg; doch erst mit diesem erfahren solche Bilder grosse Verbreitung und Popularisierung. 152 Generell ist festzuhalten, dass die unterschiedlichen Traditionen der Darstellung weiblicher und männlicher Körper dazu beitragen, dass weibliche Körper stärker erotisiert und als Objekt des Blicks inszeniert werden als männliche.35 Linda Williams hat in ihrem Aufsatz Film Body: An Implantation of Perversions (1986) die Darstellung von weiblichen und männlichen Körpern auf den seriellen Fotografien analysiert, die Ead- ward Muybridge mit seinem Zoopraxiscope36 im Rahmen seines Projek- tes zur Untersuchung der Körperbewegungen von Mensch und Tier her- stellte (Animal Locomotion 1887). Williams beobachtet dabei, dass die Bewegung des weiblichen Körpers meistens mit zusätzlichen, im Grun- de überflüssigen Details versehen wurde, die ein «diegetic surplus of meaning» schaffen, einen Bedeutungsüberschuss, der den weiblichen Körper in ein sozial vorgegebenes System von Objekten und Gesten ein- schreiben, während der männliche Körper von solchen Elementen frei bleibt (Williams 1986: 513). So sind Frauen «consistently provided with an extra prop which overdetermines their difference from the male» (ebd.: 516). Abgesehen von den zusätzlichen Requisiten, die in den In- szenierungen der Frauen zu finden sind, wie Stühle, Tücher, Kleider oder Zigaretten, weist Williams auch auf die Geste des Verbergens und Enthüllens hin. Gerade durch die vielfältigen Gesten des Verdeckens, werde der weibliche Körper erotisiert, und diese Erotisierung fusse letzt- lich nur auf der Konstruktion – oder vielmehr: der Inszenierung seiner Differenz zum männlichen Körper. Seesslen bemerkt, dass die weibliche Nacktheit der Pose bedarf, um im erotischen Kino als Unterhaltung zu funktionieren (damit sie mehr ist als nur ein nackter Körper). Diese Aussage lässt sich mit Williams präzi- ser fassen: If Muybridge’s photos of naked women insist on their nakedness at the same time that they also attempt to disawow it, if, in a sense, he always gi- ves us more to see – more of her body, more of her gestures, and more ob- jects which decorate or situate her in a prototypical narrative – this could be because of the male fear that this «more» is really less, that women pose the terrifying threat of «lack». (ebd.: 521) 35 Zur Darstellung des weiblichen Körpers in Malerei und Fotografie vgl. John Berger (1996). 36 Das Zoopraxiscope gilt als Vorläufer des Kinos, da es die Wiedergabe von Bewe- gungssequenzen erlaubte: Man blickt in einen sich drehenden Zylinder, an dessen Wand eine (fotografische oder gezeichnete) Bildserie angebracht ist, die eine Bewe- gungshandlung zeigt. 153 Indem der Körper der Frau auf diese Weise zur Herstellung eines eroti- schen Mehrwerts aus männlicher Perspektive benutzt werde, so Willi- ams’ Schlussfolgerung, spreche man der Frau letztlich jegliche Bedeu- tung jenseits ihrer Differenzmarkierungen ab. Das Argument läuft im Grunde auf die Feststellung hinaus, dass Laura Mulveys These (1975), der Blick im Kino sei männlich, nicht nur auf das klassische Hollywood- Kino, sondern schon auf Abbildverfahren zutrifft, die gemeinhin zu den Vorläufern des frühen Films gezählt werden. Angesichts der zahlreichen Analogien zwischen frühem Kino und Familienfilm stellt sich die Frage, inwiefern Williams’ Analyse zum Ver- ständnis der weiblichen Pose im Familienfilm beiträgt. In der Beschrei- bung mag ihr Text korrekt sein; seine Einschränkung liegt für mich in dem orthodoxen freudianischen Determinismus, der die Analyse trägt. Ödipus, daran sei nicht zu rütteln, als unser Schicksal, so die Botschaft. Die weibliche Pose im Familienfilm verlangt indes nach einer differen- zierteren Analyse. Bei der szenischen Selbstdarstellung besitzt die Selbst- inszenierung der Darstellerin gegenüber der Fremdinszenierung durch den Regisseur einen grösseren Stellenwert als bei der transfigurativen Darstellung. Entsprechend ist die männliche Inszenierung eines weibli- chen Körpers im Familienfilm zurückhaltender zu gewichten als im Falle von Muybridge. Die Frau ist hier nie nur blosses Objekt, sondern immer auch handelndes Subjekt, da sie Teil des relationalen Gefüges ist, in dem der Film entsteht. Sie kann wie Frau H. als Mutter, als Partnerin und als Star agieren (vgl. hierzu den Abschnitt «Frau H. – ein Filmstar»). Sie ver- fügt durch ihre Selbstdarstellung über ein Mittel, die Zugriffsmacht ein- zuschränken, die die Kameraperson ausübt. Wie bei den Bauern in Auto- sonntag kann man von einer ambivalenten Inszenierung sprechen. Die Ambivalenz entsteht in diesem Fall, durchaus im Sinne Williams’, aus der Konfrontation zwischen männlichem Bildermacher und weiblichem Körper – mit dem Unterschied, dass die Inszenierung nicht nur in eine Richtung verläuft. Zwischen den Aspekten der Darstellung, der Wahr- nehmung und der Inszenierung von geschlechtsspezifizierten Körpern finden im Familienfilm vielmehr – vielleicht muss man es so formulieren – mitunter Rückkoppelungseffekte statt. Näher als Williams ist meinem Verständnis Judith Butlers Ansatz, die das Geschlecht als Performance begreift. Mit Butlers Gender Trouble (1990) hat die These von der Performanz des Geschlechts Eingang in den akademischen Kanon gefunden. Schon Goffman hatte in seiner Untersu- chung zu Geschlecht und Werbung (1979) auf das Darstellungsverhalten der Geschlechter hingewiesen. Anders als Goffman stellt Butler nicht nur den Unterschied von sozialem und biologischem Geschlecht in Frage. 154 Sie analysiert vor dem Hintergrund der gesellschaftlichen Matrix der Heterosexualität die kulturelle Konstruiertheit des Geschlechts über- haupt. Butler spricht von der Geschlechtsidentität als «Akt», der wie an- dere rituelle gesellschaftliche Inszenierungen «eine wiederholte Insze- nierung» erfordere (Butler 1991: 206). Diese Wiederholung sei eine «Re-Inszenierung und ein Wieder-Erleben eines bereits gesellschaftlich etablierten Bedeutungskomplexes». Tatsächlich wird die Performanz mit dem strategischen Ziel aufgeführt, die Geschlechtsidentität in ihrem binären Rahmen zu halten – ein Ziel, das sich keinem Subjekt zusprechen lässt, sondern eher umgekehrt das Subjekt be- gründet und festigt. (ebd.) Weil der Effekt der Geschlechtsidentität durch die «Stilisierung des Kör- pers erzeugt wird, muss er als mundaner Weg verstanden werden, auf dem die Körpergesten, die Bewegungen und die Stile unterschiedlicher Art die Illusion eines unvergänglichen, geschlechtlich bestimmten Selbst […] herstellen» (Butler 1991: 206 f.).37 Durchaus in diesem Sinn gilt es, die geschlechterspezifischen Posen im Familienfilm nicht nur als Ausdruck eines Machtgefüges von männlichem Blick und weiblichem Körperob- jekt zu verstehen, sondern als Teil eines Prozesses der Erzeugung und Befestigung von Geschlechteridentitäten, der sich mittels Körpergesten und Bewegungen innerhalb des relationalen Gefüges der Produktionsge- meinschaft des Films vollzieht. Die Pose des Paares – oder wie das Paar gemacht wird «Jeder Körper», schreibt Claude Bonnafond (1993), und dies bezieht sich auch auf einen inszenierten Körper, «äussert in seiner Sprache, wie seine individuelle Sexualität beschaffen ist, und teilt seiner Umgebung mit, in 37 Die Kritik an Judith Butlers performativem Geschlechterkonzept blieb nicht aus. Auf eine Problematik ihrer Forschungspraxis weist die Körperhistorikerin Barbara Duden (1990) hin. So verbirgt sich hinter der diskursiven und performativen Konstruiertheit von Körpern doch noch so etwas wie eine Substanz, der es Rechnung zu tragen gilt. Kritik äussert auch Gesa Lindemann (1995): Ausgehend von Plessners phänomenolo- gischem Ansatz der Gestaltwahrnehmung weist sie darauf hin, dass die Geschlecht- lichkeit eines Körpers auf den ersten Blick festgelegt wird und alle weiteren Körper- zeichen im Hinblick darauf gelesen würden. Problematisch an dieser Position scheint mir jedoch, dass sie die Kategorie Geschlecht implizit zu rigide fassen muss und kaum Spielraum für Ambivalenzen und changierende Lesarten zulassen kann. Ein weiteres Problem bringt meiner Ansicht nach die Implikation, dass «sehen» und «sehen als» nicht mehr unterschieden werden. Lindemann schreibt: «[…] insofern etwas als etwas identifiziert wird, ist es immer schon bildhaft verfasst – auch der Körper» (Lindemann 1995: 92). 155 welcher Weise er seine Beziehungen zum anderen Geschlecht gestalten will, welcher Art seine Wünsche, seine Neigungen und seine besonderen Empfänglichkeiten auf dem weiten Feld der Liebesbeziehungen sind.» (Bonnafond 1993: 220). Das «primäre Paar» des Familienfilms der Dreissigerjahre sind der Ehe- mann/Vater hinter und die Ehefrau/Mutter vor der Kamera.38 Obwohl der Kameramann vorwiegend als Abwesender anwesend ist, bilden sie zusammen das zentrale Scharnier oder Paar, über das hier jegliche Ge- schlechterdifferenzierung läuft. Sierek nennt dies den «dyadischen Vor- gang» des Familienfilms, da «er sich im Wesentlichen zwischen den bei- den Instanzen des Blickobjekts und des homogenisierten Blicksubjekts abspielt» (Sierek 1990: 156). Im Zusammenhang mit den Kinderaufnah- men habe ich einen ähnlichen Mechanismus beschrieben. Trotz Abwe- senheit des Vaters in der Aufnahme wird über die Blickstrukturen der Eindruck einer vollständigen Familie erzeugt. Kokettiert und flirtet die Frau mit der Kameraperson, agiert sie also sowohl medial situiert wie auch adressiert. Mit ihrem Blick vervollständigt sie das Paar; dieser Blick ist sozusagen die Referenz für alle anderen Blickinszenierungen (wenn sich zum Beispiel eine andere Frau auf ähnliche Weise an die Kamera- person richtet). In solchen Szenen wird der binäre Rahmen der Ge- schlechtsidentität mit zur Schau gestellt, weil wir ihn der Blickstruktur zuschreiben. Mir geht es hier aber eher um das Ritual der darstelleri- schen Inszenierung der traditionellen Familie als darum, eine ideologie- kritische Lesart vorzuschlagen. Auch wenn es einige Aufnahmen gibt, auf denen die Kameraperson zusammen mit ihrem Partner oder ihrer Partnerin als Paar posiert – sei es mittels Selbstauslöser oder von einer Drittperson gefilmt –, so handelt es sich doch bei den meisten dieser Aufnahmen nicht um das «primäre» Paar, sondern um Verwandte (oder um Kinderpaare, die die Erwachse- nen imitieren oder zu deren Imitation angehalten werden). Gerade bei den Aufnahmen von Herrn und Frau H., die offenbar gerne Ausflüge mit Freunden unternahmen, finden sich einige solche Paarinszenierun- gen. Zum Beispiel Jahresschau 1929/1930: Da ist zunächst eine ungewohnt kurze Aufnahme, wie sich Frau H. einem Mann an den Hals wirft und lachend in die Kamera schaut (der Mann muss eng mit den H.s befreun- det gewesen sein, denn er ist oft auf den Filmaufnahmen zu sehen). Un- gewöhnlich ist diese Szene deshalb, weil es meistens die Männer sind, 38 Es gibt nur vereinzelte Sammlungen aus dieser Zeit, bei denen Frauen gefilmt haben. Bei einem der wenigen Beispiele meines Korpus habe ich festgestellt, dass die Frau, welche angeblich hinter der Kamera stand, häufig im Bild zu sehen ist. 156 die ihre Partnerinnen umarmend an sich ziehen und damit dominant er- scheinen. So zum Beispiel etwas später auf der gleichen Filmrolle: Die Szene (in einem Garten) beginnt mit einer Dreiergruppe. Ein Mann umarmt je links und rechts eine Frau. Vertreterinnen des weiblichen Ge- schlechts stehen ihm im Überfluss zur Verfügung, scheint die Geste zu sagen. Die drei stolzieren kapriziös und lachend auf die Kamera zu. Nun tritt ein zweiter Mann ins Bild. Der erste zieht zunächst die beiden Frau- en näher zu sich, dann legt auch der zweite einen Arm um die Schultern einer Frau, und das doppelte Paar posiert gemeinsam. Der Blick geht zur Kamera; es findet auch ein reges «stummes Sprechen» mit ihr (bezie- hungsweise der Kameraperson) statt. Manchmal sind solche Paarinszenierungen auch weniger ostentativ: ein flüchtiger Kuss, ein Arm, der um die Schultern gelegt wird, verbun- den mit einer fast unmerklichen körperlichen Anspannung, die eine flüchtige Geste in eine Pose verwandelt. In solchen Momenten bringt der Familienfilm die binäre Ordnung der Geschlechter rituell hervor. Die Beschreibung von Paarszenen wäre unvollständig, würde ich nicht auf die gleichgeschlechtlichen Paarinszenierungen verweisen, die zuweilen vorkommen. Meistens im Kumpelstil oder freundschaftlichen Nebeneinander gehalten, posiert man auf eine Art und Weise, die mög- lichst das Verhältnis zueinander zum Ausdruck bringt. Dies gilt für Frauen und für Männer. So gesehen, gehört der Auftritt von Frau H. und ihrer Freundin in Roncato eher zu den Ausnahmen: Dort stolzierten die beiden Frauen ja zunächst lasziv über eine Treppe in den Garten – im- mer eine Art intermediale Pose einnehmend, die auf bestimmte (Vor-)Bil- der anspielt und stark medial situiert ist. Die beiden Frauen defilieren, als seien sie Fotomodelle oder Filmstars, wobei Frau X. der Kamera die Zunge herausstreckt (und diese damit explizit adressiert) und Frau H. ihren Arm um Frau X. legt. Nun laufen sie gemeinsam – Arm in Arm – auf die Kamera zu, küssen sich dabei kurz auf den Mund und beginnen zu lachen. Dieser Kuss ist irritierend, weil er die heterosexuelle Paarin- szenierung unterläuft. Im Unterschied zum schwulen gehört das lesbi- sche Paar zwar zum Standardrepertoire der heterosexuellen Pornografie (Williams 1995). Gleichwohl unterläuft diese Darstellung für einen kur- zen Moment die relativ starre heterosexuelle Matrix, die der Familien- film üblicherweise reproduziert. Die Darstellung bleibt indes zwei- schneidig: Die Wiederholung der binären Paarinszenierung wird nicht nur verfehlt, sie ist vielmehr deformiert und wird im Grunde für einen kurzen Moment auch parodiert. 157 Frau H. – ein Filmstar Um die Frage der Geschlechterperformance weiter auszuführen, will ich nun wieder zu einer ausführlicheren Fallstudie ausholen, die sich zu- gleich für eine zusammenfassende Diskussion der szenischen Selbstdar- stellung zwischen den beiden Polen Stillstand und Bewegung eignet. Ein auffälliges Beispiel posierender szenischer Selbstinszenierung findet sich in der Sammlung H. Die Darstellerin ist uns aus diversen Fil- men schon bekannt: Frau H. – der Star. Sie scheint, abgesehen von ein paar Kindern, das Filmen am meisten zu geniessen. Nicht nur, dass sie immer wieder durch Winken auf sich aufmerksam macht – offensichtli- che liebt sie das Auftreten und die Pose. So zum Beispiel in Jahresschau 1929: Frau H. sitzt im Gras, zurückgelehnt, die eine Hand abgestützt, die andere in der Tasche des Regenmantels; sie wirft einen koketten Blick zur Kameraperson, hebt kurz den Kopf lasziv nach oben und arrangiert sich zur Pose: Schau(t) mich an – ich lasse mich gerne beschauen! Als ikonografische Vorbilder von solcherlei Posen bieten sich in den Dreissigerjahren Bilder von Filmstars, Schauspielerinnen und Fotomo- dellen an, in denen das Geschlecht in der Pose dramatisiert wird. Georg Seesslen bemerkt, dass im erotischen Kino Posen dazu verwendet wer- den, «Nacktheit als Unterhaltung» darzustellen (Seesslen et al. 1978: 35). An Stelle der Nacktheit ist auf weiblichen Standfotos der weibliche Kör- per oder auch nur ein Teil davon, wie der Blick oder das Dekolleté, als Unterhaltung inszeniert. Dabei stellt sich sofort die Frage, wer hier un- terhalten werden soll. Trägt man der vorfilmischen Situation Rechnung, so gilt die laszive Pose von Frau H. im Moment der Aufnahme in erster Linie ihrem Mann, der sie ja durch den Sucher betrachtet und vielleicht auch zu dieser Selbstinszenierung angeregt hat. Zugleich lohnt es sich, Carlsons (1996) Idee des doppelten Bewusstseins mit in Rechnung zu stellen, das jeder Performance zu Grunde liegt. Geht man davon aus, dass Frau H. ihre Darbietung an einer Vorstellung misst und sie mit imaginären Vorbil- dern in Verbindung bringt, so unterhält sie nicht zuletzt auch sich selbst, und zwar gleich doppelt: sowohl durch die Pose vor der Kamera wie auch durch die Antizipation des eigenen Bildes, das sie eines Tages auf der Leinwand sehen wird. Dazu gesellt sich ein zusätzliches Moment der Verdoppelung. Indem sie ihre Beziehung zum Ehemann als Beziehung zwischen Filmstar und Leinwandpartner darstellt, erweist Frau H. – ob bewusst oder nicht – für einen kurzen Moment dem Genre des Liebes- films ihre Reverenz; man darf durchaus annehmen, dass diese Projektion der eigenen Ehe auf das populärkulturelle Schema der Filmromanze ein 158 zusätzliches Moment der Unterhaltung und des (Selbst-)Genusses dar- stellt. Eine andere Pose von Frau H., die nicht lasziv ist, sondern andäch- tig, habe ich bei den Kinderaufnahmen erwähnt. Für einen Moment kreuzt sie voller Bewunderung für ihre beiden «Männer» die Hände auf der Brust, in einer Art Madonna-Pose, die letztlich dazu beiträgt, ihren Starcharakter zu unterstreichen. Ähnlich wie in der lasziven Pose unter- läuft auch in der Madonna-Pose die Übertreibung der konkreten Darstel- lung das Klischee, das sich mit der gewählten Pose verbindet. Im frühen Kino machen sich sehr bald auch Frauen bemerkbar, die mit ihren Darstellungen über das Spektakel der Objektivierung hinaus- weisen. Constance Balides (1993) beschreibt zum Beispiel eine Szene aus Getting Strong (USA 1904), in der drei Frauen in einem Schlafzimmer Turnübungen machen und sich witzelnd ihre physischen Kräfte vorfüh- ren. Durch die humorvolle Kommentierung und Parodie der eigenen Handlung, durch das Lachen der Darstellerinnen, aber auch ihren Ge- nuss am gemeinsamen Spiel, kann eine einseitige Vereinnahmung der Körperpose durch einen «männlichen» Blick nicht in dem Masse zu Stande kommen, wie sie eigentlich angelegt wäre. Einen ähnlichen Um- stand beschreibt Heide Schlüpmann (1994), wenn sie davon spricht, dass das Erzählkino um 1910 voller Filme ist, «in denen die Frauen trium- phierend über die Männer wegblicken und sich in ihrem Blick der Freundin, dem Geschäftspartner und vor allem der Kamera verbünden» (Schlüpmann 1994: 1083).39 Humor spielt dabei eine wichtige Rolle. Witz und Komik sind «praktische Kritiken der die menschlichen Fähigkeiten ausbeutenden und beherrschenden gesellschaftlichen Normativität: Sie retten die menschlichen, körperlichen Produktivkräfte vor der Verein- nahmung» (ebd.: 1080). Wenn ich Frau H. als Filmstar im privaten Kreise bezeichne, so geht es mir letztendlich um zwei Dinge: Wie kein anderes Medium scheint der Film mit der Möglichkeit des Berühmtwerdens verbunden. Davon spricht auch das Inserat von Kodak, das 1930 in der Zürcher Illustrierten für die private Filmtechnik warb: «Suchen Sie nach einem Filmstar in Ih- rer Familie!» Frau H. ist keine Diva, sondern ein Komödienstar mit weni- ger Glamour und Erotik. Mit der exzessiven Darbietung ihres Körpers gibt sie ein anderes Bild des weiblichen Körpers ab, als man sich dies ge- 39 Beide Texte versuchen, «to make explicit some of the historical terms according to which the films are comprehensible» (Balides 1993: 37). Die spezifische historische Verankerung ihrer Lesart würde deshalb eine Diskussion der Übertragbarkeit ihrer Ergebnisse auf Filme der Dreissigerjahre verlangen. 159 meinhin für diese Zeit vorstellen würde: Mit Komik und einer ausge- stellten Lust am (Rollen)Spiel widersetzt sie sich einer vorschnellen ero- tisierenden Vereinnahmung durch den männlichen Blick. Wenn sie mit Matrosenmütze und Sonnenbrille be- und verkleidet auf dem Balkon sitzt – mit einer Bastelarbeit für ihren Sohn beschäftigt, während ein Ak- kordeon auf dem Tisch vor ihr liegt – so erinnert sie einen Moment lang an Asta Nielsen oder Michel Simon (in Jean Vigos L’Atalante). Man könn- te auch sagen: In Frau H. finden die Performerinnen des frühen Kinos, die Balides und Schlüpmann beschreiben, zwei Jahrzehnte später eine Schwester im privaten Film. Die Pose als Verfahren der Dramatisierung oder: Der Familienfilm zwischen Stillstand und Bewegung Die Pose als Darstellungsform erweitert den Spielraum der szenischen Selbstdarstellung in mehrere Richtungen: Die Erweiterung ist zunächst referenzieller Natur, stellt die Pose doch Bezüge auf Vorbilder und ande- re Zusammenhänge her. Sie hilft, einen Körper mit Bedeutungen zu ver- sehen, bestimmte Vorstellungen und Vorstellungsbilder abzurufen und hervorzuheben, sodass sich eine Lesart gegen den Strich ergibt. Ich kann so tun, als ob ich einen begehrten Star, ein graziles Fotomodell oder eine berühmte Persönlichkeit als Statue verkörpere (mit der Faust unter dem Kinn als Denker; mit der Hand im Revers als Napoleon). Die Pose er- laubt mir für einen Moment, in eine transfigurative Rolle einzusteigen, ohne dass die Voraussetzung von Illusion und Fiktionalität erfüllt sein muss, die eine solche Darstellung kennzeichnet. Darüber hinaus erlaubt sie, durch die Arretierung des Körpers einen Akzent zu setzen und die Wahrnehmung des Publikums auf diesen Moment zu lenken. Die Pose ist sozusagen immer schon perzeptiv auf ihre Wahrnehmung ausgerich- tet; sie ist also das, was ich als medial situiert bezeichnet habe. Menschen nehmen Posen auch im nichtfilmischen Alltag ein – wenn auch in geringerem Ausmass. Die mediale Situation des Familien- films fördert, unterstützt und verstärkt den Hang zur Pose, weil sie zur Dramatisierung beiträgt; sie macht etwas lebhafter, aufregender, als es in der Wirklichkeit ist. Durch die Pose werden Figuren und das normale Alltagsleben vor der Kamera zu etwas Unterhaltsamem, zu einem Ge- schehnis mit Schauwert. Die Dramatisierung des «gewöhnlichen» Dar- stellens findet dabei auf zwei Ebenen statt: als referenzielle Dramatisie- rung mit Bezug auf Vorbilder und als intramediale durch die Arretierung des Körpers. Im Zusammenhang mit der Arretierung kann man auch von einer fotografischen «Einbalsamierung» sprechen (Trim- born 1997: 214): Die Pose reguliert nicht nur die Aufmerksamkeit der Re- 160 zipienten, sie legt – insofern sie eine Geste des Festhaltens ist – auch schon die Grundlage zur Erinnerung an diesen Moment. So gesehen, ha- ben Posen wie Standfotos die Funktion, das Nachwirken von Filmen zu optimieren. Sie helfen «Teile des ansonsten vergänglichen Filmerlebnis- ses […] für das visuelle Gedächtnis zugänglich zu machen, und damit über den ephemeren Augenblick der Filmvorführung hinwegzuretten» (ebd.: 214). Insofern die Pose den Charakter eines fotografischen, unbe- wegten Bildes hat, bricht sie den Fluss der Bewegung. Daraus resultiert auch ihr spezifischer dramaturgischer Nutzen im Familienfilm: Aus dem Wechselspiel von unbewegtem und bewegtem Bild entsteht Überra- schung und Spannung.40 Anhand des Tourismusfilms habe ich erläutert, wie im Familienfilm hinsichtlich Kadrage und Kamerabewegung gerne auf die Konventionen der Fotografie zurückgegriffen wird. Am Einsatz der Pose zeigt sich, dass dies auch für die Darstellung gilt. Auf die Kontinuität von Fotogra- fie und Film in der Praxis des häuslichen Bildermachens verweist auch Stacey Johnson (1998). In seiner Untersuchung zum Kodak-8-mm- Format stellt er dabei die These auf, dass zwischen der filmischen und der fotografischen Repräsentation der Familie keine wesentlichen Unter- schiede bestehen: While the movie camera appeared to set in motion what the photographic camera could only capture in a fraction of a movement, its intervention in the family did little to radically change the representation of family history. (Johnson 1998: 153) Im Gegensatz zu Johnson möchte ich daran festhalten, dass zwischen der filmischen und der fotografischen Repräsentation von Familienge- schichten wichtige Unterschiede bestehen. Gerade im Wechselspiel von Stillstand und Bewegung liegt eine ästhetische Differenz zur Fotografie, die von Familienfilmern nicht nur wahrgenommen, sondern in der Pra- xis auch spielerisch ausgelotet wird, wie meine Analyse der Performance 40 Raymond Bellour schreibt in seinem Artikel L’interruption – l’instant über den Unter- schied von Film und Fotografie in Bezug auf die Pose: «La photo de pose possèderait donc historiquement, mais aussi formellement, une nature opposée à celle de l’instantané dont le cinéma fait sa matière» (Bellour 1990b: 114). Im gleichen Artikel vertritt er die Ansicht, dass es dem frühen Kino technisch kaum möglich war, das Bild anzuhalten, und dass solches diesem auch nicht nahe lag, da es in erster Linie für sich die Bewegung des Körpers entdeckte (ebd.: 112). Diese Beobachtung gilt es zu diffe- renzieren, weil die Bewegung gerade durch ihre Negation noch mehr herausgestellt werden kann. Zwar war es vor der Erfindung des optischen Printers nicht möglich, ein Bild einzufrieren (ausser im 9,5-mm-Format) – die Pose konnte aber von der Wir- kung her ein Bild für Sekunden stillstehen lassen. 161 zeigt. Eine Pose im Familienfilm erschöpft sich nicht im «fotografischen» Aspekt der Körperhaltung an sich. Zur filmischen Pose gehört auch das Einnehmen wie das Herausfallen aus der Pose, die Interaktion mit der Kameraperson und die dramaturgischen Wirkungen, die sich aus den Übergängen von Bewegung und Stillstand ergeben. Gesten Der körpersprachliche Ausdruck der szenischen Selbstdarstellung redu- ziert sich nicht auf die Pose. Ebenso gehört das Mienen- und Gebärden- spiel dazu, das sich in Gesten äussert. Eine Geste ist ein Ausdrucksmit- tel, das auf die Bewegung bestimmter Körperteile abstellt, zu denen auch das Gesicht zählt. Im Unterschied zu Posen sind Gesten ein unver- zichtbarer Bestandteil alltäglicher Kommunikation. Wenn ich mich im Folgenden mit einigen typischen Gesten des Familienfilms beschäftige, so geht es mir weniger um solche, die in der alltäglichen vorfilmischen Kommunikation verwendet werden, als um solche, die aus der Situation des Films resultieren. Ich werde mich demnach in erster Linie mit dem gestischen Darbieten als medial situiertem Verhalten auseinander setzen. Die entsprechenden Gesten sind in der Regel adressiert. Es gibt zwei typische Handbewegungen, die gefilmte Menschen gerne machen: Entweder beginnen sie zu winken, oder sie deuten (meis- tens mit ausgestrecktem Zeigefinger) auf etwas, das sie sehen und das die Kamera filmen soll. Beide Gesten kanalisieren den Blick, sowohl der Kameraperson wie auch des späteren Publikums. Zieht die erste Geste den Blick auf die winkende Person, lenkt die Zeigegeste den Blick auf das betrachtete Objekt. Die Zeigegeste Für Sierek ist der Familienfilm, wie bereits erwähnt, «in unmittelbarer Weise der Versuch, den eigenen Blick nach aussen […] zu legen, um sich später sehen zu sehen» (Sierek 1990: 159). Sierek beschreibt diesen Vor- gang auch als Antizipation der Haltung, die man vor der Leinwand ein- nehmen wird: Schau das da! Die Zeigegeste unterstützt und lenkt, wie bereits gesagt, den eigenen Blick, den man auf der Leinwand wieder se- hen wird, und zieht ferner den Blick der filmenden Person auf sich und auf das, was man sieht. Die Zeigegeste dient dem Zeigenden aber auch dazu, in den Prozess des Bildermachens einzugreifen, indem er sich an der Auswahl der filmenswerten Objekte beteiligt. Mitunter wird der Zei- gende sogar zum Regisseur und weist den Kameramann an, was er zu 162 filmen hat. Zeigegesten gelten zum Beispiel schönen Blumen (Frau H. zeigt der Kamera eine Kamelienblüte), prachtvollen Aussichten oder auch Tieren (Herr H. zeigt den Kindern im Garten eine Schildkröte). Sol- che Gesten sind selten adressiert, weil der Blick der zeigenden Person auf das Objekt gerichtet bleibt. Anders verhalten sich Kinder; wenn sie zum Beispiel ihre Lieblingsspielsachen hinhalten, dann richtet sich nicht nur ihre Geste direkt an die Kameraperson, sondern auch ihr Blick. Kin- der tendieren dazu, das, was sie zeigen wollen, in die Hand zu nehmen und in Richtung Kamera zu strecken. Erst von einem gewissen Alter an beginnen sie, mit dem Finger auf das zu filmende Objekt zu deuten.41 Adressiert sind Zeigegesten üblicherweise auch dann, wenn sie der Kamera selbst gelten; wenn die Mutter dem Kind die Kamera (den Va- ter) zeigt und es auffordert, dorthin zu blicken. In solchen Einstellungen richtet der Erwachsene seinen Blick meistens nicht von Anfang an zur Kamera, oder er schaut gar nicht zu ihr hin. Zuerst wird der Blick des Kindes gesucht und überprüft, ob dieses auch wirklich das Richtige an- schaut. Erst nach dieser Vergewisserung schwenkt der Blick der Väter und Mütter zur Kamera. Die meisten Zeigegesten könnte man als Vergewisserungsgesten be- zeichnen, weil sie sich immer auch an die Kameraperson richten: Wenn du siehst, was ich sehe, dann siehst du auch mich. In dieser Konstellati- on geht es weniger darum, das Sehen sichtbar zu machen, als selber sichtbar zu werden oder die eigene Sichtbarkeit mit einer Geste zu unter- stützen. Das gilt insbesondere auch für Bezugnahmen auf die Kamera- person. Zeigt man diese einem Kind, so wird es nicht nur auf den sozia- len Zusammenhang der Familie hingewiesen, sondern auch mit dem filmischen Prozess vertraut gemacht. Eine andere Form von Zeigegesten resultiert aus Zeigehandlungen, die zwischen verschiedenen Personen vor der Kamera stattfinden. In der Sammlung U. gibt es auf einigen Filmrollen Aufnahmen des Vaters, der mit seinen beiden Söhnen ein Bilderbuch anschaut. Diese Situation wur- de wahrscheinlich nicht zuletzt deshalb inszeniert, weil sie eine absor- bierende Wirkung auf die Kinder entfaltet; vertieft in das Bilderbuch, halten die diese still und lassen sich zusammen mit dem Vater filmen. Wenn der Vater aufs Buch zeigt ist dies, im Unterschied zu den bislang beschriebenen Gesten nicht adressiert, aber, zumindest was die Perfor- mance betrifft, gleichwohl medial situiert. Ein anderes Beispiel stammt 41 Den Tastsinn von der visuellen Wahrnehmung zu trennen, gehört zu den traditionel- len Erziehungszielen, was sich auch in der Aufforderung ausdrückt: Man schaut nicht mit den Händen! 163 ebenfalls aus der Sammlung U.: Boys im Januar 1928. Die beiden Buben befinden sich im Garten. Der Jüngere ist erst ein paar Monate alt, er sitzt in einem offenen Kinderwagen. Der Grössere ist knapp drei Jahre und steht daneben. Protagonist dieser Szene ist offensichtlich der jüngere Sohn. Ähnlich wie Hasi in seinen Filmen wird auch er immer wieder aus dem Off animiert. Dann darf der Grosse dem Kleinen seinen fahrbaren Esel vorführen: Er zeigt ihm, wie die Zügel zu bedienen sind. Doch bleibt die gewünschte Wahrnehmungsaktivität seitens des Kleinen weit gehend aus. Immer wieder wendet der grössere Junge seinen Blick zu- rück in Richtung Kamera, als wolle er sich versichern, dass er es auch recht mache und trotz ausbleibendem Erfolg fortfahren soll. Was dem kleinen Bruder gezeigt wird, wird damit auch der Kamera gezeigt – ein Zeigen des Zeigens sozusagen. Der «Winkzwang» Winken stellt die expliziteste Adressierung der Kamera mittels Gestik dar. Im Unterschied zur körperlichen Darbietung handelt es sich beim Winken um einen codierten Ausdruck, um eine alltägliche Geste. In der ausserfilmischen Realität kommt dem Winken – so es situationsadäquat erfolgt – eine ganz bestimmte Bedeutung zu: Sie beinhaltet entweder eine Begrüssung, eine Kontaktaufnahme oder eine Verabschiedung. Für den Familienfilm eignet sich das Winken zunächst einmal deshalb, weil es, wie die artistische Darbietung, eine Form des Zurschaustellens von Bewegung ist.42 Ähnlich wie das Bockspringen scheint das Winken im Familienfilm eine Aktivität zu sein, die sich mit einer gewissen Zwangs- läufigkeit einstellt. Man kann geradezu von einem Winkzwang43 spre- chen, der sich ganz natürlich und wie von selbst einstellt, sobald die Filmkamera läuft. Richard Chalfen geht davon aus, dass das Winken als Antwort auf die Aufforderung, sich zu bewegen, etwas zu tun, erfolgt (Chalfen 1986: 67). Dagegen spricht jedoch, dass zwangsartiges Winken nicht nur im Familienfilm vorkommt, sondern ebenso sehr auch im Fernsehen.44 Im 42 Man könnte den Winkzwang vielleicht auch als das exakte filmische Pendant zur foto- grafischen Pose – im Sinne von Roland Barthes – bezeichnen. 43 Ein Ratgeberbuch für Home Movies aus den Siebzigerjahren nennt diese Winkgeste «the waving syndrome», die folgendermassen erklärt wird: «They do this because they know you’re taking pictures, and they feel silly; they thereupon tend to make as- ses of themselves in an entirely futile attempt to appear unsilly» (zit. nach Chalfen 1986: 67). 44 Das Phänomen des zwanghaften Grüssens ist im Übrigen auch am Radio verbreitet. Sobald die Zuhörer und Zuhörerinnen zur Partizipation an Sendungen aufgefordert 164 Unterschied zum Familienfilm findet die Fernsehaufnahme nicht im pri- vaten Rahmen statt, und es steht auch keine bekannte und vertraute Per- son hinter der Kamera, auf deren Anweisungen man reagiert. Tatsäch- lich richtet sich das Winken im Fernsehen nicht an die Kameraperson, sondern an die Zuschauer und Zuschauerinnen, die man vor dem Bild- schirm vermutet und die einen kennen.45 Die Winkgeste im Familienfilm gilt neben der Kameraperson auch dem Publikum, das neben dem Ka- meramann auch Bekannte und Verwandte umfassen kann, sowie natür- lich auch die Winkenden selbst. Wahrgenommen wird die Winkgeste im Familienfilm vom Publikum erst mit zeitlicher Verzögerung, während im Fernsehen im günstigen Fall der Liveeffekt hinzukommt, der Genuss einer direkten Übertragung der Geste. In jedem Fall aber scheint es mir angesichts der Zwangsläufigkeit, mit der sich das Winken sowohl im Fa- milienfilm wie auch im Fernsehen darstellt, nicht angemessen, es nur als Antwort auf eine Aufforderung zu verstehen. Ähnlich wie die Zeigege- ste ist auch das Winken letztlich Ausdruck eines «Gesehen-werden- Wollens». Der kurze Winkauftritt ist demnach sowohl im Familienfilm wie auch in den Massenmedien eine Form expressiver Selbstdarstellung, die sich – wenn vielleicht auch nicht bewusst – an einen vertrauten Perso- nenkreis richtet. Das Winken (oder eben auch Aussprechen von Gruss- formeln) erinnert an das kleine Kind, das unablässig seine Mutter ruft, um sich ihrer Anwesenheit zu versichern. Im Falle des Fernsehens hilft diese Form der Bezugnahme, die anonyme Beobachtungssituation zu durchbrechen. Der Winkzwang kann deshalb auch als eine Art Selbstver- gewisserung gesehen werden oder eine Form von Grusskult, der die ge- genseitige Anerkennung gewährleistet.46 Darüber hinaus könnte der spontane Winkzwang emotionstheoretisch auch als Coping-Strategie be- schrieben werden, die eine Verlegenheit mittels kommunikativ festgeleg- ter Gesten zu neutralisieren sucht – eine Form von Übersprungshand- lung also. Das Winken kann dabei als Reaktion auf eine beschämende werden, geben sie als Erstes Grüsse und Wünsche an Angehörige und Freunde durch. 45 In solchen Momenten wird das Fernsehen auf eine explizite Weise zum Kontaktmedi- um (im Unterschied zum Fernsehen als Informationsmedium, vgl. Eggo Müller 1995: 87). Manchmal geht es bei diesen Kontaktaufnahmen aber auch darum, eine Botschaft zu vermitteln, wenn zum Beispiel ins Studio mitgebrachte Schilder hochgehalten wer- den («Kölliken grüsst Bernhard Russi»). 46 Ein ähnlicher Winkzwang ist auch bei Kindern zu beobachten, wenn sie wildfremden Menschen zuwinken, um eine Reaktion auszulösen. Die Freude ob einem Zurückwin- ken lässt sich aus dem Paradox erklären, dass das Kind schon weiss, dass man nur Be- kannte begrüsst; winken Erwachsene zurück, so kann es sich über diesen Fehler und die neue Bekanntschaft freuen. Was nicht ausschliesst, dass es sich gleichzeitig auch ein bisschen schämt. 165 Erfahrung oder als Antizipation eines Schamgefühls interpretiert wer- den. Als Form der spontanen Hinwendung zur Kamera oder als aktive Mediennutzung bildet der Winkzwang gleichzeitig aber auch das Ge- genstück zur Kamerascheu oder sogar -flucht. Obwohl beiden Reaktio- nen, psychologisch gesehen, ein Moment der Verlegenheit innewohnt, unterscheiden sie sich doch in der Einstellung zur Situation des Gefilmt- werdens, die sie zum Ausdruck bringen: Das Winken bekräftigt die me- diale Situation, während mit der Kameraflucht die Partizipation verwei- gert wird. Der Winkzwang und die Zeigegeste gehören in eine Reihe von typi- schen Familienfilmgesten, die – wie auch die Pose – Blicke lenken und zum Betrachten auffordern. Bislang habe ich in erster Linie Momente der Darstellung analysiert, in denen Menschen sich der Kamera zuwenden und sich ihr mitunter lustvoll präsentieren. Dies ist insofern gerechtfer- tigt, als «[…] in the main there is very little discomfort or embarrassment before the camera» (Erens 1986b: 21). Gleichwohl gehören auch Verwei- gerungsgesten zum üblichen Repertoire des Familienfilms. Tatsächlich ist die Geste des Verbergens oder Verweigerns eine ebenso typische sze- nische Selbstdarstellung wie die Pose, die zum Betrachten auffordert. Ambivalente Gesten der Verweigerung und des Verbergens Die weitaus häufigste Verweigerungsgeste ist diejenige, bei der die ge- filmte Person die Hand entweder vor das eigene Gesicht oder das Kame- raobjektiv hält, um den Blick zu verdecken. Die nach vorn gekehrte Handfläche ist ein universelles Zeichen der Zurückweisung, das symbo- lisch darstellt, wie man jemanden von sich stösst (Morris 1996: 52).47 Im Unterschied zu Kindern, die sich nicht gerne filmen lassen, lau- fen Erwachsene selten einfach aus dem Bild, und aus dem Filmen wird auch kein «Fang-mich-doch» (wie es sich manchmal mit Kindern ergibt). Vor allem Frauen reagieren auf unfreiwilliges Gefilmtwerden mit Gesten der Verweigerung; manchmal reagieren aber auch Männer auf diese Wei- se.48 Die Hand wird vors Gesicht geschoben, um Gefühlsausdrücke zu verbergen: 47 Obwohl ich in meiner Analyse diesen Umstand vernachlässige, ist auf die Historizität von Gefühlen und ihrem Ausdruck hinzuweisen. Für eine historische Lesart von Fa- milienfilmen in Bezug auf die Veränderung des Gefühlsausdrucks vgl. Suzanne Ass- man 1995. 48 Hier spielt das geschlechtsspezifische Verhältnis von filmender und gefilmter Person eine Rolle: Weitaus mehr Frauen werden in meinem Untersuchungszeitraum von Männern gefilmt als umgekehrt. 166 […]There can be many situations when one wishes to hide pangs of shame (and its appeasement presentation), for a display of shame might signal to the other a recognition that one sees oneself as in the wrong, in inferior po- sition, fearful, or emotionally disturbed. (Gilbert 1998: 23) Interessanterweise habe ich in meiner Untersuchung diese Geste viel sel- tener angetroffen, als ich anfänglich vermutete.49 Dafür finden sich häu- fig andere, ambivalentere und zurückhaltendere Verlegenheitsgesten, wie zum Beispiel das Abwenden von Körper und Gesicht, während ge- lacht wird; oder ein Blick zur Seite und nach unten. Im Film Hasi 14 fin- det sich eine Sequenz, die in einem Seebad gedreht wurde. Sie enthält die Aufnahme einer Frau, die im Gras sitzt und in die Kamera lacht. Als ob es ihr ein bisschen peinlich wäre, gefilmt zu werden, dreht sie sich schnell zur Seite. Eine ähnliche Situation findet sich auch während einer Porträtaufnahme der Hausangestellten der Familie U. Die junge Frau versucht krampfhaft, das Lachen zu unterdrücken. Sie wagt nicht, ihren Blick auf die Kamera zu richten, sondern schaut verlegen zuerst zur Sei- te und dann nach unten. Diese Aufnahme ist insofern bemerkenswert, als keine Adressierung stattfindet. Das soziale Gefälle zu den Filmenden ist spürbar. Vielleicht ist es der Angestellten etwas unangenehm, gefilmt zu werden, weil sie damit symbolisch in den Kreis der Familie aufge- nommen scheint. Wer sich in den Dreissigerjahren eine Kamera leisten konnte, verfügte auch über das nötige Geld, um Personal zu beschäfti- gen. Es ist deshalb nicht erstaunlich, dass sich in vielen Sammlungen vereinzelte Einstellungen mit Hausangestellten finden. Diese Aufnah- men markieren immer auch Grenzen zwischen der Familie und denen, die nicht dazugehören, zwischen Arbeitgeber und Angestellten. Die öko- 49 Meine Erwartung könnte durch Konventionen von Pseudofamilienfilmen – wie sie vor allem in den letzten Jahren in Spielfilmen häufig verwendet werden – geformt sein. 167 nomischen, sozialen und psychologischen Grenzen äussern sich in erster Linie in kleinen Gesten von Kamerascheu und Verlegenheit, die mitun- ter auch die Differenz zwischen den Personen markieren, die den Um- gang mit der Kamera gewohnt sind, und denen, die damit noch keine Erfahrung gemacht haben (was an das medial nicht situierte Posieren von Fremden erinnert). Interessant ist dabei die Frage, ob alle diese Gesten als Konsequenz einer Verlegenheit entstehen oder ob einzelne nicht eher als Antizipation eines Scham- oder Verlegenheitsgefühls verstanden werden müssen, wie es beispielsweise Erving Goffman (1987) vorschlägt.50 Bevor es peinlich wird, verstecke ich mich lieber vor der Kamera; wenn ich sie nicht mehr sehe, sieht sie mich auch nicht. Oder: Ich muss mich von der Kamera wegdrehen, weil ich mit dem Lachen nicht aufhören kann. Im Familien- film ist das Lachen eine sanktionierte Form der Verweigerung. Es signa- lisiert einen Kontrollverlust, ohne deswegen die Situation vollumfäng- lich in Frage zu stellen. Zugleich dient es dazu, etwas zu verbergen und Grenzen zu markieren (und darauf hinzuweisen, dass diese von der Ka- meraperson nicht respektiert werden).51 Die Funktion von nonverbalen Gesten der Scham besteht nach An- sicht von Verhaltensforschern unter anderem darin, in Krisensituationen die soziale Harmonie wiederherzustellen: […] shame serves the important function of appeasing observers of social transgressions, a function which reestablishes social harmony following the rule violations that inevitably disrupt social interaction. (Keltner et al. 1998: 78) Zwei andere Gesten, die mitunter auf eine sehr ähnliche Art und Weise eine Form von ambivalenter Verweigerung zum Ausdruck bringen, sind Gri- massen und das stumme Sprechen. Oft strecken Darsteller im Rahmen von Clownnummern der Kameraperson die Zunge heraus, und auch Grimas- sen und Faxen charakterisieren diese Darbietungen. Es handelt sich dabei um so genannte funny faces, wie sie auch zum Darstellungsrepertoire der komischen Szenen des frühen Kinos gehören, «in denen die wie auch im- mer auffällige Physiognomik der Darsteller als Attraktion in Nahaufnah- me präsentiert wird, wobei sie zudem meist noch durch Grimassen zusätz- 50 Erving Goffman unterscheidet nicht zwischen Scham und Verlegenheit; er verwendet die beiden Begriffe synonym. 51 Helmut Maier schlägt im Zusammenhang mit der privaten Urlaubsfotografie folgen- de Lesart vor: Lachen Paare in gemeinsamer Pose, stellt dieses Lachen eine Form von Herrschaftsverschleierung dar, weil es die real inszenierte symbolische Herrschaft zu- deckt (dominierender Mann, unterworfene Frau) (Maier 1991: 57). 168 lich komisch verzerrt ist» (Kessler 1998: 21). Zugleich lassen sich aber auch spontane Grimassen und Faxen beobachten, die wie das Lachen als Verle- genheitsgesten zu verstehen sind. Insbesondere das Herausstrecken der Zunge ist im Familienfilm oft weniger als brüskierende Geste zu lesen denn als spontane Übersprungsreaktion auf das Betrachtetwerden, die zu- gleich Abstossung und Anziehung signalisiert. Das stumme Sprechen Das stumme Sprechen ist ein spezifisches Ausdrucksverhalten, das ich ebenfalls als Geste bezeichnen möchte – eine Geste, die auch als Abwehr und Verweigerungsstrategie eingesetzt wird. Béla Balázs schreibt in seinem Buch Der Geist des Films in einem Ab- schnitt mit dem Titel «Die Mimik der Sprache»: Der Schauspieler des Stummfilms redete ebenso wie jetzt der Tonfilmdar- steller. Wir hörten es nur nicht. […] Wir verstanden, wenn der Intrigant verächtlich aus dem Mundwinkel ein paar Worte hinwarf. Diese mimi- schen Formen gehörten zu den ureigensten Darstellungen der Nahaufnah- me. Man konnte auf tausenderlei Art reden, solange man das Wort nur sah, aber nicht hörte. (Balázs 1972: 57, Hervorhebung im Original)52 Das stumme Sprechen tritt auch im Familienfilm besonders häufig in Verbindung mit einer Nahaufnahme des Gesichts auf, also mit einer Porträ- teinstellung. Da Objektive mit grosser Brennweite in den Dreissigerjahren noch kaum zur Standardausrüstung des Amateurs gehören, können solche Aufnahmen eigentlich nur in Situationen entstehen, in denen sich die Kame- 52 Dass das stumme Sprechen zur Konvention der Stummfilmdarstellung gehörte, ist auch der Kritik von Fritz Güttinger (1992) an Murnaus Der letzte Mann (D 1924) zu ent- nehmen, in der behauptet wird, das «Misslingen» des Films hänge mit dem Verzicht auf Mundbewegungen zusammen. 169 ra nahe bei der gefilmten Person befindet. Verhält sich der Darsteller oder die Darstellerin zu Beginn der Einstellung beispielsweise noch wie in einer fotografischen Pose – bewegungsloser Körper, bewegungsloses Gesicht –, so ändert sich dies meistens nach wenigen Sekunden. Noch steht er oder sie still, aber schon beginnen die Fragen: «Bist du fertig?», «Was soll ich tun?», «Ist es gut so, sehe ich gut aus?», «Hör endlich auf!». Allzu lange läuft die Ka- mera dann meistens nicht. Das Abbrechen der Aufnahme hat wohl in der Regel damit zu tun, dass die Kameraperson schon weiss, dass solche Einstel- lungen in der Projektion Fragen provozieren werden wie: Was wurde da ge- sagt? Sieht man jemanden so deutlich sprechen, ohne dass erklärende Ge- sten oder mimische Signale das Sprechen begleiten, und kann man auch die Lippenbewegungen nicht wirklich entziffern, so entsteht eine kognitive Lü- cke, die danach verlangt, gefüllt zu werden. Szenen des stummen Sprechens sind manchmal auch deutlich erotisch oder sogar sexuell konnotiert. So, wie das Zungeherausstrecken auch eine auffordernde Geste sein kann, so wird oft während kokettierenden Flirtsituationen stumm gesprochen. Meistens wird dabei eine Frau von einem Mann gefilmt. Die Gesten des Blicks Die meisten Gesten, die ich bislang beschrieben habe, sind direkt an die Kamera adressiert. Sie verweisen auf die dialogische Drehsituation, die den Familienfilm charakterisiert. Mit Dialog meine ich die face- to-face-Kommunikation, die zwischen gefilmter und filmender Person im Moment der Aufnahme herrscht. Auf diese Konstellation kommt man bei der Analyse von Familienfilmen immer wieder zurück; das Familien- gefüge, das ständig in den Film hineinragt, unterscheidet den Familien- film vom Spiel- und Dokumentarfilm, aber auch vom Klubfilm. Keine andere Geste weist stärker auf den dialogischen Charakter des Familien- films hin als der Blick in die Kamera. Um das Inventar und die Beschreibung des typischen körperlichen Ausdrucksverhaltens zu vervollständigen, gilt es nun noch, die Blickver- fahren und -inszenierungen eingehender zu behandeln. 170 Die Filmtheorie unterscheidet gemeinhin zwischen vier verschiede- nen Typen des filmischen Blicks. Es sind dies der pro-, der intra- (auch innerfilmischer oder diegetischer Blick genannt), der trans- und der postfilmische Blick.53 Der profilmische Blick ist der Blick der Kamera auf die Welt. Der intrafilmische Blick ist der Blick, den Figuren im Film auf- einander oder auf Objekte richten. Der transfilmische (oder supradiegeti- sche) Blick bezeichnet denjenigen, den eine Figur aus dem Film heraus in die Kamera respektive auf das Publikum wirft. Der postfilmische oder rezeptive Blick schliesslich bezeichnet den Blick des Publikums auf die Leinwand.54 Im Hinblick auf erzähltheoretische Überlegungen sind vor allem zwei Blickphänomene im Familienfilm von Interesse: der Point- of-view-Shot (der – mehr oder weniger – subjektive Blick einer Person) und der Blick in die Kamera. Den Point-of-view-Shot werde ich im Kapi- tel über Erzählstrukturen eingehender diskutieren. Der Kamerablick hin- gegen betrifft die Performance. Er geht von der gefilmten Person aus und ist Teil ihrer szenischen Selbstdarstellung. Der Blick in die Kamera entscheidet, ob eine Einstellung als adres- siert zu bezeichnen ist oder nicht. Für die Theorie des Spielfilms ist er von besonderer Bedeutung, weil er gemeinhin als «Aufkündigung des Fiktionsvertrages» gewertet wird (Witte 1993: 28). Deshalb wird er auch als transfilmisch (filmüberschreitend) oder supradiegetisch (über die Diegese hinausgehend) bezeichnet:55 Wo unilaterale sichere Beobachtung im Dunkeln herrschte, herrscht nun bi- lateral gleichzeitige Simulation von ausserfilmischer und realer Kommuni- kation. Genau darin besteht der kommunikationstheoretische Aspekt der Beunruhigung, wenn der Blick von der Leinwand auf uns zurückfällt. (Wit- te 1993: 29) Zu den Konventionen des klassischen Erzählkinos gehört, dass der Blick in die Kamera nur in ganz bestimmten Situationen erlaubt ist, weil er das fiktionale Universum aufbricht. Kamerablicke, die innerhalb der er- 53 Diese Blicktypen sind für verschiedene Richtungen der Filmtheorie relevant: Appara- tus-Theorie, Erzählforschung, Voyeurismustheorie und feministische Filmtheorie. Auf den Familienfilm sind diese Unterscheidungen nur bedingt anzuwenden oder müssen entsprechend modifiziert werden. Es geht mir im Folgenden jedoch nicht dar- um, sie zu adaptieren, sondern die dort entwickelte Terminologie zur Beschreibung beizuziehen. 54 Ein Überblick über die Blickpunkt-Theorien findet sich bei Robert Stam et al. (1992: 83 f. und 163 f.). Die deutsche Terminologie bezieht sich auf Karsten Witte (1993) und auf eine unveröffentlichte Seminarunterlage von Christine N. Brinckmann (1993). 55 Karsten Wittes Vorschlag, diesen Blick einen ultrafilmischen zu nennen, scheint mir hier weniger präzise als die beiden anderen Bezeichnungen. 171 zählten Welt verbleiben, bezeichnet Christian Metz als vor- respektive nachdiegetisierte Blicke, bei denen die Zuschauer durch ein diegetisier- tes Publikum hindurch adressiert wird. Vordiegetisierte Blicke in die Ka- mera kommen vor allem bei Starauftritten, bei Theater-, Musical- und Komikereinlagen häufig vor.56 Wenn Roland Barthes also schreibt: «Un seul regard venu de l’écran et posé sur moi, tout le film serait perdu» (Barthes 1982: 282), so bezieht sich dies nur auf ganz bestimmte Formen der direkten Adressierung – diejenigen, die das Publikum im Saal mit ih- rem Blick ertappen. Historisch gesehen, hat sich die Konvention, die den Kamerablick untersagt, erst im Zuge des abendfüllenden Erzählfilms etabliert. Vor allem in der frühen Kinematografie vor 1908 ist ein direk- ter Blick in die Kamera noch häufig anzutreffen.57 Ist der Blick in die Kamera im klassischen fiktionalen Kino ein Ver- fahren, um die innere Welt des Films durch die Kamera hindurch nach aussen zu projizieren, hat der Blick in die Kamera im Familienfilm eine andere Wirkung, da er von einer Figur der Diegese, nämlich dem Filme- macher, aufgefangen wird. Anders gesagt: Im Familienfilm verlässt der Blick in die Kamera die diegetische Welt nicht, er ist vollständig diegeti- siert.58 Der Kamerablick geht hier, so Eric de Kuyper, hinter die Kamera, und diese wird dabei in gewisser Weise verneint; es findet eine wirkli- che, physische Kommunikation mit der Person statt, die die Kamera be- dient (de Kuyper 1995: 16). Das trifft beispielsweise auf die Blickstruktur zu, die ich im Zusammenhang mit Kinder- und Paaraufnahmen als aner- kennungssuchenden Blick beschrieben habe (Schau wie schön, stark, flink, lustig ich bin, Mache ich es gut, bist du zufrieden?). Handelt es sich dabei aber wirklich immer, wie de Kuyper behauptet, um einen Dialog, in dem das Publikum letztlich nicht wahrgenommen wird? Es ist zwar sicher richtig, dass alle Zeige- oder Winkgesten und Blicke, die sich direkt an die Kamera richten, auf den dialogischen Charakter des Fami- lienfilms verweisen. Diese Gesten zeigen aber noch etwas anderes. Wie die vorgängigen Analysen illustrieren, richten sie sich nicht nur an die 56 Vgl. hierzu auch den Aufsatz von Marc Vernet Le regard à la caméra (1988). Das Fernse- hen wiederum macht exzessiven Gebrauch von der direkten Adressierung (vgl. Mi- chele Hilmes 1985). Hans-Jürgen Wulff (1995) sieht darin ein phatisches Moment, das auch dazu dient, den kommunikativen Prozess zwischen Medium und Publikum zu regulieren und zu synchronisieren. 57 Vgl. hierzu André Gaudreault (1988). Diese Form von Blick in die Kamera wird heute in der Regel herausgeschnitten, es sei denn, die Anwesenheit der Kamera und eines Filmteams soll betont werden (im Fernsehen sieht man vor allem Kinder oder andere «authentische» Personen aus der so genannten Dritten Welt, die neugierig und verle- gen in die Kamera blicken). Eine andere konventionalisierte Form der direkten Adres- sierung im Dokumentarfilm ist die Interview- oder Gesprächssituation. 58 Vgl. Oliver Müller (1998). 172 Person hinter der Kamera; ein Teil der Blicke gilt, wie im frühen Film, auch der Apparatur selbst. Vor allem Kinder gucken bisweilen in die Kamera, um deren Inne- res zu erforschen, und bei Erwachsenen, die mit der Technik nicht allzu vertraut sind, drückt der Blick ins Objektiv zuweilen auch eine Neugier aus, die sich auf den Apparat bezieht. Eng verbunden mit diesem Inter- esse ist zudem die Antizipation des Sich-selbst-Sehens, dessen Vorweg- nahme ein konstitutiver Bestandteil des Darbietungshandelns ist. Der medialen Situation gewahr, versucht man sich im Hinblick auf das späte- re Gesehenwerden am Selbstideal auszurichten; man könnte in diesem Zusammenhang von einer medialen Situierung des Selbstideals spre- chen. Sobald ich mir vorstelle, wie es sein wird, mich selbst zu sehen, er- schöpft sich die Vorstellung des Gesehenwerdens nicht in der narzissti- schen Fantasie (ich stehe nicht vor einem Spiegel); die Anwesenheit der Kamera bringt einen Zuschauer ins Spiel, der potenziell immer auch ein anderer sein kann.59 So gesehen, ist die Vorwegnahme des Sich-selbst- Sehens auch getragen von einem Moment der Vorlust, der Vorfreude auf das eigene Bild, die auch eine Lust an einem Apparat ist, der sich als In- strument meines Gesehenwerden-Wollens anbietet. Kamerakörper und Kamerablick Vor dem Hintergrund des relationalen Gefüges des Familienfilms stellen die Gesten der Kameraperson eine besondere Variante einer medial situ- ierten und adressierten szenischen Selbstdarstellung dar. Auch bei an- onym überlieferten Filmen lässt sich die Kameraperson häufig relativ einfach eruieren: In fast allen Beispielen wechselt diese nämlich im Laufe des Filmens einmal die Seite – sie gibt den Apparat aus der Hand und lässt sich ablichten. In der Regel gelingt die Identifizierung in dem Mo- ment, in welchem jemand, der soeben noch im Bild zu sehen war, sich plötzlich entfernt. Es folgt ein Einstellungsunterbruch, da die Kamera für die Übergabe in der Regel ausgeschaltet wird. Solche Wechsel sind wahr- 59 Um einen Spezialfall handelt es sich beim Blick von Verliebten in die Kamera, der zu- weilen auf eine seltsame Art «spitz» und «stumpf» zugleich ist: Er ist ganz direkt in die Augen des Gegenübers gerichtet und zugleich auch in sich gekehrt. Roland Bart- hes beschreibt die Blickstruktur in einer Liebesbeziehung wie folgt: «Einerseits sehe ich in dieser Beziehung den anderen sehr intensiv; ich sehr nur ihn, ich betrachte ihn eingehend, ich will das Geheimnis dieses Körpers, den ich begehre, durchschauen; und andererseits sehe ich, dass er mich sieht: Ich bin eingeschüchtert, fassungslos, passiv von diesem allmächtigen Blick konstituiert; und diese Verwirrung ist so gross, dass ich nicht zugeben kann (oder will), dass er weiss, dass ich ihn sehe – was meine Entfremdung aufhöbe: Ich stehe ihm blind gegenüber» (Barthes 1990: 318). 173 scheinlich deshalb häufig dokumentiert, weil die Person, die es über- nimmt, die Kameraperson zu filmen, über sehr viel weniger Filmerfah- rung verfügt. Die fehlende Übung schlägt sich mitunter in der Kadragenwahl, in den Kamerabewegungen (zu hektisch), in Unschärfen oder den Einstellungslängen (zu lang oder zu kurz) nieder.60 Der Filmer macht sich im Bild aber nicht nur bei der Kameraüber- gabe bemerkbar, sondern auch mit der Art und Weise, wie er sich darzu- stellen pflegt. Tritt er ins Bild, so setzt er sich gerne explizit in Szene, als ob es nötig wäre, etwas Besonderes zu tun, um später auf der Leinwand gesehen zu werden (so wie in Autosonntag beispielsweise). Er macht häu- fig von einer Form von Aufmerksamkeitsgesten Gebrauch, die schon er- wähnt wurde: von der Überdeutlichkeits- oder Verstärkungsgeste61: Man prostet der Kamera zu, schiebt sich beim Picknick demonstrativ ein Stück Essen in den Mund, kaut und reibt sich gleichzeitig dazu den Bauch; Frauen und Kinder werden «gepackt», umarmt und geküsst. Ein Vergleich der Auftritte von Herrn H. und Herrn U. zeigt, dass sich beide auf diese besondere Weise inszenieren, doch machen sich auch Unterschiede bemerkbar. Herrn H.s Selbstdarstellung entwirft das Bild eines eifrigen und beflissenen Regisseurs. Er tritt selten alleine auf: Man sieht Herrn H. gemeinsam mit den Bauern, Herrn H. mit Sohn Hasi, mit Ehefrau, Freunden. Immer wird das Arrangement betont und mit Gesten herausgestellt, sei es, dass er seinen Leinwandpartnern und -partnerinnen die Kamera zeigt, Kinder auf die Knie nimmt oder mit ih- nen zusammen posiert. Auch ohne Kamera in der Hand bestimmt Herr H. das Bild, kontrolliert Komposition und Kadrage. Dabei kommt in den oben erwähnten Einstellungen eine Form der Aneignung zum Aus- druck, welche die Beziehungs- und Besitzverhältnisse spiegelt. Ferner lässt sich Herr H. auch gerne beim Essen filmen, wie überhaupt bei der Familie H. überdurchschnittlich häufig Nahrungsmittel ins Bild kom- men. Herr H. zeigt sich gerne mit seinem Sohn, Herr U. stellt sich als um- gänglicher und sorgender Vater dar. Dabei trägt frühe Tod der Mutter in der Familie U. wahrscheinlich bei. Herr U. lässt sich auch lieber mit an- 60 Im Laufe meiner Recherchen wurde mir auch immer wieder erzählt, dass beim Be- trachten der Filme die Kameraführung kommentiert wurde («hier hat wieder die Mutter gefilmt»). Schaut man sich die Filmsammlungen chronologisch an, so ist im Laufe der Zeit ein gewisser Lerneffekt festzustellen. 61 Verstärkungsgesten werden nicht nur von Kamerapersonen verwendet – auch nicht nur von Männern – trotzdem ist eine gewisse Überproportionalität seitens Männern nicht von der Hand zu weisen, was wiederum mit dem beschriebenen Hang zum Ak- tionismus zu tun hat. 174 deren als alleine abbilden, etwa mit seinen beiden Buben beim gemein- samen Anschauen von Büchern und beim Fussballspiel, oder er reinigt mit seinem Taschentuch einen Kindermund und nimmt seinen weinen- den Sohn auf den Schoss, um ihn zu trösten. Darüber hinaus gibt es ein paar Porträtaufnahmen, in denen Herr U. sich als fröhlicher Kumpel in- szeniert und komödiantisches Potenzial unter Beweis stellt, indem er Grimassen schneidet. Unverkennbar zeigt er weniger Ambitionen, sich als kompetenter Regisseur darzustellen, als dies bei Herrn H. der Fall ist. Aufnahmen von Kamerapersonen sind immer adressiert und medi- al situiert. Hierbei spielt der Aspekt der Kontrolle eine grosse Rolle: Gibt sie die Kamera aus der Hand, verliert die Kameraperson das Signum des Regisseurs. Der Blick zur Kamera ist immer auch ein Kontrollblick, und zwar in zweifacher Hinsicht: Er kontrolliert die Kameraperson (Macht sie es richtig? Läuft die Kamera?), und er kontrolliert ihren Blick, indem er ihn lenkt. Mit der medialen Situiertheit verhält es sich wahrscheinlich ähnlich: Das Wissen um die Medialität verbindet sich mit der Angst vor einem Kontrollverlust: Man will es möglichst recht machen. Dies gelingt umso besser, je mehr man sein Verhalten unter Kontrolle behält; dazu ge- hört eine präzise Wahrnehmung der Situation. Vielleicht sind die Ver- stärkungsgesten, mit denen sich Kamerapersonen gemeinhin darstellen, als Ausdruck dieser Angst vor dem Kontrollverlust zu sehen, als Kom- pensation für die Machtposition, die man mit der Kamera aus der Hand gibt. Die unwillkürliche Darstellung Eine unwillkürliche Darstellung liegt dann vor, wenn jemand die Kon- trolle über seine Performance verliert oder die Darstellerin gar nie in der Lage war, ihre Darstellung bewusst auszuführen – sei es, weil die ent- sprechende Erfahrung fehlt oder weil die Person unbemerkt gefilmt wurde. Unwillkürliche Darstellungen können in situierter oder nicht si- tuierter und in adressierter oder nicht adressierter Variante auftreten. Die situierte und adressierte Variante einer unwillkürlichen Darstel- lung findet sich vor allem dann, wenn die Gefilmten über wenig oder keine Filmerfahrung verfügen. Das ist häufig der Fall bei Personen, die nicht zum Kreis der vertrauten und bekannten Familienmitglieder gehö- ren (das erwähnte Dienstmädchenporträt ist ein Grenzfall zwischen sze- nischer Selbst- und unwillkürlicher Darstellung). Allerdings öffnet sich der Kreis potenzieller Figuren nur selten auf solche Personen. Werden externe Personen in den Figurenkreis einbezogen, kommt es mitunter zu einer Performance, die sich durch eine Differenz zwischen laienhaftem 175 und versiertem Verhalten kennzeichnet (vgl. Müller 1999: 89). Diese Form muss nicht zwangsläufig adressiert auftreten, sie ist mitunter auch situiert und nicht adressiert. Eine andere Form der unwillkürlichen Darstellung entsteht, wenn jemand die Kontrolle über das Geschehen verliert, so zum Beispiel in Krisensituationen. Ich habe zwei Formen solcher Krisensituationen be- schrieben: solche, die von Kindern ausgehen,62 und Momente der totalen Verweigerung, in denen eine Hand auf das Objektiv gehalten und die fil- mende Person gezwungen wird, die Kamera auszuschalten. Ich spreche von Krisensituationen, weil es in solchen Momenten zu einem Konflikt zwischen den Verhaltensanforderungen der Familienrolle und denen der Filmrolle kommt, wobei sich die Familienrolle in der Regel durchsetzt. Die Einstellung wird «unlesbar» (weil unscharf, undeutlicher Aus- schnitt, zu nah), sodass die Aufnahme missrät. Überdies kann man da- von ausgehen, dass die Kamera auch in Krisensituationen ausgeschaltet wird, die im Film unsichtbar bleiben, weil sie sich entweder im Off ab- spielen oder auf der Ebene der verbalen Auseinandersetzung ausgetra- gen werden. Die Krisen, in denen das Bild auf die eine oder andere Weise ver- deckt wird, stellen eine besondere Form von nicht situierter Adressie- rung dar, die letztlich nicht nur die Kamera, sondern auch den Film an sich in Frage stellt.63 Die Bühnensituation wird ganz bewusst negiert, wodurch sie indirekt wieder thematisch wird, sodass man in diesem Zu- sammenhang wohl eher von einer negativen Situierung sprechen muss. Ein viertes Darstellungsregister stellt die nicht situierte und nicht adressierte Variante der unwillkürlichen Darstellung dar, wie sie zum Beispiel bei Aufnahmen mit versteckter Kamera zu beobachten ist. Die nachfolgende Szene handelt von der spontanen Darbietung eines Kindes der Familie U.; die Aufnahme ist besonders aufschlussreich, da in ihr ausnehmend viele unterschiedliche Register vorkommen. «Ein Kind rutscht den Berg hinunter» (Pontresina 6) Was sich in dieser kurzen Sequenz vor der Kamera ereignet, scheint ab- solut spontan und ungeplant entstanden zu sein: Ein kleines Kind ver- 62 Wenn z. B. ein Kind hinfällt und sich von der Kameraperson trösten lassen will (Crans 6, Familie U.). 63 Es gibt auch akzidentelle Formen der Infragestellung: wenn etwa ein Ball die Kamera trifft. Dabei passiert – von der Konstellation her – etwas Ähnliches, wie wenn die Ka- meraperson im Dokumentarfilm angegriffen, verletzt oder im schlimmsten Fall sogar getötet wird. 176 sucht, seinem Bruder und seiner Mutter folgend, eine Anhöhe hochzu- steigen, was ihm aber nicht auf Anhieb gelingt; immer wieder rutscht es auf dem Gras aus. Im Bild zu sehen: oben Mutter und älterer Bruder, un- ten das zwei- bis dreijährige Kind. Nun reicht eine Frau aus dem Off der Mutter einen Spazierstock, den diese dem Kleinen als Kletterhilfe anbie- tet. Dessen Stimmung verschlechtert sich, es beginnt, trotzig und weiner- lich zu werden. Möglicherweise bekommt der grosse Bruder nun Mit- leid; auf jeden Fall macht er dem Kleinen vor, wie man den Hang mithilfe des Spazierstocks erklimmen kann. Nachdem er das erste Mal ganz spontan hochgeklettert ist, stellt der grosse Bruder diesen Akt nun schon als fast artistischen dar. Weil der Kleine an der Aufgabe scheitert, die wenigen Schritte zu machen, werden sie für den, der sie zu absolvie- ren vermag, zu einem richtigen Kunststück. Dadurch steigert sich auch die mediale Situierung. Die virtuose Darbietung scheint nämlich nicht nur Bruder und Mutter, sondern vor allem der Kamera (und der für das Filmpublikum nicht sichtbaren Zuschauerin vor Ort) zu gelten. Die Ka- mera wird vom Kleinen auch beim nächsten Versuch nicht adressiert. Er ist noch zu jung, um sie als solche zur Kenntnis zu nehmen; seine Perfor- mance bleibt medial nicht situiert und auch nicht adressiert. Er könnte den Vater zwar sehen, doch befindet sich dieser relativ weit vom Ge- schehen entfernt, wie aus der Einstellungsgrösse (einer Totalen) zu schliessen ist. Der Kleine ist offenbar von sich und der Situation derart absorbiert, dass er nichts anderes mehr wahrnimmt; in der Krisensituati- on hat er Vater und Kamera schlicht vergessen. Im Grunde ist seine Dar- stellung deshalb unwillkürlich; es gibt für seine Performance kein Publi- kum. Bei der Performance des grösseren Jungen handelt es sich um eine medial situierte, aber nicht adressierte szenische Selbstdarstellung. Un- mittelbare Anerkennung findet er bei sich und der Mutter, aber auch der Aufmerksamkeit der Kamera scheint er sich sicher zu sein; andernfalls würde er sie mit einem kurzen Kontrollblick suchen. Die Mutter ist in dieser Szene die Einzige, die den Blick der Kamera respektive des Vaters sucht: Siehst/filmst du auch alles, was hier passiert? Performance-Analysen beschränken sich üblicherweise auf eine Fi- gur und vernachlässigen, dass Darstellungen meistens in einem Kontext und in einem Gefüge von Personen stattfinden. Wie dieses Beispiel noch einmal deutlich zeigt, ist die Performance im Familienfilm typischerwei- se ein mehrstelliges relationales Verhalten. Was ich zu Beginn meiner Analyse als prozessurales und relationales Performance-Verständnis skizziert habe, wird nun fassbarer: Die Performance lässt sich als Se- quenz verschiedener Darstellungsregister verstehen. In der Praxis gehen 177 diese oft fliessend ineinander über, oder sie werden nebeneinander und parallel angewendet. Zurschaustellung von Körpern, Blicken, Inszenierungen Anders als im Spielfilm findet im Familienfilm jede Performance als rela- tionales Verhalten mit Bezug auf die Kameraperson statt. Greta Garbo spielt für die Kamera und fürs Publikum, und auch wenn sie für ihre Mitspieler oder sich selbst spielt, bleibt letztendlich alles dem Blick der Kamera untergeordnet. Frau H., die den glamourösen Filmstar in der Liebesszene mimt, spielt für die Kamera, für ihren Mann hinter der Kamera und für sich selbst. Der Junge, der seinem Bruder den Berg hochhilft, agiert für die Kamera, für den Vater, für sich selbst und für die anwesende Mutter sowie für das zukünftige Publikum, das alle Fami- lienmitglieder und allfällige Freunde oder Bekannte umfasst. Die Analyse der verschiedenen Performance-Register liefert weitere Belege dafür, dass der Familienfilm als kulturelle Praxis zu verstehen ist, in der erlernte und tradierte Verhaltensweisen und Wahrnehmungsmus- ter ihren Niederschlag finden. Diese Sichtweise unterscheidet sich von anderen Ansätzen insofern, als dort die typischen Gesten und Posen des Familienfilms als Teil eines geschlossenen Systems verstanden werden, das sich unablässig auf sich selbst bezieht und sich selbst reproduziert. Dagegen legt die Analyse des Ausdrucksverhaltens in den von mir un- tersuchten Filmen noch einmal den Schluss nahe, dass Familienfilme nicht nur einander imitieren, sondern sich als Teil eines komplexen me- dialen und sozialen Umfeldes artikulieren, das auf unterschiedliche Wei- se auf sie einwirkt. Das Wechselspiel von Stillstand und Bewegung, das ich im Zusam- menhang mit den touristischen Bildern an den technischen Parametern der Kamerabewegung zu diskutieren begonnen habe, manifestiert sich im Zusammenhang mit dem körperlichen Ausdrucksverhalten ganz aus- geprägt: Es markiert die ästhetische Differenz zur Fotografie, die nicht nur wahrgenommen, sondern in der Praxis auch spielerisch ausgelotet wird. Kino ist in seiner elementaren Form Aufzeichnung von Bewegung. In diesem Sinn besteht der Reiz des Familienfilms, sein Unterhaltungs- wert für die, die ihn herstellen und ihn anschauen, nicht ausschliesslich in der Selbstdokumentation, sondern ebenso im Moment des «Kinoma- chens». 178 179 4. Die Nummer als Schauwert und die Lust am Kino: «Filmen Sie selbst!» Für Sie, für Ihre Kinder, für die Ewigkeit! – Dialogzeile aus Paul Fejos’ Spielfilm Son- nenstrahl (A 1933): Der Verkäufer fotogra- fiert das Paar zusammen mit dessen soeben erworbenem Automobil. Nachdem ich mich mit dem Motiv und der Darstellung befasst habe, set- ze ich mich nun mit den strukturellen Mustern von Familienfilmen aus- einander. Dieses Kapitel handelt von der Art und Weise, wie Ereignisse «erzählt» werden. Obwohl nur die wenigsten Familienfilme einen logi- schen oder narrativen Aufbau aufweisen, sind sie nicht völlig willkürlich und zufällig in ihrer Struktur. Sujetwechsel sowie Sprünge bezüglich Zeit und Ort sind häufig markiert, indem sie mittels establishing shot oder Bühnenauftritt als Anfang inszeniert werden. Diese Verfahren verweisen darauf, dass man im Familienfilm, ob bewusst oder unbewusst, auf eta- blierte Präsentations- und Erzähltechniken zurückgreift. Auch im Hin- blick auf die Struktur der Filme zeigt sich also, dass der Familienfilm eine kulturelle Praxis darstellt, in der bestimmte Wissensbestände akti- viert und angewendet werden. Ich werde im Folgenden darauf einge- hen, welche Strukturmomente im Einzelnen auszumachen sind. In einem zweiten Schritt will ich meine Untersuchung der Struktur auf den Aspekt der Rezeption hin öffnen. Wie in der Einleitung schon dargestellt, lag für die Filmtheorie der Schlüssel zum Familienfilm bis- lang in der Rezeption. Roger Odin etwa beschreibt die Gattung nachge- rade als Effekt einer spezifischen Rezeptionshaltung, die durch einen bestimmten institutionellen Rahmen definiert ist. Anstatt die Untersu- chung der Rezeption auf den Aspekt des gemeinsamen Betrachtens ein- zuschränken, möchte ich die Vorführsituation in einem breiteren Sinne als pragmatischen Rezeptionskontext analysieren. Dazu gehört die Re- konstruktion der Aufführungspraxis des «Heimkinos», in der selbst ge- drehte mit gekauften professionellen Filmen kombiniert werden. Das Heimkino ist in erster Linie eine Unterhaltungsform, die Freude und Vergnügen bereiten soll, wobei der Gebrauch der filmischen Apparatur 180 einen wesentlichen Teil des Spektakels bildet. Zugleich stellen sich im Heimkino aber auch Lerneffekte ein. Insbesondere kann das Publikum seine mediale Kompetenz erweitern und sich ein Wissen aneignen, das später bei der Herstellung eigener Filme wieder von Nutzen sein kann. Anhand einiger Beispiele aus einer Pathé-Baby-Kollektion werde ich nachzeichnen, wie dieser Wissenstransfer von professionellen auf selbst gedrehte Filme aussehen kann. Dramaturgie im Familienfilm Familienfilme erzählen in der Regel keine Geschichten.1 Die Einstel- lungsfolgen orientieren sich nur vage an räumlichen Beziehungen, und auch sonst finden die Normen der kontinuitätsorientierten Decoupage kaum Beachtung – man erinnere sich an dem zitierten Begriff des «losen Postkartendurcheinander» (Lange 1931: 33). Wie dem Film generell ist aber auch dem Familienfilm eine zeitliche Struktur inhärent. Anders als bei der Diashow lässt sich die Abfolge der Bilder zum Zeitpunkt der Vorführung nicht mehr ändern. Weder können einzelne Szenen über- sprungen werden, noch kann man auf ein früheres Bild zurückgreifen. Im Moment der Aufnahme muss man nicht nur entscheiden, was man filmen will und wie man sich vor der Kamera darstellen möchte, son- dern auch, auf welche Art und Weise ein bestimmtes Erlebnis filmisch umgesetzt werden soll. In meiner Analyse gehe ich davon aus, dass der Familienfilm in sei- ner Darstellung zwar weit gehend den Erlebnisstrukturen des Alltags folgt. Ich möchte aber die These vertreten, dass er diese mithilfe von Gliederungsverfahren und -techniken in eine filmische Form und Struk- tur bringt, die eine bestimmte Funktion erfüllen. Wie in einem Archiv oder wie im Gedächtnis geht es darum, eine bestimmte Auswahl von Er- lebnissen und Eindrücken festzuhalten und aufzubewahren. In diesem Sinn kann man auch davon sprechen, dass der Familienfilm narrativ ist: insofern er nämlich in einem Prozess Verwendung findet, in welchem Erlebtes erinnerbar gemacht wird, indem man es zu Erzählungen formt. «Erzählungen werden nicht nur gebildet, um Erfahrungen mitzuteilen, sondern auch und zuerst, um diese zu gestalten», schreibt der Kogni- 1 Nur Familienspielfilme erzählen Geschichten, die von einem wissenschaftlichen Kon- zept der Narration erfasst werden können. Ich werde in diesem Kapitel aber nicht wie im vorhergehenden eine Typologie aller möglichen Erzählformen oder filmischen Genres aufstellen. Hier geht es mir vielmehr um erzählerische Verfahren und Struk- turprinzipien; um Merkmale, wie sie für den Familienfilm insgesamt typisch sind. 181 tionspsychologe Jerome S. Bruner (Bruner 1998: 52). Im Folgenden möchte ich anhand des Verhältnisses von vorfilmischem Ereignis und filmischer Umsetzung untersuchen, wie der Familienfilm im Rahmen ei- nes solchen Vorgangs funktioniert. Im Hinblick darauf scheint es mir wichtig, zwischen der narrativen Struktur und der narrativen Funktion des Familienfilms zu unterscheiden. Auch wenn die narrativen Strukturen eher schwach entwickelt sind und nur sporadisch – beispielsweise am Anfang – auftreten, erfüllen Fami- lienfilme eine starke narrative Funktion, indem sie dazu beitragen, Er- lebtes erzählbar zu machen. Familienfilme können jedoch auch eine nar- rative Funktion erfüllen, wenn sie nicht über narrative Strukturen im eigentlichen Sinn verfügen. Was macht einen Film zum Film? Um Strukturmerkmale eines Films zu untersuchen, muss man zunächst eine Vorstellung davon gewinnen, was als Einheit der Untersuchung zu Grunde liegt. Familienfilme sind selten von einem Anfangs- und einem Endtitel markiert. Geht man von einem primär narratologisch ausgerich- teten Textbegriff aus, demzufolge unter einem Text ausschliesslich eine in sich geschlossene Äusserung zu verstehen ist, müssten die meisten Familienfilme als Fragmente bezeichnet werden. Im Weiteren soll unter einem einzelnen Filmtext ein mehr oder we- niger in sich geschlossenes Sujet oder Ereignis verstanden werden. Ein mehrwöchiger Urlaub kann ebenso das Sujet abgeben wie ein kurzer Spaziergang. Ein einzelnes Sujet wiederum kann aus einer oder mehre- ren Szenen bestehen, welche sich anhand ihrer Einheit von Ort und Zeit bestimmen lassen. Ob ein Film unter narratologischen Gesichtspunkten ein fragmentarischer oder ein vollständiger Text ist, spielt dabei keine Rolle. Mein Textverständnis ist auch insofern pragmatisch, als ich dem Rechnung zu tragen versuche, was vom Publikum als einzelner Filmtext, als Einheit rezipiert wird. Ein Rollenwechsel wird im Rahmen des Fami- lienfilms tendenziell eher als Film- denn als Aktwechsel empfunden. Gleichzeitig besteht eine Vorführung selten aus einem einzigen Titel. In der Regel enthält ein Programm mehrere Elemente (darauf werde ich im Zusammenhang mit der Aufführungspraxis eingehen). Titel bilden ein weiteres Indiz, um einen Film zu bestimmen. Fami- lienfilme sind in der Regel in irgendeiner Form benannt. Diese Über- schrift kann einen einzelnen Film bezeichnen (San Fruttuoso, Autosonn- tag) oder als zusammenfassender Obertitel für eine Reihe einzelner Episoden stehen (Jahresschau 1929). Ferner kann die Überschrift einen 182 Film kennzeichnen, der mehrere Rollen umfasst (Boys in costume 1–2), oder einen Mehrteiler, der einzelne Episoden enthält (zwölf Rollen Crans Montana 1–12). Der letztgenannte Mehrteiler besteht aus Pathé-Bab- Kassetten, die während eines Urlaubs der Familie U. in Crans Montana entstanden. Sie sind durchnummeriert und stellen zwölf Folgen dar. Jede einzelne Kassette zeigt ein neues Sujet, ist bei einem anderen Ereig- nis entstanden. Manche enthalten auch zwei bis drei verschiedene Moti- ve: zum Beispiel einen Fussball- und einen Tennismatch. Eine einzelne Kassette ist jeweils ziemlich kurz – sie bietet Platz für zwei bis drei Mi- nuten Aufnahme.2 Was die durchschnittliche Länge eines Films angeht, so ist es schwierig, verallgemeinernde Aussagen zu treffen: Man findet fast jede beliebige Länge. Diese hängt unter anderem vom Format und von den verfügbaren Apparaten ab. So sind beispielsweise nicht alle Pat- hé-Baby-Projektoren für eine Umrüstung auf den Betrieb mit einer 120-Meter-Spule angelegt; die meisten eignen sich nur für die Vorfüh- rung der ursprünglichen 10- oder 20-Meter-Kassetten. Wie für die Filmdauer lässt sich auch für die Anzahl der Szenen nur ein annähernd durchschnittlicher Wert angeben. Viele der Filme aus der Sammlung U. bestehen – wie die lumièreschen Ansichten aus den Anfängen des Kinos – aus einer einzigen Szene, die manchmal nur weni- ge Einstellungen enthält. Andere Filme wiederum setzen sich aus mehre- ren Szenen zusammen: Autosonntag und Roncato aus der Sammlung H. sind Beispiele dafür. Die Einstellungsdauer hängt vor allem von den Vorlieben der Ka- meraperson ab. Einige tendieren eher zu Plansequenzen, andere «knip- sen» eine kurze Einstellung nach der anderen, was auf eine gewisse Ver- haftung in der Ästhetik der Fotografie schliessen lässt. Für die Sammlung U. kann man den folgenden statistischen Mittelwert eruieren. Eine Einstellung dauert hier durchschnittlich acht Sekunden, was bei ei- nem zweieinhalbminütigen Film etwa 18 Einstellungen ergibt.3 Bei ge- nauerer Analyse stellt man allerdings fest, dass die meisten Einstellun- gen entweder viel kürzer ausfallen (sie dauern etwa vier Sekunden) oder bedeutend länger, da es sich bei vielen um Plansequenzen handelt, die eine bestimmte Handlung mehr oder weniger vollständig wiedergeben. Der Mittelwert allein ist deshalb nicht sehr aussagekräftig. 2 9,5-mm-Filme können aber wegen der Kerbungstechnik in der Vorführung einiges länger dauern. 3 Diese Kennzahlen sind mit Vorsicht zu behandeln, da die Laufgeschwindigkeit der Projektion nur bedingt der Aufnahmegeschwindigkeit entspricht (die Filme wurden für den Videotransfer mit einem handbetriebenen Projektor abgespielt; zudem han- delt es sich um Durchschnittswerte). 183 Noch einmal zurück zum Begriff des Textes: Ich möchte diesen auch noch unter einem weiteren Aspekt pragmatisch verstanden wissen, nämlich im Hinblick auf die konkrete Funktion des Familienfilms im fa- miliären Umfeld. Was für Texte ganz allgemein gilt, trifft hier in beson- derem Masse zu: Die potenziellen Bedeutungen eines Textes sind diesem nie inhärent, sondern stets das Ergebnis von Wahrnehmungs- und Verar- beitungsprozessen. Der Familienfilm muss deshalb als «relationales Ob- jekt» (Hartmann 1995: 102) verstanden werden, das immer auch auf das Publikum gerichtet bleibt.4 Anders formuliert: Ob ein Film nun über nar- rative Strukturen verfügt oder nicht – seine narrative Funktion erfüllt er erst im Umgang und Gebrauch seitens des Publikums. Ein pragmatisches Textkonzept ermöglicht es zudem Begleiterzäh- lungen als Teil des filmischen Textes zu begreifen. Familienfilme werden in der Regel ohne Ton aufgezeichnet, in der Vorführung aber von einer mündlichen Erzählung der Kameraperson erklärt, einem Gespräch, einer Diskussion, einem Streit begleitet oder mit Musik beziehungsweise Ge- räuschen untermalt. Familienfilme sind demnach niemals stumm, nur ist der «Ton» nicht überliefert. Manche Autoren und Autorinnen wie Kepp- ler (1995) vertreten die Ansicht, dass die Filme ohne die dazugehörigen Begleiterzählungen unvollständig und unverständlich bleiben, weil ihr spezifischer Sinn nicht zu erschliessen sei.5 Interessanterweise wird da- bei immer nur der sprachliche Anteil einer verloren gegangenen Live- vertonung thematisiert, nicht aber Musik oder Geräusche. Grundsätzlich müssen jedoch bei einer Analyse alle Aspekte der nicht überlieferten «Tonspur» als potenzieller Textbestandteil mitgedacht werden. Der Be- gleiterzählung kommt dabei sicher eine übergeordnete Rolle zu.6 Zudem gilt es zu bedenken, dass es so etwas wie einen Urtext des Familienfilms nicht geben kann, weil die Textgestalt in ihren Geräusch- und Kommen- tarelementen von Aufführung zu Aufführung variiert. Damit sieht man sich mit einem ähnlichen Problem konfrontiert, wie es auch in der Thea- terwissenschaft auftritt, wenn es um die Rekonstruktion von Inszenie- rungen geht. Gewiss ist die Quellenlage bei Theatervorführungen in der 4 Zur Problematik des Textbegriffs in Bezug auf Film vgl. Raymond Bellour, der den fil- mischen Text als unauffindbar bezeichnet, insofern er im Unterschied zum geschrie- benen nicht zitierbar ist (Bellour 1999: 9). 5 Interessanterweise wird diese Ansicht vor allem in Verbindung mit theoretischen Pro- jekten vertreten, bei denen der Familienfilm sozusagen als Unbekannte ins Spiel ge- bracht wird, um ein Problem zu diskutieren, das mit ihm nicht unbedingt zu tun hat. Vgl. hierzu meine Kritik an Angela Keppler und Roger Odin im Abschnitt zum For- schungsstand. 6 Die Bedeutung der Begleiterzählung ist grösser als diejenige einer Musikbegleitung oder des Filmerzählers beim Stummfilm. 184 Regel besser. Es gibt einen strukturierten Text, das Stück, das den Aus- gangspunkt bildet, sowie oft auch Protokolle der Regiearbeit und Zeug- nisse der Rezeption. Im Ansatz aber ist das Problem der Rekonstruktion dasselbe. So problematisch der Textstatus der Familienfilme im Einzelnen auch sein mag, so möchte ich im Weiteren doch zeigen, inwiefern diese Filme Eigenschaften aufweisen, die sich als Momente von Struktur und Aufbau beschreiben lassen. Besonders augenfällig wird dies bei den Filmanfängen. Anfänge, Auftritte, Aufzählungen Die Titelgebung Der Titel im Familienfilm beschränkt sich meist auf eine handgeschriebe- ne Notiz auf der Filmrolle oder einen beigelegten Zettel, der neben einer Inhaltsangabe auch die Funktion hat, einzelne Filme voneinander zu un- terscheiden. Weitaus seltener sind Titelvorspanne, doch gibt es diese in allen möglichen Varianten: als technisch aufwändig gestaltete und ge- setzte Titelschriften, als abgefilmte Kalenderblätter oder Land- und Post- karten, als Collagen oder animierte Sequenzen. Beliebte Titelsequenzen bilden zudem diegetische Schriftzüge wie Ortstafeln und andere Formen von Beschilderungen. Sofern es sich nicht um ein diegetisches Motiv handelt, das als erste Einstellung aufgenommen wurde, müssen Titelvor- spanne nachträglich hinzugefügt werden, was eine Nachbearbeitung er- fordert, die, wie erwähnt, beim Familienfilm eher die Ausnahme bildet. Auch die Beschriftung der Filmbüchse erfolgt erst, wenn das Material entwickelt ist, also retrospektiv. Allerdings ist die Beschriftung sehr viel weniger aufwändig und zudem Voraussetzung dafür, dass man die ver- schiedenen Filmrollen voneinander unterscheiden kann. Die meisten Familienfilmtitel, ob nun auf die Büchse geschrieben oder vor die eigentlichen Aufnahmen montiert, stehen in einer tautologi- schen Beziehung zum Sujet: Adelboden; Arriva la zia Erica. Sie beinhalten kein explizites narratives Versprechen, wie zum Beispiel der Kauffilm Fe- lice lo gatto solleva il popolo aus der Sammlung U. Auch metaphorische Be- züge, wie sie der Titel eines anderen Kauffilms, Il camello – nave del deser- to, aufweist, werden kaum hergestellt. Implizit erzeugt aber jeder Titel eine Erwartungshaltung und gibt ein Versprechen ab: zumindest dasjenige, dass auf die Ankündigung etwas fol- gen wird. Titelbeschriftungen dienen also nicht nur dazu, die Filme zu iden- tifizieren, sie annoncieren auch das kommende Ereignis. Darüber hinaus er- 185 füllen sie eine Labelling-Funktion, indem sie die Erinnerung an das gefilmte und im Film wiederkehrende Ereignis wachrufen. Die erste Szene und die Verfahren der Exposition Beginnt in einem Familienfilm etwas Neues, ist dies in der Regel einfach zu erkennen. Es fällt auf, dass vor allem die Anfänge inszeniert und da- mit als solche lesbar werden. Im Wesentlichen lassen sich vier Verfahren unterscheiden, mit denen ein einzelner Film oder eine neue Szene be- ginnt: der Panoramaschwenk – der vor allem für Architektur- und Land- schaftsexpositionen verwendet wird –, die fotografische Pose, mit der ein Porträt anfangen kann, der Bühnenauftritt und der explizite Einsatz einer Handlung, der speziell betont ist. Sowohl den Panoramaschwenk wie die fotografische Pose habe ich in ihren Grundzügen schon disku- tiert. Ich will mich im Folgenden deshalb auf den Bühnenauftritt und den betonten Handlungsbeginn konzentrieren. Der Bühnenauftritt Das weitaus beliebteste Anfangsverfahren ist der Bühnenauftritt. Er stellt oft eine Präsentation und eine Attraktion in sich dar. In erster Linie teilt der Bühnenauftritt mit, dass nun etwas Neues beginnt. Manchmal macht ein Auftritt in der Form eines Defilees aber schon das ganze Sujet aus. Folgt etwas nach, so muss zwischen Auftritt und nachfolgender Se- quenz nicht zwingend ein Zusammenhang bestehen. Der Bühnenauftritt ist vor allem bei artistischen Darstellungen und medial situierten szenischen Selbstdarstellungen beliebt. Typisch dafür ist Frau H.s Auftritt in Roncato, bei dem sie mit einer Bekannten über die Veran- datreppe in den Garten tritt, um dort ein wenig herumzuspazieren. Die Auf- merksamkeit der Kamera verlagert sich von Frau H. und ihrer Freundin, welche die erste Attraktion darstellen, auf den Garten, der als Nächstes ge- zeigt wird. Die architektonische Schwelle des Übergangs vom Haus in den Garten wird allgemein gerne als Setting für einen Bühnenauftritt genutzt. Viele der bürgerlichen Wohnstätten derjenigen Familien, die in den Dreissi- gerjahren über Filmgerät verfügen, aber auch die von ihnen frequentierten Hotels und Ferienhäuser verfügen nicht nur über einen Garten, sondern auch über einen mehr oder weniger eleganten Zugang dazu. Der Raum wird beim Bühnenauftritt, wie erwähnt, eher theatralisch inszeniert. Meistens er- folgt ein Auftritt aber nicht wie im Theater über einen Seiteneingang, son- dern frontal aus der Tiefe auf die Kamera zu. Die Tür, aus der die Gefilmten heraustreten, befindet sich zudem häufig in der Mitte der Komposition, die 186 dadurch eher fotografisch als filmisch wirkt. Räumliche Staffelungen wer- den kaum vorgenommen. Was zählt, ist der direkte und frontale Blick auf das Geschehen. Der Bühnenauftritt dient aber nicht nur als Auftakt und Beginn, sondern auch der Vorstellung der Mitwirkenden. In der Sammlung U. finden sich etliche Auftritte in Form von Defilees, bei denen eine Gruppe oder eine Einzelperson vorgestellt wird. Die architektonischen Gegeben- heiten sind dafür geradezu ideal: Die Genueser Wohnung ist über eine kleine Brücke mit dem dazugehörenden Garten verbunden. Vor allem bei Anlässen, an denen viele Kindern teilnehmen, dient dieser Übergang als Laufsteg: Die Kinder springen nacheinander durch die Verandatür auf die Brücke und laufen in Richtung Kamera, um kurz davor entweder nach links oder rechts abzubiegen und zu verschwinden. Solche Auftrit- te wirken ausgesprochen theatralisch oder erinnern an den Zirkus, wo ein Artist beim Eintritt in die Manege eine Begrüssungsrunde absol- viert.7 Jedes einzelne Kind kann sich auf diese Weise der Kamera präsen- tieren. Darüber hinaus lässt sich mit dieser Form der Einführung eine vollständige Liste der geladenen Gäste anfertigen, die hilft, sich an diese zu erinnern. Jeder Gast ist zumindest für einen kurzen Moment deutlich erkennbar und wird damit auch zum «Star» der Party. Oft wird auch hier die Kamera ein paar Sekunden zu früh angestellt, sodass die Vorbe- reitungen (die Nervosität vor dem Auftritt, die Rempeleien im «Backsta- ge»-Bereich) noch zu sehen sind. Der Bühnenauftritt ist kein spezifisch filmisches Verfahren der Ex- position, sondern ganz allgemein eine szenische Inszenierung des An- fangs. Er weist darauf hin, dass die Beteiligten sich des Vorhabens und dessen spezifischer Vorbereitungshandlungen bewusst waren. Jeder Bühnenauftritt verweist implizit auf den treibenden Gedanken der In- szenierung: Lasst uns den Film so anfangen! Der Vorgang der Anfangs- findung muss dabei keineswegs immer bewusst ablaufen; vielmehr han- delt es sich um ein konventionalisiertes Verhaltensmuster, das man im Bedarfsfall abrufen kann. Eine weitere Anfangsmarkierung ist das Öffnen eines Fensters. Ähnlich wie der Bühnenauftritt orientiert sich dies an der Vorstellung, dass eine Geschichte mit dem Aufgehen des Vorhangs beginnen kann. Vor allem bei ambitionierteren Filmen wird dieses Verfahren gerne ver- wendet: Totale auf ein Haus, Halbtotale auf ein geschlossenes Fenster 7 Dieses Präsentationsverfahren fand auch bei frühen Revuefilmen Verwendung, bei denen es zuweilen anstelle oder in Ergänzung einer Castliste verwendet wurde: Meet the stars! 187 188 oder einen Fensterladen. Das Fenster wird geöffnet, und eine Person wird sichtbar, die häufig der Kamera zuwinkt.8 Der betonte Handlungsbeginn Im Unterschied zum Bühnenauftritt bereitet ein Handlungsbeginn ein Ereignis direkt vor und steht zu diesem in kausalem Zusammenhang. Ein betonter Handlungsbeginn liegt etwa vor, wenn ein Kind, das in ei- nem Badefilm zunächst vor der Wanne steht, aus dem Bademantel schlüpft und ins Wasser steigt (wie in Hasi 14); oder wenn ein Kind auf ein Dreirad klettert und losfährt. Solche vorbereiteten Anfänge erfordern ein gewisses Mass an Planung und Voraussicht auf das kommende Er- eignis. Die Kameraperson muss sich im Vorfeld entscheiden, eine be- stimmte Handlung festzuhalten. Da es in der Praxis oft schwierig ist, spontan zum richtigen Zeitpunkt am richtigen Ort zu sein – also kurz bevor etwas beginnt –, sind solche Anfänge in der Regel inszeniert. Arriva la zia Erica (ein Film aus den frühen Dreissigerjahren) zeigt, was der Titel verspricht: einen Besuch der Tante Erica.9 In der ersten Ein- stellung sehen wir eine Mutter mit ihren beiden Söhnen im Garten. Plötzlich springt eine zweite Frau, offenbar die erwartete Tante, ins Bild. Es folgt eine leidenschaftliche Begrüssungsszene zwischen den beiden Frauen und den Kindern, wobei die Gefilmten zwischendurch mit Bli- cken und Gesten die Kamera adressieren, als ob sie sich vergewissern möchten, dass das Geschehen auch wirklich aufzeichnet wird, dass der Vater mit seiner Kamera die Szene auch tatsächlich «sieht». Der «Auf- 8 Mir sind allein drei fast identisch beginnende Filme bekannt, wobei einer in den Dreis- sigerjahren in der Schweiz, der zweite Ende Vierziger in Bulgarien und der dritte in den Siebzigerjahren wieder in der Schweiz gedreht wurden! 9 Erica ist die Cousine der Mutter und gleichzeitig Taufpatin von einem der beiden Söh- ne. 189 tritt» der Tante und ihr Empfang lassen auf eine inszenierte Szene schliessen. Der Filmer weiss, dass die Tante sogleich erscheinen wird, ebenso seine Frau und die Kinder, die aber in ihren Begrüssungsgesten einen möglichst überraschten und spontanen Eindruck zu erwecken su- chen. Nach dieser Einführung der Personen tritt eine zweite geplante Überraschung ein: Die Mutter nimmt Papierschlangen aus der Rockta- sche, mit denen sich nun Frauen und Kinder amüsieren, indem sie sich die noch aufgewickelten Rollen zupusten. Eine Tante kommt zu Besuch – darin liegt zunächst nichts Besonde- res. Tatsächlich aber ist Arriva la zia Erica in vielerlei Hinsicht bemerkens- wert, lässt sich doch an diesem Beispiel der Vorgang der Zuspitzung und Dramatisierung eines unspektakulären Ereignisses illustrieren, das als filmwürdig empfunden und entsprechend inszeniert wurde. Wie Lumiè- res L’arrivé d’un train en gare La Ciotat (F 1895) berichtet auch dieser Film von einer Ankunft. Auch wenn er vorgibt, diese Ankunft zu dokumen- tieren, so ist in Arriva la zia Erica doch weniger dem Zufall überlassen, als es auf den ersten Blick den Anschein hat. Unverkennbar handelt es sich um eine Inszenierung, die über einen sorgfältig gewählten Anfang ver- fügt.10 Drei Personen sind im Bild, eine weitere tritt hinzu, man begrüsst sich. Damit man anschliessend nicht herumsteht, hat die Mutter (mögli- cherweise auf Anweisung des Kamera und Regie führenden Vaters) auch etwas vorbereitet, das eine Weiterentwicklung der Situation er- laubt. Der Gegenstand ist geschickt gewählt, bringen die in der Luft he- rumwirbelnden Papierschlangen doch zusätzliche Bewegung ins Bild. «Das Kino begann mit Erstaunen, dem Erstaunen, dass Realität mit solch magischer Direktheit übersetzt werden kann», beschreibt Susan Sontag 10 Auch der lumièrsche Ankunftsfilm ist, wie Martin Loiperdinger zeigt, stark inszeniert und insofern ein bisschen Familienfilm, sind doch fast alle Zuggäste Angehörige der Familie Lumière (Loiperdinger 1996). 190 die Wahrnehmungserfahrung von L’arrivé d’un train en gare La Ciotat (Sontag 1995: 8). Arriva la zia Erica könnte als Versuch gelesen werden, sich mit den eigenen Filmen in ein solches Erstaunen zu versetzen. Darü- ber hinaus ist mit einer Ankunft aber auch schon ein Anfang gemacht. Der Szenenwechsel als Übergang von innen nach aussen Der Auftritt und der betonte Handlungsbeginn beschränken sich nicht auf Filmanfänge; sie können auch zu Beginn einer Szene Verwendung finden. Die Wahrscheinlichkeit, dass Szenenübergänge überhaupt mar- kiert werden, ist bei längeren Filmen, unabhängig von der Anzahl der Szenen, grösser. Oft fallen die Übergänge mit einem Rollenwechsel zu- sammen. Ein Szenenanfang wird aber nur selten dargestellt. Auch wer- den räumliche Veränderungen eher markiert als zeitliche. Ein Schwenk über eine Landschaft ist ein möglicher transition shot. Bringt ein solcher Schwenk jedoch keine direkte oder sogar kausale Überleitung zwischen zwei Situationen zum Ausdruck, dann handelt es sich vielmehr um ei- nen Zwischenschnitt. Ein solcher versucht eher, den Sprung in Bildkom- position und Thematik zu mildern als eine Verbindung zwischen zwei Einstellungen herzustellen und verständlich zu machen. Der Schwenk kommt in diesem Fall der mimetischen Wiedergabe eines schweifenden Blicks gleich, wobei Letzteres an die Stelle eines abrupten Übergangs zwischen zwei fokussierten Blicken tritt. Verbindet der Schwenk zwei Einstellungen, zwischen denen kein Zusammenhang ausgemacht wer- den kann, so erfüllt er dieselbe Funktion wie ein Zwischenschnitt – an- dernfalls dient er als transition shot. Die klassische Variante eines transiti- on shot im Familienfilm ist der Übergang von aussen nach innen (oder umgekehrt). Formal umgesetzt wird diese Schwellensituation in der Re- gel unter Zuhilfenahme einer Tür, oder indem eine Person durch einen Durchgang tritt. Die Tür kann, wenn sie in der Anfangseinstellung ge- zeigt wird, eine Art «Vorhangsfunktion» übernehmen und damit auch für einen Übertritt stehen. Zum Beispiel in der folgenden Szene: Kinder und Erwachsene spielen im Garten; dann sieht man sie im Haus ver- schwinden. Die Mütter folgen nach und verabschieden sich mit einem Knicks. Anschliessend wird das Spiel im Innern des Hauses fortgesetzt. Das Phänomen der wiederholten Exposition Ein besonders häufiges Merkmal von Familienfilmanfängen ist ihre Dop- pelung. Roncato, Herrn H.s Ferienfilm aus dem Tessin, beginnt auf dem Hauptbahnhof in Zürich. Er folgt damit den Empfehlungen der Hand- 191 bücher, die dem Amateurfilmer nahe legen, schon den Ausgangspunkt der Reise zu zeigen. Ansonsten aber wird diese Anweisung kaum be- folgt. Vielleicht will man nicht beim Vertrauten anfangen, das ohnehin alle kennen. Für eine solche Lesart spricht, dass viele Filme mit Einstel- lungen auf dem Schiff oder im Flugzeug beginnen. Zwar befindet man sich noch nicht am Ziel der Reise, doch zeigen Tümmler in der Schiffs- brandung, der Blick auf Schiffskamine und Rettungsboote oder Bilder des Wolkenmeers und der untergehenden Sonne, dass man sich in einer aussergewöhnlichen Umgebung befindet. Herr H. scheint seinen ersten Einstellungen auf dem Bahnhof nicht ganz zu vertrauen (tatsächlich werden weder die Reisenden noch andere Personen gezeigt); Roncato beginnt jedenfalls noch ein zweites Mal, und zwar im Tessin, mit dem «Bühnenauftritt» von Frau H. – ein Anfang, der verständlicher und einleuchtender ist. Auch Autosonntag beginnt zwei- mal: ein erstes Mal mit einem Blick hinter die Kulissen, wo sich die bei- den Frauen kurz im Spiegel ihres Aussehens vergewissern, ein zweites Mal beim Kurhaus: Frau H. tritt im Unterrock ans Fenster und grüsst in die Kamera. Bei beiden Beispielen handelt es sich um doppelte Anfänge, die nicht am selben Ort entstanden sind. Die zweite Szene könnte jeweils auch einen Szenenanfang markieren. Dagegen spricht aber, dass beide Male die erste Anfangsvariante vergleichsweise knapp ausgefallen ist. Zudem erwecken beide Beispiele den Eindruck, dass der zweite Anfang nur gedreht wurde, weil man mit dem ersten nicht ganz zufrieden war. Auch in San Fruttuoso fällt eine doppelte Exposition auf. Ein Mehrfach-Anfang hat immer einen willkommenen Nebeneffekt: Er funktioniert als zusätzliche Betonung. Sind andere Sequenzen oft re- dundant und zu ausführlich, so gilt für den Anfang eher das Gegenteil: Häufig fällt er zu knapp oder unpräzis aus. Verdoppelungen können hier zur Verständlichkeit beitragen, auch wenn sie nicht unbedingt als solche intendiert sind und von den Machern vielleicht lieber entfernt würden (sollte es eine Phase der Postproduktion geben). Sie lassen den Zuschauenden auch Zeit, sich das Ereignis noch einmal zu vergegenwär- tigen, wenn sie es selbst miterlebt haben, und sie erleichtern einem nicht beteiligten Publikum den Einstieg, weil sie für Ad-hoc-Erklärungen Ge- legenheit bieten. So erweist sich der Doppelungseffekt als günstiger Ein- stieg, der in der Praxis genutzt wird und darauf schliessen lässt, dass sich die Familienfilmer bewusst waren, welche Funktion er erfüllt. 192 Der Zwischentitel als Ankündigung Zwischentitel bilden eine zusätzliche Möglichkeit der Information. Im Stummfilm entwickeln sich die Zwischentitel um 1908 zum Standardver- fahren (Musser 1996: 29 f.). Zwanzig Jahre später bringt sie der Tonfilm in kurzer Zeit weit gehend zum Verschwinden.11 Obwohl Familienfilme bis zur Einführung der Videotechnologie meist ohne Direktton und da- mit ohne gesprochene Sprache auskommen, machen sie wenig Gebrauch von Zwischentiteln. Vor allem bei 16-mm-Sammlungen findet man durchaus auch Filme mit Titeln. Technisch gesehen, stellen Texteinschü- be kein Problem dar: Schon ein beschriebenes Blatt Papier oder diegeti- sche Schriftzüge – wie Schilder aller Art – eignen sich für den Amateur, um Informationen zu vermitteln. In der Regel stehen die Zwischentitel in einer tautologischen Beziehung zum nachfolgenden Bild.12 Folgt man der Typologie von Orosz (1988) und Schwarz (1994),13 dann besitzen die meisten Tafeln, die in Familienfilmen eingesetzt werden, eine exposito- risch-kommentierende Funktion, die das kommende Ereignis etabliert oder spezifiziert. «Departure From Kobe, 18 March 1930», «Kobe, Har- bour View, 18 March 1930» oder «Peking: Birdsview of Forbidden City, 4–31 March 1939» sind Beispiele dafür. Auf diese Titel folgen jeweils die angekündigten Ansichten. Beim Filmer handelt es sich um einen Schwei- zer Geschäftsmann, der vor allem in Südostasien tätig war. Die nachfol- genden Beispiele stammen von einem anderen Auslandschweizer, der mit seiner Familie in den USA lebte und die Sommermonate jeweils bei den Verwandten in der Schweiz verbrachte. «Alter schützt vor Torheit nicht»: Dies illustriert eine Einstellung, auf der eine ältere Frau einen Mann auf die Wange küsst. Im Unterschied zu den vorangehend zitier- ten Beispielen ist dies ein auktorialer, interpretierender Titel, der eine be- stimmte Lesart der nachfolgenden Szene anbietet.14 Aus der Feder des gleichen Texters stammt: «When Old Gets Young.» Diese Titelkarte steht vor einer Aufnahme, die eine Gruppe älterer Menschen beim Ballspiel zeigt. Solche Informationen verallgemeinern die «privaten Bilder». Sie 11 Dies erfolgt in Europa etwas früher als in den USA. Zum Aufkommen von Zwischen- titeln vgl. Charles Musser (1996: 29 f.). 12 Nachfolgende Ausführungen gehen im Wesentlichen auf die Darlegungen in der un- publizierten Seminararbeit von Oliver Müller (1998) zurück. 13 Susanne Orosz (1988) und Alexander Schwarz (1994) unterscheiden für den narrati- ven Stummfilm zwischen expositorisch-kommentierenden, dialogischen, auktorialen Inserts und Credits. 14 Interessanterweise besteht zwischen dem Stil der Zwischentitel dieser beiden Samm- lungen ein sehr viel ausgeprägterer Unterschied als zwischen den filmischen Stilen. Im ersten Beispiel werden die Titel nur als Informationsträger verwendet, im zweiten mit ihrer Hilfe eine Art Kommentar vorgenommen, vgl. Schneider (2003). 193 dienen als Mottos und machen die «privaten Aufnahmen» zu Sinnbil- dern, denen neben ihrem eigentlichen Gehalt auch eine übergeordnete Bedeutung zukommt. Auf ähnliche Weise, wie intertextuelle Perfor- mance-Bezüge eine dramatische Figur erzeugen helfen, können auch Zwischentitel dazu beitragen, den privaten Rahmen zu öffnen. «Swiss People Enjoying Their Sunday» kokettiert mit dem wissenschaftlichen Diskurs der Ethnografie und macht aus den engeren Verwandten reprä- sentative Vertreter eines europäischen «Volksstammes» bei ihren typi- schen Freizeitritualen; «A Happy Father» verwandelt den eigenen Vater in ein besonders bemerkenswertes Exemplar seiner «Gattung». Familienfilme, in denen Zwischentitel zur Mitteilung von diegeti- schem Dialog eingesetzt werden, sind mir nicht bekannt. Generell die- nen sie immer nur als Ankündigung, nie als nachträglicher Kommentar oder zur Mitteilung einer Pointe. Sie tragen deshalb in einem dramatur- gischen Sinn auch wenig oder gar nichts zur Struktur eines Films bei und haben in der Regel keine narrative Funktion.15 Im Stummfilm wurden die Zwischentitel zu einem Zeitpunkt stan- dardisiert, als die Filmwirtschaft in ökonomischer und sozialer Hinsicht markante Umbrüche durchlief und sich die Filme in Hinsicht auf narrati- ve Konventionen stark veränderten. Die frühe Kinematografie machte keinen systematischen Gebrauch von Titeln. Die Ereignisse und die Ge- schichten bedurften noch keines zusätzlichen Kommentars; Filmerklärer tauchen erst zu dem Zeitpunkt auf, als auch die Zwischentitel eingeführt werden. Für die Narration werden Zwischentitel erst erforderlich, wenn die Handlung nicht mehr aus sich heraus verständlich ist. Nach Charles Musser stellten die Filme in den Jahren nach 1908 immer weniger auf das Vorwissen des Publikums ab und erzählten stattdessen vermehrt ei- genständige Geschichten. Ein anonymer Brief an eine Branchenzeitung formuliert das Problem 1908 folgendermassen: «Es genügt nicht, dass die Macher den Plot verstehen – die Filme werden fürs Publikum ge- macht» (zitiert nach Musser 1996: 20). Zwischentitel stellen einen Ver- such dar, die Verständnisprobleme zu beheben, die aus dieser Entwick- lung entstanden. So gesehen, ist es nicht weiter erstaunlich, dass Familienfilme kaum Zwischentitel verwenden. Die Filme werden ohnedies verstanden – sei es, weil der Filmerklärer die Lücken füllt oder weil das Publikum selbst miterlebt hat, was zur Darstellung kommt. Eine Rolle spielen aber auch praktische und technische Aspekte. Obwohl Zwischentitel technisch 15 Dies gilt nicht für Familienspielfilme. 194 durchaus machbar sind, erfordern sie entweder eine sorgfältige Planung im Vorfeld der Aufnahme, oder sie müssen in einer Postproduktions- phase als Titelkarten nachträglich zwischen die Bilder montiert werden. Beides ist vergleichsweise aufwändig. Zwar bietet der Handel schon in den Dreissigerjahren spezielle Titelgadgets für den Amateur an – wie Tricktische, Buchstabensets, grafische Dekorationen und andere Formen von Vorlagen –, verwendet werden diese aber vor allem von organisier- ten Klubfilmern oder ambitionierten Amateuren ohne Vereinsbindung. Vielleicht fehlen Zwischentitel aber auch deshalb, weil sie als altmodisch und überholt empfunden wurden. Aus dem regulären Kinoprogramm waren sie zu Beginn der Dreissigerjahre weit gehend verschwunden. Anderseits kamen sie in den Adaptionen grosser Spielfilme auf Schmal- filmformate, die von den Produzenten im Hinblick auf den Heimkino- markt hergestellt wurden, immer noch häufig vor.16 Insgesamt aber scheint mir, dass der wichtigste Grund für das Fehlen von Titeln in der Pragmatik der Textsorte liegt: Weil die Filme nicht für den Gebrauch ausserhalb des familiären Umfelds konzipiert waren, mussten sie nicht «selbsterklärend» sein; entsprechend haben auch keine Ausdifferenzie- rungsprozesse in diesem Sinn stattgefunden.17 Die Rutschbahn als Castliste Auch wenn Familienfilme nicht selbsterklärend sein müssen, bedeutet das nicht, dass auf jegliche formale Gestaltung verzichtet würde. Das zeigt schon die Analyse der verschiedenen Verfahren, wie man einen Film beginnen kann. Ich möchte sogar die These vertreten, dass der An- fang so stark konventionalisiert ist, dass sein Fehlen die Ausnahme dar- stellt, während das Ende immer fakultativ bleibt. Zum Filmanfang als konventionalisiertem Element gehört, dass auf den Einstieg oder die Exposition etwas folgt: der eigentliche Anlass des Films. Nach dem Auftritt zum Kindergeburtstag folgt die Feier, nach 16 Das Kauffilmangebot umfasste bis zur Einführung der Videotechnik sowohl Stumm- wie Tonfilme; von dort war man mit den Möglichkeiten von Zwischentiteln vertraut. Sogar für Super-8, das erst 1965 auf den Markt kam, gab es Stummfilmklassiker im re- duzierten Amateurformat zu kaufen. Obwohl es zum Beispiel für das 9,5-mm-Format schon 1937 tonfähige Projektoren gab, blieb der Familienfilm bis zum Video weit ge- hend tonlos in der Aufzeichnung, und man verzichtete oft auf den Kauf eines zusätzli- chen Tonfilmprojektors, den man für die eigenen Filme nicht brauchte. 17 Meine Untersuchung ist nicht diachron; Aussagen über allfällige historische Verände- rungen von Familienfilmen sind spekulativ und wären zu überprüfen. Wie zum Bei- spiel die Frage, inwieweit ihre formale Erscheinung im Groben weitgehend unverän- dert geblieben ist, weil sie sowohl ausserhalb ökonomischer wie künstlerischer Struk- turen stattfinden. 195 dem Auftritt am Strand das Strandspiel, nach dem Auftritt der Wande- rer die Bergwanderung. Diese Ereignisse werden jedoch nicht im Rah- men einer dramatischen Entwicklung mit Konfrontation und Zuspit- zung oder als Rätsel dargestellt. Vielmehr entfalten sie sich im Film in der Regel so, wie sie sich zugetragen haben. Aber auch Familienfilme bilden ein Ereignis selten unmittelbar ab. Das vorfilmische Geschehen wird meist in einzelne Momente und Einstellungen zerlegt. Dabei lassen sich durchaus Anspielungen auf die klassische Erzählmontage feststel- len, etwa wenn auf die Halbtotale einer Person ein Close-up des Gesichts folgt. Von einer klassischen Decoupage, die sich an die Regeln der un- sichtbaren Montage (Continuity Editing) hält, kann gleichwohl keine Rede sein. Der Bewegungsschnitt zum Beispiel, der im kommerziellen Kino ab 1903 zu beobachten ist, wird ebenso selten verwendet wie ande- re Formen von Ellipsen.18 Zeitliche Raffungen haben häufig eher zufälli- gen Charakter, und oft kommt es zwischen zwei Einstellungen zu mehr oder weniger abrupten Sprüngen. Die meisten Verknüpfungen sind ad- ditiver oder kumulativer Art. Sie orientieren sich in erster Linie an der zeitlichen oder räumlichen Entwicklung eines Sujets. Eine besonders beliebte Form der dramaturgischen Auflösung ist die Aufzählung oder das Defilee. Eine Reihe von Gegenständen oder Personen werden nach dem Und-dann-Prinzip gefilmt: Gäste, Geschen- ke, Zootiere, Blumen, Familienmitglieder, fast wie in einer Dia-Show, bei der einzelne Bilder nacheinander auf der Leinwand erscheinen.19 Solche Aufzählungen funktionieren als eine Art Cast- oder Attraktionsliste, wie sie schon beim Bühnenauftritt mehrerer Personen oder beim Bocksprin- gen beschrieben wurde. Neben dem Bühnenauftritt gibt es noch eine andere Aufzählungs- form, die sehr beliebt scheint: die Rutschbahn. Wiederum macht der Fil- mer sich eine vorfilmische Situation zu Nutze, um eine Reihe von Perso- nen zu präsentieren. Erwachsene steigen für den Film ebenso gerne auf die Rutschbahn wie Kinder, was man als weiteres Indiz für die regressi- ve Dynamik des Gefilmtwerdens lesen kann, die auch im Bockspringen zu Tage tritt. Im Unterschied zur szenischen Technik des Bühnenauftritts ist der Rutschbahn das Aufzählen als Darstellungsverfahren aber inhä- rent. Ähnlich wie ein geschickt gewählter Bühnenauftritt, bei dem die 18 Auch die Montagesequenz gehört nicht zu den Verfahren, die sich Familienfilme zu- nutze machen. Parallelmontagen hingegen sind immer wieder zu finden (vgl. Jeffrey Ruoff 1995), wobei nur selten ein Zusammenhang zwischen den beiden Ereignissen hergestellt wird. Eine Ausnahme bildet wieder Autosonntag, wo zwischen fressenden Tieren und essenden Menschen hin- und hergeschnitten wird. 19 Fotografien in einem Album sind im Unterschied dazu oft in Gruppen angeordnet. 196 Personen aus dem Dunkeln eines Innenraums ins Licht treten, bietet auch die Rutschbahn einen kleinen Überraschungseffekt: Wird die Ka- mera frontal vor der Rutsche positioniert, bleiben die Personen so lange von der Treppe verdeckt, bis sie an der Reihe sind. Das Ende Das in sich geschlossene Szenario: Die Nummer Aufzählungen sind offen und potenziell unendlich. Im Unterschied dazu ist die Nummer eine Form, bei der das Ende nicht durch die Vorführung erwirkt werden muss, sondern schon beim Drehen eingeplant ist. Eine «artistische» Darbietung basiert auf einer Vorführdramaturgie: Die Artis- tin betritt die Manege, stellt ihre Fähigkeiten zur Schau, verneigt sich und tritt ab. Es handelt sich dabei um eine geschlossene Dramaturgie, die eine Handlung vollständig «erzählt», also Anfang, Mitte und Schluss aufweist. Kinder neigen dazu, ihre Fertigkeiten in Form von Nummern vorzuführen, sobald sich ein Publikum dafür bietet. Für den Familien- film haben Nummern den doppelten Vorteil, dass sie die Kinder in Akti- on zeigen und deren Aktivitäten zudem eine dramaturgische Struktur aufweisen, die man integral in die Szene übernehmen kann, was sicher- lich mit ein Grund dafür ist, dass Nummern im Familienfilm sehr häufig vorkommen. Das fehlende Ende Während eine Nummer über Anfang, Mitte und Ende verfügt, fehlt vie- len Sujets des Familienfilms eine inhärente dramaturgische Struktur. Da- mit der Besuch einer Tante, ein Spaziergang oder ein Geburtstagsfest eine Dramaturgie bekommen, bedarf es eines mehr oder weniger auf- wändigen Eingriffs durch die Regie oder eine Erzählinstanz. In drama- turgisch offenen Situationen wird das Ende allerdings nur sehr selten vorbereitet. Während der Anfang in der Regel markiert wird, kommen Enden abrupt und überraschend, sei es, weil kein Film mehr in der Ka- mera war oder die Handlung auslief Verfügt das Geschehen nicht über eine inhärente Dramaturgie, die auf ein Ende hinführt, bereiten in der Regel keine innerfilmischen Codes den Abschluss vor. Hingegen gibt es eine Reihe ausserfilmischer Ankündigungen des nahenden Endes: er- kennbare Materialveränderungen wie Perforationen im Bild, das An- schwellen des Projektionsgeräuschs, das eintritt, wenn die letzte Schlau- fe den Apparat durchläuft, oder Kommentare des Vorführers, die auf 197 den bevorstehenden Abschluss hinweisen. Im Unterschied zum Anfang, der ein Element des Textes bildet, wird das Ende von der Apparatur und von der versammelten Familie selbst erzeugt. Nur selten markiert ein Nachspann das Ende. Dieser besteht in der Regel aus einem Stück Schwarzfilm oder dem Signet des Filmherstellers und dient vor allem dem Schutz des Streifens bei Projektion und Lage- rung; er kann aber auch noch einmal darauf hinweisen, dass der Film nun wirklich zu Ende ist. Schlusstitel finden sich nur sehr selten, obwohl sie ohne grossen Aufwand erlauben würden, ein Ende zu setzen. «Beau- tiful Switzerland and Dear Relatives and Friends, How Sad to Leave You – But the 5 Months Are [sic] Passed»: Ein Beispiel für einen Endtitel, der nichts anderes als eine Verabschiedung ausdrückt – das sprachliche Äquivalent einer Winkgeste zum Abschied. Wird die Begrüssung der Tante in Arriva la zia Erica als Einstieg genutzt, so kann man auch am Schluss auf konventionalisierte Formen der Alltagskommunikation zu- rückgreifen – eine Technik des Endens, die in ähnlicher Form auch im Kasperletheater oder in anderen Theatergenres eingesetzt wird. Feststellen, Mitteilen, Erzählen Inwiefern unterscheiden sich meine Beobachtungen zum Aufbau und zur Struktur des Familienfilms von den bestehenden Untersuchungen zum Thema? Bislang wurde die Struktur von Familienfilmen immer unter dem Aspekt ihres Nichtvorhandenseins beziehungsweise ihres Nicht-zu- Stande-Kommens betrachtet (Griffin 1985, Odin 1979, 1995, Chalfen 1987b). Von den acht verschiedenen stilistischen Figuren des Misslinges, mit denen Roger Odin den Familienfilm beschreibt, beziehen sich fünf auf narrative Probleme: • die Ungeschlossenheit des Textes • die Linearität, Diskontinuität/Unbestimmtheit der zeitlichen Anord- nung • die Indifferenz gegenüber räumlichen Beziehungen • die generelle Abwesenheit von narrativen Verfahren (Inkohärenz der Erzählung, lose episodische Struktur, fehlende dramatische Entwick- lung) • die Sprünge im Bereich der Mikrostruktur (falsche Bewegungs- und Bli- ckanschlüsse, Jump Cuts). Zu vergleichbaren Ergebnissen kommt auch Michael Griffin. Für ihn bil- den Familienfilme diejenige filmische Kategorie, bei der jegliche bewuss- 198 te Äusserung fehlt: «not conscious articulations so much as […] ‹partici- pant observations› or ‹reports›» (Griffin 1985: 83). Griffin und Odin sind letztlich der Ansicht, dass es sich beim Fami- lienfilm um den gescheiterten Versuch handelt, Erzählkino zu machen; beide messen die strukturellen Merkmale implizit an den narrativen Ver- fahren und Konventionen des Spielfilms. Meine Beobachtungen wider- sprechen dieser Position insofern, als ich ein induktives Vorgehen ge- wählt habe und dabei Momente eines rudimentären Aufbaus feststellen konnte, die Griffin und Odin entgangen waren. Ihr Befund, dass Fami- lienfilme in Bezug auf die Erzählung weit gehend misslungen sind, ist damit nicht in Frage gestellt – soweit man unter «Erzählung» die kon- ventionalisierte Form der Spielfilmerzählung verstehen will. Ich sehe aber das Verhältnis von Familienfilm und Erzählkino nicht in erster Linie als Verhältnis der Nachahmung, sondern als Verhältnis der Erprobung. Wie dieses präziser zu fassen ist, will ich im Weiteren darstellen, indem ich zunächst auf die Frage nach der Narration und der narrativen Struk- tur im Familienfilm noch einmal genauer eingehe. Der chronikalische und der narrative Modus oder die Ähnlichkeit zum frühen Kino Man darf dabei nur nicht vergessen, dass auch akrobatische Leistungen nur so lange interessant sind, wie ihnen eine dramaturgische Rolle zu- kommt, wie sie innerhalb der menschlichen Hand- lung des Films Ereignisse, Menschenschicksale, Seelenzustände ausdrücken. Denn der künstleri- sche Film ist keine Schaubude, in dem wir alles be- trachten, was sonst selten zu sehen ist – in ihm be- trachten wir nur das, was Menschenschicksale betrifft. – Béla Balázs: Der Film (1972: 123) «Erzählen» bezeichnete ursprünglich nichts anderes als «aufzählen» und später «in geordneter Form hersagen, berichten» (Kluge 1995: 233). Die Erzähltheorie hat diese umgangssprachliche Bedeutung des Begriffs prä- zisiert. Sie unterscheidet zwischen dem Erzählten und dem Vorgang des Erzählens, zwischen der Abfolge von Ereignissen und dem Diskurs, der 199 diese Ereignisse miteinander in Beziehung bringt (Gardies 1992: 176).20 Diese Differenz impliziert unter anderem, dass sich der Vorgang des Er- zählens zeitlich vom Erzählten abgrenzen lässt: «[…] zum besonderen Charakter narrativer Texte [gehört], dass wir die erzählte Geschichte von einem notwendig retrospektiven Standpunkt erfassen» (Martinez et al. 1999: 121). Familienfilme sind meistens unmittelbare Aufzeichnungen, die wie die Aufnahmen einer Überwachungskamera im Moment des Ge- schehens und nicht im Rückblick darauf entstehen. Sie sind nicht retro- spektiv, weil sie nicht vorgängig geplant und auch nicht nachträglich be- arbeitet werden. Nur selten wird das Filmmaterial sortiert und verlesen, umgestellt oder neu strukturiert. Die Postproduktion beschränkt sich in der Regel auf das Entfernen von unscharf aufgenommenen Passagen, auf das Anbringen von materialschonenden Allongen (je nach Format und Epoche) oder auf das Zusammenhängen und Überspielen von ein- zelnen Rollen auf grössere Spulen (wenn beispielsweise alle Aufnahmen von den Sommerferien in Italien in chronologischer Reihenfolge anein- ander gehängt werden). Findet im Familienfilm keine Vorbereitung statt und geht man auch nicht nach einem Drehbuch vor, so geschieht die Auswahl der filmwürdigen Momente aus der Gesamtdauer eines Ereig- nisses ohne zeitliche Vermittlung, also im gleichen Moment wie das Er- eignis selbst. Es findet keine Vergegenwärtigung eines zeitlich vorauslie- genden Vorgangs statt. Eine Erzählung im narratologischen Sinn wäre jedoch nur gegeben, wenn etwas zum Ausdruck gebracht würde, dessen Plausibilität von späteren Ereignissen abhängt. Dies setzt voraus, dass der Ausgang eines Ereignisses zum Zeitpunkt des Erzählens bekannt ist, was beim Familienfilm aber nur selten der Fall ist. Feststellungen, in denen etwas ohne Vor- oder Rückschau auf ande- re Ereignisse wiedergegeben wird, werden als «chronikalische» Feststel- lungen bezeichnet (Martinez 1998: 121). Man unterscheidet zwischen 20 Entwickelt wurden Erzähltheorien zunächst für fiktionale Texte mündlicher, schriftli- cher und bildlicher Art. Die Erforschung des naiven Erzählens lässt sich grob in drei Forschungsrichtungen unterteilen: in die Erforschung traditioneller Mythen, Märchen und Legenden (Vladimir Propp 1982), in Untersuchungen, die sich mit Texten von Autodidakten oder Laien befassen (Alfred Messerli 2000), und in die Forschung, die sich mit der Bedeutung alltäglichen Erzählens auseinander setzt (Jerome Brunner 1990 und 1998, Angela Keppler 1995). Bei den Untersuchungen zum alltäglichen Er- zählen ist zwischen der soziolinguistischen Forschung, der Volksliteratur- und der Er- zählforschung im engeren Sinn, wie zum Beispiel der psychologischen oder ethnolo- gischen Erzählforschung, zu unterscheiden. In der Folge von Hayden White (1987) und Clifford Geertz (1997) – um zwei Beispiele zu nennen – wurden die Erkenntnisse der Forschung zur fiktionalen Erzählung zunehmend auch auf nicht fiktionale Texte angewandt, von diesen beiden Autoren namentlich auf die Geschichtsschreibung und auf ethnologische Forschungsberichte. 200 narrativen oder erzählerischen Feststellungen und solchen, die in einem chronikalischen Modus präsentiert werden. Einige filmische Erzählver- fahren sind per se narrativ; andere können sowohl chronikalisch wie auch narrativ verwendet werden. Gesamthaft überwiegt bei einem Text jedoch der eine oder andere Modus. Was den Familienfilm betrifft, so werden die von mir beschriebenen Strukturmerkmale in der Regel chro- nikalisch verwendet und nicht narrativ. Namentlich gilt dies für alle For- men von offenen Aufzählungen, aber auch für die Titel, unabhängig da- von, ob es sich um Zwischen- oder Anfangstitel handelt. Es lassen sich aber auch narrative Verwendungen beschreiben. Aus einer kognitionstheoretischen Perspektive, wie sie zum Beispiel Edward Branigan vertritt, kann man «erzählen» folgendermassen defi- nieren: Narration comes into being when knowledge is unevenly distributed – when there is a disturbance or disruption in the field of knowledge. (Brani- gan 1992: 66) Nach Branigan entsteht eine Erzählung dann, wenn ein Wissensgefälle vorliegt und in der Folge ein Wissensstand abgeglichen wird. Man könn- te diese Definition weit fassen und behaupten, dass eine Erzählung schon dann gewährleistet sei, wenn mit einem Titel etwas angekündigt wird, das im Verlauf des Films eingelöst wird. Ein Titel wie Adelboden zum Beispiel: Der Titel verspricht, dass nun etwas kommen wird, baut also eine Art Erwartungshaltung auf. Allerdings ist die Erwartung, die so geweckt wird, nicht hinreichend spezifisch, um als narratives Verspre- chen im engeren Sinn zu funktionieren. Selbst für jemanden, der bei den Aufnahmen dabei gewesen ist, kann sich alles Mögliche hinter diesem Titel verbergen. Das Wissensgefälle im Zusammenhang mit einer Erzählung be- schränkt sich indes nicht allein auf die Handlungsstruktur, es betrifft auch die Affektstruktur. Aus Sicht der Kognitionspsychologie lassen sich drei Typen von Affektstrukturen unterscheiden, die auf spezifischen er- zählerischen Arrangements der dargestellten Ereignisfolge beruhen: die Affektstruktur der Überraschung, der Spannung und der Neugier. Alle drei beruhen darauf, dass Erwartungen aufgebaut oder aufrechterhalten werden (Brewer 1985: 169). Vergleichen wir Adelboden im Hinblick auf die Affektstruktur mit Arriva la zia Erica: Abgesehen davon, dass schon der Titel Arriva la zia Erica eine sehr viel spezifischere Erwartungshal- tung aufzubauen vermag, ist in dem Film eine Abfolge von einer rudi- mentären Spannungs- und einer Überraschungsstruktur zu beobachten. Der Anfang lebt von seiner Spannungsstruktur: Wir wissen, dass Tante 201 Erica kommt, aber wir wissen nicht, wann und wie sie auftreten wird. Ihr Besuch verändert den Status quo der Ausgangssituation. Dann folgt die Überraschung: Um die Ankunft der Tante zu feiern, zieht die Mutter die Fasnachtsschlangen aus der Tasche. Auch wenn die Überraschung nur schwach ausgeprägt ist, könnte man in diesem Fall von einer narra- tiven Struktur sprechen, werden doch in Arriva la zia Erica einigermassen geplant zwei Affektstrukturen hintereinander zur Anwendung gebracht: Der Titel baut eine Erwartungshaltung auf, diese wird eingelöst, und es folgt eine Überraschung. Eine komplexere Struktur, die unter anderem eine spezifisch ausfor- mulierte Erwartungshaltung umfasst, konnte bei Autosonntag beobachtet werden. Ohne dass man darauf vorbereitet wäre, stehen plötzlich Berg- bauern vor den Städtern: eine Überraschung, die durch die supponierte Blickstruktur zusätzlich akzentuiert wird. Wie erwähnt, ist genau an die- ser Stelle ein physischer Schnitt im Material festzustellen. Daraus kann man schliessen, dass die Begegnung in der Postproduktion nachträglich herausgearbeitet wurde. Die unverhoffte Konfrontation wird damit zum auslösenden Moment einer Art von Handlung, die sich aus der Frage entwickelt, was passiert, wenn der Städter auf den Älpler trifft. Gemes- sen an den Standards der Gattung, verfügt dieses Beispiel über einen re- lativ elaborierten Aufbau mit Anfang, Mitte und Ende. Weil es ein auslö- sendes Ereignis gibt, das den weiteren Fortgang massgeblich bestimmt, kann man von einer Dominanz der narrativen Struktur über die chroni- kalische sprechen. In der Regel entstehen dramatische, komische oder erotische «Wen- dungen» im Familienfilm aber nur aus Zufällen: Jemand stürzt, ein Rock rutscht hoch – unfreiwilliger Slapstick. Überraschend kann fast jede Ein- stellung sein, weil abrupt von einem Sujet zum nächsten gesprungen wird und keine Übergänge, Aufzählungen oder Anfänge Anleitung bie- ten, das Gezeigte zeitlich, geografisch oder nach einer inneren Logik zu ordnen. Auch von Spannung in Form eines Rätsels und einer spezifi- schen Erwartungshaltung kann in diesen Fällen nicht die Rede sein. An- ders ausgedrückt: In aller Regel verfügen Familienfilme über kein auslö- sendes Ereignis und sind weit gehend chronikalisch erzählt. Die beschriebenen Strukturmerkmale weisen auf eine Ähnlichkeit zwischen Familienfilm und frühem Kino hin. Wie das frühe Kino lebt der Familienfilm von der Eignung des Mediums Film, etwas zu zeigen, zur Schau zu stellen, um beim Publikum Sinneseindrücke und Empfin- dungen hervorzurufen. Noch stärker als das frühe Kino bauen Familien- filme ihre Erzählungen vor allem auf Überraschungseffekte und nicht auf Spannung auf. Es geht nicht darum, wie sich ein Ereignis zuträgt, 202 sondern wann es sich ereignet (Gunning 1993:1). Die Kunst der Narration besteht im Wesentlichen darin, ein Rätsel zu kreieren und mit diesem Spannung zu erzeugen, indem man es stückweise preisgibt oder seine Auflösung hinauszögert. Beim Familienfilm wie beim frühen Kino wird die Neugier des Publikums nicht auf dem Weg über die Erzeugung und Auflösung narrativer Spannung befriedigt, sondern in erster Linie durch Überraschungen. Die Kameraperson als erzählendes Ich Wie die Analyse des untersuchten Materials nahe legt, überwiegt im Fami- lienfilm der chronikalische Modus des Erzählens. Im Unterschied zu ande- ren chronikalischen Erzählungen, die in der Regel Äusserungen einer un- beteiligten auktorialen Erzählinstanz darstellen, lassen sich Familienfilme häufig auf eine personalisierte Erzählperspektive zurückführen. Um Bilder zu bezeichnen, die Spuren ihres Herstellungsprozesses aufweisen, hat die Filmtheorie unter anderem versucht, die ursprünglich in der Linguistik entwickelte Theorie der Enunziation auf ihren Gegen- standsbereich zu übertragen. Emile Beneviste bezeichnet mit dem Begriff der «Enunziation» die Anwesenheit von menschlichen Wesen, von Sub- jekten, an den beiden «Enden» oder Seiten des Geäusserten (nach Metz 1997: 2). Aus narratologischer Sicht konstituiert sich die Quelle der Äus- serung im Spielfilm jedoch nicht als anthropomorphes Subjekt (Erzähler, Regisseur), sondern als abstrakte, rein strukturelle Instanz. In diesem Sinn ist der Film im Unterschied zur mündlichen Äusserung, wie Chris- tian Metz festhält, auch keine Kommunikation – eine Position, die auch David Bordwell teilt, obwohl er den Begriff der «Enunziation» im Rah- men seines neoformalistischen Ansatzes ablehnt (er spricht stattdessen von der Narration als «Prozess»).21 Allerdings weist Tom Gunning (wie in ähnlicher Weise auch Seymour Chatman) zu Recht darauf hin, dass sich im pragmatischen Verhältnis der Rezeption unweigerlich eine Zu- schreibung der Erzählung an einen Urheber ergibt. Tom Gunning spricht in diesem Zusammenhang in Anlehnung an Paul Ricoeur von einem «image of the author within the text» (Gunning 1991: 25).22 Ich habe wei- 21 David Bordwell lehnt den Begriff «Enunziation» für die Filmwissenschaft mit dem Argument ab, dass es sich beim Film um ein nicht linguistischen Objekt handle (Bord- well 1988: 16 f.). 22 Eine Formulierung, die übrigens vom Ausgangspunkt der ganzen Debatte, Albert Laffays Wendung vom «grand imagier», gar nicht so weit entfernt ist. Dieses «image of the author within the text» ist wiederum zu unterscheiden vom «implied author» im Sinne Chatmans. Chatman versteht unter dem «implied author» das Lektürepro- 203 ter oben vorgeschlagen, den Familienfilm in gattungstheoretischer Hin- sicht als Set zu definieren, bestehend aus einer Produktionsform, einer Textsorte und einer Rezeptionsform. In narratologischer Hinsicht könnte man den Familienfilm nun als Filmsorte definieren, die sich dadurch von professionellen fiktionalen und nicht fiktionalen Filmen unterscheidet, dass die Attribution des Textes an einen Urheber innerhalb des relatio- nalen Gefüges der Produktions- und Rezeptionsgemeinschaft Familie stattfindet und in der Regel eindeutig personalisiert ist: Bildermacher und Kameraperson sind identisch. Inwiefern der Bildermacher/Textur- heber im Text selbst vorkommt und Spuren der Enunziation hinterlässt, möchte ich nun noch kurz diskutieren. Von einer enunziativen Einstellung innerhalb des Materials könnte man zum Beispiel im Falle der gefilmten fotografischen Pose sprechen, weil hier der Film, wie Christian Metz schreibt, «uns von sich selbst (oder vom Kino) oder von der Position des Zuschauers erzählt; es findet also diese Ver- doppelung der Äusserung statt, ohne welche in keiner Theorie überhaupt nur die Rede von einer Enunziation sein kann» (Metz 1997: 10). Die Enunzia- tion ist also «der semiologische Akt, durch den bestimmte Teile eines Textes uns diesen als Akt erscheinen lassen» (ebd.: 11). Insofern man die Instanz oder Quelle der Äusserung im Familien- film anders als im Spiel- und Dokumentarfilm im Allgemeinen eindeutig personalisieren kann, bewegt sich der private Film in der Nähe der mündlichen Sprache. Die Enunziationsmarkierungen verweisen meis- tens auf ein ganz bestimmtes Subjekt, dem die Äusserung zuzuschreiben ist: nämlich eben auf die Kameraperson. Interessant ist nun, dass im Fal- le des Familienfilms eigentlich fast alle Einstellungen als enunziativ zu beschreiben wären, weil es hier fast keine neutralen Bilder gibt, wie Metz die nicht enunziativen Einstellungen nennt (Metz 1997: 145 f.). Auf die Kameraperson verweisen alle adressierten Darstellungen – wie der Blick, der sich an sie richtet, oder Krisensituationen, in denen sie physisch vor- stellbar wird oder sogar in Erscheinung tritt (wenn man zum Beispiel ihre Hand sieht). Man könnte aber auch behaupten, dass das neutrale Bild im Familienfilm überhaupt das enunzierte Bild ist, weil es die Regel darstellt. Zentral ist aber vor allem die Feststellung, dass Familienfilme – obwohl sie keine Ich-Filme sind – typischerweise aus der Perspektive ei- nes Kamera-Ichs erzählt werden. Erzählerische Verfahren, die den visuellen Standpunkt eines Dar- stellers repräsentieren, so genannte Point-of-view-Einstellungen (POV), gramm des Textes, das «text design», das die Rezeption vorbahnt (Chatman 1990: 74, 86). 204 stehen im Familienfilm fast ausschliesslich für die Kameraperson, die mit ihrem Blick den Film erschaut und hervorbringt. Da es dem Fami- lienfilm in der Regel weder darum geht, fiktionale Figuren aufzubauen, noch darum, einer Person Subjektivität zu unterstellen – im Sinne von «so hat es die Mutter gesehen» –, gehört der POV auch nicht zu den gän- gigen Verfahren. Trotzdem gibt es Einstellungsfolgen, die als Versuch gelesen werden können, einen POV unabhängig von der Kameraperson zu etablieren. So zum Beispiel im Zusammenhang mit der Herumal- ber-Szene in Hasi 1, in der es einen kurzen Zwischenschnitt auf eine Per- son gibt, die an ein Fenster tritt und aus dem Haus auf die Strasse schaut: Die anschliessende Einstellung gilt wieder dem Geschehen auf der Strasse, und kann somit zwar nicht direkt dieser Person zugeordnet werden – da diese aus dem Haus von oben herunterblickt –, aber mit dieser Einstellungsfolge wird der Aufbau einer Beobachterposition zu- mindest versucht. Eine vergleichbare Einstellungsfolge ist im Ferienfilm Sestri Juli 1931 1 aus der Sammlung U. zu beobachten. Es handelt sich um eine Ba- deszene: Kinder und Erwachsene vergnügen sich im Wasser; dann wer- den eine ältere Frau und ein kleines Kind gezeigt, welche die Badenden von einem Steg aus beobachten, worauf wieder zu den Badenden ge- wechselt wird (es handelt sich hierbei nicht um einen Schwenk, sondern um eine Montage in der Kamera). Auch mit dieser Einstellungsfolge wird eine Art von Beobachterposition suggeriert. Vergleicht man die bei- den Blickstrukturen – den Blick des Kamera-Ichs und die Beobachterpo- sition –, so ist keine dieser beiden Einstellungen subjektivierend in dem Sinne, dass sie als Innensicht einer Figur gelesen werden könnte. Der zweite Blick ist nicht einmal direkt einer Person zuzuordnen, da er for- mal nicht versucht, deren Blickachse wiederzugeben. Trotzdem können beide Blicke als Enunziationsmarkierungen gelesen werden, weil sie auf den semiologischen Akt verweisen, der sie hervorbringt, indem sie sich als Erzählperspektiven zu erkennen geben. Interessant ist hier vor allem der POV der Kameraperson. Dem POV kann man in der Regel nicht den Status eines subjektivierenden Blicks zuschreiben. Dennoch lässt er sich häufig als Blick einer bestimmten Person auf ein Geschehen lesen. Die Kamera wird als technische Verlängerung des eigenen Blicks verwendet, sie soll diesen «auf Eis legen» und die «nackte» Seherfahrung wiederge- ben, um Siereks Formulierung noch einmal aufzugreifen. Im Idealfall soll die Kamera wie von alleine aufzeichnen. Einen solchen Eindruck vermögen jedoch im metzschen Sinne nur neutrale Einstellungen zu er- wecken, und diese sind im Familienfilm ausgesprochen selten. Selbst am Anfang von Autosonntag kippt die neutrale Einstellung rasch in eine 205 enunzierte. Bis zu dem Moment, in dem Frau H. nach dem Öffnen des Hotelfensters zur Kamera blickt und winkt, ist diese Einstellung neutra- ler Art: Sobald sie winkt, wandelt sich die Einstellung zu einer enunzier- ten. Letztlich dominieren in der Praxis die enunzierten Bilder, weil der Familienfilm in einem relationalen Gefüge stattfindet. Wenn es ein Schei- tern gibt, das den Familienfilm als Gattung kennzeichnet, dann am ehes- ten das Scheitern der Kameraperson beim Versuch, nicht ich zu sagen. Es geht mir hier nicht darum, den metzschen Ansatz für den Fami- lienfilm zu adaptieren – dafür müsste man das vollständige Inventar von Enunziationsmarkierungen diskutieren –, sondern um die Frage, was die Narratologie zum Verständnis des Familienfilms beizutragen vermag. Dem Familienfilm gelingt es nicht, eine klassische Narration zu etablie- ren; ebenso wenig schafft er es, seine Enunziertheit zu verstecken. Weder das eine noch das andere muss zwangsläufig als Scheitern am Erzählki- no interpretiert werden. Ebenso gut kann man die These vertreten, dass diese beiden Charak teristika für den Familienfilm funktional sind. Je- denfalls führt mich meine Analyse von Strukturmomenten im Familien- film, die induktiv und nicht theoriegeleitet angelegt ist, zum Schluss, dass der Familienfilm nicht am grossen Kino zu messen ist, sondern dass er vielmehr die Mittel des Films im Hinblick auf einen bestimmten Zweck erprobt: In der privaten Filmpraxis wird das Medium eingesetzt, um das Familienleben zum erzählbaren und erzählten Ereignis zu ma- chen. Mit anderen Worten: Der Familienfilm erfüllt in diesem Sinn eine narrative Funktion. Um diese zu erfüllen kann er sich narrativer Struktu- ren bedienen, muss es aber nicht. Insofern er seine Funktion auch dann problemlos erfüllen kann, wenn seine Narration «nur» chronikalisch ist und sich seine Struktur auf das Vorhandensein eines Anfangs be- schränkt, kann von einem Scheitern beim Versuch, eine Narration herzu- stellen, nur dann die Rede sein, wenn man die spezifische narrative Funktion des Familienfilms nicht als solche ernst nimmt. Das Familienleben als erzählbares und erzähltes Ereignis Der Aufbau eines Familienfilms lässt sich als sequenzielle Struktur be- schreiben, die sich als Abfolge von Situationen darstellt. Der Beginn ei- nes Sujets wird häufig deutlich als Anfang codiert. Die weitere Entwick- lung der Handlung bleibt jedoch in der Regel relativ unfokussiert; oft bildet der zeitliche Fortgang eines Ereignisses die einzige Entwicklung. Das Prinzip der Aufzählung oder der fortlaufenden Nummerierung be- stimmt im Wesentlichen den Aufbau. Wenn der Film sich nicht auf ein Szenario stützt, das profilmisch über eine dramaturgische Struktur ver- 206 fügt, erfolgt das Ende ohne entsprechende Vorbereitung und wird sogar in der Regel von ausserfilmischen Ursachen wie dem Mangel an Film- material herbeigeführt. 23 Man könnte in diesem Sinn von einer Halberzählung des Familien- films sprechen. Familienfilme haben in der Regel einen Anfang, aber kein Ende. Ich gehe von der These aus, dass die Halberzählungen des Familienfilms narrativ funktional sind, weil ihre Struktur den offenen Erlebnisstrukturen des Familienlebens entspricht: Man geht in den Wald zum Spazieren, und dann… Obwohl die Ferien irgendwann unweiger- lich zu Ende gehen, will der Familienfilm keinen Bogen vom Anfang bis zum Ende schlagen, sondern vielmehr Eindrücke sammeln und in Form einer fortlaufenden Aufzählung präsentieren. Gleichwohl werden Ge- wichtungen vorgenommen, eine Auswahl von Momenten aus bestimm- ten Blickwinkeln getroffen und das ursprüngliche Ereignis zumindest im Ansatz in eine Struktur und Form gebracht. Doch fehlt dem Familien- ausflug und Familienerlebnis meist etwas Entscheidendes, um als Erzäh- lung zu funktionieren: das auslösende Ereignis. Die meisten Familiener- lebnisse haben einen Anfang und eine Exposition (Präsentation der Protagonisten und Protagonistinnen), doch dann kommt nichts mehr, weil einfach nichts passiert, was den Charakter eines auslösenden Ereig- nisses oder einer Konfrontation hätte; eine Ausnahme bildet wieder Au- tosonntag, wo eine Konfrontation stattfindet. Der Abschluss einer Erzäh- lung wird erst möglich, wenn es ein auslösendes Ereignis und damit einen Konflikt gibt. Familienfilme fangen zwar an, sie hören aber nicht auf, und zwar deshalb, weil sie als Geschichten im Sinne eines narratolo- gischen Konzepts gar nie anfangen. Wahrscheinlich ist es deshalb so schwierig, ein Ende zu finden. Auch die Castlisten und Aufzählungen kommen nicht von ungefähr. Man findet sie ebenso im Trailer wo sie ein bevorzugtes Mittel sind, eine Story nicht preiszugeben und Aufmerk- samkeit und Interesse an einem Film zu wecken, ohne ein auslösendes Ereignis zu markieren (Hediger 2001). Nach Jerome S. Bruner werden «Erzählungen […] nicht nur gebil- det, um Erfahrungen mitzuteilen, sondern auch und zuerst, um diese zu gestalten» (Bruner 1998: 52). Ganz in diesem Sinn trägt der Familienfilm dazu bei, Ereignisse erzählbar zu machen, und er stellt gleichzeitig eine Form von erzähltem Familienleben dar. Dass seine Erzählungen frag- 23 Auch bei mündlichen Erzählungen gehört der Anfang zu denjenigen narrativen Kom- petenzen, die nicht nur früh erworben werden, sondern, im Unterschied zum Ende, einfach zu realisieren scheinen. Beginnen Kinder, Witze und später Geschichten zu er- zählen, so verfügen sie zunächst nur über die Kompetenz, etwas beginnen zu lassen, und scheitern mit ihren Darbietungen, sobald sie über den Anfang hinaus sind. 207 mentarisch oder nur schwach narrativ sind, steht dazu, wie ich gezeigt habe, nicht im Widerspruch. Familienfilmerzählungen können auf ver- schiedene Art und Weise vervollständigt werden, sei es mithilfe eines Gesprächs während der Vorführung oder indem man beim Anschauen auf bestimmte Wissensbestände zurückgreift. Peter Ohler (1994) sieht beim kognitiven Filmverstehen drei Wissensformen beteiligt, welche die Lektüre strukturieren und ermöglichen: das «narrative Wissen», das «fil- mische Wissen» – also das Wissen um filmische Darstellungsformen – und das «Weltwissen». Man kann davon ausgehen, dass diese drei For- men des Wissens schon beim Herstellen von Filmen eine Rolle spielen und nicht erst bei der Arbeit des Verstehens ex post facto. Man bringt sein Wissen mit auf das Set und aktiviert es beim Drehen. Olson und Bruner haben darauf hingewiesen, dass jede Erfahrung «including the various symbolic systems tied to the media […] a unique pattern of skills for dealing with or thinking about the world» hervorbringt (Olson et al. 1974: 149). Im Zusammenhang mit dem Familienfilm ist bislang lediglich der Beitrag der fotografischen Erfahrung zur Herstellung der Filme the- matisiert worden. Tatsächlich aber umfasst das Wissen, das in der priva- ten Filmpraxis aktiviert wird, ein erheblich breiteres Spektrum an spezi- fischen medialen und szenischen Kompetenzen. Einzig Michael Griffin (1985) ist bisher – in seinen Arbeiten über Fil- me, die von Kindern gemacht wurden – der Frage nachgegangen, wel- che Rolle narrative oder filmische Kompetenzen bei der privaten Film- produktion spielen.24 Griffin geht es dabei in erster Linie darum, was Kinder von den Medien lernen können. In einer empirischen Untersu- chung weist er nach, dass die visuellen Strukturierungen, die Kinder in ihrer eigenen Filmarbeit aktivieren, weit gehend die vorherrschenden Muster des Fernsehens widerspiegeln (narrative Muster, Genre- und Formatbezüge). Darüber hinaus stellt Griffin fest, dass die visuelle und mediale Kompetenz der Kinder weniger von ihrem Alter als von ihren medialen Erfahrungen abhängt.25 Dass sich Griffins Befunde extrapolie- ren und auf den Familienfilm anwenden lassen, deutet sich schon da- durch an, dass sich in Homevideos seit den Achtzigerjahren vermehrt Anspielungen auf das Genre des Musikvideos beobachten lassen. So we- nig wie die filmische Arbeit der von Griffin untersuchten Kinder findet 24 Auch Chuck Kleinhans (1986) hat bei der Untersuchung der Filme seiner Tante äus- serst interessante Rückgriffe auf Hollywood-Filme finden können; so stellte seine Tan- te mit Vorliebe Hollywoodparodien her (Return auf Jetai, 1981). Leider geht Kleinhans nicht näher auf diesen Aspekt ein. 25 Dass Griffin in seinem Modell den Familienfilm als narrativen Nullpunkt setzt, ist ein anderes Problem, das hier allerdings keine Rolle spielt. 208 die filmische Praxis der Familie losgelöst von einem medialen Umfeld statt. Narrative Funktionen Ich habe dieses Kapitel über die Struktur von Familienfilmen mit der Feststellung begonnen, dass jene bislang vorwiegend unter dem Aspekt des Scheiterns und des Misslingens untersucht wurde. Macht man die Narration des Spielfilms zum Massstab, dann lässt sich in der Tat nicht von der Hand weisen, dass diese Momente überwiegen. Wie ich aber schon darzulegen versuchte, verfügen die Bezugnahmen aufs Erzählki- no über eine eigene Funktionalität, die sich nicht in der Imitation er- schöpft, und haben eher den Status von Anspielungen als den von Imita- tionsversuchen. Von Belang ist überdies, dass Familienfilme gewisse strukturelle Ähnlichkeiten mit einer Form des Films teilen, die für die Filmgeschichtsschreibung lange Zeit nur als unfertige Vorform des rich- tigen Spielfilms galt: mit dem frühen Kino. Was ich im Zusammenhang mit dem touristischen Film beobachtet habe, könnte nun entsprechend für den Familienfilm insgesamt behaup- tet werden: dass er nämlich dazu beiträgt, Erfahrungen zu gestalten, um sie festzuhalten und zu überliefern. Darstellerische, dramaturgische und erzählerische Verfahren spielen dabei eine wichtige Rolle, weil ihre An- wendung suggeriert, dass das Erlebte es verdient, dargestellt, erzählt und aufbewahrt zu werden. Die Anwendung der filmischen Mittel zeugt von medialer Kompetenz – ebenso wie von einer Lust am Verfügen über diese Kompetenz. Obschon Familienfilme keine «künstlerischen» Schöpfungen sind, kann man den Versuch, gestaltende Verfahren ins Spiel zu bringen, als Versuch sehen, das Gewöhnliche wieder «fremd zu machen». Auch wenn Familienfilme auf den ersten Blick als langweilige Wiedergabe des familiären Lebens erscheinen, sind sie doch voller Ambitionen, die Lang- weiligkeit des Gewöhnlichen zu überwinden: Sei es, indem man ver- sucht, etwas Spezielles zu tun, sei es, indem man erinnerungswürdige Momente auswählt oder erzählerische und filmische Verfahren anwen- det, die auf andere mediale Formen anspielen. Man könnte also sagen, dass sich die narrative Funktion des Fami- lienfilms durch die Kombination zweier Funktionsaspekte vollzieht, die als solche schon dem Text eingeschrieben sind. Der Familienfilm soll so- wohl «Familie» herstellen, als auch «Film» sein. Der Familienfilm stellt Familie insofern her, als er beim Drehen und in der Rezeption das rela- tionale Gefüge der Familie durch die Praxis des Filmens aktiviert. Er ist 209 zugleich Film, indem die Tätigkeit, in der sich das relationale Gefüge der Familie aktiviert, eben die des Filmemachens ist: nicht nur im Sinne des Abdrehens von Material, sondern auch im Sinne des Aktivierens von Wissen über mediale Darstellungsformen und deren Erproben zum Zweck des Erzählbarmachens von gemeinsam Erlebtem. Der Beizug der medialen Darstellungsformen verleiht dem dargestellten Handeln den Reiz des Besonderen: Die Bezugnahmen auf den grossen Film verfrem- den und verklären den Gegenstand des kleinen. Zugleich aber müssen die Muster des Films, die man gemeinsam erprobt, den Charakter des Hand- und Hausgemachten behalten, damit sich der Effekt der Intimität einstellt und die Familie, die der Film produziert, auch die eigene bleibt. Insofern ist die Kombination der beiden Funktionsaspekte «Familie» und «Film» durchaus ambivalent. 210 Die zweite Produktion des Films: Von der Herstellung zur Rezeption Rezeption I know […] a young chronophobiac who experien- ced something like panic when looking for the first time at homemade movies that had been taken a few weeks before his birth. He saw a world that was practically unchanged – the same house, the same people – and then realized that he did not exist there at all and that nobody mourned his ab- sence. He caught a glimpse of his mother waving from an upstairs window, and that unfamiliar ge- sture disturbed him, as if it were some mysterious farewell. But what particularly frightened him was the sight of a brand-new baby carriage standing there on the porch, with the smug, encroaching air of a coffin; even that was empty, as if, in the rever- se course of events, his very bones had disintegra- ted. – Vladimir Nabokov: Speak, Memory: An Autobiography Revisited (1967) Ob man es nun mit guten, schlechten oder gemischten Gefühlen verbin- det: Das Sich-selber-auf-der-Leinwand-Sehen und das Betrachtetwerden sind Teil der ambivalenten Faszination des privaten Films. Bisher habe ich mich bemüht, den Horizont der Analyse zu erweitern und die Unter- suchung von Text und Rezeption auf die Produktion und ihren Kontext hin zu öffnen. Ich bin dabei von einer Definition des Familienfilms als ei- nes Sets ausgegangen, bestehend aus einer Produktionsform, einer Text- sorte und einer Rezeptionsform. Nachdem ich mich mit Produktion, Text und den Spuren der Produktion im Text eingehend befasst habe, möchte ich mich nun mit dem Anschauen der Filme beschäftigen, also mit der Rezeption. Sowohl unter theoretischen wie historischen Gesichtspunkten kommt der Rezeption in der Forschung ein zentraler Stellenwert zu. Roger Odin und Angela Keppler sehen im gemeinsamen Filmbe- trachten die Funktion der Gattung. Kepplers (1984, 1990 und 1995) pri- märes Interesse gilt den «Mittel[n] und Wege[n], auf denen Familien sich kommunikativ der eigenen Geschichte vergewissern» (Keppler 1995: 10). Medialen Dokumenten kommt hierbei eine wichtige Rolle zu, insofern diese einen Anlass zum kommunikativen Austausch bieten und zugleich 211 als Erinnerungsspeicher dienen. Für Keppler entfalten visuelle Doku- mente ihre Funktion für den familiären Erinnerungshaushalt erst in der gemeinsamen Besprechung und Betrachtung. Als spezifische Texte sind die Filme in einer solchen Perspektive irrelevant, aber auch die Rezep- tionssituation wird nicht medienspezifisch diskutiert – ob es sich um ei- nen Film- oder Dia-Abend handelt, spielt bei Keppler keine Rolle. Mei- nes Erachtens überschätzt die Autorin in ihrer Analyse die Bedeutung der Sprache und unterschätzt damit gleichzeitig das Potenzial von Bil- dern. Tatsächlich können Bilder ebenso Anlass des Gesprächs und Ge- genstand der Verhandlung werden wie die Ereignisse, die sie zeigen: Man denke nur an den häufigen Fall, in dem Gefilmte sich darüber be- klagen, dass sie überhaupt gefilmt oder unvorteilhaft ins Bild gesetzt wurden. Roger Odin wiederum schenkt den Bildern mehr Beachtung. Wie erwähnt, knüpft er bei den Figuren des Missratens an, gelangt aber zur Feststellung, dass diese nicht ausreichen, um den Familienfilm von an- deren filmischen Praktiken zu unterscheiden, da sie auch in Experimen- talfilmen oder Reportagen zu finden sind. Diese Beobachtung brachte Odin dazu, sein ursprünglich textimmanentes Vorgehen durch ein prag- matisches Modell zu ersetzen (Odin 1979: 368). Demgemäss bestimmen die Erwartungen des Publikums den Nutzen einer filmischen Gattung. Der Familienfilm hat seinen Nutzen darin, dass er als tendenziell unab- geschlossener Text unterschiedliche Lesarten und gleichzeitig eine ge- meinsame Vision anzubieten vermag, wodurch er zur Bestätigung und Generierung von familialem Sinn beiträgt. Meine Einwände gegen diese Position habe ich bereits formuliert: Wenn Familienfilme weit gehend offen und mehrdeutig sind – wie lässt sich dann erklären, dass sie trotzdem so einhellig in eine bestimmte 212 Richtung wirken und am Ende alle das Gleiche wollen? Um diese Frage zu beantworten, muss man bei der Produktion und der Struktur der Fil- me ansetzen. Die Filme sind, wie ich zeigen konnte, stärker strukturiert, als es ein Vergleich mit den Konventionen des Erzählkinos nahe legen würde, und gleichzeitig beschränkt sich ihre familienstiftende Funktion nicht auf die Rezeption. Sie setzt vielmehr schon bei der gemeinsamen Herstellung ein. Andererseits gilt es festzuhalten, dass Familienfilme die supponierte familienstiftende Funktion nicht immer so reibungslos er- füllen, wie Odins Modell postuliert. Vivian Sobchacks (1999) phänomenologischer Ansatz lässt sich mit der Position von Odin insofern vergleichen, als es auch ihr darum geht, ver- schiedene Gattungsmodalitäten auf Grund ihrer Rezeption zu bestimmen. Bei ihr erfährt die These vom Familienfilm als Rezeptionseffekt weitere Zu- spitzung: Es interessiert nicht mehr die pragmatische Funktionalität von Filmtexten, weshalb ihre Rezeption vom Herstellungskontext gelöst wer- den kann. Ihrer Meinung nach lässt sich grundsätzlich jeder Film im Fami- lienfilmmodus rezipieren (Greta Garbo und die übrigen Schauspieler kön- nen Queen Christina als Familienfilm anschauen). Sobchack geht es in erster Linie um eine Phänomenologie der nicht fiktionalen Filmerfahrung. In diesem Kontext ist sie auf die Arbeit des belgischen Psychologen Jean-Pierre Meunier gestossen, an dessen weit gehend vergessene Publikation Les structures de l’experience filmique: l’identification filmique (1969) Sobchacks Argumentation anschliesst. Meu- nier unterscheidet drei Modalitäten von Zuschauerbewusstsein – Fami- lienfilm (film de souvenir, wie er ihn nennt), Dokumentarfilm und Spiel- film –, die auf dem jeweiligen Vorwissen basieren, das ein Zuschauer, eine Zuschauerin mitbringt. So wird zum Beispiel im Familienfilm ein Hund immer als «unser» Hund rezipiert, wohingegen Lassie ein nicht reales, imaginäres und kinematografisches Objekt des Spielfilms bleibt (Sobchack 1999: 243). Sowohl für die Zuschauer- wie für die Gattungs- theorie bricht diese Sichtweise mit der Vorstellung von fixen Kategorien. Weder ist für die Rezeption die filmische Gattung ausschlaggebend, noch verläuft die Identifikation in eine vorbestimmte Richtung. Die Filmwahrnehmung wird so zu einem Vorgang, der im Wesentlichen von situativen Parametern abhängt: «Not all images are taken up as imagina- ry or phantasmatic and […] the spectator is an active agent in constitu- ting what counts as memory, fiction or document» (Sobchack 1999: 253). Bei einer «Familienfilm-Haltung» (home-movie attitude) ist die Struk- tur der Identifikation diejenige einer (Herauf-)Beschwörung (evocation). Doch was sich in der Theorie als grundsätzliche Unbestimmtheit eines Textes präsentiert, sieht in der Praxis anders aus: Auch für Sobchack be- 213 steht, wie für Odin, zwischen der ästhetischen Beschaffenheit der Filme und ihrer Funktion ein Zusammenhang. Wegen ihrer evokativen Funkti- on seien Familienfilme nämlich nicht narrativ konstruiert, da ihre Bilder vor allem als Vergangenheitsmarker für eine bestimmte Erfahrung ste- hen, die mit den kausalen Mustern der Erzählung nichts zu tun habe. Odin hat darauf hingewiesen, dass die Unabgeschlossenheit des Fa- milienfilmtextes dem Publikum eine aktive Rezeptionsrolle erlaubt und eine Regression verhindere (das heisst eine topische Regression im Sinn der psychoanalytischen Filmtheorie der Siebzigerjahre: eine phantasma- tische Besetzung des Filmtexts durch den Zuschauer in dem halbschlaf- ähnlichen Zustand, der für die Rezeptionshaltung im Kino charakteris- tisch ist). Dieser These folge ich insofern, als ich den Familienfilm von seiner Struktur her ebenfalls als nicht voyeuristischen Text beschreibe; man könnte noch anfügen, dass er auch in dieser Hinsicht nicht ver- sucht, Erzählkino zu sein. Um diesen Punkt genauer darzulegen und präziser zu fassen, welche Funktion des Familienfilms sich in der Rezep- tion erfüllt, möchte ich den Vergleich mit dem frühen Kino weiter aus- bauen. Ähnlich wie dem Familienfilm «fehlt» es dem Attraktionskino, wie Tom Gunning es beschreibt, an Narrativität. Dieses Fehlen ist indes nicht einfach ein Mangel. Vielmehr zeigt es an, dass das Attraktionskino sein Publikum anders positioniert als das klassische Erzählkino. Das At- traktionskino ist ein Kino, das primär seine Visibilität ausspielt: Es lebt eher davon, etwas zu zeigen, und weniger, etwas zu erzählen. Wie Gun- ning ausführt, etabliert das Attraktionskino ein exhibitionistisches Regi- me an Stelle des voyeuristischen Regimes des klassischen Erzählkinos (Gunning 1990: 57). Analog dazu lässt sich auch der Familienfilm verste- hen: Er stellt ein performativ-exhibitionistisches Verfahren dar und we- niger ein narrativ-voyeuristisches; er lebt stärker von einer Abfolge von Sensationen und Überraschungen als von durchgearbeiteten Erzählun- gen. Überdies beschränken sich die Attraktionen, die in der Rezeption des Familienfilms Gegenstand des Interesses sind, nicht auf die Gescheh- nisse auf der Leinwand. Die Besichtigungsstruktur des Familienfilms verläuft nicht nur entlang der primären Achse des Filmsehens, vom Zu- schauer zum Geschehen auf der Leinwand. Sie schliesst das ganze rela- tionale Gefüge des Publikums mit ein: etwa dann, wenn die Eltern ihre Kinder dabei beobachten, wie sie sich selbst auf der Leinwand betrach- ten. Womit eine weitere Gattungsspezifik des Familienfilms benannt wäre: Der Familienfilm ist ein Sehen des Sehens nicht nur auf der Ebene des Textes, sondern auch auf der Ebene der Rezeption. Der Familienfilm ist eine Praxis des Sich-selbst-Betrachtens ebenso wie eine Praxis des Einanderbetrachtens beim Sich-selbst-Betrachten. Anders gesagt: Die 214 kommunikative Vergemeinschaftung findet beim gemeinsamen An- schauen des Familienfilms nicht nur dadurch statt, dass man miteinan- der spricht, sondern auch dadurch, dass man sich gegenseitig anschaut und beim Betrachten betrachtet. Erinnerung Das Familiengedächtnis und der Familiensinn [Photography] is a technology that extends two psychological functions: perception and memory. – Stanley Milgram: The Image-Freezing Machine (1977). Die Evokationsthese von Meunier, an die Sobchack anschliesst, besagt, dass man Familienfilme immer mit einer ganz bestimmten Absicht an- schaut: mit derjenigen, an reale Ereignisse, Personen oder an sich selbst anzuknüpfen. Weil dieses Ziel aber nicht zu verwirklichen sei, komme es zu einer Art leeren Sympathie oder nostalgischem Vergnügen gegenüber dem Filmbild. Die Erinnerungsfunktion von Familienfilmen gleiche der einer Muschel, die man einige Sommer zuvor am Mittelmeer gekauft habe (Sobchack 1999: 248). Ich bin mir nicht sicher, ob der Familienfilm nur eine leere Sympathie mit der Vergangenheit erzeugt. Ohnehin rich- ten sich Familienfilme vor allem an eine Form der kollektiven Erinne- rung: Nicht nur für das einzelne Individuum, sondern für eine ganze Gemeinschaft, für die Familie, sollen Erfahrungen und Erlebnisse gespei- chert und überliefert werden. Im Vordergrund steht die Schaffung und Pflege eines «Familiensinns», den Franz-Xaver Kaufmann als den Orien- tierungszusammenhang einer Familie charakterisiert, der aus gemeinsa- mer Erfahrung gespeist wird und weder auf biologische oder emotionale Bindungen noch auf ökonomische Zwänge zurückgeführt werden kann (Kaufmann 1990: 30). Im Grunde geht es um die Identität einer familiä- ren Gemeinschaft. Odin spricht vom mythischen Anker, den der Fami- lienfilm der familiären Institution gibt. Diese «Selbstthematisierung der Familie als Familie» (Keppler 1995: 162) hat Maurice Halbwachs 1925 als Familiengedächtnis beschrieben: Auf jeden Fall stellt das Familiengedächtnis aus verschiedenen aus der Ver- gangenheit behaltenen Elementen […] einen Rahmen her, den es intakt zu halten sucht; und der gewissermassen zur traditionellen Ausrüstung der Familie gehört. Obwohl er aus datierbaren Fakten und aus Bildern besteht, 215 die nur eine bestimmte Zeit gedauert haben, findet man doch auch Urteile der Familie selber oder ihrer Umgebung über sie darin verwoben, und so teilt er auch die Wesensart dieser kollektiven Vorstellungen, die sich nicht einem bestimmten Ort oder einem bestimmten Zeitmoment zuschreiben lassen und die über dem Lauf der Zeit zu stehen scheinen. (Halbwachs 1985: 210) Im Familiengedächtnis wird der Familiensinn nicht nur überliefert, er wird kreiert. Das Familiengedächtnis braucht – wie alle sozialen Ge- dächtnisse – nicht nur bestimmte Kristallisationspunkte, an die sich die Erinnerung heften kann, es bedarf auch eines Mediums, um sie festzu- halten und zu transportieren. Es braucht also zum Beispiel «Daten und Feste, Namen und Dokumente» (Keppler 1995: 163), aber auch die Spra- che, die Schrift, die Fotografie oder den Film. Mediale Dokumente wie Fotografien und Filme spielen hier insofern eine wichtige Rolle, als sie der Familie einen Anlass zum kommunikativen Austausch bieten und zugleich Erinnerungsdokumente sind. Dem Familienfilm ist ein ausgeprägter kommunikativer Status ei- gen, sei es in der Herstellung, sei es in der Rezeption. Bronislaw Mali- nowksi und Roman Jakobson haben in ihren Arbeiten zur pragmati- schen Kommunikation auf die Möglichkeit phatischer Funktionen hingewiesen. Dabei geht es um diejenigen kommunikativen Momente, in denen das Ziel weniger in der Weitergabe von Informationen oder im Erzeugen kreativer Texte als in der Stärkung und Erhaltung von kom- munikativen Beziehungen liegt. Im Falle des Amateurfilms lassen sich phatische Funktionen sowohl in der gemeinschaftlichen Produktions- wie auch in der kollektiven Rezeptionssituation erkennen.26 Erinnerung und Erzählung Wenn man sich erinnern will, was uns in der frü- hesten Zeit der Jugend begegnet ist, so kommt man oft in den Fall, dasjenige, was wir von andern gehört, mit dem zu verwechseln, was wir wirklich aus eigener anschauender Erfahrung besitzen. – Johann Wolfgang Goethe: Dichtung und Wahrheit 26 Für eine Diskussion des Konzepts im Bereich der Fernsehforschung vgl. Hans J. Wulff (1993). Eine kritische Diskussion der phatischen Funktion für den Familienfilm steht noch aus. 216 Von unseren Kindheitsjahren haben wir gewisse Vorstellungen, doch stützen wir uns dabei in der Regel nicht nur auf eigene Erinnerungen, sondern auf Erzählungen von Eltern und Verwandten oder auf überlie- ferte Dokumente, und auch unsere bewussten Erfahrungen werden erin- nerbar und damit selbstkonstituierend erst dann, wenn wir sie in Form einer Erzählung bearbeiten. Im vorhergehenden Kapitel habe ich nach- zuzeichnen versucht, wie der Familienfilm schon im Moment der Auf- nahme beginnt, erinnerbare Momente zu schaffen. Jean-Pierre Esquenazi (1995) setzt in seinem Aufsatz zum Familienfilm bei Paul Ricœurs Fest- stellung an, dass sich Selbstidentität über die Erzählung herstellt. […] l’aptitude d’un film à devenir mémoire pour une famille passe par sa capacité à devenir récit pour cette famille, ou même elle lui est identique. (Esquenazi 1995: 218) Esquenazi vertritt eine ähnliche Position wie Sobchack oder Meunier: Auch für ihn kann grundsätzlich jeder Film für ein ausgewähltes Publi- kum einen Familienfilmeffekt erzeugen. Dieser Effekt basiert nämlich auf dem spezifischen Zuschauer oder der Zuschauerin, der/die durch seine/ihre Partizipation für die Wahrhaftigkeit des Gezeigten garantiert. Die Anwesenheit eines Familienmitglieds verleiht dem Film den Status der Wahrhaftigkeit, und gleichzeitig bekräfigt der Film dessen familiären Status. Der Familienfilmeffekt ist also das wechselseitige Wiedererken- nen zwischen Film und Publikum (Esquenazi 1995: 214).27 Tritt ein sol- cher Effekt auf, so wird der Film für seinen Zuschauer zu einer persönli- chen Erzählung, indem letzterer seine Zeit und Erinnerungen zu ordnen vermag. Familienfilme helfen also mit, die Fülle und Kontinuität des Lebens zu strukturieren, indem sie helfen, Erfahrungen zu ordnen und zu seg- mentieren. Doch tun sie dies nicht nur durch die Auswahl und tempora- le Anordnung von Lebensereignissen, sondern auch dadurch, dass Er- eignisse mit bestimmten filmischen Bildern (später auch mit Tönen) in Verbindung gebracht und dadurch auf eine ganz bestimmte Art und Weise erinnerbar werden. Familienfilme können als persönliche visuelle Erzählungen begriffen werden, die nicht nur eine Gedächtnisfunktion in dem Sinne übernehmen, dass sie vergangene Ereignisse speichern, son- dern ebenso, indem sie zur Konstruktion eines Gedächtnisses beitragen. Aber auch das filmische Bild der Familienfilme erzeugt auf den ersten Blick einen Realitätseindruck, der suggeriert, dass das, was wir auf der 27 Eine psychoanalytische Lesart könnte hier auf Patrick Lacostes (1995) Vorschlag zu- rückgreifen, den Familienfilm als «Familienromanblockade» zu begreifen. 217 Leinwand erblicken, uns mitteilt: So ist es gewesen. Gleichwohl erzählen sie eher von einem «so hätte es gewesen sein können» (oder wie Odin sagt: Familienfilme revanchieren sich bei der realen Erfahrung, indem sie sie mythologisieren) und teilen daher mit dem Gedächtnis immer schon das Prinzip der Auslassung, Idealisierung und Stilisierung. Nur ausgewählte Momente – Fragmente von Handlungen, Ereignissen und Wunschvorstellungen – sind in ihnen «gespeichert» und damit auch wieder abrufbar, und nur sie können die Erinnerung wiederbeleben. Unterhaltung Obwohl die erinnerungsstiftende und familienkonstituierende Motivat- ion die weitaus wichtigste Funktion von Familienfilmen darstellt, existie- ren noch andere Gründe, Filme zu machen und anzuschauen. Eckhard Schenke nennt in seiner Untersuchung zwei Hauptmotivationen, welche die Leute veranlassen, ihre Filme vorzuführen: um Erinnerungen aufle- ben zu lassen und um zu unterhalten (Schenke 1998: 294). Diese Aussa- gen beziehen sich zwar auf die Neunzigerjahre; man kann aber, ohne über eine vergleichbare Untersuchung aus den Dreissigerjahren zu ver- fügen, davon ausgehen, dass Dokumentation und Unterhaltung schon damals die Hauptmotivationen darstellten. Der Familienfilm ist nicht nur visuelles Dokument familiärer Ereignisse, sondern ebenso sehr ein filmisches und kinematografisches Ereignis. Man kann dabei zwischen einer kommunikativen und einer medienspezifischen Funktion unter- scheiden: Kommunikativ trägt der Familienfilm sowohl beim Herstellen als auch beim Betrachten zur Vergemeinschaftung bei. Als Medium er- füllt er sodann eine zweifache Funktion: Erst macht man einen Film, im Sinne einer kreativen Tätigkeit, dann macht man Kino, in Form von Un- terhaltungsprogrammen. Im Folgenden geht es mir um den medialen Aspekt des Kinos: um eine Rekonstruktion der Vorführpraxis und des Aufführungskontextes, um das Heimkino als häusliche Unterhaltungs- form. Dabei zeichnen sich wiederum Parallelen zum frühen Kino ab. Das Heimkino stellt gleichsam eine Wiederkehr des Nickelodeons im Wohn- zimmer dar. Das Heimkino Auch Stacey Johnson (1998) sieht den Familienfilm zunächst als Kulmi- nation des Wunsches nach Erinnerung und einer Sehnsucht nach Bildern der persönlichen Geschichte. Der Familienfilm ist für ihn eine direkte historische Fortsetzung der Familienfotografie. Das Medium des Films 218 habe sich nicht so sehr als Einfluss auf die Ikonografie der familiären Selbstdarstellung und deren Funktionen ausgewirkt. Vielmehr hat es den Konsum der eigenen Bilder verändert: «The moving image camera […] did affect the consumption of family history» (Johnson 1998: 153). Johnson interessiert sich zwar für die theoretische Situation der Rezepti- on, doch unterlässt er es, eine Rekonstruktion der Vorführpraktiken vor- zunehmen. Die konkrete Aufführungssituation ist in meinen Augen aber für das Verständnis der Funktion des Familienfilms wichtig. In Zusammenhang mit dem Pathé-Baby-Format habe ich eine erste Beschreibung des Heimkinos geliefert: das Heimkino als Ort, wo gekauf- te und selbst gedrehte Filme im häuslichen Rahmen zur Aufführung ge- langen. Mit der konkreten Gestaltung des Heimkinos hat sich die For- schung bislang noch kaum beschäftigt; die Ausnahme bildet Martina Roepke (1999), die anhand von Berichten in Amateurfilmer-Zeitschriften die Vorführpraxis zu rekonstruieren versucht. Ich will im Folgenden dem besonderen Charakter der Vorführsitua- tion nachgehen. Sie beginnt zunächst als Spektakel der Apparatur. Be- zeichnenderweise finden die Filmvorführungen selten in einem abge- schirmten Umfeld statt, wie es für eine Kinoprojektion kennzeichnend ist. Wie bei vielen Vorführungen in den ersten Jahren des Kinos steht der Projektor im Zuschauerraum, und das Projektionsgeräusch gehört zur Vorführung. Dies ist einer der charakteristischsten Züge des Familien- films überhaupt: Unabhängig davon, ob ein gekaufter oder ein selbst ge- drehter Film gezeigt wird – der Lärm des Projektors ist ein Zeichen, eine Markierung dafür, dass man sich in einer Heimkinovorstellung befin- det.28 Aber nicht nur die Projektionsgeräusche sind bei einer Heimkino- vorführung zu hören. Es wird auch gesprochen und diskutiert, manch- mal nur vom Vorführer und Erklärer29 (dem Vater, der neben Kamera und Regie auch noch die Funktion des Operateurs und «Kinobetreibers» übernimmt). Meistens aber beteiligt sich das gesamte Publikum am Ge- spräch oder am Streit, der manchmal vor der Leinwand ausbricht. Schon vor der eigentlichen Projektion vermag die Technik ihre Fas- zination zu verbreiten: Das Wohnzimmer muss in ein Kino verwandelt werden; die Leinwand muss aufgestellt oder eine Wand von Bildern be- freit, die Fenster müssen abgedunkelt und Sitzgelegenheiten organisiert 28 Ich zweifle aber im Übrigen daran, dass das Projektionsgeräusch uns wach und davon abhält, uns den Bildern hinzugeben, wie Roger Odin behauptet (Odin 1995b: 37). 29 Dem Bonimenteur, wie er im frühen Kino hiess (vgl. André Gaudreault, Hiroshi Ko- matsu et al. und Ivo Blom et al., alle 1996.) 219 werden. Wie im frühen Ladenkino ist auch hier der Kinosaal keine fixe Einrichtung. Ist das Publikum dann voller Erwartung im improvisierten Saal versammelt, steigert sich die Spannung, bis das erste Bild auf der Leinwand erscheint. Meistens bereitet schon der Aufbau Probleme, doch die möglichen Pannen nehmen mit der Inbetriebnahme des Projektors zu: Er funktioniert nicht, die Birne brennt durch, der Filmstreifen geht beim Einfädeln kaputt und muss neu angeschnitten werden, er ver- klemmt oder schmort durch. Klappt es, so möchten vielleicht die Kinder das Projektionslicht zuerst für Schattenspiele nutzen. Die Vorführung fängt in der Regel also gar nicht mit dem ersten Filmbild an, sondern schon davor: wenn der Operateur oder Filmerklä- rer ein entsprechendes Zeichen gibt, das Licht gelöscht ist und der Pro- jektor zu laufen beginnt. Wie muss man sich nun ein Filmprogramm im Heimkino vorstel- len? Ist schon die Rekonstruktion der historischen Aufführungspraxis des frühen Kinos oder Varietéprogramms, in dem Filme ja als Erstes öf- fentlich vorgeführt wurden, mit diversen quellenkritischen Problemen verbunden, bereitet eine Rekonstruktion des Phänomen Heimkino zu- sätzliche Schwierigkeiten.30 Schriftliche Programme oder Inserate existie- ren nicht, man kann eigentlich nur auf die Erzählungen der Beteiligten zurückgreifen; leider erinnern sich diese aber in der Regel kaum an kon- krete Programmzusammenstellungen. Grundsätzlich gab es drei Typen von Heimkinoprogrammen: gemischte Programme, die sowohl mit ge- kauften als auch selbst gedrehten Filmen bestückt wurden, und zwei Ty- pen homogener Filmprogramme, die entweder nur aus Kauf- oder nur aus Familienfilmen bestanden. 30 Dass auch das Heimkino manchmal als Varietéprogramm gestaltet war, das aus ver- schiedenen Darbietungsformen zusammengesetzt wurde, ist eher unwahrscheinlich. Abgesehen vom legendären geigenspielenden Kind (Willi, der Geiger, D 1906), das die Filmvorführung jeweils live vertonte, ist mir kein weiteres Beispiel bekannt (Michael Kuball 1980: 34). Dies mag auch damit zusammenhängen, dass das Varieté mit Film- nummern vor allem in den ersten Jahren der Kinematografie praktiziert wurde, bevor feste Kinosäle eingerichtet wurden (bis 1903/1905 je nach Land). Gleichzeitig wurde die Varietékombination von den Wanderkinos auf den Jahrmärkten bis 1908/1910, im Ausnahmefall sogar bis in die Zwanzigerjahre weitergepflegt. Zwischen 1907 und 1912 entstand aus dem «Ladenkino», das varietéartige Kurzfilmprogramme zeigte, das Kino, wie wir es heute kennen (vgl. Corinna Müller 1994). 220 Der Familienfilm als Nummernprogramm: Jahresschau 1929 – acht Minuten Film – sechs Sujets Konkrete Hinweise auf die Zusammensetzung der Vorführung erhält man letztlich nur von Filmzusammenstellungen, die als solche überlie- fert sind. Die Sammlung H. befindet sich beispielsweise auf 17 Spulen von 120 Meter Länge, von denen jede zwischen einem und sieben Sujets oder Filme enthält. Diese Zusammenstellungen sind entweder primär thematisch geordnet (Kinderfilme) oder chronologisch (so genannte Jah- resschauen). Jede Spule dauert zwischen acht und zehn Minuten – eine Länge, bei der man davon ausgehen muss, dass in einer Vorführung mehrere Rollen nacheinander gezeigt wurden. In dieser Sammlung sind keine Kauffilme überliefert. Da es sich um einen lückenhaften Bestand handelt, muss offen bleiben, ob die Filme jeweils für sich oder in Kombi- nation mit anderen vorgeführt wurden. Will man eine Vorstellung von einem möglichen Familienfilmprogramm bekommen, bietet sich etwa die Jahresschau 1929 an. Sie enthält fünf ganz unterschiedliche Sujets, die als Einzelfilme vergleichsweise fragmentarisch gebaut sind. Auf der Filmbüchse sind der Obertitel und ein paar unvollständige Spezifizie- rungen vermerkt: Jahresschau 1929: Praxis, Pferderennen; I. Der Beizettel ist schon aufschlussreicher; darauf sind folgende Sujets chronologisch auf- gelistet, deren Entstehung sich über fünf Monate verteilt: • Radweltmeisterschaften der Flieger 11. 8. 1929 • Endlauf der Steher 18. 8. 1929 • Zeppelin 127 besucht Zürich 26. September 1929 • Furka - […] 15. 9. 29 • Sonntag 11. 11. 29 Nielsen/Rheinfall • Samstag Sonntag 19. 1. 30 Genf Vergleicht man diese Liste mit dem Filmmaterial, so fehlen nicht nur die ersten beiden Sujets – auch die Reihenfolge auf dem Beizettel entspricht nicht derjenigen auf der Filmrolle. Hier sind die Teile zudem nicht chro- nologisch aneinander gehängt. Ausserdem lassen sich die letzten drei Ti- tel nicht eindeutig mit den gefilmten Sujets in Verbindung bringen. Die Reihenfolge sieht wie folgt aus: 0. Abgefilmtes Kalenderblatt mit einem Stich von einem Frauengesicht, Grieder-Kalender: «Freitag, 11. Januar» [1929] 1. Praxis 2. Pferderennen 221 3. Baustellenbesichtigung am Zürichberg, Frau H. und andere Personen im Garten eines sich im Bau befindenden stattlichen Privathauses 4. Auf einem Schiff (Zürich- oder Genfersee); eventuell gehört der Titel Furka - […] 15. 9. 29 zu diesen Aufnahmen, «Furka» wäre dann der Schiffsname 5. Radrennen (nicht unbedingt als zwei Sujets erkennbar; zuerst Flieger, dann Steher) auf der noch ungedeckten Radbahn in Zürich-Oerlikon 6. Ein Zeppelin über Zürich. Zwei Titel können nicht zugeordnet werden: Sonntag 11. 11. 29 Niel- sen/Rheinfall und Samstag Sonntag 19. 1. 30 Genf. Zwar könnte sich der erste auf die Baustelle beziehen («Nielsen» als Nachname) und der zwei- te auf die Schiffsaufnahmen (falls es sich um den Genfersee handelt). Andererseits sind beide Sujets, wie die sommerliche Kleidung beweist, bei warmem Wetter gefilmt worden, mit Sicherheit nicht im November oder Januar. Insgesamt finden sich auf der Filmrolle zehn Klebestellen. Sechs Schnitte sind eindeutig zwischen den einzelnen Themen gesetzt worden, einer nach dem Kalendertitel und drei innerhalb des Zeppelin- sujets. Abgesehen von der Chronologie, die nicht eingehalten wurde, deuten auch die Klebestellen auf eine bewusste Komposition der Rolle, wobei der Ablauf einer Art Programmdramaturgie folgt. Das erste Sujet eignet sich als Einstieg besonders gut, weil es als einziges über einen Anfang verfügt. Gleichzeitig erlaubt es dem Filmer, sich selbst vorzustellen, und zwar nicht als Familienvater, sondern in sei- ner Zahnarztpraxis («meine Praxis, meine Patienten, meine Angestell- ten»). Nach dem Kalenderblatt, das mutmasslich am gleichen Tag wie das erste Sujet aufgenommen wurde, beginnt Praxis mit einem Porträt: 222 Eine junge Frau im weissen Arbeitskittel lacht verlegen in die Kamera. Als Nächstes erscheint ein Schild an einem Hauseingang: «Anton H./Zahnarzt». Möglicherweise war dieses Schild als diegetischer Titel geplant. Auch dieser Film beginnt mit der typischen Doppelstruktur des Anfangs in zwei Anläufen. Auf ein erstes Bild, das in diesem Fall nicht als Anfang codiert ist, folgt eine zweite Einstellung, die eindeutig als sol- che zu verstehen ist. Dank des Schildes kann man nun auch den weissen Kittel interpretieren; wahrscheinlich handelt es sich bei der jungen Frau um eine Praxisassistentin. Vom Messingschild schwenkt die Kamera nach rechts auf eine Haustüre, die in der Folge von innen geöffnet wird. Zwei Männer treten heraus, verabschieden sich (von der Kamera) und verlassen das Bild. Diese Szene wird insgesamt dreimal wiederholt. Dann kommen zwei Frauen aus dem Haus; eine davon ist aus der ersten Einstellung bekannt: die mutmassliche Praxisassistentin. Auch sie verabschieden sich demon- strativ von der Kamera. Sie laufen ein Stück die Strasse herunter – damit endet dieses Sujet. Die Aufnahmen vom Pferderennen zeigen in erster Linie Mitbesucher (möglicherweise eine Gruppe Amateurfilmer). Das Rennen selbst ist nur einmal im Hintergrund zu erahnen; eigentlich geht es mehr um die Männergruppe im Publikum. Pferde sind keine gefilmt worden, dafür einige stattliche Autos. Das nächste Sujet – die Baustellen- besichtigung – lebt vor allem vom Ausblick über die Stadt. Die Schiffs- aufnahmen sind zuweilen leicht unterbelichtet, vermitteln aber schöne Abendstimmungen. Die beiden Radwettkämpfe wiederum sind im Un- terschied zum Pferderennen so gefilmt, dass man vom Rennen etwas sieht (auch wenn alles ein bisschen weit entfernt ist). Das abschliessende Motiv – Zeppelin 127 – beginnt mit einer Aufnahme über die Zürcher Alt- stadt hinweg, wahrscheinlich von einer Dachzinne aus. Besonders schön geraten ist das Bild, in dem der Zeppelin über der Kuppel der Universi- tät vorbeizieht. Aus der Zusammenstellung dieses Programms wird ersichtlich, dass es aller Wahrscheinlichkeit nach nicht zufällig zu Stande gekommen ist. Zudem lässt sich eine Art Dramaturgie feststellen. Die Auflistung der Sujets auf dem Beizettel macht den Eindruck einer Art Hierarchisierung: zuerst die genau datierten Sportanlässe und das Ereignis Zeppelin, dann die eher privaten Aufnahmen. Auf der Spule sind die verschiedenen Ti- tel aber in eine andere Reihenfolge gebracht worden: Am Anfang steht die Praxis, die eine Art Beginn markiert. Anschliessend wurden die eher privaten Aufnahmen gruppiert. Den krönenden und stimmungsvollen Abschluss bilden die mehr oder weniger spektakulären Aufnahmen des Radrennens und des Zeppelins. Würde das Programm mit ihnen eröff- 223 net, wäre keine Steigerung mehr möglich, und das Publikum könnte vom Folgenden enttäuscht sein. Das gemischte Kinoprogramm in der Heimvorstellung Solche Steigerungsdramaturgien kann man sich auch für ein gemischtes Programm vorstellen: zuerst die eigenen Familienfilme, dann die ge- kauften Titel; eine umgekehrte Programmanordnung birgt die Gefahr, dass nach den Kauffilmen niemand mehr die eigenen Produktionen se- hen will.31 Vorstellbar ist aber auch, dass Kauffilme überhaupt als Rah- men für die Privataufnahmen verwendet wurden: ein Zückerchen zum Einsteigen und eins zum Aufhören. Konkrete Aussagen über die Drama- turgie von Programmen lassen sich aber, wie gesagt, nur in einem be- scheidenen Rahmen treffen, wie etwa auf Grund der Analyse einer Film- rolle wie Jahresschau 1929. Ich habe im Zusammenhang mit der Diskussion des Systems Pathé- Baby und der Filmsammlung der Familie U. eine Vorstellung davon zu vermitteln versucht, wie eine private Kauffilmkollektion in den Dreissi- gerjahren ausgesehen haben könnte. Obwohl die Filmathèque Pathé auch 32-teilige Reproduktionen von abendfüllenden Spielfilmen anbot, scheinen für den privaten Gebrauch die kurzen Titel beliebter gewesen zu sein, zumal wenn vorwiegend ein Kinderpublikum anvisiert wurde (Langspielfilme wurden wahrscheinlich eher im Unterricht und in der Sonntagsschule eingesetzt). Slapsticknummern und Zeichentrickfilme waren besonders beliebt. Interessant ist nun, dass die Pathé Filmathèque nicht nur mit zeitgenössischen Werken bestückt wurde. Diverse Titel, vor allem Nonfiction-Sujets, stammen noch aus den Zehnerjahren, und von den Chaplin-Nummern sind viele vor 1923 herausgekommen. In der Regel enthält eine private Filmsammlung nicht nur Titel verschiedener Gattungen und Genres, sie erstreckt sich häufig auch über verschiedene filmhistorische Epochen oder Stile. Ob private und gekaufte Filme nun direkt miteinander vorgeführt wurden oder eher separat zur Aufführung gelangten, hing wahrschein- lich vom Anlass und den Vorlieben der jeweiligen Familie ab. Unabhän- 31 Von der filmhistorischen Forschung wird die Dramaturgie des Programmendes un- terschiedlich interpretiert. Vor allem die so genannte Chaser-Theorie, die besagt, dass Filmnummern am Ende eines Varietéprogramms platziert wurden, um das Publikum aus dem Saal zu vertreiben, ist umstritten; vgl. Livio Belloi (1996). Mir scheint es plau- sibler, dass Unterhaltung darauf abzielt, ihr Publikum vielmehr mit einem Gefühl der Befriedigung als mit einer Frustration zu entlassen (was keinesfalls mit einem fehlen- den Happy End zu vergleichen ist). Dieser These wäre nachzugehen. 224 gig von der konkreten Vorführpraxis sind die gekauften Filme jedoch als Teil des vielfältigen medialen Kontextes des Familienfilms zu sehen. Was die Schilluken mit dem Kindergeburtstag und der Nespolata zu tun haben … In der Sammlung U. weisen zwei Filmpaare, die je aus einem Kauf- und einem Familienfilm bestehen, auffallende formale Ähnlichkeiten auf. Nespolata (1934) entstand anlässlich der Ernte des Mispelbaumes. Diese Ernte war ein alljährliches Fest, zu dem Kinder und Freunde aus der Schweizer Kolonie eingeladen wurden, um mitzuhelfen, die Früchte des stattlichen Baums im Garten der Familie U. zu pflücken. Der Film ist ein schönes Beispiel für das Verfahren des Auftritts in Verbindung mit einer Castliste: Nacheinander treten zuerst die Kinder, dann die Erwachsenen über die Brücke in den Garten und präsentieren sich der Kamera. Dann werden einige Frauen (wahrscheinlich die Mütter der Kinder) in Porträt- aufnahmen vorgestellt. Das Pendant unter den Kauffilmen bildet Les Chillouks: Dans l’Afrique sauvage (Pathé-Baby Nr. 564). Bei diesem Pathé-Baby-Film han- delt es sich höchstwahrscheinlich um eine gekürzte Version von Les Chil- louks – tribu de l’Afrique centrale (Alfred Machin, Frankreich 1910), die Mitte oder Ende der Zwanzigerjahre auf den Markt kam. 32 Nach der Ti- telkarte beginnt Les Chillouks mit einem erklärenden Zwischentitel, der die porträtierte Ethnie vorstellt: «Hauts de taille, les jambes d’une mai- greur impressionnante, les Chillouks se rencontrent sur la rive gauche du Nil Blanc.» Im nächsten Bild ist die Kamera frontal auf den Eingang einer Lehmhütte gerichtet, aus der in der Folge drei Männer und eine Frau treten, um an der Kamera vorbei im Off zu verschwinden. Es folgt ein weiterer Zwischentitel: «Quelque type de cette race essentiellement guerrière» und eine Reihe von Porträtaufnahmen von einzelnen Perso- 32 Alfred Machin hat für Pathé zwei Reisefilme von der Ethnie der Schilluken angefer- tigt. Bei der von Cosandey beschriebenen Version aus der Joye-Sammlung handelt es sich wahrscheinlich um den ersten, bei meiner Pathé-Baby-Kopie um den zweiten Schilluken-Film (vgl. Cosandey 1995: 58). In der Sammlung U. sind noch andere Filme von Alfred Machin überliefert, so z. B. Caccia all’ippopotamo nell’Alto Gambia (Nr. 326) wahrscheinlich von 1908, wobei auch dieser Titel nicht eindeutig zu identifizieren ist. Bei Eric de Kuyper (1995b) ist nur ein Nilpferdfilm aufgeführt, und zwar von 1910 (Une grande chasse à l’hippopotame sur le Haut Nil). «Ein streng nach Regeln aufgebautes Bild der exotischen Sitten und Bräuche (Bekleidung, Behausung, Nahrung, Feste) geht Hand in Hand mit einer unersättlichen Leidenschaft für die Jagd in all ihren Erschei- nungsformen», auch wenn damit nicht explizit die beiden Machin-Titel gemeint sind: Besser könnte man die beiden Filme nicht zusammenfassen (Cosandey 1995: 58). 225 nen und «Kriegern» mit ihren Waffen. Mit diesen beiden Szenen sind alle vorgestellt. Die Parallelen sind so erstaunlich wie augenfällig: Die Inszenierung des Kindergeburtstags geht auf ähnliche Weise vor sich und könnte von diesem Werk inspiriert sein – obwohl man natürlich auch ohne Vorbild auf solche Darstellungsmuster kommen kann. Ich behaupte nicht, dass ein kausaler Zusammenhang zwischen den beiden Film besteht. Die Re- gisseure des frühen nicht fiktionalen Films und die filmenden Väter scheinen aber auf ähnlich (nahe liegende) Verfahren zurückzugreifen, um ihre Filme mit einem Anfang zu versehen. Ein vergleichbares Paar bilden Crans 5 (Familienfilm aus der Sammlung U.) und Elefanti ammae- strati (unidentifiziert, Sammlung U.). Beide Filme zeigen eine Rutsch- bahn und eine Reihe von Figuren, die darauf heruntergleiten. Im ersten Fall handelt es sich um eine Gruppe von Kindern und Erwachsenen, beim zweiten um Elefanten. Im zweiten Film kündigt ein Zwischentitel seine Stars an: «Questi elefanti, quando erano ancora piccini, chiesero a loro papà e a la loro mammà di fare gli attori cinematografici.» Der Familienfilm als kombinierende und verwertende Kunstfertigkeit Die Filmpaare aus den beiden untersuchten Sammlungen bieten mir Ge- legenheit, einige Ergebnisse meiner Analyse von Aufbau, Struktur und Programmierung von Familienfilmen noch einmal auf den Punkt zu bringen. Dem Familienfilm gelingt es zwar tatsächlich nicht, den Spiel- und den Dokumentarfilm zu imitieren, doch das ist gar nicht sein Ziel. Eben- so wenig beschränkt er sich darauf, seine eigene Gattung nachzuahmen, wie Richard Chalfen behauptet: «home moviemaking and appreciation imitates previous home moviemaking and not professional forms of film communication» (Chalfen 1986: 68). Tatsächlich wirkt sich die Kenntnis von visuellen Darstellungsformen auf den Familienfilm aus und findet ihren Niederschlag in der filmischen Praxis, und zwar nicht nur in der Motivwahl und den Inszenierungsformen, wie der gemeinsamen Ein- stellung oder der Pose, sondern auch in Verfahren wie Auftritt, Castliste oder anderen Formen der Präsentation und der Aufzählung. Diese Rück- griffe auf professionelle Medien oder Kommunikationsformen sind je- doch keine Imitationen, sondern Erprobungen, Anspielungen, Kombina- tionen und Verwertungen. Rainer Puntigam (1994) hat die These formuliert, dass der Amateur- film nur im Ausnahmefall eine eigenständige ästhetische Sichtweise ent- 226 wickelt. Familienfilme sind aber nicht einfach primitive Imitationen ei- nes «professionellen» Standards, sondern basieren auf dem Wunsch, an bekannten Diskursen teilzuhaben, indem sie diese Diskurse auf – mehr oder weniger – geschickte und eigenwillige Weise bearbeiten. Vor dem Hintergrund meiner Untersuchung stelle ich entsprechend die These auf, dass der Familienfilm im Sinne Michel de Certeaus eine Kunstfertig- keit ist, also eine kombinierende und verwertende Konsumform. In die Tätigkeit der Verwertung, Kombination und Imitation flies- sen Elemente aus diversen Medien und Darstellungsformen ein: der Fo- tografie, dem Varieté und dem Theater, aber auch aus filmischen Genres wie zum Beispiel dem Reise- und Slapstickfilm. Dies trifft auch für die frühe Kinematografie zu. Auch sie lebt von der Koexistenz von alten und neuen Darstellungsformen. Für den Familienfilm spielen folgende Attraktionen eine zentrale Rolle: die Bewegungsillusion, das Zurschau- stellen von Körpern und Blicken, aber auch deren Performance und In- szenierung in Mimik und Gestik sowie die genannte Bezugnahme, Imi- tation und Kombination von medialen Vorbildern und ikonografischen Traditionen. So erinnert beispielsweise die Familienfilmperformance an das frühe Filmschauspiel. Grundsätzlich ist eine Ähnlichkeit zwischen dem Heimkino und dem Nickelodeon festzustellen – in seiner Form wie in seiner Aufführungspraxis.33 Béla Balázs schreibt, dass «der künstlerische Film keine Schaubude sei, in der wir alles betrachten, was sonst selten zu sehen ist» (Balázs 1972: 123). Damit kritisiert er indirekt das frühe Kino mit seinen Schauef- fekten. Man kann diese Bemerkung auf den Familienfilm ausweiten und sich fragen, inwieweit dieser eine Schaubude der kleinen Spektakel ist. Man bekommt nicht unbedingt Dinge zu sehen, die man sonst selten sieht. Etwas allerdings macht der Familienfilm trotzdem sichtbar: uns selbst auf der Leinwand. 33 Es wäre interessant, zu untersuchen, inwiefern diese Merkmale ausschliesslich auf den Familienfilm der Dreissigerjahre zutreffen oder sich im Laufe der Zeit verändert haben. So wären auch die Veränderungen zu untersuchen, die das Video in der Auf- führungspraxis mit sich gebracht hat. Zur Home-Video-Rezeption vgl. James M. Mo- ran (1995; 1999). 227 5. Der Familienfilm als mediale Konstruktion und doppelte Aufführung «Grosspapas Kino»: So lautet der Titel von zwei Videokassetten, auf de- nen die Familienfilme von drei Generationen zusammengestellt wurden. Der Zusammenhang zwischen privater Filmpraxis und Kino, so wie ihn auch diese Beschriftung suggeriert, bildete die Ausgangsfrage meiner Untersuchung. Über den sozialen Gebrauch der Filmkamera im Privaten hinaus interessierte mich die Frage, was für eine spezifische Form von Mediennutzung Familienfilme darstellen und welche Vorstellung von Film in ihnen implizit zum Tragen kommt. Meine Überlegungen gingen von Roger Odins semiopragmati- schem Modell aus, das ich jedoch in zwei Punkten zu erweitern versuch- te, indem ich meine Betrachtungsweise auf den Produktionsaspekt und die konkreten Aufführungsbedingungen ausgedehnt habe. Produktion wie Aufführung kommen bei einer textzentrierten Semiopragmatik ten- denziell zu kurz, da diese sich primär für Verarbeitungsprozesse von Zeichen und nicht für deren Herstellungskontext interessiert. Zum kon- kreten Gebrauch des Familienfilms gehört jedoch nicht nur das gemein- same Sichten, sondern auch das gemeinsame Herstellen. Als Gattung setzt sich der Familienfilm deshalb immer aus einer Produktionstätig- keit, einer daraus resultierenden Textsorte und einer zugehörigen Rezeption zusammen. Erst wenn sowohl der spezifische Kontext der Aufnahme- als auch der Rezeptionssituation in die Untersuchung mit- einbezogen wird, ist die pragmatische Rekonstruktion dieser spezifi- schen filmischen Praxis komplett. Diese Sichtweise impliziert auch eine 228 Veränderung im Umgang mit dem jeweiligen Film. Anstatt das einzelne Werk in den Mittelpunkt zu stellen, bin ich in meiner Arbeit an einem Punkt angelangt, wo ich dafür plädiere, dass auch die konkrete Vorführ- praxis unter dem Aspekt des Programms zu untersuchen ist – als Kino- programm gewissermassen. Ich habe zu Beginn meiner Arbeit vorgeschlagen, den Familienfilm im Sinne einer kulturellen Praxis als offenes Konzept zu verstehen, was sich durchaus als fruchtbar erwiesen hat. Ebenso wie die konkreten Ge- brauchsweisen sind die ästhetischen Beschaffenheiten von Familienfil- men nicht in erster Linie durch eine einzelne gemeinsame Eigenschaft miteinander verbunden, sondern durch ein komplexes Netzwerk von Ähnlichkeiten. Anhand privater Filme aus den Zwanziger- und Dreissi- gerjahren habe ich zu zeigen versucht, dass die Familie als mediales Konstrukt und als Attraktion aus dem Familienfilm überhaupt erst her- vorgeht. Aus dem gemeinsamen Familienalltag werden bestimmte Au- genblicke ausgewählt, diese sodann auf eine ganz bestimmte Art und Weise filmisch inszeniert, um zum Schluss im ambulanten Wohnzim- merkino gemeinsam betrachtet zu werden. Die Spezifik meines Ansatzes ergibt sich aber auch daraus, dass ich die Kameraperson ins Zentrum der filmischen Aktivität gestellt habe, ohne damit eine Autorenperspektive zu verfolgen. Im Familienfilm fin- det jede Form von Darstellung als relationales Verhalten mit Bezug auf diese Person statt. Der Film und die Familie realisieren sich als Momente des hergestellten oder verweigerten Kontaktes zwischen der Kameraper- son und den Darstellenden. Zu den Ergebnissen meiner Arbeit zählt ferner ein Befund über die Wahl der Motive. Die beliebtesten Sujets bilden Urlaubsmotive und Auf- zeichnungen von Kindern. Ist die private Fotografie eine Technik des Festes, wie Bourdieu schreibt, so müsste man den Familienfilm als Verfestigungs- technik und als Verfestlichungstechnik bezeichnen: als Verfestigungstech- nik, die dazu dient, etwas festzuhalten. Die Halberzählungen des Familien- films entsprechen dabei den offenen Erlebnisstrukturen des Familienlebens: Eindrücke werden gesammelt und in einer fortlaufenden Aufzählung prä- sentiert. Die Filme verfestigen das Familienleben, indem sie gemeinsame Erfahrungen erzählbar und damit auch überlieferbar machen. Andererseits verleiht das Medium Film den Ereignissen und Dingen eine Aura des Be- sonderen, Dramatischen und Spektakulären. Familienfilme funktionieren in diesem Sinne auch als Technik der Verfestlichung, indem sie Personen und Erlebnisse dramatisieren und damit auch entfamiliarisieren. Läuft erst die Kamera, dann wird die Familie zum Ensemble von Darstellerinnen, von Schauspielern, Diven oder Stars, die zudem gleich eine doppelte Auffüh- 229 rungsleistung erbringen. Familie nicht nur als Objekt der Repräsentation, sondern auch als performative Praxis: Diese Doppelung charakterisiert die filmische Praxis als Ritual des Alltagslebens. Als Praxis des medialen Handelns verständlich wird der Familien- film jedoch erst, wenn man rekonstruiert, inwiefern er in ein komplexes System von szenischen und medialen Darstellungsformen und zeithisto- rischen Bezügen eingebettet ist. So gilt es beispielsweise, ihn in seinem Verhältnis zur privaten Fotografie zu begreifen. Das Wechselspiel von Stillstand und Bewegung unterscheidet den Film in ästhetischer Hinsicht von der Fotografie. In der Praxis wird diese Differenz konkret umge- setzt: Kaum ein Familienfilm, der dieses Alternieren nicht für sich nutzt. Andererseits weist die Gattung starke Ähnlichkeiten mit dem frühen Kino auf, und zwar sowohl in den gestalterischen Verfahren als auch in der Praxis der Aufführung: Läuft ein Familienfilm, dann verwandelt sich das bürgerliche Wohnzimmer in ein «Ladenkino». Für Folgeprojekte wäre es interessant, den Familienfilm in seiner histo- rischen Entwicklung zu untersuchen: Wie verändert sich seine mediale Pra- xis in ästhetischer, soziologischer und psychologischer Hinsicht? Nur eine auf langfristige Entwicklung ausgerichtete Untersuchung kann die Frage beantworten, ob Ähnlichkeiten von frühem Kino und Familienfilm, die in den Dreissigerjahren noch so offenkundig sind, im Laufe der Zeit abneh- men, ob sich bestimmte Vorlieben für Inszenierungs- und Erzählweisen hal- ten können oder ob mit jedem Kauf einer Kamera für den privaten Gebrauch die Filmgeschichte im Kleinen von neuem beginnt. Man könnte ferner der Beobachtung nachgehen, dass im Laufe der Zeit neben dem Motiv, der Darstellung und der Struktur noch ein weiterer Schauwert an Relevanz gewinnt, den ich in meiner Untersuchung nur am Rande thematisiert habe, nämlich die Technik. In Form einer allgemeinen Faszination für das Medium ist die Technik auch während der von mir un- tersuchten Periode in den Filmen präsent, am prominentesten als Technik, um Bewegung festzuhalten und wiederzugeben. Technische Spielereien wie Titelgrafiken, Blenden, Slow Motion und Ähnliches sind aber eher sel- ten – nicht zuletzt, weil die Geräte, die zu ihrer Realisierung gebraucht wer- den, damals noch zu teuer und in der Handhabung zu kompliziert waren. Mit der Zeit werden diese technischen Möglichkeiten immer ausgefeilter und erschwinglicher. Heute kann man mit jeder durchschnittlichen Ver- brauchervideokamera ein grosses Spektrum von Effekten erzeugen, wie So- larisation, Titeleinblendungen in allen Farben (zum Teil sogar mit Textvorla- gen) und Filtereffekte (vgl. Vreni Bazzan 2000). Damit stellt sich die Frage, inwieweit die Einführung der Videotechnologie nicht nur ökonomisch, son- dern auch ästhetisch eine Zäsur darstellt. 230 Eine andere Weiterführung meiner Forschungsarbeit bietet sich im Rahmen einer Untersuchung des Phänomens des Sehens und Gesehenwer- dens an. Der Familienfilm ist immer auch ein Präsentationsritual für ein mehr oder weniger privates Publikum. Im Zusammenhang mit der Perfor- mance habe ich von der Lust am Sich-selber-auf-der-Leinwand-Sehen ge- sprochen. Ihr Gegenstück bildet die Lust am Sich-selber-Zeigen: ein ebenso ambivalentes Vergnügen wie die Lust am eigenen Bild. Im Sinn einer theore- tischen Vertiefung wäre der Frage nachzugehen, inwiefern der Familienfilm ein exhibitionistisches Kino der Schamlust ist. Die Filmwissenschaft hat sich mit dem Voyeurismus eingehend befasst; der Exhibitionismus hingegen ist als Kategorie der Erklärung medialer Phänomene bislang noch wenig un- tersucht. Möglicherweise könnte das psychoanalytische Konzept des Exhi- bitionismus einen Beitrag zum Verständnis des widersprüchlichen Vergnü- gens an der filmischen Selbstdarstellung leisten. Zum Schluss möchte ich auf die eingangs gestellte Frage zurück- kommen, ob die Einschränkung der Untersuchung auf einen bestimmten geografischen Raum im Fall des Familienfilms zulässig sei? Oder anders formuliert: Welche Relevanz und Bedeutung kommt der Nationalität zu, was ist das «Schweizerische» an den untersuchten Filmen? Auch diese Frage liesse sich letztendlich wohl nur dann schlüssig beantworten, wenn vergleichbare Untersuchungen aus anderen Ländern vorliegen würden, da sich das «Nationale» nur als Differenz bestimmen lässt und darüber hinaus «Nation» – spätestens seit Benedict Anderson (1983) – nicht als etwas Wesenhaftes, sondern als Diskurs oder Imagination einer Gemeinschaft zu reflektieren wäre. Gleichwohl lässt sich der Familien- film als kulturelle Praxis und als Konsumform nicht ganz unabhängig von wirtschaftlichen, politischen und kulturellen Kategorien denken. So- wohl der Markt für Konsumgüter wie auch derjenige für Unterhaltung verläuft in den Zwanziger- und Dreissigerjahren noch viel stärker inner- halb nationalstaatlicher Grenzen, als dies gegenwärtig der Fall ist. An- derseits ist der Familienfilm schon vor dem Zweiten Weltkrieg Teil da- von, was man als diskursive Konfiguration der Kleinfamilie bezeichnen könnte, die sich auf je spezifische Art im ausgehenden 19. Jahrhundert in allen westlichen Gesellschaften zu manifestieren beginnt. In dem Sinne sind die untersuchten Filme Produkte einer vielschichtigen histo- risch-kulturellen Konstellation, die einerseits etwas mit der Schweiz zu tun hat und gleichzeitig auch nicht. Meinem wissenschaftlichen Interesse am Familienfilm liegt letzt- endlich der Wunsch zu Grunde, zum Verständnis beizutragen, auf welch vielfältigen und verschlungenen Wegen das Medium Film Faszination und Wirksamkeit zu entfalten vermag. 231 Dank Mein Dank gehört an erster Stelle Christine Noll Brinckmann für ihre Ratschläge und ihre konstruktive Kritik sowie für ihr Vertrauen und In- teresse. Ihre Arbeit hat meine wissenschaftliche Neugier für den Film, aber auch meine Lust am Kino immer wieder aufs Neue geweckt und befruchtet. Finanziell wurde die vorliegende Arbeit durch den Schweizerischen Nationalfonds zur Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses und durch meine Grossmutter Susanne Schneider ermöglicht. Von grosser Hilfe waren mir auch folgende Personen und Institutio- nen: Urs Kälin vom Schweizerischen Sozialarchiv (Zürich), Reto Kromer und Hervé Dumont von der Cinémathèque Suisse (Lausanne), Jean-Henry Papilloud von der Mediathèque Valais, Image et Son (Mar- tigny), Ricabeth Staiger vom Schweizerischen Landesmuseum (Zürich), Fritz Lendenmann vom Stadtarchiv Zürich, Beat Hächler und Sibylle Lichtensteiger vom Stapferhaus Lenzburg. Eugen Benz (Zürich), Catheri- ne Cormon (Genf), Peter Fasnacht (Biel) und Thomas Imbach (Zürich) halfen mit ihrer technischen Beratung und Unterstützung, Roland Co- sandey, Mariann Lewinsky und Alfred Messerli unterstützten mein Pro- jekt mit wissenschaftlichen Anregungen; das Gleiche gilt für meine Ar- beitskollegen und -kolleginnen vom Seminar für Filmwissenschaft und für die Studierenden meines Proseminars zum Familienfilm, namentlich Flavia Giorgetta, Oliver Müller und Saro Pepe. Jeffrey Ruoff, Frances Guerin, Murray Smith und Dan Streible boten mir Gelegenheit, meine Gedanken im Austausch mit einem internationalen Publikum zu schär- fen. Dank schulde ich ferner allen Familien, die mir Einblicke in ihre pri- vaten Archive ermöglichten, und allen Kindern, die ich filmen durfte: Kaspar, Merlin und Selina Felix, Noah Imbach und Noah Geistlich. Meine Dissertationsgruppe, Christina Schumacher und Regula Bur- ri, war mir eine grosse Hilfe: Ohne ihr Interesse, ihre Geduld und Empa- thie wäre diese Arbeit vielleicht nicht zu Stande gekommen. Dank gebührt zudem Monika Dommann, Simone Kubli, Martina Roepke, Claudia Roth, Christoph Schaub, Christine Schuppli, Doris 232 Senn, Thileeban Thanapalan und Caroline Weber sowie schliesslich mei- nem Vater Hans-Rudolf Schneider und meinem Bruder Christian Schnei- der, die mich alle auf ihre eigene Art zu unterstützen wussten. Besonderen Dank schulde ich Andreas Moos und Vinzenz Hediger, die mich in der Schlussphase mit ihren kritischen Anmerkungen voran- trieben und mich im Glauben an meine eigene Arbeit bestärkten. Und selbstverständlich danke ich Peter Purtschert: Er hat mich mit Humor und Intelligenz durch dieses Projekt begleitet. 233 Abbildungsnachweis S. 3, 70, 76, 78, 117, 129, 140, 211, 227: Umschlag von How to Make Good Movies [ca. 1946]. Rochester: Eastman Kodak Company. S. 10: Zürcher Illustrierte, Jg. 7, Nr. 25, 19. Juni 1931, S. 799. S. 20: Zürcher Illustrierte, Jg. 7, Nr. 30, 24. Juli 1931, S. 961. S. 52: Zürcher Illustrierte, Jg. 7, Nr. 46, 4. Dezember, S. 1587. S. 55: Illustration aus einer Broschüre für den Edison Home Projecting Kinetoscope (1913), Edison National Historic Site. S. 57: Inserat abgedruckt in: Pathé: premier empire du cinéma (1994). Paris: Editions du Centre Pompidou, S. 197. S. 66: Zürcher Illustrierte, Jg. 7, Nr. 26, 26. Juni 1931, S. 829. S. 81, 83, 85: Autosonntag (Sammlung H., 1930). S. 88: San Fruttuoso (Sammlung U., 1928). S. 98: Zürcher Illustrierte, Jg. 7, Nr. 29, 17. Juli 1931, S. 923. S. 100: Heini I (Sammlung U.). S. 102: Eadward Muybridge (1979) Muybridge´s Complete Human and Ani- mal Locomotion, Bd. 2. New York: Dover Publications [Erstausgabe 1887], S. 917. S. 105: Heini I (Sammlung U.) & Boys im Bett (Sammlung U.). S. 106–108: Hasi I (Sammlung H., 1928/29). S. 109: Heini, Ugolino mit Waldi und Eseli (Sammlung U., [1928]). S. 113: Heini I (Sammlung U.). S. 118: Zürcher Illustrierte, Jg. 7, Nr. 27, 3. Juli 1931, S. 863. S. 142/143: Jahresschau 1929/30 (Sammlung H., 1929/30). S. 144/145: Hasi I (Sammlung H., 1928/29). S. 166: Portraits (Sammlung U.). S. 168: Sestriesi Pfingsten 1928 (Sammlung U., 1928); Sestri (Sammlung U. [1928]). S. 169: Hasi Geburtstag (Sammlung H.). S. 178: Zürcher Illustrierte, Jg. 7, Nr. 1, 7. Januar 1931, S. 731. S. 187: Roncato (Sammlung H., 1930). S. 188–189: Autosonntag (Sammlung H., 1930). S. 221: Jahresschau 1929 (Sammlung H., 1929). 234 Analyseparameter Parameter / Kategorie Dimensionen 1. Titel Filmmaterial: (Zelluloid 9,5mm, 8mm, S-8mm; 16mm; 2. Technische Angaben 35mm) Farbsysteme u. -techniken; Länge; Zustand 3. Einstellungsgrösse 4. Anzahl Einstellungen Kameraposition; -winkel; Objektiv 5. Kameraposition Kamerabewegung 6. Kamerabewegung 7. Objektbewegung Lichtquellen 8. Beleuchtung Lichtführung Lichtarten Montagearten («Kameramontage», Schnitt; Überblendung; Doppelbelichtung; Ein-, Ausblende; Iris-; Wischblende) 9. Schnitt Schnitthäufigkeit (Dauer; Kadenz; Rhythmus) Bild- & Tonschnitt räumliche und grafische Beziehungen 10. Drehort Architektur; Ausstattung; Wetter 11. Handlung 12. Personen 13. «Ton» stummes Sprechen Paar, Kind, Familie, touristische Bilder (Landschaften, kul- 14. Motive turelle Sehenswürdigkeiten), Tiere, Besitz, Spielsachen 15. (Intermediale) gemeinsame Einstellung; Imitationen (Theater, Film, Male- Ikonografie rei, Fotografie, Bildhauerei, Zirkus, Varieté) Mechanik: Handkurbel, Federmotor, Stopptrick, Zeitlupe, 16. Technische Zeitraffer; Kerbung Sensationen Optik: Brennweiten, Objektive, Filter; Zubehör: Titel, Kauffilme Zeigen, Posieren, Darstellen, Kommunizieren; Gesten, Ge- 17. Körper bärden, Posen, Schnappschuss, Gehen, Springen, Hüpfen; private Momente 235 Parameter / Kategorie Dimensionen Versteckter Blick, Verdoppelung des B., Dokumentation des eigenen B., B. in die Kamera, der väterliche Blick 18. Blick Blicktypen: pro-, intra-, trans- und postfilmischer Blick. Blickregime, Blickkontrollen 19. Kamerakörper Selbstinszenierung der Kameraperson 20. Regie Regieanweisungen und Inszenierung Fiktionale Szene; Ansicht; beobachtend; inszeniert; inter- 21. Genre aktiv Erzählperspektive Anfang, Mitte & Ende 22. Narration Überraschungen Krisen, Höhepunkte und Flauten Verknüpfungen: additiv, kausal; räumlich, zeitlich 236 Anhang: Filmisches Quellenmaterial Filmografie Familie U., 9,5-mm-Format Selbst gedrehte Filme Titel Jahr überliefert auf: Adel[boden] 10-m-PBK Adlboden 10-m-PBK Adelboden 10-m-PBK Adelboden 1 10-m-PBK Adelboden 2 20-m-PBK Adelboden 3 10-m-PBK Adelboden 4 10-m-PBK Arriva la zia Erica 10-m-PBK Axt im Schnee 10-m-PBK Boys 10-m-PBK Boys im Bett 10-m-PBK Boys in costume 2. 10-m-PBK Boys in costume 3. 10-m-PBK Bummel in Genua 10-m-PBK Crans 1 10-m-PBK Crans 2 10-m-PBK Crans 3 10-m-PBK Crans 4 10-m-PBK Crans 5 10-m-PBK Crans 6 10-m-PBK Crans 7 10-m-PBK Crans 8 10-m-PBK Crans 9 10-m-PBK 237 Titel Jahr überliefert auf: Crans 10 10-m-PBK Crans 11 10-m-PBK Crans 12 10-m-PBK Elsa 10-m-PBK Erica in camera 10-m-PBK Heini [Hugi] im Gärtli 20-m-PBK Heini I 120-m-Spule Heini II 120-m-Spule Heini III 120-m-Spule Hugo 1. 10-m-PBK Hugo Bad/Schaukel 20-m-PBK Hugo in camera 10-m-PBK K. 120-m-Spule Mama & Rösi 10-m-PBK Nervi 20-m-PBK P. 120-m-Spule Pontresina 1 10-m-PBK Pontresina 2 10-m-PBK Pontresina 3 10-m-PBK Pontresina 4 10-m-PBK Pontresina 5 10-m-PBK Pontresina 6 20-m-PBK Pontresina 7 20-m-PBK Pontresina 8 10-m-PBK Pontresina (Paradis) 10-m-PBK Portraits 10-m-PBK S. Eusebio Mächtig 1. 20-m-PBK S. Eusebio Mächtig 2. 20-m-PBK Schwinget in Adelboden 20-m-PBK Sestri 1928 20-m-PBK Sturla 10-m-PBK Sturla 2. 10-m-PBK Sturla I. 20-m-PBK S. 120-m-Spule Tschi-Tschi 10-m-PBK 238 Titel Jahr überliefert auf: Ugolino, Heini und Paulino 10-m-PBK Zoo Basel 1. 20-m-PBK Zoo Basel 2. 20-m-PBK Zoo Schimpansen 20-m-PBK Interno (Familienleben) [1932] 20-m-PBK Boys im Gärtli – Herbst 1928 1928 20-m-PBK Boys im Garten – Herbst 28 1928 20-m-PBK Boys im Januar 1928 1928 10-m-PBK Heini, Ugolino mit Waldi u. Eseli [1928] 1928 10-m-PBK Heinis Geburtstag 1928 1928 20-m-PBK Hugo 1928 1928 20-m-PBK Olga, Erica & Kinder im Zimmer Dez. 28 1928 20-m-PBK Ovanni & Erica in giardino Dez. 1928 1928 20-m-PBK S. Eusebio 1928 1928 20-m-PBK S. Fruttuoso 1928 1928 20-m-PBK Sestri 1928 1928 20-m-PBK Sestri [1928] 1928 10-m-PBK Sestriesi Pfingsten 1928 1928 10-m-PBK Uf’m Wiesli, xmas 28 1928 20-m-PBK Weihnachten 1928 I. 1928 20-m-PBK Weihnachten 1928 II. 1928 20-m-PBK Bocchetta Gennaio 1929 1. 1929 20-m-PBK Bocchetta Gennaio 1929 2. 1929 20-m-PBK Boys im Gärtli 1929 1929 20-m-PBK Hugo «Waisch» 1929 1929 20-m-PBK Hugos Geburtstag 1929 1929 20-m-PBK Righi Dez. 1929 1929 20-m-PBK Sestri Juni 1929 1929 20-m-PBK Sestri Sett. 1929 1929 20-m-PBK Spiel im Zimmer 1929 1929 20-m-PBK Rösi 1930 1930 20-m-PBK Sturla 1930 1930 20-m-PBK Sturla 1930 I. 1930 20-m-PBK Sturla 1930 II. 1930 20-m-PBK Hugi im Flugzeug Dez. 1931 1931 10-m-PBK 239 Titel Jahr überliefert auf: Im Gärtli mit Elsa [1931] [1931] 20-m-PBK Interno 1931 1931 20-m-PBK Mareggiatoa 1931 1931 20-m-PBK Sestri 1931 1931 20-m-PBK Sestri 1931 1931 20-m-PBK Sestri Juli 1931 1. 1931 20-m-PBK Sestri Juli 1931 2. 1931 20-m-PBK Erica 1932 1932 20-m-PBK Im Zimmer 1932 1932 10-m-PBK Quarto 1933 1. 1933 20-m-PBK Quarto 1933 2. 1933 20-m-PBK Quarto 1933 3. 1933 20-m-PBK Quarto 1933 4. 1933 20-m-PBK Schnee Jan. 33 1933 10-m-PBK Sestri 1933 1. 1933 20-m-PBK Sestri 1933 2. 1933 20-m-PBK Sestri 1933 3. 1933 20-m-PBK Sestri 1933 4. 1933 20-m-PBK Sestri 1933 5. 1933 20-m-PBK [Nespolata 1934] [1934] 20-m-PBK Sturla 1934 1934 20-m-PBK Adelboden 1935 1935 10-m-PBK Oulx 1938 1938 20-m-PBK Oulx 1938 1938 20-m-PBK Oulx 1938 1938 20-m-PBK Sestriere mit Akzent? 1938 1938 20-m-PBK 240 Kauffilme Genre, Pathé- Titel überliefert auf Pathé-Katalog Katalog Nr. 286: Le Bernard. Histoire Na- Bernardo l’eremita (Nr. 286) 10-m-PBK L’eremite: Cat. turelle X.1923 Bernina Rennen 1929 10-m-PBK Nr. 326: Chasse à Caccia all’ippopotamo nell’Alto l’hippotame en Gambia (Africa Occidentale 10-m-PBK Chasse Haut-Gambia (Cat. Francese) (Nr. 326) X. 1923) Charlot musicista: Comica in Scène 120-m-Spule due parti con Charlie Chaplin comique Scène Charlot orologiaio 120-m-Spule comique Scène Dodò uomo di casa: comica 120-m-Spule comique Edizione L.U.C.E.; Sport inver- 20-m-PBK nale a Cortina d’Ampezzo Elefanti ammaestrati 20-m-PBK Nr. 92: Extraction de Industrie Estrazione del carbon fossile 10-m-PBK la … à ciel ouvert [Decazevel- (Nr. 92) (Cat. X.1923) le] Felice lo gatto al paese delle Felix le chat chez les Dessins ani- scimmie: Disegni animati di Pat 20-m-PBK singes: Cat. mées Sullivan in due parti 1.XI.1923–31.X.1924 Nr. 841: Felix le chat Felice lo gatto alla festa del vil- à la fête du village: Dessins ani- 10-m-PBK laggio (Nr. 2) (Nr. 841) Cat. Filmathèque mées Pathé 15e ed. Felice lo gatto alla festa del vil- Nr. 841: Felix le chat laggio (Nr. 1): Disegni animati à la fête du village: Dessins ani- 10-m-PBK di Pat Sullivan in 3 parti (Nr. Cat. Filmathèque mées 841) Pathé 15e ed. Felice lo gatto alla festa del vil- Nr. 841: Felix le chat laggio: tutto finisce con un ma- à la fête du village: Dessins ani- 10-m-PBK trimonio: seguito e fine (Nr. 3) Cat. Filmathèque mées (Nr. 841) Pathé 15e ed. Nr. 895 Felix le chat: Dessins ani- Felice lo gatto cacciatore abile 120-m-Spule chasseur sachant mées (Cat. 1928) 241 Genre, Pathé- Titel überliefert auf Pathé-Katalog Katalog Felice lo gatto perde la coda: Nr. 796: Felix le chat Dessins ani- Disegni animati di Pat Sullivan 10-m-PBK est …: Cat. 1928 mées (Nr. 796) Felice lo gatto salvato dalle ac- Nr. 853 (?) Felix le Dessins ani- que: Disegni animati di Pat Sul- 10-m-PBK chat: le chat plon- mées livan geur (Cat. 1928) Nr. 887 Felix le chat: Felice lo gatto solleva il popolo: Dessins ani- 120-m-Spule soulève le peuple Disegni animati di Pat Sullivan mées (Cat. 1928) Dessins ani- Felice lo gatto sott’acqua 120-m-Spule mées [Felice lo gatto e il sorcio (Nr. Felix le chat et la Dessins ani- 10-m-PBK 772)] souris (1. nov. 1924) mées Felice lo gatto furbo (Nr. 1): Dis- Dessins ani- egni animati di Pat Sullivan in 10-m-PBK mées due parti: I. Il furto (Nr. 859) Felice lo gatto furbo (Nr. 2) (Nr. Dessins ani- 10-m-PBK 859) mées Felice lo gatto poliziotto per Nr. 861: Felix le chat compassione (Nr. 1): Disegni détéctive par … : Dessins ani- animati di Pat Sullivan in 3 par- 10-m-PBK Cat. Filmathèque mées ti: I. Il poliziotto gottoso (Nr. Pathé 15e ed. 861) Felice lo gatto poliziotto per Nr. 861: Felix le chat compassione (Nr. 3): III. La fari- détéctive par … : Dessins ani- 10-m-PBK na del diavolo. (Nr. 861) unvoll- Cat. Filmathèque mées ständig Pathé 15e ed. Felice lo gatto si vendica: Diseg- ni animati di Pat Sullivan (Nr. 10-m-PBK 798) Nr. 866: Felix le chat Felice lo gatto va in guerra: IV. s’en va en guerre: Dessins ani- 10-m-PBK la vittoria (Nr. 4) (Nr. 866) Cat. Filmathèque mées Pathé 15e ed. Felice lo gatto va in guerra (Nr. Nr. 866: Felix le chat 1): Disegni animati die Pat Sulli- s’en va en guerre: Dessins ani- 10-m-PBK van in cinque parti: I. La mobi- Cat. Filmathèque mées lizzazione (Nr. 866) Pathé 15e ed. Nr. 866: Felix le chat Felice lo gatto va in guerra (Nr. s’en va en guerre: Dessins ani- 10-m-PBK 2): II. Il primo urto (Nr. 866) Cat. Filmathèque mées Pathé 15e ed. 242 Genre, Pathé- Titel überliefert auf Pathé-Katalog Katalog Nr. 866: Felix le chat Felice lo gatto va in guerra (Nr. s’en va en guerre: Dessins ani- 3): III. Astuzia e coraggio (Nr. 10-m-PBK Cat. Filmathèque mées 866) Pathé 15e ed. Nr. 866: Felix le chat Felice lo gatto va in guerra (Nr. s’en va en guerre: Dessins ani- 10-m-PBK 5) (Nr. 866) Cat. Filmathèque mées Pathé 15e ed. Nr. 324: Meeting France Clermont-Ferrand: Mee- d’avions sans mo- ting d’avions sans moteur: 10-m-PBK teur, Cler- Sport 2.–20. August 1922 (Nr. 324) mont-Ferrand, 6.–20. août 1920 Nr. 1056: Les chau- I pipistrelli (Nr. 1056) 10-m-PBK ves-souris: Cat. Fil- mathèque 15e ed. Nr. 307: Le chameau Il camello, nave del deserto (Nr. Documentai- 10-m-PBK vaisseau du désert: 307) re Cat. X.1923 Il lupo e la cigogna: Favola di Nr. 312: Le loup et la Dessins ani- 10-m-PBK La Fontaine (Nr. 31[2]) cigogne: Cat. X.1923 mées L’orsacchiotto Madouck nel Dessins ani- 120-m-Spule paese dei cannibali mées Nr. 2: L’ours blanc: Histoire na- L’orso bianco (Nr. 2) 10-m-PBK Cat. X.1923 turelle Nr. 368: L’ours blanc: L’ours cycliste (Nr. 368) 10-m-PBK Comique Cat. X.1923 Le cascate del Niagara: Il fiume Nr. 25: Les chutes de Niagara versa le acque del lago 10-m-PBK Voyage Niagara: Cat. X.1923 Erie nel lago Ontario (Nr. 25) La germinazione: Il germoglio Nr. 56: La germinati- Histoire na- 10-m-PBK di una fava (Nr. 56) on: Cat. X.1923 turelle Nr. 571: Pêche au Documentai- La pesca col cormoran (Nr. 571) 10-m-PBK cormoran: Cat. X. re 1923 Nr. 1002: La gre- Série instruc- La rana (Nr. 1002) 10-m-PBK nouille: Cat. tive 1.XI.1923–31.X.1924 Nr. 640: Le sphinx La sfinge testa di morte (Nr. Histoire na- 10-m-PBK tête de mort: Cat. 640) turelle 1.XI.1923–31.X.1924 243 Genre, Pathé- Titel überliefert auf Pathé-Katalog Katalog La zebra: Cavallo selvaggio, ri- gata di simmetriche fascie nere, Nr. 15: Le zèbre: Cat. Histoire 10-m-PBK è originaria dell’Africa Australe X.1923 naturelle (Nr. 15) Nr. 62: Les méduses: Histoire Le meduse (Nr. 62) 10-m-PBK Cat. X.1923 naturelle [Le Scarabée …] Le scarabée sa- cré. Ce coléoptère est un peu Nr. 16: Le scarabée Histoire 10-m-PBK moins gros que la phalange sacré: Cat. X.1923 naturelle d’un doigt. Nr. 564: Les Chil- Les Chillouks: Dans l’afrique louks (Soudan 10-m-PBK Voyage sauvage (Nr. 564) orient.): Cat. 1.XI.1923–31.X.1924 Marina da Guerra (Società Pat- 20-m-PBK hé Italiana) Nr. 811: Max torea- Scène Max toreador (Nr. 1) (Nr. 811) 10-m-PBK dor (Max Linder) comique (Cat. X.1923) Nr. 811: Max torea- Scène Max toreador (Nr. 2) (Nr. 811) 10-m-PBK dor (Max Linder) comique (Cat. X.1923) Nr. 10147G: Au pays des esquimaux 2ème Nel paese degli Eschimesi: La chap.: A la recherche ricerca degli alimenti (Nr. 20-m-PBK des aliments: Cat. 10.164) Filmathèque Pathé 15e ed. Nr. 10147G: Au pays Nel paese degli Eschimesi: la des esquimaux 1er vita di famiglia (Nr. 10.147) Film 20-m-PBK chap.: La vie de fa- in tre parti mille: Cat. Filmathè- que Pathé 15e ed. Profili infantili (Nr. 1) (Nr. Nr. 10183: Visages 20-m-PBK 10.183) [Visages d’enfant] d’enfant Profili infantili (Nr. 2) (Nr. Nr. 10183: Visages 20-m-PBK 10.183) [Visages d’enfant] d’enfant Profili infantili (Nr. 3) (Nr. Nr. 10183: Visages 20-m-PBK 10.183) [Visages d’enfant] d’enfant Nr. 1148: La race Scolastico: La razza rossa o rouge (Kat. Filma- 10-m-PBK americana (Nr. 1148) thèque Pathé 15e ed.) 244 Genre, Pathé- Titel überliefert auf Pathé-Katalog Katalog Nr. 1012: Un glacier Un ghiacciaio alpino; Il mare di alpin: La mer de gla- 10-m-PBK Voyage ghiaccio (Nr. 1012) ce: Cat. 1.XI.1923–31.X.1924 Una gara di boxe fra scimmie: Scène comi- 20-m-PBK Animalia in due parti que Una scimmia troppo furba: Sce- Scène comi- 120-m-Spule na comica in due parti que Nr. 270: Une fête Us et costu- Une fête chez les tribus Moïs 10-m-PBK chez les tribus Moïs: mes [Indo- (Nr. 270) (ohne Originaltitel) Cat. X.1923 chine] 245 Filmografie Familie H., 16-mm-Format Arbeits- Titel gemäss Titel gemäss Film- Titel gemäss titel Kartonschachtel büchse Beizettel Hasi XII. 28, Gotte, Hasi I Hasi I 1928/29 Götti 29 Hasi 8.III. 1 Jahr alt; Hasi II 1. Haarschnitt Hasi III, Bad; ? Hasi III 26.5.29; 10.6.1929 Hasi Ge- Hasi Geburtstag 8.3. burtstag Hasi VI, Russikon, Hasi VI Herrliberg Juni 1930 Hasi 14: 1933 Küsnacht mit F. Hess, Juni 1933 / Züspa Hasi 14, 1933 [unle- Aug. / Aug.: Hasi in Rüsch Hasi 14 serlich] / 3. Sept. Hasi mit Marco in d. Buch / Hasi im Bad 1933 Hirschpark Gonteb. Aug. 34, Axenstein 7. Sept 34, Trübsee Lilian Sept. 34, Hasi 17 Hasi 17 Weihnachten 34. Angela, Andrea und Hasi auf dem Eis, Sept. 34 Flug Radweltmeisterschaften der Flieger 11.8.1929; End- lauf der Steher 18.8.1929; Jahres- Zeppelin 127 besucht Zü- schau Jahres-Schau 1929 rich 26. September 1929; 1929 Furka-? 15.9.29, Sonntag 11.11.29 Nielsen/Rheinfall, Samstag Sonntag 19.1.30 Genf Jahres- Jahresschau 1929/30 Furka-Grimsel und Fred. schau II Miggerl 1929/30 Roncato Roncato, 1930 246 Arbeits- Titel gemäss Titel gemäss Film- Titel gemäss titel Kartonschachtel büchse Beizettel (auf der Büchse: Hasi Fahrt nach Genf zur Schlitt- Weltmeisterschaft schuhlau- der Billardamateure fen 1.–-3. Mai 1931, Ber- ger, Murten ) Jahres- schau Jahresschau 1931 VI 1931 Ostern 1932 24.–-29.3.32, Locar- Ostern no. Pallanza, Mai- 1932 land, Como, Lugano, Roncate, Morcote Zürich Zürich 1936 1936 13. Februar 1950 Aya Vrza- Dolder, Weltmeiste- nova rin 1949 Aya Vrzano- va 2 Autosonntage Richisau Auto- 24.23.6.30; Engelberg 6.7.30 sonntag Der 1. Schultag Bearbeitete Familienfilmbestände aus der Schweiz – Cinémathèque Suisse (Lausanne): Fam. A., USA, Schweiz, 1942–1958, 16 mm; Fam. R., Schweiz, 1932–1952; anonym, Deutschland, Italien, 1928–1932, 35 mm; anonym, Schweiz, 1938–1948, 16 mm; anonym, Schweiz, 1942–1952, 16 mm – Médiathèque Valais, image et son (Martigny): Fam. G., Martigny, 1928–?, 9,5 mm; Fam. G., Martigny 1940–1954, 8 mm; Fam. L., Martigny 1930–?; Fam. M., Martigny 1927–1955, 9,5 mm u. 16 mm. – Privatbesitz: Fam. F., New Jersey USA, Solothurn 1927–1975/76, 16 mm u. S-8 mm; Fam. V., Zürich 1935–1975; 8 mm; anonym, Schweiz [1938/40–60], 8 mm; Fam. S., Bern 1951–1964, 8 mm; Fam. F., 1950–?; Fam. S., Zürich 1968–1982, S-8 mm; Div. anonyme Flohmarktbestände. – Seminar für Filmwissenschaft (Zürich): Fam. T., Japan 1928–1930; 16 mm. 247 Literaturverzeichnis Aasman, Suzanne (1995) Le film de famille comme document historique. In: Odin, Roger (Hg.): Le film de famille: usage privé, usage public. Pa- ris: Méridiens Klincksieck, S. 97–112. Ahlheim, Karl-Heinz (Hg.) (1981) Meyers Grosses Universallexikon. Mannheim/Zürich: Bibliographisches Institut. 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