Hofmann (Hrsg.) Wissen und Eigentum Schriftenreihe Band 552 Jeanette Hofmann (Hrsg.) Wissen und Eigentum Geschichte, Recht und konomie stoffloser G ter Bonn 2006 Bundeszentrale fr politische Bildung Adenauer Allee 86, 53113 Bonn cc creativecommons Lizenz by – nc – nd Die Beitrge in diesem Band kçnnen bei Namensnennung der Autorin/des Autors ohne Bearbeitung zu nicht kommerziellen Zwecken vervielfltigt und weiterverbreitet werden. Redaktion: Thorsten Schilling, Christian Katzenbach Lektorat: Christiane Toyka-Seid, Kçnigswinter Projektmanagement: Sabine Berthold Diese Verçffentlichung stellt keine Meinungsußerung der Bundeszentrale fr politische Bildung dar. Fr die inhaltlichen Aussagen tragen die Autorinnen und Autoren die Verantwortung. Hinweis: Die Inhalte der im Text zitierten Internet-Links unterliegen der Verantwortung der jeweiligen Anbieter und Anbieterinnen. Fr eventuelle Forderungen und Schden kçnnen Herausgeber, Autorinnen und Autoren keine Haftung bernehmen. Umschlaggestaltung: Michael Rechl, Kassel Grafik: Mieke Gerritzen, nl.design, Amsterdam Satzherstellung: Satzbetrieb Schper GmbH, Bonn Druck: Bercker, Kevelaer ISBN 3-89331-682-5 Inhalt I. Einleitung JEANETTE HOFMANN / CHRISTIAN KATZENBACH Einf hrung 9 JAMES BOYLE Eine Politik des geistigen Eigentums: Umweltschutz f r das Internet? 21 II. Geschichte und Theorie THOMAS DREIER / GEORG NOLTE Einf hrung in das Urheberrecht 41 HANNES SIEGRIST Geschichte des geistigen Eigentums und der Urheberrechte. Kulturelle Handlungsrechte in der Moderne 64 KLAUS GOLDHAMMER Wissensgesellschaft und Informationsg ter aus çkonomischer Sicht 81 III. Technische und rechtliche Strukturen TILL KREUTZER Das Spannungsfeld zwischen Wissen und Eigentum im neuen Urheberrecht 109 CORINNA HEINEKE Adventure TRIPS – Die Globalisierung geistiger Eigentumsrechte im Nord-S d-Konflikt 141 VOLKER GRASSMUCK Wissenskontrolle durch DRM: von berfluss zu Mangel 164 Inhalt IV. Kunst und Kulturg ter FRIEDEMAN KAWOHL / MARTIN KRETSCHMER Von Tondichtern und DJs – Urheberrecht zwischen Melodieneigentum und Musikpraxis 189 HEIKE ANDERMANN / ANDREAS DEGKWITZ Zirkulation wissenschaftlicher Information in elektronischen R umen 221 V. M rkte und Gesch ftsmodelle JOSCHA WULLWEBER Marktinteressen und Biopiraterie – Auseinandersetzungen um das »gr ne Gold der Gene« 243 JOHANN ČAS UND WALTER PEISSL Datenhandel – ein Gesch ft wie jedes andere? 263 ROBERT A. GEHRING FOSS, die Firma und der Markt 279 VI. Ausblick FELIX STALDER Neue Formen der ffentlichkeit und kulturellen Innovation zwischen Copyleft, Creative Commons und Public Domain 301 BERND LUTTERBECK Die Zukunft der Wissensgesellschaft 319 Abk rzungsverzeichnis 341 Autorinnen und Autoren 345 Stichwortverzeichnis 348 I. Einleitung Jeanette Hofmann und Christian Katzenbach Einf hrung Kann ein Telekommunikationsunternehmen eine Farbe besitzen oder ein Hersteller von Tontr gern einen Klang? Sind menschliche Gensequenzen in entschl sselter Form patentf hig? Hat ein Sportverband Eigentumsrechte an den Namen von Großveranstaltungen? Und wie verh lt es sich mit den virtuellen Charakteren von Online-Spielen, sind diese handelbar und folg- lich eigentumsf hig? Fragen der Nutzung, des Besitzes und der Verwertung von Wissen haben eine lange, kontroversenreiche Geschichte in der west- lichen Welt. Die Rahmenbedingungen, aber auch die Interessen undWert- haltungen, in deren Namen die Verf gung von Werken und Kenntnissen jeweils geregelt worden sind, haben sich jedoch im Zeitverlauf mehrfach und grundlegend gewandelt. Im Mittelalter spielte die Kirche eine bestimmende Rolle in der Regu- lierung vonWissen. Vor der Verbreitung des Buchdrucks sorgten die Skrip- torien der Klçster f r die Bewahrung und Verbreitung von Wissen. Das Zusammentragen und handschriftliche Vervielf ltigen von Schriften galt als bewahrende Aufgabe im Dienste Gottes. Die Mehrzahl der Schriftge- lehrten verstand sich nicht als Autoren im heutigen Sinne, sondern eher als Mittler oder Interpreten, durch die Gott zu den Gl ubigen sprach. Noch im 18. Jahrhundert fand sich die Vorstellung, dass die Quellen aller Erkenntnis in der Vergangenheit liegen und die Gewinnung von Wissen daher ein Wiederaneignungsprozess ist. Der idealtypische Text war die Pre- digt, dessen Qualit t sich durch mçglichst perfekte Nachahmung der anti- ken Formsprache auszeichnete. Schçpferische Originalit t war dagegen nicht erw nscht. Die moderne Figur des Urhebers, der neue Werke mit Hilfe des eigenen Verstandes hervorbringt, war im Rahmen vormoderner Wissensordnungen schlichtweg undenkbar. In der Renaissance entdeckten die italienischen Stadtstaaten das Gewer- bemonopol als Instrument der Wirtschaftsfçrderung. Zu den Beg nstigten gehçrten Handwerker wie etwa die Gilde der venezianischen Glasmacher. Als Gegenleistung f r das Monopol hatten sie ihr Wissen allerdings geheim zu halten und durften ausschließlich innerhalb der Stadt arbeiten, die das Privileg gew hrt hatte. Einer anderen Logik folgte das Mitte des 16. Jahr- 9 Jeanette Hofmann und Christian Katzenbach hunderts verliehene Gewerbemonopol f r die englischen Drucker und Ver- leger. Im Austausch f r das Verlagsprivileg musste sich die Stationers’ Com- pany der politischen Zensur unterwerfen und jedes Buch vor der Verçffent- lichung zur politischen Kontrolle vorlegen. Gemeinsam ist diesen fr hen Formen der Verf gungsrechte ber Wissen eine auff llige Gleichg ltigkeit gegen ber den eigentlichen Schçpfungsleistungen. Honoriert wurde nicht in erster Linie individuelle Kreativit t als vielmehr die erhoffte lokale Wert- schçpfung bzw. politisches Wohlverhalten: Nicht der Verfasser eines Bu- ches erhielt das kçnigliche Verwertungsrecht, sondern der Drucker. Der uns heute so gel ufige und rechtlich sehr bedeutsame Unterschied zwischen der Erfindung und der Nachahmung, der Idee und ihrer Kopie, spielte in der Wissensordnung der fr hen Neuzeit keine ausgepr gte Rolle. Als konzeptionelle Geburtsstunde des individuellen Urhebers gilt ein englisches Gesetz aus dem Jahr 1710. Das »Statute of Anne« erkannte erst- mals an, dass auch Autoren selbst ein Recht an ihren Werken haben sollten. Neben die Gew hrung von Privilegien durch politische Autorit ten traten nun auch gesetzlich verbriefte Rechte. Eine bestimmende Rolle hierbei spielten das »besitzindividualistische Denken« und der »Begriff des Eigen- tums«, wie Hannes Siegrist in diesem Band erl utert. In den folgenden Jahr- zehnten setzte sich die Vorstellung eines »Naturrechts« am eigenen Werk auch in Frankreich, den USA und mit Verzçgerungen in Deutschland durch. Die in der Romantik popul r gewordene Figur des »Genieautors« verkçrperte die These, dass der Ursprung von Ideen, Erkenntnissen und kulturellen Fertigkeiten nicht in der Antike, der Natur oder in Gott liegt, sondern in der Schaffensgabe der K nstler selbst. Die Anerkennung der schçpferischen Leistung der Literaten ging auf eine Emanzipationsbewegung zur ck, in der bekannte Autoren wie Klopstock, Lessing, Schiller und Fichte gleichermaßen um ihre individuellen Aus- drucksformen wie auch um eine eigenst ndige, von M zenaten unabh n- gige Existenzgrundlage rangen. Wider eine jahrhundertealte Tradition be- anspruchte eine neue Generation von Schriftstellern Besitzrechte an ihren Arbeiten und berief sich dabei auf die subjektive »Eigent mlichkeit« ihrer Werke. Die hierf r grundlegende Definition und Eingrenzung der Eigen- tumsf higkeit von Kulturg tern wird Johann Gottlieb Fichte zugeschrieben. Er empfahl, zwischen dem physischen Werkexemplar, den darin enthalten- den Ideen und deren Form zu unterscheiden. W hrend Ideen als solche grunds tzlich frei seien, so Fichte, sei ihre konkrete Form das Produkt und folglich der rechtm ßige Besitz ihres Schçpfers. Die berzeugung, dass sich kreative Leistungen individuell zuschreiben lassen, bildete die ideelle Grundlage f r die bertragung des Privateigen- 10 Einf hrung tums auf die stofflose Welt der Gedichte, Melodien und Bilder. Ausgehend von literarischen Werken breitete sich das Urheberrecht nach und nach auf weitere schçpferische Formen wie die Musik, die Malerei und die Fotogra- fie aus. Hinzu kamen Schutzrechte f r ein ebenfalls wachsendes Spektrum werkbezogener Handlungen wie etwa Bearbeitungen, bersetzungen, In- terpretationen, Inszenierungen oder Archivierungen. Die Verrechtlichung kultureller Produkte und Leistungen vollzog sich zun chst im nationalen Rahmen. Folglich endeten die Schutzrechte der Autoren und Verleger an den staatlichen Grenzen. Eine erste zwischenstaatliche Anerkennung von Urheberrechten ermçglichten die in den achtziger Jahren des 19. Jahr- hunderts verabschiedeten Pariser und Berner Konventionen. Allerdings ra- tifizierten und vor allem implementierten diese Regelungen nur sehr we- nige L nder. Die USA, heute eine der treibenden Kr fte im Prozess der Etablierung eines global einheitlichen Schutzniveaus, gehçrten ironischer- weise nicht dazu. Im historischen R ckblick und im internationalen Vergleich wird er- kennbar, dass die Entwicklung immaterieller Eigentumsrechte keineswegs so geradlinig verlaufen ist, wie man aus heutiger Sicht vielleicht vermuten kçnnte. In islamischen Gesellschaften etwa findet sich keine vergleichbare Tradition des immateriellen Eigentums. Bis heute erweist sich die Durch- setzung geistiger Eigentumsregelungen in vielen L ndern als sehr schwierig. Die Entwicklung und Durchsetzung der heute bestehenden Schutzrechte ist urspr nglich ein europ isches oder doch zumindest ein westliches Projekt. Die Entstehung der Schutzrechte war weder zwangsl ufig, noch folgte sie einer inneren, sich pfadabh ngig fortschreibenden Logik von Sachzw ngen. Beginnend mit der Verleihung erster Gewerbemonopole finden sich in der Ausgestaltung der Eigentumsrechte und ihrer Begr ndungen historische wie auch nationale Varianzen, die sich als Beleg f r die Ver nderbarkeit und folglich die vorhandenen politischen Gestaltungsmçglichkeiten in der Re- gulierung von Wissen lesen lassen. Ein bekanntes Beispiel aus dem deutschen Urheberrecht f r solche Ge- staltungsspielr ume stellt die 1965 eingef hrte »Pauschalverg tung« dar.1 Diese sp ter auch von anderen L ndern bernommene Regelung schuf ei- nen beraus liberalen Rahmen f r die »erlaubnisfreie« Nutzung vonWissen. Das deutsche Urheberrecht erkennt seither das individuelle Vervielf ltigen und Archivieren, etwa im Bereich der Bildung oder f r private Zwecke, als legitim an. Technisch mçgliche, allt glich gewordene Formen der Aneig- nung und Nutzung von Kulturg tern wurden so mit dem Gebot der Ver- g tung der Urheber rechtlich in Einklang gebracht. Bestimmende politische Grunds tze hierbei bildeten der gerechte Ausgleich zwischen den Interessen 11 Jeanette Hofmann und Christian Katzenbach der ffentlichkeit am Zugang zu Wissen und demjenigen der Urheber an einer Gratifikation, aber auch der Schutz der Privatsph re. R ckblickend wird man feststellen, dass die Pauschalverg tung wesentlich mit verantwort- lich daf r ist, dass die B rger bis zur Digitalisierung derMedien kaum einmal an die Grenzen des Erlaubten stießen und das Urheberrecht aus diesem Grund kaum wahrgenommen haben. Die çffentliche Diskussion ber die Verf gung von Wissen hat sich zu- meist auf einen kleinen Kreis von Experten und Betroffenen beschr nkt. Ob sich Ideen, Erkenntnisse und Melodien besitzen lassen oder nicht, und wel- che Folgen einzelne Schutzrechte f r die weitere Entwicklung von Kultur bzw. Wissen haben, solche Fragen vermochten bestenfalls spezialisierte Fachgemeinden in Aufregung zu versetzen. In den letzten zehn bis f nf- zehn Jahren l sst sich jedoch ein zunehmendes Interesse an den rechtlichen, wirtschaftlichen und technischen Nutzungsbedingungen von Wissen be- obachten. So berichten die Medien inzwischen regelm ßig ber aktuelle Gesetzesinitiativen, neue Kopierschutztechnologien, Rechtsverstçße oder Gerichtsprozesse. Zugleich nimmt die Zahl der akademischen Verçffent- lichungen in den einschl gigen Fachzeitschriften zu. In gewissem Sinne for- miert sich eine çffentliche Meinung zu Fragen der Wissensordnung. Ein Indikator daf r sind auch die vielen Interessenverb nde, die sich in den letz- ten Jahren sowohl auf der nationalen wie auch der internationalen Ebene gebildet haben, um auf die Rechtsentwicklung Einfluss zu nehmen. Man kann also durchaus von einer wachsenden politischen Relevanz dieses The- menfeldes sprechen. F r den Aufstieg immaterieller Eigentumsrechte zu ei- nem Politikum sind mehrere Gr nde verantwortlich. Eine wichtige Ursa- che liegt in der medientechnischen Entwicklung seit den 1950er Jahren. W hrend das Vervielf ltigen fr her eine kapitalintensive und daher Verlagen vorbehaltene Angelegenheit war, hat die Digitalisierung das Ko- pieren von Daten faktisch zur kostenlosen Alltagshandlung werden lassen. Entsprechend kommen heute nicht nur viel mehr Menschen mit dem Urheberrecht in Ber hrung, das Urheberrecht reguliert beziehungsweise verrechtlicht auch ein weitaus grçßeres Spektrum von Handlungen als zu- vor. Die in der analogen Welt der Tonb nder und Kassetten bereits bliche Herstellung und Weitergabe privater Kopien hat durch das Internet einen neuen Stellenwert gewonnen. So lassen sich von digitalen Werken beliebig viele Kopien ohne Qualit tsverlust herstellen, und das Internet sorgt f r ei- nen bis dato unbekannten Verbreitungsradius. Theoretisch ist heute ein Werkexemplar ausreichend, um alle Internetnutzer mit einer Kopie zu ver- sorgen. Die grenz berschreitende Verbreitung digitaler Informationsg ter hat traditionelle Gesch ftsmodelle und rechtliche Regelungen gleicherma- 12 Einf hrung ßen in Frage gestellt. Dreier und Nolte sprechen in ihrem Beitrag gar von einer Krise des Urheberrechts. Gleichwohl steigen mit dem wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Bedeutungszuwachs von Informationsg tern die Anforderungen an die rechtliche Regelungskapazit t. Die Informations- wirtschaft reagierte auf diese Entwicklung mit der Einf hrung von Tech- nologien, die das Kopieren verhindern oder, allgemeiner gefasst, eine her- stellerseitige Nutzungskontrolle digitaler Werke ermçglichen sollen. Volker Grassmuck bezeichnet diese Entwicklung in seinem Beitrag als Paradoxon, da die Verleger, deren Gesch ft es doch eigentlich sei, Informationen zu- g nglich zu machen, nun Zugang und Nutzung unterbinden m ssen, um ihr Gesch ftsmodell zu retten. Die Regierungen wiederum haben international koordinierte Maßnahmen zur Reform von Eigentumsrechten eingeleitet. Das gemeinsame Ziel dieser Aktivit ten ist es, das digitale Vervielf ltigen zu regulieren. Neu geregelt werden sollen die Bedingungen, unter denen die B rger von den Mçglichkeiten der digitalen Technik k nftig Gebrauch machen d rfen. Die Neuregelungen im Urheberrecht werden von kontroversen Diskus- sionen begleitet. Die çffentlichen Reaktionen auf den Reformprozess geben zu erkennen, dass immaterielle Eigentumsrechte heute in einem umfassen- deren, ber die Zielsetzungen der einzelnen Gesetze hinausreichenden ge- sellschaftlichen Kontext beurteilt werden. Die Bewertung der Reformvor- haben orientiert sich nicht mehr in erster Linie an den politischen Zielvorgaben des Gesetzgebers, sondern an den vermuteten langfristigen Auswirkungen auf die Zug nglichkeit, Nutzung und Weiterentwicklung von Wissen in so verschiedenen Bereichen wie Bildung, Wissenschaft und Technikentwicklung, Gesundheit, Ern hrung und Entwicklungs- zusammenarbeit, aber auch der Kunst, insbesondere der Musik und der Presse. Vor diesem Hintergrund ist es plausibel, dass die Ausgestaltung des Interessenausgleiches zwischen Produzenten, Verlegern und Nutzern nicht mehr allein als fachpolitisches Problem gilt, sondern auf ihre Kon- sequenzen f r verb rgte Grundrechte wie die Meinungs- und Informations- freiheit oder die informationelle Selbstbestimmung, aber auch auf vertei- lungs- und wirtschaftspolitische Effekte gepr ft wird. Wie James Boyle in diesem Band argumentiert, bildet »geistiges Eigentum die Rechtsform des Informationszeitalters«, und dessen Verteilung gewissermaßen den »Schl ssel zu Wohlstand, Macht und Zugangsmçglichkeiten innerhalb der Informationsgesellschaft«. Immateriellen Eigentumsrechten werden heute folglich çkonomische wie auch wohlfahrtstaatliche Eigenschaften zu- geschrieben. Entsprechend bemisst sich die gesellschaftliche Zustimmung zu den gesetzlichen Regelungen daran, ob und in welchem Umfang die Be- 13 Jeanette Hofmann und Christian Katzenbach troffenen ihre Interessen vertreten sehen. In diesem Kontext sind auch die verschiedenen Strategien zu verstehen, die darauf abzielen, den »Mçglich- keitsraum, den das Urheberrecht schafft«, in neuer Weise auszuschçpfen. Felix Stalder prognostiziert in seinem Beitrag ein neues Paradigma in der Erzeugung und Verbreitung von Wissen, dessen Vorteil darin besteht, die freie Kopierbarkeit digitaler Werke nicht l nger als Bedrohung wahrzuneh- men, sondern als gegebene Grundlage anzuerkennen. Das wachsende çffentliche Interesse an immateriellen Eigentumsrechten reflektiert aber auch eine allgemeine Aufwertung von Wissen und Informa- tionsg tern als Ressource gesellschaftlichen Wandels. Diese Entwicklung l sst sich, mit Unterbrechungen, bis in die fr hen 1960er Jahre zur ckver- folgen. Beginnend mit dem konom Fritz Machlup entstand die berzeu- gung, dass Wissensgenerierung bzw. »Informationsverarbeitung« in der Zu- kunft einen stetig zunehmenden Anteil an der Wertschçpfung ausmachen wird.2 Die zweite Generation von Autoren wie Daniel Bell und Alvin Toff- ler in den 1970er Jahren stellte sich das »Informationszeitalter« als nachindus- trielle Gesellschaftsformation vor. So wie die Industriegesellschaft einst die Agrargesellschaft ablçste, so w rde die Informationsgesellschaft an die Stelle der Industriegesellschaft treten.3 Neuere Ans tze konzipieren das Informa- tionszeitalter dagegen als charakteristischen Bestandteil hoch industrialisier- ter Gesellschaften. So identifiziert Helmut Spinner eine Reihe von Ent- wicklungslinien, die in eine neue Wissensordnung m nden kçnnten: die Technisierung oder Informatisierung des Wissens, die Kommerzialisierung von Wissensg tern, die Globalisierung der Informationsstrçme und die Pri- vatisierung spezifischer Wissensbest nde.4 F r sich besehen hat jede dieser Entwicklungslinien inzwischen einen gewissen Grad der Allt glichkeit er- reicht. Die Diagnose einer Informationsgesellschaft beruht jedoch auf der Annahme, dass die Kombination dieser Prozesse eine qualitativ neue Wis- sensordnung hervorbringt. Was l sst sich ber diese Wissensordnung aus heutiger Sicht sagen? James Boyle, dessen Beitrag den Auftakt dieses Bandes bildet, hat die These formuliert, dass der anhaltende Trend zur Informatisierung der Welt tiefgreifende Folgen f r die gesellschaftliche Organisation von Wissen hat. So sei davon auszugehen, dass die Bedeutung von Inhalten kontinuier- lich steige, w hrend die physischen Tr germedien wirtschaftlich an Wert und Beachtung verlçren. Im Zusammenhang damit beobachtet Boyle eine Tendenz zur Homologisierung, also zu wachsender Angleichung einst- mals kategorial verschiedener Wissensformen. Ein Beispiel f r diese Gleich- fçrmigkeit bildet die Verwendung des Informationsbegriffs f r so unter- schiedliche Bereiche wie Computerprogramme oder Gensequenzen. Als 14 Einf hrung Informationen verstanden, kçnnen elektronische und biologische Objekte entlang hnlicher Verfahren erzeugt und vermarktet, aber auch reguliert werden. Die Zust ndigkeit von Datenschutz und immateriellen Eigentums- rechten dehnt sich folglich auf immer mehr gesellschaftliche Bereiche aus. Boyle zieht daraus den Schluss, dass die Regulierung von Information und Wissen zu einem politischen Handlungsfeld ausgebaut werden muss, hnlich wie einst die Verschmutzung von Luft, Gew ssern und Bçden zur Entste- hung einer Umweltpolitik gef hrt hat. Auch wenn die Entwicklung eines eigenst ndigen Politikfeldes bislang allenfalls vage am Horizont der Mçglichkeiten aufscheint, ist es doch an der Zeit, sich der wandelnden Beziehung zwischen Wissen und Eigentum systematischer zu widmen. In der deutschsprachigen Forschungslandschaft liegen zwar inzwischen viele Einzelstudien zu Merkmalen und Problemen der Informationsçkonomie vor, aber es gibt bislang nur wenige Arbeiten, die Querverbindungen zwischen verschiedenen Segmenten beleuchten und strukturelle Zusammenh nge sichtbar machen. In diesem Sinne wird man der zehn Jahre alten Diagnose von Boyle noch immer zustimmen kçnnen, der zufolge wir uns heute in dem Stadium befinden, in dem sich die Umwelt- schutzbewegung vor rund f nfzig Jahren bewegte. Der konzeptionelle Rah- men, der ermçglichen w rde, bergreifende Strukturmerkmale zu erkennen und allgemeine politische Handlungsanforderungen zu formulieren, ist noch im Entstehen begriffen. Vor diesem Hintergrund versteht sich die Empfeh- lung von Bernd Lutterbeck in diesem Band, auf hierarchische Steuerung zu verzichten und die ohnehin nicht planbare Zukunft der Wissensgesellschaft »offen zu halten – wann immer und wo immer es mçglich ist«. In einem weiteren Sinne kann man auch diesen Sammelband als ein Pl - doyer f r die Offenheit und Gestaltbarkeit von gesellschaftlichen Ent- wicklungspfaden lesen. Ein treibendes Motiv f r den Band war es, einen einf hrenden berblick zu geben ber die Bedeutung immaterieller Eigen- tumsrechte und das expandierende Spektrum gesellschaftlicher Handlungs- bereiche, in denen diese eine regulative Rolle spielen. Dahinter steht der Wunsch, eine breitere politische Meinungsbildung wie auch eine konzep- tionelle Verst ndigung in diesem noch jungen Gebiet zu unterst tzen. Die Beitr ge im Einzelnen: Eigentumsanspr che an Wissen sind ein relativ junges Konzept. Dem rç- mischen Recht etwa war die Vorstellung von immateriellem Eigentum 15 Jeanette Hofmann und Christian Katzenbach noch fremd; sie ist ein Spezifikum der europ ischen Neuzeit. Hannes Siegrist rekonstruiert die Herausbildung dieses Konstrukts und die nachfolgende Entstehung des Urheberrechts. Dabei geht es ihm weniger um eine Ge- schichte der Immaterialg terrechte. Vielmehr skizziert Siegrist den Wandel »kultureller Handlungsrechte« und ihre gesetzliche Institutionalisierung zwi- schen dem 16. und 21. Jahrhundert. So ermçglichte die erst in der Aufkl - rung entstandene Figur des »Autors« eine Ablçsung des Druckprivilegs durch das moderne europ ische Urheberrecht. Siegrist zeigt, dass die Ge- schichte des geistigen Eigentums auch eine Geschichte der Ausdehnung von Funktionen und Beziehungen ist, die eigentumsrechtlich geregelt werden. Es wird dabei deutlich, dass das Zusammendenken von Wissen und Eigen- tum und dessen Festschreibung in Immaterialg terrechten aufs Engste mit der von Renaissance und Aufkl rung gepr gten Kulturgeschichte Europas verbunden ist. Eines der Merkmale der Wissensgesellschaft besteht in der Erprobung neuer Wertschçpfungsformen. Mit dem Begriff der Informationsçkonomie verbinden sich handelbare G ter und Dienstleistungen, die, man denke bei- spielsweise an den schnellen Zugriff auf den Bçrsenkurs oder an den Handel mit Datenprofilen, vor wenigen Jahrzehnten noch gar nicht vorstellbar wa- ren. Wissens- und Informationsprodukte unterscheiden sich jedoch in ei- nigen Aspekten grundlegend von materiellen G tern. So kçnnen Informa- tionsg ter etwa von mehreren Menschen gleichzeitig genutzt werden. Zudem ist das Begrenzen des Nutzerkreises nicht einfach. Diese Eigenschaf- ten erschweren die Verwertung von Informationsg tern. Klaus Goldhammer zeigt Strategien auf, die die Inwertsetzung von Wissen trotz dieser Schwie- rigkeiten ermçglichen. Beispiele aus der Medienindustrie lassen erkennen, dass dabei, neben der Bindung von Wissen an materielle Tr ger und der Finanzierung durch Werbung, eigentumsbasierte Ausschlussmechanismen eine zentrale Rolle spielen. Das Urheberrecht stellt sich f r viele Menschen als Arkanum dar. Bereits die Rechtssprache enth lt eine Vielzahl von Verst ndnish rden. Thomas Dreier und Georg Nolte erkl ren die Motive und Mechanismen des Imma- terialg terrechts. Im Kern dieser Rechte steht die Zuschreibung von aus- schließlichen Nutzungsrechten an die Urheber oder Erfinder. Allerdings wird auch deutlich, dass das Urheberrecht nicht allein dem Schutz der Au- toren dient, sondern grunds tzlich auf einen Interessenausgleich zwischen Rechteinhabern und ffentlichkeit zielt. Die Entwicklung des Urheber- rechts ist, so zeigen Dreier und Nolte, stark gepr gt von technischen Inno- vationen. Regelte das Urheberrecht bis weit in die zweite H lfte des 20. Jahrhunderts ausschließlich die Beziehungen zwischen kommerziellen 16 Einf hrung Wettbewerbern, haben Kassettenrekorder, Kopierger te und in den letzten Jahren Computer und Internet dazu gef hrt, dass sich das Regulierungsfeld erweitert hat und heute tief in unsere Alltagshandlungen hineinreicht. In den letzten zehn Jahren haben viele Staaten ihr Urheberrecht novel- liert – initiiert wurden die nderungen jedoch nicht auf nationaler, sondern auf internationaler Ebene. Ziel der Novellierungen ist zum einen die inter- nationale Harmonisierung der Immaterialg terrechte, zum anderen ihre Anpassung an das digitale Zeitalter. 2001 hat die Europ ische Union eine Richtlinie zur Harmonisierung des Urheberrechts in der Informations- gesellschaft beschlossen. Im Zentrum der Novellierung steht die Neufassung der Nutzungsbedingungen f r digitale Informationsg ter. Till Kreutzer ver- anschaulicht die Umsetzung in Deutschland an Beispielen aus Forschung und Unterricht und kommt zu dem Schluss, dass die neuen Regelungen so kompliziert und restriktiv sind, dass sie f r Lehrer und Forscher kaum anwendbar sein werden.W hrend die technischen Zugangsvoraussetzungen zu Wissen also immer vielf ltiger und besser werden, erschwert die Regu- lierung offenbar dessen Nutzung. Rechteinhaber setzen zunehmend auf technische Maßnahmen, um Zu- gang zu und Nutzung von Informationsg tern selbst zu kontrollieren. Rechteverwaltungssysteme bilden folglich einen eigenst ndigen Modus der Wissensregulierung, der durch das Urheberrecht sogar inzwischen ge- sch tzt wird. Volker Grassmuck argumentiert, dass das Urheberrecht damit faktisch abgeschafft wird. Am Beispiel von DVDs und Mobiltelefonen illus- triert er, wie durch Lizenzvertr ge unterschiedliche DRM-Technologien aneinander gekoppelt werden. Hersteller von DVD-Spielern etwa m ssen ein komplettes Paket von Rechteverwaltungssystemen einsetzen, um ihren Kunden das Abspielen von Filmen zu ermçglichen. In Kunst und Wissenschaft ben Eigentumsanspr che einen pr gen- den Einfluss auf die Schaffung und Verbreitung neuer Werke aus. Das heutige Urheberrecht, so zeigen Friedemann Kawohl und Martin Kretschmer, ist gepr gt von der Musikpraxis und - sthetik des 19. Jahrhunderts. Erst in dieser Epoche, die wir heute »Klassik« nennen, hat sich das Konzept des »Werks« und damit die Unterscheidung zwischen Original und Be- arbeitung, das heißt zwischen Komposition und Interpretation in der Musik etabliert. Die traditionellen Kategorien des Urheberrechts tref- fen aber immer wieder auf musikalische Praktiken, die sich nicht durch das Schema »Komponist – Werk – Musiker – Auff hrung« fassen las- sen. Dies gilt beispielsweise f r den DJ, der aus bestehenden Kl ngen und Rhythmen neue musikalische Formen zusammenstellt. Kawohl und Kretschmer schlagen deshalb eine neue rechtliche Einordnung vor, die 17 Jeanette Hofmann und Christian Katzenbach es ermçglicht, die »produktive Nutzung« musikalischer Werke als kreative Leistung zu w rdigen. In der Wissenschaft werden zur Zeit neue Verfahren der Wissenszirku- lation erprobt. Heike Andermann und Andreas Degkwitz zufolge befindet sich das wissenschaftliche Publikationswesen heute in einer doppelt paradoxen Situation: Ergebnisse çffentlich finanzierter Forschung werden in Zeitschrif- ten verçffentlicht, die Bibliotheken mit çffentlichem Geld wieder »zur ck- kaufen« m ssen. Obwohl die Digitalisierung und das Internet geringere Pro- duktions- und Vertriebskosten ermçglichen, f hren steigende Preise f r Fachzeitschriften zu einem erschwerten Zugang zu relevanten Verçffent- lichungen. Vor diesem Hintergrund wurden in den letzten Jahren kreative Verfahren entwickelt, die herkçmmliche Verçffentlichungsregeln teilweise auf den Kopf stellen. Andermann und Degkwitz illustrieren dies anhand eines Modells, das die Publikationskosten nicht den Lesern, sondern den Autoren in Rechnung stellt. Akademische Texte werden auf diese Weise f r alle frei zug nglich. Seit den 1980er Jahren gibt es Versuche, Informationsg ter in die Ver- handlungen zum Welthandel zu integrieren. Die Verkn pfung des Im- materialg terrechts mit globaler Handelspolitik sorgt daf r, dass jedes Mitgliedsland der Welthandelsorganisation fortan die beschlossenen Bestim- mungen zum Schutz geistigen Eigentums einhalten muss – andernfalls drohen Handelssanktionen. Corinna Heineke zeichnet die Entwicklung der Beziehung zwischen Handel und geistigen Eigentumsrechten nach und zeigt, dass die bernahme westlich gepr gter Patent- und Urheber- rechte f r Entwicklungsl nder schwerwiegende Folgen haben kann. Dies betrifft insbesondere die Versorgung der Bevçlkerung mit Medikamenten und Nahrung. Joscha Wullweber berichtet von einem indigenen Volk in Mexiko, dessen umfangreiches Wissen um die Heilkraft çrtlicher Pflanzen in den letzten Jahrzehnten wachsendes Interesse bei Pharmakonzernen hervorgerufen hat. Die westlich gepr gte Rationalit t geistiger Eigentumsrechte trifft hier auf eine kollektive Tradition der Nutzbarmachung und Weiterent- wicklung von Wissen, der individuelle Eigentumsanspr che fremd sind. Wullweber konstatiert, dass die beiden Wissensordnungen auf der Basis ver- schiedener Annahmen operieren und die Wissenskulturen indigener Ge- meinschaften durch das Regime geistiger Eigentumsrechte gesch digt wer- den kçnnen. Mit Mobiltelefonen, vernetzten Rechnern, Kundenkarten und der Teil- nahme an Gewinnspielen erzeugen wir Datenspuren, die viel ber uns aus- sagen. Was kaufen wir? Wo befinden wir uns? Auf welchen Websites surfen 18 Einf hrung wir? Digitale Anwendungen erzeugen Daten en passant – ohne dass wir es merken. Manche dieser Informationen werden von Unternehmen gesam- melt, aufbereitet und verkauft. Johann Čas und Walter Peissl stellen einige Methoden und Gesch ftsmodelle der Datenh ndler vor. Ein großes Prob- lem sehen die Autoren in der mangelnden Transparenz angesichts der zu- nehmendenMçglichkeiten des Sammelns und Aufbereitens von Daten. Um das Recht auf informationelle Selbstbestimmung zu sichern, fordern Čas und Peissl eine bessere Durchsetzung der Datenschutzgesetze und trans- parente Unternehmensrichtlinien. Eigentumsrechte sind keine zwingende Voraussetzung f r die Entste- hung von Informationsg tern, und nicht alle Informationsg ter werden nach dem gleichen System verwertet. Seit einigen Jahren etablieren sich Entwicklungsmodelle f r digitale Produkte, die ohne ausschließende Nut- zungsrechte auskommen, sondern, im Gegenteil, diese so weit wie mçglich verf gbar machen. Quelloffene Software steht Nutzern kostenfrei zur Ver- f gung und erlaubt – im Gegensatz zu kommerzieller Software – das unbe- grenzte Vervielf ltigen, Weiterentwickeln und Verçffentlichen neuer Ver- sionen. Obwohl das Informationsgut selbst also nicht knapp ist, kann man, wie Robert Gehring zeigt, mit Open Source Software durchaus Geld verdie- nen. In Form von Dienstleistungen und komplement ren Produkten wie Hardware gruppieren sich M rkte um das Informationsgut herum – beson- ders die regionale Wirtschaft kann davon profitieren. Inspiriert vom Erfolg der Open Source Software-Entwicklung wurden in den letzten Jahren innovative Formen der Wissensproduktion auch in an- deren Bereichen ausprobiert. Die Online-Enzyklop die Wikipedia ist das wohl prominenteste Beispiel: Artikel sind ohne Zugangsbeschr nkung les- bar, jeder kann sie nutzen und ver ndern. Anhand von Beispielen gemein- schaftlicher Wissensproduktion macht Felix Stalder deutlich, dass die Aus- breitung und die Attraktivit tssteigerung solcher Modelle erst durch das Internet mçglich geworden sind. In Produktion und Vertrieb von Wissen und Kultur zeichne sich ein Paradigmenwechsel ab, so Stalder. Das exklusive Verf gungsrecht des individuellen Urhebers als Leitbild der Wissensregu- lierung kçnnte an Bedeutung verlieren zugunsten von Lizenzen, die die gemeinschaftliche Nutzung und Weiterverarbeitung von Wissen erlauben. Wie sieht die Zukunft der Wissensgesellschaft aus? Dass Bernd Lutterbeck darauf keine Antworten geben mag, sondern stattdessen Hinweise f r ihre Gestaltung liefert, reflektiert den Kern seiner These: Die weitere gesell- schaftliche Entwicklung sei nicht mehr plan- und kontrollierbar. Voraus- sagen ber die Wissensgesellschaft w rden unmçglich. Gemeinschaftliche Formen der Wissensproduktion, die neue Zugangs- und Nutzungschancen 19 Jeanette Hofmann und Christian Katzenbach erçffnen, so Lutterbeck, gewinnen strategische Bedeutung, da sie »lokale Innovationen« ermçglichen. Wider das traditionelle Ausschlussprinzip des geistigen Eigentums verweist er auf das Internet als »Innovations-Allmende« und als »Technologie des Wettbewerbs um Ideen«. Anmerkungen 1 Die Pauschalabgabe war eine Reaktion auf die Verbreitung von Tonbandger ten und Kassettenrekordern, die es Musikliebhabern erstmals erlaubten, eigenh ndig Kopien von Musikst cken anzufertigen. Da der Gesetzgeber den K nstlern einen Anspruch auf Verg tung grunds tzlich zuerkannte, das private Kopieren sich jedoch weder verbieten noch kontrollieren ließ, f hrte er eine neue Form der Abgabe ein, die beim Kauf von Kopierger ten und Tr germedien erhoben wird und den Urhebern direkt (verteilt ber die zust ndigen Verwertungsgesellschaften) zugute kommt. 2 Machlup (1962). 3 Bell (1973); Toffler (1980). 4 Spinner (1994), S. 114–115. Literatur Bell, Daniel (1973):The Coming of the Post-Industrial Society: A Venture in Social Forecasting, New York [deutsch: Die nachindustrielle Gesellschaft, Frankfurt 1975]. Machlup, Fritz (1962): The Production and Distribution of Knowledge in the United States, Princeton. Spinner, Helmut F. (1994): Die Wissensordnung. Ein Leitkonzept f r die dritte Grundordnung des Informationszeitalters, Opladen. Toffler, Alvin (1980): The Third Wave, New York. 20 James Boyle Eine Politik des geistigen Eigentums: Umweltschutz f r das Internet?* 1. »Code ist Code« – Die Logik der Informations- beziehungen Alle Welt redet davon, dass wir uns auf das Informationszeitalter zu bewe- gen. Alle Welt redet davon, dass Besitz und Kontrolle von Informationen zu den wichtigsten Machtfaktoren der heutigen Gesellschaft gehçren. […] ber die Feststellung hinaus, dass es eine Informationsgesellschaft gibt, findet man dazu aber berraschend wenig theoretische Betrachtungen. So traurig dies f r die akademische Welt auch sein mag – die besten Sozial- theoretiker zum Thema Informationszeitalter sind immer noch die Science- Fiction-Autoren und ganz besonders die Cyberpunks, die Schçpfer des Begriffs »Cyberspace« und Vorreiter der Phantasien zum Internet.1 Als An- n herung an das Thema Informationszeitalter ist dies ein guter Ausgangs- punkt. […] Der Cyberpunk basiert auf der Szenerie zweier Schl sseltechnologien: Auf der einen Seite stehen die Computer und das Internet, auf der anderen die Gentechnik. Das Thema des Cyberpunks ist die Angleichung aller In- formationsformen, ganz gleich ob sie genetischen, elektronischen oder de- mografischen Ursprungs sind. Ich wuchs noch mit der Vorstellung auf, dass Gene etwas mit Biologie, Petrischalen und Zellen zu tun h tten und Com- puter mit Lochkarten und Magnetplatten. Damals h tte man sich kaum zwei andere Gebiete vorstellen kçnnen, die so wenig miteinander gemein hatten. * Dieser Beitrag ist eine bersetzte und stark gek rzte Version von James Boyles Essay - »A Politics of Intellectual Property: Environmentalism for the Net«, der zuerst 1997 im Duke Law Journal 47, S. 87–116 erschienen ist. K rzungen sind im Text mit […] mar- kiert. Der Original-Artikel findet sich unter [http://www.law.duke.edu/journals/dlj/ articles/dlj47p87.htm]. Der Beitrag steht unter einer Creative Commons-Lizenz, die die Weitervergabe, Vervielf ltigung, Bearbeitung und kommerzielle Nutzung des Werks gestattet, wenn der Name des Autors genannt wird und die Weitergabe unter den gleichen Lizenzbedingungen erfolgt; die genauen Lizenzbedingungen finden sich unter [http://creativecommons.org/licenses/by-sa/1.0/]. 21 James Boyle Ganz anders der Cyberpunk; er kennt nur eines – den Code – ausgedr ckt in bin ren Zahlen bzw. C-, G-, A- und T-Kombinationen in Genkarten. Außerdem erçffnen uns die Cyberpunk-Autoren eine juristische Dimen- sion. In dem Maße, in dem die Botschaft immer mehr und das Medium immer weniger im Brennpunkt des konzeptuellen und çkonomischen In- teresses steht, w chst auch der Stellenwert des geistigen Eigentums. Geistiges Eigentum ist die Rechtsform des Informationszeitalters. Wie die meisten Rechtsformen, so birgt auch unsere k nftige Rechtsform zum geistigen Ei- gentum Streitpunkte bei Fragen der Verteilung, der Ideologie und der Ef- fizienz. Sie wird sich auf Marktmacht, wirtschaftliche Konzentration und Sozialstrukturen auswirken. Dennoch gibt es zum geistigen Eigentum keine Politik, wie sie etwa beim Umweltschutz oder bei Steuerreformen existiert. Was fehlt, ist ein systematischer Themenkatalog, ein grobes Handlungssche- ma zu Kosten und Nutzen sowie eine funktionierende Koalitionspolitik von Gruppen, die – trotz ihrer scheinbar unterschiedlichen Probleme – ihre In- teressen gemeinsam wahrnehmen und verteidigen. Warum gibt es eine derartige Politik nicht? Ein Grund ist, dass sich das Interesse der Massenmedien am Informationszeitalter fast ausnahmslos auf das Thema »Cyberporn« und dessen mçgliche Zensur konzentriert hat. Das ist so, als s he man das Hauptmerkmal der industriellen Revolution erst in der Massenproduktion und dann in der Regulierung von Pornoheften. Ge- messen an der Reichweite der aktuellen Ver nderungen und dem relativ geringen Unterschied zwischen der Online-Pornographie und den sons- tigen Formen der Pornografie gibt es wohl nichts, was in puncto Trivialit t oder Symbolkraft an dieses Thema heranreicht. Nicht in der Kontrolle von Cybersmut [Sex im Internet], sondern in geistigem Eigentum liegt der Schl ssel zu Wohlstand, Macht und Zugangs- mçglichkeiten in der Informationsgesellschaft. Mit dem rechtlichen Rah- men des geistigen Eigentums steht und f llt die politische, wissenschaftliche, p dagogische und kulturelle Verheißung des Internets. Selbst wenn die Zen- sur unser einziges Anliegen w re, w re es doch pervers, sich allein auf das Eingreifen von Regierungen zu konzentrieren. Die digitale Welt verleiht der privaten Zensur plçtzlich eine neue Bedeutung – n mlich dort, wo Rechteinhaber geistigen Eigentums die Verbreitung von und den Zugang zu Informationen kontrollieren. Doch nicht nur die Medien haben den Anschluss verpasst; die Anw lte und Rechtswissenschaftler schneiden kaum besser ab. Von einigen Ausnah- men abgesehen, galt das geistige Eigentum unter Juristen meist als esoteri- sches und entr cktes Terrain, f r das allenfalls Praktiker auf diesem Gebiet etwas Interesse (und Verst ndnis) aufbringen konnten. Falls diese Haltung 22 Eine Politik des geistigen Eigentums: Umweltschutz f r das Internet? berhaupt je vertretbar war, so ist sie es heute sicher nicht mehr. Der Ideo- logie und rhetorischen Struktur nach und nicht weniger in der praktischen çkonomischen Wirkung, ist das geistige Eigentum die Rechtsform des In- formationszeitalters. Es ist der Bereich, in dem die wichtigsten informations- politischen Entscheidungen getroffen werden. Es wirkt sich sehr tiefgreifend auf die Verteilung der politischen und çkonomischen Macht in der digitalen Umwelt aus. Sein Einfluss reicht von der Bildung bis zur freien Meinungs- ußerung. Der »Wert«, der in der Weltwirtschaft als geistiges Eigentum ge- sch tzt (und gewissermaßen auch geschaffen) wird, bel uft sich auf mehrere hundert Milliarden Dollar, und er w chst stetig.2 2. Die Struktur der Informationsçkonomie In der heutigen Informationsçkonomie gibt es zwei wichtige Aspekte. Der erste besteht in der zunehmenden Homologisierung der Formen von Informa- tionen. Man denke an die vielen Situationen, in denen der Unterschied zwischen elektronischer und genetischer Information inzwischen kaum noch grçßer ist, als der zwischen einem roten und einem gr nen Buch. Bisher glaubten wir, die Genetik sei eine Sache der Biologie, der Tech- nologie der Testrçhrchen oder Reagenzien und einem Regulierungsbedarf bei Fragen der Bioethik oder des Umweltschutzes. Diese Vorstellung im- pliziert kaum einen Bezug zum Bereich der Software, der Informatik und Datenbanken. Doch gerade weil wir genetische Informationen und elektro- nische Informationen als Informationen begreifen (und die technischen Mçg- lichkeiten zur Nutzung dieser Begriffswelt haben), sind sowohl das Genom als auch der Cyberspace zum Gegenstand von Regulierung geworden, n m- lich im Rahmen des Datenschutzes, der Zugangsmçglichkeiten, der Prob- lematik gemeinfreier G ter und so weiter. Es gen gt, ein paar Begriffe zu ersetzen, und schon gelangt man von der Debatte ber das Sammeln und die wirtschaftliche Verwertung von persçnlichen Daten zur Debatte ber das Sammeln und die Verwertung der genetischen Informationen mit Hilfe des Humangenomprojektes. Wessen Persçnlichkeitsschutz steht hier auf dem Spiel? Wie kçnnten die Entscheidungen zu Lasten Einzelner aussehen, wenn die erhobenen Daten ein bestimmtes Muster aufzeigen? Wer hat Geld und Arbeit in die Erhebung investiert? Welche Rechte an geistigem Eigentum sind notwendig, um k nftige Forschungsarbeiten und Datenerhe- bungen zu ermçglichen? Wer hat unter welchen Bedingungen Zugang zu den Informationen? 23 James Boyle In einigen F llen sind die berschneidungen zwischen den Informations- formen wçrtlich zu nehmen. Genetische Informationen werden auf Festplatten gespeichert und mit Hilfe von »Genchips« nachgefertigt und erforscht.3 Doch die »Informations berschneidung« zeigt sich auch in der funktionalen hnlichkeit der Gesch ftsmodelle, mit denen sich ein Infor- mationsvorsprung ausbeuten l sst. Die, die Informationen beherrschen, ma- chen sie zu Geld und benutzen dabei Strategien, die einander in bemerkens- werter Weise hneln, unabh ngig davon, ob es sich bei der betreffenden Information etwa um die Gesch ftsberichte eines Unternehmens zur Vorlage bei der Bçrsenaufsichtsbehçrde oder die Genkarten des Humangenompro- jektes handelt. Bisweilen wirkt sich diese Homologie sogar auf die Grenzen unserer intellektuellen Raster aus. Ein Beispiel daf r ist die Bioinformatik, eine Disziplin, in der sich Mathematik, Biologie und Informatik unter der Pr misse vereinen, dass Information eben Information ist, ganz gleich ob das Medium nun eine Doppelhelix oder eine optische Platte ist. Welche Auswirkungen hat die Homologie aber auf unsere Kultur und die politische Debatte? Wir haben uns inzwischen an die Idee gewçhnt, dass Microsoft berall auf der Welt Rechte an den Codezeilen auf den Festplat- ten besitzt. Wir kçnnen gar eine utilitaristische Rechtfertigung liefern, mit der man begr nden kann, warum eine einzige Firma derartige Hoheitsrech- te besitzt. Weit befremdlicher ist die Vorstellung, dass Myriad Genetics eine Gensequenz patentieren ließ, die jede Frau im Land potentiell in sich tragen kann – das BRCA1, das so genannte Brustkrebsgen, oder dass das Handels- ministerium versucht hat, ein Patent auf das Erbgut einer Guyami-India- nerin zu erwirken, weil sie eine normabweichende Resistenz gegen ber Leuk mie hatte. Aus dem Blickwinkel der Informationsçkonomie liegen die beiden F lle jedoch sehr hnlich; im einen wie im anderen Fall unter- liegen die Codesequenzen dem Urheberrecht, das man aufgrund der An- nahme einr umte, mit diesem Schutzrecht ließen sich k nftige Innovatio- nen und Entdeckungen fçrdern. Dass dies berhaupt mçglich ist, obwohl die meisten Menschen ber ein potentielles Eigentum an menschlichem Erbgut schockiert sind, ist Beleg f r die zunehmende Universalit t der Logik der Informationsbeziehungen. (Ob es uns gut tut, unser genetisches Erbe schlicht als eine von vielen Informationssequenzen zu behandeln, steht auf einem anderen Blatt.) Soweit ich dies beurteilen kann, erf hrt der hier beschriebene Prozess der »Homologisierung« eine Beschleunigung; er steht wohl tats chlich als Me- tapher f r eine der interessantesten wissenschaftlichen Entwicklungen der letzten Jahre. In wissenschaftlichen Texten wurde ber die Mçglichkeit spe- kuliert, DNA-Sequenzen als unerhçrt leistungsf hige parallel arbeitende 24 Eine Politik des geistigen Eigentums: Umweltschutz f r das Internet? »Computer« einzusetzen. Umgekehrt haben auch Softwareentwickler elekt- ronische kosysteme geschaffen, in denen Sequenzen von Computercodes hnlich miteinander konkurrieren, wie Gene in der Natur. Die Codese- quenzen der Rechner m ssen sich bew hren und machen dabei einen Evo- lutions- und Ver nderungsprozess durch. Der Softwareingenieur beh lt nur die berlebenden Codesequenzen und macht sich eine »nat rliche« Auslese zunutze, die Darwin zwar akzeptiert haben kçnnte, sich aber niemals h tte tr umen lassen. Man stelle sich diese Beispiele nun gesammelt vor und vergleiche die daraus resultierende soziale und technologische »Realit t« mit der Vorstel- lung, die wir noch vor zwanzig Jahren von Computern auf der einen und der Biologie auf der anderen Seite hatten. In der internationalen Informa- tionsçkonomie liegt die Botschaft nicht im Medium. Das Medium ist irre- levant. Der zweite entscheidende Aspekt der Informationsçkonomie ist eine na- t rliche Folge der Angleichung der Informationsformen; es ist der sinkende Anteil der Produktkosten sowie die geringe intellektuelle Beachtung, die das Medium im Vergleich zur Botschaft erf hrt. […] Wie die Grenzkosten des Mediums sinken, erkennt man leicht anhand der Komponentenkosten in der Softwareentwicklung. Unter diese Kosten fallen sowohl Entwicklung als auch Sachkosten in der Produktion. Mit zunehmender Komplexit t der Programme steigen die Entwicklungskosten im Vergleich zum Preis der Disketten, auf die sie kopiert werden. Aus diesem Grund konzentrieren sich die Softwarehersteller weniger auf die Kontrolle des materiellen Ver- triebs als auf den Schutz des Inhalts. Durch diese Fokussierung auf den Inhalt gewinnt das geistige Eigentum im Informationszeitalter immer mehr an Bedeutung. 3. Die konzeptionelle Struktur einer geistigen Landnahme […] In unseren Denk- und Diskussionsstrukturen zum Schutz geistigen Eigentums haben wir eher die Tendenz zu bertreiben als zu untertreiben. Wir befinden uns mitten in einer geistigen Landnahme, in einer nie da ge- wesenen Privatisierung der Public Domain4. Ich will mich hier eher um eine Zusammenfassung als um eine Rechtfertigung dieser Behauptungen bem - hen. (Zur Veranschaulichung mag die folgende Tabelle dienen.) Eine der Wurzeln des Problems ist die Begrifflichkeit. Die çkonomische Analyse von Informationen ist mit inneren Widerspr chen und Unsicher- 25 James Boyle heiten behaftet; Informationen sind sowohl Komponenten des vollkom- menen Marktes, als auch Waren, die innerhalb dieses Marktes produziert werden m ssen. Entsprechend der ersten Charakterisierung ist der Markt vollkommen, d.h. Informationen kosten nichts und sind sofort verf g- bar. Entsprechend der zweiten Charakterisierung m ssen Informationen zum Handelsgut werden, das seinen Herstellern einen Produktionsanreiz verschafft.5 Doch all die Eigentumsrechte, deren Vergabe die Produktion von Informationen sichern soll, sind Transaktionskosten, wenn man sie aus der Perspektive der Markteffizienz betrachtet.6 Eine Eingrenzung des Problems, wie sie pr gnanter nicht sein kann, ent- stammt einem Artikel von Joseph Stiglitz und Sanford Grossman,7 zwei der profiliertesten Experten auf demGebiet der Informationsçkonomie: »Es gibt einen grunds tzlichen Konflikt zwischen der Effizienz, mit der der Markt Informationen verbreitet, und den Anreizen, Informationen zu erwerben.« Nicht immer, aber h ufig »lçsen« die Theoretiker das Problem durch Nicht- Tabelle 1: Spannungsfelder in einem System zum geistigen Eigentum Gegenstand Information Erfindung konomische Effizienz Anreiz Perspektive Paradigmatische Transaktionskosten Problematik çffent- Konzeption Beschr nkungen des licher G ter der Problematik freien Informationsflusses Inad quate Anreize f r f hren zur Hemmung die k nftige Produktion von Innovation und zu f hren zur Hemmung inad quater Verbreitung der Innovation und zu von Information inad quater Verbreitung von Information Lohn (falls zutreffend) Einsatz/Investition/ Originalit t/ f r … Risiko Transformation Sicht der Endliche Ressourcen f r Unendliche Ressourcen Public Domain k nftige kreative Geister f r kreative Geister Verst ndnis Entwicklung auf Schçpferische Arbeit des produktiven der Basis vorhandenen ex nihilo Prozesses Materials Normativer Freie Meinungs uße- Urheberrecht: »nat r- Ausgangspunkt rung/freie Verbreitung liches« Recht des kreati- von Ideen und Informa- ven Geistes; Lohn f r tionen vorherige Werke; Anreiz, Neues zu schaffen 26 Eine Politik des geistigen Eigentums: Umweltschutz f r das Internet? beachtung. Sie nehmen eine vortheoretische Einstufung vor, pflegen ein bestimmtes Problem auf das Gebiet der »Effizienzproblematik« oder »An- reizprobleme« zu verbannen und f hren die Diskussion dann auf dieser Grundlage weiter. So betrachten wir das Feld des geistigen Eigentums gern und mit grçßter Sensibilit t als Problem »çffentlicher G ter« und un- tersch tzen oder unterschlagen dabei die Effizienzkosten oder sonstigen Verluste durch gerade die Rechte, die wir einr umen. Eine andere Methode, die Spannungsfelder in der Analyse der Politik zum geistigen Eigentum klein zu reden, besteht darin, einzur umen, dass es ein Spannungsfeld zwischen Effizienz und Anreiz gibt […] und dann fest- zustellen, es sei ein optimales Gleichgewicht erreicht. (Das ist als w rde man sagen, wir glauben nicht an die berfischung, weil die Fischer ja manche Fische zur ck ins Meer werfen.) Ganz allgemein w rde ich behaupten, dass es eine Neigung zu der Ansicht gibt, geistiges Eigentum sei ein Bereich, auf den die Theorie »çffentliche G ter/Anreize« besser passt als die Theorie »Transaktionskosten/freier Informationsfluss«. Diese Tendenz allein kçnnte die Rhetorik und die Analyse bereits in Richtung expansiverer Eigentums- rechte treiben. Dieser Trend wird jedoch durch zwei weitere Faktoren ver- st rkt. Erstens reagieren die Gerichte traditionell weit weniger sensibel auf die First-Amendment-Artikel, das Recht auf freie Meinungs ußerung und an- dere »Argumente zum freien Informationsfluss«, wenn der Kontext eher privat als çffentlich ist oder es mehr um Besitz als um Zensur geht. So versagt der Oberste Gerichtshof der USA (Supreme Court) beispielsweise dem Staat die Anwendung eines Flaggenverbrennungsverbotes, r umt aber gern Ei- gentumsanspr che auf ein so allgemeines Wort wie »olympisch« ein und erlaubt die Aneignung dieses Wortes durch eine private Partei, die dann den çffentlichen Gebrauch des Wortes selektiv verbietet. Mit der R cken- deckung durch dieses staatlich gesponserte »Heimst ttengesetz f r die Eng- lische Sprache«8 hat das US-amerikanische Olympische Komitee (USOC) verf gt, dass die Behinderten zwar ihre »Paralympics« bekommen, aber die Schwulenbewegung keine »Gay Olympics« abhalten darf. Das Gericht sah die Entscheidung des USOC nicht als staatliche Zensur an, sondern als reine Wahrnehmung privater Eigentumsrechte. (Solchermaßen ermutigt, wandte der Pr sident des obersten US-Bundesgerichtes, Rehnquist, dasselbe Argu- ment auf die amerikanische Flagge an.) Zweitens wird ein Recht auf geistiges Eigentum nur f r das »urspr ng- liche« Werk gew hrt. Doch die Vorstellung vom origin ren Autor oder Erfinder wertet implizit die Bedeutung des Rohmaterials ab, mit dem jeder kreative Geist arbeitet – der rhetorische Fokus auf Originarit t f hrt der 27 James Boyle Tendenz nach zur Unterbewertung der Public Domain. Schließlich braucht ein Romanautor, der »sein Werk aus dem Nichts erschafft«, wie Paul Gold- stein es formuliert, keine reiche und fruchtbare Public Domain als Fundus.9 Die Ironie dabei ist, dass letztlich ein System, das dem großen kreativen Geist huldigt und ihn angeblich anspornen will, in Wirklichkeit den k nf- tigen Kreativen das Rohmaterial entzieht, das sie brauchen um ihr kleines St ck Innovation hervorzubringen. […] 4. Analogie zum Umweltschutz Nehmen wir einmal kurz an, wir br uchten eine Politik zum geistigen Ei- gentum. Nehmen wir weiter an, es g be besonderen Bedarf an einer Politik zum Schutz der Public Domain. Wie kçnnte eine solche Politik aussehen? Mir scheint, in vielerlei Hinsicht sind wir gerade in dem Stadium, in dem sich die amerikanische Umweltschutzbewegung in den 50er oder 60er Jah- ren des 20. Jahrhunderts befand. Damals gab es Menschen wie z.B. Unter- st tzer der Nationalparks, J ger und Vogelkundler, die f r das, was wir heute »Umweltthemen« nennen, eintraten. Im Bereich des geistigen Eigentums haben wir heute Gr nder von Softwarefirmen, Bibliotheken, Parodisten, Biografen, Biotechnologieforscher und dergleichen. In den 1950er Jahren kam es zu St rmen der Empçrung wegen Umweltkrisen, wie z.B. der Pla- nung von Staud mmen in Nationalparks. In den Jahren danach war die f- fentlichkeit dann ber brennende Fl sse und lverseuchung schockiert. Im Bereich des geistigen Eigentums gilt unsere Besorgnis heute den Praktiken, mit denen Microsoft angeblich seine marktbeherrschende Stellung ausnutzt, den ethischen L cken bei der Patentierung menschlichen Erbguts oder der Statthaftigkeit der Anwendung des Urheberrechtes zur Knebelung von Scientology-Kritikern. Was aber fehlt, sind zwei wichtige Dinge. Erstens, ein theoretischer Rahmen und Instrumente zur Analyse der Probleme. Zweitens, ein Bewusstsein f r das gemeinsame Interesse von scheinbar grundverschiedenen Gruppen, ein gemeinsames Interesse, das auch in tra- ditioneller Opposition stehende Gruppen zu einen vermag (z.B. J ger und Vogelbeobachter). Von welchen Instrumenten ist die Rede? Grob gesagt, wurde die Um- weltbewegung stark durch zwei Disziplinen beeinflusst. Die erste war die kologie, die Kenntnis all der fragilen, komplexen und unberechenbaren Wechselbeziehungen in lebenden Systemen. Die zweite war die Wohl- fahrtsçkonomie, die zutage fçrderte, wie M rkte die wirtschaftlichen Ak- 28 Eine Politik des geistigen Eigentums: Umweltschutz f r das Internet? teure manchmal dazu bringen, die Kosten ihres Handelns zu verkennen. In Kombination f hrten diese beiden Erkenntnisse dann zu einem tief greifen- den und beunruhigenden Schluss: M rkte bewirken immer, dass die wirt- schaftlichen Akteure die externen Kosten ihres Handelns verkennen, ins- besondere die von ihnen verursachten çkologischen Kosten. Dieser Mangel f hrt immer zur Stçrung oder Zerstçrung fragiler kosysteme und zwar mit unberechenbaren, h sslichen, gef hrlichen und vielleicht irreparablen Fol- gen. Diese beiden Arten der Analyse wiesen auf ein allgemeines Interesse am Umweltschutz hin und trugen daher zur Formierung einer großen W h- lerschaft bei, die entsprechende Bem hungen der Regierung unterst tzte. Wenn ein Entenj ger sich f r den Erhalt von Feuchtgebieten als Lebens- raum f r eine Spezies einsetzt, tr gt dies dar ber hinaus zur Eind mmung von Erosion und zum Erhalt der Wasserqualit t bei. Wenn man sich bei der Wahl des Brennstoffs zur Stromgewinnung eher f r Kohle als f r Gas ent- scheidet, so kçnnen sich die Auswirkungen auf alles, vom Wald- bis zum Fischbestand, erstrecken. Nat rlich w re es kurzsichtig zu glauben, die Umweltpolitik sei nur durch Ideen befl gelt gewesen und nicht auch durch unmittelbare Bed rf- nisse. William Ruckelshaus, ehemaliger Leiter der EPA (US-Umweltbehçr- de), beschrieb das mit den Worten: »Bei der Luftverschmutzung war es zum Beispiel so, dass sich die Leute aus Denver danach sehnten, wieder die Berge zu sehen. Ganz hnlich dann die Leute aus Los Angeles, sie wollten einander wieder sehen kçnnen.«10 Interessanterweise spielte hier, genau wie beim geistigen Eigentum, ein Wandel in der Kommunikationstechnologie eine Rolle: Mitte der 1960er Jahre verschwanden die Schwarzweißfernseher aus den Wohnzimmern und Farbfernseher kamen auf. Zwar sind erst einige der Auswirkungen, die das Fernsehen auf unser Leben hat, erforscht, doch f r die Umweltbewegung war es sicher ein Segen. Das gelbe Abwasser, das sich in einen blauen Fluss ergießt, hat auf dem Schwarzweißbildschirm nicht ann hernd den Effekt wie beim Farbfernseher; gleiches gilt f r braunen Smog vor blauem Himmel. Nichts desto trotz waren die Disziplinen kologie und Wohlfahrtsçko- nomie extrem wichtig f r die Umweltbewegung. Sie haben ihrem Forde- rungskatalog Substanz verliehen, ihre Rhetorik untermauert. Sie halfen den Vertretern der Umweltbelange auch, ein allgemeines Interesse wahrzuneh- men und wirksame politische B ndnisse zu schmieden. Ideen, die anfangs fern der çffentlichen Debatte mit unzug nglichen, wissenschaftlichen oder wirtschaftlichen Begriffen belegt waren, gelangten in den Mainstream ame- rikanischer Politik. Dieser Prozess war weder einfach, noch passierte er von selbst. Eine komplizierte Idee popul r zu machen, ist harte Arbeit. 29 James Boyle Es gab großartige B cher wie Der stumme Fr hling und A Sand County Al- manac, Fernsehdiskussionen, Dokumentarberichte zum Love Canal oder den kalifornischen Kelpw ldern, Kommentare in Zeitungen und weihevoll dozierende Experten im Fernsehen. Gruppen von Umweltsch tzern spiel- ten teils in schockierender, teils in gelassener Manier die entsprechenden Rollen, sei es durch die dramatischen Inszenierungen der Greenpeace-Pro- teste oder die gesetzte Seriosit t der Audubon-Gesellschaft. War einst die Vorstellung von »der Umwelt« (z.B. im Gegensatz zu »mein See«) ein reines Abstraktum, etwas das keinen Bestand haben konnte gegen ber dem kon- kretem Nutzen einer bestimmten Entwicklung, so wurde daraus schließlich ein Konzept, das durch die Kraft des Gesetzes und des çffentlichen Interesses gest tzt wurde. F r mich liegt in diesem historischen Abriss eine Strategie f r eine k nf- tige Politik zum geistigen Eigentum. Sowohl beim Umweltschutz als auch beim geistigen Eigentum birgt schon die Struktur der Entscheidungsprozes- se Auswirkungen, die in gesellschaftlicher Hinsicht nicht w nschenswert sind. Wenn in einer Demokratie Entscheidungen vorwiegend von einigen wenigen Beteiligten zum Nutzen einiger weniger Beteiligter gef llt wer- den, ist das schlecht, ganz gleich ob das nun Grundbesitzer oder Con- tent-Anbieter sind. Bereits anhand einer rudiment ren politologischen Ana- lyse oder der Public-Choice-Theorie l sst sich erkennen, dass die Demo- kratie versagt, wenn eine relativ kleine und klar bestimmbare Gruppe die Gewinne aus bestimmten Handlungen f r sich verbuchen kann, w hrend die insgesamt grçßeren Nachteile als geringf gige Auswirkungen auf eine grçßere, weniger koh rente Gruppe entfallen. Dieser Effekt verst rkt sich noch, wenn die Kosten f r Erkennung und Verhinderung desWandels hoch sind. Ein Beispiel mag dies erl utern. Man stelle sich die Kosten-Nutzen- Rechnung der Stromgewinnung vor, bei der als Nebeneffekt saurer Regen anf llt oder – wohl weniger schwerwiegend, doch der Form nach hnlich – die Kosten-Nutzen-Rechnung von retrospektiv verl ngerten Urheber- schutzfristen auf Werke, deren Schutzfrist bereits abgelaufen war und die der Public Domain wieder entzogen werden sollen. In beiden F llen reicht die eng gefasste »Analyse privaten Eigentums« nicht aus, um die tats chlich entstehenden Kosten darzustellen. In beiden F llen entfallen die Kosten der Handlung auf eine große Anzahl von Menschen, w hrend der Nutzen vor- wiegend einigen wenigen, leicht zu definierenden und gut organisierten Gruppen zugute kommt. Ganz offensichtlich w rden die Erben und Rechtsnachfolger von Autoren, deren Urheberschutz abgelaufen ist, davon profitieren, wenn der Kongress den Zaun um dieses St ck intellektueller 30 Eine Politik des geistigen Eigentums: Umweltschutz f r das Internet? Allmende wieder errichtete.11 Ganz klar gibt es aber auch bestimmte Kosten einer Verl ngerung der Schutzfrist, die beispielsweise zu Lasten der Bildung und çffentlichen Diskussion gehen. Doch auf den Einzelnen bezogen sind diese Kosten relativ gering und sie entfallen nicht auf eine klar definierte Gruppe von Beteiligten. Ferner gibt es noch Probleme, die kontext-spezifischer sind. Sowohl beim Umweltschutz als auch beim geistigen Eigentum werden die Themen als »fachspezifisch« betrachtet, dies hemmt tendenziell die Teilnahme der ffentlichkeit. In beiden Bereichen wird der Widerstand gegen eine expan- sionistische Auslegung der Rechte der Beteiligten manchmal als Kritik an Privateigentum abgetan. Bei Diskussionen um das geistige Eigentum taucht diese Behauptung h ufig auf, man belegt die F rsprecher der Public Domain dann gern mit Begriffen wie »Info-Kommunisten« oder »Feinde des freien Marktes« (letzteres ist ein h bsch ironisches Argument zugunsten eines staat- lich lizenzierten Monopols). Tats chlich belegt die R ckkehr zu einer nicht-positivistischen, die Rechteinhaber st tzenden Rechtssprechung des Supreme Courts wohl, dass diese Vorstellung noch sehr stark wirkt, so- gar im Bereich des Umweltschutzes. ber die Fehler in den Entscheidungsprozessen hinaus zeigen sich Fehler in unserem Verst ndnis dieser Themen. Die Umweltbewegung hat viel von ihrer berzeugungskraft gewonnen, indem sie verdeutlichte, dass es strukturelle Ursachen gab, die uns leicht zu umweltspezifischen Fehlent- scheidungen verleiteten: ein Rechtssystem, das auf einer speziellen Sicht von »Privateigentum« basierte, und ein Ingenieurwesen beziehungsweise wissenschaftliche Strukturen, die mit der Welt umgingen, als best nde sie aus einer einfachen linearen Verkn pfung von Ursache und Wirkung. In beiden Begriffssystemen tauchte die Umwelt nicht auf; sie hatte keinen Platz in der Analyse. Wen wundert es da, dass wir nicht viel f r ihren Erhalt getan haben. Meine Argumentation war, dass genau die gleichen Bedingungen auch f r das aktuelle System des geistigen Eigentums und das mangelnde Be- wusstsein f r die Public Domain zutreffen. Der Struktur nach tendiert unsere Debatte dazu, die Public Domain unterzubewerten, weil sie vers umt, den Akteuren wie auch der Gesellschaft als Ganzes bewusst zu machen, welche Verluste durch die Ausdehnung und Aus bung der Rechte an geistigem Eigentum entstehen. Die grundlegende Schwierigkeit einer çkonomischen Analyse von Informationsthemen, die Quellenblindheit eines eigentums- rechtlich orientierten Modells, das sich am »origin ren Autor« ausrichtet, sowie die politische Blindheit gegen ber der Bedeutung der Public Domain als Ganzes (nicht »mein See«, sondern »die Umwelt«), all dies zusammen 31 James Boyle f hrt zum Verschwinden der Public Domain, erst als Begriff, dann zuneh- mend auch in der Realit t. Mit meinen Ausf hrungen will ich zeigen, dass hinter der realpolitischen Landnahme durch Disney und den Wahlspenden der amerikanischen Plat- tenindustrie noch wichtigere Prozesse ablaufen. Doch der Glaube, man kçnne die hier beschriebenen Probleme einfach durch Feinkorrekturen an einer fehlgeleiteten Debatte ber das geistige Eigentum bereinigen, w re genauso falsch und kontraproduktiv. Mit Ideen allein ist das Problem nicht zu lçsen. Auch f r diesen Teil der Analyse finden sich bei der Umwelt- bewegung einige praktische Anregungen. Das Verst ndnis von konomie und Wohlfahrtsçkonomie war wichtig, doch es reichte nicht, Werke wie Stummer Fr hling oder den Sand County Almanac zu schreiben und zu glau- ben, nun w rde die Welt sich ndern. Die Umweltsch tzer machten An- leihen bei schon vorhandenen Naturschutzgedanken, zum Beispiel bei Werten wie Schçnheit oder Erholung, die von Wanderern, Campern oder Vogelbeobachtern hochgehalten wurden. Sie schufen Koalitionen zwischen Menschen, die von Umweltver nderungen potentiell betroffen sind. Sie haben dabei sogar, wenn auch sehr langsam, die Realit t des Um- weltrassismus12 entdeckt. Zumindest einige dieser Aspekte kçnnten wieder Eingang in die Politik zum geistigen Eigentum finden. […] Bei den Umweltproblemen konnte man einen Teil der Transaktionskosten f r Forschung und politische Maß- nahmen durch Einschaltung spezialisierter, çffentlicher oder privater Insti- tutionen berwinden. Mit meinen Steuerzahlungen unterst tze ich die Um- weltschutzbehçrde EPA oder mit meinen Spenden Greenpeace, in der Hoffnung, dass sie die Umweltprobleme richtig angehen. Bis vor kurzem gab es jedoch keine einzige çffentliche oder private Organisation, deren haupts chliches Ziel der Schutz und Erhalt der Public Domain gewesen w re.13 Wenn sich eine Schlussfolgerung aus der Analogie zum Umweltschutz ziehen l sst, so ist es die Notwendigkeit von reziproker Verkn pfung zwi- schen Analyse und Aktivismus. 5. Schlussfolgerung Der Begriff des Informationszeitalters erçffnet eine n tzliche und produk- tive Perspektive. Ich habe ausgef hrt, dass es eine homologisierende Ten- denz gibt, in deren Folge viele vormals getrennt voneinander wahrgenom- mene Themen nun einen Zusammenhang als Informationsthemen bilden. 32 Eine Politik des geistigen Eigentums: Umweltschutz f r das Internet? Dies geschieht in dem Maße, in dem sich Informationstechnologien und unser Begriff von »Information« in einer wechselseitigen Dynamik weiter- entwickeln. Da der Wert des »Inhalts« oder der »Botschaft« im Vergleich zu den verschwindend geringen Marginalkosten des Mediums steigt, gewinnt das geistige Eigentum zunehmend an Bedeutung. Doch trotz seiner erstaun- lichen çkonomischen Bedeutung und seines Einflusses auf alles, vom staat- lichen Erziehungswesen bis zum Eigentumsanspruch auf die eigenen Gene, nimmt das geistige Eigentum in der çffentlichen Debatte oder im politischen Verst ndnis nicht den ihm geb hrenden Raum ein. Anscheinend glauben wir, Inhalt der Politik zum Informationszeitalter sei es, den Kampf gegen die Zensur auch auf das Internet auszudehnen. Um der Entstehung und Verfestigung eines Regelwerks vorzubeugen, das von den grçßten Rechteinhabern geistigen Eigentums geschaffen und genutzt wird, brauchen wir eine Politik zum geistigen Eigentum. Mit dem R ckgriff auf die Analogie zur Umweltbewegung habe ich dargelegt, dass eine erfolgreiche politische Bewegung ein (çffentlichkeitswirksames) Instru- mentarium braucht, um das çffentliche Interesse aufzuzeigen, um das herum sich Koalitionen aufbauen lassen. So wie »die Umwelt« als Begriff buchst b- lich hinter der analytischen Struktur von privaten Eigentumsanspr chen, der vereinfachenden wissenschaftlichen Argumentation von »Ursache undWir- kung« verschwinden musste oder in M rkten unterging, die durch negative Externalit ten gepr gt waren, so verschwindet momentan auch die »Public Domain« begrifflich und real zugunsten eines Systems des geistigen Eigen- tums, das auf die Interessen der derzeitigen Interessenvertreter und die Idee des origin ren Autors zugeschnitten wurde. Die Umweltbewegung hat die Umwelt in einem ganz realen Sinne erfunden, so dass sowohl die Farmer als auch die Verbraucher, J ger und Vogelbeobachter sich alle als Um- weltsch tzer entdecken konnten. Womçglich m ssen wir die Public Domain erfinden, um die Koalitionen ins Leben zu rufen, die sie dann vielleicht sch tzen.14 Ist die Analogie der negativen Externalit ten bei umweltspezifischen und geistigen Eigentumsverh ltnissen also nur von rhetorischem oder strategi- schemWert? Wie schon beim Thema Umwelt, ist der çkonomische Ansatz sowohl effizient als auch subjektiv. Er ist effizient, weil wirtschaftliche Ar- gumente manchmal dort berzeugen, wo es eher freim tige moralische Ap- pelle nicht tun. Selbst bei rein instrumental-çkonomischer Analyse hat ein maximalistischer Schutz geistigen Eigentums noch tief greifende Negativ- effekte. Gerade als die Idee der Markt-Externalit ten die Menschen elekt- risierte und die Umweltdebatte zu beherrschen begann, betonten die Wis- senschaftler die çkonomische Unzul nglichkeit des aktuellen Rechtes zum 33 James Boyle geistigen Eigentum.15 Doch der Charme der çkonomischen Analyse lenkt von einer Gefahr ab. Die Probleme von Effizienz, Marktoligopolen und k nftigen Innovatio- nen sind sicherlich wichtig, doch es sind nicht die einzigen Probleme, die sich uns stellen. Vor fast f nfzig Jahren [sic!] formulierte Aldo Leopold dies schon sehr schl ssig und weit blickend in einer Passage mit der berschrift »Substitutes for a Land Ethic«: »Ein grunds tzlicher Schwachpunkt von Um- weltschutzsystemen, die sich g nzlich auf wirtschaftliche Motive st tzen, ist, dass die meisten Elemente der l ndlichen Lebensgemeinschaft keinen çko- nomischen Wert besitzen. […] Wenn eine dieser nicht-çkonomischen Ka- tegorien dann bedroht ist, wir sie aber zuf llig lieben, ersinnen wir Win- kelz ge, um ihnen wirtschaftliche Bedeutung zuzuschreiben. […] Es ist schmerzlich, diese Umschreibungen heutzutage zu lesen.«16 Im Kontext des geistigen Eigentums mag Leopolds Argumentation an Pr gnanz verlieren, obsolet ist sie aber nicht. Die sehr realen negativen wirt- schaftlichen Auswirkungen exzessiv angewandter Schutzrechte sind wohl kaum »Umschreibungen«. Hielte man Fakten durch ein sui generis Daten- bankrecht17 unter Verschluss, so w rde dies f r den Informationsfluss zum Markt eine wirtschaftlich kolossale Ineffizienz bedeuten und Forschung so- wie Innovation w rden gehemmt. Es gibt offensichtliche Probleme bei un- serem derzeitigen Umgang mit den »Quellen« genetischer Informationen. Viele der Vorschl ge zur »Reformierung« des Urheberrechtes im Internet kommen ber einen kurzsichtigen staatlichen Protektionismus f r alte Me- thoden zur Bereitstellung von Inhalten kaum hinaus. Also keine weiteren Umschreibungen. Doch Leopolds milde Kritik erinnert mich an die Gefah- ren, die eine zu starke Ann herung an Ausdrucksweisen birgt, die die Dinge, die uns sorgen, nur zum Teil beschreiben. Sicher, es st nde besser um unser System zum geistigen Eigentum, wenn wir uns mehr um die negativen Ex- ternalit ten k mmerten, die durch die Verleihung und Aus bung jedes neuen Urheberrechtes entstehen und uns nicht monomanisch auf die Pro- bleme im Zusammenhang mit Allmenden konzentrierten. Doch unser Be- m hen um Bildung und Verteilung von Wohlstand, Recht auf freie Mei- nungs ußerung und universellem Zugang zu Informationen kann in der Sprache der neoklassischen Preistheorie nie seinen vollen Ausdruck finden. Lassen Sie mich mit der Betrachtung von zwei speziellen Einw nden zu meiner These schließen. Erstens, dass meine Pr misse insgesamt schlicht falsch sei. Das geistige Eigentum sei nicht aus dem Gleichgewicht, die Public Domain nicht systematisch bedroht, die çkonomische Analyse entschieden und st tze klar die derzeitigen Regelungen, es g be auf nationaler und internationaler Ebene keine allgemeine Tendenz zur intellektuellen Land- 34 Eine Politik des geistigen Eigentums: Umweltschutz f r das Internet? nahme wie ich sie beschreibe oder, wo vorhanden, l gen wirklich gute Gr nde f r diese Tendenz vor. An anderer Stelle habe ich versucht, diese Behauptungen zu widerlegen, doch in gewisser Weise handelt es sich um eine akademische Frage. Selbst wenn ich Unrecht habe, folgt aus der Grund- idee einer demokratischen Rechenschaftspflicht f r die Verf gung ber ex- trem wertvolle Rechte wohl die Forderung nach einer wesentlich fundier- teren Politik zum geistigen Eigentum im Informationszeitalter. Wenn eine solche Rechenschaftspflicht best nde, dann m sste die Public Domain wohl systematischer diskutiert und verteidigt werden, als das bislang der Fall war. Der zweite Einwand ist grunds tzlicher. Wie kann ich nur die Politik zum geistigen Eigentum mit der Umweltpolitik vergleichen? Einige Kriti- ker meinen, der unterschiedliche Ernst der beiden Problemfelder raube der Analogie ihre berzeugungskraft. Schließlich bedrohen die Umweltproble- me die Biosph re und hier gehe es, nun ja, nur um geistiges Eigentum. Meine Antwort darauf lautet zun chst, dass dies eine Analogie ist. Mein Ver- gleich gilt eher der Form der Probleme als ihrer Tragweite. Trotzdem glau- be ich, dass diese Reaktion auch an der Unf higkeit liegt, sich der Bedeu- tung zu stellen, die das geistige Eigentum jetzt und in Zukunft in der Informationsgesellschaft hat. Immer wieder begegnet man der Ansicht, das sei eine fachspezifische Angelegenheit ohne ernsthafte Auswirkungen auf Mensch, Politik oder Fragen der Verteilung. Diese Ansicht ist einfach dumm. Wie ich versucht habe hier darzulegen, hat unser System zum geis- tigen Eigentum enorme Bedeutung f r Verteilungsgerechtigkeit, das Recht auf freie Meinungs ußerung und çffentliche Diskussion, Marktkonzent- ration, Forschung, Bildung, Bioethik … – diese Aufz hlung ließe sich be- liebig fortsetzen. Das geistige Eigentum ist wichtig. In unseren Entschei- dungsprozessen spiegelt sich dies jedoch nicht wider. Ganz im Gegenteil. Momentan gibt es eine leicht zu beschreibende Tendenz in der Welt des geistigen Eigentums; Rechte werden rasant ausgeweitet, unbehelligt von çffentlicher Kritik oder genauer Analyse. Man sollte aber nicht nur schwarzsehen. Es gibt gerichtliche und regu- latorische Entscheidungen, die die von mir aufgezeigten protektionistischen Tendenzen beschneiden. Durch die j ngsten Bem hungen um eine bessere Organisation des Internets und um die Thematik des Eigentums an Kultur- g tern, den Zugang zu Medikamenten und die gerechte Anwendung des Urheberrechtes wurde der Diskurs signifikant verbessert. Egal was kommt, der schiere Unfug des Datenbankabkommens hatte einen wunderbar mo- bilisierenden Effekt. Nichtsdestoweniger glaube ich, dass die aktuelle Situa- tion Wachsamkeit erfordert. Es w re eine Schande, wenn die grundlegen- den Regelungen zum Eigentumsrecht der Informationsçkonomie hinter 35 James Boyle unserem R cken getroffen w rden. Wir brauchen eine Politik – eine ana- lytisch und rhetorisch verfeinerte politische konomie zum geistigen Ei- gentum, und zwar jetzt. Anmerkungen 1 Die Anthologie, die hier gemeinhin zitiert wird, ist die Cyberpunk-Anthologie von Sterling (1988). 2 Vgl. Boyle (1996), S. 121, Doane (1994), S. 465 sowie Thurow (1997), S. 95. Ein Journalist notierte: »Fast die ganzen Jahre ist das Welthandelsaufkommen an physi- schen G tern gegen ber den unsichtbaren G tern gesunken. Der Export Japans besteht heute weniger aus Autos, die in die ganze Welt geliefert werden, als aus dem Geld und den Ideen, die der Herstellung der Autos dienen: Die Produktion findet zunehmend vor Ort statt. Selbst dort, wo G ter bewegt werden, kann der Akt des physischen Transfers allein aus elektronischen Signalen bestehen. Momentan werden Artikel wie Popvideos und CDs noch in physischer Form bewegt, obwohl der Wert kaum noch aus dem Artikel selbst, sondern zu 99 Prozent aus den auf den CDs oder Kassetten gespeicherten Informationen besteht. Doch bald wird sich der Verkauf nur noch als Transfer einiger digitaler Signale vollziehen und schl gt sich dann nicht mehr als Export, sondern als Lizenzgeb hr nieder. […] Die Bedeutung der physischen G ter am Welthandelsaufkommen wird in Zukunft sinken. Die ver- schiedenen Arten unsichtbarer Exportg ter wie Einnahmen aus Investitionen, Ver- g tungen f r Dienstleistungen oder Verg tungen f r geistiges Eigentum werden bald den Fluss der sichtbaren Exportg ter bersteigen«; vgl. McRae (1997). 3 Genchips werden aus DNA hergestellt, dem Stoff, aus dem die Gene sind. Und sie sind nicht entstanden, um Rechenoperationen auszuf hren, sondern um die turbu- lenten Informationsstrçme zu dechiffrieren, mit denen die Evolution das Erbgut von lebenden Organismen ausgestattet hat. Die Grundidee bei diesem Chip ist es, die Chemie des Lebens in eine statische Form umzuwandeln – so programmiert, dass man einzelne Gene damit beobachten kann. Die Chips sind keineswegs belebter Natur, obwohl sie aus DNA bestehen und mit der Codesequenz eines beliebigen Zielgenes programmiert sind. (Dass der Code vorab bekannt sein muss, ist oft kein ernsthaftes Hindernis mehr, da bereits viele Gensequenzen erforscht sind; das heißt, die Anordnung der chemischen Einheiten ist schon entschl sselt.) Vgl. dazu Wade (1997). 4 Anm. der Hrsg.: Als »Public Domain« wird im anglo-amerikanischen Recht die Gesamtheit des Wissens bezeichnet, das nicht dem Urheber- oder Patentrecht un- terliegt. So gelangen etwa Werke in die Public Domain, deren urheberrechtlicher Schutz abgelaufen ist. 5 Anm. der Hrsg.: Die Eigentumsrechte an Information verunmçglichen also den voll- kommenen Markt – Informationen sind nicht frei verf gbar. Die beiden Charak- terisierungen von Information stehen in einem inneren Widerspruch. 6 In meinem Buch untersuche ich, warum dieses Problem ungelçst bleibt, wenn man sich der Realit t der unvollkommenen M rkte zuwendet; vgl. Boyle (1996), S. 35–40. 7 Grossman/Stiglitz (1980). 8 Cohen (1935). 36 Eine Politik des geistigen Eigentums: Umweltschutz f r das Internet? 9 Goldstein (1991). 10 Ruckelhaus (1985). 11 Gleichwohl muss ich gestehen, dass es ber meinen Horizont geht zu verstehen, wie eine retrospektive oder gar ber den Tod hinaus wirksame Verl ngerung des Ur- heberschutzes mit der Idee vereinbar ist, derzufolge ein Recht auf geistiges Eigentum nur dann zu gew hren ist, wenn dadurch die Schaffung neuer Werke angeregt wird. Wenn man nicht gerade von Wahrsagerei oder Kommunikation mit dem Jenseits ausgeht, d rfte der Effekt gering sein. 12 Anm. der Hrsg.: Umweltrassismus (»environmental racism«) beschreibt eine Form der gesellschaftlichen Verteilung von Umweltbelastungen, die haupts chlich die Lebens- r ume von Minderheiten trifft. So wurden etwa in US-amerikanischen Studien deut- liche Zusammenh nge zwischen der Platzierung von Giftm lldeponien und der Hautfarbe der Anwohner entdeckt. 13 W hrend ich diesen Essay schrieb, wurde gerade die erste gemeinn tzige Organi- sation zum Schutz der çffentlichen Dom ne gegr ndet. Sie nahm ihre Lobbyarbeit zu einigen der hier genannten Themen auf: die Union for the Public Domain: [http://www.public-domain.org/] 14 Siehe die bahnbrechende Formulierung von Lange (1981), S. 171–78 zur Illustration, wie expandierende Anspr che auf geistiges Eigentum die individuellen und kollek- tiven Anspr che in der çffentlichen Dom ne verdr ngen. Ferner hat mich Jessica Litmans Arbeit zu diesem Thema beeinflusst. Vgl allgemein Litman (1994). 15 Dieser çkonomische Skeptizismus schafft eine Verbindung zwischen Arbeiten, die ansonsten eine ußerst unterschiedliche F rbung haben. Vgl. Breyer (1970), S. 291– 313 als eine fr he und elegante ußerung des Zweifels zur vernunftgem ßen Be- gr ndung des Urheberrechtes, mit Samuelson (1996) sowie Boyle (1996), der eine Diskussion zur Informationsçkonomie und ihrer Rolle in der çffentlichen Politik zur Informationsgesellschaft liefert. 16 Leopold (1949), S. 210. 17 Anm. der Hrsg.: Ein Datenbankrecht sui generis bedeutet, dass Datenbanken als eigenst ndige Schutzgegenst nde behandelt werden – zus tzlich zum urheberrecht- lichen Schutz der enthaltenen Daten. Literatur Boyle, James (1996): Shamans, Software, and Spleens: Law and the Construction of the Information Society, Cambridge/Mass. Breyer, Stephen (1970): The Uneasy Case for Copyright: A Study of Copyright in Books, Photocopies, and Computer Programs, in: Harvard Law Review 84, S. 281–355. Cohen, Felix S. (1935) Transcendental Nonsense and the Functional Approach, in: Columbia Law Review 35, S. 809–817. Doane, Michael L. (1994): TRIPS and International Intellectual Property Protecti- on in an Age of Advancing Technology, in: The American University Journal of International Law and Policy 9, S. 465–497. Goldstein, Paul (1991): Copyright, in: Journal of the Copyright Society of the U.S.A. 38, S. 109–110. 37 James Boyle Grossman, Sanford J./Stiglitz, Joseph E. (1980): On the Impossibility of Informa- tionally Efficient Markets, in: American Economic Review 70 (3), S. 393–408. Leopold, Aldo (1949): A Sand County Almanac, New York. Litman, Jessica (1994): The Exclusive Right to Read, in: Cardozo Arts & Enter- tainment Law Journal 13, S. 41–49. McRae, Hamish (1997): Here Come the Famous Five, in: Independent 14, Sep- tember 1997, S. 5. Ruckelshaus, William D. (1985): Environmental Protection: A Brief History of the Environmental Movement in America and the Implications Abroad, in: En- vironmental Law 15, S. 455–457. Samuelson, Pamela (1996): The Copyright Grab, in: Wired, Januar 1996, S. 134–36. Sterling, Bruce (1988): Spiegelschatten Cyberpunk-Anthologie, M nchen. Thurow, Lester C. (1997): Needed: A New System of Intellectual Property Rights, in: Harvard Business Review, Sept.-Okt. 1997, S. 95–103. Wade, Nicholas (1997): Meeting of Computers and Biology: The DNA Chip, in: New York Times v. 8. April 1997, S. C1. 38 II. Geschichte und Theorie Thomas Dreier und Georg Nolte Einf hrung in das Urheberrecht 1. Schçpferische Gedanken und Eigentumsrechte Als Albrecht D rer im Jahr 1520 zu seiner Reise in die Niederlande aufbrach, hatte er sich unter anderem vorgenommen, dort gegen Drucker und Ver- leger vorzugehen, die seine beraus popul ren Drucke und Stiche nach- druckten, ohne dazu die Erlaubnis zu haben und vor allem ohne daf r eine Verg tung zu zahlen. Großer Erfolg war ihm seinerzeit freilich nicht beschieden. Auch Hartmann Schedel suchte sich etwa um die gleiche Zeit schon im Vorfeld gegen Raubdrucke zu sch tzen und verpflichtete die K nstler, welche die Holzschnitte zu seiner »Weltchronik« anfertigten, zur T tigkeit im Verborgenen und zum Stillschweigen. Auch ihm hat das allerdings wenig genutzt. Ein Augsburger Drucker beeintr chtigte den Ab- satz des Originalwerks durch einen billigen Nachdruck ganz erheblich. Knapp dreihundert Jahre sp ter machten sich dann die seinerzeit f hrenden s chsischen Verleger am Bçrsenstandort Leipzig f r die Anerkennung der Unrechtm ßigkeit des unerlaubten B chernachdrucks stark. Hintergrund war ein Nord-S d-Gef lle zwischen der erfolgreichen norddeutschen pro- testantischen Literatur, die dem Geschmack des aufstrebenden B rgertums entsprach und f r welche die Verleger den Autoren recht hohe Honorare zahlten, auf der einen, und der immer weniger popul ren katholischen Er- bauungsliteratur s ddeutscher Verleger auf der anderen Seite. Angesichts die- ser ungleichgewichtigen Nachfrage hatten die s chsischen Verleger den zu- vor blichen B chertausch, bei dem die Verleger untereinander nur den Saldo in Geld ausglichen, eingestellt, worauf die s ddeutschen Verleger ih- rerseits begannen, die begehrte norddeutsche Literatur nachzudrucken. Die nachfolgende rechtsphilosophisch gef hrte Debatte begr ndete das Recht der Urheber und Verleger, gegen unautorisierte Nachdrucke vor- zugehen, im Wesentlichen naturrechtlich als ein Recht des Urhebers an seiner geistigen Schçpfung. Anders als das staatliche Privileg komme es ihm nicht erst durch den Akt staatlicher Verleihung zu, sondern stehe ihm von Anbeginn an als eigenes Recht zu und werde von staatlichen Ge- setzen lediglich anerkannt. Betonte man zun chst noch die Parallele zwi- schen geistiger, unkçrperlicher Schçpfung und dem Eigentumsrecht an kçr- 41 Thomas Dreier und Georg Nolte perlichen Sachen, so r ckte vor dem Hintergrund idealistischer Kunsttheo- rie nachfolgend die unverwechselbare Persçnlichkeit des Urhebers in den Mittelpunkt, als dessen unver ußerlicher Bestandteil das vom Urheber ver- fasste Werk angesehen wurde. Zugleich wurde seitdem deutlich zwischen dem Eigentum am materiellen Werkst ck auf der einen und dem Urheber- recht am geistigen Werk auf der anderen Seite unterschieden. Kçnnen ur- heberrechtlich gesch tzte Werke aber tats chlich jemandem »gehçren«? Heißt es nicht, Gedanken sind frei? Die Freiheit der Gedanken wird durch das ausschließliche Urheberrecht zwar ber hrt, jedoch nicht in ihrem Kern beeintr chtigt. Denn inhaltlich bleiben Gedanken auch unter demUrheber- rechtsgesetz frei. Lediglich die konkrete Form, in welcher der Urheber ei- nen bestimmten Gedanken zum Ausdruck gebracht hat, unterliegt seiner ausschließlichen Verf gungsgewalt und kann ohne dessen Zustimmung von Dritten nicht genutzt werden. Weitere Nutzungsmçglichkeiten erge- ben sich dort, wo das Gesetz aus bergeordneten Allgemeininteressen be- stimmte Nutzungshandlungen wie etwa das wçrtliche Zitat oder die Pri- vatkopie vom ausschließlichen Urheberschutz ausdr cklich freistellt. Im Weiteren bedeutete die Gew hrung eigener Rechte eine Loslçsung von der Vorzensur. Denn im Privilegienzeitalter seit dem ausgehenden 15. Jahr- hundert durfte berhaupt nur drucken, wer dazu die landesherrliche Erlaub- nis erhalten hatte. Die ab dem ausgehenden 18. Jahrhundert verabschiedeten Urheberrechtsgesetze wurden daher seinerzeit in einem doppeltem Sinn als moderne Freiheitsgarantien verstanden: zum einen sicherten sie den Urhe- bern ein Einkommen und ermçglichten den Verlegern die Amortisation ihrer Investitionen, zum anderen bedeuteten sie eine Lçsung von der Bevor- mundung durch staatliche Zensur. Aus historischer Perspektive betrachtet handelt es sich bei dem Urheber- recht um ein relativ junges rechtliches Konzept. Weder in der griechischen noch in der rçmischen Antike wurden geistige Leistungen rechtlich ge- sch tzt. Immerhin galt jedoch im antiken Rom das Abschreiben von an- deren Autoren als unehrenhaft, geistiger Diebstahl wurde – wenn auch nicht rechtlich – so jedenfalls gesellschaftlich verpçnt. Dennoch blieb den Urhe- bern bis ins Mittelalter nur eine Verfluchung der Raubkopierer, der so ge- nannte »B cherfluch«. So warnte etwa Eike von Repgow im Sachsenspiegel mit »Maselsucht und Hçlle« vor nderungen an seinem Werk. Erst mit der Erfindung des Buchdrucks und einhergehend der Massenverwertung geis- tiger Leistungen wurde das geistige Werk dann zum Objekt wirtschaftlicher Begierde. Auf der gedanklichen Grundlage, mit der die Unrechtm ßigkeit des B chernachdrucks begr ndet wurde, haben sich dann die heutigen Ur- heberrechtsgesetze entwickelt, beginnend mit dem englischen Statute of 42 Einf hrung in das Urheberrecht Anne aus dem Jahr 1709/10, ber die franzçsischen Revolutionsdekrete aus den Jahren 1791 und 1793 bis hin zu den heutigen nationalen und interna- tionalen Normen. Diese regeln heute zum einen noch immer die eher tra- ditionelle Verwertung von Werken der Literatur, Musik und Kunst im Wege des Vortrags, der Auff hrung und der Vorf hrung, der Vervielf lti- gung und der Verbreitung kçrperlicher Werkexemplare. Zum anderen re- geln sie die Verwertung urheberrechtlich gesch tzter Werke durch neue Kommunikationsmittel, einschließlich der Sendung und der Einstellung in digitalen Netzwerken. Damit regelt das Urheberrecht heute auch Fragen etwa der Zul ssigkeit des Austauschs durch das Urheberrecht gesch tzter Musikwerke und Filme in Peer-to-Peer (P2P) Filesharing-Netzen, derWei- terverwendung von in Datenbanken enthaltenen Dokumente in neuen In- formationsprodukten, des Wettbewerbs im Wege der Geheimhaltung oder Offenlegung von Schnittstelleninformationen und schließlich des Zugangs zu gespeichertem Wissen schlechthin. Das heutige Urheberrecht ist so zu einem ganz wesentlichen Baustein des Rechts der modernen Informations- und Wissensgesellschaft geworden. Schon vor Digitalisierung und Vernetzung war die volkswirtschaftliche Be- deutung des Urheberrechts beachtlich. Nationale Studien der sp ten 1970er und fr hen 1980er Jahre weisen einen Anteil von knapp 3 Prozent am je- weiligen Bruttoinlandsprodukt aus. Damit hatten die Urheberrechtsindus- trien traditionelle Wertschçpfungssektoren wie die Landwirtschaft oder auch die chemische Industrie schon damals berholt. Die Informations- gesellschaft hat diesen Anteil noch um einiges vergrçßert. 2. Recht des geistigen Eigentums Als Recht an unkçrperlichen – »immateriellen« – Werken ist das Urheber- recht Teil des Rechts des geistigen Eigentums (oder Immaterialg terrechts), dem auch das Patentrecht, das Markenrecht, das Gebrauchsmusterrecht und das Geschmacksmusterrecht sowie eine Reihe weiterer gewerblicher Schutzrechte angehçren. Verbindendes Merkmal all dieser Rechte ist, dass dem jeweiligen Inhaber von Gesetzes wegen die ausschließliche Befug- nis zugestanden wird, das gesch tzte Werk, die gesch tzte Erfindung oder die gesch tzte Marke zu benutzen, und zugleich Dritte von der Nutzung des gesch tzten Gegenstandes auszuschließen. Der Unterschied der einzelnen Rechte des geistigen Eigentums besteht in dem geistigen Gegenstand, der jeweils gesch tzt wird, wie auch im Um- 43 Thomas Dreier und Georg Nolte fang des gesetzlichen Schutzes. So sch tzt das Urheberrecht vor allem schçngeistige Schçpfungen. Das Geschmacksmusterrecht ist das Recht zum Schutz des Produktdesigns. Das Patentrecht und das Gebrauchsmus- terrecht hingegen dienen dem Schutz technischer Erfindungen. Das Mar- kenrecht wiederum sch tzt Marken und gesch ftliche Bezeichnungen hin- sichtlich ihrer Verwendung im gesch ftlichen Verkehr. Hinzuzurechnen sind im modernen Wirtschaftsverkehr noch das Namensrecht sowie das Recht am eigenen Bild, denen beiden kommerzialisierbare Bestandteile zu- kommen. Dabei sind die so genannte Registerrechte, bei denen das Schutz- recht nur dann entsteht, wenn die betreffende Erfindung, das Gebrauchs- oder Geschmacksmuster oder die Marke bei der zust ndigen Registerbehçr- de angemeldet und eingetragen ist, von denjenigen Schutzrechten zu un- terscheiden, die wie das Urheberrecht, das Namensrecht und das Recht am eigenen Bild formlos entstehen, zu deren Entstehung es mit anderenWorten keiner Anmeldung bedarf. Nun kçnnte leicht der Eindruck entstehen, der monopol hnliche Cha- rakter der Immaterialg terrechte beschr nke den Wettbewerb und mithin auch die Zugangsfreiheit zu den gesch tzten Werken. Das ist zumindest dort, wo ein bestimmtes Werk nicht ohne Weiteres durch ein anderes er- setzt werden kann, also in Situationen, in denen es an der Mçglichkeit einer Substituierung fehlt, nicht ganz von der Hand zu weisen. Dennoch dienen auch die Rechte des geistigen Eigentums durchaus einem funktionierenden Wettbewerb. Das hat damit zu tun, dass es sich bei immateriellen G tern um »çffentliche G ter« handelt, wie die konomen sagen. » ffentlich« deshalb, weil immaterielle G ter – eben anders als bei einem Apfel, den immer nur einer essen kann und dann ist der Apfel weg – gleichzeitig berall zug nglich sein kçnnen und ihre Nutzung durch einen Akteur die Nutzung durch ei- nen anderen nicht beschr nkt. Deshalb vermag sich auch niemand diese çffentlichen G ter allein anzueignen, und sie lassen sich daher in der Regel auch nicht auf einem Markt verwerten. Dies hat zur Folge, dass in çffent- liche G ter regelm ßig zu wenig investiert wird. Dadurch kommt es (theo- retisch) zu einer strukturellen Unterversorgung der Verbraucher. Eine Lçsung f r dieses Problem (so genannte »tragedy of the commons«) sind k nstliche Anreize zur Investition in die Schaffung und Verbreitung imma- terieller G ter durch den Staat. Einen solchen Anreiz bilden die ausschließ- lichen Rechte des geistigen Eigentums. Durch sie wird die ausschließliche Nutzungsmçglichkeit, die zun chst faktisch nicht besteht, zumindest mit rechtlichen Mitteln hergestellt. Dennoch bleiben auch die Zugangsinteressen der ffentlichkeit in ei- nem solchen System von Ausschließlichkeitsrechten nicht unber cksichtigt. 44 Einf hrung in das Urheberrecht So verpflichtet etwa das Patentrecht den Patentinhaber im Gegenzug zum Erhalt des Patents zur Offenlegung seiner Patentschrift. Auf diese Weise kann jedermann Einsicht in die patentierte Erfindung nehmen und auf dieser Grundlage weiterforschen. Zugleich sind die Ausschließlichkeitsrechte durch so genannte Schrankenbestimmungen begrenzt, durch die bestimmte Nutzungshandlungen, die im çffentlichen Interesse liegen, vom Verbots- recht des Schutzrechtsinhabers ausgenommen sind. Es handelt sich dabei insoweit um eine Parallele zur Sozialpflichtigkeit, wie sie f r das Eigentum an kçrperlichen Gegenst nden bekannt ist. Anders als das Sacheigentum sind die Immaterialg terrechte dann jedoch auch zeitlich in ihrer Wirkung be- schr nkt. Nach Ablauf der Schutzfrist kann sich jeder die zuvor patentrecht- lich gesch tzte Erfindung oder das urheberrechtlich gesch tzte Werk an- eignen, ohne dass er dazu den urspr nglichen Rechteinhaber um Erlaubnis fragen oder ihm f r die Nutzung eine Verg tung zahlen m sste. Aber selbst soweit das Gesetz dem Rechteinhaber die Befugnis zur aus- schließlichen Verwertung seines geistigen Schutzgegenstandes einr umt, geht es dem Rechteinhaber ja nicht darum, Dritte an der Verwertung und Nutzung der gesch tzten Erfindungen und Werke zu hindern. Das Interesse der Rechteinhaber zielt regelm ßig vielmehr darauf, dass ihre Er- findungen und Werke eine besonders weite Verbreitung erfahren. Dazu kçnnen sie ihre gesch tzten Werke und Erfindungen entweder selbst ver- werten oder Dritten eine Lizenz zur Verwertung erteilen. In beiden F llen werden die gesch tzten Gegenst nde der Allgemeinheit zug nglich ge- macht. Das Ausschließlichkeitsrecht sichert dem Rechteinhaber bzw. sei- nem Lizenznehmer also vor allem die von Dritten ungestçrte Auswertung. Auf diese Weise vermag der Erfinder oder Werkschçpfer seine Kosten f r Forschung und Entwicklung zu amortisieren. Der dar ber hinaus aufgrund der Ausschließlichkeit erzielbare Gewinn reizt berdies zur Schaffung neuer Erfindungen und Werke an, die dann wiederum den Verbrauchern zug ng- lich gemacht werden. Nutzt ein Rechteinhaber dennoch seine markt- beherrschende Stellung auf missbr uchliche Weise aus, so vermag schließ- lich das Kartellrecht zu helfen und gleichwohl den Zugang zu den von den Ausschließlichkeitsrechten gesch tzten Gegenst nden zu erçffnen. Freilich ließen sich Anreize auch auf andere Weise setzen. Zu denken ist im Bereich des kreativen Schaffens etwa an das M zenatentum, wie es von F rsten und der Kirche in der Renaissance praktiziert wurde und erst durch die b rgerliche Malerei der Niederlande im 17. Jahrhundert im Zuge der Entsakralisierung der Malerei abgelçst wurde. Auch an Versuchen einer staatlichen Subventionierung des k nstlerischen Schaffens hat es nicht ge- fehlt, doch haben sich beide Ans tze in der modernen Massengesellschaft 45 Thomas Dreier und Georg Nolte bislang als unzureichend erwiesen. Eine zumindest auf den ersten Blick in- teressante alternative Strategie stellt hingegen die »Open Content»-Bewe- gung dar. Hier werden Inhalte rechte- und kostenfrei zur Verf gung gestellt und die Anreize von außerhalb des Urheberrechts bezogen. Darauf wird noch zur ckzukommen sein. 3. Das geltende deutsche Urheberrechtsgesetz Auch wenn man im Zeitalter des Internets etwas anderes vermuten kçnnte, ist das Urheberrecht doch nach wie vor eine Sache der einzelnen nationalen Gesetzgeber. Es gibt also kein Welturheberrecht. Auch innerhalb der EU existiert kein gemeinschaftsweites Urheberrecht, sondern allein eine Viel- zahl nationaler Gesetze. Im Hinblick auf den GemeinsamenMarkt sind diese jedoch in wesentlichen Teilen durch Richtlinien harmonisiert. EU-B rger m ssen in Deutschland wie Inl nder behandelt werden. Im brigen genie- ßen Ausl nder im Inland aufgrund internationaler Konventionen den glei- chen Schutz wie Inl nder sowie einen durch die Konventionen festgelegen Mindestschutz. Diese Konventionen sind insbesondere die Berner berein- kunft und das Abkommen ber handelsbezogene Aspekte der Rechte des geistigen Eigentums ( bereinkommen ber handelsbezogene Aspekte des Geistigen Eigentums, TRIPS) im Rahmen des Welthandelsabkommens.1 Mit der digitalen Problematik befassen sich der WIPO Copyright Treaty (WCT) und der WIPO Performers and Phonograms Treaty (WPPT). Gro- ße Unterschiede zwischen den Rechtsordnungen der einzelnen Staaten be- stehen schließlich in der Frage, welches Gericht bei grenz berschreitenden Sachverhalten zust ndig ist und nach dem Recht welchen Staates ein kon- kreter grenz berschreitender Streitfall beurteilt wird. Lediglich innerhalb der EG hat die Europ ische Gerichtsstands- und Vollstreckungsverordnung (EuGVVO) die Frage der Zust ndigkeit und Vollstreckung ausl ndischer Urteile vereinheitlicht. Betrachtet man nun das geltende deutsche Urheberrechts aus dem Jahr 1965 (UrhG), so sch tzt es sowohl die Urheber als auch diejenigen, die als aus bende K nstler oder aufgrund ihrer kaufm nnisch-organisatorischen T tigkeit etwa als Tontr gerhersteller, Sendeunternehmen und Filmherstel- ler zum Kulturschaffen beitragen (Inhaber so genannter Nachbarrechte). Ein solches Nachbarrecht genießen im deutschen Urheberrechtsgesetz im Wei- teren auch die Verfasser wissenschaftlicher Schriften, die Herausgeber nach- gelassener Werke, Fotografen f r ihre nicht schon urheberrechtlich ge- 46 Einf hrung in das Urheberrecht sch tzten, wenig schçpferischen Fotos, und neuerdings auch die Hersteller von Datenbanken, die mit ihren Investitionen gesch tzt werden, die sie zur Erstellung der Datenbank aufgewandt haben. Anders als das Eigentum an kçrperlichen Sachen ist das Urheberrecht zeitlich nicht unbeschr nkt. Die Dauer des urheberrechtlichen Schutzes be- tr gt seit einer Harmonisierung innerhalb der EU im Jahre 1995, der sich brigens auch die USA angeschlossen haben, 70 Jahre nach dem Tod des – letzten berlebenden – Urhebers. Weltweit gilt ansonsten in der Regel je- doch eine nur 50-j hrige Schutzfrist. Inhaber von Nachbarrechten genießen Schutz hingegen zumeist nur 50 Jahre nach erster Verçffentlichung bzw. erster çffentlicher Wiedergabe des betreffenden Schutzgegenstandes. Nach Ablauf der Schutzfrist wird der gesch tzte Gegenstand gemeinfrei, das heißt, er kann ohne Zustimmung des seinerzeitigen Urhebers oder sons- tigen Rechteinhabers verg tungsfrei benutzt und auch bearbeitet werden. berlegungen, die Nutzung f r eine weitere begrenzte Zeit geb hren- pflichtig zu machen, um mit den auf diese Weise eingenommenen Geldern junge K nstler zu fçrdern (so genannter »Goethegroschen«), sind zwar im- mer wieder in der nationalen und teils auch internationalen Diskussion, ha- ben sich bislang jedoch nicht durchsetzen kçnnen. Zu den vom Urheberrecht gesch tzten Werken gehçren neben den tra- ditionellen Gattungen von Literatur, Musik, Foto und Film inzwischen auch Computerprogramme und Datenbanken. Der Katalog ist nicht abschlie- ßend. F r die Schutzf higkeit entscheidend ist vielmehr, dass es sich um eine so genannte »persçnlich geistige Schçpfung« handelt. Absolute Neuheit ist dazu nicht erforderlich, es reicht aus, dass sich ein Werk hinreichend vom vorbekannten Formenschatz abhebt (so genannte Schçpfungshçhe oder Originalit t). Die Entscheidung dar ber obliegt den Gerichten in jedem Einzelfall. Gesch tzt ist vor allem die Form eines Werkes, nicht hingegen die Idee oder etwa ein bestimmter Stil. Zwar kçnnen auch inhaltliche Ele- mente den Schutz begr nden, doch d rfen Elemente, die der Allgemeinheit f r weiteres Schaffen zug nglich bleiben m ssen, nicht monopolisiert wer- den.Weiterhin ist, wie bereits erl utert, zwischen dem gesch tzten geistigen Werk zum einen und dem kçrperlichen Gegenstand (zum Beispiel einem Buch), das dieses verkçrpert, zum anderen zu unterscheiden. Urheber ist grunds tzlich der Schçpfer des Werkes (§ 7 UrhG), nach deutscher Vorstellung also immer eine nat rliche Person. Juristische Per- sonen, auch Arbeit- und Auftraggeber, kçnnen daher allenfalls vom ur- spr nglichen Schçpfer abgeleitete Nutzungsrechte innehaben. Das gilt grunds tzlich auch in Arbeits- und Dienstverh ltnissen, wenngleich das Ge- setz den Erwerb von Nutzungsrechten durch den Arbeit- oder Dienstgeber 47 Thomas Dreier und Georg Nolte – insbesondere bei Computerprogrammen – auch erleichtert. Lediglich die genannten Nachbarrechte f r die Erbringer kaufm nnisch-organisatorischer bzw. investitionsintensiver Leistungen kçnnen sowohl nat rlichen wie ju- ristischen Personen zustehen. Sind mehrere Urheber an der Schçpfung eines Werkes beteiligt und lassen sich deren Anteile am gemeinsamen Werk nicht gesondert vertreten, so sind die Schçpfer Miturheber an dem einen, gemein- sam geschaffenenWerk (§ 8 UrhG). Werden mehrere, zun chst unabh ngig voneinander geschaffene Werke zur gemeinsamen Auswertung verbunden, so greift dagegen § 9 UrhG, und f r Filmwerke enthalten die §§ 88, 89 UrhG Sonderregelungen, die den Filmproduzenten die Herstellung und Auswertung des fertigen Filmes ermçglichen sollen. Kern des urheberrechtlichen Schutzes sind dann zum einen die persçn- lichkeitsrechtlichen Belange des Urhebers, insbesondere also das Verçffent- lichungs-, das Namensnennungs- und das Recht auf Werkintegrit t (§§ 12–14 UrhG). Auf diese Rechte kçnnen Urheber zumindest in ihrem Kern zwar nicht g nzlich verzichten, doch sind die ideellen Belange der Urheber regelm ßig mit den legitimen Interessen der Werknutzer abzuw - gen. Zum anderen werden die vermçgensrechtlichen Interessen der Urhe- ber durch die Ausschließlichkeitsrechte gesch tzt. Diese umfassen die kçr- perliche wie die unkçrperliche Verwertung (§ 15 Abs. 1 und 2 UrhG). Mit dem Recht der Vervielf ltigung (§ 16 UrhG), Verbreitung (§ 17 UrhG), Sendung (§ 20 UrhG) und jeder çffentlichen Wiedergabe (§§ 19, 20 und 21 UrhG) einschließlich der Zurverf gungstellung seiner Werke zum Abruf im Netz (§ 19a UrhG) kommt dem Urheber damit eine umfassende recht- liche Kontrollmçglichkeit zu. Zul ssig ist von einigen Ausnahmen abge- sehen zwar die Anfertigung einer Bearbeitung, doch bedarf deren Verwer- tung ebenfalls der Zustimmung des Urhebers (§ 23 UrhG) unabh ngig davon, dass die Bearbeitung selbst wiederum – wie etwa die bersetzung eines Romans – ein urheberrechtlich schutzf higes Werk darstellen mag. Im schutzfreien Raum bewegt sich ein Schçpfer erst dann, wenn er sich von fremden Werken lediglich inspirieren l sst, und wenn bei einer Anlehnung an zuvor bestehende Werke deren Z ge im neuen Werk verblassen (so ge- nannte freie Benutzung, § 24 UrhG). Der ausschließliche Schutz ist, wie oben unter Ziff. 2 bereits ausgef hrt, freilich nicht grenzenlos. Neben der bereits genannten zeitlichen Beschr n- kung und der Zul ssigkeit der freien Benutzung sind die Ausschließlichkeits- befugnisse des Urhebers mit R cksicht auf sonstige Allgemeininteressen zum Beispiel der freien Berichterstattung, der geistigen Auseinandersetzung, der Rechtspflege und çffentlichen Sicherheit durch so genannte Schranken- bestimmungen beschr nkt (§§ 44a ff. UrhG). Die Schranken kçnnen eine 48 Einf hrung in das Urheberrecht bestimmte Nutzung erlaubnis- und verg tungsfrei stellen (so etwa die Schranken der Berichterstattung und des Zitatrechts), oder aber die Erlaub- nispflicht beseitigen und den Rechteinhabern dennoch einen Verg tungs- anspruch belassen. Letztere Lçsung w hlt der Gesetzgeber vor allem in F llen des Marktversagens; ein Beispiel hierf r ist die Leerkassetten-, Ger te- und Betreiberabgabe (§§ 54 ff. UrhG) als Ausgleich f r die zul ssige Vervielf lti- gung zum privaten Gebrauch (so genannte Privatkopie). Da sie die Fein- abstimmung zwischen Ausschließlichkeitsrechten der Rechteinhaber und Zugangs- und Nutzungsinteressen der Nutzer vornehmen, kommt den ur- heberrechtlichen Schrankenbestimmungen eine entscheidende Rolle zu. Hier entscheidet sich letztlich, was im Einzelnen zul ssig ist und was nicht oder zumindest nicht ohne Zahlung einer angemessenen Verg tung. Aller- dings sind hierbei sowohl der Gesetzgeber als auch die Gerichte in ihrem Handlungs- und Entscheidungsspielraum nicht g nzlich frei. Denn die Rechtsordnung erachtet das Urheberrecht f r so wichtig, dass es durch die Eigentumsgarantie der Verfassung (Art. 14 GG) gesch tzt ist. Dagegen kann sich der Endnutzer auf kein vergleichbares Grundrecht berufen. Zu seinen Gunsten wirken lediglich mittelbar die Grundrechte der Freiheit von Forschung, Wissenschaft und Kunst (Art. 5 GG) sowie das Grundrecht der Informationsfreiheit (Art. 10 EMRK). Zwar unterliegt das Eigentum der Sozialbindung, doch hat der Gesetzgeber nach der Rechtsprechung des Bun- desverfassungsgerichts daf r zu sorgen, dass der Urheber grunds tzlich an den Ertr gen aus der Verwertung seiner Werke beteiligt wird. Das hat zum einen zur Folge, dass der Gesetzgeber den Umfang des urheberrechtlichen Schutzes in den letzten Jahrzehnten zunehmend erweitert hat, in dem rechtspoliti- schen Glauben, nur ein starker Schutz sei besonders innovationsfçrdernd. Zum anderen sind auch die Gerichte zur ckhaltend, wenn es darauf an- kommt, Schrankenbestimmungen erweiternd auszulegen. Eine weitere Ein- schr nkung ergibt sich aus internationalem Recht. Danach haben sowohl der nationale Gesetzgeber wie auch die nationalen Gerichte zu ber cksichtigen, dass Schrankenbestimmungen nach dem so genannten Dreistufentest (Art. 13 TRIPS, und bereits f r das Vervielf ltigungsrecht Art. 9 Abs. 2 RB ) auf bestimmte Sonderf lle beschr nkt sein m ssen, die weder die normale Ver- wertung der Werke beeintr chtigen, noch die berechtigten Interessen der Urheber unzumutbar verletzen d rfen. Im Weiteren enth lt das UrhG eine Reihe von Bestimmungen ber die Einr umung und bertragung von Nutzungsrechten (§§ 31 ff. UrhG). In der Praxis wird dies zumeist als Lizenzeinr umung bezeichnet. Solche Li- zenzen kçnnen exklusiv oder nichtexklusiv erteilt werden. Sie kçnnen zeit- lich, inhaltlich und im internationalen Bereich – innerhalb der EU allerdings 49 Thomas Dreier und Georg Nolte mit gewissen Einschr nkungen – auch r umlich beschr nkt vergeben wer- den. Die Rechte dienen insoweit einer Steuerung der Verwertung zumeist mit dem Ziel der Maximierung des Verwertungserlçses. So kann der Ur- heber die bersetzungsrechte an seinem Werk nach L ndern getrennt ver- geben und auch dies wiederum nach Hardcover- und nach Taschenbuch- ausgaben, oder der Filmproduzent seinen Film zun chst im Kino zeigen, ihn dann in Form von Kauf-DVDs anbieten, ehe er ihn f r das Pay-TV, Miet- kassetten und schließlich das Free-TV anbietet. Die meisten der gesetzlichen Bestimmungen sind jedoch – wie insbesondere die im Verlagsgesetz von 1901 enthaltenen Bestimmungen – dispositiver Natur, sie kçnnen also im Wege vertraglicher Vereinbarung abge ndert werden. Einige wenige Vorschriften zum Schutz der Urheber gegen ber den Verlegern und Pro- duzenten ihrer Werke sind jedoch unabdingbar. Dazu z hlen vor allem die Unwirksamkeit der bertragung von Nutzungsrechten in Bezug auf solche Nutzungsarten, die zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses technisch neu und in ihrem wirtschaftlichen Potential unbekannt waren (§ 31 Abs. 4 UrhG). In solchen F llen (etwa Fernsehen gegen ber Film; Video gegen ber Fernse- hen und digitale Nutzung gegen ber Videonutzung) ist also selbst dann nachzulizenzieren, wenn dem Produzenten im urspr nglichen Vertrag alle Rechte f r die Gesamtlaufzeit des Urhebers bertragen werden sollten. Aufgrund des Gesetzes zur St rkung der vertraglichen Stellung von Urhe- bern und aus benden K nstlern aus dem Jahr 2002 kçnnen Urheber auf ihre Anspr che auf eine angemessene Verg tung wie auch auf den Nachforde- rungsanspruch bei unerwartetem Erfolg des Werkes vertraglich nicht ver- zichten (§§ 32, 32a und 32b UrhG). Eine gewisse Schutzfunktion enth lt auch die so genannte Zweck bertragungsregel, nach der ein Produzent vom Urheber Rechte nur in dem Umfang erwirbt, wie er sie f r die Zwecke der vertraglich anvisierten Verwertung auch tats chlich bençtigt. Will der Pro- duzent mehr Rechte – also etwa ein Verleger ber das Verlagsrecht hinaus auch die Verfilmungsrechte – so ist dies im Vertrag ausdr cklich festzuhalten (§ 31 Abs. 5 UrhG). Wo eine individuelle Rechtswahrnehmung ausscheidet, werden die Rechte einer Vielzahl von Urhebern f r eine Vielzahl von Nut- zungen kollektiv durch so genannte Verwertungsgesellschaften wahrgenom- men, deren bekannteste in Deutschland die GEMA ist. Angesichts ihrer rechtlich anerkannten faktischenMonopolstellung unterliegen Verwertungs- gesellschaften einem Wahrnehmungs- und Kontrahierungszwang, das heißt sie sind verpflichtet, die Rechte der Urheber wahrzunehmen, wenn diese das w nschen, und sie m ssen zugleich jedem Nutzer die Rechte einr umen, der die von der Verwertungsgesellschaft geforderte Verg tung zu zahlen be- reit ist. Dar ber hinaus unterstehen die Verwertungsgesellschaften der Auf- 50 Einf hrung in das Urheberrecht sicht durch das Deutsche Patent- und Markenamt (DPMA). Bei Streit ber Nutzungsbedingungen und die von den Verwertungsgesellschaften geforder- ten Tarife entscheiden die Gerichte; schon zuvor kann der Verwerter mit der Nutzung beginnen, wenn er die geforderte Verg tung hinterlegt. Wer ein fremdes Werk oder eine fremde gesch tzte Leistung verwertet, ohne hierzu die Erlaubnis des Rechteinhabers zu haben (das schließt den Fall einer Nutzung ein, die den Umfang der vertraglichen Nutzungsbefugnis berschreitet) oder ohne hierzu durch eine Schrankenbestimmung gedeckt zu sein, der verletzt die fremden Urheberrechte. Der Rechteinhaber kann den Verletzer dann zum einen auf Unterlassung verklagen und die Besei- tigung verletzender Exemplare verlangen. Insoweit haftet auch der Betriebs- inhaber persçnlich. Die Anspr che auf Unterlassung und Beseitigung setzen kein Verschulden voraus. Auch ein etwaiger guter Glaube sch tzt den Ver- letzer fremder Rechte nicht vor der Haftung. Daher ist jeder Nutzer zur sorgf ltigen Pr fung der Rechtekette verpflichtet, aus der er seine eigene Berechtigung ableitet. Gegen ber Anspr chen Dritter sichern sich Verwer- ter in der Praxis regelm ßig durch so genannte Freistellungsklauseln ab, das heißt derjenige, der Rechte bertr gt, verpflichtet sich, f r etwaige Sch den aufzukommen, die demNutzer aus der Inanspruchnahme durch den wahren Rechteinhaber entstehen. Da konkrete Einbußen und ein verletzungs- bedingt entgangener Gewinn nur in seltenen F llen nachweisbar sind, kommt in der Praxis regelm ßig die so genannte Lizenzanalogie in Betracht, das heißt der Verletzer hat den Betrag zu zahlen, den er als ordnungsgem ßer Lizenznehmer f r die Nutzung h tte zahlen m ssen. Ein dar ber hinaus gehender Strafzuschlag ist von der Rechtsprechung zwar f r die Verletzung von Persçnlichkeitsrechten durch Massenmedien, noch nicht jedoch f r Urheberrechtsverletzungen anerkannt. Bei der Verletzung ideeller Interes- sen kommt auch ein Schadensersatz f r den Schaden in Betracht, der nicht vermçgensrechtlicher Natur ist (§ 97 Abs. 2 UrhG). Ohne Verschulden he- rauszugeben ist weiterhin die so genannte Bereicherung, also dasjenige, was der Verletzer durch die rechtswidrige Verwertung erlangt hat (§ 97 Abs. 3 UrhG i.V.m. §§ 812 ff. BGB). In der Regel ist auch das der Betrag, der f r eine ordnungsgem ße Benutzung des betreffenden gesch tzten Werkes normalerweise gezahlt wird. Bei Verschulden hat der Verletzer Schadens- ersatz zu leisten (§ 97 Abs. 1 UrhG). Schließlich sieht das UrhG Mçglich- keiten der Grenzbeschlagnahme verletzender Waren (§ 101b UrhG) und Auskunftsanspr che (§ 101a UrhG) sowie allgemeine Auskunftsanspr che vor. Die strafrechtliche Sanktionierung von Urheberrechtsverletzungen (§§ 106 ff. UrhG) spielt in der Praxis jedoch allenfalls in F llen gewerbsm ßi- ger Verletzung (so genannte Piraterie) eine Rolle. 51 Thomas Dreier und Georg Nolte Im Zuge der Umsetzung der EU-Richtlinie 2001/29/EG zumUrheber- recht in der Informationsgesellschaft durch das Gesetz zur Regelung des Urheberrechts in der Informationsgesellschaft vom 10.9.20032 gew hrt das UrhG jetzt berdies einen rechtlichen Schutz technischer Schutzmecha- nismen gegen deren unbefugte Umgehung. Zugleich besteht ein Schutz gegen die Entfernung oder auch nur Ver nderung von Informationen, die f r die Rechtewahrnehmung erforderlich sind (§§ 95a ff. UrhG).3 Le- diglich f r Computerprogramme besteht aus historischen Gr nden einst- weilen eine allerdings in wesentlichen Z gen vergleichbare Sonderregelung (§ 69 f Abs. 2 UrhG). 4. Gr nde f r den urheberrechtlichen Schutz In recht hnlicher Form hat das deutsche Urheberrechtsgesetz bereits seit der Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert bestanden. Das jetzige Gesetz hat in den rund f nfzig Jahren seines Bestehens lediglich punktuelle nderungen erfahren, um auf die technische Entwicklung der Vervielf ltigungs- und Kommunikationstechnologien zu reagieren. Das Urheberrecht hat dabei bislang weniger gestaltend gewirkt als vielmehr auf die Herausforderungen durch die neuen Technologien – genauer auf die wirtschaftlichen nderun- gen, zu denen die technischen Neuerungen gef hrt haben – reagiert. So konnten bislang alle neuen Technologien im Grunde recht problemlos ins Urheberrecht integriert werden, von den ersten Musikwalzen ber die Schallplatte und den Film bis hin zum Fernsehen. Im Großen und Gan- zen hat das Urheberrecht diese Aufgaben sowohl auf nationaler, als auch auf europ ischer und auf internationaler Ebene recht gut bew ltigt. Aus historischer R ckschau hat dann jedoch ein Paradigmenwechsel da- durch stattgefunden, dass mit dem Tonband, sp ter auch demVideorecorder und dem Fotokopierger t erstmals der Endnutzer in die Lage versetzt wurde, das Werkexemplar, das er zum Werkgenuss bençtigt, selbst herzustellen. Digitalisierung und Vernetzung haben diese Mçglichkeit letztlich nur in einem zuvor nicht gekannten Ausmaß vergrçßert, beschleunigt und urhe- berrechtlich gesch tzte Werke und Leistungen auch auf Distanz hin prob- lemlos verf gbar gemacht. Damit ger t nicht nur die wirtschaftliche Grundlage der Herstellung von Werken und Leistungen durcheinander, sondern es wandeln sich auch traditionelle Vertriebswege, wie etwa derje- nige ber den Buchhandel durch digitale Privatkopien, Print-on-Demand oder schlicht das Angebot von Werken online. Auch die Aufgaben der 52 Einf hrung in das Urheberrecht Bibliotheken, die im 19. Jahrhundert zur Schließung von Versorgungs- l cken aufgebaut wurden, ndern sich grundlegend, tritt doch die Biblio- thek mit ihrem Onlineangebot zunehmend in direkte Konkurrenz zu den Verlegern der in der Bibliothek vorr tig gehaltenen und zug nglich ge- machten Werke. Der Content-Provider der heutigen Urheberrechtsindus- trie kann nicht mehr mit dem mittellosen Autor verglichen werden, wie er in Spitzwegs »Armen Poeten« (1839) verewigt ist. Standen zu Beginn der Urheberrechtsentwicklung ideengeschichtlich die persçnlichen Interessen der Urheber bzw. zugleich, wenn nicht gar zuerst die Interessen der Ver- leger im Vordergrund, so geht es zunehmend darum, welche Bedeutung das Urheberecht imRahmen der Informationsindustrie insgesamt f r die Volks- wirtschaft hat. Das Urheberrecht ist heute zu einem wichtigen Steuerungs- instrument der Informationsgesellschaft geworden. Derartige Wandlungen sind jedoch immer mit Umbr chen, Friktionen und h ufig dem Bestreben verbunden, an Bestehendem festzuhalten. Zumindest ergibt sich im ber- gang des »noch immer« zum »noch nicht« eine Situation des Nebeneinanders traditioneller und neuer Auswertungsformen. So stehen Bereiche, in denen auf das Papier als Informationstr ger l ngst verzichtet wird, und traditionel- ler Literaturbetrieb heute – und sicherlich auch noch einige Zeit – neben- einander. Das aber verlangt dem Urheberrechtssystem eine Parallelit t von Lçsungen ab, die zum einen der traditionellen, analogen und zugleich der neuen Verwertung in digitaler Form gerecht werden. Um diese anstehenden Probleme zu lçsen oder doch zumindest besser zu verstehen, bedarf es vorab jedoch einer R ckbesinnung auf die eigentlichen Gr nde f r den urheberrechtlichen Schutz. Die unterschiedlichen Ar- gumentationsmuster zur Legitimation des Urheberschutzes lassen sich im Wesentlichen in zwei Strçmungen unterteilen. Anh nger einer naturrecht- lichen Fundierung des Urheberrechts – welche weitgehend der Konzeption des heutigen Urheberrechtsgesetztes zugrunde liegt – verstehen das Urhe- berrecht noch immer als Naturgegebenheit und Menschenrecht, welches durch die Gesetzgebung nur seine Anerkennung und Ausgestaltung findet. Demgegen ber verstehen Anh nger utilitaristischer Begr ndungsmuster die Befugnisse der Urheber nicht als vorstaatliche Grunds tze, sondern als vom Staat zur Verfolgung bestimmter w nschenswerter Ziele verliehene Rechte. Naturrechtliche Begr ndungsans tze greifen vor allem auf die von John Locke im Hinblick auf die Legitimation von Sacheigentum entwickelte Ar- beitstheorie zur ck. Der pr gnante Gedanke, dass der Mensch sich durch ihn bearbeitete Gegenst nde zu eigen macht und ihm daher an dem Ergebnis seiner Arbeit ein Eigentumsrecht zustehe, ließ sich gut auf schçpferische Leistungen bertragen. Da dem Urheber das Recht an seinen Kr ften 53 Thomas Dreier und Georg Nolte und an seiner eigenen Persçnlichkeit zukommt, m ssen ihm auch die Rech- te an dem auf seiner schçpferischen Leistung beruhendenWerk zukommen. hnlich l sst sich nach dem Gebot »Jedem das Seine« argumentieren, dass der im Werk verobjektivierte Geist nichts anderes als ein abgelçster Teil des individuellen Geistes sei und daher dem Urheber von Natur her ebenso gehçre wie dieser selbst. Der Urheber d rfe daher von seinen »geistigen Kindern« nicht getrennt werden. Ohne R ckgriff auf ein vorgegebenes Na- turrecht l sst sich die Legitimation des Urheberrechts schließlich aus der allgemeinen Gerechtigkeitserw gung herleiten, dass der Urheber f r seine Leistung angemessen zu entlohnen ist. Es widerspr che dem nat rlichen Gerechtigkeitsgef hl, sollte ein Dritter die Frucht der Arbeit eines anderen f r den eigenen wirtschaftlichen Vorteil verwerten d rfen und der eigent- liche Urheber dabei leer ausgehen. hnlich ließe sich auch bez glich der Leistungen der Urheberrechtsindustrie argumentieren. So wie das Urheber- recht den Lebensunterhalt der geistig Schaffenden gew hrleisten soll (Ali- mentationsfunktion), bedarf es des Urheberrechts, um in die Produktion geistiger G ter get tigte Investitionen amortisieren zu kçnnen (Amortisa- tionsfunktion). Diese Konzeptionen liegen vor allem den kontinentaleuro- p ischen Urheberrechtsgesetzen zugrunde. Ebenfalls naturrechtlich, jedoch unter Betonung nicht des Urheberschut- zes, sondern umgekehrt der Informationsfreiheit argumentiert dagegen eine Begr ndungsweise, die in j ngster Zeit erheblich an Einfluss gewonnen hat. Ihr Hauptargument zugunsten einer mitunter recht weitgehenden Be- schr nkung des Urheberrechts geht davon aus, dass die Allgemeinheit einen Anspruch auf Zugang und Nutzung neu geschaffener Werke habe. Begr n- det wird dies damit, dass neueWerke regelm ßig nicht losgelçst vom umge- benden Kulturkreis allein auf dem eigenpersçnlichen Schaffen des Urhebers beruhen, sondern der einzelne Schaffende regelm ßig auf allgemeinem Kul- turgut und Leistungen vorschaffender Urheber aufbaue. Insbesondere m sse der Urheber dort im Interesse der Allgemeinheit freien Zugang zu seinen Werken gew hren, wo dies unmittelbar der Fçrderung der geistigen und kulturellen Werte diene, die Grundlage f r sein Werkschaffen sind. Erg n- zend wird darauf hingewiesen, dass es zu dem Wesen von Geisteswerken gehçre, aus dem privaten Bereich des Urhebers in das allgemeine Gesell- schaftsleben hin ber zu treten. Durch seine Rezeption verliere das Werk im Laufe der Zeit seinen Charakter als Individualgut und werde zu einem Kul- turgut. Demgegen ber stellen utilitaristische Begr ndungsmuster das Fun- dament vor allem der angloamerikanischen Urheberrechtstradition dar. So heißt es denn in der US-amerikanischen Verfassung: »The Congress shall 54 Einf hrung in das Urheberrecht have the power […] to promote the progress of science and useful arts, by securing for limited times to authors and inventors the exclusive right to their respective writings and discoveries.« Danach kommt dem Urheber- recht in erster Linie die Funktion zu, dem Allgemeininteresse am wirtschaft- lichen, geistigen und kulturellen Fortschritt zu dienen. Dem Urheber soll durch die Verleihung von Ausschließlichkeitsrechten ein Anreiz geschaffen werden, zumWohle der Allgemeinheit schçpferisch t tig zu werden. Dabei gebietet das Allgemeinwohl zum einen, den Urheber f r seine Leistungen zu belohnen um Anreize zu kreativen T tigkeiten zu schaffen, und liefert zum anderen aber auch das Hauptargument f r eine Beschr nkung des Urheber- rechts. Hier wird das optimale Gleichgewicht in j ngerer Zeit vor allem mit der Methode der çkonomischen Analyse des Rechts zu ermitteln gesucht. Diese zun chst im Bereich des Haftungsrechts entwickelte Methode, die rechtliche Regelungen auf ihre çkonomische Effizienz untersucht, hat sich auf dem Gebiet des geistigen Eigentums vor allem mit der Frage befasst, unter welchen Voraussetzungen Patentschutz zu gew hren ist und wie ein Patentschutz ausgestaltet sein muss, um mçglichst effizient f r Innovationen zu sorgen. Im Urheberrecht vermag diese Theorie vor allem dort zu brauch- baren Ergebnissen zu kommen, wo es sich um den Schutz funktionaler oder technischer Schutzgegenst nde wie Computerprogramme, Datenbanken oder Informationsprodukte und Dienstleistungen handelt. Dagegen vermag sie außerçkonomische Kriterien der Schçpfung, nicht-monet re Anreize sowie kulturelle Gesichtspunkte und nicht zuletzt grunds tzliche Fragen der Verteilungsgerechtigkeit wenn berhaupt so nur sehr schwer zu erfassen und folglich auch nicht zu ber cksichtigen. Dennoch l sst sich zeigen, dass das Urheberrecht als solches çkonomisch sinnvoll ist. Weit weniger eindeu- tig l sst sich hingegen die Frage beantworten, welches Maß an urheberrecht- lichem Schutz aus çkonomischer Sicht optimal ist. Und hier scheiden sich die wirtschaftswissenschaftlichen Geister. W hrend ein »neoklassischer« An- satz im Vertrauen auf den Markt die Gew hrung mçglichst weitreichender Ausschließlichkeitsrechte bef rwortet, fordern andere, die Ausschließlich- keitsrechte gerade so zu bemessen, dass gerade noch gen gend Anreizwir- kung besteht, gleichzeitig aber vorhandene geistige G ter mçglichst optimal genutzt werden kçnnen. berblickt man diese unterschiedlichen Begr ndungsans tze, so wird er- kennbar, dass von hnlichen Ausgangspunkten durchaus unterschiedliche Schl sse gezogen werden. So finden sich Bef rworter starker und mçglichst umfassender Ausschließlichkeitsrechte sowohl unter denjenigen, die sich na- turrechtlich auf den Schutz des Urhebers als Person berufen, wie auch unter denen, die das Urheberrecht rein utilitaristisch als ein Instrument der Wohl- 55 Thomas Dreier und Georg Nolte fahrtssteigerung sehen. Umgekehrt finden sich Bef rworter einer mehr oder minder weitgehenden Beschr nkung des Urheberrechts sowohl unter de- nen, die mit kulturellen, außerçkonomischen Erw gungen zu Felde ziehen, wie unter denjenigen, die einen R ckschnitt urheberrechtlicher Befugnisse mit rein çkonomischen Effizienzerw gungen zu begr nden suchen. Sie alle schlagen – in einem durchaus dissonanten Konzert – jeweils unterschiedli- che Lçsungen f r eine »angemessene« Reaktion des Urheberrechts auf die durch Digitalisierung und Vernetzung gewandelten Kommunikations- bedingungen vor. 5. Herausforderungen und Wandlungen durch die digitale Technologie Welches sind aber nun die fundamentalen Wandlungen, die Digitalisierung und Vernetzung f r das traditionelle Urheberrecht mit sich gebracht haben, dessen Begrifflichkeit und Regelungsgehalt weitgehend an traditionellen Verwertungsformen des Buchdrucks und der Radiosendung orientiert sind? Zun chst hat man – als Folge des durch die massenhafte Verbreitung von PCs ermçglichten digitalen Kopierens ohne Qualit tsverlust und zu ußerst geringen Kosten wie auch der durch das Internet und das benutzerfreund- liche WWW-Format erçffneten weltumspannenden Kommunikations- mçglichkeiten – vor allem den immensen Kontrollverlust der Rechte- inhaber ber die Nutzung ihrer Werke gesehen. Mit anderen Worten, man nahm zun chst vor allem wahr, dass der grçßeren Nutzungsmçglich- keit auf Seiten der Nutzer ein zunehmender Kontrollverlust auf Seiten der Urheber und Rechteinhaber entsprach. Dagegen wurde das Potential, wel- ches die neuen Technologien f r neue Produkte und Dienstleistungen mit sich bringen, zun chst kaum in den Blick genommen. Die strukturellen Auswirkungen von Digitalisierung und Vernetzung auf das Urheberrecht reichen jedoch tiefer. Das kann hier nicht in allen Einzel- heiten diskutiert werden und ist in der Tat auch noch nicht vollst ndig un- tersucht. Doch seien zumindest Hinweise auf die folgenden Auswirkungen gegeben. Große Schwierigkeiten bereitet die Anwendung des traditionellen Ur- heberrechts zun chst aufgrund der Konvergenz der Medien, das heißt des Zusammenwachsens und der Austauschbarkeit von Computern, Fernseh- ger ten und Telefonapparaten, und dem folgend der Gesch ftsmodelle. Schon heute finden sich die in einer Tageszeitung enthaltenen Informatio- 56 Einf hrung in das Urheberrecht nen weitgehend auch in der vomZeitungsverleger angebotenen Datenbank. In Zukunft wird sich etwa ein elektronischer Kopienversanddienst nicht mehr von einem elektronischen Pressespiegeldienst unterscheiden. Vor al- lem aber verschwimmen die traditionellen Rollen von Urheber, Werkver- mittler (Verleger), Vertrieb (Groß- und Einzelhandel) sowie Institutionen, welche nachgeordnet den Zugang offen halten (Bibliotheken, Archive). Im digitalen Zeitalter kann jeder Autor zugleich Verleger, H ndler und Archi- var sein. Die Konvergenz stellt zum einen die Interpretation von Gesetzen, die im Wesentlichen auf die Nutzung von Werken in einzelnen, deutlich unterscheidbaren Produkten und Dienstleistungen zugeschnitten waren, vor erhebliche Probleme. Ist ein elektronischer Pressespiegel noch ein Informa- tions«blatt«? F llt ein »Push-Dienst« noch unter den Abruf von Daten? Ist digitales Webcasting eher mit einer Sendung oder aber einem Datenbank- abruf zu vergleichen? Und wenn ja warum? Wer ist f r Rechtsverletzungen in welchem Umfang verantwortlich, nur der – entfernte – T ter, oder auch derjenige, der als Zugangsprovider oder sonstiger Dienstleister – wie etwa bei den Tauschbçrsen Napster, KaZAa, Grokster u. a. – zur Rechtsverlet- zung unterst tzend beitr gt? Betroffen von der Konvergenz ist zum anderen auch der Gesetzgeber. Denn dieser kçnnte hier vielfach gar nicht mehr re- gelnd eingreifen, jedenfalls nicht mehr in differenzierenderWeise.Wo n m- lich die Konvergenz die Unterschiede verwischt, verschwinden auch die Kriterien, an denen eine differenzierende Gesetzgebung ansetzen kçnnte. Ohnehin erschiene eine Gesetzgebung, die technologiespezifische Unter- schiede f r Werknutzungen vorsieht, die sich aus wirtschaftlicher Sicht weitgehend als gleichwertig darstellen, willk rlich und w rde entweder nicht befolgt werden, oder aber, vielleicht schlimmer noch, die Dienstean- bieter in technisch schlechtere und wirtschaftlich teurere Lçsungen dr ngen. Zugleich ist der Gesetzgebungsprozess schwieriger geworden. Denn auf- grund der Konvergenz der Medien ist die Urheberrechtsgesetzgebung heute f r eine grçßere Zahl gesellschaftlicher Gruppen von Bedeutung als zuvor im analogen Bereich. Vom UrhG betroffen sind heute neben Urhebern und traditionellen Rechteverwertern (Verlage, Sendeunternehmen, B hnen- betriebe und Filmhersteller) auch Hardwarehersteller, Dienstleistungsanbie- ter, Telekommunikationsunternehmen und nicht zuletzt die Endnutzer selbst, die aufgrund der vielf ltigen Kopier- und Verbreitungsmçglichkeiten ihrerseits wiederum zuWerkvermittlern werden. Das erschwert zunehmend eine Konsensbildung zwischen all den neuerdings vom Urheberrecht Be- troffenen. Zugleich haben Digitalisierung und Vernetzung die Art der Kommunikation und mithin den Meinungsbildungsprozess ver ndert, an dem nun auch diejenigen teilnehmen, die bislang außerhalb der urheber- 57 Thomas Dreier und Georg Nolte rechtlichen Meinungsbildung gestanden haben. So besteht die Gefahr der Einigung auf den kleinsten gemeinsamen Nenner im Sinne entweder eines zu niedrigen Urheberschutzes oder zu wenig weitreichender Schranken- bestimmungen. Zugleich droht durch allzu problem- und interessenspezi- fische Regelungen ein Verlust der Gesetzessystematik. Ein weiteres bislang ungelçstes Problem besteht darin, dass sich mit der Mçglichkeit, fremde Werke, die in digitaler Form vorliegen, zu nutzen, der Charakter des Werkes von einem abgeschlossenen, alleinstehenden Produkt hin zum Ausgangsmaterial f r die weitere Informationsgewinnung gewan- delt hat. Es kommt zu einer regelrechten Kette von Informationsprodukten und -dienstleistungen, die alle auf bereits vorhandenem Material aufbauen, das zumeist urheberrechtlich gesch tzt ist. Aus urheberrechtlicher Sicht be- darf jedoch jedes Zugreifen auf vorbestehendes gesch tztes Material der Zu- stimmung des betreffenden Rechteinhabers, sofern nicht eine besondere Schrankenbestimmung eingreift. Die Rechtsprechung hat die bestehenden Schrankenbestimmungen in einigen F llen bereits zwar behutsam erweitert und insbesondere den Kopienversand durch Bibliotheken sowie elektro- nische hausinterne Pressespiegel f r zul ssig erachtet. Gleichzeitig aber ver- sucht sie, die Interessen der Urheber und Rechteinhaber dadurch zu wah- ren, dass die digitalen Dokumente, f r die immerhin eine Verg tung gezahlt werden muss, f r Dritte nur in solchen Formaten gespeichert werden d r- fen, die nicht automatisch durchsuchbar sind. Andernfalls werde eine Nut- zungsintensit t erçffnet, die weit ber das hinausgehe, was der Gesetzgeber seinerzeit habe ermçglichen wollen. Außerhalb dieser engen Schranken droht jedoch zumindest bei Werken, die – wie eben Informationsprodukte – aus der Sicht des Nutzers nicht ohne Weiteres durch vergleichbare Werke anderer Anbieter ersetzbar sind, immer die Gefahr einer Blockierung oder zumindest berhçhter Preise und damit eine Behinderung des Wettbewerbs f r die nachgelagerten Informationsprodukte und -dienstleistungen. Eine optimale Nutzung verhindern zu starke Ausschließlichkeitsrechte auch in den F llen, in denen ihre Geltendmachung unverh ltnism ßig hohe Trans- aktionskosten mit sich bringt, wie etwa dort, wo private Nutzungen oder Nutzungen von geringem kommerziellen Wert individuell von einer Viel- zahl von Rechteinhabern zu lizenzieren sind. Sofern das Urheberrechts- gesetz nicht selbst ge ndert wird, kann lediglich einer bereits eingetretenen Behinderung mit den Mitteln des Kartellrechts begegnet werden. Insoweit ist die Frage nach demWissenszugang in ihrem Kern betroffen. Zwar gibt es in einem System der freien Marktwirtschaft von Missbrauchsf llen abge- sehen grunds tzlich keine Preiskontrolle. Hohe Preise kçnnen den Zugang zu Informationen und Wissen im Einzelfall aber durchaus behindern. Zwar 58 Einf hrung in das Urheberrecht wird es dort zu keinen berhçhten Preisen kommen, wo der Anbieter an einemmçglichst großen Absatz seinerWerke interessiert ist. Dennoch lassen sich F lle beobachten, in denen Rechteinhaber Sekund rverwertungen ih- rer Werke entweder nur zu besonders hohen Preisen lizenzieren, oder aber die Versorgung von Folgem rkten ihrer Produkte erst gar nicht zu lizen- zieren bereit sind. Das kommt immer dann vor, wenn Rechteinhaber be- f rchten, dass ihnen das f r einen Sekund rmarkt lizenzierte Produkt in Zu- kunft auf dem Hauptmarkt ihres Prim rproduktes Konkurrenz machen kçnnte. Beispiele finden sich etwa im Printbereich, bei dem die Verleger bef rchten, dass die Lizenzierung nachgeordneter Informationsdienste das Gesch ft mit den urspr nglichen Zeitschriften oder Zeitungen beeintr ch- tigt, auf denen diese betreffende Informationsdienste aufbauen. Nicht zuletzt steigt mit den Nutzungsmçglichkeiten nicht nur das Angebot, sondern auch die Nachfrage nach Informationen in elektro- nischer Form. Das f hrt zu einer allgemeinen Informations berflutung. Aus dieser vermçgen vielleicht die immer m chtiger werdenden Such- maschinen zu f hren. Allerdings d rfen diese aus Gr nden des Urheber- schutzes ber den reinen Nachweis von Fundstellen nicht nennenswert hinausgehen. Die Informationsflut setzt zugleich vor allem den Bereich der wissenschaftlichen Fachverçffentlichungen unter Druck. Nicht nur werden die einzelnen Ausgaben naturwissenschaftlicher Zeitschriften um- fangreicher, sondern es steigt auch die Zahl von Publikationen proportional zum exponentiell steigenden Wissen. Hier besteht ein »Teufelskreis« (so ge- nannte journal crisis): je teurer wissenschaftliche Zeitschriften werden, desto weniger Institutionen kçnnen es sich leisten, sie zu abonnieren. Je weniger Abonnenten ein Journal jedoch hat, desto teurer wird es wiederum. Die Wirkung dieses Teufelskreises wird noch dadurch verst rkt, dass immer mehr Abonnenten vom Print- zum digitalen Medium wechseln und so – ob sie es wollen oder nicht – die St ckkosten des Papierproduktes weiter in die Hçhe treiben. Im ung nstigsten Fall muss eine Zeitschrift dann ihr Erscheinen einstellen. Dann kann weder in analoger noch in elektronischer Form auf den Inhalt zugegriffen werden, weil es den betreffenden Inhalt gar nicht mehr in verçffentlichter Form gibt. Zugleich sehen sich wissenschaft- liche Bibliotheken angesichts der steigenden Zahl immer spezialisierterer wissenschaftlicher Zeitschriften schon jetzt nicht mehr in der Lage, ihren Nutzern ein Informationsangebot im w nschenswerten Umfang bereit zu stellen. Letztlich handelt es sich hier um eine Finanzierungsfrage, zu de- ren Lçsung unter den Stichworten »Open Access Publishing« und »Open Access Journals« gegenw rtig eine Reihe alternativer Modelle diskutiert werden.4 59 Thomas Dreier und Georg Nolte 6. Lçsungsans tze Sind nun f r all diese Probleme Lçsungsans tze in Sicht? Es soll hier nur darum gehen, einige Lçsungsans tze kurz zu umreißen. Eingehender widmen sich die nachfolgenden Beitr ge einzelnen Problemkreisen und Aspekten. Urheber und Rechteinhaber haben den Gesetzgeber gedr ngt, dem wahrgenommenen Kontrollverlust durch eine St rkung des Urheberrechts zu begegnen. Dem verst rkten Schutzbed rfnis der Prim rproduzenten ent- spricht insbesondere der 1996 europaweit eingef hrte Schutz f r Datenban- ken, die f r Beschaffung, berpr fung oder Darstellung des Inhalts »in qua- litativer oder quantitativer Hinsicht wesentliche Investitionen« erfordern. Auch die Verpflichtung nationaler Gesetzgeber, rechtlichen Schutz gegen die Umgehung technischer Schutzmechanismen vorzusehen, entspricht die- sem Schutzbed rfnis. Technische Schutzmechanismen (technical protection measures, TPM) und digitales Rechtemanagement (digital rights manag- ment, DRM) stellen nicht nur eine weitere Mçglichkeit dar, den vom Rechteinhaber nicht erlaubten Zugriff unberechtigter Nutzer sowie die so genannte Schutzrechtspiraterie zu verhindern. Vielmehr wird in einem durch TPM abgesicherten DRM-System die Mçglichkeit einer effizienten Abschçpfung der Nachfrage gesehen. Denn in Kombination ermçglichen TPM und DRM die Diversifizierung des Angebots gesch tzter Werke und damit verbunden eine entsprechende Preisdifferenzierung. So kann, um nur ein Beispiel zu nennen, Musik etwa nur zum einmaligen Anhçren in Form eines Streams, zum mehrmaligen Anhçren ohne Kopiermçglichkeit in Form einer kopiergesch tzten CD, wie schließlich in Form der bislang b- lichen, beliebig oft hçrbaren, nicht kopiergesch tzten CD zu jeweils unter- schiedlichen, der ermçglichten Nutzungsintensit t angemessenen Preisen angeboten werden. berdies kçnnen individuelle Nutzungen automatisch und weit genauer abgerechnet werden als im analogen Bereich, in dem man angesichts der Fehlens der Informationen, wer wann welches Werk auf wel- che Weise genutzt hat, auf mehr oder minder pauschalierende Sch tzungen angewiesen ist. Nur ein wirksamer Umgehungsschutz, so die Argumenta- tion, kçnne daher einen Anreiz f r die Entwicklung entsprechend differen- zierender TPM und DRM darstellen.5 Dagegen sehen Endnutzer vor allem die Gefahren von TPM und DRM. Zum einen werden durch sie bislang frei zug ngliche Informationen zuneh- mend monopolisiert. Denn technische Zugangskontrollen und die digitale Aufzeichnung des Umfangs jeder einzelnen Werknutzung d rften in Zu- kunft zumindest den Zugang bzw. die Nutzung derjenigen Werke verteu- 60 Einf hrung in das Urheberrecht ern, die bislang kostenfrei zug nglich waren oder es noch sind. Zum anderen gehen TPM, die ja nicht zwischen rechtswidrigen und rechtm ßigen Nut- zungen unterscheiden kçnnen, faktisch weit ber dasjenige hinaus, was nach demWillen des Gesetzgebers monopolisierbar sein soll. Folglich sehen End- nutzer hier ein »Wegschließen« von Informationen bzw. eine Spaltung der Gesellschaft in solche Nutzer, die sich den Zugang zu Informationen leisten und solche, die ihn sich nicht leisten kçnnen. berdies sehen Endnutzer bereits in der Anwendung des bisherigen Rechts und erst recht in dessen St rkung eine erhebliche Ausdehnung des Urheberrechts in den bislang ur- heberrechtsfreien privaten Bereich hinein. Denn im analogen Bereich ist das Lesen eines Buches ebenso wenig einem Verbotsrecht unterworfen wie das Betrachten eines Filmes. Erfolgt die Nutzung desselben gesch tzten Werkes jedoch mittels eines digitalen Datensatzes, so liegen in den damit verbun- denen Vervielf ltigungshandlungen – vorbehaltlich diesbez glicher Schran- kenbestimmung – dem Urheber bzw. den Rechteinhabern vorbehaltene Handlungen. Denn es kommt zumindest zu einem Einlesen der Daten des gesch tzten Werkes in den Arbeitsspeicher des Computers – wenn der Nutzer nicht ohnehin eine Kopie auf seiner Festplatte macht. Die Di- gitalisierung f hrt also dazu, dass das Urheberrecht neben Handlungen von Wettbewerbern nun auch solche von Endnutzern regelt und damit den Kreis derjenigen, die von der Regelungsmaterie des UrhG betroffen sind, erheblich erweitert. Dem sei folglich gerade durch einen R ckschnitt des bestehenden Urheberrechts zu begegnen, um das Gleichgewicht zwischen Rechteinhabern und Nutzern wieder herzustellen und einen hinreichenden Vorrat von Werken zu schaffen, auf den der freie – und nach Mçglichkeit kostenlose – Zugriff mçglich ist (so genannte »commons«). S mtliche Open Source-, Open Content- und Open Publishing-Strategien zielen in diese Richtung. Auch das Creative Commons-Projekt, bei dem Urheber ihre Werke unter Zur ckbehaltung einiger weniger Rechte, etwa des Namens- nennungsrechts oder des Rechts der kommerziellen Verwertung, frei zur Verf gung stellen, zielt letztlich in dieselbe Richtung.7 Einer weiteren Anstrengung bedarf es, wie oben unter Ziff. 5 angespro- chen, im Hinblick auf die Schaffung eines grçßerenWettbewerbs auf M rk- ten nachgeordneter Informationsmehrwertprodukte und -dienste. Bislang setzt das Urheberrecht dem Angebot derartiger Such-, Nachweis- und In- formationsdienste enge Grenzen, sofern die Inhaber der Rechte an von Suchdiensten nachgewiesenen und in Informationsdiensten neu zusammen- gestellten Werken nicht ausdr cklich zugestimmt haben. So erlaubt, um nur einige Beispiele zu nennen, das UrhG zwar die Aufnahme in ein eigenes digitales Archiv, das dann digital jedoch nur nicht-kommerziell oder aber 61 Thomas Dreier und Georg Nolte lediglich imWege des Papierausdrucks genutzt werden darf. hnlich hat die Rechtsprechung das betriebsinterne Angebot elektronischer Pressespiegel auf solche Bilddateien beschr nkt, die von den Nutzern nicht automatisch durchsucht werden kçnnen. Personalisierte Tageszeitungen in Form von Links und kurzen inhaltlichen Abstracts sind wohl nur solange zul ssig, als sie lediglich aufWebseiten verweisen, die frei zug nglich und nicht durch technische Schutzmaßnahmen zugangsgesichert sind. Der Weg der Lizen- zierung erweist sich hier jedoch schon angesichts der ungeheuren Viel- zahl von Einzelwerken, bei deren Rechteinhaber um Lizenzerteilung nachgesucht werden m sste, kaum gangbar. Wenn es hier nicht gelingt, hinreichende gesetzliche Freir ume zu schaffen, sind wir in der Informati- onsgesellschaft »schlecht aufgestellt«. Immerhin ziehen sowohl die EU- Kommission als auch der Europ ische Gerichtshof (EuGH) das Kartellrecht zum Aufbrechen missbr uchlicher Informationsblockaden heran. Allerdings handelt es sich hierbei lediglich um Einzelf lle, die berdies auf den Wett- bewerb in solchen Folgem rkten beschr nkt sind, die auf den Prim rmarkt keinerlei R ckwirkung haben. Vorzuziehen w re es jedoch, insoweit eine entsprechende Lçsung im Urheberrecht selbst zu suchen. 7. Ausblick Die Diskussion ist alles andere als beendet. Die großen Herausforderungen, denen das Urheberrecht angesichts seiner neuen Aufgaben in der Informa- tionsgesellschaft ausgesetzt ist, haben unzweifelhaft zu einer Krise des Ur- heberrechts gef hrt. Zwar ist das Urheberrecht als solches, anders als nam- hafte Propheten es vor wenigen Jahren vorausgesagt haben, nicht obsolet geworden. Auch ist es dem Urheberrecht nicht per se anzukreiden, dass es den Einsatz digitaler und vernetzter Nutzungsmçglichkeiten nicht in vollem Umfang zul sst, »gute« Technik also zu verbieten scheint. Denn der Einsatz von Technik wird nur dort beschr nkt, wo ansonsten ber Geb hr in frem- de Freiheitsrechte eingegriffen w rde. Entscheidend ist es also, ber diese Abgrenzung der einzelnen Freiheitskreise einen gesamtgesellschaftlichen Konsens zu erzielen. Insoweit jedoch besteht Hoffnung. Denn die Auswirkungen von Ver- nderungen werden zumeist zu Beginn bersch tzt, indem die sich abzeich- nende Entwicklung einfach anhand der vorliegenden Ausgangsdaten hoch- gerechnet wird. Ein schçnes Beispiel hierf r ist die anf ngliche Vorhersage, die grenzen- und kostenlose digitale Kopierfreiheit f hre schon bald zum 62 Einf hrung in das Urheberrecht Verschwinden des traditionellen Buches. Dabei wird zumeist bersehen, dass die beginnende Entwicklung Gegenkr fte erzeugt, welche den Eintritt der extrapolierten Entwicklung verhindern oder doch zumindest abmildern. So hat zwar die Zahl von Texten im Internet ber die Maßen zugenommen. Zugleich werden jedoch mehr B cher verkauft als je zuvor. Der mit dem Verkauf von B chern erzielte Umsatz mag insgesamt nicht in gleicherWeise gestiegen sein. Daf r haben sich die Verlage neben dem traditionellen Buch- handelsverkauf inzwischen l ngst selbst im Internet etabliert. Vergleichbares gilt auch f r die gegenw rtige Kritik am bestehenden Urheberrechtssystem. Auch sie geht ein in die Grundlage, auf der die k nftige Rechtsentwicklung aufbaut. Sie hilft auf diese Weise zu verhindern, dass wir uns eines Tages buchst blich »zu Tode sch tzen«, um einen bekannten Ausspruch des ame- rikanischen Medientheoretikers Neil Postman auf das Recht des geistigen Eigentums in der Informations- und Wissensgesellschaft abzuwandeln. Da- rin, und nicht etwa in einer lediglich extrapolierten Entwicklung, sind die wahren Folgen der neuen Kommunikationstechnologien f r das Urheber- recht und mithin auch f r dessen Rolle in der Gesellschaft und zuletzt f r die Gesellschaft selbst zu sehen. Anmerkungen 1 Vgl. zu TRIPS den Artikel von Corinna Heineke in diesem Band. 2 Vgl. zu den UrhG-Novellen den Artikel von Till Kreutzer in diesem Band. 3 Vgl. zu DRM-Systemen den Artikel von Volker Grassmuck in diesem Band. 4 Vgl. dazu den Beitrag von Heike Andermann und Andreas Degkwitz in diesem Band. 5 Eine ausf hrliche Diskussion von DRM bietet der Beitrag von Volker Grassmuck in diesem Band. 6 Vgl. zu diesen Bewegungen den Beitrag von Felix Stalder in diesem Band. 63 Hannes Siegrist Geschichte des geistigen Eigentums und der Urheberrechte. Kulturelle Handlungsrechte in der Moderne 1. Einleitung Von den B rgerinnen und B rgern der Wissensgesellschaft und Medienge- sellschaft wird erwartet, dass sie sich als Produzenten, Vermittler und Nutzer von Informationen, Wissen und Ausdrucksformen an die Regeln des geis- tigen Eigentums halten. Um diese Regeln verstehen und selbst ndig beur- teilen zu kçnnen, sollte man allerdings auch wissen, woher sie kommen. Die Schule geht bisher allerdings kaum auf die Geschichte geistigen Eigentums ein. Obwohl die Kultur der Moderne ganz wesentlich durch die Vorstellung und Institution des geistigen Eigentums gepr gt ist, gehçrt die Geschichte des geistigen Eigentums weder zum traditionellen Bildungskanon noch zum zivilisatorischen Grundwissen. Sie soll im Folgenden am Beispiel der Auto- renrechte und des Copyrights dargestellt werden, die vielfach zusammen mit den Erfinderrechten bzw. dem Patenrecht, den Rechten an Marken und Warenzeichen sowie den Rechten an industriellen Formen (Design) in Ka- tegorien wie geistiges Eigentum und Intellectual Property Rights zusam- mengefasst werden. Die Institution des geistigen Eigentums regelt seit gut zweihundert Jahren in modernen s kularisierten, marktwirtschaftlichen und liberalen Ge- sellschaften die Beziehungen zwischen Individuen, Gruppen und kulturel- len Artefakten. Geistiges Eigentum verweist auf starke und exklusive Hand- lungsrechte, welche die Autonomie des Individuums und die Ordnung des Wissens und der Gesellschaft begr nden. Wir reduzieren den Begriff und die Institution des geistigen Eigentums im vorliegenden historischen berblick allerdings nicht auf die gesetzlichen, rechtsdogmatischen und rechtstechnischen Dimensionen, sondern begreifen geistiges Eigentum vielmehr als ein B ndel sozialer, kultureller und rechtlicher Handlungsregeln und Handlungsrechte, wodurch Rollen, Beziehungen und Praxisformen des kulturellen und wissenschaftlichen Feldes bestimmt sind. Geistiges Eigentum regelt – im Zusammenspiel mit erg nzenden und alternativen In- 64 Geschichte des geistigen Eigentums und der Urheberrechte stitutionen – die Dynamik und den Wandel moderner Gesellschaften und Kulturen. Im Unterschied zu den materiellen Eigentumsrechten sind die geistigen Eigentumsrechte seit den Anf ngen der modernen Gesellschaft zeitlich be- fristet. Nach Ablauf der Schutzfrist werden private und individuelle geistige Werke »gemeinfrei«. Sie sind damit nicht nur frei zug nglich, verwendbar und transformierbar, sondern auch f r den kommerziellen Gebrauch frei- gegeben. Sie gehçren fortan zur çffentlichen Dom ne (public domain) bzw. zum Gemeinschaftseigentum (commons) der Nation und der Menschheit. Der Umgang mit gemeinfreien geistigen Werken und kulturellen Artefak- ten ist indessen auch durch nationale Gesetze und internationale Abkommen geregelt. Gesetzgebung und internationale Konventionen definieren und regeln in den jeweiligen Staats- und Rechtsgebieten sowohl die privaten geistigen Eigentumsrechte als auch die kollektiven kulturellen Gemeinschaftsrechte und Gemeinschaftsg ter. Die Geschichte des geistigen Eigentums in mo- dernen Gesellschaften ist deshalb gekennzeichnet durch die Suche nach dem Ausgleich zwischen individuellen und privaten Handlungsrechten auf der einen, korporativen und çffentlichen Herrschafts- und Handlungsrechten auf der anderen Seite. Der Nationalstaat beh lt sich seit rund zweihundert Jahren vor, die privaten geistigen Eigentumsrechte aufgrund hçherer kol- lektiver Interessen einzuschr nken. Er koordiniert die Rechte und Interes- sen seiner Staatsb rger und Bewohner im Inneren und in der internationalen Zusammenarbeit. Der vorliegende historische Essay behandelt die gesellschaftliche Kon- struktion und Verwendung geistiger Eigentumsrechte vom 16. bis zum 21. Jahrhundert und fragt nach der Funktion und Bedeutung der Urheber- rechte im gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und kulturellen Wandel. 2. Die Erfindung des geistigen Eigentums in Europa Die Vorstellung und Institution des individuellen geistigen Eigentums bil- dete sich zwischen dem Sp tmittelalter und dem 19. Jahrhundert in Europa aus und verbreitet sich seit dem sp ten 19. Jahrhundert weltweit. Der Durchbruch erfolgte im sp ten 18. und fr hen 19. Jahrhundert in England, Frankreich und den USA, in den folgenden Jahrzehnten im brigen Europa und in Lateinamerika. Ans tze zur individualisierten Produktion von Infor- mation, Wissen und symbolischen Formen, zu einem individualistischen 65 Hannes Siegrist geistigen Urheber- und Eigent merbewusstsein und zu einem freien Buch-, Wissens- und Kunstmarkt jenseits herrschaftlicher, kirchlicher und st n- discher Normen finden sich indessen schon seit dem 15. und 16. Jahrhun- dert. Bis ins 19. Jahrhundert hinein wurde die freie und individualisierte Produktion, Distribution und Nutzung von Texten, Bildern und Tonwer- ken jedoch vielerorts noch erheblich behindert. Im Rahmen der großen politischen, konfessionellen und sozialen Konflikte galten geistige Werke und Bilder vielfach als Gefahrenquellen f r die weltliche und geistliche Herrschaft. In der st ndischen und autokratischen Gesellschaft waren die Herrschafts- und Verf gungsrechte ber symbolische Darstellungen und Wissensformen weltlichen und geistlichen Autorit ten, St nden, Berufen und Korporatio- nen zugeordnet. Die Beziehung zwischen Rechteinhabern, Symbolen und Wissen wurde durch Begriffe und Institutionen wie »Herrschaft«, »Privileg«, »Monopol«, »Beruf« und »Stand« geregelt. Der Einzelne war an die kollek- tiven Regeln seines Standes oder an die Sonderrechte, die ihm der F rst verlieh, gebunden. Der Gebrauch von Wissen und Kultur war st ndisch geregelt, die Vorstellung nationaler Gemeinschaftsg ter war noch wenig ausgepr gt. Der europ ische und regionale Adel tradierte, gestaltete und berwachte das Herrschafts- und Verwaltungswissen. Klerus und Kirchen kontrollierten die religiçsen und konfessionellenWissensbest nde und Sym- bolisierungen sowie deren Vervielf ltigung, Verbreitung und Gebrauch. Die Berufsst nde der gelehrten Berufe kontrollierten den Umgang mit dem theologischen, humanistischen, medizinischen und juristischenWissen. Z nfte und K nstlergilden wachten ber das handwerkliche, gewerbliche, kunsthandwerkliche und k nstlerische Berufswissen, Kaufmannsgilden ber das kommerzielle Wissen. Exklusive Handlungsrechte wurden durch Re- ligion, Tradition und Gewohnheit legitimiert. Das Recht, neue Ausdrucksformen, neues Wissen und technische Erfin- dungen zu entwickeln, verçffentlichen und kommerziell zu nutzen, galt als Privileg, das von Kaiser und Papst, Kçnigen. F rsten und freien St dten verliehen wurde. Im Zuge der Herausbildung der territorialstaatlichen Ge- sellschaft griff der Staat immer st rker in Wissen, Kultur und wirtschaftliche Beziehungen ein. Er zog die Zust ndigkeit ber das hçhere Bildungswesen an sich und machte die hçheren Beamten und Professionen zur staatsabh n- gigen Wissens- und Funktionselite. Der merkantilistische und absolutisti- sche Staat fçrderte aus machtpolitischen Gr nden Wirtschaft, Wissenschaft und Kunst, indem er Verlegern und Druckern Gewerbe- und Handelspri- vilegien verlieh, Kunstakademien errichtete, Universit ten unterhielt und privaten Intendanten eine Konzession zur F hrung eines Theaters erteilte. 66 Geschichte des geistigen Eigentums und der Urheberrechte Im Rahmen des kulturellen Konzessionssystems vergaben weltliche und geistliche Autorit ten die Rechte f r die Herstellung, Bearbeitung, Verbrei- tung und Nutzung von Texten, bildlichen Darstellungen und Auff hrungen in Form von genau umschriebenen und befristeten Gewerbe- und Handels- monopolen. Die Privilegierung von Autoren war allerdings die Ausnahme, ein Autoren- und Erfinderrecht im modernen Sinne fehlte. Vielfach wurden die kulturellen und wirtschaftlichen Handlungsrechte sogar ausdr cklich nicht dem eigentlichen Autor oder dem Erfinder ber- tragen, sondern demjenigen, der ein Werk, eine Idee, ein Herstellungsver- fahren und eine Ausdrucksform im Staats- und Rechtsterritorium als erster verbreitete und benutzte. Druck- und Verlagsprivilegien wurden damals entweder an einzelne Unternehmer oder, wie in Paris und London, an Mitglieder der hauptst dtischen Gilde der Drucker und Verleger verliehen. Der Inhaber der Vervielf ltigungsrechte hatte ein Monopol f r die Verwer- tung des Buchs, war im Rahmen der politischen und konfessionellen Zen- surpolitik aber auch verpflichtet, nur gute und ungef hrliche Schriften zu verbreiten. Die Obrigkeit privilegierte und disziplinierte so eine kleine Gruppe von Verlegern und Druckern, die ber die technischen und kom- merziellen Mittel und Kenntnisse f r die Herstellung und den Vertrieb von Druckwerken verf gte und f r die Einhaltung der berufsst ndischen Kon- ventionen sorgte. Die Privilegien waren allerdings nur im Territorium derjenigen geist- lichen und politischen Herrschaft rechtlich verbindlich und einklagbar, wel- che die Druckerlaubnis und das Recht der gewerblichen Nutzung vergeben hatte. Selbst dort wurden sie trotz vielf ltiger Kontrollen von Druckern und Verlegern aus der Provinz und aus Nachbarstaaten, die »Nachdrucke« her- stellten bzw. einschmuggelten, oft missachtet. Schottische und irische Ver- leger druckten f r den englischen Markt nach. Verleger aus den franzçsi- schen Provinzst dten, den Niederlanden und der Westschweiz stillten mit den zahlreichen Nachdrucken die Nachfrage auf dem politisch, kulturell und wirtschaftlich berregulierten franzçsischen Markt, der in den letzten Jahrzehnten vor der franzçsischen Revolution außer Kontrolle geriet. In den nord- und mitteldeutschen Staaten wurde bis ins 19. Jahrhundert ber die Nachdrucker aus den s ddeutschen Staaten und aus sterreich ge- klagt, in den nord- und mittelitalienischen Staaten ber die Nachdrucker aus S ditalien. Die Problematik des Nachdruckens versch rfte sich, da sich in Europa die Staats- und Rechtsgebiete vielfach nicht mit dem Sprach- und Kulturgebiet deckten und gesch ftst chtige Verleger und Drucker ihre Auf- lagen und Ertr ge nur steigern konnten, indem sie grenz berschreitende M rkte erschlossen. 67 Hannes Siegrist Die Debatten ber Nachdrucker, F lscher, Schmuggler und »Piraten« (wie die Nachdrucker in der Seefahrernation England bezeichnet wurden) stehen am Anfang der Geschichte des geistigen Eigentums und der Auto- renrechte. Sie setzten bald nach der Erfindung des Buchdrucks ein und hal- ten bis ins heutige Zeitalter des Internets und der Globalisierung an. Im 18. und fr hen 19. Jahrhundert wurde der Ruf der Drucker, Verleger und Autoren nach mehr Rechtssicherheit auf dem expandierenden Kom- munikations- und Medienmarkt lauter. Um die materielle Form des Buches besser sch tzen zu kçnnen, waren die Verleger und Drucker schließlich sogar bereit, das Recht an der immateriellen Ausdrucksform und dem Inhalt des Werks dem Autor zu berlassen. Das Statute of Anne von 1710 in Eng- land und die vom franzçsischen kçniglichen Gericht ein gutes halbes Jahr- hundert sp ter formulierten Grundsatzurteile ermçglichten erstmal eine Rechtsprechung, die den Autor als rechtlichen Urheber des Werks aner- kannte und diesem die Erstrechte der Vervielf ltigung und Verbreitung des Werks zuerkannte. In England und Frankreich machten einzelne Autoren und deren Nachkommen mithilfe von Juristen in Musterprozessen gegen Verleger und Drucker erstmals deutlich, dass sie die Eigentumsrechte am Werk beanspruchten. Das Selbstbewusstsein der zahlreicher werdenden Autoren stieg. Die philosophischen und publizistischen Debatten der zweiten H lfte des 18. Jahrhunderts trugen dazu bei, dass sich Autoren und K nstler als schçp- ferische Individuen, denen die »Werkherrschaft« zustehen sollte, profilier- ten. Literaten, Wissenschaftler und K nstler diskutierten untereinander und mit den Lesern und Verlegern ber Begriffe wie »Original«, »Nach- ahmung«, »Kompilation« und »F lschung«. Sie konstruierten die Figur des Autors mithilfe neuer moralischer, philosophischer und sthetischer Ar- gumente um. Der K nstler und Autor bilde die Natur keineswegs nur nach und stelle die Wahrheit nicht bloß nach den traditionellen Regeln der Rhetorik bzw. Kunst dar. Er sei vielmehr »Schçpfer«, »Entdecker« und »Er- finder«, der durch gestaltende und formende T tigkeit Texte, Ausdrucks- formen, Gedanken und Bilder hervorbringt, die ihm »eigent mlich« sind. Der Autor bzw. der geniale K nstler und Schriftsteller gebe dem Gedanken die eigene, unverwechselbare Form. Das geistige Werk sei Ausdruck der Individualit t und subjektiven Kreativit t des Autors und unterscheide sich als »Original« eindeutig von anderen immateriellen und materiellen Hervorbringungen. Das Buch werde technisch vervielf ltigt, als materielle Form gekauft und als Text und Inhalt vom Leser angeeignet. Die Form des Gedankens und des Ausdrucks jedoch seien unver ußerlich und gehçrten dem Autor. 68 Geschichte des geistigen Eigentums und der Urheberrechte Mit der Neubestimmung des Verh ltnisses zwischen der Materialit t und Immaterialit t des Werkes bekundeten die Autoren ihre Absicht, sich auf- grund des geistigen Charakters ihrer Arbeit ber die handwerklich, gewerb- lich und kommerziell t tigen Drucker und Verleger zu stellen und aus deren Abh ngigkeit zu emanzipieren. Der neue Autor erkl rte sich nicht nur zum Patron des Verlegers und des Lesers, sondern bestritt zus tzlich auch die Legi- timit t der traditionellen geistlichen und weltlichen Autorit ten und Zensur- behçrden. Verleger, die von der Expansion des Druck- und Schriftenmarktes erheblich profitierten, ließen sich aus strategischen und pragmatischen Gr n- den auf diese Diskurse und Gesetze ein. Aus langer Erfahrung wussten sie, dass derjenige, der ber die teurenMittel f r die Vervielf ltigung und den Vertrieb verf gt, f r den Autor, der seine Texte und Bilder verçffentlichen mçchte, unverzichtbar ist. F r sie war entscheidend, dass sie sich mithilfe des Urheber- rechts von der wirtschaftlichen und herrschaftlichen Bevormundung durch weltliche und geistliche Herrscher emanzipieren konnten. Autoren und Verleger profitierten damals von der Verbreitung des neuen besitzindividualistischen Denkens in Landwirtschaft, Industrie, Handel und Politik. Sie teilten die Auffassung, dass die Produkte der Arbeit dem Schçpfer als privates »Eigentum« zustehen und Wohlstand und Allgemeinwohl durch privates Eigentum besser gefçrdert werden als durch traditionelle Herr- schaftsrechte, berufsst ndische Sonderrechte, Einzelprivilegien, Monopole, F rstenwillk r und Gemeineigentum. Juristen und Publizisten bertrugen im 18. und fr hen 19. Jahrhundert in Rechtsgutachten und Streitschriften ber Nachdruck und Autorenrechte die Denk- und Rechtsfigur des indivi- duellen Eigentums auf die Handlungsrechte des Autors und die »geistigen Werke«. Mithilfe von Analogien aus dem Gewerberecht, dem rçmischen Recht und dem Naturrecht wurde der Autor zum »Eigent mer« umde- finiert, der wie jeder andere gewerbliche Produzent und Besitzer die Fr chte seiner Arbeit auch ernten, genießen oder ver ußern kçnnen sollte. In der zweiten H lfte des 18. Jahrhunderts zeichnet sich der Durchbruch zum modernen Konzept des Autors und des geistigen Eigentums in Kultur undWirtschaft immer deutlicher ab. Der Schritt des Autors aus den Patrona- gebeziehungen der st ndischen und aristokratischen Gesellschaft in die neue b rgerliche Vertragsgesellschaft erfolgte mithilfe des Begriffs »Eigentum« und der Institutionalisierung seiner Handlungsrechte als »literarisches und k nstlerisches Eigentum«. Die neuartige Verrechtlichung der Beziehungen zwischen Produzenten und Nutzern setzte sich allerdings nur nach und nach allgemein durch. Zwischen etwa 1790 und 1880 wurden die institutionellen und rechtlichen Grundmuster formuliert und normiert, die bis heute fort- bestehen. 69 Hannes Siegrist In Frankreich hatte es in den ersten Jahren der Revolution so ausgesehen, als w rden alle Sonderrechte des kulturellen Feldes mit der Einf hrung der allgemeinen Gewerbe- und Handelsfreiheit endg ltig abgeschafft. Der re- volution re Gesetzgeber hob zun chst tats chlich alle intermedi ren Gewal- ten, berufsst ndischen Korporationen und Privilegien auf, das heißt auch die Privilegien f r Theaterunternehmer, Drucker und einzelne Werke von Au- toren. Diese radikale Deregulierung wurde indessen kurz darauf mit einem Dekret von 1793 zugunsten von Autoren und Verlegern korrigiert, indem bestimmten T tigkeits- und Berufsgruppen aus Kultur und Medien exklu- sive eigentumsartige Rechte an ihren Werken zugesprochen wurden: »Die Autoren von Schriften aller Art, die Musikkomponisten, die Maler und Zeichner (…) genießen lebensl nglich ein exklusives Recht, ihre Werke im Territorium der Republik zu verkaufen, verkaufen zu lassen oder ganz oder teilweise an Dritte abzutreten. Ihre Erben folgen ihnen diesbe- z glich f r den Zeitraum von 10 Jahren nach dem Tod des Autors nach.«1 In den USA hatte schon 1790 das nach dem englischen Muster konzipierte Copyright-Gesetz den Autoren von B chern, Karten und Tabellen das ex- klusive Recht zugewiesen, ber den Druck, die Verçffentlichung und den Verkauf ihrer Werke zu verf gen. Die gesetzlich festgelegte Schutzfrist be- trug 14 Jahre und konnte ein Mal um weitere 14 Jahre verl ngert werden. Das Gesetz diente prim r der Fçrderung der Gelehrsamkeit und wurde als »an act for the encouragement of learning« bezeichnet. Fast ein halbes Jahr- hundert sp ter hielt das f r den mitteleurop ischen Raum vorbildliche preu- ßische »Gesetz zum Schutze des Eigentums anWerken derWissenschaft und Kunst gegen Nachdruck und Nachbildung« von 1837 fest, dass der Druck und die mechanische Vervielf ltigung einer Schrift, Predigt oder Vorlesung nur dem Autor derselben oder den von diesem Befugten zusteht. Dreißig Jahre nach dem Ableben des Autors (post mortem auctoris, pma) sollten die Rechte an die Allgemeinheit bergehen. Diese fr hen Gesetzgebungen zum geistigen Eigentum und Copyright waren liberal, antimonopolistisch oder etatistisch-liberal motiviert. Das geis- tige Eigentum zielte nicht nur auf die einseitige Fçrderung privater Inte- ressen des Autors und der Rechteinhaber ab, sondern stets auch auf die Fçr- derung des Allgemeinwohls sowie des wirtschaftlichen und kulturellen Fortschritts. Der Gesetzgeber bzw. Staat behielt sich berdies vor, Teile des Wissens und der Kultur in seinen Bildungs-, Wissenschafts- und Armee- einrichtungen zu verstaatlichen, das heißt ohne besondere Entsch digung an die geistigen Eigent mer zu verwenden und Sch lern und Staatsb rgern bei wichtigen nationalen Veranstaltungen unentgeltlich zur Verf gung zu stel- len. Die zeitliche Befristung des Urheberrechts wurde auch im Hinblick auf 70 Geschichte des geistigen Eigentums und der Urheberrechte das so genannte Gemeinwohl und die allgemeinen kulturellen und wirt- schaftlichen Erfordernisse geregelt. Die Form des Gedankens oder Bildes galt nur vor bergehend als individuell, da sie auf der Umformung und An- eignung allgemeiner kultureller Best nde beruhte und aufgrund der Zirku- lation und Diffusion fr her oder sp ter wieder zum Allgemeingut wurde. Da der Kulturstaat selbst massiv zur Verallgemeinerung und Verbreitung bei- trug, beanspruchte er das Recht, dem Produzenten als Rechteinhaber nach- zufolgen. Elemente dieses Denkens finden sich bis heute. Die Entwicklung der Autoren- und Urheberrechte hing im Verlauf des 19. Jahrhunderts ganz wesentlich davon ab, ob Gesetzgeber, Eliten undMit- telschichten von der Bedeutung und Notwendigkeit des Autors f r den kul- turellen und gesellschaftlichen Fortschritt der Nation berzeugt werden konnten. Der Grad der Formalisierung und rechtlichen Anerkennung der Handlungsrechte von Autoren stieg nicht zuletzt im Gefolge von çffent- lichen Debatten und Medienkampagnen. Autoren und K nstlerpersçnlich- keiten wurden in popul ren und wissenschaftlichen Biographien, in Zeitun- gen und Parlamentsdebatten als Genies, Nationaldichter und nationale Helden dargestellt. Ihre Werke wurden von den Vertretern der damals jun- gen Disziplinen der nationalen Literatur- und Kunstgeschichte kanonisiert und zur obligatorischen Lekt re erkl rt. Umtriebige Verleger beteiligten sich an diesen Aktionen durch den Druck und Vertrieb preiswerter und repr sentativer »Klassikerausgaben«. Manche Autoren trugen selber zu sol- chen Stilisierungen ihrer T tigkeit, Werke und Person bei. Schriftsteller, Komponisten und bildende K nstler k mpften vor diesem Hintergrund f r die Sicherung ihrer Rechte und klagten ber die Bevor- mundung und Entrechtung durch die traditionellen staatlichen und geist- lichen M chte auf der einen, die neue Elite der b rgerlichen Verleger, Me- dienh ndler und Theaterunternehmer auf der anderen Seite. Viele ber hmte Autoren und Komponisten des 19. Jahrhunderts – von Goethe ber Victor Hugo und Emile Zola bis zu Giuseppe Verdi und Alessandro Manzoni – stritten in den Zeitungen, im Parlament und im Gerichtssaal f r die Ausdehnung der Rechte des Autors. Im mittleren Drittel des 19. Jahr- hundert wurden die Debatten ber das geistige Eigentum heftiger und çf- fentlicher. Symptomatisch daf r war die Agitation f r die Verl ngerung der Schutzfristen, wodurch Autoren und Verleger ihre wirtschaftlichen Hand- lungsrechte und Einkommenschancen verbessern wollten. Ihre Gegner be- riefen sich darauf, dass die Kultur ein kollektives, nationales oder mensch- liches Gut sei. Durch die Ausdehnung der Schutzfristen w rden geistige Erbhçfe geschaffen, welche die Dynamik der Kultur behinderten. Englische Utilitaristen bek mpften die Verl ngerung der Schutzfrist, weil dadurch 71 Hannes Siegrist preistreibende Monopole geschaffen w rden. Kultur sei prim r eine çffent- liche Dom ne und m sse durch billige Preise, çffentliche Bibliotheken und den erlaubten Nachdruck von Werkteilen in Schulb chern f r alle zug ng- lich bleiben. Nur so kçnne sie ihre zivilisierende und integrative Funktion erf llen. Anh nger wie Gegner der Sozialbindung des geistigen Eigentums ent- deckten und priesen im Zeitalter der Nationalisierung von Kultur und Ge- sellschaft den Autor als zentrale Figur der nationalen Kultur und Identit t. Die Debatten machten dann allerdings auch deutlich, dass Autoren und K nstler zusammen mit ihren Freunden in Publizistik, Politik und Recht bisweilen dazu neigten, sich nicht nur als Eigent mer ihres Werks, sondern auch als F hrer des Publikums, der Allgemeinheit und der nationalen Kultur zu betrachten. Rechtlich, sozial und wirtschaftlich war der Weg dahin al- lerdings noch weit. Im Rahmen der liberalen und demokratischen Bewegung machten Au- toren und Verleger in den 1830er und 1840er Jahren in Deutschland und weiten Gebieten Europas das geistige Eigentum deshalb zu einem zentralen Element der liberalen Forderung nach B rgerlichkeit. Verleger, Schriftstel- ler, Journalisten, Wissenschaftler und K nstler gr ndeten Clubs, Zirkel, Vereine und Verb nde, verst ndigten sich ber die Rolle, Funktion, Inte- ressen und Rechte ihrer Berufsgruppe und entwickelten Programme und Strategien zur Verbesserung ihrer Lage und Rechte. Daraus bildeten sich sp ter regionale und nationale Berufsverb nde sowie berufsgruppen ber- greifende und internationale Interessenkartelle. 3. Akteure und Strategien des geistigen Eigentums zwischen Individualisierung, Nationalisierung und Globalisierung Im 19. Jahrhundert versch rften sich die Konflikte um die Regelung und Umverteilung kultureller und wirtschaftlicher Handlungsrechte, weil sich ers- tens die Rollen und Anspr che der Produzenten, Verleger, H ndler, Medien- nutzer und Kulturkonsumenten wandelten und zweitens Kultur und Gesell- schaft national umgestaltet und eingef rbt wurden. Die Produzenten geistiger und k nstlerischer Werke konnten ihr Prestige steigern, indem sie sich als leistungsf hige Individuen, geistige F hrer und Tr ger der staatlich, çffent- lichrechtlich und privat organisierten Nationalkultur darstellten. Die Bereit- schaft der nationalen Eliten, die Rechte und Chancen von Schriftstellern, Komponisten, K nstlern, Wissenschaftlern und Kulturunternehmern durch 72 Geschichte des geistigen Eigentums und der Urheberrechte die Revision der Gesetze und die Verl ngerung der Schutzfristen zu hono- rieren, war um 1840 und dann noch einmal um 1870/80 außerordentlich hoch. Davon versprach man sich auch erhebliche Vorteile f r die Nutzer. Als hartn ckigster Kontrahent des Autors entpuppte sich dann allerdings immer mehr der kapitalistische Drucker und Verleger, der ber die Mittel der Reproduktion verf gte, den Zugang zu den rasch wachsenden Absatz- m rkten und Einkommensquellen kontrollierte und die wachsenden wirt- schaftlichen Ertr ge nicht so teilen wollte, wie der Autor das w nschte. Im Zeitalter der Nationalisierung von Kultur und Gesellschaft wurde diese Sta- tus- und Interessenkonkurrenz sowohl von den Autoren als auch von den Verlegern mithilfe nationaler und patriotischer Appelle ausgetragen, indem sie ihre T tigkeit als uneigenn tzigen Dienst f r Bildung, kulturellen Fort- schritt und Nation darstellten. Diese Gleichsetzung nationaler, kultureller und beruflicher Interessen pr gt und verzerrt die Debatten ber geistiges Eigentum bis heute. Angesichts der neuen Formen der Arbeitsteilung und des Gebrauchs kultureller G ter und Dienstleistungen im Zeitalter der Digitalisierung und vor dem Hintergrund des internationalen und in- terkulturellen Austausches im Zeitalter der Globalisierung scheint das natio- nale Argument heute allerdings an Plausibilit t einzub ßen. Bestimmte Gruppen benutzen es trotzdem. W hrend Verleger und Autoren als Unternehmer bzw. schçpferische In- dividuen, geistige F hrer und Tr ger der Nationalkultur eigentumsrechtlich aufgewertet wurden, erfuhren Leser, Zuschauer und Zuhçrer seit der Mitte des 19. Jahrhunderts eine gewisse Abwertung ihrer kulturellen Handlungs- rechte. Im sp ten 18. und fr hen 19. Jahrhundert hatte sich der Nutzer von Kultur und Wissen zum aktiven und gebildeten B rger und Kunstliebhaber umdefiniert, der nicht nur die Pflicht zur Bildung und Selbstkultivierung hatte, sondern auch ein Recht auf Information, Wissen und Unterhaltung beanspruchte. Leser, Musikliebhaber und Kunstfreunde betrachteten sich als gleichwertige Partner des K nstlers und Autors und stellten moralische und rechtliche Anspr che auf die Teilhabe an Bildung, Wissen und Information. Als der b rgerliche Kulturnutzer sp ter zum bloßen Dilettanten, zum pas- siven Zuschauer und Zuhçrer oder zum Konsumenten von Kunst und Un- terhaltung umdefiniert wurde, verblassten auch seine kulturellen Hand- lungsrechte, soweit sie nicht stellvertretend und kollektiv durch Stand, Klasse oder Nation wahrgenommen wurden. Das asymmetrische Autor- Verleger-Nutzer-Verh ltnis wurde erst im sp ten 20. Jahrhundert im Zuge der »Demokratisierung« von Kultur, Bildung und Unterhaltung und imRahmen der Entdeckung und Aufwertung des individuellen Kultur- Konsumenten revidiert. 73 Hannes Siegrist Der moderne Staat fungierte in den Beziehungen des kulturellen Feldes erstens als Gesetzgeber, b rokratischer Verwalter und Moderator des Kul- turkartells der Eliten, indem er die kulturellen, sozialen und rechtlichen Re- geln f r die Produktion, Distribution und den Gebrauch der Kultur festlegte und sanktionierte. Indem er Bildung, Unterricht und Wissenschaft großen Teils verstaatlichte, wurde er, zweitens, zum großen, einflussreichsten, in vielen Beziehungen auch monopolistischen Produzenten und Vermittler von Kultur und Wissen. Als moderner Kulturstaat verfolgte er, drittens, ei- gene Nutzerinteressen, die mit den Interessen des privaten geistigen Eigen- tums in Spannung geraten konnten. Zusammenmit den Kirchen weigerte er sich lange und hartn ckig, in den Schulen und bei çffentlichen Festen und Ritualen die Regeln der markt- und privateigentumsfçrmigen Produk- tion, Vermittlung und Verwendung geistiger Werke anzuerkennen. Im Fal- le des schulischen, wissenschaftlichen, politischen und religiçsen Gebrauchs schr nkte er die privaten geistigen Eigentumsrechte zugunsten des staatli- chen und çffentlichen Wohls ein. So durften f r wissenschaftliche, religiçse und schulische Zwecke l ngere Zitate und Werkteile frei verwendet wer- den. Und f r Texte und Melodien, die an çffentlichen politischen und re- ligiçsen Feiern gesungen und gespielt wurden, mussten keine Tantiemen abgef hrt werden. Erst im sp ten 20. Jahrhundert wurden diese als Schran- kenrechte bezeichneten staatlichen Eingriffsrechte auf Druck der Autoren, Verwertungsgesellschaften und großen Medienunternehmen zunehmend abgebaut. Verwertungsgesellschaften, die seit dem sp ten 19. Jahrhundert die finanziellen Rechte von Autoren und Verlegern berwachen und von den Verwertern und Nutzern Abgaben kassieren, trugen im mittleren 20. Jahrhunderts ganz entscheidend zur St rkung und Realisierung der geis- tigen Eigentumsrechte von Autoren und Verlegern bei. Die zweite große institutionelle und organisatorische Innovation des sp - ten 19. und fr hen 20. Jahrhunderts betraf die Internationalisierung der Ur- heberrechte. Die Realisierung der geistigen Eigentumsrechte im Ausland war nach der ersten Welle der Konstruktion und Implementierung des Ur- heberrechts in den einzelnen Staaten zu einem dringenden gemeinsamen Anliegen von Verlegern und Autoren geworden, deren Eigentumsrechte außerhalb des eigenen Landes ignoriert wurden. In der zweiten H lfte des 19. Jahrhunderts k mpften Autoren, Verleger, Juristen und Politiker auf internationalen Kongressen f r die grenz berschreitende Anerkennung der geistigen Eigentumsrechte. Am Anfang der Internationalisierung des geistigen Eigentums standen bilaterale Handelsvertr ge, womit zwei Staaten die gegenseitige Anerkennung der Eigentumsrechte von Autoren und Ver- legern vereinbarten. Die Verfechter des allgemeinen internationalen Schut- 74 Geschichte des geistigen Eigentums und der Urheberrechte zes des geistigen Eigentums erreichten ihr Ziel schließlich im Rahmen des multilateralen internationalen Abkommens der »Berner bereinkunft« von 1886, deren Unterzeichnerstaaten dem ausl ndischen Autor die gleiche Be- handlung wie dem Inl nder zusicherten. Bei den ersten Unterzeichnerstaaten handelte es sich vorwiegend um Kultur und geistige Werke exportierende L nder wie Großbritannien, Frankreich, Deutschland, die Schweiz und Belgien, die ein besonderes In- teresse daran hatten, dass die Leistungen ihrer Wirtschaft und Kulturschaf- fenden auch im Ausland finanziell entgolten wurden. Die USA, das Rus- sische Reich und das Habsburger Reich traten der Berner Union damals nicht bei, da sie als Kultur importierende L nder die Werke ausl ndischer Rechteinhaber gerne tantiemefrei nachdruckten und bersetzten. Die internationale Kooperation und Interessenpolitik der Autoren, Ver- leger und Kultur exportierenden Staaten wurde im 20. Jahrhundert mit der mehrfachen Revision der Berner bereinkunft fortgesetzt und fand ihren Niederschlag in weiteren hnlichen internationalen Konventionen wie der panamerikanischen Union, dem amerikanischen Pendant zur Berner Union, und dem nach dem Zweiten Weltkrieg gegr ndeten Welturheberabkom- men, das geringere Schutzbestimmung vorsah und deshalb von Entwick- lungsl ndern und sozialistischen L ndern bevorzugt wurde. Die verschiede- nen Traditionen und Str nge der Internationalisierung des geistigen Eigentums kamen schließlich Ende der 1960er Jahre in der World Intel- lectual Property Organization (WIPO) zusammen. Die WIPO organisiert heute als Spezialorganisation der UNO zahlreiche Staaten und vertritt welt- weit die Idee, dass die urspr nglichen Schçpfer vonWerken, die gegen Ver- vielf ltigung gesch tzt sind, ein Recht auf wirtschaftliche Ertr ge und mora- lische Rechte genießen. Sie operiert mit einer traditionellen Rhetorik und vieldeutigen Begriffen. Manche Kritiker meinen allerdings, dass sie tats ch- lich st rker die Interessen internationaler Medienunternehmen und Pharma- konzerne als die Anliegen der kreativen Schriftsteller, K nstler und Wissen- schaftler vertritt. Seit den 1980er Jahren werden in den europ ischen Staaten die Urhe- berrechte im Rahmen der Richtlinien der Europ ischen Union angegli- chen. Weltweit wird in den letzten Jahrzehnten der Schutz des geistigen Eigentums unter handelspolitischen Zielstellungen und im Rahmen multi- lateraler internationaler Freihandels- und Zollabkommen (von GATT ber WTO bis TRIPS) standardisiert und durchgesetzt. Internationale und nationale Erziehungs- und Moralisierungskampagnen verk nden die Idee des geistigen Eigentums. B rger, Nutzer und K ufer sollen zum ethisch und rechtlich korrekten Umgang mit dem geistigen Eigentum motiviert 75 Hannes Siegrist werden. Nutzergruppen und Staaten, die sich nicht an die Regeln hal- ten oder auch nur die Interpretationsspielr ume ausschçpfen, werden als »Piraten« kriminalisiert. Staaten, welche die international dominierende Auffassung vom geistigen Eigentum missachten oder nicht z gig institutio- nell umsetzen und praktizieren, werden durch Kreditrestriktionen, Handels- boykotte und die Verweigerung von Zollvorteilen sanktioniert. Die Welt des geistigen Eigentums befindet sich aufgrund der Globalisierung und Digitalisierung zurzeit in einem Stadium des Suchens und des bergangs. Die Zeit um 2000 kçnnte zu einer hnlichen historischen Z sur in der Ge- schichte der kulturellen Handlungsrechte werden wie die Zeit um 1800. 4. Probleme und Entwicklungslinien des geistigen Eigentums vom 18. Jahrhundert bis heute Im sp ten 18. und fr hen 19. Jahrhundert forderten immer mehr Akteure, den Umgang mit kulturellen G tern und Leistungen eigentumsfçrmig zu regeln. Sie kritisierten die traditionellen Herrschafts- und Steuerungsformen der aristokratisch-st ndischen Gesellschaft. Weil Privilegienwirtschaft und Zensur, Absolutismus und Merkantilismus die Freiheit und den gesellschaft- lichen, wirtschaftlichen und kulturellen Fortschritt behinderten, sollte der Umgang mit Texten, Bildern, Notenwerken und Auff hrungen im Rah- men einer neuen liberalen und rechtstaatlichen Governance des kulturellen Feldes umgestaltet werden. Die Dynamik des kulturellen Feldes gab damals diesen Forderungen Auf- trieb. Die Zahl der literarischen und k nstlerischen Produzenten und Nut- zer nahm zu. Die Vielfalt der geistigen Werke und Ausdrucksformen stieg ebenso wie die Vielfalt der Formen der Vermittlung, der Verwertung und des Gebrauchs. Bessere Reproduktionsverfahren sowie neue Medien und Transportmçglichkeiten sorgten daf r, dass sich Information, Wissen und Kultur verbreiten konnten; sofern sie nicht durch Zensur, Zçlle und allerlei obrigkeitsstaatliche Restriktionen behindert wurden. Seit dem sp ten 18. Jahrhundert stieg berdies die Nachfrage nach Medien, Information, Unterhaltung und Wissen in mehreren Sch ben auf immer neue Hçhen. Aufgrund der gemeinsamen Teilhabe an Informationen und Medien und der Verst ndigung ber Inhalte und Erkenntnisweisen formierte sich die so genannte b rgerliche ffentlichkeit. Leser, Kunst- und Musikliebhaber, Zuschauer und Zuhçrer, die informiert, gebildet und unterhalten werden wollten, konstituierten sich neu als »Publikum« und forderten als B rger und 76 Geschichte des geistigen Eigentums und der Urheberrechte Staatsb rger rechtliche Garantien f r den Zugang und den Umgang mit Texten, Bildern und Tonwerken. Den Durchbruch verdankte die Institution des geistigen Eigentums der Tatsache, dass sich die politischen, institutionellen und ideologischen Rah- menbedingungen aufgrund der Revolutionen und Reformen des 18. und 19. Jahrhunderts erheblich wandelten. Wegen der Einf hrung von Gewer- befreiheit, Eigentumsrechten, Vertragsfreiheit, B rgerrechten, Pressefrei- heit, Rechtsstaat und Kulturstaat nderte sich fr her oder sp ter auch der Umgang mit Texten, Bild- und Tonwerken. Besitzindividualismus und li- berales Eigentumsdenken gewannen an Bedeutung. Das B rgertum sorgte durch die Verb rgerlichung von Kultur und Gesellschaft und den Ausbau des nationalen Kultur- und Rechtsstaats daf r, dass die Verf gungsrechte ber Ausdrucksformen und geistigeWerke als individuelles »geistiges Eigen- tum« oder »literarisches und k nstlerisches Eigentum« begriffen wurden. Die Beziehungen zwischen Produzenten, Vermittlern und Nutzern »geistiger Werke« wurden fortan st rker durch die Leitidee und Institution des indi- viduellen Privateigentums (property) gepr gt. Damals begann der lange his- torische Prozess der Propertization von Kultur, Wissen, Information und Un- terhaltung, der nach Lawrence Lessig am Ende des 20. Jahrhunderts aufgrund der Globalisierung und Digitalisierung und Medienkonzentration in eine neue Phase eingetreten ist.2 »Propertization« bedeutete im 18. Jahrhundert, dass immer mehr Dru- cker und Verleger ihre vom Autor vertraglich erworbenen Vervielf lti- gungs-, Vertriebs-, Verkaufs- und Vermçgensrechte am materiellen Buch als ihr Eigentum betrachteten, das sie gegen den unerlaubten Nachdruck bzw. vor Nachdruckern, F lschern und so genannten Piraten sch tzen woll- ten. In der weiteren Entwicklung verschob sich das Interesse vom »mate- riellen Buch« zum »geistigen Werk« hin; nun wurden der immaterielle Ge- halt und die Ausdrucksform als geistiges Eigentum betrachtet. Als Gegenstand des literarischen und k nstlerischen Eigentums galten seit etwa 1800 neue, originelle, nicht selbstverst ndliche und subjektiv gestaltete Sinnzusammenh nge, Darstellungen und Symbolisierungen. Die Zahl der als geistiges Eigentum betrachteten und gesch tzten Gegen- st nde und Leistungen nahm langfristig erheblich zu. Das urspr nglich enge Spektrum der gesch tzten Werke – gedruckte Text-, Bild- und Notenwer- ke – wurde seit dem sp ten 19. Jahrhundert erg nzt durch Fotografien, Ge- schmacksmuster, mechanisch reproduzierte Tonwerke (von der Schallplatte bis zur Compact Disc), Filme, Rundfunk- und Fernsehsendungen, k nst- lerische Leistungen von S ngern und Schauspielern sowie schließlich Com- puterprogramme und vieles anderes mehr. 77 Hannes Siegrist Langfristig wurden auch die Funktionen und Handlungsrechte und Beziehun- gen, die eigentumsfçrmig geregelt wurden, immer zahlreicher und vielf l- tiger. Im sp ten 18. und fr hen 19. Jahrhundert ging es noch vor allem um das Drucken und das kommerzielle Verwerten von Kopien (Nachdruck- recht, Copyright) und Auff hrungsrechte. Um 1900 kamen weitere Rechte im Umgang mit Ausdrucksformen und symbolischen Darstellungen hinzu, wie das bersetzen und Bearbeiten. Die Vermçgensrechte des Autors, die urspr nglich den Kern der Gesetzgebung zum geistigen Eigentum bildeten, wurden seit dem sp ten 19. Jahrhundert durch die moralischen Autoren- rechte erg nzt. Diese sanktionierten rechtlich verbindlich die sthetische und moralische Norm, dass zwischen dem Urheber und seinem Werk eine enge persçnliche Beziehung besteht, und sch tzten das Werk vor in- haltlichen Entstellungen und Verf lschungen durch Nachdrucker, Schau- spieler, Aussteller und die Besitzer von Bildern. Heute werden alle mçgli- chen Rechte der Herstellung, Umformung, Darstellung, Bearbeitung, bersetzung, Vervielf ltigung, Verbreitung, Verwertung, Nutzung und Aufbewahrung geistiger Werke und symbolischer Formen als geistige Ei- gentumsrechte betrachtet. Aufgrund der Verl ngerung der Schutzfristen durch nationale Gesetzgebung und internationale Abkommen dehnte sich das private geistige Eigentum zeitlich immer weiter aus. Um 1800 galt als Schutzfrist in Frankreich die Lebenszeit plus 10 Jahre. In der angels chsischen Welt betrug die Schutzfrist damals 14 Jahre nach dem ersten Erscheinen des Werks; sie konnte aufgrund eines Verl ngerungsantrags um weitere 14 Jahre auf insgesamt maximal 28 Jahre ausgedehnt werden. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts erstreckte sich die Schutzfrist in vielen europ ischen L ndern auf die Lebenszeit des Autors plus 30 Jahre, in den USA auf minimal 28, maximal 56 Jahre nach der ersten Publikation. Im mittleren 20. Jahrhundert stieg die Schutzfrist in Europa auf 50 Jahre nach dem Ableben des Autors, im sp ten 20. Jahrhundert auf 70 Jahre nach dem Ableben des Autors. In den USA, wo die Schutzfrist seit den 1960er Jahren auf Druck von Unternehmens- und Autorenverb n- den durch Gesetzgebung mehrmals ausgedehnt wurde, betr gt sie seit 1998 f r die geistigen Eigentumsrechte von Firmen 95 Jahre. Um 1800 interessierten sich Drucker, Verleger und Autoren in erster Linie f r die Rechte der mechanischen Reproduktion bzw. der Herstellung von Kopien (Englisch: Copyrights) und die damit verbundenen kommerziel- len Vertriebsrechte; seit dem sp ten 19. Jahrhundert dann zunehmend auch f r die davon abgeleiteten und nun auch gesch tzten bersetzungsrechte und Rechte der Mehrfachverwertung. B hnen- und Konzertunternehmen erwarben urspr nglich die Urheberrechte, um sich die Vervielf ltigungs- 78 Geschichte des geistigen Eigentums und der Urheberrechte und Auff hrungsrechte zu sichern; im Zeitalter von Schallplatte, Musikkas- sette und Film kam das Interesse an den Rechten der mechanischen Repro- duktion und der bertragung durch Radio, Fernsehen und alle weiteren Medien hinzu, womit sich weit mehr verdienen ließ als mit dem Verkauf gedruckter Noten. Angesichts des Wachstums der M rkte der Massen-, Po- pul r- und Hochkultur sowie der Vermehrung der Verwertungsmçglich- keiten nahm die Bedeutung des Urheberrechts als Vermçgensrecht und In- vestitionsschutz langfristig erheblich zu. Deshalb stehen in der heutigen Debatte vielfach seine gewerbe- und handelsrechtlichen Dimensionen und der Investitionsschutz im Vordergrund. Dagegen regt sich allerdings aufgrund einer langen pluralistischen Tradition des geistigen Eigentums die Opposition derjenigen, die mit dem Urheberrecht in erster Linie die moralischen Rechte des Autors und die Bedingungen f r kreatives Schaffen sichern mçchten. Aufgrund langfristiger internationaler und interkultureller Austausch- und Verflechtungsprozesse haben sich die geistigen Eigentumsrechte im 19. und 20. Jahrhundert langfristig europa- und weltweit angeglichen. In einigen Punkten und in der Praxis unterscheiden sie sich jedoch je nach Land und Kultur bisweilen noch erheblich. Rechtswissenschaftler unterscheiden zum Beispiel aufgrund der Rechts- normen und Rechtskulturen zwischen dem autorzentrierten kontinen- taleurop ischen »Urheberrecht« und »Urheberpersçnlichkeitsrecht« auf der einen Seite, und dem verlegerzentrierten angels chsischen »Copyright«, das vor allem den kommerziellen Austausch von materiellen Reproduk- tionen regelt, auf der anderen. Da sich das moralische Urheberrecht und Urheberpersçnlichkeitsrecht in Europa allerdings erst im 20. Jahrhun- dert rechtlich durchsetzte, gilt dieser Befund indessen vor allem f r das 20. Jahrhundert. Zurzeit scheint diese Differenz aufgrund der europ - isch-amerikanischen Rechtsangleichung und der Tendenz zu einer globalen Institutionalisierung und Organisation des geistigen Eigentums und ver- wandter kultureller Handlungsrechte zu verblassen. Die vergleichende Kulturgeschichte zeigt berdies, dass die allgemeinen Vorstellungen und Praxisformen des geistigen Eigentums in Europa und Amerika auf- grund der intensiven wirtschaftlichen und kulturellen Austausch- und Konkurrenzbeziehungen schon l nger hnlicher waren, als der bloße Rechts- und Normenvergleich suggerierte. Europa und Amerika sind historisch und aktuell die Pioniergebiete des geistigen Eigentums und ha- ben in den letzten zweihundert Jahren in wechselnden Formen und Konstellationen f r die weltweite Verbreitung des geistigen Eigentums gesorgt. 79 Hannes Siegrist 5. Der Bedeutungswandel des Urheberrechts Geistiges Eigentum bezeichnet ein B ndel von Handlungsrechten und Hand- lungsregeln, dessen Zusammensetzung, Bedeutung und Funktion historisch und kulturell variiert. Wenn wir heute von geistigem Eigentum sprechen, so ist damit sehr viel mehr gemeint als noch um 1800. Die Karriere des Urheber- rechts hatte als Gewerbe- und Handelsrecht, Wettbewerbsrecht und Mittel des Investitionsschutzes f r Kopien, die als Ware und Kulturgut zugleich gal- ten, begonnen. Nach und nach regelte es alle mçglichen weiteren kulturellen Handlungsrechte von Produzenten, Vermittlern und Nutzern. Die Institution des geistigen Eigentums pr gte und pr gt in modernen und dynamischen Gesellschaften auch die Vorstellungen von Kreativit t und Kultur. Im Reden ber Autorenrechte, literarisches und k nstlerisches Ei- gentum und Copyrights verst ndigen sich Individuen und Gruppen seit zweihundert Jahren ber Freiheit, Kultur, Fortschritt, Gerechtigkeit und Gleichheit. Indem das geistige Eigentum als Begriff und Institution immer vieldeutiger wurde und eine wachsende Zahl verschiedenster Funktionen und Zwecke anzeigen konnte, nahmen auch die Missverst ndnisse und In- strumentalisierungen zu. »Urheberrechte« dienten und dienen trotz der Be- zeichnung mitunter weniger dem Schutz des Autors als dem Schutz von Rechteinhabern wie Medienunternehmen und Verwertungsgesellschaften oder Witwen, Kindern und Enkeln von Autoren. Autorenverb nde ver- suchen deshalb seit mittlerweile gut hundert Jahren, die Interessen der Au- toren und – wie sie heute genannt werden – Kreativen auch durch Verbes- serungen der Arbeits- und Tarifrechte f r angestellte Autoren und arbeitnehmer hnliche geistige Produzenten zu st rken. Man tut deshalb gut daran, das geistige Eigentum im Zusammenhang mit anderen Formen der Institutionalisierung kultureller Handlungsrechte zu untersuchen. Anmerkungen 1 Zitiert und bersetzt nach Davies (1994), S. 186. 2 Vgl. Lessing (2004). Literatur Davies, Gillian (1994): Copyright and the public interest, Weinheim. Lessig, Lawrence (2004): Free culture. How big media uses technology and the law to lock down culture and control creativity, New York. 80 Klaus Goldhammer Wissensgesellschaft und Informationsg ter aus çkonomischer Sicht* 1. Einleitung Im allt glichen Leben erfahren wir die Tragweite der Ver nderungen, die neue (Medien-)Technologien mit sich bringen: Handy, Internet und TV bestimmen oftmals nicht nur den Alltag: Schon 57,9 Prozent der Deutschen ab 14 Jahre nutzten 2005 das Internet, Tendenz: weiter steigend.1 Digitale Informationen werden weltumspannend verarbeitet, gespeichert, abgerufen und kommuniziert. Insbesondere f r moderne Industriestaaten nehmen Informationen – und damit auch das Wissen, welches durch die individuelle Bewertung der In- formation entsteht – eine zentrale Position ein und werden zu einer der entscheidenden Einkommensquellen im Wirtschaftsleben. Diese Tatsache gilt umso mehr f r rohstoffarme L nder wie die Bundesrepublik Deutsch- land. Informationen werden daher bereits in einem Atemzug mit den tra- ditionellen Wirtschaftsfaktoren Rohstoff, Arbeit und Kapital genannt. Das Feld der Informationsg ter gewinnt also innerhalb der Wirtschaftswissen- schaften immer weiter an Bedeutung. – Doch was kennzeichnet Informa- tionsg ter? Informationsg ter weisen aus çkonomischer Sicht eine ganze Reihe von Eigenschaften auf, die sie von vielen anderen G tern unterscheiden. Beim Konsum von Information liegt z.B. (meist) keine Rivalit t vor. Das heißt mehrere Menschen kçnnen Informationen nutzen, ohne dass Nachteile f r die Mitnutzer entstehen. Das Signal eines Leuchtturms etwa kann zugleich mehrere Seefahrer vor Klippen warnen. Ein Schnitzel hingegen kann nur sehr eingeschr nkt mehrere Seem nner s ttigen. Außerdem ist es schwierig, Personen vom Konsum von Information auszuschließen. Diese Faktoren machen Information zu einem so genannten çffentlichen Gut.2 Schwierig ge- staltet sich auch etwa die so genannte Nutzenbewertung, da Informationspro- dukte komplexe G ter sind, deren Qualit t oft noch nicht einmal nach der * Dank an Ellen Kr ger und Christian Veer von Goldmedia, Berlin. 81 Klaus Goldhammer Nutzung leicht zu bewerten ist. Zudem haben Informationen externe Effekte, das heißt sie betreffen z.B. auch Personen, die weder Produzent noch Kon- sument sind. All diese Eigenschaften kçnnen zu so genanntem Marktversagen f hren – das heißt dass die betreffenden G ter nicht produziert werden und Bed rf- nisse somit unbefriedigt bleiben. Der Ausgleich der Interessen funktioniert in einer Marktwirtschaft also nur eingeschr nkt.3 Man nimmt z.B. an, dass bestimmte, als qualitativ hochwertig empfundene Informationen wegen der speziellen G tereigenschaften von Informationen nicht produziert w rden. Da man davon ausgeht, dass jedoch ein Bed rfnis danach besteht und diese zudem gesellschaftlich erw nscht sind (so genannte meritorische G ter), greift hier der Staat ein. Beispiele hierf r sind die Forschung an Universit ten wie Abb. 1: G tereigenschaften und ihr Einfluss auf die Marktf higkeit Tendenz zum Marktversagen steigt Privates Gut Mischgut Öffentliches Gut Ausschluss vom Konsum a) Clubgut:Ausschluss Ausschluss vom Konsum möglich möglich, keine Rivalität schwer/nicht möglich Rivalität im Konsum b) Gemeingut:Ausschluss Keine Rivalität schwer möglich, aber im Konsum Rivalität Inspektionsgut Erfahrungsgut Vertrauensgut Nutzenbewertung Nutzenbewertung Nutzenbewertung vor Kauf möglich nach Kauf möglich kaum/nicht möglich Gut mit wenig Gut mit vielen externen Effekten externen Effekten Gut ohne Meritorik/ Gut mit Meritorik/ Demeritorik Demeritorik Eigene Darstellung 82 Markt funktioniert Markt versagt Wissensgesellschaft und Informationsg ter aus çkonomischer Sicht auch der çffentlich-rechtliche Rundfunk oder direkte Subventionen f r Opern und indirekte f r B cher. Medienunternehmen haben außerdem Strategien entwickelt, um Infor- mationsprodukte vermarktbar zu machen. Eine gedruckte Zeitung ist z.B. schon besser vermarktbar als die bloße Information. Vielfach werden Me- dienprodukte zudem ber Werbung querfinanziert.4 Derzeit sind jedoch einige dieser Strategien wegen der Auswirkungen der Digitalisierung nicht mehr tragf hig, sei es, weil etwa Informationen vermehrt ohne Bindung an stoffliche Tr ger vorliegen und ohne Qualit ts- verlust vervielf ltigt werden kçnnen oder weil Mçglichkeiten entstehen, Informationsprodukte zu nutzen und dabei die sie finanzierende Werbung auszublenden. 2. G ter aus çkonomischer Sicht Die Wirtschaftswissenschaft geht davon aus, dass G ter die Aufgabe haben, menschliche Bed rfnisse, etwa das Hungergef hl, zu befriedigen: Ist ein Be- d rfnis mit Kaufkraft ausgestattet, also z.B. Geld vorhanden, um ein Schnit- zel zu kaufen, spricht man von Bedarf. Um unsere Informations- und Unterhaltungsbed rfnisse zu befriedigen, steht heute eine Vielzahl an Quellen zur Verf gung, die den »Rohstoff« Information f r das jeweilige Medium entsprechend zusammenstellen, aufbereiten und distribuieren. Vor allem Medienunternehmen erzeugen, finanzieren und vermarkten das Gut Information f r unterschiedliche Be- d rfnisse. Internet und Radio informieren rasch ber aktuelle Ereignisse, das Fernsehen bietet relativ aktuelle Hintergrundberichte und Bewegtbil- der und die Tageszeitung berichtet umfassend ber das Geschehene des Vortages. Zu beachten ist dabei, dass die eigentlichen Produkte von Medien- unternehmern nicht die Tr germedien selbst sind, sondern die Medien- inhalte (Content). Zeitungs- und Zeitschriftenverlage verkaufen nicht be- drucktes Papier, sondern Information, die allerdings an den stofflichen Tr ger Papier gekoppelt ist.5 Genauso wenig kauft man eine runde Plastik- Scheibe namens CD oder DVD, sondern die darauf gespeicherte Musik oder Filme. 83 Klaus Goldhammer Drei (Vor-)Bedingungen f r G ter Drei Bedingungen m ssen G ter – also auch Informationsg ter – aus wirt- schaftlicher Perspektive stets erf llen: – Sie befriedigen direkt oder indirekt menschliche Bed rfnisse, sie besitzen also einen Gebrauchswert. – Sie treffen auf eine Nachfrage, es ist also ein Bedarf vorhanden. – Sie sind nicht frei verf gbar, also knapp und erzielen einen Preis.6 Die çkonomische G terlehre befasst sich haupts chlich mit G tern, die auf M rkten gehandelt werden, also den Orten, wo Nachfrage und Angebot zusammentreffen. Das Schnitzel ist ein Konsumprodukt und wird auf dem Konsumg termarkt angeboten und nachgefragt. Die Frage, ob Informations- bzw. Medienprodukte eigentlich G ter im çkonomischen Sinn sind, stellt sich auf den ersten Blick nicht, da sie ja mehr- heitlich auf M rkten angeboten und nachgefragt werden: Sie befriedigen menschliche Bed rfnisse nach Information, Unterhaltung, Bildung etc., treffen auf eine Nachfrage und sind – trotz Massenpresse und Mehrkanal- fernsehen – nur begrenzt verf gbar. Die Tageszeitung ist also ein Medien- produkt und wird auf dem Medienmarkt gehandelt. Zentraler Rohstoff des Mediensystems ist die Information. Generalproblem Marktversagen G ter unterscheiden sich jedoch in ihrer Marktf higkeit, also ihrer Eig- nung daf r, auf M rkten gehandelt zu werden. Sind G ter nicht oder nur eingeschr nkt marktf hig, kann dies zu Marktversagen f hren – die allokative und die produktive Effizienz sind nicht gew hrleistet.7 Produktive Effizienz meint, dass so wirtschaftlich wie mçglich hergestellt wird. Allo- kative Effizienz liegt vor, wenn gem ß den Vorlieben der Konsumenten produziert wird, also deren Bed rfnisse mçglichst optimal befriedigt wer- den. Versagt die unsichtbare Hand des Marktes kann es also vorkommen, dass Bed rfnisse unbefriedigt bleiben. Die wichtigsten Ursachen f r Markt- versagen sind: – Das Vorhandensein çffentlicher G ter und damit mangelnde Ausschluss- mçglichkeiten vom Konsum bzw. keine Rivalit t im Konsum, – externe Effekte sowie – Schwierigkeiten in der Nutzenbewertung. Da Informations- und Medienprodukte vielfach auf M rkten gehandelt werden, geht man davon aus, dass sie marktf hig sind, man sie also kaufen und verkaufen kann. Im Vergleich zu anderen G tern besitzen Informati- 84 Wissensgesellschaft und Informationsg ter aus çkonomischer Sicht onsg ter jedoch recht viele dieser spezifischen Eigenschaften, die ihre Marktf higkeit zum Teil stark einschr nken. 3. Hauptgrund f r das Marktversagen: Informationen sind zumeist çffentliches Gut ffentliche G ter zeichnen sich dadurch aus, dass erstens keine Rivalit t im Konsum vorliegt und zweitens Nicht-Zahler nicht vom Konsum aus- geschlossen werden kçnnen. Erf llt ein Produkt lediglich eines der beiden Kriterien, handelt es sich um ein so genanntesMischgut. Hier wird zwischen Allmende- bzw. Gemeing tern wie zum Beispiel der Atemluft (Kennzei- chen: man kann niemanden von der Nutzung ausschließen) und Club- bzw. Mautg tern wie zum Beispiel dem Kinobesuch (fehlende Rivalit t im Konsum) unterschieden. Ist das Ausschlussprinzip anwendbar und Ri- valit t im Konsum vorhanden, spricht man in der konomie von privaten G tern, die uneingeschr nkt marktf hig sind, wie es beispielsweise bei Kon- sumg tern stets der Fall ist. Ein Schnitzel kann nur einmal verspeist werden, nach dem Genuss ist jeder weitere Verzehr ausgeschlossen. Es liegt also eine Rivalit t im Konsum vor, das heißt nachdem ein Gut konsumiert wurde, steht es niemandem anderem mehr zum Konsum zur Verf gung. Informationen hingegen kann man nicht physisch abnutzen, sie sind immateriell. Immaterielle G ter – so scheint es – verbrauchen sich nicht. Trotzdem kann Rivalit t vorliegen. Ein Friseur etwa kann nicht gleichzeitig mehreren Kunden die Haare schneiden. Und wer seine Zeit im Wartezimmer eines Arztes verbringt, merkt ebenfalls schnell, dass eine Rivalit t im Konsum der immateriellen Dienstleistung des Arztes vorliegt. Informationsg ter aber unterscheiden sich von vielen Dienstleistungen, die ebenfalls immateriell sind. Auch das mehrmalige Anhçren einer CD nutzt die Musik nicht ab; Fernsehnachrichten werden ebenfalls ohne unappetitli- che Abnutzungserscheinungen von vielen Zuschauern gleichzeitig gesehen. Ein Roman kann ohne echte Inhaltsverluste durch eine B cherei mehrmals ausgeliehen werden, die Zeitschrift beim Arzt oder Friseur lesen viele War- tende ohne Nachteile. Eine Internetseite oder die Fußballbundesliga-Kon- ferenz im Radio kçnnen viele Nutzer gleichzeitig haben, ohne dass der ein- zelne dadurch Nachteile erleiden muss. Wie die Beispiele zeigen, sind Informationsg ter also grunds tzlich durch Nicht-Rivalit t im Konsum ge- kennzeichnet: Wurden sie erst einmal (mehr oder weniger teuer) produziert, 85 Klaus Goldhammer kçnnen sie zu vergleichsweise geringen Kosten einer Vielzahl von Menschen sogar je nach Medium gleichzeitig zug nglich gemacht werden, ohne dass der Einzelne dabei, ganz anders als beim Schnitzel, Nachteile erleidet. F r einen Fernsehsender ist es zun chst von der Kostenseite her uner- heblich, ob eine ausgestrahlte Sendung nur von einem Zuschauer oder meh- reren Millionen verfolgt wird. Sogar f r Verleger gedruckter Medien gilt dies bis zu einem gewissen Grad: Die Kosten f r eine Zeitschrift mit einer Auflage von 200000 gedruckten Exemplaren sind keineswegs doppelt so hoch wie f r eine mit 100000. Grund ist, dass die meisten Kosten f r die Erstellung der so genannten Urkopie (auch First-Copy-Costs) anfallen. Zuweilen wird die Medienbranche deshalb als Blaupausen-Industrie8 bezeichnet. Eine Einschr nkung kann sich hçchstens aus der Aktualit t von Informationen ergeben: Nach Tagen oder auch Wochen kann das Informationsgut f r den Konsumenten an Bedeu- tung verlieren. Sogar innerhalb weniger Minuten kann der Wert von In- formationen sinken, die f r Bçrsenkurse relevant sind. Auch das Produkt Tageszeitung ist aus wirtschaftlicher Perspektive leicht verderblich, denn f r die Mehrheit der Leser ist deren Inhalt am Folgetag berholt und somit nahezu wertlos – es gibt bekanntlich nichts lteres als die Zeitung von gestern.9 Informationen haben zudem die Eigenschaft, dass sich ihre Aufnahme nicht ohne weiteres auf eine bestimmte Gruppe von Personen beschr nken l sst. Eigentumsrechte und somit der Preis f r die Nutzung der reinen In- formation sind im Allgemeinen schwer durchsetzbar. Nichtzahler kçn- nen vom Konsum vielfach nicht ausgeschlossen werden – das so genannte Freerider-Problem tritt auf. Fehlende Ausschlussmçglichkeiten sind neben Nicht-Rivalit t in der konomie das zweite Kriterium f r çffentliche G ter. Genauso wenig wie die Nutzung der warnenden Information eines Leuchtturms Rivalit t erzeugt, kçnnen Personen sinnvoll von der Nutzung ausgeschlossen werden.10 Ebenso sitzt ein Fernsehbesitzer auch ohne Zah- lung der Rundfunkgeb hren bei ARD und ZDF in der ersten Reihe. Das so genannte Ausschlussprinzip ist bei Information also ebenfalls nur schwer durchsetzbar. Terrestrischer (also via erdgebundener Antennen verbreiteter) Rundfunk ist im Prinzip so frei verf gbar wie Luft. Im Gegensatz zur Atem- luft, die verbraucht werden kann, verbraucht er sich jedoch nicht. Die Grundform des Rundfunks ist somit ein typisches Beispiel f r ein çffentliches Gut. Diese Tatsache ist wichtigster Grund daf r, dass Information zun chst als nicht marktf hig angesehen werden muss. Denn wenn man niemanden von der Nutzung ausschließen kann und die anderen Nutzer keinen Nach- 86 Wissensgesellschaft und Informationsg ter aus çkonomischer Sicht teil durch unberechtigte Nutzung erleiden, wird es immer schwerer, Geld f r solche Information zu verlangen. Wenn aber kein Geld oder sonstige Kompensation verlangt werden kçnnen, ist es schwierig, Personen zu moti- vieren, da sie – so die çkonomische Annahme – vor allem aus Eigennutz handeln. Die Folge w re, dass Informationsg ter – trotz Bedarf – nicht pro- duziert w rden. (Abbildung 2 stellt das Verh ltnis von çffentlichen und pri- vaten G tern vereinfacht dar.) Abb. 2: ffentliche vs. private G ter Club-/Mautgut Rivalität im Konsum 100 % Privates Gut • Kinobesuch • Schnitzel • Kabel-TV • Fernsehgerät • Pay-TV • Anzeige/TV-Spot • Leuchtturm • terrestrischer • Atemluft Rundfunk • Trinkwasser Öffentliches Gut Gemeingut Eigene Darstellung Wie çffentliche Informationsg ter teilweise marktf hig werden Dass Informationen produziert werden, obwohl sie eine generelle Eigen- schaft als çffentliche G ter haben, liegt in erster Linie daran, dass Informa- tionen in der Regel nicht als reine Information vermarktet werden: Im- materielle Informationsg ter sind h ufig an materielle Tr germedien gebunden, um deren Vermarktung zu erleichtern. F r die Vermarktung nachteilige G tereigenschaften von Information werden durch das Tr ger- medium also kompensiert. Medienprodukte werden so marktf higer. Beim Beispiel der Zeitung stellt das f r die Produktion notwendige Pa- pier ein privates Gut dar. Die Verbindung von Papier und Inhalt ermçglicht eine Begrenzung des Leserkreises – das Informationsprodukt Zeitung wird dadurch zu einem Mischprodukt und also marktf hig. Konkurrenz in der Nutzung der reinen Information besteht zwar nach wie vor nicht, da der gleiche Inhalt einer Vielzahl von Lesern zug nglich gemacht wird, ohne dass 87 Ausschließbarkeit 100 % Klaus Goldhammer diese sich beim gleichzeitigen Konsum stçren und einzelne Worte oder S t- ze verloren gingen. Aber es besteht Rivalit t im Konsum der einzelnen ge- druckten Ausgabe einer Zeitung. Sie kann nur von einer sehr begrenzten Anzahl von Menschen zugleich genutzt werden und zudem nur bei einge- schr nkter Nutzungsqualit t. F r auf einem Tontr ger vermarktete Musik oder ber Tr germedien distribuierte Filme gilt hnliches. Die Rivalit t im Konsum ist allerdings schon geringer als bei gedruckten Medien. Auch der Ausschluss gestaltet sich schwieriger, ist aber teilweise mçglich. Das terrestrische analoge Fernsehen hingegen erlangt durch die Verbin- dung von Inhalt und Informationstr ger keine Marktf higkeit auf dem Publikumsmarkt. Es d rfte den Anbietern schwer fallen, den Kreis der TV-Zuschauer zu begrenzen, da die immateriellen Funkfrequenzen sich durch Unteilbarkeit auszeichnen und auch nicht vor den TV-Ger ten der Schwarzseher halt machen. Deshalb sind Rundfunksender klassischerweise entweder ber zwangs- weise zu zahlende Geb hren (çffentlich-rechtlicher Rundfunk) oder ber Werbung finanziert. Die Finanzierung ber Werbung stellt gewissermaßen eine Querfinanzierung der Inhalte ber den Verkauf der dabei durch die Nutzung entstehenden Aufmerksamkeit dar. W hrend der Inhaltemarkt versagt, funktioniert der Werbemarkt sehr wohl. Um die wenigen reich- weitenstarken Pl tze f r Werbung – sprich Zugang zu den Zuschauern – besteht Rivalit t. Zudem kçnnen nicht zahlende Werbungtreibende von der Nutzung der eigenen Werbefl chen leicht ausgeschlossen werden. TV- Spots und Anzeigen sind also rein private G ter. Diese privaten G ter fi- nanzieren das çffentliche Gut Information quasi quer.11 Um auf dem umk mpften Markt bestehen zu kçnnen, passen Medien- unternehmer ihre Produkte verst rkt den spezifischen Bed rfnissen einzel- ner Nutzergruppen an. Sie legen individuelle »Kçder«, um bestimmte Kon- sumenten zu angeln. Durch die Schaffung so genannter selektiver Anreize bekommt das çffentliche Informationsgut f r den Nutzer den Charakter eines Privatgutes – um private Informations-, Unterhaltungs- oder Neugier- bed rfnisse zu befriedigen, sind Personen bereit, einen in ihren Augen an- gemessenen Preis f r das Informationsprodukt zu zahlen. Nehmen wir beispielsweise den Markt der Zeitschriften, der von Jahr zu Jahr vielf ltiger und un berschaubarer wird und von einer zunehmen- den thematischen bzw. zielgruppenbezogenen Spezialisierung gekennzeich- net ist. ber die jeweilige inhaltliche Ausrichtung fasst der Medienunter- nehmer den Konsumentenkreis enger: So zeigen Jugendliche zumeist we- nig Interesse an Gartenzeitschriften, Frauen sind in den seltensten F llen an M nnermagazinen interessiert, M nner interessieren sich tendenziell 88 Wissensgesellschaft und Informationsg ter aus çkonomischer Sicht Abb. 3: Interdependenzen zwischen Informations-Anbietern, Werbungtreibenden und Rezipienten Informations- Anbieter Markt funktioniert Markt versagt tendenziell Informations- anbieter bieten Rezipienten zahlen für Kontakt zu Informationsgut nicht in Rezipienten Information ausreichendem Maße, (= privates Gut) (= öffentliches Gut) bringen jedoch wird kostenlos oder Einschaltquote, unter Wert angeboten Reichweite etc. Werbungtreibende zahlen für Kontakt zu Rezipienten Werbung- bieten „normale“ Produkte/Dienstleistungen (= private Güter) treibende Rezipienten Rezipienten kaufen beworbene Markt funktioniert Eigene Darstellung weniger f r Modejournale. Auch ein Pay-TV-Anbieter ber cksichtigt die speziellen Bed rfnisse seines Publikums, indem er unterschiedliche Pro- grammpakete schn rt. So kann der Sportfan nur das Sportangebot abon- nieren, der Filminteressierte wird nur mit den neuesten Spielfilmen ver- sorgt.12 Ein Versuch, die Marktf higkeit durch gesetzgeberische Maßnahmen zu erhçhen, stellt auch das Urheberrecht dar. Urspr nglich wurde das Urhe- berrecht im 18. Jahrhundert mit dem Ziel eingef hrt, die Produktion von Kulturg tern, wie beispielsweise B chern oder Musikst cken, zu fçrdern. Man vertrat die Annahme, dass bei entsprechenden Rahmenbedingungen die Kreativen motiviert sind, kreativ zu sein und die Vermarkter bereit sind, in diese Leistungen zu investieren. Die Verbreitung, Ver nderung bzw. Weitervermarktung von Informationsg tern setzte die Zustimmung des Kreativen bzw. seines Verlegers sowie eine angemessene Entsch digung da- f r voraus. 89 Klaus Goldhammer 4. Folgen der Digitalisierung und Vernetzung In der Folge von Digitalisierung und Vernetzung, werden Informations- g ter zunehmend virtuell vertrieben. Es kommt also zu einer Entkopplung von Informationsgut und Tr germedium. Die durch das Tr germedium hergestellte partielle Rivalit t im Konsum verringert sich also wieder. Au- ßerdem kçnnen von digitalen G tern perfekte Kopien erstellt werden, das heißt bei der Vervielf ltigung entsteht kein Qualit tsverlust. Dadurch sinkt ebenfalls die Rivalit t und der Ausschluss vom Konsum gestaltet sich schwieriger – zudem ermçglicht das Internet die einfache und schnelle Ver- breitung. Ein digital vorliegender Artikel kann theoretisch von einer unend- lichen Anzahl von Personen zugleich genutzt werden. hnlich verh lt es sich mit MP3-Dateien im Gegensatz zu einzelnen Musik-CDs. Digitalisierung und Vernetzung verringert also zun chst die Rivalit t im Konsum und Ausschlussmçglichkeiten. Was f r den einzelnen Nutzer zu- n chst vorteilhaft klingen mag, birgt jedoch Probleme f r Produzenten von Informationsg tern: Mit sinkender Rivalit t und sinkenden Ausschlussmçg- lichkeiten sinkt auch die Marktf higkeit und wegen des fehlenden Interes- sensausgleichs durch die unsichtbare Hand des Marktes auch die Motivation, Informationen zu produzieren, weil sich immer weniger Geld damit ver- dienen l sst.13 Auf der anderen Seite bietet die Digitalisierung jedoch auch neue Chancen, die Marktf higkeit von Informationsg tern zu erhçhen, vor allem indem versucht wird, ber Verschl sselungs-Software und Digitale Rechte Management-Systeme (DRM)14 neue technologische Mçglichkei- ten des Ausschlusses vom Konsum zu schaffen. Betreiber kostenpflichtiger Websites oder Pay-TV-Anbieter haben sehr gut gelernt, wie man den Zugang zu Informationen oder Unterhaltung ef- fektiv beschr nkt und somit exklusiv macht. Zumeist liegt die Lçsung in der Kontrolle der Transportmittel oder -wege, die im Zuge der Digitalisierung erst richtig mçglich wird: W hrend ein Film im Fernsehen ein çffentliches Gut im Verbreitungsgebiet des Senders darstellt, ist derselbe Film, verschl s- selt ausgestrahlt im Pay-TV (Bezahlfernsehen), ein exklusives Informations- gut f r die zahlenden Abonnenten des Veranstalters. Der Ausschluss von Personen wird in diesem Fall nicht ber den In- formationstr ger, sondern ber die Verschl sselung des Angebotes erreicht. Die Informationsprodukte Film oder Sport sind den Haushalten vorbe- halten, die ber einen entsprechenden kostenpflichtigen Decoder verf - gen, der f r ein entschl sseltes Fernsehbild im heimischen Wohnzim- mer sorgt. Diejenigen, die mit dem Pay-TV-Anbieter keinen Vertrag ge- schlossen haben und nicht das nçtige Ger t besitzen, kçnnen mçglicher- 90 Wissensgesellschaft und Informationsg ter aus çkonomischer Sicht weise das Programm empfangen, jedoch ist dieses aufgrund verzerrter Sig- nale f r sie unnutzbar. Rivalit t in der Nutzung besteht beim Pay-TV wiederum nicht, da eine Vielzahl von Abonnenten das Programm kol- lektiv sehen kann. Das Bezahlfernsehen, unabh ngig von der Art des Aus- schlusses, ist somit kein Privatgut sondern ein so genanntes Club-Gut: Nutzen kçnnen die Angebote alle, die (zahlendes) Mitglied sind. F r den Pay-TV-Veranstalter bildet das Entgelt f r die Nutzung (die Abonnement- geb hr) die Haupteinnahmequelle. Die Kosten f r den Zuschaueraus- schluss kçnnen durch digitale Technologien vergleichsweise gering gehalten werden. Abb. 4: Das Prinzip des Pay-TV Produktion/ Vermarktung Verbreitung Abo-Vertrag Nutzung des Einkauf des des verschlüsselter Decoder entschlüsselten Programms Angebotes Signale Entgelt Programms Pay-TV-Anbieter Pay-TV-Abonnent Eigene Darstellung Dennoch sind Medien stets çffentliche G ter. Zum einen erwirbt der K u- fer niemals die Originalinformation, sondern lediglich eine Kopie. Diese stehen einem breiten Konsumentenkreis zur Verf gung. Und auch im Bei- spiel der Zeitung und des Pay-TV wird es wohl nie gelingen, Zahlungs- unwillige vollst ndig von der Nutzung auszuschließen: So liest neben dem K ufer einer Tageszeitung gelegentlich auch sein Nachbar in der U-Bahn den Inhalt interessiert mit oder der Pay-TV-Abonnent l dt sich Freunde ein, um ein wichtiges Fußballspiel in geselliger Runde zu verfolgen oder aber ein Nichtzahler schaut das Premiere-Programm in einemRundfunkgesch ft an. Die bestehenden Ausschlussmçglichkeiten sind keineswegs perfekt: So ist das Kopieren einer Musik-CD nach wie vor leicht mçglich, da Kopier- schutzsysteme nur begrenzt funktionieren und von eifrigen PC-Nutzern umgangen werden.15 Der Rechtsrahmen verlor unter den »neuen« Gege- benheiten in vielen Bereichen seine Wirkung. Das »alte« Urheberrecht ver- sagt im digitalen Zeitalter: Movie- und Musik-Kopien werden zum Teil schon vor deren Erst-Verçffentlichung im Netz gehandelt, illegale Down- loads sind fast zur Selbstverst ndlichkeit geworden. Den Produzenten digi- taler Inhalte entgeht damit vielfach die Verg tung ihrer Eigentumsrechte und eine Refinanzierung ihrer Investitionen. 91 Klaus Goldhammer Die von der Industrie so gef rchtete Privatkopie, also das Recht als K u- fer eines Mediums die Inhalte f r die eigene Nutzung zu kopieren, ist jedoch kein Ph nomen der digitalen Gesellschaft. Schon im analogen Zeitalter16 wurde privat vervielf ltigt – auf Kassetten und Tonb ndern fanden sich die Lieblingsst cke wieder, jedoch in geringerer Qualit t, die sich zudem mit jeder weiteren Kopie deutlich verschlechterte. Diese Tatsache stellte quasi einen nat rlichen Kopierschutz f r Inhalte dar. Der Einfluss auf die Marktf higkeit und den Konsumkreislauf der analogen Informationsg ter hielt sich damit in Grenzen. Um heute den millionenfachen Datentausch (via File-Sharing) zu verhin- dern, werden diverse Kopierschutz-Strategien diskutiert. Digital Rights Ma- nagement (kurz DRM) ist dabei ein Zauberwort der Industrie. Danach soll jeder Rechner und jeder Datei eine individuelle und unlçschbare Kennung zugeteilt werden, um zuk nftig illegale Transaktionen verfolgen und Rech- te einfordern zu kçnnen. Eine Alternative zu den DRM-Systemen stellt die Idee der Kultur-Flatrate dar, wobei (verk rzt gesagt) alle Nutzer pauschal zahlen sollen f r dann frei erh ltliche Musikangebote im Internet.17 W hrend DRM die Marktf higkeit von Informationsg tern erhçhen soll, kapituliert das Modell der Kultur-Flatrate quasi vor dem Marktversagen bei digitalen Informationsg tern und versucht, den Interessensausgleich an- derweitig herzustellen. Das Projekt »Informationsgesellschaft« – das urspr nglich auf eine mçg- lichst freie Verf gbarkeit von Information und Wissen ausgerichtet war – brachte somit nicht nur Vorteile f r die Produzenten von Informations- g tern mit sich. Internet-Tauschbçrsen und CD- bzw. DVD-Brenner f gen vor allem Firmen, die Musik, Software und Filme produzieren, deutliche wirtschaftliche Wunden zu und bedrohen traditionelle Gesch ftspraktiken der jeweiligen Unternehmer.18 5. Marktversagen bei Informationsg tern – weitere Gr nde Externe Effekte: nicht marktf hige Auswirkungen der Information Als externe Effekte bezeichnet man Auswirkungen çkonomischer Aktivit - ten, welche im Tauschprozess am Markt nicht kompensiert werden, also nicht marktf hig sind. Das klassische Beispiel sind Umweltsch den. Wird bei einem Industriebetrieb etwa die Luft verschmutzt, hat dies diverse Ef- fekte (zum Beispiel mehr Atemwegserkrankungen in der Region) auch auf Unbeteiligte, der Verursacher zahlt jedoch hierf r nicht.19 92 Wissensgesellschaft und Informationsg ter aus çkonomischer Sicht Auch bei Informationsg tern treten externe Effekte auf, Massenmedien etwa produzieren externe Effekte »in un berschaubarer F lle und Komple- xit t«20. Diese kçnnen zum einen positiverNatur sein, das heißt sie sind gesell- schaftlich erw nscht: So geht von dem breiten Medienangebot hierzulande ein positiver externer Effekt f r die çffentliche Meinung aus: Umfassende und frei zug ngliche Informationen sowie die große Medienvielfalt befçr- dern den Prozess der çffentlichen Willens- und Meinungsbildung, in dessen Folge informiertere Entscheidungen, zum Beispiel bei Wahlen, getroffen werden kçnnen. In diesem Fall geht der gesellschaftliche Nutzen der Me- dieninformationen ber den jeweiligen individuellen Nutzen f r den ein- zelnen Zeitungsleser, Radiohçrer und Fernsehzuschauer deutlich hinaus. Frei zug ngliche Informationen sind ein konstituierendes Kernelement un- serer demokratischen Gesellschaftsstrukturen. Zum anderen kçnnen Informationsg ter aber auch negative externe Effekte hervorrufen. Beispielsweise wird einzelnen Medienangeboten (von so ge- nannten »Kulturkritikern«) unterstellt, dass sie zur »Verdummung« oder »Abstumpfung« der Gesellschaft beitragen w rden. So wurde mit dem Auf- kommen von Fernseh-Formaten wie Big Brother & Co quer durch die Medienlandschaft deren vermeintlich negativer Einfluss auf die Zuschauer diskutiert.21 Netzeffekte bei Informationsg tern Medien haben zudem einen weiteren sozialen externen Effekt: Um in einer Gruppe Gleichgesinnter mitreden zu kçnnen, werden bestimm- te politische Fernseh-Sendungen geschaut oder Magazine wie z.B. Spie- gel oder Focus gelesen, was den wirtschaftlichen Wert des jeweiligen Gutes erhçht. In der konomie wird dieses Ph nomen als Netz(werk)- Effekt oder auch Netz(werk)externalit ten bezeichnet.22 Netzwerk-Effekte stellen klassische çkonomische Gesetzm ßigkeiten quasi »auf den Kopf«.23 Normalerweise steigt der Preis eines Gutes mit dessen Knappheit. Liegen allerdings Netzwerk-Effekte vor, steigt der Wert eines Gutes mit dessen Verbreitung. Dieses Ph nomen l sst sich klassisch an Kommunikationsinfrastrukturen zeigen, etwa am Telefon. Der Wert eines einzelnen Telefons ist relativ ge- ring. Da niemand anders eines besitzt, kann der stolze Besitzer des ersten Apparates folglich niemanden anrufen und auch nicht angerufen werden. Jeder zus tzlicher Apparat im Markt hingegen steigert den Wert jedes ein- zelnen Telefons, da die Nutzungsmçglichkeiten mit jedem neuen potentiel- 93 Klaus Goldhammer len Gespr chspartner berproportional steigen. Da diese Effekte gew nscht waren, investierte der Staat im vergangenen Jahrhundert sehr viel Geld in Telefon- und Fernsehkabelnetze. Meritorik: erw nschter Informationskonsum Wir leisten uns also auch informativen Luxus, denn zum Teil gelten In- formationsprodukte als so genannte meritorische G ter: Kennzeichnend f r diese G terart ist, dass sie von den Menschen nicht in dem Maße nachge- fragt wird, wie es gesellschaftlich und/oder politisch erw nscht ist.24 Um dieses scheinbare Missverh ltnis zu korrigieren, werden die Konsum- vorlieben der Verbraucher durch regulierende Maßnahmen beeinflusst und gelenkt, die Menschen werden sprichwçrtlich »zu ihrem Gl ck ge- zwungen«. Der Schulunterricht ist ein klassisches Beispiel f r ein meritori- sches Gut. Auch aus diesem Grunde unterh lt man im Land der Dichter und Den- ker eine vergleichsweise große Zahl von Theater- und Opernh usern, die ohne Querfinanzierung aus den Staatskassen allein aus den Eintrittskarten- verk ufen nur schwer berleben w rden oder eben drastisch teurer sein m ssten: Ein Besuch der Deutschen Oper in Berlin kostet beispiels- weise je nach Auff hrung und Tag zwischen 13 und 90 Euro. In der Spielzeit 2002/03 bezuschusste das Land Berlin jede Eintrittskarte mit 183 Euro.25 Ohne derartige Subvention w rde die Kultureinrichtung demnach bis zu 273 Euro f r einen Opernbesuch verlangen m ssen, wie dies in den USA zum Teil auch der Fall ist. – Wer kçnnte und w r- de sich dieses kostspielige Kultur-Vergn gen hierzulande noch leisten? Um einkommensschw cheren Gesellschaftsschichten den Zugang zur gesellschaftlich als wichtig erachteten Hochkultur (Meritorik!) zu ermçgli- chen, wird der Eintrittspreis aus diesem Grund heruntersubventio- niert.26 Auch in anderenMedienbereichen finden sich meritorische Produkte. So besitzt beispielsweise der çffentlich-rechtliche Rundfunk meritorische G - tereigenschaften. Aufgrund seines gesetzlichen Auftrages soll er die Elemen- te Information, Bildung und Unterhaltung in seinem Fernseh- und Radio- Programm ber cksichtigen; als maßgebliche Finanzierungsquelle stehen ihm daf r die Rundfunkgeb hren zur Verf gung. Außerdem werden Zei- tungen und B cher vom Finanzminister (noch) als meritorische G ter be- trachtet. Um den Konsum zu erhçhen, werden sie indirekt ( ber einen niedrigeren Mehrwertsteuersatz) subventioniert. 94 Wissensgesellschaft und Informationsg ter aus çkonomischer Sicht Problem der Qualit tsbewertung: unklarer Nutzen von Information Der Nutzen von Informationsg tern ist sehr schwer zu bewerten, wenn berhaupt, dann erst im Nachhinein. Klassisch beschreibt dies Arrows Infor- mationsparadoxon: Ein Konsument kann den Wert einer Information nicht beurteilen, bevor er sie kennt. Kennt er sie aber, um sie zu beurteilen, muss er sie nicht mehr kaufen.27 Sowohl f r den Hersteller als auch f r den Kon- sumenten ist letztlich hçchstens erst nach der Nutzung klar, ob es sich auch tats chlich gelohnt hat, beispielsweise ein Buch zu schreiben bzw. es zu lesen oder einen Film zu produzieren bzw. ihn zu anzuschauen. Hinzu kommt bei Informations- und Nachrichtenprodukten, dass der Konsum Vertrauen in die Person des Informationsproduzenten voraussetzt. Im Fall einer Nach- richtensendung geht der Fernsehzuschauer davon aus, dass deren komplexer Inhalt vollst ndig und umfassend recherchiert wurde. Er ist kaum in der Lage, die Qualit t einer Sendung (im Sinne von Richtigkeit und Vollst n- digkeit) unabh ngig zu beurteilen.28 Informationsprodukte sind hinsichtlich ihrer Nutzenbewertung also im- mer Erfahrungsg ter, weil man sie erst nutzen muss, bevor man sie einordnen kann. Bei Informations- und Nachrichtenprodukten spricht man zudem von Vertrauensg tern, weil vieles, was berichtet wird, von den Rezipienten nur mit großen M hen hinterfragt oder berpr ft werden kann. Da der persçnliche Nutzen von Informationsg tern aber erst nach dem jeweiligen Konsum bewertet werden kann, bergen sie große Risiken: Dies gilt sowohl f r die potentielle Zeitverschwendung und Frustration von ent- t uschten Verbrauchern als auch von realen (Umsatz-)Verlusten f r die An- bieter und Produzenten von Medienprodukten. Der Kunde muss erst lernen, ob ein Informationsgut einen tats chlichen Wert f r ihn beinhaltet und ob es sich lohnt, Zeit mit dem jeweiligen Produkt – Buch, Zeitung, Film, Radiosendung, Internetangebot etc. – zu verbringen. Ist er einmal berzeugt, konsumiert er dieses Gut (vermutlich) gerne wieder und ist bereit, den verlangten Preis daf r zu bezahlen. Ist der Konsument von ei- nem Medienprodukt aber entt uscht, wendet er sich schnell von ihm ab, denn der vielf ltige Markt h lt f r ihn mindestens eine Alternative bereit. Jedoch bedeutet die erneute Auswahl eines passenden Informationsgutes wiederum Aufwand. Insbesondere in der Phase der Suche ist der Verbrau- cher vielfach auf Rat in Form von Werbung oder Mund-zu-Mund-Pro- paganda angewiesen, um sich zu orientieren und eine Entscheidung treffen zu kçnnen. Auch Schwierigkeiten in der Bewertung des Nutzes kçnnen zu Markt- versagen f hren. Akerlof hat dies klassisch am Beispiel des Gebrauchtwagen- 95 Klaus Goldhammer marktes beschrieben29 (und daf r den Nobelpreis f r Wirtschaftswissenschaf- ten erhalten): K ufer von Gebrauchtwagen kçnnen die Qualit t schwer be- urteilen. Da im Markt sowohl gute als auch schlechte Wagen angeboten werden und die K ufer nicht wissen, ob der, den sie kaufen, gut oder schlecht ist, sind sie nicht bereit, den Preis zu zahlen, den sie f r einen guten zahlen w rden. Anbieter von guten Wagen sind nicht bereit, ihre Wagen unter Wert zu verkaufen und werden so aus dem Markt gedr ngt, bis nur noch schlechte Wagen brig sind und der Markt zusammenbricht. Da auch die Qualit t von Informationen nur schwer zu beurteilen ist, verhielte es sich auf dem Markt f r Informationsg ter hnlich, wenn nicht andere Formen der Finanzierung gefunden werden. Außerdem kann ber Marken Vertrauen aufgebaut werden, die somit als Institution die mangeln- de Marktf higkeit der Information ausgleichen. Ein Beispiel ist die Marke »F.A.Z.«: W hrend der Konsument kaum die Qualit t einer exklusiven Hintergrundgeschichte beurteilen kann, hat sich bei vielen Konsumenten durch eine vermeintlich hohe Qualit t vieler bisher konsumierter Artikel ein Vertrauen gebildet, welches ber die Marke auf aktuell vorliegende Ar- tikel bertragen wird.30 6. Mehrfachnutzung von Informationsg tern im Medienbereich Die Wettbewerbssituation auf dem Medienmarkt hat sich durch gesell- schaftliche, wirtschaftliche und technologische Entwicklungen in den ver- gangenen Jahren sp rbar ver ndert und versch rft. Alle Teilbereiche der Abb. 5: Methoden der Mehrfachnutzung von Inhalten Mehrfachnutzung von Inhalten Mehrfachverwendung Mehrfachverwertung Unternehmensintern Marktseitig Individualisierung Versioning Windowing … • Katalogversand • Bilddatenbanken • Filmverwertung Eigene Darstellung nach Schumann/Hess 96 Wissensgesellschaft und Informationsg ter aus çkonomischer Sicht Medienindustrie sind praktisch von einer Erweiterung und Ausdifferenzie- rung des Angebotes gepr gt. Um auch zuk nftig wettbewerbsf hig zu bleiben, berlegen viele Me- dienunternehmen, wie sie vorhandene Inhalte besser nutzen kçnnen. Dazu wird gerade in Zeiten von immer mehr Tr germedien versucht, vorhandene Inhalte mehrfach zu verwenden. So haben sich zum Beispiel in der Buch-, Film- und Musikbranche aber auch im Segment der Internet-Anbieter recht ausgefeilten Verwertungs-Methoden etabliert: Das Windowing, das Versio- ning und das Prinzip der Individualisierung sind mçgliche Strategien. Windowing Beim Windowing oder auch Verwertungskettenkonzept wird ein einmal fertig gestelltes Medienprodukt wie beispielsweise ein Spielfilm dem Ver- braucher (marktseitig) auf unterschiedlichen Kan len mit zeitlicher Ver- zçgerung angeboten. Die genau aufeinander abgestimmten Verwertungs- mçglichkeiten werden dabei als »Profit Windows« (dt. Gewinn-Fenster) bezeichnet, wobei sich die Staffelung zum einen nach dem mçglichen Aus- schluss von Konsumenten richtet, also optimaler Ausschluss bis unmçglicher Ausschluss. Zum anderen orientiert man sich an der damit verbundenen Preisabstufung, denn die Erlçse der einzelnen Verwertungsstufen variieren stark. Sie sind beim Kino am hçchsten, da tats chlich auch jeder Zuschauer f r den Konsum zahlt. Zun chst wird ein Film exklusiv einem mçglichst breiten Kinopublikum pr sentiert, die Premiere war (zumindest vor dem Internet-Zeitalter) die erste çffentliche Vorstellung des Films. Im Kino ist das bereits beschriebene Ausschlussprinzip voll durchsetzbar, denn nur wer eine Kinokarte kauft, kommt in den Genuss des Spielfilms. Mit genau definierten zeitlichen Ab- st nden wird das gleiche Informationsprodukt dann in den weiteren Glie- dern der Verwertungskette gezeigt: Zun chst steht der Film als DVD oder Video in Videotheken zum Verleih bzw. in Fachgesch ften zum Verkauf bereit. In einem weiteren Schritt erfolgt die Ausstrahlung im Pay-TV, das frei empfangbare nationale und sp ter auch lokale werbefinanzierte Fernse- hen bildet das vorl ufig letzte Glied in der Verwertungskette. Wichtige Voraussetzung f r das Gelingen des Windowing sind die unter- schiedlichen Bed rfnisse der Zuschauer nach aktuellen Filmen. So will ein Teil des Publikums beispielsweise den neuesten Film vom Produzenten Ste- ven Spielberg sofort nach Erscheinen im Kino sehen und zahlt daf r gern den jeweiligen Eintrittspreis, andere kçnnen sich gedulden bis das Medienprodukt 97 Klaus Goldhammer Abb. 6: Die Verwertungsstufen eines Spielfilms – Das Windowing (Schema-Darstellung) Internet Werbefinanziertes TV ( illegal ) Erstausstrahlung Wiederholung Pay-TV Erstausstrahlung Wiederholungen DVD/Video Verleih (Videotheken) Verkauf (Einzelhandel) Kino Uraufführung weitere Vorstellungen Zeit Eigene Darstellung auf Video bzw. DVD erh ltlich ist und weitere geben sich mit der viel sp teren aber »kostenlosen« Ausstrahlung im werbefinanzierten TV zufrieden. Wenn der Film begeistern konnte, sieht man ihn sich auch ein zweites oder drittes Mal im gleichen oder in einem anderen »Window« an. Außerdem nimmt innerhalb der so genannten Verwertungskaskade das Interesse an dem Infor- mationsprodukt im Zeitverlauf ab. Einen Kinofilm sehen zum Beispiel drei Viertel der Besucher in den ersten sechs Wochen nach der Urauff hrung.31 hnlich wie die Filmwirtschaft arbeitet der Buchhandel mit gebundenen B chern und Taschenb chern: So lange ein Buch in den Bestseller-Listen rangiert und somit die teurere gebundene Ausgabe ihre K ufer findet, wird sich der Verlag h ten, das Werk in einer g nstigen Taschenbuchausgabe heraus zu geben. Erst wenn der Umsatz-Zenit des gebundenen Buches berschritten ist, wird ein Taschenbuch aufgelegt, um andere K uferschich- ten, die wegen des hohen Preises f r das gebundene Buch l nger warten wollten oder mussten, auch noch abzuschçpfen. Innovationen und neue Technologien bei Informationsprodukten Innovationen bringen, wie bereits erw hnt, neben Chancen vielfach auch Risiken f r die Produzenten von Informationsprodukten mit sich, die sich 98 Abnehmende Ausschlussmöglichkeit Wissensgesellschaft und Informationsg ter aus çkonomischer Sicht auf die Refinanzierung der jeweiligen G ter auswirken kçnnen. Beispiels- weise wird die dargestellte Verwertungskette im Fall der Filmwirtschaft durch das illegale Mitfilmen w hrend einer Kinopremiere und die Verbrei- tung der Film-Kopie im Internet erheblich gestçrt. Auch die Musikindustrie leidet seit einigen Jahren unter dieser Entwick- lung. Tontr ger werden immer weniger gekauft, CDs werden zum Leid- wesen der Branche mehrfach gebrannt, illegale Musik-Downloads (MP 3) erfreuen sich insbesondere bei jungen Nutzern grçßter Beliebtheit. Die Antworten der einheimischen Musikbranche auf die digitalen Ver nderun- gen ließen trotz deutlicher Umsatzeinbußen im Bereich der Tontr ger – mehr als 30 Prozent von 1999 bis 200332 – lange Zeit auf sich warten. Sie profitiert heute kaum noch von den neuen Technologien. Abb. 7: Innovationen und Tontr germarkt Physische Nicht-Physische Tonträger Tonträger Musikindustrie Compact-Disc (CD) ignoriert neuen digitalen Kassette (MC) Tonträger Vinyl-Platte Schellack-Platte MP 3/Digitale Audio-Dateien Zeit Anfang 20. Jh. bis Seit 1952 Seit 1963 Seit 1982 Ende der 1990er 1950er Jahre Jahre Eigene Darstellung Das Spannende hierbei ist, dass die Musikindustrie ber nahezu 100 Jahre es stets verstanden hatte, die technologischen Lebenszyklen eines Tontr gers auszureizen und immer neue (physische) Tontr ger einzuf hren, die den Umsatz der Branche weiter nach oben trugen: So konnte der langsam absin- kende Umsatz mit Vinyl-Platten durch die Einf hrung von Musik-Cassetten (MC) und sp ter durch CDs nicht nur verbessert, sondern immer weiter ge- steigert werden. Wo der Buchhandel nur zwei Preisdifferenzierungsmçglich- keiten hatte (gebundene Ausgabe vs. Taschenbuch), verf gte die Tontr ger- branche ber zahlreiche Formen: Singles und Alben, LPs, MCs und CDs. 99 Tonträgerumsatz/Technischer Fortschritt Klaus Goldhammer Doch die Tontr gerbranche verschl ft das Potenzial der Digitalisierung. Eine neue, vçllig andere, so genannte. »disruptive« Technologie33 wie das MP3- Format kam Ende der 1990er Jahre auf und die Musikindustrie lehnte dieses unbekannte und unkontrollierbare Medium rundweg ab. Nicht so die Nut- zer, die sich zu Hauf im Internet gegenseitig mit Musik belieferten und die Bequemlichkeit des scheinbar kostenlosen Downloads sch tzten. Statt diese neue Form des nicht-physischen Tontr gers offensiv zu nutzen und neue Formen der Umsatzoptimierung (durch das so genanntes Versioning) zu erschließen, versuchte die Musikindustrie lange Zeit die Augen zu verschlie- ßen vor der Wirklichkeit ihrer Konsumenten. Versioning Erfahrene Hersteller von digitalen Informationsprodukten nutzen hingegen die Mçglichkeiten, die sich ihnen in einer digitalen Welt bieten: Sie nutzen unterschiedliche Versionen eines einzigen Datensatzes. Damit lehnt sich das Versioning an das Prinzip der Produktdifferenzierung an, das in der Kon- sumg terindustrie eine altbekannte Strategie ist. So existieren beispielsweise Waschmittel f r Feines, Buntes, Wolle, Weißes, Schwarzes etc. Dem Er- findungsreichtum sind in diesem Segment keine Grenzen gesetzt. W hrend also beim Windowing das Informationsprodukt weitestgehend unver ndert chronologisch die Verwertungskette durchl uft, stehen beim Versioning (dt. Versionierung) verschiedene Produktvarianten innerhalb ei- ner Verwertungsstufe zeitgleich zur Verf gung. Durch die unterschiedliche B ndelung vorhandener (digitaler) Inhalte und die Ver nderung charakte- ristischer Eigenschaften des Informationsgutes wird versucht, den vielf lti- gen Anspr chen der Konsumenten gerecht zu werden und damit unter- schiedliche Zahlungsbereitschaften abzuschçpfen. Das Versioning bietet dem Medienunternehmer die Mçglichkeit, seine Produktlinie zu differenzieren, zu erweitern und f r alternative Produkt- varianten unterschiedliche Preise zu verlangen. Modifikationen von Infor- mationsg tern sind hinsichtlich der drei zentralen Dimensionen Zeit, Quan- tit t und Qualit t denkbar, wobei mçgliche Varianten in hohem Maße vom jeweiligen Informationsprodukt abh ngen: Im Bereich »Online-Finanzinformation« kommt Versioning hinsichtlich der Aktualit t oder Qualit t der digitalen Inhalte zum Einsatz. Professionelle Nutzer sind auf erstklassige und vertrauensw rdige Echtzeit-Informationen zu den Geschehnissen auf den weltweiten Finanzm rkten angewiesen und auch bereit, einen hçheren Preis daf r zu entrichten. Privat-Anleger neh- 100 Wissensgesellschaft und Informationsg ter aus çkonomischer Sicht Tab. 1: Mçgliche Ansatzpunkte des Versioning Dimension Merkmal Mçgliche Auspr gung Zeit Aktualit t Sofortiger oder zeitlich verzçgerter Zugriff Dauer der Nutzbarkeit Kurz- oder langfristige Nutzung, begrenzt oder unbegrenzt Quantit t Funktionsumfang Minimal- oder Maximal-Ausstattung, Standard oder Premium-Ausstattung Zusatznutzen Ohne oder mit Zugabe Qualit t Lesbarkeit geringe oder hohe Auflçsung, Monitor oder Hardcopy (Papier) Pr sentationsform normales oder gehobenes Layout, Monitor oder Hardcopy (Papier) Bequemlichkeit Lieferung frei Haus oder Abholung Goldhammer nach Zerdick u. a. (1999) und Schumann/Hess (2002). men hingegen eine zeitliche Verzçgerung der Informationen in Kauf, wenn der Preis entsprechend g nstiger ist. So bedienen sich Banken und Bçrsen- makler bei einem kostenpflichtigen Informationsdienst wie Bloomberg, w hrend viele Privatanleger lieber auf frei verf gbare Informationen im In- ternet zugreifen.34 Auch im Zeitschriftenmarkt findet das Prinzip des Versioning verst rkt Anwendung. Beispielsweise werden Computerzeitschriften in Abh ngigkeit von der jeweiligen Ausstattung – keine Zugabe, mit CD oder DVD – zu unterschiedlichen Preisen angeboten. Produktvariationen basieren hier auf dem jeweiligen Zusatznutzen f r den K ufer (Quantit t). In einem anderen Fall bieten diverse Bilddatenbanken im Internet gratis bzw. kosteng nstig Fotos in geringer Bildqualit t an, die man zum Bei- spiel zur eigenen Websitegestaltung nutzen kann. Will man aber zu einem sp teren Zeitpunkt die Bilder f r die Herstellung eines Unternehmens- Prospektes verwenden, muss man f r die jeweiligen Fotos bzw. f r die ent- sprechenden Datens tze – in deutlich hçherer, druckf higer Auflçsung – die Bildrechte erwerben und den geforderten Preis zahlen. Hier variiert das gleiche Produkt hinsichtlich der Qualit t. Obwohl letztlich ein einziger Da- tensatz vorhanden ist, werden durch die Versionierung in Hinblick auf die Bildauflçsung unterschiedliche Zahlungsbereitschaften bei den Kunden be- dient.35 101 Klaus Goldhammer 7. Fazit: Information – ein sehr spezielles Gut Aus çkonomischer Sicht unterliegen Informations- und Medienprodukte sehr spezifischen G tereigenschaften. Angesichts des zunehmenden Informa- tion Overload der Informationsgesellschaft scheint es zun chst paradox, dass Informationsg ter wegen dieser sehr spezifischen Eigenschaften tendenziell nicht marktf hig sind. Dass Marktf higkeit bei Medieninhalten trotzdem nicht ungepr ft unterstellt werden sollte, zeigen Beispiele wie etwa terres- trisches frei empfangbares Fernsehen oder Radio anschaulich. Ein Aus- schluss von Zuschauern ist hier nur schwer mçglich und zugleich besteht im Konsum keine Rivalit t. Es handelt sich also um reine çffentliche G ter. Ebenso ist f r Informationsg ter kennzeichnend, dass Nutzer die Qua- lit t der Informationen erst nach dem Konsum (Erfahrungsgut) oder gar nicht (Vertrauensgut) bewerten kçnnen. Zudem bewirken Massenmedien ein hohes Maß an externen Effekten, deren Auswirkungen kaum absch tz- bar sind. Einige Informationsg ter wie Bildungsangebote oder Theater- und Opernh user sind zudem gesellschaftlich erw nscht (meritorisch), andere eher nicht (demeritorisch). Es liegt also eine Vielzahl von Gr nden daf r vor, dass Informationsg ter tendenziell nicht marktf hig sind und somit theoretisch nicht produziert werden d rften. Wie gezeigt, existieren jedoch eine Reihe von Strategien, Information entweder marktf hig zu machen oder ber Umwege zu finan- zieren. Zum einen kann dies ber die Kopplung an einen physischen In- formationstr ger, wie bei Print-Medien, CDs oder DVDs, gelingen, zum anderen ber Verschl sselung. Hat einMedienunternehmen Erfolg mit dem Ausschluss von Nichtzahlern, besteht aber dennoch keine Konsumrivalit t, liegen Club-G ter vor. Abo-Zeitungen oder Pay-TV-Sender kçnnen hier als Beispiel gelten. Die Marktf higkeit ist in diesem Fall (wenn auch be- grenzt) vorhanden, die G ter erzielen einen Preis. hnlich wie im Fernsehen gestaltet sich die Situation im Internet, wo Information vielfach zur freien Verf gung kostenlos angeboten wird. Doch auch hier gilt: die Anbieter von Online-Diensten versuchen auf verschie- densten Wegen, die digitalen Inhalte exklusiv zu machen, um unterschied- lich ausgepr gten Anspr chen der Konsumenten zu entsprechen und daraus resultierende Zahlungsbereitschaften abzuschçpfen. Des Weiteren wird das Marktversagen bei Informationsg tern teilweise akzeptiert, aber zur Refinanzierung die Zahlungsbereitschaft der werbung- treibenden Industrie genutzt, indem voll marktf hige Nutzer-Kontakte (die Einschaltquoten) vermarktet werden. Die Tatsache, dass die Finanzierung nicht oder nur zum geringeren Teil ber die Nutzer erfolgt, ist f r Medien- 102 Wissensgesellschaft und Informationsg ter aus çkonomischer Sicht unternehmen selbstverst ndlich nicht folgenlos. So war niemand berrascht, als SAT. 1 trotz sehr hoher Reichweiten seine Volksmusiksendungen Mitte der 1990er Jahre beendete – die Werbewirtschaft wollte f r diese Zielgrup- pen kein Geld bezahlen. Das werbefinanzierte Fernsehen bedient also als prim ren Kunden zun chst einen Markt: Die Werbewirtschaft. Die beschriebenen Strategien von Medienunternehmen, Information entweder marktf hig zu machen oder ber Umwege zu finanzieren, zeigen teilweise beachtliche Erfolge. Gleichzeitig bergen Digitalisierung und Ver- netzung neben Chancen jedoch auch Risiken f r die Vermarktungsstrate- gien der professionellen Produzenten von Information. Zu bedenken ist abschließend auch, dass die Produktion von Informa- tionsg tern nicht ausschließlich aus prim rem çkonomischem Kalk l er- folgt: Ein großer Teil der Informationen, die uns tagt glich erreichen, m s- sen gar nicht marktf hig sein. Denn oftmals verfolgen diejenigen, die Informationen produzieren und verbreiten, nicht das Ziel, daf r direkt ver- g tet zu werden: Die Verçffentlichungen von Parteien, NGOs oder PR- Agenturen sind hier ein gutes Beispiel. Dass dabei letztlich jedoch ebenfalls eine Form çkonomischen Kalk ls zu Grunde liegt, darf getrost unterstellt werden – die Kompensation erfolgt quasi ber »Ruhm und Ehre«, eine Querfinanzierung durch entsprechende Auftraggeber oder aber die Durch- setzung von speziellen Zielen mittels interessengeleiteter Informationen. Anmerkungen 1 Vgl. van Eimeren/Frees (2005), S. 363. Innerhalb der letzten vier Wochen nutzten es 56,7 Prozent (ebd.). Die Werte schwanken dabei je nach Altersgruppe stark; v. a. bei J ngeren ist die Nutzung st rker verbreitet – 95,7 Prozent der 14–19-J hrigen sind Internetnutzer (ebd., S. 364). 2 Der Begriff »çffentliches Gut« wird h ufig missverstanden. Er bedeutet nicht, dass kollektive Bed rfnisse der »Allgemeinheit« befriedigt werden. Die Bed rfnisse, die ein çffentliches Gut befriedigt, kçnnen rein privater Natur sein. Ausschlaggebend ist lediglich, die Frage ob Rivalit t im Konsum vorliegt und ob Konsumenten von der Nutzung ausgeschlossen werden kçnnen (s.u.). 3 Die »unsichtbare Hand« des Marktes basiert darauf, dass der Einzelne zun chst seine eigenen Interessen verfolgt. Adam Smith beschrieb diesen Mechanismus vor ber 200 Jahren so: »Nicht von dem Wohlwollen des Fleischers, Brauers oder B ckers erwar- ten wir unsere Mahlzeit, sondern von ihrer Bedachtnahme auf ihr eigenes Interesse.« Vgl. Smith (1999). Kann die unsichtbare Hand nicht f r Ausgleich sorgen, versagt der Markt. 4 Vgl. etwa Ludwig (1998). 5 Dass man unter dem Begriff »Zeitung« ein Printmedium versteht, war brigens kei- neswegs immer so. Bis ins 19. Jahrhundert verstand man unter Zeitung ganz generell 103 Klaus Goldhammer Nachrichten von einer Begebenheit. Neben gedruckten Zeitungen, die es seit 400 Jahren gibt, wurden Zeitungen lange auch m ndlich vorgetragen. 6 Demnach stellt beispielsweise die Atemluft kein wirtschaftliches, sondern ein freies Gut dar. Luft steht grunds tzlich ausreichend zur Verf gung, es sei denn, man be- steigt den Mount Everest oder befindet sich in einem berf llten Raum. In beiden F llen kçnnte die Luft knapp werden, was Luft zu einem knappen Gut macht und damit sogar eine Zahlungsbereitschaft auslçsen kçnnte. (Dies ndert jedoch grund- s tzlich nichts am Charakter der Atemluft als freies Gut.) 7 Vgl. etwa Heinrich (2001), S. 29f. 8 Vgl. etwa ebd., S. 243. 9 Die Kurzlebigkeit des Zeitungsinhaltes setzt der Verbreitung des Informationspro- duktes also çkonomische Grenzen, die von Verlegern ber cksichtigt werden m ssen. Aus diesem Grund steht man abends am Kiosk h ufig vor leeren Zeitungsst ndern. S mtliche Exemplare haben zu dieser Zeit bereits ihre K ufer gefunden. In Ausnah- mef llen kçnnen Tageszeitungen auch nach mehr als einem Tag von Interesse und wertvoll f r den Leser sein. Abonnenten, die sich im Ausland aufhalten, wollen zum Beispiel vielfach nicht auf die t gliche Lekt re ihrer heimischen Zeitung verzichten und nehmen gern ein paar Tage Versp tung in Kauf. Das Verfallsdatum der Tages- zeitung als ein St ck Heimat verl ngert sich somit situationsbedingt. 10 Auch bei G tern, bei deren zu einem Gewissen Grad Rivalit t vorliegt, wie etwa dem çffentlichen Nahverkehr, ist es mit Schwierigkeiten verbunden, Freerider aus- zuschließen. 11 Vgl. etwa Ludwig (1998). Auch Zeitungen und Zeitschriften w ren – trotz stoff- lichen Tr germediums – nicht voll marktf hig. Traditionell stammen z.B. etwa zwei Drittel der Einnahmen von Zeitungen aus dem Anzeigengesch ft. 12 Vgl. Kiefer (2001), S. 148 ff. 13 Zudem bedrohen digitale Empfangsger te zu einem gewissen Grad auch die Finan- zierung ber Werbung, wenn es etwa im Fall so genannter Personal Video Recorder mçglich wird, Werbeinhalte auszublenden. 14 Vgl. zu DRM den Beitrag von Volker Grassmuck in diesem Band. 15 Auch der angesprochene Pay-TV Sender Premiere sah sich mit dem Ph nomen der »Schwarzseher« konfrontiert. 2004 versuchte Premiere durch die Einf hrung eines neuen und aufw ndigen Verschl sselungs-Systems (Nagravision) Nichtberechtigte auszuschließen und seinen Abonnenten wieder exklusiv zur Verf gung zu stehen. 16 Gemeint ist das Zeitalter der traditionellen Medien, die an einen spezifischen ma- teriellen Tr ger gebunden sind wie Toninformationen an Vinyl-Schallplatten. 17 Vgl. zur »Kultur-Flatrate« den Beitrag von Felix Stalder in diesem Band. 18 Der Ruf nach dem Gesetzgeber wurde immer lauter und im Jahr 2003 dann erhçrt. Das deutsche Urheberrecht erfuhr im so genannten »Ersten Korb« eine Anpassung an die ver nderten Marktbedingungen der Informationsgesellschaft, einen »Zweiten Korb« wird es in absehbarer Zeit geben. Wenn es nach den Vorstellungen der Industrie gegangen w re, h tte der Verbraucher schon bei der ersten Novelle des Gesetzes jegliches Recht auf die Privatkopie verloren. Vgl. dazu auch den Beitrag von Till Kreutzer in diesem Band. 19 Die so genannte kosteuer ist ein Versuch, dieses Marktversagen ber Steuern aus- zugleichen. Aktuell wird ber den Handel mit Emissionszertifikaten versucht, auch hier eine Marktf higkeit herzustellen. 20 Heinrich (2001), S. 95. 104 Wissensgesellschaft und Informationsg ter aus çkonomischer Sicht 21 Externe Effekte von Informations- und Medienprodukten lassen sich außerdem nach ihren finanziellen, psychologischen und technologischen Wirkungen unterscheiden. 22 Vgl. Zerdick u. a. (1999). 23 Ebd. 24 Demeritorische G ter (z.B. Alkohol) werden st rker nachgefragt, als es gesellschaft- lich erw nscht ist. Hier zielen die Eingriffe darauf ab, dass der Konsum reduziert wird, denkbar sind zum Beispiel staatliche Kampagnen oder Steueraufschl ge gegen das Rauchen. 25 Miller (2005). 26 Es gehçrt zu den abstrusen Randerscheinungen der Subventionspolitik, dass gerade Opernbesucher zumeist zu den besser verdienenden Schichten gehçren, die sich ver- mutlich durchaus auch einen deutlich teureren Opernbesuch leisten kçnnten. Ergo zahlt die Allgemeinheit und damit vor allem auch der Geringverdiener f r die meritorischen Pr ferenzen der Besserverdiener. 27 Arrow (1971), S. 148). 28 Auch in der Wissenschaft ist die Beurteilung der Qualit t von Informationsg tern hochgradig umstritten. 29 Vgl. Akerlof (1970). 30 Gerade bei Kinofilmen ist dieser Umstand ein immer wiederkehrendes Problem. Kinofilme sind berwiegend Unikate. Außer bei so genannten Sequels, den Folge- filmen (Spiderman 2, Spiderman 3 usw.) oder Serien wie den James Bond-Filmen, die wiederum Marken sind, werden stets vçllig neue Geschichten und Bilder gezeigt. Doch Filmproduzenten wie Zuschauer wissen vorher nicht, welcher Film es wirklich lohnt, angeschaut zu werden. Die Forschung hat herausgefunden, dass vor allem die Empfehlung von Freunden ein wichtiger Faktor f r die Auswahlentscheidung ist. Nun haben die Produzenten die Mçglichkeit, sehr viel Werbung f r einen neuen Film zu machen. Das Risiko: investieren sie hohe Summen in das Marketing, kom- men in den ersten ein bis zwei Wochen sehr viele Zuschauer aufgrund der Werbung und schauen den Film an. Finden diese den Film aber nicht gut und berichten all ihren Freunden und Bekannten, dass der k rzlich gesehene Film langweilig oder schlecht sei, ist der Film trotz oder gerade wegen der intensiven Werbemaßnahmen noch schneller ein noch teurerer Flop als ohne Marketing. 31 Zudem wird das Kulturgut aufgrund der vergleichsweise hohen Nutzungskosten oft nur einmal konsumiert. Vgl. Kiefer (2001), S. 307. 32 Die Ums tze gingen von 1999 bis 2003 von 2648 Mio. Euro auf 1816 Mio. Euro zur ck. vgl. Bundesverband der Phonographischen Wirtschaft e.V.: »Jahrbuch 2004«. File-Sharing ist jedoch nicht die einzige Ursache hierf r. 33 Disruptive Technologien zeichnen sich dadurch aus, dass dadurch aus, dass sie zu- n chst den herkçmmlichen Technologien unterlegen zu sein scheinen, aber das Po- tenzial haben, bei niedrigeren Preisen eine hçhere Leistung zu erbringen. F r An- bieter traditioneller Technologien bergen sie ein hohes Gefahrenpotenzial. Vgl. hierzu Christensen (1997). 34 Vgl. Zerdick u. a. (1999), S. 188. Beispielsweise bestand das Angebot des US-Unter- nehmens PAWWS Financial Network aus (teuren) Finanzinformationen in Echtzeit und mit 20 Minuten Zeitverzçgerung zum g nstigeren Preis. 35 Mitte 2005 haben auch verschiedene Tontr ger-Unternehmen versucht, ihre CDs in verschiedenen Versionen zu verkaufen: Zwischen 9,99 Euro und 16,99 Euro kosten die CDs, g nzlich ohne Booklet, mit Booklet und als aufw ndige Special-Edition 105 Klaus Goldhammer wird die gleiche Musik in ihrer Pr sentationsform versioniert. Zum Teil verkauften sich, so die ersten Erfahrungen, sogar die teuren Spezialausgaben besser als die g ns- tigen CDs. Literatur Akerlof, George A. (1970): The Market for »Lemons«. Quality Uncertainty and the Market Mechanism, in: Quarterly Journal of Economics 84 (3), S. 488–500. Arrow, Kenneth J. (1971): Economic Welfare and the Allocation of Resources for Invention, in: Donald M. Lamberton (Hrsg.): Economics of Information and Knowledge, Baltimore. Christensen, Clayton M. (1997): The Innovators Dilemma, New York. Heinrich, J rgen (1999): Mediençkonomie. Band 2: Hçrfunk und Fernsehen, Wies- baden. Heinrich, J rgen (2001): Mediençkonomie. Band 1: Mediensystem, Zeitung, Zeit- schrift, Anzeigenblatt, 2. Aufl. Wiesbaden. Kiefer, Marie Luise (2001): Mediençkonomik. Einf hrung in eine çkonomische Theorie der Medien, M nchen-Wien. Ludwig, Johannes (1998): Zur konomie der Medien: Zwischen Marktversagen und Querfinanzierung: von J. W. Goethe bis zum Nachrichtenmagazin Der Spiegel. Opladen-Wiesbaden (zugleich Dissertation an der Freien Universit t Berlin). Miller, Thomas: Schlechtes Gewissen mit jeder Opernkarte, in: Berliner Zeitung v. 6. Januar 2005. Schumann, Mathias/Hess, Thomas (2002): Grundfragen der Medienwirtschaft, Hei- delberg. Smith, Adam (1999): Der Wohlstand der Nationen, M nchen (Erstausgabe: 1776). van Eimeren, Birgit/Frees, Beate (2005): Nach dem Boom: Grçßter Zuwachs in internetfernen Gruppen. ARD/ZDF-Online-Studie 2005, in: Media Perspek- tiven 08/2005, S. 362–379. Zerdick, Axel u. a. (1999): Die Internet- konomie. Strategien f r die digitale Wirtschaft, Berlin, Heidelberg, New York. 106 III. Technische und rechtliche Strukturen Till Kreutzer Das Spannungsfeld zwischen Wissen und Eigentum im neuen Urheberrecht 1. Einleitung Vor zwanzig Jahren h tte wohl noch keiner gedacht, dass das Urheberrecht f r den Zugang und die Vermittlung vonWissen einmal eine so bedeutende Rolle einnehmen w rde. Im »analogen Zeitalter« war dieses Rechtsgebiet f r den einfachen B rger von untergeordneter Bedeutung. B cher konnten gelesen, Schallplatten gehçrt und Filme gesehen werden, ohne dass hierbei Urheberrechte beachtet werden mussten. Der Schatz des Wissens fand sich in Bibliotheken, Universit ten, in eigenen B chern, im Fernsehen und Ra- dio. Der Konsum, also das Lesen, Anschauen und Hçren von urheberrecht- lich gesch tzten Werken ber die verf gbaren Quellen war frei und ohne gesetzliche Hindernisse mçglich. Diese Situation hat sich durch das Aufkommen der Digitaltechnik und vor allem des Internet erheblich gewandelt. Bei neuen elektronischen Me- thoden der Wissensvermittlung m ssen zum Teil komplexe urheberrecht- liche Bestimmungen beachtet werden. Das ist darauf zur ckzuf hren, dass fast jede elektronische Kommunikation das Urheberrecht tangiert. Wer z.B. fremde Werke auf Webseiten oder Servern zum Abruf bereit h lt oder sich diese herunterl dt, greift damit in die Urheberrechte des Autors ein. Solche Handlungen sind meist nicht ohne Zustimmung des Rechteinhabers mçg- lich. Damit hat allt gliches Verhalten, also der Umgang mit elektronischen Medien, f r den B rger rechtliche Relevanz bekommen. Dies f hrt zu Verst ndnisproblemen auf Seiten der Nutzer. Einerseits schafft die digitale Nutzung viele komfortable Mçglichkeiten, Werke zu erstellen, zu bearbeiten und zu verbreiten. Andererseits werden diese Mçg- lichkeiten durch die Gesetze wiederum erheblich eingeschr nkt. Mit der Begr ndung, dass digital gespeicherte Werke wesentlich anf lliger gegen Urheberrechtsverletzungen seien als »analoge« Werke, hat der Gesetzgeber sich sogar entschlossen, die digitale Nutzung strengeren Regeln zu unter- werfen als die herkçmmliche Verwendung. Ein Beispiel mag dies anschaulich machen: Eine Handbibliothek, die in ihren R umen B cher zur Ansicht aufstellt, bençtigt hierf r keine (urhe- 109 Till Kreutzer berrechtlichen) Nutzungsrechte. Es gen gt die B cher zu erwerben, dann kçnnen diese auch durch die Bibliotheksnutzer verwendet werden. Will die Bibliothek ihren Nutzern dagegen elektronische B cher (so genannte e-Books) auf Computern in ihren R umen zur Verf gung stellen, gen gt der Erwerb der B cher nicht. Die Bibliothek muss vielmehr dar ber hinaus von den Urhebern oder Rechteinhabern1 Nutzungsrechte erwerben, um ihren Kunden das elektronische Lesen zu ermçglichen. Das gleiche gilt, wenn die Bibliothek ihre Best nde einscannen und fortan den Nutzern in elektronischer Form ber Computer zur Verf gung stellen will. Auch hierf r bençtigt sie Nutzungsrechte, die sie weder durch den Erwerb der B cher noch per Gesetz erh lt. Immerhin: Der Gesetzgeber hat diese und andere Probleme erkannt und sich einer Anpassung des Gesetzes an die neuen Gegebenheiten angenom- men. Im Rahmen einer schon seit 1998 (in Deutschland) betriebenen No- vellierung wurde ein »Gesetz zur Regelung des Urheberrechts in der Infor- mationsgesellschaft« im Jahr 2003 verabschiedet. Ein zweites Gesetz mit diesem Namen (der so genannte »Zweite Korb«) wird momentan diskutiert. Ob allerdings die Belange der Wissensvermittlung hierbei angemessen be- r cksichtigt werden, ist zu bezweifeln. Hçchste Priorit t kommt diesem Aspekt jedenfalls nicht zu. Vielmehr geht es vorrangig darum, die Rechte der Urheber und (umso mehr) der Verwertungsindustrie effektiver zu sch t- zen und deren Einnahmen zu sichern. 2. Der Interessenausgleich im Urheberrecht Vom Grundsatz her ist das Urheberrecht bestimmt, eine Balance zwischen den verschiedenen, hiervon betroffenen Interessen herzustellen. So unter- teilt sich das Urheberrechtsgesetz (UrhG) in Bestimmungen ber Schutz- rechte2 und so genannte Schrankenbestimmungen.3 Als Schrankenbestim- mungen werden Regelungen bezeichnet, die Freiheiten vom Urheberrecht erçffnen. Die momentan existierenden Schranken befreien von der urhe- berrechtlichen Zustimmungspflicht, also dem Grundsatz, dass der Urheber – oder Rechteinhaber – vor einer urheberrechtlich relevanten Nutzung um Erlaubnis gefragt werden muss. Manche Schranken lassen dar ber hinaus auch die urheberrechtliche Verg tungspflicht entfallen, so dass die hierunter fallenden Nutzungshandlungen quasi »urheberrechtsfrei« sind. Zu den Schrankenbestimmungen, die zustimmungs- und verg tungsfreie Nutzung ermçglichen, gehçrt auch das Zitatrecht (vgl. § 51 UrhG) als wohl 110 Das Spannungsfeld zwischen Wissen und Eigentum im neuen Urheberrecht bekannteste Einschr nkung der urheberrechtlichen Befugnisse. Neben ihrer wissenschaftsethischen Funktion haben Zitate einen urheberrechtlichen Hintergrund. Denn das Zitatrecht gestattet die bernahme fremder Werke oder Werkteile in ein eigenes Werk, die an sich zustimmungspflichtig w re. Die Schranke ist f r Wissenschaft und Forschung von erheblicher Bedeu- tung, ermçglicht sie doch, sich mit dem Schaffen anderer auseinanderzuset- zen und hierauf aufzubauen, ohne hierf r jedes Mal eine Erlaubnis einholen zu m ssen. Die Zitatschranke veranschaulicht den Hintergrund der »Balancefunk- tion« des Urheberrechts. Urheberrechtlich gesch tzte Werke werden nach deutschem Recht als geistiges Eigentum angesehen. Sie fallen daher unter die Eigentumsgarantie des Art. 14 Grundgesetz (GG) und sind gesetz- lich vor unbefugter Nutzung zu bewahren. Dieser Schutzauftrag hat indes auch Grenzen: Die Eigentumsfreiheit unterliegt dem »Grundsatz der Sozi- albindung«, dem in Art. 14 Abs. 2 GG Ausdruck verliehen wird. Hier heißt es: »Eigentum verpflichtet. Sein Gebrauch soll zugleich demWohle der All- gemeinheit dienen.« Der Gesetzgeber muss daher bei jeder Reform des Urheberrechts einen schwierigen Spagat wagen. Einerseits ist ein mçglichst effektiver Schutz der Urheber und Rechteinhaber zu gew hrleisten, der nach klassischen Theo- rien am besten durch die Gew hr mçglichst weit reichender Schutzrechte zu realisieren ist.4 Andererseits sind die Interessen der Allgemeinheit und be- stimmter Gruppen an freiem Zugang zu und mçglichst ungehinderter Nut- zung von gesch tztem Material zu ber cksichtigen. Der in diesem Span- nungsfeld zwischen individuellen (h ufig wirtschaftlich dominierten) und kollektiven Interessen herzustellende Ausgleich ist ußerst sensibel. Bei dessen gesetzlicher Ausgestaltung befindet sich der Gesetzgeber auf einer schwierigen Gratwanderung zwischen den – z.T. vehement verteidigten – Belangen der beteiligten Nutzer, Verwerter und Urheber und h ufig diametral verlaufenden Leitlinien der Politik. W hrend die wirtschaftspoli- tischen Ziele jedenfalls scheinbar f r eine stetige Ausweitung des Urheber- rechtsschutzes und einer Zur ckdr ngung der urheberrechtlichen Freihei- ten sprechen, geben Bildungspolitik, Verbraucherschutz und Sozialpolitik in der Regel genau entgegengesetzte Maßnahmen auf.5 All diese Ziele m sste der Gesetzgeber, neben den internationalen und europ ischen Vorgaben, bei der Abfassung und Modernisierung des Urheberrechts theoretisch be- r cksichtigen. Die Realit t stellt sich jedoch meist anders dar. Die Erfahrungen mit Ge- setzgebungsprozessen haben gezeigt, dass in erster Linie die Interessen be- r cksichtigt werden, die auf der jeweiligen politischen Agenda den hçchsten 111 Till Kreutzer Rang einnehmen bzw. die in die Diskussion mit dem grçßten Nachdruck eingebracht werden. Ersteres hat bei den Debatten ber das Urheberrecht meist dazu gef hrt, dass sich vorrangig arbeitsmarkt- und wirtschaftspoliti- sche Ziele durchgesetzt haben. Letzteres, dass vor allem die Interessen der Unterhaltungsindustrie, Verlage und Verwertungsgesellschaften von Re- gierung und Gesetzgeber vernommen wurden. Diese Gruppen sind in der Lage, ihren Forderungen in Gesetzgebungsverfahren durch Einsatz spe- zialisierter Lobbyverb nde besonderes Gewicht zu verleihen. Dagegen sind Nutzer und Urheber6 bei den Diskussionen in der Regel eher unterrepr - sentiert, da sie nicht ber entsprechende F rsprecher verf gen.7 Vor diesem Hintergrund erkl rt sich die Entstehungsgeschichte des gel- tenden Urheberrechts und der in j ngerer Zeit durchgef hrten Reformen. Diese hatten letztlich zum Ergebnis, dass der Umfang des Schutzrechts – also die Befugnisse der Urheber und Rechteinhaber – zulasten der Nutzungs- freiheiten ausgeweitet wurde. W hrend neue Schutzrechte (beispielsweise das »Online-Recht« in § 19a UrhG) ohne weiteres anerkannt werden, zeigen sich Gerichte und Gesetzgeber bei der Fortschreibung der Schran- kenbestimmungen eher zur ckhaltend. Verst rkt wird die Tendenz der Ausweitung des Urheberrechts noch durch den – seit langem zu beobach- tenden – Umstand, dass das Recht auf immer mehr Werkarten zur An- wendung kommt (z.B. seit den 1980er bzw. 1990er Jahren auch auf Computerprogramme und Datenbanken) und die Anforderungen an die Schutzf higkeit stetig gesenkt werden.8 3. Die internationale Vorgeschichte der Novellierung des »Urheberrechts in der Informationsgesellschaft« Der deutsche Gesetzgeber war f r die Urheberrechtsreformen der j ngeren Zeit nur eingeschr nkt verantwortlich. Das Urheberrecht ist eine Re- gelungsmaterie, die stark in internationale, vor allem europ ische Verflech- tungen eingebunden ist. Die Reform des Urheberrechts in der Informati- onsgesellschaft nahm zun chst ihren Ausgang in zwei internationalen (vçlkerrechtlichen) Vertr gen, die von der World Intellectual Property Or- ganization (WIPO)9 unter Mitwirkung von 127 Staaten erarbeitet wurden. Jahrelang wurde ber die Vertr ge verhandelt, bis 1996 der WIPO Copy- right Treaty (WCT) und der WIPO Performances and Phonograms Treaty (WPPT) verabschiedet werden konnten.10 Bereits in diesen Regelwerken wurden grundlegende Weichen f r die Zukunft des Urheberrechts gestellt. 112 Das Spannungsfeld zwischen Wissen und Eigentum im neuen Urheberrecht Alle Unterzeichner (zum Beispiel die USA, Deutschland und alle anderen Staaten der EU) sind verpflichtet, ihr Recht an die Vorgaben der WIPO- Vertr ge anzupassen. An der Einf hrung des mittlerweile schon im Grund- satz umstrittenen »Schutzes vor Umgehung technischer Maßnahmen« (siehe hierzu unten, Ziff. 4) oder der Ausweitung des Urheberrechtsschutzes durch andere Mechanismen kamen die nationalen Gesetzgeber in der Folge nicht mehr vorbei. Nachdem auf internationaler Ebene die Grundz ge der Modernisierung des Urheberrechts ausgehandelt worden waren, begann man in der EU, ber eine europaweit mçglichst einheitliche Umsetzung der WIPO-Ver- tr ge zu diskutieren. Es dauerte f nf Jahre, bis die »Information Society- Richtline« (InfoSoc-Richtlinie) in Kraft trat, die der Umsetzung der Pflich- ten aus den WIPO-Vertr gen ins europ ische Recht dient. Aus dieser ergaben sich f r den deutschen Gesetzgeber weitere, ber die Pflichten aus den WIPO-Vertr gen hinausgehende Einschr nkungen f r den deut- schen Gesetzgeber, das Urheberrecht nach seinen Vorstellungen zu refor- mieren. Unter anderem enth lt die Br sseler Richtlinie f r die europ ischenMit- gliedsstaaten rigide Vorgaben f r die Ausgestaltung der Schrankenvorschrif- ten. Sie gibt einen abschließenden Katalog von ber zwanzig Schranken- bestimmungen vor. Dies hat zur Folge, dass es den nationalen Gesetzgebern zwar freisteht, sich im Rahmen des Katalogs f r die Gew hr der einen oder anderen Schrankenbestimmung zu entscheiden,11 sie jedoch dar ber hinaus keine Schranken einf hren oder beibehalten d rfen, die sich hierin nicht finden. Der deutsche Gesetzgeber war damit in seinen anschließenden berlegungen ber eine neue Austarierung des Interessenausgleichs im Ur- heberrecht (der ber die Schrankenbestimmungen erreicht werden soll) in erheblichem Maße gebunden. 4. Die Entstehungsgeschichte der deutschen Reformen des Urheberrechts der Informationsgesellschaft Der »Erste Korb« Schon w hrend der laufenden Verhandlungen ber die InfoSoc-Richtlinie (im Jahr 1998) hatte der deutsche Gesetzgeber den ersten Entwurf zur An- passung des Urheberrechts in der Informationsgesellschaft vorgelegt. Dieser kam jedoch angesichts der noch unabsehbaren Regelungen in der Br sseler 113 Till Kreutzer Richtlinie ber ein Entwurfsstadium nie hinaus. Erst im Jahr 2001 wurde das Vorhaben wieder aufgenommen. Es galt nun, im Rahmen einer Umset- zungsfrist bis zum 22. Dezember 2002 das deutsche Urheberrecht an die Vorgaben der Richtlinie anzupassen. Am 18. M rz 2002 legte das Bundesministerium der Justiz (BMJ) den ersten Entwurf zur Novellierung des Urheberrechts in der Informations- gesellschaft (so genannter »Erster Korb«) vor, der sich von dem ersten Dis- kussionsentwurf aus 1998 erheblich unterschied. In dem anschließenden Gesetzgebungsverfahren wurde der Referentenentwurf zum Teil erheblich ge ndert, bis das Gesetz schließlich am 13. September 2003 in Kraft trat. Im Rahmen der Beratungen zur Abfassung des Ersten Korbes wurde den »be- teiligten Kreisen« hinl nglich Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben, was besonders von Lobbyverb nden der Entertainment-Wirtschaft (Musik- und Filmindustrie, Verlage) intensiv genutzt wurde. Vertreter der Nutzer- und Wissenschaftsinteressen haben sich dagegen nur vereinzelt zu Wort gemel- det. Den Neuerungen, die der Erste Korb mit sich brachte, ist diese unglei- che Beteiligung der verschiedenen Interessengruppen deutlich anzumerken (siehe hierzu unten, Ziffer 5). Der »Zweite Korb« Unmittelbar nach In-Kraft-Treten des Ersten Korbes begann das Verfah- ren zur Verabschiedung eines Zweiten Gesetzes zur Regelung des Ur- heberrechts in der Informationsgesellschaft, des so genannten »Zweiten Korbes«. Schon w hrend der Beratungen ber den Ersten Korb hatte sich das BMJ entschieden, einige besonders schwierige und umstrittene Fra- gen der anstehenden Reformen ins zweite Gesetzgebungsverfahren zu schieben, da schon im fr hen Stadium absehbar war, dass die Umsetzungs- frist aus der Br sseler Richtlinie ansonsten massiv berschritten worden w re. Aufgeschoben wurden Aspekte, die weniger dr ngend waren, da sie nicht in den Regelungsbereich der Richtlinie und deren Umsetzungsfrist fielen. Das BMJ f hrte f r den Zweiten Korb ein Verfahren ein, das man als »kooperative Gesetzgebung« bezeichnete.12 Noch bevor das Ministerium mit den Arbeiten zum ersten Entwurf beginnen sollte, wollte man sich mit Experten und Interessenvertretern ber mçgliche Ans tze des neuen Gesetzes beraten. Die Hoffnung, dass hiermit Zeit raubende Kontroversen um die auf Basis der Beratungen abzufassenden Gesetzesentw rfe vermieden werden kçnnten, trog jedoch. Einigungen ber die besonders kontroversen 114 Das Spannungsfeld zwischen Wissen und Eigentum im neuen Urheberrecht Themen konnten in den wiederum vornehmlich mit Lobbyisten besetzten Arbeitsgruppen nicht erzielt werden.13 Vor diesem Hintergrund verwundert es nicht, dass der am 2. November 2004 vom BMJ erstmals pr sentierte erste (»Referenten«-)Entwurf f r den Zweiten Korb trotz aller Vorarbeiten auf massive Kritik stieß. Wie schon im ersten Korb wurde das Ministerium in der Folge mit einer Flut an Stellung- nahmen berschwemmt.14 Zur Verabschiedung des Zweiten Korbes ist es bisher nicht gekommen. Es wurde auch kein zweiter, berarbeiteter (»Regierungs«-)Entwurf bisher verçffentlicht, obwohl dieser nach Aussagen des BMJ bereits im Dezember 2004 h tte vorgelegt werden sollen. Einmal mehr hat das Gerangel um die Details der Neuregelungen dazu gef hrt, dass angek ndigte Verçffent- lichungstermine verschoben wurden. Ob die Vorschl ge des Referenten- entwurfs jemals – und sei es auch nur in hnlicher Auspr gung – Gesetz werden, ist vçllig ungewiss. 5. Die wichtigsten Neuregelungen des Ersten Gesetzes zur Regelung des Urheberrechts in der Informationsgesellschaft15 Der Schutz technischer Maßnahmen und die Privatkopieschranke Durch die Umsetzung der Br sseler Richtlinie wurde in den Interessenaus- gleich des Urheberrechts, jedenfalls f r den Bereich der digitalen Nutzungs- formen, erheblich eingegriffen. Dies zeigt sich vor allem an der Einf hrung und Ausgestaltung des so genannten Schutzes technischer Maßnahmen, der in den neuen §§ 95a ff. UrhG verankert ist. Durch diese Regelungen wurde ein neues Schutzinstrument implementiert, das sich schon wesensm ßig von dem herkçmmlichen Urheberrecht unterscheidet. Urheberrechtlich rele- vant waren zuvor stets nur Nutzungshandlungen, die mit einem Werk vor- genommen werden. Das Urheberrecht beschr nkte sich also darauf, dem Urheber die Entscheidung vorzubehalten, ob sein Werk vervielf ltigt, ver- breitet oder çffentlich wiedergegeben wird. Der Schutz technischer Maß- nahmen erweitert den Schutzumfang des Urheberrechts und verlagert ihn auf eine andere zus tzliche Ebene. Er untersagt, eine technische Schutzmaß- nahme (wie ein Kopierschutz- oder Digital-Rights-Management-System) zu umgehen, wenn diese vom Berechtigten angebracht wurde, um Zugang oder Nutzung seines Werkes zu kontrollieren bzw. zu verhindern. Die 115 Till Kreutzer Neuregelung hat zur Folge, dass der Berechtigte nun nicht mehr nur die Nutzung seines Werkes als solche untersagen kann, sondern auch der ei- gentlichen Nutzung vorgelagerte Handlungen, die sich auf die technische Maßnahme beziehen. Was dies f r Schutz und Nutzung eines Werkes bedeutet, l sst sich an- schaulich an einem Schichtenmodell erl utern. Das Werk wird auf verschie- denen Ebenen gesch tzt, indem technische und rechtliche Schutzmecha- nismen kombiniert werden. Jede Sicherungsebene dient der hçher gelegenen gewissermaßen als »doppelter Boden«, wodurch eine Mehrfach- absicherung der Interessen der Rechteinhaber erreicht wird. 1. Sicherungsebene: Urheberrecht Sch tzt vor unbefugter Nutzung des Werkes (rechtlicher Schutz) 2. Sicherungsebene: Technische Schutzmaßnahme Sch tzt vor unbefugter (und befugter) Nutzung sowie – je nach Funktion – vor unbefugtem Zugang zum Werk (technischer Schutz) 3. Sicherungsebene: Schutz technischer Maßnahmen Sch tzt vor einer Umgehung der technischen Schutzmaßnahme (recht- licher Schutz) Die Auswirkungen auf die Praxis seien an einem Beispiel erkl rt: EinMusik- unternehmen stellt auf einer kommerziellen Download-Plattform Musik- st cke zum Herunterladen ein und sichert den Zugriff hierauf durch eine Zugangssperre. Diese l sst Downloads nur durch registrierte Nutzer gegen Bezahlung zu. Das herkçmmliche Urheberrecht w rde den Anbieter nur davor sch tzen, dass die Dateien von Nutzern herunter geladen werden, die sich nicht auf eine Schrankenbestimmung berufen kçnnen (1. Sicherungs- ebene). Wollte sich ein Nutzer die Datei zur Nutzung im privaten Bereich herunter laden, ohne sich zu registrieren und zu bezahlen, kçnnte der Anbieter ihm dies nicht aufgrund des Urheberrechts untersagen, da eine solche Nutzung nach der Privatkopieschranke (§ 53 Abs. 1 UrhG) gestattet w re.16 Zugriff und Download verhindert jedoch die Zugangssperre und zwar im Zweifel unabh ngig davon, ob ein an sich nach der Privatkopie- regelung erlaubter oder ein rechtswidriger Download vorgenommen werden soll (2. Sicherungsebene). Setzt sich der Nutzer ber die technische Sperre hinweg und hackt sich in die Datenbank ein, um den Download vornehmen zu kçnnen, verstçßt er gegen den Schutz technischer Maß- nahmen nach § 95a UrhG (3. Sicherungsebene). Ebenso wie die 2. Siche- rungsebene greift der Umgehungsschutz unabh ngig davon, ob der Download an sich berechtigten – also vor allem privaten – Zwecken dient oder nicht. 116 Das Spannungsfeld zwischen Wissen und Eigentum im neuen Urheberrecht An dem Beispiel zeigt sich anschaulich der Eingriff, der mit der Einf h- rung des Umgehungsschutzes in die Nutzungsfreiheiten vorgenommen wurde. Technische Systeme nehmen keine R cksicht auf die urheberrecht- lichen Nutzungsfreiheiten. Sie ermçglichen oder verhindern Nutzungs- handlungen so, wie es derjenige will, der sie einsetzt. Der Rechteinhaber kann also ber den Einsatz technischer Schutzmaßnahmen auf die Nut- zungsfreiheiten Einfluss nehmen, was nat rlich nicht im Interesse der Nut- zer liegt. Dieses Spannungsverh ltnis hat der Gesetzgeber im Ersten Korb erkannt, sich aber in Bezug auf die Mçglichkeiten zur Kopie f r private Zwecke daf r entschieden, den Rechteinhabern zum Schutz ihrer Interessen diese Entscheidungsmacht einzur umen. Zwar sollen auch nach der Novellierung digitale Privatkopien grunds tzlich zul ssig sein. Ist ein Werkexemplar je- doch mit einer technischen Schutzmaßnahme versehen, darf diese nicht um- gangen werden, um die Privatkopie anfertigen zu kçnnen. Damit f hrt der Schutz der technischen Maßnahme – je nach Gusto des Rechteinhabers – mittelbar zur Verhinderung von Privatkopien. Diese »Privatisierung« grundlegender urheberrechtlicher Wertungsent- scheidungen wird bis heute von den Bef rwortern der Privatkopierfreiheit kritisiert. Die Grundentscheidung des Gesetzgebers, die Privatkopie auch im digitalen Zeitalter zu erhalten, wird damit erheblich entwertet. Durchsetzungsst rke von Schrankenbestimmungen gegen technische Schutzmaßnahmen am Beispiel der neu eingef hrten Unterrichts- und Forschungsschranke in § 52a UrhG Die Unterrichts- und Forschungsschranke und ihre Durchsetzbarkeit Anders als bei der Regelung ber Privatkopien hat sich der Gesetzgeber in Bezug auf andere Schrankenbestimmungen entschieden, deren Aus- bung auch dann zu garantieren, wenn gesch tzte technische Maßnah- men zum Einsatz kommen. In § 95b UrhG wurde zu diesem Zweck ein gesetzlicher Anspruch geschaffen, nach dem bestimmte Personenkreise von den Verwendern technischer Schutzsysteme die Mittel fordern kçn- nen, die sie zur Wahrnehmung ihrer Nutzungsfreiheit bençtigen. Die- ses Regelungskonstrukt sei am Beispiel der durch den Ersten Korb eben- falls neu eingef hrten Unterrichts- und Forschungsschranke (§ 52a UrhG) erkl rt. 117 Till Kreutzer Die Unterrichts- und Forschungsschranke begrenzt das ausschließliche »Recht der çffentlichen Zug nglichmachung« (§ 19a UrhG). Auch dieses Recht wurde erst durch den Ersten Korb in das deutsche Recht eingef hrt. Es gew hrt dem Urheber (oder Rechteinhaber) die ausschließliche Befugnis dar ber zu entscheiden, ob sein Werk online gestellt werden darf. Im Zuge von dessen Einf hrung war vom Gesetzgeber zu kl ren, ob und inwieweit auch dieses (wie alle anderen) Verwertungsrechte, etwa aus gesamtgesell- schaftlichen Erw gungen, Einschr nkungen unterworfen werden m sse. Mit anderen Worten: ob es in bestimmten F llen gerechtfertigt erscheint, das Online-Stellen eines Werkes ohne Zustimmung des Rechteinhabers zu gestatten. Im Ergebnis wurde das Online-Recht nur durch die Unterrichts- und Forschungsschranke eingegrenzt. Diese Sonderregelung soll die (On- line-)Nutzung von fremden Werken in Lehre und Wissenschaft ermçgli- chen, ohne dass hierf r jedes Mal Nutzungsrechte erworben und Vertr ge geschlossen werden m ssen. Die Vorschrift ist in zwei Tatbest nde unter- teilt. § 52 a Abs. 1 Nr. 1 UrhG gestattet es, den Unterrichtsteilnehmern (nicht etwa einem unbegrenzten Personenkreis) bestimmter Lehreinrich- tungen17 kleine Teile gesch tzter Werke oder Werke geringen Umfangs sowie einzelne Beitr ge aus Zeitungen oder Zeitschriften online zur Ver- f gung zu stellen. Hiermit wird vor allem die zustimmungsfreie Verwen- dung in elektronischen (Fern-)Lehrangeboten ermçglicht. § 52a Abs. 1 Nr. 2 UrhG erlaubt zudem die gemeinsame Online-Nutzung in einem be- stimmt abgegrenzten Kreis von Personen, soweit dies deren »eigener wis- senschaftlicher Forschung« dient. Beg nstigt werden sollen vor allem kleine Forscherverb nde. Die Unterrichts- und Forschungsschranke soll dadurch gest tzt werden, dass sie »durchsetzungsstark« ausgestaltet wurde.18 Nach § 95b Abs. 1 Nr. 5 UrhG19 haben Lehrende und Wissenschaftler, soweit sie sich auf die Unter- richts- und Forschungsschranke berufen kçnnen, das Recht, von einem Verwender technischer Schutzmaßnahmen zu verlangen, ihnen die Aus- bung der Nutzungsfreiheit faktisch zu ermçglichen. Die Beg nstigten kçnnen verlangen, dass ihnen die technischen Mittel zur Verf gung gestellt werden, die nçtig sind, um ein bestimmtes Werk f r Unterrichts- oder For- schungszwecke online zu stellen. Ist es also etwa einem Lehrer aufgrund eines Kopierschutzes nicht mçg- lich, ein e-Book auf den Server zu laden (wof r eine Kopie angefertigt wer- den m sste), um es zum Download durch die Unterrichtsteilnehmer ein- zustellen, kçnnte er vom Hersteller des e-Books verlangen, ihm ein Umgehungsmittel zu berlassen. Welche Mittel dies sind, vor allem auf 118 Das Spannungsfeld zwischen Wissen und Eigentum im neuen Urheberrecht welche Weise der Rechteinhaber die Nutzungsmçglichkeit erçffnen muss, l sst das Gesetz offen. Denkbar ist, dass er dem Lehrer ein Programm zur Entschl sselung des Kopierschutzes zur Verf gung stellt oder dass er ihm eine weitere Kopie des Werkes berl sst, die auf den Server hochgeladen werden kann.20 Praktischer Nutzen des § 52a UrhG f r Wissenschaft und Lehre Auf den ersten Blick scheint die Unterrichts- und Forschungsschranke damit ein wichtiges Instrument f r moderne Vermittlungsformen von Wissen in Lehre und Wissenschaft zu sein. Die Verwendung von bedeutenden Wer- ken im Wege des E-Learning wird so erst ermçglicht, da es undenkbar er- scheint, dass ein Wissenschaftler, bevor er den mit ihm online verbundenen Kollegen ein Forschungsergebnis bermittelt, mit dem jeweiligen Rechte- inhaber einen Vertrag schließt, eine Lizenzgeb hr aushandelt und bezahlt. Der positive Schein tr gt jedoch. Tats chlich ergeben sich in Bezug auf die Unterrichts- und Forschungsschranke im Detail so viele schwierige Rechtsfragen, dass ein Laie kaum jemals sicher sein kann, ob diese f r seinen Fall berhaupt anwendbar ist. Schon der Anwendungsbereich der Schranke ist so eng und unklar formuliert, dass die Beurteilung, ob die Regelung im jeweiligen Einzelfall gilt, meist ußerst schwierig ist. Zudem enth lt § 52a UrhG diverse Einschr nkungen, deren Bedeutung sich auch bei n herer Pr fung nicht genau ermitteln l sst. Diese Einschr nkungen beruhen zu- meist auf den Zugest ndnissen, die der Gesetzgeber an die Forderungen der Verwertungsindustrie gemacht hat. So wurden aus dem Anwendungsbereich der Schranke auf Druck der jeweiligen Interessengruppen »Werke, die f r den Unterrichtsgebrauch f r Schulen bestimmt sind« ganz und Filme immerhin tempor r ausgenom- men. Besonders letztere Einschr nkung l sst viele Fragen offen. In § 52a Abs. 2 UrhG heißt es: »Die çffentliche Zug nglichmachung eines Filmwer- kes ist vor Ablauf von zwei Jahren nach Beginn der blichen regul ren Aus- wertung in Filmtheatern im Geltungsbereich dieses Gesetzes stets nur mit Einwilligung des Berechtigten zul ssig«. Die Filmindustrie hat bei den Be- ratungen ber die Regelung – offensichtlich erfolgreich – argumentiert, dass die Unterrichts- und Forschungsschranke ihre wirtschaftlichen Interessen massiv gef hrde. Angesichts der Tatsache, dass die Regelung ohnehin nur die Verwendung kleiner Teile oder »Werke geringen Umfangs« ermçg- licht (zu denen Filme, zumal Kinofilme, im Zweifel nicht z hlen), ist aller- dings sehr fraglich, ob die Unterrichts- und Forschungsschranke die Ein- nahmen an Kinokassen oder f r DVD-Verk ufe berhaupt gef hrdet. Im 119 Till Kreutzer Zweifel h tte man die Einschr nkung, die die Kino- und DVD-Auswertung sch tzen soll, also gar nicht gebraucht. Diesem geringen Nutzen f r die Rechteinhaber stehen erhebliche Nach- teile der Sonderregelung f r Filme gegen ber. Denn bei deren Einf hrung wurde offenbar vergessen, dass f r Unterricht und Forschung eine Vielzahl von Filmen interessant ist, die gar nicht im Kino gezeigt werden. Wie aber ist die Unterrichtsschranke in Bezug auf die Verwendung von Lehrfilmen oder Fernseh-Reportagen zu beurteilen? Eine Frage, die jedenfalls ohne ein- gehende Kenntnisse der Rechtsmaterie, der Intention des Gesetzgebers und weiterer Aspekte – und selbst dann – kaum beantwortet werden kann.21 Umso schwerer wirkt die Filmausnahme angesichts der f r die gesamte Unterrichts- und Forschungsschranke geltenden zeitlichen Beschr nkung. Nach § 137k UrhG tritt § 52a UrhG mit Ablauf des 31. Dezember 2006 ersatzlos außer Kraft. Angesichts der Tatsache, dass die Schranke erst im September 2003 eingef hrt wurde, verbleibt f r die Nutzung von Filmen bei einer Karenzzeit von zwei Jahren kaum ein Anwendungsbereich. Oh- nehin stellt eine solche zeitliche Einschr nkung einer urheberrechtlichen Regelung ein Unikum dar. Wenn eine neue Rechtsnorm ein Gefahren- potential f r eine oder mehrere Interessengruppen birgt, wird diese bli- cherweise nicht mit einem unreflektierten »Time-Out«, sondern mit einer Evaluationsbestimmung versehen. Eine solche w rde ermçglichen, die Aus- wirkungen ber einen bestimmten Zeitraum zu beobachten, um dann zu entscheiden, ob die Regelung wieder abgeschafft werden soll. Diese Lçsung h tte sich auch f r die Unterrichts- und Forschungsschranke angeboten, da im Zeitpunkt der Einf hrung des § 52a UrhG – wie blich – noch gar nicht klar war, ob sich die Bef rchtungen der Filmindustrie und der Verlage in Bezug auf die Schranke berhaupt realisieren w rden. Trotz der Sachlogik dieser Erw gung hat der Gesetzgeber dem Dr ngen der Lobbyverb nde nachgegeben; ein Umstand, der die massive Beeinflussung des Gesetzgebers ebenso deutlich zeigt, wie die unterschiedliche Gewichtung der Belange der Wirtschaft auf der einen und der freien Nutzung vonWissen auf der anderen Seite. Nicht zuletzt aufgrund der zeitlichen Beschr nkung sind demNutzen der Unterrichts- und Forschungsschranke erhebliche Grenzen gesetzt. So ist es beispielsweise kaum ratsam, in dauerhaften E-Learning-Projekten fremde Werke zu verwenden, ohne hierf r – mit Blick auf die Schrankenbestim- mung – Nutzungsrechte zu erwerben. Damit nicht genug: Die G ltigkeits- dauer von § 52a UrhG ist so kurz bestimmt, dass sich elektronische Ange- bote in der Lehre (z.B. im Schulunterricht) kaum etablieren kçnnen, bevor die Schranke wieder außer Kraft tritt. Entsprechend reicht der Zeitraum 120 Das Spannungsfeld zwischen Wissen und Eigentum im neuen Urheberrecht auch nicht aus, um etwaige negative Auswirkungen der Schranke zu eva- luieren. Vor dem Hintergrund, dass die Inanspruchnahme der an sich so wichtigen Unterrichts- und Forschungsschranke nicht ohne Kompensatio- nen erfolgen soll, sind die vielen Restriktionen umso unverst ndlicher. Tat- s chlich ist f r die çffentliche Zug nglichmachung im Rahmen des § 52a UrhG eine »angemessene Verg tung« zu entrichten, die durch eine Verwer- tungsgesellschaft geltend gemacht werden soll.22 Auch der praktische Nutzen der Durchsetzungsst rke der Unterrichts- und Forschungsschranke sollte nicht berbewertet werden. Der Vorteil, dass die Rechteinhaber verpflichtet sind, bei Einsatz von technischen Schutzmaßnahmen den nach § 52a UrhG Berechtigten Umgehungsmittel zur Verf gung zu stellen, ist zun chst nur theoretischer Natur. Ob sich hie- raus auch ein praktischer Vorzug ergibt, muss die Handhabung dieser Ver- pflichtung zeigen. Das Gesetz zeigt sich in Bezug auf die Umsetzung der Nutzerrechte nach § 95b UrhG bedeckt. Der Regelung ist nicht einmal zu entnehmen, ob die Verwender technischer Schutzsysteme den Berechtigten die Umgehungsmittel von sich aus, also pro-aktiv, zur Verf gung stellen m ssen. W re dies nicht der Fall, w rde mit der Durchsetzung von Nut- zungsfreiheiten gegen technische Schutzsysteme ein erheblicher zeitlicher und administrativer Aufwand einhergehen. Der oben beispielhaft genannte Lehrer m sste sich, bevor er das e-Book auf den Server stellen kann, an den Rechteinhaber wenden und bitten, ihm die notwendigen Mittel zur Ver- vielf ltigung zu bermitteln. Kommt der Rechteinhaber dem nicht nach, hilft nur noch der Gang vor ein Gericht mit der Folge unter Umst nden jahrelanger Rechtsstreitigkeiten. Dass solche Optionen f r den Lehrer in der Regel sinnlos sind, bedarf kaum der Erw hnung. Der Gesetzgeber hat diese Problematik erkannt, sich aber dennoch – nicht zuletzt aufgrund der Vorgaben aus der Richtlinie – dagegen entschie- den, schrankenbeg nstigten Nutzern ein »Selbsthilferecht« zur Umgehung von technischen Schutzmaßnahmen zuzugestehen. Auch diesbez glich wurde den Interessen der Rechteinhaber der Vorrang gew hrt. In der Ge- setzesbegr ndung heißt es: »Dem Schrankenbeg nstigten kann ein Selbst- hilferecht zur Umgehung der technischen Maßnahmen aus Gr nden der Sicherung der Schutzsysteme nicht gew hrt werden.« 121 Till Kreutzer 6. Der »Zweite Korb« Die wichtigsten nderungsvorschl ge im Referentenentwurf zum Zweiten Korb23 Neue Schrankenbestimmungen Nutzung von Werken an digitalen Lesepl tzen in çffentlichen Bibliotheken (neuer § 52b UrhG) Im Zweiten Korb ist die Debatte um Beschr nkungen des Online-Rechts erneut entbrannt. Die Bundesregierung ist auf die Forderungen vor allem der Bibliotheken und Wissenschaftsinstitutionen eingegangen und hat im Referentenentwurf f r den Zweiten Korb zwei neue Regelungen vor- geschlagen, die es çffentlichen Bibliotheken gestatten sollen, Werke unter bestimmten Umst nden online zu nutzen, ohne hierf r eine Genehmigung des Rechteinhabers einzuholen. Den Bibliotheken sollen Mçglichkeiten an die Hand gegeben werden, ihrem Auftrag im Rahmen der Wissensvermitt- lung auch unter Nutzung digitaler Technologie nachzukommen. Die erste zur Diskussion stehende Bestimmung betrifft die so genannten »on-the-spot-consultations« in çffentlichen Bibliotheken. Zugrunde liegt die Forderung nach einer Befugnis, die ermçglicht, dass Bibliotheksbest nde von den Nutzern auch digital, an eigens in den R umen der Bibliotheken eingerichteten Computer-Terminals angesehen werden kçnnen. Ziel einer solchen Regelung ist zweierlei: Zum einen soll die Mçglichkeit geschaffen werden, die Bibliotheksbest nde dadurch zu schonen, dass diese in digita- lisierter Form genutzt werden kçnnen. Zum anderen soll Bibliotheksnut- zern, denen daheim keine technische Infrastruktur zur Verf gung steht, der Zugang zu digitalen Werkst cken erçffnet werden. Nach der zu diesem Zweck vorgeschlagenen Regelung (§ 52b UrhG) sollen Bibliotheken die Mçglichkeit haben, ohne Zustimmung der Rechte- inhaber elektronische Lesepl tze einzurichten. F r die zus tzliche digitale Nutzung soll den Rechteinhabern eine angemessene Verg tung bezahlt werden. Die Bibliotheksbest nde online zu stellen (etwa zum Abruf durch die Nutzer von zuhause), gestattet der Vorschlag nicht. Wenngleich die vor- geschlagene Neuregelung im Prinzip von den Bibliotheks- und Nutzerver- tretern begr ßt wird, enth lt sie doch eine gravierende Einschr nkung. Bib- liotheken sollen auf den Terminals nur so viele Exemplare eines Werkes gleichzeitig zug nglich machen d rfen, wie sich in den Best nden der Bib- liothek finden. Hat also eine Bibliothek ein Buch nur einmal erworben, darf 122 Das Spannungsfeld zwischen Wissen und Eigentum im neuen Urheberrecht sie dieses zwar scannen und auf ihren Terminals zur Ansicht zur Verf gung stellen. Auf die digitale Leseplatz-Version etwa eines Buches soll jedoch zeit- gleich nur ein Nutzer zugreifen d rfen.24 Kritiker dieser Einschr nkung mei- nen, dass hierdurch eine erweiterte Nutzung gar nicht erçffnet werde, son- dern nur eine weitere Art undWeise derWahrnehmbarmachung. Schon gar nicht d rfe hierf r eine Verg tung verlangt werden.25 Abgesehen von der Frage, ob es sich bei dem vorgeschlagenen § 52b UrhG rechtlich gesehen berhaupt um eine Schrankenbestimmung handelt oder ob dieser nur gestattet, was urheberrechtlich ohnehin nicht zu- stimmungspflichtig w re,26 ist in der Tat zweifelhaft, ob die angedachte Regelung f r die Zug nglichkeit von Wissen und Kulturg tern Vorteile mit sich bringt. Die digitale Abbildung eines ohnehin schon in den Bib- liotheksbest nden befindlichen und zug nglichen Werkes hat f r sich genommen nur einen geringen Mehrwert. Erhçhte Zugriffsmçglichkeiten auf existierende (Buch-)Best nde werden so nicht erçffnet. Digitale Werke wie e-Books oder Datenbanken werden von der Schranke zumeist ausgeschlossen sein, da diese die Zug nglichmachung an Lesepl tzen nur gestattet, »soweit dem keine vertraglichen Regelungen entgegenstehen«. Werke in digitaler Form werden jedoch meist unter vertraglichen Nut- zungsbedingungen vertrieben. Diese versagen in der Regel die çffentliche Zug nglichmachung zur Nutzung durch Dritte, es sei denn, f r diese Nut- zungsmçglichkeit wird eine – zus tzlich zu erwerbende – Lizenz erworben. Sollte ein Verwerter dies bisher nicht praktizieren, l ge es in seiner Hand, die Anwendbarkeit der Schranke zu unterbinden, indem er seine Werke nur noch unter restriktiven Nutzungsbedingungen vertreibt. Das Anliegen der Bildungseinrichtungen, digitale Datenbanken, e-Books und sonstige elekt- ronische Publikationen auch solchen Nutzern zug nglich zu machen, die diese ansonsten nicht verwenden kçnnten, kann dann nicht mehr erf llt werden. Da die Erweiterung der Nutzungsmçglichkeiten eines einzigen Werk- exemplars durch die Beschr nkung auf die Zahl der bereits erworbenen Werkexemplare verhindert wird, stellt sich zudem die Frage, ob die durch § 52b UrhG formal privilegierten Bildungseinrichtungen von einer wie vorgeschlagenen Schranke berhaupt Gebrauch machen w rden. Immerhin bedeuten die Digitalisierung von Altbest nden sowie die Einrichtung digi- taler Lesepl tze unter Umst nden einen erheblichen Aufwand. Soll dar ber hinaus f r die Bereitstellung auch noch eine Verg tung entrichtet werden, ohne dass ein nennenswerter Mehrwert f r die Nutzer erzielt werden kann, ist der Anreiz f r die Bibliotheken, ihre Best nde digital »abzubilden«, ge- ring. 123 Till Kreutzer Elektronischer Kopienversand Von großem Nutzen f r B rger und B rgerinnen – vor allem in struktur- armen Gebieten – hat sich der subito-Dienst der internationalen Bibliothe- ken erwiesen. Es handelt sich hierbei um einen Dokument-Lieferdienst. Nutzer kçnnen in Bibliotheksbest nden online recherchieren und sich Ko- pien von Werken bestellen, die in der eigenen Bibliothek nicht vorhanden sind.27 Urspr nglich wurde der Versand der Dokumente nur per Post oder per Fax vorgenommen. Sp ter – mit zunehmender Verbreitung elektro- nischer Medien – ging subito dazu ber, auch Emails mit den bestellten Kopien zu versenden oder diese zum Download durch den Besteller auf Server zu stellen. Auch ganze B cher werden im Rahmen einer Fernleihe versendet. Die Kosten f r den Dienst sind gering, subito arbeitet zum Selbst- kostenpreis.28 Subito erweitert den Zugang zu Wissen und Kulturg tern in erheblichem Maß. Der Dienst berwindet nicht nur r umliche Distanzen, sondern auch das mit den begrenzten Mitteln der çffentlichen Bibliotheken einher gehende Versorgungsproblem mit Literatur. Ohne dass jede Biblio- thek oder gar jeder Leser – was ohnehin nicht mçglich w re – jedes Buch erwerben muss, wird ein Zugriff der Gesamtbevçlkerung auf das breite Spektrum an Werken gew hrleistet. Der Dienst erçffnet damit einen – bil- dungspolitisch und gesamtgesellschaftlich w nschenswerten – fl chen- deckenden Zugriff auf Wissen und Information. Den Verlagen ist subito dagegen ein Dorn im Auge. Sie w rden die Ge- samtversorgung lieber selbst vornehmen und hier ber entsprechende Ein- nahmen generieren. Ob diese Alternative jedoch praktisch besteht, steht freilich auf einem anderen Blatt. Der Erfolg von subito basiert sicherlich in erster Linie auf den g nstigen Preisen, die ein Verlag, der nicht auf Kos- tendeckung, sondern auf Gewinnerzielung ausgerichtet und angewiesen ist, nicht bieten kçnnte. Angesichts leerer Kassen und der st ndigen Preisstei- gerung vor allem bei wissenschaftlichen Publikationen ist sehr fraglich, ob sich das Verlagsgesch ft durch ein Verbot des Kopienversandes dahingehend verbessern ließe, dass die Bibliotheken mehr B cher und Zeitschriften an- schaffen.29 Auch ob die Nutzer entsprechende – im Zweifel aber wesentlich teurere – Verlagsangebote annehmen w rden, ist zweifelhaft. Viele B r- gerinnen und B rger kçnnten sich solche im Zweifel gar nicht leisten. Ungeachtet dessen haben einige große Wissenschaftsverlage Ende der 1990er Jahre versucht, subito unter Berufung auf ihre Verwertungsrechte an den ber den Dienst versendeten Beitr gen gerichtlich untersagen zu lassen. Der Fall ging bis vor den Bundesgerichtshof (BGH), der die Klage 1999 in letzter Instanz abgewiesen hat. In einer detaillierten Begr ndung 124 Das Spannungsfeld zwischen Wissen und Eigentum im neuen Urheberrecht hatte das oberste deutsche Zivilgericht entschieden, dass die Aktivit ten von subito aufgrund urheberrechtlicher Schrankenbestimmungen – nicht zuletzt angesichts des gesamtgesellschaftlichen Interesses an dem Dienst30 – zul ssig seien. Dies jedoch unter der Voraussetzung, dass die Bibliotheken f r den Dokumentenversand einen Obolus an die Autoren und Verlage bezahlen. Als sp ter der wesentlich praktischere und schnellere digitale Dokument- versand per Mail und FTP den Post- und Faxversand als Kernaufgabe abge- lçst hat, klagten die Verlage erneut gegen subito.31 ber die Klage ist bislang noch nicht entschieden worden. Bis zu einer endg ltigen Entscheidung – im Zweifel durch den Bundesgerichtshof – kçnnen noch Jahre vergehen. Der Gesetzgeber hat sich daher im Zweiten Korb der Problematik angenom- men. Gegen den Widerstand der Verleger hat das BMJ im Referentenent- wurf die Einf hrung eines neuen § 53a UrhG vorgeschlagen, der den di- gitalen Kopienversand gestatten soll. Die Regelung hat zwei Gegenst nde. In Bezug auf die Rechtslage bei einem Dokumentenversand per Post und Fax hat sich das Ministerium im Referentenentwurf darauf beschr nkt, die Ergebnisse des BGH-Urteils fest- zuschreiben. Der Zweite Korb br chte diesbez glich also keine Ver nde- rungen f r subito mit sich. Hinsichtlich des elektronischen Kopienversandes (z.B. per Email) hat das BMJ angesichts der betroffenen Interessen eine Kompromisslçsung gew hlt. Zwar soll auch dies k nftig grunds tzlich zu- l ssig sein. Allerdings soll sich die Befugnis nur auf solche F lle beziehen, in denen die Verlage den nachgefragten Beitrag nicht selbst zum elektro- nischen Versand anbieten.32 Setzte sich der Entwurf durch, h tten es die Verlage letztlich in der Hand, ber die Befugnisse von subito zu entschei- den. Sie m ssten lediglich ihre Produkte zum Download oder Versand an- bieten (was von vielen Verlagen l ngst getan wird), um subito die Rechts- grundlage f r die digitale Informationsversorgung zu entziehen. Aufgrund dieser Einschr nkung ist die neue Regelung durch die Bil- dungseinrichtungen erheblich kritisiert worden.33 Selbst aus den Reihen der Bundesregierung – genauer des Bundesministeriums f r Bildung und Forschung (BMBF) – wurde der Gesetzesvorschlag çffentlich bem ngelt.34 Bef rchtet wird eine erhebliche Einschr nkung des Informationszugangs besonders f r schlecht situierte B rgerinnen und B rger. Diese Gefahr droht in der Tat. Denn der Referentenentwurf sieht vor, dass die Angebote der Verlage die Zul ssigkeit einer elektronischen bersendung durch subito auch dann entfallen lassen, wenn sie erheblich teurer sind. Selbst wenn also – wie erwartet werden kann – kommerzielle elektronische Versand- angebote wesentlich kostspieliger w ren als die gleiche Dienstleistung der çffentlichen Bibliotheken, d rften Letztere eine digitale Versendung nicht 125 Till Kreutzer mehr vornehmen. Es bliebe dann nur, auf den umst ndlichen, langsamen und teuren Versand per Fax oder Post zur ckzukommen. Wollte sich subito in Anbetracht der neuen Regelung darauf beschr n- ken, nur noch diejenigen Beitr ge anzubieten, die von den Verlagen nicht in elektronischer Form angeboten werden,35 w rde das einen erheblichen Auf- wand bedeuten: Bevor der Bibliotheksdienst einen Artikel versendet, m sste stets berpr ft werden, ob dieser nicht auch ber ein kommerzielles Online- Angebot verf gbar ist. Abgesehen von der hiermit u.U. einhergehenden erheblichen Verzçgerung der Lieferzeit w re der Zusatzaufwand im Zweifel gravierend. Privatkopie Obwohl am meisten diskutiert und am heftigsten umstritten, schl gt das BMJ im Referentenentwurf keine maßgeblichen Ver nderungen der Frei- heit vor, Kopien zu privaten Zwecken anzufertigen. Musik- und Filmindus- trie hatten gefordert, die Mçglichkeit der digitalen Vervielf ltigung zu pri- vaten Zwecken ganz abzuschaffen bzw. stark einzuschr nken. Das BMJ erteilte diesen Forderungen jedoch eine Absage: Vor allem die mangelnde Durchsetzbarkeit von Einschr nkungen der Privatkopie-Regelung sowie die fehlende Transparenz f r den Nutzer spr chen dagegen. Ebenso wenig folgte das Ministerium jedoch den Forderungen mancher Interessengruppen, Wissenschaftler und der Verbraucherverb nde, die Pri- vatkopie gegen ber dem Schutz technischer Maßnahmen durchsetzungs- stark auszugestalten. Es soll also kein Recht des Nutzers geben, vom Rechte- inhaber technische Mittel herauszuverlangen, um auch verschl sselte oder kopiergesch tzte Inhalte zu privaten Zwecken zu kopieren.36 Nach dem BMJ w re dies nicht angemessen.37 Ein »Recht auf Privatkopie« habe es nie gegeben und lasse sich auch aus dem Grundgesetz nicht herleiten. Den Bem hungen der Rechteinhaber, die Nutzung im privaten Bereich durch technische Schutzmaßnahmen zu kontrollieren und abzurechnen, d rfe durch gesetzliche Regelungen nicht entgegen gewirkt werden.38 Die einzige nderung an der Privatkopieschranke imReferentenentwurf bezieht sich auf eine schon im Ersten Korb eingef gte Beschr nkung von § 53 Abs. 1 UrhG. Hiernach sollen Privatkopien nur dann zul ssig sein, wenn diese nicht von einer »offensichtlich rechtswidrig hergestellten Vor- lage« angefertigt werden. Die Regelung sollte dazu dienen, den Tausch von Musik- und Filmwerken ber Internet-Tauschbçrsen39 einzud mmen. Durch den Bezug auf die Herstellung der Kopiervorlage war die Neurege- lung jedoch von vornherein f r diesen Zweck ungeeignet. Denn in den 126 Das Spannungsfeld zwischen Wissen und Eigentum im neuen Urheberrecht weitaus meisten F llen wird es einem Nutzer unmçglich sein zu erkennen, unter welchen (rechtlichen) Umst nden die herunter geladene Datei her- gestellt wurde. Da Tauschbçrsen vollkommen anonym in aller Welt genutzt werden und die hier kursierenden Dateien kaum R ckschluss auf ihre Her- kunft zulassen, d rfte die Beschr nkung letztlich ins Leere gehen.40 Um dieses Manko zu beheben, soll im Zweiten Korb eine weitere Ein- schr nkung der Privatkopieschranke eingef hrt werden. Diese soll auch dann nicht gelten, wenn die Kopiervorlage (also die im Internet oder einer Tauschbçrse zum Download angebotene Datei) »offensichtlich rechtswidrig hergestellt oder çffentlich zug nglich gemacht« wurde. Wenn es also f r den Nutzer offensichtlich ist, dass eine Musik-Datei oder ein Film rechtswidrig im Internet »gelandet« ist, soll auch dies zum Ausschluss der Privatkopie-Frei- heit f hren. Ob die geplante Regelung tats chlich geeignet ist, den Down- load von nicht legitim angebotenen Dateien aus Tauschbçrsen und Internet f r rechtswidrig zu erkl ren, bleibt allerdings auch dann noch fraglich.41 Neue Nutzungsarten Bei einer weiteren Neuregelung geht es weniger um das Spannungsfeld von Wissen und Eigentum als vielmehr um die Zuordnung des Eigentums. Im Vordergrund dieses Regelungsaspekts steht nicht die Beziehung zwischen Nutzer und Rechteinhaber, also das Verh ltnis zwischen freier und zustim- mungspflichtiger Nutzung, sondern diejenige zwischen dem Urheber und Verwerter (z.B. zwischen einem Autor und seinem Verlag). Nach dem Referentenentwurf zum Zweiten Korb sollen die Rechte der Autoren zugunsten der Interessen von Verlagen und anderer Rechteinhaber eingeschr nkt werden. Bislang verhindert § 31 Absatz 4 UrhG, dass die Ur- heber Verwertern durch Vertr ge auf alle Zeiten s mtliche Nutzungsrechte an ihrem Werk bertragen. Zum Schutz des Urhebers vor den meist ver- handlungsst rkeren Verwertern42 sind hiernach Verf gungen ber zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses noch unbekannte Nutzungsarten unwirk- sam. Eine Nutzungsart in diesem Sinne ist jede wirtschaftlich und technisch eigenst ndige Form der Werkverwertung. Sie ist erst dann bekannt, wenn die technischen Voraussetzungen f r ihren Einsatz vorliegen und sie wirt- schaftlich bedeutsam und verwertbar geworden ist. Hintergrund ist folgender: Im Laufe der Zeit kommen, meist aufgrund der technischen Entwicklung, immer wieder neue Nutzungsarten auf. Bei- spiele aus der Vergangenheit sind etwa die CD, die Mitte der 1980er Jahre die Langspielplatte abgelçst hat, die Videoauswertung von Spielfilmen oder die Nutzung von urheberrechtlich gesch tzten Werken ber das Internet. 127 Till Kreutzer Hat etwa ein Autor im Jahr 1985 einen Beitrag in einer Fachzeitschrift ver- çffentlicht und hieran »alle Rechte« abgetreten, durfte der Verlag den Bei- trag im Jahr 2000 nicht ohne Weiteres ber ein Online-Archiv anbieten. Der Verlagsvertrag aus dem Jahr 1985 erfasst nach § 31 Abs. 4 UrhG diese Online-Nutzung nicht, ganz gleich wie weitgehend er formuliert ist. Das hat f r die Verlage zur Folge, dass sie z.B. vor einer Einstellung alter Zeit- schriftenjahrg nge in Online-Archive s mtliche Autoren der Beitr ge, die bis ca. 1995 erschienen sind, erneut um Erlaubnis fragen m ssen. Zuvor war dieWerknutzungsart »Internet« noch unbekannt. Schon lange kritisieren die Verwerter, dass die Regelung zu vielen Unw gbarkeiten und Schwierigkei- ten f hre. Diese liegen auf der Hand: Vor allem mit Aufkommen der Di- gitaltechnik haben sich die Mçglichkeiten, gesch tztes Material zu verwer- ten, erheblich diversifiziert. Der Aufwand, die Nutzungsrechte f r neue digitale Verwertungsformen nachzulizenzieren, kann – wie sich an dem oben genannten Beispiel zeigt – sehr groß sein. Dem nachvollziehbaren Interesse der Verlage, Filmunternehmen und an- derer Verwerter, die von ihnen publizierten Werke auch in neu entstehen- den Nutzungsformen auszuwerten, stehen h ufig Interessen der Urheber gegen ber. Diese haben das Recht, an jeder Verwertung ihrer Werke an- gemessen wirtschaftlich beteiligt zu werden. Dieses Interesse hat der Gesetz- geber bei der Einf hrung des § 31 Abs. 4 UrhG im Jahr 1965 als vorrangig eingestuft und entschieden, dass dem Schçpfer die Entscheidung, ob und gegen welches Entgelt er neue Nutzungsarten gestatten will, vorbehalten werden soll. Hintergrund sind neben den wirtschaftlichen auch persçnlich- keitsrechtliche Aspekte. Manch ein Urheber mag mit guten Gr nden nicht damit einverstanden sein, dass seinWerk unter Umst nden Jahrzehnte nach- dem er einer »analogen« Verwertungsform zugestimmt hat, im Internet ver- çffentlicht wird. Das BMJ will diese Belange zuk nftig gegen ber den Interessen der Ver- werter als nachrangig einstufen und § 31 Abs. 4 UrhG abschaffen. Eine sol- cheMaßnahme soll – so die Begr ndung zumReferentenentwurf des Zwei- ten Korbes – vor allen den Interessen der Allgemeinheit zugute kommen, k men doch aufgrund der durch § 31 Abs. 4 UrhG entstehenden Schwierig- keiten neue Technologien »deutlich versp tet oder sogar berhaupt nicht zum Einsatz«.43 »Die in zahlreichen Archiven ruhenden Sch tze sollen end- lich neuen Nutzungsarten problemlos zug nglich gemacht werden« heißt es hier weiter. Auch dem Urheber sei mit § 31 Abs. 4 UrhG letztlich nicht geholfen, da er nicht einmal dann Vertr ge ber k nftige Nutzungsarten schließen kçnne, wenn er es wollte. Hieran kçnne jedoch ein erhebliches Interesse bestehen, da mit einem weitreichenden, zukunftgerichteten Ver- 128 Das Spannungsfeld zwischen Wissen und Eigentum im neuen Urheberrecht trag gesichert sei, dass das Werk Teil des auf neuen Technologien basieren- den Kulturlebens bleibe. Um all dies zu ber cksichtigen, schl gt das BMJ vor, § 31 Abs. 4 UrhG durch andere Regelungen zu ersetzen. Zuk nftig sollen die Urheber nicht mehr vor einer Aufnahme neuer Nutzungsarten durch den Verwerter ge- fragt werden m ssen. Stattdessen sollen sie nur noch ein Widerspruchsrecht haben, das allerdings in dem Moment erlischt in dem der Verwerter begon- nen hat, das Werk in der neuen Nutzungsart auszuwerten. Wird nicht oder nicht rechtzeitig widersprochen, kann der Urheber dem Verwerter die Aus- wertung seines Werkes in der neuen Nutzungsart nicht mehr untersagen, sondern hat nur noch Anspruch auf eine »angemessene Verg tung« (§ 31c des Referentenentwurfs).44 Ob dieser Vorschlag den abzuw genden Interes- sen der Betroffenen wirklich gerecht wird, ist ußerst zweifelhaft. Vielmehr scheinen – entgegen dem in der Begr ndung erweckten Anschein und der gesetzgeberischen Wertungen im Jahr 1965 – die wirtschaftlichen Belange der Rechteverwerter einmal mehr bevorzugt ber cksichtigt worden zu sein. Aus Sicht des als »Pro-Argument« vom Gesetzgeber vorgebrachten ge- samtgesellschaftlichen Interesses an einer » ffnung der Archive« f r neue (vor allem digitale) Nutzungsformen kann es durchaus vorteilhaft sein, wenn es der Urheber selbst in der Hand hat, diese zu realisieren. Denn er hat an einer Verbreitung seines Werkes mitunter ganz andere Interessen als der Verwerter, der sich in der Regel vorrangig an wirtschaftlichen Fak- toren orientieren wird.45 So ist unwahrscheinlich, dass ein Wissenschaftsver- lag ein Interesse daran hat, einen Beitrag dreißig Jahre nach dessen erster Verçffentlichung noch einmal im Internet zu verçffentlichen. Der Autor w rde und kçnnte diesen neuen Zugang mit den Mitteln des Internets je- doch unter Umst nden gerne erçffnen, sei es nur, um auf seine damalige Verçffentlichung noch einmal hinzuweisen. Er w rde den Abruf seines Werkes – aufgrund der anders gelagerten Motivation – wahrscheinlich auch kostenlos gestatten, w hrend der Verlag den Abruf des Beitrags – sofern dieser berhaupt online gestellt w rde – im Zweifel nur gegen Entgelt zu- l sst. Setzt sich der Vorschlag im Referentenentwurf f r den Zweiten Korb durch, w rde die Verwertungsbefugnis f r neue Nutzungsarten ungeachtet der Interessenlage im Einzelfall in den weitaus meisten F llen auf die Ver- werter bergehen. F r das Spannungsfeld von Wissen und Eigentum h tte das im Zweifel nicht unerhebliche Auswirkungen. Denn die Mçglichkeit, auf Wissen zuzugreifen, h ngt nicht nur davon ab, ob es urheberrechtlich oder anderweitig gesch tzt ist. Entscheidend ist vielmehr auch, wer Inhaber der Eigentumsrechte ist und welche Interessen der Eigent mer bei der Aus- 129 Till Kreutzer bung seiner Befugnisse verfolgt. Dass die Belange der Allgemeinheit an mçglichst ungehindertem und kosteng nstigem Zugang zu interessanten Inhalten bei kommerziell agierenden Verwertungsunternehmen, die sich auf heiß umk mpften M rkten behaupten m ssen, in besten H nden sind, ist stark zu bezweifeln. Auch die Behauptung, dass die Urheber selbst ein Interesse an der Ab- schaffung von § 31 Abs. 4 UrhG haben, erscheint allzu pauschal und wird daher den sehr unterschiedlichen Konstellationen nicht gerecht. Zun chst sollte deutlich sein, dass die Schçpfer durch diese Gesetzes nderung die Mçglichkeit verlçren, bei Aufkommen neuer Nutzungsarten ber die Kon- ditionen der Verwertung neu zu verhandeln. Sie kçnnten diese »neuen Rechte« weder dem Meistbietenden »verkaufen« noch entscheiden, dass sie die neue Nutzungsart selbst aus ben wollen. Stattdessen wird ihnen ein »Anspruch auf angemessene Verg tung« gew hrt, auf dessen Hçhe sie selbst keinen Einfluss haben und der sich erfahrungsgem ß in geringen Grenzen halten wird. Das Widerspruchsrecht kann diesen Verlust an Befug- nissen nicht kompensieren. Denn der Verwerter soll nach § 31a UrhG nicht etwa die Pflicht haben, den Urheber vor der Aufnahme einer neuen Nut- zungsform zu unterrichten und ihn ber sein Widerspruchsrecht aufzukl - ren. Eine Informationspflicht soll vielmehr erst bestehen, nachdem der Ver- werter (z.B. ein Verlag) das Werk in der neuen Form auswertet (§ 31c Abs. 1 Satz 2 des Referentenentwurfs). Ab genau diesem Moment kann der Autor sein Widerspruchsrecht aber nicht mehr aus ben. Es steht damit zu vermuten, dass die Urheber im Regelfall erst dann Kenntnis von der Verwertung ihrer Werke auf eine neue Nutzungsart erfahren, wenn sie das Widerspruchsrecht verloren haben. Denn woher soll etwa ein Roman- autor wissen, dass sein Verlag plant, das Werk als Hçrbuch herauszugeben? Dass die Verlage ihre Autoren hierauf (oder gar die Mçglichkeit des Wider- spruchs) aus good will freiwillig hinweisen, ist kaum zu erwarten. Selbst aus Sicht der Verwerter scheint der unterbreitete Vorschlag mit einigen M n- geln behaftet. So wird ihnen die Last, nach Jahren die Urheber oder gar deren Erben ausfindig zu machen, wenn sie eine neue Nutzungsart aufneh- men mçchten, keineswegs abgenommen.46 Denn sowohl bei zuk nftig er- stellten als auch bei »Alt-Werken« m ssen die Berechtigten sp testens dann ermittelt werden, wenn ihnen die angemessene Verg tung ausgezahlt wer- den soll.47 Unter Ber cksichtigung der vorstehenden Erw gungen scheinen aller- hand Argumente zumindest gegen eine pauschale Abschaffung des § 31 Abs. 4 UrhG zu sprechen. Die Regelung hat entsprechend – vor allem von Vertretern gesamtgesellschaftlicher und Urheberinteressen – erhebliche 130 Das Spannungsfeld zwischen Wissen und Eigentum im neuen Urheberrecht Kritik geerntet.48 Wollte man wirklich eine Mçglichkeit schaffen, zugunsten der Erschließung neuer Zugangskan le f r Nutzer und Nutzerinnen die »Archive zu çffnen«, sollte die Auswertung neuer Nutzungsarten demjeni- gen zugestanden werden, der dies – zugunsten der Allgemeinheit – auch absehbar vornehmen wird und vornehmen kann. Dies trifft keineswegs stets eher auf einen Verlag oder eine Plattenfirma zu als auf den Urheber selbst. Nicht ber cksichtigte Novellierungsvorschl ge: Auskunftsanspr che gegen Internet Service Provider Im Laufe der Beratungen ber den Zweiten Korb wurde vehement dar ber diskutiert, ob und in welcher Form die Rechteinhaber einen Auskunfts- anspruch gegen Internet Service Provider (ISP) erhalten sollen. Hintergrund ist folgender: Musik- und Filmindustrie klagen ber Umsatzeinbr che, die angeblich vorrangig auf die Nutzung von Internet-Tauschbçrsen zur ck- zuf hren sind. Um gegen etwaige rechtswidrige Handlungen juristisch vor- gehen zu kçnnen, ist erforderlich, die Identit t der Nutzer zu kennen. Bei der berwachung der Filesharing-Systeme kçnnen jedoch nur IP-Adressen in Erfahrung gebracht werden. Diese werden in den meisten F llen vom ISP dynamisch vergeben. Das bedeutet, dass jeder Nutzer der sich ins Internet einw hlt, jedes Mal eine neue IP-Adresse zugewiesen bekommt. Welchem Nutzer zu welcher Zeit eine IP-Adresse zugeteilt war, weiß nur der Pro- vider ber den er oder sie sich eingew hlt hat. Will also ein Rechteinhaber gegen rechtswidrige Angebote von Dateien in einer Tauschbçrse vorgehen, muss er zun chst vom ISP die notwendigen Nutzerdaten herausverlangen kçnnen. Ob er hierauf nach geltendem Recht einen Anspruch hat, also ob er einen Provider zur Not zur Herausgabe von Nutzerdaten zwingen kann, ist umstritten. Zwar existieren Urteile von Landgerichten, die einen solchen Anspruch aus dem geltenden Urheberrecht herleiten wollen. Diese Ansicht erscheint jedoch aus vielerlei Gr nden zweifelhaft; sie wurde entsprechend von hçheren Gerichten bisher nicht geteilt. Nach gegenw rtigem Stand ist daher davon auszugehen, dass nur der Gesetzgeber f r die Einf hrung eines Auskunftsanspruchs der Rechteinhaber gegen ISP sorgen kçnnte. Entspre- chend setzen sich die Rechteinhaber in den Beratungen ber den Zweiten Korb hierf r nachdr cklich ein. Das BMJ ist der Forderung ohne Angabe einer n heren Begr ndung nicht nachgekommen. Dies heißt jedoch nicht, dass es einen solchen Aus- kunftsanspruch im deutschen Recht nicht irgendwann geben wird. Im Ge- 131 Till Kreutzer genteil: Der deutsche Gesetzgeber unterliegt auch diesbez glich einer eu- rop ische Vorgabe, die sich aus Art. 8 der so genannten Durchsetzungs- Richtlinie (Enforcement-Directive)49 der EU ergibt. Die Regelung gibt die Einf hrung eines »Rechtes auf Auskunft« vor, aufgrund dessen die In- haber von Urheberrechten von ISP die Herausgabe von Nutzerdaten ver- langen kçnnen sollen. Die Umsetzungsfrist dieser Vorgabe l uft am 26. April 2006 aus. Nach inoffiziellen Informationen arbeitet das BMJ bereits an ei- nem eigenst ndigen Gesetzesentwurf hierf r. Ein solcher Auskunftsanspruch w re f r die Nutzer von Internet-Diens- ten folgenreich. Immerhin m ssten die Provider, um solche Anspr che berhaupt erf llen zu kçnnen, die erforderlichen Daten erst einmal sammeln und speichern – und zwar von jedem Internet-Nutzer. F r eine solch pro- phylaktische Sammlung sensibler Informationen w re eine nderung des Datenschutzrechts mit dem Ergebnis einer bedenklichen Schw chung der Rechte von Nutzern und Nutzerinnen notwendig.50 7. Fazit Die Reformen des Urheberrechts in der j ngeren Vergangenheit haben auf das Verh ltnis von Wissen und Eigentum erhebliche Auswirkungen. Die komfortablen Mçglichkeiten, mittels Digitaltechnik Neues zu schaffen und Altes unkompliziert anderen zug nglich zu machen, wird immer stren- geren Restriktionen unterworfen. Digitale Nutzer und »Amateur-Urheber« bewegen sich in einem Dschungel von Rechten und Pflichten, der von Laien kaum zu durchschauen ist. So einfach die Verarbeitungs- und Ver- mittlungstechnik zu handhaben ist, so kompliziert stellt sich diese aus recht- licher Hinsicht dar. Diese gegenl ufige Entwicklung von Technik und Recht ist f r eine Informationsgesellschaft, deren wertvollstes Gut der Zugang zu und der Umgang mit Wissen und Information ist, nicht hin- nehmbar. Die Neuordnung des Verh ltnisses von Rechten und Freiheiten l sst die vorherrschende Intention, den Schutz der Urheber und Rechteinhaber zu st rken, eindeutig erkennen. Wissen ist seit den Urheberrechtsreformen mehr eigentumsrechtlichen Restriktionen unterworfen als je zuvor, da die Interessen von Nutzern, Wissenschaftlern und Lehrenden zu wenig be- r cksichtigt wurden. Zur ckzuf hren ist das zum einen darauf, dass Ver- treter dieser Belange in den Beratungen ber die Reformen gegen ber den Industrielobbyisten erheblich unterrepr sentiert sind. 132 Das Spannungsfeld zwischen Wissen und Eigentum im neuen Urheberrecht Ein anderer Grund f r die Fehlentwicklung scheint in der mangelnden Reformbereitschaft der nationalen und internationalen Gesetzgeber zu lie- gen. Eine angemessene Anpassung des Urheberrechts an die hoch differen- zierte Interessenlage von Nutzern, Urhebern und Verwertungsindustrie im digitalen Zeitalter ist bislang weder vorgenommen worden noch abzusehen. Die Regelungen aus der »analogenWelt« einfach auf das digitale Zeitalter zu bertragen mag zwar der Wahrung von Besitzst nden, nicht aber der In- formationsgesellschaft dienen. Eine solche Vorgehensweise f hrt dazu, dass Nutzer von Tauschbçrsen verklagt werden, wenn sie ihre Lieblingsmusik anderen zug nglich machen wollen; dass Lehrer undWissenschaftler in einer rechtlichen Grauzone arbeiten, wenn sie Kulturg ter und Forschungsergeb- nisse mit anderen teilen wollen; dass Musiker von den digitalen Mçglich- keiten, zu samplen und neu zu arrangieren, keinen Gebrauch machen kçn- nen, ohne hierf r Lizenzen von Plattenfirmen zu erwerben und dass Bibliotheken Wissen nicht ber das Internet vermitteln d rfen. Diese Entwicklung f hrt nach Ansicht vieler in die falsche Richtung. Es ist selbstverst ndlich, dass eine traditionell auf kulturelle Werte ausgerichtete Nation wie Deutschland f r einen angemessenen Schutz der kreativ Schaf- fenden Sorge tr gt. Wenn dieser Schutz jedoch allzu sehr die berechtigten Interessen der Nutzer beeintr chtigt, f hrt das zu Ungleichgewichten, die wiederum auch den Kreativen schaden. Denn wenn ohne Vertr ge und juristische Spezialkenntnisse Werke nicht mehr gelesen, aus dem Internet heruntergeladen, durch Bibliotheken bereitgestellt und im Unterricht ver- wendet werden kçnnen, wer wird dann die kreativen Leistungen noch ho- norieren, wer wird sie noch wahrnehmen? Bleibt noch die Frage zu kl ren, was der Einzelne tun kann um seine Interessen zu wahren. Mçglichkeiten, sich in die Diskussion einzuschalten, bestehen f r jeden. Online-Foren51 wurden geschaffen, um Plattformen f r B rger und B rgerinnen zu bieten, auf denen sie ihre Ansichten kundtun kçnnen. Auch Eingaben an das Ministerium oder den Bundestag kann jeder einreichen. Es kann nur empfohlen werden, von diesen Mitteln Gebrauch zu machen und sich im Rahmen seiner Mçglichkeiten f r ein interessen- gerechtes Urheberrecht einzusetzen. Denn das Urheberrecht geht in einer Informationsgesellschaft jeden an. Anmerkungen 1 Als Rechteinhaber bezeichnet man Personen, denen die Rechte an einem Werk zustehen. Diese Rechte muss der Rechteinhaber vom Urheber erwerben, da Letz- terer nach dem Schçpferprinzip (siehe § 7 UrhG) stets der erste Inhaber aller Rechte 133 Till Kreutzer am Werk ist. Rechteinhaber sind meist kommerzielle Verwerter, wie Musik- oder Filmkonzerne, Bildagenturen oder Verlage. Solche Unternehmen lassen sich meist durch Vertr ge mehr oder weniger umfangreiche (exklusive) Verwertungsrechte an den Werken der Komponisten, Filmschaffenden, Fotografen oder Autoren ber- tragen und treten damit hinsichtlich der Verwertungsbefugnis in die Stellung der Urheber ein. 2 In den §§ 12–14 UrhG sind die so genannten Urheberpersçnlichkeitsrechte geregelt, in den §§ 15–23 UrhG die Verwertungsrechte. Die Urheberpersçnlichkeitsrechte sichern die ideellen Belange des Urhebers am Werk, also zum Beispiel das Recht zur Erstverçffentlichung und das Namensnennungsrecht. Die Verwertungsrechte (et- wa das Vervielf ltigungs- und das Verbreitungsrecht) sch tzen die wirtschaftlichen Interessen des Urhebers und der Inhaber von Nutzungsrechten an einem Werk. 3 Die Schrankenbestimmungen sind in den §§ 44a–63a UrhG geregelt. 4 Die These, dass allein weit reichende Schutzrechte die Interessen der Urheber und Rechteinhaber sichern kçnnen und als Anreiz f r die Erzeugung von hochwertigen Geistesschçpfungen erforderlich sind, wird in der Wissenschaft zunehmend bezwei- felt, vgl. etwa Ullrich (2001), S. 83. 5 Die ußerst komplizierte Verflechtung der ber das Urheberrecht zu regelnden In- teressen wird hier stark vereinfacht aufgezeigt. Vgl. dazu auch den Beitrag von Tho- mas Hoeren in diesem Band. 6 F r die Belange der Urheber streiten in der Regel immerhin die Verwertungsgesell- schaften, die zur Aufgabe haben, deren Interessen treuh nderisch wahrzunehmen. Allerdings besteht hierbei h ufig eine interne Ambivalenz, da sie auch Rechte der Verwertungsindustrie wahrnehmen, deren Interessen sich h ufig nicht mit denen der Urheber decken. Siehe etwa die Auseinandersetzung zwischen der Verwertungs- gesellschaft GEMA und der deutschen Phonoindustrie, in der es um die Beteiligung der Musikautorenverg tung an den Lizenzeinnahmen f r Tontr ger geht, vgl. [http://www.urheberrecht.org/news/p/1/i/2232/], letzter Abruf 18. April 2005; [http://www.ifpi.de/news/news-587.htm], letzter Abruf am 18. April 2005. 7 So haben sich die großen deutschen Wissenschaftsorganisationen erst in der zweiten Phase der Reform des Urheberrechts in der Informationsgesellschaft (im »Zweiten Korb«) zu einem B ndnis zusammengeschlossen, um der Wirtschaftslobby bei der Vertretung der eigenen Interessen etwas entgegensetzen zu kçnnen; siehe hierzu die Webseite des »Aktionsb ndnisses Urheberrecht f r Bildung und Wissenschaft«: [http://www.urheberrechtsbuendnis.de/], letzter Abruf 18. April 2005. 8 Der im deutschen Urheberrecht in § 2 Abs. 2 UrhG verankerte »Werkbegriff« er- fordert, dass ein Geisteswerk nur dann gesch tzt ist, wenn es »individuell« ist. Seit jeher erkennen die Gerichte aufgrund dieses Merkmals urheberrechtlichen Schutz nur an, wenn das Werk eine gewisse Schçpfungshçhe (auch »Gestaltungshçhe« ge- nannt) erreicht. Dieser Grundsatz wurde jedoch im Laufe der Jahre immer mehr verw ssert. Der »Schutz der kleinen M nze«, also solcher Werke, die nur einen sehr geringen Individualit tsgrad aufweisen, ist bei nahezu allen Werkarten aner- kannt. Zudem ist eine Tendenz erkennbar, selbst die im deutschen Recht seit jeher geringen Anforderungen an den Urheberrechtsschutz noch weiter zu verringern. Absehbare Folge einer solchen Entwicklung ist, dass die Anzahl gesch tzter Werke zunehmen und gleichzeitig das frei zug ngliche Wissen abnehmen wird. 9 Bei der WIPO handelt es sich um die auf geistiges Eigentum spezialisierte Fach- organisation der Vereinten Nationen (UN). 134 Das Spannungsfeld zwischen Wissen und Eigentum im neuen Urheberrecht 10 Vgl. zur Entstehungsgeschichte der beiden Abkommen Kreutzer, Till: Die Entwick- lung des Urheberrechts in Bezug auf Multimedia der Jahre 1994–1998, Arbeitspapie- re des Hans-Bredow-Instituts Nr. 3, Juli 1999, im Internet unter [http://www.hans- bredow-institut.de/publikationen/apapiere/3UhR.pdf], letzter Abruf am 20. April 2005. 11 Nur eine einzige Schranke im Katalog des Art. 5 der InfoSoc-Richtlinie war obliga- torisch umzusetzen. Diese betrifft fl chtige Vervielf ltigungen, die bei bertragun- gen im Netz oder rein begleitend bei der Nutzung eines digitalen Werks entstehen. Beispiel w ren Zwischenspeicherungen im Internet oder im Arbeitsspeicher eines PCs. Die Bestimmung wurde in § 44a UrhG umgesetzt. 12 Siehe den Wortlaut der Rede, die Bundesministerin Zypries anl sslich der Auftakt- veranstaltung zum Zweiten Korb am 16. September 2003 gehalten hat, unter [http://www.urheberrecht.org/topic/Korb-2/auftakt/UrhR_Rede.pdf], letzter Ab- ruf am 22. April 2005. 13 Eine Zusammenfassung der Ergebnisse der einzelnen Arbeitsgruppen kann von der Seite des BMJ herunter geladen werden: [http://www.bmj.bund.de/media/archive/ 707.pdf], letzter Abruf am 22. April 2005. 14 Die Webseite des Instituts f r Urheber- und Medienrecht hat nicht weniger als 32 Stellungnahmen gesammelt, die sich mit dem Referentenentwurf kritisch auseinan- dersetzen (siehe [http://www.urheberrecht.org/topic/Korb-2/], letzter Abruf am 22. April 2005). Es darf vermutet werden, dass die absolute Zahl der eingegangenen Eingaben noch wesentlich hçher liegt, da diese nicht immer verçffentlicht werden. 15 Sowohl an dieser Stelle als auch bei den Ausf hrungen zu den Neuregelungen im Zweiten Korb sollen nur einige ausgew hlte nderungen dargestellt werden. Vor allem werden die Neuerungen dargestellt, die aus Sicht des Autors f r das Spannungs- feld »Wissen und Eigentum« von besonderer Bedeutung sind. 16 Eine solche Privatkopie w re also nach den bisher geltenden Regelungen des Ur- heberrechts nicht rechtswidrig (unbefugt). Der Nutzer erh lt die Befugnis zu deren Anfertigung vielmehr durch die Schrankenbestimmung in § 53 Abs. 1 UrhG, die dem Nutzer eine so genannte gesetzliche Lizenz verleiht. 17 Privilegiert wird die Nutzung in Schulen, Hochschulen, nichtgewerblichen Einrich- tungen der Aus- und Weiterbildung sowie in Einrichtungen der Berufsbildung, vgl. § 52a Abs. 1 Nr. 1 UrhG. 18 Ein Bekenntnis des deutschen Gesetzgebers zur Bedeutung der Vorschrift ist dem jedoch nicht zu entnehmen. Die Durchsetzungsst rke der Schranke war durch die Br sseler Richtlinie zwingend vorgegeben. 19 Hier heißt es: »Soweit ein Rechteinhaber technische Maßnahmen nach Maßgabe dieses Gesetzes anwendet, ist er verpflichtet, den durch eine der nachfolgend ge- nannten Bestimmungen Beg nstigten, soweit sie rechtm ßig Zugang zu dem Werk oder Schutzgegenstand haben, die notwendigen Mittel zur Verf gung zu stellen, um von diesen Bestimmungen in dem erforderlichen Maße Gebrauch machen zu kçn- nen (…).« 20 In dem bislang einzig bekannt gewordenen Fall, in dem es um die Umsetzung der Pflichten aus § 95b UrhG ging, haben sich die Rechteinhaber ihrer gesetzlich vor- gesehenen »aktiven« Bereitstellungsverpflichtung entzogen. Durch Abschluss einer Vereinbarung mit der Deutschen Bibliothek haben der Bundesverband der phono- graphischen Wirtschaft (International Federation of the Phonographic Industry – IFPI) und der Bçrsenverein des deutschen Buchhandels erreicht, dass sie entgegen 135 Till Kreutzer § 95b Abs. 1 Nr. 6c) UrhG (der die Durchsetzungsst rke der Archivschranke anord- net) nicht verpflichtet sind, die f r die Archivierung kopiergesch tzter Werke durch die Deutsche Bibliothek notwendigen Mittel bereitzustellen. Vielmehr wurde der Deutschen Bibliothek durch diese Vereinbarung gestattet, Kopierschutzsysteme not- falls zu knacken, um ihrem Archivierungsauftrag nachkommen zu kçnnen; vgl. [http://www.heise.de/newsticker/meldung/55266], letzter Abruf am 22. April 2005. Eine solche »Selbsthilfe« w re der Institution gem. § 95a UrhG ansonsten verboten und zwar unabh ngig von der Tatsache, dass sie nach § 53 abs. 2 Nr. 2 UrhG zur Archivierung ihrer Best nde eigentlich befugt ist. Auch § 95b UrhG er- laubt nicht die eigenh ndige Umgehung der technischen Schutzmaßnahme, sondern gew hrt – wie gesagt – nur einen Anspruch gegen den Verwender auf Herausgabe der notwendigen Mittel. 21 Die Filmausnahme von § 52a UrhG wird daher von unterschiedlicher Seite zu Recht kritisiert; vgl. Sieber, Ulrich: Memorandum zur Ber cksichtigung der Interessen des Bildungsbereichs bei der Reform des Urheberrechts, August 2004, S. 12 ff.: [http://www.lehrer-online.de/dyn/bin/419123_419126_1-memorandum_ urheberrecht.pdf], letzter Abruf am 20. April 2005. 22 Auch mit dieser Verg tungspflicht gehen im brigen massive Unsicherheiten einher. Denn bis heute ist es nicht gelungen, eine solche Verg tung festzulegen, Hçhe und Erhebungsmodalit ten sind daher noch immer vçllig ungewiss. 23 Auch hier sollen nur ausgew hlte Aspekte dargestellt werden, die f r das Spannungs- feld »Wissen und Eigentum« von besonderer Bedeutung sind. Ein aus wirtschaftlicher Sicht besonders wichtiger Punkt, die Neuordnung des Pauschalverg tungssystems, soll hier daher nicht angesprochen werden, da dieser das Thema des Beitrags nur peripher betrifft. 24 Die Beschr nkung der Bestimmung wird vom Gesetzgeber wie folgt begr ndet: »Damit soll verhindert werden, dass die Bibliotheken aufgrund der Einf hrung der neuen Schrankenregelung ihr Anschaffungsverhalten ndern. Es darf also bei- spielsweise nicht ein Standardwerk, das die Bibliothek nur in einem Exemplar an- geschafft hat, digitalisiert und an mehreren elektronischen Lesepl tzen gleichzeitig zug nglich gemacht werden.« Siehe Begr ndung unter: [http://irights.info/index. php?id=200], letzter Abruf am 25. April 2005. 25 Im brigen wird kritisiert, dass eine Beschr nkung der Regelung auf çffentliche Bib- liotheken nicht gerechtfertigt sei. Auch anderen Bildungseinrichtungen, etwa Museen und nichtgewerblichen Archiven, m sse die Mçglichkeit verschafft werden, ihrem gesellschaftlichen Auftrag durch Verwendung digitaler Technologien nachzukommen. 26 Dies wird mitunter bezweifelt, vgl. das »Rechtspolitische Positionspapier des Deut- schen Bibliotheksverbandes zum Referentenentwurf f r ein Zweites Gesetz zur Regelung des Urheberrechts in der Informationsgesellschaft« vom 11. Oktober 2004, S. 2 f.: [http://www.urheberrecht.org/topic/Korb-2/st/refentw/Presseinformation. pdf], letzter Abruf am 25. April 2005. Wortgleich ußert sich die Stellungnahme der KMK vom 11. November 2004, S. 4: [http://www.urheberrecht.org/topic/ Korb-2/st/refentw/KMK-UrhG-11_11_2004.pdf], letzter Abruf am 25. April 2005. 27 N here Informationen finden sich auf der Webseite des subito e.V., [http:// www.subito-doc.de/], letzter Abruf am 25. April 2005. An subito waren im M rz 2005 32 Bibliotheken aus dem In- und Ausland beteiligt. 28 Die Kosten berechnen sich nach der Person des Nutzers (Studenten, kommerzielle Nutzer, Privatpersonen), der Art der Versendung (Email, FTP, Post, Fax) sowie nach 136 Das Spannungsfeld zwischen Wissen und Eigentum im neuen Urheberrecht Umfang der bestellten Vervielf ltigung. So muss eine Privatnutzerin f r zwanzig aus einem Buch oder einer Zeitschrift kopierte und per Email versendete Seiten 6,50 E (Fax 8,50 E, Post 9,50 E) bezahlen. Jede weitere Seite kostet 10 Cent. 29 Dies bezweifelte auch der Gesetzgeber, der sich schon bei der Urheberrechtsreform 1985 f r die Zul ssigkeit eines Kopienversandes durch Bibliotheken aussprach: »Wenn den Bibliotheken, insbesondere den großen Zentralbibliotheken, die Ver- sendung von Fotokopien untersagt w rde, d rfte sich die Anschaffung eines um- fassenden Bestandes wissenschaftlicher Literatur unter allgemeinwirtschaftlichen Ge- sichtspunkten nicht mehr lohnen, da ihn dann nur Personen am Ort benutzen kçnnten und die Versendung von Fotokopien erst nach Ablauf der urheberrecht- lichen Schutzfrist mçglich w re.« Siehe Gesetzesentwurf der Bundesregierung zur nderung von Vorschriften auf dem Gebiet des Urheberrechts, BT-Drucksache 10/837 vom 22. Dezember 1983, S. 19 f.; abrufbar unter [http://www.urheber- recht.org/law/normen/urhg/1985_06_24/materialien/ds_10_837_I.php3#top], letzter Abruf am 25. April 2005. 30 So heißt es in dem Urteil Kopienversanddienst (GRUR 1999, S. 707/710), in dem der Bundesgerichtshof auf die Ausf hrungen in der Gesetzesbegr ndung zur Urhe- berrechtsnovelle 1985 Bezug nimmt: »(…) eine moderne, technisch hoch entwickel- te Industrienation wie die Bundesrepublik Deutschland sei auf Wissenschaft und Forschung angewiesen und brauche deshalb ein gut ausgebautes, schnell funktionie- rendes und wirtschaftlich arbeitendes Informationssystem.« 31 Informationen zum Verfahren sowie Verweise zu den Schrifts tzen der Parteien finden sich unter [http://www.subito-doc.de/base/klage.htm], letzter Abruf am 25. April 2005. 32 Siehe den Wortlaut der Bestimmung unter [http://irights.info/index.php?id=228], letzter Abruf am 18. Mai 2005. 33 Siehe etwa das Rechtspolitische Positionspapier des Deutschen Bibliotheksverbandes zum Referentenentwurf f r ein Zweites Gesetz zur Regelung des Urheberrechts in der Informationsgesellschaft (Fundstelle s. o., Fn. 26), S. 1 f. und die S. 23 ff. der Stel- lungnahme des Aktionsb ndnisses »Urheberrecht f r Bildung und Wissenschaft« unter [http://www.urheberrecht.org/topic/Korb-2/st/refentw/AB_Urheberrecht_ BuW_261104_CC.pdf], letzter Abruf am 25. April 2005. 34 Vgl. Schulzki-Haddouti, Christiane: Bundesforschungsministerium kritisiert Urhe- berrechtsnovelle, 15. Dezember 2004, [http://www.heise.de/newsticker/mel- dung/54296], letzter Abruf am 25. April 2005. 35 Damit sind Werke gemeint, die ber Verlagsangebote nicht erh ltlich sind. 36 Einzelheiten zur »Durchsetzungsst rke« von Schrankenbestimmungen siehe oben, Fn. 4. 37 Allgemeine Begr ndung des Referentenentwurfs, S. 34 ff. oder direkt im Internet: [http://irights.info/index.php?id=178], letzter Abruf am 12. Mai 2005. 38 Die Begr ndung ist in mancher Hinsicht widerspr chlich. So heißt es hier: »W rde eine Regelung getroffen, die f r den Verbraucher auch in diesen F llen die Mçglich- keit schafft, kostenlos in den Genuss von Vervielf ltigungen f r den privaten Ge- brauch zu kommen, so w rde damit die kommerzielle Verwertung von Werken in den neuen Medien weitgehend entwertet. Es darf nicht sein, dass ein kostenloser Genuss von geistigem Eigentum f r den Verbraucher zur Regel wird.« In Anbetracht der rechtlichen Situation, nach der die Nutzer f r private Vervielf ltigungen eine Verg tung ber die Ger te- und Leermedienabgaben zu entrichten haben und der 137 Till Kreutzer Tatsache, dass dies auch im Falle einer Durchsetzung der Privatkopie gegen tech- nische Schutzmaßnahmen der Fall w re, kann von einer »kostenlosen« Nutzung keine Rede sein. 39 Stark vereinfacht erkl rt handelt es sich bei Internet-Tauschbçrsen (auch Peer-To- Peer – P2P – oder Filesharing-Systeme genannt) um Online-Systeme, die es dem Privatnutzer ohne Einsatz eines Servers ermçglichen, Dateien herunter zu laden und zum Download f r andere Teilnehmer des P2P-Netzes anzubieten. Bençtigt wird hierzu nur ein herkçmmlicher Computer und die entsprechende Software (z.B. Limewire, KaZaa oder eDonkey). Das erste und wohl ber hmteste Beispiel f r solche Filesharing-Systeme war Napster, eine Tauschbçrse ber die in k rzester Zeit Mil- lionen von Nutzern auf der ganzen Welt Musik, Filme und Software tauschten. Das System wurde Ende 2002 endg ltig geschlossen, nachdem die amerikanische Musik- industrie erfolgreich gerichtlich gegen die Betreiber vorgegangen war (siehe [http://www.heise.de/newsticker/meldung/33085], letzter Abruf am 12. Mai 2005). Zu einer Eind mmung der Tausch-Aktivit ten hat dies jedoch nicht gef hrt. Nach wie vor werden Filesharing-Systeme t glich millionenfach genutzt. Siehe zur Tech- nik solcher Systeme: Mçller, Erik: Schçner Tauschen, Telepolis, 2000: [http:// www.heise.de/tp/r4/artikel/8/8304/1.html], letzter Abruf am 12. Mai 2005 und zur Rechtslage nach altem Recht (vor In-Kraft-Treten des Ersten Korbes): Kreutzer, Till: Tauschbçrsen wie Napster oder Gnutella verletzen nicht das Urheberrecht, Telepolis, 2001: [http://www.telepolis.de/r4/artikel/4/4857/1.html], letzter Abruf am 12. Mai 2005; ders.: Darf ich ber die P2P-Netze tauschen?, Telepolis, 2001: [http://www.telepolis.de/r4/artikel/7/7173/1.html], letzter Abruf am 12. Mai 2005. 40 Immerhin kann es sich bei den angebotenen Dateien auch um Originale oder recht- m ßig angefertigte Privatkopien handeln. Auch ist denkbar, dass die Herstellung in einem Land erfolgte, in dem es nicht verboten ist, Werke zu vervielf ltigen, in dem es mçglicherweise nicht einmal ein Urheberrecht gibt. In all diesen F llen ist die An- fertigung der Kopiervorlage nicht – schon gar nicht offensichtlich – rechtswidrig. Dies erkannte schon die Bundesregierung, die sich im Rahmen des Ersten Korbes gegen eine in diese Richtung gehende, vom Bundesrat geforderte Einschr nkung der Privatkopie aussprach. Im Regierungsentwurf zum Ersten Korb (BT-Drucksache 15/38, S. 39) heißt es: »Beim Online-Zugriff und auch in vielen F llen der Offline- Vervielf ltigung l sst sich n mlich die Rechtm ßigkeit der Kopiervorlage nicht beur- teilen. Im Internet zum Download bereitgehaltene Dateien bieten keinerlei Anhalts- punkte f r ihre Herkunft.« 41 Auch bei der Frage, ob eine Datei rechtswidrig ber Internet oder Filesharing an- geboten wurde, verbleiben f r Nutzer und Nutzerinnen viele Ungewissheiten. Ist die Rechtslage jedoch ungewiss, ist auch das Angebot nicht »offensichtlich« rechtswidrig. Ebenso wenig wie der Nutzer im Regelfall ber die Herstellung einer Kopiervorlage eine rechtliche Einsch tzung abgeben kçnnen wird, wird ihm dies in Bezug auf die Rechtslage hinsichtlich der çffentlichen Zug nglichmachung mçglich sein. Auch hier ist es kaum zu erkennen, ob der Anbieter einer Datei im In- oder im Ausland sitzt oder ob das Angebot nach mçglicherweise anwendbarem ausl ndischem Recht berhaupt rechtswidrig ist. Bestehen solche Unsicherheiten, ist auch das Angebot der Datei f r den Nutzer nicht offensichtlich rechtswidrig. 42 Im Regelfall besteht zwischen Verwerter und Urheber bei Vertragsverhandlungen ein Machtgef lle. Der Verwerter diktiert h ufig die Konditionen des Rechts ber- tragungsvertrages, also etwa die Reichweite der ihm bertragenen (exklusiven) Nut- 138 Das Spannungsfeld zwischen Wissen und Eigentum im neuen Urheberrecht zungsbefugnisse oder die Verg tungsfrage. Dieses Verhandlungsungleichgewicht ver- suchen die §§ 31 ff. UrhG (das so genannte »Urhebervertragsrecht«) durch Schutz- normen zu minimieren. 43 Vgl. die Begr ndung im Referentenentwurf zum Aspekt der unbekannten Nut- zungsarten unter [http://irights.info/index.php?id=180], letzter Abruf am 17. Mai 2005. 44 Zudem soll dies nach einer weiteren Neuerung (vgl. § 137l des Referentenentwurfs) auch f r Altvertr ge gelten. H tte ein Romanautor z.B. im Jahr 1966 (also vor Inkrafttreten des Zweiten Korbes) einen Verlagsvertrag geschlossen, w rde dieser Vertrag nicht die Rechte zur Verwertung als Hçrbuch erfassen. Der Autor kçnnte diese Rechte daher noch selbst aus ben. Durch die Gesetzes nderung w rde ihm diese Befugnis nachtr glich genommen. Das Recht zur Verwertung als Hçrbuch soll hiernach automatisch auf den Verlag bergehen, wenn der Autor dem nicht inner- halb eines Jahres nach Inkrafttreten des Zweiten Korbes widerspricht. 45 Etwas anderes mag allenfalls f r çffentlich-rechtliche Rundfunkanstalten gelten. 46 Immerhin soll dies aber einer der Gr nde f r die Neuregelung sein, vgl. Referenten- entwurf, S. 38: [http://irights.info/index.php?id=180], letzter Abruf am 17. Mai 2005. 47 Faktisch w re bei einer Verabschiedung der neuen Regelungen wohl damit zu rech- nen, dass die Verwerter, vor allem wenn es kompliziert wird (das heißt etwa eine Vielzahl von Urhebern f r die Aufnahme einer neuen Nutzungsart, z.B. f r einen Film, zu fragen w re), sich diesen Aufwand ersparen und die angemessene Verg tung nur auf Verlangen der Berechtigten auszahlen. Ansonsten w re ihnen in vielen F llen wenig geholfen. 48 Vgl. etwa die Stellungnahme der Arbeitsgemeinschaft Dokumentarfilm vom 26.1. 2005, S. 1: [http://www.urheberrecht.org/topic/Korb-2/st/refentw/dokumentarfilm. pdf], letzter Abruf am 17. Mai 2005, oder die Seiten 3 f. der Stellungnahme der KMK vom 11. November 2004: [http://www.urheberrecht.org/topic/Korb-2/st/refentw/ KMK-UrhG-11_11_2004.pdf]. 49 Richtlinie 2004/48/EG vom 29. April 2004. 50 Diese zeichnet sich schon ab. Das Bundesministerium f r Wirtschaft und Arbeit (BMWA) hat j ngst den Entwurf f r ein Telemediengesetz (TMG) vorgelegt, in dem eine solche Ausweitung der Datenspeicherungsmçglichkeiten vorangelegt ist. Siehe N heres in der Mitteilung auf iRights. info: Bundesregierung will Daten- schutz f r Internet-Nutzer einschr nken, [http://irights.info/index.php?id=81&tx_ ttnews[tt_news]=43&tx_ttnews[backPid]=56&cHash=80609c20f2], letzter Abruf am 17. Mai 2005. 51 So hat das BMJ unter der URL [http://www.kopien-brauchen-originale.de] eine Webseite nebst Forum eingerichtet, um zu informieren und Stellungnahmen zum Urheberrecht und vor allem zum Zweiten Korb zu sammeln. Derartige Dienste bietet auch iRights. info ([www.irights.info]), das Portal f r Verbraucher ber Ur- heberrecht in der digitalen Welt. 139 Till Kreutzer Literatur Kreutzer, Till (2001): Darf ich ber die P2P-Netze tauschen?, Telepolis, http:// www.telepolis.de/r4/artikel/7/7173/1.html Ders. (1999): Die Entwicklung des Urheberrechts in Bezug auf Multimedia der Jahre 1994–1998, Arbeitspapiere des Hans-Bredow-Instituts Nr. 3, Juli, http://www.hans-bredow-institut.de/publikationen/apapiere/3UhR.pdf Ders. (2001): Tauschbçrsen wie Napster oder Gnutella verletzen nicht das Urhe- berrecht, Telepolis, http://www.telepolis.de/r4/artikel/4/4857/1.html Mçller, Erik (2000): Schçner Tauschen, Telepolis, http://www.heise.de/tp/r4/ artikel/8/8304/1.html Schulzki-Haddouti, Christiane (2004): Bundesforschungsministerium kritisiert Urheberrechtsnovelle, 15. Dezember 2004, http://www.heise.de/newsticker/ meldung/54296 Sieber, Ulrich (2004): Memorandum zur Ber cksichtigung der Interessen des Bildungsbereichs bei der Reform des Urheberrechts, August 2004, S. 12 ff., http://www.lehrer-online.de/dyn/bin/419123_419126_1-memorandum_ urheberrecht.pdf Ullrich (2001): Grenzen des Rechtsschutzes: Technologieschutz zwischen Wett- bewerbs- und Industriepolitik, in Gerhard Schricker/Thomas Dreier/Annette Kur (Hrsg.): Geistiges Eigentum im Dienste der Innovation, Baden-Baden. 140 Corinna Heineke Adventure TRIPS – Die Globalisierung geistiger Eigentums- rechte im Nord-S d-Konflikt Adventure TRIPS – eine Art Abenteuerreise f r die Entwicklungsl nder hat die Unterzeichnung des Abkommens ber handelsbezogene Aspekte geistiger Eigentumsrechte (TRIPS) allemal in Gang gesetzt. Als es am 1. Januar 1995 in Kraft trat, war den meisten Regierungen des S dens zwar klar, dass sie fun- damentale nderungen ihrer Gesetzgebungen zu geistigen Eigentumsrechten vollziehen m ssten. Doch dass das TRIPS-Abkommen den Auslçser f r eine Flut an Regulierungen sowie wesentlich st rkere Eigentumsschutzstandards vor allem im Bereich der Medikamentenherstellung und der Ern hrung be- deuten w rde, war zu diesem Zeitpunkt noch nicht abzusehen. Das Grundprinzip geistiger Eigentumsrechte geht auf das 14. Jahrhundert zur ck. Regierungen und Kçnigsh user verliehen ein zeitlich befristetes Monopol auf die Vermarktung einer Erfindung oder eines gewerblichen Modells.1 Sie wollten mit dieser Vergabe von exklusiven Nutzungsrechten einen Anreiz f r den Import handwerklicher und technischer Innovationen schaffen und legten damit den Grundstein f r das heutige Patent. Die in litterae patentes (offenen Briefen) niedergeschriebenen Privilegien beinhalte- ten aber z.B. auch Steuerfreiheit, Zuteilung von Land oder zinsfreie Kre- dite.2 Seit Beginn des 18. Jahrhunderts wurde – zun chst in Großbritannien – als Gegenleistung f r die exklusiven Rechte des Erfinders eine Offenle- gung des Herstellungsprozesses eingefordert.3 Diese m sse eine Expertin4 aus demselben technischen Gebiet bef higen, die Erfindung nachzubauen. Dass geistige Monopolrechte5 die technische Innovation fçrdern und der All- gemeinheit Informationen ber die Herstellung neuer Verfahren und Er- zeugnisse zur Verf gung stellen, sind zwei Annahmen, die noch heute dazu herangezogen werden, den Ausschluss Dritter von der Nutzung patent- gesch tzter Produkte zu rechtfertigen.6 Innovation wird als zentrale Grundlage wirtschaftlichen Wachstums wahrgenommen und ist somit auch Teil des Entwicklungsparadigmas: Ent- wicklung – eine wesentliche Zielvorstellung der L nder des S dens und internationaler Organisationen – folgte zun chst dem linearen Industriali- 141 Corinna Heineke sierungsmodell der OECD-L nder. Die der traditionellen Entwicklungs- theorie zugrunde liegende Annahme war, dass durch Industrialisierung und internationalen Handel auch der gesellschaftliche Wohlstand wachsen w rde. Doch die Ungleichheiten zwischen Nord und S d nahmen seit der großen Dekolonisierungswelle nach dem Zweiten Weltkrieg zu: Einkom- mensunterschiede zwischen armen und reichen L ndern haben sich in den letzten vierzig Jahren verdoppelt, so dass die 20 reichsten L nder heute ein Durchschnittseinkommen haben, das 37-mal so hoch ist wie das Durch- schnittseinkommen in den 20 rmsten L ndern.7 Obwohl der offizielle Entwicklungsdiskurs zumindest seit dem 1987 ver- çffentlichten Brundtland-Report ›Our Common Future‹8 auch çkologische und soziale Ziele integriert hat, liegt der Durchsetzung geistiger Eigentums- rechte noch immer das neoklassische Wohlstandsmodell zugrunde. Die Ar- gumentation verl uft entlang der Linie, dass geistiges Eigentum als Anreiz f r jegliche kreative T tigkeit des rationalen homo oeconomicus notwendig sei, dass dieser nur investiere, wenn seine Investitionen durch Monopolrechte refinanzierbar w rden und dass Investitionen in wissensbasierte Industrien9 Wachstum br chten, welches wiederum mehr Besch ftigung und damit Wohlstand produziere.10 Aus dieser Perspektive wird geistiges Eigentum als Entwicklungsmotor f r die L nder der so genannten Dritten Welt kon- struiert. Gleichzeitig wird aber auf der Basis der marginalisierten Position der Entwicklungsl nder argumentiert, dass ein Technologietransfer aus den zu- nehmend wissensbasierten Industrien der OECD-L nder nur mçglich ist, wenn die exklusiven Nutzungsrechte innovativer Unternehmen auch aus- reichend gesch tzt w rden. Ein geringer Eigentumsschutz gilt so als Han- delshemmnis. Die Einbindung des Schutzes geistiger Eigentumsrechte in das multilaterale Handelsregime der WTO war ein wichtiger Schritt, mit dem die Globalisierung geistiger Eigentumsrechte auf den Weg gebracht wurde. Ihre diskursive Entwicklung wird in diesem Beitrag nachvollzogen. Das Eindringen geistiger Eigentumsrechte in alle Bereiche kollektiv pro- duzierten Wissens (Wissensallmende) ist dar ber hinaus eingebettet in den Diskurs um die Informations- und Wissensgesellschaft. Demnach haben In- formation und Wissen in den letzten 30 bis 40 Jahren neben den Produk- tionsfaktoren der Industriegesellschaft – Boden, Kapital und Arbeit – als ei- gene Produktionsfaktoren zunehmend an Bedeutung gewonnen. Jessop zeigt jedoch, dass diese Sichtweise Produktionsfaktoren naturalisiert und unter- schl gt, wie sie gesellschaftlich zustande gekommen sind und in den çko- nomischen Prozess einfließen.11 Wie auch andere Beitr ge in diesem Band darlegen,12 muss Wissen laut Jessop erst zur Ware gemacht werden, denn Wissen ist ein nicht-rivalisierendes und damit çffentliches Gut, das heißt sei- 142 Adventure TRIPS – Die Globalisierung geistiger Eigentumsrechte im Nord-S d-Konflikt ne Nutzung f hrt nicht dazu, dass andere Nutzerinnen es gar nicht oder in geringerem Maße nutzen kçnnen. Geistige Eigentumsrechte stellen sich so als rechtliches Instrument dar, mit dem durch die Einf hrung von Lizenz- geb hren f r die Nutzung patent- oder urheberrechtsgesch tzter Produkte ein çffentliches Gut in eine Ware transformiert wird. Unter den Bedingun- gen der Globalisierung, in deren Zuge immer neue M rkte erschlossen wer- den, tragen diese Monopolrechte dazu bei, die Gewinnerwirtschaftung aus einem ansonsten schwer eingrenzbaren Gut mçglich zu machen. Demgegen ber war die Sicherung der Grundbed rfnisse in den L ndern des S dens vor allem deshalb mçglich, weil Wissen geteilt und kollektiv weiterentwickelt wurde. So wurde beispielsweise Saatgut in l ndlichen Ge- meinden frei getauscht und immer wieder an die lokalen klimatischen und çkologischen Bedingungen angepasst. Zusammen mit einer auf Mischanbau basierten Landwirtschaft konnte das Risiko von Sch dlingsbefall und Ernte- ausfall somit begrenzt werden. Durch den Nachbau aus der eigenen Ernte fielen keine Kosten f r Saatgut an. Ebenso nutzen gesch tzte 80 Prozent der l ndlichen Bevçlkerung in der Dritten Welt traditionelle Heilmittel.13 Auch das daf r notwendige Wissen ber Fundstellen von Medizinalpflanzen, ihre Zubereitung und Anwendung wurde von Generation zu Generation wei- tergegeben und weiterentwickelt. Das Aufeinandertreffen eines nicht-ex- klusiven und eines auf exklusiver Verwertung basierenden Wissensmodells wird besonders in zahlreichen F llen so genannter Biopiraterie deutlich, de- ren Auswirkungen ich im Abschnitt »Dschungeltour inklusive« besprechen mçchte.14 Transnationale Unternehmen eignen sich hier kollektiv ent- wickelte Nutzpflanzen aus Entwicklungsl ndern an und lassen diese eigen- tumsrechtlich sch tzen. Die kollektive Nutzung von Kulturpflanzen und die Notwendigkeit, die grundlegende Gesundheitsversorgung von armen Bevçlkerungsschichten zu sichern, f hrten in vielen Entwicklungsl ndern dazu, dass biologisches Ma- terial sowie Medikamente bis zur Verabschiedung des TRIPS-Abkommens von der Patentierbarkeit ausgenommen waren. Und auch in vielen OECD- L ndern werden entsprechend der steigenden Zahlungskraft der Kon- sumenten z.B. pharmazeutische und chemische Substanzen erst seit den sechziger und siebziger Jahren patentiert. So kçnnen Pharmaka in der Bun- desrepublik und in Frankreich erst seit 1967, in Italien seit 1979 und in Spanien erst seit 1992 patentiert werden.15 Wenn also selbst aus der Perspektive einer klassischen Industrialisierungs- politik die Vorteile eines westlich gepr gten geistigen Eigentumsregimes zumindest fraglich sind, stellt sich die Frage, warum Entwicklungsl nder dem TRIPS-Abkommen zustimmten. Der vorliegende Beitrag wird daher 143 Corinna Heineke zun chst die historische Herausbildung eines internationalen Regimes zum Schutz handelsbezogener geistiger Eigentumsrechte nachvollziehen. In die- sem Zusammenhang spielen insbesondere die Verhandlungsungleichge- wichte der Uruguay-Runde, der siebten Handelsrunde des Allgemeinen Zoll- und Handelsabkommens (GATT), eine Rolle. Im Anschluss werde ich einige Auswirkungen der Konsolidierung geistiger Eigentumsrechte auf die L nder des S dens hinsichtlich der Versorgung mit wichtigen Medika- menten sowie der Ern hrungssicherheit diskutieren. Schließlich werden diese Implikationen des TRIPS-Abkommens in einen grçßeren Rahmen neuerer Entwicklungen eingebettet, die sich insbesondere in der Weltorga- nisation f r geistiges Eigentum (WIPO) vollziehen. 1. Reisevorbereitungen – Der lange Weg zum TRIPS-Abkommen Auf internationaler Ebene wurden nationale Patentgesetzgebungen erstmals 1883 mit der Pariser Verbands bereinkunft zum Schutz des gewerblichen Eigentums (PV ) harmonisiert. 1886 folgte die Berner bereinkunft zum Schutz von Werken der Literatur und Kunst. Ein neues Zeitalter hinsichtlich geistiger Eigentumsrechte begann jedoch mit der Erkl rung von Marrakesch am 15. April 1994 und der Errichtung der Welthandelsorganisation (WTO). Denn dieses bereinkommen enth lt un- ter anderem das TRIPS-Abkommen.16 Eines der Ziele dieses Unterabkom- mens ist die Eind mmung des Handels mit Waren, die rechtlich gesch tzte wissensbasierte Produkte nachahmen, wie z.B. Produkte mit Warenzeichen la Nike oder Musik-CDs. Mit TRIPS werden die Dauer und Reichweite geistiger Eigentumsrechte nicht nur erheblich verl ngert beziehungsweise erweitert, sondern auch in die Sanktionsmechanismen der Welthandelsorga- nisation integriert. Dies hat zur Folge, dass Vertragsverstçße durch Handels- sanktionen geahndet werden kçnnen. Vor der Unterzeichnung des TRIPS- Abkommens wurde das geistige Eigentumsrecht ausschließlich national reguliert. Zwar sahen die PV und die Berner bereinkunft zum Schutz von Werken der Literatur und Kunst eine Gleichbehandlung von in- und ausl ndischen Erfindern und Erfinderinnen beziehungsweise Literaten oder K nstlerinnen vor, doch galt dies immer nur im Rahmen der jeweiligen nationalen Gesetzgebung. So stimmten beispielsweise weder die Dauer der exklusiven Nutzungsrechte oder die Voraussetzungen f r die Patentier- barkeit einer Erfindung noch die rechtlichen Durchsetzungsmechanis- men berein.17 Das TRIPS-Abkommen f hrte demgegen ber internatio- 144 Adventure TRIPS – Die Globalisierung geistiger Eigentumsrechte im Nord-S d-Konflikt nale Mindeststandards f r den Schutz von Urheberrechten, Marken, Paten- ten, geografischen Herkunftsbezeichnungen, gewerblichen Mustern und Modellen, Layout-Designs integrierter Schaltkreise sowie Gesch ftsgeheim- nissen ein. Das heißt, dass alle Mitgliedsstaaten der WTO die durch das Ab- kommen festgelegten Schutzfristen sowie Bedingungen der Rechtsschutz- vergabe in nationales Recht umsetzen mussten.18 2. Transportmittel – Die Verkn pfung von geistigen Eigentumsrechten mit dem Welthandel Das TRIPS-Abkommen ist nicht erst im Laufe der Uruguay-Runde entstan- den. Vielmehr hat das von 111 Staaten19 unterzeichnete Abkommen eine lange Vorgeschichte, die vor allem in den USA geschrieben wurde. US-ame- rikanische Industrieverb nde setzten sich dort schon seit den 1970er Jahren f r hnliche gesetzliche Regelungen ein.20 Hintergrund daf r waren die ab- nehmenden Gewinne aus patentierten Produkten in Entwicklungsl ndern sowie die enorm gestiegenen Forschungs- und Entwicklungskosten. Denn trotz hoher Kosten konnte die unternehmenseigene Forschung im agro-che- mischen Sektor und in der Pharmaindustrie immer weniger vermarktbare Produkte entwickeln.21 Es war f r die Industrie daher essentiell, die aus ihren geistigen Eigentumsrechten erwachsenden Monopolrechte auch in den L n- dern des S dens durchzusetzen. Angef hrt von dem Pharmaunternehmen Pfizer ist in den 1970er und 1980er Jahren ein diskursiver Wandel auf den Weg gebracht worden, der zum einen den Bezug geistiger Eigentums- rechte zum internationalen Handel etablierte, also sowohl die Verletzung von Patenten, Marken- und Urheberrechten als Problem des Welthandels darzustellen wusste, als auch den Einsatz von Handelssanktionen gegen ber diesen Verletzungen zunehmend legitimierte. Zum anderen konnte die Glo- balisierung des Eigentumsschutzes f r so genannte immaterielle G ter (siehe Fußnote 5) als nationales Interesse der USA konstruiert werden.22 Untermauert wurde der Diskurs durch die Kriminalisierung der Herstel- lung von in den USA gesch tzten, in Entwicklungsl ndern aber legal nach- gebildeten Produkten. Piraterie hieß das Stichwort, unter dem der US-Re- gierung und der amerikanischen ffentlichkeit vorgerechnet wurde, welche Grçßenordnung die Verluste f r die amerikanische Wirtschaft annahmen.23 Vor demHintergrund eines steigenden Handelsdefizits24 gelang es Industrie- verb nden, die Handelsbezogenheit25 von geistigen Eigentumsrechten dis- kursiv zu erzeugen, indem sie in ihrer ffentlichkeitsarbeit vorschlugen, die gesch tzten Verluste in die von Importen beherrschte Handelsbilanz ein- 145 Corinna Heineke zubeziehen. W hrend intellektuelle Eigentumsrechte noch im 19. Jahrhun- dert weitgehend als protektionistisches Instrument gesehen wurden, setzt sich also paradoxerweise seit den 1980er Jahren die Perspektive durch, dass ein geringer Schutz dieser Rechte ein Handelshemmnis darstellt. Der Diskurswandel hin zur Handelsbezogenheit manifestiert sich ins- besondere in einer nderung der Section 301 des United States Trade and Tariff Act im Jahr 1984, die es dem Pr sidenten und dem amerikanischen Handelsbeauftragten ermçglicht, hçhere Importzçlle oder die Abschaffung von Handelspr ferenzen ber Handelspartnerl nder zu verh ngen. Unter dem zunehmendem Einfluss von Unternehmensvertreterinnen26 begannen die USA in den fr hen 1980er Jahren bilaterale Gespr che mit L ndern zu f hren, in denen der Verstoß gegen amerikanische geistige Eigentumsrechte besonders evident war.27 Urheberrechte und gewerblicher Rechtsschutz wurden also durch die Androhung oder tats chliche Verh ngung von Han- delssanktionen durchgesetzt.28 Dar ber hinaus wurde der Schutz geistiger Eigentumsrechte zum Kriterium f r die weitere Gew hrung von Handels- beg nstigungen innerhalb des Allgemeinen Pr ferenzsystems (APS) der USA erhoben, welches Entwicklungsl ndern nicht-reziproke Zollverg ns- tigungen29 einr umte. Damit wird deutlich, dass die US-Regierung auch in anderen L ndern immer aktiver den Schutz geistiger Eigentumsrechte einklagte. Mit der er- neuten nderung der Section 301 im Rahmen des Omnibus Trade and Com- petitiveness Act von 1988 wurde die Handelsbeauftragte (USTR) gar mit der Erstellung einer Priorit tenl nderliste beauftragt, die j hrlich diejenigen Staa- ten identifizieren soll, in denen US-amerikanische Nutzungsrechte verletzt werden. Die Einf hrung der so genannten »watchlist« und das Risiko f r viele Entwicklungsl nder, den US-amerikanischen Absatzmarkt zu verlieren, hatten schließlich zur Folge, dass einige derjenigen L nder, mit denen die USA schon bilaterale Verhandlungen ber deren nationale Rechtssysteme zum geistigen Eigentumsschutz gef hrt hatten, bereits TRIPS-kompatible Rechtssysteme implementiert hatten, als dieses unterzeichnet wurde.30 3. Auswahl des Urlaubsortes – Wo Interessen am ehesten durchzusetzen sind Auf multilateraler Ebene wurde die Internationalisierung von Patenten und Urheberrechten bis in die 1980er Jahre ausschließlich von der Weltorgani- sation f r geistiges Eigentum (WIPO)31 vorangetrieben. Die UNO-Sonder- organisation verwaltet z.B. das Patentkooperationsabkommen (PCT). Mit 146 Adventure TRIPS – Die Globalisierung geistiger Eigentumsrechte im Nord-S d-Konflikt dessen Inkrafttreten 1978 wurde vor allem der Verwaltungsaufwand f r Pa- tentantragsteller erheblich verringert, denn mit nur einem einzigen Antrag konnten Patente in beliebig vielen Mitgliedsstaaten des PCT beantragt wer- den. So genannte internationale Suchbehçrden recherchieren dann, ob die Erfindung den jeweiligen Stand der Technik bertrifft32 und sprechen eine Empfehlung f r die Patentb ros der Mitgliedsl nder aus. Die daf r f lligen Geb hren finanzieren die Arbeit der WIPO wesentlich mit.33 Historisch sind die Bestrebungen nach einer internationalen Harmoni- sierung nationaler Patentrechte vor allem Interessengruppen in den heutigen OECD-Staaten zuzuschreiben. Doch die Mitgliedschaft der WIPO ver- nderte ihre Zusammensetzung mit der letzten großen Welle der Dekolo- nisierung erheblich. Mitte der 1980er Jahre machten die L nder des S dens zwei Drittel der Mitglieder der WIPO aus. Da die Patentregulierungen in erster Linie den sich stetig ver ndernden wirtschaftlichen Anforderungen der OECD-Welt entsprungen waren, wurden die Rufe der Entwicklungs- l nder nach einer Reform des in der WIPO verorteten internationalen Pa- tentsystems lauter. Insbesondere forderten diese den Transfer von Tech- nologie, also beispielsweise den Zugang zu neuen Technologien, die aktuelle Umweltstandards ber cksichtigen, in OECD-L ndern aber mit Pa- tenten gesch tzt und damit teuer sind. Transnationale Unternehmen lassen zwar h ufig Bestandteile von Ger tschaften in Entwicklungsl ndern pro- duzieren, transferieren aber selten die gesamte Produktion und das damit verbundene Wissen dorthin. Zwangslizenzen34 erschienen den L ndern des S dens daher oft als einzige Mçglichkeit, patentierte Verfahren vor Ort anzuwenden. Weil sich die Mitgliedsstaaten der WIPO auf keinen Ver- tragstext hinsichtlich dieser Zwangslizenzen einigen konnten, wurden die Reformverhandlungen der 1980er Jahre jedoch nie zu Ende gef hrt.35 Vor dem Hintergrund dieser Verhandlungen forderte eine Task Force des Advisory Committee for Trade Negotiations36 1985 erstmals, den gewerb- lichen und Urheberrechtsschutz stattdessen in das General Agreement on Ta- riffs and Trade (GATT) zu integrieren.37 Zu diesem Zeitpunkt war die dis- kursive Verbindung von Handel und geistigen Eigentumsrechten bereits so weit fortgeschritten, dass auch Vertreterinnen der US-Regierung im Lichte des steigenden Handelsdefizits zunehmend f r die Durchsetzung von geis- tigen Eigentumsrechten in der Handelspolitik eintraten. Zudem erschien das GATT wegen seines Streitschlichtungsmechanismus und des mçglichen Einsatzes von Handelssanktionen im Vergleich zur WIPO als das durchset- zungsf higere Forum. Hier wird deutlich, dass die dominanten Akteure ver- suchen, ihre Interessen auf dem gerade am schlagkr ftigsten erscheinenden Terrain durchzusetzen.38 147 Corinna Heineke Zu Beginn der Uruguay-Runde im September 1986 blockierten die L nder des S dens noch die Integration von geistigem Eigentum in die neue Handelsrunde des GATT. Dies sei Aufgabenfeld der WIPO oder – im Zusammenhang mit demWelthandel – der Handels- und Entwicklungs- konferenz der UNO (UNCTAD), denn diese w rde auch die Fragen von Technologietransfer und Entwicklung ber cksichtigen. Doch innerhalb der GATT-Runde war die Verhandlungsmacht der Europ ischen Gemeinschaft und der USA enorm. Die sp teren WTO-Abkommen wurden als so ge- nanntes Single Undertaking verhandelt. Das heißt, dass alle (Unter-)Abkom- men, so z.B. zu Landwirtschaft oder Dienstleistungen, als Paket verhandelt wurden. Daraus ergab sich ein erheblicher Einflusshebel f r die m chtigen Akteure: Mit dem Ank ndigen besserer Zugangsbedingungen zu den gro- ßen M rkten Europas und der USA in den f r viele Entwicklungsl nder wichtigen Bereichen der Landwirtschaft und Textilien konnte ihr Einlen- ken erwirkt werden.39 Das Konsensprinzip des GATT und der WTO ver- schleiert zudem die zum Teil sehr undemokratischen Entscheidungsstruk- turen.40 H ufig werden Entscheidungen in kleinen Arbeitsgruppen vorbereitet, die den Rahmen des sp teren Vertragstextes bereits eng ab- stecken. Es liegt dabei allein in der Macht der Sitzungsvorsitzenden zu ent- scheiden, wer zu solch einer Arbeitsgruppe eingeladen wird. Dar ber hinaus haben Unternehmerverb nde besonders im Fall des TRIPS-Abkommens erheblichen Einfluss auf den Vertragstext genommen. Diese Ad-hoc-Koali- tionen von Unternehmen41 bereiteten nicht nur Verhandlungspositionen der USA im Rahmen der GATT-Verhandlungen vor, sondern legten im Hinblick auf geistige Eigentumsrechte auch einen eigenen Abkommensent- wurf beim GATT-Sekretariat in Genf vor.42 Der Monsanto-Vertreter innerhalb des Intellectual Property Committee (IPC) fasste die Unternehmensstrategie so zusammen: »Die Industrie hat ein wichtiges Problem des internationalen Handels identifiziert. Sie hat eine Lçsung gefertigt, diese auf einen konkreten Entwurf reduziert und sie an unsere eigene und andere Regierungen verkauft. (…) Die im globalen Handel aktiven Unternehmen und H ndler haben gleichzeitig die Rolle der Patienten, der Diagnostiker und der verschreibenden rzte gespielt.«43 4. Krankenversicherung vergessen – Zugang zu Medikamenten erschwert Der Einsatz eines breiten Spektrums von Wirtschaftssektoren f r die Glo- balisierung von geistigen Eigentumsrechten spiegelt sich direkt im Text44 des 148 Adventure TRIPS – Die Globalisierung geistiger Eigentumsrechte im Nord-S d-Konflikt Abkommens wider. So m ssen nach Art. 27.1 des Abkommens fortan alle Mitgliedsstaaten Erzeugnisse und Verfahren auf allen Gebieten der Technik durch ihre Patentgesetze sch tzen. Lediglich »diagnostische, therapeutische und chirurgische Verfahren f r die Behandlung vonMenschen oder Tieren« (Art. 27.3 a) und Pflanzen und Tiere (Art. 27.3b) d rfen von der Patentier- barkeit ausgenommen werden, solange es f r neue Nutzpflanzensorten ei- nen wirksamen Sortenschutz45 gibt.46 Alle Gebiete der Technik – das schließt auch die Pharmaforschung und deren Produkte mit ein. Noch 1988 zeigte eine Studie der WIPO, dass von den 98 Mitgliedsstaaten der PV 49 Staaten pharmazeutische Produkte und 44 Staaten Behandlungsmethoden von der Patentierbarkeit ausnahmen.47 Hintergrund war die geringe Kaufkraft der Patienten und Patientinnen in Entwicklungsl ndern und der Versuch, sich durch die Nicht-Patentie- rung Unabh ngigkeit von den Preisen der global agierenden Pharmaunter- nehmen zu schaffen. Ein gutes Beispiel f r diese Politik war Indien, das in seinem erst 23 Jahre nach der Unabh ngigkeit (1970) verabschiedeten Patentgesetz Ausnahmen bei der Patentierung von Medikamenten festlegte. So wurden keine Pro- duktpatente vergeben und die Schutzdauer bei Verfahrenspatenten48 belief sich im Gegensatz zu 14 Jahren bei allen anderen Erfindungen auf nur sieben Jahre bei Medikamenten. Das bedeutete, dass die indische Pharmaindustrie legal die einzelnen Bestandteile von Originalpr paraten analysieren und durch eine leichte Abwandlung des patentierten Verfahrens ein wirkungs- hnliches Produkt (Generikum) auf den Markt bringen konnte. Entgegen der h ufig vertretenen These, dass Patente notwendig sind, um die hei- mische Innovation zu fçrdern, zeigt sich in Indien, dass seit der Verabschie- dung des Patentgesetzes die Versorgung des indischen Marktes durch im eigenen Land hergestellte Massenmedikamente von 25 % auf 70 % gestiegen ist.49 Neben der Entwicklung einer eigenen Industrie lag das wohl grçßte Verdienst dieser Ausnahmen vom Patentschutz in der Preisreduktion le- benswichtiger Medikamente, denn bis zu etwa 80 % der indischen Bevçl- kerung lebt von weniger als zwei Dollar am Tag.50 Das TRIPS-Abkommen sah zwar f r Entwicklungsl nder eine ber- gangsphase f r die Einf hrung von Produktpatenten – z.B. auf Medikamen- te – bis zum 1. Januar 2005 vor.51 Doch gleichzeitig mussten diejenigen L n- der, die die Frist in Anspruch nahmen, zwei Auflagen erf llen. Zum einen mussten sie die so genannte »Mailbox« (Art. 70.8), eine Art Postkasten, ein- f hren, in der Unternehmen vom Zeitpunkt des Inkrafttretens des Abkom- mens Patenteintr ge hinterlegen konnten. Nach dem 1.1.2005 sollte dann entschieden werden, ob der Antrag allen Anforderungen an die Patentier- 149 Corinna Heineke barkeit zum Zeitpunkt der Hinterlegung in der Mailbox gerecht wird. Ne- ben dem Verwaltungsaufwand, der sich damit f r die Entwicklungsl nder ergibt, unterliegen diese aber zum anderen der Pflicht, Eigentumsschutz ›light‹ zu erteilen: Sie m ssen f r Produkte, die in der Mailbox hinterlegt sind, ein f nfj hriges exklusives Vermarktungsrecht gew hren (Art. 70.9). Damit ergab sich schon vor Inkrafttreten aller TRIPS-Regelungen ein Ver- marktungsmonopol f r den Patentantragsteller.52 Dieser Passus hat in Indien bereits zahlreiche Gerichtsverfahren nach sich gezogen, weil die exklusiven Vermarktungsrechte dazu gef hrt h tten, dass Generikahersteller die Pro- duktion ihrer nachgeahmten Medikamente einstellen m ssen. Insbesondere in komplexen Therapien wie im Fall von HIV/AIDS kann es durch steigen- de Preise dazu kommen, dass Patientinnen die Behandlung aussetzen oder abbrechen. Damit erhçht sich langfristig auch das Risiko einer Resistenz- bildung gegen AIDS-Medikamente. Versch rfend kommt hinzu, dass der ffentlichkeit unbekannt ist, wie viele und welche Antr ge in der Mailbox hinterlegt wurden.53 So kçnnten im Laufe der n chsten Jahre zahlreiche Pa- tente bewilligt werden, die die Generikahersteller zur Aufgabe der Produk- tion nachgeahmter, g nstigerer Medikamente zwingen. Sie w ren vom Zeit- punkt ihrer Hinterlegung in der Mailbox 20 Jahre lang g ltig.54 Welche Auswirkungen die Einf hrung TRIPS-kompatibler Gesetze auf nationale Gesundheitsprogramme haben kçnnen, zeigt sich auch in S d- afrika, wo die Regierung 1997 den Medicines and Related Substance Control Amendment Act verabschiedete. Dieses Gesetz sieht beispielsweise vor, dass Apotheken verpflichtet sind, immer – in der Regel g nstigere – Generika statt Originalpr parate zu verkaufen, sobald das Patent auf das jeweilige Ori- ginalprodukt ausgelaufen ist oder das Produkt unter Zwangslizenz in S d- afrika produziert wird. In S dafrika lebten 2003 sch tzungsweise 5,3 Mil- lionen Menschen beziehungsweise rund ein Viertel der Bevçlkerung mit HIV/AIDS55 und etwa 40 % der Bevçlkerung leben unter der Armutsgren- ze.56 Obwohl Zwangslizenzen im Fall eines nationalen Notstandes, wie z.B. der AIDS-Epidemie, erlaubt sind und der Patentinhaber eine Verg tung daf r erh lt, verklagten 1998 die s dafrikanische Pharmaceutical Manufacturers Association (PMA) und 41 transnationale Konzerne die Regierung wegen der Verletzung ihres in der Verfassung niedergelegten Rechts auf den Schutz von Privateigentum. Nur mit einer aufw ndigen internationalen Kampagne und dem Einstieg der s dafrikanischen NGO Treatment Action Campaign in das Gerichtsverfahren konnte dieser Klage das Grundrecht auf den Zugang zu essentiellen Medikamenten entgegengesetzt werden.57 Unter dem Druck der Kampagne zogen die Unternehmen schließlich im April 2001 ihre Klage zur ck. 150 Adventure TRIPS – Die Globalisierung geistiger Eigentumsrechte im Nord-S d-Konflikt 5. Dschungeltour inklusive – Auf der Suche nach genetischen Ressourcen hnlich dem Zugang zu Medikamenten stellt die Verf gung ber die Grundlagen der Ern hrung – Kulturpflanzen und Nutztiere – ein essentielles Grundbed rfnis dar. (Nutz)pflanzen und Tiere sowie »im Wesentlichen biologische Verfahren f r die Z chtung von Pflanzen oder Tieren« (Art. 27.3(b)) kçnnen zwar von der Patentierbarkeit ausgeschlossen werden. Doch f r alle »nicht-biologischen und mikrobiologischen Prozesse« und so- mit f r alle genetisch ver nderten Pflanzen m ssen in jedem Fall Patente erteilt werden. Die Patentierung von lebender Materie geht zur ck auf das Jahr 1980, als der Oberste Gerichtshof der USA in einem Verfahren um die Patentierung eines gentechnisch ver ndertenMikroorganismus’ entschied, dass die Paten- tierung legal sei, wenn der Organismus »technisch gegen ber dem Natur- zustand ver ndert wurde, technisch in Massen hergestellt werden kann so- wie technisch eingesetzt wird und damit toter Materie hnlicher ist als Lebewesen«.58 Schon 1985 folgte ein Patent auf eine gentechnisch ver nder- te Pflanze und 1988 eines auf die so genannte Krebsmaus, dem ersten pa- tentierten S ugetier. Mit der Mçglichkeit, lebende Materie (auch ber die obige Definition hinaus) zu patentieren, wurden Mikroorganismen, Gene oder ganze Pflanzen zu potentiellen Waren. Das Patent gew hrt dem In- haber ein exklusives Verwertungsrecht, mit dem direkt (durch auf dem Pa- tent basierende Produkte) oder indirekt (durch die Erhebung von Lizenz- geb hren) Profite erwirtschaftet werden kçnnen. Eine neue Form der Kapitalakkumulation war geboren und f hrte dazu, dass die genetischen Ressourcen zu einem begehrten Gut der Forschung wurden. Zwar gibt es Sammelreisen in biodiversit tsreiche Regionen der Erde schon seit mehreren hundert Jahren.59 Sie haben den Europ ern beispiels- weise heutige Weizensorten beschert. Doch vor allem in den 1990er Jahren wurden erneut Gebiete in den tropischen Regenw ldern oder Gebirgsçko- systemen systematisch nach n tzlichen Wirkstoffen durchk mmt. Biopros- pektion nennt man diese Suche nach noch unbekannten Organismen oder Wirkstoffen und deren Erfassung f r die vor allem im Norden stattfindende Forschung. H ufig werden die Wissenschaftlerinnen dabei von lokalen Technikern, Heilerinnen oder Bauern unterst tzt. Dass diese in der Ver- gangenheit trotz einer Kommerzialisierung der entsprechenden Wirkstoffe oder Nutzpflanzen in vielen F llen keine entsprechende Entsch digung er- halten haben, ließ einige NGOs den von den TRIPS-Lobbyisten gepr gten Begriff der Piraterie in das Schlagwort Biopiraterie wenden.60 Die Kritike- 151 Corinna Heineke rinnen des Patentierungswettlaufs betonen, dass Patente auf Lebensformen einer Privatisierung von ber Jahrhunderte von lokalen und indigenen Ge- meinschaften gepflegten und weiterentwickelten Kultur- und Heilpflanzen gleichkommen. Dies kann beispielsweise dazu f hren, dass es lokalen Ge- meinschaften in Zukunft verboten ist, ihre Ernte oder Heilpflanzen selbst zu verkaufen oder zu exportieren, weil das exklusive Vermarktungsrecht z.B. eines medizinischen Wirkstoffs bei einem Unternehmen oder Forschungs- institut im Norden liegt.61 Nach jahrzehntelanger Umstellung auf Mono- kulturen im Zuge der so genannten Gr nen Revolution sind heute aber auch viele B uerinnen abh ngig von der Saatgutindustrie und ihren eigen- tumsrechtlich gesch tzten Sorten.62 Sie m ssen daher in vielen F llen j hr- lich neu teures Saatgut kaufen, weil ihre traditionellen Sorten, die frei ge- tauscht und lokal verkauft werden konnten, verloren gegangen sind. Mit der Patentierung von Erfindungen, die erst aufgrund von Informa- tionen aus der lokalen Bevçlkerung entstanden sind, wird Wissen, das im sozialen Prozess gewachsen ist und daher keiner Erfinderin konkret zuzu- schreiben ist, privat angeeignet: »Die Produktion von Wissen ist ein hoch- gradig vergesellschafteter Prozess, der es schwierig macht, die Bestandteile einer geistigen Errungenschaft bestimmten Akteuren zuzuweisen.«63 Das TRIPS-Abkommen kristallisiert sich dabei lediglich als erster wichtiger Mo- saikstein in einem immer komplexer werdenden Regulierungsfeld heraus. Dies zeigt der politische Umgang mit dem Zugang zur biologischen Vielfalt. Denn vor dem Hintergrund der zunehmenden Biopiraterie forderten zahl- reiche Entwicklungsl nder einen Ausgleich (finanziell oder durch Tech- nologietransfer) f r den Zugang zu genetischen Ressourcen. Damit sie die Kontrolle ber diesen Zugang und den Vorteilsausgleich administrativ aus ben kçnnen, wurden die genetischen Ressourcen mit der Unterzeich- nung der Konvention ber biologische Vielfalt (CBD) 1992 unter nationale Souver nit t gestellt, w hrend sie vormals als das (Kultur)erbe der Mensch- heit galten. Seitdem entfalten sich Debatten um die Einhaltung der Zu- gangsregelungen der CBD, die im Februar 2005 zur Aufnahme von Ver- handlungen um ein internationales Regime ber den Zugang zu genetischen Ressourcen und den gerechten Vorteilsausgleich f hrten. Bei diesen Verhandlungen wird sehr deutlich, dass die Vorgaben des TRIPS-Abkommens beziehungsweise des globalisierten Patentsystems den Referenzrahmen f r mçgliche neue Regelungen bilden. So steht bei- spielsweise eine nderung des Patentrechts und mçglicherweise des TRIPS-Abkommens, die die Offenlegung der Herkunft genetischer Res- sourcen in Patentantr gen vorsieht, im Mittelpunkt des Interessenkonflikts zwischen einem Großteil der OECD-L nder und den L ndern des S dens.64 152 Adventure TRIPS – Die Globalisierung geistiger Eigentumsrechte im Nord-S d-Konflikt 6. Planung der n chsten Reiseetappe – Nur f r Abenteuerlustige Nachdem die Auswirkungen des TRIPS-Abkommens immer klarer gewor- den waren, sollte die im Abkommen f r 1999 vorgesehene Revision des Art. 27.3b, der die Ausnahmen von der Patentierbarkeit regelt, Abhilfe schaffen. Zu diesem Zeitpunkt war das technisch anmutende Abkommen l ngst zu einem der am st rksten politisierten Unterabkommen der WTO avanciert. W hrend die Entwicklungsl nder eine berarbeitung des Artikels forderten, interpretierten die OECD-L nder diese Revision lediglich als berpr fung der Implementierung des Abkommens. Seit sechs Jahren herrscht daher Verhandlungsstillstand ber die Revision des Artikels. Gegen ber den weitl ufig publizierten politischen Interessen hinter dem TRIPS-Abkommen erschien die Weltorganisation f r geistiges Eigentum (WIPO) zu Beginn des neuen Jahrtausends als technische Institution, die sich zuvorderst mit den rechtlichen Details des weltweiten gewerblichen Rechtsschutzes besch ftigte. Ohne viel çffentliche Aufmerksamkeit wurde hier jedoch die WIPO-Patent-Agenda65 auf den Weg gebracht. Diese strebt nicht nur die internationale Standardisierung formaler Anforderungen an Patentantr ge (Patent Law Treaty – PLT) an, sondern sie zielt auf ein wahr- lich globales Patentsystem ab. Im seit 2000 verhandelten Substantive Patent Law Treaty (SPLT) sollen die inhaltlichen Grundlagen des Patentrechts in- ternational harmonisiert werden. Ein Ziel besteht beispielsweise darin, die Kategorien »Stand der Technik«, »Neuheit«, »gewerbliche Anwendbarkeit« und »Nicht-Offensichtlichkeit einer Erfindung« weltweit einheitlich zu de- finieren. Umstritten ist in den bisherigen Entw rfen insbesondere die An- n herung zwischen den Patentsystemen der USA, Japans und der EU hin- sichtlich dessen, was patentiert werden darf. So d rfen in den USA zum Beispiel Gesch ftsmethoden patentiert werden, die keinen Fortschritt im technologischen Sinne beinhalten. Dar ber hinaus wollen die USA die TRIPS-Ausnahmen zur Patentierung von Pflanzen und Tieren am liebsten nicht in den SPLT bernehmen.66 Mit der Patentagenda wird deutlich, dass die WIPO nach der Verabschiedung des TRIPS-Abkommens keineswegs an Bedeutung eingeb ßt hat. Vielmehr hat einmal mehr das Forum gewech- selt, das den m chtigsten Akteuren gerade am schlagkr ftigsten erscheint. So werden die Weichen f r Patentstandards gestellt, die weit ber die Mindest- standards des TRIPS-Abkommens hinausgehen. Auch wenn die Politisierung der Auswirkungen geistiger Eigentums- rechte inzwischen auch in der WIPO angekommen ist67 und sich die ver- schiedenen Verhandlungsprozesse wegen des zunehmenden Widerstands 153 Corinna Heineke der Entwicklungsl nder gegenseitig behindern, gibt es weitere Bestrebun- gen, die Globalisierung geistiger Eigentumsrechte voranzutreiben. Schon seit einigen Jahren werden Regierungen des S dens wieder mit dem Ver- sprechen besseren Marktzugangs in Europa und den USA in bi- oder plu- rilaterale Freihandelsvertr ge gelockt. Dabei m ssen sie h ufig zustimmen, Gesetzes nderungen vorzunehmen, die ber die Mindeststandards des TRIPS-Abkommens hinausgehen. Sollte es also in den multilateralen Ver- handlungsprozessen nicht im Sinne der dominanten Akteure vorangehen, kçnnten Entwicklungsl nder mit widerspr chlichen Regelungen zum Schutz geistigen Eigentums, die aus verschiedenen bilateralen Vertr gen re- sultieren, konfrontiert werden. Dar ber hinaus kçnnte eine un bersicht- liche Anzahl von Freihandelsabkommen aber auch die Aufkl rungsarbeit und internationale Kooperation der Gegnerinnen einer zunehmenden Ex- klusivit t von Wissensressourcen erschweren. 7. Reisetagebuch – Ein Fazit Die Exkursion in die Hintergr nde der Globalisierung geistiger Eigentums- rechte hat gezeigt, dass zwei Entwicklungen bei der globalen Durchsetzung dieser Rechte von besonderer Bedeutung waren: Zum einen hat es einen diskursiven Wandel hin zur Handelsbezogenheit geistiger Eigentumsrechte gegeben. Durch große transnationale Unternehmen wie Pfizer wurde der weltweite Schutz ihres geistigen Eigentums als nationales Interesse der USA konstruiert und zunehmend durch die amerikanische Handelsgesetzgebung in Entwicklungsl ndern eingeklagt. Erst die Bindung von Patenten oder Urheberrechten an das internationale Handelsregime ließ das GATT/die WTO zu einem Ort werden, an dem diese Rechte reguliert werden kçn- nen. Zum anderen ist das so genannte Regime-shifting zwischen verschiede- nen internationalen Organisationen ein wichtiges Instrument der weltwei- ten Durchsetzung geistigen Eigentums. Denn die m chtigsten Akteure – wie die EU und die USA – setzen ihre Interessen dort durch, wo zum je- weiligen historischen Zeitpunkt vielversprechende Mçglichkeiten f r neue Regulierungen bestehen. F r die Integration geistiger Eigentumsrechte in das GATT sprach vor allem sein Streitschlichtungsmechanismus. Zugleich hielten die OECD-L nder mit dem Versprechen besseren Marktzugangs f r landwirtschaftliche Produkte einen »bargaining chip«68 gegen ber denjeni- gen Entwicklungsl ndern in der Hand, die eine globale Regulierung blo- ckieren w rden. Nachdem das TRIPS-Abkommen die WIPO als zentrales 154 Adventure TRIPS – Die Globalisierung geistiger Eigentumsrechte im Nord-S d-Konflikt Forum der Regulierung von geistigem Eigentum zeitweise abgelçst hatte, hat die WIPO heute jedoch wieder an Bedeutung gewonnen und einige ihrer Mitgliedsl nder treiben die internationale Harmonisierung von Paten- ten und Urheberrechten wesentlich voran. Die zunehmende Politisierung auch dieser Organisation l sst die weitere Richtung der multilateralen Re- gulierung geistiger Eigentumsrechte jedoch ungewiss erscheinen. Es sind daher oft bilaterale Abkommen, die neue Regeln des geistigen Eigentums- schutzes festschreiben. Obwohl heute ein Großteil der Staaten des S dens in allen relevan- ten Foren Ausnahmen f r sozialpolitisch bedeutungsvolle Sektoren erstrei- ten wollen, ist ihre Rolle durchaus ambivalent: Das TRIPS-Abkommen w re kaum mçglich gewesen, wenn ihre Regierungen nicht ebenso dem Freihandelsdiskurs und seiner Idee des wachsenden Wohlstands anhingen. Nur so konnte der Marktzugang f r landwirtschaftliche Erzeugnisse und Textilien zum »bargaining chip« werden. Das große Interesse biodiversit ts- reicher L nder an der Regulation des Zugangs zu genetischen Ressourcen zeigt zudem, dass die Staaten die Annahmen des Patentsystems und dessen Beitrag zu Innovation und Entwicklung an sich nicht in Frage stellen. Viel- mehr treiben sie die Kommerzialisierung von vormals çffentlichen G tern wesentlich mit voran. Der vorliegende Beitrag hat gezeigt, dass dies f r die armen Bevçlke- rungsschichten potentiell verheerende Folgen hat. So sind beispielsweise die Mçglichkeiten, preisg nstige Nachahmermedikamente herzustellen, bis zum Auslaufen eines Patents durch strenge Auflagen begrenzt. Kleinb ue- rinnen sind zunehmend gezwungen, f r Saatgut Lizenzgeb hren aufzubrin- gen. Vielfach hat auch die Regulierung des Zugangs zu genetischen Res- sourcen, die sich vor allem an globalen geistigen Eigentumsrechtsregimen orientiert, zu einem »biopiracy thinking« gef hrt: Lokale Gemeinschaften sind beispielsweise sehr vorsichtig geworden, was den Tausch von Saatgut und anderen Pflanzen betrifft – aus Angst, andere Gemeinden kçnnten einen Zugangsvertrag mit einem Forschungsinstitut im Norden eingehen.69 In die- sem Fall behindern Monopolrechte also indirekt die lokale Anpassung und Weiterentwicklung vonWissen. Aber auch TRIPS-inh rent erweist sich das Argument, dass ein weitgehender Schutz geistiger Eigentumsrechte die In- novation und damit die »Entwicklung« in der Dritten Welt fçrdert, als zwei- felhaft. Denn das TRIPS-Abkommen sieht in Art. 27.1 vor, dass »Patente erh ltlich (sind) und Patentrechte ausge bt werden (kçnnen), ohne dass hin- sichtlich des Ortes der Erfindung, des Gebiets der Technik oder danach, ob die Erzeugnisse eingef hrt oder im Land hergestellt werden, diskriminiert werden darf«. Das heißt, dass Patentrechte in Entwicklungsl ndern auch ein- 155 Corinna Heineke gehalten werden m ssen, wenn ein Verfahren oder Produkt in Europa, Japan oder den USA entwickelt beziehungsweise hergestellt wurde. In diesem Fall schafft eine Erfindung weder Arbeitspl tze in Entwicklungsl ndern noch werden lokale Arbeitskr fte in der gesch tzten Technologie ausgebildet oder diese Technologie lokal angepasst, wenn die hohen Lizenzgeb hren nicht bezahlt werden kçnnen. Hinzu kommt, dass kleine und mittlere Un- ternehmen in den L ndern des S dens aufgrund der hohen Kosten einer Patentanmeldung sowie der rechtlichen Durchsetzung derselben kaum in der Lage sind, berhaupt ihre Innovation sch tzen zu lassen. Die L nder des S dens sind demnach in den f r die Befriedigung von Grundbed rfnissen wie Gesundheit und Ern hrung wichtigen Bereichen erheblich in ihrem politischen Spielraum eingeschr nkt worden. Eine An- passung der Gesetze an die nationale Industrieentwicklung oder die Anti- Armutspolitik eines Entwicklungslandes – etwa durch Ausnahmeregelungen – ist nun kaum noch mçglich. Dass geistige Eigentumsrechte die Verbrei- tung von Wissen und Innovation in einkommensschwachen Regionen fçr- dern w rden, darf also weiter infrage gestellt werden. Anmerkungen 1 Markenzeichen, die beliebig oft verl ngert werden kçnnen, wurden als Namens- kennzeichnungen von Backsteinen, Leder oder Kochgef ßen aber schon im Altertum genutzt; World Intellectual Property Organization (WIPO) (1997), S. 20. 2 Vgl. David (1933), S. 44; WIPO (1997), S. 17. 3 Vgl. dazu die Informationen auf der Website des britischen Patentamtes: http:// www.patent.gov.uk/patent/whatis/fivehundred/eighteenth.htm. 4 Aus Gr nden der Geschlechtergerechtigkeit und besseren Lesbarkeit verwende ich die weibliche und m nnliche Form hier und an anderer Stelle abwechselnd. 5 Der Begriff der geistigen Monopolrechte wird von Attac eingef hrt, vgl. Bçdeker/ Moldenhauer/Rubbel (2005), S. 9. 6 Die Unterscheidung zwischen Immaterialit t und Materialit t verblasst h ufig: W h- rend geistige Eigentumsrechte der Theorie nach neue Ideen zur Herstellung tech- nischer Ger te oder Verfahren sch tzen sollen, sind sie immer auf materielle Tr ger angewiesen. Zum Beispiel ist Software auf CDs oder Festplatten angewiesen, gene- tische Information auf Saatgut oder kçrperliche Substanzen; vgl. Nuss (2002), S. 1. Mit dem Monopolrecht wird auch der Zugang zu den materiellen Tr gern von Wissen – z.B. durch hohe Kosten – erschwert. Zu den Grundannahmen des Ur- heberrechts siehe auch die Beitr ge von Thomas Dreier/Georg Nolte, Hannes Sie- grist und Till Kreutzer in diesem Band. 7 Vgl. World Development Report (2001/01), zit. in Drahos (2002), S. 2. 8 World Commission on Environment and Development (1987). 9 Mit wissensbasierten Industrien ist gemeint, dass die Wertschçpfung in der Produk- tion zu immer grçßeren Anteilen aus Wissen und Information resultiert, also z.B. aus 156 Adventure TRIPS – Die Globalisierung geistiger Eigentumsrechte im Nord-S d-Konflikt molekularbiologischer und chemischer Information in den Life Science-Industrien oder aus dem Wissen ber die ad quate Anordnung von Datenmaterial in der Soft- ware-Industrie. 10 Vgl. Nuss (2002), S. 5–6. Wie Sabine Nuss (S. 12) außerdem zeigt, geht die Property Rights Theory von Douglass North – eine Fortentwicklung neoklassischer konomie, die auch die Rolle von Eigentums- und Verf gungsrechten einbezieht – sogar davon aus, dass die rmeren L nder uneffiziente Volkswirtschaften aufweisen, weil sie Ei- gentumsrechte nur ungen gend sichern. 11 Vgl. Jessop (2000), S. 2. 12 Vgl. z.B. die Beitr ge von Klaus Goldhammer sowie von Thomas Dreier/Georg Nolte. 13 Vgl Ribeiro (2002). 14 Vgl. dazu auch den Beitrag von Joscha Wullweber in diesem Band. 15 Vgl. Khor (2002), S. 205–206; siehe auch Cullet (2003), S. 141. 16 Andere Unterabkommen sind z.B. das Allgemeine Zoll- und Handelsabkommen 1994, in dem das GATT von 1947 aufgeht, oder die bereinkommen ber die Landwirtschaft und ber Textilwaren und Bekleidung, die alle unter die Multilate- ralen Abkommen ber den Warenhandel fallen. Neben dem TRIPS-Abkommen etabliert das Allgemeine bereinkommen ber den Dienstleistungsverkehr (GATS) neue Handelsthemen. Dar ber hinaus werden Regeln und Verfahren zur Beilegung von Handelsstreitigkeiten festgelegt, ein Mechanismus zur berpr fung der Handels- politik der WTO-Mitglieder eingef hrt und die Regeln plurilateraler Handels ber- einkommen, denen nicht alle WTO-Mitglieder beigetreten sind, formuliert. 17 Vgl. Staehelin (1997), S. 17. 18 Die Fristen f r die Umsetzung wurden jedoch differenziert nach Industriel ndern (ein Jahr nach In-Kraft-Treten des TRIPS-Abkommen bzw. bis zum 1. Januar 1996), Entwicklungsl ndern und osteurop ischen Transformationsstaaten (nach f nf Jahren bzw. bis zum 1. Januar 2000) sowie den am wenigsten entwickelten L ndern (zehn Jahre nach der allgemeinen Einjahresfrist bzw. bis zum bis 1. Januar 2006), vgl. Art. 65 und 66. Am 29. November 2005 wurde den am wenigsten entwickelten L ndern ein Aufschub der Implementierung von TRIPS bis zum 1. Juli 2013 ge- stattet. 19 Heute z hlt die WTO schon 149 Mitgliedsstaaten. Vgl. http://www.wto.org/eng- lish/thewto_e/thewto_e.htm, Aufruf 11. Dezember 2005. 20 Sell (1995) und – in Zusammenarbeit mit John Braithwaite – Peter Drahos (2004) haben die Rolle von US-amerikanischen Industrieverb nden bei der Verkn pfung von Handel und geistigen Eigentumsrechten sowie deren internationale Durchset- zung ausf hrlich beschrieben. 21 Vgl. Drahos/Braithwaite (2004), S. 5–6. 22 Vgl. Ebd., S. 8–10; Sell (1995). 23 Die US-amerikanische International Trade Commission sch tzte 1986 den Gesamtver- lust der US-Industrie auf 23,8 Milliarden US-Dollar bzw. 2,7 Prozent des Gesamtver- kaufs (1988: viii, zit. in Wallerstein u. a. (1993), S. 4). Unter dem Titel »Guesstimating Losses to ›Piracy‹« weisen Drahos/Braithwaite (2004), S. 14 darauf hin, dass die Sch t- zungen weltweit von Vertretern und Vertreterinnen US-amerikanischer Konzerne vor- genommen wurden und daher vielfach von Unternehmensinteressen geleitet waren. 24 Das Handelsdefizit stieg zwischen 1980 und 1985 um 309 Prozent, von 36,3 auf 148,5 Milliarden US Dollar. Vgl. Sell (1995), S. 169. 157 Corinna Heineke 25 Dieser Begriff ist angelehnt an den Titel des TRIPS-Abkommens: »Abkommen ber handelsbezogene Aspekte der Rechte an geistigem Eigentum.« Er bezieht sich im Rahmen des TRIPS-Abkommens auf den rechtlichen Schutz des Informationsgehalts von Handelsg tern. 26 So gab es 1979 eine nderung der Section 301, welche die Regierung explizit auf- forderte, in Zukunft den Positionen oder Petitionen der von »Produktpiraterie« be- troffenen Industrie Rechnung zu tragen; Fisher/Steinhardt, zit. in Sell (1995), S. 168. 27 Gespr che wurden mit den Regierungen von Ungarn, Korea, Mexiko, Singapur und Taiwan gef hrt, vgl. ebd., S. 169. 28 Bis zur Unterzeichnung des Omnibus Trade and Competitiveness Act 1988 gab es nur zwei F lle, in denen Handelssanktionen tats chlich verh ngt wurden. Brasilien musste einen Zolltarif von 39 Millionen US Dollar f r den Import von Medikamenten bezahlen, bei denen amerikanische Produktpatente unber cksichtigt geblieben wa- ren. Ebenso wurden Mexiko 1987 Zollverg nstigungen im Wert von 500 Millionen US Dollar gestrichen, da sich die Regierung weigerte, pharmazeutische Produkte nach US-amerikanischen Rechtsrichtlinien zu sch tzen. Vgl. ebd., S. 176–177. 29 Nicht-reziproke Zollverg nstigungen reduzierten die Zçlle f r wichtige Exportg ter der Entwicklungsl nder, ohne dass diese im Gegenzug den USA hnliche Zollver- g nstigungen gew hren mussten. 30 Die Priority Watchlist umfasste 25 L nder, u. a. Indien, Saudi Arabien, die Philippinen, gypten, Nigeria und Malaysia. Chile, Argentinien, Venezuela, Mexiko, Brasilien, S dkorea, Thailand, Indonesien, Taiwan und China revidierten ihre Urheber- und Patentrechtssysteme bereits vor Unterzeichnung des TRIPs-Abkommens. Vgl. Pur- due (1995), S. 99–100; Katzenberger/Kur (1996), S. 9. 31 Die WIPO ist die Nachfolgerin des Vereinigten Internationalen B ros zum Schutz geistigen Eigentums (BIRPI), das schon 1893 als gemeinsames Sekretariat der PV und der Berner bereinkunft gegr ndet wurde. Sie ist 1970 auf der Basis des » ber- einkommens bez glich der Einrichtung der Weltorganisation f r geistiges Eigentum« entstanden und hat 1974 den Status einer UNO-Sonderorganisation erhalten. 32 Neben der Neuheit (eine Erfindung bertrifft den jeweiligen Stand der Technik) sind die Nicht-Offensichtlichkeit f r eine Expertin aus dem jeweiligen Gebiet der Tech- nik sowie die gewerbliche Anwendbarkeit Bedingungen f r die Patentierung. 33 Vgl. World Intellectual Property Organization (2001), S. 276–282. 34 Im Fall eines nationalen Notstandes kann eine Regierung ohne Zustimmung der Patentinhaberin eine Zwangslizenz f r die Herstellung patentierter Produkte, z.B. Medikamente, erteilen. Siehe auch weiter unten in Abschnitt 4. 35 Vgl. Drahos/Braithwaite (2004), S. 7. 36 Dies ist ein privatwirtschaftliches Beratungsgremium des amerikanischen Kongresses, in dem in den 1980er Jahren wichtige Vertreter der Lobby f r die Handelsbezo- genheit geistiger Eigentumsrechte t tig waren. 37 Vgl. Sell (1995), S. 175. 38 Vgl. Wissen (2003), S. 154; Helfer (2004). 39 Vgl. Subramanian, zit. in Purdue (1996), S. 96; Helfer (2004), S. 21; Yu (2005), S. 2. 40 Jawara/Kwa/Sharma (2004) untersuchen die j ngsten Verhandlungstaktiken der OECD-Staaten im Rahmen der WTO-Ministerkonferenzen in Doha und Cancffln. 41 Beispielsweise schlossen sich ca. 200 Unternehmen in der Multilateral Trade Negotia- tion (MTN) Koalition zusammen. Im Intellectual Property Committee (IPC) waren Ver- treter von zwçlf transnationalen Konzernen aus der Computer und Elektronikbran- 158 Adventure TRIPS – Die Globalisierung geistiger Eigentumsrechte im Nord-S d-Konflikt che, aus der Pharma- und agro-chemischen Industrie sowie aus der Konsumg ter- produktion und den K nsten vertreten. Vgl. Purdue (1995), S. 95–96; Sell (1995), S. 181. 42 Vgl. Purdue (1995), S. 95–96; Sell (1995), S. 181. 43 Enyart, zit. nach Sell (1995), S. 181, bers. C.H. 44 Das TRIPS-Abkommen kann auf Deutsch z.B. unter http://www.jura.uni-sb.de/ BGBl/TEIL2/1994/19941730.2.HTML heruntergeladen werden. In den sechs UN- Sprachen ist es unter http://www.wto.org verf gbar. 45 Sortenschutzrechte sind ebenso wie Patente oder Urheberrechte ein geistiges Eigen- tumsrecht und sch tzen eine Neuz chtung von Nutzpflanzen f r mindestens 20 Jahre. F r B ume und Weinreben gilt der Schutz f r mindestens 25 Jahre. Diese Rechte werden in der Internationalen Konvention ber den Schutz neuer Pflan- zensorten (UPOV) reguliert. 46 Eine grunds tzlichere Ausnahme von der Patentierbarkeit wird in Art. 27.2 fest- gelegt: »Die Mitglieder kçnnen Erfindungen von der Patentierbarkeit ausschließen, wenn die Verhinderung ihrer gewerblichen Verwertung innerhalb ihres Hoheits- gebiets zum Schutz der çffentlichen Ordnung oder der guten Sitten einschließlich des Schutzes des Lebens oder der Gesundheit von Menschen, Tieren oder Pflanzen oder zur Vermeidung einer ernsten Sch digung der Umwelt notwendig ist, voraus- gesetzt, dass ein solcher Ausschluss nicht nur deshalb vorgenommen wird, weil die Verwertung durch ihr Recht verboten ist.« (Bundesgesetzblatt 1994, Teil II, S. 1737, http://www.jura.uni-sb.de/BGBl/TEIL2/1994/19941730.2.HTML). 47 WIPO Wo/INF/29 1988, zit. in Drahos/Braithwaite (2004), S. 23. 48 W hrend Verfahrenspatente lediglich einen bestimmten Herstellungsprozess und das direkt daraus resultierende Produkt sch tzen, umfassen Produkt- oder Stoffpatente den Ausschluss Dritter von der Herstellung, vom Gebrauch, Anbieten zum Verkauf oder Verkauf eines Erzeugnisses. Das bedeutet, dass bei Vorliegen eines Stoffpatents keine anderen Verfahren zur Herstellung dieses Erzeugnisses angewendet werden d rfen. 49 Vgl. Cullet (2003), S. 143–144. 50 UNDP (2005), S. 228. 51 F r die am wenigsten entwickelten L nder wurde diese Frist bei der 2001 stattfin- denden WTO-Ministerkonferenz in Doha, Quatar, bis 2016 verl ngert. 52 Vgl. Luppe (2004), S. 13. 53 Sch tzungen gehen von 5000 – 7000 Patentantr gen aus; Oh, zitiert in Luppe (2004), S. 18, Fn. 59. 54 Vgl. Ebd., S. 17–20. 55 Vgl. UNAIDS (2004). 56 Vgl. UNDP (1998). 57 Die s dafrikanische Verfassung sichert in Art. 27.1(a) das Grundrecht auf den Zugang zur Gesundheitsversorgung zu. In Absatz 2 wird der Staat verpflichtet, dieses Recht durch angemessene Gesetzes- und andere Maßnahmen, im Rahmen seiner zur Ver- f gung stehenden Ressourcen, schrittweise in die Realit t umzusetzen. 58 Wçrner, zit. nach Wullweber (2002), S. 49. 59 Auf Sammelreisen wurden und werden wertvoll erscheinende Heil- oder Kultur- pflanzen gesammelt, katalogisiert, taxonomisch bestimmt und zumeist in europ i- schen und US-amerikanischen Genbanken und botanischen G rten hinterlegt. Vgl. zum Komplex der Sammelreisen: Flitner (1995). 159 Corinna Heineke 60 Erstmals tauchte der Begriff »Biopiraterie« 1993 in Materialien der NGO ETC Group (http://www.etcgroup.org) auf, wurde dann aber von zahlreichen Organisationen weltweit aufgenommen. Inzwischen ist der Ausdruck so etabliert, dass er – wenn auch in uneindeutigem Sinne – im Compact Oxford English Dictionary definiert ist und von den meisten Entwicklungsl ndern in internationalen Verhandlungen ge- braucht wird. 61 Zwar ist eine Bedingung der Patentierbarkeit die Neuheit einer Erfindung oder Z chtung. Es gibt jedoch zahlreiche F lle, in denen aufgrund der wissenschaftlichen Darlegung der Zusammensetzung eines Stoffes ein Patent trotzdem erteilt wurde. So hat beispielsweise das Pharmaunternehmen PureWorld Botanicals ein Wurzelextrakt der andinischen Maca-Pflanze, die eine Potenz fçrdernde Wirkung hnlich Viagra aufweist, in den USA und Japan zum Patent angemeldet. Die peruanischen Hoch- landbauern, die einige Jahre zuvor begonnen hatten, die Pflanze selbst zu vermarkten, d rfen seither nicht mehr in die USA oder nach Japan exportieren. 62 Heute kontrollieren die zehn grçßten Saatgutunternehmen die H lfte des weltweiten Saatgutverkaufs, der auf einen Wert von US$ 21 Milliarden gesch tzt wird; vgl. ETC Group (2005), S. 1). 63 Wissen (2003), S. 131. 64 Vgl. zur Kritik an der CBD ETC Group (2004). 65 Memorandum of the Director General, WIPO document A/36/14, 6 August 2001, Agenda for Development of the International Patent System, zit. in Musungu/Dut- field (2003), S. 11. 66 Vgl. Musungu/Dutfield (2003); GRAIN (2002); auch Wissen (2003); Heineke (2005). 67 Neben einem zu beobachtenden Anstieg der NGO-Akkreditierung reichten Argen- tinien und Brasilien im September 2004 einen Vorschlag f r eine WIPO-Entwick- lungsagenda bei der Generalversammlung ein. Diese soll die Ber cksichtigung des Gemeinwohls der Gesellschaften im S den, insbesondere mit Blick auf die çffentliche Gesundheit, in allen Verhandlungsprozessen der WIPO verankern. 68 Hiermit ist ein attraktives Angebot in Verhandlungen gemeint, das potentielle Geg- ner zum Einlenken bewegen kçnnte. 69 Vgl. Mooney (2004). Literatur Bçdeker, Sebastian/Moldenhauer, Oliver/Rubbel, Benedikt (2005): Wissensallmende. Gegen die Privatisierung des Wissens der Welt durch »geistige Eigentumsrech- te«. AttacBasisTexte 15, Hamburg, https://www.attac.de/wissensallmende/ basistext/ Cullet, Philippe (2003): Patents and Medicines: the relationship between TRIPS and the human right to health, in: International Affairs 79 (1), S. 139–160, http://www.ielrc.org/content/a0301.pdf David, Paul A. (1993): Intellectual Property Institutions and the Panda’s Thumb: Patents, Copyrights, and Trade Secrets in Economic Theory and History, in: Mitchel B. Wallerstein/Mary Ellen Mogee/Roberta A. Schoen (Hrsg.): Global 160 Adventure TRIPS – Die Globalisierung geistiger Eigentumsrechte im Nord-S d-Konflikt Dimensions of Intellectual Property Rights in Science and Technology, Wa- shington/D.C., S. 19–61. Drahos Peter (2002): Introduction, in: Peter Drahos/Ruth Mayne (Hrsg.): Global Intellectual Property Rights. Knowledge, Access and Development, Hound- mills, Basingstoke, S. 1–9. Drahos, Peter (with John Braithwaite) (2004): Who Owns the Knowledge Economy? Political Organising behind TRIPS, Corner House Briefing 32, September 2004, http://www.thecornerhouse.org.uk/item.shtml?x=85821 ETC Group (2004): From Global Enclosure to Self Enclosure: Ten Years After – A Critique of the CBD and the »Bonn Guidelines« on Access and Benefit Sharing (ABS). Communiqu No. 83 (Januar/Februar 2004), http://www.etcgroup. org/documents/Comm83_COP7_CBDCBonn.pdf ETC Group (2005): Global Seed Industry Concentration – 2005. Communiqu No. 90 (September/Oktober 2005), http://www.etcgroup.org/documents/ Comm90GlobalSeed.pdf Flitner, Michael (1995): Sammler, R uber und Gelehrte. Die politischen Interessen an pflanzengenetischen Ressourcen 1895–1995, Frankfurt a.M.-New York. GRAIN (2002): WIPO moves toward »world« patent system, Juli 2002, www.grain.org Heineke, Corinna (2005): Die Globalisierung geistiger Eigentumsrechte. Die Kon- vention ber biologische Vielfalt als Spielball im Patent-Interessenkonflikt, in: DNR EU-Rundschreiben, Sonderteil Heft 03/04, Jahrg. 14, S. 12–14. Helfer, Laurence R. (2004): Regime Shifting: The TRIPs Agreement and New Dynamics of International Intellectual Property Lawmaking, in: The Yale Jour- nal of International Law 29 (1) (Winter 2004), New Haven/Conn., S. 1–83, http://law.vanderbilt.edu/faculty/pubs/helfer-regimeshifting.pdf?abstract_id= 459740 Jawara, Fatoumata/Kwa, Aileen/Sharma, Shefali (2004): Behind the Scenes at the WTO: The Real World of International Trade Negotiations/Lessons of Can- cun, London-New York. Jessop, Bob (2000): The State and the Contradictions of the Knowledge-Driven Economy, Department of Sociology, Lancaster University, Lancaster, http:// www.comp.lancs.ac.uk/sociology/papers/Jessop-State-and-Contradictions.pdf Katzenberger, Paul/Kur, Annette (1996): TRIPs and Intellectual Property, in: Fried- rich-Karl Beier/Gerhard Schricker (Hrsg.): From GATT to TRIPs – The Agreement on Trade-Related Aspects of Intellectual Property Rights, Wein- heim u. a., S 1–17. Khor, Martin (2002): Rethinking Intellectual Property Rights and TRIPS, in: Peter Drahos/Ruth Mayne (Hrsg.): Global Intellectual Property Rights. Knowledge, Access and Development, Houndmills, Basingstoke, S. 201–213. Luppe, Tobias, unter Mitarbeit von Stephan Kreischer (2004): Patentschutz und die Zukunft des Medikamentenzugangs in rmeren L ndern. rzte ohne Grenzen, Berlin, https://www.aerzte-ohne-grenzen.de/obj/_scripts/msf_download_pdf. php?id=2004&filename=studie-medikamentenzugang-2004.pdf 161 Corinna Heineke Mooney, Pat (2004): No Agrobiodiversity without Cultural Diversity. Vortrag w h- rend der Tagung »Agrobiodiversit t entwickeln: Handlungsstrategien und Im- pulse f r eine nachhaltige Tier- und Pflanzenzucht«. Berlin, 4. Februar 2004, http://www.agrobiodiversitaet.net/site/page/downloads/tagung/AG_2.pdf Musungu, Sisule F./Dutfield, Graham (2003): Multilateral agreements and a TRIPS- plus world: The World Intellectual Property Organisation (WIPO). Geneva, Ottawa: Quaker UN Office, Quaker International Affairs Programme, http:// www.geneva.quno.info/pdf/WIPO(A4)final0304.pdf Nuss, Sabine (2002): Download ist Diebstahl? Eigentum in einer digitalen Welt, in: PROKLA – Zeitschrift f r kritische Sozialwissenschaft, Heft 126, 32. Jg., Nr. 1 (M rz 2002), http://www.prokla.de/Volltexte/126nuss.rtf Purdue, Derrick (1995): Hegemonic Trips: World Trade, Intellectual Property and Biodiversity, in: Environmental Politics 4 (1), (Spring), S. 88–107. Ribeiro, Silvia (2002): Medicina tradicional, patentes y biopirater a, in: La Jornada (03. August 2002), Mexiko, http://www.biodiversidadla.org/content/view/ full/4855 Sell, Susan K. (1995): The Origins of a Trade-Based Approach to Intellectual Property Protection. The Role of Industry Associations, in: Science Commu- nication 17 (2) (December), S. 163–185. Staehelin, Alesch (1997): Das TRIPs-Abkommen. Immaterialg terrechte im Licht der globalisierten Handelspolitik, Bern. UNAIDS (2004): Report on the global AIDS epidemic, Geneva, http:// www.unaids.org/en/geographical+area/by+country/south+africa.asp UNDP (1998): Poverty and Inequality in South Africa. Report prepared for the Office of the Executive Deputy President and the Inter-Ministerial Committee for Poverty and Inequality, http://www.undp.org.za/docs/pubs/poverty.html UNDP (2005): Human Development Report 2005. International cooperation at a crossroads: Aid, trade and security in an unequal world, http://hdr.undp.org/ reports/global/2005/ Wallerstein, Mitchel B./Mogee, Mary Ellen/Schoen, Roberta A. (Hrsg.) (1993): Global Dimensions of Intellectual Property Rights in Science and Technology, Wa- shington/D.C. Wissen, Markus (2003): TRIPs, TRIPs-plus und WIPO. Konflikte um die Eigen- tumsrechte an genetischen Ressourcen, in: Ulrich Brand/Christoph Gçrg: Postfordistische Naturverh ltnisse. Konflikte um genetische Ressourcen und die Internationalisierung des Staates. Mit Beitr gen von Karin Blank, Joa- chim Hirsch und Markus Wissen, M nster, S. 128–155, http://www.agrobio diversitaet.net/site/page/downloads/dateien/Markus_Wissen_TRIPS.pdf World Intellectual Property Organization (WIPO) (1997): Introduction to Intellectual Property. Theory and Practice, London. World Intellectual Property Organization (WIPO) (2001): WIPO Intellectual Property Handbook: Policy, Law and Use. WIPO Publication No. 489 (E), http:// www.wipo.int/about-ip/en/iprm/pdf/ch5.pdf 162 Adventure TRIPS – Die Globalisierung geistiger Eigentumsrechte im Nord-S d-Konflikt Wullweber, Joscha (2004): Das gr ne Gold der Gene. Globale Konflikte und Bio- piraterie, M nster. Yu, Peter K. (2005): TRIPs and Its Discontents. Michigan State University College of Law. Legal Studies Research Paper Series, No. 03–03, East Lansing/MI, http://ssrn.com/abstract=578577 163 Volker Grassmuck Wissenskontrolle durch DRM: von berfluss zu Mangel 1. Das Verschwinden des Mangels oder das digitale (Verleger-)Dilemma »Die Entwicklung des Internet hat jedes Distributionsmodell, das auf Mangel beruht, vor erhebliche Herausforderungen ge- stellt. (…) Die finanziellen und Kenntnish rden daf r, In- halte weltweit verf gbar zu machen, sind einfach weggefallen. (…) Die Anwendung von Technologie auf dieses Problem, wenn sie wirkungsvoll sein soll, muss daher erneut einen Mangel zu Gunsten der Rechteinhaber erzeugen. Das f hrt jedoch zu einem grundlegenden Paradox, (…) – dass das Gesch ft von Verlegern darin besteht, Zugang anzubieten, nicht, ihn zu verhindern. (…) Wenn das Urheberrecht als Mechanismus f r den Handel mit geistigem Eigentum nicht vollst ndig aufgegeben werden soll, ist es gleichwohl entschei- dend, eine Antwort auf dieses Paradox zu finden.«1 F r die konomen ist Information ein çffentliches Gut. Sie kann beliebig vielen Menschen nutzen, ohne sich zu verbrauchen, und es ist schwierig, Menschen von ihr auszuschließen, wenn Information einmal verçffentlicht ist. Wenn sich aber Information verbreitet wie Luft, kann man mit ihr kein Geld verdienen. Folglich wird niemand in ihre Produktion investieren. Es entsteht ein Mangel an Information. Die konomen kennen verschiedene Lçsungen f r das Problem çffentlicher G ter. So kann der Staat sie f r alle produzieren oder er kann Bedingungen schaffen, unter denen dennoch ein Markt entstehen kann. Letzteres hat er f r Information getan, indem er das Urheberrecht schuf. Zwar ist Information immer noch nichtrivalisierend und nichtausschließbar, aber jetzt kann ihr Eigent mer diejenigen verkla- gen, die sie nutzen, ohne daf r zu bezahlen. In der analogen Medienwelt ist Information an materielle Tr ger wie B cher oder Schallplatten gebunden. Diese verbreiten und vermehren sich viel weniger leicht, als die in ihnen enthaltene Information. Diese Me- 164 Wissenskontrolle durch DRM: von berfluss zu Mangel dientechnologie erzeugt Reibung und kommt somit einer privaten Aneig- nung entgegen. Doch Technologien ndern sich. Wir befinden uns mitten in der digitalen Revolution. F r Medienunternehmen waren PC und In- ternet ein Traum, denn sie senken die Grenzkosten, also die Kosten f r die Produktion und den Vertrieb eines weiteren Exemplars eines Informations- produktes fast auf Null. Die Unternehmen tr umten, dass sie Musik, Texte und Filme zum gleichen Preis verkaufen kçnnten, wie zuvor, nur dass sie daf r fast nichts mehr bezahlen m ssten. Doch die konomen und die Wirklichkeit machten ihnen einen Strich durch die Rechnung. Die ko- nomen lehren, dass sich der Preis eines Produkts durch den Wettbewerb auf die Grenzkosten zubewegt, hier also auf Null. Das bereitet den Unterneh- men wenig Kopfzerbrechen, denn urheberrechtliche Produkte bilden kei- nen Wettbewerbs-, sondern einen Monopolmarkt. Theoretisch, weil das Urheberrecht der Autorin das alleinige Verf gungsrecht ber ihr Werk gibt, und praktisch, weil es das neuste Album von Britney Spears eben nur von Zomba Records gibt und nirgends sonst. Wem die Bedingungen von Zom- ba nicht passen, wer aber dennoch partout Britney haben mçchte, kann nicht auf ein »funktional gleichwertiges« Produkt ausweichen. konomen mçgen Monopole nicht. Monopolisten lieben sie. Problematischer zeigte sich die Wirklichkeit, denn die Kosten f r Her- stellung und Vertrieb eines weiteren Produktexemplars sind nicht nur f r den Anbieter gleich Null, sondern auch f r den K ufer. Daraus ergibt sich das im Motto angesprochene grundlegende Paradox: Verleger, deren Ge- sch ft es eigentlich ist, Information zug nglich zu machen, m ssen Zugang und Nutzungen verhindern. »Die Antwort auf die Maschine ist in der Maschine.« Auf diese Formel brachte Charles Clark, Chefsyndikus des US-amerikanischen International Publishers Copyright Council, die Lçsungsstrategie.2 Oder in den Worten des damaligen Chefs der deutschen Musikverwertungsgesellschaft GEMA: »Dieselben technischen Mittel, die die globale Nutzung der Netze ermçg- lichen, werden auch die globale Kontrolle dieser Netze ermçglichen.«3 Diese technischen Mittel werden seit Beginn des Internet-Zeitalters ent- wickelt.4 Sie haben Vorl ufer einerseits in den Kopierschutzsystemen, die die Software-Branche in den 1980ern f r ihre Produkte entwickelt und seit- her weitgehend aufgegeben hat. Andererseits kn pfen sie an Systemen der Zugangskontrolle an, die f r Bezahlangebote des Kabel- und Satellitenfern- sehens entwickelt wurden. Der Beginn einer dezidierten DRM-Branche datiert mit der Gr ndung der Firma Intertrust 1990. Anfangs finden sich noch wechselnde Bezeichnungen wie »IP Management Systems«, »Trusted Systems« oder »Automatic Rights Management«. Heute hat sich der Begriff 165 Volker Grassmuck »DRM« stabilisiert. Von seinen Verfechtern wird er mit »Digital Rights Ma- nagement« bersetzt, die damit die digitale Kontrolle und Durchsetzung von Rechten, genauer von Urheber- und verwandten Schutzrechten meinen. Seine Gegner sprechen dagegen von »Digital Restrictions Management«, da die Technologie Nutzungsrestriktionen einf hrt, wo andernfalls keine w - ren.5 Der Artikel verfolgt zun chst ein urheberrechtlich nicht mehr gesch tz- tes Kinderbuch in den DRM-Tresor und f hrt dann in dieWechselwirkung zwischen çffentlichem Urheberrechtsgesetz und privater Urheberrechts- technologie ein. DRM hat zahlreiche Anwendungsfelder. So wird es im Unternehmensbereich eingesetzt, um die Weitergabe vertraulicher Doku- menten zu kontrollieren. DRM-Chips in Druckern sichern, dass nur der Original-Toner des Herstellers verwendet werden kann. Funkchips mit Kennungen (RFIDs) individualisieren Produkte, so dass die Kontrolle bald auch auf die physische Welt ausgeweitet werden kann. Hier konzent- riere ich mich vor allem auf den Einsatz im Content-Handel mit digitalen Musik- und Filmwerken. Die Technologien und die Gesch ftsmodelle um DRM werden anhand von zwei Medientechnologien erl utert, mit denen die meisten von uns regelm ßig in Kontakt kommen: der DVD und der Mobiltelefonie. Abschließend zeige ich die f r Informationsnutzer proble- matischen Aspekte von DRM auf. Alice im DRM-Land Einer der ersten Punkte, an denen Nutzer von PC und Internet in den 1990ern mit DRM in Ber hrung kamen, waren PDF-Dokumente. Adobe, das drittgrçße US-amerikanische Softwareunternehmen, stellte 1993 diese Weiterentwicklung seiner Seitenbeschreibungssprache PostScript vor. Das Portable Document Format (PDF) ist das heute am weitesten verbreitete Format f r gestalteten Text. L sst man sich die Sicherheitseinstellungen ei- nes PDF-Dokuments anzeigen, erh lt man einen Eindruck davon, was ein einfaches DRM zu unterbinden ermçglicht: das Dokument drucken, ver- ndern, per Cut-und-Paste Stellen extrahieren, mit anderen Dokumenten verbinden und Kommentare anlegen. Jedes DRM-System enth lt ein sol- ches Vokabular namens Rights Expression Language (REL). Es handelt sich um die maschinenlesbare und -ausf hrbare Version des Nutzungsvertrages, den der Kunde mit dem Anbieter eines kreativen Werkes eingeht. Der Ei- gent mer kann ein PDF-Dokument mit einem Master-Passwort verschl s- seln oder mit einem, das spezifisch ist f r einen individuellen Nutzer. Je nach 166 Wissenskontrolle durch DRM: von berfluss zu Mangel Gesch ftsmodell kann der Anbieter eines Informationsprodukts die gesperr- ten Funktionen separat verkaufen. Zu einem PR-Desaster f r DRMwurde die Einf hrung einer Lese-Soft- ware f r PDF-eBooks namens Glassbook. Glassbook, das sp ter von Adobe aufgekauft wurde, bot zum Ausprobieren eine Reihe kostenloser eBooks an, darunter Lewis Carols »Alice in Wonderland«. Die Erz hlung wurde 1865 zum ersten Mal gedruckt. Sein Autor ist lange genug tot, dass sein Werk heute ohne Zweifel gemeinfrei ist. Tats chlich gibt die PDF-Version als Textquelle das Projekt Gutenberg an, ein großes Online-Archiv gemein- freier B cher, die von Freiwilligen digitalisiert werden. Obgleich somit kei- nerlei Schutzrechte an demWerk bestehen, waren die DRM-Einstellungen von Alice so gesetzt, dass man nichts damit machen konnte, außer es sich am Bildschirm ansehen. Die Funktionen Kopieren, Ausdrucken, Verleihen, Weitergeben und laut Vorlesen waren gesperrt.6 Besonders an der letzten Option erhitzten sich die Gem ter. Leises Lesen ist zugestanden, aber wenn Eltern ihren Kindern Alice vom Laptop vorlesen, schaltet das DRM den Bildschirm schwarz? Wenn auch nicht grunds tzlich unvorstellbar, sind heutige DRM-Systeme dazu dann doch noch nicht in der Lage. Diese Ein- stellung verhinderte, dass der Text ber eine Vorlesesoftware ausgegeben wird. Der eigentliche Skandal um Alice bestand darin, dass ein Unternehmen etwas aus dem Bestand an kulturellenWerken, die der gesamtenMenschheit gehçren, entnimmt, es privatisiert und mit Restriktionen versieht. Damit wurde drastisch das Spannungsfeld sichtbar, in dem DRM grunds tzlich steht: einerseits verleiht das Urheberrecht zeitlich und nach Nutzungen be- schr nkte Eigentumsrechte, andererseits ermçglicht die Technologie den Verwertern, weit ber diese Rechte hinausgehende Restriktionen zu ver- h ngen. 2. Rechtsschutz f r (andernfalls un-)wirksame Technologie Sobald DRM als Hoffnungsschimmer amHorizont aufgetaucht war, begann die Arbeit in Unternehmen, çffentlich gefçrderten Forschungsprojekten,7 Industriekonsortien und Standardisierungsgremien. Schnell erwies sich, dass es nicht eine einzelne Technologie sein kann, die die freigesetzten Bits unter Kontrolle bringen und Informationsprodukte einer digitalen Ver- marktung zuf hren wird, sondern dass dazu die gesamte digitale Umwelt von Grund auf neu entworfen werden muss. 167 Volker Grassmuck F nfzehn Jahre und zahllose DRM-Generationen sp ter ist nur eines ge- wiss: Die Problemlçsung schafft vor allem eine F lle neuer Probleme. Ein ziemlich grundlegendes Problem wurde schnell sichtbar: DRM funktioniert nicht. DRM ist als Selbsthilfe der Industrie gedacht. Im aktuellen neoliberalen Klima ist schon das staatlich verliehene Monopol des Urheberrechts ein peinlicher Makel, den man gern verschweigt.8 DRM versprach nun, dass die Unterhaltungsindustrie die Knappheit, die Voraussetzung f r ihren Markt ist und die bislang das Gesetz sicherte, zuk nftig selber w rde her- stellen kçnnen. Die Techniker haben nie einen Hehl daraus gemacht, dass DRM nicht funktionieren kann, doch erst als nicht mehr zu leugnen war, dass jedes einzelne auf demMarkt eingef hrte DRM-System innerhalb k r- zester Zeit geknackt wird, mussten die Verwerter einsehen: die Antwort aus der Maschine, die technische Selbsthilfemaßnahme, die den Staat nicht braucht, ist ohne seine Gesetze und sein Gewaltmonopol wirkungslos.9 Daher machte sich die Inhalteindustrie in der UN-Weltorganisation f r geistiges Eigentum (WIPO) daf r stark, dass die weltweiten Voraussetzun- gen f r eine rechtliche Flankierung von DRM geschaffen werden. Im Zentrum steht dabei ein Umgehungsverbot f r DRM-Mechanismen, das zuerst in den WIPO-Abkommen ber Urheberrechte10 und Leistungs- schutzrechte11 formuliert wurde. Die USA waren das erste Land, das 1998 die internationalen Bestimmungen f r das Digitalzeitalter unter dem Na- men Digital Millennium Copyright Act (DMCA)12 in nationales Urheber- recht umgesetzt hat. Die Umsetzung in Europa folgte 2001 mit der EU-Richtlinie zum Urheberrecht in der Informationsgesellschaft.13 Seit- her sind die europ ischen Mitgliedsl nder verpflichtet, ihre nationalen Ge- setze an diese Richtlinie anzupassen. Deutschland hat die verpflichten- den Bestimmungen aus der Richtlinie, darunter das Umgehungsverbot f r DRM, mit dem so genannten Ersten Korb der Novellierung umgesetzt, die im September 2003 in Kraft trat.14 Die Kann-Bestimmungen der Richt- linie sowie eine Reihe offener Fragen sind auf den Zweiten Korb ver- tagt worden. Seit der Jahrtausendwende besteht in den entwickelten und einer wach- senden Zahl von Entwicklungsl ndern ein gesetzlicher Sonderschutz gegen die Umgehung so genannter »wirksamer technischer Maßnahmen« – die paradoxe Bezeichnung f r DRM, das ohne den Sonderschutz gerade nicht wirksam ist. Das mag dem unbedarften Beobachter als nicht mehr als ein weiterer Schutzmechanismus erscheinen. Schließlich sind DRM-Tech- nologien auch ohne die neue Regelung durch Betriebsgeheimnis, Patente, Urheberrecht und ein Geflecht aus Vertr gen gesch tzt, die Hard- und Soft- 168 Wissenskontrolle durch DRM: von berfluss zu Mangel warehersteller, Online-Shop-Betreiber und Kunden binden. Und Urheber- rechtsverstçße sind ohnehin verboten. Tats chlich schafftDRMdasUrheberrecht ab.Wodie gesetzlichenRech- te z.B. durch die Privatkopiefreiheit beschr nkt waren, verleiht DRM sei- nen Betreibern ein absolutes Recht ber Werke. War das Urheberrecht bislang ein von einem çffentlichen Gesetzgeber ausgehandelter Interessen- ausgleich, so tritt an seine Stelle ein privater Vertrag, dessen Einhaltung von DRM erzwungen wird.15 Dem Gesetz bleibt dann nur noch die Aufgabe, Flankenschutz zu bieten, wenn die DRM-Technologie geknackt wird. Viele Experten sehen die Privatisierung und Absolutierung der Verf gungs- gewalt ber Werke mit Sorge. So schreibt der Direktor des Max-Planck- Instituts f r Internationales Urheberrecht Reto Hilty: »Es wird damit immer zweifelhafter, ob man das bisherige Ziel eines mçglichst hohen Schutz- niveaus blind weiter verfolgen darf. (…) Ob die Einf hrung eines Rechts- schutzes f r technische Schutzmaßnahmen unter diesem Gesichtspunkt klug war, darf mit Fug und Recht bezweifelt werden.«16 3. DVDs: Das Medium ist die (Urheberrechts-)Botschaft Zur Digitalisierung wird ein analoges Signal in regelm ßigen Abst nden ab- getastet und die Frequenz z.B. eines Klangs oder des Farbpunktes eines Bil- des in Bin rcode angeschrieben. In dieser Form kann die Universalmaschine Computer die Daten algorithmisch weiterverarbeiten, z.B. verschl sseln oder komprimieren. Nicht das erste, aber das ber hmteste Kompressions- format ist MP3, das Standardformat f r Musik im Netz. Die Datenmenge eines Videos ist erheblich grçßer als die von Musik. Innovationen in der Lasertechnologie f hrten zur n chsten Generation op- tischer Speichermedien, der DVD, die 25 Mal so viele Daten enth lt wie eine CD. Hinzu kam der verbesserte Kodierungsstandard MPEG-2, der nicht nur auf der DVD eingesetzt wird, sondern auch f r digitalen Rund- funk, f rs Internet und f r hochauflçsendes Fernsehen (HDTV), kurz f r die Speicherung, bertragung und Darstellung von digitalem Bewegtbild und Klang in jeder Form. MPEG-2 wurde 1995 von der International Organi- zation for Standards (ISO) standardisiert. Die treibende Kraft bei der Entwicklung des Standards war die Film- industrie Hollywoods. Die wollte ihre Filme nur dann in dem neuen Format verçffentlichen, wenn ein starker Kopierschutz gew hrleistet ist. Im Rah- men der DVD Copy Control Association (CCA) arbeiteten Vertreter der 169 Volker Grassmuck Unterhaltungselektronik-, Computer-, Film- und Musikindustrie ber Jah- re an den DRM-Elementen f r die DVD, bevor sie schließlich 1996 auf dem japanischen Markt eingef hrt wurde. Bereits ein Jahr sp ter folgten die ersten beschreibbaren DVDs. Neben Kinofilmen wurden bald auch Video- spiele und Computerprogramme in dem neuen Format ausgeliefert. Qua- litativ hochwertiges Audio war angek ndigt, weshalb die »Video Disc« in »Digital Versatile Disc« umbenannt wurde. Heute enth lt eine DVD bis zu zehn verschiedene technische Schutz- mechanismen, die st ndig weiterentwickelt und erg nzt werden. Die wich- tigsten sollen hier kurz vorgestellt werden. CSS Im Zentrum eines jeden DRM steht die Kryptografie. Eine Bitfolge wird mit Hilfe eines Schl ssels umgewandelt, so dass sie unlesbar wird. Nur wer den richtigen Schl ssel besitzt, kann daraus wieder ein darstellbares Videosignal erzeugen. Je nach Anwendungsfall kommen verschiedene Schl ssel zum Einsatz. Bestellt z.B. ein Kunde eine Filmdatei von einer Online-Videothek, so kann das System die Hard- oder Softwarekennung seiner Abspielumgebung abfragen und in den Schl ssel einrechnen. Die verschl sselte Datei und den Schl ssel, die er erh lt, kann er beliebig wei- tergeben, aber nur seine individuelle Installation z.B. des Microsoft Win- dows Media Players ist in der Lage, die Entschl sselung vorzunehmen. Bei DVDs, die im Laden an unbekannte Kunden verkauft und auf einer Vielzahl von Ger ten abgespielt werden, muss dagegen ein anderes Verfah- ren eingesetzt werden. Das Content Scramble System (CSS) verhindert das Abspielen von DVDs auf Ger ten, die nicht von der CCA autorisiert sind. Dazu erhalten lizen- zierte Hersteller von DVD-Playern, gleich ob Hard- oder Software, von der CCA einen Zugangsschl ssel. Eine DVD gibt ihren Inhalt nur frei, wenn sie im Abspielger t einen aktuell lizenzierten Zugangsschl ssel vorfindet.17 Alle relevanten Schl ssel liegen auf jeder DVD vor, und sie sind nur 40 Bit lang, von denen sich nur jeweils 25 Bit unterscheiden. Fachleuten war klar, dass es sich um kein besonders starkes Kryptografieverfahren handelt – niedrige Kosten standen im Vordergrund.18 Durch schlichtes Ausprobieren ist es in berschaubarer Zeit mçglich, die Schl ssel herauszufinden. Entsprechend tauchte kurze Zeit nach der Markteinf hrung im Internet ein Programm namens DeCSS auf, mit dem sich CSS umgehen und eine verschl sselte DVD auf einem GNU/Linux-Rechner abspielen l sst. 170 Wissenskontrolle durch DRM: von berfluss zu Mangel Nachdem der technische Schutz versagt hatte, kam die n chste Stufe, das Gesetz zum Einsatz. Im ersten Schritt verklagte die DVD-CCA im Dezem- ber 1999 die Betreiber von Websites, die DeCSS zum Download anboten, wegen Verstoßes gegen den Gesch ftsgeheimnisschutz. Ein kalifornisches Gericht lehnte zun chst eine einstweilige Verf gung gegen die Site-Betrei- ber ab. Daraufhin klagte auch die Vereinigung der US-amerikanischen Filmindustrie gegen Anbieter von DeCSS, st tzte sich aber auf den gerade verabschiedeten DMCA. Im Zuge der Aktionen gegen DeCSS wurden Dutzende Prozesse in der ganzen Welt angestrengt. Selbst in Norwegen kam es zu einer Hausdurch- suchung und einer strafrechtlichen Anklage gegen einen damals F nfzehn- j hrigen.19 Entsprechend groß war der Protest und die Solidarit tsbewegung der Internet-Gemeinde. Die Electronic Frontier Foundation (EFF) ber- nahm die Verteidigung der Angeklagten. Auf Hunderten von Websites in der ganzen Welt wurde der DeCSS-Code gespiegelt. In den Gerichts- verhandlungen trat eine eindrucksvolle Phalanx von Technik- und Rechts- experten f r das Recht auf freie Meinungs ußerung und technologische In- novation ein. Als erster Anwendungsfall des neuen Umgehungsverbotes ging es auch um die Interpretation des DMCA. In einer Kette von Urteilen, die sich bis ins Jahr 2004 hinzog, wurde die Klage der DVD-CCA zwar schließlich abgewiesen,20 aber best tigt, dass die Bereitstellung von DeCSS im Internet gegen das Verbot der Umgehung von DRM verstçßt. Der junge Norweger ist im Januar 2003 freigesprochen worden. Regional Code Die Filmindustrie verwertet ihre Produkte traditionell zuerst im Ursprungs- land und dann kaskadenartig in einer Weltregion nach der anderen. Das begr ndete sich im Analogzeitalter aus den beschr nkten Kapazit ten von Kopierwerken. Heute laufen Hollywood-Filme berall auf der Welt gleichzeitig an, und f r DVDs, die auch noch in mehreren Sprachen syn- chronisiert oder untertitelt sind, entf llt dieser Mangel ohnehin. Doch ge- treu der Devise, dass sich nicht alte Gesch ftsmodelle an neue Medientech- nologien anzupassen haben, sondern umgekehrt, reproduziert der Regionencode die berkommene Verwertungskaskade. Die »Regional Code Playback Control« teilt die Welt in sechs Regionen auf. Eine DVD, die f r den Verkauf in Nordamerika (Region 1) bestimmt ist, l sst sich mit einem Player f r Europa (Region 2) nicht abspielen. Zwar lassen sich die Regioneneinstellungen von Playern bis zu f nf Mal umstellen, das 171 Volker Grassmuck hilft aber allenfalls bei einem Umzug. Wer als Europ er sowohl Filme aus Hollywood wie Bollywood in seiner Sammlung hat, wird sich drei Abspiel- ger te zulegen m ssen. Oder andere Wege beschreiten, denn auch f r die Umgehung des Regionencodes finden sich im Internet zahlreiche Anleitun- gen. Macrovision Solange die Information in der digitalen prozessorgesteuerten Umgebung bleibt, wird sie kryptografisch kontrolliert. Doch letztendlich muss sie zur Darstellung an einen in aller Regel analogen Fernseher bergeben werden. Hier setzt Macrovision an, eine Kopierschutztechnik, die f r analoge VHS- Rekorder entwickelt worden ist. Dabei wird ein Korrekturmechanismus im Rekorder, der eigentlich eine bersteuerung verhindern soll, dazu zweck- entfremdet, Kopien unbrauchbar zu machen. Bei DVD-Playern wird Ma- crovision eingesetzt, um eine berspielung auf einen analogen Videorekor- der zu verhindern. Wie zu erwarten, gibt es auch hier Bauanleitungen f r ein Ger t, das zwischen DVD-Player und Videorekorder geschaltet das Ma- crovision-Signal beseitigt. Broadcast Flag Auch der Rundfunk wird digital. Serien, Kinofilme und Videoclips fin- den sich in Tauschbçrsen heute schon zuhauf. Wieder trat die Content- Industrie an einen staatlichen Regulierer heran, um die technologische Lç- sung allen beteiligten Industrien verbindlich vorzuschreiben, doch diesmal nicht an den Gesetzgeber, sondern an die US-amerikanische Regulierungs- behçrde f r Telekommunikation FCC. Tats chlich erließ die FCC die Auflage, dass alle Ger te, die mit digitalem Rundfunk in Ber hrung kommen, ab Juli 2005 eine Markierung im Content-Stream namens Broadcast Flag auswerten m ssen, mit der Rechteinhaber festlegen kçnnen, ob, und wenn ja, auf welchen Ger ten und in welcher Qualit t eine Sendung aufgenommen werden kann. Eine breite Allianz von Verb nden von Verbrauchern, Bibliotheken und anderen zivilgesellschaftlichen Grup- pen in den USA ging gerichtlich gegen die Entscheidung vor und be- kam Recht. In der Berufungsinstanz entschied das Gericht einstimmig, dass die FCC ihr Mandat berschritten hatte und erkl rte die Auflage f r illegal.21 172 Wissenskontrolle durch DRM: von berfluss zu Mangel Bei der n chsten Generation von DVDs treten zwei Industriekonsortien gegeneinander an. Einig sind sie bei der Verwendung des Advanced Access Content System (AACS). AACS erlaubt in der Default-Einstellung nur das Abspielen. Ist das Ger t online, kann der Anbieter weitere Rechte einspie- len, die Bonus-Inhalte freischalten und kontrolliertes Kopieren oder ber- tragen auf andere Ger te erlauben. Hinzu kommen weitere Elemente, die sicherstellen sollen, dass nur autorisiert hergestellte Discs von den Ger ten abgespielt werden kçnnen,22 und zum Einspielen von neuen DRM-Verfah- ren in Ger te, die gehackt worden sind.23 So kompliziert die Techniken im Einzelnen klingen mçgen, so schlicht ist die Logik dahinter: wo immer sich ein Loch im Schutzzaun zeigt, wird ein neues kryptografisches Verfahren aufgesetzt. Da sich auch nach der Markteinf hrung neue Lçcher zeigen und DRM-Verfahren sich als schw cher erweisen als erhofft, gibt es außerdem Mçglichkeiten, st rkere Versionen oder neue DRM-Mechanismen ber das Internet oder den Content selbst in die Hard- und Software bei den Nutzern zuhause ein- zuspielen oder diese, wo selbst das nicht hilft, gewissermaßen per Fern- bedienung von der weiteren Nutzung von gesch tztem Content aus- zuschließen.24 Kopplung durch Technologie-Lizenzvertr ge Der Hauptgegner, vor dem der hçchst wertvolle Inhalt der Filmindustrie mit allen Mitteln gesch tzt werden muss, ist somit der Kunde. Doch auch die Ger teindustrie bereitete den Hollywood-Unternehmen Kopfzerbre- chen. Funktionseinschr nkungen wie der Regionencode sind bei den K u- fern verst ndlicherweise nicht sehr beliebt. Daher bieten Hersteller Ger te an, die den Regionencode nicht auswerten und mit diesem Feature bewor- ben werden. In einem vergleichbaren Fall Anfang der 1990er Jahre wandte sich die Content-Industrie an den US-amerikanischen Gesetzgeber, um eine Kopierschutztechnik f r digitale Audiorekorder gesetzlich vorschreiben zu lassen.25 Nachdem diese Auflage zum schleichenden Tod der vielverspre- chenden DAT-Technologie beigetragen hatte, war ein solcher Schritt Ende der 1990er Jahre nicht mehr opportun. Wo Technik und Gesetz nicht helfen, bleibt als dritter Weg der Vertrag. In der DVD-CCA sind die Unternehmen zusammengeschlossen, die Pa- tente an den einzelnen DRM-Technologien halten und sich bem hen, dass das gesamte Patchwork an Techniken berall zum Einsatz kommt, wo DVDs im Spiel sind. Die DVD-CCA selbst lizenziert nur die Nutzung 173 Volker Grassmuck von CSS. Der Hersteller eines DVD-Players wird CSS allerdings in jedem Fall lizenzieren wollen. Da alle kommerziell auf DVD vertriebenen Filme mit CSS verschl sselt sind, w re ein Ger t ohne CSS unverk uflich. Der umfangreiche CSS-Lizenzvertrag verpflichtet nun den Lizenznehmer, auch die anderen DRM-Elemente wie Macrovision und Regionencode vom jeweiligen Patentinhaber zu lizenzieren und in seine Ger te einzu- bauen. Tut er das nicht, macht er sich vertragsbr chig. Diese Form der ver- traglichen Kopplung ist in der DRM-Branche blich, wie Stefan Bechtold, Informationsrechtler an der Universit t T bingen, herausgearbeitet hat: »Es zeigt sich, dass DRM-Technologie-Lizenzvertr ge umfangreiche Bestim- mungen enthalten, durch die sichergestellt werden soll, dass die lizenzierten DRM-Komponenten gekoppelt werden, so dass insgesamt in Endger ten ein durchg ngig hohes Schutzniveau gew hrleistet ist.«26 Damit hat sich in den vergangenen Jahren eine weitere Strukturschicht neben den f r Fragen der Gesamtstrategie gedachten industrie bergreifenden Konsortien (SDMI, DVD CCA) und den technischen Foren (z.B. die Copy Protection Tech- nical Working Group (CPTWG)27) herausgebildet. Lizenzvergabe und -ver- waltung sind Dienstleistungen, die sich an Hard- und Softwarehersteller, Content-Produzenten und -Wiederverk ufer richten. Die Patenthalter mçchten die komplexen Transaktionen mit einer F lle von Industriekun- den ausgliedern. Diese wiederum sind interessiert, nicht jede einzelne DRM-Technologie vom jeweiligen Eigent mer, sondern alles aus einer Hand lizenziert zu bekommen. Der MPEG Licensing Administrator, LLC (MPEG LA28) ist ein solcher Anbieter von Patentportfolios f r bestimmte Technologien. Gegr ndet wurde er 1997 von den Patentinhabern am MPEG-2 Videostandard. Eine solche Ganz-oder-gar-nicht-Lizenzierung ist, wie wir bei CSS gesehen haben, ein effektives Instrument, um einen einheitlichen Standard durch- zusetzen. Es ist dar ber hinaus beraus eintr glich f r alle, die den MPEG LA davon berzeugen, dass ihr Patent »wesentlich« ist f r den jeweiligen Standard, und daher an jeder einzelnen Implementierung des Standards mit- verdienen. Im Oktober 2003 k ndigte der MPEG LA, der sich jetzt bereits selbst- bewusst als »Weltf hrer f r Patentlizenzierung von Technologieplattformen aus einer Hand« bezeichnete, an, k nftig auch DRM-Technologie lizenzie- ren zu wollen. Da es im Gegensatz zur Videokodierung bei DRM noch keinen Standard gibt, begann er damit, ein eigenes »DRM-Referenzmodell« zu entwickeln. So viele Patente wie mçglich, die gemessen an diesem Re- ferenzmodell als »wesentlich« erachtet werden, sollen in die einheitliche Portfoliolizenz eingebracht werden. 174 Wissenskontrolle durch DRM: von berfluss zu Mangel 4. Handies: st rkeres DRM als im Internet? »Die verzçgerte Markteinf hrung von DRM hat das Internet als profitablen Mediendistributionskanal kaputt gemacht. Die mobile Industrie sollte nicht denselben Fehler begehen.« (Beep Science) Mobiltelefone sind die grçßte medientechnologische Erfolgsgeschichte nach dem PC. Schon fr h verband sich damit die Hoffnung, neben Telefonie und kurzen Textbotschaften weitere Dienste durchsetzen und das Handy als Auslieferungskanal f r Inhalte etablieren zu kçnnen. Die Euphorie ber die schnelle Verbreitung von UMTS ist zwar inzwischen abgeklungen, die Umsatzerwartungen f r mobile multimediale Informationen wurden nach unten korrigiert, doch f r 2006 betragen sie immer noch stattliche 7,6 Milliarden Euro weltweit.29 Im Gegensatz zu PC und Internet ist Mobiltelefonie als geschlossene, propriet re Architektur mit einer engen Kopplung von Endger ten, Netz und Bezahlkanal ber die Telefonrechnung entstanden. Jedes Endger t verf gt mit der SIM-Karte (Subscriber Identity Modul) ber eine weltweit einmalige Kennung, die ber die Telefonrechnung einem individuellen Nutzer zugeordnet ist. F r eine Transaktion, z.B. die Bestellung eines Klin- geltons, reicht eine SMS. Der Netzbetreiber schickt darauf hin den Inhalt, z.B. ein zurecht gestutztes Musikst ck, an das Endger t und verbucht ihn auf der Telefonrechnung des Kunden. Damit dieser den Klingelton nicht an seine Freunde weitergeben kann, hat Nokia mit dem so genannten Forwarding-Lock einen ersten schlichten, aber dank einer propriet ren Umgebung wirkungsvollen DRM-Kontrollmechanismus in seinen Hand- Sets eingef hrt. Klingeltçne Klingeltçne haben die angeschlagene Musikindustrie in eine neue Gold- rauschstimmung versetzt, auch wenn sie anfangs die Mobiltelefonie als neues Napster tituliert und Millionenverluste durch nicht bezahlte Klingeltçne vermeldet hatte. 2004 wurden daf r in Deutschland rund 183 Millionen Euro ausgegeben, 300 Millionen US$ in den USA und 4 Milliarden US$ weltweit.30 War ein einstimmiger Ton vor einigen Jahren noch f r 30 oder 40 Pfennig zu haben, werden heute schon Realtones – also Mitschnitte des Originalsongs in MP3- hnlicher Qualit t – f r 5 Euro angeboten. Die Dau- 175 Volker Grassmuck erbewerbung in Musikkan len hat Musikst cken bereits in die Charts ver- holfen. Mittlerweile gibt es sogar eigene Charts f r Klingeltçne.31 Die Ein- nahmen teilen sich Rechteinhaber, Netzbetreiber und Verk ufer zu jeweils einem Drittel. Auf demselben Weg werden auch Bilder und Spiele f r das Handy-Display verkauft. Wer sein Handy mit eigenen Tçnen klingeln lassen mçchte, kann bei vielen Ger ten MIDI oder MP3-Dateien aufspielen. Daf r kçnnen auch ausgelesene St cke von kommerziellen CDs verwendet werden. Die Pri- vatkopieschranke des Urheberrechts erlaubt dies, sofern man sie nicht ver- kauft oder außerhalb des Familien- und Freundeskreises weitergibt. Wer will da noch 5 Euro f r einen Klangschnipsel ausgeben? Einige Netzbetrei- ber und Ger tehersteller sehen ihren Markt in Gefahr und sch tzen ihn mit Hilfe von DRM. Dieses unterbindet, dass bestimmte Handies Klingeltçne abspielen, die nicht offiziell vom Netzbetreiber erworben und entsprechend verschl sselt wurden. Die Hand-Sets werden immer leistungsf higer. Mit st rkeren Prozesso- ren, farbigen, hçherauflçsenden Bildschirmen und Festplatten lassen sie sich als MP3-Player benutzen und sie kçnnen Streams empfangen. F r die Con- tent-Industrie verbindet sich damit die Hoffnung, das Handy als neue Platt- form f r Download-Dienste und den Empfang von Radio- und TV-Pro- grammen zu etablieren. Mobiles DRM: OMA Voraussetzung daf r, dass sie ihren Content in diesem Format anbieten, ist jedoch seine technische Absicherung mit Hilfe von DRM. Da es sich heute um kostspieligeren Inhalt handelt als piepsende MIDI-Versionen von Pop- songs, soll die Technologie st rker und komplexer sein als Nokias For- warding Lock. Und wenn der Mobilmarkt einheitlich erschlossen werden soll, m ssen Formatkriege unterbunden und Standards gefunden wer- den, die eine mçglichst breite Akzeptanz unter den beteiligten Industrien erreichen. Zu diesem Zweck schlossen sich im Juni 2002 fast 200 Unternehmen, darunter Endger tehersteller, Netzbetreiber, IT-Unternehmen und die Content-Branche, zusammen, um die Open Mobile Alliance (OMA) zu gr nden.32 Die Arbeitsgruppen dieses Forums entwickeln Spezifikationen f r alle Aspekte des M-Commerce. Im Zentrum steht jedoch ein DRM- Szenario, das allen Diensten zugrunde liegen und eine Interoperabilit t der verschiedenen Anbieter ermçglichen soll.33 176 Wissenskontrolle durch DRM: von berfluss zu Mangel Im Oktober 2002 verabschiedete das Konsortium die OMA DRM Spe- zifikation 1.0, die sich vor allem auf Klingeltçne und Multimedia-Messages (MMS) beziehen.34 Einer der drei darin spezifizierten Mechanismen ist das bereits behandelte Forward-Lock. Es macht aus dem Handy einen Einweg- beh lter, in den Anbieter kontrolliert Nachrichten, Bilder, Kl nge und Java- Games laden kçnnen, die benutzt werden, aber nicht wieder herauskommen kçnnen. Eine komplexere Nutzungskontrolle ermçglichen die anderen bei- den Mechanismen. Bei »Combined Delivery« werden zwei Objekte an das Handy geschickt: die eigentlichen Daten und die jeweiligen Rechte, z.B. die Erlaubnis, ein Musikst ck, einmal oder eine Woche lang anzuhçren. Rights Expression Languages Das Vokabular, mit dem Rechteinhaber ausdr cken, was ihre Kunden mit den Werken machen d rfen, ist ein Kernelement einer jeden DRM-Archi- tektur. Wie oft oder in welchem Zeitraum darf eine Datei geçffnet werden? Darf sie auf einen MP3-Player bertragen werden? Darf ein Text oder ein Bild ausgedruckt werden? Damit kçnnen das Vorhçren von Musikst cken, Abonnements von Periodika, ein Pay-per-use einer Enzyklop die, nur einmal wahrnehmbare Promo-Versionen und andere Gesch ftsmodelle formuliert werden. Die in einer solchen Rights Expression Language (REL) ausgedr ckten Bedingungen stellen die elektronische Version des Nut- zungsvertrags dar, dessen Einhaltung vom DRM-System durchgesetzt wird. Unter den RELs gibt es zwei große Vertreter. Die eXtensible rights Markup Language (XrML) hat auf dem PC die grçßte Verbreitung. XrML wurde unter der Leitung von Mark Stefik am Xerox PARC entwickelt und dann an die eigens zur Verwertung der Ergebnisse der DRM-Forschung von Xerox ausgegr ndete Firma ContentGuard bertragen, die derzeit Mi- crosoft, Time Warner und Thomson gemeinsam gehçrt. Inzwischen ist XrML Teil des von der ISO standardisierten DRM-Frameworks MPEG-21 geworden. Die OMA hat sich, um nicht in das Fahrwasser von Microsoft zu geraten, f r die zweite REL, die Open Digital Rights Language (ODRL) entschie- den.35 Auch ODRL verwendet das XML-Format. Im Gegensatz zum pa- tentierten XrML steht es jedoch im Geist von freien und offenen Standards lizenzfrei zur Verf gung. Auch das World Wide Web Consortium (W3C), das ber die Offenheit der Internet-Standards wacht, hat ODRL wenn auch noch nicht als Standard, so doch als »Notiz« verçffentlicht.36 Das Vokabular von ODRL ist von vornherein nicht nur auf die Interessen der kommer- 177 Volker Grassmuck ziellen Rechteinhaber ausgelegt, sondern auch darauf, die Bedingungen freier Lizenzen wie die des Creative Commons Projektes37 auszudr cken.38 Da XrML und ODRL beide auf XML aufbauen und hnliche Elemente umfassen, ist es mçglich, die beiden ineinander zu bersetzen. Superdistribution ZurWeitergabe, die die ersten beiden OMA-Mechanismen verhindern, soll der dritte die Kunden gerade anregen. Beim »Separate Delivery« wird das Rechteobjekt ber einen separaten Kanal ausgeliefert, wobei Daten und Rechte von verschiedenen Anbietern kommen kçnnen. Ein K ufer kann das verschl sselte Datenobjekt an einen Freund senden. Versucht der es zu çffnen, stellt es eine Verbindung zum zentralen Server des Anbieters her und zeigt ihm an, zu welchem Preis er welche Nutzungsrechte daran erwerben kann. Best tigt er die Transaktion, bekommt er sein eigenes Rechteobjekt zugeschickt, das den Inhalt nutzbar macht. Dieses Gesch ftsmodell wird als »Superdistribution« oder auch als virales oder Peer-to-Peer (P2P) Marketing bezeichnet. Wort und Idee der Super- distribution gehen zur ck auf das Jahr 1987 und auf Ryoichi Mori, damals Vorsitzender des Japanischen Verbandes f r die Entwicklung der Elektro- nikindustrie.39 Er ging von der Beobachtung aus, dass es Menschen Vergn - gen bereitet, Musik, Bilder, Texte, die sie ber hrt haben, an Freunde wei- terzugeben. Statt gegen die menschliche Natur anzugehen, wollte Mori sie nutzbar machen. Sein Modell verzichtete vçllig auf Kopierschutz, wenn auch nicht auf technische Kontrollen. Es sollte Nutzern erlauben, ja sie dazu einladen, die Software zu kopieren und weiterzugeben. Die Empf nger kçnnten das Programm jedoch nur auf einem Rechner verwenden, der mit einer kryptografischen Zusatz-Hardware ausgestattet ist. Mit Hilfe dieses Moduls w rde die Superdistributions-Software z hlen, wie oft die Software verwendet wird und diese Information in einem gesch tzten Speicher ab- legen. Sie w rde regelm ßig an eine Verwaltungsorganisation bertragen, die je nach individueller Nutzung eine Rechnung ausstellt und den einkas- sierten Betrag unter den Berechtigten aufteilt. Moris Superdistributions- Modell stellt einen Wechsel von Pay-per-Copy zu Pay-per-Use dar. Dieses traumhafte Gesch ftsmodell, bei dem die Kunden die Rolle von freiwilligen und unbezahlten Vertriebspartnern der Content-Industrie ber- nehmen, diese aber die volle Kontrolle ber ihre Waren beh lt, geistert seit f nfzehn Jahren durch die DRM-Debatte. Bl ten getragen hat es bislang in drei Bereichen. Das sind zum einen klassische Download-Angebote, die 178 Wissenskontrolle durch DRM: von berfluss zu Mangel K ufer zu »Affiliierten« machen, wie Amazon, iTunes, Napster oder Passa- long.40 In j ngster Zeit kommen so genannte legale Tauschbçrsen hinzu, also klassische P2P-Systeme, in denen Musikst cke anhand ihres »Finger- abdrucks« erkannt und dann in Rechnung gestellt werden kçnnen.41 Doch am weitesten hat sich Superdistribution f r Klingeltçne im Mobilbereich verbreitet. Die im Februar 2004 vorgelegte Version 2.0 der OMA DMR Spezifi- kationen enth lt neue Sicherheitsmerkmale. So sollen sich Rechteanbieter und Endger t mit Hilfe einer çffentlichen Schl sselinfrastruktur wechselsei- tig authentifizieren. Content kann nicht nur an ein einzelnes, sondern an eine Gruppe von Ger ten, z.B. in einem Haushalt, gekoppelt werden, die sich mit einem gemeinsamen Dom nenschl ssel ausweisen. Eine Vorschau- funktion ist hinzugekommen und Audio- und Video-Streams auf dem Handy werden nun auch von DRM erfasst. Die neuen Spezifikationen sind allerdings derzeit noch nicht in Telefonen oder Diensten umgesetzt. So ist der mobile Content-Handel f nffach gegen unterschiedliche Ge- fahrenquellen abgesichert: 1. durch den Lizenzvertrag mit den Ger teher- stellern, der zum Einsatz der gesamten DRM-Infrastruktur verpflichtet, 2. durch die Schl sselzertifikate, die bei Verstçßen entzogen werden, 3. durch die patentrechtlichen Verbotsrechte, 4. durch die DRM-Technologie selbst, die die Mçglichkeiten der Endnutzer einschr nkt, und 5. durch das urheberrechtliche Verbot, diese Technologie zu umgehen. 5. Die Nutzer »Trusted Systems setzen voraus, dass der Verbraucher unehr- lich ist.«42 DRM ist das in Technologie gegossene Misstrauen gegen ber den Nutzern. Es beruht auf einem Angreifermodell, bei dem der Kunde, dem das Endger t und das Medium gehçrt, der Feind ist. Zugleich heißt es gebetsm hlenhaft in s mtlichen Verçffentlichungen der DRM-Branche, dass in erster Linie er es sei, f r den sie sich den ganzen rger mache. Hier z.B. die Fassung des CMLA: »Verbraucher werden von der erwarteten Verf gbarkeit von auf- regenden Premium-Inhalten und der Einf hrung von neuen Nutzungs- modellen profitieren, die der CMLA durch seine vertrauensw rdige DRM- Umgebung ermçglichen mçchte. Der CMLA ist gegr ndet worden, um den lang erwarteten Wunsch des Verbrauchers [sic!] zu verwirklichen, Zu- 179 Volker Grassmuck gang zu ihren bevorzugten Inhalten (so wie Musik, Video-Clips und Spiele) in Ger ten zu haben, die daf r entworfen worden sind, ihre Nutzererwar- tungen zu erf llen.«43 Dahinter steht nat rlich der lang gehegte Wunsch, dass der Kunde einen mçglichst hohen Umsatz produzieren mçge. Die Voraussetzung daf r ist, dass ihm die Mçglichkeit genommen wird, statt Musik immer wieder neu in Formaten zu kaufen, die die Produzentenerwartungen erf llen, sie einfach aus der eigenen CD-Sammlung oder aus demRadio z.B. als Klingelton oder als MP3-St ck aufs Handy zu spielen, dass also der Mangel, den die digitale Revolution abgeschafft hat, mit Hilfe von DRMneu etabliert wird. Dass der Kunde zum Gegner wird, hat seine Entsprechung im eingangs genannten grundlegenden Paradox, dass das Gesch ft der Verleger darin besteht, Zu- gang zu verhindern statt ihn anzubieten. Zuweilen f llt es schwer, sich nicht an Orwellschen Neusprech (»Krieg ist Frieden«) erinnert zu f hlen. Dass uns mehr Geld und mehr Rechte abge- nommen werden, liege in unserem ureigensten Interesse, denn wenn die Industrie mehr an uns verdient, biete sie uns auch mehr Produkte an. Un- wirksame Technologie wird als »wirksame technische Maßnahme« vomGe- setz gesch tzt. Der Staat soll gleichzeitig das Urheberrechtsmonopol und den freien Markt sch tzen. Die Beschr nkung von Optionen f hrt zu mehr Optionen.44 Einschr nkung ist Freiheit.45 Aus der paradoxen Grund- konstellation vom Kunden als Gegner ergeben sich die schwerwiegenden strukturellen Probleme von DRM:46 – Die Kosten f r die großindustrielle DRM-Infrastruktur tragen letztlich die Kunden. – Der Datenschutz und das Recht auf anonymen Medienkonsum47 werden von DRM systematisch ausgehçhlt.48 – Die Sicherheit, die DRM-Systeme angeblich erhçhen sollen, wird durch eine F lle neuer Angriffskan le gef hrdet.49 – DRM schafft das Urheberrecht ab, das bislang auch die Interessen der Informationsnutzer z.B. an einer zustimmungsfreien Privatkopie gesi- chert hat, und ersetzt es durch private Regelungen und Verg tungen.50 Bildet der Kunde als Gegner den Hauptkampfplatz von DRM, so ist die weitere Entmachtung der Urheber und ihrer kollektiven Interessenver- tretungen sein zweites Ziel. – Freie Software, die sich wachsender Beliebtheit erfreut, wird von DRM ausgeschlossen, denn dieModifikationsfreiheit, auf der sie beruht, soll mit Hilfe von DRM ja gerade verhindert werden. – Die Innovationsfreiheit wird in einer von DRM durchzogenen, auf Rechtekontrolle hin optimierten, von Umgehungsverbot, Patentanspr - 180 Wissenskontrolle durch DRM: von berfluss zu Mangel che, Technologielizenzen und Marktkonzentration kontrollierten IT- Landschaft stark eingeschr nkt. – DRM bedroht die informationelle Nachhaltigkeit. Zur langfristigen Be- wahrung m ssen Daten regelm ßig kopiert und konvertiert und ihre Laufumgebungen emuliert werden, was DRM gerade verhindern soll. – DRM verhindert die berbr ckung der digitalen Spaltung. Das interna- tionale Urheberrecht erkennt Entwicklungsl ndern besondere Nut- zungsprivilegien zu, die die Rechteindustrie mit Hilfe von DRM aus- schalten kann. Zugleich macht DRM Inhalteanbieter abh ngig von Technologiefirmen in der ersten Welt.51 Und w hrend die sch dlichen Effekte von DRM real sind, h lt es nicht einmal, was sich seine Betreiber davon versprechen. Den Technikern zu- folge, die es eigentlich am besten wissen m ssten, ist DRM nutzlos,52 dumm53 und vergeblich.54 Macht nichts, sagen die Marketingleute derselben Unternehmen, es reicht aus, wenn es einen Großteil der Menschen von unauthorisierten Nutzungen abh lt. Falsch, sagt das so genannte »Darknet- Papier«: Wenige Experten, die ein DRM knacken kçnnen, bedeutet nat r- lich nicht, dass auch nur wenige freigesetzte Werke zirkulieren. Vielmehr l sst sich eine Umgehung in ein Programm gießen, das dann ohne Exper- tenwissen von allen zu bedienen ist.55 Kurz: »DRM b rdet der ffentlich- keit, den auff hrenden K nstlern und den Urhebern, den Lehrern und kul- turellen Einrichtungen schreckliche Kosten auf, und es bietet daf r keinerlei Vorteile. DRM ist ein System, um den K nstlern und Urhebern und der ffentlichkeit weniger Freiheit zu liefern, aber daf r mehr Geld zu verlan- gen. Es ist nichts als Kosten ohne jeden Gewinn.«56 6. Clash of Cultures Die Frage, wer dasWissen kontrolliert, wird zunehmend zu der Frage danach, wer die technologische Umwelt kontrolliert, in der das digitalisierte Wissen existiert. Die digitale Revolution hat einen Clash of Cultures ausgelçst, den Mike Godwin auf die Formel »Hollywood Versus the Internet« gebracht hat. Auf der einen Seite stehen die Industrien der alten Medien, die ihre Kunden als »Konsumenten« ansehen, auf der anderen stehen die Informatikindustrien, die ihre Kunden als Anwender oder Nutzer sehen. Hier herrscht die Struktur der Massenmedien mit zentralen Sendern und passiven, allenfalls »superdis- tribuierenden« Konsumenten. Dort ein Produktionswerkzeug mit einem Netzwerk, in dem jeder Empf nger auch ein Sender ist. Hier werden Couch- 181 Volker Grassmuck potatoes mit Medienkonserven gef ttert, dort tr gt man zum Empowerment, einer Bef higung und Aktivierung der Nutzer bei. »DRM berall dort [in die Architektur des PCs] einzubauen, – zu beschr nken, wie Computer ihre Basisfunktionen aus ben –, erscheint der Tech-Fraktion beinah wie die Be- m hung, aus dem Computer etwas anderes als einen Computer zu machen – ein digitales Haushaltsger t vielleicht, oder etwas mit einem besonderen An- wendungsgebiet, wie ein Toaster. Eine solche Bem hung h tte zum Ergeb- nis, dass die Philosophie der Nutzer-Erm chtigung, die die PC-Revolution zuallererst voran getrieben hat, ungeschehen gemacht w rde.«57 Noch widersetzt sich der PC seiner Umwandlung von einem frei programmierbaren Allzweck-Computer in einen Verkaufskanal der Unter- haltungsindustrie. Anders sieht es bei Special-Purpose Plattformen aus, wie Set-Top Boxen, Spielekonsolen und Handies. Besonders im boomenden Mobilmarkt prallen die beiden Kulturen derzeit aufeinander. Wird das Ter- minal f r den Zugang zum M-Space ein DRM-kontrolliertes Handset sein oder eine UMTS-Karte im Laptop? Wer wird in der Konvergenz von Mo- biltelefonie, Digitalmedien und Massenmedien den Ton angeben? Konver- gieren die drei zu einem interaktiven Shopping-Kanal oder wird das Funk- netz zu nichts als einem weiteren Bestandteil des offenen Internet? Letztlich werden die Nutzer entscheiden. Meine Vermutung ist, dass an der an PC und Internet gebildeten Medienkompetenz und Erwartungshal- tung kein Digitalmedium vorbei kommen wird. Dies wird von ersten Un- tersuchungsergebnissen best tigt. Eine Umfrage aus dem Februar 2005 unter 4852 Internet-Nutzern in sieben europ ischen L ndern ergab, dass diese kein DRM wollen. Selbst wenn Produkte mit Nutzungsbeschr nkungen nur halb so teuer w ren, wie uneingeschr nkte, zieht eine deutliche Mehr- heit der Befragten ihre Freiheit vor.58 Techniker und digital kompetente Vertreter der Unterhaltungsindustrie wissen das auch ohne Umfragen. Das Darknet-Papier ist berzeugt, dass sich am Ende dieses technologischen Irrwegs die Erkenntnis durchsetzen werde: »Wenn du mit dem Darknet konkurrierst, musst du das zu den Bedingungen des Darknets selbst tun: d.h. Bequemlichkeit und geringe Kosten, statt zu- s tzliche Sicherheit.«59 Zum selben Schluss kam der Berliner Medienberater Hubert Gertis bei seiner Geschichte des Musikmarktes auf einem DRM- Symposium: »Don’t sue the ocean, surf the waves!«60 Anmerkungen 1 WIPO SCCR/10/2 (2003). 2 Clark (1996). 182 Wissenskontrolle durch DRM: von berfluss zu Mangel 3 Kreile (1998), S. 6. 4 Vgl. Grassmuck (2002), S. 130 ff. 5 Die Bezeichnung wurde von Richard Stallman gepr gt; siehe: [http://www.gnu. org/philosophy/words-to-avoid.html#DigitalRightsManagement]. 6 Screenshots der gesperrten Optionen finden sich heute noch im Internet, z.B. hier: [http://www.pigdogs.org/art/adobe.html]. 7 F r eine bersicht der europ ischen DRM-Projekte seit 1987 vgl. INDICARE (2004), S. 6 ff. 8 Die US Libert ren lehnen »geistigen Protektionismus« in der Regel ab. Vgl. Long (1995). 9 »Sie [die Rechteinhaber] erkannten ferner, dass alle diese Bem hungen wirkungslos sein w rden, wenn nicht das Gesetz selbst st rkeren Schutz f r diese Prozesse und Systeme bçte.« (WIPO SCCR/10/2 2003). 10 WIPO Copyright Treaty 1996: [http://wipo.int/treaties/en/ip/wct/]. 11 WIPO Performances and Phonograms Treaty 1996: [http://wipo.int/treaties/en/ip/ wppt/]. 12 [http://www.copyright.gov/legislation/dmca.pdf]. 13 [http://europa.eu.int/eur-lex/pri/de/oj/dat/2001/l_167/l_16720010622de00100019. pdf]. 14 [http://www.bmj.bund.de/media/archive/126.pdf]. 15 Bechtold (2002), S. 269 ff. 16 Hilty (2003), S. 52 f. 17 Genauer: CSS beruht auf einem einmaligen Master-Schl ssel, der mit einem Zugangs- schl ssel verschlossen wird. Die lizenzierten Hersteller von DVD-Playern, gleich ob Hard- oder Software, erhalten von der CCA Zugangsschl ssel aus einem Satz von etwa 400 St ck. Jede DVD enth lt 400 Kopien des Master-Schl ssels, kryptiert mit jedem der 400 Zugangsschl ssel. Das CSS-Modul des Players versucht nun, die DVD mit seinem Schl ssel zu çffnen. Gelingt es, das heißt ist die Ger telizenz nicht widerrufen worden, indem der entsprechende Schl ssel von allen neu produzierten DVDs entfernt worden ist, gibt die DVD den Master-Schl ssel zusammen mit den f r die DVD und die einzelnen Titel (z.B. eine Videosequenz) spezifischen Schl sseln frei und die Ent- schl sselung der eigentlichen Daten beginnt. Schließlich m ssen diese noch aus dem MPEG-2 Format dekodiert werden, bevor sie endlich dargestellt werden. CSS ver- hindert also keineswegs die Erstellung von bitgetreuen Kopien einer DVD, sondern das Abspielen von DVDs auf Ger ten, die nicht von der CCA autorisiert sind. 18 Die Content-Industrie machte deutlich, dass sie Kopierschutz f r die Aufgabe der Ger teindustrie h lt und nicht bereit ist, sich an den Kosten zu beteiligen. Es ist daher verst ndlich, dass das oberste Designziel der Entwickler nicht die Wirksamkeit von CSS, sondern niedrige Implementierungskosten war. 19 [http://www.eff.org/IP/Video/Johansen_DeCSS_case/]. 20 [http://www.eff.org/IP/Video/DVDCCA_case/20040122_eff_pr.php]. 21 [http://www.eff.org/broadcastflag]. 22 Eine weltweit einmalige Kennung f r jede Disc, die holografisch und nicht als Teil der Daten aufgebracht wird. 23 Wenn das AACS gehackt worden ist, kçnnen einzelne Ger te unbrauchbar gemacht werden, bis sie ein neues DRM-Verfahren heruntergeladen haben. S. Blu-ray Group Announces Content Protection Strategy, DRM Watch, 11. August 2005: [http:// www.drmwatch.com/drmtech/article.php/3526796]. 183 Volker Grassmuck 24 Microsoft setzte hier ein ber chtigtes Beispiel. Wer den Windows Media Player installiert, willigt in die Lizenzbedingung ein, dass Microsoft jederzeit ungefragt und ohne Wissen des Nutzers ber das Internet Updates in das Betriebssystem ein- spielen kann. Mit erheblichen Folgen: »Diese sicherheitsbezogenen Updates kçnnen Ihre Mçglichkeiten ausschalten, Secure Content zu kopieren oder abzuspielen und andere Software auf Ihrem Computer zu benutzen.« (Microsoft, Windows Media Player EULA) 25 § 1002 US Copyright Act schreibt das Serial Copy Management System (SCMS) f r digitale Audiorekorder vor, das dem CGMS der DVD-Spezifikation entspricht. 26 Bechtold (2002), S. 189. Zu Technologie-Lizenzvertr gen ausf hrlich ebd., S. 178 ff. 27 [http://www.cptwg.org/]. 28 [http://www.mpegla.com/]. 29 Nach einer Marktstudie von LogicaCMG: [http://www.logicacmg.com/pressroom/ press_releases/press_releases.asp?display=detailSeptember 2004: [http://www.consect. com/company_press_announce_20040922.html]. 31 Z.B. [http://www.billboard.com/bb/charts/airplay/ringtones.jsp] nach den Ver- kaufszahlen, die der Marktforscher Nielsen Mobile meldet. 32 [http://www.openmobilealliance.org]. 33 S mtliche OMA DRM-Dokumente finden sich hier: [http://member.openmobile- alliance.org/ftp/Public_documents/BAC/DLDRM/Permanent_documents]. 34 [http://www.openmobilealliance.org/docs/DRM %20Short %20Pa- per %20DEC %202003 %20.pdf]. 35 [http://odrl.net/]. 36 [http://www.w3.org/TR/odrl]. 37 [http://creativecommons.org]. 38 http://odrl.net/Profiles/CC/SPEC.html]. 39 Eine grçßere ffentlichkeit erreichte Mori mit seinem Artikel »What Lies Ahead« in der Ausgabe der Zeitschrift Byte vom Januar 1989. Hier beziehe ich mich auf Mori/ Kawahara (1990). 40 [http://passalong.com] bietet neben dem Button »Buy it« einen weiteren an: »Share it«. Kontrolliert durch Microsoft’s playsforsure-Technologie kçnnen Nutzer damit Kreditpunkte sammeln, mit denen sie weitere Downloads kaufen kçnnen. Ein wei- terer gerade gestarteter Dienst ist [http://www.peerimpact.com]. 41 Die bekanntesten sind [http://www.imesh.com und http://www.mashboxx.com]. 42 Stefik (1996). 43 [http://www.cm-la.com/qa/]. 44 »Die F higkeit von Content-Besitzern, die Verwendung ihrer Werke zu beschr nken, kçnnte zu einer grçßeren Zahl von Optionen und einem breiteren Spektrum von Wahlmçglichkeiten f r die Verbraucher f hren.« (Einhorn/Rosenblatt 2005, S. 3). 45 »Die F higkeit, den Wert einer jeden Dienstleistung in Geld umzum nzen, kçnnte die Hersteller dazu f hren, eine große Zahl von Verbraucherrechten anzubieten, die die gesetzlichen Schrankenbestimmungen (Fair Use) nicht abdecken.« (Ebd., S. 8.) 46 Zur Kritik an DRM und zu einem Alternativmodel vgl. Kompensation ohne Kon- trolle (2004). 47 Vgl. Cohen (1996) und Dix (2002). 48 Die WIPO-Experten lassen daran keinen Zweifel: »Es gibt sehr reale und verst nd- liche Bef rchtungen ber das Ausmaß, in dem jegliche DRM-Infrastruktur, die Wirksamkeit beim Schutz von geistigem Eigentum zeigt, zugleich ein vollst ndig 184 Wissenskontrolle durch DRM: von berfluss zu Mangel unakzeptables Eindringen in das private und gesch ftliche Leben der Menschen be- deutet.« (WIPO SCCR/10/2 2003) 49 Die zahlreichen Online-Operationen (Erstlizenzierung, Authentifizierung, Lizenz- auffrischung, Widerrufung usw.) bieten auch Trojanern, Viren und anderen Sch d- lingen Zugang, wie ein Befall des Windows Media Players im Januar 2005 zeigte. Microsofts Antwort: it’s not a bug, it’s a feature. (Microsoft: No flaw in Media Player, ZDNet Asia 17.1.2005, [http://www.zdnetasia.com/news/security/0,39044215, 39213482,00.htm]). 50 Vgl. Bechtold (2002), S. 269 ff. und Hilty (2003), S. 52 f. 51 Vgl. Electronic Frontier Foundation u. a. (2005). 52 Biddle u. a. (2002). 53 »Meine persçnliche Meinung (ohne f r IBM zu sprechen) ist, dass DRM dumm ist, weil es niemals wirksam sein kann und weil es bestehende Verbraucherrechte weg- nimmt.« (Safford 2002) 54 »Digitale Dateien kçnnen genausowenig unkopierbar gemacht werden, wie man Wasser dazu bringen kann, nicht nass zu sein.« (Schneier 2001) 55 Biddle u. a. (2002). 56 Electronic Frontier Foundation u. a. (2005); vgl. auch Gilmore (2001). 57 Godwin (2002). 58 INDICARE (2005). 59 Biddle u. a. (2002). 60 Auf dem Symposium »DRM und Alternativen« (2004). Literatur Bechtold, Stefan (2002): Vom Urheber- zum Informationsrecht. Implikationen des Digital Rights Management, M nchen. Biddle, Paul/England, Peter/Peinado, Marcus/Bryan Willman, Bryan (Microsoft Cor- poration) (2002): The Darknet and the Future of Content Distribution. 2002 ACM Workshop on Digital Rights Management, 18. November 2002, Wa- shington/DC, http://crypto.stanford.edu/DRM2002/darknet5.doc Clark, Charles (1996): The Answer to the Machine is in the Machine, in: Bernt Hugenholtz (Hrsg.): The Future of Copyright in a Digital Environment, Den Haag u. a., S. 139–148. Cohen, Julie E. (1996): A Right to Read Anonymously: A Closer Look at »Copy- right Management«, in: Cyberspace, 28 Conn. L. Rev 981, http://papers. ssrn.com/sol3/papers.cfm?abstract_id=17990 Dix, Alexander (2002): Digitales Urheberrechts-Management (DRM) und Daten- schutz. Statement auf der Konferenz »II. Digital Rights Management 2002«, Berlin, 30. Januar 2002, http://www.lda.brandenburg.de/sixcms/media.php/ 2473/drm.pdf Einhorn, Michael A./Rosenblatt, Bill (2005): Peer-to-Peer Networking and Digital Rights Management. HowMarket Tools Can Solve Copyright Problems, Cato Institute, Policy Analysis No. 543, 17. Februar 2005, http://www.cato.org/ pub_display.php?pub_id=3670 185 Volker Grassmuck Electronic Frontier Foundation (EFF) u. a. (2005): Digital Rights Management: A failure in the developed world, a danger to the developing world. Eingabe der EFF und anderer zivilgesellschaftlicher Organisationen an die ITU, M rz 2005, http://www.eff.org/IP/DRM/drm_paper.pdf Gilmore, John (2001): What’s Wrong With Copy Protection, 16 Februar 2001, http://www.toad.com/gnu/whatswrong.html Godwin, Mike (2002): Hollywood versus the Internet, updated 12.6.2002, http://cryptome.org/mpaa-v-net-mg.htm Grassmuck, Volker (2002): Freie Software. Zwischen Privat- und Gemeineigentum, Bonn 2002. Hilty, Reto (2003): Urheberrecht im digitalen Dilemma, in: Max-Planck-For- schung 2/2003, S. 48–53. INDICARE (2004), state-of-the-art-report, Dezember 2004, http://www.indica- re.org/tiki-download_file.php?fileId=60 INDICARE (2005), Digital Music Usage and DRM. Results from an European Consumer Survey, 24. Mai 2005, http://www.indicare.org/survey Kompensation ohne Kontrolle (2004). Stellungnahme zum Zweiten Korb der No- vellierung des Urheberrechtsgesetzes, privatkopie. net und weitere zivilgesell- schaftliche Organisationen, Berlin, 21. Juni 2004. Kreile, Reinhold (1998) in: GEMA News, 157, 1998. Long, Roderick T. (1995): The Libertarian Case against Intellectual Property Rights, Formulations Herbst 1995, http://libertariannation.org/a/f31l1.html Mori, Ryoichi/Kawahara, Masaji (1990): Superdistribution. The Concept and the Architecture, in: The Transactions of the IEICE Vol. E 73, No. 7 Juli 1990, Special Issue on Cryptography and Information Security, http://www. virtualschool.edu/mon/ElectronicProperty/MoriSuperdist. html Safford, David (2002): IBM Research »Clarifying Misinformation on TCPA«, Oktober 2002, http://www.research.ibm.com/gsal/tcpa/tcpa_rebuttal.pdf Schneier, Bruce (2001): The Futility of Digital Copy Prevention, in: Crypto-Gram Newsletter, 15. Mai 2001, http://www.schneier.com/crypto-gram-0105. html#3 Stefik, Mark (1996): Letting Loose the Light: Igniting Commerce in Electronic Publication, in: Mark Stefik (Hrsg.): Internet Dreams: Archetypes, Myths and Metaphors, Cambridge/Mass. Symposium »DRM und Alternativen« (2004): Helmholtz-Zentrum f r Kulturtech- nik der Humboldt-Universit t zu Berlin, 30./31. Januar 2004, http://waste.in- formatik.hu-berlin.de/Grassmuck/drm/ WIPO SCCR/10/2 (2003): Current Developments in the Field of Digital Rights Management, erstellt von Jeffrey P. Cunard/Keith Hill/Chris Barlas, 1. August 2003, http://www.wipo.org/documents/en/meetings/2003/sccr/pdf/sccr_10 _2.pdf 186 IV. Kunst und Kulturg ter Friedemann Kawohl und Martin Kretschmer Von Tondichtern und DJs – Urheberrecht zwischen Melodien- eigentum und Musikpraxis 1. Einleitung Leser von Jazzkritiken kennen Floskeln wie diese: »Der Musiker« – hier Hubert von Goisern – »verbindet die verschiedenen Traditionen, befreit sie von ihrer Patina und l sst sie in neuemGlanz stehen. Und er macht daraus etwas vçllig Eigenes, Neues, Kreatives, gibt ihnen eine moderne und zeit- gem ße Form.« Solchen ußerungen liegen zwei sich widersprechende An- nahmen ber den Charakter kreativer Arbeit zugrunde. Einerseits sollen Musiker verschiedene Traditionen verbinden und selbst traditionsverbun- den sein, andererseits sollen sie etwas Eigenes, und am besten etwas ganz Neues schaffen. Mit solchen widerspr chlichen Forderungen werden Mu- siker auf verschiedenen Ebenen konfrontiert: Konservative Klassikfans freuen sich ber Musiken, die das Erbe der Wiener Klassik oder der inzwi- schen ebenso »klassisch« gewordenen Moderne weiterf hren. Dagegen las- sen manche Musikkritiker nur das Noch-nie-Dagewesene gelten. Auf dem Markt f r Popmusik werden die Melodien und Kl nge am besten honoriert, die den Hits von gestern und vorgestern am hnlichsten sind. Gleichzeitig aber wird durch das Urheberrecht die Verwendung solcher erfolgreichen Muster stark eingeschr nkt. Diese Spannung zwischen Alt und Neu kristallisiert sich in der urheber- rechtlichen Konzeption vom gesch tzten originalen Werk, das kreativ wie- derverwertet wird: als Plagiat, als Arrangement, in kritischer Aneignung als Zitat oder Parodie, aber auch in Interpretationen, in denen entweder »werk- treu« oder aber sehr frei mit dem vorgefundenen Material verfahren wird. F r alle diese Formen der Bezugnahme auf vorgefundenes musikalisches Material schlagen wir den Begriff der »produktiven Nutzung« vor. In der Musik vor 1750 sowie in der digitalen Musikpraxis seit dem ausgehenden 20. Jahrhundert verschwimmen die Unterscheidungen zwischen Original und Bearbeitung, zwischen Komposition und Auff hrung. Unter Musikern weit verbreitete Verfahren des Entlehnens, Bearbeitens, Zitierens und Sam- 189 Friedemann Kawohl und Martin Kretschmer plens werden durch das Urheberrecht an den Rand der Illegalit t und teil- weise dar ber hinaus gedr ngt. Im ersten Teil unseres Beitrags wollen wir erkl ren, wie grundlegende Ver nderungen in der musikalischen Praxis und sthetik vor etwa 200 Jah- ren die Entwicklung der heute g ltigen urheberechtlichen Kategorien: Werk, Bearbeitung, Auff hrung ermçglichten. Im zweiten Teil zeigen wir, wie in Folge der 1982 einsetzenden digitalen Revolution neue musika- lische Praktiken entstanden, die einige der 200 Jahre lang g ltigen stheti- schen Normen in Frage stellen. Dadurch wird den auf diesen sthetischen Normen aufbauenden urheberrechtlichen Kategorien die Verankerung in der musikalischen Praxis entzogen. Nachdem diese historischen R nder fo- kussiert sind, entwickeln wir im dritten Teil einen neuen Ansatz zur recht- lichen Einordnung von produktiven Nutzungen im Bereich der Musik. Das zentrale urheberrechtliche Steuerungselement der so genannten »ausschließ- lichen Rechte«, das alle legalen Nutzungen an individuelle Vertr ge mit den Rechteinhabern bindet, sollte f r bestimmte F lle gelockert werden. Als Anregung f r eine Diskussion um die rechtliche Ausgestaltung der unter- schiedlichen produktiven Nutzungen schlagen wir zwei Kriterien vor: Lie- gen die Quellen f r die produktive Nutzung offen? Und: Steht das entlehnte Material im Wettbewerb mit dem Original? 2. Praxis und sthetik des »Musikwerks« als Grundlage des modernen Musikurheberrechts Produktive Nutzungen vor der Etablierung des abstrakten Werkbegriffs Erst seit dem sp ten 18. Jahrhundert unterscheidet man in der Musik zwi- schen Original und Kopie sowie zwischen Original und Bearbeitung. Zuvor ergaben solche Unterscheidungen berhaupt keinen Sinn, da sie eine Abs- traktion voraussetzen, die zwar f r literarische Werke schon etabliert war, nicht aber f r die Musik. In der Musik ging es damals noch gar nicht so sehr um die bestimmten Werke bestimmter Komponisten. Es ging vielmehr um die Performance, um das einmalige Ereignis der Auff hrung, zumindest in der hçfischen Tanzmusik und der Oper. Und in der geistlichen Musik stand die rituelle Funktion im Vordergrund. In der Opernpraxis des 17. und 18. Jahrhunderts hatte Musik etwa den k nstlerischen Stellenwert, den im heutigen Regietheater eine Inszenierung 190 Von Tondichtern und DJs – Urheberrecht zwischen Melodieneigentum und Musikpraxis hat. Ein dauerhaftes und ber den Tag der Auff hrung hinaus bedeutsames »Werk« war allein die Dichtung, nicht die Musik. Auf den Ank ndigungen wurden vor allem die Operndichter genannt und in den oftmals gedruckten Libretti (italienisch: B chlein) waren ihre Texte nachzulesen, w hrend Par- tituren fast nie gedruckt wurden. Bekannte antike Stoffe wurden immer wieder in neuen Libretti verarbeitet und einzelne Libretti – etwa die von Pietro Metastasio – wurden von Dutzenden von Komponisten vertont. F r die musikalische Ausgestaltung konnte in jeder Saison ein anderer Ka- pellmeister verantwortlich sein. Der schrieb dann eine »neue« Opernmusik, in die er nicht selten die erfolgreichsten Arien der vergangenen Saisons in- tegrierte. So erklangen 1725 in einer florentinischen Produktion von Pietro Metastasios Didone abbandonata Arien von Vivaldi, Orlandini und Gasparini. Verantwortlich f r die Musik war nicht so sehr ein »Komponist«, dessen Werk man mçglichst getreu wiederzugeben versuchte, sondern der Prak- tiker, der Kapellmeister, der aber weniger an seinen kompositorischen Bei- tr gen gemessen wurde als an seinem Geschick, die f r die S nger geeig- neten Arien in eine vorgegebene Dramaturgie einzupassen. Typisch f r die sthetische Auffassung des 18. Jahrhunderts schreibt Johann Mattheson 1739: »Entlehnen ist eine erlaubte Sache; man muss aber das Entlehnte mit Zinsen erstatten, d.h. man muss die Nachahmungen so einrichten und aus- arbeiten, dass sie ein schçneres und besseres Ansehen gewinnen, als die S t- ze, aus welchen sie entlehnet sind.«1 Anders als in den Theatern, pflegte man in Kirchen und Klçstern auch ltere Musik. Die wurde vor allem durch Abschriften verbreitet, wobei die Kopisten die St cke an spezifische Auff hrungsbedingungen des Auftrag- gebers oder an einen ver nderten Zeitgeschmack anpassten. Fragen der Au- thentizit t spielten eine untergeordnete Rolle, weil es in der geistlichenMu- sik ja vor allem um deren Eignung f r den Ritus ging. Die heute gel ufige Trennung zwischen einem nur notenschreibenden Komponisten und dem ausf hrenden Musiker war im 18. Jahrhundert noch gar nicht vollzogen. In den Arbeitsvertr gen derMusiker wurde zwar immer wieder die Beschaffung von Notenmaterial geregelt, doch ging es dabei nicht immer um neue, eigene Kompositionen. So wurde etwa ein vom Ru- dolst dter Hof angestellter Musiker 1683 verpflichtet, »die ordentlichen mu- sikalischen Aufwartungen sowohl in der Kirche als f r die Tafel fleißigst zu verrichten, wobei ihm aber frey steht, entweder seine eigene compositiones oder auch andere nach seinem gut befinden zu gebrauchen«.2 Opernunternehmer, hçfische Verwalter, die kirchliche Obrigkeit, das Publikum und die Musiker selbst scherten sich wenig um Originalit t. Jo- hann Sebastian Bach, das zeigen die Handschriften3, hat nie ein Werk ohne 191 Friedemann Kawohl und Martin Kretschmer nderungen abgeschrieben. Georg Friedrich H ndel4 verwendete Melodien seiner Zeitgenossen zu Themen eigener Werke. F r Mozarts Zauberflçte wurden 43 bernommene Melodien identifiziert,5 davon 33 aus anderen Werken Mozarts, je 3 aus Werken von Haydn und Gluck sowie je eines aus Werken von Gassmann, Benda, Wranitzky und Philidor. Christoph Willibald Gluck bernahm f r seine 1779 in Paris uraufgef hrte Oper Iphi- g nie en Tauride sogar weit ber ein Drittel der Musik aus eigenen, lteren Werken, was aber wohl nicht auf Zeitmangel, Bequemlichkeit oder eine versiegende Schaffenskraft zur ckzuf hren ist. Vielmehr glaubte Gluck, den f r die jeweilige dramatische Situation einzig angemessenen Ausdruck bereits gefunden zu haben. sthetik und Praxis des musikalischen Werks Im Laufe des 18. Jahrhunderts traten die bis dahin allgegenw rtigen Prak- tiken der produktiven Nutzung vorgefundenen Materials zur ck.6 Jetzt wurde es berhaupt erst mçglich, zwischen Original und Bearbeitung, zwi- schen Original und Zitat, zwischen Komposition und Interpretation zu un- terscheiden. Diese neuen Differenzierungen sind Teil einer grundlegenden sthetischen Entwicklung, die wir im Folgenden in f nf zentralen Aussagen fassen wollen. Autoren sind Originalgenies »Entfernt euch stolz von euern Vorg ngern«, so forderte Edward Young als einer der Ersten seine dichtenden Zeitgenossen auf, denn »dadurch erhebt ihr Euch zum Originale«.7 Bis dahin hatten Dichter und bildende K nstler versucht, die klassischen Werke zu imitieren. Die Kenntnis der Klassiker und die Beherrschungen der Regeln galten als hinreichende Bedingungen f r das Gelingen eines Werks. Als weitere Bedingung kam jetzt die Origi- nalit t hinzu. Zun chst wurden nur bestimmte K nstler als »Originalgenies« angesehen. Um 1800 aber galt dann jeder Gedanke, jedes echte Kunstwerk und jeder echte K nstler als »original« und »eigent mlich«. Originalit t war zum »Grundgesetz der modernen Poesie« (Schelling), somit zur Norm k nstlerischer Produktion geworden. K nstler, die davon abwichen und immer noch machten, was K nstler Jahrhunderte lang gemacht hatten: Be- kannte Stoffe, Texte, oder kompositorische Techniken aufgreifen und nach berlieferten Regeln in bew hrten Formen verarbeiten, wurden seit 1830 »Epigonen« genannt, nach dem Titel eines Romans von Karl Immermann. 192 Von Tondichtern und DJs – Urheberrecht zwischen Melodieneigentum und Musikpraxis Musik ist eine eigenst ndige, von den vorgetragenen Worten unabh ngige Kunst, in der dauerhafte »Werke« entstehen, hnlich wie in Literatur und bildender Kunst In der Originalit tsdebatte des 18. Jahrhunderts ging es um Dichtung und Malerei, aber nur selten um Musik, denn die galt als Kunst, die keine »Wer- ke« hervorbringt. In mittelalterlicher Tradition hieß »Musik« die T tigkeit des Musizierens,8 nicht aber deren Resultat, die erklingenden Tçne selbst. WennWilhelm von Humboldt im 18. Jahrhundert ber die Sprache sagt, sie sei »kein Werk (»ergon«), sondern eine Th tigkeit (»energeia«)«,9 so gilt das ebenso f r die Musik. Die Aufkl rer des 18. Jahrhunderts versuchten diesen Mangel der Musik zu verdecken und nannten sie deshalb eine »Ton-Spra- che« oder »Klang-Rede«.10 Doch noch f r Kant galt die rein instrumentale, und also eigentlich sprachlose Musik als mangelhafte Kunst, da sie sich nicht an den Verstand wendet, sondern »bloß mit Empfindungen spielt«.11 Erst in den deutschen Musik sthetiken des 19. Jahrhunderts wurde genau das zu ihrem Vorzug erkl rt. Die von ihrer Funktion als Dienerin derWorte eman- zipierte Instrumentalmusik war jetzt die »romantischste aller K nste«, weil sie dem Menschen eine Welt erschließt, »die nichts gemein hat mit der u- ßern Sinnenwelt, die ihn umgibt, und in der er alle durch Begriffe bestimm- baren Gef hle zur ckl sst, um sich dem Unaussprechlichen hinzugeben«.12 Bis ins 18. Jahrhundert war »Musik« eine besondere Art, ein literarisches Werk vorzutragen. Erst seit dem 19. Jahrhundert wird sie selbst als Text gelesen und »interpretiert«. In Musikwerken l sst sich ein geistiger »Inhalt« von der »Form« unterscheiden Wenn es in der Musik »Werke« geben sollte, wie in den anderen K nsten, mussten sich auch die dort blichen Unterscheidungen zwischen Form und Inhalt finden lassen. Der von Hegel und Goethe beeinflusste Adolph Bern- hard Marx glaubte »Ideen« in der Musik zu finden, deren jede sich »ihre eigene Form geschaffen« hat, »die wie sie selbst organisiert sein muss«.13 Edu- ard Hanslick pr gte die Formel von den »tçnend bewegten Formen«, die den »Inhalt der Musik«14 bildeten, was zwar zirkul r ist, aber geheimnisvoll klingt und deshalb unter den b rgerlichen Musikfreunden des sp ten 19. Jahrhun- dert besonders popul r war. Am genauesten trifft wohl Schopenhauer die neue Auffassung von Musik. Sie spreche »das innere Wesen, das Ansich aller Erscheinung, den Willen selbst« aus, »nicht diese oder jene einzelne oder bestimmte Freude, diese oder jene Betr bniß«, »sondern die Freude, die Be- 193 Friedemann Kawohl und Martin Kretschmer tr bniß (…) in abstracto«.15 Solange »Musik« noch vor allem den Akt des Musizierens meinte, war es um konkrete Empfindungen gegangen: Der vom Komponisten in mehr oder weniger konventionelle musikalische Ges- ten verpackte Schmerz einer betrogenen Liebenden konnte von einer S n- gerin konkret dargestellt und von den Zuhçrern/Zuschauern unmittelbar mitempfunden werden. Die von Schopenhauer gemeinten abstrakten Empfindungen sind dage- gen nicht unmittelbar erlebbar. Sie sind von den Komponisten in den Wer- ken verschl sselt und m ssen erst gelesen und interpretiert werden. Zum bloßen Beiwerk, zu Variablen der jeweiligen Interpretation werden dabei alle visuellen Aspekte einer Musikauff hrung (Kost me, Gestik und Mimik der Musiker) aber auch wesentliche akustische Momente, das Timbre, also die individuellen Klangfarben von Stimmen und Instrumenten und die Phrasierungen, die durch die Noten nicht vorgeschriebene individuelle Ge- staltung von Lautst rke und Tempo innerhalb einzelner Phrasen. Von den Inhalten der Musikst cke ließen sich jetzt die urheberrechtlich zu sch tzenden Formen unterscheiden. Im Bereich der Literatur war dieser Unterschied bereits etabliert: Nicht die durch ein Buch ausgedr ckten In- halte waren gesch tzt, sondern nur die konkrete Form, in der diese Inhalte in einem Buch ausgedr ckt wurden. Analog sollte f r die Musik nicht die abstrakte Empfindung des Schmerzes (Inhalt!) Gegenstand des Nachdruck- verbotes sein, sondern die konkrete Form, die der Komponist dieser abs- trahierten Empfindung durch seine Noten gegeben hatte. Die »Form« der Musik war das, was durch Gesetze zugunsten von Verlegern und Autoren gesch tzt werden sollte, und die »ver nderte Form« wurde zum Kriterium eines neuen, unabh ngigen Werks. Wer das Werk eines anderen vervielf l- tigte, »ohne dasselbe zu eigenth mlicher Form verarbeitet zu haben«16 sollte gem ß des Bayerischen Strafgesetzbuchs von 1803 bestraft werden. Komponisten und Interpreten erf llen prinzipiell unterschiedliche Aufgaben Den Beruf des Komponisten gibt es erst, seit es »Werke« der Musik gibt. Musiker waren zuvor als Kantoren, Instrumentalisten oder Kapellmeister angestellt, auch wenn ihre Arbeitsvertr ge die Lieferung eigener Komposi- tionen vorsahen. Die ersten freiberuflichen Komponisten (Mozart, Beetho- ven, Liszt, Chopin, sp ter Brahms und Bart k) bestritten ihren Lebensunter- halt oft als Pianisten, mit Programmen aus vor allem eigenenWerken. Dabei musste zwischen Interpretationen und Improvisationen nicht genau unter- schieden werden. Um die Mitte des 19. Jahrhunderts aber setzt sich ein 194 Von Tondichtern und DJs – Urheberrecht zwischen Melodieneigentum und Musikpraxis neuer Typ des Konzertprogramms durch. Clara Schumann etwa improvisier- te noch in den 1840er Jahren (auf den Programmzetteln steht dann »Fanta- sie«) und spielte Virtuosenst cke sowie Klavierbearbeitungen von popul ren Melodien. Seit etwa 1850 aber gibt sie reine Klassikerprogramme mit »ori- ginalen«, im Sinne von: original f r das Klavier geschriebenen Werken von Bach, Beethoven, Schumann, Chopin und Mendelssohn. Die Musik der b rgerlichen Konzerte wird zur »klassischenMusik« sowohl, weil dieWerke in ihrer »klassischen«, das heißt originalen Gestalt erklingen, als auch, weil es Werke von Komponisten sind, die als »Klassiker« gelten. In die Sprache des 19. Jahrhunderts passt die sich verfestigende Unterscheidung zwischen »produzierenden« und »reproduzierenden« K nstlern. Der professionelle Komponist wird jetzt auch »Tondichter« oder »Tonk nstler« genannt und hat so Anteil am hohen Ansehen der Literatur und der bildenden K nste. In Abbildungen von nachdenkenden und notenschreibenden Komponisten wird die Vorstellung des frei und einsam schaffenden Ton- k nstlers idealisiert. Nur eine »werktreue« Interpretation wird dem Musikwerk gerecht, Improvisationen sind minderwertig Franz Liszt improvisierte in seinen Konzerten der 1820er und 1830er Jahre ber vom Publikum vorgeschlagene Melodien. Bei dieser Art zu impro- visieren, so Liszt, stellen sich »zwischen Publikum und K nstler die unmit- telbarsten Beziehungen« her. Wenn das Thema erscheint, »freut sich der Geber der guten Wirkung, (die er hervorruft) wie ber eine Sache, die er persçnlich beigetragen. So entsteht denn eine gemeinschaftliche Arbeit, eine Cisilierarbeit, mit welcher der K nstler die ihm anvertrauten Juwelen umgiebt.«17 Zusammen mit den Opernbearbeitungen verschwinden auch die Improvisationen aus den Konzertprogrammen. Die Interpreten aber kçnnen sich mit zunehmendem zeitlichem Abstand zu den Komponisten der Werke, die sie interpretieren, nicht mehr allein auf die durch ihren Kla- vierunterricht berlieferte Vortragspraxis verlassen. So versuchen sie, die wesentlichen Anregungen den Notentexten zu entnehmen. Sp ter nennt man das eine »werktreue« Interpretation. Was die »Werktreue« den Inter- preten, ist die kritische Ausgabe den Musikphilologen. Werkausgaben von Bach (seit 1851) und H ndel (seit 1858) bem hen sich, eine »durch kritisch gesicherte berlieferung beglaubigte chte Gestalt der Compositionen her- zustellen«.18 Durch werktreue Interpretationen und kritische Ausgaben ent- wickeln die klassischen »Werke« ein Eigenleben, unabh ngig von den ein- zelnen Auff hrungen. Die Noten, bis dahin nichts als notwendige 195 Friedemann Kawohl und Martin Kretschmer Hilfsmittel zum Musikmachen, werden jetzt zu wesentlichen Repr sentan- ten der klassischen Werke. Damit werden Noten selbst zu einer Art abs- trahierter Musik. Die auf diesen Grundlagen geschaffene Musik ist die Musik, zu deren Schutz das Urheberrecht entwickelt wurde.19 Es ist eine Musik, die sich in von genialen Autoren geschaffenen, dauerhaften Werken offenbart, innerhalb derer sich Inhalt und Form unterscheiden lassen. Diese Werke werden aufgef hrt von Interpreten, die sich bewusst als »reproduzie- rende K nstler« verstehen und mehr oder weniger einem Ideal der Werktreue verpflichtet sind. Und dass das konzeptionelle Gef ge des Urheberrechts seit einigen Jahrzehnten ins Wanken ger t, liegt auch daran, dass diese Grundannahmen ber Musik unsicher geworden sind. Bevor wir das an Beispielen aus der aktuellen Musikpraxis belegen, zeigen wir noch, wie das fr he Musikurheberrecht auf diese sthetik des Musikwerks aufbaute. Anf nge urheberrechtlicher Regulierung von Bearbeitungen und anderen produktiven Nutzungen Bevor sich im 19. Jahrhundert ein modernes Musikurheberrecht entwickel- te, gab es einen rechtlichen Schutz gegen Nachdruck von Musikalien nur durch so genannte Druckprivilegien. Diese wurden meist auf Antrag und gegen Bezahlung an Drucker oder/und Verleger f r einzelne Werke ver- geben. Einige Verleger wurden gegen Nachdrucke f r ihre gesamte Pro- duktion innerhalb eines bestimmten Zeitraumes gesch tzt. Ein den spezi- fischen Erfordernissen der musikalischen Praxis angepasstes Urheberrecht entwickelte sich durch die Gew hrung von exklusiven Rechten an Bear- beitungen und Auff hrungen. Um aber diese neuen Rechte gew hren zu kçnnen, musste die Rechtspraxis sich von dem buchst blichen Begriff des Nachdrucks lçsen. An die Stelle des Verbotes, ein bestimmtes Druck- werk ohne Genehmigung nachzudrucken, trat der Schutz eines von einzel- nen Bearbeitungen und Auff hrungen abstrahierten Musikwerks. Diese Abstraktion wurde in den kontinentaleurop ischen Rechtssystemen eher entwickelt als in den auf konkrete Druckausgaben fixierten Copyright- Systemen Englands und der USA. So gab es ein Auff hrungsrecht an dra- matischen Werken erstmals im franzçsischen Gesetz von 1791 und ein preußisches Gesetz von 1837 sah neben dem Auff hrungsrecht zum ers- ten Mal eine besondere Regelung f r Bearbeitungen im Bereich der Musik vor. 196 Von Tondichtern und DJs – Urheberrecht zwischen Melodieneigentum und Musikpraxis Die allgemeine wirtschaftliche Erholung nach den napoleonischen Krie- gen, die Entwicklung der Lithographie, der Wegfall von Zollschranken sowie bessere Transportmçglichkeiten hatten einen Boom f r B cher, Zeitschriften und Musikalien ausgelçst. Die Buchh ndler begannen, alle deutschsprachigen L nder als nat rlichen Markt f r ihre Produkte zu betrachten. Einige Musi- kalienh ndler dachten sogar noch dar ber hinaus und versuchten, durch Niederlassungen im Ausland oder durch gezielte Kooperationen auch an franzçsischen und englischen Ausgaben mitzuverdienen. Die Nachdruck- regelungen galten aber immer nur innerhalb jedes einzelnen der vielen deut- schen L nder. Selbst gutwillige Verleger konnten nie sicher sein, ob sie durch ihre Ausgabe fremde Rechte verletzten. Brachte etwa ein preußischer Ver- leger ein zuerst in Frankreich erschienenes Instrumentalwerk in Berlin heraus, so sah man seiner Ausgabe nicht an, ob sie direkt vom franzçsischen Original – und somit legal – oder von einer anderen preußischen Ausgabe – und somit illegal – ›abgekupfert‹ war. Erst 1837 wurde ein alle L nder des deutschen Bundes umfassendes Nachdruckverbot erlassen. Ebenso wichtig wie diese r umliche war den Verlegern die sachliche Aus- weitung ihres Schutzes auf Bearbeitungen und Sammelwerke, mit denen gerade die Musikverleger einen großen Teil ihrer Ums tze bestritten. Mu- sikst cke in Sammlungen aufzunehmen, war ebenso erlaubt wie der Abdruck einzelner Gedichte in Anthologien. Musikalische Bearbeitungen wurden als » bersetzungen« behandelt, und da die literarischen bersetzungen frei waren, waren es auch die musikalischen. In »unserem furchtbaren Zeit- alter der bersetzungen« so klagte Beethoven schon 1802, w rde ein Autor sich gegen diese »nur umsonst str uben«. Aber »man kann wenigs- tens mit Recht fordern, dass die Verleger es auf dem Titelblatte anzeigen, damit die Ehre des Autors nicht geschm lert und das Publicum nicht hintergangen werde.«20 Dass die Komponisten, bzw. deren Verleger einige Jahrzehnte sp ter f r solche Bearbeitungen um Erlaubnis gefragt werden mussten, konnte er sich noch nicht vorstellen. Vom musikalischen Stand- punkt aus hielt er aber die von ihm verehrten Komponisten f r die einzigen legitimen Bearbeiter ihrer eigenen Werke: »Ich behaupte fest, nur Mozart kçnne sich selbst vom Klavier auf andere Instrumente bersetzen, sowie Haydn auch.«21 Weil rechtliche Regelungen nicht zustande kamen, ergriffen einige der grçßten deutschen Musikverleger 182922 die Initiative zur Gr ndung eines Kartells. In ihrer Satzung hieß es: »Die Melodie wird als ausschließliches Eigentum des Verlegers anerkannt und jedes Arrangement, das die Tçne des Componisten wiedergibt und nur auf mechanischer Verarbeitung be- ruht, soll als Nachdruck angesehen werden.«23 F r Zuwiderhandlungen war 197 Friedemann Kawohl und Martin Kretschmer eine Vertragsstrafe festgesetzt und in Zweifelsf llen sollte ein Schiedsgericht entscheiden. Zwar unterzeichneten einige der kleineren Nachdrucker das Kartell nie, das Schiedsgericht funktionierte nur selten, und schon nach we- nigen Jahren traten einige Verleger wieder aus, um groß angelegte Nach- druckunternehmen f r den Massenmarkt der klavierspielenden Laien erçff- nen zu kçnnen. Erfolg aber hatten die organisierten Verleger, als der s chsische Gesetzgeber 1831 die Richter folgendermaßen instruierte: »Bey musikalischen Compositionen entscheidet die Melodie, ob das neue Werk ein Nachdruck des lteren sey oder nicht.«24 Im preußischen Gesetz von 1837 sind zwar nicht ausdr cklich Melodien als Gegenstand des Schutzes erw hnt, doch sollten »Ausz ge, Arrangements f r einzelne Instrumente, oder sonstige Bearbeitungen, die nicht als eigenth mliche Kompositionen betrachtet werden kçnnen«25 als Nachdrucke behandelt werden. Die preußische Formulierung wurde in das erste einheitliche deut- sche Urheberrechtsgesetz bernommen, das seit 1870 im Norddeutschen Bund und seit 1871 im neu gegr ndeten Deutschen Reich galt. Nur in sterreich ließ man den Bearbeitern grçßere Freiheiten. Zwar verbot der Wiener Magistrat 1846 das Arrangieren von in sterreich erschienenen Kompositionen, doch dieses exklusive Recht, Bearbeitungen zu verbieten oder zu erlauben, erlosch bereits mit Ablauf eines Jahres nach der Verçffent- lichung.26 Das 1901 f r das Deutsche Reich erlassene Urheberrechtsgesetz kam den W nschen der Verleger entgegen. Bei »Werken der Tonkunst« war jetzt »jede Benutzung unzul ssig, durch welche eine Melodie erkennbar dem Werke entnommen und einer neuen Arbeit zugrunde gelegt wird«. Diese Regelung ist 1965 in den unter noch genauer erl uterten »starren Melodien- schutz« des § 24(2) UrhG bernommen worden. Kritisch ußerten die Verfasser eines nicht weiter verfolgten Gesetzesentwurfs aus dem Jahr 1934: »Erstklassige Meisterwerke der Tonkunst sind in Anlehnung an Themen lterer Kompositionen entstanden, und es w re hçchst bedenk- lich, wenn sich an solche Schçpfungen der Vorwurf strafbaren Plagiats heranmachen kçnnte; dies gilt umso mehr, als die neuere Entwick- lung der Musik ber die Liedmelodie im alten Sinne l ngst hinausgewach- sen ist und der Melodieschutz folgerichtig auch dem Motive, jeder eigenartigen Verbindung von Tonfolge und Rhythmus – so unbedeutend sie f r sich genommen sein mag – zukommen m sste. In solcher Aus- dehnung w rde der Melodienschutz auch echt k nstlerischem Schaffen un- ertr gliche Fesseln auferlegen.«27 Nicht wenige K nstler empfinden heute, dass ihrem Schaffen durch Urheber- und Leistungsschutzrechte solche Fesseln auferlegt werden. 198 Von Tondichtern und DJs – Urheberrecht zwischen Melodieneigentum und Musikpraxis 3. Zeitgençssische Musikpraktiken und ihre urheberrechtliche Einordnung Auf der Grundlage der sthetischen Neuerungen um 1800 konnten sich klare Unterscheidungen zwischen Original, Bearbeitung, werktreuer Inter- pretation und Improvisation herausbilden. An diesen Kategorien orientier- ten sich die urheberrechtlichen Regeln. Rechtliche Kategorien aber ndern sich langsamer als sthetische und kçnnen so von der k nstlerischen Praxis abgeh ngt werden. So gibt es f r den Begriff der »Coverversion«,28 der allen Musikk ufern und Radiohçrern gel ufig ist, keine urheberrechtliche Ent- sprechung. Rechtliche Kategorien sind also relativ autonom von der mu- sikalischen Praxis. N her an der Praxis sind die Kategorien der Musikwis- senschaften. So werden etwa aus musiksoziologischer Sicht Bearbeitungen nach den mit ihnen verfolgten Zwecken unterschieden: Ob sie eine kriti- sche Auseinandersetzung mit einem Musikwerk in einer Parodie ermçgli- chen oder ein Musikst ck an besondere Auff hrungsbedingungen oder an die F higkeiten bestimmter Spieler anpassen sollen (z.B. erleichterte Ver- sionen f r den Unterricht). Aus musiktheoretischer Perspektive wird nach der Art des Eingriffs in die musikalische Substanz differenziert: Reine An- passungen der Instrumentation (z.B. Orchestrierungen von Klavierwerken, Reduktionen von Opernpartituren in Klavierausz gen) stehen Bearbeitun- gen gegen ber, in denen die zeitliche Struktur der Vorlage ver ndert wird: Zeitliche Verk rzungen in der Sampling-Praxis, zeitliche Erweiterungen bei den im 19. Jahrhundert so beliebten »Paraphrasen« oder »Variationen ber ein Thema von (…)«. Bearbeitungen und andere Umgestaltungen Mit »Bearbeitungen« meint man alltagssprachlich sehr unterschiedliche Ty- pen produktiver Nutzungen. Im deutschen Urheberrecht kommt der Be- griff an zwei Stellen vor. Durch § 3 werden » bersetzungen und andere Bearbeitungen eines Werkes, die persçnliche geistige Schçpfungen des Be- arbeiters sind« wie selbstst ndigeWerke gesch tzt. Hier kommt es darauf an, dass die Bearbeitung eine »persçnliche, geistige Schçpfung« ist, dass sie also dasselbe Kriterium erf llt, das auch f r »selbstst ndige«Werke gilt und durch das etwa Schçpfungen von Maschinen oder von Tieren aus dem Schutz- bereich des Gesetzes ausgeschlossen werden. Diese Regelung kommt auch den Bearbeitern von lteren, nicht mehr urheberrechtlich gesch tztenWer- ken zugute. Sie m ssen keine Genehmigung einholen, kçnnen ihre Bear- 199 Friedemann Kawohl und Martin Kretschmer Einige der f r die zeitgençssische Musikpraxis wesentlichen Formen und ihre rechtlichen Konsequenzen Genehmigung des Rechte- Zahlungen an Rechte- Rechte des Nutzers inhabers des benutzten inhabers des benutzten Werks/Tontr gers Werks/Tontr gers Freie Benut- Nicht erforderlich Keine Anspr che Volles eigenes Urheber- zung (§ 24) recht des Nutzers f r sein Werk Zitat (§ 51) Nicht erforderlich Keine Anspr che Volles eigenes Urheber- recht des Nutzers f r sein Werk Sound-alike Nicht erforderlich Keine Anspr che Volles eigenes Urhe- ber/-Leistungsschutz- recht des Nutzers f r sein Werk Bearbeitung Erforderlich Bis zu 100 % der Gesetzliches Urheber- (§ 23) Einnahmen recht des Bearbeiters, in der Praxis eingeschr nkt, siehe Coverversion andere Umge- Erforderlich 100 % Kein Urheberrecht des staltung (§ 23) Nutzers Interpretation, Gesetzlich erforderlich. 100 % der Einahmen Einnahmen aus Leis- »Darbietung« In der Praxis reicht An- aus Urheberrecht am tungsschutzrecht eines bereits meldung bei GEMA Musikwerk an Original- verçffentlichten und Zahlung der dort verlag Werkes festgelegten Summe Coverversion/ Duldungserkl rung muss 100 % der Einnahmen Einnahmen aus Leis- Remix als ge- beim Rechteinhaber aus Urheberrecht am tungsschutzrecht. Aus- duldete Bear- eingeholt werden Musikwerk an Original- nahme: Beim so ge- beitung verlag, evt. plus »over- nannten »override« geht ride« auch davon ein Teil an den Originalverlag Sampling Tontr ger- Immer erforderlich in Vertraglich vereinbart, Eigenes Leistungsschutz- rechte USA und UK, im deut- abh ngig von der Dauer recht, aber vertraglich schen Recht f r einzelne des Samples, bis zu stark eingeschr nkt, Sounds umstritten 100 % wenn bis zu 100 % ab- gef hrt werden m ssen Urheberrechte Wenn nicht nur ein Ggf. Verlagsrechte Eigenes Urheberrecht, einzelner Sound, son- bis 100 % f r Nutzung aber vertraglich stark dern ein »Werk« genutzt des Werks eingeschr nkt, wenn bis wird, wie Coverversion zu 100 % abgef hrt werden m ssen ffentliches Keine Genehmigung Verg tungen f r Kein Urheber- oder Abspielen von erforderlich Urheber- und Leis- Leistungsschutzrecht, Tontr gern tungsschutzrechte solange der DJ nicht (GEMA/GVL) als Bearbeiter gilt 200 Von Tondichtern und DJs – Urheberrecht zwischen Melodieneigentum und Musikpraxis beitungen direkt bei der GEMA anmelden und so Einnahmen aus deren Nutzung erzielen. In § 23 ist das exklusive Recht des Originalurhebers geregelt: »Bear- beitungen und andere Umgestaltungen d rfen nur mit Einwilligung des Urhebers des bearbeiteten oder umgestalteten Werks verçffentlicht oder verwertet werden.« Hier wird ein Unterschied gemacht zwischen Bearbei- tungen und anderen Umgestaltungen, die nicht »persçnliche, geistige Schçpfungen« im Sinne des § 3 sind und somit keinen eigenen Urheber- schutz genießen. Beide Typen der produktiven Nutzung sind nur mit Er- laubnis des Urhebers gestattet, das heißt sie werden von den Rechteinhabern – oft sind das die Musikverlage – entweder verboten oder nur gegen Abtretung aller oder eines betr chtlichen Teils der dadurch erzielten Ein- nahmen gestattet. Freie Benutzung und »starrer Melodienschutz« Bei der »freien Benutzung« (§ 24) sind deutliche und eindeutige Bez ge auf vorbestehendeWerke erlaubt, die nicht bearbeitet, sondern lediglich als An- regung benutzt werden. »Freie Benutzungen« d rfen »ohne Zustimmung des Urhebers des benutzten Werkes verçffentlicht und verwertet werden«. Der Nutzer muss nicht um Erlaubnis fragen und er muss von seinen Ein- nahmen nichts an den Rechteinhaber des benutzten Werkes abf hren. Was durch »freie Benutzung« entsteht, ist ein eigenst ndiges Werk, an dem der Urheber dieselben Rechte hat wie an einem Werk, das sich gar deutlich auf ein anderes bezieht. Ein besonderer Zusatz schr nkt die freie Benutzung allerdings f r Musikwerke ein. Ausgeschlossen ist »die Benutzung eines Werkes der Musik, durch welche eine Melodie erkennbar dem Werk ent- nommen und einem neuen Werk zugrunde gelegt wird«. (§ 24(2)) Trotz gelegentlicher Kritik, dass sie entweder unnçtig oder zu weitgehend sei,29 h lt sich diese Sondervorschrift des so genannten »starren Melodienschutzes« seit der oben zitierten s chsischen Verordnung von 1831. Zitate Aufgrund des § 51 d rfen »einzelne Stellen« aus einem Werk in einem an- dern »selbst ndigen Werk der Musik angef hrt werden«. Ber hmte klassi- sche Beispiele f r Musikzitate30 w rden hierunter fallen, etwa die Festszene in Mozarts Don Giovanni, wo das kleine, auf der B hne positionierte Or- 201 Friedemann Kawohl und Martin Kretschmer chester hintereinander je eine Melodie aus Una Cosa Rara von Martin y Soler, aus I Due Litiganti von Guiseppe Sarti sowie eine Melodie aus Mozarts wenige Jahre zuvor herausgekommener Oper Le Nozze di Figaro anstimmt. Zur Mozartschen Melodie singt Leporello, der Diener Don Giovannis: »Questa poi la conosco pur troppo« (das kenne ich nur zu gut). Die Zitate sind zweifach als solche kenntlich gemacht: Durch die vom Hauptorchester entfernte Positionierung der zitierenden Musiker und auf der Ebene des Worttextes. Ob die Verwendung eines Tontr gers unter das Musikzitatrecht f llt, ist bisher nicht vor Gericht verhandelt worden. Bekannt aber ist, dass die EMI, als Inhaber der Tontr gerrechte, heute keine Samples aus Beatles-Liedern mehr lizensiert. Die gesetzliche Formulierung, nach der die einzelnen Stel- len »angef hrt« werden d rfen, bedeutet nicht, dass ein Musikzitat in ir- gendeiner Form, etwa im Begleittext als solches kenntlich gemacht werden m sste. Ein zitierter Ausschnitt darf sogar bearbeitet werden, solange »das Fragment als bewusst entlehntes fremdes Werk zur Auslçsung einer be- stimmten Assoziation erkennbar bleibt.«31 Interpretationen als »Darbietungen« eines bereits verçffentlichten Werks Auch Interpretationen fallen unter unseren weiten Begriff der produktiven Nutzung vorgefundenen musikalischen Materials. Denn einerseits werden viele Musikst cke bei çffentlichen Auff hrungen oder Einspielungen auf Schallplatte stark in ihrer kompositorischen Substanz ver ndert, andererseits erbringen auch die am Ideal der Werktreue orientierten Interpreten eine produktive, k nstlerisch wertschçpfende Leistung. Wie wir oben gezeigt haben, entstanden die Differenzierungen reproduzierender/produzierender bzw. aus bender/schaffender K nstler zusammen mit dem Ideal der werk- treuen Interpretation in den 1830er Jahren und bilden seitdem eine unaus- gesprochene Grundlage des Musikurheberrechts. In der heutigen Musikpra- xis ist diese Differenz aber fraglich geworden. Weitgehend klar und eindeutig ist sie heute nur noch im Genre der klassischen, komponierten Musik der Zeit zwischen etwa 1750 und 1950. ltere Musik muss f r Auff hrungszwecke oft wesentlich umgearbeitet werden, und in neuerer komponierter Musik gibt es viele sehr weitgehende Freiheiten f r die Interpreten. In einigen Werken von Pierre Boulez aus den 1950er und 1960er Jahren bestimmen etwa die Interpreten die Abfolge der Formteile und greifen so in die »kompositorische« Substanz der Werkes 202 Von Tondichtern und DJs – Urheberrecht zwischen Melodieneigentum und Musikpraxis ein. Einige Werke von John Cage und anderer konzeptueller K nstler w ren wohl richtiger unter die grafischen, und nicht unter die musikalischen Werke einzuordnen, denn die durch sie ausgelçsten Auff hrungen sind eher freie, weitgehend improvisierte Musiken als Interpretationen von Musikwerken. Vollends fragw rdig werden die Kategorien des produzie- renden/reproduzierenden Musikers im Bereich des Jazz und der popul ren Musikrichtungen. Schon in den »Interpretationen« des Bebop seit den 1950er Jahren tritt der Bezug zur Vorlage weit hinter die gestalterische Musikalit t der Improvisatoren zur ck. Die in der aktuellen Popmusik so beliebten Coverversionen sind, wie unten noch ausgef hrt, oft verdeckte Bearbeitungen. Das so genannte »Auff hrungsrecht«, »das Recht, ein Werk der Musik durch persçnliche Darbietung çffentlich zu Gehçr zu bringen oder ein Werk çffentlich b hnenm ßig darzustellen« (§ 19(3)), ist ein exklusives Recht, und muss deshalb – folgt man demWortlaut des Gesetzes – jedesmal beim Rechteinhaber am Originalwerk neu eingeholt werden. In der Praxis aber kommt hier die Verwertungsgesellschaft GEMA ins Spiel. Ihr haben fast alle Komponisten die meisten Auff hrungsrechte und die mechanischen Vervielf ltigungsrechte bertragen, so dass der Vertrag mit der GEMA f r den Nutzer die individuelle Erlaubnis der Urheber ersetzt. Die Interpreten, sie heißen imGesetz »aus bende K nstler«32 (§ 73) haben ebenfalls eigene, so genannte »Leistungsschutzrechte« an ihrer Darbietung. Auch die Tontr ger- hersteller haben Leistungsschutzrechte, so dass immer dann, wenn Tontr - ger benutzt und bearbeitet werden, etwa beim Sampling und Remix, nicht nur die eigentlichen Urheberrechte, sondern dar ber hinaus auch die Leis- tungsschutzrechte zu kl ren sind. F r das Abspielen von Schallplatten etwa in einer Diskothek ist keine individuelle Erlaubnis einzuholen. Haben die Interpreten die Verçffent- lichung ihrer »Darbietung« auf Schallplatte einmal erlaubt, so haben sie kein Recht mehr, etwa die Sendung oder eine çffentliche Wiedergabe die- ser Schallplatte zu verbieten. Allerdings bleibt ihnen der Anspruch auf eine angemessene Verg tung. Wer also in Deutschland Tontr ger çffentlich ab- spielen will, schließt einen Vertrag mit der GEMA. Das an die GEMA abge- f hrte Geld wird zum grçßten Teil an deren Mitglieder (Verleger, Kom- ponisten und Textdichter) verteilt. Ein kleinerer Teil wird an die Gesellschaft zur Verwertung von Leistungsschutzrechten (GVL) weiterge- leitet und von dieser an die leistungsschutzberechtigten Tontr gerhersteller und Interpreten verteilt. 203 Friedemann Kawohl und Martin Kretschmer Sampling Eine umstrittene Frage ist die Behandlung des Sampling, das mit dem Auf- schwung der digitalen Klangverarbeitung seit den 1980er Jahren zu einer Standardtechnologie der Musikproduktion geworden ist. Beim Sampling geht es vor allem darum, typische Klangfarben verf gbar zu machen. Ein fr h entwickeltes Verfahren besteht darin, einen typischen Klang, etwa den der mit dem Harmon-D mpfer gestopften Trompete von Miles Davis, auf- zunehmen, zu transponieren, und auf verschiedenen Tonstufen mit einem Keyboard abzurufen. In sp ter entwickelten Verfahren werden nicht nur einzelne Klangfarben gesamplet, sondern auch l ngere Einheiten. Diesen kreativen Prozess hat Hank Shoklee, der Produzent des wegweisendes Hip- Hop Albums It Takes a Nation of Millions33 so beschrieben: »The first thing we would do is the beat, the skeleton of the track. The beat would actually have bits and pieces of samples already in it, but it would only be rhythm sections. Chuck would start writing and trying different ideas to see what worked. Once he got an idea, we would look at it and see where the track was going. Then we would just start adding on whatever it needed, depending on the lyrics. It kind of architected the whole idea. The sound has a look to me, and Public Enemy was all about having a sound that had its own distinct vision. We didn’t want to use anything we considered traditional R&B stuff – bass lines and melodies and chord structures and things of that nature.«34 Solange es um einzelnen Klangfarben (Sounds) geht, wird kein Urheber- recht eines Komponisten verletzt, denn ein einzelner Klang gilt nicht als »Werk« im Sinne des Gesetzes.35 Auch das Leistungsschutzrecht des Inter- preten wird – zumindest im deutschen Recht – nicht tangiert, da dieses nur die Darbietung von »Werken« im Sinne des Gesetzes umfasst. Strittig aber ist die Frage, ob das Leistungsschutzrecht des Tontr gerherstellers durch das Sound-Sampling tangiert ist. Denn das Leistungsschutzrecht des Tontr gerherstellers besteht unabh n- gig davon, ob auf seiner Schallplatte die Darbietung eines »Werks« zu hçren ist oder Aufnahmen, die nicht Werke im Sinne des Urheberrechts sind, etwa in der Natur aufgenommene Vogelstimmen. Unklar ist, zumindest im deut- schen Recht, ob die Kopie schon eines kleinen Musikfetzens dieses Recht verletzt oder erst die Kopie eines substanziellen Teils. Die meisten Juristen, die sich mit Fragen des Sampling besch ftigen, sind praktizierende Anw lte in Diensten von Rechteinhabern und neigen als solche zu weiten Auslegun- gen der Schutzbereiche. Der M nsteraner Professor Thomas Hoeren dage- gen verweist auf den urspr nglichen Zweck des Rechts der Tontr gerher- 204 Von Tondichtern und DJs – Urheberrecht zwischen Melodieneigentum und Musikpraxis steller: Weil es darum gehe, deren Investitionen zu sch tzen, komme es darauf an, ob das Sampling im jeweiligen Einzelfall einer normalen Auswer- tung des Tontr gers zuwiderl uft. Das aber sei beim Sound-Sampling nicht der Fall. Wenn sich die Auffassung Hoerens im deutschen Recht durchsetz- te, w re dies eine nationale Sonderregelung. Im englischen und amerikani- schen Recht, wo die meisten bisherigen Sampling-Klagen verhandelt wur- den, ist die Situation eindeutig: Schon die kleinste bernahme eines Tontr gers gilt als »Copying« und ist in der Regel genehmigungspflichtig. Bei der k nstlerischen Arbeit mit einzelnen Kl ngen kommen also nur die Leistungsschutzrechte der Tontr gerhersteller in Betracht. Bei der ber- nahme grçßerer musikalischer Einheiten, vor allem wenn es deutlich er- kennbare Melodien sind, sind immer auch die eigentlichen Urheberrechte tangiert. Diese werden in der Regel von Musikverlagen wahrgenommen und im internationalen Musikgesch ft Publishing Rights genannt. Die Ver- leger verkaufen Lizenzen zur Nutzung der von ihnen vertretenen Musik- werke. Dazu gehçren u. a. die Rechte an der mechanischen Reproduktion auf Tontr gern (so genannte »mechanicals«), Auff hrungsrechte, Rechte an der Verwendung einer Musik in Film, Fernsehen undWerbung, Rechte am Verkauf von Noten sowie an den Verwertungen im Ausland. Die eigent- lichen Urheberrechte, das heißt die Rechte an der Verwertung einesMusik- werks (in welcher Form auch immer: Papier, CD, Radio, Internet) sind im- mer zu unterschieden von den Rechten an der Verwertung einer Tonaufnahme, den so genannten Leistungsschutzrechten. Die Kategorien des Urheberrechts wurden entwickelt, bevor es verl ss- liche technische Reproduktionsmedien gab. Damals hing der Erfolg eines Musikst cks in der popul ren Musik in viel hçherem Maße als heute von der Komposition ab. Deshalb war es angemessen, die Komponisten, Text- dichter und Verleger mit weitgehenden Rechten auszustatten. Heute aber h ngt der Erfolg vieler Schallplatten mehr vom Sound ab als von der Kom- position. F r diesen Sound aber sind die Interpreten (neben Instrumenten- bauern und Toningenieuren) in viel hçherem Maße verantwortlich als die Komponisten. Die rechtliche Bevorzugung von Verlegern und Komponis- ten gegen ber den Interpreten hat finanzielle Konsequenzen, die immer dann ungerecht erscheinen, wenn sie den Wert des jeweiligen Beitrags zum Erfolg einer Schallplatte nicht angemessen ber cksichtigen. Von Lou Reed etwa wird berichtet, er habe immense Summen f r die Lizen- sierung der Bass-Samples aus seinem Lied »Walk on the Wild Side« erhalten. Der Bassist aber, der die Tonspur eingespielt hatte, w hrend Lou Reed selbst gar nicht im Studio war, bekam einmalig £ 20 und wurde an der Verwer- tung des Samples gar nicht mehr beteiligt.36 205 Friedemann Kawohl und Martin Kretschmer Bittersweet Symphony – oder: Wie Rechteinhaber am Originalwerk ihre berragende Position gegen ber Interpreten und Bearbeitern ausn tzen Lehrreich ist der Fall der britischen Gruppe »The Verve«, die 100 % der Publishing Rights f r ihren Song Bittersweet Symphony an den ehemaligen Rolling-Stones-Manager Allen Klein abtreten musste, obwohl sie gar kein Tontr ger-Sample benutzt hatten. Die Musiker von »The Verve« hatten ein Streicherarrangement auf einer 1966 verçffentlichten Platte des Andrew Loog Oldham Orchestras gefunden. Oldham, damals Manager der Rolling Stones, hatte zusammen mit dem Arrangeur David Withaker f r diese Platte zehn der bekanntesten Lieder der Stones f r Orchester bearbeitet.37 Als Ein- leitung zu dem Lied The Last Time wurden einige Streicherakkorde arran- giert. Die Gemeinsamkeiten zwischen dem Streicherarrangement und der Einleitung des Stones-Originals beschr nken sich auf eine in der Popmusik h ufig gebrauchte Akkordfolge – die ohnehin nicht urheberrechtlich ge- sch tzt ist – sowie eine nur beim genauen Zuhçren wahrnehmbare melo- dische Gewichtung innerhalb der Streicherstimmen. F r die Platte von »The Verve« wurde nun dieses Streicherarrangement benutzt, allerdings in einer neuen Aufnahme (mit gesampleten Streicherkl ngen) und berlagert mit vielen weiteren Spuren: Robert Ashcroft von Verve erkl rte: »We sampled four bars. That was on one track. Then we did 47 tracks of music beyond that little piece. We’ve got our own string players, our own percussion on it. Guitars. We’re talking about a four-bar sample turning into Bitter Sweet Sym- phony and they’re still claiming it’s the same song.«38 Die Plattenfirma von »The Verve« hatte bei der Decca, dem Hersteller der Oldham-Platte eine Genehmigung f r die Verwendung des Streicher- arrangements eingeholt. Zwar hatten sich die Mitglieder der Rolling Stones zustimmend ber den Song von »The Verve« ge ußert, doch die entschei- denden Urheberrechte (Publishing Rights) liegen l ngst nicht mehr bei den Musikern, sondern bei der Firma ABCKO von Allen Klein, einem anderen ehemaligen Manager der Rolling Stones. Richard Ashcroft von »The Ver- ve« firmiert jetzt auf der Platte nur noch als Textdichter: »Bittersweet Sym- phony written byMick Jagger & Keith Richards, published by AbckoMusic Inc., Lyrics by R. Ashcroft.« Am Fall der Bitter Sweet Symphony wird die problematische rechtliche Bevorzugung der Rechteinhaber am Original gegen ber den Bearbeitern und Interpreten deutlich. Historisch gesehen ist die starke Stellung der Komponisten und ihrer Rechtsvertreter, in der sthetik der klassischenMu- sik des 19. Jahrhunderts begr ndet, wie wir oben gezeigt haben. Rechts- 206 Von Tondichtern und DJs – Urheberrecht zwischen Melodieneigentum und Musikpraxis dogmatisch verankert ist sie im erkl rten Ziel des Urheberrechts, die Ur- heber mçglichst umfassend in ihren »geistigen und persçnlichen Beziehun- gen zum Werk« (UrhG § 11) zu sch tzten. Den Interpreten werden dage- gen nur eine klar umgrenzte Gruppe von Rechten zugestanden und die Bearbeiter sind gezwungen, auf die ihnen angebotenen Bedingungen ein- zugehen. Wegen dieser rechtlichen Abh ngigkeit leugnen viele Produzen- ten von so genannten Coverversionen schlicht ihren Bearbeiteranteil. Denn, wenn sie sich als nicht-bearbeitende Interpreten ausgeben, m ssen sie keine Genehmigung einholen, verlieren allerdings einen betr chtlichen Teil der eigentlich ihnen zustehenden Verg tung. Fragen sie um eine Genehmigung zur Bearbeitung an, so erhalten sie diese oft nur, wenn sie bereit sind, auf eine Beteilung an den urheberrechtlichen Eink nften aus der Verwertung dieser Bearbeitung – vor allem ber die Verwertungs- gesellschaften – zu verzichten. In solchen F llen erkl ren die Verlage, dass »sie der Bearbeitung nicht ausdr cklich ›zustimmen‹, sie jedoch ›dulden‹ mit der Maßgabe, dass die Schçpfer der Coverversionen bzw. Remixes an den urheberrechtlichen Eink nften der neuen Versionen nicht beteiligt werden und im Urheberrechtsvermerk nicht genannt wer- den.«39 Manche Musikverlage kçnnen sogar ber die 100 % Verlags- tantiemen hinausgehend eine Beteiligung an den leistungsschutzrechtlichen Eink nften (ein so genanntes »Override«) verlangen, da die Bearbeiter im Bereich der Popmusik ja meist auch die Interpreten ihrer Bearbeitun- gen sind.40 Sound-alikes H tten »The Verve« die Herkunft der ersten vier Takte der Bitter Sweet Sym- phony verschwiegen, so w re es sehr schwierig geworden, eine Urheber- rechtsverletzung nachzuweisen. Die Rechteinhaber des Rolling Stones Ka- taloges h tten hnlichkeiten aufzeigen m ssen, die nur als Kopie zu erkl ren gewesen w ren. Denn ein musikalischer Stil oder ein Genre ist nicht sch tz- bar. Rhythmen und Harmoniefolge d rfen sehr weitgehend nachgeahmt werden. Auch bei Melodien kçnnen wenige charakteristische Abweichun- gen ausreichen, um eine Nachahmung als neues Werk zu deklarieren. Auch die Imitation eines spezifischen Sounds ist weitgehend frei: F r die erfolg- reiche Klage des S ngers Tom Waits vor einem amerikanischen Gericht gegen einen Nachahmer seiner charakteristischen »Rasierklingenstimme« waren nicht urheberrechtliche, sondern persçnlichkeits- und markenrecht- liche Prinzipien entscheidend.41 207 Friedemann Kawohl und Martin Kretschmer Die gezielte Ausnutzung der urheberrechtlichen Freiheiten hat inzwi- schen ein eigenes Genre hervorbracht: Die so genannten Sound-alikes, die vor allem f r die Verwendung in Werbespots, Filmmusiken und Com- puterspielen produziert werden. Dabei geht es stets darum, sehr bekannte und erfolgreiche Musiken zu imitieren, ohne aber die entsprechend hohe Verg tung an die Rechteinhaber zahlen zu m ssen. Die Komponisten m s- sen also haarscharf am Urheberrecht vorbeischrammen. In den Jahren nach Erschienen des Films Titanic hatte jede f nfte Hollywoodproduktion eine hnlich klingende Titelmusik, und wer einmal Gelegenheit hat, die Tonspur zum Harry-Potter-Computerspiel zu hçren, wird sich, wenn er sie gehçrt hat, an die wabernden Orchesterkl nge im Harry-Potter-Film erinnern kçnnen. Erst durch den genauen Blick auf die abgedruckten Rechtsnach- weise kommt der Musikhçrer den komplexen Bedingungen moderner Mu- sikproduktion auf die Spur. Dj-ing Wie die aktuelle Musikpraxis die Kategorien des Urheberrechts durcheinan- der bringt, ist wohl am besten an der Praxis des Dj-ing zu beobachten. Hier haben sich grunds tzlich neue Vorstellungen vom Verh ltnis zwischen Ur- hebern und Nutzern, und zwischen der Produktion und der Rezeption von Musik etabliert. Grundlage des im 19. Jahrhundert entwickelten Urheber- rechts der Musik waren Vorstellungen von musikalischer Kommunikation, f r die Beethoven treffende Worte gefunden hat, als er der autographen Partitur seiner Missa solemnis das Motto voranstellte: »Von Herzen – Mçge es wieder – zu Herzen gehn!«42 Der Komponist schçpft aus seinem Inneren, materialisiert eine imaginierte Musik in der Partitur, damit diese sp ter aufgef hrt und bei den Zuhçrern eine entsprechende Empfindung auslçsen kann. Der Interpret ist auf diesem Weg der Vermittler, der die Botschaft des Komponisten dem Publikum zutr gt. Vergleichen wir damit den DJ. In einer traditionellen Analyse ist der Platten auflegende Diskjockey weder Komponist noch Interpret, sondern schlicht ein Hçrer, ein unproduktiver Nutzer verschiedener Musikwerke, die in Form von Schallplatten vorliegen. In der Technokultur aber gilt der DJ als Musiker: »Wenn Sie auf einer Party gefragt werden, ob Sie auch mal ›die Musik machen‹ wollen, so erwartet niemand von Ihnen, dass Sie ein Instrument auspacken und musizieren, sondern dass Sie die Rolle des Disk Jockey bernehmen.«43 Der Diskurs der Techno-Kultur, so der Popmusik- forscher Peter Wicke, kennt weder die Kategorie »Musiker« noch deren 208 Von Tondichtern und DJs – Urheberrecht zwischen Melodieneigentum und Musikpraxis strukturellen Gegenpol, den »Hçrer«. Hier ist nicht mehr von »Songs«, von »Musiktiteln« oder »-st cken« die Rede sondern von »Tracks«. Die im Stu- dio vorproduzierten »Tracks« sind aber nicht Tontr ger, auf denen Musik- werke dokumentiert sind. Die Tracks, so Wicke weiter, sind »nur eine Art von Instrumenten (…). Mit ihnen stellt der DJ dann vermittels eines ganzen Repertoires von Misch-Techniken in der Diskothek eine klangbezogene Erfahrung her, die keinerlei dingliches quivalent in Form eines aus diesem Zusammenhang herauslçsbaren ›St cks‹, ›Titels‹ oder ›Produkts‹ mehr be- sitzt. Da es damit durch Dritte weder ausgebeutet noch zerredet oder in der gehabten Art umdefiniert werden kann, entzieht die Praxis des ›Dj-ing‹ Techno tats chlich nicht ohne Erfolg der Usurpation durch den etablierten Popmusikdiskurs.«44 Diese idealisierende Sicht Wickes ist wohl inzwischen von der Realit t eingeholt worden, denn inzwischen werden die Produktionen vieler DJs auf CDs gebannt und wie andere Produkte vermarktet. bertr gt man Wickes Analyse und Terminologie auf die Kategorien des Urheberrechts, so w re der DJ einerseits aus bender Musiker, insofern er die »tracks« wie Instru- mente spielt und gleichzeitig Urheber, da er die vorproduzierten »tracks« erst zu einer musikalischen Form »komponiert«. Der Werknutzer wird hier selbst kreativ und verlangt zu Recht nicht nur einen Wegfall unangemes- sener Behinderungen seiner kreativen T tigkeit, sondern auch eine ange- messene Beteiligung an deren Erfolg. 4. Ein neuer Ansatz zur rechtlichen Beurteilung produktiver Nutzungen Die Kategorien des Urheberrechts wurden zur Regulierung musikalischer Praktiken in einemMusikmarkt entwickelt, der mit dem heutigen nur noch wenig zu tun hat. Wir schlagen deshalb vor, die traditionellen Kategorien: Original, Bearbeitung, Auff hrung zu ersetzen durch eine differenzierende Sicht auf das sehr viel breiter gewordene Spektrum unterschiedlicher Typen produktiver Nutzung. Die Kategorien, nach denen eine solche differenzie- rende Sicht entwickelt werden kann, sind abh ngig von der Legitimation des Urheberrechts. Auf dieser Ebene der Legitimation wollen wir zwischen einer traditionellen Analyse und einer neueren, den Bed rfnissen der Infor- mationsgesellschaft eher angemessenen Analyse unterscheiden. In der Theorie des Urheberrechts seit der zweiten H lfte des 19. Jahr- hunderts werden ein persçnlichkeitsrechtliches und ein vermçgensrecht- 209 Friedemann Kawohl und Martin Kretschmer liches Interesse des Urhebers identifiziert.45 Unter den Normen der Berner bereinkunft gehçrt zu den Urheberpersçnlichkeitsrechten (franz. droit mo- ral, engl. moral rights) das Recht, »die Urheberschaft am Werk f r sich in Anspruch zu nehmen und sich jeder Entstellung, Verst mmelung, sons- tigen nderung oder Beeintr chtigung des Werkes zu widersetzen, die sei- ner Ehre oder seinem Ruf nachteilig sein kçnnten.«46 Vermçgensinteres- sen werden hingegen als ausschließliches und bertragbares Recht zur Ver- wertung begriffen, oft ebenfalls auf naturrechtlicher Grundlage: die Fr chte schçpferischer Arbeit sind dem Urheber zuzuordnen. Folgen wir diesen traditionellen urheberrechtlichen Grunds tzen, so lassen sich die verschie- denen Typen produktiver Nutzung nach zwei Kriterien ordnen: Erstens, ber hrt eine Aneignung die persçnliche Integrit t des Autors und zweitens, sind die Resultate produktiver Nutzungen entweder berwiegend als Re- sultat fr herer Arbeit zu werten oder vor allem als Ergebnis der T tigkeit des Nutzers. Die Sch digung der Urheberpersçnlichkeit ist in Grafik 1 auf der vertikalen Achse angezeigt. Wird eine Aneignung kommerziell erfolgreich und der Originalautor von diesem Erfolg ausgeschlossen, so wird der Autor um das Recht gebracht, die Fr chte seiner Arbeit zu genießen. In Grafik 2 wird dieser materielle Schaden des Autors auf der horizontalen Achse angezeigt. Sound-alike Plagiat Arrangement Parodie Coverversion Sampling Transkription Zitat Dj-ing Aneignung fremder Arbeit Grafik 1: Produktive Nutzung: Traditionelle Analyse 210 Schädigung der Urheberpersönlichkeit Von Tondichtern und DJs – Urheberrecht zwischen Melodieneigentum und Musikpraxis Denmaximalen Schaden erleidet der Originalautor im Fall eines Plagiats, das heißt einer bernahme eines gesamten Werks unter einem falschen Auto- rennamen. Hier entgeht ihm einerseits das Honorar f r die Nutzung des Werks, das ihm ja in voller Hçhe zusteht; andererseits wird er aber auch um die Anerkennung seiner k nstlerischen oder wissenschaftlichen Leistung und um den Beifall des Publikums gebracht. Wegen des maximalen Scha- dens auf beiden Ebenen steht das Plagiat in unserem Schaubild ganz rechts und ganz oben. Die Gegenposition auf beiden Achsen wird durch das Zitat besetzt. Wird ein Autor zitiert, so wird sein Ansehen als Autor nicht besch digt – im Ge- genteil: in den Wissenschaften steigt sein Ansehen sogar durch das Zitiert- werden. Der Akt des Zitierens ist selbst schçpferisch, und auch materielle Einbußen muss der zitierte Autor kaum bef rchten. Im Schaubild rechts unten stehen Transkriptionen, einfache Transposi- tionen in andere Tonarten oder bertragungen f r andere Instrumente. Durch solche Umgestaltungen wird die Urheberpersçnlichkeit der Origi- nalautoren kaum besch digt, wenn die Anteile von Originalautor und pro- duktivem Nutzer erkennbar sind und nicht etwa der Nutzer f lschlich be- hauptet, einen grçßeren Anteil beigetragen zu haben. Die materiel- len Einbußen f r die Rechtinhaber an der Vorlage aber kçnnen betr cht- lich sein. Ein CD-K ufer etwa, der sich f r die Lautensuiten von Johann Sebastian Bach interessiert, kann mçglicherweise durch eine Transkrip- tion f r die Gitarre vçllig zufriedengestellt werden. Und f r einen sowohl des Englischen als auch des Deutschen kundigen Leser kann die englische Fassung eines im Original deutschen Sachbuches einen gleichwertigen Er- satz bieten. Ganz oben und relativ weit links stehen die Sound-alikes. Durch diese wird die Urheberpersçnlichkeit gesch digt, denn der weniger aufmerksame Zuhçrer h lt das Gehçrte f r das bekannte Original. Der Komponist des Sound-alike eignet sich in gewissem Maße das Resultat fremder Arbeit an, doch muss er auch selbst sehr viel Arbeit investieren, damit die Differenz zumOriginal immer groß genug bleibt, um nicht als unerlaubte Bearbeitung zu gelten. Durch eine Parodie oder eine andere Form der kritischen Adaption kann die Urheberpersçnlichkeit der Originalautoren gesch digt werden. In den meisten F llen wird man aber die Freiheit der K nste und Wissenschaften hçher bewerten als die Kr nkung des Urhebers durch eine kritische Aus- einandersetzung mit seinem Werk bzw. die Verwendung eines Ausschnitts in fremdem Kontext. Das Sampling wird hnlich behandelt wie die Parodie: Durch beide Praktiken wird die Persçnlichkeit des Originalautors in gerin- 211 Friedemann Kawohl und Martin Kretschmer gem Maße gesch digt und er wird in geringem Maße um die Fr chte seiner Arbeit gebracht. Arrangements und Coverversionen stehen auf beiden Achsen etwa in der Mitte, denn eine genaue Einordnung kann nur f r konkrete F lle getroffen werden. Wenn sie sehr nah am Original bleiben, kçnnen Coverversionen und Arrangements die Urheberpersçnlichkeit sch digen und den Urheber um die Fr chte seiner Arbeit bringen. Bei freieren Versionen aber wird der Originalautor auf beiden Ebenen so gut wie nicht gesch digt. Beim DJ-ing wird eine Urheberpersçnlichkeit in der Regel nicht gesch - digt, da ja der Produzent der Schallplatte nur ein Material liefert, aus dem erst der DJ dann die Musik macht. Der Schallplattenproduzent hat also we- niger das Ansehen eines Komponisten als das eines f higen Instrumenten- bauers. Der DJ eignet sich aber in betr chtlichem Maße fremde Arbeit an, denn er investiert oft weniger eigene Arbeit in das Spiel mit den Klangspu- ren als etwa ein Instrumentalvirtuose, der sein Instrument erst nach jahre- langem ben beherrscht; zudem ist der vorproduzierte Sound entscheidend f r den Erfolg der entstehenden Musik. Unter den Bedingungen der Informationsgesellschaft haben sich die An- forderungen an das Urheberrecht gewandelt. Die Urheberrechtssysteme des 18. und fr hen 19. Jahrhunderts dienten vor allem dem Interessensausgleich zwischen Verlegern, von denen einige hohe Investitionen f r Originalmanu- skripte, Druckmaschinen und Kupferplatten refinanzieren mussten, w hrend andere verh ltnism ßig billige Nachdrucke produzierten. Seit den 1860er Jahren formierten sich starke Autorenverb nde und Verwertungsgesellschaf- ten f r Komponisten, literarische Autoren, Journalisten. So wurde das Ur- heberrecht im Zuge einer Verb rgerlichung der kreativen Berufe zum Aus- tragungsort f r Konflikte zwischen Autoren und Verwertern. Die Techniken der Digitalisierung seit den 1980er Jahren und die Ver- breitung des Internets seit 1996 haben dazu gef hrt, dass jetzt die Konflikte zwischen Nutzern und Verwertern ins Zentrum urheberrechtlicher Aus- einandersetzungen r cken.47 Mit großem çffentlichem Interesse wurden etwa die Auseinandersetzungen der Phonoindustrie mit Mitgliedern und Betreibern von Musiktauschbçrsen wie Napster verfolgt. Die kreativen Nutzer in unseren Beispielen sehen sich prinzipiell hnlichen Problemen ausgesetzt wie die in musikalischer Hinsicht unproduktiven Nutzer der Mu- siktauschbçrse. Auch die produktiven Nutzer m ssen, bevor sie berhaupt als Bearbeiter, Interpret usw. selbst urheberrechtlichen Schutz f r ihre T - tigkeit beanspruchen kçnnen, zun chst Lizenzen einholen und daf r mit international verflochtenen Musikkonzernen verhandeln, die gegen ber dem einzelnen K nstler berm chtig erscheinen. 212 Von Tondichtern und DJs – Urheberrecht zwischen Melodieneigentum und Musikpraxis Die ver nderte Interessenskonstellation erfordert neue Kriterien zur Be- urteilung produktiver Nutzungen. Im zweiten Schaubild haben wir die tra- ditionellen Kriterien ersetzt: Statt um »Sch digung der Urheberpersçnlich- keit« und »Aneignung fremder Arbeit« geht es jetzt um die »Verunklarung der Quellen« und, utilitaristisch, um die »Konkurrenz zum genutzten Ori- ginal«. Nutzungen, die auf der vertikalen Achse im oberen Bereich liegen sind unethisch aus ersten Prinzipien einer Informationsgesellschaft. Nutzun- gen, die auf der horizontalen Achse im rechten Bereich liegen, unterwan- dern Investitionen. Marktversagen droht. Der Schutz der Urheberpersçnlichkeit war wesentlicher Bestandteil der autorenzentrierten Urheberrechtssysteme in den kontinentaleurop ischen L ndern. ber die Berner bereinkunft wurden Mindeststandards der so genannten »moral rights« auch in den Rechtssystemen anderer L ndern in- stalliert. Wir postulieren, dass die persçnlichkeitsrechtlichen Belange der Urheber heute ebenso gut oder sogar besser im Rahmen der allgemeinen Persçnlichkeitsrechte als innerhalb des Urheberrechts geregelt werden kçn- nen. Denn die persçnlichkeitsrechtliche Legitimation des Urheberrechts verdeckt den Blick darauf, dass heute nicht mehr Komponisten, Literaten und mit diesen persçnlich verbundene Verlegerpersçnlichkeiten die markt- bestimmenden Akteure sind, sondern industriell organisierte, weltweit agierende Rechteinhaber, die den Autoren fast alle Rechte abkaufen. Neu zu ber cksichtigen sind stattdessen die Interessen sowohl der Kreativen als auch der Konsumenten, ber die Quellen einer Information aufgekl rt zu werden. Aus hnlichen Gr nden halten wir auch die »Aneignung fremder Arbeit« heute nicht mehr f r ein entscheidendes Kriterium zur rechtlichen Einord- nung produktiver Nutzungen. Urheberrechtlich gesch tzte kreative Leis- tungen werden heute meist innerhalb von geregelten Arbeitsverh ltnissen erbracht oder durch einmalige Zahlungen an die Urheber verg tet. Die Ar- beit der Urheber wird also in der Praxis vor allem durch individuell aus- gehandelte Vertr ge entlohnt und nicht durch das Urheberrecht. Um aber den Kernkonflikt zwischen Nutzern und Verwertern zu moderieren, m s- sen urheberrechtliche Regelungen auf den Interessensausgleich zwischen diesen Gruppen zielen: Den Verwertern ist ein angemessener Investitions- schutz zuzusichern und den Nutzern ein mçglichst breites und gleichzeitig g nstiges Angebot. Plagiat und Zitat stehen auch unter den neuen Kategorien in Grafik 2 an den extremen Positionen. Verschiebungen aber lassen sich bei den anderen Typen produktiver Nutzung beobachten. Die kritische Aneignung, etwa durch eine Parodie, und das Arrangement r cken nahe an das erlaubte Zitat, 213 Friedemann Kawohl und Martin Kretschmer Sampling Sound-alike Plagiat Arrangement Dj-ing Coverversion Parodie Transkription Zitat Konkurrenz zum genutzten Original Grafik 2: Produktive Nutzung: Informationsgesellschaft solange die Quellen genannt werden und der Unterschied zum Original groß genug ist, um nicht in unmittelbarer Konkurrenz zum Original zu stehen. F r kaum einen Hçrer oder Leser bieten Zitat oder Parodie einen ausreichenden Ersatz f r das Original, so dass er auf dessen Kauf verzichtet. Eher wird die durch das Zitat geweckte Neugier zu einer Steigerung der Nachfrage nach dem zitierten Werk f hren. Auch das Dj-ing steht neben Parodie und Zitat, weil es nicht in Konkurrenz zum vorgefundenen Ma- terial, das heißt der einzelnen, vorgefertigten Klangspur steht. In F llen von Sampling sehen wir in der Regel keine Gefahr einer direkten Konkurrenz zum Original, da ja in der Regel nur einzelne Kl nge oder einzelne kurze Figuren (»riffs«) gesamplet werden. Im Unterschied zu Zitat und Parodie wird den Hçrern allerdings nicht klar, welche Quellen benutzt werden. Um diesem Informationsbed rfnis der Nutzer sowie dem Recht der Mu- siker der verwendeten Tonspuren auf Nennung ihres Namens gerecht zu werden, schlagen wir eine Pflicht zur mçglichst genauen Kennzeichnung der verwendeten Tonspur vor: Plattentitel, Labelcode, Name der Musiker, Produzent, Tonmeister usw., die auf dem Plattencover oder im beiliegen- den booklet abgedruckt werden kann. Das Sound-alike ist in Grafik 2 weit nach rechts in die N he des Plagiats ger ckt. Hier m ssen wettbewerbliche Gr nde ber cksichtigt werden sowie eine mçgliche Irref hrung der Kon- sumenten. Zur Entscheidung von Streitigkeiten um Sound-alikes sind aber 214 Verunklarung der Quellen Von Tondichtern und DJs – Urheberrecht zwischen Melodieneigentum und Musikpraxis wohl eher markenrechtliche Prinzipien anzuwenden als eigentlich urheber- rechtliche. Ob ein Sound-alike verboten oder erlaubt sein soll, kann also nicht am imitierten musikalischen Material (Klangfarbe, Harmonie, Melo- die, Rhythmus) gemessen werden, sondern an der Gefahr der Irref hrung der Verbraucher, die auch vom Verwendungszweck der jeweiligenMusiken abh ngt. 5. Ergebnisse Musik und andere K nste stehen immer in der Spannung zwischen Altem und Neuem. Traditionen werden fortgef hrt, unterschiedliche Traditionen verbunden und durch neue Elemente transformiert. Diese Grundbedingung k nstlerischer Arbeit wurde aber innerhalb der europ ischen Tradition f r etwa 200 Jahre durch das »Reinheitsgebot« des abstrakten Werkes geleug- net. Das Konzept des »abstrakten Werks« und die Differenzierungen zwi- schen Original, Bearbeitung und Interpretation basieren auf der Musikpraxis und Musik sthetik des 19. Jahrhunderts. Heutige Musikpraktiken unterlau- fen diese Kategorien wieder. Das in seinen Grundz gen im 19. Jahrhundert entwickelte Urheberrecht konserviert diese berholten Kategorien durch die Unterscheidungen zwi- schen freier Benutzung und Bearbeitung und zwischen Bearbeitung und Darbietung. Das Konzept des abstrakten Originalwerks ist durch eine Reihe exklusiver Rechte ausgestaltet worden. Viele kreative Nutzungen sind heute nur mçglich mit der ausdr cklichen Einwilligung des Rechteinhabers, die der sich oft teuer bezahlen l sst. Diese Lizenzpraxis hat unerw nschte Kon- sequenzen: – Produzenten von Coverversionen leugnen ihren Bearbeiteranteil, weil sie als bloße Interpreten keine ausdr ckliche Genehmigung einholen m ssen. – Dj-ing bewegt sich, sp testen dann, wenn die Ergebnisse auf Tontr gern verçffentlicht werden, im rechtlich unsicheren Bereich der nicht geneh- migten Bearbeitung und wird als kreative, musikalische T tigkeit nicht angemessen honoriert. – Weil unlizensierte Samples toleriert werden, solange sie nicht eindeutig zu identifizieren sind, verbergen kreative Nutzer ihre Quellen, um nicht f r ein sekundenlanges Sample bis zu 100 % ihrer Eink nfte abtreten zu m ssen. – Erkennbare Referenzen werden oft nicht durch eindeutige Zitate, son- dern durch Sound-alikes geleistet. 215 Friedemann Kawohl und Martin Kretschmer Solche Effekte widersprechen dem grundlegenden Bed rfnis der Informa- tionsgesellschaft auf Offenlegung von Quellen und behindern die kreative Arbeit unabh ngiger Musiker, die nicht auf die Lizenzabteilung eines Mu- sikkonzerns zur ckgreifen kçnnen. Urheberrechtliche Regelungen haben es wohl noch nie vermocht, k nstlerische Entwicklungen langfristig zu behindern. Recht kann der Ver- meidung und Lçsung von Konflikten dienen und passt sich gesellschaftli- chen Entwicklungen stets nur zçgerlich an. Im Rahmen einer absehbaren Neuorientierung des Urheberrechts an den Bed rfnissen der Informations- gesellschaft haben wir versucht, rechtliche Kategorien zu entwickeln, die auch unter den Bedingungen heutiger Musikpraktiken geeignet sind zur Regulierung der kreativen Nutzung vorhandener Musik. Die beiden vor- geschlagenen Kategorien verstehen wir als einen Beitrag f r weitere Dis- kussionen dar ber, unter welchen Bedingungen die Nutzung vorbestehen- der Musik eingeschr nkt werden soll. Statt des bisher f r fast alle Nutzungen vorgesehenen exklusiven Verbots- rechts des Rechteinhabers schlagen wir eine Differenzierung vor, die den unterschiedlichen Nutzungsformen eher gerecht werden kann. Alternativen zur Durchsetzung von Exklusivrechten sind insbesondere: eine Pflicht zur Nennung von Quellen an angemessener Stelle sowie die Zahlung einer an- gemessenen Verg tung, wie sie sich etwa f r Tonaufnahmen bereits ver- çffentlichter Kompositionen, f r çffentliche Auff hrungen und Rundfunk- bertragungen bew hrt hat.48 Anmerkungen 1 Mattheson (1739). Das Werk des vor allem in Hamburg wirkenden Musikers Mat- theson (1681–1764) gilt als ein Hauptwerk der Musiktheorie des 18. Jahrhunderts und wurde mit folgenden Worten angek ndigt: »Der Vollkommene Capellmeister, das ist gr ndliche Anzeige aller derjenigen Sachen, die einer wissen, kçnnen und vollkommen inne haben muss, der einer Capelle mit Ehren und Nutzen vorstehen will.« 2 Philipp Heinrich Erlebach, zitiert nach Pohlmann (1962), S. 126. 3 Marshall (1973); New Grove (Artikel »Arrangement«). 4 Anschaulich dargestellt etwa auf: [http://home.telepath.com/~hrothgar/muffat_ to_handel_c.html]. 5 King (1950); vgl. auch die Bibliographie ber »musical borrowing«: [http:// www.music.indiana.edu/cgi-bin/chmtl/ifetch?borrowing+1653506+F]. 6 Schrçder (1994). 7 Young (1759). 8 Kaden (1992), S: 27. 9 Humboldt (1907/1968), S. 47. 216 Von Tondichtern und DJs – Urheberrecht zwischen Melodieneigentum und Musikpraxis 10 Mattheson (1739), S. 82. 11 Kant (1990), § 269. 12 Hoffmann (1988), S. 96. 13 Marx (1824), S. 95. 14 Hanslick (1854). 15 Schopenhauer (1988), S. 345. 16 Zit nach Gieseke (1975), S. 122. 17 Franz Liszt, Brief vom April und Mai 1838 an Massard, zit. nach R diger (o.J.). 18 Otto Jahn: Aufforderung zur Stiftung einer Bach-Gesellschaft (1850), in: Kretzschmar (1899), S. XXXII. 19 Mit Martin Geck kçnnte man von einer Musik des deutschen Idealismus sprechen, vgl. Geck (1993). 20 Beethoven reagierte in einer çffentlichen Anzeige auf die bei Hofmeister in Wien erscheinenden Streichquartett-Versionen seiner 1. Symphonie und seines Septetts op. 20. Erschienen in Wiener Zeitung 30. Oktober 1802 und Intelligenzblatt der Allgemeinen Musikalischen Zeitung 3. November 1802, zit. nach Ladenburger (2005), S. 146, Fn 22. 21 Zit. nach Schneider (1984), S. 5. 22 Ankn pfend an diesen ersten Vertrag feierte der Deutsche Musikverlegerverband im Jahr 2004 sein 175j hriges Jubil um. 23 Bekanntmachung des Musikalienh ndlervereins, in: Allgemeine Anzeigen der Deut- schen (Gotha) 40, Nr. 17, 18. Januar 1830, Sp. 227228, sowie Nr. 58, 28. Februar 1830, Sp. 156160, zit. nach Beer (2000), S. 69, Fn. 42, 43. 24 S chsisches Mandat von 131, abgedruckt in Kawohl (2002), Anhang, S. 136. 25 Preußisches Gesetz zum Schutz gegen Nachdruck und Nachbildung vom 11. Juni 1837, § 20, zit. Ebd, S. 244. 26 Unverricht (1968), S. 562 ff., 571, 574. 27 Ministerialentwurf (2000), S. 743 ff. 28 Vgl. Pendzich (2004), S. 28. 29 Riedel (1949), S: 236 ff.; Bullinger (2002), UrhG § 24, Rn. 16. 30 Noe (1985). 31 Hertin (1989), S. 159 ff. 32 Schon der Begriff des »aus benden K nstlers« verweist auf die im 19. Jahrhundert etablierte kategoriale Trennung zwischen dem werkschçpfenden und dem aus ben- den Musiker. Vgl. etwa Crelle, August Leopold: Einiges ber musicalischen Aus- druck und Vortrag. F r Fortepiano-Spieler, zum Teil auch f r andere aus bende Musiker. Berlin 1823; zit. nach: Danuser (1992). 33 Public Enemy, Chuck D. (1988). 34 »How Copyright Law Changed Hip Hop« (2002). Laut Chuck D f hrten drohende gerichtliche Verfahren dazu, dass Public Enemy ihren Stil einer »sonic wall« aus tausend gesampleten Kl ngen nach 1991 ndern musste. 35 Hoeren (2000), S. 113–132. 36 K nzler (1997), S. 20. 37 Berndorff/Berndorff/Eigler (2002), S. 171. 38 Baran (o.J.), letzter Abruf v. 15. November 2002. 39 Schulz (2000), S 233. 40 Das bemerkt auch Peter F. Schulz, vgl. ebd., S. 219. 41 Tom Waits v. Frito-Lay, Inc., 978 F. 2d 1093 (9th Cir. 1992). 217 Friedemann Kawohl und Martin Kretschmer 42 zit. nach Kunze (1984), S. S 59. 43 Großmann (o.J.). 44 Wicke (1997), S. 421–433. 45 Kohler (1880). Zur so genannten monistischen Theorie vgl. Schack (1997), S. 140, Rune 306. 46 Art. 6 bis. Die WTO TRIPS-Vereinbarung allerdings schließt diesen Paragraphen ausdr cklich aus (§ 9 (1)). Inzwischen sind alle grçßeren industrialisierten L nder Mitglied der Berner bereinkunft und dadurch an die dort festgelegten Standards gebunden. 47 Siehe dazu ausf hrlicher Kawohl (2006). In einigen unserer Beispiele sind die Au- toren zun chst in der Funktion des Nutzers vorbestehender Werke, bevor sie ber- haupt als Bearbeiter, Interpret usw. selbst f r ihre T tigkeit urheberrechtlichen Schutz beanspruchen kçnnen. 48 In unserem Aufsatz »Abstraction and Registration: Conceptual innovations and sup- ply effects in Prussian and British Copyright (1820–50)« haben wir außerdem vorgeschlagen, unerwartete produktive Nutzungen zu ermçglichen durch die Re- gistrierung von Rechten, die Inhaber zur Verwertung verpflichten; vgl. Kawohl/ Kretschmer (2003). Zur Debatte um alternative Verg tungsmechanismen vgl. »Berlin Declaration on Collectively Managed Online Rights: Compensation without Con- trol!«, 21. Juni 2004: [www.contentflatrate.org]. Literatur Baran, Madelaine (o.J.): Copyright and Music: A History Told in MP3’s, http:// www.illegal-art.org/audio/historic.html Beer, Axel (2000): Musik zwischen Komponist, Verlag und Publikum, Tutzing. Berndorff, Gunnar/Berndorff, Barbara/Eigler, Knut (2002): Musikrecht, 3. Aufl. Berg- kirchen. Danuser, Hermann (1992): Musikalische Interpretation (=Neues Handbuch der Musikwissenschschaft 11, Laaber. Geck, Martin (1993): Von Beethoven bis Mahler: Die Musik des deutschen Idea- lismus, Stuttgart-Weimar. Gieseke, Ludwig (1957): Die geschichtliche Entwicklung des deutschen Urheber- rechts, Gçttingen. Großmann, Rolf (o.J.): Xtended Sampling, kulturinformatik.uni-lueneburg.de/ grossmann/grossmann_xtended %20_sampling.pdf Hanslick, Eduard (1854): Vom Musikalisch-Schçnen. Ein Beitrag zur Revision der sthetik der Tonkunst, Wien. Hertin, Paul W. (1989): Das Musikzitat im deutschen Urheberrecht, in: GRUR 03, S. 159 ff. Hoeren, Thomas (2000): Sounds von der Datenbank – zum Schutz des Tontr ger- herstellers gegen Sampling, in: Christian Schertz/Hermann-Josef Omsels (Hrsg.): Festschrift f r Paul Hertin zum 60. Geburtstag am 15. November 2000, S. 113 ff. 218 Von Tondichtern und DJs – Urheberrecht zwischen Melodieneigentum und Musikpraxis Hoffmann, E.T.A. (1988): Schriften zur Musik. Gesammelte Werke, Bd. 9, Berlin- Weimar. How Copyright Law Changed Hip Hop (2002): An interview with Public Enemy’s Chuck D and Hank Shoklee, in: StayFree Magazine 20, Herbst. Humboldt, Wilhelm von (1907/1968): Ueber die Verschiedenheit des menschlichen Sprachbaus, in: Gesammelte Schriften, Bd. 6, Berlin. Kaden, Christian (1992): Abschied von der Harmonie der Welt. Zur Genese des neuzeitlichen Musik-Begriffs, in: Wolfgang Lipp (Hrsg.): Gesellschaft und Musik. Wege zur Musiksoziologie. Festgabe f r Robert H. Reichardt zum 65. Geburtstag, Berlin. S. 27–54. Kant, Immanuel (1974/1990): Kritik der Urteilskraft, hrsgg. v. Wilhelm Weische- del, 11. Aufl. Frankfurt a.M. Kawohl, F. (2006): Urheberrecht, in: Hans Neuhoff/Helga de la Motte-Haber (Hrsg.): Handbuch der Musiksoziologie (angek ndigt 2006). Kawohl, Friedemann (2002): Urheberrecht der Musik in Preußen 1820–1840 (= Quellen und Abhandlungen zur Geschichte des Musikverlagswesens 2), Tutzing. Kawohl, Friedemann/Kretschmer, Martin (2003): Abstraction and Registration: Con- ceptual innovations and supply effects in Prussian and British Copyright (1820–50), in: Intellectual Property Quarterly 2003/2, S. 209–228. King, Alec Hyatt (1950): The Melodic Sources and Affinities of Die Zauberflçte, in: The Musical Quarterly 36 (April), S. 241–258. Kohler, Josef (1880): Das Autorrecht, o.O. Kretzschmar, Hermann (1899): Die Bach-Gesellschaft. Bericht im Auftrage des Di- rectoriums, in Joh. Seb. Bach’s Werke, Bd. 46, Leipzig. Kunze, Stefan (1984): Beethovens Sp twerk und seine Aufnahme bei den Zeit- genossen, in: Sieghard Brandenburg (Hrsg.): Beitr ge zu Beethovens Kammer- musik. Symposion Bonn, S. 59–78. K nzler, Hanspeter (1997): zack hitti zopp fasch kitti bimm, in: NZZ Folio Nr. 10: Copyright, S. 20. Ladenburger, Michael (2005): Beethoven und seine Verleger. Gesch ftsbeziehun- gen. Strategien. Honorare. Probleme, in: Nicole K mpken/Michael Laden- burger (Hrsg.), »Alle Noten bringen mich nicht aus den Nçten – Beethoven und das Geld«, Ausstellungskatalog, Bonn: Beethoven-Haus, S. 143–152. Marshall, Robert Lewis (1973): The compositional Process of J.S. Bach, Princeton. Marx, Adolf Bernhard (1824), Artikeltitel, in: Berliner allgemeine musikalische Zei- tung 11, S. 95. Mattheson, Johann (1739): Der vollkommene Capellmeister, Hamburg 1739 (Fak- simile 1954/1965). Ministerialentwurf (2000), eines Urheberrechtsgesetzes vom 22. Januar 1934 (Deutschland), eingeleitet von Manfred Rehbinder, in UFITA 3, S. 743 ff. Noe, G nther von (1985): Die Musik kommt mir ußerst bekannt vor. Wege und Abwege der Entlehnung, Wien. 219 Friedemann Kawohl und Martin Kretschmer Pendzich, Marc (2004): Von der Coverversion zum Hit-Recycling. Historische, çkonomische und rechtliche Aspekte eines zentralen Ph nomens der Pop- und Rockmusik (Popul re Musik und Jazz in der Forschung 11), M nster. Pohlmann, Hansjçrg (1962): Fr hgeschichte des musikalischen Urheberrechts, Kassel. Riedel, Hermann (1949): Schutz der Melodie – eine Betrachtung zum gegenw r- tigen und zuk nftigen Urheberrecht, GRUR Heft 07, S. 236 ff. R diger, Wolfgang (o.J.): Vom Einfluss der Improvisation auf das Musikleben des 19. Jahrhunderts. Vortrag im Rahmen des Romantik-Projektes an der Robert- Schumann-Hochschule D sseldorf. Schack, Haimo (1997): Urheber- und Urhebervertragsrecht, T bingen. Schneider, Ernst Klaus (1984): Original und Bearbeitung. (= Kursmodelle Musik Sekundarstufe II), Frankfurt a.M. Schopenhauer, Arthur (1988): Die Welt als Wille und Vorstellung I., zit. nach: Arthur Schopenhauer. Werke in f nf B nden, hrsgg. v. Ludger L tkehaus, Bd. 1, Z rich. Schrçder, Gesine (1994): Artikel »Bearbeitung«, in: Musik in Geschichte und Ge- genwart, Bd. 1, Sp. 1322. Schulz, Peter F. (2000): »Remixes« und »Coverversionen« – Urheberrecht und Verwertung, in Christian Schertz/Hermann-Josef Omsels (Hrsg.): Festschrift f r Paul Hertin zum 60. Geburtstag am 15. November 2000, M nchen, S. 213–236. Unverricht, Hubert (1968): Autor, Komponist, Musikverleger, in: Richard Baum/ Wolfgang Rehm (Hrsg.): Musik und Verlag. Karl Vçtterle zum 65. Geburtstag am 12. April 1968, Kassel, S. 562–576. Wicke, Peter (1997): »Let the sunshine in your hearts«. Was die Musikwissenschaft mit der Love-Parade zu tun hat – oder: Von der diskursiven Konstruktion des Musikalischen, in: Die Musikforschung 50, S. 421–433. Winfried Bullinger (2002): Artikeltitel, in: Artur Wandtke/Winfried Bullinger (Hrsg.): Praxiskommentar zum Urheberrecht, M nchen. Young, Edward (1759): Conjectures on Original Composition, London; deutsche bersetzung zit. nach Artikel »Originalit t«, in: Historisches Wçrterbuch der Philosophie, Bd. 6, Darmstadt 1984, Sp. 1374. 220 Heike Andermann und Andreas Degkwitz Zirkulation wissenschaftlicher Information in elektronischen R umen 1. Krise eines Wachstumsmarkts? Seit jeher bem hen sich Wissenschaftler, die Ergebnisse ihrer Forschun- gen dauerhaft zu dokumentieren und zu verçffentlichen.1 Erfolgte die Ver- breitung von Ergebnissen wissenschaftlicher Forschung in der Antike ber Tontafeln und Papyrusrollen, im Mittelalter auf Pergament, so boten in der fr hen Neuzeit Papier und Buchdruck die technischen Voraussetzungen, die das Publizieren von B chern und Zeitschriften – und damit auch das wissenschaftliche Publikationswesen – bis heute grunds tzlich pr gen. Der »Bestseller« der fr hen Neuzeit war die Bibel, die erstmalig nicht mehr nur in Latein, sondern in der Sprache ihrer Leser mit einer bisher ungekannten Breitenwirkung verçffentlicht wurde. Doch bald kamen Druckwerke mit anderen Inhalten und Themen hinzu – die ersten wissenschaftlichen Zeit- schriften, die sich ausdr cklich der Verbreitung neuer Erkenntnisse und Forschungen widmeten, wurden rund 200 Jahre nach Erfindung des Buch- drucks Mitte des 17. Jahrhunderts verlegt. Mit der permanent wachsenden Bedeutung von Wissenschaft f r Gesell- schaft, Kultur, Politik und Wirtschaft erf hrt der wissenschaftliche Publika- tionsmarkt einen »Boom«, der eine kaum mehr zu rezipierende Informati- onsflut verursacht und uns heute von einem weiterhin ungebrochen expandierenden Wachstumsmarkt sprechen l sst. Auf diesem Markt bewe- gen sich als Akteure: Autoren (Forschende und Lehrende), Leser (Forschen- de, Lehrende und Studierende), kommerzielle und nicht-kommerzielle Verlage sowie Bibliotheken und Buchhandlungen, die mit unterschiedli- chen Zielen die Rolle so genannter Distributoren bernehmen. W hrend Buchhandlungen qua Verkauf von Verlagsprodukten (B cher, Zeitschriften etc.) eine privatwirtschaftlich basierte Kundenversorgung wahrnehmen, verstehen sich Bibliotheken im Regelfall als Archive der Verlagsproduktion, die im Sinne einer Sicherung des çffentlichen Zugangs zur Information und als kulturelle Institution ihre Leser auf nicht-kommerzieller Grundlage ver- sorgen. Verbindet sich f r die kommunalen und st dtischen Bibliotheken 221 Heike Andermann und Andreas Degkwitz damit zugleich ein Bildungsauftrag, so gehçrt die Bibliothek einer Hoch- schule oder Universit t zu den klassischen Serviceeinrichtungen f r For- schung, Lehre und Studium. Ziel des wissenschaftlichen Publizierens ist eine z gige Verçffentlichung und Verbreitung von Forschungsergebnissen, die unter Qualit tsaspekten als neu und vor allem gesichert gelten. Dabei verstehen sich wissenschaftliche Verçffentlichungen (Monographien, Konferenzbeitr ge, Zeitschriftenarti- kel etc.) sowohl als Beitr ge zur Diskussion in den jeweiligen Fachdiszi- plinen und in der allgemein interessierten ffentlichkeit (Informations- undWissenstransfer), aber auch als Mçglichkeit f r die Wissenschaftler (Au- toren), in ihrer Fachgemeinschaft Reputation zu erlangen und auszubauen. Wissenschaftliche Publikationen positionieren den Autor bzw. den Wissen- schaftler auf seinem Fachgebiet und tragen zugleich zu dessen Prestige- und Renommeegewinn bei. F r die Publikation in wissenschaftlichen Fachzeitschriften spielt der Be- gutachtungsprozess zu eingereichten Beitr gen (Peer-Reviewing) im Vor- feld der Publikation und im Sinne der inhaltlichen Qualit tssicherung eine entscheidende Rolle. Auf diese Weise soll gew hrleistet werden, dass eine Publikation nicht nur neu, sondern unter fachwissenschaftlichen Gesichts- punkten vertretbar bzw. »gesichert« ist. W hrend die Erarbeitung wissen- schaftlicher Beitr ge und deren Begutachtung im Rahmen des Verçffent- lichungsprozesses seit jeher in den H nden der Wissenschaftler bzw. der fachlichen communities liegen, werden die Produktion und Distribution von B chern und Zeitschriften seit langem von den wissenschaftlichen Ver- lagen bernommen; dies schließt im Regelfall auch die Auswahl der einge- reichten Beitr ge und die Organisation des »Peer-Reviewing« ein – ein Bei- trag muss in das Portfolio eines Verlages passen und von den verlagsseitig angesprochenen Gutachtern fachlich mitgetragen werden. Diese seit langem bestehende Aufgabenteilung zwischen Autoren und Verlagen h ngt mit den Produktions- und Vertriebsprozessen gedruckter Publikationen zusammen, die nicht unmittelbar zu den Kompetenzen der Autoren gehçren und deshalb von den Verlagen zu koordinieren und zu organisieren sind. Die Gesch ftsbeziehung zwischen Verlag und Au- tor ist durch so genannte Autoren- bzw. Verlagsvertr ge geregelt. Dieser Vertragsrahmen sieht vor, dass der Autor s mtliche Verbreitungsrechte des publizierten Werkes an den Verlag abtritt. Mit diesem Vertragswerk sichern sich die Verlage die ausschließlichen Rechte auf die Verçffent- lichung des Werkes. Sie verf gen damit ber eine rechtlich abgesicherte Gesch ftsgrundlage f r den Vertrieb ihrer Produkte. Mit bernahme der Verantwortung f r qualit tsgesicherte Produktion und Verbreitung wissen- 222 Zirkulation wissenschaftlicher Information in elektronischen R umen schaftlicher Information (Monographien, Zeitschriften) gehen die Verlage als wirtschaftlich agierende Unternehmen auch gesch ftliche Risiken ein. Unabh ngig davon, ob es sich dabei um Profit- oder Non-Profit-Unterneh- men handelt, m ssen die Produkte auf jeden Fall kostendeckend sein; dies gilt selbstverst ndlich auch f r traditionsreiche Universit tsverlage, die sich insbesondere im anglo-amerikanischen Raum etabliert haben (z.B. Oxford University Press). Zugleich wird daran deutlich, dass verlagsseitige Gewinn- und Umsatzinteressen eng mit dem wissenschaftlichen Publikationsprozess verbunden sind.2 Im Zuge eines exponentialen Wachstums wissenschaftlicher Verçffent- lichungen und ihrer rasant zunehmenden Bedeutung f r Wirtschaft und Wissenschaft hat das wissenschaftliche Publizieren in zahlreichen Kontexten einen Stellenwert eingenommen, der Produktion, Verbreitung und Nut- zung wissenschaftlicher Informationen entscheidend ver ndert hat. Vor dem Hintergrund der bereits angesprochenen Informationsflut, die das Pub- likationswesen seit den 1950er Jahren pr gt, ist eine wirksame Platzierung des eigenen Aufsatzes in der f r die Fachgemeinschaft wichtigen Fachzeit- schrift von großer Bedeutung. Vergleichbares l sst sich auch auf demMono- graphienmarkt beobachten. Verlage und ihre Zeitschriftenprodukte haben f r die Wissenschaft und ihre Akteure einen regelrechten Markencharakter bekommen. Quasi monopolartig stehen bestimmte Marken f r eine hohe wissenschaftliche Qualit t: dazu gehçren (einschließlich der damit verbun- denen Preisentwicklung ihrer Produkte) im brigen auch Universit ts- verlage.3 Publikationen, die sich in entsprechenden Zeitschriften bzw. bei entsprechenden Verlagen platzieren lassen, steigern die Reputation des publizierenden Wissenschaftlers – es kommt also nicht nur darauf an, dass ein Wissenschaftler publiziert, nicht weniger wichtig und in manchen F llen sogar noch entscheidender sind die Zeitschrift oder der Verlag, bei dem die Publikation erscheint. Diese Entwicklung wird berdies durch die inzwischen sehr komfortablen Mçglichkeiten der bibliographischen Re- cherche in Datenbanken beg nstigt. Parallel zu der wachsenden Verçffentlichungsflut – vor allem in Zeit- schriften – sind Verfahren entwickelt worden, die den Stellenwert einer Zeitschrift und damit auch die Bedeutung der darin publizierenden Autoren bewerten sollen. Der so genannte Journal Impact Faktor des Web of Knowledge4 wird von zahlreichen Wissenschaftlern und wissenschaftsfçr- dernden Institutionen zwar kritisch betrachtet, dennoch gewinnt er vor dem Hintergrund eines h rteren Verteilungskampfes um çffentliche For- schungsgelder und als ein vermeintlich objektives Bewertungskriterium bei Berufungsverfahren zunehmend an Bedeutung. Vor allem f r junge 223 Heike Andermann und Andreas Degkwitz Wissenschaftler erhçht sich dadurch der Druck, in renommierten Fachzeit- schriften zu publizieren. Auch diese Situation tr gt zur Bildung von ›Qua- lit tsmonopolen‹ einzelner Zeitschriften oder Verlage in den Fachgemein- schaften bei, die zu Preissteigerungen und der damit verbundenen Zeitschriftenkrise f hren. Festzustellen ist, dass sich die Interessen der Autoren und der Verlage un- terscheiden. Die Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen haben an einer Publikation in einer renommierten Zeitschrift Interesse, um sich im Diskurs ihrer Fachdisziplin mçglichst gut zu positionieren und um ihre wissenschaft- liche Reputation zu verbessern. Zu diesem Zweck geben sie ihre in der Regel mit çffentlichen Geldern finanzierten und publizierten Forschungs- ergebnisse kostenlos an den Verlag ab, der sich als Voraussetzung f r seine gesch ftlichen Aktivit ten die ausschließlichen Verbreitungsrechte einr u- men l sst. Die mit çffentlichen Mitteln finanzierten Bibliotheken kaufen die mit çffentlichen Geldern publizierten Ergebnisse zur ck, um sie wiede- rum der Wissenschaft und der interessierten ffentlichkeit zur Verf gung zu stellen. Seit Jahren ist bereits erkennbar, dass dieser Zirkulationsprozess wis- senschaftlicher Information im Ergebnis zu einer Schw chung der Aufgaben- erf llung çffentlicher Einrichtungen, wie z.B. Bibliotheken f hrt. Bibliothe- ken leiden unter einem anhaltenden Kaufkraftverlust, der unmittelbar mit massiven Preissteigerungen im Zeitschriftenbereich und stagnierenden bzw. r ckl ufigen Budgets der Bibliotheken zusammenh ngt.5 Am deutlichsten erkennbar wird diese problematische Entwicklung in den naturwissenschaftlichen Fachgebieten. Die Verlage haben in den ver- gangenen Jahren die Preise f r die Zeitschriften in diesen Fachgebieten der- art erhçht, dass der Erwerb von Monographien f r andere Fachgebiete zu- nehmend erschwert wurde. Da es sich bei zahlreichen Zeitschriften dieser Fachrichtungen um so genannte »need to know«-Produkte handelt, das heißt Zeitschriften, die die Bibliotheken vorhalten m ssen, ist es f r diese sehr schwer, dem interessierten Wissenschaftler und der Wissenschaftlerin notwendige Abbestellungen verst ndlich zu machen. Im elektronischen Umfeld versch rfen sich die Probleme zwischen den beteiligten Akteuren. Die technischen Entwicklungen f hren zum einen dazu, dass Zeitschriften nicht immer erworben, sondern lediglich lizenziert werden, das heißt, sie gehen nicht in den Besitz der Bibliothek ber, sondern werden auf der Basis einer Nutzungslizenz zur Bereitstellung quasi geliehen; zum anderen erçff- nen sich f r die Verlage neue Formen der Zugangskontrolle zur Information durch so genannte technische Schutzmaßnahmen.6 Ungeachtet dessen hat das bestehende Publikationssystem auf der Auto- renseite noch immer eine betr chtliche Akzeptanz.7 Als Gr nde daf r lassen 224 Zirkulation wissenschaftlicher Information in elektronischen R umen sich u. a. fehlendes Bewusstheit ber den Zusammenhang zwischen Produk- tion, Distribution und Lizenzierung wissenschaftlicher Information und mangelndes Vertrauen in neue (alternative) Verfahren des wissenschaft- lichen Publizierens nennen.8 2. Krise der Zirkulation wissenschaftlicher Information? Bibliotheken sind seit mehreren Jahren mit anhaltenden Preissteigerungen auf dem Gebiet der Zeitschriftenliteratur konfrontiert. Die Verbreitung der elektronischen Versionen gedruckter Zeitschriften hat nicht – wie von den Bibliotheken erhofft – zu einer Reduzierung der Erwerbungskosten gef hrt, im Gegenteil: Die Preisproblematik hat sich mit der Verbreitung des elekt- ronischen Mediums weiter versch rft. Bibliotheken haben auf diese Ent- wicklung in der Weise reagiert, dass sie sich zu Einkaufsgemeinschaften (Konsortien) zusammengeschlossen haben mit dem Ziel, die Nachfrage zu b ndeln und g nstigere Einkaufskonditionen zu erzielen. Die weiterhin steigenden Preise haben jedoch zur Folge, dass Bibliothe- ken einer (f r alle Fachgebiete) umfassenden Literatur- und Informations- versorgung immer weniger gerecht werden kçnnen. Unter Angebots- und Nachfrageaspekten f hrt dies zu einer Verschlechterung der bibliothekari- schen Versorgungssituation, die hohen Erwartungen an das Servicepotential wissenschaftlicher Bibliotheken gegen bersteht, so dass die gegenw rtige Situation – nicht nur aus Sicht der Bibliotheken, sondern noch mehr aus Sicht der Leser – durch die so genannte Krise der wissenschaftlichen Infor- mationsversorgung (auch »Zeitschriftenkrise«) gekennzeichnet ist. Die Ver- lage rechtfertigen die anhaltenden Preissteigerungen mit zunehmenden fi- nanziellen Einbußen im Privatkundengesch ft.9 Die Folge ist, dass sich die Erwartung einer umfassenden Literaturversorgung zunehmend auf die Bib- liotheken konzentriert, die diesen Anforderungen immer weniger gerecht werden kçnnen. So bietet die Krise der wissenschaftlichen Informationsversorgung Anlass und Motivation, ber eine Neustrukturierung des wissenschaftlichen Publi- kationswesens mit Hilfe von Internet und PC nachzudenken.10 Denn mit dem Einsatz aktueller Informations- und Kommunikationstechnik scheinen sich f r das wissenschaftliche Publizieren neue Mçglichkeiten der Produk- tion und Distribution zu erçffnen, die von Autoren und Herausgebern selbst eingesetzt werden kçnnen und damit den traditionellen Weg der Verlags- produktion umgehen. Auf dieser Grundlage werden Chancen gesehen, die 225 Heike Andermann und Andreas Degkwitz kostenintensiven Verfahren der bestehenden Publikationspraxis durch eigene technologiebasierte Produktions- und Vertriebsformen zu ersetzen und da- mit die wissenschaftliche Informationsversorgung nachhaltig zu verbessern. Digitale bzw. elektronisch verf gbare Materialien lassen sich mit Hilfe des Internets unverz glich global verbreiten und auf gleichbleibend hohem Niveau reproduzieren. Gegen ber gedruckten Verçffentlichungen liegen weitere Mehrwerte elektronischer Publikationen in der Beschleunigung des Verçffentlichungsprozesses, in der globalen Sichtbarkeit der publizierten Inhalte, in der Aufhebung der Umfangsbegrenzung aufgrund limitierter Sei- tenzahlen, in der Integration und in den verbesserten Mçglichkeiten der Weiterverarbeitung wissenschaftlicher Information. F r Autoren und Urheber wissenschaftlicher Information erçffnet sich damit die grunds tzliche Mçglichkeit, ihre Arbeiten – deutlich schneller als bisher – çffentlich und global zu verbreiten. Dies trifft auf alle Arten wissenschaftlicher Publikationen zu: Preprints und Postprints,11 begutachte- te Fachartikel, Manuskripte, Lehr- und Lernmaterialien, Qualifikations- arbeiten, Forschungsmaterialien etc. Der globale Zugriff auf die wissen- schaftliche Information bietet f r die Zusammenarbeit der Forscher neue Perspektiven, die sich unter dem Begriff des kollaborativen Arbeitens in elektronischen R umen zusammenfassen lassen: »Virtuelle« Forschergrup- pen kçnnen ohne r umliche Beschr nkungen auf elektronisch verf gbare wissenschaftliche Information »gemeinsam« zugreifen, diese weiterbearbei- ten und – unter Einbeziehung dynamischer Medien (Ton, Video, Interakti- vit t) – publizieren.12 Von den Verlagen werden die elektronischen Versionen ihres Zeitschrif- tenangebots bisher noch berwiegend als zus tzliche Verwertungsoption neben der Distribution gedruckter Zeitschriftenjahrg nge genutzt. Mit dem Einsatz neuer Technologien verbinden sich bei den Verlagen auch Be- f rchtungen, dass sich der Verkauf elektronischer Informationsprodukte auf wenige Exemplare reduzieren kçnnte, die dann ber globale Netzwerke kostenlos weiter verbreitet werden. Von daher bedienen sich die Verlage teilweise sehr restriktiver Gesch ftsmodelle, die Einnahmeverluste verhin- dern13 oder zu Profitsteigerungen beitragen sollen. Aus der Perspektive der Bibliotheken und der Leser verbindet sich mit der Bereitstellung elektronischer Publikationen und ihrer Verbreitung mit Hilfe von digitaler Technik die Mçglichkeit, komfortable Zug nge zu welt- weit vorhandenen Ressourcen14 zeitnah zur Verf gung zu stellen bzw. zu nutzen. Die mit dem Einsatz elektronischer Medien verbundene Hoffnung auf eine Reduzierung der Kosten f r Ankauf und Bezug wissenschaftlicher Information hat sich allerdings nicht erf llt. Das Aufgabenspektrum der Bib- 226 Zirkulation wissenschaftlicher Information in elektronischen R umen liotheken hat sich mit der Bereitstellung elektronischer Medien erweitert. Neben der Sicherung von Zugangs- und Zugriffsoptionen auf elektronische Ressourcen – dazu gehçren z.B. Lizenzen und Nutzungsvertr ge f r elekt- ronische Information, aber auch komfortable PC-Arbeitspl tze mit schnel- lem Netzzugang und Software-Werkzeuge – bernehmen Bibliotheken auch die Verantwortung f r die langfristige Verf gbarkeit und Archivierung der elektronischen Ressourcen.15 Dies ist vor dem Hintergrund eines sich rasant entwickelnden elektronischen Marktes mit neuen leistungsf higeren technischen Ger ten eine dauerhafte finanzielle und technische Herausfor- derung an die Hochschulen bzw. an ihre Infrastruktureinheiten. Die bisher im bergang zum elektronischen Medium realisierten Ge- sch ftsmodelle werden jedoch den Potenzialen der neuen Technologien f r den wissenschaftlichen Publikationsprozess nicht hinreichend gerecht. Hierzu z hlt einerseits die Mçglichkeit einer schnellen und globalen Ver- breitung der wissenschaftlichen Information und gehçrt andererseits die Weitergabe finanzieller Einsparungen an die Bibliotheken, die sich durch den Verzicht auf den Druck wissenschaftlicher Exemplare erzielen lassen. Die verschiedenen Perspektiven des Einsatzes neuer Technologien in Wis- senschaft und Forschung werden von Vertretern des National Research Council auch als »digitales Dilemma« bezeichnet. Gemeint ist der Konflikt zwischen den mçglichen Potenzialen, die sich durch den Einsatz neuer Technologien f r das wissenschaftliche Publizieren erçffnen und den gleich- zeitigen Einschr nkungen, die in den privaten Verwertungsinteressen der Rechteinhaber (Verlage) begr ndet liegen.16 Mit der Novellierung des europ ischen Urheberrechts im Jahr 2001 und seiner Umsetzung in deutsches Recht im Jahr 2003 sollte eine »Balance der Interessen«17 zwischen çffentlicher Nutzung und privater Verwertung von Information in elektronischen R umen hergestellt werden. Rechtsexperten beurteilen die neue Gesetzgebung jedoch kritisch, da sie den Interessen der Nutzer und Rezipienten von wissenschaftlicher Information und der Bib- liotheken (als Distributoren) zu wenig Rechnung tr gt.18 Mit dem Einsatz technischer Schutzmaßnahmen und dem rechtlich abgesicherten Schutz vor Umgehung dieser Maßnahmen (§ 95a Urheberrechtsgesetz) verbindet sich die Bef rchtung, dass der in der »analogen« bzw. »gedruckten« Welt außer Frage stehende Anspruch auf Nutzung wissenschaftlicher Information f r private und wissenschaftliche Zwecke durch den rechtlich legitimierten Einsatz dieser neuen Software (so genannte Digital-Right-Management- Systeme) ausgehçhlt und umgangen wird.19 Vor dem Hintergrund der grunds tzlich bestehenden Mçglichkeiten ei- ner Neustrukturierung des Verçffentlichungsprozesses haben sich seit Mitte 227 Heike Andermann und Andreas Degkwitz der 1990er Jahre Initiativen und Unternehmungen mit dem Ziel gebildet, das System des wissenschaftlichen Publizierens mit Hilfe neuer Informati- ons- und Kommunikationstechnologien zu verbessern und neue Perspek- tiven einer globalen Zug nglichkeit zu bieten. Diese Ans tze beziehen sich insbesondere auf den Grundsatz der »Budapest Open Access Initiative« (BOAI),20 dass wissenschaftliche Information und Literatur »kostenfrei und çffentlich im Internet zug nglich sein sollte, so dass Interessierte die Volltexte lesen, herunterladen, kopieren, verteilen, drucken, in ihnen su- chen, auf sie verweisen und sie auch sonst auf jede denkbare legale Weise benutzen kçnnen, ohne finanzielle, gesetzliche oder technische Barrieren jenseits von denen, die mit dem Internet-Zugang selbst verbunden sind«.21 Dabei haben sich grunds tzlich die folgenden drei Optionen einer Neu- gestaltung des Publikationsprozesses herausgestellt: – Zugang zu wissenschaftlichen Zeitschriften auf der Grundlage eines neuen Gesch ftsmodells (Artikelgeb hren), – (Re-)Aktivierung desWettbewerbs auf demMarkt wissenschaftlicher In- formation durch Konkurrenzzeitschriften, – Bereitstellung wissenschaftlicher Information durch den Aufbau fachbe- zogener oder institutioneller Archive (Open Repositories). Seit einigen Jahren werden diese Optionen in einer Reihe von Aktivit ten und Initiativen modellhaft praktiziert und umgesetzt. Im Folgenden werden diese Vorhaben beispielhaft beschrieben und ihre Erfolgsvoraussetzungen benannt.22 3. Der Autor bzw. die Hochschule zahlt, nicht mehr der Abonnent! Das traditionelle Gesch ftsmodell ist in der Weise gestaltet, dass institutio- nellen oder privaten Kunden wissenschaftliche Zeitschriften auf Abon- nementbasis (Subskription/Lizenzierung) zug nglich sind. Die Kosten- deckung f r Produktion und Distribution einer Zeitschrift tr gt damit der institutionelle oder private Endnutzer – der Abonnent bezahlt. In ber- einstimmung mit dem von der Budapest Open Access Initiative (BOAI) geforderten freien Informationszugang wird nun ein neues Gesch ftsmodell initiiert, das nicht mehr den Abonnenten mit Kosten belastet, sondern den Autor f r die Publikation seines Artikels bezahlen l sst (Artikelgeb hren). Dar ber hinaus gehen Hochschulen auch zunehmend dazu ber, die Publikationskosten »ihrer« Wissenschaftler zu finanzieren. Damit wird die 228 Zirkulation wissenschaftlicher Information in elektronischen R umen Kostendeckung einer Zeitschrift vom Ende an den Anfang der Wertschçp- fungskette verlegt – der Autor bzw. die Hochschule zahlt und f r den Leser ist der Zugang zur Zeitschrift frei. Dar ber hinaus streben entsprechende Verlagsinitiativen eine Verbesserung des rechtlichen Status von Autoren an, indem sie diesen das Recht einr umen, ihre Forschungsergebnisse auch vor der eigentlichen Verçffentlichung bzw. danach zu verçffentlichen.23 Als Beispiel daf r kann der in London ans ssige Verlag BioMedCentral genannt werden, der ber ein Portfolio von derzeit rund 100 Zeitschriften der Fachgebiete Biologie und Medizin verf gt, die den Lesern – auf der Grundlage von Artikelgeb hren der Autoren – als elektronische Dokumen- te frei zug nglich sind. Damit entspricht BioMedCentral den Forderungen der Budapest Open Access Initiative nach uneingeschr nktem Zugang zu wissenschaftlicher Information. Ausgew hlte Zeitschriften kçnnen auf Nachfrage auch als print-on-demand am Ende des Jahres bestellt werden. Die Qualit tssicherung der eingereichten Papiere erfolgt durch einen stren- gen Qualit tssicherungsprozess (Peer-Reviewing). F r die Finanzierung der »artikelbezogenen« Dienstleistungen erhebt BioMed Central eine Pauschalgeb hr von den Autoren in Hçhe von US $ 500 (Stand: 2002). Der Verlag bietet Universit ten und außeruniver- sit ren Forschungseinrichtungen so genannte institutionelle Mitgliedschaf- ten an, das heißt Angehçrige der zahlenden Einrichtungen erhalten eine Publikationsmçglichkeit in den vom Verlag herausgegebenen Zeitschriften. Die Hçhe der Geb hr f r die institutionellen Mitgliedschaften ist abh ngig von der Anzahl der Studenten und Postgraduierten der biologischen und medizinischen Fakult t. Als Kerndienstleistung bietet BioMedCentral die Autorenunterst tzung bei der Konvertierung der Dokumente in offene Do- kumentformate, die Organisation des Begutachtungsprozesses und die Ver- breitung der Dokumente in die fachlichen Netzwerke an. Als Mehrwert- dienst wird ein Rankingverfahren »Faculty of 1000« angeboten. Hierbei handelt es sich um einen post-review-Prozess, in dem ein Gremium von Wissenschaftlern in regelm ßigen Abst nden die f r sie interessantesten Ar- tikel benennt. Diese Mehrwertdienstleistung muss durch die Institution oder Einzelperson subskribiert werden.24 Auch in Deutschland existieren mittlerweile Open-Access-Zeitschriften in verschiedenen Fachgebieten, die auf der Basis des neuen Gesch ftsmodells herausgegeben werden: die Zeitschrift Documenta Mathematica, New Journal of Physics, Digital Peer Publishing (verschiedene Fachgebiete), Forum Qualitative Sozialfor- schung (Sozialwissenschaften), German Medical Science.25 Kritiker dieses Gesch ftsmodells weisen darauf hin, dass die Erhebung von Artikelgeb hren (article-processing-charges) dazu f hren kann, dass 229 Heike Andermann und Andreas Degkwitz es Wissenschaftlern an finanzstarken Hochschulen und Forschungseinrich- tungen leichter gemacht wird, ihre Forschungsergebnisse zu verçffentlichen, da diese ber ausreichende Mittel zur Finanzierung der Artikelgeb hren verf gen. Wissenschaftler finanziell weniger starker Forschungsinstitutionen kçnnten dadurch ins Hintertreffen geraten, weil sie die Publikationskosten nicht aufbringen kçnnen. Hierf r gibt es bislang noch keine konkreten Be- obachtungen. Auch lassen sich Druckbeihilfen wissenschaftsnaher Stiftun- gen (z.B. die Soros-Stiftung) zur Finanzierung von Verçffentlichungen auf Basis dieses neuen Gesch ftsmodells einsetzen. Im Sinne eines umfassenden Wissenstransfers sollten bei der Realisierung eines globalen Zugangs zur wissenschaftlichen Information die Interessen einzelner Einrichtungen nicht zu sehr im Vordergrund stehen; in jedem Fall sollte ber cksichtigt werden, dass sich die Potenziale der neuen Infor- mations- und Kommunikationstechnologien f r globale Fachcommunities nutzen lassen. F r Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen finanzschwa- cher Forschungsinstitutionen wird hierdurch erst die Voraussetzung f r ei- nen Anschluss an wissenschaftliche Diskurse, das heißt der Zugang zu ak- tuellen Forschungsinformationen, ermçglicht: Sie erhalten Zugang zu solchen Zeitschriften, die sich ihre Hochschule aufgrund der anhaltenden Preissteigerungen nicht mehr bzw. gar nicht leisten kann. Allerdings darf sich das »Autor-zahlt«-Modell auf keinen Fall in derselbenWeise entwickeln wie das Abonnement- bzw. Subskriptionsmodell, indem steigende Artikel- geb hren die Verçffentlichung von Artikeln verhindern. 4. Mehr Wettbewerb durch Kooperation Vor dem Hintergrund einer zunehmend monopolartigen Stellung einzelner Zeitschriften und Verlage in ihren jeweiligen Fachdisziplinen zielen die Be- m hungen der amerikanischen Initiative Scholarly Publishing & Academic Resources Coalition (SPARC)26 auf die Wiederherstellung der Wett- bewerbssituation zwischen verschiedenen Fachzeitschriften innerhalb eines Fachgebietes. SPARC unterst tzt die Produktion und Distribution solcher Zeitschriften, die in direkter Konkurrenz zu teuren Fachzeitschriften großer Fachverlage stehen. Damit soll der Wettbewerb auf dem Markt wissen- schaftlicher Information reaktiviert und die Preisentwicklung verlangsamt werden. Die Initiative koordiniert diesen Prozess und unterst tzt die koope- rierenden Partner durch eine offensive Informationspolitik. Das Programm von SPARC umfasst derzeit 11 Fachzeitschriften verschiedener Disziplinen, 230 Zirkulation wissenschaftlicher Information in elektronischen R umen die neu gegr ndet wurden. In einzelnen F llen ist das Herausgebergremium von Zeitschriften, welches bislang f r einen kommerziellen Verlag gearbei- tet hat, vollst ndig zur ckgetreten und hat die Herausgeberschaft der neu gegr ndeten Fachzeitschrift bernommen, um seinem Protest gegen die Verlagspolitik Ausdruck zu verleihen. So wurde beispielsweise zu der re- nommierten kommerziellen Chemie-Zeitschrift »Tetrahedron Letters« des Verlages Reed-Elsevier im Kontext des SPARC-Programms von der Ame- rican Chemical Society die Zeitschrift »Organic Letters« als deutlich preis- werteres Konkurrenzprodukt aufgelegt,27 F r die Akzeptanz der neu einge- f hrten Fachzeitschrift spielt ein solches Verhalten eine wichtige Rolle, da es sich bei den Mitgliedern des Herausgebergremiums um renommierte Wis- senschaftler ihres Fachgebietes handelt. Dar ber hinaus sind weitere Kooperationen – vor allem zwischen Fach- gesellschaften, Universit ten sowie kleinen und mittelst ndischen Verlagen – zu beobachten, die ausdr cklich die Kostendeckung in den Mittel- punkt ihrer Preisbildung stellen (Not-For-Profit-Initiativen). Hierzu z hlen z.B. der an der Stanford Universit t angesiedelte Online-Verlag High- WirePress,28 der Universit tsverlag der Johns-Hopkins Universit t mit dem ProjectMUSE29 und das amerikanische Projekt BioONE.30 Die engen und langj hrigen Kooperationen dieser Verlage mit Fachgesellschaften und Universit ten bieten den Vorteil einer stark am Bedarf orientierten Ent- wicklung von Zeitschriften, die von der Wissenschaftlergemeinschaft aner- kannt ist. In diesem Kontext ist auch das im deutschen Hochschul- und Wissenschaftskontext angesiedelte Projekt German Academic Publishers (GAP)31 zu sehen. Hierbei geht es zun chst um die Entwicklung und den Einsatz von Softwarewerkzeugen, die den Publikationsprozess f r Fach- gesellschaften, Universit ten und andere Anbieter wissenschaftlicher Infor- mation auf eine elektronische Grundlage stellen und damit zu einer Opti- mierung der Produktion, des Begutachtungsverfahrens (Peer-Reviewing) und des Vertriebs beitragen. K nftig will GAP auch Branding und Marke- ting von Hochschulverlagen und vergleichbarer Verlagsaktivit ten unter- st tzen. 5. Universit ten und Wissenschaftseinrichtungen archivieren selbst Der Aufbau frei zug nglicher elektronischer Archive an Hochschulen und Forschungseinrichtungen ist ein weiterer Ansatz, die Verf gbarkeit elektro- 231 Heike Andermann und Andreas Degkwitz nischer Fachinformation zu verbessern. Diese Form der çffentlichen Spei- cherung eignet sich f r Dissertationen, Habilitationen, Konferenz- und Ta- gungsmaterialien, aber auch f r Vorabverçffentlichungen von Zeitschriften- artikeln (preprints) oder f r die Bereitstellung bereits verçffentlichter Artikel (post-prints) sowie f r Qualifikationsarbeiten und Materialien im Rahmen von Lehre und Studium. Grunds tzlich erscheint die çffentliche Speiche- rung aller an einer Hochschule produzierten Materialien aus Forschung, Lehre und Studium rechtlich und technisch mçglich, so dass diese f r wei- tere Studien- und Forschungsarbeiten zur Verf gung stehen. Die Entwicklung elektronischer Archive f r wissenschaftliche Informa- tion geht auf die im Jahr 1999 gegr ndete Open Archives Initiative (OAI) zur ck, die als Zielsetzung verfolgt, Ergebnisse wissenschaftlicher Forschung der jeweiligen Fachgemeinschaft bereits vor der Verçffentlichung durch den Verlag zur Verf gung zu stellen.32 Zu diesem Zweck wurde eine Archivie- rungsumgebung entwickelt, in der Autoren ihre Dokumente selbst auf ei- nem Dokumentserver einstellen kçnnen (Self-Archiving), der ber das Internet zug nglich ist. Die Dokumente werden mit Metadaten versehen und sind so mit Hilfe von Suchmaschinen auffindbar und zug nglich.33 Der Einsatz dieser elektronischen Speicher erhçht die Verarbeitungs- geschwindigkeit der bereitgestellten Information: Forschungsergebnisse kçnnen als Vorab-Publikation in der Fachdisziplin diskutiert werden und treiben auf diese Weise die wissenschaftliche Auseinandersetzung voran, be- vor die Artikel in einer Zeitschrift erscheinen. In der Lehre ermçglicht der Einsatz elektronischer Archive einen Zugriff auf eine grçßere Anzahl wis- senschaftlicher Materialien. Dar ber hinaus kçnnen neue Unterrichts- und Lehrformen realisiert werden, die von der physischen Pr senz der Beteilig- ten zunehmend unabh ngig werden. Nicht zuletzt stellt das elektronische Archiv der Hochschule eine Leistungsbilanz f r die interessierte ffentlich- keit dar.34 Aufbau und Betrieb institutioneller Repositorien erfolgen vielfach in Ko- operation zwischen den verantwortlichen Infrastruktureinrichtungen der Hochschulen (Bibliotheken, Medienzentren, Rechenzentren). Die Nut- zungsintensit t ist in den verschiedenen Fachdisziplinen recht unterschied- lich. Zu beobachten ist, dass die Akzeptanz elektronischer Archive und neuer Technologien in den naturwissenschaftlichen Disziplinen st rker zu- nimmt als in den Sozial- und Geisteswissenschaften. Ursache daf r ist, dass die Weiterentwicklung der naturwissenschaftlichen Fachgebiete in hohem Maße von der Nutzung entsprechender Technologien abh ngig ist; in den geistes- und kulturwissenschaftlichen F chern, aber auch in den juristischen und sozialwissenschaftlichen Disziplinen wird dagegen noch st rker mit ge- 232 Zirkulation wissenschaftlicher Information in elektronischen R umen druckten Publikationen gearbeitet. Vor diesem Hintergrund vollzieht sich die Durchsetzung der neuen Informations- und Kommunikationstechnolo- gien ungleichm ßig in den verschiedenen Fachdisziplinen, so dass die Ak- zeptanz dieser Werkzeuge stark davon abh ngt, inwieweit sich diese un- kompliziert in die Arbeitsverfahren des jeweiligen Fachgebiets integrieren lassen. Eine zentrale Aufgabe f r die Infrastruktureinrichtungen der Hoch- schule (Bibliothek, Medienzentrum, Rechenzentrum) besteht darin, For- schende, Lehrende und Studierende aller Fachdisziplinen an die Nutzung der neuen Technologien heranzuf hren und die neuen digitalen Arbeits- und Archivierungsmçglichkeiten nachhaltig zu vermitteln. W nschenswert ist die Entwicklung ad quater Lehr- und Studieneinheiten als Qualifizie- rungsmaßnahmen, die f r die Hochschulangehçrigen verpflichtend sind. Ein konsequenter Aufbau institutioneller Publikations- und Archivie- rungsumgebungen kann dazu beitragen, das oben beschriebene Paradoxon des »Zur ckkaufens çffentlich finanzierter Forschungsergebnisse durch die çffentliche Hand« zu entsch rfen. Die weltweite Vernetzung der elektro- nischen Hochschularchive st rkt die Rolle der Hochschulen im Zirkulati- onsprozess wissenschaftlicher Information – im Zusammenwirken mit den daran beteiligten Akteuren. Von zentraler Bedeutung ist, dass sich die Hoch- schule f r Publikationen ein Verçffentlichungsrecht im elektronischen Ar- chiv der Hochschule einr umen l sst. In einem solchen Szenario w rden die Verlage auch k nftig den Publikationsprozess wissenschaftlicher For- schungsergebnisse organisatorisch gew hrleisten (Vertrieb/Marketing/Qua- lit tssicherung) und durch die Verçffentlichung in renommierten Zeitschrif- ten den Reputationsaufbau der Autoren fçrdern kçnnen. Als ein Instrument der Bewertung wissenschaftlicher Forschungsergebnisse werden Zeitschrif- ten deshalb auch k nftig eine wichtige Rolle spielen. Jedoch wird der Zu- griff auf die wissenschaftliche Information nicht ausschließlich durch ver- tragsrechtliche Bedingungen gesteuert, die vorrangig den Gesch fts- und Verwertungsinteressen der Verlage dienen und den Bed rfnissen wissen- schaftlicher Forschung nur sehr eingeschr nkt gerecht werden. Der Aufbau elektronischer Archivierungsumgebungen an Hochschulen ist auch unter dem Gesichtspunkt der Sicherung der Langzeitverf gbar- keit/-archivierung von zentraler Bedeutung. Eine Archivierungsverpflich- tung f r die eigene Produktion gew hrleisten die Verlage aufgrund der da- mit verbundenen Lagerungskosten im Regelfall nicht; diese Aufgabe ist prim r den nationalen und regionalen Pflichtexemplarbibliotheken (Natio- nal- und Staatsbibliotheken) bertragen. Auf nationaler Ebene ist dies in Deutschland die Deutsche Bibliothek mit ihren Standorten in Frankfurt, Leipzig und Berlin, an deren Gr ndung der Bçrsenverein (als Branchenver- 233 Heike Andermann und Andreas Degkwitz band f r Buchh ndler und Verleger) unmittelbar beteiligt war. In vergleich- barer Weise kooperiert der Verlag BioMedCentral mit PubMedCentral, dem nationalen Archiv f r elektronische Dokumente aus den Fachgebieten Biologie und Medizin in den USA. In Deutschland sind entsprechende Ini- tiativen zur Langzeitarchivierung elektronischer Materialien im Aufbau be- griffen; daran sind die Deutsche Bibliothek und weitere große Bibliotheken (z.B. die Staats- und Universit tsbibliothek Gçttingen) beteiligt. 6. Welcher Weg f hrt zum Erfolg? Die genannten Initiativen und Unternehmungen stehen modellhaft f r die Mçglichkeiten einer Neugestaltung der Zirkulation von wissenschaftlicher Information und f r die Perspektiven, die neue Technologien daf r bieten. Deutlich wird, dass der Erfolg der genannten Initiativen wesentlich davon abh ngt, ob sich die jeweils verfolgten Ans tze gegen ber den etablierten Markteilnehmern als die qualitativ bessere, zeit- und mediengerechtere Al- ternative behaupten kçnnen. Die Akzeptanz undMarktf higkeit neuer Pub- likationsformen sind in jedem Fall eng an die folgenden Voraussetzungen gebunden: – Rechtlich gesicherte Rahmenbedingungen und Urheberschutz im Sinne der publizierenden Wissenschaftler, – verl ssliche technische Infrastrukturen f r Produktion und Vertrieb auf der Grundlage internationaler Standards, – strenge Maßst be zur Qualit tssicherung wissenschaftlicher Publikatio- nen, – Maßnahmen zur Akzeptanzgewinnung und Marktdurchdringung durch den Einsatz neuer Methoden des Indexing und Ranking wissenschaftli- cher Publikationen, – tragf hige Gesch fts- und/oder Kooperationsmodelle zwischen den be- teiligten Akteuren im Publikationsprozess, – Unterst tzung neuer Formen des wissenschaftlichen Publizierens durch die Entscheidungstr ger in Forschungseinrichtungen und Universit ten (institutionelle policy).35 Ob sich die neuen Publikationsformen auch als die kosteng nstigere Alter- native herausstellen werden, ist gegenw rtig noch offen und wird die wei- tere Entwicklung zeigen. Prim r geht es bei den neuen Produkten aber um signifikante Qualit tssteigerungen (Sichtbarkeit und Verf gbarkeit f r die Wissenschaft) gegen ber den herkçmmlichen Verfahren und etablierten 234 Zirkulation wissenschaftlicher Information in elektronischen R umen Marken. In diesem Kontext wird weiter zu analysieren sein, wie sich die jeweilige Interessenlage der am Publikationsprozess beteiligten Akteure un- ter den neuen technologischen Rahmenbedingungen darstellen wird.36 Ab- sehbar ist, dass mit neuen Strukturen des wissenschaftlichen Publizierens auch neue Aufgaben und Rollen auf die Akteure (Autoren, Herausgeber, Gutachter, Verlage, Versorger, Leser etc.) zukommen. Die Zirkulation wissenschaftlicher Fachinformation bewegt sich in einer Sph re çkonomischer Interessen, die sich f r die Zielsetzungen wissen- schaftlichen Publizierens (Qualit tssicherung, Sichtbarkeit, Informations- und Wissenstransfer) nachteilig auswirken kçnnen. Durch den Einsatz tech- nischer Schutzmaßnahmen erçffnen sich f r die Verlage neue Mçglichkei- ten der Preisdifferenzierung f r wissenschaftliche Fachinformation. Ob neue, alternative Publikationsstrukturen dazu beitragen kçnnen, die aggres- sive Preispolitik großer wissenschaftlicher Fachverlage aufzuhalten bzw. zu verlangsamen, l sst sich derzeit nicht prognostizieren. In zahlreichen Fach- disziplinen und auch in den wissenschaftlichen Fçrderorganisationen wird die Einschr nkung im Zugang zu wissenschaftlicher Information als eine Folge der Profitmaximierungsinteressen der Verlage jedoch zunehmend kri- tisch bewertet. Umbruchsituationen werden h ufig als Krisensituationen erlebt, weil herkçmmliche Handlungs- oder Strukturmodelle durch gewandelte Rah- menbedingungen in Frage gestellt oder gar zu Auslaufmodellen erkl rt wer- den, ohne dass sich neue Modelle als konkrete Alternative bereits etabliert haben. Dieses Dilemma charakterisiert auch die gegenw rtige Situation der Zirkulation wissenschaftlicher Information, die einerseits auf dem wissen- schaftlichen Publizieren und andererseits auf der wissenschaftlichen Infor- mationsversorgung beruht – beide Faktoren h ngen eng miteinander zusam- men und bedingen sich wechselseitig. Sowohl die Publikationspraxis als auch die Literatur- und Informationsversorgung unterliegen durch die rasante Entwicklung der Informations- und Kommunikationstechnik ei- nem tief greifenden Wandel, der ber die technischen Plattformen hinaus zu erheblichen nderungen der Arbeits- und Organisationsabl ufe, aber insgesamt auch zu Neuausrichtung und Umstrukturierungen von Wissen- schaftseinrichtungen, Forschungsinstitutionen, Dienstleistern, Servicezent- ren, Marktakteuren etc. f hrt. Die so erlebte Krise der wissenschaftlichen Information hat viele Facet- ten, f r die sich zun chst die Finanzierungs- bzw. Kostenkrise als gemein- samer Nenner vermittelt. Denn nach einer vergleichsweise langen Phase kontinuierlicher Expansion von Budgets, Etats, Publikationen, Studieren- denzahlen, Verlagen, Universit ten etc. stellt sich als ungewohnte Erfahrung 235 Heike Andermann und Andreas Degkwitz heraus, dass sich neue Entwicklungen und ver nderte Rahmenbedingungen mit Risiken verbinden, die den Fortbestand von Einrichtungen und Unter- nehmen zu gef hrden drohen. Doch Entwicklungsherausforderungen und Finanzierungskrisen fordern und fçrdern Priorit tensetzung und Ver nde- rung; dies gilt f r alle Akteure des wissenschaftlichen Informationsmarktes (Autoren, Leser, Verlage, Bibliotheken, Buchhandlungen etc.), aber auch f r die Forschungs- und Hochschuleinrichtungen selbst, die sich dazu po- sitionieren m ssen – oder anders gesagt: Die an Produktion und Distribution elektronischer Fachinformation beteiligten Akteure m ssen ihre jeweils ei- genen Wege beschreiten, um ihre Chancen und ihre Ressourcen zur An- gebotsoptimierung zu nutzen, wobei die in allen F llen bestehenden Risi- ken zu ber cksichtigen und zu kalkulieren sind. Allgemeine Leitlinien und Vorgaben werden in diesem Zusammenhang an Bedeutung verlieren – we- sentlich ist, dass die Zirkulation elektronischer Fachinformation den Anfor- derungen der origin ren Nachfrage- und Zielgruppen – das sind Autoren und Leser – entspricht. Anmerkungen 1 Der folgende Beitrag beruht auf Ergebnissen des von der Universit tsbibliothek Frankfurt a.M. und der Universit tsbibliothek Potsdam durchgef hrten DFG-Pro- jekts »K nftige Bereitstellungs- und Bezugsstrukturen f r elektronische Fachinfor- mation«; siehe: [http://www.epublications.de] sowie den Publikationen von Ander- mann, Degkwitz, Dugall und Fladung, die im Literaturverzeichnis zitiert sind. 2 Ein sehr eindrucksvolles Beispiel daf r ist die Geschichte der Verbreitung der En- zyklop die Diderots, vgl. Darnton (1993). 3 Von Halle (2005) werden f r deutsche Hochschulverlage hnliche Entwicklungs- mçglichkeiten gesehen, wie sie sich im anglo-amerikanischen Bereich seit langem etabliert haben. Die grunds tzlich anderen Rahmenbedingungen an amerikanischen, aber auch englischen Universit ten werden f r eine solche Prognose allerdings zu wenig ber cksichtigt. 4 Das Web of Knowledge wird vom Institute of Scientific Information betrieben. Der Journal Impact Faktor ist ein Instrument zur Evaluierung der Bedeutung wissen- schaftlicher Zeitschriften. In Abh ngigkeit von der Hçhe des Faktors wird h ufig auch der wissenschaftliche Stellenwert des darin publizierten Artikels gesehen. 5 Vgl. Griebel/Tscharntke (1999), S. 12 und Case (2001), letzter Abruf v. 10. Februar 2003. 6 Vgl. zu technischen Schutzmaßnahmen den Beitrag von Volker Grassmuck in diesem Band. 7 Vgl. dazu auch Dugall (2004), S. 32 und Degkwitz (2004), S. 1418. 8 Siehe dazu auch Ball (2005), S. 25–8. 9 Auf dem Zeitschriftenmarkt f r die Fachgebiete Science, Technology, Medicine (STM-F cher) ist seit den 1970er Jahren eine fortdauernde Kostenerhçhung zu be- obachten, die von den Verlagen folgendermaßen begr ndet wird: Sinkende Privat- 236 Zirkulation wissenschaftlicher Information in elektronischen R umen abonnements machen eine Erhçhung der Preise f r institutionelle Kunden (Subskrip- tions-Anpassungen) erforderlich, Investitionen in elektronische Publikationssysteme, Parallelbezug von Print- und elektronischen Zeitschriften verursachen Mehrkosten, die an die institutionellen Abnehmer weitergegeben werden; vgl. Meier (2002), S. 31 und S. 99 ff. 10 Vgl. aktuell Scholze (2005), S. 233–239; von Schirmbacher (2005) werden weiter gehende Implikationen des elektronischen Publizierens benannt, die sich genuin mit digitalen Medienformen verbinden und insofern zu tief greifenden Ver nderungen des konkreten Produktionsprozesses auf der Autorenseite f hren. 11 Preprints sind Vorabverçffentlichungen; bei Postprints handelt es sich Zeitschriften- artikel, die bereits verçffentlicht sind und von denen eine elektronische Kopie – unabh ngig von der Zeitschriftenpublikation – nochmals çffentlich zug nglich ge- macht wird. 12 Vgl. Riehm/Bçhle/Wingert (2004), S. 549–558. 13 Verlage schreiben den Bibliotheken eine j hrliche Abbestellquote gedruckter Zeit- schriftenexemplare vor, die maximal 5 % betragen darf. Sie binden den Bezug der elektronischen Version einer Zeitschrift an das gedruckte Exemplar einer Zeitschrift. Verlage »b ndeln« ihre Zeitschriften in so genannte Zeitschriftenpakete, die in dieser Form an die Bibliotheken vertrieben werden. 14 Vgl. dazu ausf hrlicher Degkwitz/Andermann (2003). 15 Jochum (2005), S. 41 setzt diesen Bem hungen recht anachronistisch wirkende An- nahmen und Vermutungen eines digitalen Chaos entgegen, die einer faktischen und konkreten Grundlage entbehren. 16 National Research Council (2000), letzter Abruf v. 13. November 2003; vgl. auch Prosser (2005). 17 Vgl. dazu ausf hrlicher Beger (2002). 18 Vgl. hierzu ausf hrlicher den Beitrag von Till Kreutzer in diesem Band sowie Hoeren (2003) und Beger (2002); vgl. aus informationsethischer Perspektive Kuhlen (2000), letzter Abruf v. 7. August 2003. Zur Gesamtthematik der Urheberrechtsnovellierung s. Sieber/Hoeren (2005). 19 Vgl. Hoeren (2005). 20 Weitere Initiativen aus der Wissenschaft haben sich der Forderung nach einem freien Zugang zu wissenschaftlicher Information angeschlossen. Hierzu z hlt das Bethesda Statement: [http://www.earlham.edu/~peters/fos/bethesda.htm], letzter Abruf v. 5. Juni 2003), die ECHO-Charter; [http://echo.mpiwg-berlin.mpg.de/ECHO/ home/documents], letzter Abruf v. 18. August 2003 und die Berlin-Declaration deutscher außeruniversit rer Forschungseinrichtungen (2003), letzter Abruf v. 10. Dezember 2003. 21 [http://www.soros.org/openaccess/g/index.shtml], letzter Abruf v. 10. Dezember 2003. 22 Vgl. Andermann (2003), S. 731–739; dass sich die Situation weiterhin in der hier beschriebenen Weise darstellt, zeigt Bauer (2005), S. 206–215. 23 Ausf hrlichere Informationen zu den einzelnen Verlagen bzw. Initiativen des Open Access Publishing finden sich unter [http://www.epublications.de/APII.pdf]. 24 Weitere Initiativen: Die Public Library of Science ([http://publiclibraryofs- cience.org/]) ist Herausgeber mehrerer naturwissenschaftlicher Fachzeitschriften auf der Basis des neuen Gesch ftsmodells (PLoS Biology, PLoS Medicine). Die in der Schweiz ans ssige Initiative Molecular Diversity Preservation International 237 Heike Andermann und Andreas Degkwitz ([http://www.mdpi.org/]) ist Herausgeber von vier Fachzeitschriften aus dem Fach- gebiet der Chemie (Molecules, Entropy, Molecular Science, Sensors). 25 Einen berblick ber OA-Zeitschriften sowie einen strukturierten Einstieg in die weltweite Suche in OA-Zeitschriften bietet das Directory of Open Access Journals: [http://www.doaj.de], letzter Abruf v. 5. September 2003. 26 [http://www.arl.org/sparc/]. 27 Zu einer Gegen berstellung der Konkurrenzprodukte siehe Andermann/Degkwitz (2004), S. 52 f. – aktuelle Informationen unter der WEB-Adresse von SPARC (Anm. 25). 28 [http://highwire.stanford.edu/]. 29 [http://muse.jhu.edu/]. 30 [http://www.bioone.org/bioone/?request=index-html]. 31 [http://www.ubka.uni-karlsruhe.de/gap-c/index_de.html]. 32 F r ein fachliches Repositorium kann hier beispielhaft der 1991 f r das Fachgebiet Physik von Paul Ginsparg entwickelte e-print-Server ArXiv genannt werden. Wei- tere nach diesem Vorbild entwickelte fachliche Repositorien sind RePec (Archiv f r das Fachgebiet Wirtschaftswissenschaften) und CogPrints (Kognitionswissenschaften). 33 Diese Interoperabilit t wird durch die Anwendung der Metasprache Extensible Mar- kup Language (XML), die Dublin Core Metadaten und das Protokoll f r Metadaten Harvesting ermçglicht. Vgl. Lagoze/van de Sompel (2003), letzter Abruf 5. August 2003. 34 International ist der Aufbau elektronischer Archive (oder auch fachlicher bzw. in- stitutioneller Repositorien) an Hochschulen und Forschungseinrichtungen an folgen- den Beispielen zu beobachten: eScholarship (USA), DSpace (USA), SHERPA – Securing a Hybrid Environment for Research Preservation and Access (England), DARE- Digital Academic Repositories (Niederlande), ETH-E-Collection (Schweiz) und der E-Doc-Server der Max-Planck-Gesellschaft. Zugleich werden an zahlrei- chen deutschen Hochschulen Archiv- bzw. Dokumentenserver betrieben; schon seit l ngerem existieren der E-Doc-Server der Humboldt-Universit t und der MILESS- Server der Universit t Duisburg-Essen. 35 Vgl. hierzu auch die Initiative des Massachusetts Institute of Technology in Boston zum freien Zugang zu wissenschaftlichen Lehr- und Lernmaterialien: [http://ocw. mit.edu/index. html] 36 Vgl. dazu das k rzlich angelaufene DFG-Projekt »Wissenschaftliche Informations- versorgung und alternative Preisbildungsmechanismen« (WIAP), das auf Ergebnissen des DFG-Projekts »K nftige Bezugs- und Bereitstellungsstrukturen f r elektronische Fachinformation« aufsetzt und die Bewertung der Wirtschaftlichkeit alternativer Preismechanismen auf dem Markt f r wissenschaftliche Publikationen zum Gegen- stand hat. Das Projekt wird gemeinsam von Prof. Dr. Wolfgang Kçnig und Berndt Dugall von der Universit t Frankfurt geleitet. Literatur Andermann, Heike (2003): Entwicklung von alternativen Publikationsstrukturen in Europa und den USA. DFG-Projekt »Perspektiven f r den Bezug elektro- nischer Fachinformation in der Bundesrepublik Deutschland«, in: Bibliotheks- dienst 37, S. 731–739. 238 Zirkulation wissenschaftlicher Information in elektronischen R umen Andermann, Heike (2004): Initiativen zur Reformierung des Systems wissenschaft- licher Kommunikation, in: Rainer Kuhlen/Thomas Seeger/Dietmar Strauch (Hrsg.): Grundlagen der praktischen Information und Dokumentation, 5. Aufl. M nchen, S. 561–565. Andermann, Heike/Degkwitz, Andreas (2004): Neue Ans tze in der wissenschaftli- chen Informationsversorgung, in: Bibliothek, Forschung und Praxis 28, S. 35–58. Ball, Rafaell (2005): Sicherheit und Verunsicherung im Zeitalter elektronischer Wissenschaftskommunikation, in: B.I.T. Online 8, S. 25–28. Bauer, Bruno (2005): Zur aktuellen Situation von Open Access. Cologne Summit on Open Access Publishing 2004, in: Bibliotheksdienst 39, S. 206–215. Beger, Gabriele (2002): Urheberrecht und elektronische Bibliotheksangebote. Ein Interessenkonflikt (= Berliner Arbeiten zur Bibliothekswissenschaft 8), Berlin. Beger, Gabriele (2003): Neue Modelle f r den Umgang mit Wissen in wissenschaft- lichen Bibliotheken, in: eForum zeitGeschichte 2/3, http://www.eforum- zeitgeschichte.at/2_2003a3.html Berlin-Declaration deutscher außeruniversit rer Forschungseinrichtungen (2003), http:// www.zim.mpg.de/openaccess-berlin/berlindeclaration.html Case, Mary (2001): Scholarly Communication. A system in crisis, http://www. lib.ohio-state.edu/Staff/scholcom/case925.html Darnton, Robert (1993): Gl nzende Gesch fte. Die Verbreitung von Diderots Encyclopedie oder: Wie verkauft man Wissen mit Gewinn?, Berlin (am. Erst- ausgabe 1979). Degkwitz, Andreas (2004): Bibliothek im Kontext neuer Publikationsstrukturen, in: Bibliotheksdienst 38, S. 1417–1422. Degkwitz, Andreas/Andermann, Heike (2003): Angebots-, Nutzungs- und Bezugs- strukturen in Deutschland, in ABI-Technik 23, S. 12–31. Dugall, Bernd (2004): Nutzungsstatistiken elektronischer Zeitschriften: Entschei- dungsgrundlage oder Spielwiese?, in ABI-Technik 24, S. 32–42. Dugall, Bernd/Fladung, Rainer (2002): Entscheidungsorientierte Kostenbetrachtung f r den Bezug elektronischer Zeitschriften im konsortialen Rahmen anhand ausgew hlter Beispiele, in: ABI-Technik 22, S. 316–338. Dugall, Bernd/Fladung, Rainer (2003): Innerkonsortiale Kostenrechnungsmethoden f r elektronische Informationsressourcen, in: ABI-Technik 23, S. 196–214. Dugall, Bernd/Wiesner, Margot (2002): Lizenzierung elektronischer Informations- quellen im Konsortium: Kosten und Nutzen am Beispiel des HeBIS Konsor- tiums, in: ABI-Technik 22, S. 13–24. Griebel, Rolf/Tscharntke, Ulrike (1999): Analyse der Etatsituation wissenschaftlicher Bibliotheken 1998/1999, M nchen. Halle, Axel (2005): Universit tsverlage: eine vergleichende Perspektive, in: Zeit- schrift f r Bibliothekswesen und Bibliographie 51, S. 277–283. Hoeren, Thomas (2003): Urheberrecht und Verbraucherschutz. berlegungen zum Gesetz ber Urheberrecht in der Informationsgesellschaft. Gutachten im Auf- trag von Verbraucherzentrale Bundesverband e.V. in Berlin (2003), http:// 239 Heike Andermann und Andreas Degkwitz www.vzbv.de/mediapics/1043159929Gutachten_Urheberrecht_Hoeren_2003. pdf Jochum, Uwe (2005): Elektronischer Selbstbetrug. Bibliotheken brauchen keine Digitalisierung, in: FAZ vom 15. M rz 2005, S. 41. Kuhlen, Rainer (2000): Wissen als Eigentum. Wie kann der freie Zugang zu den Ressourcen des Wissens in globalen Informationsr umen gesichert werden?, http://www.Wissensgesellschaft.org/themen/publicdomain/wisseneigentum. pdf Lagoze, Carl/van de Sompel, Herbert (o.J.): The Open Archives Initiative: Building a low-barrier interoperability framework: http://www.openarchives.org/OAI/ openarchivesprotocol.htm Meier, Michael (2002): Returning Science to the Scientists. Der Umbruch im STM-Zeitschriftenmarkt unter Einfluss des Electronic Publishing, M nchen 2002. National Research Council (2000): The Digital Dilemma. Intellectual Property in the Information Age, http://www.nap.edu/html/digital_dilemma/notice.html Prosser, David (2005): Fulfilling the Promise of Scholarly Communication. A Com- parison between Old and New Access Models, in: Die innovative Bibliothek. Festschrift f r Elmar Mittler zum 65. Geburtstag, M nchen 2005, S. 95–106. Riehm, Ulrich/Bçhle, Knud/Wingert, Bernd (2004): Elektronisches Publizieren, in: Rainer Kuhlen/Thomas Seeger/Dietmar Strauch (Hrsg.); Grundlagen der praktischen Information und Dokumentation, M nchen5, S. 549–558. Schirmbacher, Peter (2005): Die neue Kultur des elektronischen Publizierens, in: Die innovative Bibliothek. Festschrift f r Elmar Mittler zum 65. Geburtstag, M n- chen, S. 107–119. Scholze, Matthias (2005): Ein Jahr DINI-Zertifikat f r Dokumenten- und Publi- kationsserver, in Bibliotheksdienst 39, S. 233–239. Sieber, Ulrich/Hoeren, Thomas (2005): Urheberrecht f r Bildung undWissenschaft – Anforderungen an das Zweite Gesetz zur Regelung des Urheberrechts in der Informationsgesellschaft. Beitr ge zur Hochschulpolitik 2. – Hochschulrekto- renkonferenz, Bonn. 240 V. M rkte und Gesch fts- modelle Joscha Wullweber Marktinteressen und Biopiraterie – Auseinandersetzungen um das »gr ne Gold der Gene«1 In der westlichen Welt herrschen Vorstellungen ber die Beziehung von Wissen und Eigentum, die h ufig als universal angenommen werden. Doch ein Blick in andere L nder und Kulturen zeigt schnell, dass es nicht nur ganz andere Vorstellungen ber den Zusammenhang von Wis- sen und Eigentum gibt, sondern auch, dass diese unterschiedlichen Ansich- ten zu handfesten Konflikten f hren kçnnen. Dieser Artikel stellt einen solchen Konfliktfall vor, in dem Firmen aus dem Westen an traditionel- lem Wissen zum Zwecke der Vermarktung interessiert sind. Dabei wer- den westlich gepr gte Vorstellungen von Wissen und Eigentum auf Gesell- schaften angewandt, die sich in einem anderen kulturellen und politi- schen Kontext befinden. So h lt die eine Seite ihre Interessen an der In- wertsetzung von Wissen f r legitim, w hrend die andere Seite diese Praxis als »Biopiraterie« anprangert. Es zeigt sich, dass im Kontext von traditio- nellen und indigenen Lebensweisen die Frage nach Wissen und Eigen- tum neu gestellt werden muss. Diese Problematik der Kommerzialisierung und Inwertsetzung von traditionellem Wissen soll in diesem Artikel be- leuchtet werden. Im Zuge der Suche nach neuen Medikamenten haben indigene Vçlker eine neue Bedeutung erhalten. Denn diese besitzen noch das traditionelle Wissen um die »Waldapotheken« und um die Art undWeise, wie bestimmte Heilpflanzen zu verwenden sind. Dieses Wissen um das »gr ne Gold der Gene« ist immer st rker von Interesse vor allem f r die Life Sciences Indus- trie,2 die sich von der Vermarktung des »kollektiven Ged chtnisses indigener Bevçlkerungsgruppen«3 hohe Gewinne verspricht. Zur Absicherung dieser Ressourcen spielen Patente eine zentrale Rolle. Die Inwertsetzung von (tra- ditionellem) Wissen erfordert internationale Regulation. Sie hat zum Auf- bau internationaler Regelungssysteme gef hrt, die eine gewisse Kontinuit t und Stabilit t gew hren sollen. Von Bedeutung sind insbesondere das TRIPS-Abkommen4 zum Schutz geistiger Eigentumsrechte und die Biodi- versit tskonvention (Convention on Biological Diversity – CBD). 243 Joscha Wullweber Dieser Beitrag befasst sich mit der CBD. Kritisch beleuchtet werden die darin enthaltenen westlichen Vorstellungen von Wissen, Eigentum und Schutz der Biodiversit t. Ein Fallbeispiel aus Mexiko veranschaulicht den Konflikt. Er ist einer von vielen Konflikten, die tagt glich berall auf der Welt stattfinden. Doch ist er einer der wenigen F lle, bei dem die Kritik der Einwohner/innen die nationale und internationale ffentlichkeit erreichen und das Projekt stoppen konnte. Schließlich wird am Ende des Artikels ein alternatives Abkommen zum Umgang mit traditionellen Ressourcen vor- gestellt und nach Alternativen zum Schutz des traditionellen Wissens ge- fragt. 1. Indigenes Wissen und die Life Science Industrie Indigene Wissens- und Lebensformen Indigene Vçlker haben sich durch die enge Verbindung mit der sie umge- benden Natur ein umfangreiches Wissen um diese angeeignet.5 Doch ist eine Idealisierung oder Mystifizierung dieser Lebensweisen nicht sinnvoll. Denn praktisch alle indigenen Vçlkern haben eine Geschichte der Vertrei- bung und Verdr ngung hinter sich. Meist wurde ihnen ihr Land genommen und sie mussten von fruchtbaren und niederschlagsreichen L ndereien auf marginale Standorte ausweichen. Das Wissen um die sie umgebende Natur war f r ihr berleben existentiell. Der Ursprung dieser Verdr ngung und Unterdr ckung liegt vor allem im historischen Prozess der globalen Aus- dehnung der europ ischen Macht- und Einflusssph re.6 Auch im politischen Sinne sind indigene Vçlker marginalisiert, da ihnen kaum Rechte einge- r umt wurden und werden. So leben indigene Vçlker heute als Minorit ten in Staaten, die ein anderes Ordnungs- und Wirtschaftsprinzip praktizieren und die ihnen die politische Eigenst ndigkeit absprechen. Sie sind gezwun- gen, in verh ltnism ßig isolierten sozialen wie r umlichen Umwelten zu berleben. Das traditionelle Wissen stellt hierbei die Beziehung der tradi- tionellen Gemeinschaften zu ihrem Territorium dar. Indigene Vçlker haben h ufig eine andere Form der Ressourcenbewirt- schaftung als westliche Industriel nder. Allerdings gibt es weder die indigene Bewirtschaftungsform noch die indigene Lebensweise. Gebiete, die aus westlicher Sicht naturbelassen erscheinen, stellen sich im Kontext indigener Kulturen als vom Menschen genutzter und gepr gter Raum heraus. Posey pr gte hierf r den Begriff der »anthropogenen Landschaften«.7 Weiterhin 244 Marktinteressen und Biopiraterie – Auseinandersetzungen um das »gr ne Gold der Gene« sind indigene Bewirtschaftungsformen h ufig durch ein mosaikartiges Ne- beneinander verschiedener Nutzungsformen auf kleinr umigem Gebiet ge- kennzeichnet. Durch ein System von »Durcheinanderpflanzungen« ver- schiedener Pflanzensorten wird der Krankheits- und Pilzbefall minimiert. Auch existieren vielf ltige gesellschaftliche und kulturelle Mechanismen, die verhindern sollen, dass dem nat rlichen Kreislauf berm ßig Ressourcen entzogen werden. Ein weiterer, besonders f r diesen Artikel wichtiger Aspekt, ist die kollektive Orientierung und kooperative Organisierung vie- ler indigener Vçlker. So werden traditionelles Wissen und pflanzengeneti- sche Ressourcen als çffentliche und kollektive G ter angesehen. Zugriffs- rechte auf lebenswichtige biologische Ressourcen wie Fruchtb ume, Kulturpflanzen und Medizinalpflanzen unterliegen im Allgemeinen keinem Ausschlussprinzip, sondern sind auf viele Personen aufgeteilt. Beim Landbau gibt es h ufig keine strikte Zuordnung bestimmter Fl chen an bestimmte Personen, keine Parzellierung und Privatisierung von Landfl chen. Die Ern- te erfolgt meist gemeinsam und hat so auch eine starke soziale Funktion. H ufig gibt es in den indigenen Gemeinschaften keine Eigentumstitel an Grund und Boden. Weiden, Wald, Wasser, Luft und Jagdgr nde sind Ge- meinschaftseigentum, auch wenn diese Parzellen von einzelnen Familien bearbeitet werden.8 Vom Standpunkt der gesamten Gesellschaft aus gesehen, sind Zugriffsrechte auf Ressourcen unver ußerlich, also nicht nach außen bertragbar. Sie kçnnen zwar mit anderen geteilt, aber nicht verschenkt werden und auch nicht Teil einer kommerziellen Transaktion sein.9 Das Interesse der Life Sciences Industrie an indigenem Wissen Das indigene Wissen um Heil- und Kulturpflanzen hat in den letzten zwei Jahrzehnten immens an Bedeutung gewonnen, was vor allem auf die Life Sciences Industrie zur ckzuf hren ist. Diese verspricht sich im pharmazeu- tischen Bereich hohe Gewinne, ermçglicht durch die neueren Entwicklun- gen in den Biotechnologien.10 Etwa drei Viertel der Medikamente, die heut- zutage weltweit verwendet werden, gehen auf Pflanzen zur ck, die unter Zuhilfenahme von traditionellem Wissen gesammelt wurden. 1996 erzielte die Pharmaindustrie weltweit etwa 32 Milliarden US-Dollar Gewinn mit Medikamenten, die bereits vor der Vermarktung traditionell angewendet wurden.11 Durch Entwicklungen in den Bio- und Informationstechnologien werden Ressourcen wie Gensequenzen, Proteinstrukturen und Mikrobio- katalysatoren »entdeckt«, die vormals nicht zur Verf gung standen: »Das physische Substrat von Lebewesen tritt gewissermaßen zur ck gegen ber 245 Joscha Wullweber dem Versuch, die molekulare ›Software‹ der Organismen zu erfassen.«12 Mit der steigenden Bedeutung der genetischen Information wird auch das Wis- sen um die Orte dieser »Waldapotheken« sowie die Art undWeise, wie diese zu verwenden sind, wichtiger. Das Auffinden der pharmazeutisch interessanten Substanzen ist ohne Zu- hilfenahme einheimischenWissens trotz moderner Verfahren schwierig und angesichts der F lle wild wachsender Pflanzen mehr oder weniger dem Zu- fallsprinzip berlassen. Deshalb wird verst rkt auf das Wissen der einhei- mischen Bevçlkerungsgruppen zur ckgegriffen: »Shamanen und B uerin- nen, Kr uterfrauen und Bauern in aller Welt werden damit zu einer Quelle von Informationen, die nicht mehr allein die ethnologische Wissenschaft, sondern gleichermaßen die chemische Industrie in ihrem Wert zu sch tzen weiß.«13. Im Idealfall wird den Forscher/innen durch die Menschen, die das Wissen um die Pflanzen besitzen, auch mitgeteilt, welche Bestandteile der Pflanze die chemisch interessanten Substanzen enthalten. Sie erfahren, zu welcher Jahreszeit die chemischen Substanzen in der Pflanze angereichert werden, wann die Pflanzen gesammelt und wie die Substanzen gewonnen werden kçnnen.14 Von vielen indigenen Vçlkern wird diese Bioprospek- tion15 nicht als neutraler Vorgang, sondern als Bestandteil der Biopiraterie angesehen. Biopiraterie und Patente Der Terminus »Biopiraterie« bezeichnet aus Sicht vieler indigener Vçlker die Patentierung oder allgemeiner die Privatisierung von genetischen Res- sourcen und traditionellem Wissen, die vorher çffentlich waren und allen Menschen zur Verf gung standen. Diese Sichtweise korreliert mit der Position einiger Nichtregierungsorganisationen, die unter Biopiraterie das Vorgehen bezeichnen, »sich biologische oder genetische Ressourcen und/ oder das Wissen indigener oder lokaler Bevçlkerungsgruppen anzueignen, ohne die Mindeststandards der CBD zu befolgen.«16 Denn eine Patentie- rung von genetischen Ressourcen wird durch die CBD nicht ausgeschlos- sen (s. u.).17 Patente sind ein wichtiger Teil des Inwertsetzungsprozesses von traditio- nellemWissen und genetischen Ressourcen. Durch Patente werden diese zu Waren im kapitalistischen Produktions- und Tauschkreislauf, da sie deren kostenlose Nutzung f r Dritte verbieten. Durch das Ausschlussprinzip er- halten diese »Produkte« einen Tauschwert im çkonomischen Sinne.18 Be- stehen keine individuellen Eigentumsrechte an nat rlichen Ressourcen, 246 Marktinteressen und Biopiraterie – Auseinandersetzungen um das »gr ne Gold der Gene« handelt es sich entweder um so genannte Gemeinschaftsg ter oder um freie G ter. Bis zur Entwicklung der mikrobiologischen und gentechnischen Forschung konnte niemand Eigentumsanspr che auf Gene bzw. genetische Informationen stellen, da Gene technisch nicht zug nglich und bis vor hun- dert Jahren auch noch unbekannt waren. Patente auf genetische Ressourcen sind eine relativ neue Erscheinung. Seit Anfang der 1980er Jahre wird das Patentrecht international immer weiter ausgedehnt, bis hin zur Mçglichkeit der Patentierung von belebter Natur. Im Jahre 1980 erfolgte in den USA diesbez glich eine richtungsweisende Entscheidung. Nach einem Patent- antrag von General Electric auf einen gentechnisch ver nderten Mikroorga- nismus ebnete der Oberste Gerichtshof der USA den Weg f r die Paten- tierung von Lebewesen. Hiernach ist die Patentierung von lebender Materie mçglich, wenn diese technisch gegen ber dem Naturzustand ver ndert wurde, technisch in Massen hergestellt werden kann und technisch einge- setzt wird und damit toter Materie hnlicher ist als Lebewesen. Diese so genannte »Chakrabarty-Entscheidung«19 hatte weitreichende Auswirkungen auf die Erteilungspraxis f r Pflanzenpatente. Bereits 1985 wurde in den USA das erste Patent auf eine gentechnisch ver nderte Pflanze erteilt und 1988 das erste Patent auf ein S ugetier, die so genannte »Krebsmaus«. Die »Chakra- barty-Entscheidung« erzeugte auch in Europa erheblichen Druck, Patente auf lebende Organismen zu ermçglichen. 1992 wurde schließlich das Patent auf die »Krebsmaus« beim Europ ischen Patentamt erteilt, obwohl das der geltenden Rechtsprechung widersprach.20 Die internationale Regulierung der Inwertsetzung von Wissen und genetischen Ressourcen f hrte zum Aufbau internationaler Regime wie z.B. dem TRIPS-Abkommen und der Biodiversit tskonvention. Jedes dieser Regime ist Ausdruck der Ver- dichtung globaler Kr fteverh ltnisse zwischen Staaten, transnationalen Kon- zernen, NGOs und lokalen vernetzten Akteuren wie indigenen Vçlkern.21 Die Biodiversit tskonvention – Naturschutz + Marktliberalismus Die Biodiversit tskonvention (Convention on Biological Diversity – CBD) wurde 1992 mit dem Ziel verabschiedet, »die biologischen Ressourcen zu erhalten, ihre Bestandteile nachhaltig zu nutzen und die sich aus der Nutzung der genetischen Ressourcen ergebenden Vorteile ausgewogen und gerecht aufzuteilen, insbesondere durch angemessenen Zugang zu genetischen Ressourcen und angemessener Weitergabe der einschl gigen Technologien« (Art. 1 der CBD).22 Die Entstehung der CBD kann als Reaktion auf die umfassende Zerstçrung von kosystemen durch den 247 Joscha Wullweber Menschen und den damit verbundenen Verlust von biologischer Vielfalt gesehen werden.23 Der Verabschiedung vorausgegangen waren Verhand- lungen auf internationaler Ebene seit Mitte der 1980er Jahre. Insgesamt sind bislang 188 L nder der CBD beigetreten, von denen 168 den Vertrag ratifiziert haben.24 In der CBDwird der Gedanke des Schutzes mit dem Gedanken des Nut- zens verbunden. Um den Schutz der genetischen Ressourcen zu gew hr- leisten, soll nach den Regelungen des bereinkommens den genetischen Ressourcen ein Marktwert zugeordnet werden. Die CBD ist daher kein reines Umweltschutzabkommen, sondern auch ein Abkommen, das die wirtschaftliche Nutzung von und den Zugang zu genetischen Ressourcen regeln soll. Die Idee der CBD ist die Schaffung von Anreizen f r eine In- wertsetzung der genetischen Ressourcen und des indigenen Wissens. Hier- durch w rde ihre volkswirtschaftliche Bedeutung erhçht, was wiederum zu ihrem Schutz f hren soll. Weiterhin schreibt die CBD die nationale Sou- ver nit t ber die biologische Vielfalt vçlkerrechtlich verbindlich fest. Auch enth lt die CBD weitgehende Regelungen zur Patentierung der geneti- schen Ressourcen. So wird in den Artikeln 16.2 und 16.5 die Anerken- nung eines wirkungsvollen Schutzes geistiger Eigentumsrechte von den Unterzeichnerstaaten gefordert. Gleichzeitig werden im Artikel 8 j erstmals indigene Vçlker und lokale Gemeinschaften als wichtige Akteure benannt. Verschiedene Vertragsartikel sollen den s dlichen L ndern einen Vorteils- ausgleich gew hren, wenn es zur Nutzung »ihrer« genetischen Ressourcen und ihres Wissen kommt. Besonders erw hnt sei hier der Artikel 1 ber die faire und gerechte Aufteilung der Gewinne (»benefit sharing«). Im Folgenden soll anhand eines Beispiels aufgezeigt werden, dass die Me- chanismen der CBD und insbesondere der Ansatz des Schutzes durch die Vergabe von Eigentumsrechten problematisch sein kçnnen und h ufig an den Lebensumst nden und Bed rfnissen derjenigen Menschen vorbei geht, die zum Schutz der Biodiversi t eigentlich gest rkt werden m ssten. 2. Der Konflikt in Chiapas/Mexiko Die Region Chiapas befindet sich im S dosten Mexikos an der Grenze zu Guatemala. Chiapas ist einer der rmsten BundesstaatenMexikos. Die H lfte der Einwohner kann nicht lesen und schreiben und verf gt ber keine oder eine schlechte Strom-, Abwasser- und Trinkwasserversorgung. Die Bevçl- kerung von Chiapas besteht zu einem erheblichen Teil aus indigenen Ge- 248 Marktinteressen und Biopiraterie – Auseinandersetzungen um das »gr ne Gold der Gene« meinschaften. Zu den wichtigsten indigenen Gruppen in Chiapas gehçren die Tzeltal mit etwa 320000 Menschen, die Tzotzil mit 280000 und die Ch’ol mit 140000. Die politische Lage in Chiapas ist ußerst kompliziert und brisant. Internationale Beachtung erfuhr der Aufstand der Ej rcito Za- patista de Liberaci n Nacional 1994. Seit diesem Aufstand indigener Gruppen ist es in Chiapas zu einer Militarisierung großen Ausmaßes durch das me- xikanische Milit r und paramilit rische Gruppen gekommen, und insbeson- dere Letztere sorgen f r Leid unter der Bevçlkerung. Die indigene Bevçlkerung hat sich im Laufe der Jahrhunderte ein breites Wissen um die Biodiversit t der Region angeeignet. So hat die traditionelle Medizin eine große Bedeutung. Mehr als 1800 regional vorkommende Pflanzen werden als Medizinalpflanzen verwendet, f r die ein eigenes Klas- sifizierungssystem entwickelt und Pflanzensammlungen aufgebaut wurden. Da das traditionelle Kr uter- und Heilwissen aber immer st rker verloren geht, gr ndete sich 1994 die Organisation COMPITCH.25 Ihr Ziel ist es, die traditionelle Medizin wiederzubeleben, fortzuf hren und f r deren Verbrei- tung in den indigenen Gemeinden Chiapas Sorge zu tragen. Einzelne Mit- gliedsorganisationen von COMPITCH verfolgen seit einigen Jahren das Konzept, die Region Chiapas f r wenig Geld mit traditionellen Medika- menten zu versorgen. Gleichzeitig werden f r die indigenen Gemeinden Kurse angeboten, in denen die Menschen die traditionelle Medizin wieder erlernen kçnnen. Dadurch sollen die zumeist sehr armen Menschen aus den indigenen Gemeinden in die Lage versetzt werden, ihre Medikamente selbst herzustellen anstatt sie kaufen zu m ssen. Die Erlernung ihrer traditionellen Medizin macht sie – so die Hoffnung – unabh ngiger und f hrt zu mehr Selbstbestimmung. Das Projekt ICBG-Maya Die hohe Biodiversit t und die gleichzeitige Dichte an indigenen Vçlkern mit ihrem traditionellen Wissen f hrt seit l ngerer Zeit zu einem ausgepr g- ten Interesse verschiedener Forscher/innen an der Region Chiapas. Die In- ternational Cooperative Biodiversity Groups (ICBG)26 interessiert sich seit 1997 f r diese Gegend mit dem Ziel, ihre genetischen Ressourcen kommerziell verwertbar zu machen.27 Die ICBG wurde 1991 in den USA gegr ndet und ist ein Zusammenschluss verschiedener privater und çffentlicher Institutio- nen. Involvierte staatliche US-amerikanische Institutionen sind u. a. dasNa- tional Institute of Health (NIH), das Biological Sciences Directorate of the National Science Foundation (NSF), der Foreign Agriculture Service (FAS) und dasNational 249 Joscha Wullweber Cancer Institute (NCI). Außerdem gibt es umfangreiche Kooperationen mit privaten Akteure und Akteurinnen aus der Life Sciences Industrie wie z.B. Pharmacia, Glaxo-Wellcome, Bristol Myers Squibb und Shaman Pharma- ceuticals. Auch NGOs sind in einigen F llen involviert, wie beispielsweise der Worldwide Fund for Nature (WWF) und Conservation International. Diese Institutionen haben sich zusammengeschlossen, da sie einen dringen- den Handlungsbedarf in Bezug auf den Verlust von Biodiversit t und damit einhergehend den Verlust wichtiger Medizinalpflanzen sahen. Gleichzeitig wird davon ausgegangen, dass die kommerzielle Entwicklung von Medika- menten auf Basis von nat rlichen Medizinalpflanzen die çkonomische Ent- wicklung in den Ursprungsregionen fçrdern kann.28 Es gibt verschiedene ICBG-Projekte in Lateinamerika, Asien und Afrika.29 Mit einer Ausnahme sind alle Projekte in tropischen Regionen situiert. In alle ICBG-Projekte integriert sind weiterhin Universit ten und botanische G rten der USA und Universit ten und Forschungseinrichtungen des jeweiligen Landes, in dem die Bioprospektion durchgef hrt werden soll. In Chiapas entstand Ende 1998 das ICBG Projekt Drug Discovery And Biodiversity Among The Maya Of Mexico (im Folgenden: ICBG-Maya). Das Projekt zielte nach eigenen Angaben darauf, die Biodiversit t und die traditionelle Medizin zu erhalten und zu einer nachhaltigen Entwick- lung der Region Los Altos im geografischen Zentrum von Chiapas beizutragen. In das Projekt waren besonders drei Institutionen involviert: Die Foundation of Investigation der Universit t von Georgia in den USA; das El Colegio de la Frontera Sur (ECOSUR), eine staatliche Forschungsinsti- tution Mexikos, und die britische Firma Molecular Nature Limited (MNL). ECOSUR hatte die Aufgabe, in Zusammenarbeit mit den indigenen Gemeinden vor Ort die Bioprospektion durchzuf hren, also die Sammlung von Pflanzen, die eventuell einen medizinischen Effekt haben kçnnten. In der Universit t Georgia sollten dann die gesammelten Proben aufgearbei- tet werden. Die Firma MNL beabsichtigte, durch Genscreening und -se- quenzierung mçglichst viele potentiell medizinisch aktive Sequenzen zu »entdecken« und daraus Medikamente zu entwickeln, die schließlich pa- tentiert werden kçnnten. Ferner plante man, eine vierte Organisation mit dem Namen PROMAYA als Vertretung und Verhandlungspartner der indigenen Interessen zu gr nden. Falls sich Pflanzen finden sollten, aus denen biotechnologische Produkte und Pharmazeutika hergestellt wer- den kçnnen, sollten 25 % des Geldes, das ber die Patentgeb hren einge- nommen wird, an PROMAYA ausgezahlt werden. PROMAYA w rde dann entscheiden, welche Projekte in der Region Los Altos in Chiapas zu finanzieren w ren. 250 Marktinteressen und Biopiraterie – Auseinandersetzungen um das »gr ne Gold der Gene« Gegenwind von der indigenen Bevçlkerung COMPITCH meldete gleich zu Beginn Bedenken gegen das Projekt an. Es bestand die Sorge, dass sich die Patentierung bestimmter Medikamente, die auf indigenes Wissen und Pflanzen zur ckgehen, negativ auf die Einwohner Chiapas auswirken kçnnte. Patente, so die Bef rchtung der indigenen Or- ganisationen, kçnnten den Verkauf der Medikamente und die Weitergabe des traditionellen Wissens und deren Zubereitung verbieten oder erschwe- ren. Auch der von dem Projekt ICBG-Maya angestrebte Vorteilsausgleich an die indigenen Gemeinden wurde von COMPITCH kritisiert. Da die Gewinne aus Lizenzgeb hren eines pharmazeutischen Produkts im Durch- schnitt nur etwa 1 % der Gesamtgewinne ausmachen, h tte die Regelung bedeutet, dass ber 99 % der Gewinne an Pharmaunternehmen gingen und die indigenen Gemeinden 0,25 % bek men. Des Weiteren w rden diese 0,25 % auch nicht direkt an die Gemeinden gehen, sondern an die Orga- nisation PROMAYA.30 Schließlich hatten nur die Gemeinden das Recht auf den Erhalt dieser »Entwicklungshilfe«, die den Vertrag mit ICBG-Maya ab- geschlossen hatten.31 Unklar f r die indigenen Gemeinden war auch, wie sich Patente auf ihre Lebensumst nde auswirken w rden. ICBG-Maya erkl rte zwar in seinen ethischen Grunds tzen, dass das Projekt die Gemeinden in dem Gebrauch ihrer Medizinalpflanzen und das Wissen um diese nicht beschr nken w rde. Nach RAFI32 d rfte es demzufolge aber keine Patente auf die Medizinal- pflanzen oder Teile von ihnen geben. Denn sobald ein Patent erworben w rde, kçnnte der Eigner oder die Eignerin des Patentes den Verkauf be- stimmter Produkte unterbinden oder Lizenzen verlangen, auch wenn z.B. das alte Heilwissen wieder aufgearbeitet wird und auf dieser Grundlage Me- dikamente erstellt werden. Nach COMPITCH seien die genetischen Res- sourcen und das Wissen um diese immer ein Kollektivgut gewesen, das allen zur Verf gung stand. Die privatrechtliche Aneignung dieser Ressourcen wi- derspricht diesen Grunds tzen und der traditionellen Kultur und kçnnte zu Konflikten unter den Gemeinden f hren. Trotz der von COMPITCH ge ußerten Bedenken wurde das Projekt ICBG-Maya 1998 begonnen. Daraufhin startete COMPITCH verschiede- ne Aktivit ten, um auf ihre Bedenken aufmerksam zu machen und das Pro- jekt solange zu stoppen, bis diese Bedenken ausger umt w ren: »Es ist ein Raub des indigenen traditionellen Wissens und deren Ressourcen mit der Absicht, Medikamente zu produzieren, die auf keineWeise den Gemeinden nutzen, die diese Ressourcen seit einem Jahrtausend nachhaltig pflegen. Au- ßerdem hat das Projekt explizit die Absicht, das Wissen ber diese Ressour- 251 Joscha Wullweber cen, das bisher immer kollektives Eigentum gewesen ist, zu patentieren und zu privatisieren.«33 Als sich im Laufe des Jahres 1999 abzeichnete, dass die am Projekt ICBG-Maya beteiligten Institutionen nicht auf die Kritik der indi- genen Organisationen eingingen, wurde schließlich in allen indigenen Ge- meinden die Mitarbeit an dem Projekt verweigert, und COMPITCH for- derte ein Moratorium. Durch das Moratorium sollte die Mçglichkeit erçffnet werden, breite gesellschaftliche Diskussionen dar ber zu f hren, wie genetische Ressourcen und das Wissen um diese genutzt werden kçnn- ten und aus dieser Nutzung ein gesamtgesellschaftlicher Nutzen zu ent- wickeln sei. Dieses Moratorium sollte solange w hren, bis die Auswirkun- gen von Patenten auf die genetischen Ressourcen bzw. auf das traditionelle Wissen gekl rt seien. Unterst tzt wurde dieser Antrag von etwa 100 wei- teren indigenen Organisationen aus Lateinamerika. Aufgrund des vehementen Widerstandes der indigenen Gemeinden musste das Projekt ICBG-Maya im Oktober 2001 schließlich beendet wer- den. Zur Beendigung konstatiert Dr. Antonio Perez Mendez, Doktor der indigenen Medizin und Vorsitzender von COMPITCH: »The definitive cancellation of the ICBG-Maya project is important for all indigenous peoples in Mexico. Indigenous communities are asking for a moratorium on all biopiracy projects in Mexico, so that we can discuss, understand and propose our own alternative approaches to using our resources and knowledge. We want to ensure that no one can patent these resources and that the benefits are shared by all.«34 Und Rafael Alarc n, Arzt und Be- rater von COMPITCH, f hrt aus: »We see the cancellation of the ICBG- Maya as a victory, but we also realize that we must develop capacity to respond with our own economic alternatives. If not, we will continue to see foreign projects which seek to privatize our resources and knowledge.«35 3. Indigenes Wissen und das globale Rechtesystem Sind traditionelle Wissenssystems mit Patenten vereinbar? Patente kçnnen nur auf Entwicklungen vergeben werden, die neu sind und auf einer erfinderischen Leistung beruhen. Auch muss ein technischer Schritt erfolgt sein.36 Doch traditionelles Wissen und seine Anwendungen sind nicht neu, da es von Generation zu Generation weitergegeben wird. Im Laufe der Zeit hat sich das Wissen ver ndert und sicherlich auch verfeinert, neu ist es dadurch aber nicht. Gleichzeitig ist kein erfinderischer Schritt im Sinne des 252 Marktinteressen und Biopiraterie – Auseinandersetzungen um das »gr ne Gold der Gene« Patentrechts feststellbar. Das Patentrecht verlangt einen individuellen Erfin- derakt. Dieser ist aber hier nicht gegeben. Bei traditionellem Wissen handelt es sich um ein kollektives Wissen, das von vielen Menschen einer Gemein- schaft oder eines Kulturkreises geteilt wird. Der erfinderische Schritt kann hierbei zudem zeitlich nicht genau festgestellt werden. Auch ein technischer Schritt ist h ufig nicht gegeben.37 Ein weiteres Problem ist, dass keine Person als Erfinder oder Erfinderin benannt werden kann. Also m ssten bestimmte Institutionen oder Organisationen als Rechtssubjekte auftreten. Hierbei stellt sich aber die Frage, wessen Interessen die jeweilige Institution vertritt. Da es sich bei einem Patent um ein negatives Recht handelt, das andere von den patentierten Kenntnissen ausschließt, muss weiter gefragt werden, wer dann von der Aus bung der patentierten T tigkeiten ausgeschlossen wird. Denn das traditionelle Wissen kann sich durchaus auch auf die Nachbargemeinden und auch auf ganze Regionen erstrecken, die auch nationale Grenzen ber- schreiten. Die Unterschiede der beiden Wissensformen, also des traditionel- len Wissenssystems und des Wissens im westlichen System geistiger Eigen- tumsrechte, sind in der folgenden Tabelle zusammengefasst. Aus der Tabelle wird ersichtlich, dass sich traditionelles Wissen in allen benannten Kriterien vom westlichen Wissenssystem unterscheidet: W h- rend das traditionelle Wissen einen starken lokalen Anwendungsbezug hat, soll modernes Wissen universell anwendbar sein. W hrend geistige Ei- gentumsrechte vor allem dem Zweck dienen, den Tr ger/innen Ausschlie- ßungsrechte in Bezug auf andere zu gew hren, ist traditionelles Wissen so- zial eingebunden und kollektiv. W hrend traditionelles Wissen in die sozio-kulturelle Umgebung eingebettet ist, soll das moderne Wissen, we- nigstens dem Anspruch nach, losgelçst von jeglicher sozialer Konnotation sein. Und w hrend traditionelles Wissen die gemeinschaftlichen Errungen- schaften bei der Entwicklung dieses Wissens betont, werden Patente nur vergeben, wenn ein individueller Erfinderakt vorliegt. Das traditionelle Wissen entspricht also nicht den Anforderungen eines westlichen Systems geistiger Eigentumsrechte. Das moderne Schutzsystem geistigen Eigentums scheint daher kein institutioneller Rahmen zum Schutz des indigenen, traditionellen Wissens zu sein, da Schutzrechte nur dann ge- geben werden, wenn das Wissen sich im Kontext der westlichen Wissen- schaft bewegt und den westlichen Nutzbarkeits- und Vermarktungskriterien entspricht.38 Doch »kollektive Rechte indigener Vçlker legitimieren sich nicht ber Kriterien des Marktes, sondern unter Bezugnahme auf historische Kontinuit t, kulturelle Zuordnungen und organische soziale Netzwerke.«39 1993 erschien die UN-Studie ber den Schutz kulturellen und intellektu- ellen Eigentums indigener Vçlker (UN-Dokument 1993). Auch diese Stu- 253 Joscha Wullweber Vergleich von traditionellen Wissenssystemen und Wissen im Kontext des westlichen Systems geistiger Eigentumsrechte Traditionelles Wissenssystem Wissen im globalen IPR-System R umlicher Lokaler Anwendungsbezug Universeller Anwendungsbezug Bezugsrahmen Konzentriert auf Beziehungen Entwirft Muster f r (prinzipiell) der Menschen zur lokalen universelle Anwendbarkeit Umgebung Vermittelt durch Verweis Vermittelt durch abstrakte auf konkrete Ph nomene Modelle Ethische Kon- Wissen gebunden an Monopolartige Verf gung ber notationen Verpflichtungen und Wissen durch den Berechtigten Verantwortlichkeiten Wissensanwendung erfordert Beschr nkungen bei Entscheidungsfindung unter Wissensanwendung Abw gung betroffener systemirrelevant Interessen Wissens- Wissensweitergabe innerhalb Wissensweitergabe in weitergabe spezifischer sozio-kultureller abstraktem Kontext Umgebung Wissens- Wissenserweiterung ist sozial Neues Wissen entsteht durch neuerungen akkumulativer Prozess individuellen Erfinderakt Wesen des holistisch in Elemente aufgesplittet Wissens Wissen ist Teil sozio- Wissen ist Ware kultureller Tradition Kuppe (2002), S. 129 die stellte fest, dass das westliche Patentsystem kein ad quates Schutzsystem f r das traditionelle Wissen um die biologischen Ressourcen darstellt. Be- reits der Begriff »Eigentum« beinhalte, dass es sich um eine Ware handele, die frei gekauft oder verkauft werden kçnne. Dies sei nicht auf das tradi- tionelle Wissen bertragbar. CBD: Vermarktung und Schutz der indigenen Rechte in einem? Anhand der anfangs dargestellten Biodiversit tskonvention (CBD) wird die Problematik deutlich, die sich bei der Einbettung von indigenem Wissen und genetischen Ressourcen in internationale Vertr ge ergibt. Das Ziel der CBD ist der Schutz der Biodiversit t, die nachhaltige Nutzung der Kom- ponenten der Biodiversit t und die gerechte und ausgeglichene Aufteilung 254 Marktinteressen und Biopiraterie – Auseinandersetzungen um das »gr ne Gold der Gene« der Gewinne, die sich aus der Kommerzialisierung der genetischen Ressour- cen ergeben. Die Zusammenf hrung dieser drei Anliegen in einem inter- nationalen Abkommen ist ein historisches Novum. Im Hinblick auf die Inwertsetzung der genetischen Ressourcen kann die CBD als eine institu- tionelle Verrechtlichung und Etablierung eines Regimes zur Verteilung von Verf gungsrechten angesehen werden. Durch das Prinzip der nationalen Souver nit t ber die genetischen Ressourcen wird das Verhandlungs- potential der s dlichen L nder gest rkt. Es kann nicht mehr zu einem le- galen Zugriff von Bioprospektionsprojekten der Industriel nder oder der TNCs kommen, ohne dass diese Kompensationsleistungen an die s dlichen L nder entrichten m ssen. Das Prinzip der nationalen Souver nit t ber die genetischen Ressourcen steht jedoch nicht im Widerspruch zu den Interes- sen der Industriel nder und der TNCs, sondern ist vielmehr die Vorausset- zung f r deren Inwertsetzung.40 Denn erst die staatlichen Regulierungen garantieren einen sicheren und unkomplizierten Zugriff auf die genetischen Ressourcen. Die s dlichen L nder treten hierbei als Verhandlungspartner auf, die ihre Rechte an den Ressourcen ver ußern kçnnen und gleichzeitig in Angebotskonkurrenz zueinander stehen. Fraglich ist jedoch, ob die Regierungen der s dlichen Staaten die Inte- ressen der auf ihrem Staatsgebiet lebenden indigenen Vçlker vertreten. Wie im Fall Chiapas ist das Verh ltnis h ufig ußerst konflikthaft, unter anderem weil den indigenen Vçlkern politische, kulturelle und territoriale Selbst- bestimmung abgesprochen wird. Die Regierungen der s dlichen Staaten agieren h ufig gerade selbst als »die legalen und bisweilen kriegerischen In- strumente (…) um die Gemeinschaften und indigenen Vçlker auf ihrem Land und Territorium ihrer kulturellen, wirtschaftlichen und sozialen Rechte zu berauben«.41 Durch die CBD wird den Regierungen der s dli- chen L nder Souver nit t ber die genetischen Ressourcen zugesprochen, w hrend indigene Vçlker weiterhin keine Rechte beanspruchen kçnnen. Bewusst wird in der CBD von indigenen Gemeinschaften und nicht von indigenen Vçlkern gesprochen. Vçlker h tten viel weitgehendere Rechte auch auf die sie umgebenden Ressourcen. Geistige Eigentumsrechte werden zwar insofern eingeschr nkt, da diese nicht den Zielen des bereinkom- mens zuwiderlaufen sollen. Doch die Definition dessen, was den Zielen zu- widerl uft und was nicht, ist wiederum in die globalen Kr fteverh ltnisse eingebettet. Und dieses Kr fteverh ltnis beg nstigt diejenigen Akteure, die sich f r einen starken Patentschutz einsetzen. So sieht Seiler in der CBD ein Abkommen, »welches aufgrund seiner betont patentfreundlichen Auspr - gung womçglich weitreichendere Konsequenzen haben kann im Hinblick auf eine weltweite bertragung westlicher Standards beim Schutz geistigen 255 Joscha Wullweber Eigentums als das TRIPS-Abkommen.«42 Auch ist die Ausgestaltung des benefit sharing ein ußerst schwieriges Unterfangen, da bisher vçllig unklar ist, was ein »angemessener« Vorteilsausgleich ist und an wen dieser Vorteils- ausgleich transferiert werden soll. Der Versuch, mit der CBD einen posi- tiven Zusammenhang zwischen dem Schutz der Biodiversit t, den Interes- sen der Life Sciences Industrie und der Integration bisher nur unzureichend in den Weltmarkt integrierter Bereiche herzustellen, muss daher als proble- matisch angesehen werden. In Bezug auf die CBD merkt Ribeiro kritisch an, dass statt von Biopiraten besser von Biokorsaren gesprochen werden sollte.43 Manche Piraten erhielten im 16. und 17. Jahrhundert von der eng- lischen Krone Kaperbriefe, die international anerkannt waren und diese Pi- raten zu Korsaren machten. Sie konnten dann nicht mehr als Piraten an- geklagt werden und bekamen die Erlaubnis zum Kapern von Schiffen von der staatlichen Autorit t. Im Gegenzug mussten sie Rechenschaft ber ihre Beute ablegen.44 Traditionelles Wissen und pflanzengenetische Ressourcen als Erbe der Menschheit? Als mçgliche Alternative zum TRIPS wie auch zur CBD wird h ufig der »International Treaty on Plant Genetic Resources for Food and Agriculture« (IT) genannt. Es handelt sich um ein bisher vçlkerrechtlich unverbindliches Vertragswerk, das innerhalb der Food and Agriculture Organisation der UN im November 2001 verabschiedet wurde und dem die Idee zugrunde liegt, die weltweit wichtigsten Kulturpflanzensorten in einem so genannten »Mul- tilateralen System« zu sichern.45 Der Lçsungsansatz besteht in der Deklara- tion der Kulturpflanzensorten als gemeinsames Erbe der Menschheit. Hierin unterscheidet sich das IT also eindeutig von der CBD. Die Pflanzen in die- sem Multilateralen System f r Kulturpflanzen sollen nicht patentierbar, son- dern frei zug nglich sein. Strittig ist allerdings, ob auf Teile der Pflanzen, also auf Genabschnitte, Patente angemeldet werden d rfen. Der Ansatz des IT klingt viel versprechend. Doch gibt es auch hier star- ke Kritik. Denn bisher sind die berwachungssysteme, die kontrollieren sollen, dass es letztlich nicht zu Patenten auf Pflanzen oder Pflanzenbestand- teilen aus dem Multilateralen System f r Kulturpflanzen kommt, unzu- reichend. Auch ist es nach Agrawal generell problematisch, die genetischen Ressourcen als ein gemeinsames Erbe der Menschheit zu begreifen.46 Denn dies negiert die Machtbeziehungen zwischen Nord und S d, zwischen transnationalen Unternehmen und indigenen Vçlkern. W hrend die Life 256 Marktinteressen und Biopiraterie – Auseinandersetzungen um das »gr ne Gold der Gene« Sciences Unternehmen auf diesen çffentlichen Pool an genetischen Res- sourcen zugreifen kçnnen, um gegebenenfalls gentechnische Ver nderun- gen daran durchzuf hren und diese zu patentieren, ist offen, wie indigene Vçlker von solch einem Pool profitieren sollen. Traditionelles Wissen als Ware? Kçnnen indigene Vçlker nicht dennoch aus ihrem Wissen Profite erzielen, indem sie direkt mit Unternehmen ber Zugang, Gebrauch, Geb hren und Tantiemen verhandeln? Die hieraus resultierenden Gewinne kçnnten es den indigenen Vçlkern ermçglichen, ihr Wissen zu bewahren. Bef rworter/in- nen dieser Sichtweise argumentieren, dass bei gerechten Verhandlungen durchaus beide Seiten von der Vermarktung des traditionellen Wissens pro- fitieren kçnnten. Auch bliebe traditionellen Gemeinden auf Dauer gar nichts anderes brig, als sich ihrer Mçglichkeiten bewusst zu werden und aus ihren F higkeiten Geld zu machen, wenn sie berleben wollten. Dieses Geld kçnne den traditionellen Gemeinden als çkonomische Grund- lage dienen und so zum Schutz und zum Erhalt der kulturellen Diversit t beitragen.47 Nach dieser Auffassung ist die fehlende Integration in den Welt- markt und die unzureichende Nutzung des traditionellen Wissens schuld daran, dass dieses bedroht ist. Als problematisch muss angesehen werden, dass der Inwertsetzungspro- zess die gewachsenen Beziehungen traditioneller Gemeinschaften zu ihrem Naturraum nicht ber cksichtigt: »So gehçrt es zur Eigent mlichkeit der biotechnischen Industrialisierung, dass viele Firmen und Forschungseinrich- tungen indigene Wissensarten nutzen, w hrend sie dazu beitragen, den so- zialen Kontext, in dem diese Wissensarten entstanden sind, zu unterminie- ren.«48 Eine Integration traditioneller Gesellschaften in den Weltmarkt bedeutet, dass sich diese Gesellschaften der marktwirtschaftlichen Logik an- passen m ssen. Da diese Logik den meisten traditionellen Gemeinschaften fremd ist, m sste sich ihr Gef ge und Zusammenleben entsprechend ndern. Es stellt sich die Frage, ob sich die aus der Kommerzialisierung resultierende Ver nderung der indigenen Kultur nicht auch auf deren Umgang mit Wis- sen und damit auch auf das Wissen selbst auswirkt. Ein Patent bertr gt ein negatives Recht, das seinem Inhaber oder seiner Inhaberin ein Recht auf ausschließende Verwertung der Erfindung zugesteht. Es hindert andere Per- sonen, von dem patentierten Gegenstand und dem Wissen zu profitieren. Der Gedanke einer gemeinsamen Nutzung sowohl von Wissen als auch von pflanzen-genetischen Ressourcen, ist also nicht nur nicht mitgedacht, son- 257 Joscha Wullweber dern durch das Patentrecht gerade ausgeschlossen. Ferner wurde das Wissen in einem kollektiven Prozess entwickelt, in dem sich die Menschen ber ihre Erfahrungen imUmgang mit der Natur, ber neue Pflanzensorten, ber bestimmte Methoden usw. austauschten. Agrawal gibt deshalb zu bedenken: »Die Zuteilung exklusiver Rechte an indigenenWissensressourcen an recht- lich anerkannte Akteure untergr bt die Anreize, eine kollektive Orientie- rung bei der Produktion dieses Wissens aufrechtzuerhalten.«49 Abschließend muss also konstatiert werden, dass weiterhin unklar ist, wie traditionelles Wissen gesch tzt werden kann. In dem »Konfliktfeld Biopi- raterie« sind so grundlegend verschiedene Interessen involviert, dass eine einfache Problemlçsung nicht wahrscheinlich ist. Auch ist das Kr fteverh lt- nis zwischen transnationalen Konzernen, westlichen und s dlichen Regie- rungen und indigenen Vçlkern ußerst ungleich. Die vorhandenen interna- tionalen Abkommen scheinen vorhandene Machstrukturen nicht zu berwinden, sondern vielmehr dieses Verh ltnis widerzuspiegeln. So be- kommen geistige Eigentumsrechte in der CBD eine bedeutende Stellung, w hrend indigenen Vçlkern weitreichende Rechte auf ihr traditionelles Wissen abgesprochen werden. Um an einem Vorteilsausgleich teilnehmen zu kçnnen, m ssen indigene Gemeinschaften das westliche System geistiger Eigentumsrechte anerkennen. Gleichzeitig werden alternative Systeme zum Schutz kollektiven und traditionellen Wissens nicht anerkannt. Um eine Grundlage zum Schutz von traditionellem Wissen zu schaffen, m ssten jedoch diejenigen Akteure gest rkt werden, die das traditionelleWis- sen erhalten. Eine St rkung indigener Vçlker erfordert, dass ihnen politische, kulturelle und territoriale Rechte zugesprochen werden. Da diese eher auf Kooperation statt auf Ausschluss und auf gemeinsame G ter statt auf private Eigentumsrechte setzen, m sste auch gefragt werden, ob die vorherrschen- den, rein marktwirtschaftlich-orientierten Prinzipien diesem berhaupt ge- recht werden kçnnen oder nicht generell f r den Schutz von traditionellem Wissens ungeeignet sind. Um Alternativen entwickeln zu kçnnen, haben in- digene Vçlker schließlich eine weitere Forderung gestellt: Sie wollen Zeit. Zeit zu diskutieren, wie der Schutz und Erhalt von traditionellem Wissen bewirkt werden kann; Zeit sich zu fragen, obWissen berhaupt einigenMen- schen »gehçren« kann; Zeit, Alternativen zu denken. 258 Marktinteressen und Biopiraterie – Auseinandersetzungen um das »gr ne Gold der Gene« Anmerkungen 1 F r umfangreiche Kritik und Anregungen bedanke ich mich herzlich bei den He- rausgeber/innen. Großer Dank geht auch an Hanne Schmidt, die mir den Freiraum zum Schreiben dieses Artikels geschaffen hat. Teile dieses Artikels basieren auf dem Buch: Das gr ne Gold der Gene. Globale Konflikte und Biopiraterie, M nster 2004. 2 Unter den Begriff der »Life Sciences Industrie« fallen jene biotechnologischen Be- reiche der Pharma- und Agrarbranchen sowie der Tiermedizin, die mit Methoden aus der Bio- und Gentechnologie arbeiten. 3 Heins/Flitner (1998), S. 24. 4 Vgl. den Beitrag von Corinna Heineke in diesem Band. 5 Die Begriffe »indigen« oder »indigene Vçlker« sind nicht eindeutig definierbar und ihre Verwendung ist durchaus problematisch, da sie eine Koh renz zwischen sehr verschiedenen Gruppen, Kulturen und Lebensweisen suggerieren, die nicht ohne weiteres gegeben ist. Nach Anderes (2000), S. 39), ist der Begriff »indigen« auf all jene Menschen anwendbar, die sozial isoliert sind und ihre Traditionen trotz Eingliederung in von anderen Gesellschaften dominierten Staaten bewahrt haben. Statt des Begriffs »indigene Vçlker« wird h ufig der Begriff »indigene Gemeinschaf- ten« verwendet. Problematisch an letzterem Begriff ist, dass das internationale Recht nicht Minorit ten, sondern nur Vçlkern das Recht auf Selbstbestimmung einr umt. 6 Vgl. Kuppe (2001), S. 120 ff. 7 Vgl. Posey (1999), S. 8. 8 Vgl. Milborn (2002), S. 135. 9 Vgl. die Mataatua-Declaration von 1993, das Abschlussdokument der Konferenz zum Thema kultureller und intellektueller Rechte indigener Vçlker, die 1993 unter der Schirmherrschaft der UN stattfand: [aotearoa.wellington.net.nz/imp/mata.htm]. 10 Biotechnologien sind Methoden der technischen Nutzbarmachung biologischer Vor- g nge, worunter auch die Gentechnologie f llt. 11 Vgl. Ribeiro (2002a), S. 39 f. 12 Heins/Flitner (1998), S. 23. 13 Flitner (1995), S. 246 f. 14 Vgl. Kuppe (2001), S. 147. 15 Als Bioprospektion wird allgemein das Sammeln, Archivieren und schließlich Auf- arbeiten des biologischen Materials bezeichnet. 16 FUE (2002), S. 16. 17 Da die zweite Auffassung von Biopiraterie immer dominanter wird, schl gt z.B. Stallman (o.J.) vor, den Ausdruck »Bioprivatisierung/Biokaperung« (engl. Bioprivate- ering) zu gebrauchen, um das Problem der Privatisierung zu betonen. Ich werde in diesem Artikel allerdings weiterhin den Ausdruck Biopiraterie im Sinne der ur- spr nglichen, also von indigenen Vçlkern benannten Bedeutung verwenden. 18 Vgl. Pernicka (2001), S. 22 ff. 19 Benannt nach Ananda Mohan Chakrabarty, der den Patentantrag stellte. 20 Erst die EU-Biopatent-Richtlinie 98/44/EG schaffte 1998 rechtliche Klarheit und ermçglichte die Patentierung von Leben. 21 Vgl. Brand (2000), S. 97. 22 Siehe [www.biodiv-chm.de/textcbd/textcbd.htm]. 23 Nach unterschiedlichen Einsch tzungen liegt die durch Menschen verursachte Aus- sterberate z.B. bei Vçgeln und S ugetieren um etwa 100–1000 Mal hçher (Begon/ 259 Joscha Wullweber Harper/Townsend 1998, S. 622 ff.) bzw. sogar 1000 bis 40000 Mal hçher (Wolters 1995, S. 24 f.) als die nat rliche Aussterberate. 24 Siehe [http://www.biodiv.org/]. 25 Consejo Estatal de Organizaciones de M dicos y Pateras Ind genas Tradicionales de Chiapas = Regionaler Rat von traditionellen, indigenen rzte- und Hebammen- Organisationen. 26 Siehe [http://www.fic.nih.gov/programs/icbg.html]. 27 Vgl. ICBG (2002). 28 Vgl. ebd. 29 Genauer: In Panama, Madagaskar, Surinam, Kamerun, Nigeria, Peru, Vietnam, Laos, Argentinien und Chile. 30 Vgl. COMPITCH/RMALC/CIEPAC (2002), S. 22 f. 31 Bei den etwa 50 Vertr gen, die im Laufe des Projektes abgeschlossen wurden, h tten die anderen 1176 Gemeinden, die sich in dem Bezirk Los Altos befinden, keinen Ausgleich bekommen. Auch die etwa 7500 Gemeinden aus den angrenzenden Be- zirken w ren leer ausgegangen, obwohl der Erhalt bestimmter Pflanzen und das traditionelle Wissen von vielen Gemeinden geteilt und nicht auf die 50 vertraglich festgelegten Personen beschr nkt werden kçnne; vgl. ebd. 32 RAFI (2000), S. 5. 33 COMPITCH, zit. nach RAFI (1999), S. 3; bers. J.W. 34 Zit. nach ETC (2001). 35 Ebd. 36 Eine Erfindung bereichert den Stand der Technik, w hrend eine Entdeckung nur das Wissen bereichert, nicht die Technik. Wird also z.B. eine neue Eigenschaft eines bekannten Stoffes beschrieben, so handelt es sich lediglich um eine Entdeckung. Der Entdeckung fehlt also im Gegensatz zur Erfindung die technische Lçsung (vgl. Bauer 1993, S. 179). Wird allerdings ein Verfahren z.B. zur Isolierung eines Stoffs ent- wickelt und angef hrt, dass diese Gensequenz bestimmte Prozesse, wie z.B. die Blut- gerinnung auslçst, ist der so gewonnene Stoff patentf hig (vgl. Pernicka 2001, S. 82 f.). 37 Vgl. Kuppe (2001), S. 145 ff. 38 Rechtsschutz wird im Patentrecht nur gew hrt, wenn die Entwicklung gewerblich anwendbar ist. 39 Kuppe (2002), S. 131. 40 Vgl. Brand (2000), S. 225 f. 41 Ribeiro (2002b), S. 127. 42 Seiler (2002), S. 47. 43 Ribeiro (2002a), S. 46. 44 Vgl. Kaperbrief (2002), S. 1. 45 Dieses »Multilaterale System« enth lt 35 Nahrungs- und 29 Futtermittelpflanzen- arten, die f r die Weltern hrung eine wichtige Rolle spielen. Hierzu gehçren bei- spielsweise Hafer, Weizen, viele Kartoffelsorten, Reis und die meisten Maissorten. Allerdings sind einige f r die Weltern hrung wichtige Pflanzen wie z.B. die Soja- bohne ausgenommen. 46 Vgl. Agrawal (1998), S. 209. 47 Vgl. Clay (1992), S. 251 f. 48 Heins (2000), S. 145. 49 Agrawal (1998), S. 206. 260 Marktinteressen und Biopiraterie – Auseinandersetzungen um das »gr ne Gold der Gene« Literatur Agrawal, Arun (1998): Geistiges Eigentum und »indigenes« Wissen: Weder Gans noch goldene Eier, in: M. Flitner/V. Heins/C. Gçrg (Hrsg.): Konflikt- feld Natur. Biologische Ressourcen und globale Politik, Opladen, S. 193– 214. Anderes, Sabrina (2000): Fremde im eigenen Land: Haftbarkeit transnationaler Un- ternehmen f r Menschenrechtsverletzungen an indigenen Vçlkern, Disserta- tion der Rechtswissenschaftlichen Fakult t der Universit t Z rich. Bauer, Carsten (1993): Patente f r Pflanzen – Motor des Fortschritts?, D sseldorf. Begon, M.E./Harper, C.R./Townsend, C.R. (1998): kologie, Heidelberg-Berlin. Brand, Ulrich (2000): Nichtregierungsorganisationen, Staat und çkologische Krise: Konturen kritischer NRO-Forschung am Beispiel der biologischen Vielfalt, M nster. COMPITCH/RMALC/CIEPAC (2000): Pukuj, Biopirater a en Chiapas, San Crist bal de Las Casas/Mexiko. Clay, J. (1992): Building and supply markets for nonwood tropical forest products, in: Friends of the Earth (Hrsg.): The rainforest harvest, London, S. 250–265. ETC (2001): US Government’s $ 2,5 Million Biopiracy Project in Mexico Cancelled, News Release, verçffentlicht am 9. November 2001, www. etcgroup.org Flitner, Michael (1995): Sammler, R uber und Gelehrte. Pflanzengenetische Res- sourcen zwischen deutscher Biopolitik und internationaler Entwicklung 1890–1994, Frankfurt a.M.-New York. FUE (2002): Zwischen Schutz und Nutzung. 10 Jahre Konvention ber Biolo- gische Vielfalt, Bonn. Heins, Volker (2000): Modernisierung als Kolonialisierung? Interkulturelle Kon- flikte um die Patentierung von »Leben«, in: D. Barben/G. Abels (Hrsg.): Bio- technologie – Globalisierung – Demokratie, Berlin, S. 131–154. Heins, Volker/Flitner, Michael (1998): Biologische Ressourcen und »Life Politics«, in: Dies./C. Gçrg (Hrsg.): Konfliktfeld Natur. Biologische Ressourcen und globale Politik, Opladen, S. 13–39. ICBG (1997): International Cooperative Biodiversity Groups (ICBG). NIH Gui- de, Volume 26, Number 27, 15. August, RFA: TW-98–001, www.fic. nih.gov/programs/rfa.html ICBG (2002): International Cooperative Biodiversity Groups. Release Date: 17.10.2002, grants1.nih.gov/grants/guide/rfa-files/RFA-TW-03_004.html Kaperbrief (2002): Achtung Kaperbriefe, in: Kaperbrief. Zeitung gegen Bio- piraterie 1 v. August 2002, S. 1. Kuppe, Ren (2001): Der Schutz des traditionellen umweltbezogenen Wissens in- digener Vçlker, in: G. Klaffenbçck/E. Lachkovics/S dwind Agentur (Hrsg.): Biologische Vielfalt. Wer kontrolliert die globalen genetischen Ressourcen?, Frankfurt a.M., S. 141–156. 261 Joscha Wullweber Kuppe, Ren (2002): Indigene Vçlker, Ressourcen und traditionelles Wissen, in: U. Brand/M. Kalcsics, M. (Hrsg.): Wem gehçrt die Natur? Konflikte um ge- netische Ressourcen in Lateinamerika, Frankfurt a.M., S. 112–133. Milborn, Corinna (2002): Biopiraterie und Bioimperialismus. Patente auf Leben und die indigenen Gruppen Mittelamerikas, in: U. Brand/M. Kalcsics, M. (Hrsg.): Wem gehçrt die Natur? Konflikte um genetische Ressourcen in Lateinamerika, Frankfurt a.M., S. 134–147. Pernicka, Susanne (2001): Wem gehçren die Gene? Patente auf Leben f r ein neues Wachstumsregime, Hamburg. Posey, Darrel A. (1999): Culture and Nature: The Inextricable Link, in: Ders. (Hrsg.): Culture and Spiritual Values of Biodiversity, London. RAFI (1999): Biopiracy Project in Chiapas, Mexico. Denounces by Mayan In- digenous Groups, News Release, verçffentlicht am 1. Dezember 1999, www.etcgroup.org RAFI (2000): Parar la biopirater a en M xico: Organizaciones ind genas de Chia- pas reclaman moratorio inmediata, www.etcgroup.org Ribeiro, Silvia (2002a): Biopirater a: la privatizaci n de los mbitos de comunidad, in: U. Brand/M. Kalcsics, M. (Hrsg.): Wem gehçrt die Natur? Konflikte um genetische Ressourcen in Lateinamerika, Frankfurt a.M., S. 37–51. Ribeiro, Silvia (2002b): Biopiraterie und geistiges Eigentum – Zur Privatisierung von gemeinschaftlichen Bereichen, in: C. Gçrg/U. Brand, U. (Hrsg.): Mythen globalen Umweltmanagements: »Rio + 10« und die Sackgasse nachhaltiger Entwicklung, M nster, S. 118–136. Seiler, Achim (2000): Biotechnologie und Dritte Welt. Problemfelder, Regelungs- ans tze, Handlungsmçglichkeiten, Dissertation. Stallman, Richard (o.J.): Biopiracy or Bioprivateering?, http://www.stallman.org/ articles/biopiracy.html UN-Dokument (1993): UN-Studie ber den Schutz kulturellen und intellektuellen Eigentums indigener Vçlker, E/CN. 4/Sub. 2/1993/28, verçffentlicht am 28. Juli 1993. Wilson, E.O. (Hrsg.) (1992): Ende der biologischen Vielfalt? Der Verlust an Arten, Genen und Lebensr umen und die Chancen f r eine Umkehr, Heidelberg u. a. Wolters, J rgen (1995): Die Arche wird gepl ndert. Vom drohenden Ende der biologischen Vielfalt und den zweifelhaften Rettungsversuchen, in: Ders., ARA (Hrsg.): Leben und leben lassen. Biodiversit t – konomie, Natur- und Kulturschutz im Widerstreit (= kozid Jahrbuch 10), Gießen, S. 11–39. 262 Johann Čas und Walter Peissl Datenhandel – ein Gesch ft wie jedes andere? 1. Einleitung Informationen gelten als wichtige Ressource unserer Zeit. Die Verwertung bestehenden und die Generierung neuen Wissens sind treibende Faktoren der Wissensgesellschaft. Sie ermçglichen Innovation und wirtschaftliche Dynamik – soweit die eine Seite. Auf der anderen Seite stellt sich auch hier die Frage nach der Verf gungsmacht. Wer besitzt, wer verteilt und wer profitiert in welcher Art und Weise vom Besitz wichtiger Ressourcen? Diesen Fragen wollen wir in diesem Beitrag anhand des Beispiels personen- bezogener Daten, wie sie im allt glichen Leben jedes B rgers und jeder B rgerin anfallen, nachgehen. Was sind nun personenbezogene Daten, wo entstehen sie und wie wer- den sie verwertet? Personenbezogene Daten sind nach der EU-Daten- schutz-Richtlinie »alle Informationen ber eine bestimmte oder bestimm- bare nat rliche Person«.1 Somit z hlen fast alle elektronischen (und auch die nicht-elektronischen) Datenspuren, die wir im t glichen Leben hinterlassen und die in direkter oder indirekter Weise einer Person zuordenbar sind, zu diesen gesch tzten personenbezogenen Daten. Wo und wie hinterlassen wir so viele Spuren? Es gibt kaum noch einen Lebensbereich, in dem wir dies nicht tun. Es beginnt beim Mobiltelefon, das – sobald wir es eingeschaltet haben und mit uns mitf hren – dem Telekommunikationsdiensteanbieter sagt, wo wir uns befinden, das bei jedem Anruf festh lt, mit wem wir wie lange telefoniert haben und, so wir SMS verschicken, auch was wir geschrie- ben haben. Das geht weiter mit der Bankkarte, die den Banken und Kredit- instituten offenbart, wann wir wo wie viel Geld abgehoben haben und stei- gert sich bei den Kredit- und Kundenkarten noch, bei denen oft auch festgehalten wird, was wir gekauft haben. Im Internet wissen dieWebseiten- Anbieter, wer wir sind – zumindest welchen Computer wir verwenden, welches Betriebssystem und welchen Browser wir nutzen sowie aus wel- chem Land wir kommen. Sie wissen aber auch, was wir wie lange betrachten und von welcher Webseite wir kommen. Entgegen einer weit verbreiteten Ansicht ist surfen im Internet nicht anonym. Jeder Computer wird mit einer 263 Johann Čas und Walter Peissl so genannten IP-Nummer registriert und der Dienste-Anbieter weiß nat r- lich, wer hinter der IP-Nummer steht – genauer: wer die Rechnung f r den Internet-Anschluss bezahlt. Vieles von dem oben geschilderten ist technisch bedingt und durch die Digitalisierung notwendig geworden. Viele dieser Daten dienen auch und vor allem technischen Zwecken – zur Sicherstellung der Qualit t der Diens- te. Aber als immer wichtiger werdendes Element und als Zusatznutzen ge- sellen sich Auswertungsmçglichkeiten und der Handel mit Daten hinzu. Die Unternehmen sehen in Informationen ber ihre Kundinnen und Kunden eine wichtige Ressource. Die Auswertung der Daten soll den Unternehmen helfen, die Konsumentinnen und Konsumenten und deren W nsche bzw. Vorlieben besser kennen zu lernen. Dadurch kçnnen sowohl das Angebot als auch Marketingmaßnahmen auf die jeweilige Zielgruppe hin optimiert werden. Es sind jedoch nicht nur die Firmen, mit denen wir direkt Kontakt haben, an unseren Daten interessiert. Die Verarbeitung und »Anreicherung« von Daten selbst wiederum ist ein eigener Gesch ftszweig. So kçnnen ein- schl gige Firmen aus den Adressen, der H ufung bestimmter Vornamen in einer Region gemeinsam mit Daten ber die Art der Bebauung und der Bausubstanz schließen, welchen çkonomischenWert, welche Altersstruktur und welche Kaufkraft eine Region hat. Beispielsweise kennt die »Firma Schober aus Ditzingen bei Stuttgart (…) sogar 23 Haushalte in Hamburg, die monatlich mehr als 3800 Euro netto zur Verf gung haben und in denen mindestens ein Mitglied unter Gewichtsproblemen oder Bluthochdruck lei- det und Marlboro oder Gauloises raucht. Die Adressen kosten 43 Cent pro St ck.«2 Der Handel mit persçnlichen Daten ist jedoch keine Entwicklung der letzten Jahre oder Jahrzehnte, sondern ein Gewerbe mit sehr viel l ngerer Tradition.3 Dennoch w re es angesichts der gewaltigen Ver nderungen in den letzten Jahren unangemessen, von einer Fortf hrung traditioneller Ge- sch fte von Adressh ndlern oder Auskunfteien zur Kreditw rdigkeit zu sprechen. F r diese Ver nderungen zeichnen in erster Linie die Fortschritte in der Informationstechnologie verantwortlich. Daten, die fr her nur m h- sam oder nur mit unvertretbar hohem Aufwand gewonnen werden konn- ten, generieren sich durch den Einsatz digitaler Technologien vielfach gleichsam von selbst. Entsprechend groß sind auch die Anreize, diese Daten tats chlich zu erfassen und zu verwerten. Im folgenden Kapitel werden die neuen Mçglichkeiten der Datensamm- lung thematisiert und die grundlegenden Mechanismen des Sammelns und der Verkn pfung von Daten skizziert. Das dritte Kapitel besch ftigt sich mit derDatennutzung. Dabei werden Gesch ftsmodelle, die hinter dem Gesch ft 264 Datenhandel – ein Gesch ft wie jedes andere? mit den Daten stehen, dargestellt und Nutzen und Kosten sowohl f r Kun- den als auch f r Unternehmen analysiert. Im abschließenden Kapitel werden in einem Ausblick die wichtigsten Aussagen zusammengefasst, Konsequen- zen identifiziert und Schlussfolgerungen gezogen. 2. Datensammlung Bei den Mçglichkeiten der Datensammlung konzentrieren wir uns in die- sem Beitrag vor allem auf die Datengenerierung bei der Nutzung neuer Informations- und Kommunikationstechnologien. Dies bedeutet jedoch nicht, dass herkçmmliche Formen der Datensammlung irrelevant oder un- problematisch w ren. Umfangreiche Fragebçgen, die den Eindruck amtli- cher Befragungen erwecken und so die Pflichtergebenheit und Unwissen- heit von B rgern und B rgerinnen ausnutzen, sind eine zugleich weit verbreitete und ußerst bedenkliche Praxis von einschl gigen Unterneh- men. Die Firma Schober wirbt etwa auf ihrer Webseite damit, dass die »Consumer MarketBase 50 Mio. Privatadressen aus Deutschland und 10 Milliarden Zusatzinformationen – f r jeden Anlass die richtige Ziel- gruppe« – enth lt.4 Mit der Nutzung neuer Technologien f r die Datengewinnung und de- ren Analyse werden aber neue Fragen aufgeworfen und es entstehen vçllig neuartige Probleme, die mit den bisherigen Instrumenten nicht gelçst wer- den kçnnen. Eines dieser Probleme ist in der mangelnden Transparenz be- gr ndet; f r einen Laien ist es fast nicht nachvollziehbar, welche Aktivit ten welche Datenspuren hinterlassen und in welcher Art und Weise diese aus- gewertet und verwendet werden kçnnen. Ein zweiter Aspekt ist die zuneh- mende Schwierigkeit, sich einer Preisgabe persçnlicher Daten zu entziehen. Die Durchdringung des Alltags mit Informationstechnologien macht auch einen Verzicht auf deren Nutzung immer unrealistischer. Als dritter wesent- licher Aspekt kommt eine neue Qualit t der Daten hinzu. Die Datenbest n- de werden dynamischer. W hrend fr her oft nur Name, Adresse und Ge- burtsdatum zur Verf gung standen, kçnnen heute Verhaltens- und Mobilit tsprofile »in Echtzeit« generiert werden. Nicht nur kçnnen die Mo- bilfunkbetreiber Handys orten, die Banken und Kreditkarteninstitutionen wissen aufgrund von Bargeldabhebungen und Eink ufen auch, wann sich jemand wo aufh lt und oft noch zus tzlich, welche Waren oder Dienstleis- tungen gekauft werden. Diese Daten ergeben in langen Zeitreihen sehr aus- sagekr ftige Bilder vom Leben einzelner Personen und Gruppen. 265 Johann Čas und Walter Peissl Datenarten und -quellen Es gibt grunds tzlich zwei Arten, zu Daten mit Personenbezug zu gelangen. Erstens kann man die betroffenen Personen veranlassen, Ausk nfte ber sich selbst zu erteilen; zweitens kann man versuchen, deren Handeln und Ver- halten zu analysieren und daraus ein Bild zu gewinnen. Beispiele f r die erste Methode sind das Versenden von Fragebçgen oder die Veranstaltung von Gewinnspielen, sei es in der Online- oder Offline-Welt. Nat rlich werden bei dieser Art der Datensammlung h ufig unlautere Methoden an- gewandt, indem etwa Fragebçgen ein amtlicher Anschein verliehen wird oder Gewinne bloß vorget uscht werden. In der Realit t der Datengewin- nung haben immer und werden auch in Zukunft beide Komponenten eine wichtige Rolle spielen, wobei vielfach Mischformen zur Anwendung kom- men, die beide Aspekte einschließen. Ein prominentes Beispiel f r eine Mischform sind Kundenkarten, f r die mit speziellen Rabatten, g nstigeren Zahlungskonditionen oder Zusatzleistungen geworben wird. Die Ausgabe dieser Karten und die Anmeldung zu so genannten Kundenbindungspro- grammen wird zumeist an die Bekanntgabe von Stammdaten5 gekn pft, die nachfolgende Verwendung dieser Karten l sst eine langfristige Beobachtung und Auswertung des Kundenverhaltens zu. Das heißt, wann immer ein Konsument oder eine Konsumentin bei einem Einkauf die Kundenkarte z ckt, wird nicht nur der get tigte Umsatz (Rechnungsbetrag) gespeichert, sondern auch die Waren, die gekauft wurden. Damit kçnnen ber einen langen Zeitraum Einkaufsverhalten und Vorlieben analysiert werden. Wenn bei den Kundenkarten noch irgendwo im »Kleingedruckten« eine Einverst ndniserkl rung des Konsumenten oder der Konsumentin vorgese- hen sein mag, so ist dies bei der Sammlung von Daten, die durch die Nutzung von Informations- und Kommunikationstechnologien generiert werden, oft nicht mehr gegeben. Diese Daten sind praktisch ein Nebenprodukt der Nut- zung digitaler Kommunikationsmedien. Aus den Telekommunikationsver- bindungsdaten lassen sich etwa vielf ltige Schl sse ber die Einbindung in private oder berufliche soziale Netze ziehen. Man kann also abbilden und auswerten, wer wann wie lange mit wem kommuniziert hat. Bei der Nut- zung von Mobiltelefonen fallen zus tzlich Informationen zum jeweiligen Aufenthaltsort an. Je nachdem, ob man sich in einem dicht besiedelten Bereich oder in einer l ndlichen Region aufh lt, schwankt die derzeitige Genauigkeit der Ortsbestimmung von einigen 100 m bis zu einigen Kilo- metern. Aus technischer Sicht sind dieser Genauigkeit keine Grenzen gesetzt und es wird wohl von der Verbreitung von so genannten Location Based Services beziehungsweise von staatlichen Vorgaben abh ngen, wie schnell 266 Datenhandel – ein Gesch ft wie jedes andere? diese Grenzen nach unten korrigiert werden. Daten fallen an, sobald man ein eingeschaltetes Mobiltelefon mit sich f hrt. Da mobile Ger te zumeist einer Person direkt zugeordnet werden kçnnen – und nicht wie Festnetzanschl sse gemeinsam im Haushalt genutzt werden – l sst sich auch ein Personenbezug leichter herstellen. Die Bewegungsprofile, die sich aus den bei der Mobil- kommunikation anfallenden Daten gewinnen lassen, verraten aufschlussrei- che Details ber Tagesabl ufe und Gewohnheiten des Besitzers des Handys. Wenn man bedenkt, dass vor Abschluss eines Vertrages mit einer Mobilfunk- firma immer auch die Bonit t der Kunden gepr ft wird, wird deutlich, wie viel die Mobilfunkanbieter ber ihre Kunden und Kundinnen wissen. Aus kommerzieller Sicht noch aufschlussreicher kçnnen Daten sein, die bei der Nutzung des Internets anfallen. Schon allein aus den besuchten Webseiten lassen sich Schl sse auf persçnliche Interessen und Hobbys, aber auch auf politische Einstellungen oder sexuelle Vorlieben ziehen. Aus Anfragen bei Suchmaschinen oder bei e-Commerce-Seiten kçnnen vielf ltige, kommerziell verwertbare Informationen gewonnen werden, etwa ber angepeilte Reiseziele oder ber das Faktum, dass berhaupt ein Urlaub geplant wird. Je mehr Wissen ber Konsumenten und Kon- sumentinnen vorhanden ist, desto systematischer kçnnen sie beworben und auch in ihrem Konsumverhalten beeinflusst werden. So aufschlussreich die beim Surfen entstehenden Daten prinzipiell auch sein mçgen, die rich- tigen Informationen aus ihnen zu ziehen ist keinesfalls eine triviale Aufgabe. Potentielle Datensammler stehen dabei dem Problem gegen ber, dass sich die preisgegebenen Informationen auf dutzende oder hunderte Internetan- bieter verteilen kçnnen. Oft werden sich aussagekr ftige Persçnlichkeitspro- file erst erstellen lassen, wenn die auf verschiedene Anbieter und l ngere Zeitr ume verteilten Daten miteinander verkn pft werden kçnnen. Ein zweite Schwierigkeit besteht darin, die hinter den Daten stehende Person zu identifizieren. Erst dann lassen sich die Informationen f r – ber unmit- telbare Bannerwerbung hinausgehende – Marketingaktionen verwenden oder die Daten gewinnbringend an andere Unternehmen verkaufen. Im n chsten Abschnitt werden die grundlegenden Methoden skizziert, mit de- nen versucht wird, aus einzelnen anonymen Zugriffen zuordenbare und aus- sagekr ftige Daten zu gewinnen. Datensammlung im Internet Einen wichtigen Ausgangspunkt f r das Sammeln von Daten im Internet bilden die so genannten Cookies. Dies sind kleine Textfiles, die beim erst- 267 Johann Čas und Walter Peissl maligen Aufrufen von Webseiten auf dem eigenen Rechner gespeichert werden. Diese werden nur an diejenigen Server zur ck gesendet, welche die Cookies erstellt haben; diese Server bestimmen auch die G ltig- keitsdauer der Cookies. Die Cookies selbst verraten noch nichts ber den Benutzer, der Server kann aber auf diese Art Besucher wiedererken- nen. Cookies, die nur f r eine Session g ltig sind, dienen etwa dazu, dass die in einen Warenkorb gelegten Bestellungen nicht vergessen werden, w hrend man nach zus tzlichen Angeboten stçbert. Sie kçnnen auch verhindern, dass Formulare komplett neu ausgef llt werden m ssen, wenn man wegen eines Tippfehlers oder einer fehlenden Information wie- der zur ckbl ttern muss. L nger g ltige Cookies kçnnen Anmeldeproze- duren und Informationseingaben bei erneuten Besuchen vonWebseiten er- brigen und als Grundlage f r personalisierte Angebote dienen. Cookies kçnnen daher durchaus im Interesse der Nutzerinnen und Nutzer liegen. Dies gilt selbst noch dann, wenn sie mit persçnlichen Daten wie Name, Adresse etc. verkn pft werden, um etwa wiederholte Bestellungen zu ver- einfachen. Je nach Sichtweise problematisch oder profitabel werden Coo- kies erst dann, wenn sie dazu genutzt werden, die Informationen ber viele Internetseiten hinweg miteinander zu verkn pfen. F r die Sammler bedeu- tet dies, dass sie umfangreiche und aussagekr ftige Profile generieren und verkaufen kçnnen, f r die Betroffenen etwa, dass sie durch die Verkn pfung von Cookies auch f r Internetanbieter, denen sie nie ihre Daten wie Adresse oder Telefonnummer bekannt geben w rden, persçnlich identifizierbar werden. Die wichtigste Methode, mçglichst umfangreiche Sammlungen ber das Surfverhalten der Nutzerinnen und Nutzer zu bekommen, sind so ge- nannte »Third Party Cookies«. Diese sind sehr h ufig mit gezielten Wer- beangeboten verbunden. Betreiber von Internetseiten vermieten dabei Fl chen zur Einblendung von Bannerwerbung. Das wohl bekannteste Un- ternehmen in dieser Branche ist die Firma DoubleClick, die mit einemwelt- weiten Marktanteil von etwa 60 % bei Bannerwerbung einen großen Teil des internationalen Online-Werbemarktes beherrscht. Angesichts des hohen Marktanteils von DoubleClick ist die Wahrscheinlichkeit, auf eine dies- bez gliche Site zu stoßen, sehr groß. DoubleClick soll etwa 120 Millionen Profile erstellt haben. Zus tzlich kaufte DoubleClick f r ca. 1,7 Mrd. US $ die Direktmarketing Agentur Abacus mit Daten ber 88 Millionen Haus- halte; dadurch konnten innerhalb k rzester Zeit einige hunderttausend bis dahin »anonyme« Surfer identifiziert werden.6 Das lçste in den USA einen Sturm der Entr stung aus und rief die Aufsichtsbehçrde FTC auf den Plan Das Verfahren f hrte unter anderem dazu, dass eine Webseite eingerichtet 268 Datenhandel – ein Gesch ft wie jedes andere? wurde, auf der Nutzerinnen und Nutzer die Zusammenf hrung der Daten untersagen konnten. Daneben gibt es noch eine ganze Reihe von nationalen oder regionalen Werberingen. Bei jedem Aufrufen von Internetseiten, die solche Werbe- vertr ge abgeschlossen haben, wird automatisch auch der Werbering kon- taktiert. Das Surfverhalten l sst sich nun ber alle Webseitenbetreiber, die mit den jeweiligen Werberingen einen Vertrag abgeschlossen haben, ber- wachen und auswerten. Sobald auf einer dieser Seiten persçnliche Daten wie Name, Adresse, Telefonnummer oder e-Mail bekannt gegeben werden, kçnnen die Informationen aus allen verbundenen Seiten miteinander ver- kn pft und zu Persçnlichkeitsprofilen verdichtet werden. Um die Aus- sagekraft der gesammelten Daten zu erhçhen und die Personalisierung nicht dem Zufall zu berlassen, sind auch Verfahren der so genannten Cookie- Synchronisation bekannt. Dabei kçnnen etwa die Informationen von e-Commerce-Seiten, bei denen wegen des Bezahlvorganges zwangsl ufig Daten zur persçnlichen Identifizierung anfallen, mit den von Werberingen gesammelten Daten abgeglichen werden. Da ein solcher Datenaustausch zumindest den guten Sitten und in den meisten Staaten auch geltenden Da- tenschutzregelungen widerspricht,7 sind nur wenige Informationen dar ber erh ltlich, inwieweit diese Mçglichkeit in der Praxis Anwendung findet. Da Werbung, so personalisiert und zielgerichtet sie auch sein mag, nicht immer willkommen ist, sondern auch als Bel stigung empfunden wird, sind Tools entwickelt worden, welche die Werbebanner und damit auch die Kontaktaufnahme zu den Werberingen unterbinden kçnnen. Ein h ufig eingesetztes Verfahren, um dennoch Third Party Cookies setzen zu kçnnen, sind so genannte Webbugs.8 Dabei handelt es sich um winzige, unsichtbare Grafiken, die dem Zweck dienen, Cookies zum webseiten bergreifenden Beobachten des Surfverhaltens zu speichern. Da solche unsichtbare Grafiken oft auch zum Positionieren von einzelnen Elementen auf Webseiten dienen, lassen sie sich nur schwer verhindern. Ein weiterer Schritt zur Verschleie- rung von Datensammlungsaktivit ten wird durch Spyware gesetzt. Das Sammeln der Daten wird dabei durch eine am Rechner installierte Software durchgef hrt. Eine derartige Spyware stellt etwa das Tracking Cookie der Internet-Firma Redsheriff dar, das alle Internetaktivit ten des betroffenen Users aufzeichnet: Alle Webseiten, die man besucht, alle Files, die man downloadet und alle Daten, die man selbst zur Verf gung stellt.9 Damit kann Redsheriff ein noch detaillierteres Angebot an seine Kunden machen, dringt aber auch wesentlich tiefer in die Privatsph re der Nutzerinnen und Nutzer ein. Ihre Lebens ußerungen im virtuellen Raum werden zu einem Gut, das ein anderer verkauft. Fr her wurden Konsumentinnen und Kon- 269 Johann Čas und Walter Peissl sumenten in fixe Gruppen des Kaufverhaltens nach wenigen oder gar nur einer sozio-çkonomischen Variable (Einkommen) eingeteilt. Durch die weiterentwickelten Technologien zur Beobachtung und berwachung werden nun immer mehr Bereiche des Lebens in die Datengewinnung und damit auch in den çkonomischen Verwertungsprozess einbezogen. Die in diesem Abschnitt skizzierten Mçglichkeiten der Datensammlung sind an die Nutzung des Internets gebunden. Mit der geplanten Einf hrung von Funketiketten, den so genannten RFID-Tags (Radio Frequency Iden- tification10), kçnnten sich diese Mçglichkeiten in Zukunft auf viele weitere Bereiche ausdehnen. Die eindeutigen Kennzeichnungen von Produkten durch RFID-Tags kçnnen mit Cookies verglichen werden. Der Unter- schied ist, dass diese jetzt nicht mehr am Rechner der Benutzerinnen ge- speichert werden, sondern von diesen mit der Kleidung oder mit persçn- lichen Gegenst nden mit sich gef hrt werden. Durch RFIDs erh lt jeder damit gekennzeichnete Gegenstand eine weltweit einzigartige Nummer, welche ber Funk jederzeit und unbemerkt ausgelesen werden kann. Jeder Besuch eines Kaufhauses oder das Schlendern entlang von Auslagen oder Vitrinen kçnnte Daten f r noch genauere Persçnlichkeitsprofile generieren. 3. Datennutzung Im vorangegangenen Kapitel wurde dargestellt wie Datensammlungen ent- stehen – nun soll gekl rt werden, wozu sie gebraucht werden und warum sie als wertvolle Ressource hoch gesch tzt werden. Ihr tats chlicher Wert l sst sich jedoch nicht eindeutig angeben. Der Wert desselben Datensatzes kann f r zwei Unternehmen vçllig unterschiedlich groß sein. Einem jungen Un- ternehmen, das seinen Kundenstock erst aufbauen muss, wird eine Adresse, angereichert um einige Daten, wie etwa Einkommen, Lebensalter, Schul- bildung etc. wesentlich mehr wert sein, als einem Unternehmen, bei dem dieselbe Person bereits Stammkunde ist. Wozu Daten gebraucht werden Grunds tzlich lassen sich wirtschaftliche Vorteile sowohl ber die Kosten- seite (Einsparungen) wie auch ber die Einnahmenseite (Umsatzsteigerung) erzielen. F r beide Strategien spielen mçglichst genaue Daten als Entschei- dungsgrundlage eine wichtige Rolle. 270 Datenhandel – ein Gesch ft wie jedes andere? In vielen Bereichen des Handels stellen Lagerhaltung und aufwendige Logistik vom Wareneinkauf bis zum Versand an die Konsumentinnen und Konsumenten einen wesentlichen Kostenfaktor dar. Dementsprechend birgt eine Optimierung in diesem Bereich ein betr chtliches Einsparungs- potenzial. Dazu bençtigen Unternehmen detailliertes Wissen ber ihre Kunden und deren Einkaufsverhalten. Daten ber die regionale Verteilung der Nachfrage und andere sozio-çkonomische Grunddaten kçnnen aus den bisherigen Gesch ftsbeziehungen gewonnen werden bzw. von Adressh nd- lern oder Adressvermittlern, so genannten List Brokern, zugekauft werden. Kenntnisse ber das Einkaufsverhalten sind eine Grundvoraussetzung f r Planungen in diesem Bereich. Ein noch hçheres wirtschaftliches Potenzial bergen aber aktive Strate- gien, die darauf abzielen, das Einkaufsverhalten zu beeinflussen. Wenn ein Web-Shop zum Beispiel bei der Auswahl eines bestimmten Produktes den Konsumentinnen und Konsumenten hnliche Produkte als Zusatzser- vice anbietet, so werden dadurch zweierlei Ziele verfolgt: Erstens soll ber dieses gesteuerte Angebot ein Kaufimpuls ausgelçst und die Konsumentin- nen und Konsumenten animiert werden, noch eine zweites Buch oder eine weitere CD zu bestellen. Zweitens – und wohl nicht weniger wichtig – steht dahinter die berlegung, Produkte, die auf Lager liegen, mçglichst rasch wieder umzuschlagen und so die Lagerkosten zu minimieren. Wenn eine derartige Strategie greift, gewinnt ein Unternehmen durch die Kenntnis des Einkaufsverhaltens auch wichtige Informationen f r die Steuerung des ei- genen Einkaufs und der Lagerhaltung. Durch dieses neue »Service-Angebot« kommt es also zu einer Manipulation des Kaufverhaltens der Konsumen- tinnen und Konsumenten, die sowohl Kostensenkung als auch Umsatzstei- gerung zum Ziel hat. Ein sehr bekanntes Beispiel f r diese Praxis sind Hin- weise wie »Kunden, die dieses Buch gekauft haben, haben auch diese B cher gekauft: (…)« beim Online-H ndler Amazon. Diese Strategien, die sich der Steuerung des Einkaufsverhaltens mit dem Ziel der Umsatzsteigerung verschrieben haben, sind nicht nur f r die Un- ternehmen wahrscheinlich bedeutender, sondern auch f r die Konsumen- tinnen und Konsumenten offensichtlicher und leichter durchschaubar. Die Unternehmen stehen vor dem Problem, dass sich das weltweite Angebot an Waren und Dienstleistungen merklich angleicht, Produkte werden aus- tauschbar und durch die Globalisierung der Informationskan le (Internet) wird auch die Preisdiskriminierung zunehmend erschwert. In einer derarti- gen Situation versuchen viele Unternehmen durch »One-to-one« Marke- ting eine (Wieder-)Herstellung von Vertrautheit, wie sie einst beim »Greiß- ler ums Eck«11 zu finden war. Diese ist allerdings eine »Scheinvertrautheit«, 271 Johann Čas und Walter Peissl denn was der Greißler fr her alles ber seine Kunden wusste, hatte er meist aus persçnlichen Gespr chen, aus eigener Wahrnehmung und oft auch dem Tratsch der Umgebung sowie Mitteilungen von Nachbarn entnommen. Er war aber immer involviert, lebte im selben Ort und konnte die Informa- tionen in ihrem Kontext beurteilen. Neue automatisierte Datengewinnung ist entpersonalisiert, kennt die Menschen nicht und kann dementsprechend nur eine »Quasi-Vertrautheit« erzeugen. Die zentrale Bem hung im globa- lisierten Wettbewerb ist es, durch »persçnliche« N he hervorzustechen und so einen Wettbewerbsvorteil zu erhalten. Das Zauberwort der letzten 20 Jahre dazu ist CRM. Customer Relationship Management (CRM) ist der englische Begriff f r die Verwaltung von Kundenbeziehungen. Kun- denansprache und Kundenbindung nehmen einen immer hçheren Stellen- wert ein. Daher werden s mtliche Daten von Kunden und alle Transaktio- nen mit diesen Kunden in Datenbanken gespeichert. Diese Daten werden integriert und aufbereitet, so dass im Unternehmen an jeder Stelle diese Daten in der passenden Zusammenstellung zur Verf gung stehen.12 Die wichtigsten Aufgaben innerhalb des CRM sind Akquisition (Kundengewin- nung), die Kundenbindung (Bestandskundenpflege) und die Kundenr ck- gewinnung. Gem ß der so genannten 80/20 Regel bringen 20 % der Kun- den 80 % Gewinn. Diese »guten« Stammkunden sind zu halten, denn sowohl die Gewinnung von Neukunden als auch die R ckgewinnung von abtr nnigen Altkunden kosten wesentlich mehr.13 Im CRM und im »One-to-One«-Marketing soll den Kunden das Gef hl einer persçnlichen Betreuung vermittelt werden mit dem Ziel, die Kundenbeziehung zu ver- stetigen und zur Umsatzsteigerung beizutragen. Ein weiterer Aspekt der Datennutzung ist die direkte Verwertung von Daten. In diesem Fall dienen sie weniger der Optimierung der Kundenbin- dung oder der Angebotsgestaltung. Die Daten selbst sind der Rohstoff, der Umsatz erzeugt. Alle Konsumenten kennen den vor Werbezusendungen berquellenden Postkasten. In der realen Welt kann man sich durch Ein- tragung in »Robinson-Listen« oder durch Aufkleber am Postkasten dagegen wehren. In der virtuellen Welt des Internets hingegen hat dieses Ph nomen unglaubliche Ausmaße angenommen und der Schutz davor f llt zunehmend schwerer. Der Zusatzaufwand f r Spam-Filter oder Virenschutzprogramme trifft vor allem Konsumentinnen und Konsumenten, aber auch Unterneh- men leiden, wenn ihre Kommunikation beeintr chtigt wird. Sch tzungen gehen davon aus, dass mittlerweile 60 bis 90 % aller weltweit versandten e-Mails so genannter Spam14 sind.15 Den Spammern stehen Adresslisten zur Verf gung, die blicherweise in Blçcken von einer bis etwa f nf Mil- lionen Adressen angeboten werden. Dabei schwankt der Preis erheblich. Pro 272 Datenhandel – ein Gesch ft wie jedes andere? Million Adressen werden 1 bis 25 US $ verlangt. Die Erlçse auf der Ein- kommensseite liegen zwischen 1 und 50 US $ pro Tausend Klicks bzw. zwischen 12 bis 16 US $ pro echtem Kontakt oder erfolgter Anmeldung. Um einen Monatsumsatz von 2000 US $ zu erzielen, muss ein Spammer im g nstigsten Fall 40000 erfolgreiche »Landings« (das heißt, die Empf nger der Mails m ssen dem angebotenen Link anklicken) zustande bringen. Das bedeutet bei einem Versand von 10 Millionen Mails eine Antwort-Rate von 0,04 Prozent. Dem Umsatz von 2000 US $ stehen Kosten von etwa 675 US $ gegen ber.16 F r viele Nutzer und Nutzerinnen des WWW ist diese Art von Bel s- tigung einfach nur rgerlich, bedenkt man aber die kumulierte – verlorene – Arbeitszeit, die notwendig ist, um unerw nschte Mails auszusortieren und vom Server zu lçschen, ergibt sich durchaus auch ein gesamtwirtschaftlich relevantes Problem. Bei zuk nftig weltweit etwa 400 Millionen Internet- teilnehmern erg be das Herunterladen der Werbe-E-Mails unter Zugrun- delegung des derzeitigen technologischen Entwicklungsstandes allein auf Seiten der User Gesamtausgaben in Hçhe von etwa 10 Milliarden Euro.17 Wenngleich sich in dieser Sch tzung der »derzeitige technologische Ent- wicklungsstand« noch auf langsame, nicht pauschal abgerechnete Modem- zug nge zum Internet bezieht, so zeigt sich doch, dass alleine die Kosten f r den Datentransfer relevante Grçßen erreichen. Der der obigen Kalkulation zugrunde liegende Wert von 25 E pro Jahr und Nutzer d rfte aber auch noch heute einen eher an der Untergrenze liegenden Betrag bei der Nut- zung von E-Mail-Diensten ber mobile Endger te darstellen. Handel mit Daten DieMechanismen, die Daten wertvoll machen, sind recht klar, was aber sind Daten tats chlich wert? Um diese Frage n her betrachten zu kçnnen, muss zuerst gekl rt werden, was man unter dem Wert von Daten versteht. Daten kçnnen manchmal beliebig oft benutzt werden, ohne an Wert zu verlieren, in anderen F llen kann ihr Wert eben darin bestehen, dass man exklusiven Zugang zu bestimmten Information besitzt. Oft sehr hohen Kosten f r die Gewinnung von Daten stehen sehr geringe Kosten f r deren Vervielf lti- gung oder Verbreitung gegen ber. Die individuelle Wertsch tzung von persçnlichen Daten ist ebenfalls unterschiedlich. Es ist daher nicht mçglich, allgemein g ltige Angaben zum çkonomi- schen Wert von Daten zu machen. Man kann aber sehr wohl aus einzelnen Beispielen Schl sse ziehen, in welcher Bandbreite sich die Preise f r per- 273 Johann Čas und Walter Peissl sçnliche Daten bewegen. Abgesehen von Kundenbindungsprogrammen, in denen man als Gegenleistung f r die Weitergabe von personenbezogenen Daten R ckverg tungen in Form von Bargeld, Gutscheinen oder Bonus- meilen bekommt, gibt es derzeit nur wenige Mçglichkeiten f r Konsumen- tinnen und Konsumenten, ihre eigenen Daten zu verkaufen – also einen Preis erzielen zu kçnnen, den sie dann f r sich »bewerten«. Bei der konkreten Wertzuschreibung von Kundendaten ist man zumeist auf Sch tzungen angewiesen. Diese unterliegen einer großen Spannbreite: manche Autoren gehen von einem Wert von etwa 30 E f r Kundenadres- sen aus,18 andere wiederum sehen viel hçhere Zahlen. So wurden die durch systematisches Tracking gesammelten Datens tze von 260000 Kundinnen und Kunden des in Konkurs gegangenen Internet-Spielzeugladens Toys- mart als das grçßte noch aktivierbare Kapital des Unternehmens angesehen. »Jeder Kundeneintrag wurde mit einem Wert von 500 US-Dollar ge- sch tzt.«19 Mit jeder Zusatzinformation steigt der Wert kundenspezifischer Daten. Wo offen mit Daten gehandelt wird, l sst sich auch ein Preis eru- ieren. Was Daten in den USA wert sind, l sst sich leicht mit dem Data Cal- culator ausfindig machen. Hier kann man unterschiedliche Datenkategorien angeben und bekommt den im Jahr 2003 jeweils g ngigenMarktpreis in den USA daf r genannt. So ist zum Beispiel die typische Abfrage einer Mobil- kommunikationsfirma, die die Adresse, das Geburtsdatum, die Telefonnum- mer, die Sozialversicherungsnummer und die F hrerscheinnummer enth lt, nach diesen Berechnungen 13,75 US $ wert. Besonders wertvoll sind gem ß diesen Angaben Daten aus dem persçnlichen milit rischen Akt (35 US $) und Daten ber erlittene Konkurse (26,50 US $).20 Allein aus der Tatsache, dass f r die einen personenbezogene Daten einen monet r bewertbaren Produktionsfaktor darstellen, w hrend sie f r andere Marktteilnehmer einen immateriellenWert – ein Recht symbolisieren, zeigt, dass es schwierig ist, den Wert von Daten am Markt zu bestimmen. Es l sst sich kaum ein Preis festlegen, wenn einer der Marktpartner gar nicht in çko- nomischen Grçßen denkt, sondern diesem Denken ein immaterielles Recht entgegenh lt. Dennoch gibt es immer wieder Autoren, die aus dem Versagen des gesetzlichen Schutzes den Schluss ziehen, dass der uneingeschr nkten Datensammelwut nur çkonomisch beizukommen sei. Dazu gibt es mehrere Vorschl gen. John Deighton von der Harvard Business School etwa schl gt vor, Konsumentinnen und Konsumenten mçgen ihre personenbezogenen Daten – ihre Identit t – als Wert ansehen und gegen Geld oder nicht-mo- net re Vorteile verkaufen. Nach seiner Einsch tzung w rden sich Kon- sumentinnen und Konsumenten vor allem an Unternehmen wenden, von denen sie einen fairen Preis f r ihre Daten bek men und die zus tzlich mit 274 Datenhandel – ein Gesch ft wie jedes andere? diesen Daten sorgsam umgingen und so auch die Verwendung der Daten durch mçgliche K ufer kontrollierten.21 Einen anderen Zugang w hlt Thilo Weichert, der Unabh ngige Landesbeauftragte f r den Datenschutz in Schleswig Holstein. Er pl diert zwar auch f r eine Kommerzialisierung des Datenschutzes, ist aber gleichzeitig davon berzeugt, dass dies nur mit gleichzeitig starker rechtlicher Absicherung funktionieren w rde. Insbeson- dere m sste mehr Transparenz geschaffen werden – etwa durch Angabe der beabsichtigten Datenverarbeitungen hnlich wie dies bei Inhaltsstoffen von Lebensmitteln gang und g be ist. Zudem m ssten Sicherheiten eingebaut werden, damit die Kommerzialisierung von Kundendaten nicht mit einem unwiederbringlichen Verlust von Persçnlichkeitsrechten einhergeht.22 4. Schlussfolgerungen Es gibt kaum mehr Lebensbereiche, in denen wir nicht Datenspuren hin- terlassen. Die Digitalisierung, die Vernetzung und die fortschreitende Mi- niaturisierung haben dazu gef hrt, dass das Sammeln von personenbezoge- nen Daten sehr vereinfacht wurde. Bestanden fr her Datens tze oft schlicht aus statischen Stammdaten wie etwa Name, Adresse und Geburtsdatum, hat sich in j ngster Zeit eine zunehmende Dynamisierung der Datenbest nde ergeben. Mobilfunkbetreiber kçnnen Handybesitzer orten, Banken und Kreditinstitute kennen das Mobilit tsverhalten ihrer Kunden und das alles »in Echtzeit«. GenauesWissen um die Bed rfnisse und Vorlieben ihrer Kun- den kann zu verbessertem Angebot und besseren Dienstleistungen f hren. Zunehmend problematisch wird allerdings das Ungleichgewicht – die Asymmetrie – im Bewusstsein ber und in den Mçglichkeiten der Auswer- tung von Daten werden. W hrend die Mçglichkeiten, Daten zu sammeln und auszuwerten, stetig wachsen und immer neue Bereiche einschließen, wird es f r Konsumentinnen und Konsumenten immer schwieriger, sich ein Bild von den ber sie gesammelten Daten zu machen oder aber der stei- genden Datensammelwut wirksam entgegenzutreten. Die Folgen von Ver- letzungen der Privatsph re treten oft erst viel sp ter ein, als die Verletzung selbst. Ein Zusammenhang zwischen diesen Verletzungen und erlittenen Nachteilen ist f r die Betroffenen oft gar nicht erkenntlich, etwa eine abge- lehnte Bewerbung oder schlechtere Konditionen bei Bank- oder Versiche- rungsgesch ften. Die eingangs gestellte Frage, ob der Datenhandel ein Gesch ft wie jedes andere sei, muss daher abschl gig beantwortet werden. Vielmehr ist der Da- 275 Johann Čas und Walter Peissl tenhandel ein sehr sensibler Bereich, der oft tief in die Privatsph re von B r- gern und B rgerinnen eindringt. Es ist ein Bereich, der von einem großen çkonomischen Ungleichgewicht und fehlender Transparenz gepr gt ist. Die herrschende Gesetzeslage bietet grunds tzlich Schutz vor berbordendem und den Einzelnen beeintr chtigendem Datenhandel. Allerdings ist die Kon- trolle der bestehenden Regelungen sehr schwer und das Unrechtsbewusst- sein gering ausgepr gt. Wer vor diesem Hintergrund sicher gehen will, dass seine Daten nicht gegen ihn verwendet werden, kommt um den Selbstdaten- schutz23 und die sehr sparsame Weitergabe von Daten nicht herum. Die Grundvorrausetzungen f r »freiwillige« Maßnahmen von Unterneh- men sind einerseits bewusste Konsumentinnen und Konsumenten und an- dererseits ein Staat, der bereit ist, gesetzlichen Normen Nachdruck zu ver- leihen und bei einer Missachtung von Grundrechten entsprechende Schritte zu unternehmen. Der sensible Umgang mit Daten ist ein unternehmens- interner Prozess mit wenig Sichtbarkeit nach außen und entsprechend ein- geschr nkter Kontrollierbarkeit. Deshalb ist ein faires Verhalten von Unter- nehmen notwendig, um die Privatsph re der Konsumentinnen und Konsumenten zu sch tzen. Unternehmen, die sich dieser Probleme bewusst sind und sie zu vermeiden suchen, kçnnen ihre Position imWettlauf um die Gunst der Konsumentinnen und Konsumenten entscheidend verbessern. Durch die Globalisierung der M rkte werden sich die Preise einpendeln und der Wettbewerb wird verst rkt ber die Qualit t der Dienstleistung und die Reputation des jeweiligen Anbieters ausgetragen werden. Angesichts der immer grçßer werdenden Mçglichkeiten, Daten zu ge- nerieren und zu analysieren, welche von ebenso wachsenden wirtschaftli- chen Interessen begleitet werden, diese gewinnbringend zu nutzen, ist ein konzertiertes Vorgehen vonnçten, um nicht die Privatsph re – und damit ein Fundament demokratischer Gesellschaften – zu einemOpfer technischer Entwicklungen, wirtschaftlicher Interessen oder politischer Kurzsichtigkeit werden zu lassen. Ein st rkerer und durchsetzungsf higer rechtlicher Schutz, aufgekl rte Konsumentinnen und Konsumenten, sich selbst beschr nkende, der Privatsph re verpflichtete Unternehmen und technische Vorkehrungen werden, jeweils auf sich allein gestellt, nicht ausreichen. Gemeinsam sollten sie aber einen Ausgleich der Interessen ohne Verzicht auf Grundrechte er- mçglichen. Anmerkungen 1 European Parliament and Council (1995). 2 Hamann/Rohwetter (2004). 276 Datenhandel – ein Gesch ft wie jedes andere? 3 Vgl. Sokol/Tiaden (2002). 4 Vgl. Schober Information Group (2005), letzter Abruf v. 20. September 2005. 5 Das sind personenbezogene Daten, die sich nur selten oder gar nicht ndern. Bei- spiele daf r sind etwa Name, Adresse, Geburtsdatum, Telefonnummer etc. 6 Vgl. Reischl (2001). 7 In der EU-Richtlinie zum Datenschutz (Richtlinie 95/46/EG), die die Grundlage f r einzelstaatliche Gesetze bildet, werden in Artikel 6 unter anderem das Zweck- bestimmungsprinzip sowie die Einschr nkungen der Datenspeicherung und Weiter- gabe nach dem Prinzip der Datensparsamkeit normiert. Artikel 7 definiert, in wel- chen F llen es sich um eine legitime Datenverarbeitung handelt. Ein wesentlicher Punkt dabei ist unter anderem die Zustimmung der Datensubjekte zur Verarbeitung, ohne die eine legitime Datenverarbeitung nicht vorliegt; vgl. FN 1. 8 Vgl. Martin/Wu/Alsaid (2003). 9 Vgl. Arvidsson (2004). 10 Radio Frequency Identification (RFID) ist eine Methode, um Daten auf einem Transponder ber hrungslos und ohne Sichtkontakt lesen und speichern zu kçnnen. Dieser Transponder kann an Objekten angebracht werden, welche dann anhand der darauf gespeicherten Daten automatisch und schnell identifiziert werden kçnnen. RFID wird als Oberbegriff f r die komplette technische Infrastruktur verwendet. Ein RFID-System umfasst den Transponder (auch RFID-Etikett, -Chip, -Tag, -La- bel, Funketikett oder -chip genannt), die Sende-Empfangs-Einheit (auch Reader genannt) und die Integration mit Servern, Diensten und sonstigen Systemen; vgl. Wikipedia (2005b), letzter Abruf v. 15. November 2005. 11 sterreichischer Begriff f r den »Tante Emma Laden«. 12 Vgl. Wikipedia (2005a), letzter Abruf v. 5. Oktober 2005. 13 Die Kosten um einen Neukunden zu gewinnen, sind um das Sechs- bis Zehnfache hçher als eine zufriedene Klientel bei der Stange zu halten, vgl. Staufer (2000). 14 Der Begriff SPAM (»Spiced Ham«) ist einer Markenbezeichnung der amerikanischen Firma Hormel Foods f r Fr hst cksfleisch in Dosen entliehen. Zur Bezeichnung f r unerw nschte E-Mail wurde Spam auf dem Umweg ber einen Sketch der britischen Komiker-Truppe Monty Python. In diesem Sketch preist eine Gruppe Wikinger laut singend den SPAM und unterdr ckt damit jedwede sinnvolle Unterhaltung in einem kleinen Restaurant – genau der Effekt, den Spam-Nachrichten auf ein betroffenes Medium haben. 15 Vgl. Topf u. a. (2005). 16 Vgl. Leisi (2004), letzter Abruf v. 5. Oktober 2005. 17 Vgl. Gauthronet/Drouard (2001). 18 Vgl. Kraus (2004), letzter Abruf v. 5. Oktober 2005. 19 Weichert (2001). 20 Der Calculator findet sich unter: [http://www.turbulence.org/Works/swipe/calcu- lator.html], letzter Abruf v. 5. Oktober 2005. 21 HBS Working Knowledge (2003), letzter Abruf v. 5. Oktober 2005. 22 Vgl. Weichert (2001). 23 Das sind Maßnahmen die jede(r) Einzelne ergreifen kann, um vor Cookies, Spyware und anderen Techniken der verdeckten Datensammlung gesch tzt zu sein. 277 Johann Čas und Walter Peissl Literatur Arvidsson, A. (2004): On the »Pre-History of the Panoptic Sort«: Mobility in Mar- ket Research, in: Surveillance & Society 1(4), S. 240–253, http://www. surveillance-and-society.org European Commission (2005): Social values, Science and Technology. Special Eurobarometer 225, im Auftrag von: Directorate-General Internal Market: European Opinion Research Group, http://europa.eu.int/comm/public_ opinion/archives/ebs/ebs_225_report_en.pdf European Parliament and Council (1995): Directive 95/46/EC of the European Par- liament and of the Council of 24 October 1995 on the protection of individuals with regard to the processing of personal data and on the free movement of such data, http://europa.eu.int/smartapi/cgi/sga_doc?smartapi!celexapi!prod! CELEXnumdoc&lg=EN&numdoc=31995L0046&model=guichett Gauthronet, S./Drouard, E. (2001): Unsolicited Commercial Communications and Data Protection, im Auftrag von: Commission, E.: EC, http://europa.eu.int/ comm/justice_home/fsj/privacy/docs/studies/spamsum_de.pdf Hamann, G./Rohwetter, M. (2004): Wir werden t glich ausgesp ht, in: Die Zeit 48, http://www.zeit.de/2004/48/Gl_8asern_neu?page=1 HBS Working Knowledge (2003): Selling your Personal Data, CNET News.com, http://news.com.com/2030_1069_3_5068504.html Kraus, C. (2004): Adress- und Kundendatenbanken f rs Direktmarketing, https://www.businessvillage.de/Magazin/mag_detail/mag-206.html Leisi, M. (2004): Spam Biz, http://matthias.leisi.net/archives/80-Spam-Biz.html Martin, D./Wu, H./Alsaid, A. (2003): Hidden surveillance by Web sites: Web bugs in contemporary use, in: Communications of the ACM 46(12), S. 258–264, http://portal.acm.org/ft_gateway.cfm?id=953509&type=pdf&coll =ACM&dl=ACM&CFID=37766797&CFTOKEN=11434266 Reischl, G. (2001): Gef hrliche Netze, Wien. Schober Information Group (2005), http://www.schober.de/site/index.php?id=1 Sokol, B./Tiaden, R. (2002): Big Brother und die schçne neue Welt der Vermark- tung personenbezogener Informationen, in: J. Bizer/B. Lutterbeck/J. Rieß (Hrsg.): Freundesgabe f r A. B llesbach, S. 161–168, http://www.alfred- buellesbach.de/freunde.html Staufer, F. (2000): CRM ist ein Thema des Top-Managements, in: a3 Volt, S. 31–33. Topf, J./Etrich, M./Heidrich, J./Romeo, L./Thorbr gge, M./Un- gerer, B. (2005): Antispam-Strategien: Unerw nschte E-Mails erkennen und abwehren, im Auftrag von: BSI, Bonn: Bundesamt f r Sicherheit in der In- formationstechnik, http://www.bsi.de/literat/studien/antispam/antispam.pdf Weichert, T. (2001): Datenschutz als Verbraucherschutz, in: DuD 25(5), S. 264– 270. Wikipedia (2005): Artikel »CRM«, http://de.wikipedia.org/wiki/Crm Wikipedia (2005): Artikel »RFID«, http://de.wikipedia.org/wiki/RFID 278 Robert A. Gehring FOSS, die Firma und der Markt 1. Software und Informationsgesellschaft Das Fundament zur Informationsgesellschaft wird wesentlich durch Soft- wareentwicklung gelegt. Software ist es, die unsere Datenstrçme lenkt, die jenen Prozess am Leben erh lt, in dem »der menschliche Verstand eine unmittelbare Produktivkraft und nicht nur ein entscheidendes Element im Produktionssystem«1 darstellt. Die instantane Kommunikation in globalisierten M rkten, wie wir sie von den Bçrsentickern im Fernsehen oder den Auktionen bei Ebay kennen, ist ohne Software nicht denkbar. Aber auch die Kommunikation mit un- seren Freunden und Verwandten in aller Welt erfolgt mit Unterst tzung von Software: Telefongespr che werden im Telefonnetz durch Software vermittelt; die Briefe werden bei der Post von Maschinen sortiert, die von Software gesteuert werden; das Internet, das unsere E-Mails transpor- tiert, l uft mit Software. Kurz gesagt, Software ist unverzichtbarer Teil des sozialen Geb udes, das wir Informationsgesellschaft nennen. Damit kommt der Informationstechnologie im Allgemeinen und der Software im Besonderen eine vergleichbare Rolle zu wie den Sklaven in der antiken Sklavenhalter- gesellschaft, Land in der Agrargesellschaft, Rohstoffen und Energie in der modernen Industriegesellschaft: Software ist strategische Ressource und die Kontrolle ber ihren Besitz und ihre Verteilung entscheidet ber Macht und Reichtum. Software gewinnt dergestalt eine politische Dimension und die Aus- einandersetzungen um große Softwarehersteller – IBM in den 1960er und 1970er Jahren, Microsoft seit den 1990er Jahren – finden quasi auto- matisch im politischen Raum statt. Es geht darin um mehr als Marktanteile und Wettbewerbsregeln, macht Software die Informationsgesellschaft doch nicht nur mçglich, sondern auch verletzlich. Dort, wo Daten Kapital repr - sentieren, entstehen neue Abh ngigkeiten, wenn diese Daten in Datenfor- maten gespeichert und verarbeitet werden, die einer Fremdkontrolle unter- liegen. Solche Abh ngigkeiten kçnnen nicht nur teuer werden, wo es um den Einkauf von Lizenzen f r entsprechende Software geht. Sie werden aus der Sicht der Datenbesitzer zu einer Existenzfrage, wenn die Verf gbarkeit 279 Robert A. Gehring der Daten und Programme der eigenen Einflusssph re weitgehend entzogen ist. Die unternehmerische Freiheit findet dann ihre Grenzen in der Produkt- politik eines Softwareherstellers und nicht mehr nur in der Verfassung.2 Pro- priet re Software3 mit propriet ren Datenformaten liefert ihre Anwender, so gesehen, einer prek ren Situation aus, und das Unbehagen dar ber ist nur zu verst ndlich. Das Streben nach Sicherheit leitet die Suche nach Alternativen. Die çkonomischen Besonderheiten von Netzwerkg tern,4 die bei Soft- ware voll zum Tragen kommen, haben in einem unregulierten Markt zu einer hohen Konzentration gef hrt. Marktanteile von ber 90 Prozent in bestimmten Segmenten sind nicht ungewçhnlich, Marktanteile von mehr als zwei Dritteln blich. M rkte mit derart hoher Konzentration, man kann in einigen F llen von der Ausbildung nat rlicher Monopole sprechen, lassen die vollst ndige Konkurrenz des çkonomischen Standardmodells vermissen. Sie neigen dazu, unerw nschte Wettbewerbsergebnisse herbeizuf hren.5 In der Folge werden Ressourcen falsch gelenkt, durch den Anbieter verursach- te Kosten nicht durch diesen getragen und Teile der Nachfrage nicht be- dient. In den letzten zwei Jahrzehnten hat sich neben propriet rer Software eine andere Art von Software einen Platz im Softwareuniversum erobert: Freie und Open-Source-Software, kurz FOSS.6 Diese unterscheidet sich von pro- priet rer Software in vielerlei Hinsicht, nicht zuletzt in den Institutionen, auf denen sie aufbaut, und den çkonomischen Machtverh ltnissen, die sie herbeif hrt. Der Aufstieg von FOSS ist eng verkn pft mit dem Aufstieg des Internets. FOSS steuert das Internet zu erheblichen Teilen,7 FOSS wird in lokalen und globalen Gemeinschaften im Internet verteilt entwickelt und ber das Internet verbreitet, ohne dass daf r exklusive Eigentumsrechte nç- tig w ren. Knappheit am Informationsgut ist, abweichend von den blichen Theorien zum geistigen Eigentum,8 keine Voraussetzung im FOSS-Modell. Stattdessen herrscht ein berfluss an Code. DiesemUmstand hat es FOSS zu verdanken, dass dem Ph nomen in den letzten Jahren viel Aufmerksamkeit zuteil geworden ist, sowohl von Seiten der wissenschaftlichen Forschung als auch durch die popul re Presse. F r wohl die meisten akademischen konomen stellt das FOSS-Para- doxon eine echte Herausforderung dar: Wieso funktioniert das FOSS-Mo- dell? Wie kann man mit etwas Geld verdienen, das niemandes exklusives Eigentum ist? Oder etwas allgemeiner gefragt: Wie lassen sich Ressourcen effizient und nachhaltig bereitstellen und bewirtschaften, wenn diese nicht ihrem Wesen nach knapp sind? M ssen çffentliche G ter9 nicht zwangsl u- fig der »Tragçdie der Allmende«10zum Opfer fallen, wie es Garret Hardin vorhergesagt hat? W rde es nicht zu einem Mangel an Software kommen, 280 FOSS, die Firma und der Markt wenn diese nicht exklusiv vermarktet werden kçnnte, wie es die çkonomi- sche Standardtheorie vorhersagt? Der vorliegende Aufsatz geht diesen Fragen nach und sucht Antworten auf die Frage nach dem Verh ltnis von FOSS, Unternehmen und dem Markt. Dabei wird ausgehend von den çkonomischen Randbedingungen diskutiert, auf welchem Fundament FOSS seit ber zwei Jahrzehnten w chst und gedeiht. Statt einer »Tragçdie der Allmende« (Hardin) erleben wir eine »Komçdie der Allmende«.11 2. Was ist FOSS? Die Andersheit von FOSS gegen ber propriet rer Software ruht auf drei Pfeilern: (1) einer rechtlichen Konstruktion, dem so genannten »Copyleft«, (2) dem Vertrieb von FOSS im Quellcode und (3) dem Community-basierten Entwicklungsmodell, das sich vom firmen- zentrierten Entwicklungsmodell f r propriet re Software unterscheidet. FOSS im Recht Historischer Ausgangspunkt f r die gesetzliche Behandlung von Software war ihre Eigenschaft, die darin verkçrperten Ideen als Text darzustellen.12 Abstrakt l sst sich formulieren: Software ist an eine Maschine gerichtete Informa- tion, die textuell repr sentiert ist. Die Tatsache, dass es sich um Ideen verkçr- pernde Texte handelt, ist von entscheidender juristischer Bedeutung, denn Texte unterliegen dem Schutz des Urheberrechts:«Zu den gesch tzten Werken der Literatur, Wissenschaft und Kunst gehçren insbesondere: 1. Sprachwerke, wie Schriftwerke, Reden und Computerprogramme.«13 Den gemeinsamen Rahmen f r alle Softwaremodelle bildet also das Urhe- berrecht,14 das dem Urheber grunds tzlich die Verf gungsgewalt ber die geschaffene Software zuspricht. Der Urheber eines Computerprogramms darf somit allein dar ber entscheiden, ob und wie das Programm verçffent- licht, verwertet, vervielf ltigt, bearbeitet und verbreitet werden darf. In der Aus bung dieser Rechte zeigt sich dann, welches Modell der Urheber un- terst tzt, FOSS oder propriet re Software. Die bertragung von urheberrechtlichen Befugnissen erfolgt bei Soft- ware entweder auf individueller Vertragsbasis oder durch Standardlizenzen. 281 Robert A. Gehring Individuelle Vertr ge kommen blicherweise bei Individualsoftware, Stan- dardlizenzen bei Software f r den Massenmarkt zum Einsatz. Propriet re Software und FOSS unterscheiden sich lizenzrechtlich in der Hauptsache dahingehend, dass bei FOSS weitergehende Rechte einger umt werden. Das Konzept dahinter nennt sich »Copyleft«, in Anlehnung an das anglo- amerikanische Gegenst ck zum Urheberrecht, das »Copyright«. Eine demCopyleft-Gedanken folgende Lizenz f r eine Software gestattet jeder und jedem, die Software zu vervielf ltigen, Kopien lizenzkostenfrei weiter zu verbreiten, die Software f r beliebige eigene Zwecke zu nutzen und zu bearbeiten. Software unter einer FOSS-Lizenz entbindet die An- wender von aufwendigen Verhandlungen ber die Nutzungsrechte an der erworbenen Software. Sinn und Zweck des Copyleft ist es, auf der Basis gemeinsamer Interessen von Entwicklern und Anwendern die Kooperation zwischen ihnen zu fçrdern sowie die Integration fremder und eigener Leis- tungen mçglichst unaufwendig zu gestalten. Demgegen ber reservieren Lizenzen f r propriet re Software praktisch alle weitergehenden Rechte – ber das der einfachen Nutzung hinaus – f r den Eigent mer der Software. Die Integration fremder und eigener Leis- tungen soll so erschwert werden, um dem Eigent mer ein Alleinstellungs- merkmal im Softwaremarkt zu garantieren, aus dem dieser Kapital schlagen kann.15 An dieser Stelle ist auf einen wichtigen Unterschied zwischen Freier und Open-Source-Software hinzuweisen: Bei Freier Software wird das Copyleft »vererbt«, das heißt, jede Version, die in Umlauf gebracht wird, muss ihrer- seits mit denselben Befugnissen ausgestattet werden, auch wenn sie bearbei- tet wurde. Paradigmatisch ist die GNU General Public License (GPL). Die GPL wird als »viral« bezeichnet, weil jeder aus GPL-Code abgeleitete Code ebenfalls unter der GPL zu lizenzieren ist. GPL-Software »vererbt« in diesem Sinne die an sie gekoppelten Rechte und Pflichten. Bei Open-Source-Soft- ware kommen liberalere Lizenzen zum Einsatz, die zum Teil die Privati- sierung bearbeiteter Versionen nicht ausschließen. Quellcode versus Bin rcode Software entsteht als Text. In speziellen Programmiersprachen von Men- schen verfasst, werden die Programmtexte – die Quellcodes – von anderen Programmen in die Maschinensprache des jeweiligen Mikroprozessors bersetzt. Erst in dieser Form, praktisch nicht mehr f r den Menschen ver- st ndlich, werden die Informationen aus den Programmtexten f r die Com- 282 FOSS, die Firma und der Markt puter interpretierbar. Hierin gleichen sich propriet re und Freie bzw. Open- Source-Software. Die Besonderheit von solchen Programm-Texten liegt da- rin, dass sie in Verbindung mit entsprechender Hardware Wirkungen16 aus- lçsen, ohne dass zur Steuerung der Abl ufe ein weiteres menschliches Eingreifen notwendig w re. Computerprogramme hneln mit diesem Ver- halten zwar eher Maschinen als B chern,17 entstehen aber eher wie B cher als wie Maschinen. Das Recht des geistigen Eigentums kennt eine Dichotomie zwischen ungesch tzten, abstrakten Ideen und ihren schutzf higen Ausdrucksformen (Urheberrecht) bzw. angewandten Wirkmechanismen (Patentrecht18). Da- mit soll einerseits den Interessen der ffentlichkeit an mçglichst weiter Ver- breitung der Ideen und andererseits den Interessen der Urheber bzw. Er- finder an der exklusiven Vermarktung der auf den Ideen basierendenWerke bzw. Erfindungen Rechung getragen werden. Der beschriebene Ablauf bei der Softwareentwicklung, wo die im Quelltext konkret ausgedr ckten Ideen maschinell in einen nur noch maschinenlesbaren Text bersetzt wer- den, f hrt diesen Grundgedanken der freien Verbreitung von ungesch tzten Ideen ad absurdum. Praktisch niemand ist in der Lage, aus dem Bin rcode eines Programms die ihm zu Grunde liegenden Ideen zu extrahieren.19 Der Zugang zu den ungesch tzten Ideen erfordert daher den Zugang zum Quelltext. FOSS entspricht diesem Bed rfnis nach Zugang und kommt entweder unmittelbar als Quelltext zum Anwender, der den Prozess der bersetzung dann selbst initiieren muss, um ein ablauff higes Programm zu erhalten. Oder der Quelltext wird, falls FOSS zur Entlastung der Anwender im Bi- n rcode verbreitet wird, zus tzlich auf Abruf zur Verf gung gestellt. Damit bilden Quelltext und FOSS-Lizenz zwei Seiten einer Medaille, deren Besitz Freiheiten schenkt, die im propriet ren Softwaremodell unbekannt sind. Die Nutzung dieser Freiheiten hat zur Herausbildung einer aktiven Ge- meinschaft von Softwareentwicklern, -vermarktern und -anwendern ge- f hrt, die schlicht als Community bezeichnet wird. Die FOSS-Community und der FOSS-Prozess Industrielle Produktion von G tern findet in einem arbeitsteiligen Prozess statt, dessen wesentliche Tr ger in der Marktwirtschaft Unternehmen – Fir- men – sind, die ber den Markt miteinander und mit den Konsumenten der G ter im Austausch stehen. Propriet re Software bildet da keine Ausnahme. Eine Firma ist ein Zusammenschluss von Menschen, die miteinander ber- 283 Robert A. Gehring wiegend in vertraglich fixierten, auf l ngere Dauer angelegten, hierar- chischen Beziehungen verbunden sind. Der Zweck des Zusammenschlusses ist die Produktion und Vermarktung von Waren im weitesten Sinne mit dem Ziel der Erwirtschaftung von Profiten. Um die Profite zu maximieren, versucht die Firma, unnçtige Ausgaben zu vermeiden. Die Grenzen der Firma werden maßgeblich dadurch bestimmt, dass die zur Wertschçpfung notwendigen Schritte im Rahmen der Firma kosteng nstiger ausgef hrt werden kçnnen als ber den Markt.20 Die Entwicklung von FOSS findet, wie erw hnt, in einer Community statt,21 zu der Mitglieder aus den unterschiedlichsten Umfeldern (Mitarbeiter aus Firmen, Forschungseinrichtungen, Universit ten sowie Privatleute) ge- hçren.22 Die Arbeitsteilung erfolgt dabei imWesentlichen nicht ber Markt- transaktionen und Firmenhierarchien, auch wenn Firmen oder Mitarbeiter aus Firmen in der Community aktiv sind und die meisten Projekte in der Community partiell hierarchische Strukturen aufweisen. Nur ausnahmswei- se sind die Beziehungen zwischen den Mitarbeitern an einem Projekt ver- traglich fixiert, beispielsweise innerhalb von in der Community engagierten Firmen. So kann es vorkommen, dass Unternehmen Mitarbeiter extra f r die FOSS-Entwicklung einstellen. Vorherrschend sind in der FOSS-Community Ad-hoc-Beziehungen aus der Beteiligung von Anwender-Entwicklern, wobei die individuelle Posi- tion von der Bedeutung der eigenen Beitr ge f r das jeweilige Projekt ab- h ngt (Meritokratie). Die Bewertung erfolgt dabei durch die anderen Pro- jektteilnehmer. Dieser Bewertungsprozess wird h ufig mit dem aus der Wissenschaft bekannten Peer-Review-Verfahren verglichen, bei dem die Beurteilung der individuellen Leistungen von Wissenschaftlern durch deren Kollegen erfolgt Der offene Peer-Review-Prozess der FOSS-Community findet im Internet statt23 und ist f r Beteiligte und Unbeteiligte weitgehend transparent. Die Projektf hrung liegt in den H nden charismatischer Per- sçnlichkeiten mit hoher Reputation innerhalb der Community. Deren Au- torit t beruht auf der Duldung durch die Projektmitglieder, besonders durch die Mitglieder eines engeren Zirkels (»peers«). Solange der oder die Projekt- f hrer konform mit den Auffassungen einer Mehrheit von Mitgliedern im Hinblick auf das Projekt sind, behalten sie ihre Rolle. Verstoßen sie jedoch dagegen, laufen sie Gefahr, ihre Position zu verlieren. Ein FOSS-Prozess (Projekt) kann auf unterschiedliche Weise begr ndet werden. Um die Endpunkte des Spektrums zu skizzieren: Es kann sein, dass ein individueller Entwickler zur Lçsung eines individuellen Problems Soft- ware schreibt, deren Quellcode unter einer FOSS-Lizenz im Internet ver- çffentlicht und zur Mitarbeit einl dt.24 Oder es kann sein, dass ein Unter- 284 FOSS, die Firma und der Markt nehmen ein komplettes Produkt unter einer FOSS-Lizenz auf seinen Web- servern zur Verf gung stellt, so dass potentielle Anwender und Entwickler weltweit Zugang zum Quellcode erhalten. Diese nutzen, inspizieren und testen den Code. Ein Teil von ihnen erweitert und verbessert die Software. Die Verbesserungen fließen dann zur ck in das Projekt.25 Mit der Initiierung ist der Erfolg eines FOSS-Projekts noch nicht garantiert, aber eine unab- dingbare Voraussetzung geschaffen. ber den Erfolg entscheiden letztlich, wie im Markt, die Abnehmer, d.h. die Anwender. Bedient die Software weit verbreitete Bed rfnisse, steigt die Wahrscheinlichkeit, dass sich um die Software eine Anwender-Entwickler-Community bildet und deren Entwicklung aktiv vorantreibt. Die Entstehung einer Community ist jedoch eher unwahrscheinlich, wenn es sich um eine Spezialsoftware mit sehr engem Anwendungsbereich handelt. Anwender spielen im FOSS-Modell eine besondere Rolle. Dort, wo es im propriet ren Modell Konsumenten gibt, deren Einfluss auf die Produkt- gestaltung von Massenmarktsoftware eher marginal ist, steht im FOSS-Mo- dell der Anwender-Entwickler, dem die FOSS-Lizenz das Recht und der Quellcode die praktische Mçglichkeit geben, eigene Vorstellungen in ein Produkt hineinzuprogrammieren. ber das Internet stehen verschiedene Wege zur Kommunikation mit dem Projekt, d.h. anderen Anwender-Ent- wicklern offen. Der Anwender-Entwickler ist der Schl ssel des FOSS-Pro- zesses. Statt bloß als Abnehmer aufzutreten, wird er Akteur des Entwick- lungsprozesses. Strukturell handelt es sich bei der FOSS-Community als Ganzem um ein Netzwerk aus Netzwerken (kleineren Communities), wie sie f r die Infor- mationsgesellschaft als typisch angesehen werden.26 Diese Netzwerke ver- folgen je eigene Projektziele und produzieren Code, der auf Grund der be- schriebenen offenen Lizenzierung von anderen Netzwerken (ganz oder in Teilen) wiederverwendet werden kann. Der Code bildet, so gesehen, den kleinsten gemeinsamen Nenner der Kommunikation zwischen den Netz- werken. Große FOSS-Projekte, wie der Betriebssystemkern Linux oder der Webserver Apache, differenzieren im Laufe ihrer Evolution Subnetzwerke zur Lçsung von Detailproblemen aus. Das kçnnen Hardwaretreiber im Fall von Linux oder Module zur Anbindung von Datenbanken im Fall von Apa- che sein. Das Internet liefert die logistische Grundlage und hat mit seinen niedrigen Kommunikationskosten entscheidend zum Erfolg des FOSS-Mo- dells beigetragen. Die Kommunikation selbst findet zwischen den Mitglie- dern der Community unmittelbar statt.27 Das ist ein großer Unterschied zur vermittelten Kommunikation marktwirtschaftlicher Transaktionen, in de- nen der Preismechanismus als Vehikel dient.28 285 Robert A. Gehring Die Urspr nge der FOSS An dieser Stelle soll kurz auf die historischen Hintergr nde der FOSS-Be- wegung eingegangen werden. Will man FOSS nicht bloß als konsequente bertragung des von der Wissenschaft entwickelten Entdeckungsmodells auf die Software verstehen, l sst sich die erste Hacker-Community im Um- feld des Labors f r k nstliche Intelligenz am MIT ausmachen. Dort nutzten zu Beginn der 1960er Jahre Studenten, Mitarbeiter und ihre Kinder den liberalen Umgang der Laborleiter, um erste Erfahrungen mit der interakti- ven Programmierung von Computern zu sammeln. Zu diesem Zeitpunkt war interaktive Programmierung praktisch unbekannt, es herrschte der so genannte Batch-Betrieb mit Großrechnern vor. Der Zugang zu den Groß- rechnern war streng hierarchisch organisiert. Software wurde mit Papier und Bleistift entwickelt, dann in Lochkarten gestanzt und den Systemverwaltern bergeben, die den Computer damit f tterten. Der Programmierer selbst kam mit dem Computer kaum in Ber hrung, durfte sich nur irgendwann die Rechenergebnisse abholen. Gegen dieses Klima der Technikkontrolle rebellierten einige bastelfreudige Individualisten, berwiegend Studenten, und eroberten sich ungenutzte »Kleincomputer«, die sie f r ihre Zwecke in Beschlag nahmen. Sie programmierten Betriebssysteme, Assembler und erste Computerspiele, deren Code sie untereinander austauschten und freigiebig an Interessenten außerhalb des Labors weitergaben. In den 1970er Jahren war Richard Stallman einer der aktiven Hacker dieser Community. Er musste miterleben, wie Kontroll- und Eigentums- denken immer mehr auch im AI-Labor des MIT um sich griffen. Passwçrter wurden eingef hrt und Software wurde privatisiert (viele Hacker gingen in die Industrie, gr ndeten eigene Softwareunternehmen). Die historische Er- fahrung des Zusammenbruchs der Hacker-Bewegung lehrte Stallman, dass Softwareentwicklung unter puren Laissez-faire-Bedingungen allzu leicht ein Opfer der »Tragçdie der Allmende« werden kann: Alle mit Zugang zum Code kçnnen sich diesen aneignen und profitabel verwerten, und berwie- gend werden sie genau das tun, wenn sie nicht durch entsprechende insti- tutionelle Rahmenbedingungen daran gehindert werden. Den entnomme- nen Code werden sie dann als ihr Eigentum betrachten, weiterentwickeln und exklusiv vermarkten. Software sollte frei sein, war das Motto der Hacker und Stallman glaubte daran. Ende der 1970er Jahr war er praktisch »der letzte der wahren Hacker« (Steven Levy) und beschloss 1983, das MIT zu verlassen: »Aber er verließ das MIT mit einem Plan: eine Version des popul ren Betriebssystems UNIX zu schreiben und an alle zu verteilen, die daran Interesse h tten.«29 Er nannte 286 FOSS, die Firma und der Markt sein geplantes System GNU, ein Akronym f rGNU is not UNIX. Schritt f r Schritt entwickelte Stallman, unzweifelhaft einer der besten Softwareent- wickler der Welt, die zu einem UNIX-System30 gehçrenden Werkzeuge, und fand im Rahmen der von ihm mitbegr ndeten Free Software Foun- dation (FSF) Unterst tzung durch andere Hacker. Der Erfolg eines Softwaremodells, das den freien Umgang mit dem Quellcode gestattete, erforderte jedoch die Schaffung von spezifischen in- stitutionellen Rahmenbedingungen, die den Raubbau an der »Code-All- mende« verhinderten. Um zu garantieren, dass die von ihm und seinen Mit- streitern geschriebene Software auch wirklich frei blieb, entwickelte er die erste Lizenz f r freie Software, die GNU General Public License (GPL). Anfang der 1990er Jahre waren die Entwicklungsarbeiten weit fortgeschrit- ten, es fehlte praktisch nur noch der Betriebssystemkern. Dessen Platz sollte innerhalb kurzer Zeit Linux ausf llen, das seit 1991 unter Leitung des fin- nischen Studenten Linus Torvalds im Internet entwickelt und von diesem unter der GPL lizenziert wurde. Mitte der 1990er Jahre war die Kombina- tion aus GNU und Linux reif genug f r erste gesch ftskritische Anwendun- gen und der Apache Webserver machte sie in aller Welt bekannt. Der Erfolg Freier Software weckte das Interesse von Unternehmern und man begann, vorrangig in den USA, dar ber nachzudenken, wie man damit Geld verdienen kçnnte. Das philosophische Grundkonzept der GPL mit seinem radikalen Freiheitsbekenntnis wurde als zu strikt angesehen und von einer Gruppe von Leuten um Eric S. Raymond modifiziert. Statt von Freier Software wollte man zuk nftig von Open-Source-Software sprechen und eigene Lizenzen entwickeln, die weniger Freiheit auch zulassen w r- den. Praktisch alle großen Softwareanbieter bieten inzwischen (2005) Teile ihres Produktportfolios f r FOSS-Betriebssysteme oder als FOSS an und selbst Microsoft wagt erste Schritte auf die Community zu.31 FOSS ist f r die Wirtschaft attraktiv geworden. 3. FOSS, Firmen und der Markt FOSS-Prozesse und auch der »Markt« f r FOSS entstehen aus der Summe individueller Kosten-Nutzen-Erw gungen und strategischer berlegungen, die im Einzelnen gar nicht objektiv richtig sein m ssen, in ihrer Gesamtheit jedoch ein Wechselspiel von Nachfrage und Angebot hervorbringen, das sich gar nicht so sehr von anderen M rkten unterscheidet. FOSS-Prozesse treten an die Stelle des Marktes, wo diese Organisations- und Produktions- 287 Robert A. Gehring weise vergleichsweise Kostenvorteile zu bieten hat. Viele Firmen haben das begriffen und bem hen sich um eine eigenst ndige Open-Source-Strategie, um das Beste aus beidenWelten – Markt und Community – f r sich nutzbar zu machen. Die Nachfrageseite Auf der Nachfrageseite findet man potentiell jedes Unternehmen, dessen Wertschçpfungskette zumindest in Teilen auf dem Softwareeinsatz beruht. Auch Behçrden, Bildungseinrichtungen, Privatanwender usw. z hlen zu den Nachfragern. Aus Unternehmenssicht ist die Effizienz der Wertschçp- fungskette ausschlaggebend f r die Erreichung der Unternehmensziele. »Die Informationstechnik durchdringt die Wertschçpfungskette an jedem Punkt und ver ndert radikal Wertschçpfungsaktivit ten und zwischen ihnen be- stehende Verkettungen. Sie beeinflusst aber auch die Wettbewerbsbreite und die Art und Weise, wie ein Produkt die W nsche des Konsumenten befriedigt. Diese grundlegenden Effekte erkl ren, warum die Informations- technik strategische Bedeutung hat und sich darin von vielen anderen Tech- nologien f r kommerzielle Anwendungen unterscheidet.«32 Je software-intensiver dieWertschçpfungskette ist, desto st rker fallen die Kostenfaktoren Lizenzierung/Entwicklung und Wartung von Software ins Gewicht. Jedes Softwaremodell, das in der Summe niedrigere Kosten f r die Wertschçpfungskette verspricht, wird daher von Firmen auf lange Sicht be- vorzugt werden. Das FOSS-Modell leistet das, indem die Entwicklung und Wartung der Software zumindest teilweise außerhalb der Firma stattfindet, ohne dass daf r Lizenz- oder Servicekosten anfallen. So ist es nur allzu ver- st ndlich, dass viele Firmen Kosteneinsparungen als eines ihrer wichtigsten Motive f r den Einsatz von Open-Source-Software in ihrer Wertschçp- fungskette nennen. Weitere wichtige Motive sind u. a.: – Open-Source-Software unterst tzt die Innovation in kleinen Unterneh- men. – Die Beitr ge und Unterst tzung aus der Community sind hilfreich beim Finden und Beseitigen von Fehlern. – Open-Source-Software ist zuverl ssig und von hoher Qualit t.33 Effektiv handelt es sich f r viele Unternehmen um das Auslagern von Teilen der Wertschçpfungskette, wenn sie auf FOSS zur ckgreifen oder selbst FOSS bereitstellen: Ehemals private Kosten f r Entwicklung und Wartung (des Unternehmens) werden sozialisiert, wohingegen die Abschçpfung des Profits aus der gesamten Wertschçpfungskette berwiegend beim Unternehmen 288 FOSS, die Firma und der Markt verbleibt. Eine fundamentale Kapitalismusfeindlichkeit, wie gelegentlich unterstellt, wohnt dem FOSS-Modell keinesfalls inne.34 Die Anbieterseite Auf der Anbieterseite ist potentiell jedes Unternehmen zu finden, das ent- weder Software oder Produkte, die Software enthalten, vermarktet. Dazu kommen andere Organisationen mit eigener Softwareentwicklung und Pri- vatleute, die im Internet FOSS zur Verf gung stellen. Ein Teil der Nach- frage nach reiner Software wird bereits durch deren Angebote bedient, so dass spezialisierte Softwarehersteller partiell entbehrlich werden.35 Reine Software und kombinierte Angebote Aus der Perspektive von mehr oder weniger reinen Softwareanbietern stellt sich die Lage imHinblick auf FOSS am schwierigsten dar. Dort ist dieWert- schçpfungskette stark auf die Softwareentwicklung und den Softwarever- trieb im Lizenzgesch ft fokussiert, deren Voraussetzung die Knappheit an Code ist. Diese Bedingung ist bei FOSS nicht erf llt. Kosteng nstige oder lizenzkostenfreie Konkurrenz – nicht nur auch aus der FOSS-Community – gef hrdet praktisch die gesamte Wertschçpfungs- kette solcher Unternehmen. Sollte es ihnen nicht gelingen, durch technolo- gische oder rechtliche36 Alleinstellungsmerkmale diese Konkurrenz zu ver- hindern bzw. zu verdr ngen, werden sie massiv Ums tze, Marktanteile und Profite einb ßen. Alternativ kçnnten sie diversifizieren und Einnahmequel- len aus anderen Produkten schaffen. Auch die Integration von FOSS-An- geboten mit eigenen, propriet ren Erweiterungen stellt eine erfolgverspre- chende Strategie dar.37 Die durch Urheber- und Patentrecht gesicherten exklusiven Eigentumsrechte ermçglichen es einem Hersteller propriet rer Software, Profite zu erzielen, indem potentielle Konkurrenten daran gehin- dert werden, durch einfaches Kopieren ein konkurrenzf higes Produktes auf denMarkt zu bringen, ohne daf r selbst Entwicklungskosten tragen zu m s- sen. Andernfalls kçnnte der Plagiator leicht die Preise unterbieten und so das Gesch ft des urspr nglichen Anbieters untergraben. FOSS ermçglicht es aber gerade auch potentiellen Konkurrenten, Soft- ware zu kopieren, zu variieren und zu vermarkten. Das steigert auf der einen Seite das Angebot, schm lert aber auf der anderen Seite die poten- tiellen Profite des eigentlichen Entwicklers. Sinken die Profite dadurch soweit, dass die urspr nglichen Produktionskosten nicht amortisiert 289 Robert A. Gehring werden kçnnen, ist zu erwarten, dass die Softwareproduktion eingestellt wird. FOSS-Anbieter standen hingegen von Anfang an vor der Auf- gabe, ohne Lizenzeinnahmen wirtschaften zu m ssen. Die Lizenzen der Software, die sie vertrieben, folgten praktisch ausschließlich dem Copyleft- Gedanken, was Lizenzgeb hren (nicht aber Geb hren f r die Distribution) ausschließt. Ob f r die Entwicklung und Vermarktung von Massenmarktsoft- ware FOSS eine nachhaltige Grundlage bilden kann, bleibt nach aktuellem Kenntnisstand eine nicht eindeutig zu beantwortende Frage. Als Pr zedenz- f lle kann man vorrangig die Linux-Distributoren heranziehen, die seit mehreren Jahren im Gesch ft sind. Deren Profitmargen bleiben auf der ei- nen Seite (wie zu erwarten) deutlich hinter denen der großen Anbieter pro- priet rer Software zur ck. Auf der anderen Seite ist es ihnen gelungen, durch differenzierte Angebote und insbesondere durch komplement re Dienstleistungen im Markt zu bestehen. Praktisch alle Linux-Distributoren bieten ihre Produkte mit unterschiedlichem Ausstattungsgrad zu unter- schiedlichen Preisen an, und daran anschließend Dienstleistungen wie Auf- tragsentwicklung, Systeminstallation und -integration sowie Wartung. F r ihren Gesch ftserfolg ist der Mix der Angebote aus FOSS-Basiskomponenten und individuellen Komplement rleistungen entscheidend. Als reiner Soft- wareanbieter hat sich keiner von ihnen durchgesetzt. W hrend die Distributoren den Schwerpunkt ihrer Aktivit ten auf Pro- dukte legen, agieren große und kleine FOSS-Dienstleister im Markt, de- ren Leistung in der Anpassung von Standard-FOSS-Paketen an individuel- le Anforderungen bestehen. Sie unterscheiden sich nicht wesentlich von Systemintegratoren, die mit propriet rer Software arbeiten. Bezahlt wird die Lçsung, nicht die Software, wobei unter einer Lçsung in der Re- gel eine Kombination aus Hardware, Software und Dienstleistung zu ver- stehen ist. Auftragsentwicklung F r kleine Unternehmen mit einem Leistungsportfolio, das individuelle Auftraggeber anspricht, erleichtert FOSS den Marktzutritt und die Innova- tionsaktivit ten erheblich: – Eingesparte Lizenz- und Entwicklungskosten kçnnen in niedrigere Prei- se an den Auftraggeber weitergegeben werden, was den potentiellen Markt vergrçßert. – Es gelingt in k rzerer Zeit, Entwicklungskosten zu amortisieren, wenn man auf einem großen vorhandenen Bestand an Software aufbauen kann. 290 FOSS, die Firma und der Markt – Ein fehlendes Lizenzgesch ft stellt kein Problem dar, da in der Regel Einnahmen aus Werkvertr gen existieren, die reale Kosten abbilden. Die Notwendigkeit, hohe Entwicklungskosten auf zahlenm ßig viele Anwender verteilen zu m ssen, entf llt. Im Fall von Software stimuliert FOSS die Aktivit ten von kleinen und mittleren Unternehmen (KMU) und beseitigt Disparit ten zu großen Her- stellern, die ber einen eigenen Bestand an Quellcodes verf gen. Kon- sequenterweise kann man regional ein Wachstum von industriellen FOSS- Strukturen besonders im KMU-Segment beobachten.38 Eingebettete Systeme Eingebettete Systeme sind jene kleinen Computer, die unsere Wasch- maschinen, Digitalkameras, Fahrscheinautomaten und Autos steuern. Sie tragen unterst tzend zur Gesamtfunktion eines Produktes bei, wir erwerben sie nicht separat.39 Die Software f r eingebettete System ist h ufig einer der grçßten Kostenfaktoren bei der Herstellung komplexer Konsumg ter. Nimmt man als Beispiel die Autoindustrie, so summiert sich der Anteil der das Auto kontrollierenden Software auf bis zu 40 Prozent der Gesamt- kosten.40 Der Drang, durch Verringerung des Entwicklungsaufwandes Kos- ten zu sparen, ist da nur nat rlich. Eingebettete Systeme kommen in den unterschiedlichsten Zusammen- h ngen zum Einsatz, entsprechend heterogen sind die Anforderungen an die Software. Ohne Anpassungen l sst sich praktisch kein Code verwenden, sei er propriet rer Natur oder FOSS. Was vor allem z hlt, ist Flexibilit t. Das betrifft sowohl die Technik als auch die rechtlichen Rahmenbedingungen. FOSS hat in diesem Umfeld schnell Fuß gefasst, wof r ein Gemenge aus unterschiedlichen Motiven verantwortlich ist.41 Dazu z hlen die Verpflich- tung aus der GPL, modifizierten Code freizugeben, die Mçglichkeit, Kosten durch Auslagerung von Entwicklungs- und Wartungsaktivit ten zu sparen, und das soziale Motiv, als ein guter Mitspieler anerkannt zu werden, um Kooperationspartner in der Community zu finden (Reziprozit tsprinzip42). FOSS in eingebetteten Systemen bringt f r den Anbieter den Vorteil mit sich, dass die Softwarekosten im Preis f r das Gesamtprodukt ber cksichtigt werden kçnnen. Physische Produkte lassen sich im Unterschied zu Software nicht kostenfrei reproduzieren. Das B ndeln von Software mit physischen Produkten ermçglicht daher ein profitables Gesch ftsmodell, selbst wenn die Software als FOSS freigegeben wird. 291 Robert A. Gehring 4. FOSS: Perspektiven jenseits klassischer Eigentumsverh ltnisse FOSS ist eine Kombination aus Technik, Recht und sozialen Prozessen zur arbeitsteiligen Produktion von Software in der Informationsgesellschaft. Aus der Hackerbewegung der 1960er Jahre entstanden, hat sich mit FOSS ein Modell herausgebildet, das die Bed rfnisse der vernetzten Informations- gesellschaft an kosteng nstigem und flexiblem Zugang zu zuverl ssiger Soft- ware erf llt. F r Entwicklungs- und Schwellenl nder mit einer dynamisch wachsenden IT-Infrastruktur und hohen Lizenzkosten f r importierte Soft- ware aus den Industriel ndern bietet sich das FOSS-Modell sogar als indus- triepolitisches Fçrderinstrument an. Das Gesamtangebot an verf gbarer Software w chst mit FOSS. Der frei verf gbare Quellcode ermçglicht neuen Unternehmen einen kosteng ns- tigen Zutritt zum Markt, was Konzentrationstendenzen entgegenwirkt. Stattdessen wird der Markt anbieterseitig fragmentiert, lokal werden Struk- turen gest rkt. Der so versch rfte Wettbewerb zwingt Hersteller propriet - rer Softwareprodukte zur Anpassung des Angebots an die Nachfrage, sowohl bei Preisen als auch bei der Leistung. Profitabilit t h ngt bei FOSS von der geschickten Kombination unterschiedlicher Wertschçpfungsaktivit ten im Gesch ftsmodell ab. Dienstleistungen und integrierte Lçsungen statt reiner Softwareprodukte tragen den wesentlichen Anteil zum Gesch ft bei. FOSS und Marktwirtschaft sind offensichtlich keine Gegens tze, obwohl die Eigentumsrechte am Code keineswegs den klassischen kapitalistischen Verh ltnissen entsprechen. Wie am Beispiel von FOSS sichtbar wird, st r- ken schwache Eigentumsrechte an Informationsartefakten den Markt f r Integrations- und Dienstleistungen mit diesen Artefakten. Eine k nstliche Verknappung durch starke Rechte aus geistigem Eigentum ist im Fall von Software keine allgemein notwendige Bedingung f r die Schaffung von An- reizen zur Produktion. In der Informationsgesellschaft wird die Rolle der Community als einer Quelle des gesellschaftlichen Reichtums gest rkt. In der Community werden Informationsg ter in Teilen gemeinschaftlich verwaltet – als All- menden.43 Die Wissenschaft stellt das klassische Beispiel dar, FOSS das modernste. Solche Beobachtungen sprechen daf r, dass vergleichbare Ans tze auch in anderen informationsintensiven M rkten erfolgreich sein werden. 292 FOSS, die Firma und der Markt Anmerkungen 1 Vgl. Castells (2001), S. 34. 2 »Code is Law«, postuliert Lessig und meint damit, dass Software zu einer eigenen Regulationskraft neben dem Gesetz geworden ist. Vgl. Lessig (1999). 3 Von lat. proprietas – Eigentum, Besitz. Gemeint ist Software, auf die exklusive Ei- gentumsanspr che bestehen und gegebenenfalls durchgesetzt werden. 4 Der Begriff der Netzwerkg ter beschreibt Produkte, die sich durch Komplemen- tarit t, Kompatibilit t und Standardisierung auszeichnen. Der Erwerb und Einsatz solcher Produkte zieht auf Konsumentenseite Externalit ten (Kosten und Nutzeffek- te, die nicht vom Hersteller des Produkts unmittelbar verursacht werden), Kosten beim Technologiewechsel und daher h ufig die Bindung von Kunden an bestimmte Technologien und Anbieter (»lock-in«) nach sich. Dem stehen auf Anbieterseite Skaleneffekte bei Produktion und Vermarktung gegen ber. Das klassische Beispiel sind Telefone und das Telefonnetz, bei denen der Nutzen f r den Anwender mit der Anzahl der Anwender steigt. Gleichzeitig sinken f r den Anbieter (in gewissem Umfang) die durchschnittlichen Kosten mit jedem neuen Anwender. Noch st rker ausgepr gt sind diese Netzwerkeffekte bei Software. Vgl. Shy (2001); Shapiro/Varian (1999). 5 Vgl. Schmidt (1999), S. 32–41. 6 Aufgrund ihrer rechtlichen und technischen Gemeinsamkeiten werden Freie und Open-Source-Software im Rahmen dieses Beitrages als FOSS zusammengefasst. Eine umfangreichere Analyse w rde signifikante Unterschiede besonders in der da- hinter stehenden Ideologie erkennen lassen. 7 Das World Wide Web, f r viele Menschen ein Synonym f r Internet, basiert soft- waretechnisch auf Webservern und Webbrowsern. W hrend bei den Webbrowsern der Lçwenanteil an Microsoft mit dem Internet Explorer f llt, dominiert auf der Serverseite der FOSS-Server Apache mit nahezu 70 Prozent »Marktanteil«. Vgl. Net- Craft May 2005 Web Server Survey: [http://news.netcraft.com/archives/web_ server_survey.html]. 8 Vgl. etwa den Beitrag von Klaus Goldhammer in diesem Band sowie Pethig (1997). 9 konomen unterscheiden zwischen privaten G tern, die auf M rkten gehandelt werden, und çffentlichen G tern, die auf M rkten nicht (ohne weiteres) gehandelt werden (kçnnen). An privaten G tern bestehen exklusive Eigentumsrechte, an çf- fentlichen G tern kçnnen solche (aus verschiedenen Gr nden) nicht durchgesetzt werden. W hrend exklusive Eigentumsrechte bei privaten G tern deren Nutzung durch Nichteigent mer verhindern kçnnen, besteht bei çffentlichen G tern diese Ausschlussmçglichkeit nicht. Typisch ist f r çffentliche G ter auch die Nichtrivalit t des Konsums, d.h. das Gut kann von mehreren Individuen genutzt werden, ohne dass der individuelle Nutzen geschm lert wird oder dass f r neu hinzukommende Nutzer separate Kosten anfallen. Anders formuliert: ffentliche G ter sind nicht per se knapp, nachdem einmal die Kosten f r ihre Bereitstellung aufgebracht worden sind. Vgl. Salvatore (2003), S. 611–614; Baden (1998), S. 52. 10 Vgl. Hardin (1968). Hardin benutzte das einer Gemeinde gehçrige Weideland (All- mende, engl. commons) als Beispiel f r eine sog. Common-pool-Ressource. Wenn dieses Weideland von jedem Bauern kostenlos genutzt werden darf, wird das auf Dauer zur bernutzung f hren und das Weideland wird zerstçrt. Den Grund sieht Hardin darin, dass jedes Individuum ein Interesse an der Nutzung, aber kein Interesse 293 Robert A. Gehring an der Pflege der Allmende haben kann, solange ihm nicht im Gegenzug exklusive Eigentumsrechte als Belohnung winken. 11 Vgl. Rose (1986). 12 Die USA nahmen als erstes Land 1980 Software als Schutzgegenstand in ihr Copy- right-Gesetz auf. Vgl. Merges/Menell/Lemley (2000), S. 911. 13 Vgl. Gesetz ber Urheberrechte und verwandte Schutzrechte (Urheberrechtsgesetz), § 2, Abs. 1, Ziff. 1. 14 Weitere Rechtsvorschriften u. a. aus Vertrags-, Marken-, Wettbewerbs- und Patent- recht sind zum Teil gleichzeitig anwendbar. 15 Es ist der Grundgedanke des »geistigen Eigentums« (Urheberrecht und Patentrecht), dem Urheber bzw. Erfinder eine Exklusivposition zu garantieren, aus der heraus die Kosten f r Entwicklung und Produktion durch Handel der »Ideenprodukte« im Markt amortisiert werden kçnnen. Eine umfangreiche çkonomische Diskussion bie- ten Landes/Posner (2003). 16 An dieser Stelle verlaufen die Grenzen zu den Gebieten der Technik, die dem Patent- schutz zug nglich sind, und in den letzten Jahren hat sich eine heftige Debatte darum entz ndet, ob Software Patentschutz erhalten d rfe oder nicht. Vgl. Lutterbeck/Geh- ring/Horns (2000). 17 Vgl. Samuelson/Davis/Kapor/Reichman (1994). 18 Das Patentrecht sch tzt Erfindungen, wobei der Begriff nicht scharf definiert ist. 19 Das Urheberrecht versch rft dieses Problem noch. So heißt es zwar in § 69a UrhG »Ideen und Grunds tze, die einem Element eines Computerprogramms zugrunde liegen (…) sind nicht gesch tzt«, aber der Zugang zu diesen Ideen und Grunds tzen, der gegebenenfalls durch Dekompilierung des Bin rcodes erfolgen m sste, wird vom Gesetz bis auf Ausnahmen f r illegal erkl rt; vgl. Nordemann/Vinck (1998). 20 Diese Erkl rung liefert Ronald Coase in »The Nature of the Firm«, seinem ber hm- ten Aufsatz von 1937, vgl. Coase (1988). 21 Das Community-Modell ist neben M rkten und Staaten ein weiteres erfolgreiches Modell zur Koordination kooperativer Aktivit ten. Vgl. Bowles/Gintis (1998). 22 Vgl. Robles/Scheider/Tretkowski/Weber (2000). 23 In der Hauptsache ber Mailinglisten und Quellcode-Archive. 24 So begann die Linux-Entwicklung. Vgl. Torvalds/Diamond (2001). 25 Vgl. f r das Beispiel des Apache-Webservers Lakhani/von Hippel (2003). 26 Vgl. u. a. Castells (2001); Tuomi (2002). 27 Durch elektronische Kommunikation, aber auch auf Community-Treffen. Vgl. u. a. Brucherseifer (2004); Ettrich (2004). 28 Die (partielle) Umgehung dieses Ware-Preis-Mechanismus wird von einigen Auto- ren als grundlegender Mangel von FOSS gesehen. Vgl. Kooths/Langenfurt/Kalwey (2004). Kritisch dagegen: Pasche/von Engelhardt (2004). 29 Vgl. Levy (1984, S. 427. 30 Zur Geschichte von UNIX vgl. Salus (1995). 31 Vgl. Heise Newsticker (2005). 32 Vgl. Porter/Millar (o. J.), S. 148. 33 Vgl. Bonaccorsi/Rossi (2004) und Dies. (2003). 34 Vgl. auch Himanen (2001), S. 53–57; Heller/Nuss (2004). 35 Vgl. von Hippel (2005) 36 Die intensiven Bem hungen um Softwarepatente m ssen in diesem Kontext gesehen werden. 294 FOSS, die Firma und der Markt 37 Als Beispiele kçnnen Apple mit MacOS X und Novell mit der bernahme des Linux-Distributors SuSE dienen. 38 Vgl. die Aktivit ten der Open-Source-Region Stuttgart: [http://opensource.region- stuttgart.de/] oder die Rolle von FOSS-Unternehmen in der Schweiz: Bern und Basel setzen auf Open-Source-Software (2005). 39 In Zukunft werden Appliances eine grçßere Rolle spielen. Als »Appliances« bezeich- net man Ger te, deren Kernfunktion durch Hardware und Software implementiert wird. Dazu gehçren beispielsweise dedizierte Router und Firewalls. Die Abgrenzung zu eingebetteten Systemen ist unscharf. 40 Vgl. Sullivan/R diger (2004). 41 Vgl. Henkel/Tins (2005). 42 Zur çkonomischen Bedeutung des Reziprozit tsprinzips vgl. Fehr/G chter. 43 Vgl. Lutterbeck (2005); Foray (2004). Das grundlegende Werk zur Allmende-Wirt- schaft ist Ostrom (1999). Literatur Baden, John A. (1998): A New Primer for the Management of Common-Pool Resources and Public Goods, in: John A. Baden/Douglas S. Noonan (Hrsg.): Managing the Commons, 2. Aufl. Bloomington-Indianapolis, S. 51–62. Bern und Basel setzen auf Open-Source-Software (2005), in: Internetausgabe der Neuen Z rcher Zeitung vom 18. Februar 2005, http://nzz.ch/2005/02/18/ em/articleCLQCK.html Bonaccorsi, Andrea/Rossi, Cristina (2003): Why Open Source software can succeed, in: Research Policy 32 (6), S. 1243–1258. Bonaccorsi, Andrea/Rossi, Cristina (2004): Altruistic individuals, selfish firms? The structure of motivation in Open Source software, in: First Monday 9 (1), http://www.firstmonday.org/issues/issue9_1/bonaccorsi/ Bowles, Samuel/Gintis, Herbert (1998): How communities govern: the structural basis of prosocial norms, in: Avner Ben-Ner/Louis Putterman (Hrsg.): Eco- nomics, Values, and Organization, Cambridge u. a., S. 206–230. Brucherseifer, Eva (2004): Die KDE-Entwicklergemeinde – wer ist das?, in: Robert A. Gehring/Bernd Lutterbeck (Hrsg.), Open Source Jahrbuch 2004, S. 65–81. Castells, Manuel (2001): Das Informationszeitalter, BD. 1: Der Aufstieg der Netz- werkgesellschaft, Opladen. Coase, Ronald (1988): The Nature of the Firm, in: Ronald H. Coase, The Firm, the Market and the Law, Chicago-London, S. 33–55. Ettrich, Matthias (2004): Koordination und Kommunikation in Open-Source-Pro- jekten, in: Robert A. Gehring/Bernd Lutterbeck (Hrsg.), Open Source Jahr- buch, S. 179–192. Fehr, Ernst/G chter, Simon (1998: How effective are trust- and reciprocity-based incentives, in: Avner Ben-Ner/Louis Putterman (Hrsg.): Economics, Values, and Organization, Cambridge u. a., S. 337–363. Foray, Dominique (2004): The Economics of Knowledge, Cambridge/Mass.-London. 295 Robert A. Gehring Hardin, Garret (1968): The Tragedy of the Commons, in: Science 162, S. 1243– 1248. Heise Newsticker (2005): Microsoft will Br cken zur Open-Source-Gemeinde bauen, Meldung vom 2. Mai 2005, http://www.heise.de/newsticker/ meldung/print/59201 Heller, Lydia/Nuss, Sabine (2004): Open Source im Kapitalismus: Gute Idee – falsches System?, in: Robert A. Gehring/Bernd Lutterbeck (Hrsg.), Open Source Jahrbuch, S. 385–405. Henkel, Joachim/Tins, Mark (2005): Die industrielle Nutzung und Entwicklung von Open-Source-Software: Embedded Systems, in: Bernd Lutterbeck/Robert F. Gehring/Matthias B rwolff (Hrsg.): Open Source Jahrbuch 2005, Berlin, S. 123–138. Himanen, Pekka (2001): Die Hacker-Ethik und der Geist des Informations-Zeit- alters, M nchen. Kooths, Stefan/Langenfurt, Markus/Kalwey, Nadine (2004): Open-Source-Soft- ware: Eine volkswirtschaftliche Bewertung, MICE Economic Research Studies, Bd. 4, M nster, http://mice.uni-muenster.de/mers/mers4-Open Source_de.pdf Lakhani, Karim R./von Hippel, Eric (2003): How open source software works: Free user-to-user assistance, in: Research Policy 32 (6), S. 923–948. Landes, William M./Posner, Richard A. (2003): The Economic Structure of Intel- lectual Property Law, Cambridge-London. Lessig, Lawrence (1999): Code and other Laws of Cyberspace, New York. Levy, Steven (1984): Kackers. Heroes of the Computer Revolution, Gaden City/ NY. Lutterbeck, Bernd (2005): Infrastrukturen der Allmende – Open Source, Innovation und die Zukunft des Internets, in: Bernd Lutterbeck/Robert F. Gehring/Mat- thias B rwolff (Hrsg.): Open Source Jahrbuch 2005, Berlin, S. 329–346. Lutterbeck, Bernd/Gehring, Robert/Horns, Axel H. (2000): Sicherheit in der Infor- mationstechnologie und Patentschutz f r Software-Produkte – ein Wider- spruch? Kurzgutachten im Auftrag des Bundesministeriums f r Wirtschaft und Technologie, Berlin, Dezember 2000, http://ig.cs.tu-berlin.de/forschung/ IPR/LutterbeckHornsGehring-KurzgutachtenSoftwarePatente-122000.pdf Merges, Robert P./Menell, Peter S./Lemley, Mar A. (2000): Intellectual Property in the New Technology Age, 2. Aufl. New York. Nordemann, Wilhelm/Vinck, Kai (1998): Kommentar zu § 69d, in:Friedrich Karl Fromm/Wilhelm Nordemann: Urheberrecht: Kommentar, 9. Aufl. Stuttgart, S. 493. Ostrom, Elinor (1999): Die Verfassung der Allmende: Jenseits von Staat und Markt, T bingen. Pasche, Markus/von Engelhardt, Sebastian (2004): Volkswirtschaftliche Aspekte der Open-Source-Softwareentwicklung, Arbeits- und Diskussionspapiere der Wirtschaftswissenschaftlichen Fakult t der Friedrich-Schiller-Universit t Jena, Nr. 18. 296 FOSS, die Firma und der Markt Pethig, R diger (1997): Information als Wirtschaftsgut in wirtschaftswissenschaft- licher Sicht, in: Herbert Fiedler/Hanns Ulrich (Hrsg.): Information als Wirt- schaftsgut: Management und Rechtsgestaltung, Kçln, S. 1–28. Porter, Michael/Millar, Victor E. (o.J.): Wettbewerbsvorteile durch Information, in: Harvard Manager, Informations- und Datentechnik, Bd. 1, Hamburg, S. 146– 155. Robles, Gregorio/Scheider, Hendrik/Tretkowski, Ingo/Weber, Niels (2000): WIDI: Who Is Doing It? A research on Libre Software developers, Forschungsbericht, Fachgebiet Informatik und Gesellschaft der TU Berlin, Berlin, http://ig.cs.tu- berlin.de/lehre/s2001/ir2/ergebnisse/OSE-study.pdf Rose, Carol (1986): The Comedy of the Commons: Custom, Commerce, and Inherently Public Property, in: University of Chicago Law Review 53, S. 711–781. Salus, Peter H. (1995): A Quarter Century of Unix, Reading u. a. Salvatore, Dominick (2003): Microeconomics: Theory and Application, 4. Aufl. New York-Oxford. Samuelson, Pamela/Davis, Randall/Kapor, Mitchell D./Reichman, J.H. (1984): A Ma- nifesto Concerning the Legal Protection of Computer Programs, in: Columbia Law Review 94 (8), S. 2308–2431, http://www.law.cornell.edu/commenta- ry/intelpro/manif1.htm Schmidt, Ingo (1999): Wettbewerbspolitik und Kartellrecht, 6. Aufl. Stuttgart. Shapiro, Carl/Varian, Hal R. (1999):Information Rules. A Strategic Guide to the Network Economy, Boston. Shy, Oz (2001): The Economics of Network Industries, Cambridge. Sullivan, Laurie/R diger, Ariane (2004): Autobauer leiden unter Softwarefehlern, in: Internet-Ausgabe der Information Week vom 22. April 2004, http:// www.informationweek.de/cms/3051.0.html Torvalds, Linus/Diamond, David (2001): Just for Fun: Wie ein Freak die Computer- welt revolutionierte, M nchen-Wien. Tuomi, Ilkka (2002): Networks of Innovation: Change and Meaning in the Age of the Internet, Oxford-New York. von Hippel, Eric (2005): »Anwender-Innovationsnetzwerke«: Hersteller entbehr- lich, in: Bernd Lutterbeck/Robert F. Gehring/Matthias B rwolff (Hrsg.): Open Source Jahrbuch 2005, Berlin, S. 450–461. 297 VI. Ausblick Felix Stalder Neue Formen der ffentlichkeit und kulturellen Innovation zwischen Copyleft, Creative Commons und Public Domain* In den letzten zehn Jahren ist eine neue, weltweite Bewegung entstanden, die grunds tzlich neue Modelle der Produktion und Nutzung digitaler G ter nicht nur fordert, sondern auch bereits im großen Stil praktiziert. Wissenschaftler, Autorinnen, K nstler, Musikerinnen, Programmierer und andere ›immaterielle Produzentinnen‹ nutzen dabei das bestehende Ur- heberrecht in einer neuen Art und Weise. Das Urheberrecht gew hrt ja einem Autor geistiger Werke (im Bereich der Literatur, Kunst, Wissen- schaft, Design, Computerprogrammierung etc.) exklusive Verf gungsrechte ber seine Schçpfungen, die nur durch eng definierte Schranken einge- grenzt werden. Diese Rechte entstehen automatisch mit der Kreation des Werkes, ohne dass es registriert oder anderweitig gekennzeichnet wer- den muss. Der Autor kann (fast) frei bestimmen, wer, wann, wie und unter welchen Umst nden sein Werk nutzen kann.1 Im Gegensatz zur konven- tionellen Anwendung dieser Rechte zielen die neuen Modelle darauf ab, den Zugang zu denWerken zu vereinfachen, indem etwa das freie Kopieren erlaubt wird. Die Mçglichkeiten mit diesen Werken kreativ umzugehen, werden so erheblich erweitert. Konventionellerweise wird das Urheberrecht von den eigentlichen Au- toren an Dritte, etwa einen Verlag oder ein Musiklabel, bertragen. Die Verwerter sorgen dann daf r, dass die meisten Werknutzungen nur gegen Entgelt und nur in beschr nktem Umfang erlaubt werden. Wenn wir bei- spielsweise ein Buch kaufen, erwerben wir das Recht, es zu lesen, es Freun- den auszuleihen oder es wieder zu verkaufen. Untersagt ist es uns hingegen, das Buch als Ganzes zu kopieren, es çffentlich vorzulesen, zu verfilmen oder abzu ndern. Diese Rechte werden vom Rechteinhaber in aller Regel ein- zeln verkauft. Auf einem solchen Verst ndnis des Urheberrechts, das auf der Mçglichkeit des Ausschlusses und der exklusiven Kontrolle der Nutzungen * Dank an Volker Grassmuck, Janko Rçttgers und Bram Timmers f r ihre kritische Lek- t re des Manuskripts. 301 Felix Stalder aufbaut, beruht im Wesentlichen die Medienindustrie (Verlage, Musikla- bels, Film- und Fernsehproduktion), aber auch die konventionelle Soft- wareindustrie und der grçsste Teil der weiteren kommerziellen Produktion immaterieller G ter. Dies ist zwar der dominierende, aber nicht der einzige Ansatz, wie der Mçglichkeitsraum, den das Urheberrecht schafft, ausgef llt werden kann. Es gibt heute eine alternative Praxis, die das Urheberrecht nicht dazu benutzt, exklusive Kontrolle ber die Nutzungen und Weiterverwertung gesch tzter Werke auszu ben. Im Gegenteil, zentrales Anliegen ist es hier, einen freien und ungehinderten Zugang zu den Werken zu garantieren und deren Wei- terverarbeitung explizit zu ermuntern. Formuliert wurde dieser Ansatz zuerst im Bereich der Softwareentwicklung unter dem Schlagwort »Freie Software« und seit dem Ende der 1990er Jahre hat er als »Open Source« die breite f- fentlichkeit erreicht. Gleichzeitig wurde begonnen mit einem solchen – auf der Garantie des freien Zugangs beruhenden – Ansatz auch in anderen Fel- dern der immateriellen Produktion zu experimentieren. Heute stehen sich in nahezu allen Bereichen der Wissens- und Kulturproduktion diese beiden An- s tze gegen ber. Am weitesten entwickelt ist diese Auseinandersetzung in der Software-Industrie, wo sich propriet re Produzenten (zum Beispiel Micro- soft) und Open Source Produzenten (etwa des Betriebssystems Linux) einen zunehmend h rteren Konkurrenzkampf liefern.2 Sie trennen nicht nur unter- schiedliche Anwendungen des bestehenden Urheberrechts, sondern sehr grundlegend verschiedene Annahmen, wie neues Wissen und neue Kultur entsteht und wie die Produktion, sei sie nun kommerziell, wissenschaftlich oder k nstlerisch, am effektivsten gesellschaftlich organisiert werden soll. Im Folgenden werde ich mich auf die neuen çffentlichkeits- und inno- vationsfreundlichen Modelle im Bereich der Wissens- und Kulturproduktion konzentrieren. Ich werde erst ihre technologischen, gesellschaftlichen und rechtlichen Grundlagen erl utern, bevor ich mich der Praxis der kooperati- ven, aber auch der individuellen Produktion unter diesen neuen Rahmen- bedingungen zuwende. Im letzten Teil dieses Kapitels werden die aktuellen Probleme und das weitere Potential dieser Modelle zur Sprache kommen. 1. Technologische, gesellschaftliche und rechtliche Grundlagen offener Modelle Die technologischen Ver nderungen im Bereich der Informationsverarbei- tung und Telekommunikation (»Internet Revolution«) erlauben einen vçl- 302 Neue Formen der ffentlichkeit und kulturellen Innovation lig neuen Umgang mit geistigen Werken, die immer h ufiger in digitaler Form produziert, distribuiert und konsumiert werden. W hrend die Her- stellung und der Vertrieb analoger Kopien (etwa gedruckter B cher oder Filme auf Zelluloid) eine komplexe und kapitalintensive Angelegenheit ist, so ist es heute praktisch ohne Kosten mçglich, digitale Kopien anzufertigen und ber Webserver oder peer-to-peer (p2p) Netze weltweit zu vertreiben. Diese neuen Vertriebswege stehen der Effizienz der bestehenden Kan le um nichts nach, ja sie bertreffen sie sogar in vielen F llen. Dies erlaubt, neue Beziehungen zwischen Produzenten und Nutzern digitaler Inhalte zu kn p- fen, die nicht mehr auf Vermittler und Verwerter in der alten Form ange- wiesen sind. Dies ist die erste Ver nderung, die mit den neuen Kommuni- kationsmçglichkeiten verbunden ist. Die zweite ist etwas subtiler, aber ebenso weitreichend. Im Kontext digitaler Medien ist kaum mehr zu un- terscheiden, was als Endprodukt des einen Prozesses gelten soll, und was als Rohmaterial des anderen. Copy & Paste ist eine der Grundfunktionen, die die meisten Computeranwender t glich benutzen, um Material von einem Kontext in einen anderen einzuf gen. Was in der analogen Kultur eine re- lativ marginale Praktik war (etwa das Anfertigen von Photocollagen la John Hartfield oder Klaus Staeck) ist heute zentrale Kulturtechnik. In der Musik sind durch Sampling und Remixing ganz neue Genres entstanden.3 Mit an- deren Worten, die Weiterverarbeitung bestehender Werke als Teil des Schaffens neuer Werke ist Alltag geworden in unserer digitalen Kultur. Das Kopieren, Verbreiten und Weiterverarbeiten geistiger Werke f llt in den zentralen Regelungsbereich des Urheberrechts. Nach konventioneller Anwendung, welche solche Nutzungen nur mit expliziter Einwilligung der Rechteinhaber erlaubt, m sste f r jeden dieser Akte zuerst Erlaubnis einge- holt werden. Die praktische Schwierigkeit, jedes Mal eine Erlaubnis ein- zuholen (mit der dann mçglicherweise hohe finanzielle Forderungen ver- bunden sind), steht in einem krassen Missverh ltnis zur Einfachheit, die Werke im ganz normalen Alltag zu nutzen. Durch dieses Auseinanderklaffen von Rechtslage und Alltagspraxis ist eine riesige Grauzone entstanden, in der massenhafte Rechteverletzungen geschehen, die teilweise drakonisch ver- folgt werden (etwa durch die Musikindustrie), teilweise ohne jegliche Fol- gen bleiben. Die neuen, offenen Modelle nehmen nun die freie Kopierbarkeit, den einfachen, weltweiten Vertrieb durch jeden einzelnen und die hohe Wei- terverwendbarkeit des digitalen Materials als Ausgangspunkt, um einen grundlegend anderen Umgang mit geistigen Produkten zu entwickeln. Wieso, so die Frage, soll jemand von einer Werknutzung ausgeschlossen werden, wenn dieWerke in einer nicht-limitierten Anzahl perfekter Kopien 303 Felix Stalder zu Verf gung stehen und durch die zus tzliche Nutzung keinerlei zus tz- liche Kosten entstehen? Die Standardantwort darauf ist, dass nur die exklu- siven Verwertungsrechte des Urhebers die finanziellen Anreize schaffen, in die Herstellung der ersten Kopie zu investieren. Ohne den generellen Aus- schluss, der es ermçglicht die meisten Nutzungen nur gegen Entgelt zuzu- lassen, sei es unmçglich, die urspr nglichen Investitionen je wieder zur ck zu bekommen. Dieses Argument beruht auf einer ganz bestimmten Vor- stellung, ber den Charakter geistiger Werke. Es wird davon ausgegangen, dass geistige Werke relativ eindeutig voneinander abgrenzbare Einheiten darstellen, die jeweils einem einzelnen, klar definierbaren Urheber zugeord- net werden kçnnen, wie etwa B cher in einer Bibliothek. Diese stehen zwar gemeinsam auf einem Regal, aber es ist ohne Schwierigkeiten zu bestim- men, wo das eine Buch aufhçrt und das andere anf ngt. Auf jedem Buch- r cken ist ein einzelner Autor, hin und wieder eine Autorengruppe, ange- geben. Die Autoren mçgen sich vielleicht aufeinander beziehen, aber dies steht im Verh ltnis zur Individualit t ihres Schaffens eindeutig im Hinter- grund. Offene Produktionsmodelle gehen von einer anderen Vorstellung aus, wie geistige Werke beschaffen sind. F r sie steht nicht die origin re Schçp- fung relativ isolierter Autoren im Vordergrund, sondern Prozesse der Ver- arbeitung und Ver nderung bereits bestehender Werke, durch die neue Werke entstehen. Die Urheber werden definiert durch den Kontext, in dem sie arbeiten. Von diesem beziehen sie das Rohmaterial und in diesem finden ihre Werke Anwendung. Die Analogie ist nicht das statische Buch in der Bibliothek, sondern das dynamische, offene Gespr ch. Dieses beruht nat rlich auf der Teilnahme individueller Sprecher, aber das Gespr ch als solches kann weder einem Einzelnen zugeordnet noch als Summe unabh n- giger ußerungen betrachtet werden. Vielmehr findet es zwischen den Spre- chern statt, die sich fortw hrend aufeinander beziehen und voneinander be- einflusst werden. Das Ganze ist viel mehr als die Summe seiner Teile. Damit ein interessantes Gespr ch zu Stande kommt, m ssen die Ideen ungehindert fließen kçnnen. Der freie Zugang zu dem, was ein anderer bereits fr her einmal gesagt hat, ist zentrale Bedingung, damit das Gespr ch vorankommt und neue Ideen entstehen kçnnen.Wenn f r jede Verwendung eines bereits ge ußerten Gedankens erst nachgefragt werden m sste, und wenn die Er- teilung der Erlaubnis dann vom urspr nglichen Sprecher verweigert werden kçnnte, dann w rde das Gespr ch schnell zum Erliegen kommen. Dies w re nicht nur vçllig unpraktisch und absurd, sondern auch unnçtig, denn die im Dialog gewonnenen Erkenntnisse stehen ja allen Teilnehmern gleicherma- ßen zur Verf gung. 304 Neue Formen der ffentlichkeit und kulturellen Innovation Ideen und andere immaterielle G ter kçnnen nicht aufgebraucht wer- den. Im Gegenteil, sie vermehren sich mit dem Gebrauch. Auf diesem Ver- st ndnis geistiger Produktion beruht etwa auch die akademische Wissen- schaft, in der nicht nur Zitations-, sondern auch Publikationspflicht besteht. Dies bedeutet nichts anderes, als dass bestehende Werke in neue Werke integriert und neue Werke der Forschungsgemeinschaft zur Ver- f gung gestellt werden m ssen. Mit anderen Worten, geistige Produktion wird verstanden als ein kooperativer (Urheber stehen in einem engen Aus- tausch miteinander) und transformativer (Neues entsteht aus Bestehendem) Prozess. Es ist zu betonen, dass es hierbei nicht darum geht, die individuellen Leistungen einem amorphen Kollektiv unterzuordnen. Zitationspflicht be- deutet eben auch, seine Quellen pr zise zu nennen (und damit zu w rdi- gen). Vielmehr geht es darum, dass der freie Zugang zu Wissen eine der Grundvoraussetzungen f r das Entstehen neuen Wissens ist. In der Ge- schichte der Wissenschaft erwies sich dieser Ansatz als außerordentlich in- novationsfçrdernd. Offene Lizenzen Die traditionelle Aus bung der Urheberrechte, die fast jede Nutzung er- laubnispflichtig macht, steht einer solchen Auffassung des kreativen Prozes- ses entgegen. Das muss aber nicht so sein. Denn wie eingangs erw hnt, r umt das Urheberrecht dem Schçpfer geistiger Werke nahezu absolute Kontrolle ein. Diese kann nun eingesetzt werden, um genau solche koope- rativen und transformativen Prozesse zu fçrdern, anstatt sie zu behindern. Dazu braucht es eine Lizenz, die explizit freie Nutzungen der Werke er- laubt. Die erste und nach wie vor wichtigste offene Lizenz ist die »General Public License« (GPL). Ihre erste Fassung stammt aus der Mitte der 1980er Jahre, die aktuelle Version aus dem Jahr 1991. In dieser Lizenz werden rechtlich verbindlich die Bedingungen f r einen freien Kommunikations- fluss zwischen Softwareentwicklern festgeschrieben. Zentraler Punkt sind die so genannten »vier Freiheiten«, die die GPL garantiert: 1) Die Freiheit, das Programm zu jedem beliebigen Zweck benutzen zu d rfen. Es bestehen keinerlei Anwendungsbeschr nkungen. 2) Die Freiheit, das Programm un- limitiert zu kopieren und weiterzugeben. 3) Die Freiheit, das Programm zu ver ndern gem ß eigenem Gutd nken. Damit steht die Weiterentwicklung allen offen. 4) Die Freiheit, das ver nderte Programm weiterzugeben. Die- sen Freiheiten stehen nur zwei Pflichten gegen ber. Es m ssen dem Emp- 305 Felix Stalder f nger des Programms (egal ob es nun einfach kopiert oder weiter verarbeitet ist) wiederum dieselben Rechte einger umt werden und die bisherigen Au- toren m ssen weiterhin genannt werden. F r diese Praxis wird auch der Begriff des »Copyleft« benutzt, um die Umdrehung des Copyright zu unter- streichen.4 Die GPL garantiert einem Entwickler, dass er bestehende Code-Baustei- ne risikolos in sein eigenes Werk einbauen kann, oder dass, wenn er mit anderen gemeinsam ein Programm entwickelt, ihm die Arbeit aller uneinge- schr nkt zur Verf gung steht. Dies ist ein enormer Vorteil, demgegen ber der Nachteil – sollte es denn ein Nachteil sein –, dass die eigene Arbeit ebenfalls allen zur Verf gung steht, kaum ins Gewicht f llt. Etwas schema- tisch ausgedr ckt profitiert der Einzelne von der Gemeinschaft mehr als die Gemeinschaft von einem Einzelnen. Wesentlich ist, dass »Profit« hier so- wohl çkonomisch als auch normativ verstanden werden kann – je nach dem, wie jemand seine persçnlichen Pr ferenzen setzt, hnlich wie bei ei- nem Gespr ch, dass dem einen helfen kann, ein Problem in der Arbeitswelt zu lçsen, dem anderen aber als willkommene Gelegenheit dient, seinWissen unter Beweis zu stellen, oder einfach nur ein intellektuell anregendes Er- lebnis darstellt. An der Eigenart des Gespr ches, dass es offen am besten funktioniert und die Ergebnisse allen zu Verf gung stehen, ndern die un- terschiedlichen Motivationen der Teilnehmer nichts. R ckblickend ist nicht verwunderlich, dass diese Form der Lizensierung im Softwarebereich entwickelt wurde. Hier waren die digitalen Eigenheiten (Kopierbarkeit und Weiterverwendbarkeit) von Anfang an pr gend und die Vorstellung von Software als ein propriet res Produkt hatte eine vergleichs- weise kurze Geschichte – Anfang der 1970er Jahre dachte kaum jemand daran, Software zu verkaufen. Die Komplexit t moderner Softwarepro- grammemacht es zudem einem Einzelnen unmçglich, ein Programm alleine zu schreiben. Es besteht also immer die Notwendigkeit, zusammen zu ar- beiten und alles, was die Zusammenarbeit fçrdert, ist als solches positiv, weil problemlçsend. Auch an propriet rer Software wird immer in grçßeren Teams gearbeitet, nur eben hinter verschlossenen T ren. Mit der Ausbrei- tung des Internets Ende der 1980er, anfangs der 1990er Jahre benutzten immer mehr Programmierer das Internet, die die GPL f r ihre eigene Arbeit praktisch fanden (so z.B. Linus Torvalds, der Anfang 1992 den Linux-Ker- nel unter die GPL stellte). Die neuen Mçglichkeiten der globalen Kom- munikation gaben der Freien-Software-Bewegung enormen Auftrieb, weil sie den Austausch zwischen den Programmierern enorm erleichterten. In der zweiten H lfte der 1990er Jahre gingen auch immer mehr Men- schen online, die mit Programmierung wenig oder gar nichts zu tun hatten. 306 Neue Formen der ffentlichkeit und kulturellen Innovation Ihnen bot das Internet nat rlich genau die gleichenMçglichkeiten des freien Austausches digitaler Inhalte. Da nun die GPL (wie andere hnliche Lizen- zen) auf den Softwarebereich zugeschnitten ist, begannen sich viele Gedan- ken zu machen, wie kooperative und transformative Innovationsprozesse auch auf anderen Gebieten gefçrdert und rechtlich abgesichert werden kçnnten. Das wichtigste Projekt, das aus diesen berlegungen heraus ent- standen ist, ist CreativeCommons (CC). Lanciert im Dezember 2002 unter dem Vorsitz von Lawrence Lessig, einem an der Stanford University leh- renden Juristen und prominenten Verfechter »freier« Kultur, geht es dem CC Projekt darum, Urhebern einfache Mittel in die Hand zu geben, um ihreWerke so zu verçffentlichen, dass sie frei kopiert und vertrieben werden kçnnen. W hrend sich CC bewusst an die GPL anlehnt, wurden einige Modifikationen am Lizenzmodell vorgenommen, um den Besonderheiten kultureller Produktion (Musik, Texte, Bilder und Filme) gerecht zu werden. CC bietet den Urhebern ein einfaches, web-basiertes Formular an, mittels dessen sie Lizenzbedingungen auf ihre individuellen Bed rfnisse anpassen kçnnen. Die freie Kopier- und Verteilbarkeit und die Pflicht der Autoren- nennung sind bei allen CC Lizenzen vorgeben. Der Urheber kann nun ent- scheiden, ob er kommerzielle Nutzungen seines Werkes generell erlauben will oder nicht. Er kann ebenfalls entscheiden, ob sein Werk frei weiterver- arbeitet werden darf oder nicht. Besonders der letzte Punkt, der die Frage der Weiterverarbeitung regelt, ber hrt einen zentralen Unterschied zwi- schen der Produktion von »funktionalen« Werken (etwa Software, Ge- brauchsanweisungen oder Nachschlagewerke) und »expressiven« Werken (etwa literarische und k nstlerische Werke). W hrend bei Werken der ersten Gruppe es in der Regel relativ eindeutig ist, welche Weiterverarbeitung eine Verbesserung darstellt und welche nicht, fehlen bei Werken der zweiten Gruppe die klaren Kriterien. Oftmals ist es genau das Individuelle, neben der Norm liegende, das an solchenWerken die besondere Qualit t ausmacht. Hier bestehen durchaus legitime Anspr che, die Werkintegrit t zu wahren. Deshalb schreibt CC auch nicht vor, dass generell Weiterverarbeitungen zu- gelassen sind, sondern berl sst die Wahl dem einzelnen Urheber. CC Lizenzen, die ber ein bewusst benutzerfreundliches Interface erstellt werden kçnnen, gibt es in dreifacher Ausf hrung: einmal als einfachen, um- gangssprachlichen Text, der verst ndlich beschreibt, welche Werknutzun- gen freigegeben sind, zum anderen als rechtlich verbindlichen Lizenztext, der von f hrenden Juristen erarbeitet und gepr ft wurde. Sollte es je zu einer rechtlichen Auseinandersetzung kommen, kann davon ausgegangen wer- den, dass die Lizenz auch strenger richterlicher Pr fung standh lt. Die dritte Version ist eine computerlesbare Datei, die es ermçglicht, dass Suchmaschi- 307 Felix Stalder nen ihre Resultate im Hinblick auf den Rechtsstatus hin filtern kçnnen. Dies erlaubt etwa, nach Bildern zu einem Stichwort zu suchen, die in einer nicht-kommerziellen Arbeit weiterverwendet werden d rfen. Die CC Lizenzen haben sich in k rzester Zeit zu einem Standard in of- feneren kulturellen, aber auch wissenschaftlichen Projekten entwickelt. In- nerhalb eines Jahres wurden mehr als 1 Millionen Werke – Texte (u. a. zwei B cher des Heise-Verlags), Musikst cke, aber auch ganze Spielfilme – unter solchen Lizenzen verçffentlicht. Was urspr nglich ein rein amerikanisches Projekt war und die Besonderheiten des US-Rechtsraumes widerspiegelte, wurde in der Zwischenzeit internationalisiert. Der rechtsverbindliche Teil, der Lizenztext, ist auf viele andere Rechtsr ume angepasst worden, so etwa f r Deutschland, sterreich und die Schweiz. Die Standardisierung der of- fenen Lizenzen, die das CC Projekt geschaffen hat, tr gt wesentlich dazu bei, dass sich offene Produktionsmodelle heute großer Beliebtheit erfreuen und auch von K nstlern, Programmierern und Wissenschaftlern, die sich mit urheberrechtlichen Fragen nicht auseinander setzen wollen, einfach und ri- sikolos angewandt werden kçnnen. 2. Offene Produktion in der Praxis Mit der Verbreitung dieser Lizenzen entsteht eine neue de facto »public do- main« in dem Sinne, dass die Werke der ffentlichkeit quasi frei zug nglich sind, auch wenn sie de jure noch dem Urheberrecht unterstehen. Die Pro- jekte, die unter diesen Bedingungen verçffentlicht werden, kçnnen in zwei Klassen eingeteilt werden. Zum einen große, kooperative Projekte, die of- fene Lizenzen benutzen, um die Zusammenarbeit zwischen Kontributoren zu fçrdern. Hier steht die gemeinsame Entwicklung einer Ressource im Vordergrund. Die Unterscheidung zwischen Produzent und Konsument wird, zumindest optionell, aufgeweicht. Zum anderen werden auch viele Werke von individuellen Autoren, Musikern, Filmemachern etc. verçffent- licht, die es nicht so sehr auf eine kooperativeWeiterentwicklung abgesehen haben, sondern die ihre Werke langfristig einer mçglichst breiten ffent- lichkeit zu Verf gung stellen mçchten. Hierbei bleibt die klassische Rol- lenverteilung zwischen Autor und Publikum relativ intakt. Die Ausdifferen- zierung von freien Werken in diese beiden, sich teilweise berschneidenden Kategorien hat nicht zuletzt damit zu tun, dass sich nicht alle Werke eignen, kooperativ produziert zu werden. Auf den Unterschied zwischen »funktio- nalen« und »expressiven« Werken wurde schon hingewiesen. 308 Neue Formen der ffentlichkeit und kulturellen Innovation Dar ber hinaus hat sich gezeigt, dass kooperative Projekte am besten funktionieren, wenn sie ganz bestimmte Eigenschaften besitzen. Besonders wichtig sind die Mçglichkeiten der Modularisierung und Parallelisierung der Produktion. Modularisierung bedeutet, dass sich viele Teile des Projekts unabh ngig von einander herstellen lassen. Die einzelnen Teile kçnnen f r sich alleine betrachtet und verbessert werden. Ihr Gehalt wird nicht wesent- lich ver ndert von den anderen Elementen des Projekts. Parallelisierung be- deutet, dass an vielen Teilen gleichzeitig gearbeitet werden kann, so dass nicht zuerst der erste Teil fertig gestellt werden muss, bevor mit dem zwei- ten begonnen werden kann. Dadurch, dass viele Leute innerhalb eines re- lativ offenen Projektrahmens unabh ngig voneinander arbeiten kçnnen, entstehen zwei markante Vorteile. Erstens, Interessierte kçnnen sich selbst aussuchen, woran sie arbeiten mçchten. Dies ist entscheidend, nicht nur um die Eigenmotivation zu erhalten, sondern auch damit Mitwirkende ihre in- dividuellen Talente, die sie selbst am besten kennen, optimal einbringen kçnnen. Und da fast immer in kleineren oder grçßeren Gruppen gearbeitet wird, werden Leute schnell, und nicht unbedingt sehr freundlich, darauf hingewiesen, wenn sie ihre F higkeiten falsch einsch tzen. Zweitens erlaubt eine solche Struktur, die Anzahl der Kontributoren enorm zu erweitern. An großen, erfolgreichen Projekten arbeiten oftmals Tausende von Personen mit, auch wenn der Kreis der Kerngruppe, die sich langfristig und nachhaltig engagiert, in der Regel sehr viel kleiner ist. Am besten lassen sich diese Dynamiken an einem der erfolgreichsten offenen Projekte verdeutlichen, der freien Enzyklop die »Wikipedia«. Kooperative Wissensproduktion: Wikipedia Die Wikipedia entstand im Januar 2001 als englischsprachiges Projekt, mit dem Ziel, eine frei zug ngliche Enzyklop die zu schaffen, die mçglichst bald die beste kommerzielle Enzyklop die, die Encyclopedia Britannica, in Umfang und Qualit t bertreffen sollte. Anders als beim inzwischen gescheiterten Projekt Nupedia wurde nicht eine ausgesuchte Gruppe von Spezialisten be- auftragt, Artikel zu verfassen, sondern die breite ffentlichkeit eingeladen, am Projekt mitzuwirken. Als Publikationsformat wurde ein »Wiki« gew hlt (wovon sich auch der Name des Projekts ableitet) – eine Plattform, die es jedem Internetnutzer erlaubt, Seiten nicht nur zu lesen, sondern auch direkt zu ver ndern. Die Wikipedia verfolgt diesen offenen Ansatz radikal, das heißt, sie erlaubt es tats chlich jedem, auch Benutzern, die sich nicht regis- triert haben und deshalb nur ber die IP-Adresse ihres Rechners identifiziert 309 Felix Stalder sind, Texte zu ver ndern. Die so entstandene neue Version wird unmittelbar aufgeschaltet und damit sichtbar im Internet, ohne dass sie zuerst von einem Lektoren oder hnlichem gepr ft wird. Die vorhergehende Seite wird ge- speichert und ist ber die Funktion ›Versionen/Autoren‹ jederzeit einseh- bar. Damit kçnnen die Ver nderungen einer Seite nachvollzogen werden und Vandalismus, der in betr chtlichem Umfang vorkommt, einfach beho- ben werden (in dem die ltere Version wieder aufgeschaltet wird). Wikipedia beruht auf zwei Annahmen, die charakteristisch sind f r diese Art von Projekten. Erstens, viele Leute sind Spezialisten auf einem bestimm- ten Gebiet, sei es, weil sie sich professionell damit besch ftigen, sei es, weil sie sich intensiv mit der Materie auseinandergesetzt haben. Wenn man nun die verschiedenen Spezialgebiete einer sehr großen Anzahl von Menschen miteinander kombiniert, dann kann man die gesamte Breite des Wissens abdecken. Die zweite Annahme ist, dass Leser, die einen Fehler oder eine Auslassung in einem Artikel finden, bereit sind, diesen zu beheben – und somit selbst zu Mitautoren werden. Dadurch sollen Artikel mit der Zeit immer besser und immer umfangreicher werden, bis sie den Stand des Wissens korrekt wiedergeben. Um den Prozess der Kollaboration zu erleichtern, wurden zu Beginn einige Richtlinien erarbeitet, die beschrei- ben, wie ein guter Eintrag aussehen soll. Amwichtigsten ist die Anforderung des »neutralen Standpunkts«. Dieser besagt, dass ein Artikel die verschiede- nen Erkl rungen und Ansichten, die es zu einem Thema geben kann, gleichberechtigt nebeneinander stellen soll und nicht die eine »richtige« In- terpretation propagieren soll. Dies erlaubt, auch umstrittene Themen, zu denen es keinen Konsens gibt, in einer Weise darzustellen, die f r verschie- dene Lager akzeptabel sein kann. Die Existenz von Richtlinien ermçglicht es auch, mit Nutzern umzugehen, die sich kontraproduktiv verhalten. Im extremsten Fall kann die Wikipedia-Gemeinschaft, also der innere Kreis der aktivsten Kontributoren, beschließen, einer Person die nderungsrechte zu entziehen. Das geschieht in der Praxis aber relativ selten. In den vergangenen vier Jahren entwickelte sich die Wikipedia rasant. Noch im Gr ndungsjahr der englischsprachigen Ausgabe kamen Wikipedias in Deutsch und Franzçsisch dazu. Mittlerweile (Stand Juni 2005) gibt es ak- tive Wikipedia Projekte in knapp 90 verschiedenen Sprachen. Die englisch- sprachige Ausgabe ist mit rund 600000 Artikeln die grçßte, gefolgt von der deutschen Ausgabe mit mehr als 250000 und der japanischen mit rund 130000 Eintr gen. DieWikipedia ist eine der popul rsten Internetressourcen berhaupt und bew ltigt momentan rund 80 Millionen Anfragen pro Tag. Auch wenn das Projekt nicht ohne Probleme ist, die sp ter zur Sprache kommen werden, so kann man doch eindeutig feststellen, dass die Wiki- 310 Neue Formen der ffentlichkeit und kulturellen Innovation pedia relativ gut funktioniert. Auch im direkten Vergleich mit konventio- nellen Nachschlagewerken, wie er etwa von der der Wochenzeitschrift Die ZEIT im Heft 43 (2004) durchgef hrt wurde, kann sie in punkto Umfang und Qualit t der Artikel durchaus mithalten und in Hinblick auf Aktualit t ist sie den gedruckten Werken wie auch den traditionell editierten elektro- nischen Ausgaben deutlich berlegen. Offensichtlich sind viele Menschen bereit, Zeit und Arbeit in ein solches Projekt zu stecken F r sie ist es motivierend, an einem großen, weithin gesch tzten Projekt teilzunehmen. Die extremeModularit t und Parallelit t, die f r ein Nachschlagewerk typisch ist, erlaubt es einer großen Anzahl von Personen, gleichzeitig und mit geringem Koordinationsaufwand, zusam- menzuarbeiten. Die Einfachheit des Edierens erlaubt jedem, selbst aktiv zu werden und aus seiner Rolle als reiner Rezipient herauszutreten. Die relativ locker gefassten, aber doch vorhandenen Regeln und die konsistente Gestaltung des Interface sichern die Einheit des Projektes. Obwohl Wiki- pedia heute ganz auf Basis freiwilliger, unbezahlter Arbeit betrieben wird, verschlingt die technologische Infrastruktur, die notwendig ist, um ein Pro- jekt dieser Grçße zu betrieben, dennoch betr chtliche finanzielle Mittel. Diese werden nicht durch das Schalten von Anzeigen erwirtschaftet, weil dies, so die Bef rchtung, den Charakter des Projekts ver ndern w rde. Viel- mehr werden regelm ßige Spendenaufrufe auf der Webseite publiziert, die bisher immer außerordentlich erfolgreich waren. Anfang 2005 wurden auf dieser Weise rund 75000 US $ in knapp 10 Tagen gesammelt und in die Erweiterung der Hardware und Bandbreite, die von allen Wikipedias ge- nutzt wird, investiert. Andere Teile der Infrastruktur werden durch Spon- soring finanziert. Mit den Wikipedias entsteht eine Ressource, die der ffentlichkeit nicht nur langfristig frei zur Verf gung steht, sondern auf- grund der Erlaubnis der Weiterverarbeitung, die in der Lizenz ebenfalls fest- geschrieben ist, auch Rohmaterial f r die rasche Entwicklung anderer Pro- jekte liefern kann. Freie Kulturproduktion: Netlabels Die Krise der Musikindustrie ist in aller Munde. Peer-to-peer (p2p) filesha- ring hat deutlich gemacht, dass Musik außerhalb der traditionellen Kan le hçchst effizient vertrieben werden kann. Die etablierte Industrie, allen voran die an Großkonzerne angeschlossenen Labels, reagieren mit Panik und for- dern neue Gesetze und drastische Strafmaßnahmen, um ihre bisherige zent- rale Rolle bewahren zu kçnnen. Um diesem Druck auszuweichen, entste- 311 Felix Stalder hen immer neue Netzwerke, die konstruiert sind, um die Strafverfolgung zu erschweren. Im Schatten dieser großen Auseinandersetzung hat sich in den letzten Jahren eine sehr lebhafte Szene neuer Musikproduzenten entwickelt, die neue Wege erproben – die Netlabels. Dies sind Musiklabels, die ihre Werke nicht in erster Linie als CD oder Vinyl herausbringen, sondern sie als Da- teien im Netz anbieten. In den meisten F llen liegt eine pragmatische und keine ideologische Entscheidung zu Grunde und hin und wieder verçffent- lichen Netlabels auch auf Vinyl oder CD (zum Beispiel »best of« Kompila- tionen). Die berwiegende Mehrheit der online verçffentlichten Tracks steht unter einer CC Lizenz. Die meisten Netlabels bedienen relativ kleine, spezialisierte Nischen, etwa Techno, Drum’n’Bass, oder andere Genres der Elektronikmusik. In diesen Nischen, die bisher Tontr ger in einer Auflage von wenigen tausend St ck produzierte, bieten neue Modelle, so der Netlabel Pionier Bjçrn Hartmann (textone.org), drei Vorteile: Promotion, Community und Nachhaltigkeit. Die meisten Musiker außerhalb des Radiomainstreams beziehen ihr Einkommen nicht, oder nur zu einen kleinen Teil, aus dem Verkauf von Tontr gern, sondern aus Gagen f r Live-Auftritte in Clubs. F r elektronische Musik bedeutet das DJ-ing. Die Verçffentlichungen dienen in erster Linie daf r, sich einen Namen in der relevanten Szene aufzubauen und damit an Auftritte zu kommen. Durch den freien Vertrieb ist es sehr viel einfacher, ein Publikum zu erreichen, weil die Vertriebsmçglichkeiten des Internets denen der spezialisierten Musikl den weit berlegen sind. Netla- bels schaffen neue, grçßere ffentlichkeiten und kçnnen sich so als effek- tiver Weg erweisen, K nstler bekannt zu machen. Dar ber hinaus sind die anfallenden Kosten sehr viel niedriger, weshalb sehr viel mehr Musik ver- çffentlicht werden kann. Dies f hrt aber nicht einfach zu einer Schwemme von schlechter Musik, sondern zu einer ungeheuren Befruchtung innerhalb der Szene, in der mehr Austausch denn je zwischen Musikern stattfinden kann. Die Beschr nkungen der so genannten Aufmerksamkeitsçkonomie (es gibt von allem mehr, als man sich je anhçren kçnnte) f hren dazu, dass weniger gute Musik schnell vergessen wird. Die Musik, die den Nerv der Community trifft, kann sich daf r ungehindert ausbreiten. Wie genau der Austausch zwischen den Musikern gestaltet werden soll, ist innerhalb der Kulturszene ebenso wie in der weiteren kulturellen Praxis durchaus umstritten. Da die Reputation, die mittels Songs (oder eines an- deren Kunstwerks) erarbeitet wird, der zentrale Baustein der k nstlerischen Karriere ist, stehen viele Autoren der Weiterverwendung ihrer Werke mit sehr gemischten Gef hlen gegen ber. Den eigenen Song in einem schlech- 312 Neue Formen der ffentlichkeit und kulturellen Innovation ten Remix vertrieben zu sehen, ist nicht unbedingt im Interesse des K nst- lers. Deshalb verwenden die meisten Netlabels Lizenzen, die keine Weiter- bearbeitung der St cke erlauben. Kooperative Musik-Communities, etwa die Plattform opsound. org, sind noch sehr in den Anf ngen und werden es wohl schwerer haben, sich zu etablieren, als etwa dieWikipedia, deren Rea- lisierung Zusammenarbeit unausweichlich macht. Es gibt aber auch pro- minente Bespiele offener Kollaboration. Rap-Superstar Jay’Z, etwa, gab die A-Capella-Version seines Black Album zur freien Bearbeitung frei. Einige der Bearbeitungen, allen voran das Grey Album von DJ Dangermouse, ein Remix mit demWhite Album der Beatles, haben ihrerseits weltweiten Kult- status erreicht. Aber auch wenn solche Experimente (noch) die Ausnahme sind, und in der Regel kein direktes Remixing der Songs erlaubt ist, so st rkt die einfache Verf gbarkeit hochindividueller Musik dennoch die konnek- tive Kreativit t und fçrdert die Community als Ganzes. Der dritte Punkt, in dem die neuenModelle Vorteile bieten, ist die Mçglichkeit, die Musik lang- fristig verf gbar zu halten. Die Verf gbarkeit von Musik (oder andere Werke), die in Kleinstauflagen produziert werden, ist von Anfang an gering. Sie nimmt aber mit der Zeit noch weiter ab, nicht nur, weil die Auflagen vielleicht vergriffen sind und das Geld fehlt, sie nachpressen zu lassen, son- dern weil die Labels, die sie verçffentlichen, oftmals selbst kurzlebig sind und verschwinden. Wenn nun die Rechte beim Label liegen (das es in ein paar Jahren vielleicht nicht mehr gibt), und es nicht mçglich ist, herauszufinden, welcher Musiker hinter einem Pseudonym steckt (oder falls er gestorben ist, wer sein Rechtsnachfolger ist), so ist es faktisch unmçglich, das Werk in irgendeiner Weise wieder verf gbar zu machen. Es ist keine seltene Situa- tion, dass ein Werk aufgrund der Unkl rbarkeit des Rechtsanspruchs der ffentlichkeit verloren geht, was allen zum Nachteil gereicht. Die Verwen- dung offener Lizenzen garantiert nun, dass Werke langfristig verf gbar blei- ben, nicht zuletzt weil Organisationen wie das Internet Archiv (archive.org), dauerhaften Speicherplatz f r freie Werke anbieten kçnnen. Somit entsteht ein stetig wachsender Fundus, aus dem zuk nftige Produzenten Material oder zumindest Inspiration beziehen kçnnen. Noch sind diese Modelle auf relativ kleine Nischen beschr nkt, aber es bildet sich hier ein Erfahrungsschatz neuer, offener Wissens-und Kulturpro- duktion. Es hat sich bereits herauskristallisiert, dass f r die Produzenten die Community-Orientierung ganz wesentlich ist, w hrend auf der Seite der çkonomischen Verwertung nicht-kopierbare Leistungen (etwa live Per- formances) im Vordergrund stehen. Das Element, das beide Aspekte mit- einander verbindet, ist die Reputation des Kulturschaffenden, die durch den freien Zugang zu den Werken nur gefçrdert werden kann. 313 Felix Stalder 3. Probleme und Potentiale der neuen Modelle Diese neuen Formen der Wissens- und Kulturproduktion sind in der Fr h- phase ihrer Entwicklung. Auch wenn sich noch keine abschließenden Ur- teile f llen lassen, sind sowohl Probleme wie auch große Potentiale f r die weitere Entwicklung bereits sichtbar geworden. Die Probleme lassen sich in zwei Kategorien einteilen. Ein Typ von Problemen wird von außen ver- ursacht, als Folge der Inkompatibilit t der propriet ren und der offenen Pa- radigmen. Es gibt aber auch Probleme, die in den neuen Produktionsformen selbst begr ndet liegen und wohl auf ihre noch ungen gende Ausdifferen- zierung hinweisen. Zum ersten Punkt: wie bereits ausgef hrt, beruhen die neuen Modelle auf einer innovativen Anwendung des Urheberrechts und der freien Verf gbarkeit einer offenen Kommunikationsplattform (Standard PCs und Internet). Beide Grundpfeiler sind momentan starkem Druck durch die klassischen, auf Ausschluss und Kontrolle basierenden Industrien ausgesetzt. Zum einen wird versucht, die Offenheit der Kommunikations- plattform durch Digital Rights Management Systeme (DRM)5 stark ein- zuschr nken. Dies gilt als Voraussetzung, um bestehende Rechtsanspr che in gewohnter Form durchsetzen zu kçnnen. Dies kçnnte zur Folge haben, dass freie, nicht zertifizierte Inhalte auf der neuen DRM Infrastruktur nur noch schwer abgespielt oder bearbeitet werden kçnnen. Zum anderen wer- den immer weitere Teile der kulturellen Produktion durch Instrumente des Immaterialg terrechts aus der allgemeinen Verf gbarkeit entfernt und der Kontrolle einzelner Besitzer, in der Regel großer Firmen, unterstellt. Ganz besonders problematisch ist die Ausweitung der Patentierbarkeit. Im Un- terschied zum Urheberrecht, der den konkreten Ausdruck sch tzt, lassen sich durch Patente Ideen, unabh ngig von ihrer Implementierung kontrol- lieren. W hrend es kaum mçglich ist, ein Urheberrecht zu verletzen, ohne das urspr ngliche, gesch tzte Werk zu kennen, kann das bei Patenten sehr wohl der Fall sein. Im Softwarebereich, dessen Produkte sich in aller Regel aus vielen einzelnen Modulen (jedes potentiell patentiert) zusammensetzen, kçnnte eine Patentierung dazu f hren, dass kleine und mittlere Entwickler, wie sie gerade im Open Source-Bereich anzutreffen sind, kaum berleben w rden. Ihnen fehlen die Mittel, komplexe und teure Patentabkl rungen durchzuf hren, die eventuell notwendigen Rechte zu erwerben und sich so vor sp teren Klagen zu sch tzen. Diese externen Bedrohungen offener Mo- delle haben in den letzten Jahren zu einer starken Politisierung der diversen Szenen gef hrt. Im Bereich der Softwarepatente ist es der Open Source Community gelungen, wesentlichen Einfluss auf das europ ische Gesetz- gebungsverfahren zu nehmen und Softwarepatente bis auf weiteres zu ver- 314 Neue Formen der ffentlichkeit und kulturellen Innovation hindern. Dies wird aber wohl kaum die letzte Auseinandersetzung in dieser Frage gewesen sein. Die »internen« Probleme liegen ganz anders. Im Fall der Wikipedia zeigt sich mit zunehmendem Erfolg, dass die beiden Grundannahmen (die Viel- f ltigkeit der Kontributoren sichert die Breite des Wissens und die Artikel verbessern sich im Laufe der Zeit) zwar sehr produktiv, aber nur bedingt verl sslich sind. Die Wikipedias spiegeln vielmehr wider, dass einerseits die Internetnutzer nach wie vor nicht repr sentativ f r die (Welt)Bevçlkerung sind und andererseits, dass das, was momentan die Online-Bevçlkerung be- wegt, nicht immer im Verh ltnis zur langfristigen Relevanz des Themas steht. So sind etwa ganze Weltsprachen kaum vertreten (etwa das Arabische) oder ist der Eintrag zum TV-Moderator Thomas Raab in der deutschen Ausgabe der Wikipedia knapp viermal l nger als derjenige zu Giorgio Agamben, einem der f hrenden zeitgençssischen politischen Philosophen. Die Frage, ob die Eigenmotivation von Internetnutzern je ausreicht, um dem Anspruch einer Enzyklop die gerecht zu werden, alle Wissensgebiete gleichermaßen zu erfassen, ist offen. Dahinter verbirgt sich eine komplexe Frage. Wer kann berhaupt bestimmen, was die relevanten Wissensgebiete sind? Bisher wurde dies einfach an Spezialisten delegiert und die ffentlich- keit musste mit der Auswahl vorlieb nehmen, die diese Herren (und we- nigen Damen) trafen. Ist die aggregierte Auswahl vieler besser oder schlech- ter als die selektive Auswahl weniger? Der Vergleich der verschiedenen Enzyklop dien l sst momentan noch keine eindeutige Antwort zu, wobei schon dieses »Unentschieden« ein beachtlicher Erfolg f r die noch sehr jun- ge Wikipedia darstellt. Seitdem es keine weit entfernte Vision mehr ist, die Wikipedia als eines der Standardreferenzwerke des Internets zu etablieren, wird die Frage der Verl sslichkeit der angebotenen Information, die ja jeder frei ver ndern kann, mit großem Nachdruck diskutiert. Das Problem ist folgendes: Wie kann der Benutzer berpr fen, dass die eine Seite, die er sich gerade an- schaut, korrekte Informationen enth lt? Vielleicht ist der Artikel ja noch am Anfang der Entwicklung und Fehler oder Fehlendes sind noch nicht beho- ben, oder vielleicht wurde der Artikel ja gerade vor einer Minute bçsartig verf lscht. Der einzelnen Benutzerin n tzt die allgemeine Tendenz, dass Artikel sich mit der Zeit verbessern, oder dass Vandalismus schnell behoben wird, wenig. Denn f r sie geht es um einen einzigen Artikel in einem ein- zigen Moment. Die Lçsung, an der momentan gearbeitet wird, lehnt sich an eine Praxis an, die in der freien Softwareentwicklung weit verbreitet ist. Dort wird rou- tinem ßig zwischen stabilen und aktuellen Versionen unterschieden. Die 315 Felix Stalder stabile Version zeichnet sich dadurch aus, dass sie intensiv getestet wurde und keine schwerwiegenden Fehler mehr enth lt. Die aktuelle Version da- gegen enth lt die neuesten Features und Softwarecodes, an denen gerade gearbeitet wird. Sie ist daher weniger getestet. Der Benutzer kann nun ent- scheiden, ob er die aktuelle oder die stabile Version benutzen will. hnlich in der Wikipedia: Artikel sollen gepr ft, editiert und dann als stabile Ver- sionen »eingefroren« werden. Der Nutzer kann dann entscheiden, ob er sich die stabile oder die aktuelle Version eines Artikels ansehen will. Dies w rde erlauben, die Verl sslichkeit der Information zu erhçhen und gleichzeitig die freie Edierbarkeit, das Herzst ck des Projektes, zu bewahren. W hrend dieser Ansatz sehr sinnvoll erscheint, ist er in der Praxis nicht einfach um- zusetzen, nicht zuletzt deshalb, weil das Validieren von Information in einer Enzyklop die nicht zu vergleichen ist mit dem Testen von Software. Je mehr Nutzer sich am Testen eines Computer-Programms beteiligen, desto besser, weil mehr Konfigurationen und Anwendungen zum Einsatz kom- men. Dar ber hinaus kann jeder Einzelne das Vorhandensein eines Bugs eindeutig feststellen: das Programm st rzt ab! Bei einem faktenorientierten Artikel gibt es keinen solch eindeutigen Test. Da hilft es auch nicht unbe- dingt, wenn sich viele Personen am Prozess beteiligen. Die Gefahr besteht, dass sich die mehrheitsf hige Meinung, die nicht unbedingt die korrekte sein muss, durchsetzt. Wie relevant dieses Problem ist, l sst sich zu diesem Zeit- punkt noch nicht vorhersagen. Dass auch die »stabile« Version von Wiki- pedia Fehler enthalten wird, ist zu erwarten, die entscheidende Frage ist nur, ob sie mehr Fehler enth lt als konventionelle Werke. Sollten sie entdeckt werden, so lassen sie sich jedenfalls sehr viel leichter als in einer traditionellen Enzyklop die korrigieren. Im Bereich der freien Kulturproduktion liegen die Herausforderungen nochmals anders. Netlabels und hnliche Initiativen in anderen Sparten sind heute noch auf Nischen beschr nkt. Ob und wie diese Modelle auch den Mainstream erreichen kçnnen, ist noch vçllig offen. Vielleicht nie. Mçglich w re, dass sich zwei Sph ren herausbilden, die eine wird durch DRM und die Marktmacht der großen Firmen bestimmt, die andere durch offene Modelle, Nischen und Spezialisierung. Inwieweit diese beiden Modelle auf derselben rechtlichen und infrastrukturellen Grundlage existieren kçn- nen, ist aber noch vçllig offen. Das ist aber nicht alles. F r Kulturschaffende, deren Werke sich nicht zur Live Performance eigenen, bergen die offenenModelle auch einige Risiken. Bisher hat ihnen der Verkauf derWerke eine gewisse Autonomie gegen ber Auftraggebern und Fçrderungskommissionen gesichert. Diese kçnnte nun wegfallen. Die Autonomie aufzugeben und neue Finanzierungsmodelle zu 316 Neue Formen der ffentlichkeit und kulturellen Innovation suchen, stellt aber die Position des K nstlers, paradoxerweise besonders auch im Hinblick auf k nstlerische Freiheiten, grunds tzlich in Frage. Ein Versuch, das Problem der Verg tung kultureller Produzenten bei freiem Austausch kultureller G ter grunds tzlich anzugehen, ist die so ge- nannte Kulturflatrate. Die wesentliche Idee ist, Urheber, deren Werke ber das Internet verteilt werden, indirekt zu entsch digen. Anstatt auf DRM- gest tze pay-per-use Modelle zu setzen, sollte eine pauschale Abgabe etwa auf den Breitband-Internetzugang erhoben werden. Aus dem so entstehen- den Topf kçnnten dann die Urheber gem ß der Benutzung ihrer Werke durch die ffentlichkeit entsch digt werden. hnliche Systeme bestehen heute bereits. So wird auf so genannte Leermedien (Blank CD, Tapes etc.) eine Abgabe erhoben, die dann durch die Verwertungsgesellschaften (Gema, VGWort etc.) an die Urheber weitergereicht wird. Dieses indirekte System ist in der heutigen Praxis allerdings mit einigen Problemen behaftet (man- gelnde Transparenz, Fragen der Verteilungsgerechtigkeit) und die Auswei- tung eines verbesserten Systems auf das Internet kçnnte nur mit sehr starkem politischen Wille geschehen. Dieser besteht im Moment weder auf natio- naler noch auf internationaler Ebene. Die Diskussion zeigt aber die Vielfalt der neuen Modelle der freien Kultur, ber die aktuell nachgedacht wird. All diese Schwierigkeiten bergen aber auch kreatives Potential, solange sich die rechtlichen und technologischen Rahmenbedingungen nicht deut- lich verschlechtern. Und wie die Versuche, eine stabile Version der Wiki- pedia zu entwickeln, zeigen, wird mit Nachdruck an innovativen Lçsungen gearbeitet. Das Potential dieser neuen Formen der ffentlichkeit und kul- turellen Innovation ist noch lange nicht ausgereizt. Jetzt, da es trivial ist, perfekte Kopien herzustellen und diese weltweit zu vertreiben, gibt es keine normative Rechtfertigung mehr, Menschen den Zugang zu Wissen, Infor- mation und Kultur zu verwehren. Die Nachfrage besteht. Der Vertrieb stellt keine H rde mehr dar. Was neu organisiert werden muss, ist die Produktion der »ersten Kopie«. Die freien Lizenzen haben daf r eine solide, rechtliche Grundlage geschaffen. Die freie Kooperation Tausender, die ihrer eigenen Motivation und ihren eigenen Talenten folgen, hat sich als hçchst produktiv erwiesen und wird mit zunehmender Organisationserfahrung wahrschein- lich noch produktiver werden. F r individuelle Kulturschaffende stellt die Mçglichkeit, ein weltweites Publikum zu erreichen, ohne sich ins Anfor- derungskorsett globaler Verwerter zw ngen zu m ssen, eine Bereicherung dar, die weit grçßer ist, als die Risiken und offenen Fragen, die sich aus den neuen Modellen ergeben. Es zeichnet sich ein Paradigmenwechsel in der Produktion und dem Vertrieb von Wissen und Kultur ab, der keineswegs nur auf den nicht- 317 Felix Stalder kommerziellen Bereich beschr nkt ist. Die ersten Modelle, die das neue Paradigma realisieren, sind bereits in Betrieb. Ihr langfristiges berleben ist allerdings noch nicht gesichert. Anmerkungen 1 Siehe die Beitr ge von Thomas Dreier und Georg Nolte sowie von Till Kreutzer in diesem Band. 2 Siehe den Beitrag von Robert Gehring in diesem Band. 3 Siehe auch den Beitrag von Friedemann Kawohl und Martin Kretschmer in diesem Band. 4 Vgl. dazu auch den Beitrag von Robert Gehring in diesem Band. 5 Siehe dazu den Beitrag von Volker Grassmuck in diesem Band. 318 Bernd Lutterbeck Die Zukunft der Wissensgesellschaft 1. Einf hrung »Du wirst ein großes Reich zerstçren!« Krçsus, der das Orakel von Delphi vor seinem Feldzug gegen die Perser ber seine Erfolgsaussichten befragt hatte, sah sich in seinen Pl nen best tigt. Das Orakel behielt der berlie- ferung zufolge Recht – allerdings hat Krçsus sein eigenes Reich zerstçrt. Auch heute wollen Menschen Dinge wissen, die man gar nicht wissen kann, die ihre Entscheidungen aber trotzdem rechtfertigen. Es ist uns nicht entgangen, dass in den letzten Jahrzehnten eine gravierende gesellschaftliche Ver nderung stattgefunden hat und weiter andauert. Man setzt seine Hoff- nungen zum Beispiel in die Wissenschaften, die sich bem ht haben, diese Ver nderungen auf den Begriff zu bringen: Die einen sprechen von Infor- mationsgesellschaft. F r diesen Begriff hat sich etwa die Europ ische Union entschieden, die den Bereich »Informationsgesellschaft« und die Medien bei einer Kommission zusammengefasst hat: »The Information Society and Media portfolio represents an economic sector which is crucial for prosperity and quality of life in the European Union. This portfolio stretches from the underlying communications infrastructures to the content and services they deliver. It encompasses telecommunication networks, broadband internet access and satellite communications, new communications technologies such as ›3G‹ mobile communications and Internet telephony, and digital material as diverse as cinema releases and advanced eHealth services.«1 »Informationsgesellschaft« ist seit 1994 ein etablierter Begriff im Insti- tutionengef ge der Europ ischen Union und der Vereinten Nationen. Viele Wissenschaftler kritisieren diese Begriffsbildung und bevorzugen den Begriff »Wissensgesellschaft«. Informationsgesellschaft sei kaum mehr als eine »popul re Begriffsh lse«,2 dieser Begriff betone zu sehr die tech- nisch-çkonomische Bedeutung: »Im Gegensatz zum technizistischen Be- griff der Informationsgesellschaft erçffnet ›Wissensgesellschaft‹ eine Pers- pektive, die auf den Willen und die Bef higung der Menschen zur Selbstbestimmung setzt. Nicht Rechnerleistungen und Miniaturisierung werden die Qualit t der k nftigen gesellschaftlichen Entwicklung bestim- 319 Bernd Lutterbeck men. Entscheidend wird die Auswahl des N tzlichen und die F higkeit zum Aushalten von Ambivalenzen und Unsicherheit sein, die Gestaltung des Zugangs zu Wissen und der fehlerfreundliche Umgang mit dem Nicht- wissen.«3 Ob wir nun mit dem Begriff »Informationsgesellschaft« die Technikent- wicklung in den Vordergrund stellen oder mit dem Begriff »Wissensgesell- schaft« die gesellschaftlichen Implikationen, eines steht fest: Die Informati- sierung der modernen Welt ist eines ihrer herausragenden Kennzeichen. Der Philosoph Helmut Spinner spricht von »der vorwiegend technikindu- zierten, informationskonzentrierten gesellschaftlichen Entwicklung«.4 In dieser Epoche, in der Artefakte und Natur kaum mehr unterscheidbar in- einander verwoben sind, hnelt die Frage nach der Priorit t von Technik oder Gesellschaft ein wenig an das »Huhn oder Ei-Problem«. Deshalb sollte man die Streitigkeiten um den richtigen Begriff auf sich beruhen lassen und die Gemeinsamkeiten betonen. Denn alle Auffassungen stimmen darin berein, dass die Bedeutung von Information oder Wissen in unseren Ge- sellschaften gewaltige analytische und konzeptionelle Herausforderungen zur Folge hat: Es geht um nichts anderes als »einen Beitrag zur Neuordnung der Gesellschaft im gesamten Wissensfeld«.5 Vor allem f r Politiker aller Couleur ist die Versuchung groß, auf diese Herausforderung mit dem einen Konzept zu antworten, mit dem sich die Vielfalt k nftiger Beziehungen erfassen l sst. Meine These ist: Ein solches Vorgehen w re nicht nur sch dlich, sondern auch nutzlos. Die zuk nftige Welt ist nicht mehr von oben herab planbar, ist nicht mehr durch berschau- bare hierarchische Beziehungen beherrschbar und gestaltbar. Ein solcher Steuerungsgedanke w re in der k nftigen Welt des Wissens berholt. Er w re eine »Anmassung von Wissen« (von Hayek) ber etwas, was wir nicht wissen kçnnen. Wir kçnnen eigentlich nur orakeln und m ssen uns wohl damit abfinden, dass unsere F higkeit, die Zukunft vorherzusagen, seit der Antike nicht dramatisch zugenommen hat. Allerdings haben die Wissenschaft und viele Menschen gelernt, mit diesen prinzipiellen Grenzen umzugehen: Man muss die Zukunft »offen« halten – wann immer und wo immer es mçg- lich ist. 320 Die Zukunft der Wissensgesellschaft 2. Die großen Trends: Dezentralisierung, Kooperation und die »Allgegenw rtigkeit« des Computers »Wir nennen eine Mehrzahl von Menschen eine Gesell- schaft, wenn ihre Handlungen wechselseitig aufeinander abge- stimmt sind. Die Menschen kçnnen in der Gesellschaft ihren Zielen mit Erfolg nachgehen, weil sie wissen, was sie vom Mitmenschen zu erwarten haben. Ihre Beziehungen zeigen eine gewisse Ordnung.« (von Hayek) In Zeiten des Umbruchs und sehr schneller weltweiter Entwicklungen ist es unklar, welche Ordnung entstanden ist und wie die Beziehungen der Menschen zueinander sich ver ndert haben. Eine solche Ordnung und ihre gesellschaftliche Institutionen entstehen nicht, weil sie zweckm ßig sind, sondern ihre Zweckm ßigkeit stellt sich erst heraus, nachdem sie entstanden sind. Gesellschaftliche Entwicklung verl uft also ungeplant und in keiner Weise rational, insbesondere folgt sie nicht einem ber- individuellen Prinzip: Sie ist ungeplant, aber dennoch gerichtet und struk- turiert. Diese S tze sind so etwas wie die Summe der Einsichten, mit denen sich das epochale Hauptwerk »Der Prozess der Zivilisation« von Norbert Elias zusammenfassen ließe.6 Norbert Elias, der sich immer als Menschenwissen- schaftler verstehen wollte und weniger als Soziologe, hat darauf aufmerksam gemacht, dass man die Entwicklung von Gesellschaft nur verstehen kann, wenn man sehr lange Zeitr ume in die Betrachtung einbezieht – nicht we- nige Jahre, nicht Jahrzehnte, sondern viele Jahrhunderte. Erst dann kann man entdecken, wie sich alles zusammenf gt. Diese Einsicht ist einerseits ern chternd. Besagt sie doch, dass man vor- sichtig sein muss, heute die Elemente einer Wissensgesellschaft festlegen zu wollen, deren Gestalt wir rational noch nicht einmal erahnen kçnnen. An- dererseits kçnnte die Botschaft von Elias optimistisch stimmen: Sie verweist auf uns Menschen als die Subjekte der Gestaltung eines in die Zukunft hin offenen Prozesses. In der Wissenschaft gibt es eine Art Konsens, dass drei Trends dieses Feld der Gesellschaft und damit die Muster des menschlichen Verhaltens bestimmen werden: – Technologischer Trend: Der Computer »verschwindet« (Ubiquitous Computing) – Gesellschaftlicher Trend: Dezentralisierung und Abbau von Hierarchien – konomischer Trend: Kooperation lohnt sich 321 Bernd Lutterbeck Technologischer Trend Marc Weiser hat um 1990 als Mitarbeiter von Xerox eine Vision des Com- puters im 21. Jahrhundert entworfen: »Die tiefgreifendsten Technologien sind die, die verschwinden. Sie verbinden sich mit den Strukturen des t g- lichen Lebens, bis sie von ihnen nicht mehr zu unterscheiden sind.«7. Je nach Standpunkt wird dieser Trend mal mit Allgegenw rtigkeit (Ubiquitous Computing) oder auch Durchdringung (Pervasive Computing) bezeichnet. In der ffentlichkeit schon diskutierte Auspr gungen sind so genannte RFID-Tags, mit denen alle Dinge des Lebens wie Kleidung oder Lebens- mittel gekennzeichnet werden kçnnen und damit prinzipiell verortbar sind. Hierhin gehçren zum Beispiel moderne Mobiltelefone, die mit Menschen und der Dingwelt Kontakt aufnehmen kçnnen und moderne Autos, die l ngst rollende Computer geworden sind. F r Weiser kennzeichnet diese Form des Vordringens von Computern in die Alltagsdinge die dritte Stufe der Computerentwicklung: Zuerst gab es die großen – Mainframe genann- ten – Computer, die hermetisch abgeschlossen in teils riesigen Computer- s len herumstanden. Dann kamen die Personalcomputer auf unsere Schreib- tische; danach »the age of calm technology, when technology recedes into the background of our lives«.8 Heute ist die kaum 20 Jahre alte Vision von Marc Weiser ein St ck un- seres Alltags, auch des wissenschaftlichen Alltags in zahllosen Kongressen. Ihr technisches Substrat ist wohl die zunehmende Dezentralisierung von Computern. Intelligente Netzwerke, die die Dinge verteilen und einander zuordnen, werden zu einem strukturbestimmenden Merkmal einer Wis- sensgesellschaft. Wenn jedes Ding in der Welt im Prinzip die Eigenschaften eines Computers annehmen kann und wir Menschen mit diesen Dingen kommunizieren, dann muss auch das Wissen der Menschen eine andere Form annehmen. Diese Entwicklung ist so neu und je nach Standpunkt phantastisch oder bedrohlich, dass irgendwelche Lçsungen in weiter Ferne zu sein scheinen.9 Gesellschaftlicher Trend Die Open Source Bewegung ist in ihren Kindertagen bel chelt worden als die Herzensangelegenheit einiger freekiger Informatiker zumeist j ngeren Alters. Mit dem çkonomischen Erfolg vieler Produkte wie dem Betriebssystem Li- nux oder dem Webserver Apache begannen sich auch konomen mit dem Ph nomen zu besch ftigen.10 Es entstehen hochwertige Produkte, f r die – 322 Die Zukunft der Wissensgesellschaft vordergr ndig jedenfalls – niemand bezahlt wird. Dies widerspricht traditio- neller çkonomischer Weisheit. Was ist die Rationalit t dieses Ansatzes? Zwei Professoren der renommierten Sloan Management School am Massachusetts Institute of Technology (MIT) haben die heute mçglichen Antworten in B chern zusammengefasst. Die Titel lesen sich wie ineinander greifende Pro- gramms tze dieses gesellschaftlichen Trends zur Dezentralisierung: – »Demokratisierung der Innovation« (von Hippel) – »Die Zukunft der Arbeit. Wie die neue Ordnung der Unternehmenswelt Ihre Organisation, Ihren F hrungsstil und Ihr Leben ver ndern wird« (Malone) Von Hippel kann zeigen, dass Innovationen heute in hohem Maße von den Benutzern selber erzeugt werden. Die klassischen Hersteller, der traditio- nellen Theorie zufolge Quelle von Innovationen, verlieren an Bedeutung. An ihre Stelle treten »Anwender-Innovationsnetzwerke«, die von An- wendern und f r Anwender aufgebaut und unterhalten werden. Software- projekte seien hierf r aufregende Beispiele. Jedem Teilnehmer an einem solchen Netzwerk, egal ob Individuum oder Unternehmen, sei es auf diese Weise mçglich, genau das zu entwickeln, woran Bedarf besteht. »Es ist in diesen Netzwerken nicht mehr notwendig, Hersteller als Agen- ten in Anspruch zu nehmen. Hinzu kommt, dass nicht mehr jeder einzelne Anwender alles selbst entwickeln muss: Die Anwender kçnnen auf In- novationen zur ckgreifen, die von den anderen Anwendern entwickelt und der Anwendergemeinschaft frei zur Verf gung gestellt wurden.«11 So haben viele einzelne Menschen die Chance, der »schçpferische Unterneh- mer« zu werden, den der konom Joseph Schumpeter als wichtigsten Akteur des wirtschaftlichen Fortschritts beschrieben hat.12 Dies aber er- fordert, dass das Wissen frei von Urheber- und Patentrechten verteilt wird. Offenheit der Wissensquellen wird so eine der Bedingungen çkonomischen Erfolges. Malone, immerhin einer der f hrenden Unternehmensberater der USA, hat eine tiefer gehende Begr ndung f r diesen ver nderten Gebrauch von Wissen gesucht. Urs chlich f r den Erfolg solcher Netzwerke sei, so Ma- lone, eine ungewohnte Form der Kontrolle der Arbeit anderer und eine neue Weise, wie man sich selber und andere motiviert. Es handele sich um einen allgemeinen, nicht umkehrbaren gesellschaftlichen Trend. Die Entwicklung von Open Source-Software sei also nur ein Beispiel f r ein viel grçßeres Ph nomen. Malone fasst diesen Trend zur Dezentralisierung13 in folgendem Bild zusammen: 323 Bernd Lutterbeck Abb. 1: Stufen der Zentralisierung zentralisiert dezentralisiert Art der Entscheidungs- Zentralisierte LockereHierarchien Hierarchien Demokratien Märktefindung Traditionelle Consulting- Politische Freie Märkte, Beispiele militärische Firmen, Demokratien, Internet, Organisationen Universitäten Aktionärs- Firmeninterneversammlungen Märkte Malone 2004, S. 6. Interessanterweise verfolgt Malone diesen Trend von Hierarchien zu lose verkn pften Netzwerken ber einige Jahrtausende, beginnend bei den ers- ten J gern unter den Menschen, die in Gruppen organisiert waren. In jeder historischen Epoche habe es gute çkonomische Gr nde gegeben, Entschei- dungsbefugnisse mal zu zentralisieren, mal zu dezentralisieren. Heute bewe- ge man sich gewissermaßen zur ck zu den Organisationsformen der fr hen St mme. Dies sei zum einen Folge der dramatisch gesunkenen Kosten f r Kommunikation. Man braucht eben nicht mehr unbedingt Leute »oben«, die einem sagen, wo es langgeht. Das Wissen entstehe an vielen Orten und kçnne mit Hilfe der modernen Informationstechnologien auch zielgerecht verteilt werden. Es entstehe aber besonders unter den Bedingungen von Freiheit. Demokratien seien deshalb unvermeidlich, einfach weil sie effi- zienter sind in Zeiten dauernden Wandels. F r den Erfolg entscheidend sind also in der Realit t immer h ufiger nicht der Rang in der Hierarchie, sondern die spezifischen F higkeiten einzelner Menschen und ihre Bereit- schaft zu kooperieren. Diesen Zusammenhang von gesellschaftlichen Institutionen und menschlichem Verhalten hat auch Norbert Elias ins Zentrum seiner Be- trachtungen gestellt. Das Verhalten der Menschen reguliere sich je nach den Gegebenheiten. Baumgart und Eichener, die Interpreten von Nor- bert Elias, geben hierf r ein schçnes Beispiel aus der Arbeitswelt: »(Zu- n chst) erscheint man p nktlich zur Arbeit, weil man sonst drakonische Strafen zu erwarten h tte (Pr gelstrafen in Handwerksbetrieben, Fabrikord- nungen im Fr hkapitalismus, ca. 19. Jahrhundert); (danach), weil es sich f r einen anst ndigen Mitarbeiter gehçrt, p nktlich zu sein (Arbeits- und Berufsethik; ca. bis Ende des 20. Jahrhunderts); (jetzt) ist man nur noch dann 324 Die Zukunft der Wissensgesellschaft p nktlich, wenn es wirklich nçtig ist (gleitende Arbeitszeit, Arbeitautono- mie, gegen Ende des 20. Jahrhunderts, zun chst nur in hçheren Berufs- gruppen).«14 Die letzte, heutige Phase der Entwicklung konnten die Autoren noch nicht vorhersehen: Es gibt nur solche Regeln, die sich die Arbeitenden selbst gegeben haben. Zumindest gilt das f r einen grçßer werdenden Teil unseres gesamtenWirtschaftslebens und des Alltags. Das heißt zusammengefasst: Die Notwendigkeit von externer hierarchischer Kontrolle nimmt, historisch be- trachtet, ab. Das Buch von von Hippel ist f r sich ein gutes Beispiel, wie sehr sich der Alltag von vielen Menschen schon auf dieses neue Modell der Kooperation eingestellt hat. Er stellt ein Buch des angesehenen MIT-Verlages kostenlos unter einer Creative Commons-Lizenz ins Internet und widmet es »allen, die an einer Informations-Allmende bauen«. Kooperation lohnt sich Die kommende Wissensgesellschaft verlangt von uns, dass wir anders mit dem Wissen anderer Menschen umgehen. Dies war schon die fr he, aller- dings unspezifische Vorhersage von Vannevar Bush, einem herausragenden Wissenschaftler seiner Zeit und Leiter des Mannhattan-Projekts.15 Ein halbes Jahrhundert sp ter haben wir mit dem Internet eine technische Infrastruktur, mit der sich die Forderung von Bush umsetzen l sst. Es w re viel gewonnen, wenn man Prinzipien finden w rde, mit denen sich erkl ren ließe, warum sich eine spontane Ordnung wie das Internet herausgebildet hat. Ein Schritt auf demWeg zu einem solchen Prinzip ist die Abkehr vom so genannte homo oeconomicus – von der Vorstellung, ein Mensch, verhielte sich ausschließlich vern nftig und verfolge immer seinen Eigennutz. Ein solcher Mensch w re nat rlich leicht berechenbar, zumindest f r bestimmte Wissenschaften. F r einen solchen Blick auf den Menschen ist der Erfolg von Open Source Software (OSS) – das Internet w rde ohne OSS nicht funktionieren kçnnen – eine große Herausforderung. Warum machen Menschen so etwas, obwohl sie doch scheinbar daf r keine Belohnung be- kommen? Die erste Antwort ist einfach: Weil sie nicht so handeln, wie konomen fr her angenommen haben. Der Mensch ist kein strikter homo oeconomicus. Sehr viel schwieriger ist es, diese Frage positiv zu beantworten. Hierum bem ht sich ein moderner Zweig der Wissenschaft, die empirische Wirt- schaftsforschung, die sehr enge Bez ge zu Psychologie und Anthropologie 325 Bernd Lutterbeck herstellt.16 Eine einfache Frage mag die Relevanz dieser Forschungen ver- deutlichen: Solange es Menschen gibt, hat es immer Aktivit ten gegeben, die sie gemeinsam verrichten mussten: Fischen, Jagen großer Tiere, Krieg, Bewahrung gemeinsamer Eigentumsressourcen. Jeder in einer Gruppe pro- fitierte von dem so konstituierten çffentlichen Gut, also auch diejenigen, die nichts zum Ergebnis beigetragen hatten: die Trittbrettfahrer. Diese fr hen Menschen haben etwas »gebaut«, was wir heute mit dem Wort »Allmende« bezeichnen: »Eine Allmende ist eine Ressource, die gemeinsam genutzt wird und deren Zugriff offen f r alle Nutzer ist – unbeschadet ihrer Identit t oder des intendierten Gebrauchs.«17 Das Verhalten dieser Menschen ber- rascht, da die Teilnahme an solchen Aktivit ten durchaus kostenintensiv ist. Eigentlich m sste es sich lohnen, das Gut zu genießen und sich im brigen vor Arbeit und Todesgefahr zu dr cken. Trotzdem hat in der Evolution die Kooperation berwogen. Die Frage ist also: Welcher Mechanismus sorgt daf r, dass menschliche Kooperation bei der Konstituierung çffentlicher G ter anscheinend der Normalfall ist? Es scheint empirische Gewissheit zu geben, dass Formen des Altruismus der menschliche Normalfall sind. Handlungen werden auch dann belohnt, wenn damit Nachteile verbunden sind. Es muss allerdings eine gewisse Ge- genseitigkeit vorhanden sein. Offensichtlich wird das Verhalten der Men- schen durch soziale Normen gesteuert, die sich im Verlauf der Evolution als sinnvoll herausgestellt haben. Elinor Ostrom, eine der bedeutendsten ame- rikanischen Sozialwissenschaftlerinnen, hat diesen Stand der Wissenschaft in ihrem herausragenden Buch ber Allmenden so zusammengefasst: »Es gibt gewichtige Belege daf r, dass die Menschen eine ererbte F higkeit besitzen zu lernen, Reziprozit t und soziale Regeln so zu nutzen, dass sie damit ein breites Spektrum sozialer Dilemmata berwinden kçnnen. … Im Wesent- lichen bedeutet Reziprozit t, auf die positiven Handlungen der anderen mit einer positiven Antwort und auf die negativen Handlungen der anderen mit irgendeiner Form der Bestrafung zu reagieren.«18 Diese Ergebnisse der empirischen Wissenschaften sind f r die Diskussio- nen um die Ordnung des Wissens außerordentlich ermutigend. Sie zeigen, dass Allmenden die berlegene Organisationsform sein kçnnen – kçnnen, nicht m ssen. Sie zeigen wahrscheinlich zweitens, dass das Internet aufgrund von Prinzipien der Kooperation gebaut wurde, die sich im Laufe der Evo- lution als sinnvoll und n tzlich herausgestellt haben. Mithin sind es in ho- hemMaße soziale Normen, die die Entwicklung hin zu einerWissensgesell- schaft dominiert haben und weniger staatliche Gesetze. Man kann den aktuellen Streit um digitale Urheberrechte und Softwarepatente deshalb auch so verstehen, dass sie diesen erprobten Prinzipien der Evolution wider- 326 Die Zukunft der Wissensgesellschaft sprechen – als Konflikt zwischen den sozialen Normen der Kooperation und (teilweise) veralteten staatlichen und berstaatlichen Gesetzen. 3. Eine Ordnung f r das Wissen »Ideen m ssen sich frei ausbreiten vom einen zur anderen ber die Welt, zur gegenseitigen Belehrung der Menschen. Frei wie die Luft, in der wir atmen, uns bewegen, ja unsere ganze physische Existenz haben, ganz und gar ungeeignet f r ein Eingesperrtsein oder exclusive Aneignung. Deswegen kçnnen Erfindungen niemals Eigentum von irgendjemand auf diesem Erdball werden. Um nicht missverstanden zu werden: Nat rlich kann die Ge- sellschaft irgendwelche Regeln setzen, die einem Erfinder ex- clusive Rechte verleihen. Aber es handelt sich nicht um ein nat rliches Recht, es geht alleine um den Nutzen f r die Ge- sellschaft.« (Thomas Jefferson, 1813) Die bipolare Struktur des »Geistigen Eigentums« Im sp ten 19. Jahrhundert waren die damals f hrenden Staaten der Welt zur Einsicht gelangt, dass man alles, was um Ideen und Wissen herum zu regeln ist, in eine spezifische Ordnung bringen muss. Mit Hilfe dieser Ordnung sollte der weltweite Handel mit gewerblichen Produkten und literarischen Erzeugnissen erstmals reguliert werden. Denn die jeweiligen Schutzrechte endeten an den Grenzen der Nationalstaaten. Ein knappes Dutzend Staaten schloss sich 1883 bzw. 1886 zu Staatenverb nden zusammen, mit eigenen Verwaltungsorganen und B ros in Paris bzw. Genf. Ihr wesentliches Ziel war es, zwei neue internationale Vertr ge mit Leben zu versehen: – Pariser Verbands bereinkunft zum Schutz des gewerblichen Eigentums von 1883 (PV ) – Berner bereinkunft zum Schutze von Werken der Literatur und Kunst von 1886 (RB ).19 Diese und andere Vertr ge werden heute durch eine Sonderorganisation der Vereinten Nationen, die WIPO (World Intellectual Property Organization) in Genf verwaltet. Das wesentliche Ziel dieser Vertr ge ist es damals wie 327 Bernd Lutterbeck heute, geistige Leistungen grenz berschreitend zu sch tzen und anzuerken- nen.20 Es ist wichtig, diese historische Entwicklung in Erinnerung zu behalten: Unser heutiges System reflektiert eine Logik des 19. Jahrhunderts. Jerome Reichman, einer der f hrenden Akademiker der USA f r Fragen des »Geis- tigen Eigentums« hat die entscheidenden logischen Elemente dieses Systems in einer Zeichnung so zusammengestellt: Abb. 2: Die bipolare Struktur des internationalen Systems f r »Geistiges Eigentum« Art Inventions Literary and artistic property Industrial property (Personal intellectual creation) (Applied scientific discoveries) Copyrights Patents for Inventions (Berne Convention, 1886) (Paris Convention, 1883) Free Competition Reichman (1992), S. 327 Es gibt drei Elemente: – Den Bereich des gewerblichen Eigentums und der Patente, – den Bereich k nstlerischen Schaffens und der Rechte von Autoren, – einen Bereich des freien Wettbewerbs. In der Sicht des 19. Jahrhunderts war durch die ersten beiden Elemente der Bereich abgedeckt, den wir heute »Wissensproduktion« nennen. Man hat im gewissen Sinne eine ganze Welt entworfen. Das sp rt man deutlich am Wortlaut der Patent-Konvention von 1883, die auch kleinste unwichtige Dinge in der Welt erfassen will. Was veranlasst denn die Staaten der Welt, f r (aus heutiger Sicht) so unwichtige Dinge wie Mineralwasser und Mehl einen eigenen Staatenverband zu gr nden, die wir in unserem heutigen Ver- st ndnis kaummit dem Begriff »Geistiges Eigentum« in Verbindung bringen w rden? Die wenigen noch fehlenden Erzeugnisse menschlicher Geistest tigkeit konnte man dann in dem Berner bereinkommen unterbringen. Die Kon- ventionen errichteten also eine abgeschlossene Welt mit klaren Grenzen. Das dritte Element »Wettbewerb« bezieht sich auf die Rechtfertigung von Patenten bzw. Urheberrechten. konomisch gesehen handelt es 328 Die Zukunft der Wissensgesellschaft sich bei diesen Rechten um staatliche Monopole, die einem Schçpfer ver- liehen werden, damit er weiterhin Anreize f r Schçpfungen hat. Zugunsten des Schçpfers, zugunsten weiterer Innovationen wird der Wettbewerb ein- geschr nkt. In demokratisch verfassten Gesellschaften ist eine solche Ein- schr nkung des Wettbewerbsprinzips durch Monopole nur mçglich, wenn es hierf r eine rechtlich legitime Begr ndung gibt. Diese çkonomische Rechtfertigung des »geistigen Eigentums« war f r Patente schon im 19. Jahrhundert umstritten. Ein fr her Kritiker war »TJ«, Thomas Jefferson, der dritte Pr sident der USA. Was ihn f r unsere Prob- leme besonders interessant macht: Das erste Patent der USA tr gt die Unter- schrift von George Washington und »TJ«, er war der erste Chef des gerade gegr ndeten Patentamtes der USA. Das Patent Office war f r ihn Symbol der amerikanischen Kreativit t. Und er war selbst Erfinder. Fundamental f r sein Denken war sein Glaube an die Freiheit von Ideen und die Furcht, dass diese Freiheit durch irgendwelche Restriktionen eingeschr nkt werden kçnnte. »TJ« hatte deshalb ein klare Vorstellung davon, was eine Regierung darf und was nicht: Der Staat soll Informationen an seine B rger verteilen, auf den materiellen Profit f r die Erfinder komme es erst in zweiter Linie an. Ein fr hes Konzept einer demokratischen Technologie: Alle Ideen m ssen den B rgerinnen und B rgern zugute kommen. Nur ausnahmsweise d rfe man einem Erfinder ein vor bergehendes Monopol geben, wenn der gesell- schaftliche Nutzen f r alle erwiesen ist. Am Beispiel von Software, dem grundlegenden Baustein der Wissens- gesellschaft, zeigt sich, dass auch die çkonomische Rechtfertigung des Urhe- berrechts ins Wanken gekommen ist. In der gedanklichenWelt des 19. Jahr- hunderts konnte etwas nur entweder dem Patent- oder dem Urheberrecht unterliegen. Die Gegenst nde der jeweiligen Vertr ge schlossen sich also logisch aus. Man kann sich dieses bipolare System als ein System kommuni- zierender Rçhren vorstellen. Etwas berspitzt ausgedr ckt: In der gedank- lichenWelt des 19. Jahrhunderts gab es nur vonMenschen gemachteWaren, mit denen sich handeln ließ, und Dichtungen. Ein Drittes gab es nicht. Alles hatte seinen definierten Platz. Software ist aber ein »Hybrid«, f llt sowohl in das Patentrecht wie das Urheberrecht. Die Juristen aller L nder haben das Problem mit einer Art Taschenspielertrick gelçst. Rechtlich wird Software deshalb heute als literarisches Werk behandelt. Ein Textverarbeitungspro- gramm und Goethes Faust sind also rechtlich gleich. Die Diskussion um die Einordnung von Software dauert schon einige Jahrzehnte an und hat bis heute zu keinem befriedigenden Ergebnis gef hrt. Das logische Problem eines abgeschlossenen bipolaren Systems, das die çko- nomischen Interessen eines vergangenen Jahrhunderts bedient, legt die tie- 329 Bernd Lutterbeck fere Ursache eines in wesentlichen Teilen dysfunktionalen Systems offen: Das Innovationsmodell des ausgehenden 19. Jahrhunderts, das die beiden Konventionen widerspiegeln, passt nicht auf die Bed rfnisse einer Wissens- gesellschaft. Es hat den Anschein, dass Interessen des Handels und der Wille, sich nationale Vorteile zu sichern, diese Konzeption von »geistigem Eigen- tum« dominiert haben. Das Internet – eine Allmende f r Innovation Jede, die heute in der Welt des Wissens Ordnung schaffen will, steht vor zwei prinzipiellen Schwierigkeiten oder Dilemmata: Erstens: Man muss mit einem System des »Geistigen Eigentums« arbeiten, das wahrscheinlich schon von Beginn an dysfunktional war. Dies ist jedenfalls die berwiegende Auffassung der çkonomischen Wissenschaften, die Fritz Machlup 1958 un bertroffen so auf den Begriff gebracht hat: »Wenn man nicht weiß, ob ein System ›als Ganzes‹ (imGegensatz zu bestimmten Elemen- ten oder Bestandteilen) gut oder schlecht ist, so ist die sicherste Folgerung, die sich ziehen l sst, die, so wie bisher weiterzumachen – entweder mit dem System, wenn man lange mit ihm gelebt hat, oder ohne das System, wenn man bisher auch so auskam. G be es bei uns keinen Patentschutz, so w re es nach der gegenw rtigen Kenntnis seiner wirtschaftlichen Folgen unverant- wortlich, die Annahme eines Patentgesetzes zu empfehlen. Da wir aber seit langer Zeit ein Patentgesetz haben, w re es nach unserem gegenw rtigen Kenntnisstand ebenso unverantwortlich, seine Abschaffung zu empfehlen.«21 Damit h ngt zweitens eine politische Einsicht zusammen: Man darf ein schlechtes System erst dann aufgeben, wenn man ein besseres hat. Die po- litischen Entscheidungstr ger stehen deshalb vor einem Dilemma: Entweder sie tun nichts oder potentiell das Falsche. Es gibt also beides: ein Erkennt- nisdilemma und ein Gestaltungsdilemma. Die Diskussionen um die Ord- nung im Cyberspace haben aber gezeigt, dass es einen Ausweg gibt. Nach meiner festen berzeugung geb hrt dem an der Stanford University Recht lehrenden Wissenschaftler Lawrence Lessig das Verdienst, dieses Konzept f r das Neue entdeckt und in zwei B chern publiziert zu haben: in Code and Other Laws of Cyberspace (1999) schl gt er ein neues Modell der Regulierung vor und begr ndet in The Future of Ideas. The Fate of the Com- mons in a Connected World (2001) das Wettbewerbsprinzip als technisches Konstruktionsprinzip des Internets: die Innovations-Allmende. Viele Einzelaspekte sind inzwischen Allgemeingut einer weltweiten f- fentlichkeit, darunter seine »Creative Commons Initiative«.22 Sein wichtigs- 330 Die Zukunft der Wissensgesellschaft tes Anliegen beginnt aber erst langsam ins Bewusstsein vorzudringen: »Es ist ein Nutzen f r Ressourcen, wenn sie als Allmende organisiert werden und das Internet ist das beste Beispiel f r diesen Nutzen. Das Internet bildet eine Innovations-Allmende (innovation commons). Es formt diese Allmende nicht alleine durch Normen, sondern auch durch eine spezifische Architek- tur. Das Netz dieser Normen und diese Architektur sind der Raum, in dem Kreativit t sich ausbreiten kann.«23 Die Grundidee von Lawrence Lessig ist denkbar einfach. Er hat erkannt, dass das Herz dieser neuen vernetzten Welt – er vermeidet Worte wie Wis- sensgesellschaft – das Internet ist: – Das Internet als eine technisch-informatische »Architektur« bildet einen Raum. – Dieser Raum ist als Allmende24 organisiert. – Dieser Raum ermutigt Nutzer zu Innovationen. – Die technischen Strukturen dieses Raums haben regelbildende Funktio- nen. Das Internet wird so zu einem Modell der Wissensgesellschaft insgesamt. Seine Betrachtungsweise macht es ihm also mçglich, einfache Fragen zu stellen und eine Komplexit t, wie sie angesichts der Vielfalt diskussions- bed rftiger Probleme zu bef rchten w re, zu vermeiden. Die intellektuelle und politische Sprengkraft der Idee von Lessig liegt in dieser Vorstellung des Internets als Allmende. Wenn der Raum, der nach Auffassung von Politik und Wirtschaft konstitutiv f r den k nftigen Wohl- stand und die Wettbewerbsf higkeit unserer Gesellschaften ist, nicht den Gesetzm ßigkeiten des Privateigentums unterworfen ist, dann steht offen- sichtlich ein zentrales Bauprinzip unserer westlichen Gesellschaften ins- gesamt auf dem Pr fstand: das Privateigentum. Allerdings eignet sich diese Einsicht nicht f r irgendwelche radikalen Hoffnungen ber die Abschaffung des Privateigentums. Lessig und viele andere sind sich nur sicher, dass die Allmende, die viele nur als Gemeindewiese kennen, ein effizientes Orga- nisationsprinzip ist, das Herz der Wissensgesellschaft am Laufen zu halten. Die Allmende muss – neben Privateigentum und çffentlichem Eigentum – als drittes Prinzip gleichsam neu entdeckt werden. Diese Sicht auf die Wissensgesellschaft macht es einfacher, die f r die n chste Zukunft wichtigen Fragen zu stellen und zu beantworten: Welche Eigenschaften soll ein k nftiges Internet behalten oder neu be- kommen? Dies ist die Frage nach der Technologie der Zukunft. Welche technischen, rechtlichen, çkonomischen oder sonstigen Maß- nahmen stellen sicher, dass die W nsche wahr werden? Dies ist die Frage nach den Institutionen der Zukunft. 331 Bernd Lutterbeck Regulierung durch Code oder Architektur Offensichtlich wird unsere F higkeit, Neues zu ersinnen, maßgeblich durch die Benutzung des Internets beeinflusst. Welche Eigenschaften des Netzes f hren zu diesem innovativen Potential? Was m ssen wir tun, damit diese Eigenschaften auch in der Zukunft erhalten bleiben? Kern dieser Architek- tur ist, dass sie vçllig offen ist gegen ber jedweden Nutzungen und Nutzern. Das Netz ist im Prinzip (anwendungs-)neutral und stellt lediglich sicher, dass Daten-Pakete zuverl ssig von A nach B kommen kçnnen.25 Alleine die Be- nutzer und nicht die Eigent mer von Netzen entscheiden dar ber, was sie d rfen. Lessigs Antwort ist f r die einen naheliegend, f r die anderen bahn- brechend. Auch hier bietet er ein ziemlich simples Modell an, das man leicht f r trivial halten kann. Die intellektuelle und politische Sprengkraft seiner Idee liegt hier in der Einsicht, dass die Technik des Internet selbst regulie- rende Eigenschaften hat. Technik ist eine eigene Entit t. Das Modell l sst sich vereinfacht so beschreiben: Auf den einzelnen Menschen wirken regelbildende Kr fte ein. Schon immer haben drei Kr fte oder Quellen der Regulierung zusammengewirkt: – der Markt – das Recht – die (gesellschaftlichen) Normen des Verhaltens. In der Informations- oder Wissensgesellschaft kommt eine Kraft neu hinzu, die fr her zumindest nicht sichtbar gewesen ist: – die Architektur bzw. der Code der Software. Lessig f gt diese vier Kr fte in einem einfachen Modell zusammen, das er je nach Verwendungszusammenhang variiert. Jede einzelne dieser Kr fte ist eigentlich schon ein Programm f r sich. Jetzt sagt uns Lessig: »Ihr m sst aber alles im Zusammenhang verstehen.« Er weiß dabei nat rlich, dass hinter seinen Wortbildungen m chtige Diszipli- nen und Professionen stehen, die gerade das nicht tun. Hinter dem Wort »Law« verbergen sich die Juristen, die in Deutschland zumindest einen Bo- gen um eine wirtschaftliche Betrachtung ihres Bereichs schlagen und die soziologische und kulturelle Sichtweise des Rechts unter dem Begriff »Nor- men« normalerweise weit von sich weisen. Und mit demWort »Architectu- re« spricht er Informatiker und Ingenieure an, die nicht wahrhaben wollen, dass ihre Software zugleich gesellschaftliche Verh ltnisse abbildet. Viele tun sich noch schwer, Architektur als eigenst ndige regelbildende Kraft zu ver- stehen. Diese Regulierungskraft l sst sich etwa so veranschaulichen: Wohn- mobile sind so zahlreich geworden, dass sie f r viele Kommunen, die Zu- 332 Die Zukunft der Wissensgesellschaft gang zu einem Strand oder See haben, zum Problem geworden sind. Sie produzieren Abfall und sind nur ein geringer Faktor f r die heimische Wirtschaft. Im Prinzip sind sie deshalb unerw nscht. Eine Kommune kçnnte nun Vorschriften erlassen oder Verbotsschilder aufstellen oder Kon- trollbeamte einstellen, die unter Umst nden Strafen einziehen oder ein- fach drastische Eintrittspreise verlangen. Sie kann aber auch den Zutritt durch Architektur regulieren. Dazu muss sie nur alle Zufahrtswege mit einer Art Tor versehen, das nur Fahrzeuge mit einer Hçhe von maximal zwei Metern durchl sst. Hier kann jeder Architektur als regelbildende Gegeben- heit sehen und sogar anfassen. Dies ist bei der Architektur der Wissens- gesellschaft nat rlich nicht mehr der Fall. Hier wird Architektur durch eine entsprechende Software und die Konfiguration unsichtbarer Compu- ternetze gebildet. Abb. 3: Das Regulationsmodell von Lessig Market Architecture Law Norms Lessig 1999, S. 88 Jetzt ist es »nur« noch nçtig, die Grundgedanken beider Abschnitte mit- einander zu verbinden. Das Internet ist ein neues technisches Instrument, das wie der Markt spontan entstanden ist. Niemand hat es erdacht oder ge- plant und niemand konnte entsprechend vorhersehen, in welcher Weise dieses Netz die Wirklichkeit und damit die Menschen auf der Welt ver- ndern wird. Dieses Netz hat bestimmte technische Eigenschaften hervor- gebracht, die entscheidenden Einfluss auf unsere F higkeit haben, Neues in die Welt zu setzen: die Offenheit gegen ber jedweden Ver nderungen und 333 Bernd Lutterbeck die Offenheit gegen ber klassischen Eigentumsmodellen. Das Internet hat sich als Allmende organisiert. Lessigs Ideen brechen in die Grundgedanken der Bipolarit t der Eigentumsregime des 19. Jahrhunderts ein, indem sie einen weiteren logischen Baustein hinzuf gen. Das System des »geistigen Eigentums« im 21. Jahrhundert hat also zumindest vier Bausteine: Patente, Urheberrechte, Allmenden und Wettbewerb. Teilt man die Position von Lessig, heißt dies zusammengefasst: Man muss die Basisinfrastruktur Internet als Allmende organisieren und sicherstellen, dass die Innovation erzeugenden Eigenschaften des Internets auch k nftig erhalten bleiben – das sind diejenigen technischen Eigenschaften, die die Neutralit t des Netzes garantieren. Das politische und rechtliche Instrument hierf r ist die Ordnung durch Wettbewerb. Die Anmassung von Wissen Vielleicht denken wir bei dem Wort »Wissen« noch zu sehr in vertrauten Bahnen. Vermutlich kommen den meisten beimWort »Wissen« die B cher in den Sinn, die elektronisch oder herkçmmlich verteilt und konsumiert werden, die Bibliotheken, zu denen man in g nstigen F llen Zugriff hat, das WWW, das uns kostenlosen Zugang zu Quellen gibt, die Printmedien, das Fernsehen oder auch die Wissenschaft. An Technik interessierte Men- schen werden an die vielen n tzlichen Erfindungen und an Naturgesetze denken. Die Erzeugung und Verteilung von Wissen ver ndert sich aber – wahr- scheinlich dramatisch: Wissen und die Erzeugung von Wissen werden ubi- quit r. Damit ver ndern sich ganz gewiss auch die Wertmaßst be, mit deren Hilfe sich Menschen in diesem Geflecht bewegen. Wahrscheinlich muss man es eher so sehen: Durch einen Prozess der Wissenskommunikation, in dem Informationstechnik allgegenw rtig ist, lernen Menschen, was f r sie wichtig ist und treffen dann Entscheidungen, die die Strukturen des Ver- haltens von anderen Menschen beeinflussen. Die Struktur, die wir zu erwarten haben, enth lt ersichtlich so viele Elemente und so viel Komplexit t, so viele neue Interaktionen, dass wir sie nicht vorhersehen kçnnen. Alles andere w re eine »Anmassung vonWis- sen«.26 Kann man diese Komplexit t im wçrtlichen Sinne »beherrschen«? Kann man der Entwicklung durch bewusste politische Entscheidungen etwa eine Richtung geben oder eine Ordnung, in die sich alles f gt? Der Menschen- 334 Die Zukunft der Wissensgesellschaft wissenschaftler Norbert Elias und der konom Friedrich von Hayek geben hierauf eine bis in einzelne Worte hinein gleiche, aber abstrakte Antwort. Lawrence Lessig hat auf der Hçhe unserer Zeit die Antwort f r die Wissens- gesellschaft und das Internet gegeben. Alle drei Autoren gleichen sich darin, dass sie das Wettbewerbsprinzip f r fundamental f r die Freiheit unserer Gesellschaften halten. Elias verweist uns auf die Grenzen der Gestaltbarkeit dieser neuen »Wis- sensgesellschaft«. »Pl ne und Handlungen, emotionale und rationale Regun- gen der einzelnen Menschen greifen best ndig freundlich und feindlich in- einander. Diese fundamentale Verflechtung der einzelnen menschlichen Pl ne und Handlungen kann Handlungen und Gestaltungen herbeif hren, die kein einzelner Mensch geplant oder geschaffen hat. Aus ihr, der Inter- dependenz der Menschen, ergibt sich eine andere Ordnung von ganz spezi- fischer Art, eine Ordnung, die st rker ist als Wille und Vernunft der ein- zelnen Menschen, die sie bilden. Es ist eine Verflechtungsordnung, die den Gang des geschichtlichen Wandels bestimmt.«27 Diese Grenzen sind auch das Generalthema des konomen von Hayek: »Wenn der Mensch in seinem Bem hen, die Gesellschaftsordnung zu ver- bessern, nicht mehr Schaden stiften soll als Nutzen, wird er lernen m ssen, dass er in diesem wie in anderen Gebieten, in denen inh rente Komplexit t von organisierter Art besteht, nicht volles Wissen erwerben kann, das die Beherrschung des Geschehens mçglich machen w rde.«28 Als Beispiel f hrt er den Markt an: »Dass eine solche Ordnung, die zur Nutzung von viel mehrWissen f hrt als irgendjemand besitzt, nie ›erfunden‹ werden konnte, folgt daraus, dass die Folgen nicht vorausgesehen werden konnten. Niemand sah voraus, dass die Sicherung von Eigentum und Ver- trag zur Arbeitsteilung und Marktwirtschaft, oder dass die Ausdehnung der zun chst nur f r Stammesangehçrige geltenden Regeln auf den Fremden schließlich zur Bildung einer Weltwirtschaft f hren w rde.«29 Von Hayek spricht hiermit also den Zusammenhang von der spontanen Ordnung des Marktes und rechtlichen Institutionen an, die sich als Zusam- menspiel aufeinander bezogener Handlungen herausgebildet hat. Was war das treibende Prinzip f r diesen Prozess? Der Wettbewerb, wie von Hayek immer wieder betont: »Wettbewerb (… ist) ein Verfahren zur Entdeckung von Tatsachen, die ohne sein Bestehen entweder unbekannt bleiben oder doch zumindest nicht genutzt werden.«30 Der Wettbewerb ist also das er- probte gesellschaftliche Mittel, Unwissenheit zu beseitigen. Wettbewerb darf man nicht sich selbst berlassen, damit sich die beste Idee und nicht die m chtigste durchsetzen kann. Man muss deshalb den Wettbewerb ordnen. Aber jede Ordnung steht vor der H rde des Nicht- 335 Bernd Lutterbeck wissens. Man weiß ja schließlich nicht, welche Gesetze man machen soll. W rde man trotzdem alle mçglichen Gesetze erlassen, best nde die große Gefahr, dass man w nschenswerte Entwicklungen abschneiden w rde. So hat etwa niemand ein technisches Medium wie das Internet vorausgesehen. Selbst hellsichtigste Vorhersagen haben die durch das Netz ausgelçste gesell- schaftliche Dynamik nicht im Blick gehabt. Die ordnende Hinsicht, die Les- sig vorschl gt, bel sst es bei diesem nicht vorhersagbaren Geschehen, ver- zichtet auf umfassende Ideen der Regulierung und gibt stattdessen uns Einzelnen die Mçglichkeit, darauf Neues zu bauen. Es vertraut der Koope- rationsbereitschaft der Menschen in der neuen »Innovations-Allmende« und gibt ihnen im Internet eine Technologie des Wettbewerbs um Ideen. Es wird sich dann erweisen, welchen Raum sich die Allmende in einer drei- poligen Ordnung des »geistigen Eigentums« erobern wird. Zusammenfassend und n chtern betrachtet handelt es sich bei dieser Wissensgesellschaft um ein Gebilde, f r das vier Elemente konstitutiv sein kçnnten: – Eine technisch-çkonomische Komponente: das Internet, – menschliche F higkeiten und Bed rfnisse im Umgang mit Wissen, – normative Ziele, die diesen Bed rfnissen dienlich sind oder auch nicht, – eine Ordnung, die diese Elemente in Bezug setzt. Die Zukunft der Wissensgesellschaft h ngt davon ab, wie schnell wir ver- stehen, dass das Internet eine Basis-Infrastruktur f r die Erzeugung und Ver- teilung von Wissen ist – nicht anders als Straßen, Elektrizit tsnetze oder Wasserleitungen f r andere menschliche Bed rfnisse. 4. Der Weg in die Allmende ist unvermeidlich Die Argumentation dieses Beitrags folgt einer einfachen Logik: Innovation ist wichtig f r alle Gesellschaften, f r rohstoffarme L nder wie Deutschland ist sie schlechthin unverzichtbar, um den erreichten Wohlstand auch nur zu erhalten. Das Innovationsmodell, das auf der Internet-Allmende beruht, ist zwar keine hinreichende, aber eine notwendige Bedingung f r diesen Wohlstand. Dieses Modell beruht wesentlich auf einer Offenheit der Wis- sensquellen und verlangt, dass ein Konzept des »geistigen Eigentums«, das alleine auf dem Prinzip des Ausschlusses beruht, aufgeben wird. Viele f hrende Wissenschaftler der USA teilen diese These: Bei dem bis heute bekanntesten Rechtsstreit um Urheberrechte haben sich zahlreiche Nobelpreistr ger und weltweit f hrende Wissenschaftler aus Recht, ko- 336 Die Zukunft der Wissensgesellschaft nomie und Informatik zu Wort gemeldet und die Tendenz zu einer Aus- weitung des »geistigen Eigentums« kritisiert. Genutzt hat es nichts. Denn der Supreme Court hat in seinem Urteil »Eldred gegen Ashcroft« vom Januar 2003 den Argumenten der Bef rworter einer Ausweitung und den mit ih- nen verbundenen Software- und Medienunternehmen Recht gegeben.31 Vordergr ndig ging es bei diesem Streit um die Verl ngerung der Geltungs- dauer amerikanischer Urheberrechtsgesetze. Im Kern haben die Wissen- schaftler aber um den Bestand und den weiteren Ausbau der Allmende und damit um die Offenheit von Wissensquellen gestritten. Die deutsche Situation unterscheidet sich merklich von der amerikani- schen. Die Wissenschaft hat sich bis jetzt nur vereinzelt zu Wort gemeldet, die Mehrheit d rfte aber das berkommene Modell des »geistigen Eigen- tums« verteidigen. Bedeutsame Rechtsstreitigkeiten wie in den USA hat es bis heute nicht gegeben. Der Deutsche Bundestag hat die nçtigen Gesetze ohne grçßere Leidenschaften verabschiedet – nicht zuletzt, weil die deut- sche ffentlichkeit kein besonderes Interesse an diesen Problemen gezeigt hat. In der çffentlichen Debatte f hren die Probleme um Wissen und Ei- gentum eher ein Schattendasein.32 Dabei ist offensichtlich: Das so genannte »geistige Eigentum« ist Teil des Fundaments der modernen Gesellschaften. Es befindet sich inmitten eines Wandels, dessen Einzelheiten noch nicht bekannt sind. Es ist deshalb nachgerade selbstverst ndlich, dass ber die rechtliche und technische Ausgestaltung gestritten wird. Die schmerzliche Niederlage vor dem Supreme Court sagt nichts ber das Ende der Debatte aus. Ich muss mich wiederholen und an die ebenso fundamentale Einsicht erinnern, die man vomNobelpreistr ger v. Hayek lernen kann: Wir kçnnen die Zukunft nur gewinnen, wenn wir sie so offen wie mçglich halten. Ohne Wettbewerb wird das nicht mçglich sein. Es lohnt nicht, ber Worte zu streiten. Wir sollten aber ber den Beginn unseres Weges Klarheit haben: Wir m ssen den Weg in die Allmende be- schreiten und unsere Unsicherheit als unvermeidlich verstehen. Die Demut vor dem Unwissen hilft, das eigeneWissen in Bezug zu demWissen anderer zu setzen. Damit alles Wissen zusammenkommt, lohnt es sich zu koope- rieren. Ich kann mich t uschen: Aus meiner Sicht habe ich hiermit den grundlegenden Mechanismus einer Wissensgesellschaft formuliert. Und das Orakel? Was w rde es uns sagen? Vielleicht: »Ihr werdet eine neue Gesellschaft bauen!« 337 Bernd Lutterbeck Anmerkungen 1 Zitat auf der Webseite der Kommissarin Viviane Reding: [http://europa.eu.int/ comm/commission_barroso/reding/ataglance/index_en.htm]. »3G« bezeichnet die dritte Generation der Mobilfunktelefonie, die nicht nur Ferngespr che, sondern auch neue Multimediaanwendungen ermçglichen soll. 2 Spinner (1994), S. 17. 3 Zitat aus derWebseite der Heinrich Bçll Stiftung Berlin. Die Stiftung koordiniert viele zivilgesellschaftliche Aktivit ten der Bundesrepublik f r den UN-Weltgipfel zur In- formationsgesellschaft (WSIS). Einen hervorragenden Einblick in die Ergebnisse und die offenen Fragen des ersten Gipfels von Genf gibt: Heinrich Bçll Foundation (2003). ber die Seite sind grundlegende Texte zum Thema Wissensgesellschaft verf gbar. 4 Spinner (1994), S. 60. 5 Ebd. 6 Vgl. Elias (1997). 7 Weiser (1991). 8 Zitat aus der Ged chtnis-Site der Stanford University f r Marc Weiser: [http://www-sul.stanford.edu/weiser/Ubiq.html]. 9 Vgl. Mattern (2003). 10 Vgl. zu Open Source Software den Beitrag von Robert Gehring in diesem Band. 11 Von Hippel (2005), S. 450. 12 Schumpeter (1997), S. 99 ff. 13 »Lassen Sie mich Dezentralisierung definieren als die Teilhabe von Menschen an Entscheidungen, die sie betreffen. In diesem Sinne meint Dezentralisierung ziemlich genau das gleiche wie Freiheit (freedom)«. (Malone 2004, S. 5) 14 Baumgart/Eichener (1991), S. 97. 15 Vgl. Bush (1945). Bush hatte seine Vorhersagen unmittelbar vor und nach dem Abwurf der Atombomben auf japanische St dte gemacht. Sein Denken war, wie berichtet wird, gepr gt von den Abgr nden menschlichen Wissens, in die er geblickt hatte. 16 Vgl. Gintis u. a. (2005); Henrich u. a. (2004); Fehr/Schwarz (2002); Fehr/G chter (2002). 17 Lessig (2001), S. 1 f. 18 Ostrom (1999), S. XIX. 19 Diese bereinkunft ist in der Folgezeit mehrfach revidiert worden. Seit 1908 heißt sie deshalb »Revidierte Berner bereinkunft (RB )«. 20 Das Verst ndnis von gewerblichem Eigentum war sehr weitgehend. Es bezog sich auf die Landwirtschaft, die Gewinnung der Bodensch tze, auf alle Fabrikate und Natur- erzeugnisse wie zum Beispiel Wein, Getreide, Tabakbl tter, Vieh, Mineralwasser, Bier, Blumen und Mehl (Art. 1 PV ). 21 Machlup (2000). Das Zitat entstammt einem Bericht an den Kongress der USA aus 1958, bis heute wahrscheinlich der wichtigste Text zur Geschichte dieses Elements des »geistigen Eigentums«. Fritz Machlup war konom der Wiener Schule, der auch die deutschen Verh ltnisse sehr gut kannte. In den USA hat er es sp ter zu Weltruhm gebracht und unter anderem Basistexte zur Wissensgesellschaft publiziert. Sein Be- richt ist ber weite Strecken eine spannende Erz hlung ber das 19. Jahrhundert und die sich herausbildenden Nationalstaaten mit ihren ganz eigenen Interessen. Die (çkonomischen) Wissenschaftler dieser Zeit waren sich in ihrer ablehnenden Haltung zu Patenten einig. Trotzdem sind diese Abkommen geschlossen worden. Machlup 338 Die Zukunft der Wissensgesellschaft erw hnt auch die Rolle der Juristen, die damals schon auf der Seite der Bef rworter dieses sp ter beschlossenen Konzepts von »geistigem Eigentum« standen. Man sieht hieran, dass wissenschaftliche Einsicht und politischer Gestaltungsdrang nicht immer deckungsgleich sein m ssen. 22 Vgl. den Beitrag von Felix Stalder in diesem Band. 23 Lessig (2001), S. 23. 24 Zur Wiederholung: Eine Allmende ist eine Ressource, die gemeinsam genutzt wird und deren Zugriff offen f r alle Nutzer ist – unbeschadet ihrer Identit t oder des intendierten Gebrauchs. (Lessig 2001, S. 19–20). 25 Das technische Prinzip nennt sich »End-to-End-Argument«. In Lutterbeck (2005) beschreibe ich die çkonomische und gesellschaftliche Bedeutung dieses Prinzips ge- nauer. Das End-to-End-Argument bezeichnet ein normatives Prinzip der Gestaltung von Kommunikationsnetzwerken. Nur der Absender und Empf nger, nicht aber das Netzwerk »wissen« etwas ber die Informationen, die paketweise transportiert wer- den. Jegliches Ausw hlen und Aussortieren obliegt Absender und Empf nger. Ein E2E-Netzwerk diskriminiert beim Transport insbesondere nicht zwischen den zu transportierenden Informationspaketen. 26 Dies ist der Titel der Rede (Original: The Pretence of Knowledge), die von Hayek 1974 zur Verleihung des Nobelpreises f r konomie gehalten hat; siehe von Hayek (1996). 27 Elias (1997), Bd. 2, S. 324 f. 28 Von Hayek (1996), S. 14. 29 Ebd., S. 25. 30 Von Hayek (2003), S. 132. 31 Viele der amerikanischen Spitzenuniversit ten betreiben so genannte »Clinics« oder besondere Bereiche, in denen die Universit ten ihr Wissen zur Lçsung von gesell- schaftlichen Streitigkeiten zur Verf gung stellen. Ein Teil dieser Leistungen besteht darin, dass sie diese Streitigkeiten f r alle Interessierten dokumentieren und çffentlich zug nglich machen. Alle wichtigen Urteile und Stellungnahmen des Streits »Eldred versus Ashcroft« findet man etwa auf der »Open Law Site« der Harvard University. F r einen z gigen Einstieg in den Streit suche man heise online vom 15. Januar 2003 auf: [http://www.heise.de/newsticker/meldung/33704]. 32 Eine Folge dieses Desinteresses ist die Tatsache, dass es nur wenig deutsche, zumeist noch nicht einmal deutschsprachige Fachliteratur gibt, die vor allem gegen ber der amerikanischen Literatur konkurrenzf hig ist. Literatur Baumgart, Ralf/Eichener, Volker (1991): Zur Einf hrung: Norbert Elias. Hamburg. Bush, Vannevar (1945): As We May Think, in: The Atlantic Monthly 176 (1), S. 101–108; zit. nach der Html-Version von Denys Duchier: http:// www.cs.sfu.ca/CC/365/mark/material/notes/Chap1/VBushArticle/). Elias, Norbert (1997): ber den Prozess der Zivilisation, 2 B nde, Frankfurt a.M. Fehr, Ernst/G chter, Simon (2002): Altruistic punishment in humans, in: Nature 415 v. 10. Januar 2002, S. 137–140. Fehr, Ernst/Schwarz, Gerhard (2002): Psychologische Grundlagen der konomie. ber Vernunft und Eigennutz hinaus, Z rich. 339 Bernd Lutterbeck Gintis, Herbert/Bowles, Samuel/Boyd, Robert/Fehr, Ernst (2005): Moral Sentiments and Material Interests. The Foundations of Cooperation in Economic Life, Cambridge/Mass.-London. Heinrich Bçll Foundation (Hrsg.) (2003): Visions in Process. World Summit on the Information Society, Geneva 2003 – Tunis 2005, download ber: http:// www.worldsummit2003.de/ Henrich, Joseph u. a. (2004): Foundations of Human Sociality. Economic Experi- ments and Ethnographic Evidence from Fifteen Small-Scale Societies, Oxford. Jefferson, Thomas (1813): »No patents on ideas.« Brief an Isaac McPherson vom 13. August 1813, http://odur.let.rug.nl/~usa/P/tj3/writings/brf/jefl220.htm Lessig, Lawrence (1999): Code and Other Laws of Cyberspace, New York. Lessig, Lawrence (2001): The Future of Ideas. The Fate of the Commons in a Con- nected World, New York. Lutterbeck, Bernd (2005): Infrastrukturen der Allmende – Open Source, Innovation und die Zukunft des Internets, in: Bernd Lutterbeck/Robert F. Gehring/Mat- thias B rwolff (Hrsg.): Open Source Jahrbuch 2005, Berlin, S. 329 ff. Lutterbeck, Bernd/Gehring, Robert F./B rwolff, Matthias (Hrsg.) (2005): Open Source Jahrbuch 2005, Berlin. Machlup, Fritz (2000): Die wirtschaftlichen Grundlagen des Patentrechts. Bericht an den amerikanischen Kongress von 1958; deutsche bersetzung in der HTML-Version von sffii: http://www.sffo.de/machlup1.htm Malone, Thomas W. (2004): The Future of Work. How the New Order of Business Will Shape Your Organization, Your Management Style, and Your Life, Bos- ton/Mass. Mattern, Friedemann (2003): Pervasive Computing –Wonderful Future or Fabulous Illusion?, Engelberg Lecture vom Oktober 2003, http://www.vs.inf.ethz.ch/ publ/selected_talks.html Ostrom, Elinor (1999): Die Verfassung der Allmende, T bingen. Reichman, Jerome H. (1992): Legal Hybrids between the Patent and Copyright Paradigms, in: Willem F.K. Altes/Egbert J. Dommering/P. Bernt Hugenholtz/ Jan J.C. Kabel (Hrsg.): Information Law Towards the 21st Century, Deventer- Boston, S. 325 ff. Schumpeter, Joseph (1997): Theorie der wirtschaftlichen Entwicklung, 9Berlin. Spinner, Helmut (1994): Die Wissensordnung. Ein Leitkonzept f r die dritte Grundordnung des Informationszeitalters, Opladen. von Hayek, Friedrich A. (1996): Die Anmassung von Wissen, in: von Hayek, Fried- rich A.: Die Anmassung vonWissen: neue Freiburger Studien, T bingen, S. 3 ff. von Hayek, Friedrich A. (2003): Der Wettbewerb als Entdeckungsverfahren. In: Ders.: Rechtsordnung und Handelnsordnung. Aufs tze zur Ordnungsçko- nomik, hrsgg. v Manfred Streit, T bingen, S. 132 ff. von Hippel, Eric (2005): »Anwender-Innovationsnetzwerke«: Hersteller entbehr- lich, in: Lutterbeck/Gehring/B rwolff (2005), S. 449 ff. Weiser, Marc (1991): The Computer for the Twenty-First Century, in: Scientific American 265 (9), September 1991, S. 66 ff. 340 Abk rzungsverzeichnis AACS Advanced Access Content System BGB B rgerliches Gesetzbuch BGH Bundesgerichtshof BMBF Bundesministerium f r Bildung und Forschung BMJ Bundesministerium der Justiz BOAI Budapest Open Access Initiative CBD Convention on Biological Diversity/Konvention ber biolo- gische Vielfalt CC Creative Commons CD Compact Disc CGMS Copy Generation Management System CMLA Content Management License Administrator, LLC COMPITCH Consejo Estatal de Organizaciones de M dicos y Pateras Ind - genas Tradicionales de Chiapas/Regionaler Rat von traditio- nellen, indigenen rzte- und Hebammen-Organisationen CPRM Content Protection for Recordable Media CPTWG Copy Protection Technical Working Group CRM Customer Relationship Management CSS Content Scramble System DAT Digital Audio Tape DJ Disc Jockey DMCA Digital Millennium Copyright Act DPMA Deutsches Patent- und Markenamt DRM Digital Rights Management (auch: Digital Restrictions Ma- nagement) DVD Digital Versatile Disc DVD CCA DVD Copy Control Association ECOSUR El Colegio de la Frontera Sur EMRK Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfrei- heiten EuGH Europ ischer Gerichtshof EuGVVO Europ ische Gerichtsstands- und Vollstreckungsverordnung EULA End User License Agreement FAS Foreign Agriculture Service 341 Abk rzungsverzeichnis FCC Federal Communications Commission FOSS Freie und Open Source-Software FSF Free Software Foundation FTP File Transfer Protocol GAP German Academic Publishers GATT General Agreement on Tariffs and Trade/Allgemeines Zoll- und Handelsabkommen GEMA Gesellschaft f r musikalische Auff hrungs- und mechanische Vervielf ltigungsrechte GG Grundgesetz GNU GNU is not Unix, freies Betriebssystemprojekt, besser bekannt als GNU/Linux GPL GNU General Public License GSM Global System for Mobile Communications GVL Gesellschaft zur Verwertung von Leistungsschutzrechten HDTV High Definition Television ICBG International Cooperative Biodiversity Groups INDICARE Informed Dialogue about Consumer Acceptability of DRM Solutions in Europe, EU-Forschungsprojekt IP Internet Protocol IPC Intellectual Property Committee ISO International Organization for Standards ISP Internet Service Provider IT International Treaty on Plant Genetic Resources for Food and Agriculture KMU Kleinere und mittlere Unternehmen MC Music Cassette MIDI Musical Instrument Digital Interface MIT Massachusetts Institute of Technology MMS Multimedia Messaging Service MNL Molecular Nature Limited MP3 MPEG 1, Layer 3, Audiokompressionsstandard MPEG Moving Picture Experts Group MPEG LA MPEG Licensing Administrator, LLC MPEG-2 Videokodierungsstandard der MPEG MPEG-21 DRM-Framework der MPEG NCI National Cancer Institute NGO Non-governmental Organisation/Nichtregierungsorganisation 342 Abk rzungsverzeichnis NIH National Institute of Health NSF Biological Sciences Directorate of the National Science Foun- dation OAI Open Archives Initiative ODRL Open Digital Rights Language OECD Organisation f r çkonomische Zusammenarbeit und Entwick- lung OMA Open Mobile Alliance P2P Peer to Peer PC Personal Computer PCT Patentkooperationsabkommen der WIPO PDA Personal Digital Assistant PDF Portabel Document Format PLT Patentrechtsvertrag der WIPO PMA Pharmaceutical Manufacturers Association PV Pariser Verbands bereinkunft zum Schutz des gewerblichen Eigentums RB Revidierte Berner bereinkunft REL Rights Expression Language RFID Radio Frequency Identification RMS Rights Management Services, Microsofts DRM-Infrastruktur f r den Unternehmensbereich SCMS Serial Copy Management System SDMI Secure Digital Music Initiative SIM Subscriber Identity Modul SMS Short Message Service SPARC Scholarly Publishing & Academic Coalition SPLT Substantive Patent Law Treaty (WIPO) TCG Trusted Computing Group TCPA Trusted Computing Platform Alliance TPM Technical protection measures/Technische Schutzmaßnah- men TRIPS Agreement on Trade-Related Aspects of Intellectual Property Rights (Abkommen ber die handelsbezogenen Rechte an geistigem Eigentum) UMTS Universal Mobile Telecommunications System UNDP Entwicklungsprogramm der Vereinten Nationen UNO United Nations Organisation/Vereinte Nationen 343 Abk rzungsverzeichnis UPOV Union internationale pour la protection des obtentions v g - tales/Internationale Konvention ber den Schutz neuer Pflanzensorten UrhG Gesetz ber Urheberrecht und verwandte Schutzrechte USTR United States Trade Representative – Amerikanische/r Han- delsbeauftragte/r VHS Video Home System, urspr nglich: Vertical Helical Scan W3C World Wide Web Consortium WCT WIPO Copyright Treaty WIPO World Intellectual Property Organization/Weltorganisation f r geistiges Eigentum der Vereinten Nationen WPPT WIPO Performers and Phonograms Treaty WTO Welthandelsorganisation WWF Worldwide Fund for Nature XML eXtensible Markup Language XrML eXtensible rights Markup Language 344 Autorinnen und Autoren Heike Andermann ist Leiterin der Bibliothek der Berlin-Brandenburgischen Aka- demie der Wissenschaften. Zuvor arbeitete sie als wissenschaftliche Mitarbei- terin in dem DFG-Projekt »Perspektiven neuer Bezugsstrukturen elektro- nischer Fachinformationen«, in dem die Analyse bestehender Strukturen der Informationsversorgung und die Darstellung der Open Access-Ans tze imWis- senschaftssystem im Mittelpunkt standen. James Boyle ist Professor f r Rechtswissenschaften an der Duke University School of Law und Mitbegr nder des Center for the Study of the Public Domain. Er forscht und schreibt ber Immaterialg terrechte, die Regulierung des Internets und Fragen der Rechtstheorie. Zudem ist er Mitglied des Verwaltungsrates von Creative Commons, des wissenschaftlichen Beirats des Electronic Privacy and Information Center und der Organisation Public Knowledge. Johann Čas ist wissenschaftlicher Mitarbeiter des Instituts f r Technikfolgen- Absch tzung (ITA) in Wien. Er arbeitet im Bereich der Informations- und Kommunikationstechnologien. Seine aktuellen Schwerpunkte sind Daten- schutz in der Informationsgesellschaft und datenschutzfreundliche Technolo- gien. Andreas Degkwitz, Dr., leitet das Informations-, Kommunikations- und Medien- zentrum (IKMZ) der Brandenburgischen Technischen Universit t Cottbus. Zuvor war er Direktor der Universit tsbibliothek Potsdam. Dort leitete er ein DFG-Projekt, in dem Versorgungsstrukturen f r elektronische Fachinfor- mation analysiert und »Open Access«-Alternativen dargestellt wurden. Thomas Dreier, Prof. Dr., leitet das Zentrum f r angewandte Rechtswissenschaft (ZAR) und das Institut f r Informationsrecht an der Universit t Karlsruhe. Zu- gleich ist er Honorarprofessor der Universit t Freiburg und nimmt Gastprofes- suren an der New York University wahr. Er leitet den Fachausschuss Urheber- recht der Deutschen Vereinigung f r gewerblichen Rechtsschutz und Urheberrecht (GRUR) und ist Gesch ftsf hrer der Deutschen Gesellschaft f r Recht und Informatik (DGRI). Robert Gehring studierte Elektrotechnik, Informatik und Philosophie in Ilmenau und Berlin. An der TU Berlin hat er als wissenschaftlicher Mitarbeiter von 1999–2004 den Forschungsschwerpunkt »Open Source« im Fachgebiet Infor- matik und Gesellschaft aufgebaut. Seit Oktober 2005 arbeitet er als Redakteur f r das Urheberrechtsportal iRights. info, das mit dem Grimme Online Award 2006 ausgezeichnet wurde. Er ist Mitherausgeber des Open-Source-Jahrbuchs. Klaus Goldhammer,Dr., studierte in Berlin und London Publizistik und BWL. 1997 promovierte er an der Freien Universit t Berlin. Bis 1999 war er Managing 345 Autorinnen und Autoren Editor des European Communication Councils (ECC). Im gleichen Jahr gr n- dete er die Unternehmens- und Strategieberatung Goldmedia GmbH Media Consulting & Research in Berlin. Er hat Lehrauftr ge im In- und Ausland und seit 2004 eine Gastprofessur an der Freien Universit t Berlin am Arbeits- bereich konomie und Massenkommunikation. Volker Grassmuck, Dr., freier Autor sowie Soziologe und Medienforscher am Helmholtz-Zentrum f r Kulturtechnik der Humboldt-Universit t zu Berlin, wo er ber geistiges Eigentum in der Turing-Galaxis arbeitet. Er ist Projekt- leiter des Informationsportals zum Urheberrecht »iRights.info«, Projektleiter der Konferenzserie »The Wizards of OS« und Mitgr nder der Initiative »privatkopie.net«. Corinna Heineke ist Politikwissenschaftlerin und promoviert an der Universit t Kassel im Fachgebiet Globalisierung und Politik. Ihre Forschungsschwerpunkte bestehen in der politischen konomie traditionellen Wissens und genetischer Ressourcen und der Globalisierung geistiger Eigentumsrechte. Jeanette Hofmann, Dr., ist Politikwissenschaftlerin und wissenschaftliche Mitarbei- terin am Wissenschaftszentrum Berlin f r Sozialforschung in der Abteilung In- novation und Organisation. Ihre Forschungsgebiete sind Internet Governance und neue Wissensregime. Sie ist Mitglied des Wissenschaftlichen Beirats der Bundeszentrale f r politische Bildung und des deutschen UNESCO Fachaus- schusses Kommunikation und Information. Christian Katzenbach hat Kommunikationswissenschaft, Philosophie und Informa- tik in Berlin, Madrid und Potsdam studiert. Von 2003 bis 2005 hat er als Stu- dentischer Mitarbeiter am Wissenschaftszentrum Berlin f r Sozialforschung (WZB) in der Abteilung Innovation und Organisation gearbeitet. Derzeit schreibt er seine Magisterarbeit ber den Funktionswandel von Medienunter- nehmen im Zeitalter des Internets. Friedemann Kawohl, Dr., ist Musikwissenschaftler und Historiker des Urheber- rechts. Seit 2001 ist er Research Fellow des Centre for Intellectual Property Policy & Management an der Bournemouth University. Vorarbeiten zu dem hier verçffentlichten Beitrag wurden durch ein Stipendium des Max- Planck-Instituts f r Geistiges Eigentum, Wettbewerbs- und Steuerrecht, M n- chen, im Jahre 2005 ermçglicht. Martin Kretschmer, Prof. Dr., ist Professor of Information Jurisprudence am Centre for Intellectual Property Policy & Management der Bournemouth University, England. Derzeit leitet er mit Prof. Lionel Bently in Cambridge ein interna- tionales Projekt zur Geschichte des Urheberrechts. Till Kreutzer ist auf Urheberrecht spezialisierter Rechtsanwalt. Er ist Mitglied des Hans-Bredow-Instituts in Hamburg und des Instituts f r Rechtsfragen der Freien und Open Source Software (ifrOSS) sowie Redakteur des Urheber- rechtsportals iRights. info, das mit dem Grimme Online Award 2006 aus- gezeichnet wurde. Im Zuge der Urheberrechtsreform war er Mitglied einer Arbeitsgruppe, die die Bundesregierung zur Erarbeitung des »Zweiten Korbs« einberufen hat. 346 Autorinnen und Autoren Bernd Lutterbeck, Prof. Dr. iur., ist Professor f r Wirtschaftsinformatik an der Technischen Universit t Berlin mit den Schwerpunkten Informatik und Ge- sellschaft, sowie f r die Action Jean Monnet der Europ ischen Union Professor f r humanwissenschaftliche Fragen der europ ischen Integration. Seine aktuel- len Arbeitsschwerpunkte sind E-Government, Theorie und Praxis der Property Rights, Aufbau einer Open Source Software Umgebung und European Govern- ance. Georg Nolte ist Rechtsanwalt in Berlin. Er promoviert bei Prof. Thomas Dreier am Institut f r Informationsrecht an der Universit t Karlsruhe ber den Anpas- sungsbedarf des Urheberrechts an die Bed rfnisse der Informationsgesellschaft. Walter Peissl, Dr., hat Soziologie und Betriebswirtschaftslehre an der Universit t Graz studiert. Danach besch ftigte er sich mit konsumentenpolitischen Fragen im Bundesministerium f r Familie, Jugend und Konsumentenschutz und pro- movierte zur Soziologie der Angestellten. Seit 1988 arbeitet er am Institut f r Technikfolgenabsch tzung der sterreichischen Akademie der Wissenschaften ber neue Informations- und Kommunikationstechnologien, Privacy sowie methodische Fragen der Technikfolgenabsch tzung. Hannes Siegrist, Prof. Dr., ist Historiker und Professor f r moderne europ ische Kultur- und Gesellschaftsgeschichte sowie Direktor des Instituts f r Kulturwis- senschaften an der Universit t Leipzig. Gegenw rtige Forschungsschwerpunkte sind die Sozial- und Kulturgeschichten der Professionen, des geistigen Eigen- tums, des Konsums und der Kulturpolitik im internationalen Vergleich (18.-20. Jh.). Felix Stalder, Dr., lebt in Wien und ist Dozent f r Mediençkonomie an der Hoch- schule f r Gestaltung und Kunst Z rich am Studienbereich Neue Medien. Er ist Mitbegr nder von Openflows, einem Open Source Entwicklungs- und For- schungsnetzwerk und Co-Moderator von nettime, einer internationalen Mai- lingliste f r die Kultur und Politik der Netze. Joscha Wullweber ist Biologe und promoviert an der Universit t Kassel im Fach Politikwissenschaft ber die gesellschaftliche Bedeutung der Nanotechnologie. Er arbeitete ein halbes Jahr bei dem Consejo Estatal de Organizaciones de M dicos y Pateras Ind genas Tradicionales de Chiapas in Mexiko und ist unter anderem aktiv in der Bundeskoordination Internationalismus. 347 Stichwortverzeichnis Abonnement 228 Biopiraterie 151-152, 246, 258 Adobe 166 Bioprospektion 151, 246, 250 Alice in Wonderland 167 Biotechnologie 245 Allgemeinwohl 70, 74 Broadcast Flag 172 Allmende 65, 85, 292, 325-326, 331, Brundtland-Report 142 337, 339 Brustkrebsgen 24 Altruismus 326 Buchdruck 221 Anreiztheorie 44 Buchhandlung 221 Anthropologie 325 Budapest Open Access Initiative Apache 285, 322 (BOAI) 228 Archivierung 227, 231, 233 Artikelgeb hren 228-229 CBD 258 Auff hrung 190 Chakrabarty-Entscheidung 247 Auff hrungsrecht 79, 196, 203 Chiapas 248 Aufmerksamkeitsçkonomie 312 Code 22 Ausgleich 111 – als regelbildende Kraft 332 Auskunftsanspr che 131 commons siehe Allmende Autor 27, 68-69, 71, 73, 127, 192, Community 284-285, 288, 292, 210, 224, 304 312-313 – Wissenschaftlicher 226 COMPITCH 249 Cookies 267 Balancefunktion 111 Cooperative Biodiversity Groups Bankkarte 263 (ICBG) 249 Bearbeitung 190, 192, 196-199 Copyleft 282, 290, 306 Bed rfnisse 83 Copyright 78-79 benefitsharing 248, 256 Coverversion 199, 212 Berner bereinkunft 75, 144, 210, Creative Commons 61, 307, 312, 325, 327 330 Bewegungsprofile 267 CSS 170 Bibel 221 Customer Relationship Management Bibliothek 53, 122, 124, 221, (CRM) 272 224-226, 233 Cyberpunk 21 Bildungswesen 66 Cyberspace 21 Biodiversit t 250, 254 BioMedCentral 229, 234 Daten BioONE 231 – aus der Internetnutzung 267 348 Stichwortverzeichnis – Auswertung von 264 Enzyklop die 309, 315 – Handel mit 274 Erfahrungsg ter 95 – monet rer Wert 273 Erfinder 68 – personengebunden 263, 274 EU-Richtlinie 52, 113 – Sammlung von 266 Europ ische Union 75, 319 – Wert von Kundendaten 270 externe Effekte 33, 82, 92 Datenbank 47, 123 Datenbankrecht 34 Fachzeitschrift 59, 223 Datenschutz 263, 269, 275-276 Filmwirtschaft 97, 169 Deutsche Bibliothek 233 First-Amendment 27 deutsches Urheberrecht 46 First-Copy-Costs 86 Dezentralisierung 323, 338 Form 193 Dienstleistungen 85 Forschungsergebnis 224 Digital Rights Management Fragebçgen 265 (DRM) 60, 90, 92, 164-187 Free Software Foundation (FSF) 287 – in DVDs 169 Freerider-Problem 86 – in Mobiltelefonen 175 Freie Benutzung 200-201 – Probleme 179 Digital Rights Management Syste- GATT 148, 154 me 115, 314 Gebrauchsmusterrecht 44 digitales Dilemma 227 Gebrauchswert 84 Digitalisierung 52, 90, 165, 264, 303 Geistiges Eigentum 22, 64-65, 69, 77, disruptive Technologie 100 80, 111, 253, 280, 327-328, 330, Distributoren 290 337 Dj-ing 208, 212, 312 – Geschichte 64 Dokument-Lieferdienst 124 – Handel 147 Dreistufentest 49 – Kosten-Nutzen-Rechnung 30 Drucker 41, 67, 73, 196 – Welthandel; Handelspolitik 145 Durchsetzungsst rke 118 gemeinfrei 65, 167 DVD 170 Gemeinschaft 306 Gemeinschaftseigentum 245 e-Books 110, 121, 123 General Agreement on Tariffs and E-Mail-Adresshandel 264, 272 Trade (GATT) 147 Effizienz 26 Generika 149-150 Eigentum 69 Gensequenzen 245, 250 – Privat 331 Gentechnik 21, 247, 259 – Sozialbindung 45, 49, 72, 111 German Academic Publishers Eigentumsgarantie 49, 111 (GAP) 231 Eingebettete Systeme 291 Gesch ftsmodell 24, 226-227 Einkaufsverhalten 266 Geschmacksmusterrecht 44 Eldred gegen Ashcroft 337 Gesellschaft 321 Elektronische Publikationen 226 Gesetzgeber 74, 111, 169 Entwicklungsl nder 141, 146-153, Gesetzgebungsprozess 111 168 Gespr ch 304, 306 349 Stichwortverzeichnis Gestaltungshçhe 134 International Treaty on Plant Genetic Glassbook 167 Resources for Food and Agriculture GNU General Public License (IT) 256 (GPL) 282, 287, 291 Internet 181, 280, 306, 326, 331, 336 Grenzkosten 25, 165 – Allmende 331, 336 G ter 83-84 – als Basis-Infrastruktur 314, 334-336 – Archiv 313 Handel mit persçnlichen Daten 264 – Distributionskanal 165, 226 Handelspolitik 75, 147 – Revolution 302 Handelssanktionen 144 Interpretation 192, 194-195, 202 Handlungsrecht 64 IP-Adresse 131, 264 Heilmittel 143 Heilpflanzen 152, 245 Journal Impact Faktor 223 Hierarchie 324 HighWirePress 231 Kapellmeister 191 HIV/AIDS 150 Kartell 197 Hochschulen 231 Kartellrecht 62 homo oeconomicus 142, 325 Kaufkraftverlust 224 Homologie 23-24 Kirche 66, 74 klassische Musik 195 Immaterialg terrecht 43, 283, 314 kleine und mittlere Unternehmen Improvisation 194 (KMU) 291 Indien 149 Klingeltçne 175 indigene Vçlker 259 Kollaboration 310, 313 Indigene Wissensformen 244, 252 Kollektivgut 245, 251 Industrialisierung 142 Kommunikation 324 Information Komplexit t 334 – Homologisierung der Formen 21 Komponist 191, 194 – çkonomische Analyse 25 Konkurrenz 230 Informationsfreiheit 54 Konvention ber biologische Informationsgesellschaft 142, 212, Vielfalt (CBD) 152, 243, 247, 254, 279, 292, 319 258 Informationsg ter 81, 87, 280, 302, Konvergenz 56 305 Konzentration 280 Informationstechnologie 279, 288 Kooperation 282, 291, 305, 325 Informatisierung 320 – Bedingungen 308 Inhalt 193 Kopie 90, 124, 190, 207, 303 Inkompatibilit t 314 Kopierschutzsysteme 165 Innovation 98, 141, 149, 288, 307, Krebsmaus 247 323, 331 Kreditkarte 263, 265 Innovations-Allmende 330-331 Kriminalisierung 145 Integrit t 210 Kultur-Flatrate 92, 317 Interessensausgleich 65, 110, 169, 212 Kulturstaat 74 Kundenkarten 263, 265-266 350 Stichwortverzeichnis Lagerhaltung 271 Nachhaltigkeit 313 Leistungsschutzrecht 204-205 Netlabel 311, 316 Life Sciences Industrie 243, 245, 256 Netz(werk)-Effekt 93 Linux 285, 287, 302, 322 Netzneutralit t 334 Literatur, Versorgung mit 225, 235 Netzwerke 285 Lizenzen 49, 224, 279, 281-282, 317 – als Organisationsform 324 – Offene 305, 307 Netzwerkg ter 280 Lizenzgeb hren 251 Neutralit t 332 Lizenzierung 228, 288 Nichtwissen 336-337 Lizenzvertr ge 173 Normen 326, 332 Location Based Services 266 Nutzer 69, 73-74, 111, 212, 227 Logistik 271 Nutzungsrechte 110 Macrovision 172 çffentliche G ter 44, 81, 85, 91, 245, Marken 223 326 Markenrecht 44 çffentliches Gut 86, 142, 164 Marketing 264, 271 ffentlichkeit 28, 31, 44, 76 Markt 26, 84, 280, 332, 335 kologie 28-29 Marktf higkeit 84, 86-89 on-the-spot-consultations 122 Marktversagen 82, 84, 95 Open Access 59, 228 ff. Massenmedien 181 Open Archives Initiative (OAI) 232 mechanicals 205 Open Content 46 Medienprodukte 87 Open Mobile Alliance 176 Medienunternehmen 83, 165, 302 Open Source Community 314 – Strategien 87, 96 Open Source Software 281, 292, 302, Medikamente 143, 149 305, 322-323 Medium 25 – Entwicklungsprozess 284 Medizin, traditionelle 249 – Geschichte 286 Melodie 197-198 – Innovation 323 Melodienschutz 201 – Kooperation 325 Meritokratie 284 – Motive der Nachfrage 288 meritorische G ter 94 Oper 190 Mexiko 248 Original 190, 192 Microsoft 287 Originalgenies 192 Mischgut 85 Originalit t 191-192 Mobiltelefon 175, 263, 265-266, 322 Modularisierung 309 Parallelisierung 309 Monopol 67, 165, 230, 280, 329 Pariser Verbands bereinkunft 144, 327 Musik 193 Patent 243, 251-252, 257, 314, 329 Musiker 191, 194 Patente 246 Musikindustrie 303, 311 – auf lebende Materie 247, 256 – auf menschliches Erbgut 24 Nachahmung 191 – Geschichte 141 Nachdruck 41, 67, 77, 196 – lebende Materie 151 351 Stichwortverzeichnis Patentierung 149 Recht 332 Patentkooperationsabkommen Rechteinhaber 110 (PCT) 146 Rechtsform 22 Patentrecht 44, 253, 323 Regime-shifting 154 – Ausnahmen 143, 149, 151 Regional Code 171 – internationale Harmonisierung 145, Remix 200, 303, 313 153 Repositorien 232 Pauschalabgabe 11, 49, 317 Reputation 222-224, 284, 312 Pay-TV 89-90 Revolution 70 PC 182 Reziprozit t 291, 326 PDF 166 RFID 270, 322 Peer-Reviewing 222, 229, 231, 284 Rights Expression Languages 177 Peer-to-Peer (P2P) 178, 303, 311 Robinson-Listen 272 Pervasive Computing 322 Pflanzen 245, 256 Saatgut 143, 152 – gentechnisch ver ndert 247 Sammelreisen 151 – Sammlung 250 Sampling 200, 204, 303 Pharmaindustrie 145, 245 Schichtenmodell 116 – Medikamente 149 Scholarly Publishing & Academic Plagiat 211 Resources Coalition (SPARC) 230 Preprints 226, 232 Schçpfer 68-69 print-on-demand 229 Schçpfung 41 Privateigentum 31, 77 Schçpfungshçhe 47 Privatisierung 25, 246, 251 Schrankenbestimmung 45, 48-49, Privatkopie 42, 52, 92, 116, 126 110, 113, 117, 122 Privileg 42, 66, 196 Schule 74 Produktionsfaktor 142 Schutz der kleinen M nze 134 Produktionsg terprozess 283 Schutzfrist 47, 70-71, 78, 145 Produktionsprozess 305 Self-Archiving 232 Produktive Nutzungen 209 Software 279, 288, 292, 314, 323, ProjectMUSE 231 329 propriet re Software 282, 289, 306 – Open Source 280 Public Domain 25, 28, 31, 65, 308 – propriet re 280 – Unterbewertung 28 – Qualit t 288 Publikationskosten 228 – rechtliche Behandlung 281 Publikationswesen, Wissenschaft 222 – Verkauf von 289 Publikum 76 Sound-alikes 207 Publishing Rights 205 Spam 272 PubMedCentral 234 Spenden 311 Spyware 269 Qualit tsmonopol 224 St nde 66 Qualit tssicherung 229 Statute of Anne 68 Quelltext 283 subito 124 Querfinanzierung 83, 88, 94 Suchmaschinen 267 352 Stichwortverzeichnis S dafrika 150 – Deutsches Reich 198 Superdistribution 178 – Novellierung 115, 227 Urheberrechtsverletzung 51 Tauschbçrse 126 Uruguay-Runde 148 Technische Maßnahmen 115, 117, 227 Vandalismus 310, 315 – rechtlicher Schutz 115, 168 Verbreitungsrecht 224 Technologietransfer 147 Verlag 205, 222, 226 Tr germedien 83, 87, 164 Verleger 41, 67, 69, 71, 73, 196-197, Transaktionskosten 26, 32 212 TRIPS-Abkommen 46, 75, 141, Vernetzung 90 144-145, 149, 152, 154 Verçffentlichungsrecht 233 Versioning 100 bertragungsrecht 79 Vertrauensg ter 95 Ubiquitous Computing 321 Verwerter 111, 127, 317 Umwelt 30 Verwertungsgesellschaft 50, 112, 134, Umweltschutzbewegung 28 317 Universit tsverlage 223 UNIX 286 Web of Knowledge 223 Unternehmen 283 Weltorganisation f r geistiges Eigen- Urheber 111 tum (WIPO) 146, 153 Urheberpersçnlichkeit 42, 79, 210, Werbering 269 213 Werbung 269, 312 Urheberrecht 79-80, 164, 281, 301, Werk 134, 215 303, 314 – expressives 307 – Autorenrecht 68 – funktionales 307 – Geschichte 64 – musikalisch 193 – international 74 Wertschçpfungskette 288-289 – kulturelles Handlungsrecht 64 Wettbewerb 44, 165, 335 – Legitimation 209 Wiki 309 – Musik 194, 196, 199 Wikipedia 309, 315 – naturrechtliche Begr ndung 41, 53, WIPO Copyright Treaty (WCT) 112 68, 210 WIPO Performances and Phonograms – Novellierung 52 Treaty (WPPT) 112 – çkonomische Analyse 55 WIPO-Patent-Agenda 153 – Regulierungsumfang 48 Wissen – Schranken 42, 74, 117 – Anmassung von 320, 334 – Schutzgegenst nde 47, 77, 194 – Entstehung von 302 – tempor res Monopol 165 – indigenes 143, 151, 244 ff., 258 – Verg tungspflicht 110 – Zugang zu 304-305 – volkswirtschaftliche Bedeutung 43 Wissenschaft 74, 221, 292, 305 – Zustimmungspflicht 110 Wissensgesellschaft 319-320, 322, 326, Urheberrechtsgesetz 42 331, 336-337 – deutsches 46, 113 ff. Wohlfahrtsçkonomie 28-29 353 Stichwortverzeichnis Wohlstand 142 Zeitschriftenkrise 225, 235 World Intellectual Property Organisa- Zensur 22, 42, 67 tion (WIPO) 75, 112, 154-155, 327 Zitat 110, 192, 200-201, 211 WTO 75, 144, 148, 154 Zitationspflicht 305 354