2015/2 ‒ Überwachung und Kontrolle
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- ArticleCapture All, oder: Who's Afraid of a Pleasing Little Sister?Bösel, Bernd; Angerer, Marie-Luise (2015) , S. 48-56Die Erkennung, Regulierung und Produktion von Affekten wird durch die emergierenden Affekt- und Psychotechnologien, insbesondere durch das affective computing, in einer Weise automatisiert, die noch vor wenigen Jahren unabsehbar war. Die Grundlagen für diese algorithmische Automatisierung sind jedoch in der Übertragung kybernetischer Schemata auf die Psychologie in den 1950er Jahren gelegt worden. So lässt sich eine Genealogie von Silvan Tomkins' Affektsystem über Paul Ekmans faziale Emotionserkennung bis zu Rosalind Picards Konzeption und Mitentwicklung affektsensibler Computersysteme nachzeichnen. Eine kritische Auseinandersetzung mit der hierin angelegten Überwachung und Aufzeichnung affektiver Informationen fehlt bisher allerdings und soll hier in ersten Schritten geleistet werden.
- ArticleDigitale Selbstvermessung. Verdatung und soziale KontrolleReichert, Ramón (2015) , S. 66-77An der Schnittstelle von mobilen Medien, Sensornetzwerken, GPS-gestützten Lokalisierungen, automatischen Identifikationsverfahren, digitalen Datenvisualisierungen und social web-Anwendungen tragen Fitness-Tracker maßgeblich zur Verdatung des Körpers und zur reflexiven Selbstverwissenschaftlichung bei. Der Beitrag beschäftigt sich mit der Programmlogik des digitalen Fitness- und Gesundheits-Monitoring und untersucht ihren Stellenwert im Kontext von Praktiken der Selbstführung in prozessorientierten Aushandlungsprozessen. In diesem Zusammenhang wird ein Theorierahmen erstellt, der es ermöglicht, «Self-Tracking» als Grenzobjekte (‹boundary objects›) von webbasierten Kommunikationsprozessen, praktischen Formen der Selbstthematisierung und Konstellationen biosozialer Kontrolle (z. B. mittels Feedbackschleifen) beschreibbar zu machen. Der Beitrag schafft einen Reflexionsraum zur differenzierten Auseinandersetzung mit den Medienpraktiken des Self-Tracking und untersucht das ambivalente Spannungsverhältnis von Programmlogik und den Freiräumen reflexiver Subjekte.
- ArticlePiraterieBaumgärtel, Tilman (2015) , S. 133-137Eine Meditation über Medienpiraterie als Werkzeug und Gegenstand akademischer Forschung, basierend auf dem Nachwort der von Autor herausgegebenen Anthologie «Pirate Essays». Ausgehend von seinen persönlichen Erfahrungen als Professor für Medienwissenschaften und Käufer von raubkopierten Medien in den Philippinen und Kambodscha diskutiert der Autor verschiedene theoretische Ansätze zum Verständnis des Phänomens der Medienpiraterie, und bezieht sich dabei unter anderem auf Friedrich Kittler, Lawrence Lessig, John Fiske, Mark Dery und Henry Jenkins. Der Beitrag ist auch eine Aufforderung dazu, Piraterie zu einem Gegenstand der Medienwissenschaft zu machen.
- ArticleDas »rassifizierte Feld des Sichtbaren«. Deutungen des NSU-Terrors 2004–2011Figge, Maja; Michaelsen, Anja (2015) , S. 106-117Warum war die Mord- und Anschlagserie des Nationalsozialistischen Untergrunds (NSU) nicht aufklärbar? Nach dessen Bekanntwerden im November 2011 wurde vielfach behauptet, die rassistische Motivation der Taten habe aufgrund des Fehlens von Bekennerschreiben, Zeug_innen oder anderen Beweisen nicht erkannt werden können. Der Beitrag nimmt diese Behauptung zum Ausgangspunkt, um nach der Wahrnehmbarkeit von Rassismus zu fragen. Mit Judith Butler (1993) gehen wir davon aus, dass das Sehen und Deuten von Gewalt nicht unter neutralen Bedingungen stattfindet, sondern in einem «rassifizierten Feld des Sichtbaren». Die Presseberichterstattung über die Terroranschläge zwischen 2004 und 2011 zeigt, dass auch die Deutung vermeintlich fehlender Hinweise durch dieses Feld bedingt ist.
- ReviewÜber einen neuerlich erhobenen tragischen Ton in der Geschichte des InternetsSchüttpelz, Erhard (2015) , S. 139-142Besprochene Bücher: Florian Sprenger: Politik der Mikroentscheidungen. Edward Snowden, Netzneutralität und die Architekturen des Internets, mit einem Vorwort von Christopher M. Kelty, Lüneburg (meson press) 2015 // Andrew L. Russell: Open Standards and the Digital Age. History, Ideology, and Networks, Cambridge (Univ. Press) 2014 // Bernhard Taureck: Überwachungsdemokratie. Die NSA als Religion, Paderborn (Fink) 2014
- ArticleWarum ›Daten‹ nicht genügen. Digitale Spuren als Kontrolle des Selbst und als SelbstkontrolleReigeluth, Tyler (2015) , S. 21-34Als Alternative zur scheinbaren Objektivität und Selbst-Verständlichkeit von ‹Daten› entwickelt vorliegender Aufsatz ein kritisches Konzept ‹digitaler Spuren›. Die Betonung der Materialität und Diskursivität von Spuren macht die technischen und soziopolitischen Implikationen digitaler Technologie verstehbar und aussagbar. Mit Gilbert Simondon und Michel Foucault werden die ontologischen und epistemologischen Rahmen geschaffen, um die Beziehungen zwischen Technologie und Prozessen der Subjektivierung deuten zu können. Digitale Spuren werden als Objekte und Produkte heteronomer Interventionen modelliert, deren Logik entlang der eingesetzten Algorithmen nachverfolgt werden kann. Das vorgeschlagene Paradigma eröffnet eine neue Perspektive darauf, wie Formen der Selbstkontrolle und der Kontrolle des Selbst voneinander abhängige Facetten einer ‹algorithmischen Gouvernementalität› sind.
- ArticleWenn Data stirbt. Grenzen, Kontrolle und MigrationRogers, Christina (2015) , S. 57-65Das Grenzregime der EU hat durch SIS I+II, VIS, Eurodac, Eurosur und die Prümer Entscheidung ein Überwachungsgefüge etabliert, um u. a. Migration in die und in der EU anhand von Data-Doubles zu kontrollieren. Die folgenden Überlegungen untersuchen die Auswirkungen dieses Gefüges auf Funktionsweisen von Grenzen als Orte und Praktiken der Premediation zukünftiger Risiken, wobei die Produktion von Körper-Daten-Hybriden genauere Betrachtung findet. Eine These ist, dass in der medialen Rahmung von Migrant_innen via Überwachungstechnologien eine Di-vidualisierung stattfindet, die in anderen medialen Aushandlungen von Migration gebrochen wird.
- Journal IssueZeitschrift für Medienwissenschaft. Heft 13: Überwachung und Kontrolle(2015)Spätestens seit den Enthüllungen von Edward Snowden ist deutlich geworden, in welchem Ausmaß Netzwerk- und Speichermedien Instrumente von Überwachung und Kontrolle sind. Aber nicht nur Geheimdienste generieren Daten aus der Nutzung von Medientechnologien; auch im ›Internet der Dinge‹, in den Phantasien von Big Data oder innerhalb der Quantified Self-Bewegung werden mediale Vorgänge, Ereignisse und Kommunikationen automatisierten Vermessungen unterzogen, die Kontrolle zum Ziel haben. Längst sind Debatten darüber angestoßen, wie diese Inanspruchnahme konventionelle Vorstellungen des Privaten, bürgerliche Freiheitsrechte und die Grundlagen liberal-demokratischer Gesellschaftsordnungen unterhöhlen und zerstören. Wenn dabei die sozialen Bedeutungen und politischen Effekte von Medientechniken thematisiert werden, ihre Subjektivierungsweisen und ihre Emergenz, geschieht dies häufig unter weitgehender Ausblendung medienwissenschaftlicher Positionen.