Journal Issue: Zeitschrift für Medienwissenschaft. Heft 5: Empirie
Description
Publisher
Akademie Verlag
Abstract
Die neuzeitliche Wissenschaft steht im Zeichen der Empirie. Als wissenschaftlich gilt vorzugweise,
was Ergebnis von Experiment und Beobachtung ist und sich in mathematischen Größen ausdrücken
lässt. Wer, wie in der Regel die Geisteswissenschaften, Theoriebildung nicht an Experimente mit
serendipem Ausgang knüpft, gerät entsprechend unter Legitimationsdruck. Die Philosophie reagiert
auf diesen Druck beispielsweise, indem sie vielerorts ihre alten Fragen zur Entscheidung an die
Neurowissenschaft delegiert.
Die Medienwissenschaft nimmt hier eine in mehrfacher Hinsicht besondere Position ein: Zum einen
sind Entstehung und Erfolg der naturwissenschaftlichen Empirie eng an mediale
Möglichkeitsbedingungen gebunden. Zum anderen aber erhält die Entstehung der Disziplin oder des
Feldes Medienwissenschaft selbst durch eine doppelte Abgrenzung Plausibilität: gegen eine
materialitätsvergessene und damit ›zu wenig empirische‹ Geisteswissenschaft ebenso wie gegen
eine ›bloß empirische‹ Kommunikationswissenschaft, die an den medialen Voraussetzungen von
Kommunikation nicht interessiert ist.
Darüber hinaus sind Radio, Film und Fernsehen historisch
gesehen ohne das Steuerungswissen von Publikums- und Wirkungsforschung kaum denkbar – wobei
nicht zuletzt die Netzwerkeffekte im Web 2.0, die weder prognostizierbar noch retrospektiv
modellierbar sind, diesen etablierten Zusammenhang von Massenmedien und
sozialwissenschaftlicher Empirie unterlaufen.
Gerade in einer Phase der dynamischen Entwicklung des Faches verdient aus
medienwissenschaftlicher Perspektive noch einmal neu gedacht zu werden, was Empirie ist.
Zunächst reklamieren unterschiedliche Ansätze der Medienwissenschaft starke, wenn auch
spezifische Bezüge zu einer ›klassischen‹ Empirie – man denke an die Rückführung
anthropologischer Theoriefiktionen auf technische Apriori oder die Nutzbarmachung der
naturwissenschaftlichen Empirie von Neurobiologie und Kognitionspsychologie in medienästhetischen
Zusammenhängen. Aber auch zwischen solchen Randpunkten zeichnen sich dynamische
methodologische Diskussionen ab: In der New Film History und der Medienarchäologie wird mit
akribischen Archivrecherchen und Modellen aus der Ökonomie und Wissenschaftsforschung
gearbeitet; die Cultural Studies verfeinern weiterhin ethnographische und diskursanalytische Ansätze
zur Analyse kultureller Praktiken und berühren sich dabei mitunter mit Ansätzen wie der
Actor-Network-Theory und Theoriemodellen aus der Soziologie.
Der Themenschwerpunkt »Empirie« der Zeitschrift für Medienwissenschaft nimmt diese
Spannungsfelder zum Ausgangspunkt, um das Konzept der Empirie historisch, theoretisch und
wissenschaftspolitisch neu zu perspektivieren.
Preferred Citation
BibTex
Gesellschaft für Medienwissenschaft(Hg.): Zeitschrift für Medienwissenschaft. Heft 5: Empirie, Jg. 3 (2011), Nr. 2. DOI: 10.25969/mediarep/2600.
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