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Normative Selbstmissverständnisse. Medienbildung zwischen normativer Bewahrung und technologiegetriebener Normsetzung

Author(s): Leschke, Rainer
Abstract

Die implizite Normativität des eigenen Vorgehens gehört bekanntlich zu den am besten bewahrten Geheimnissen der meisten kulturwissenschaftlichen Projekte. Im allgemeinen kulturwissenschaftlichen Feld mag das noch angehen und als lässliche Schwäche kodiert werden können, im Bildungsbereich hingegen ist das geradezu fatal, werden doch Biographien mit Zielvisionen beschwert, deren sie sich - wenn überhaupt - nur noch schwer wieder entledigen können. Diese impliziten Leitmodelle von Medienbildung präformieren daher nicht nur Bildungsprogramme und strapazieren damit kollektive Ressourcen, sie statten Biographien mit kulturellen Leitplanken und Reiseprogrammen aus, die eigentlich durch nichts, wenigstens nicht durch Reflexion gedeckt sind. Am normativen Grund der Medienbildung herrscht mithin ein systematisches Reflexionsdefizit und dass dieses angegangen werden soll, ist sicherlich nicht zufällig, denn zumindest eines dürfte gegenwärtig Konsens sein: die zunehmende Erschlaffung der normativen Kraft und Verbindlichkeit von für mehr oder minder ewig erachteten Vorstellungen von Subjektivität, Wissen und Bildung. Der zunehmende Verlust der Legitimität und Anerkennung dieser impliziten Normativität setzt Medienpädagogik unter einen enormen Rechtfertigungsstress. Sie erzeugt so jene Spannung, die medienpädagogische Bemühungen zwischen einem kaltschnäuzig blinden ‘Weiter so!‘, das die Scheuklappen nur umso entschlossener ins Gesicht zieht, und zaghafter Orientierungslosigkeit, die sich an jeden vorbeiziehenden Strohhalm klammert, wenn sie in jeglichem neuen medientechnologischen Feature zugleich ein neues Menschenmodell heraufziehen sieht. Dabei wird das Menschenbild – im Übrigen ein Bild, und damit eine mediale Kategorie – entweder bewahrpädagogisch konserviert – und insofern verfügt die Medienpädagogik in normativer Hinsicht über einen bewahrpädagogischen Kern, wiewohl sie gerade gegen bewahrpädagogische Vorstellungen angetreten war – oder aber outgesourct und damit an die medientechnologische Findigkeit der Medienindustrie abgegeben. Beide Reaktionsmuster scheinen gleichermaßen hilflos zu sein und daher dringend der Reflexion zu bedürfen, zumal es sich um eine Existenzfrage der Medienbildung handelt, die systematisch nicht ohne normativen Hintergrund auskommen und daher nicht in metatheoretische Gefilde entfliehen kann.


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Leschke, Rainer: Normative Selbstmissverständnisse. Medienbildung zwischen normativer Bewahrung und technologiegetriebener Normsetzung. In: Hug, Theo;Kohn, Tanja;Missomelius, Petra: Medien - Wissen - Bildung. Medienbildung wozu?. Innsbruck: Innsbruck University Press 2016, S. 17-32. DOI: 10.25969/mediarep/1304.
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 editor = {Hug, Theo and Kohn, Tanja and Missomelius, Petra},
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 pages = {17--32},
 publisher = {Innsbruck University Press},
 isbn = {978-3-903122-16-1},
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