FUNNY GAMES Spielräume des Sadomasochismus in Film und Medien Dissertation zur Erlangung eines Doktorgrades am Kulturwissenschaftlichen Institut der Humboldt-Universität zu Berlin Disputation am 19.12.2013 von Simon Pühler 1. Gutachter: Prof. Dr. Hartmut Böhme 2. Gutachter: Prof. Dr. Natascha Adamowsky In Gedenken an Matthias Inhaltsverzeichnis Prolog 1 TEIL 1: ZUR GRUNDLEGUNG VON SM-MEDIALITÄT 41 Die Fälle Sade und Sacher-Masoch 42 • Sades Maschinen(t)räume – Exposition 42 • Mehr-Lust und böser Reiz 54 • Sade und Sacher-Masoch: Lustpraktiken im Vergleich 57 • Zur Konstruktion des Typus grausame Frau 69 • Ausbleibende Hegelsche Anerkennung 80 • Installation des Venus-im-Pelz-Dispositivs 85 • Der Phallus im sadomasochistischen Szenario und Körperbild 107 • Vom geografischen zum virtuellen Raum – Résumé 141 • Jenseits der Identifikation: Sadomasochismus und Kino 156 • Nachtrag: Marlene Dietrich und Josef von Sternberg 203 Prothesen und Organprojektion 208 • Vorüberlegungen für eine Medientheorie moderner Schmerzlust 209 • Kapps Grundlinien einer Philosophie der Technik 216 • Kreisbahnen 244 • Egophilosophie vs. Lustexperiment 251 • Apparate bei Freud und Lacan 283 • Das Objekt a 310 • Nachtrag: père-version 338 TEIL 2: SM-KINO – CRASH TEST DER MEDIEN ([1983] 2000-2012) 356 SM und Fantasma 357 VIDEODROME (Kanada 1983; Regie: David Cronenberg) 357 • Von Schrebers SM-Seite oder die Despotismen des Reellen 358 • Bis ans Ende der Matrix: Schnittstellenoptimierung/ -eliminierung im Realen 464 FALSCHER BEKENNER (Deutschland 2005; Regie: Christoph Hochhäusler) 518 • Sichtbarwerden im Nicht-Raum Westdeutschlands (Anti-Ödipus revisited) 519 Sado-Spiele 567 BATTLE ROYALE (Japan 2000; Regie: Kinji Fukasaku) 567 • Gruppendynamisches Todesspiel im Japan der Jahrtausendwende 567 THE HURT LOCKER (USA 2008; Regie: Kathryn Bigelow) 589 • Ein neuer Fetisch: Bombenentschärfung im Irak 589 Epilog 608 SHORTBUS (USA 2006; Regie: John Cameron Mitchell) 608 • Zur Rekonstruktion des sadomasochistischen Symptoms (in New York nach 9/11) 609 Mehr-Lust-Appendix 666 Pervi-Baukasten zum Mitmachen – frei nach Fernando Vallejos Gedicht Entre Fantasmas: Grundrauschen/ Stoffe/ Atmosphären, Aggregate, Attribute/ Symbolisches/ Daneben, drüber, dazwischen, drunter/ Spielfelder/ Kleine Wahrnehmungen/ Ausverkauf/ Es werde Licht/ Eier Popeia/ Passagen/ In the Mix (once more)/ Frauen/ Männer/ Go Hardcore/ The show must go on – Credits/ Perversion for You – Your Perversion! Quellenangaben 707 Vortrag der Disputation vom 19.12.2013 764 ! Prolog Möge niemals das Ungeheure vom Lächerlichen getrennt werden. Daniel Paul Schreber Wir sind keine denkenden Frösche, keine Objektivier- und Registrier-Apparate mit kaltgestellten Eingeweiden – wir müssen beständig unsre Gedanken aus unsrem Schmerz gebären und mütterlich ihnen Alles mitgeben, was wir von Blut, Herz, Feuer, Lust, Leidenschaft, Qual, Gewissen, Schicksal, Verhängnis in uns haben. [...] Ich zweifle, ob ein solcher Schmerz „verbessert“; aber ich weiß, dass er uns vertieft. 12 Vom Ziele der Wissenschaft. – Wie? Das letzte Ziel der Wissenschaft sei, dem Menschen möglichst viel Lust und möglichst wenig Unlust zu schaffen? Friedrich Nietzsche Fragestellungen Die vorliegende Arbeit ist der Versuch, eine medien-/ kulturwissenschaftliche Theorie der Schmerzlust, des Sadomasochismus zu entwickeln. Was hat es in der Moderne auf sich, wenn Menschen (sich) aus Lustgründen quälen oder quälen lassen, also jene „seltsame Beziehung zwischen der Lust, Böses zu tun, und der Lust, Böses zu erleiden“,1 eingehen – und dabei (un-)wissend Spiele und Spielchen um sexualisierte Macht entwerfen und ausprobieren? Was ist mit den geläufigen, auch (populär- )wissenschaftlichen Begriffen Sadismus und Masochismus – ebenfalls in kompakter und abgekürzter Form (SM) – gemeint,2 (wie) werden diese aktuell lesbar? Welche sichtbaren und unsichtbaren Formen und Strukturen sind hier zu erkennen? Wie !!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!! 1 Deleuze 1980, 191. 2 Vgl. zum nicht ganz unproblematischen, „kompakt[en] Begriff des Sadomasochismus“: Stiglegger 2010, 48 ff. und Deleuze 1980, 169 f. (Die Legitimität bzw. Anwendbarkeit dieses zusammengesetzten Begriffs soll überprüft werden.) ! 1 ! funktionieren diese im bzw. als Netzwerk des Unbewussten, der individuellen Begehrlichkeiten? Um Antworten zu finden, liegt es nahe, einerseits die Literatur des Marquis de Sade und von Leopold von Sacher-Masoch als Wissensgrundlage heranzuziehen, andererseits – und dies wird ein Schwerpunkt bzw. die Schwierigkeit in den nachfolgenden Ausführungen sein – die medialen Bedingungen und Schnittstellen zu rekonstruieren, die das sadomasochistische Begehren individuell wie kollektiv auf den Plan rufen bzw. symptomatisch konstituieren. Es geht mir um die Suche eines medialen Strukturgesetzes, zumindest um neue Definitionen sadomasochistischer Selbsttechniken in der Moderne, in der Gegenwart. Eine wichtige historische Schnittstelle ist in dieser Hinsicht der (in dieser Arbeit nicht näher untersuchte) Übergang vom Mittelalter zur Neuzeit, von einer meist grausamen und willkürlichen Gewalt- und Strafpraxis der Kirche und des Feudalherren zur technisch verfeinerten, institutionellen Disziplinargewalt des aufkommenden Bürgertums, wie sie sich in der „Straf-Gesellschaft“ des 18. Jahrhunderts deutlich herauskristallisierte und bis heute in modifizierter Form wirksam ist.3 These Denn – so meine Arbeitshypothese – SM als ein fantasmatischer wie auch symbolischer Spiel- und Zwischenraum im relativ homogenen Systemraum der Moderne, im „Reich des Normativen“, wie mit Michel Foucault gesagt werden kann,4 imitiert, pervertiert und transformiert die medialen Regulationsprinzipien, d. h. Machttechniken, denen Lüste, Körper, Geschlechter und Subjekte im gewählten Zeitraum der Untersuchung (ungefähr seit der französischen Revolution bis heute) ausgesetzt sind. !!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!! 3 Vgl. Foucault 1995, 145. Vgl. zu dieser Schnittstelle auch Pühler 2006, 17-29 („1.1 Technoimagination I“). 4 Vgl. Foucault 1995, Klappentext. ! 2 ! Psychopathologische Definitionen Dieser Normierungsdruck erzeugt(e) nicht nur die Lust auf Perversionen, sondern sorgte auch dafür, dass diese in einer entstehenden Sexualwissenschaft etwa seit Mitte des 19. Jahrhunderts in zahlreichen Fallbeispielen aufgezeichnet und klassifiziert wurden.5 Berühmt geworden in dieser Hinsicht ist der Neurologe, Psychiater und Gerichtsgutachter Richard von Krafft-Ebing (1840-1902), der mit der ersten Auflage der Psychopathia sexualis von 1886 den Grundstein für seine Sexualpathologie legte. Diese begreift Krafft-Ebing als eine Veränderung des Sexualtriebs. Sie zeige sich hauptsächlich in drei Punkten: „1. Fehlendem Sexualtrieb 2. Krankhaft gesteigertem Sexualtrieb 3. Falscher Richtung des Sexualtriebs.“6 Karin Bang betont, dass Krafft-Ebing Perversionen dem dritten Punkt zuordnete: „Die perverse Betonung der sexuellen Vorstellungen bewirke, dass Vorstellungen, die sonst mit Unlust- und Ekelgefühlen verbunden sind, Lustgefühle bereiten. Deren praktisches Resultat seien die perversen Handlungen.“7 Alles, was nicht der Fortpflanzung diene, muss Krafft-Ebing als pervers gelten. Dazu gehöre auch der Sadismus und Masochismus, die er als wissenschaftliche bzw. klinische Begriffe einführte, erläuterte und (polarisierend) in Beziehung setzte. Gerade der Masochismus bzw. die damit bezeichnete(n) Perversion(en) waren in der Wissenschaft des 19. Jahrhunderts noch nicht erforscht; das waren Neuigkeiten, an denen auch eine breite Öffentlichkeit interessiert war. !!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!! 5 „Mit dem Eifer eines Insektensammlers stürzte Mann sich auf die sexuellen Praktiken und Phantasien, auf ihre Varianten und die unübersehbare Fülle ihrer Verschiedenartigkeit.“ (Treut 1990, 102. Vgl. zu den „Gesammelte[n] Fetischisten“ bei Krafft-Ebing auch Böhme, 2006, 388-391.) Es bleibt in diesem Zusammenhang zu fragen, inwiefern Krafft-Ebing selbst zum „psychiatrischen Voyeur“ geworden ist. Vgl. Mildenberger 2003, 68. 6 Vgl. Bang 2003, 60. 7 Ebd. ! 3 ! Krafft-Ebings Masochismus-Definition in einer der erweiterten Auflagen seines Buches der 1890er Jahre, Neue Forschungen auf dem Gebiet der Psychopathia sexualis, lautet: „Unter Masochismus verstehe ich eine eigentümliche Perversion der psychischen Vita sexualis, welche darin besteht, dass das von derselben ergriffene Individuum in seinem geschlechtlichen Fühlen und Denken von der Vorstellung beherrscht wird, dem Willen einer Person des anderen Geschlechts vollkommen und unbedingt unterworfen zu sein, von dieser Person herrisch behandelt, gedemüthigt und misshandelt zu werden. Diese Vorstellung wird mit Wollust betont, der davon Ergriffene schwelgt in Phantasien, in welchen er sich Situationen dieser Art ausmalt, trachtet oft nach einer Verwirklichung derselben und wird durch diese Perversion seines Geschlechtstriebs in der Regel für die normalen Reize des anderen Geschlechts mehr oder weniger unempfänglich, zu einer normalen Vita sexualis unfähig – psychisch impotent.“8 Sadismus9 verhält sich laut Krafft-Ebing dem Masochismus gegenüber komplementär, ein „vollkommenes Gegenstück zum Masochismus“.10 Die Wollust entstehe in Akten der Grausamkeit, der erzwungenen Unterwerfung einer anderen Person, des Weibes, was nicht nur Leid und Schmerz für die Opfer bedeutet, sondern sogar bis zum aktiven Lustmord führen kann – Selbst- bzw. Endzweck einer perversen Vita sexualis.11 In den von ihm beobachteten Fallbeispielen sind sowohl masochistische als auch sadistische Züge erkennbar. So gebe es auch Sadisten mit masochistischen Tendenzen; trotzdem sei, wenn ein Mischungsverhältnis beider Perversionen vorliegt, letztendlich eine dominant. Es hänge im Einzelfall von der Intensität des Ergriffenseins und von Abwehrkräften ab, ob und inwieweit sich das perverse Individuum auf die Realisierung seiner Fantasien einlässt. !!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!! 8 Ebd. 62; Zitat von Krafft-Ebing 1891, 1. 9 Der Begriff existierte bereits im französischen Sprachgebrauch. Mit ‚sadisme’ war eine „Kollektivbezeichnung für eine heterogene Fülle sexueller Abnormitäten“ gemeint. Vgl. Treut 1990, 103 und Eulenburg 2003, 179. 10 Vgl. Bang 2003, 63. 11 Vgl. ebd. und Treut 1990, 104 – dort ist die Originalstelle von Krafft-Ebings Sadismus-Definition angeführt und kommentiert. ! 4 ! Daher „dürfe man die Perversion des Sexualtriebs nicht mit der Perversität des tatsächlichen sexuellen Verhaltens verwechseln. Er unterscheidet also zwischen der Krankheit Perversion und der Perversität, die er als ein Laster betrachtet, und weist darauf hin, dass diese Unterscheidung nur möglich sei, wenn man zu der Gesamtpersönlichkeit des Handelnden und zu den Triebfedern dieses Verhaltens zurückgehe. Hierin liege der Schlüssel der Diagnostik“ –;12 ein durchaus progressiver Ansatz, da Krafft-Ebing den Mensch in seiner spezifischen Lebenssituation betrachtete.13 Psychische Veränderungen und Störungen ließen sich dann nicht mehr nur auf rein organischer bzw. erbphysiologischer Grundlage erklären. Dies war ja gerade das Bestreben einer positivistischen Medizin bzw. Psychiatrie seit Mitte des 19. Jahrhunderts und gleichwohl wirksame Stütze eines umgreifenden Fantasmas.14 Er ging sogar soweit, eine ausschließlich gehirnanatomische und neurophysiologisch arbeitende Psychiatrie in den Rang der Hilfswissenschaften zu verweisen. Trotz derartiger Klarsicht und Aufgeschlossenheit war Krafft-Ebings neue Wissenschaft aber alles andere als objektiv – „[b]isweilen unbeholfen und manchmal zu pathetisch“.15 So hielt er u. a. die Onanie für einen schädlichen Einfluss und warnte vor ihr. Psychische Abweichungen von der Vita sexualis verstand er als originäre Abnormität, die nicht auf dem Weg der Ideenassoziation zustande gekommen oder auf Erlebnisse in der Kindheit und Jugend zurückzuführen sei.16 Krafft-Ebing stufte !!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!! 12 Bang 2003, 60. 13 Trotz und wegen seiner Pathologisierungen, die ihn wie viele Ärzte im 19. Jahrhundert gleichsam als Sozialingenieur bzw. Sittenwächter auszeichneten, „hat er aber dennoch ohne Zweifel den Weg für einen Lockerung des Strafrechts und des Denkens in der Psychiatrie geebnet.“ Vgl. Azoulay 2003, 79. 14 Neben der „erbphysiologischen Dimension“ ist es „die sittliche Entartung“, die Hartmut Böhme zu den zwei großen Fantasmen im Hintergrund patriarchalischer Sex-Investigationen im 19. Jahrhundert zählt. Vgl. Böhme 2006, 389. 15 Farin 2003 (b), 54. 16 Vgl. Krafft-Ebing 2003 (1890), 51. Diese Aspekte, nämlich freies Assoziieren, Kindheitserinnerungen und Erstnehmen des persönlichen Symptoms, spiel(t)en demgegenüber in der Psychoanalyse Sigmund Freuds eine eminent wichtig Rolle. Krafft-Ebing war trotz dieser Unterschiede der entstehenden Psychoanalyse gegenüber aufgeschlossen, hatte er sich doch für Freud eingesetzt, als es um eine Professur für den Wiener Nervenarzt ging. Krafft-Ebing kam jedoch bereits an dieser Stelle ins Schleudern: Wie kann nämlich die Perversion als originär betrachtet werden wenn, wie er es ja auch schon Stück weit erkannt hatte, kulturelle Umweltfaktoren eine Rolle bei ihrer Entstehung und Ausführung spiel(t)en? Freud selbst dachte allerdings auch noch in diesen Bahnen, indem er annahm, ! 5 ! seine perversen Patienten per se als minderwertig ein.17 Der von ihm unerkannte Kunstfehler lag darin, dass hier sozialpsychologische und literarische Beobachtungen im Namen patriarchalischer Medizin kurzgeschlossen und gleichsam durch die Schablone eines fragwürdigen, unbewusst operierenden Sittenkodex’ gelesen wurden. Die Psychiatrie bzw. Sexualwissenschaft griff hier in Bereiche ein, die sie (zumindest aus heutiger Perspektive) de facto erst einmal nicht oder nicht so sehr tangieren dürfte, was sich in der wertenden Rede von Laster und Tugend Ausdruck verschaffte. – Etwas, das eigentlich der philosophierenden Ethik bzw. der Literaturwissenschaft oder Philologie, dem Bereich der Kulturwissenschaften, angehört und vorbehalten ist.18 Der Sexualforscher Albert Eulenburg hatte bereits 1902/11 darauf hingewiesen, dass sich Krafft-Ebings SM-Definitionen zu sehr an einem heterosexuellen Geschlechterverhältnis orientierten.19 Wie es demgegenüber um die Akte homosexueller Grausamkeit und auch um den weiblichen Sadismus bestellt sei, wurde bei Krafft-Ebing kaum oder gar nicht erläutert.20 Zudem habe er auch nicht bemerkt, dass sogenannte Perverse oft nicht nur an einer Spielart interessiert, sondern auch für anderes offen sind – „Päderast, Nekrophile, Zoophile, Exhibitionist, Koprophage und !!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!! dass Perversionen eine angeborene, also genetische Ursache hätten und sogar von einem sadomasochistischen Trieb sprach. Vgl. Brumlik 2006, 97. 17 Vgl. Mildenberger 2003, 62. 18 Dies soll eben nicht heißen, dass diese Bereiche nicht auch im Sinne einer heutigen Medien-/ Sex-/ Kulturwissenschaft heterogen verschaltet werden können und müssen. Krafft-Ebing hat dies ja schon ein Stück weit betrieben. Dass seine zu kurz geratene Diskurs-Analyse zwischen SM-Literatur, Pervi- Fallbeispielen und Medizin dabei alles andere als genau war, dass er die Literatur Sacher-Masochs nicht vollständig verstanden habe (und deshalb mit Karl Kraus als „beschränkter Forscher“ zu bezeichnen sei), zeigt Florian Mildenberger auf. Vgl. ders. 2003, 58, 62. 19 Auch wenn Eulenburg dies nicht explizit erwähnt, ist hier bereits die mächtige Norm dieses Verhältnisses ersichtlich, mit der es überhaupt erst möglich wird, von krankhaften Abweichungen reden zu können. Ein System der Verbote ist dabei ebenso signifikant. Vgl. Koschorke 1988, 65. 20 Monika Treut stellt fest, dass es kein Fallbeispiel einer souveränen Sadistin in der Psychopathia sexualis gibt. (Vgl. Treut 1990, 105 f.) Florian Mildenberger hat in dieser Schrift nur ein Fallbeispiel eines homosexuellen Masochisten entdeckt, „den es nach der Logik von Krafft-Ebing gar nicht geben durfte“, sozusagen die Ausnahme, die die Regel bestätigt. Vgl. Mildenberger 2003, 62. ! 6 ! tout le reste, wofür gerade die de Sadeschen Schriften eine an Beispielen überreiche, in ihrer Art unerschöpfliche Fundgrube bilden“.21 Es ist erstaunlich, wie schnell die Begriffe Sadismus und Masochismus in den allgemeinen Sprachgebrauch übergegangen sind und sich dort konsolidierten22 – und dies trotz oder gerade wegen ihrer negativen, anrüchigen Konnotationen. Viele Perverse, obwohl sie für krank erklärt wurden, waren sogar froh, zu erfahren, dass sie mit ihren speziellen Leidenschaften nicht allein waren. Der österreichische Schriftsteller Leopold von Sacher-Masoch (1836-95) war jedoch nicht gerade erfreut darüber, dass er bzw. sein Name für ein klinisches Phänomen, schließlich für diese freak show aufgeklärter Wissenschaft, herhalten musste. – Nicht, weil ihm seine Gelüste vor anderen peinlich waren, hatte er diese doch gar nicht erst zu verheimlichen versucht,23 sondern weil er einem anderen Erklärungsmuster folgte. Seiner Meinung nach habe der Masochismus atavistische, ethnografische und auch – wie es in der Novelle Venus im Pelz deutlich wird – kulturhistorische Ursachen und sei nicht, wie Krafft-Ebing annahm, das Resultat psychosexueller Fehlentwicklung.24 Auch Gilles Deleuze verwirft die psychopathologische Sichtweise, indem er schreibt: „Da das klinische Urteil voller Vorurteile steckt, ist alles von einem Standpunkt außerhalb des klinischen Bereiches neu aufzunehmen, vom Literarischen her, von dem aus die Perversionen auch bezeichnet werden. [...] Und statt sich einer Dialektik zu überlassen, die nur rasch die Gegensätze vereinigt, sollten eine Kritik und Klinik angestrebt werden, welche die wirklich differentiellen Mechanismen ebenso klar wie die künstlerische Originalität aufweisen.“25 !!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!! 21 Vgl. Eulenburg 2003, 182. 22 Vgl. Azoulay 2003, 80 und vgl. Bang 2003, 64. 23 Bevor Details aus Sacher-Masochs Biografie bekannt wurden, war zumindest als Ferndiagnose klar, dass er seine perverse Fantasie, ähnlich wie er sie in seiner Literatur beschrieb, auszuleben versuchte. Vgl. Exner 2003, 33. 24 Vgl. ebd. Ob Sacher-Masoch Recht behalten soll, wird später geklärt. Vgl. 145 ff. in dieser Arbeit. 25 Vgl. Deleuze 1980, 169. Auch wenn es sich beim Masochismus und Sadismus um „großartige Beispiele der Wirksamkeit der Literatur handelt“, ist es dennoch, wie Deleuze betont, problematisch, Autoren und ihre Artefakte in einen klinischen Zusammenhang zu stellen (ähnlich wie Krankheiten nach ihren Entdeckern benannt werden können). – „Sind Sade und Masoch in diesem Sinn große Kliniker?“ Wohl kaum, da es ihnen um Beschreibungen ihrer eigenen Schmerzlust und nicht um ! 7 ! SM-Medialität im Vergleich Ich möchte diesem Rat, dieser Spielanweisung, folgen, indem ich im ersten Kapitel Schriften von Sade und Sacher-Masoch analysiere und dabei vor allem deren Versuchsanordnungen zur Lustoptimierung näher betrachte.26 Dabei gilt es zu beachten, worauf ebenfalls Gilles Deleuze hinweist, dass es wohl kaum ein Komplementärverhältnis, eine Umkehrbarkeit zwischen Sadismus und Masochismus geben kann,27 d. h. der Trugschluss, dass da, wo ein Sadist ist, der Maso nicht weit sein kann und umgekehrt. Allerdings glaube ich, dass sich der Pariser Philosoph gründlich irrt, wenn er in diesem Zusammenhang schreibt, dass Sacher-Masochs literarisches „Universum mit dem Sades nichts gemein hat“.28 Er hat ja gerade in seiner Sacher-Masoch-Studie nachvollziehbar aufgezeigt, wie sich viele wichtige Aspekte – so unterschiedlich sie auf beiden Seiten auch erscheinen – in Beziehung setzen lassen, sodass es demzufolge eine Verbindung geben muss. Mit den Fallbeispielen Sade und Sacher-Masoch möchte ich wider Deleuze beweisen, dass diese Verbindung – u. a. in medienarchäologischer Rekonstruktion – auf jeden Fall existiert. Dafür kann und soll Deleuzes inspirierender Text, sein Vergleich, sogar aufgenommen und fortgesponnen werden – bis zum Schluss dieser Arbeit. Auch Jacques Lacans Aufsatz Kant mit Sade (ebenfalls wie Deleuzes Studie in den 1960er Jahren entstanden)29 kann als weitere Vorlage im Sinne eines fruchtbaren SM- !!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!! medizinisches Wissen ging. Allerdings weist Deleuze auch darauf hin, dass die nach ihnen benannten Grundperversionen einer Symptomatologie folgen, die sich durchaus in eine Geschichte seelischer Krankheiten wie auch literarischer Ästhetik einschreiben lässt. Und für solche Projekte sind Sades und Sacher-Masochs Beobachtungen auf jeden Fall aussagekräftiger als Krafft-Ebings wissenschaftliche Psychopathia sexualis, da Sades und Sacher-Masochs Beobachtungen viel genauer und vor allem selbst gemacht bzw. lustvoll herbeifantasiert sind. (Vgl. ebd. ff.) Das sichert ihnen (neben anderen Gründen) bis heute ihr literarisches Überleben. 26 Vgl. zu „Versuchsanordnungen“, zu „Planspielen“ im Kontext der Schmerzlüsternheit: Farin 2003 (a), 8. 27 Vgl. Deleuze 1980, 193. 28 Vgl. ebd. 169. 29 Deleuzes Sacher-Masoch-Forschungen erschienen 1967. Wieso ging Deleuze, der Lacan sehr schätzte, darin nicht auf dessen wichtigen Sade-Text ein, bringt er hier doch selbst Sade und Kant ins Spiel? Lacans Text stammte bereits aus dem Jahr 1962. „Hatte Lacan zu diesem Zeitpunkt Kenntnis ! 8 ! Vergleichs dienen. Denn es gibt „zwischen dem Sadeschen Imperativ des Genießens und dem kategorischen Imperativ Kants eine Symmetrie“, betont Elisabeth Roudinesco in ihren Anmerkungen zu diesem Text.30 Symmetrien, Überschneidungen sowie Differenzen sind auch in den Schriften und sogar Lebenspraxen von Sacher- Masoch und Ernst Kapp, dem Vater der Prothesentheorie im 19. Jahrhundert, zu beobachten und virulent (vgl. „Egophilosophie vs. Lustexperiment“ im zweiten Kapitel dieser Arbeit). Nicht nur Sacher-Masoch und Krafft-Ebing sind, wie es die Perversionsforschung nahe legt, vermeintliche Zwillingsbrüder im Geiste,31 sondern !!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!! von den Zeitungsreportagen [im New Yorker (Anmerkung S. P.)], die Hannah Arendt 1961 dem Prozeß von Adolf Eichmann gewidmet hatte?“ (Roudinesco 1996, 466.) Der (mediale) Sadismus des Dritten Reiches kann in dieser Arbeit nicht untersucht werden. Diese komplexen Zusammenhänge würden eine eigene Studie erfordern. Vgl. zum Thema Faschismus und Medien bzw. faschistische Medien: die (mit dem Grimme-Preis) ausgezeichnete Dokumentation HITLERS HITPARADE (2005) von Oliver Axer und Susanne Benze, wie auch Marcus Stigleggers Standardwerk Sadiconazista 1999. Vgl. zu Medien im Dritten Reich: Zimmermann 2007 (gerade im Hinblick auf Propaganda und Massenmedien – auch in Spanien und Italien) und den Tagungssammelband Heidenreich und Neitzel (Hrsg.) 2010. Vgl. zu Mediale[n] Trasformationen des Holocausts: von Keitz und Weber (Hrsg.) 2013. 30 Ebd.: „[I]n Lacans Interpretation [war] die Kantsche Moral nicht aus einer Theorie der Freiheit hervorgegangen, sondern aus einer Theorie des Begehrens, in der das Objekt verdrängt wurde. Diese ‚Verdrängung’ wurde anschließend durch den Sadeschen Diskurs ‚erklärt’. Und deshalb gab es zwischen dem Sadeschen Imperativ des Genießens und dem kategorischen Imperativ Kants eine Symmetrie. [...] Doch während Lacan zufolge Sade den Anderen in der Gestalt des Folterers auftreten und dabei das Objekt (klein a) zum Vorschein kommen ließ, brachte Kant das Objekt zum Verschwinden, indem er eine Theorie der Autonomisierung des Subjekts durch das Recht vorlegte.“ – So Roudinescos Zusammenfassung von Lacans Ausführungen zu Kant mit Sade. (Vgl. Lacan 1986 [b].) Diskurse, die sich SM-mäßig in Beziehung setzen lassen, operieren als (noch näher zu bezeichnende) Schaltmomente zwischen Verdrängung und Wiederkehr des libidinös Verdrängten, Eros und Thanatos, on und off etc. Sie sind über eine Leer- bzw. Nullstelle miteinander verbunden (auch mit dem traumatischen Loch im Fetisch). Wichtig ist, dass das, was hier in Opposition, in ein Kommunikationsverhältnis gebracht wird, keine gegenseitige Ergänzung, kein Komplementärverhältnis darstellt; darin bestand der psychopathologische Irrtum (im Analog-Denken) Krafft-Ebings. Vielmehr ist hier ein spannungsgeladenes Reibungs- und Störmoment zu beobachten, dass als Dysfunktion neue Lust und Erkenntnis ermöglicht – schillernde Fremdkörper des/im produktiven Imaginären. 31 Vgl. Bang 2003, 61 und Koschorke 1988, 62 ff.: Sacher-Masoch „fordert eine neue allgemeine Vorurteilslosigkeit, stilisiert sich zum Neuerer, der unbefangen und rücksichtslos eine allenthalben verborgene Verderbnis freilegt, der den Schutzmantel vom trägen Gewissen der Gesellschaft reißt, um ! 9 ! ebenso – gerade im Hinblick auf maschinelle Fetisch-Gelüste und -Konstruktionen – Sacher-Masoch und Ernst Kapp, wie ich ergänzend behaupten möchte. Sogar Sade und Krafft-Ebing weisen aufgrund ihrer Sammelleidenschaft ‚abnormer’ Sexualitäten gewisse Ähnlichkeiten auf, wie am Ende des Prologs noch kurz in einer Fußnote ausgeführt wird. Schon jetzt lässt sich ein SM-Netzwerk der genannten Autoren und ihrer schriftlich dokumentierten speziellen Leidenschaften bzw. Forschungen vermuten. Es gilt in weiteren Vergleichsprozeduren zu zeigen, dass (und wie) SM- Begehren einer gewissen fetischistischen Medien-Logik, schließlich einer selektiven, stark täuschenden Perzeption unterliegt bzw. folgt, die bis heute, also auch im digitalen Zeitalter, bestens funktioniert und ihre Wirksamkeit keineswegs eingebüßt hat. Mit Friedrich Kittler kann die Frage gestellt werden, inwieweit den modernen Medien, ihrem unbewussten Gesetz, selbst ein ‚psychopathologisches’ Potential innewohnt, welches das Denken und Verhalten ihrer UserInnen formatiert und steuert. Das wirft dann ein ganz neues Licht auf die Psychopathia sexualis, auf ein mögliches Wissen, die Schizo-Analyse, dem/der ich detailliert nachgehen möchte. Es geht mir um die (strukturale) Kennzeichnung und um die (selbstredenden bzw. autopoietischen) Funktionsprinzipien sadomasochistischer Schmerzlustprothesen und Prothesenpathologien seit Sade. Es handelt sich dabei um Kulturtechniken im besten Sinne. Kulturtechnische Spielräume Ich übernehme zur (Spielraum-)Erklärung dieser Techniken zwei Fußnoten von Hartmut Winkler, die hier in drei Teile gegliedert sind: „‚Kulturtechniken sind (1) operative Verfahren zum Umgang mit Dingen und Symbolen, welche (2) auf einer Dissoziierung des impliziten ‚Wissens wie’ vom expliziten ‚Wissen dass’ beruhen, somit (3) als ein körperlich habitualisiertes und routiniertes Können aufzufassen sind, das in alltäglichen fluiden Praktiken wirksam wird, zugleich (4) aber auch die aisthetische, materiell-technische Basis !!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!! endlich zum Wesen des herrschenden Bösen vorzudringen. [...] Das ist die gleiche Rechtfertigungsstrategie, wie die neu begründete Sexualwissenschaft sie benutzt.“ ! 10 ! wissenschaftlicher Innovation und neuartiger theoretischer Gegenstände abgeben kann. Die (5) mit dem Wandel von Kulturtechniken verbundenen Medieninnovationen sind situiert in einem Wechselverhältnis von Schrift, Ton, Bild, Zahl, das (6) neue Spielräume für Wahrnehmung, Kommunikation und Kognition eröffnet. Spielräume, (7) die in Erscheinung treten, wo die Ränder von Disziplinen durchlässig werden und den Blick freigeben auf Phänomen und Sachverhalte, deren Profil mit den Grenzen von Fachwissenschaften gerade nicht zusammenfällt.’ (Krämer/ Bredekamp 2003: 18) [] ‚Charakterisiert werden kann der methodische Ansatz auf dem Gebiet der Kulturtechniken durch die Betonung des Praxis-Aspekts in der medienhistorischen Analyse: Medien werden dann als Kulturtechniken beschreibbar, wenn die Praktiken rekonstruiert werden, in die sie eingebunden sind, die sie konfigurieren oder die sie konstitutiv hervorbringen.’ (Siegert o.J., Hervorh. im Original) [...] ‚Kulturtechniken unterscheiden sich von allen anderen Techniken durch ihren potentiellen Selbstbezug. [...] [Kulturtechniken] verrichten symbolische Arbeit’ (Kassung/Macho zitiert nach Schüttpelz 2006: 88).’“32 Wie die Wunsch- und Höllenmaschinen bzw. -medien im SM kulturtechnisch laufen, soll in dieser Arbeit geklärt werden. Es gilt zu zeigen, dass jede der Aussagen in Winklers Zitat auf mediale SM-Spiele, vernetztes Wissen, zutrifft. (Kultur-)Technische Gegenüberstellungen und Netzstrukturen (wie oben skizziert) setzen sich auch im zweiten Teil der Arbeit in den Filmanalysen fort. Die hier angeführten Filmbeispiele bzw. -dramaturgien des Gegenwartskinos illustrieren nicht nur, dass die Spielformen des Sadomasochismus darin aktueller – in einem prekären bzw. sogar katastrophischen Sinne sogar virulenter – denn je sind, sondern auch, dass das abseitige Begehren der hier vorgestellten Charaktere dem der HeldInnen klassischer SM-Literatur in nichts nachsteht. Es kommen aber auch neue Elemente hinzu. In VIDEODROME (1983) ist dies u. a. der Wahn des Senatspräsidenten Daniel Paul Schreber; in FALSCHER BEKENNER (2005) sind dies vor allem die Figuren !!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!! 32 Winkler 2008, 165 f. (Fußnotentext). ! 11 ! des Nomaden oder Zombies, wie sie Gilles Deleuze und Félix Guattari – neben dem Schizo – im Anti-Ödipus (1972) beschrieben haben. Wie Schrebers Paranoia lässt sich auch der Anti-Ödipus inklusive seiner heterogenen Wunschmaschinen sadomasochistisch deuten, auch dieses Werk wird in dieser Arbeit fortgesponnen. Am Schluss des zweiten Teils wird ein vorläufiger Lösungsversuch, die vorübergehende Rekonstruktion des sadomasochistischen Symptoms und Fantasmas, anvisiert. Dafür möchte ich den Film SHORTBUS vorstellen und bearbeiten, eine Art Sittenporträt im New York der Gegenwart. Es handelt sich um ein magisches, Libido-entfesselndes Werk, dessen betörender Realismus nicht nur neue ethische Maßstäbe setzt, sondern zur kollektiven Hedonismus-Besinnung aufruft – ohne dabei moralisch zu werden bzw. individuellen Verzicht auf (Mehr-)Lust einzufordern. Es bildet den Epilog dieser Arbeit. Auch VIDEODROME, David Cronenbergs opus magnum, ist in diesem Zusammenhang sehr bedeutsam, steht aber gleichzeitig in Opposition zu SHORTBUS. Wie wohl kaum ein anderer Film bringt VIDEODROME das Thema der vorliegenden Arbeit auf den Punkt: den Zusammenhang zwischen klassischem Sadomasochismus und modernen (Bild-)Medien, gerade indem er die dabei entstehenden, gewaltsam-unbewussten, ja psychopathologischen Effekte illustriert und dafür völlig neue Ausdrucksformen schafft. Dieses medien-avantgardistische Werk (das anfangs als horror-Blockbuster beworben wurde) bildet einen wichtigen Link bzw. die Drehscheibe zwischen den historischen Fallbeispielen und den weiteren Filmbetrachtungen. Es ist das Vorbild dieser Arbeit. Ich würde sogar soweit gehen, zu behaupten, dass diese Genre-übergreifende Film-Meditation aus dem Jahr 1983 einen ähnlich hohen Stellenwert wie die Hauptwerke der SM-Literatur besitzt, sei es Sades Die 120 Tage von Sodom (1785) oder Sacher-Masochs Venus im Pelz (1869); Cronenbergs Film ist sozusagen das postmoderne Pendant zu dieser Literatur. Die VIDEODROME-Analyse steht also nicht nur räumlich, sondern auch semiotisch im Mittelpunkt der Arbeit, womit auch die unverhältnismäßige Länge meines Kommentars, ebenfalls eine Art Meditation, begründet sei. Wo VIDEODROME von 1983 zumindest im Hinblick auf dessen Entstehungszeit (bis in die 1970er Jahre zurück) und Erscheinungsjahr nicht mehr – im Gegensatz zu ! 12 ! den anderen präsentierten Filmen – dem Gegenwartskino, das ich ungefähr von 2000 bis jetzt ansetze, zugerechnet werden kann, ist dieser, gerade in Hinsicht auf seine schizoide horror-Ästhetik, bis heute stilbildend und, wie zu beweisen sein wird, im gegenwärtigen Medienumfeld brisanter denn je. Die Medienpraktiken dieses Um- bzw. Spielfelds erstrecken sich von Facebook bis hin zu polizeilichen Fahndungen bzw. Verfolgungsjagden im Internet (u. a. wiederum bei Facebook) und anderen, äußerst ernstzunehmenden Gefahren kontrollierter, digital gleichgeschalteter und medienabhängiger Gesellschaften. Erst in der zweiten Hälfte der 1990er Jahre hat Cronenberg mit seiner speziellen Erzähl- bzw. Darstellungsweise, seiner schonungslosen Klarsicht auf unbewusste Kommunikationsprozesse, wie er sie in dieser Form in eXistenZ (1999) wieder aufnimmt, Konkurrenz bekommen, sei es von erstklassigen horror-Filmen wie RINGU (1998)/THE RING (2002) oder vom aufkommenden Genre des sogenannten mindfuck movie (TWELVE MONKEYS [1995], BEING JOHN MALKOVICH [1999], EYES WIDE SHUT [1999], MEMENTO [2000], MOON [2009] etc.), das ebenfalls von der Fantastik klassischer SM- und horror-/ thriller-/ sci-fi-Elemente lebt. Und obwohl Cronenberg selbst betont, dass VIDEODROME ein Film über SM ist, erscheint es umso verwunderlicher, dass dieses Thema in der umfangreichen Filmliteratur zu Cronenbergs wichtigem Werk nicht hinreichend bzw. nur am Rande erwähnt wird. Mir ist bislang kein Aufsatz begegnet, der diese Lücke schließt, der den SM und dessen medienterroristische Gewalteskalation hier zentral verhandelt.33 Das möchte ich ausführlich nachholen, schon deswegen, weil dieses Thema, Medien-Terrorismus/ -Eskapismus, hochaktuell ist. Dies gilt auch für alle anderen, dann kürzeren Filmbetrachtungen in der vorliegenden Arbeit. In diesen läuft VIDEODROME weiter. Ebenso ist die Frage nach den Medienpraktiken und mehr noch nach den technischen Medien in der klassischen SM-Literatur und darüber hinaus, auf dem (zu) weiten Feld !!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!! 33 Allerdings gibt es schon viele spannende Beobachtungen zu SM in VIDEODROME u. a. bei Riepe 2002 und Palm 1992. Die SM-Gewalt und schizoide Ästhetik – die Dichte – in diesem Film überfordert das Publikum sehr leicht. Schon das test screening von Cronenbergs bis dato ambitioniertestem Projekt in einem Bostoner Kino, in dem sogar Mütter mit ihren schreienden Kleinkindern anwesend waren, war eine mittlere Katastrophe, die Cronenberg fast das Herz gebrochen hätte. Vgl. Rodley 1997, 101. ! 13 ! der Perversion,34 wissenschaftlich nicht deutlich genug gestellt und beantwortet worden – ein blinder Fleck? Denn außer Hartmut Böhmes historisch fundierter Medien(erkenntnis)theorie zu Dingen und Fetischen in der Moderne (2006), Roland Barthes’ Anmerkungen zu Sades Medien, wie z. B. zur Orgien-Apparatur (1986 1971]), einigen Stellen in Monika Treuts Porträt ‚grausamer’ SM-Frauen (1990 [1984]), Peter Weibels Deleuzianisch geprägtem Kommentar zu Masochismus und Maschine (2007), Rolf Sachsses kurzer Text zur Marginalie der Photographie im Werk von Leopold von Sacher-Masoch (2003), Christian Metz’ psychoanalytischen Kino-Fetisch-Betrachtungen in Der imaginäre Signifikant (2000 [1977]) oder Paul Virilios Begriff des elektrooptischen Fetischismus (1994 [b]) etc.35 hat die Forschungsliteratur zum Themenkomplex Medialität und SM/ Fetisch/ Perversion, soweit ich sie überblicken kann, noch längst nicht alles gesagt; es herrscht Nachhol- bzw. Aktualisierungsbedarf. Zwar stechen Instrumente, Möbel und Räume36 sowie fetischisierte Materialen37 und Requisiten im Spiel der Perversion(en) stets unverkennbar hervor und sind gewiss hinreichend beschrieben worden, jedoch ist weniger erforscht, inwiefern die Materialitäten der Medien und der Kommunikation, die (in SM-Aktionen) !!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!! 34 Ein Feld, das – wie ich mit Schrecken beim Verfassen dieser Arbeit feststellen musste – ein Fass ohne Boden, quasi ein Medien-Sumpf voller Tücken und Gefahren, ist. So wurde ich beim Schreiben immer wieder von starken Zweifeln geplagt und vor neue Herausforderungen gestellt: Werde ich mit der selbstgestellten Aufgabe, dem vorliegendem Entwurf, durchkommen oder mich in den Analysen verlieren? (Im abschließenden Mehr-Lust-Appendix habe ich mich dann tatsächlich verloren.) Macht all das Sinn im Sinne von Mehr-Lust? Werde ich mit dieser Dissertation, diesem wissenschaftlichen Qualifikationscrashtest, Interesse wecken oder, besser noch, Anerkennung finden? 35 Weitere Texte in diesem Zusammenhang sind Michael Gratzkes Ausführungen zu ‚masochistischen’ Internet-Praktiken (vgl. Gratzke 2003) oder Michael Wetzels Aufsatz zu Intermedialität zwischen Gender, Fetischismus und Feminismus (vgl. Wetzel 1994). Auch Linda Williams schreibt sehr erhellend über „6 Macht, Lust und Perversion: Sadomasochistische Pornografie im Film“: dies. 1995, 239-289 und ebd.: „4 Fetischismus und harter Porno: Marx, Freud und der ‚money shot’“, 135-164. 36 Damit sind Peitschen, (Folter-)Werkzeuge, (medizinische) Instrumente, Küchenutensilien, Vorführgeräte, Körper-/ Drogentechniken etc.; Ottomane, Pranger, Andreaskreuz, Streckbank, Urologischer Stuhl, Sling, Wasserbett, ausgebreitete Teichfolie, etc. und darkrooms, dungeons, Hörsäle, OPs, Lobbys, Büros, Kinos, Theater, Clubs, Terminals, Verkehrs-, Naturräume und andere (offen zu haltende) Spielplätze gemeint. Vgl. zu SM-Vorrichtungen: Eulenburg 2003, 238 ff. 37 Stoffe wie Pelz, Samt, Lack, Leder, Gummi, Plastik, Beton, Heißluft etc. ! 14 ! oberflächlich kaum sichtbar bzw. nur codiert, als Camouflage und Andeutung, (vorgeschaltet) zum Ausdruck kommen, selbst als (polymorph-)pervers eingestuft werden könnten bzw. wie diese das Begehren nach abseitiger Lust strukturieren und aufrechterhalten.38 „Don’t hate the media, become the media!“,39 lautet sozusagen der ständige Handlungsauftrag und Suchbefehl im medialen Unbewussten, der zu ludischer Imitation und Mimikry, perverser Zweckentfremdung bzw. -erfüllung vorhandener und zukünftiger Technizitäten einlädt oder zwingt. Der Befehlston eines meist obszön(-grausam)en Über-Ich ist dabei entscheidend. Das lenkt den Blick auf reale Körper und reelle Sinneswahrnehmungen, gleichwohl auf den Automaten und das Tierliche in uns; schließlich ebenso auf überpersonale Netzwerkstrukturen, die sich in Mediasphären, im Äther bzw. Cyberspace, technisch und sozial realisieren und die Frage nach der Wirklichkeit und Wirksamkeit eines medialen Aprioris aufwerfen.40 Ist SM das Ausspielen – acting out – der Möglichkeiten dieses Aprioris?41 Fragen wie diese gehen sehr weit, doch die komplizierten Wege der elektrisierten und verschalteten (heute sogar schon biosynthetischen) Lust, die es hier zu erkunden gilt, wird auch die vorliegende Arbeit gewiss nicht bis an den (de facto nicht-existenten) Ursprung im kollektiven Unbewussten zurückverfolgen; oder umgekehrt auf ein äußeres, klar umrissenes Ziel hin projizieren können. Dies soll jedoch nicht heißen, dass ich mich erst gar nicht auf dieses Wagnis, eine verworrene Spurensuche, einlasse. Nur Zwischenergebnisse auf dem Niveau von Übergangsobjekten, in !!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!! 38 Schließlich ist die Stellung, das Verhältnis des Subjekts zum Andern, zum symbolischen Gesetz immer gestört und dysfunktional. Vgl. Bitsch 2004, 327. 39 So der Aufruf des Punksängers Jello Biafra, zitiert nach Bougnoux 2008, 109. 40 Nach Kittlers mittlerweile abgegriffenem Diktum bestimmen Medien die Lage ihrer Subjekte. (Vgl. Kittler 1986, 3.) Hier muss über Kittler hinaus ergänzt werden: eine Lage, die es für User (nicht nur im [Medien-]Krieg) körperlich einzunehmen gilt. (Vgl. Adamowsky 2000, 124.) – „Es ist immer noch eine ganz neue und eben erst dem menschlichen Auge aufdämmernde, kaum noch deutlich erkennbare Aufgabe, das Wissen sich einzuverleiben und instinktiv zu machen, – eine Aufgabe, welche nur von denen gesehen wird, die begriffen haben, daß bisher nur unsere Irrtümer uns einverleibt waren und daß alle unsre Bewußtheit sich auf Irrtümer bezieht!“ Nietzsche 1982, 48 41 Spielräume, die heute auf dem level des elektronischen Transformationsbildes schier unbegrenzte Manipulations- und Gestaltungsmöglichkeiten bieten. ! 15 ! Zwischenräumen, sind vorerst machbar.42 Auch diese Arbeit stellt ein solches konstruiertes Objekt dar, mehr nicht. Der fliegende Pfeil phallischer (Schmerz-)Lust – vielgestaltiger Vektor des Begehrens – wird die (ebenfalls kaum sichtbare) Zielscheibe, wenn es sich dabei nicht um den symbolischen und/oder realen Tod handelt, wohl kaum treffen. Der Masochismus-Kenner Theodor Reik benutzt in diesem Zusammenhang die Metapher eines „Schuss[es], der eine große Strecke vor der Scheibe einschlägt“.43 In der Exposition von SHORTBUS sind zwei Dartpfeile, rot und blau, im vergitterten Bad-Fensterahmen einer New Yorker Altbauwohnung stecken geblieben (bzw. zu Dekozwecken dort drapiert worden). Eine bewegliche bzw. fliegende Kamera saust in diesem Film durch die Häuserschluchten-Kulissen Manhattans oder überfliegt sie und kennzeichnet auf diese Weise Wege bzw. Vektoren neugieriger Schaulust, u. a. in die privaten Wohnräume und Intimsphären anderer. Es lassen sich demnach nur Zielrichtungen und bisherige Flugbahnen solcher Objekte bzw. Kamera-Geschosse deutlich erkennen, nicht aber deren tatsächliche Zielscheibe – immerhin. Sade beobachtet auf seiner Italienreise (1775): „In der Engelsburg zu Rom sah ich einen ziemlich kleinen Pfeilbogen, der einem Spanier gehört hatte, dessen einziges Vergnügen darin bestand, vermittels dieses Pfeilbogens (grundlos und nur zum Zwecke, Menschen zu vernichten) in die Menge zu schießen, sei es auf der Straße, auf öffentlichen Plätzen oder wenn die Kirche aus war. Dieser wunderwürdige Wahn, das Böse allein des Vergnügens willen zu üben, stellt eine der am wenigsten analysierten menschlichsten Leidenschaften dar.“44 !!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!! 42 Von daher mag es enttäuschen, wenn man in dieser Arbeit auf sensationelle, neue Ergebnisse oder auf einfache, finale Problemlösungen hofft. 43 Vgl. Reik 1977, 51. 44 Sade 1995, 163; zitiert nach Zweifel und Pfister 2001, 15. Zweifel und Pfister weisen darauf hin, dass „Sade bei der Niederschrift seiner Italienreise die Zeiten und Jahrhunderte überbrückt und jenen ‚einfachsten surrealistischen Akt’ aus André Bretons Zweitem Manifest des Surrealismus herbeiphantasmagoriert [hat], der darin besteht, ‚auf der Straße mit einer Pistole aufs Geratewohl in die Menge zu schießen’“. (Ebd. und Breton 1985, 74.) Am Ende von Luis Buñuels GESPENST DER FREIHEIT (1974) schießt ein sniper vom Pariser Tour Montparnasse in die Menschenmenge. Heute können derartige Fantasien in Computerspielen ausgelebt werden – vgl. u. a. Sniper: Ghost Warrior. ! 16 ! Mir ist in diesem Zusammenhang durchaus bewusst, dass ein so weitgehender Vergleich mit Material aus verschiedenen Epochen, der sich über die letzten 200 Jahre und darüber hinaus erstreckt, etliche Gefahren birgt und letztendlich als wiederholter Testversuch mit Literatur- und Bildbeispielen nur eine grobe Verkürzung, einen klitzekleinen Ausschnitt möglicher (Theorie-)Realitäten darstellt.45 Dies ist erst ein Anfang, ein wackeliger Gehversuch auf noch unwegsamem Terrain bei schlechter Sicht (ist es gerade Tag oder Nacht?), auch freier Fall, der gerade deswegen den genauen historischen Blick umso notwendiger macht, um sich ein wenig orientieren zu können.46 Der sichere Absturz oder die Verirrung des fliegenden Lust-Pfeils (bzw. des Kanonenkugelritts) muss dabei stets berücksichtigt, bei Flugbahnberechnungen mitbedacht werden. Die Bewegung geht nach unten, fließt bzw. tropft auch libidinös ab. Dies ist die Prämisse und darin liegt auch das nicht ungefährliche Wagnis, sich im medialen Nebel neugierig vorzutasten, schließlich mit Leerstellen, Platzhaltern und viel Heißluft erfinderisch zu jonglieren, um in der selbstgeschaffenen Fiktion (dieser Arbeit) (produktiv) weiterzukommen, vor allem durchzukommen. – CODE INCONNU des Trugbildautopiloten namens Ich, der uns mehr schlecht als recht steuert, seine Zieldestination auf dem imaginären Navigationsgerät vorerst noch vergeblich sucht und deswegen die Funktion ‚Stopp’ (noch) nicht kennt.47 !!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!! 45 Und trotzdem soll der mediale Schmerzlust-Spielraum so weit wie möglich mit den hier angeführten Erkenntnisobjekten ausgelotet werden. 46 Das gilt auch und vor allem für die Betrachtung von einigen wenigen, jedoch ausgewählten Gegenwartsfilmen in dieser Arbeit. Die gesamte Filmgeschichte auf ihren sadomasochistischen Gehalt, ihre Dramaturgien in diesem Sinne, zu überprüfen, wäre eine wissenschaftliche Lebensaufgabe. Trotzdem habe ich versucht, wenigstens die Schnittstellen zwischen klassischen SM-Begehrlichkeiten in der Literatur und denen des Kino-Dispositivs – Spiel- und Spiegelformen – struktural herauszustellen; vgl. den Punkt „Jenseits der Identifikation: Sadomasochismus und Kino“ in dieser Arbeit. 47 D. h. die Codes, die uns bestimmen, laufen einfach immer weiter; wir können sie leider nicht – wie Superman (in SUPERMAN – THE MOVIE [1978]) die Weltkugel – anhalten. (Vgl. Meinrenken 2007, 244 und zu Raum-und-Zeit-Maschinen: ebd.) Wie im Folgenden noch zu sehen sein wird, ist das Anhalten der Zeit der Wunsch im masochistischen Begehren (und gewiss nicht nur dort). ! 17 ! „Where are we now?“ – singt David Bowie im Jahr 2013 nach langer Pause. Im Video sehen wir ihn dabei in einem mit angesammelten Dingen bzw. Artefakten überfrachteten Raum, eine Wunderkammer sozusagen. Er lässt seine Berliner Vergangenheit auf einem screen in schwarz-weiß hinter ihm Revue passieren – Orte der (Alltags-)Erinnerung, Straßenansichten einer scheinbar zurückliegenden Zeit, eine klassische Promenade, „just walking the dead“. Als kleine Puppe, auf die sein Gesicht projiziert ist, wirkt er abgeschlafft, müde und wie versteinert. Neben ihm befindet sich eine weitere Puppe, eine Frau, die ebenso finster und apathisch dreinblickt. Bowie zeigt einen schmerzvollen Erkenntnisprozess, ein Zu-sich-selbst-Kommen bzw. ‚Kleiner-Werden’ bzw. schon -Gewordensein. Er beobachtet sich gegen Ende des Videos dabei selbst und nimmt somit die Position des zweiten Beobachters ein. Dabei sieht er besser aus, wird er doch nun nicht mehr als Püppchen, sondern als persona gezeigt. Es scheint, als ob dieser (medien-)masochistische Selbstausdruck keine äußere Gewalt, aber auch im Vergleich zu Bowies schillernden Glamrock-Zeiten der 1970er Jahre/Ziggy Stardust (1972) bis hin zum 1980er-punktrash des Glass Spider (1986) oder zu Hello Spaceboy (1995) keinen Glanz mehr kennt oder benötigt. Dennoch beginnt Bowies persönlicher Wunderkammer-Rundgang mit einem auf dem Boden liegenden, großen Glaskristall: ein Zeitkristallisationskern – ein hervorstechendes Objekt unter anderen. Zum Schluss ist die Berliner Siegessäule auf dem Schirm zu sehen. Es ergibt sich ein Verhältnis zwischen (schillernden) Objekten (a), sogar Partialorganen (vgl. das große Ohr links neben der Leinwand im Video) und weiblich codierter, phallischer Säule (Fetisch-Ideal), das in dieser Arbeit theoretisch- historisch erkundet wird – und immer spannungsgeladen wiederkehrt (I – a). Mit etwas Glück, so hoffe ich, öffnet sich (wie bei Bowie) in dieser Arbeit, die in den letzten Jahren in Berlin verfasst wurde, das mediale Innere zwischen I und a, der ! 18 ! virtuelle Systemraum,48 von dem schon in der These die Rede war, und verwandelt sich in ein großes Spielfeld, auf dem wundersame und auch schlimme Dinge passieren können (Ereignisfelder). Dieser heterotope und intermediäre Raum soll im Zeichen der Mehr-Lust bedacht und vorsichtig – gewaltlos-passiv – betreten, durchquert und vor allem theoretisch durchdrungen werden . Es geht mir dabei um die abyssische Tiefendimension des analog-digitalen Unbewussten, syn- und diachrones Agieren in aufregender wie auch ziemlich grausiger Materie, zudem um die magische Aufladung derselben: Totalreflexionen kosmischer Fäden, highspeed- Glasfaserkonnexionen als Jenseitsverbindungen; auch um viele tote Leitungen und vor allem überreizte Nerven unter bzw. hinter all den maskierten Oberflächen vernetzter Körper und Medien. Kurz: Um technische (Zwischen-)Schaltungen, (zweite) Technohaut und deren unbewusste Übertragungen, die – trotz oder gerade wegen ihrer ineinander verknoteten (Rhizom-)Struktur, ihres Spurengeflechts – mit Hilfe der (Anschauungs-)Metapher oder anderen Erkenntnismitteln neu verknüpft bzw. belebt – ein bisschen entwirrt – werden wollen. Diese zu erschließende Kommunikation über historische Epochen und Lebenswelten hinweg zeigt sich vor allem in der Symptomatik von kontingent-subjektiven Ereignissen und Erschütterungen, eros und thanatos, glamor und tremor: meist kleine Wahrnehmungen, dem operanten Schein im Futur II (‚wird-gewesen-sein’), die, ehe man sich versieht, in obszönen Schrecken, ungeheure reale Gewalt umschlagen kann. Laut Slavoj Žižek ist es nicht ungewöhnlich, dass eine Fiktion technischer Medien, die sogenannte science fiction als ein Symptom des Verdrängten aus der Zukunft zurückkehrt.49 Und dies gilt eben auch für das Symptom bzw. die Fiktionalität des Sadomasochismus, deren vorauseilenden, halluzinatorischen Gewalt-Lust-Effekte,50 auch reichlich Angst und Unsicherheit, sich erst in einer zukünftigen Rekonstruktion, dann möglicherweise in der Erscheinung neuer Medien(-praktiken), Kulturtechniken, einen symbolischen (Sinn-)Gehalt verschaffen – wenn überhaupt. Oder umgekehrt, wenn erst mit heutigen Medien die Effekte von einst nachträglich etwas bedeuten !!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!! 48 Vgl. Hentschel 2001; Zitat 25. 49 Vgl. Žižek 1991, 9 ff. 50 „Das Ausweglose (impasse) der Sexualität sondert die Fiktionen ab, die das Unmögliche, das seine Ursache ist, rationalisieren.“ Lacan 1988, 83. ! 19 ! können: ein aufgeregtes Hin und Her, ein dialektisches und gleichzeitig kreisendes Spiel der Technoimagination im Hier und Jetzt. Žižek weist darauf hin, dass das Symptom als ein Kern des Genießens (als Gewaltlust erzeugender Widerstand, ein traumatisches Loch mithin) in der räumlichen und zeitlichen Transmission und Transformation der Medien und ihrer (Maso-)Subjekte immer bestehen bleibt. Jenseits aller Versuche, es durch Explikation, eine Verbalisierung seines Sinns aufzulösen, kehrt es als ein Überschuss an Realem stets zurück.51 Dieser widerständige Überschuss bildet und prägt die experimentelle bzw. ludische Fiktion des Sadomasochismus in der Moderne bis heute – ein selbstlaufender, schließlich schwer kontrollierbarer Motor im Sinne von Wunsch- und Höllenmaschinen – crash tests im Unbewussten, deren dummies wir sind. Dennoch sind Eingriffe und Bearbeitungen, Subversionen im Namen der polysexuality (aller erdenklichen Medien und ihrer Subjekte), immer machbar und notwendig. Diese erweisen sich als Locherweiterungen (Masochismus) und/oder Lochschließungen (Sadismus), die sich in der digitalisierten Gegenwart immer weniger durch reflexive Sprache, sondern zunehmend durch technologische Eingriffe auf Partialobjekt/ - organ-Niveau (Matrix-Manipulationen), andauernde Testreihen, realisieren;52 – so meine verkürzte strukturale SM-Lesart, die mit zahlreichen Beispielen, (Film-)Bild- und Textmaterial sowie einigen Kunstwerken veranschaulicht und entwickelt werden soll. !!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!! 51 Vgl. ebd. 20. 52 Heidemarie Schumacher erwähnt mit Friedrich Kittler den wesentlichen Grund unserer gegenwärtigen Medienphase bzw. -krise und sagt, was zu tun ist: „Literatur, Kunst und Wissenschaft befinden sich in einer Phase, in der wie schon Virilio und Lyotard bemerkten, lediglich Mikroerzählungen greifen und in der überwiegend ‚reale Datenströme unter Umgehung von Schrift und Schreiberschaft nur noch als unlesbare Zahlenreihen zwischen vernetzten Computern zirkulieren. Technologien aber, die die Schrift nicht bloß unterlaufen, sondern mitsamt dem sogenannten Menschen aufsaugen und davontragen, machen ihre Beschreibung unmöglich. [...] In dieser Lage bleiben nur Rückblicke und das heißt Erzählungen.’“ Schumacher 2000, 84; Zitat darin von Kittler 1986, 3 f. ! 20 ! Routen der Lust – Flucht nach vorn Die (wenig planbare) Bewegung der Lust und des Begehrens, Reisen und mehr noch nach vorn drängende Fluchten, deren Spuren sich in dieser Arbeit (auch sehr zufällig) abzeichnen und gewiss keine klassische Bildungsreise wie im 18. Jahrhundert mehr darstellen,53 beginnt im ersten Kapitel mit Sade während seiner Haft in der Pariser Bastille bzw. im imaginären Schwarzwald-Schloss der 120 Tage, durchquert Sacher- Masochs schon sehr virtuell anmutendes Galizien um das Jahr 1870 (und verwandelt sich dort für ihn „zu einem einzigen nebulösen Bezirk für Peitschenhiebe“),54 um dann etwa zur selben Zeit auch in der Neuen Welt angekommen zu sein, wo ein fränkischer Geografie-Lehrer, der Hegelianer Ernst Kapp, mit einfachen Werkzeugen die texanische Prärie nutzbar macht und zusammen mit seiner Familie besiedelt. Dabei hat er quasi en passant eine versierte, bis heute brauchbare und in erweiterter Form sogar Kanonbildende Medientheorie55 entwickelt (Philosophy of the Axe – Grundlinien einer Philosophie der Technik [1877]), deren prothetischer Fetisch, Hände, Werkzeuge und Analogmedien, erstmals systematisch ins Blick- und Aktionsfeld rückt – was ebenfalls eine ‚Beackerung’ von Neuland bedeutet. Darin zeichnet sich sogar schon eine Ego-Theorie im Sinne der zukünftigen Psychoanalyse deutlich ab. Diese wichtige Spur, The Extensions of Man, mit der dann Marshall McLuhan, der Ernst Kapp nur aus zweiter Hand kannte, in den 1960ern weltberühmt wurde, soll hier im Sinne einer kleinen SM-Mediengeschichte, die der sogenannten Organprojektion, rekonstruiert werden. Die unbewusste Lust all dieser Erfahrungen und Betrachtungen wird am Ende des 19. Jahrhunderts nicht mehr nur literarisch-philosophisch codiert, sondern tangiert und formt seitdem auch die Erfindung und klinische Praxis der Psychoanalyse Sigmund !!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!! 53 Eher muss man wohl von einer [Cyber-]Space-Odyssee sprechen, wie sie Stanley Kubrick bereits 1968 entwarf; ein cineastischer Meilenstein, der ebenfalls wie das Matrix-Reisen in VIDEODROME unübertroffen zu sein scheint. 54 Deleuze 1980, 166. 55 Zumindest gehört Kapps Theorie zum Kanon der Medienmetaphern, die Lorenz Engell und Thomas Weber als ein Schichtenmodell beschreiben: 1. Transportmetaphern (Das Sender-Empfänger-Modell, auch Shannon-Weaver-Modell), 2. Extensionsmetaphern (Kapp, Freud, McLuhan, Baudrillard, Cronenberg) und 3. Systemmetaphern (Luhmann). Vgl. Weber 2008, 68 f. ! 21 ! Freuds, die in ihrem materialistischen Bestreben wie kulturellen Unbehagen Kapps organizistische Prothesentheorie indirekt aufgreift, diese um (nerven-)bahnbrechende Erkenntnisse erweitert und so, in der Erkundung des anderen Schauplatzes und der psychischen Lokalität, nichts Geringeres als die Grundlage digitalen Denkens schafft. Freud ist bereits mit der Traumdeutung (1900), Jenseits des Lustprinzips (1920) und anderen Schriften im 21. Jahrhundert angekommen: ein medientheoretischer bzw. metapsychologischer Geniestreich, den Jacques Lacan in der Kybernetisierung der Psychoanalyse in den 1950er Jahren noch einmal genau verfolgt, medienästhetisch vertieft und spielerisch fortsetzt. Der sichtbare Schauplatz dieser Ereignisse verlagert sich von der Wiener Berggasse 19, Freuds Wohnort und Wirkungsstätte, in die Pariser Rue de Lille 5, Lacans Privatwohnung und Sprechzimmer. (Einen direkten face-to- face-Kontakt zwischen Freud und Lacan hat es allerdings nie gegeben.) In den 1970er Jahren bringt Lacan dort die talking cure auf beschleunigendes highspeed-Niveau, kassiert dabei kräftig ab und bekommt von seinen Kollegen den Vorwurf sadistischer Behandlungsmethoden und kapitalistischer Gier zu hören. Mit durchschnittlich zehn PatientInnen pro Stunde wird seine Wohnung für ihn zum Durchlauferhitzer (der Kurz- und Nichtsitzungen) – und für seine treuen und geduldigen Analysand/tInnen zum stets gefüllten Wartezimmer. Mit Lacan, diesem rasanten Kybernetik-Libertin, aber auch mit Deleuze und Guattari, den Entdeckern transsexueller Molekular-Lust (die bei Sade schon deutlich angelegt ist), sind wir spätestens zu Beginn der 1980er Jahre in einer schizoid-postmodernen Wirklichkeit angekommen, deren mediale Wunder und mehr noch krassen Alpträume à la Schreber in VIDRODROME ihren vorläufigen Höhe- und Endpunkt finden. Es entsteht dabei etwas Neues, etwas Unbekanntes aus dem, was halbwegs bekannt ist. Auch wenn sich hier die patriarchalen SM-Fantasmen und Lügen um grausame Frauen (wie sie u. a. für Sade, Sacher-Masoch oder Lacan typisch sind) und prothetische Vollkommenheit im Nirvana des Reellen fatal und auf Nimmerwiedersehen auflösen werden, heißt dies noch nicht, dass das Begehren um kastrative Mehr-Lust damit passé wäre. Amors ‚vergifteter’ Pfeil fliegt noch ein bisschen weiter, schwirrt im-Namen-des-Vaters unbewusst umher, und wird – ein letztes Mal? – in den nachfolgenden Filmbeispielen Subjekte streifen, ergreifen (schmerzlich affizieren), transformieren, ‚crashen’ und sogar töten („der vom dunklen ! 22 ! Wahnsinn des Sexes Getroffene“):56 Sei es der junge Maso-Held Armin Steeb an seinem Wohnort Mönchengladbach, westdeutscher Vorstadt-Tristesse mit Autobahnanschluss (FALSCHER BEKENNER); die rohe Brutalität eines sich wiederholenden, staatlich verordneten Todesspiels – technologisch gesteuerte Strafgewalt zu Erziehungszwecken, die an bzw. mit ahnungslosen Mittelschulklassen im Japan nach der Jahrtausendwende (blind) verübt wird (BATTLE ROYALE); US- amerikanische GIs einer Elitetruppe während des zweiten Irakkrieges in Bagdad, die freiwillig die Gefahr suchen, sich bei der Entschärfung von Terror-Sprengsätzen in die Luft zu jagen (THE HURT LOCKER);57 oder seien es schließlich, after all, die Trost und Vergebung suchenden ClubgängerInnen in New York nach 9/11 (SHORTBUS). Erst in diesem letzten Film wird der zermürbende Schmerz, andauernde SM-Qualen, the pain inside, zum Schluss endlich nachlassen, der despotische Phallus an kastrativer Wirksamkeit, an perfider Kontrollgewalt über Körper und Sinne verlieren. !!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!! 56 Vgl. Foucault 1992, 54. 57 Gerade in diesen Filmen (ausgenommen VIDEODROME am Anfang und SHORTBUS am Ende der hier vorgestellten Filmreihe) sind ‚klassische’ sadomasochistische Aktionen auf den ersten Blick meist nicht sofort erkennbar und müssen mit den Formen und Figuren von einst, sprich (ganz verkürzt gesagt) mit ruchlosen Libertins (Sade) bzw. zürnend-peitschenden Dominas (Sacher-Masoch) nicht viel gemeinsam haben. Sie können in ihrem Inhalt, ihrer Fantasie sehr verschieden sein. Ich möchte beweisen, dass diese Formen in den gegenwärtigen Alltagsmedien, gadgets, und deren UserInnen transformierend wiederkehren und z. B. als Metapher lesbar werden (Stichwort „Sadomodernism“ vgl. Weigel 2013 unter: http://nplusonemag.com/sadomodernism; vielen Dank an Hanna Engelmeier für diesen Artikel). Dabei sollen ebenso die heutigen Subjekte in ihrem medialen Schmerz-/ Angstlust- Begehren näher betrachtet werden. Weniger stehen in den nachfolgenden Analysen jene Personen im Vordergrund, die von ihrem SM wissen und diesen z. B. in einer subkulturellen Szene bzw. mit einer/m PartnerIn oder eben in der Gruppe ausleben. (Vgl. zur BDSM-Szene [Bondage & Domination, Sadism & Masochism] bzw. zur Selbstorganisation dieser sexuellen Subkultur: Elb 2006.) Wo in der Szene abgesprochene Spielregeln das A und O sind und deshalb von den AkteurInnen strikt befolgt werden, ist dies im Spiel des kollektiven Imaginären bzw. in den Massenmedien nicht immer der Fall. An solchen Schwachstellen bzw. Verdrängungen setzt meine Arbeit an. Hier wird es spannend und hier gilt es zu zeigen, wie unser analog-digitales Unbewusstes in seiner medialen Konstitution – bereits bei Sade und Sacher-Masoch – zu einer gewissen Schmerzlust neigt, wie SM darin machtvoll- fantasmatisch konfiguriert ist und nach außen drängt. Gewisse Härten und krasse Gewaltbeispiele werden dabei in der Analyse nicht umungänglich sein. ! 23 ! Eros, der in den vorangegangenen Filmen deutlich zu kurz kam, dort jedoch manchmal schon im Hintergrund aufblitzte (z. B. im abgedunkelten TV-Wohnzimmer der Familie Steeb – unübersehbar in Form kleiner Lichter [FALSCHER BEKENNER] oder bläulichem Molekularglitzerns auf Max Renns wundersamer flesh gun [am Ende von VIDEODROME]), wird hier feierlich zurückkehren und sich grandios entfalten, um die traumatisierten ProtagonistInnen in dieser von Terror heimgesuchten Stadt zu verzaubern und zu verwandeln. Der virtuelle Systemraum, hier die magisch glitzernde Kulisse New Yorks, herangezoomt im glamourösen Mikrokosmos des Brooklyner Clubs Shortbus, wird sich dann als Spielfläche weit öffnen und einen kollektiven und fulminanten Neustart für die hier versammelten Gäste ermöglichen: eine urromantische Maso-Vision, von der es leider nicht mehr viele gibt; zumindest nicht solche, die wie SHORTBUS tatsächlich überzeugen, eben verführen und transformieren. Begriffe und Methodik Wie es schon angeklungen ist, stehen – neben der Mehr-Lust – in dieser Arbeit die Oberbegriffe Raum – Medien – Spiel in jedem Kapitel im Vordergrund. Ich möchte und kann nicht grundlegend in diese einführen. Forschungsliteratur zur medien-/ kulturwissenschaftlichen Theorie dieser weitläufigen Termini und zur Methodik wird in der FUNNY-GAMES-Analyse am Anfang kurz erwähnt. Was dazu gesagt wird, gilt auch für die ganze Arbeit, vor allem für Böhmes, Matusseks und Müllers Medienbegriff, dem ich folge, weil dieser Medien als „Vermittler spiritueller Kräfte“ begreift und dabei „das Erlebnis einer Transformation der Beteiligten im Vollzug kultureller Praktiken“58 betont. Das schließt an die Kuturtechnik-Definitionen an. In diesem Sinne sei auch auf Natascha Adamowskys Spielfiguren in virtuellen Welten verwiesen, da diese Theorie ein ausgesprochenes Gespür für die Subversionen des homo ludens im Cyberspace und anderswo (z. B. in der Festspielkultur) besitzt. – Sub- und Perversionen, die in ihrer Transformation gar nicht so weit von dem entfernt sind, was bereits Sade, Sacher-Masoch und viele weitere der vorgestellten ProtagonistInnen in ihrem Spieltrieb virtuell zu realisieren versuch(t)en. !!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!! 58 Vgl. Böhme, Matussek und Müller 2000, 179 und Meteling 2006, 279. ! 24 ! Es muss betont werden, dass die Analyse des remake FUNNY GAMES U.S. (2007), die im Rahmen dieser Arbeit entstanden und bereits publiziert ist,59 hier nicht noch einmal erscheinen soll. Das soll nicht heißen, dass ich mich von diesem Text nun distanziere; im Gegenteil. Er ist sozusagen die Zusammenfassung der vorliegenden Arbeit, worin sich wichtige Trends und auch (vorläufige) Ergebnisse spiegeln.60 Trotzdem ist dies auch eine eigenständige Filmanalyse, die dem künstlerischen Begehren Michael Hanekes bzw. der ausgeklügelten Dramaturgie seines Films gerecht werden möchte.61 Nicht zuletzt habe ich Hanekes Ausnahmewerk als Titel dieser Dissertation verwendet. Es gehört zweifelsohne zu den Sado-Spielen: Hanekes Spiel mit der Kinogewalt – Selbstreflexion durch Publikumsfolter? Ich möchte also über diesen Prolog hinaus nicht zu viele Worte in Bezug auf die Theoriekonzeption, das Spiel der folgenden Kapitel verlieren. Laut Allegra Geller, der Spieldesignerin in Cronenbergs eXistenZ, spielt man ja gerade – und dies gilt besonders für die technologische Gegenwart – um herauszufinden, warum man spielt.62 So erging es mir auch beim Schreiben. Auch wenn das Material und die dramaturgischen Koordinaten, das, was die (virtuelle bzw. theoretische) Spielfläche ergibt, von vornherein locker abgesteckt waren,63 war das (Lust- bzw. Sinn-)Ziel nicht klar und ist es auch, wie gesagt, nach wie vor nicht. Einerseits heißt das, dass sich die Regeln für die AkteurInnen und für mich quasi von selbst im aktiven Spiel ergaben und transformier(t)en64 – was nicht immer und für alle Spiele mit Notwendigkeit !!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!! 59 Vgl. Pühler 2010. 60 Das österreichische Original FUNNY GAMES (1997) könnte durchaus als das VIDEODROME der 1990er Jahre gelten. 61 Sie ist vielleicht gerade dann zu empfehlen, wenn man sich nicht (schon aus Zeitgründen) auf die sehr umfangreichen Ausführungen hier an dieser Stelle einlassen möchte. Der Text wird demnächst frei im Internet verfügbar sein und so hoffentlich ein breites Publikum finden. Eine Zusammenfassung vorläufiger Ergebnisse findet sich auch in der SHORTBUS-Analyse im Epilog dieser Arbeit. 62 Vgl. Pühler 2006, 113. 63 Ich musste aus Platzgründen so aufregende Filme wie O FANTASMA (Spanien 2000; Regie: João Pedro Rodrigues), HUNDSTAGE (Österreich 2002; Regie: Ulrich Seidl) oder DIE MADONNA DER MÖRDER (Original: OUR LADY OF THE ASSASSINS, Kolumbien 2002; Regie: Barbet Schroeder, Drehbuch: Fernando Vallejo) leider weglassen. 64 Sie müssen dann erkannt werden, was die Kunst und Krux ist. ! 25 ! gilt,65 jedoch auf jeden Fall für die des mindfuck-Genres, also besonders für die illusio im SM.66 Andererseits heißt das dann nicht zwangsläufig, was sehr wichtig ist, dass es von vornherein überhaupt keine Spielregeln geben darf. Denn ohne (Ausgang- )Regel(n) kein echtes bzw. aufrichtiges Spiel, das diesen Namen auch verdient, das sich und seine AkteurInnen symbolisch transformieren kann. Immer wenn Regeln abwesend, nicht bekannt sind, nicht hinreichend kommuniziert oder verheimlicht werden (und das ist der Fall in den meisten vorliegenden Fallbeispielen), ist es eben das unbewusste, phallisch gesteuerte Gesetz im Sinne eines noch zu bestimmenden Medien-Aprioris, auch des reinen Signifikanten, das dann in diese Erkenntnislücke bzw. Eskamotierung meist brutal und plötzlich eingreift und dort seine radikalen, schmerzhaften Wirkungen zeitigt – bis zur Selbstelimination, bis zur Destruktion und Auflösung des cogito und sogar des Körpers.67 Die Sinne vergehen, sie sind schon vergangen, man verliert sich in diesem gewaltigen Abbruchunternehmen der reflexiven Selbstwahrnehmung, von dem SM eindrücklich zeugt, womit SM spielt. Es geht dabei auch um zu bewältigende Trauerarbeit im (kollektiven) Unbewussten/Verdrängten, Arbeit am Bild, zudem um das, was man altmodisch Erbsünde nennt (vgl. FALSCHER BEKENNER). Was sind die notwendigen Spielregeln in dieser Arbeit, die den theoretischen Kern, das verbindende Grundelement hier (aus-)bilden? Diesbezüglich sei neben dem Medienbegriff der phallischen Organ- bzw. Partialobjektprojektion,68 wie er inklusive seiner technoimaginären Dimensionen im zweiten Kapitel historisch entwickelt wird, !!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!! 65 Wie zum Beispiel das Opernarien-Ratespiel am Anfang von FUNNY GAMES oder die Millionen- Spiele mit vorgegebenen Antworten im Fernsehen. – Sind diese Unsummen hier nicht gerade deswegen im Spiel, da die Fantasie suspendiert ist? Hier entstehen keine neuen Spielregeln, hier herrscht Geldgier und/oder mediale Geltungssucht: Ich gewinne vor anderen, wenn ich es schaffe, bei Günther Jauch auf den Thron zu kommen. 66 Es gilt auf jeden Fall für alle Ich-Spiele also diejenigen, die die eigene Lust-Existenz, den biografischen Weg, das, was (irreführend) als Normalbiografie bekannt ist und damit – zusammengefasst – das Spiel des eigenen Lebens direkt betreffen. 67 Die bösen Buben in FUNNY GAMES (U.S.), Paul und Peter, glauben dieses unmögliche Gesetz zu beherrschen. Auf jeden Fall führen sie dieses an ihren Opfern blind bzw. medial ferngesteuert aus, was sich als despotisch und tödlich erweist. 68 Projektion darf hier auch im Sinne von Projektil verstanden werden, was bereits mit der Metapher des Lust-Pfeils bzw. -Vektors angedeutet wurde. Vgl. Virilio 1978, 25, 46, 90. ! 26 ! auf die Theorie des Dispositivs verwiesen. Mit dieser in den letzten Jahren gerade im Zusammenhang der screen- bzw. display-Medien viel diskutierten Theorie lassen sich die Spiel- und Wahrnehmungsformen Sades, Sacher-Masochs u. a. und die des Kinos struktural vernetzen: „Ein Dispositiv soll [...] eine An-Ordnung des Sehens genannt werden, in der Sehender und Sehraum ein System bilden, das beide in einem Konstrukt zusammenfaßt“.69 Michael Fürst führt den Dispositiv-Begriff in seiner VIDEODROME-Analyse zu Emersive[n] Bilder[n] in diesem Sinne weiter aus: „In Anlehnung an Michel Foucault ist unter einem Dispositiv ein Netzwerk zu verstehen, das durch das Zusammenspiel unterschiedlichster Elemente entsteht. In Bezug auf Medien umfasst ein solches Netzwerk Elemente wie eine bestimmte Architektur, eine topografische Anordnung, Technologien, soziale und kulturelle Praktiken der Mediennutzer, Diskurse, Bilder und vieles mehr. Das Netzwerk setzt sich allerdings nicht einfach aus diesen Elementen zusammen, sondern konstituiert sie selbst erst in ihrem Zusammenspiel. Entsprechend sind Mediendispositive für die Konstruktion ihrer Zuschauer verantwortlich. Anders als in den frühen Apparatus- Theorien wird hier die diskursive Zurichtung des Zuschauersubjekts einerseits und sein ‚Mittun’ am ‚Zuschauer-Sein’ andererseits ins Zentrum der Beobachtung gerückt und nicht die auf der Basis psychoanalytischer Theorien basierenden Ansichten zur Subjektwerdung. “70 !!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!! 69 Zitat von Joachim Paech in: Brauns 2007, 57. Überhaupt ist Jörg Brauns Buch zur Dispositiv- Theorie bzw. Zur Architektur visueller Medien eine wahre Fundgrube für medien-/ kulturwissenschaftliche Forschungen auf diesem Gebiet und daher sehr zu empfehlen. Gerade der Punkt Jenseits der Identifikation: Sadomasochismus und Kino ist von dieser Schrift inspiriert worden, was sich in zahlreichen Zitaten niederschlägt. 70 Fürst 2008, 130. ! 27 ! Auch wenn tatsächlich von den Schwachstellen und sogar Irrtümern der Apparatus- Theorie abzusehen ist,71 muss dennoch berücksichtigt werden, dass ein Mediendispositiv, solange hier tatsächlich ZuschauerInnen anwesend sind, wohl kaum ohne die Theorie psychoanalytischer Ich- bzw. Subjektwerdung denkbar ist. Denn wenn sich z. B. beim Filmschauen etwas plötzlich imaginär regt, wovon unbewusst auszugehen ist, und bestenfalls gleichzeitig spielerisch transformiert, so wären diese subjektiven Erscheinungen zwischen Flimmerwand und Ego niemals wahrnehmbar und verarbeitbar, im Sinne der suture ‚vernähbar’, wenn nicht vorher schon in unseren Gehirnen etwas installiert wäre, was das erweiterte Sehen mit optischen Apparaten überhaupt ermöglicht. Damit ist die libidinöse Fähigkeit gemeint, mit offenen Augen im Kino und anderswo träumen/projizieren zu können: die aktivierte Ich-Funktion (un-)bewussten Erinnerns und fantasievollen (Wieder- )Erkennens, ein Apparat der Bildvernähung (-verarbeitung). Dies ist es, was mit Jacques Lacan und seiner Konzeption des Spiegelstadiums, dem Optisch- Unbewussten bzw. Imaginären der Schaulust, lesbar wird, welches sein Werk von Anfang an bestimmt und bis heute auch eine der tragenden Stützen der Kinotheorie bildet. Dispositive im Sinne von Sehmaschinen sind immer auch mit dem Spiegelstadium eng vernetzt. Friedrich Kittler bemerkt knapp: „Das Spiegelstadium – seine Entdeckung aus eben dem Jahr [1936], da Alan Turing die Universale Diskrete Maschine erfand – ist einfach Kino.“72 Hier könnte noch ergänzt werden, dass Walter Benjamins Kunstwerk-Aufsatz ebenfalls aus dem Jahr 1936 stammt.73 Er beschreibt darin u. a., wie Filmdarsteller zu beweglichen Requisiten geworden sind: !!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!! 71 Und dennoch ist der Dispositiv-Begriff, wie ihn der Apparatus-Theoretiker Jean-Louis Baudry entwarf, bis heute wichtig: „Erstens: Das Dispositiv ist von der Umwelt deutlich räumlich und/oder zeitlich abgegrenzt [...]. Zweitens: Der bilderzeugende Apparat bleibt verborgen, nur so kann das Dispositiv seine Wirkung entfalten. Drittens: das Dispositiv erfasst vor allem den Betrachter. Dieser wird (bzw. ist) in seinen Handlungsmöglichkeiten eingeschränkt [...]. Viertens: das Dispositiv wirkt nicht so sehr durch die Wiedergabe einer äußeren Realität, sondern durch die Definition einer Subjektposition. Fünftens: Seine Wirkungen besteht in einem Indifferentwerden von Wahrnehmungen und Vorstellungen.“ (Vgl. Brauns 2007, 42.) Damit ist ein Schauplatz visueller Medien gekennzeichnet, der es ermöglicht, die Blicke der hier anwesenden ZuschauerInnen zu steuern und dabei gleichzeitig eine Dynamisierung des Sehens zu bewirken. 72 Kittler 1993 (a), 70. 73 Vgl. zur Publikationsgeschichte dieses sehr wichtigen medienwissenschaftlichen Aufsatzes: Deuber- Mankowsky 2007, 203. ! 28 ! „Nun aber ist das Spiegelbild von ihm [dem Filmdarsteller] ablösbar, es ist transportabel geworden. Und wohin wird es transportiert? Vor das Publikum.“74 Auch Kittler redet von Ortwechseln und Bewegungen im medialen Imaginären, mobil machende Prozessierung im Optisch-Unbewussten, und erklärt dessen strukturale Funktionsweise, das, was nicht aufhört, sich unbewusst (nicht, nichts, als Nichts – d. h. unter der Wahrnehmungsschwelle) zu schreiben:75 !!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!! 74 Benjamin 1977, 27. In einer Fußnote definiert Benjamin dann indirekt medialen Masochismus, macht diesen an einem Beispiel klar: „Die hier konstatierbare Veränderung der Ausstellungsweise durch die Reproduktionstechnik macht sich auch in der Politik bemerkbar. Die heutige Krise der bürgerlichen Demokratien schließt eine Krise der Bedingungen ein, die für die Ausstellung der Regierenden maßgebend sind. Die Demokratien stellen den Regierenden unmittelbar in eigener Person und zwar vor Repräsentanten aus. Das Parlament ist sein Publikum! [...] Es veröden die Parlamente gleichzeitig mit den Theatern. [...] Das ergibt eine neue Auslese, eine Auslese vor der Apparatur, aus der der Star und der Diktator als Sieger hervorgehen.“ (Vgl. ebd. Fußnote 20.) Das mag ein Grund für den heutigen casting-show-Terror – Auslese vor der Apparatur, die keinen Star mehr erzeugt – aber auch nach wie vor für die medialen Inszenierungen virtueller Politik und ihrer DarstellerInnen zu sein. Max Headroom und Max Renn lassen dabei schön grüßen (siehe die VIDEODROME-Analyse in dieser Arbeit). Vielleicht ist dies auch der Grund dafür, warum sich viele der hier erwähnten FilmemacherInnen nicht direkt zum politischen Geschehen äußern, sich dazu eher distanziert verhalten und von der großen Politik nichts mehr oder nicht mehr viel erwarten. Sie erkennen die Simulationen und Scheinkonkretisationen, all die Blasen und die Heißluft, die gewiss nicht nur Politisches (was ist das heute?) tangieren, und sie bearbeiten sie auf ihre eigene Art in ihren Filmen. – In seiner Rückrittsrede stellte Karl-Theodor zu Guttenberg, ehemaliger Verteidigungsminister der BRD, fest: „Es ist bekannt, dass die Mechanismen im politischen und medialen Geschäft zerstörerisch sein können.“ (Vgl. Pohl 2013, 13.) Diese Mechanismen sind dann zerstörerisch, wenn man deren Spielregeln, deren Geschäft, nicht kennt und beherrscht. Aber wo wird einem das notwendige Spiel- Wissen dafür beigebracht? In der Schule und am Ausbildungsplatz wohl kaum; man muss es sich meist selbst beibringen, d. h. antesten. 75 „8 Unbewußte Tugenden. – Alle Eigenschaften eines Menschen, deren er sich bewusst ist – und namentlich, wenn er deren Sichtbarkeit und Evidenz auch für seine Umgebung voraussetzt –, stehen unter ganz anderen Gesetzen der Entwicklung als jene Eigenschaften, welche ihm unbekannt oder schlecht bekannt sind und die sich vor dem Auge des feineren Beobachters und wie hinter das Nichts zu verstecken wissen. So steht es mit den feinen Skulpturen auf den Schuppen der Reptilien“. Nietzsche 1982, 45. ! 29 ! „Wenn das Reelle bedingungslos an seinem Platz, das Symbolische aber Platztausch selber ist, dann öffnet der Platztausch zwischen Subjekt und Spiegel-Ich nur Spielräume, die ohne Implementierung nicht aufhören würden, sich nicht zu schreiben.“76 Trotzdem möchte ich ebenfalls nicht noch einmal in dieses viel zitierte Spiegelmatrix- Theorem, Lacans brillante Geschichte von der digitalen Quellcode-Einschreibung in den Körper des Individuums bzw. Implementierung des Cyborg-Ich, grundlegend einführen, dies ist längst anderswo geschehen.77 Stattdessen soll es sukzessive an konkreten Beispielen angewandt und vertieft werden. Nicht nur die bisweilen zu kurz gedachten Analogien zwischen Apparatus- und Spiegelstadium-Theorie werden dann kritisiert,78 sondern auch die Grundlagen des (Vor-)Spiegelstadiums, wie sie Paul Emil Flechsig, der Psychiater Schrebers, in seiner ‚sadistischen’ Gehirnforschung im späten 19. Jahrhundert erforschte,79 rekonstruiert. Dafür erweist sich einmal mehr VIDEODROME als äußerst signifikant. Mit Cronenbergs Film soll zudem gezeigt werden, dass sich das Spiegelstadium längst in ein Videostadium verwandelt hat. Und auch die Zeitlichkeit transformiert sich darin ganz wundersam: aus dem Stadium wird nolens volens ein Stadion, die Videoarena, der Video-Dom (inklusive eines sich krass medial entfaltenden SM-Aktionismus – Terrordrome). Mikromanie und Fülle Als Übergangserkenntnisobjekt bildet die vorliegende Arbeit einen ‚hemmungslos’ übercodierten, hypertroph-aufgeblähten Signifikanten, wie mit der Länge, den unzähligen Fußnoten und Quellenangaben dokumentiert ist. Ich habe mich bewusst vor jeder Form ökonomisierender bzw. neoliberalisierender Informationsverknappung, vor geistig beschränktem Wissensmanagement oder nivellierend-fetischistischem ‚Theorie-Design’, verwahrt. Stattdessen herrscht !!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!! 76 Ebd, 77. 77 Vgl. Bitsch 2009, 69-97, Pühler 2006, 30-44 und Nusselder 2009. 78 Vgl. in dieser Arbeit 82 (Fußnote 256), 93, 107 ff., 185, 246, 303 ff., 321 ff., 326 f., 396 ff., 519 ff. 79 Vgl. in dieser Arbeit 441 (Fußnote 1457), 451 (Fn. 1493), 453 (Fn. 1501), 480 (Fn. 1573). ! 30 ! Abundanz und Anarchie der Schizo-Analyse, fröhliche Triebwissenschaft und zum Schluss dann ausgelassene Feierkultur: Abtauchen in die analog-digitale Matrix, deep dive in den heilsam-notwendigen Ego-Exzess, in den fruchtbaren Schlamm des neuzeitlichen Medien-Sumpfes, d. h. in die verschüttete Innerlichkeit des verschalteten Subjekts – uns selbst. Dorthin, wo libidinöse Energie jeden Übertragungsprozess in Gang setzt, sich in Funkelschauern magisch entzündet, um Neues – Überschuss des Realen – wundersam fließend zu formen. Dance with the Aliens. Das ist die Einladung zu den vorliegenden SM-Betrachtungen – der Funny Games – und auch der Spielauftrag dieses Textes. Ich begreife und betreibe dieses Spielexperiment, das mit Hilfe einer nomadischen Arbeitshaltung zustande gekommen ist, aus einem wesentlichen Grund, nämlich als ästhetischen Lust- Widerstand – ganz im aufklärerischen Sinne, im Sinne Sades. „Die Rhetorik in de Sades Werk sabotiert unbarmherzig die Logik: Nichts kann ungesagt bleiben. Am Ende des ungeheuren Romans, der ihren Namen trägt, konstatiert die unersättliche, zügellose Juliette dieses Ideal de Sades mit trügerischer Deutlichkeit: ‚Die Philosophie muss alles sagen.’“80 Es gilt einfach alles zu sagen, alles zu wissen. So viel wie eben möglich. Das ist das Programm und Juliettes Ideal, das hier konstant läuft: „Wenn schon denn schon“, bemerkt auch Michael Haneke in Bezug auf sein remake FUNNY GAMES U.S.81 „[Sade versucht] in der Sprache, alle Valenzen zu füllen, alles zu sagen: das heißt lieber mehr als weniger zu sagen, das heißt ewige Wiederkehr der im Grunde immergleichen Orgien. [...] Die endlose Wiederholung ist aber auch der Versuch, durch stete Erosion den Widerstand des Lesers zu brechen und ihn zwingen, das Böse nicht immer nur außerhalb zu suchen, sondern in sich selbst auszugraben.“82 !!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!! 80 Morris 1994, 313; Zitat darin von Sade. 81 Vgl. Haneke und Assheuer 2008, 74; Zitat von Haneke. 82 Zweifel und Pfister 2001, 29. „Auch sie [Krafft-Ebings scientia sexualis] will alles feststellen, alles beschreiben und klassifizieren, was an Erscheinungen des menschlichen Geschlechtslebens auftaucht. Aber der wissenschaftliche Anspruch begreift dies ‚Alles’ nicht mehr in der Einheit von Totalität und Exzeß, um damit jede gesetzmäßige Norm als überschreitbar zu verneinen und daraus den Genuß zu ziehen.“ (Treut 1990, 101.) Das ist der wesentliche Unterschied zwischen Sade und Krafft-Ebing. ! 31 ! Es sind dann (nicht nur bei den Grabungsarbeiten) die kleinen Fundstücke und Wahrnehmungen, die aus der Fülle des organisierten Materials hervorstechen bzw. aus der vorherrschenden Medienflut hervorgehen und Aktualität gewinnen: das scheinbar Nutzlose, Weggeworfenes, Details, Fragmente, Fitzel und Fetzen, Unkraut und jam, etwas Aufmerksamkeit erheischendes und – bei genauem Hinschauen und mehr noch -Hören – Widerstand ermöglichendes, Klang- und Bildschnipsel; etwas, das die Kommunikation des Begehrens (im Hinblick auf das Besondere) antreibt und die Sinne schult. Bei Sade finden sich „kitzligste[] Kritteleien“ (die seine Zensoren „überkritzeln“),83 Linda Williams zitiert Diderots „geschwätzige[] Kleinode“ von 1748.84 Hartmut Böhme schreibt im Kontext des modernen Fetischs über „Chaos – Chora – Müll“ sowie „Kinkerlitzchen“.85 Gilles Deleuze und Félix Guattari entdecken „Schizo-Moleküle“86 im Anti-Ödipus oder Stefan Zweifel, Michael Pfister und Deleuze sogar ‚wütende’ „Fickmoleküle“ des Bösen bei Sade:87 metaphorische Perzeptionen des Minoritären, des vermeintlich Minderwertigen – feine Reste und ‚toxisch-geladene’ Elementarteilchen an ausfransenden Rändern, in Sumpf- bzw. Grenzgebieten zum Realen hin, in wirksam-vorherrschenden Medien-Urwald- Fantasmen, Tropen, inklusive natürlich der arktischen Gefilde knackenden Eises, wie sie an den plan-spiegelnden screen-Oberflächen (organloser Körper) spürbar werden.88 Dabei kann plötzlich etwas Totes bzw. Totgeglaubtes zurückkehren, sogar eine Leiche auftauchen, nicht nur theoretisch oder in Schrebers Wahn, sondern auch ganz real in allen hier besprochenen Filmen. Just walking the dead, horror vacui, a lot of nervous systems on edge. !!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!! 83 Vgl. ebd. 20. 84 Vgl. Williams 1995, 23 ff. und auch Foucault 1992, 97; in dieser Übersetzung ist von „Indiskreten Kleinoden“ die Rede. 85 Vgl. Böhme 2006, 126 ff. und 134. 86 Vgl. Deleuze und Guattari 1977, 373. Vgl. Didi-Huberman 2001, 69: „Staub der kleinen Objekte“. 87 Vgl. Zweifel und Pfister 2001, 28: „Fickmoleküle“ und Deleuze 1980, 265: „böses Spiel rasender Moleküle ins Unendliche reproduziert“ oder „unaufhörliche Bewegung wütende[r] Moleküle“. 88 Diese Prozesse und ihre Metaphern ereignen sich nicht nur im (abseitig) Verborgenen, am gesellschaftlichen Rand bzw. im unsichtbaren Medium des Realen/Reellen, sondern sie sind längst in der sogenannten Mitte der Gesellschaft, in ihren Massenmedien, angekommen, wo sie u. a. soziologisch und medien-/ kulturtheoretisch beschreibbar werden. Es rücken also nicht nur Randzonen in den analytischen Blick, sondern vor allem auch der Zwischenraum, das Dazwischen der Mitte, das erkannt und erschlossen werden möchte. ! 32 ! Benjamin erklärt, wie es zu dieser Film- bzw. ‚SM’-Wahrnehmung kommt, was dabei passiert, was damit anzufangen ist, und, vor allem, warum sie so dringend notwendig wurde: „Indem der Film durch Großaufnahmen aus ihrem Inventar, durch Betonung versteckter Details an den uns geläufigen Requisiten, durch Erforschung banaler Milieus unter der genialen Führung des Objektivs, auf der einen Seite die Einsicht in die Zwangsläufigkeiten vermehrt, von denen unser Dasein regiert wird, kommt er auf der anderen Seite dazu, eines ungeheuren und ungeahnten Spielraums uns zu versichern! Unsere Kneipen und Großstadtstraßen, unsere Büros und möblierten Zimmer, unsere Bahnhöfe und Fabriken schienen uns hoffnungslos einzuschließen. Da kam der Film und hat diese Kerkerwelt mit dem Dynamit der Zehntelsekunden gesprengt, so daß wir nun zwischen ihren weitverstreuten Trümmern gelassen abenteuerliche Reisen unternehmen.“89 Norbert Bolz geht in seiner kurze[n] Geschichte des Scheins auf dieses Zitat im Kunstwerk-Aufsatz Walter Benjamins ein und fragt: „Tut sich nun an den Stätten technischer Reproduktion eine Hölle der Bilder auf, aus der man die armen Seelen der Moderne retten sollte, oder eröffnen die vielfältig zerstückelten Bilder der Kamera eine Hölle des Details, die zu erforschen sich lohnt, weil in ihr der Spielraum der Zukunft beschlossen liegt? Walter Benjamins anthropologischer Materialismus des Films ist ein phantastischer Versuch, der Bilderflut des 20. Jahrhunderts einen revolutionären Index zu verleihen. Die unendlich vielen Bilder der Kamera konstituieren ein neues Medium beliebiger Perfektibilität. Es geht hier im wesentlichen darum, den von den Reproduktionstechniken erschlossenen Bildraum als neuen Spielraum des Menschen zu erobern, das setzt aber voraus, daß er zugleich als Leibraum des handelnden Kollektivs erwiesen werden kann.“90 !!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!! 89 Benjamin 1977, 35 f. 90 Bolz 1992, 101. ! 33 ! Ganz in diesem Sinne habe ich mich in dieser Arbeit mit Benjamin und Sade für die Hölle des Details (im reellen Medien- und im realen Leibraum: Lebensräumen) entschieden. Es geht mir dabei nicht um Wissensrepräsentation oder Geständniszwang im Sinne der scientia sexualis, sondern um Genauigkeit, wie sie Michael Haneke aber auch VertreterInnen der Berliner Schule, Maren Ade oder Christoph Hochhäusler, in ihrer Filmästhetik bzw. Figurenzeichnung einfordern. Haneke beobachtet, fragt und definiert: „Warum springt uns ein Bild an? Es ist eine Frage der Genauigkeit. Man könnte sagen: Intensität entsteht durch Genauigkeit im Detail. Deshalb ist Genauigkeit sowohl eine ästhetische wie auch moralische Kategorie. Sie stellt eine Verpflichtung dar. Sozusagen den moralischen Imperativ der Kunst.“91 Mehr-Lust-Appendix (a-Appendix – Zwischenbilanz für Lustmaschinen heute) Ich möchte einen fantastischen Index der Mehr-Lust, Rhizom der Kinkerlitzchen und Blindgänger, Irrungen und Wirrungen obsessiv-phallusgesteuerter Lust, abstürzend und aufsteigend, für das Hier und Jetzt am Anfang des 21. Jahrhunderts entwerfen, andenken und -testen. Ich weiß, dass ein solches Projekt im Namen des Begehrens nicht enden kann, dass der finale bzw. rettende Lust-Signifikant ausbleibt und sich damit jede imaginierte Ganzheit, lebenswichtiges Analog-Denken, an dem ich unbewusst-wissend festhalte, nur illusorisch aufrecht erhält – Gaukelwerk virtualisierter Sinne ohne Stopp- und Pausenfunktion.92 Damit kann und muss produktiv weiter gearbeitet werden, damit die Transition, die Passage ins Digitale (besser) gelingt. Hat man/habe ich eine andere Wahl? Je sais bien, mais quand même. Am Schluss wird sich die Arbeit deswegen geordnet in die Luft jagen („um den Sex herum zündet eine diskursive Explosion“),93 eine Teilchendispersion namens Mehr- Lust-Appendix stattfinden, um aus all den hier gelisteten Disparatheiten – !!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!! 91 Haneke und Assheuer 2008, 46; Zitat von Haneke. 92 Das ist eine der ersten Lektionen, die ich bei Lacan und Annette Bitsch gelernt habe. 93 Vgl. Foucault 1992, 27. ! 34 ! Spinnweben, Sperma und spam – etwas Neues zu schaffen. Mit Bruch- und Versatzstücken aus Literatur, Theorie, Medien, Kunst und Alltagsleben sollen hier neue Libido-Anschlüsse entstehen. Ich weiß nicht, ob das gut geht. Es ist mein eigener Spielversuch, meine schizoide SM-Technik, mit einer krass übercodierten, (für mich) viel zu schnellen und komplexen Wirklichkeit, all dem operanten (Informations-)Müll in uns und um uns herum, aber auch den aufregenden Neuigkeiten und medialen Wundern, irgendwie klarzukommen, etwas entgegen zu halten, ohne Zynismus und Spielverderb. Dies ist auf jeden Fall eine Einladung zum Mitmachen, in diesem Tummelbecken wie Feuerwerk der „Extravaganzen und Kruditäten“94, der Petitessen und Lächerlichkeiten (so viel Selbstinterpretation sei mir gegönnt) zu verweilen und etwas – ad libitum – hinzuzufügen.95 Der Mehr-Lust- Appendix, ein Fetisch-Baukasten-Set, geht auf Fernando Vallejos Gedicht Entre Fantasmas und auf die Ästhetik der Pet Shop Boys (als Libertins des Pop oder als Kugelwesen-Spielbälle im atemberaubenden Video[-game] zu Love etc. [2009], hymnischer Abgesang an den life-style) u. a. zurück. Kurz, es ist „Ein Ende im Wahnsinn“, wie es Annette Bitsch am Schluss ihrer Genealogie des Unbewussten inspirierend beschreibt.96 Nicht nur die Metapher fliegender bzw. abstürzender Lust, sondern die des aufplatzenden, berstenden Partialobjekts und mehr noch -organs (déhissence, die als als Aufplatzen überreifer Früchte angesehen werden kann), ist dann signifikant, d. h. dysfunktional-psychopathogen. Der innere Druck, die unbewusste Wirkmacht dieser !!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!! 94 Vgl. Benjamin 1977, 37. 95 Ich danke Mareike, Hanna, Eve, Johannes und Alexander fürs Mitspielen und natürlich auch für die Kritik daran. 96 Vgl. Bitsch 2009, 513 f. ! 35 ! Objekte, ihr libidinöses Drängen, nimmt medienhistorisch und -technisch gesehen im Verlauf der Moderne konstant zu. Verantwortlich ist der Info-Dauerbeschuss von außen und innen, besonders seit 1850, dem Aufkommen und der allmählichen Durchsetzung der Analogmedien, allerspätestens seit der Medienrevolution von 1880 (Kittler),97 die globale Installation des Weltgefängnisses der Medien, ein techno- labyrinthischer Höhleninnenraum, ein (T)Raumschiff, Schiff der Traumata, auch ein Narrenschiff (Serres):98 2001 – ODYSSEE IM WELTRAUM, ALIEN I-IV.99 Diese implementierten kleinen Objekte (fast nichts) werden in der Wahrnehmung und technologischen Reproduktion immer ‚voller’ und einnehmender, sie eskalieren, u. a. in Stress- bzw. Krampfsymptomen, in merkwürdigem (Terror-)Verhalten und (- )Spiel(ch)en, implodierenden Egos und platzenden Erektionen. All das wirkt sich auch auf das Begehren, Handeln und (Nicht-)Denken aus. „Wir denken zu rasch, und unterwegs und mitten im Gehen, mitten in Geschäften aller Art, selbst wenn wir an das Ernsthafteste denken; wir brauchen wenig Vorbereitung, selbst wenig Stille – es ist als ob wir eine unaufhaltsame rollende Maschine im Kopfe herumtrügen, welche selbst unter den ungünstigsten Umständen noch arbeitet.“100 In diesem erbarmungslosen Beschleunigungsprozess bzw. Dauer-crash-test, die mediale Gewalt unserer (und schon Nietzsches) Zeit, sind wir heute an die Grenzen der körperlich-psychischen Belastbarkeit gelangt. Deshalb gärt, fault, platzt, knallt, explodiert und implodiert es auch viel und oft in dieser Arbeit, ihrem Autor, in Medien und UserInnen einer katastrophischen Übergangszeit:101 einem !!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!! 97 Vgl. Kittler 1986, 29 f. 98 Vgl. Serres 1991, 269 ff. Vgl. auch DJ Koze „Blume der Nacht“ unter: http://www.youtube.com/watch?v=ffzJAC_wZtk. 99 Thomas Assheuer bemerkt im Interview mit Michael Haneke: „Die Moderne läuft weiter, sie ist eingeschifft.“ (Haneke und Assheuer 2008, 122.) David Cronenbergs VIDEODROME endet im Bauch eines stillgelegten Schiffs im Industriehafen von Toronto, im condemned vessel. 100 Nietzsche 1982, 43 f. 101 Das liegt auch – wie Foucault schreibt – an der Beschleunigung der modernen Sex-Diskurse: „Die Diskurse über den Sex [...] haben unaufhörlich zugenommen, eine diskursive Gärung, die sich seit dem 18. Jahrhundert beschleunigt hat.“ (Vgl. Foucault 1992, 28.) Mit Nietzsche kann darauf geantwortet werden: „Das Tempo bedeutet [...] unter den Kräften der Entwicklung bei Völkern ebensoviel wie bei ! 36 ! abgewirtschafteten und erschöpften Raum, der aus allen Löchern pfeift. Das ist die Geschichte, von der ich hier ausführlich berichten möchte. Stop it, now, Resist or Run!...102 Analyse it!103 – Die Löcher, Blasen, Knoten und vor allem Opfer und Gespenster, nach unten ziehende Schuld, böse Plagegeister, die diese Objekte (klein a) sind bzw. fordern, sollen in ihrer Paradoxie, Tücke, Gefahr und Gewalt, aber auch in ihrer geheimnisvoll-hybriden, sublimen Schönheit, ihren Schaltfunktionen wie ihrem enormen libidinösen Verführungspotential herausgestellt werden. Es sollen die chaotischen Wege böser und auch befreiender Lust, chocs, crashs und crushs, die sich hier, in der Matrix oder im Reaktor dieser Dissertation, ergeben und abzeichnen, !!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!! der Musik; für unseren Fall ist durchaus ein Andante der Entwicklung notwendig, als das Tempo eines leidenschaftlichen und langsamen Geistes“. Nietzsche 1982, 47. 102 „Unsere Hauptverpflichtung bestehe darin, willkürliche Enklaven der Ordnung und des Systems in diesem Universum zu errichten. Haben wir diese Enklaven einmal errichtet, so bleiben sie dort nicht durch irgendein eigenes Bewegungsmoment unbegrenzt bestehen. Wie die Herzkönigin (in ‚Alice im Wunderland’) können wir nicht bleiben, wo wir sind, wenn wir nicht rennen, so schnell wir können.“ Wiener 1962, 265, zitiert nach Deuber-Mankowsky 2007, 312. 103 Hier regen sich nun mehrere Dinge, die miteinander vernetzt sind und ins aktive Spiel kommen – Aufzählung im a-Appendix-Format: Kugelwesen, groteske Bauch- und Problemzonen und deren monströses Innenleben, pralle Reiz- und Fischblasen (Zeichen der Zeit), kugelig wölbende und organisch werdende Monitorscheiben, Leinwände und andere screen-Medien (ebenso monströs), Implementierung neuer Geschlechtsteile, (Begehren im) Anschluss-Fehler, (unbewusste) Gewalt (technisch erweiterter Sinne), Zusatzorgane /-module, (kosmische) Netz(werk)strukturen, optische und biotechnologische (Fern-)Steuerungen, Matrix-/ Netzwerkmanipulationen, (Anti-)Cyborgs, serielle Medien-Klone, Zombies, blähendes Medien-Begehren bzw. mediale (Selbst-)Verdauung, beschleunigende (Teilchen-)Rotationen im Innen und Außen, Halt(e)probleme, Paranoia und Schizophrenie, Durchdrehen (im Leerlauf), Analoges und Digitales, Kopf- und Verstandloses, stop(- )making sense, Entzug, Mangel, (Seins-)Kälte, Stress, Schmerz(-)/ Angst(-lust), Gefühle des Beschädigt- bzw. Nichtganzdicht-Seins, Prothesenpathologien (aller Art[efakte]/Medien), Vor-sich- hin-Dämmern, Wachkoma, Apathie, Absturz, Blitz(-Lichtung), mit Glück: kurzes Aufwachen (in heterotopen Feuchtgebieten und im Millisekundenbereich), Medien-Terror-Lust(-Angst), SM, (- )Eskalation, crash test(-Inszenierungen), inszenierte Krisen, echte Katastrophen, Subjekt-Dämmerung, Schadensbilanz und -begrenzung als (nachträgliche) Erkenntnis, vollständige Aufklärung des SM- Symptoms – Wachwerden – (vorerst) nicht machbar, Minoritär-Werden bzw. -Müssen als notwendige Konsequenz von all dem, (Say) Bye-bye!, ;-), (neue) Selbst-Losigkeit, kurz: radikale Turbulenz und Transformation (im Unbewussten). – Was bleibt? Grundrauschen, Melancholie und Einsamkeit. ! 37 ! verfolgt bzw. erzählt werden: locker montierte und frei im Raum schwebende Partialobjekt-Verkettungen bzw. -collage, Schnittmuster im Virtuellen, Wunschmaschinen-Jagd, Teilchendispersion, Molekularglitzern und -knistern – „Sternenwelten der Freude“104 (hoffentlich – das wäre dann doch noch so etwas wie ein Ziel hier).105 SM ist immer auch ein (zeremonieller) Opfer- bzw. Abschiedsritus, ein showact zum (Dauer-)Thema ‚Ödipus und Kastration’ (Inszenierungen um Scheuklappen und Schnitte), eine ewige und sich transformierende Wiederholungsprozedur im Mediendispositiv (des Spiegelstadiums /-stadions), in/von dem/der man nicht genau weiß, was hier genau verschwindet bzw. geopfert wird – wer oder was hier gespielt wird – und was dann (damit) kommt bzw. wiederkehrt. Ob überhaupt noch etwas (Neues bzw. Anderes) kommt. Das scheint das wirklich Moderne daran zu sein – die sich stets wandelnde und doch so merkwürdig gleichbleibende, konstante Ungewissheit und Unschlüssigkeit, dichte virtuelle Nebelschwaden und sicheres Ende im Unausdenkbaren: Qualen, Schmerzen und auch, ja, Glück (dann ohne Ende).106 – Deleuze (und Guattari): „We say: Oedipus and castration, make the best of them, because it’s not going to last.“107 Das wird sich hoffentlich – nach bzw. mit dem Anti- Ödipus – besser wiederholen. Man braucht dafür ein Wissen und eine (Alltags-)Praxis der Perversion, aktiv(istisch)-gewaltlos-gelassenes (Anti-)Sein selbstgemachter Erfahrung und Reflexion, mindestens auf dem level der zweiten Beobachtung, der !!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!! 104 Vgl. Nietzsche 1982, 49. 105 Es geht einfach darum, (unzensierte) Imagination, illusio der Ich-Bilder, wie auch die damit zusammenhängende Selbstreflexion ordentlich in Gang bzw. in produktive Verwirrung zu bringen, um Verknotungen im Sinne von libidohemmenden Fixierungen zu lösen. Das fordert auch Michael Haneke mit seinen FUNNY GAMES (U.S.) und David Cronenberg sowieso. – Wake up! Open your eyes. Use your own illusions. 106 Es handelt sich hier, wie mit Karl Jaspers’ Radiovorträgen zur Einführung in die Philosophie gesagt werden kann, um Grenzsituationen, heutzutage um einen Dauerausnahmezustand, den es auszuhalten gilt, der ‚begehbar’ werden muss: „Die Grenzsituationen – Tod, Zufall, Schuld und die Unzuverlässigkeit der Welt – zeigen mir das Scheitern. [...] Der Ursprung in den Grenzsituationen bringt den Grundantrieb, im Scheitern den Weg zum Sein zu gewinnen.“ (Jaspers 1953, 24 f.) Der Ursprung bzw. der Grundantrieb sind begehrte wie gefürchtete crash-Momente, collision of imagery bzw. violent imagery, wie mit David Cronenberg ergänzt werden kann. 107 Zitat von Gilles Deleuze in: Guattari 2009, 75. ! 38 ! erhofften Bahnung eines neuen Lust-Signifikanten im anderen. Es geht dabei um Offenlassen, offenes Lassen (los[lassen] jetzt! libido-flow), auch um ein Recht auf Faulheit und Müßiggang, Nichtstun und Stille, um endlich anders zu werden, sich zu besinnen und zu verwandeln. Man braucht auf jeden Fall viel Neugier und (eigene) Zeit für den ersten oder nächsten Spielzug, zum Nachdenken, zum Begreifen und zum Handeln. You have to let it happen. Just do it. Immer dann (ich rede aus eigener Erfahrung), wenn es sich tatsächlich um wahren SM handelt, wird man dies im wagemutigen und aufregenden Selbstversuch, ernsthaften und aufrichtigen Spiel (mit anderen/dem Anderen), in Lust und Schmerz, herausfinden – wohl nie so ganz, aber eben so, dass man Lust hat, weiterzumachen und dieser speziellen Lust zu folgen, sie weiter zu suchen. Man spürt das Neue im SM, es ist schon da, es installiert sich gerade, es entsendet deutliche Signale mit Bestimmungsorten im technovirtuell gewordenen Symbolischen (A), auch und vor allem im Körper; Orte, denen es immer nachzugehen lohnt, die man schließlich selbst körperlich einnehmen muss. Eine Lebensaufgabe und auch (-)Philosophie. Es geht um stetige Neugeburt und Schönheit –: „[D]ie Kunst der Verwandlung aus sich selbst und die Kunst der Verwandlung in ein Selbst.“108 Im flow kugeliger Venus-Satelliten – ein Anfangsbild Das Kino erweist sich für die Konzeption eines kugeligen Cyborgwesens, eines technologisch gepimpten Rest-Körpers mit ausgeprägten SM-Gelüsten – cyberpunk und Tierlich-Werden: ein merkwürdiges, auch tückisches Springball-Wesen,109 das immer auf der Suche nach neuem Kontakt und Wissen, nach fantasievollem !!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!! 108 Vgl. Deuber-Mankowsky 2007, 129 (die Nietzsches Philosophie als diese Kunst der Selbstverwandlung liest). 109 Lacan spricht vom „Spielball [des] Unbewussten“ (vgl. Lacan 1988, 87; vgl. zum „Spielball“ im Masochismus auch Eulenburg 2003, 224) – der Theatermacher René Pollesch benutzt die Metapher der Flipperkugel: „Wir gehen dahin, wohin der Zeiger des Herzens jeweils ausschlägt. Wie eine Flipperkugel. [...] Aber dabei folge ich nicht der Flipperkugel namens ‚Stimme meines Herzens’. Ich folge dabei nicht meinem Inneren, als käme meine Arbeit hier raus (deutet auf sein Herz).“ Vgl. taz- Interview vom 9./10. März 2013, das Katrin Bettina Müller und Patricia Hecht führten. ! 39 ! Anschluss-Spiel, Spiel-Verlängerung, Affekt-Intensitäten, magischem Technosex, afterhour usw. ist, als äußerst produktives Experimentierfeld, um Sinnlichkeit und Erfüllung immer wieder finden, sich einfach neu verschalten/erfinden zu können. Kunst und Körper (Körperkunst/ Tanz/ Schauspiel etc. [Körpertechniken/ - technologien]) bilden ebenfalls dieses sensualistische, hocherregbare, elektrisierte SM-Feld und mehr noch dessen verführerische, matt-schwarz glänzende Spielfiguren, dunkle Venus-Sternchen (die keine Stars mehr werden wollen), leise funkelnde Magie des Digitalen überall, samtener moon dust. Darin spiegelt sich mein eigenes Begehren, meine groteske Lustsuche, von der ich als Spiel/im play-Modus hier berichten möchte. Daran möchte ich mich gewöhnen, mich darin weiter einüben. Schon der Schweizer Medientheoretiker Max Picard hat das Kugelwesen auf der Kinoleinwand erblickt und es in seiner expressionistischen Schrift Der letzte Mensch von 1921 beschrieben. Er fasst sozusagen die crash-tests der Lust („Rituale[] der Probe“),110 die in dieser Arbeit vorgestellt bzw. durchgeführt werden, in einem einzigen Bild zusammen. Es ist gleichsam das strukturale Anfangsbild für alles Nachfolgende – wir sind nur die dummies:111 „Sieh’ dort das Kino: dort in dem Kino wird die große Kugel gebildet! / Sieh’ auf die Leinwand: solange das Wesen noch vorn ist, sind seine einzelnen Kugeln noch nicht zusammengewachsen, dann aber, sobald sich das Wesen entfernt gegen den Hintergrund, werden die Kugeln wie von innen aufgeblasen, die Kugeln werden gedehnt, daß sie nicht mehr zusammengehalten werden können, die einzelnen Kugeln lösen sich auseinander und ihre Stücke fallen irgendwohin in den Hintergrund, man sieht die Stücke nicht mehr!“112 !!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!! 110 Foucault 1992, 76. Im Vorwort dieser deutschen Ausgabe von Der Wille zum Wissen spricht Foucault zudem von „Probebohrungen“: ebd. 7. 111 Platons Gastmahl berichtet von einem Ursprungsmythos, von Kugelwesen mit vier Armen, vier Beinen und zwei Gesichtern, die den Göttern gleich sein wollten und dafür heftig bestraft wurden. Zeus teilte sie in zwei Hälften und befahl Apollon, ihr Gesicht so zur Schnitthälfte herumzudrehen, dass der Mensch seine Zerschnittenheit stets vor Augen habe. Seitdem irrt der Mensch rastlos auf der Erde umher, immer auf der Suche nach der anderen Hälfte, die den Schnitt, die Wunde, heilen soll. Vgl. Braun 2001, 190. 112 Picard 1921, 199 f., zitiert nach Filk 2010, 24 f. ! 40 TEIL 1 ZUR GRUNDLEGUNG VON SM-MEDIALITÄT Souverän [...] ist nicht der Mensch, diese eitle, überhebliche, aufgerichtete Maschine, sondern allein die Lust, vor der alles andere verschwinden muß. Diese ist das Wesen des Menschen und der Ordnung des Universums. Julien Offray de La Mettrie Es scheint, daß unsere gesamte Seelenthätigkeit darauf ausgerichtet ist, Lust zu erwerben und Unlust zu vermeiden, daß sie automatisch durch das Lustprinzip reguliert wird. Sigmund Freud Alle Arten Passionen müssen einzeln durchdacht, einzeln durch Zeiten, Völker, große und kleine Einzelne verfolgt werden; ihr ganze Vernunft und alle ihre Wertschätzungen und Beleuchtungen der Dinge sollen ans Licht hinaus. Friedrich Nietzsche Die Fälle Sade und Sacher-Masoch [Sade] formuliert eine Art Erklärung der erotischen Menschenrechte, mit folgender Maxime [...]: ‚Was tue ich denn für ein Übel, [...] wenn ich einem schönen Geschöpf begegne und sage: Leih mir den Teil deines Körpers, der mir für einen Augenblick Befriedigung schaffen kann, und erfreue dich, wenn du Lust hast, an dem Teil meines Körpers, der dir Genuß bringen kann?’ Maurice Blanchot Falls Sie eine 2 signalisieren möchten, das Double, das Dublikat, das zweite Ich, doppelt heimzahlen, etc., dann müssen Sie in meiner Zelle ein schönes Geschöpf [...] in der Pose der Farnesischen Venus Kallipyga in Stellung gehen lassen – just dort, ihn [ihren Po (Anmerkung S. P.)] prächtig ausschwenkend. [...] Beim Eintreten würde ich dem Souffleur oder dem Soufflierten sagen. Was soll denn diese Schamlosigkeit? (nur der Form halber, versteht sich). Und der Souffleur würde antworten: Monsieur, das ist ein Duplikat. Donatien Alphonse François de Sade Sades Maschinen(t)räume – Exposition113 Paris, Bastille, 22. Oktober bis 27. November 1785. Donatien Alphonse François de Sade (1740–1814) sitzt einsam in seiner Gefängniszelle und beginnt an 36 aufeinanderfolgenden Tagen sein berüchtigtes Hauptwerk Die 120 Tage von Sodom zu verfassen, immer von sieben bis zehn Uhr abends. Er schreibt auf Grund von Papiermangel mikroskopisch klein, auch rückseitig und erhält zum Schluss einen aus losen Zetteln zusammengeklebten, zwölf Meter langen Streifen, den er aufgerollt in einem Holzetui verwahrt oder in einer Wandritze seiner Zelle versteckt. Diese Etui dient gleichzeitig als Dildo, mit dem er sich regelmäßig befriedigt (‚sodomiert’). Über die Anzahl und Dauer der Einführungen wird sorgfältig Buch geführt, ebenfalls über die Personen, an die er dabei denkt – unter anderen an seine geliebte Ehefrau. Diese 113 Teile der Exposition sind schon veröffentlicht: vgl. Pühler 2007 (b). 42 sich über sechs Jahre erstreckenden Onanie-Protokolle fasst er in seinem Almanach illusoire zusammen.114 „Sades Denken ist ein Gefängnisdiskurs. Er hat das Gefängnis als traumatische Kastration erlebt, als Beraubung freier Praxis des Begehrens. In der Einkerkerung bemächtigt sich das Denken des Einzigen, was ihm bleibt, des Körpers, und macht diesen zu seiner Funktion.“115 Sades literarische Ästhetik, seine Sex-,116 Zahlen- und Ordnungsmanie, hat sich nicht erst in der Isolation der Gefängnisse herausgebildet, hier hat sie jedoch ihre philosophisch-literarische Schärfe, ein existentielles Gewicht bekommen, das „seinen Anfängen als blasierter Pariser Lebemann noch fehlte[]“.117 Denn alles, was Laster, Ausschweifung und Böses bedeutet oder bedeuten könnte, „das böse Wissen“,118 hat seine Vorstellungskraft schon immer heftig erhitzt;119 Monster wie Gilles de Rais, die – wie er selbst sagt – „nur alle 1000 Jahre von der Natur erschaffen werden“, faszinieren ihn daher ungemein „und sind, wie ich einräume, recht schwierig zu verstehen“.120 Bereits 1772 ist Sade wegen Sodomie und Giftmischerei auf dem Scheiterhaufen in Aix-en-Provence in effigie – als Strohpuppe – verbrannt worden, die rechtzeitige Flucht ins Ausland rettet ihn zunächst vor der drakonischen Strafe. 114 Vgl. Zweifel und Pfister 2001, 16. 115 Böhme 1988; zitiert nach: http://www.culture.hu-berlin.de/hb/static/archiv/volltexte/texte/natsub/sade.html. 116 Der Begriff Sex war, soweit ich weiß, im 18. Jahrhundert noch nicht gebräuchlich. 117 Vgl. Zweifel und Pfister 2001, 16, 20 und 23. 118 Böhme 1988, zitiert nach der Webpage a. a. O. 119 Mario Praz hat mehrere Zitate über das Böse, wie Sade es definiert, zusammengestellt; in Juliette heißt es u. a.: „Ich sehe das Böse ewig und überall in der Welt. Das Böse ist ein moralisches Wesen, das nicht erschaffen worden ist, ewig und unvergänglich; es bestand vor Beginn der Welt, es schuf das Ungeheuer, das eine so bizarre Welt hervorbringen konnte. Der Schöpfer des Alls ist das boshafteste, grausamste, fürchterlichste aller Wesen. Er wird also auch nach den Geschöpfen existieren, welche diese Welt bevölkern. Und in ihn werden sie alle zurückkehren, um andere, noch bösartigere Wesen hervorzubringen.“ Praz 1994, 104 f., Zitat von Sade. 120 Vgl. Sade 1995, 254 f., Fußnote 2, zitiert nach Zweifel und Pfister 2001, 16. Vgl. zu Gilles de Rais: Reliquet 1990. 43 Seine mächtige Schwiegermutter, die Präsidentin von Montreuil, empfindet eine derartige Abscheu gegenüber seinem libertinen Tun und Denken, dass sie einen Polizeitrupp in sein provenzalisches Stammschloss Lacoste schickt, um Schriften aus seinem Studierzimmer konfiszieren und verbrennen zu lassen. Den Marquis packt die Angst, er lässt sich aber nicht einschüchtern. Er arbeitet akribisch weiter daran, einen experimentellen Kunstraum, ein Labor der Gewalt und des Exzesses zu entwerfen. Albert Eulenburg redet von „Schreckenskammern“, „Raritätenkabinetten“ und „weit angelegten Museen“, in denen sich „so ziemlich alle überhaupt denkbaren Spielarten sexueller Perversionen und Perversitäten in buntester Vereinigung und Durchmengung [...], [...] Abnormitäten und pathologischen Spezialitäten des Sexuallebens in Musterexemplaren und in zahllosen Variationen – allem Anschein nach sogar planmäßig, oder wenigstens mit einer gewissen absichts- und eindrucksvollen Steigerung – auf- und ausgestellt finden.“121 Dabei scheint es Sade nicht zu stören oder zu langweilen, dass er in seinen bis auf 6000 Seiten aufgeblähten Romanen im Grunde doch nur die immergleiche Orgie beschreibt. Trotzdem ist dies neu und unerhört, eine Leistung, der er sich voll bewusst ist und die bis heute ziemlich einzigartig dasteht. Denn wer – außer ihm – könnte schon allen Ernstes von sich behaupten, die Lücken und Leerstellen eines Weltwissens, einer Enzyklopädie, wie sie zu Sades Lebzeiten Denis Diderot und Jean le Rond d’Alembert herausgeben – mit der eigenen wollüstigen Phantasie anzureichern und dann noch den Anspruch auf Ganzheit zu erheben?122 121 Vgl. Eulenburg 2003 (1902/1911), 179 f. 122 „Ja, ich bin wirklich ein Libertin, ich gestehe es: ich habe alles ersonnen, was in dieser Gattung zu ersinnen ist, aber ich habe gewiss nicht alles getan, was ich ersonnen habe, und ich werde es sicher niemals tun. Ich bin ein Libertin, aber kein Verbrecher oder Mörder.“ (Sade 1972, 153; Brief vom 20. Februar 1781.) Sades ‚Vollständigkeitstheorem’ geht auf die Zeichen der Klassik zurück: „In der repräsentationslogischen Epoche geht die Benennung der Dinge der Welt vonstatten, indem die reale Welt durch ein von der Bedeutung und vom Bewusstsein administriertes Zeichensystem gefiltert wird. Alles, was durch diesen Filter fällt, wird fortan nicht mehr zur Welt gehören; was nicht benennbar und vorstellbar ist, ist fortan nicht mehr existent. [...] Ein solches Funktionsprinzip der Welterzeugung supponiert natürlich eine perfekte Verkennung der apriorischen, unbewussten Mechanismen.“ (Bitsch 2009, 139 f.) Auch wenn Sades Perversionen zahlreiche enzyklopädische Lücken ausfüllen, so operiert 44 Doch die Schwierigkeit liegt für Sade weniger darin, einen erotisch bzw. grammatikalisch gesättigten (Sprach-)Körper zu schaffen,123 als Mittel und Wege zu finden, das explosive Gedankengut aus der Zelle, an den verhassten Zensoren vorbeizuschmuggeln. So operiert er stets mit einer Doppelbödigkeit, verwendet Geheimcodes und -tinte, versteckt Mitteilungen in Lebensmitteln, z. B. in einer Wurst, oder erfindet so raffinierte Dinge wie die Schrift gewordene „Zornesfalte“: „Ein leider verschollener Brief an seine Frau, den man so falten kann, dass hinter der glatten Oberfläche das Palimpsest seiner heißen Leidenschaft sichtbar wird und sich die Worte zu einem neuen Sinn zusammensetzen.“124 – Laut Stefan Zweifel und Michael Pfister sind es gerade diese faszinierenden Briefe, die in der Aufarbeitung des Sadeschen Werkes bislang vernachlässigt wurden und die in den Archiven der Pariser Bibliothèque de l’Arsenal lagern. „[M]an muss die Originalmanuskripte als abstrakte Gemälde sehen, auf denen sich in immer neuen Verteilungen verschiedene Zonen gegeneinander verschieben: die schwarzen Flächen der Zensur, der weiße Zwischenraum rund um die Adresse, das regelmäßige Zeilenraster der Korrespondenten, das sich durch Sades Kommentare und seine seltsamen Zahlenkolonnen zu einem kompakten Schriftblock verdichtet“.125 Das architektonische Modell für den Sadeschen Raum bildet ein imaginäres Schloss, wie man es aus dem Märchen oder der gothic novel kennt. In den 120 Tage[n] ist dies das vom Dorf abgeschnittene und hoch über dem Tal liegende Schloss Silling im tiefen Schwarzwald. Nachdem sich die Libertins mit ihren Lustobjekten und DienerInnen während der Wintermonate hier eingeschlossen haben, lassen sie den einzigen Zugang, die Schlossbrücke, hinter sich zerstören. Diese Gemeinschaft ist dann nicht nur von der Außenwelt hermetisch abgeschnitten, sondern erzeugt gleichsam eine gesellschaftliche Autarkie mit einer festgelegten Ordnung, die sich in sein Ganzheitsanspruch immer noch als Verkennung und lässt somit Löcher, die diesem Anspruch im Weg stehen. Sade hat einfach nur die Filterfunktion zur Generierung neuer Signifikanten optimiert bzw. erweitert. Hat er damit wirklich alles gesagt? Aus der heutigen psychoanalytischen bzw. epistemologischen Perspektive ist dies eine Unmöglichkeit – eben der Bruch zwischen Welt und Erkenntnisobjekt – und darf somit angezweifelt werden. 123 Vgl. Zweifel und Pfister 2001, 28. 124 Ebd. 21. 125 Ebd. 17. 45 Stundenplänen, Essens- und Kleidungsvorschriften, einer eigenen Sprache, Moral etc. ausdrückt.126 Zentraler Ort der Ausschweifung ist das Theater, in dem man sich täglich von fünf bis zehn Uhr abends einfindet. Vier Huren schildern dort während der vier Monate insgesamt 600 Perversionen, die sie selbst erlebt haben. Diese Erzählungen inspirieren zu sexuellen Handlungen, die die Libertins dann umgehend vor Ort (auf der Ottomane oder in angrenzendem Séparée) an ihren Lustobjekten ausführen. Es gibt noch den schönen Salon, dessen Fußboden eine große fleckige Matratze ist. Man läuft barfuss auf dieser Spielwiese, die schon in gewisser Weise das heutige Lounge-Interieur oder den chill-out-Bereich eines Clubs andeutet.127 Diese nahtlose Verbindung aus Bett, Boden und Bühne ist schon deswegen so bemerkenswert, weil sich in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts in den europäischen Theaterhäusern die Trennung zwischen Bühnen- und Publikumsraum vollzogen hat.128 Zudem ist dieser Salon, in dem jeder gleichzeitig Zuschauerin und Schauspielerin ist, mit Spiegeln und – wichtiger noch – allerlei Sextoys (Dildos, Ruten, Gleitmitteln) ausgestattet, die immer in Reichweite stehen und die der Lüstling wie in einer chirurgischen Operation anwendet.129 126 Vgl. Barthes 1986, 21 ff. 127 Ich denke hier – mit Fantasie – auch an Verner Pantons flauschig-psychedelische Visiona-68- Welten – Wohnen im Uterus sozusagen. 128 Vgl. Kalisch 2006, 131. „Diese Konstellation ist entscheidend: Die Ferndistanz, die früher durchbrochen werden konnte, wird durch den Bühnenrahmen befestigt, der Zuschauer wird stillgestellt, in dieser Matrix wandelt sich der handelnde zu einem empfangendem Theatergänger. Doch auch die Illusion, die jetzt mit anderen Mitteln erzielt wird, verändert ihren Charakter, es entsteht ein neues historisches Illusionsdispositiv: Der Bühnenvorgang, der jetzt ins Zentrum einer ungeteilten Aufmerksamkeit rückt, wird gleichsam ‚herangeholt’, als ob die Figuren in ihrem Beziehungsgewebe mikroskopiert würden. Der Ausschnitt wird kleiner, die Details werden vergrößert. [...] Die Illusion wird nach einem neuem Code, dem Natürlichkeitscode produziert. Insofern rahmt der Bühnenrahmen nicht einfach ein Bild, sondern eine Versuchsanordnung, die Figuren werden mikroskopiert, während an und mit ihnen experimentiert wird. [...] Das Theater veranstaltet die Vivisektion des neural man.“ Kalisch 2006, 132. (Elenore Kalisch bezieht sich hier nicht auf Sades imaginäres Spezialtheater, sondern schreibt allgemein über das Bühnendispositiv und dessen ‚mikroskopierende’ Wahrnehmung im 18. Jahrhundert.) 129 Vgl. Barthes 1986, 161. 46 Sades Maschinen Zu Sades Quälinstrumenten gehört neben einer Auspeitschmaschine, einer Vergewaltigungsmaschine, einer Lachmaschine (die der Schadenfreude dient und durch Schmerzeinwirkung sardonisches Lachen erzeugt),130 einer Folterfernsteuerung „I“,131 auch eine spezielle Vorrichtung namens Röhrenhaube. Dieses Wunschmedium, das man wie eine Mütze über den Kopf des Opfers stülpt, ermöglicht es, die damit verursachten Schreie zu verstärken und sogar in einen anderen Raum zu übertragen – ein Vorläufer des Radios sozusagen, auf jeden Fall ein Geräuschfetisch.132 Auch die Orgie funktioniert wie eine Maschine, ein offener, architektonisch ausgewogener Apparat, in dem sich die einzelnen Personen quasi von selbst zusammenschließen. Dabei verrenken sich die Körperteile zu symbiotischer Dichte, werden alle Körperöffnungen gleichzeitig bearbeitet und ausgefüllt, um höchste Effizienz zu garantieren. Diese Penetrationsmechanik duldet keine Einzelgänger, keiner muss draußen bleiben. Einmal in Gang, läuft sie wie geschmiert („in konvulsivischen Bewegungen der Teilnehmer“)133 und – von einigen Schmerzensschreien abgesehen – relativ geräuschlos.134 Die Sadesche Gruppe ist ein gut ausgeleuchteter Skulpturgegenstand, ein tableau vivant, wie Roland Barthes es definiert, in das man jederzeit eintreten könne.135 Für die Bild- und Kinotheorie ist das insofern interessant, als dass das Eindringen in den zentralperspektivischen Tiefenraum nicht mehr im Sehen vorgetäuscht wird, sondern buchstäblich erfolgt:136 Der lüsterne, entfesselte 130 Vgl. ebd. 173 ff. 131 Hartmut Böhme erläutert diese Vorrichtung, die der „Moskovit Minski, der ‚Eremit des Apennin’“ steuert: „Mindestens zehnmal am Tag muß Minski entladen, wofür die Opfer auf kunstreiche technische Apparate geschnallt werden. Vom Bett aus kann Minski einen Mechanismus I bedienen, der zugleich 16 Frauen auf raffinierteste und variantenreiche Weise zu Tode foltert.“ Böhme 1988, zitiert nach der Webpage a. a. O. 132 Vgl. Barthes, der diesen „Geräuschfetisch“ auch als einen „tönenden Stab, eine musikalische Kotsäule“ bezeichnet: Ders. 1986, 164. 133 Ebd. 164. 134 Woher kommt die Energie in dieser selbstlaufenden Körper-Automaten-Installation? – „Friedrich Hoffmann vermutete die Antriebskraft der Körpermaschine im ‚Nervenfluidum’, das sich aus dem ‚Äther’ des Weltraums speist.“ Rothschuh 1953, 73; zitiert nach Sarasin 2001, 52. 135 Vgl. ebd 175 ff. 136 Vgl. Hentschel 2001. 47 Blick bohrt sich dann unaufhaltsam ins Fleisch der mechanisierten Körper.137 Selbstverständlich lässt sich der Libertin dieses köstlich-groteske Spektakel nicht entgehen und steigt mit ein. Gern gibt er seinen idealen Betrachterstandpunkt, seine Machtposition auf, um Teil des lebenden Bildes zu werden, in diesem schließlich zu implodieren. Dies scheint er für seinen Lustgewinn in Kauf zu nehmen: „Im de Sadeschen Attentat der Liebe implodiert der Libertin im anderen und exterminiert damit zugleich das phantasmatische Objekt [...]. Sade will genießen, will die Grenze überschreiten, will nicht in den larmoyanten Serenaden imaginärer Liebe verdämmern, sondern Tod und jouissance in den Mysterien einer unausdenkbaren Grausamkeit kurzschließen. Der Marquis zelebriert eine ‚Vision der Natur als eines ungeheuren Systems der Anziehung und Abstoßung des Bösen’.“138 Reiz-Experimente in der Physiologie des 18. Jahrhunderts Doch was sich im Sadeschen Werk als maschinenregulierte Triebanarchie, gleichwohl als ausschweifend-brutale Sprache, ein unaufhörliches Sprechen der (Mehr-)Lust und des Schmerzes, offenbart, hat durchaus Bezugspunkte zur außenliegenden Realität und erscheint dann gar nicht mehr so abwegig oder irrwitzig. Z. B. wendet sich die Physiologie eines Albrecht von Haller um 1750 mit gezielten Reiz- und Läsionsexperimenten dem lebenden Körper unter dem Vorzeichen seiner Sensibilität und Irritabilität zu und versucht so, das Organ der Seele physiologisch einzukreisen.139 Physiologisches Reizen heißt bei Haller Kürzer-Werden: 137 Siegert und von Hermann beobachten in Foucaults Ordnung der Dinge, dass im 18. Jahrhundert „’ein Blick aus Fleisch entsteht’, der den Menschen in einer ‚nicht eindeutigen Position’ fixiert, nämlich als Objekt für ein Wissen und als Subjekt das erkennt’“. (Vgl. dies. 2000, 70; Zitat darin von Foucault 1971/74, 377) Sade folgt diesem Blick, der bereits ein klinischer ist, und erweitert ihn pornografisch-fantastisch. Vgl. Morris 1994, 313. 138 Bitsch 2001, 226; Zitat darin von Lacan 1996, 238. 139 Reizbare und gereizte Nerven spiegelten auf experimentelle Weise das Sinnbild einer ganzen Epoche wieder (Sympathy und Sensibility), so wie sie Hallers Kollege George Cheyne in seinem Buch The English Malady bereits 1733 seiner ganzen Nation attestiert hatte. Diese ging dann sogar in Form von nervous disorder in die Literatur ein, z. B. in Richardsons Clarissa und in Lessings Miss Sara Sampson. Vgl. Kalisch 2006; Kapitel 5, 6 und 7. 48 „1752 entdeckte Haller die Irritabilität und Sensibilität der Muskeln, die er so beschrieb: ‚Denjenigen Teil des menschlichen Körpers, welcher durch ein Berühren von außen kürzer wird, nenne ich reizbar. Sehr reizbar ist er, wenn er durch ein leichtes Berühren, wenig reizbar aber, wenn er erst durch eine starke Ursache sich zu verkürzen veranlasst wird. Empfindlich nenne ich einen Teil des Körpers, dessen Berührung sich die Seele vorstellt; und bei den Tieren, von deren Seele wir nicht so viel erkennen können, nenne ich die Teile empfindlich, bei welchem, wenn sie gereizt werden, ein Tier offenbare Zeichen eines Schmerzes oder eine Unruhe zu erkennen gibt.’“140 „Diese Entdeckung führt Haller dazu, die Bewegung des Herzens auf die Kraft des Reizes zurückzuführen: Er schrieb sie einer Ursache zu, ‚die weder vom Gehirne noch von den Schlagadern herrührt, die unbekannt ist und in dem Bau des Herzens selbst verborgen liegt.’“141 Auch wenn der durch seine Ideen zur Mimik bekannt gewordene Johann Jakob Engel einwendet, dass eine solche „Untersuchung“ oder Vivisektion „ihrer Natur nach nie zu Ende“ gebracht werden könne,142 hält dies die Physiologen keineswegs davon ab, in Hunderten von – wie Haller selbst eingesteht – grausamen Versuchen den Tierkörper stellvertretend für den menschlichen zu reizen. Dies geschieht „mit Nadeln, Zangen, Messern, mit Schwefelsäure, Vitriolöl und Spiegelglasbutter“, schreibt Philipp Sarasin in Reizbare Maschinen:143 „Was Haller darlegte, war eine bizarre Landkarte des Schmerzes, eine Klassifizierung der Gewebe nach dem Maß des Zuckens und Schreiens der ihm ausgelieferten Kreaturen“.144 Ab 1780 werden derartige Versuche unter dem Einfluss von Elektrizität fortgeführt, jetzt reizt man 140 Ebd. 125; Hallers Zitat in: Rothschuh 1968, 143. 141 Kalisch 2006, Zitat darin von Haller in Rothschuh 1968, 144. Kalischs Ausführungen sind auch in Bezug auf den mikroskopischen Blick, der bei Sade sozusagen das Gewimmel der Triebe, deren ‚Winzigkeit’, erkennen lässt, erhellend. – „Der Ausschnitt wird kleiner, die Details werden vergrößert.“ Vgl. Kalisch 2006, 132 (127 ff.). 142 Engel 1968 (1785-86), zitiert nach von Herrmann und Siegert 2000, 72. 143 Vgl. Sarasin 2001, 55. 144 Ebd. 49 auch am menschlichen Körper. Getestet wird u. a., ob man Leichen – wie z.B. Guillotine-Opfer – mit der Elektrisiermaschine wieder zum Leben erwecken könne. Aber auch riskante elektro-physiologische Selbstexperimente werden durchgeführt. Von Ritter und Volta ist bekannt, dass sie ihren Körper mit elektrischen Kabeln verbanden, so dass u. a. Lähmung und Durchfall die Folge waren.145 Dieser horror der (selbst-)experimentellen Wissenschaft führt nicht nur zu Frankenstein und Co.,146 sondern bewirkt auch das Ende aller Physiognomik, die auf den Theaterbühnen gerade zu voller Blüte gelangt war. Denn laut Bernhard Siegert und Hans-Christian von Herrmann entziehen sich elektrisch induzierte Zuckungen, Kontraktionen und Krämpfe jeder Lesbarkeit der sogenannten schönen Seele, die sich in Ausdrucksbewegungen und im Mienenspiel anzeigt. Diese erschreckende Gestaltlosigkeit verweist auf einen Körper, um den es (dann nicht nur bei Hegel) Nacht wird, der von medialer Zerstückelung getrieben ist und sich schon bald im Raum der psychiatrischen Asyle wieder findet.147 – Und dies ist ein Schicksal, das auch Sade widerfuhr. Denn nachdem ihm eine „sexuelle Dementia“ attestiert wurde,148 musste er die letzten 13 Jahre seiner fast 30jährigen Kerkerhaft im Irrenhaus zu Charenton zubringen, wo man ihm am Ende „jeden Gebrauch von Bleistift, Tinte, Feder und Papier“ verbot. Das ist gewiss die härteste Strafe für eine/n LiteratIn. – „[D]as Quälende ist hier, daß das Schreiben in seiner Materialität unterdrückt wird.“149 Mit Körpern geht Sade in seiner Literatur mindestens so skrupellos um wie die experimentellen Wissenschaftler seiner Zeit. „Die in der Medizin der Aufklärung üblichen Tierversuche treten in de Sades Werk als sexualisierte Form der Folter wieder auf.“150 Für den Sadeschen Libertin sind Körper – so wohlgeformt und 145 Vgl. Hagen 2001, 92 und 114. 146 Vgl. Morris 1994, 317. 147 Von Herrmann und Siegert 2000, 78 ff. 148 Vgl. Morris 1994, 315. 149 Vgl. Barthes 1986, 207. 150 „Der libertäre [soll heißen: ‚libertine’, eine ungenaue Übersetzung aus dem Englischen? (Anmerkung S. P.)] Chirurg Rodin (ein Rationalist, der den Fortschritt der Wissenschaft preist) ist bestrebt, die Erkenntnisse der Anatomie sowie seine eigenen sexuelle Lust zu fördern, indem er eine ausgedehnte Vivisektion an seiner eigenen kleinen Tochter vornimmt. Die Salben und Medikamente, 50 schmackhaft sie ihm auch erscheinen – letztendlich nur seelenloses Material, mit dem er radikal imaginär spielt. Sie bleiben fad und abstrakt, sie sind Dinge. Im Gegensatz zur Wissenschaft weiß Sade jedoch, dass es kein Geheimnis im Organischen gibt,151 sondern nur eine Praxis, die dem Arrangement und der Beherrschung von Lust dient. Wo Physiologie und Physiognomie insofern kapitulieren müssen, als sich die Kluft bzw. Leerstelle zwischen Fleisch und Medien nicht eindeutig benennen bzw. schließen lässt, kann Sade diese in akrobatischen Gedankenexperimenten in Bewegung setzen und in dieser Form auch symbolisieren. Er bringt den Körper und dessen hohle Nerven, wie er annimmt, mit dem Reizwerkzeug der Imagination noch einmal ordentlich in Stellung und in Schwingung, bevor dieser dann in den Labors und Apparaten der Wissenschaft – zumindest in seiner sinnlichen Wahrnehmung – endgültig verschwindet. Dieses off läuft in Sades ludischen Experimentalanordnungen bereits unübersehbar als Symptom der Organbeweglichkeit, -transplantation und Körperfragmentierung (und dies bereits auf sezierendem Molekularniveau).152 Und trotzdem entlarvt und pervertiert er damit das, was in den Experimentalanordnungen der modernen Wissenschaft weitgehend ausgespart ist, deren Forschungen aber gewiss immer unbewusst tangiert: die Triebhaftigkeit des (eigenen) Körpers, reine (schmerzvoll-erotisch-aggressive) Subjektivität, das Abgründige und Rohe individueller Begierden, Vorlieben, spleens, Laster etc. – „Schmerz wird je nach Sprecher in Bezug auf stechende Atome, erregte Lebensgeister, gedehnte Nervenfasern oder gereiztes Gewebe diskutiert. Es gibt einigen Grund anzunehmen, dass de Sade sich eine gigantische gärende Suppe aus die oft benutzt werden, um Justine oder andere leidende Opfer der Libertinage wiederherzustellen, setzen die neue Pharmakologie zu den alten erotischen Traditionen der schwarzen Magie in Beziehung. Ihr Zweck liegt bei de Sade lediglich darin, das Opfer für weitere Episoden sexueller Qual vorzubereiten.“ Morris 1994, 317. 151 Vgl. Barthes 1986, 179 f. 152 „Vor uns haben wir ein gigantisches wie komplexes Sexualmolekül mit einem weiblichen Kern. Es ist der sich windende Polyp der Mutter Natur. De Sades vielgeschlechtlicher Bastard erinnert an die Scylla, die Hydra oder an ein anderes chthonisches Ungeheuer der griechischen Mythologie.“ Paglia 1992, 299. 51 Tatsachen zusammengebraut hat.153 [...] [Schmerz] ist das Zeichen einer radikal neuen und weltlichen Wahrheit: die Wahrheit des materiellen Körpers.“154 Den Unterschied zwischen Schmerz und Freude erklärt sich der Libertin Noirceuil damit, „daß der Schmerz eine Folge der geringen Beziehung des fremden Gegenstandes zu den uns zusammensetzenden Molekülen ist; die von den fremden Gegenständen ausströmenden Atome verbinden sich hierbei nicht mit denen unseres Nervenlaufs, wie es bei der Erregung der Freude der Fall ist, sondern sie stellen ihnen statt dessen nur Hindernisse entgegen, sie bedrängen sie, stoßen sie zurück, verketten sich aber niemals. Aber obwohl es abweisende Wirkungen sind, bleiben es doch Wirkungen. Ob es nun Freude oder Schmerz ist, was uns geboten wird, immer findet eine gewisse Erregung der Nervenströme statt“.155 Der eigentliche Skandal, der zugleich eine ausgefuchste Subversion ist, liegt bei Sade dann nicht so sehr in der schockierenden Grausamkeit oder in pornografischen Beschreibungen,156 sondern vor allem in der wissenschaftlichen Vorgehensweise selbst. Kopf und Unterleib werden experimentell kurzgeschlossen, dabei passt der Marquis genau auf, was ihm das Gaukelwerk der Sinne zu bieten hat. Doch das Ausreizen der Lust, libidinöse Erregungen, die dabei zu beobachten sind, erzeugen nicht nur Fülle und Flut einer chromatischen und polyvalenten Sprache (Sades überbordende Fantasie, unaufhörliche Ergüsse „skripturale[n] Sperma[s]“)157, sondern weisen in ihrer materiellen Erscheinungsweise und seriell-monotonen Organisation schon auf die Perversion-Definition von Jacques Lacan und Slavoj Žižek in der 153 Lacan bezeichnet die „Physiologie“ zu Sades Zeiten salopp „als ein Konglomerat von Kochrezepten“. Vgl. Lacan 1986 (b), 159. 154 Morris 1994, 321. Verstand und Seele gehen bei Sade im Materialismus der mechanischen Körpermaschine, wie sie in androiden Automaten konfiguriert ist, destruktiv auf. Vgl. zum Automatendiskurs des 18. Jahrhunderts in dieser Arbeit: 262 (Fußnote 851). 155 Ebd. 319 f.; Zitat von Sade 1989, Bd. 8, 255. 156 Beschreibungen, die tatsächlich herzlos, amoralisch und bisweilen ziemlich ekelig sind. Camille Paglia rät, Sade nicht vor dem Essen zu lesen. 157 Vgl. Barthes 1986, 207. 52 Postmoderne hin: Nämlich dass die Perversion ein reines Zeichen sei (auch als sozial konstruierte Haltung/Handlung), das sich ohne die intersubjektive Beziehung, eben nur materiell-abstrakt aufrecht erhält und deswegen auf diesem Niveau keinen wirklichen Zugang zum Unbewussten ermögliche.158 Ein solches Zeichen findet sich in Sades späten Tagebuchaufzeichnungen – ein durchgestrichener Kreis, O, Löschung einer Null und gleichwohl ein Geheimsymbol für Sexuelles, das schon sehr an Lacans Algebra erinnert.159 Aus dieser Perspektive könnte, wenn man böse sein möchte, Lacans fetischisierende Formalsprache, „Chirurgie des Sprechens“,160 selbst als eine perverse Opferung des Unbewussten betrachtet werden – insofern das Unbewusste nur in dieser Form, mathematisch bzw. strukturalistisch, gelesen wird (was aber für Lacan, so wichtig und hilfreich seine Algebra tatsächlich ist, nicht zutrifft).161 158 Vgl. Lacan 2003, 139 und Žižek 2001, 337; zu diesen beiden Textstellen auch Pühler 2006, 172. – „Das Unbewusste ist gerade das, was von den phantasmatischen Szenarien, die der Perverse auslebt, verdunkelt wird. Der Perverse, der so sicher weiß, was Freude macht, vernebelt die Kluft, die ‚brennende Frage’, das Hindernis, das der Kern des Unbewussten ‚ist’.“ Žižek 2001 (a), 338. 159 „So endet Sades Sexualsprache und Spracherotik in der totalen Verkümmerung – als trostloses Zeichen auf zensiertem Papier.“ Zweifel und Pfister 2001, 32. 160 Vgl. Bitsch 2009, 456 f. 161 Es muss betont werden, dass das Gerüst oder ‚Skelett’ Lacanscher Formalsprache, Lacans nicht unkomplizierten Gleichungen und Schemata mitsamt ihren Siglen, Buchstaben und Vektoren, niemals das Unbewusste selbst sind oder sein können. Das Unbewusste ist keine reine Struktur, wie Deleuze mitunter glaubt. (Vgl. Deleuze 1992, 56 und Bitsch 2009, 117.) Stattdessen handelt es sich dabei um Hilfskonstruktionen, die, wenn sie mit konkreten Beispielen bzw. mit etwas ‚Fleisch’ versehen werden, z. B. Lacans oder Deleuzes Kommentaren, zur Symbolisierung des Unbewussten taugen und somit ein wenig Licht ins Dunkel des Seelenlebens bringen. Vielleicht ist Sades Durchstreichung des O bestes Beispiel dafür, dass sich das sexuelle Begehren – als körperliches Reales bzw. fantasmatisches Imaginäres – nicht wirklich, zumindest niemals vollständig, symbolisch bzw. formalistisch benennen und aussagen lässt. Dennoch ruft das Begehren, alles aussagen zu wollen, derartige Zeichen und deren spielerische Kombinatorik auf den Plan – Ausstaffierung und Schließung eines Lochs (a). – Verkürzende Zeichen wie diese gehen aus der Negation und Kastration, Prozesse unbewusster Durchstreichung und Elimination, hypothetisch/theoretisch hervor bzw. fallen immer wieder in konkreten Situationen mit ihnen zusammen, z. B. als Dysfunktion, Unfall oder Körperverletzung. Sie kennzeichnen Sades literarisches Lust-/ Schmerz-Programm. 53 Die fehlende intersubjektive Beziehung im Hinblick auf Perversionen – Unpersönliches – hat auch der Sexualforscher Krafft-Ebing an einem Fallbeispiel in seiner scientia sexualis des späten 19. Jahrhunderts vorausgeahnt: „Es gibt Fälle, wo das Persönliche fast vollständig zurücktritt [...]. Der Betreffende hat sexuelle Reizungen beim Schlagen von Knaben und Mädchen. Aber weit mehr tritt [...] etwas Unpersönliches hervor. Während die meisten das Machtgefühl auf bestimmte Personen übertragen, sehen wir hier einen ausgeprägten Symbolismus, der sich zum großen Teil in Zeichnungen, in geografischen und mathematischen, bewegt.“162 Mehr-Lust und böser Reiz Ich möchte nun kurz mit Philipp Sarasin auf einen Begriff eingehen, der für SM und die Lacansche Psychoanalyse sehr wichtig ist, am Ende des 18. Jahrhunderts in die Diskussion kommt und in dieser Arbeit im Mittelpunkt steht: den der sogenannten Mehr-Lust. Die erwähnten Diskurse um Sades Denken haben gezeigt, dass man in dieser Epoche den Eigensinn des Leiblichen erkennt, der zwar unergründlich,163 aber eben nicht vom Bewusstsein zu trennen ist und dessen Organisation mitbestimmt: „Reiz, Gegenwirkung und das Begehren des Organs nach neuen Reizen, nach weiteren Dingen, die auf das Organ einwirken, treiben aber nicht nur den Körper an, sondern ergeben auch die Grammatik einer Sprache, in der die Natur spricht und die das Subjekt verstehen kann.“164 – Eine Sprache, die auf der körperlichen Erfahrung/Reaktion von Lust und Schmerz basiert und mediale Lustobjekte 162 Krafft-Ebing 1924, 186; zitiert nach Deleuze 1980, 176. 163 „Die Reiztheorie [...] betont das Genießen der Organe als das ‚Letzte’, was sich vom Körper verstehen lasse, und legt damit ein blankes Stück Reales frei. Die Hygieniker werden dieses Reale nie wieder ganz zudecken können – der Körper ist ‚da’ und die Organe genießen die Befriedigung ihrer besoins.“ Sarasin 2001, 226. 164 Ebd. 217. 54 sukzessive produziert und fordert, was ja gerade Sades großes Unternehmen ist165 und was man auch als Einübung in die vita activa, in deren Regeln und Gewohnheiten betrachten kann. Das körperliche Signal ist demnach mehr als nur eine einfache Nachricht und es bleibt deswegen nicht bei der bloßen körperlichen Bedürfnisbefriedigung, die zum Erhalt des Organismus notwendig ist: „Zwischen dem Bedürfnis und der Befriedigung steht ‚encore et toujours’ eine ‚mehr oder weniger lebhafte Lust’. Ein Überschuss also über das Notwendige, das als Zeichen fungiert, welches immer mehr ausdrückt als das bezeichnete Bedürfnis: Es ist ein subtiler surplus, der hier erscheint.“166 Dieses künstlich zustande gekommene plus-de-jouir hatte Sade, wie die stetige Wiederholung seiner exzessiven Selbstexperimente nahe legt, bereits begriffen; ein encore subjektiven Begehrens, das immer schon in seinen mutagenen Erscheinungen auf seine Herkunft im Körper verweist: „en-corps“.167 So wundert es nicht, wenn der Arzt Jean Noël Hallé in einem medizinischen Wörterbuch von 1821 darauf aufmerksam macht, dass es „just der große Spielraum von natürlichen und habituellen Bedürfnissen [sei], der eine sichere Basis für die Erhaltung der Gesundheit bilde, weil die Entwicklung vielfältigster Bedürfnisse den Körper fähig mache, passagere Exzesse als geradezu stärkend zu ertragen. Weil dieser Spielraum, diese beweglichen Grenzen für die Gesundheit notwendig seien, dürfe man sich auf keinen Fall zu streng an eine hygienische Regel, an ein Régime halten und müsse dies immer wieder durch einen Exzess unterbrechen. [...] Das einzig wirkliche Kriterium bei dieser körperlichen Selbstregulation sei, dass das betreffende Organ ‚seine Aufgaben zügig, leicht und ohne Empfindung von Schmerz und Leiden ausüben könne und dass abgesehen davon 165 Damit sind nicht nur die Sadeschen Rohheiten gemeint, sondern auch das ausgeprägte Zartgefühl des Marquis, welches das Potential besitzt, prinzipiell alles zu transformieren. Vgl. Barthes 1986, 153 f. und 193 f. 166 Ebd. f.; Zitate darin von Londe 1827, 16. 167 Vgl. Kamper 2002, 173. 55 die anderen Organe des Körpers gleichzeitig ihre vollständige Freiheit und Integrität bewahren’.“168 Auch wenn dieses dynamische Spiel in seiner Kommunikation sehr vage und unsicher bleibt, so zeigt der bürgerliche Hygiene-Diskurs am Anfang des 19. Jahrhunderts, dass man gar nicht so weit von Sadeschen Denken entfernt ist.169 Doch diese Liberalität der Selbst- und Körpersorge wird sich dann ab den 1840er Jahren rasch ändern und in die Psychopathologie des bösen und gefährlichen Reizes umschlagen, den es dann nicht zu leben, sondern tunlichst zu meiden gilt. Die Angst vor dem Realen des Körpers, Bösartigkeit im Sinne seiner Unbeherrschbarkeit, wird sich auch zunehmend als Effekt und Ursache erster elektrischer bzw. analog-reeller Medien in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts erweisen. Ein fetischistisches Spiel mit der Angst-Lust beginnt, wie es u. a. in den Selbstversuchen Leopold von Sacher-Masochs deutlich zum Ausdruck kommt, wie es Sade in dieser Form allerdings noch nicht kannte. Dieses medial gesteuerte Spiel um Mehr-Lust, das ganz im unbewussten Zeichen des Wechselstrom-Aprioris und reellen (Bild-)Apparaten steht, gilt es im Folgenden näher zu beleuchten. 168 Sarasin 2001, 222; Zitat darin von Hallé 1821, 323 f. (Dictionaire [sic] des sciences médicales, Art). Sarasin erkennt in Hallés Argumentation eine „erhabene[] Dialektik [...] [und einen] politische[n] Autor, dessen Gesetz der körperlichen Selbstregulierung liberaler Logik gehorcht.“ Vgl. Sarasin 2001, 222. 169 „Moderne Hygiene ist Teil einer gesellschaftlichen Transformation seit der Französischen Revolution, die den Körper zum ultimate sign (D. Outram) politischen und individuellen Handelns werden ließ. Wenn auf diese Weise die immer schon notwendige Bedürfnisbefriedigung nicht mehr durch religiöse Ziele begrenzt und relativiert wird, sondern ins Zentrum rückt, schiebt sich auch der surplus der Lust in den Vordergrund, und dieser erweist sich als ziemlich dynamisch, wie Hallé noch sorglos bestätigt.“ Sarasin 2001, 219. 56 Sade und Sacher-Masoch: Lustpraktiken im Vergleich „Papa, was ist das: ‚Das Glück’“ frug Sascha. „Eine schöne Frau in rotem Hermelinpelz.“ „Die Mama?“ „Ja die Mama; sie ist unser Glück.“ (Gespräch zwischen Leopold von Sacher-Masoch und seinem Sohn) Wanda von Sacher-Masoch Die imaginäre Dimension stellt sich [...] jedes Mal, wenn es sich um eine Perversion handelt, als überwertig dar. Diese imaginäre Beziehung steht dem im Wege, was vom Subjekt zum Anderen geschieht, oder genauer, dem, was vom Subjekt in dem Maße weiterhin im Anderen situiert werden muss, als es eben verdrängt ist. Dies ist ein Sprechen, das durchaus ein Sprechen des Subjekts ist, doch weil es in seiner Beschaffenheit als Sprechen eine Botschaft ist, die das Subjekt in seiner umgekehrten Form vom Anderen empfangen muß, kann es ebensogut im Anderen verbleiben und darin das Verdrängte und das Unbewusste konstituieren und so eine mögliche, aber nicht realisierte Beziehung einrichten. Jacques Lacan Ich leide im Genuß und gemieße im Leiden. (Zitat von Severin aus Venus im Pelz) Leopold von Sacher-Masoch 57 Im Unterschied zu Sades breit angelegter Raritätensammlung hat es der österreichische Geschichtsdozent und Literat Leopold von Sacher-Masoch (1836-95) in seinen Romanen und Novellen nur auf eine einzige Perversion abgesehen: die ‚grausame Frau’, die ihr männliches Opfer auspeitscht oder auf andere Weise demütigt. Auch der Marquis hat ein Faible für peitschenschwingende Frauen oder Libertines.170 Wo aber in Sades Schreckenskammern das Objekt der Begierde geschändet oder zerstört werden muss, wird diese Bösartigkeit im Masochschen Szenario bloß simuliert. Obwohl es der Herrin vertraglich erlaubt ist, zu töten, wird sie wohl nicht so weit gehen, unterhält sie doch meist eine Liebesbeziehung zu ihrem Sklaven. So bleibt der mögliche Lustmord immer in der Schwebe.171 In diesem sogenannten suspense, dem Moment eines – zumindest theoretisch – unendlichen 170 „Einer der Lüstlinge will von einem ‚als Frau verkleideten Mann’, einer mit ‚sie’ bezeichneten ‚männlichen Peitscherin’ geschlagen werden.“ Sade hat hier bereits den für den Masochismus notwendigen Geschlechterrollentausch beschrieben und ergänzt ihn bereits um jene Dimension, die bei Sacher-Masoch nur angedeutet ist: die Möglichkeit zu Cross-Dressing bzw. zu Queerness. Vgl. Paglia 1992, 301 und Deleuze 1980, 191. 171 Überhaupt scheint es wenige Beispiele für reine Lustmorde („venerischen Mord“) bzw. Sexualverbrechen zu geben, die von Frauen begangen wurden. Vgl. Paglia 1992, 306 ff. 58 Aufschubs liegt ein wesentliches (Lust-)Merkmal des masochistischen Begehrens, wie es z. B. in der Venus im Pelz, einem Schlüsselwerk der erotischen Weltliteratur von 1869, zwischen den Zeilen bzw. Peitschenhieben zur Geltung kommt.172 Anders als in Sades Ästhetik geht es hier nicht um ein enzyklopädisches Wissen der abseitigen Lust, sondern um das, was darin gewissermaßen noch fehlt: um das Psychologische und Intersubjektive eines freiwillig gewählten Liebes- bzw. Abhängigkeitsverhältnisses, in der Illusion, Faszination, Verführung, Nähe, Distanz, Abschirmung, Versprechen, Willkür und Verrat ihren spannungsgeladenen, (schau- )spielerischen und sensationellen Ausdruck finden. Aber auch Angst und Grauen kommen im masochistischen Liebesspiel zur Geltung und können sehr real bzw. brutal werden, sodass dieses plötzlich eine sadistische Dimension offenbart und in diese umschlagen kann. Dieser mögliche Sadismus ist in der masochistischen Praxis stets vorhanden und unterschwellig wahrnehmbar. 172 Monika Treut definiert masochistischen suspense (auch in Anlehnung an Alfred Hitchcock, den Meisterregisseur dieses Stilmittels) folgendermaßen: „Die Zuschauer hoffen auf die Auflösung und genießen doch gleichzeitig den Kitzel des Schwebenden, des Nicht-Aufgelösten, des Aufschubs. Die Lust ist ein Auskosten der Erwartungshaltung, eines Wartens, das sich beim Masochisten auf den Schmerz richtet, den er allein als eine Bedingung akzeptiert, unter der er sich überhaupt erst gestatten kann, Lust zu erleben. Zum anderen trifft Suspense das Streben, den schwankenden Zustand zwischen Lustvollem und Befürchtetem möglichst lange auszudehnen, ein perverses Martyrium, das nur am ‚noch’ Lebenden seine Freude haben kann. Die Veränderung in der Zeit wird zu suspendieren versucht. Die Lust des Wartens soll endlos sein. Mit Suspense ist immer die Vorstellung einer nicht bestimmten Zeit oder Dauer verbunden.“ Treut 1990, 170 ff. Zu Hitchcocks Suspense-Begriff bzw. zur Verwendung des Begriffs in Bezug auf Kriminalfernsehen vgl. Weber 1992, 106 ff. und die Filmanalyse zu THE HURT LOCKER in dieser Arbeit. Das Gegenteil des masochistischen suspense, der lustvollen Erwartung des Befürchteten, ist das plötzliche Sadesche Schockmoment. Dieses kommt so unerwartet, dass sich das Opfer zu Tode ängstigt oder ohnmächtig wird, was dem Libertin größte Lust bereitet. Sein Begehren ist darauf ausgerichtet, dieses Moment auslösen und beherrschen zu können. „’Die Angst des anderen, seine wesentliche Existenz als Subjekt in bezug auf diese Angst – sie vibrieren zu lassen, genau darauf versteht sich das sadistische Begehren.’ (Sem X. p.123)“ Zitat von Jacques Lacan ebd., zitiert nach Braun 2008, 185 und vgl. auch zum Schock, der nicht nur wie bei Sade von Libertin(e)s gesteuert wird, sondern von technischen Medien, die im Realen implementiert sind: Bitsch 2009, 329. 59 Die Machtverteilung ist aber keineswegs so eindeutig festgelegt, wie es auf den ersten Blick erscheint.173 Für Deleuze ist der Masochist derjenige, der seiner Domina „die harten Worte eingibt, die sie an ihn richtet.“174 Es schwingt in dieser Hinsicht stets eine Offenheit und Doppeldeutigkeit mit, die gerade den besonderen Reiz dieser sexuellen Spielart ausmacht. Man sollte sich bei den Protagonisten und Protagonistinnen in Sacher-Masochs umfangreichem Werk immer fragen, wer sich hier eigentlich wem unterwirft. Hält etwa der Masochist heimlich die Zügel in der Hand, während seine Domina die List nicht bemerkt? Oder ist es umgekehrt, also so, wie es die Masochsche performance175 einfordert: demonstrativ zur Schau gestellte weibliche Herrschsucht, darunter ein leidendes, männliches Subjekt, welches die hier vorherrschende Gefühlskälte jedoch in vollen Zügen genießt? Die Antwort liegt wohl irgendwo dazwischen, die Macht ist in diesem Setting bipolar und deshalb nicht eindeutig fixierbar.176 Sie lässt sich weder der einen noch der anderen Seite ganz zuschlagen. Jede/r ordentliche Maso erzieht sich erst einmal seine/n PeinigerIn, heißt es ebenfalls bei Deleuze und Nick Mansfield.177 Diese spezielle Pädagogik, die Sacher-Masoch von libertinen Praktiken bei Sade trennt,178 bleibt aber in Sacher- Masochs Schriften und Leben – im Gegensatz zur heutigen BDSM-Szene (Bondage & Domination, Sadism & Masochism) mit ihren strikten Codes und notwendigen Reglementierungen –179 in dem Maße unausgesprochen und damit undurchsichtig, wie sie die Möglichkeitsbedingungen dieser besonderen Lust bzw. Macht überhaupt erst initiiert. Der Masochist schafft sich einen nach seinen Vorstellungen gestalteten Raum bzw. eine Bühne, auf der Personen und Objekte eine Rolle und einen Platz zugewiesen 173 Vgl. Exner 2003 (b), 40 und Deleuze 1980, 178. 174 Ebd. 175 Zur Begriffserläuterung in der kulturwissenschaftlichen Spieltheorie vgl. Adamowsky 2000, 76 f., 79 ff. 176 Vgl. Weibel 2007, 236. 177 Vgl. Spörk 2003, 139 (Deleuze) und Mansfield 1997, 5. 178 Vgl. Deleuze 1980, 174: „Der Libertin mag sich den Anschein geben, als suche er zu überzeugen und zu überreden, er kann sogar ‚Schule’ machen, indem er neue Adeptinnen heranbildet (so in Die Philosophie im Boudoir). Doch liegt in Wirklichkeit nichts dem Sadisten so fern wie der Wunsch, zu überreden und zu überzeugen: die pädagogische Absicht fehlt ihm ganz.“ 179 Vgl. Gratzke 2003, 103. 60 bekommen, von dem sie sich zumindest rein äußerlich nicht mehr wegbewegen werden.180 „Die Theatralik ist deshalb für ihn [den Masochismus] keine Zugabe, keine Einkleidung, keine Effektverstärkung, sondern konstitutiv.“181 Man muss sich – so wird es öfters in der Venus im Pelz zitiert – nach einem Wort von Goethe eben entscheiden, „Hammer oder Amboß“ zu sein.182 Die eigentliche aufregende Aktion findet in einem sogenannten intermediären Bereich statt, dort wo – wie Natascha Adamowsky es (wenn auch in einem anderen Zusammenhang) ausführt – „die Erfahrung der Illusion ihren Anfang hat und die magische Kontrolle des Innern mit dem äußeren Handeln zusammenfließt“.183 Auch Albrecht Koschorke argumentiert in diese Richtung, da der Masochist „ein Bedürfnis nach Seelenhygiene [befriedigt], indem er die im Innern herumgespensternden Ängste nach außen verlegt“.184 Er braucht dafür als Ausgangsbasis also einen gewissen Rahmen, einen Schutzschirm, „eine zweite Haut“, welche die Trennung von Innen und Außen – „Ich und Welt“ – räumlich darstellt, um diese dann in der nachfolgenden performance, seiner Inszenierung, kurzzeitig überwinden zu können.185 „Der Masochist diffundiert daher einerseits auf ungewöhnliche Weise nach außen oder panzert auf ungewöhnliche Weise nach innen. Er braucht auf alle Fälle eine zweite Haut. Das ist es, was er sich am sehnlichsten wünscht: eine künstliche, von 180 Der Psychoanalytiker Robert Stoller berichtet in einem Fallbeispiel von einer masochistischen Patientin, die davon träumte, auf einer Bühne schmerzhaften und erniedrigenden Geschlechtsverkehr zu haben. Dieses obszöne Zur-Schau-Stellen, die Adressierung an den Anderen (d. h. an ein hypothetisches Publikum bzw. an das Über-Ich) erlaubte es der Patientin, ihre sexuelle Handlung einerseits (moralisch) abzulehnen – ‚Schaut her, was mir Schlimmes geschieht!’; andererseits konnte sie den Akt gerade durch diese Ablehnung, in der sich ihr Wunsch nach Reinheit und Unbescholtenheit kund gab, sogar bis zum Orgasmus genießen. „Auf diese Weise hält der Masochismus die Dichotomie vom guten und schlechten Mädchen aufrecht, welche (...) im übrigen einen wichtigen Teil der traditionellen Ansichten über weibliche Sexualität ausmacht. Doch geschieht dies im Masochismus aus List, als eine Manipulation des Anscheins, damit Lust erlangt werden kann.“ Vgl. Williams 1995, 271 f. 181 Koschorke 1988, 89. 182 Sacher-Masoch 2003, 13, 40, 135. 183 Adamowsky 2000, 27. 184 Koschorke 1988, 87. 185 Vgl. Weibel 2003, 38. 61 ihm konstruierte und kontrollierte zweite Haut, die möglichst wenig durchlässig ist, die möglichst geschlossen ist, die möglichst fest und unverwundbar ist, um seine allzu verletzbare, ungeschützte, natürliche, erste Haut zu schützen.“186 Die begehrte Grenzüberschreitung, die trotz oder gerade wegen einer solchen medialen Panzerung eine Bearbeitung, Öffnung und sogar Verletzung des virtuellen Selbst vorsieht bzw. möglich macht,187 funktioniert dabei rein imaginär und wird durch die Peitschenhiebe und die dazwischen liegenden Intervalle diskret getaktet. Die Peitsche muss jedoch nicht mit Notwendigkeit zum Einsatz kommen, stattdessen tun es auch andere Signifikanten, die für das on und off in diesem Katz- und Mausspiel stehen – in erster Linie räumlich strukturierte Grenz(-lini-)en bzw. Orte, wie sie z. B. das Körperbild bzw. die Körperoberfläche umfassen. Bis zu einem gewissen Grad lässt sich dieses geplante Arrangement durchaus mit Sades Ordnungsmanie vergleichen, nämlich Spielorte und -regeln zu schaffen, die der sexuellen Reizintensivierung, dem Lustgewinn und deswegen auch der Selbsterkenntnis (im Sinne eines Durchschreitens der Imagination bzw. des Fantasmas) zuträglich sind. Wo sich der Masochist jedoch stets der Maskerade (i. e. seine in den Raum erweiterte, „zweite Haut“) bedienen muss, um sich einen Machtanteil im Unterwerfungsakt zu sichern und diesen indirekt mitgestalten zu können, kommt der Sadist immer ohne den Umweg solcher medialen Verstellungen, Verhüllungen und Ausweitungen zum Zuge. „Der dem Sadisten zu Genüssen 186 Ebd. 39 ff. Im Gummi-Fetischismus sieht Lacan die Schutzfunktion der Einhüllung, aber auch die haptischen Qualitäten des Materials: „Vielleicht ist da etwas, das leichter als anderes für die Ausfütterung (doublure) der Haut gehalten werden kann oder noch spezielle Isolierungsfähigkeiten beinhaltet.“ Vgl. Lacan 2003, 190. 187 Auch wenn Weibel die mediale „zweite Haut“ des Masochisten u. a. als „fest“ und „unverwundbar“, aber auch als durchlässig, beschreibt, so ist diese doch gerade – wie es die folgende Analyse der ‚Venus im Pelz’ zeigen wird – dadurch gekennzeichnet, dass sie spielerisch bearbeitet werden kann. Diese Festigkeit bzw. allgemeiner gesprochen (nachhaltige) Tauglichkeit soll sozusagen in einem crash-test erprobt werden. Wichtig ist auf jeden Fall, dass sich der Masochist damit einen ludischen dummy (quasi als äußere, unbewusste Objektivierung, als libidinösen Stellvertreter seines Spiel-Ich) bastelt, der im Falle des Scheitern des Lust-Experiments eine Absicherung gegenüber körperlicher Versehrtheit bedeutet. Im weiteren Sinne schafft sich der klassische Masochist eine Schutzvorrichtung gegen Sadesche Körperzerstückelung. 62 jedweder Art dargebotene Körper besitzt keinen Zauber, der in die Umgebung dieses Körpers ausstrahlen könnte. Das Programm der Helden de Sades ist die Materialisation der Körper im intellektuellen wie handgreiflichen Sinn. So gestehen sie folgerichtig der Verhüllung keinen erotischen Eigenwert zu, wie auch der Raum und die Instrumente der Ausschweifung rein durch ihren rationalen Gebrauch definiert werden und von allem Zauber freigehalten sind.“188 Sades Literatur ist linguistisch gesprochen autonym, d. h. die Botschaft geht im Code selbst auf, die Lust gelangt mit der jeweiligen Sextechnik und dem fantasierten Objekt zur Deckung, findet ihr Ziel in der Entladung bzw. in der Zerstörung und ist daher – rein ökonomisch betrachtet – im Gegensatz zum Maso-Szenario sehr effizient. Deshalb geht es in Sades Folterkammern auch relativ leise zu,189 das mediale Rauschen ist hier – abgesehen von einigen Schmerzensschreien – bis auf ein Minimum reduziert, wohingegen Masochs Lustspiel quasi ein mit reichlich Brimborium ausgestattetes, lärmendes Karussell ist. Alles, was es bei Sade zu sagen bzw. sexuell zu erkunden und zu beweisen gibt, hat die Zeichenebene im Sinne der reinen Vernunft/des reinen Begehrens bereits mit wissenschaftlicher Exaktheit erfasst, sodass weder Platz noch Bedarf für Ich-Psychologie oder individuelle Maskenspiele besteht. Dennoch wäre auch im Sadeschen Raum so etwas wie Erotik oder gar Intimität denkbar, immerhin gibt es in den tiefen Kellergewölben, Krypten oder unterirdischen Geschossen einen speziellen Ort, an den der Libertin sein Opfer führt, um mit ihm allein zu sein. Doch was hier stattfindet, bleibt laut Roland Barthes „ein Geheimnis“, ein „Loch“, das sich „mit den weißen Stellen des Erzählten“ mischt.190 Diese Leerstellen wird Sacher- Masoch dann – so mein Vorschlag – quasi unbewusst aufgreifen und bearbeiten, d. h. als Schnittstelle für seine Unternehmungen nutzen. Ein erster latenter Hinweis, dass 188 Koschorke 1988, 139. Dies ist nicht ganz richtig, da der Raum bzw. das Mobiliar in fantastischen Momenten der Sadeschen Ästhetik durchaus mit Körpern verschmilzt, so etwa in der Beschreibung des Mobiliars des Minskischen Schlosses: „Das Meublement ist aus lebenden Menschenleibern zusammengesetzt: man sitzt auf Sesseln und ißt von Tischen, die aus nackten Frauenkörpern zusammengeflochten sind.“ Trotzdem ist die erotische Magie, von der Koschorke spricht, hier natürlich nicht vorhanden. Es geht bei Sade vielmehr um sexuell-groteske horror-Szenarien. Böhme 1988, zitiert nach: http://www.culture.hu-berlin.de/hb/static/archiv/volltexte/texte/natsub/sade.html (PDF-File). Vgl. dazu auch Barthes 1986, 160. 189 Vgl. ebd. 188 f. 190 Ebd., 22 f. 63 es im Gegensatz zu Deleuzes Behauptung191 eine geheime Verbindung zwischen Sacher-Masochs und Sades Fantasie gibt; eine Verbindung, die sich einerseits über das Individualpsychologische erotischer Zweisamkeit, andererseits über die Räumlichkeit des Gefängnisses, des Eingeschlossenseins, der Isolation begründet. Denn auch in Sacher-Masochs Erinnerung gibt es die Szenerie des Kerkers, von der er eindrucksvoll berichtet: „Ich brachte meine Kindheit in einem Polizeihause zu. Nur wenige wissen noch, was dies in Oesterreich vor 1848 sagen will: Polizeisoldaten, welche Vagabunden und gefesselte Verbrecher einbringen, finster aussehende Beamte, ein magerer, schleichender Censor, Spione, die Niemanden in das Gesicht zu sehen wagen, die Prügelbank, vergitterte Fenster, durch welche hier lachend geschminkte Dirnen, dort melancholisch bleiche polnische Verschworene blicken. Das war, weiß Gott, keine fröhliche Umgebung!“192 Nichtsdestotrotz produziert auch Sades Denken viel Intermediäres, jedoch manifestiert sich dieses nicht so sehr an der Grenze zwischen Ich und Welt, sondern vielmehr an jener, die zwischen Ich und Körper bzw. zwischen der Haut und den darunter verborgenen Organen verläuft, und sich meist nur in Bildern des grotesk bearbeiteten, meist zerstückelten Körpers mitteilt. Es ist der Phallus der Kastration, der sich in seiner rohesten bzw. reinsten Form und Funktion – glühend – ins Fleisch 191 Vgl. Deleuze 1980, 169. 192 Möglicherweise ist dieser Erinnerung – auch wenn sie laut Albrecht Koschorke übertrieben und verklärt dargestellt sein könnte – ebensoviel Bedeutung beizumessen wie Sacher-Masochs erster Begegnung als Kind mit einer ‚grausamen Frau’, einer Tante, welche ihm „in ihrer Pelzjacke wie eine zürnende Monarchin erschien“. (Zur Gefängnisszene vgl. Koschorke, 1988, 9 und zur pelztragenden Tante vgl. Treut 1990, 196.) Hartmut Böhme sieht in der masochistischen Beziehung u. a. das „Kerkerhafte der Leidenschaft“, das ein treffendes Sinnbild für bürgerliche Begehrensformen und die Ehe im späten 19. Jahrhundert abgibt. (Vgl. Böhme 2006, 378.) Sacher-Masoch bzeichnet die Ehe als einen „Raubthierkäfig“, „in den man unterschiedliche Bestien gesperrt hat [...]. Menschen, die sich uner anderen Umständen hassen würden, heucheln Zärtlichkeit, tauschen Judasküsse, weil sie zufällig durch die sogenannten Bande des Blutes, gleich Sträflingen, aneinander gekettet sind, und kämpfen heimlich einen stillen, aber darum nicht weniger erbitterten Kampf“. Vgl. Korschorke 1988, 113 f.; Zitat von Sacher-Masoch. 64 bohrt193 (Einschnitte ins Reale, Ego-konfigurierende Schnittmuster im/als Unbewusste[s]). In Sacher-Masochs Täuschungsmanövern entspricht der Phallus mehr seiner symbolischen Funktion dieser unbewussten cuts und cutter, nämlich dass er auf einer virtuellen Ebene dem Ich vornehmlich Bilder (auch Töne) vermittelt (Übertragung und Codierung), verschiebt (Verdrängung), zurückerstattet (Wiederkehr des Verdrängten) und auch transformiert (Recodierung/ Sampling/ Neuschöpfung). Diese realitätserzuegende Virtualität194 gleitender Signifikanten begründet auch die für den Masochismus so typische, vom Körper losgelöste Sexualität, die stets an ein mediales Außen gekoppelt ist und sich im heutigen Internetzeitalter z. B. in Form von Cybersex massenhaft fortsetzt – und zudem eine verlässliche Form von Safersex darstellt bzw. gewissen Askese- und Hygienevorstellungen entspricht.195 Trotzdem wird der reale Körper im klassischen Masochismus nicht aufgegeben. Er ist zwar selbst schon sehr medial (in seiner [irreführenden] Wahrnehmung als Objekt wie auch in seinen synthetischen Oberflächenreizen – wie dies bereits in Sades Materialismus zu beobachten ist), aber in dieser Form laut Weibel eben noch ein „atmendes 193 Auch Hartmut Böhme beschreibt in diesem Zusammenhang den „Phallus als tödliche Waffe“, der sich als „ein sadianischer Urtraum“ entpuppt. Vgl. Böhme 1988, unter: http://www.culture.hu- berlin.de/hb/static/archiv/volltexte/texte/natsub/sade.html 194 Vgl. zum Begriff Anne Friedbergs Anmerkungen zu „THE VIRTUAL AND ITS WINDOW“ in: (Dies. 2006, 9-12.) Ein Lexikoneintrag gibt hier darüber Auskunft, dass in der lateinischen Herkunft des Begriffs der Macht- (und im weiteren Sinne auch der Calloissche Spiel-)Aspekt intendiert ist, der auch für masochistische Virtualität in Frage kommt: Virtual (Latin, virtus, for strength or power) of, relating to, or possessing a power of acting without the agency of matter; being functionally or effectly but not formally of its kind.“ (Ebd. 8, Original: Webster’s Third New International Dictionary Unabridged (1993) s.v. „virtual“.) André Nusselder weist zudem darauf hin, dass sich virtus auf vir zurückverfolgen lässt, was „Mann“ oder „Männlichkeit“ heißt, und im Begriff der „Virilität“ zum Ausdruck kommt. Nusselder bietet zudem einen prägnanten Überblick zur Begriffsgeschichte der Virtualität an. Vgl. Nusselder 2009, 33-35. 195 Vgl. zu ‚masochistischen’ Internet-Praktiken: Gratzke 2003, 98 ff. Zur Weltausstellung 1873 hielt sich Sacher-Masoch mit seiner hochschwangeren Freundin und späteren ersten Ehefrau Wanda in Wien auf. Sie brachte dort einen Sohn, Leopold, zur Welt, der ein paar Tage nach der Geburt starb. Zudem brach eine Epidemie in der österreichischen Hauptstadt aus, die hygienische Vorsichtsmaßnahmen erforderte. (Vgl. Exner 2003, 20 und vgl. zum Hygiene-Diskurs des 19. Jahrhunderts: Sarasin 2001, vor allem Kapitel 3 und 4.) Der Hygiene-Diskurs hängt auch mit der kollektiven Wahrnehmung des ‚bösen Reizes’ ab etwa 1840 zusammen. Vgl. dazu vorangehender Punkt: „Mehr-Lust und böser Reiz“. 65 Phantom“.196 Gleichsam ermöglicht diese virtualisierte Sexualität Sacher-Masoch, auf jede Art pornografischer Beschreibungen in seinem Werk verzichten zu können – was er auch tat. Und während das Loch bzw. die Leerstelle, um die sich das individuelle Perversionsfantasma strukturiert, in der Sadeschen Operation auf unterschiedlichste Weise getilgt werden muss – hier sei noch einmal an Sades Geheimsymbol des durchgestrichenen Kreises O erinnert, mit dem seine Tagebuchaufzeichnungen enden,197 bleibt dieses bei Sacher-Masoch stets erhalten, um fortwährend die im Grunde immergleiche Illusion auf einen imaginären Schirm projizieren zu können. Wo Sade demnach die Leere von Subjekten, Identitäten, Geschlechtern, Körpern und Natur – kurz um: von Ideen und Religion – im Zeitalter der Repräsentation aufspürt und auszufüllen versucht, um in gleichzeitigen oder nachfolgenden Schritten diese Fülle auf tiefer liegenden Niveaus zu eliminieren, wird diese Leere – und da aktualisiert Sacher-Masoch Sade – spielerisch im Mikrokosmos der privaten Liebesbeziehung auf dem Niveau der aufkommenden analogen Medien integriert, d. h. auf einem deutlich höher liegendem Informations- und Kommunikationslevel als bei Sade virtuell vor-gestellt und symbolisiert. Die sich hier bereits abzeichnende Interaktivität bzw. die Möglichkeit dafür, die gleich noch eingehender analysiert werden soll, zerstört den Anderen nicht (in seinem Mangel und/oder seiner Fülle), sondern bezieht diesen als ernstzunehmende(n) SpielpartnerIn mit ein, sodass sich ein konkreter Spielraum mit einer sozialen Dimension für die beteiligten AkteurInnen – d. h. für ihre Ängste, ihr (sexuelles) Begehren, ihre Wünsche, Interessen, Handlungen, etc. eröffnet. Sades monströse Imagination kennt diesen sozialen Spielraum nicht, dieser bleibt fantastisch bzw. eine gesellschaftliche Utopie. Deswegen darf Sade aber nicht von vorne herein als (moralisch oder literarisch) schlechter bewertet werden. 196 Weibel 2003 (b), 39. Christoph Braun bezeichnet die ‚Venus im Pelz’ aufgrund ihrer (partial- )objektartigen Einhüllung als „Pelz mit Venus drin“. (Braun 2008, 185.) Über die „Konstituierung des Phantom-Effekts“ schreibt Derrida: „[E]s gibt keinen Spuk, kein Gespenst-Werden des Geistes, ohne zumindest den Anschein eines Leibs, in einem Raum unsichtbarer Sichtbarkeit, als Verschwinden (dis- paraitre) einer Erscheinung (apparition). Damit es Spuk gebe, bedarf es einer Rückkehr zum Leib. [...] Der spektrogene Prozeß antwortet also auf eine paradoxe Verleiblichung. Wenn die Idee oder der Gedanke einmal von ihrem Substrat abgelöst sind, zeugt man Gespenster, indem man ihnen einen Leib gibt. (Derrida, 1995, 200; zitiert nach Meteling 2006, 278.) Arno Meteling sieht in der heutigen Kulturwissenschaft u. a. eine „Gespensterwissenschaft“. Ebd. 279. 197 Vgl. Zweifel und Pfister 2001, 32. 66 Sades Gedankenspiele nutzen den Freiraum der Fantasie maximal aus und gehen bis zu deren bitterem Ende im (körperlichen) Realen, eben dorthin, wo die Imagination ursprünglich entstanden ist.198 Sacher-Masochs Spiel zielt demgegenüber auf Anwendbarkeit in seiner Lebenswelt. Es ist in seiner oberflächlichen Erscheinung bzw. medialen Inszenierung sehr viel beschränkter, d. h. ärmer an Vorstellungskraft. Die Leere, die der Raum und die Maske eröffnen, bleibt eben bestehen. Von daher befindet sich Sacher-Masoch mehr als Sade in der Verkennung, er spielt mit medialen Täuschungen, die Sade zerstören würde. Trotzdem ist der Effekt des Masochschen Objekts für den/die Perverse(n) nicht weniger aufregend und lustvoll als das surreal- grotesk anmutende Körpertheater Sades. Das konstruierte Bild der grausamen Frau bleibt in seiner Formatierung weitgehend unverändert, obwohl in diesem auch Variationen, gerade was den optischen Köder der aufwendigen Pelztoiletten oder andere Objekte angeht, möglich und gewollt sind. Sacher-Masoch verbleibt in seiner Fantasie stets auf der blendenden Oberfläche der Projektion, wohingegen das libertine Begehren dieses unterläuft, um – wie bereits zuvor schon erläutert – in den zentralperspektivischen Tiefenraum buchstäblich eindringen zu können und dergestalt das Realitätsprinzip aus den Angeln zu heben.199 Es wundert daher nicht, dass Sades Literatur immer auch fantastische Beschreibungen in Form von sehr konkreten Grenzverletzungen und -überschreitungen liefert, in der die physikalischen Gesetze außer Kraft zu treten scheinen oder gleich ganz aufgehoben sind, in der die menschliche Anatomie irrwitzigen Belastungsproben ausgesetzt ist, eine Akrobatik aufführt, die sie unmöglich bewerkstelligen kann oder letztendlich der lebende Körper durch chirurgische Eingriffe in eine amorphe Geschlechtslosigkeit zurückgedrängt wird.200 Es gibt in dieser destruktiven, verbrecherischen Logik der mechanisch gesteuerten Kopulationen und Vivisektionen – im Gegensatz zum Masochschen Realismus – oft einen Punkt, an dem sich die Dinge bzw. Körper verselbständigen, an dem die Lust-Apparaturen eine unkontrollierbare Eigendynamik im Realen des Fantasmas entwickeln und damit auch 198 Vgl. Sade 1972, 134. 199 Vgl. Hentschel 2001, 18-48. 200 Vgl. Phillips, 2005, 74 ff. 67 auf ein Ende zusteuern, in dem sich die vorher sorgsam errichtete Ordnung bzw. das In-Stellung-Bringen von Körpern ad absurdum führt. Auch wenn es scheint, als ob der Libertin unumschränkte Macht, „absolute sexuelle Verfügungsgewalt“201 über seine Opfer und Experimente genießt – wie man es oft in Sekundärtexten nachlesen kann, so ist er doch nur ein abgestumpfter Vasall und Akteur des Bösen, der den teuflischen Plan einer höher stehenden, rein materialistisch begründeten Macht ausführt, die trotz seiner ambitionierten philosophischen Reflexion nicht von ihm durchdrungen wird, um dann nicht selten – von seinesgleichen – am Schluss umgebracht zu werden. „[B]ei Sade sind selbst die differenziertesten Figuren, die Libertins, kaum Subjekte von Handlungen, sie sind vor allem Sprecher, extrem locker geschürzte, gewissermaßen poröse Subjekte des Diskurses, der niemals ihrer ist – selbst wenn das Sprechen, wie Roland Barthes sagt, das höchste Privileg in den Sadeschen Gesellschaften ist. Aber dieses Sprechen geht durch die Libertins hindurch, der Diskurs bedient sich ihrer, er verknüpft sich über die Figuren, ja über die Werke hinweg.“202 Sade befindet sich hier bereits auf Freuds „andere[m] Schauplatz“, auf dem sich ein „Deus ex machina“ gnadenlos exekutiert und demnach deutlich wird, „daß die Maschine den Regisseur selbst regiert“.203 Es ist hier eine „unsichtbare Hand“204 am Werk, die ihn marionettenhaft führt und die die gegebenen Verhältnisse um die an sich untrüglichen Zeichen von Lust und vor allem Schmerz erweitert und im Signifikat des Fleisches oder der Natur zu eliminieren versucht. Die Leere (d. h. im weiteren Sinne auch die Lüge205 und Heuchelei) des Symbolischen soll auf diese Weise überwunden werden. Von daher wohnt der ganzen Sadeschen Libertinage selbst ein unerkanntes, masochistisches Moment inne;206 und auch die vermeintlich grausame Frau hat hier ihren prominenten Platz, wenn man mit Lacan bedenkt, dass 201 Paglia 1992, 302 f. 202 Böhme 1988, unter: http://www.culture.hu-berlin.de/hb/static/archiv/volltexte/texte/natsub/sade.html 203 Lacan 1986 (b), 45. 204 Vgl. Kalisch 2006, 399-425. 205 „Der große Andere ist [...] die Anordnung der Lüge, des aufrechten Lügens.“ Žižek 2001 (b), 452. 206 Vgl. Deleuze 1980, 191 f. Sade „übte sich in frühen Liebesbriefen an die provenzalische Adelige Laure de Lauris in Unterwerfungsfantasien“. Vgl. Zweifel und Pfister 2001, 16. 68 der Autor dieser zügellosen Ausschweifungen tatsächlich Angst vor mächtigen Frauen hatte – wie z. B. vor seiner Schwiegermutter, der Präsidentin von Montreuil, die ihn verfolgen und einkerkern ließ.207 Der Masochismus à la Sacher-Masoch ist daher keineswegs nur das komplementäre, weiblich besetzte Gegenstück zu jenem vornehmlich männlichen Sadismus, wie ihn der Marquis ungefähr 100 Jahre zuvor entwarf. Er ist vielmehr eine Ausdifferenzierung bzw. „Überzeichnung“208 eines viel älteren Typus unter veränderten medialen und gesellschaftlichen Bedingungen und Spielregeln.209 Zur Konstruktion des Typus grausame Frau Sacher-Masochs grausame Frau ist eine Idealvorstellung, eine narzisstisch aufgeladene, heterosexuell-männliche Projektion, die das Bild der Frau im 19. Jahrhundert als treusorgende Ehe-, Hausfau und Mutter zwar gründlich auf den Kopf stellt, jedoch nicht wirklich erschüttert. „Die Frau tritt in seinen Geschichten als selbständiges Wesen mit eigenen Glücksansprüchen aus der Isolation der Hausmutterschaft hervor, um im öffentlichen Leben die Rolle einer Rivalin und Feindin des Mannes zu spielen. Doch gilt Sacher- Masochs Augenmerk weniger einer wirklichkeitsgetreuen Aufzeichnung dieses Rollenwechsels als dem Interesse, sich in dem verschobenen oder von Verschiebungen bedrohten Machtgefüge erotisch lustvoll einzurichten.“210 Stand bei Sade noch das Gewimmel der einzelnen Triebe im Vordergrund (in dem sich aber auch schon mediale Ordnungsprinzipien, vor allem der mikroskopische Blick, sehr deutlich abzeichnen), scheinen sich diese Partikularisierungen nun wie unter einem Brennglas gebündelt zu haben und sich in totalisierender, positivierender 207 Vgl. Lacan 1986 (b), 150. 208 Spörk 2003, 139. 209 Vgl. Bolte und Dimmler 2000 und vgl. auch den sadomasochistischen Venus-Kult wie auch die Ausführungen zum fetischistischen Frauenbild unter „Der Phallus im sadomasochistischen Szenario und Körperbild“ in dieser Arbeit. 210 Koschorke 1988, 114. 69 – das heißt u. a. geschlechterrepräsentierender – Form auf die Masochsche Passion auszuwirken. „Die gemeine Natur ist jetzt vom Partikularen der Laune gezeichnet: Gewalt und List, Haß und Vernichtung, Chaos und Sinnlichkeit setzen sich allenthalben in ihr durch.“211 Dies korrespondiert meiner Meinung nach mit der rasanten Weiterentwicklung optischer und elektrischer Medien im 19. Jahrhundert, in der das Reale nicht mehr nur wie z. B. in einer Camera obscura seitenverkehrt und kopfstehend abbildbar wird –, sondern eben auch in der analogen Fotografie und Kino-Vorläufern speicherbar und manipulierbar, was sich dann als physikalisches Reelles zeigt.212 Das Konstrukt bzw. der Typus der grausamen Frau ist dabei selbst schon sehr medial, eine fiktionale Bearbeitung als Reaktion auf die stark zunehmende Industrialisierung und Maschinisierung, in deren Gefolge sich in den Jahren von 1860 bis 1910 der Mythos des Vamps und die femme fatale herausbildete. „Mit der Dämonisierung der Frau als Pflanze und Tier, als Luft- oder Meerwesen, als Magierin oder Mörderin, die dem romantischen Ideal der Frau als Residuum der Natur in einer zunehmend industralisierten Welt entsprach, korrespondiert eine Dämonisierung der Frau als Teil dieser industriellen, maschinenbasierten Welt. Denn die Frau als Maschine entbehrt des Mitleids, der Seele. Beide, Maschinen und Mörderinnen, sind gekennzeichnet durch Kälte, Grausamkeit und Seelenlosigkeit. Die Maschinisierung der Frau, die einhergeht mit einer Mechanisierung des Trieblebens, mit dem Entwurf eines kombinatorischen Kalküls und einer Ökonomie des Trieblebens, ist eine noch radikalere Enteignung der Frau als die Renaturalisierung, da sie darauf abzielt, ihr die sexuelle Reproduktion, jene natürliche Eigenschaft der 211 Deleuze 1980, 207. 212 Vgl. Kittler 2002 (a), vor allem Kapitel 3 und Holl 2002, ebenfalls Kapitel 3. Auch wenn das Sadesche Objekt (die mechanische Ordnung der wie von selbst ablaufenden Orgie) oberflächlich betrachtet nicht viel mit dem Masochschen Fetisch-Objekt (die Bildcollage der grausamen Frau) im 19. Jahrhundert gemeinsam hat, so ist dennoch eine gewisse visuelle Komponente, die imaginär-maschinell läuft, in der Sadeschen Lust-Apparatur nicht von der Hand zu weisen: „Doch zuweilen richtet sich auf ganz mysteriöse Weise die erotische Ordnung von selbst ein, entweder nach vorangegangner Weisung oder aus kollektivem Gespür für das, was getan werden muß, oder in Kenntnis der Strukturgesetze, die vorschreiben, wie ein begonnene Figur zu vollenden ist. Die plötzliche und anscheindend spontane Ordnung bezeichnet Sade mit den Worten: die Szene läuft ab, das Bild kommt ins Lot.“ (Barthes 1986, 35.) Wie Bilder und Szenen bei Sacher-Masoch ebenfalls – quasi-automatisch und mysteriös – entstehen, ablaufen und ins Lot kommen, vgl. „Installation des Venus-im-Pelz-Dispositivs“. 70 Frau par excellence, zu nehmen [...] [D]ie Naturalisierung der Frau wie die Maschinisierung der Frau entspringen einer masochistischen Phantasie. [...] Eine Grundtendenz und Grundregel der Ästhetik des masochistischen Phantasmas ist die Ersetzung der Natur durch die Maschine. Daher kommt die sogenannte Kälte, das Anorganische, das Leblose, das Mondlicht, das Anämische des masochistischen Universums.“213 Pelz-Camouflage Aus dieser medientheoretischen Sicht grenzt es schon an Ironie, wenn der Protagonist Severin,214 ein galizischer Edelmann und (Sohn eines) Gutsbesitzer(s), seine Herrin Wanda, eben die hellenische ‚Venus im Pelz’, fragt, ob diese „ungestraft in ihrer unverhüllten Schönheit und Heiterkeit unter Eisenbahnen und Telegraphen wandeln dürfe“, ist sie doch gerade mit jenen Symptomen, die sich aus den tiefgehenden medialen Umbrüchen und Neuerungen des 19. Jahrhunderts speisen,215 unbewusst vernetzt. „Unverhüllt gewiss nicht, aber im Pelz, rief sie lachend.“216 Sie darf also, ja sie muss quasi in dieser (Ver-)Kleidung wandeln, nicht nur um ihre Blöße gemäß 213 Weibel 2007, 224 f. 214 Severin hat etymologisch nichts mit Servus, zu Deutsch „Diener“ zu tun, sondern bedeutet streng, ernsthaft, gewissenhaft – daher der Strenge. 215 Vgl. Asendorf 1999, 71-108. 216 Sacher-Masoch 2003, 24. Venus als unbekleidete Liebesgöttin des Südens muss im kühlen Norden Pelz tragen, nicht nur, um sich vor Schnupfen und Erkältung zu schützen, sondern auch, weil der „prickelnd-wärmende Reiz“ dieses Kleidungsstückes „an jener elektrisierenden Leidenschaftlichkeit teilnehmen läßt, die das Leben in heißen Zonen kennzeichnet“. (Treut 1990, 151 f.) Als freie Hellenin 71 strenger, viktorianischer Sittengesetze zu verdecken, sondern auch um dem Realen in ihrem technomorphen Bild einen Ausdruck zu verleihen, d. h. dieses mit fetischisierten Outfits und Accessoires zu symbolisieren und auszustellen, um es einer männlichen Perversionsfantasie verfügbar, es in dieser Aufmachung dauerhaft konsumierbar zu machen.217 Somit wird in der Anordnung des Pelzes oder von weiteren Fetisch-Objekten eine Camouflage wirksam, die darauf abzielt, das mediale (wie auch körperliche) Reale einerseits zu individuellen Lustzwecken deutlich zu markieren, andererseits es vor dem Hintergrund einer repressiven Sexualmoral gleichsam geschickt zu tarnen, es gewissermaßen nach außen hin zu neutralisieren, damit es gesellschafts- bzw. salonfähig werden kann.218 In ihrer opulenten Pelz- Garderobe – nichts Ungewöhnliches in dieser Zeit – wird die ‚grausame Frau’ tatsächlich „ungestraft“ bleiben, d. h. keine Repressalien in einer durchweg prüden, d. h. sexuell zu kurz gekommenen und hochnervösen bürgerlichen Gesellschaft im letzten Drittel des 19. Jahrhundert zu fürchten haben. Schon deswegen darf sie loslachen und verweist damit auf ein raffiniert-komisches Element, das der masochistischen performance stets innewohnt und meist in einem subtilen Humor sichtbar wird. Dass dieses in Camouflage gehüllte Reale aber dennoch nie ganz neutralisiert bzw. negiert werden kann (dies ist ja auch die Absicht des Masochisten, nämlich eine Lücke, einen Spielraum für die eigene Lust offenzuhalten), offenbart sich an den Stellen in der Novelle, wo der böse Reiz kurzzeitig durchschlägt und sein Recht einfordert: Z. B. wenn Wandas „wogende Brust“219 zu sehen ist oder die bildet sie einen aufregenden Kontrast zur protestantischen, nüchternen Ästhetik des Nordens, die Régis Debray vor allem in der „Angst vor Unreinheit und Fleischessünde, [...] fade[m] Essen, weißgekalkte[n] Wände[n], geruchlose[n] Körper[n], gekochte[m] Fleisch“ oder „geometrische[m] Purismus“ erkennt. Debray 1999, 82. 217 Vgl. zum Thema Mode und Fetischismus auch Böhme 2006, 352 ff., 469 ff.; Franzen 2008, 321-334 und Weibel 2003 (b), 38 ff. Lacan sagt im Seminar IV Die Objektbeziehung: „Die Kleidungsstücke sind nicht nur dazu da zu verbergen, was man dergleichen hat, im Sinne von dergleichen haben oder nicht, sondern eben auch genau das zu verbergen, was man dergleichen nicht hat.“ Lacan 2003, 195. 218 „[Der Fetisch] ist öffentlich und geheim. Seine Bedeutung ist maskiert und äußerlich. Derart geschützt kann das Ding agieren und sogar in die öffentliche Zirkulation eintreten.“ Böhme 2006, 407 f. In diesem Sinne unterliegt der Fetisch als Camouflage meist einem geheimen Code, der nur Eingeweihten verständlich ist. 219 Sacher-Masoch 2003, 77. Erstaunlicher Weise war es im prüden viktorianschen Zeitalter erlaubt viel Dekolleté zu zeigen. 72 Elektrizität mit ihr in Verbindung gebracht wird. Von elektrischen Blicken, Regungen und Reizen,220 von ihrem „elektrischen Haar“221, den „grünen Blitzen“222 in ihren Augen ist dann die Rede und auch – damit zusammenhängend – von einer „magnetischen Gewalt“,223 die die masochistische Wollust so willenlos macht. Es geht in diesen Techno-Metaphern immer auch „um die Verhinderung unkontrollierbarer, potentiell unbeherrschbarer Wechselwirkungen zwischen den Emblemen der Maschinisierung bzw. Industrialisierung und der weiblichen Sexualität.“224 Sowohl die weibliche Sexualität als auch die Maschine werden in diesem Spiel, Metapherfunktion im Imaginären, nicht (deutlich genug) erkannt und differenziert. Es geht dabei auch und vor allem um den Erhalt phallisch-männlicher Macht, um deren Mehr-Lust-Organisation und -Effekte. „Die gesamten Perversionen spielen immer noch auf irgendeiner Seite mit diesem signifikanten Objekt [dem Phallus], insofern es von seiner Art her und aus sich heraus ein wahrer Signifikant ist, daß heißt etwas, das in keinem Fall nach seinem Schauwert aufgefaßt werden kann. Wenn man die Hand darauf legt, wenn man es findet und sich definitiv darauf fixiert, wie dies der Fall ist in der Perversion der Perversionen, derjenigen names Fetischismus – sie ist wahrlich diejenige, die nicht nur zeigt, wo es wirklich ist, sondern auch, was es ist –, denn das Objekt ist genau nichts. Es ist ein altes abgetragenes Kleid, ein abgelegtes Kleidungsstück.“225 Erstaunlicher Weise ist auch Sade in Bezug auf Frauenkörper und deren Verhüllung ebenfalls Fetischist. Da Sade Angst vor Frauen und deren Sexualität hat, müssen die 220 Ebd. 37, 90. Dass nicht nur die ‚grausame Frau’ mit Elektrizitätsmetaphern beschrieben wird, sondern diese spezielle Wahrnehmung auch auf Männer zutrifft, offenbart sich an jener Stelle in der Venus im Pelz, als Severin seinem ersten potentiellen Nebenbuhler, einem Oberst, begegnet: „Er war offenbar unangenehm überrascht, mich an Wanda’s Seite zu sehen, und schien sie mit seinen elektrischen Augen durchbohren zu wollen“. In diesem Sinne könnte man diese Technometaphern – jenseits ihrer eindeutigen geschlechtlichen Zentrierung – auch allgemein als Ausdruck von Spannung, Eifersucht und Konkurrenz im (masochistischen) Verführungs- und Liebesspiel deuten. Ebd. 52. 221 Ebd. 109. 222 Ebd. 20. 223 Ebd. 109. 224 Diese (mündliche) Aussage verdanke ich Uwe Vagelpohl. 225 Lacan 2003, 229. 73 weiblichen Geschlechtsmerkmale stets verhüllt werden. „‚Bedecken Sie Ihre Möse, meine Damen!’ sagt entrüstet Gernande zu Justine und Dorothée in dem gleichen Ton, mit dem sich Tartuffe an Dorine wendet (‚Bedeckt diese Brust, die ich nicht sehen darf’) [...]. [...] [D]as Weib ist beschädigt, es wird so verpackt, eingewickelt, umhüllt, verkleidet, daß jede Spur seiner früheren Reize (Gesicht, Brüste, Geschlecht) verwischt wird, eine Art chirurgische und funktionale Puppe wird geschaffen, ein Körper ohne Vorderseite (Grauen und strukturale Herausforderung), eine scheußliche Wickelpuppe, eine Sache.“226 Die Sadesche Teil-Verhüllung des weiblichen Körpers dient demnach nicht wie bei Sacher-Masoch dazu, diesen äußerlich noch attraktiver und begehrenswerter zu machen, sondern ist eine rein persönliche (Angst- )Abwehrmaßnahme des Libertins, die, im Gegensatz zur Masochschen Camouflage, nicht auf ein strenges Sittengesetz zurückzuführen ist. Im Gegenteil: Denn so kann der Libertin seine Aufmerksamkeit ganz auf das entblößte, weibliche Hinterteil richten und seiner obsessiven Analfixierung fröhnen. Dies ist in Sacher-Masochs Ästhetik Tabu. Aber auch er hält sich seine Spielpartnerinnen auf sichere Distanz, ebenfalls aus Angst vor der Gefahr weiblicher Macht. Automatenfrauen Auch wenn Sacher-Masochs extravagant eingekleidete ‚grausame Frau’ in ihrer ausgestellten Funktion als Blickfang und Lustmaschine überwiegend Objektstatus hat (und diesem durchaus technoide Züge beigemessen werden können), so lässt sie sich nicht so ohne weiteres in die Mediengeschichte der künstlichen Automatenpuppen und (literarischen) Maschinenfrauen seit dem 18. Jahrhundert (siehe z. B. Jacques de Vaucansons mechanische Androiden um 1740, Sades Lustpuppen mit verdeckter Vorderseite, die Automatenfrau Olimpia aus E.T.A. Hoffmanns Erzählung Der Sandmann (1816) oder die Maschinenfrau Maria aus Fritz Langs legendärem Stummfilm METROPOLIS (1927)) integrieren, ist sie doch eine reale weibliche Person mit eigener Geschichte und eigenem Begehren. Geht man jedoch von der unbewussten Wahrnehmung des Masochisten aus, lässt sie sich in ihrer Wirkung durchaus in diese Geschichte einschreiben. Denn sowohl Automatenpuppen als auch 226 Barthes 1986, 141. 74 dämonisierte Frauen gelten als lustanregende, äußere Objektivierungen eines vornehmlich männlichen und technisch-rational geprägten Imaginären, der sogenannten Techno-Imagination.227 Doch auch Sacher-Masochs Literatur kann die ‚grausame Frau’ nicht nur als metaphorische Konstruktion, sondern auch in medientechnischer Realität anbieten: „In Jungbrunnen foltert die Gräfin Elisabeth Nadasdy junge Männer im Beisein ihres Geliebten, des schrecklichen Ipolkar, mit Hilfe einer Maschine, wie sie selten im Werk Masochs vorkommt (eine eiserne Jungfrau, in die das Opfer gestellt und gebunden wird: ‚Und die schöne Seelenlose begann ihr Werk, Hunderte von Klingen kamen aus ihrer Brust, ihren Armen, Beinen und Füßen...’).“228 Überhaupt haben Technofrauen immer dann Konjunktur, wenn Subjektivität oder Identitätsentwürfe ins Wanken geraten – im Prinzip also die ganze Moderne hindurch – bis zu gegenwärtigen Cyborg- und Avatar-Fantasien: „Seit dem Frühkapitalismus tauchen immer dann, wenn ein Unbehagen an den dominanten Fiktionen laut wird, wenn androzentrische Subjektivität in die Krise gerät oder wenn alternative Subjektvorstellungen zur Debatte stehen, Figurationen des ‚Weiblichen’ auf, die Allianzen mit dem Technischen und/oder ‚Fließenden’ eingehen.“229 Inwiefern die ‚grausame Frau’ auch fließende Elemente besitzt, wird weiter unten noch ausgeführt. Lacan spricht von der „Fee Elektrizität“ und verweist damit einmal mehr auf den problematischen, geschlechtlich konstruierten Zusammenhang zwischen Weiblichkeit und Technik(wahrnehmung).230 Wolfgang Hagen beschreibt „Elektrizität“ sachlicher als einen „von der Telegrafie dramatisch [...] in die Welt gesetzt[en] [...] reelle[n] Effekt, für den es in den Ketten des Symbolischen keinen Signifikanten gibt, und deshalb auch keine Bedeutung und Übertragung außerhalb des spiritistischen Diskurses, den ja Helmholtz zurecht noch in den Tiefen der deutschen Universitätsphysik identifiziert. [...] Der asignifikante, abjekte Signifikant der Elektrizität, soweit er in der vorrelativistischen Physik flottiert, führt, negativ gesagt, zu einer ‚Verwerfung’ im Wissenschaftlichen (die Helmholtz aufspürt), und, positiv 227 Vgl. Julia Hecht 2003, 47 und Hans Ulrich Reck 2003, 483. 228 Deleuze 1980, 201. 229 Vgl. Volkarts 2006, 23 und auch ihre vorzüglichen Ausführungen über „Die Technofrau als Mythos der Maschine“ ebd. 23-45. 230 Vgl. Lacan, 1991 (a), 383. 75 gesagt, zu einer ‚Störung’. Er konstituiert, weit davon entfernt, sich einfach nur in einen imaginären Effekt zu verketten, die Störung eines Diskurses.“231 Gerade weil die Elektrizität jede ganzheitliche Imagination wirksam unterläuft, ist Lacans „Fee Elektrizität“ im Diskurs strukturaler Psychoanalyse, so lange sie (wie an dieser Stelle von Lacan) unkommentiert bleibt, eine verfälschende und letztendlich unhaltbare Aussage, die sich in bester Tradition okkulter Medienerscheinungen des 19. und auch noch 20. Jahrhunderts befindet. Frauen dienten ja im moderenen Spiritismus nicht selten als Übertragungsmedium, als „Mediumnistinnen“ wie es Hagen am Fallbeispiel und Schwindel der „Seherin von Genf“, „Elise-Catherine Muller alias Hélène Smith“ eindrücklich illustriert.232 Die elektrisierte und elektrisierende ‚grausame Frau’, die sich auch unter den Begriff der femme fatale subsumieren lässt, setzt sich meiner Meinung nach aus zwei Bildern zusammen, die für diesen Typus233 kennzeichnend sind, jedoch erst später im (z. B. Kino des) 20. Jahrhunderts deutlicher sichtbar werden (u. a. in Filmen Josef von Sternbergs):234 die klassische und die neo-femme fatale.235 Wie Julia Hecht schreibt, verletzt erstere „durch ihre aggressive, berechnende Sexualität die Ordnung des männlichen Heldensystems und erleidet dafür einen physischen oder emotionalen Tod [...]. Die neo-femme fatale gibt ihrem Partner genau das, was er als seine unbewussten obszönen Fantasien in sie hineinprojiziert und triumphiert damit nicht als auratisches Gespenst, sondern in der sozialen Realität.“236 Die ‚Venus im Pelz’ besitzt bereits Elemente beider Typen, sie befindet sich genau zwischen den beiden. Denn sie hätte zwar einerseits wie die neo-femme fatale tatsächlich Macht, in ihrer Liebesbeziehung den männlichen Part zu entlarven und bloß/zur Rede zu stellen; dies ist ihr jedoch 231 Vgl. Hagen 2001, 89 f. 232 Vgl. ebd. 99 ff. 233 Vgl. zur Typenforschung (insbesondere zum Anti-Typus im 19. Jahrhundert) Mosse 1997, 79-106. 234 Vgl. Kaltenecker 1996 (a); Studlar 1985 (a); Holl 2005 und Rothermel 2008, 321 ff. 235 Von daher wird also nicht nur der Mann als Masochist in seinem Spiel neu geboren, sondern eben auch die Domina. (Vgl. Deleuze 1980, 248.) Deleuze redet allerdings nur von der zweiten Geburt des Masochisten, obwohl er an anderer Stelle erwähnt, dass sie „von ihm geformt und travestiert wird“ (vgl. ebd 178). Später im Résumé dieses Kapitels wird noch aufgezeigt, wie der Masochsche Fetisch – wenn auch eher ungewollt – sogar zur entstehenden Frauenbewegung im späten 19. Jahrhundert beiträgt. 236 Hecht 2003, 118. 76 andererseits nicht möglich, da sie das in sie hineinprojizierte männliche Fantasma nicht hinreichend durchschaut und sogar annimmt. Dieses Fantasma besteht in der Naturalisierung der Frau – realiter handelt es sich hier jedoch um eine Mythologisierung,237 die Wanda ihrem Sklaven wie folgt erklärt: „Merk Dir [...] was ich Dir jetzt sage. [...] Der Charakter der Frau ist die Charakterlosigkeit. [...] Das Weib ist eben, trotz allen Fortschritten der Civilisation, so geblieben, wie es aus der Hand der Natur hervorgegangen ist, es hat den Charakter des Wilden, welcher sich treu und treulos, großmüthig und grausam zeigt, je nach der Regung, die ihn gerade beherrscht. Zu allen Zeiten hat nur ernste, tiefe Bildung den sittlichen Character geschaffen, so folgt der Mann, auch wenn er böswillig ist, stets Principien, das Weib aber folgt immer nur Regungen. Vergesse das nie und fühle dich nie sicher bei dem Weibe, das du liebst.“238 Sacher-Masoch, der sich trotz (oder gerade wegen?) solcher problematischen Äußerungen für die Gleichberechtigung der Frau, ja sogar für eine „Umkehrung im Verhältnis der Geschlechter zueinander“ ausspricht, hat „zwei Frauenideale“, die für ihn jedoch unvereinbar scheinen. „Kann ich das eine [Ideal], die edle Frau, welche treu und gütig mein Schicksal theilt, nicht finden. Dann will ich lieber einem Weibe ohne Tugend, ohne Treue, ohne Erbarmen hingegeben sein. Ein solches Weib in seiner selbstsüchtigen Größe ist auch ein Ideal.“239 Wieso arbeitete Sacher-Masoch in seinen – meist gescheiterten – Liebesbeziehungen nicht daran, beide Ideale zugleich umzusetzen? In seiner Lebensgeschichte waren tatsächlich beide Frauentypen in zwei aufeinanderfolgenden Ehen präsent. Die Antwort liegt wohl darin, dass die ‚grausame Frau’ für ihn von Natur aus bösartig sein muss. Doch diese Bedingung erscheint umso merkwürdiger, als sie im Widerspruch zu der von Deleuze entdeckten Pädagogik, die bereits seit der Romantik die pygmaliontische Erziehung der Frau durch den Mann in der Liebesbeziehung vorsieht,240 in der Venus im Pelz steht. Denn dort wird Wanda ja erst grausam gemacht, indem Severin sie dazu mit List verführt bzw. überredet. 237 Vgl. Treut 1990, 166 ff. 238 Sacher-Masoch 2003, 50. 239 Ebd. 39 und Spörk 2003, 145. 240 Vgl. arte-Sendung „Die Akte Kleist“ von Simone Dobmeier, Hedwig Schmutte, Torsten Striegnitz vom 28.3.2011. 77 Obwohl Sacher-Masoch diese spezielle Kunst des Grausamwerdens – d. h. genauer gesagt: die Anleitung dazu – literarisch beschreibt, so hat er sie in seinen privaten Fetisch-Inszenierungen nicht angewandt oder womöglich gar nicht erkannt. Sie bleibt unausgesprochen. (Es ist nicht ungewöhnlich, dass ein Autor in dem, was er in seinem Leben tut oder sein lässt, nicht auf der geistigen Höhe seines Werks ist.) Letztendlich gibt es die Frau für Sacher-Masoch nur als Sklavin oder Despotin.241 Sie soll als Sklavin despotisch sein, was gleichsam die Perversion seines erotischen Begehrens begründet und damit den Fetisch und das theatralische Spiel mit diesem vorbereitet. Von daher schwankt Sacher-Masoch zwischen einem Entweder-Oder- und einem Sowohl-als-auch-Diskurs, zwischen Leben und projizierter Fiktion. Hier sieht man, dass der Masochist die Verbindung zweier gegensätzlicher, ja sogar sich ausschließender Signifikanten und Operationen anstrebt,242 ohne diese selbst aufzulösen bzw. transformieren zu müssen, worin sich nicht nur männlicher Gestaltungsdrang, sondern auch der Wille zum Erhalt brüchig werdender Macht aufzeigt, ein Konservatismus. Ferner beschreibt Nick Mansfield diesen äußerst paradoxen Zusammenhang als den Traum des masochistischen Subjekts, gleichzeitig Subjekt und Objekt seiner Handlungen zu sein. „The subject dreams of being both itself and its object, but keeping the categories of subject and object intact.“243 Zwar wird die ‚grausame Despotin’ gewiss in der schaulustigen und sensationsgierigen bürgerlichen Welt des 19. Jahrhunderts triumphieren.244 – In eben jener Welt, in der die Frau245 als Symptom des Mannes bzw. „die Frau als Projektiv 241 Vgl. Treut 1990, 115. 242 vgl. Böhme 2006, 407. 243 Mansfield 1997, 80. 244 „[Sacher-Masoch] kann nicht auf ein kritisches Publikum gerechnet haben, sondern auf eines, das süchtig nach Phantasmagorien war.“ Dieses „Publikum der großbürgerlichen Ära“ ließ „sich von der Lust der Vordergründigkeit und den Reizen der Oberfläche vexieren“. Vgl. Koschorke 1988, 10 f. 245 Dass es die Frau realiter nicht gibt (höchstens als verzerrt-fantasmatisches Standbild), stattdessen aber – wie Marie-Luise Angerer unterstreicht – sehr wohl viele konkrete Frauen, geht auf Lacans Lehre zurück. Der französische Psychoanalytiker betont gegenüber seinen SeminarteilnehmerInnen, „daß, auf seiten von die Frau – aber markieren Sie dieses die mit dem Schrägstrich, mit dem ich bezeichne, was sich barren muss – auf Seiten von DIE Frau es etwas anderes ist als das Objekt a, worum es sich handelt bei dem, was supplieren soll dieses Geschlechterverhältnis, das nicht ist.“ Anmerkungen zum 78 der männlichen Phantasie“246 figuriert, nicht aber, um in der Arena ihrer Liebesbeziehung wirklich zu punkten, d. h. dem Masochisten und seinem trickreichen Planspiel auf Augenhöhe zu begegnen. Ein wirklicher Triumph bleibt ihr, aber auch ihrem heimlichen Herrscher versagt. Dafür wird aber auch keiner von beiden – um auf das Schicksal der klassischen femme fatale zurückzukommen – (wohl nur im Ausnahmefall) einen physischen Tod erleiden.247 Stattdessen hat der emotionale Tod hier längst gesiegt und ist als gefühlte Eiseskälte – d. h. als oberflächliche Gefühllosigkeit des strukturell gleich bleibenden Maskenspiels – stets präsent.248 Nicht umsonst muss in der Novelle ständig der Kamin angemacht werden. Bei Sade heißt es, wie Saint-Fond erklärt: „Das Feuer der Phantasie muss den Kamin der Sinne entzünden.“249 Doch die ‚Flamme’ der Masochschen Beziehung lodert nur in einem fantasmatischen Raum und bleibt deshalb auf der Warnehmungsebene des auratischen Gespenstes stehen. Auch Severins berechtigte Frage an Wanda, ob sie ihn trotz ihrer Grausamkeit, an der sie im Verlauf der Erzählung bzw. der masochistischen Praxis immer mehr Gefallen findet und die sie – zumindest in Severins Imagination – zunehmend animalisch, nämlich als Bärin oder Raubkatze erscheinen lässt,250 noch liebt, bewirkt zwar ein kurzzeitiges Innehalten, wird aber an ihrem halt- und ausweglosen Zustand nichts ändern können.251 Objekt a siehe im zweiten Kapitel dieser Arbeit bzw. Lacan, 1991 (b), 69 und Angerer 2000 (a), 227, Fußnote 7. 246 Koschorke 1988, 87. 247 Sacher-Masochs ‚grausame Frau’ geht also über den Typus der klassischen femme fatale hinaus, auch wenn sie die Souveränität der neo-femme fatale noch nicht erreicht hat. 248 Vgl. Deleuze 1980, 205. 249 Morris 1994, 325; Zitat von Sade 1989, Bd. 8, 329. Vgl. auch Paglia 1992, 302. 250 „Wanda: ‚You have awakened dangerous elements in my being’.“ Zitiert nach Mansfield 1997, 7. – „Mit dem Ausdruck, dass ‚die Degeneration ein Bestandteil der Natur der Frau’ wäre, wurden die ‚gemeinen Taten’ des Weibes und seine ‚durch und durch erotischen Neigungen’ mit allem in Verbindung gebracht, vom visuellen Künstler zu medizinischen Diskursen. Einmal losgelassen, geriet die Frau mit ihren ‚primitiven Leidenschaften’ rasch außer die (zivilisierende) Kontrolle der Männer. Die sich daraus ergebenden Möglichkeiten erschreckten manche [...], viele Andere [waren] dadurch extrem fasziniert.“ Die „Venus im Pelz“ bezeichnet Gaylyn Studlar aus dieser Sicht (des Maso- Projektivs im 19. Jahrhunderts) als ein „ideales, transgressives Weibchen [...], in der sich Engel und wildes Tier vereinigen, das göttliche Ideal sich mit dem tierischen Rest unhüllt.“ Vgl. Studlar 2003 (b), 360; Zitat darin von Dijkstra 1986, 288 f. 79 Je brutaler sich Wanda zeigt, desto unterwürfiger und abhängiger muss Severin werden, sodass er in seiner vermeintlichen Märtyrerrolle vom Geliebten zum Dienstboten und schließlich zum Sklaven mutiert und einen neuen Namen bekommt: Gregor.252 So devot, servil und abhängig sich Severin(-Gregor) in seinen Rollen zumindest äußerlich gibt, innerlich scheint er seinem Ziel, Macht über (die eigene) Ohnmacht zu erlangen, nahe zu kommen, d. h. Wandas Begehren nach seinen Vorstellungen zu formen und zu manipulieren; ihr zu suggerieren, dass sie es sei, die die Zügel in der Hand hält und weiterhin den Ton angibt. Allerdings hat sie – darin zeigt sich die Bipolarität der masochistischen Machtstruktur – tatsächlich eigene Wahlmöglichkeiten, über den weiteren Verlauf dieser performance und vor allem über deren Ausgang mitzubestimmen. Das ist im 19. Jahrhundert relativ ungewöhnlich und sehr auffällig, denn auf diese Weise wird einer Frau in einem männlich dominierten Spiel plötzlich Macht verliehen. Ausbleibende Hegelsche Anerkennung Was in diesem turbulenten Spiel, das sich im Crescendo und Accelerando inszenierter Grausamkeit ausagiert, dennoch grundsätzlich fehlt, ist das Eingreifen einer symbolischen Relation, das Gesetz des Todes, durch das das Subjekt zum Sprechen wird, eben jenes dritte Moment, das Hegel in der Phänomenologie des Geistes im Kapitel über Herrschaft und Knechtschaft postuliert: „Bei Hegel wird die Sackgassensituation, der operationale Kurzschluß zwischen zwei einfachen, alles außer sich annulierenden Fürsichsein, aufgelöst durch den dritten dialektischen Moment der Synthese: die reine Abstraktion auf ein höheres Selbstbewußtsein. Im Kontext der Dialektik von Herrschaft und Knechtschaft legt Hegel diese Synthese dar als Form der reinen Anerkennung. Die beiden wechselweise 251 Sacher-Masoch 2003, 54, 68, 103, 125. 252 Hier bewahrheitet sich bereits Sigmund Freuds Beobachtung, dass das (schlechte) Gewissen – welches bei Sacher-Masoch in der ‚grausamen Frau’ eine Repräsentation findet – umso strenger wird, je mehr man diesem Gehorsam leistet. (Vgl. Freud 1997, 89 und Deleuze 1980, 234.) Auch die symbolische Invention und Intervention eines neuen Namens kann den zunehmenden Gewaltexzess nicht bremsen. 80 ineinander umschlagenden anderen externalisieren die Struktur ihrer eigenen dialektischen Verhaftetheit, sie erkennen sich selbst als Bewegungen oder unterschiedliche zeitliche Momente ein und desselben Selbstbewußtseins, ‚sie anerkennen sich, als gegenseitig sich anerkennend’.“253 Diese Anerkennung als ein authentischer symbolischer Akt, der beide aus ihrer oszillierenden Herr- und Knecht-Position im Imaginären befreien und auf ein neues Niveau heben könnte, bleibt in der masochistischen Dramaturgie aber aus. Der Masochist darf nie ganz in die symbolische Ordnung, ins Gesetz des Todes eintreten254 – was zwar selbst ein masochistischer Akt wäre, aber eben einer, der in seiner objektivierenden Wirkung klare Verhältnisse schafft und damit das Wankelmütige, Launenhafte, Unberechenbare, kurz um: das Halteproblem des masochistischen Begehrens aufheben und damit auch den darin liegenden Genuss vereiteln würde. Der Masochist bleibt in seinem Tun und Lassen vor der Schwelle zu diesem Symbolischen stehen und verharrt daher in einem Raum der Negativität, einem „Halbdunkel“,255 in dem ein verzehrendes psychisches Reales sein unerhörtes Verlangen speist. Auch die für den Masochismus so typische Vertraglichkeit hilft da nicht weiter, sondern verschlimmert das Problem, weil sie dem vernichtenden – jedoch Lust bringenden Realem – gezielt Vorschub leistet. „Deleuze meint, daß der Masochismus eine Geschichte ist, ‚die erzählt, wie das Über- Ich vernichtet wurde, wer es vernichtete, und was aus dieser Vernichtung entstand.’ Aber viel eher noch ist der Masochismus eine Geschichte, die erzählt, was vor der 253 Bitsch 2004, 316 und Hegel 1988, 129. 254 Dieses Eintreten ist realiter auch nie ganz möglich, da sich das fantasmatische Imaginäre – im Gegensatz zum illusorischen Imaginären (vgl. Lacan 1991 [a], 67) – nicht vollständig ins Symbolische übersetzen lässt. Der Masochist erkennt die daraus resultierende Inkonsistenz und Lückenhaftigkeit des Gesetzes im-Namen-des-Vaters. Er verweigert sich demnach der gesellschaftlichen Forderung, so zu tun, als ob der Mangel zu bezwingen wäre und es tatsächlich so etwas wie das absolute Wissen (im Hegelschen Sinne) gäbe. Sein mit Ernst betriebenes Spiel verbirgt hinter den täuschenden Oberflächen und Masken demnach eine sich im Unbewussten verlaufende Wahrheit, die jedoch nicht im Sinne eines vollen Sprechens im Rahmen des Möglichen anerkannt wird, sondern nur als In-Szene-gesetzte Mehr- Lust goutiert wird. 255 Deleuze 1980, 189. 81 Einsetzung des Über-Ich war, wie das vernichtet wurde und von wem, und wie man (ihn und) sich dafür bestrafen muss.“256 Sacher-Masoch (bzw. seine erste Ehefrau Wanda) berichtet (in ihren Memoiren) davon, wie diese Vernichtung und gleichzeitige Bestrafung, die er begehrt und immer wieder aufführen lässt, praktisch funktioniert: Sacher-Masoch: „Na, die hat mich ordentlich durchgehauen. Mein Rücken muss voll Striemen sein. Du hast keine Idee, was das Mädel Kraft in den Armen hat. Mit jedem Hieb glaubte ich, das Fleisch würde mir zerrissen.“257 Žižek kommentiert diesen Vorgang (mit Bezug auf Deleuze): „Dieses erlesene Zur-Schau-Stellen (diese Maskerade) von Tortur und Schmerz, von Erniedrigung, der sich das masochistische Subjekt unterwirft, hat allein den Zweck, den aufmerksamen Wächter Über-Ich hinters Licht zu führen. Klinischer Masochismus bietet also, kurz gesagt, dem Subjekt die Möglichkeit, die Bestrafung, die das Über-Ich für es vorgesehen hat, schon im Voraus zu akzeptieren und sich 256 Spörk 2003, 145. Zitat von Deleuze 1980, 274. Was vor der Einsetzung des (Über-)Ich war, ist mit Lacan gesprochen „der Lärm und die Raserei der Triebe“, etwas „[C]haotisch[es], wahrhaft [A]narchisch[es]“, das sich mit der Übertragung des imaginären Signifikanten im Spiegelstadium optisch vereinheitlicht und so auf ein neues psychisches Niveau hebt. Die frühkindliche Selbstliebe ist damit passé, da sie einer unbewussten und entfremdenden Bildaufnahme gewaltsam zum Opfer fiel. Die Libido ist dann an einen optischen Signifikanten, der in den Bereich des sekundären Narzissmus – des kleinen anderen (a) – einführt, gebunden und wird von diesem fortan reguliert (und bildet dabei weitere bildliche Identifikationsmuster aus [a’, a’’ etc.]). Dieser Signifikant wird im klassischen Masochismus das (phallische) Bild der Mutter gewesen sein. Dabei möchte der Masochist bis an die Grenze dieses Bildes und darüber hinaus, d. h. bis hin zum realen Objekt vorstoßen, ohne die imaginäre Einheit, das Ideal dieses Bildes aufgeben zu müssen. (Der Sadesche Libertin kann demgegemüber auf derartige Bilder verzichten; er würde sie sogar zerstören.) Das zwanghafte Aufrechterhalten der phallischen Imago bzw. diese ‚erigierte’ Imago im/als Bild verursacht u. a. (das Begehren nach) Spannung (suspense), Schmerz, Affekt, (Verlust-)Angst, (Selbst-)Bestrafung, die in der Maso- performance spielend geltend gemacht werden. Vgl. Lacan 2003, 74 f., 76; Lacan 1990, 162 f.; Bowie 1997, 36 ff.; Mulvey 1998, 395 f. 257 Zitat von Leopold von Sacher-Masoch, der sich von seinem Dienstmädchen Marie auspeitschen ließ. Vgl. W. von Sacher-Masoch 2003 (a), 63. 82 dadurch Lust zu verschaffen; das ganze fingierte Spektakel der Bestrafung dient ausschließlich dazu, das zugrunde liegende Reale der Lust zu demonstrieren.“258 Kein Wunder also, wenn der namenlose Ich-Erzähler in der Rahmenhandlung der Venus im Pelz bei der Lektüre eines Buches von Hegel einschläft, um den hier angeführten Dekonstruktionen, d. h. der Macht des väterlichen Gesetzes, der symbolischen Kastration und damit auch den Forderungen des Über-Ich zu entgehen,259 und stattdessen von einer grausamen, pelzgeschmückten Despotin träumen zu können.260 Sie ist die gütige aber auch gleichzeitig strenge Mutter, die aus einem präödipalen Erinnerungsbild mit deutlich phallischen Zügen hervorgeht. Trotzdem – so fordert es diese Logik zwischen Traum und Wirklichkeit –, muss das dritte Moment irgendwie stattfinden, muss es in das Spiel integriert werden, ist der Lustgewinn doch an den Anderen bzw. das Über-Ich gekoppelt, ja wird für dieses doch geradezu aufgeführt. Und diesen Anderen gibt es auch, allerdings nicht als abstraktes, lusttötendes Gesetz, sondern als weitere Spielfigur. Denn in dem Maße, wie sich die Schlinge für Severin immer fester zuzieht, die seelische Grausamkeit zunimmt, erhöht sich für ihn auch die 258 Žižek 2001 (b), 388 (und vgl. Deleuze 1980, 238 f.). 259 Den Zusammenhang zwischen Über-Ich, Vater, Ödipuskomplex, Ich-Ideal und Schuldgefühl erklärt Freud in seinem Text Das Ich und das Es (1923): „Das Über-Ich ist aber nicht einfach ein Residuum der ersten Objektwahlen des Es, sondern es hat auch die Bedeutung einer energischen Reaktionsbildung gegen dieselben. Seine Beziehung zum Ich erschöpft sich nicht in der Mahnung: So (wie der Vater) sollst du sein, sie umfasst auch das Verbot: So (wie der Vater) darfst du nicht sein, das heißt nicht alles tun, was er tut; manches bleibt ihm vorbehalten. Dies Doppelangesicht des Ichideals leitet sich aus der Tatsache ab, daß das Ichideal zur Verdrängung des Ödipuskomplexes bemüht wurde, ja, diesem Umschwung erst seine Entstehung dankt. Die Verdrängung des Ödipuskomplexes ist offenbar keine leichte Aufgabe gewesen. Da die Eltern, besonders der Vater, als das Hindernis gegen die Verwirklichung der Ödipuswünsche erkannt werden, stärkte sich das infantile Ich für die Verdrängungsleistung, indem es dies selbe Hindernis in sich aufrichtete. Es lieh sich gewissermaßen die Kraft dazu vom Vater aus, und diese Anleihe ist ein außerordentlich folgenschwerer Akt. Das Über- Ich wird den Charakter des Vaters bewahren, und je stärker der Ödipuskomplex war, je beschleunigter (unter dem Einfluß von Autorität, Religionslehre, Unterricht, Lektüre) seine Verdrängung erfolgte, desto strenger wird später das Über-Ich als Gewissen, vielleicht als unbewusstes Schuldgefühl über das Ich herrschen.“ Freud 1999 (a), 273. 260 Sacher-Masoch 2003, 10. 83 Gefahr, an einen Dritten, an einen neuen Geliebten Wandas, verraten zu werden. Dieser Bruch wäre genau der Moment, den der Masochist einerseits heimlich herbeisehnt und einplant, denn in dieser Erniedrigung würde für ihn die größte Wollust bestehen,261 anderseits wäre damit aber auch das Liebesverhältnis und – schlimmer noch – die von ihm kontrollierte Fernsteuerung der Frau dahin oder gar die ferngesteuerte Frau selbst.262 Diese hätte dann möglicherweise ein anderer in der Hand. Der Masochist weiß also von der unabdingbaren Notwendigkeit dieses dritten Moments263 und da er es nicht wirklich erfüllen kann oder möchte, hat er Schuldgefühle,264 die er mit Hilfe der strafenden Frau zu kompensieren bzw. zu lösen versucht. Das stetige Schuldgefühl und das daraus abgeleitete Strafbedürfnis des Masochisten stellen überhaupt erst die Möglichkeitsbedingungen seiner Lust dar. Severin macht sich deswegen klein, bleibt passiv und bezeichnet sich von Anfang an als „ein Dilettant im Leben“265. Er ahnt oder durchschaut sogar, in welcher buchstäblichen Zwickmühle er sich mit seiner abseitigen Lust befindet und das ist auch der Grund, warum er hin und wieder wie ein „Kind zu schluchzen“266 beginnt, sich aber auch über sein groteskes Theater totlachen kann267 – gemäß der Devise: ‚Ich weiß, aber dennoch ...’.268 261 Dieses spezielle Maso-Begehren – die kontrollierbare Lust nach dem Verlust – bringt Hartmut Böhme auf den Punkt: „Der Masochismus besteht darin, sie [die Domina] gar nicht besitzen, sondern sie zu verlieren fürchten wollen.“ Böhme 2003, 17 f. 262 In diesem Paradox artikuliert sich die für den Masochismus so typische Angstlust, die Erwartung der Katastrophe, der Unlust, die als Vorwegnahme im suspense jedoch aufregende Spannung bereitet. Vgl. Koschorke 1988, Kapitel „Lustangst – Angstlust“, 70-83. 263 Vgl. Williams 1995, 271. 264 Deleuze meint, dass der Masochist „seine Schuld keineswegs dem Vater gegenüber“, sondern „im Gegenteil die Vaterähnlichkeit [...] als zu sühnenden Makel erlebt.“ Deleuze 1980, 249. 265 Sacher-Masoch 2003, 15. 266 Ebd. 98, vgl. ebd. 67, vgl. 104; Böhme 2006, 410; vgl. Žižek 2008, 257. 267 Vgl. ebd. 67 und 104. 268 Böhme 2006, 410; vgl. Žižek 2008, 257. 84 Installation des Venus-im-Pelz-Dispositivs Wie geht der Masochist, dieser „Schlaukopf“269 nun also vor, sprich wie kann er über den Anderen, den er für seine Inszenierung braucht, einerseits verfügen, sich diesen aber auch andererseits aus Gründen seines Lusterhalts, der sich aus einer symbolischen Abwesenheit, einem Raum der Negativität speist, wirksam vom Leibe halten? Welchen Trick, welche Kulturtechnik wendet er an? Eine Antwort liegt in den Bildmedien und in der Bildkomposition, die die Venus im Pelz anbietet. Imaginäre Montage Noch bevor Severin und Wanda sich kennenlernen, ist das Idealbild der grausamen Frau voll entwickelt, war der Masochismus – wie Hartmut Böhme feststellt – doch bereits vor seiner Inszenierung für Severin in erster Linie ein „Bilderdienst“, „eine Collage ikonologisch vorgeprägter Muster“.270 Es erscheint zuerst in jenem gerade erwähnten Traum des unbekannten Ich-Erzählers, der sich wiederum auf das Gemälde „Venus mit dem Spiegel“ von Tizian bezieht und das Severin als Kopie besitzt. Das Bild sei nach Aussage Severins eine „gemalte Schmeichelei“, das „irgendeine vornehme Messaline“ zeigt, und erst später habe „irgendein ‚Kenner’ der Rokokozeit die Dame auf den Namen Venus im Pelz getauft“.271 Ein Jude hat ihm dieses Bild auch als Fotografie zugespielt. Wichtig ist, dass dieses „kleine Blatt“ Severins masochistisches Begehren, „das Bild meines Ideals“ inauguriert hat.272 Zudem gibt es 269 Zitat von Jacques Lacan in: Kaltenbeck 2003, 116. 270 Böhme 2003, 12. In diesem aufschlussreichen Text rekonstruiert Böhme u. a. den historisch- kulturtheoretischen Hintergrund zum klassischen Masochismus und der Venus im Pelz. Der Themenkomplex „Männlichkeit als Maskerade“ kommt auch in den modernen Varianten des Amphytrion-Stoffes von Jean Routrou, Molière oder Heinrich von Kleist vor. In diesen Theaterstücken wird die gesamte Dimension von männlichem Verführungsspiel, täuschenden Masken-Effekten, vom Verliebtsein in ein (Körper-)Bild, von göttlich-realer wie medialer Lust und nichtender Identität durchgespielt und verhandelt. Vgl. Stierle 1997, 33-74 und Mann 1969. 271 Sacher-Masoch 2003, 12. Auch Sade ist von Venus-Darstellungen italienischer Renaissance- Künstler geflasht, allerdings kann er in seiner Fantasie auf Pelze und andere Verhüllungen verzichten. Vgl. das Eingangszitat zu diesem ersten Kapitel und die SHORTBUS-Analyse am Ende dieser Arbeit. 272 Treut 1990, 131. 85 ein Porträt Wandas und Severins, das ein deutscher Maler während ihrer Reise bzw. tour de force in Italien angefertigt hat. Die Idee, sich in einer typisch masochistischen Positur verewigen zu lassen, kam Severin, als er Wanda und sich in einem Badezimmer-Spiegel erblickte. Da der beauftragte Maler nun ebenfalls ein glühender Masochist ist, hat er sich – quasi als Lohn – auch eine Kopie seines Gemäldes heimlich verschafft, auf der allerdings nur der Kopf Wandas zu sehen ist – Wandas restlicher Körper sowie Severin wurden somit ausgeblendet.273 Das Original schmückt nun ebenfalls Severins Stube und bildet das Gegenstück des falschen Tizians, welcher „im rothen Wiederschein des Kaminfeuers einen unbeschreiblichen Eindruck macht“.274 Auch in Wandas Schlafzimmer in ihrer florentinischen Villa leuchtet ein Deckengemälde, das nichts anderes als den Topos weiblicher Herrschsucht zeigt: Simson zu Delilas Füßen. Dann gibt es noch die Kopie einer Venus aus Stein, die sich im Park von Wandas und Severins Pension befindet und in die sich Severin bereits unglücklich verliebt hat, noch bevor die Fürstin selbst in Erscheinung tritt.275 Diese Fülle an Material,276 die sich noch fortzusetzen ließe in einer Art kleinen Kulturgeschichte der grausamen Frau, in die der literarisch gebildete Severin Wanda einführt,277 hat jedoch einen wesentlichen Mangel: Es sind Standbilder, tote Artefakte, prätentiöse Signifikanten eines bildungsbürgerlichen Wissens, denen noch Leben, d. h. Bewegung eingehaucht werden muss. „Der Kunst, die selbst ohne Bewegung ist, fällt es schwer, eine Handlung wiederzugeben, deren innerstes Wesen die Bewegung ist.“278 Diesem Manko begegnet Sacher-Masoch nicht nur – wie Böhme aufzeigt – mit einer „Art pikturaler Literatur, die in der performativen Umsetzung von Bildern und 273 Sacher-Masoch 2003, 116. 274 Ebd. 11. 275 Ebd. 15 f. 276 Vgl. zur Herkunft der „Kunstwerke, Dekors, Farben, Fetische“, also des „Material[s] der masochistischen Phantasie“: Treut 1990, 127-157; vgl. auch, wie erwähnt: Böhme 2003, Abschnitt „Bibliotheks-Effekte und Bilder-Masken bei Sacher-Masoch“, 9 ff. 277 Sacher-Masoch 2003, 37 f. Sacher-Masoch hat sich schon als Geschichtsdozent sehr intensiv mit Herrscherinnen an den europäischen Höfen befasst. (Vgl. Schlichtegroll 2003, 46.) Schon hier machte sich sein Fetisch bemerkbar, der ihm in seiner Forschung gewiss nicht immer hilfreich war. – Ein möglicher Grund, warum er seine Unikarriere aufgab? Vgl. Koschorke 1988, 34 ff., 38. 278 Deleuze 1980, 221. 86 Ikonen besteht“,279 sondern auch damit, dass Sacher-Masoch diese Bilder im Verlauf der Novelle auf wirkliche Personen und Objekte projiziert. Zudem erinnert diese Literatur in ihrer szenenartigen Aufteilung und hervorgehobenen Dialogstruktur schon sehr verdächtig an ein Drehbuch. Es kommt dann auch nicht von ungefähr, dass Wanda ganz im Sinne des bereits schon erwähnten auratischen Gespenstes eingeführt wird. Severin: „Ich kann auf den Balkon hinauf sehen. Manchmal sehe ich auch wirklich hinauf und dann schimmert von Zeit zu Zeit ein weißes Gewand zwischen dem dichten, grünen Netz [aus Schlingpflanzen].“280 Wandas halluzinierte Körper-Gestalt – ebenso wie die Statue – zeigt sich als Leinwand, „weiß wie Stein, vom Mondlicht beglänzt“,281 auf der sich dann die Einzelbilder bzw. Bildelemente der bereits bekannten malerischen Darstellungen und die Fotografie der Venus optisch überlagern und als einheitliches, totales Bewegungsbild funktionieren. „The subjectivity of the other [i. e. Wanda] has to be a nothingness that can present itself as totality.“282 Obwohl hier reichlich Bildmaterial adaptiert wird und Severins Projektion eine hohe Informationsdichte aufweist, ist das entstehende Bild Wandas – gerade in seiner verführerischen Anziehungskraft und Dynamik – doch nur ein leerer Signifikant, ein glänzender medialer Schein, der von Anfang an einen „Als-Ob“-Status283 besitzt und sich bei genauerem Hinsehen als „eigentümlich farblos, durchsichtig und substanzlos“ entpuppt:284 ein medienspiritistisches Gespenst erregter Fantasie, dessen Anwesenheit im Raum des Imaginären nicht zu leugnen ist. Dies entspricht im gewissen Sinne auch der Fadheit der Sadeschen Körper. Diese werden nach bestimmten sexuellen Reizen – die jedoch gemäß der Vorlieben der Libertins verschieden sind – ausgewählt und markiert; ihre Funktion offenbart sich in einem metonymischen Aneinanderreihen, in ihrer Kombinatorik, und nicht in einer 279 Böhme 2003, 17. 280 Sacher-Masoch 2003, 15. 281 Ebd. 16. 282 Mansfield 1997, 7. 283 Vgl. zur Herleitung dieser „fiktiven Als-ob-Sphäre“ bei Hans Vaihinger und Wilhelm Stekel: Böhme 2006, 414. 284 Treut 1990, 168. 87 normierenden optischen Prozedur, die auf die Übertragung eines (positiven) Signifikateffekts setzt und demnach eine metaphorische Dimension in sich birgt. Trotz dieser wichtigen Unterschiede sind und bleiben die instrumentalisierten, die projizierten und maschinell in Stellung gebrachten Körper in den Werken beider Autoren nur austauschbare Objekte, mit denen der Zugang zum erhofftem Realen, zum Genießen eröffnet werden soll: Sade sucht dieses u. a. im Fleisch seiner Opfer, Sacher-Maosch in der virtuellen Repräsentation der einen grausamen Frau. Wo die Sadesche Operation dem sexuellen Begehren in seinen vielgestaltigen (Artikulations- )Formen, seiner Omnipotenz, auf den Grund und noch tiefer gehen möchte – und zwar solange, bis irgendwann nur noch entstellte oder zerstückelte Körper auf dem Seziertisch bzw. der Schlachtbank der Orgie zurück bleiben, soll in Sacher-Masochs Lustspiel das aus Einzelbildern und Objekten animierte Körperbild der Venus-Statue bis in alle Ewigkeit auf einem Grund leuchten, es soll – wie noch erläutert wird – in einem Bild wieder zum Stillstand gebracht bzw. eingefroren werden. Hier zeigt sich die starke Affinität zur Kunst (der Camouflage) und zu (technischer) Bildlichkeit, die in der Sadeschen Orgie zumindest in dem Sinne keine Rolle spielt, als sie nicht im Geschehen selbst, in der gemachten Prozedur, in irgendeiner Form präsent sein muss. Trotzdem lässt sich, wie Monika Treut betont, in Sades Praktiken eine Medialität, eine „körperliche Maschinerie“, beobachten, „die nicht mehr durch gesellschaftliche Bedeutungssysteme verkleidet wird“, sondern sich in grotesk-fantastischen „Zusammenschlüssen und Abkopplungen“ auf Partialorganebene ereignet und sich dergestalt dem reinen Begehren annähert.285 Bereits im klassischen Masochismus wurden also zu viele Bilder übereinander gelagert und vereinheitlicht, zu viele Informationen auf ein fixes Signifikat 285 Vgl. Treut 1990, 74, Fußnote 157. In dieser Fußnote argumentiert sie mit Deleuzes und Guattaris philosophisch-psychoanalytischem Konzept der Wunschmaschinen, deren subversiv-produktive Sprengkraft die Autoren hervorheben und die sie bereits mit dem Begriff der Dysfunktion lesen. D. h. Wunschmaschinen machen aus der Funktion Dysfunktion und umgekehrt, was sich in gleichzeitiger Produktion und Antiproduktion, Konnexion und Disjunktion (vgl. Deleuze und Guattari 1977, 370), Koordination und Kastration (vgl. Žižek 2005, 125 f.) ereignet. Diese Konzeption wird in dem nachfolgenden Punkt noch weiter ausgeführt; auch im 2. Kapitel: vgl. den Anfang und vor allem den Punkt „Das Objekt a“ (Gestörte Wunschmaschinen). 88 ausgerichtet. In dieser für die Masochsche Fantasie so typischen (Über-)Blendung, die auf ein ‚reines’ – realiter pervers-deformiertes, entleertes und deswegen in seiner Wirkung fantasmatisches – Zeichen zielt, manifestieren sich bereits grundlegende bildtheoretische Erkenntnisse: „Sichtbarkeit ist keine Qualität des Gegebenen, sondern ein Selektionsprodukt; sie setzt Techniken der Entlastung von der Bilderflut des optisch Möglichen voraus. Es gibt deshalb eine kritische Schwelle, jenseits derer Mehr an Information nicht mehr informativ sondern phantasmagorisch wirkt. Die Bilderflut funktioniert dann als verdecktes Zeigen: ein verhüllender Bild-Schirm, dem gegenüber keine kritische oder ironische Distanz mehr möglich ist.“286 Bild-Schirme Michael Wetzel argumentiert mit Louis Marin, „daß der Status des Bildes doch ein sekundärer, defizitärer gegenüber dem Abgebildeten, dem Original des Dings oder des Sachgehalts sei. Aber Marin zeigt in der Folge, daß die Macht des Bildes gerade aus dieser Schwäche erwächst:287 Es ist nicht, wie Kracauer meinte, Errettung der 286 Bolz 1992, 104. Dass hier keine „ironische Distanz mehr möglich ist“, scheint zuindest in Bezug auf den klassischen Masochismus und dessen Bildkonstrukt der grausamen Frau nicht zu stimmen, immerhin gibt es bis zum fatalen Ende der Novelle Venus im Pelz viel zu schmunzeln; trotz zunehmender Gewaltintensität ist das Spiel von einem subtilen Humor geprägt. Aber auch in Bezug auf das gegenwartige Umfeld optischer Medien möchte ich Bolz’ Aussage anzweifeln. Dass noch reichlich Ironie vorhanden ist, beweisen u. a. die FALSCHER BEKENNER- und vor allem die SHORTBUS- Analyse in der vorliegenden Arbeit. (Ein signifikantens Merkmal der Post- bzw. Spätmodene ist doch gerade deren omnipräsente Ironie: quasi eine Grundhaltung, die medial erzeugt ist und sicherlich auch kritisch zu bewerten ist.) 287 Wetzel 1993, 334. Eine Schwäche, die also immer auch ein Vorteil ist: Denn ein Bild mit hoher Wirkungskraft ist laut Régis Debray sehr ökonomisch, weil es langer Ausführungen und Erklärungen gar nicht erst bedarf. Das abgekürzte Sehen ist daher praktisch und einprägsam, aber auch gefährlich. Denn die „amouröse Macht“ des Bildes verführt und blendet – was gerade auf die Konstruktion der ‚Venus im Pelz’ zutrifft. Um dieser Macht nicht zu verfallen, muss sie immer auch gezähmt werden. Besonders dann, wenn das libidinöse Potential des Bildes als Werkzeug der Verbreitung dienen soll. Das Bild ist destrukturierend im Gegensatz zur strukturstiftenden Sprache. Bilderwelt und Vorstellungswelt ergänzen sich gegenseitig. – „Traum, Phantasma und Lust verleihen dem 89 äußeren Wirklichkeit, sondern die Errettung vor der äußeren Wirklickeit, was mit dem Bild ins Spiel kommt.“ Vor allem das Dispositiv des technischen Bildschirms „im Übergang vom Film zum Fernsehen“ – ein Dispositiv, das jedoch bereits auf dem imaginären Schirm der abendländischen Einbildungskraft seit der Zentralperspektive entwickelt und nachfolgend mit der Camera obscura implementiert worden ist –, verspreche laut Wetzel nicht nur „den Schutz des Bildträgers vor äußeren Zugriffen, sondern auch die Abschirmung des Betrachters vor den Einflüssen der materiellen Wirklichkeit“.288 Diese Schutzvorkehrung, eine Art optisches Kondom, bestimmt ganz wesentlich die visuelle Wahrnehmung eines jeden modernen Bewusstseins und ist in dieser doppelten Eigenschaft für den Masochismus höchst signifikant, kann mit diesem doch eine Strategie verfolgt werden, die „äußeren Zugriffe“ über einen Schirm zu manipulieren und zu regeln. Auf disese Weise wird es möglich, dass „das moderne sehende Subjekt durch den Blick der technischen Sehgeräte den anderen ab[bildet]; zugleich hält es sich den anderen durch das Bild ‚vom Leibe’. Dabei nimmt das Wort ‚Bild’ eine andere Bedeutung an: Es beinhaltet die Verwandlung des anderen in einen abgespaltenen Teil des Selbst“.289 Auch bei Sade gibt es diesen Schutzschirm, der die heimlichen Orte (wie Schlösser, Boudoirs, Salons, Kerker, Verliese etc.) umgibt und gleichsam abschottet. Der gegenständlichen Bild ewas Üppiges, Schmackhaftes, das sich wie eine Brust saugen lässt und uns in die Kindheit zurückversetzt. Eine dionysische Kraft, hätte man vor einem Jahrhundert gesagt. Cocooning und vor dem Fernseher kuscheln sagt man heute.“ Zudem können in bildhaften Darstellungen keine Gegensätze eindeutig angezeigt werden. Auch Verneinungen fehlen. Das Bild hat zudem keinen Zugang zu den syntagmatischen Elementen des Ausschlusses (entweder – oder) und der Hypothese (wenn – dann), genausowenig zu denen der Unterordnung, des Verhältnisses von Ursache und Wirkung und des Widerspruches. „Die Implikationen einer sozialen oder diplomatischen Verhandlung – die aufs Ganze sein Existenzrecht ausmachen – sind für das Bild Abstraktionen.“ Es besitzt nur eine einzige Darstellungsebene der Wirklichkeit, ohne die Möglichkeit des Ausweichens auf eine Metaebene. Das Denken in Bildern ist nicht unlogisch, sondern alogisch. – „Das Bild gleicht einem Mosaik ohne das mehrstöckige Relief einer Syntax.“ So hat das Bild auch keine Möglichkeit, Zeit anzuzeigen. Man kann durch die fortwährende Präsenz des Bildes immer nur sein Zeitgenosse sein, nicht nach ihm oder vor ihm. Begriffe wie Dauer, Wunsch, Wiederholung, nahe Zukunft oder Vergangenheit finden keine direkte visuelle Entsprechung. Vgl. Debray 1999, 56, 92, 340, 341. 288 Wetzel 1994, 334. Wie der Blick durch einen Schirm geht, zeigt Lacan in einem Dreieckschema in: Lacan 1987, 97. 289 Vgl. von Braun 2001, 224. 90 Kontakt zur Außenwelt ist – im Gegensatz zum semipermeablen Schirm des Masochisten – unterbrochen. Die Kommunikation findet nur im Innern statt, sie entspricht der Befehlssprache des Libertins und ist durchweg obszön. Sie ist in einem rein informationstechnischen Sinne aber auch sehr effizient, da sie den Störungen bzw. der Kakophonie und Rauschen des Anderen – der Welt da draußen – entgeht. Die Sadesche Abschirmung verhindert auch die Flucht aus bzw. den Zugang zu den Orten des Verbrechens. Albrecht Koschorke entdeckt in Sacher-Masochs Literatur generell eine Vorgehensweise, die das Bewusstsein vor bestimmten Einflüssen schützen soll: „Seine Ästhetik ist paradox: das Schreiben, das die beständige Gefahr der Langeweile, das Defizit an Leben registriert, greift nach der nackten und blutigen Wirklichkeit aus, aber nur indem es sich durch ein Gitter literarischer Vorstanzungen und Abfertigungstechniken gegen ihren unmittelbaren Zugriff auf das Bewusstsein feit.“290 Diese trennende Schutzfunktion ist bereits in der räumlichen Ordnung am Anfang von Severins traumartiger Erzählung gegeben: In seiner „traulichen Gaisblattlaube“, die sich gegenüber seiner Pension in einem „kleinen Karpathenbade“ befindet, liegt er im Fenster und schaut in die reizvolle Natur oder auf das einsame Gebäude. Severin: „Man sieht Niemand und wird von Niemand gesehen.“ Eine seiner Sichtachsen bildet also der Blick hinauf zum Balkon, auf der sich Wanda als Leinwand-Gestalt zeigt. Die eigentliche Transformation spielt sich im Raum dazwischen ab, „in einer Art Park, oder Wald, oder Wildnis, wie man es nennen will“.291 Die angehimmelte Venus- Statue, die Severin eines Nachts in diesem Park umcruist, wird – wie beschrieben – im Geiste zum Leben erweckt. „[D]a war’s mir, als hätte sich das schöne Marmorweib meiner erbarmt und sei lebendig geworden und mir gefolgt“292 In einer 290 Koschorke 1988, 12. Castoriadis spricht von „semantischen Rastern, die der Wirklichkeit übergeworfen sind“. (Ders. 1983, 111.) Vgl. zu Gitterstrukturen in der Theorie Kittlers: Ders. 1986, 21 f. und in der Filmästhetik Josef von Sternbergs: den Nachtrag zu diesem Kapitel. Vgl. (im weiteren Sinne) zum Netzwerkbegriff auch: Böhme 2004. 291 Sacher-Masoch 2003, 15. 292 Ebd. 16. 91 nachfolgenden nächtlichen Szene wird die imaginäre pygmaliontische Prozedur293 fortgesetzt, es heißt: „Ja sie ist mir lebendig geworden, wie jene Statue, die für ihren Meister zu athmen begann, zwar ist das Wunder erst halb vollbracht.“294 Dennoch weiß man nicht so recht, ob Wanda wirklich anwesend ist oder ob es sich nur um die erhitzte Fantasie Severins handelt. Vorauseilende Kino-Effekte? Ist es möglich, dass in Severins tranceartigem Schweben zwischen Fantasie und Wirklichkeit schon so etwas wie ein Film läuft, dessen Tiefenschärfe noch justiert werden muss? Die zwei wesentlichen Elemente der Filmprojektion bzw. - wahrnehmung sind in dieser nächtlichen Szene meiner Meinung nach schon vorhanden, erscheinen quasi als literarisches Äquivalent vor ihrer Implementierung in einem Kinematografen und sind damit eine Antizipation des Kinos: nämlich der Stroboskop- und der Nachbildeffekt.295 Beide Effekte sind bereits vor der Erfindung des Kinos entdeckt und erforscht worden und funktionieren daher auch völlig unabhängig von diesem.296 Ersterer ist psychologischer Natur und bedeutet die Aufnahme eines Gegenstandes bzw. einer Bewegung innerhalb einer Bildsequenz mit mindestens zwei Einzelbildern. Michael Faraday (1791-1867) hat diesen in der optischen Täuschung von bewegten Zahnrädern erkannt und erforscht. Die Bewegungsillusion entsteht im Auge bei der periodischen Zerhackung von nacheinander ablaufenden bzw. ebenfalls periodisch geschalteten Bildern. – „[V]on ihren Schultern fließt der dunkle Pelz – aber ihre Lippen sind schon roth und ihre Wangen färben sich, und aus ihren Augen treffen mich zwei diabolische, grüne Strahlen und jetzt lacht sie.“297 Zwei buchstäbliche 293 Vgl. Böhme 2006, 395 und 2003, 14 f. 294 Sacher-Masoch 2003, 19. 295 Vgl. Kittler 2002 (a), 201 ff. 296 Die klassische Wechselstromglühbirne illustriert seit 1890 den Stroboskopeffekt: sie oszilliert 50 bis 60 Mal pro Sekunde, zerlegt die von ihr angestrahlten Objekte in Einzelbilder und erzeugt gleichsam eine kontinuierliche, aber nicht wahrnehmbare Bewegung. Vgl. Kittler 1986, 187. 297 Sacher-Masoch 2003, 19. 92 Stand-Bilder (Marmor-Statue und weißes Gewand) haben sich in Severins Imagination zu einer lebendigen Gestalt mit bewegten Gesichtszügen verbunden, auf der gleichsam Partialobjekte und -organe erscheinen, die die hervorstechenden Fixpunkte in dieser Bildfusion darstellen und dabei einen unbeschreiblich erotischen und vor allem nachhaltigen Eindruck auf Severin machen. (Hier kommt auch schon der Nachbildeffekt zum Zuge, der gleich erklärt wird.) Dieser Vorgang lässt sich mit der Bildaufnahme innerhalb der Ich-Genese und - Entwicklung, die Mikkel Borch-Jacobson sehr anschaulich mit Lacans Theorie des Imaginären beschrieben hat, vergleichen. Gerade die Bedeutung des Standbildes, der Gestalt und der Statue – Begriffe, die auf den anfänglichen und letztendlich unüberwindbaren Objektstatus des ([Selbst-]Bewusst-)Seins rekurrieren – werden in diesem Zusammenhang herausgearbeitet. „Das Ich ist ein Objekt. [...] Dieses Objekt wird immer ein falsches sein, ein Lerchenfangspiegel, eine ‚Ich-Attrappe’, in welcher er seinem eigenen Bild nachjagt: ‚ein heteroklites (bunt zusammengestücktes) Mannequin, eine barocke Puppe, eine Gliedertrophäe, in der es das narzißtische Objekt zu erkennen gilt, dessen Entstehung wir [...] dargestellt haben: sie wird dadurch bedingt, daß beim Menschen die imaginären Körpergestalten der Beherrschung des eigenen Körpers vorausgehen und daß das Subjekt diesen Gestalten eine Abwehrfunktion gegen die Angst vor vitaler Zerissenheit gibt, wie sie die Folge der Prämaturation ist. (Lacan, Schr.III,69)’“298 Die Objektgenese im Spiegelstadium lässt sich als eine „Collage ikonologisch vorgeprägte(r) Muster“299 beschreiben, die, wenn sie sich später in einem zweiten Schritt auf weitere Objekte oder Personen projiziert, den symbolischen Phallus konstituiert und somit wahnehmbar wird. Die Angst (besonders vor Lust-Verlust) ist bei dieser Projektion weiterhin das wichtigste Antriebsmoment, sodass die Abwehrfunktion voll erhalten bleibt. Kritisch zu sehen ist die weibliche Codierung („Mannequin“) der narzisstischen Objektkonstitution im Spiegel, die Lacan hier wie selbstverständlich ins Spiel bringt. Auch wenn – wie mit Yvonne Volkarts Ausführungen über „Die Technofrau als Mythos der Maschine“ gezeigt wurde – es (medien-)historisch belegt ist, dass in der Moderne Frauen (bzw. ihre Körper) gern dazu instrumentalisiert werden, männlichen Ängsten und 298 Vgl. Mikkel Borch-Jacobsen, 1999, Kapitel 2 „Der Statuenmann“, 55-84, Zitat hier 62. 299 Vgl. Böhme 2003, 12. 93 Unsicherheiten entgegen zu wirken und vorzubeugen (z. B. indem sie naturalisiert bzw. auf technische [Sex-]Objekte reduziert werden), heißt dies noch lange nicht, dass man aus derartigen heterosexuell-männlichen Fetischisierungen universale gender- Wahrheiten ableiten kann. Hier widerspricht Lacan seiner eigenen Theorie der Ich-Bildung, denn auf dem anfänglichen Niveau von vagen Körpergestalten und Phantomen sind eindeutige Symbole der Geschlechtlichkeit (im Sinne von gender) kaum auszumachen, schon gar nicht in der Wahrnehmung des Säuglings und Kleinkindes. Diese kommen erst nachträglich – in der Operation Ödipus, in der Annahme des Gesetzes im-Namen-des- Vaters bzw. im Eingriff der geschlechterbildenden Funktion des Phallus(- Signifikanten) – zur Geltung. Im Spiegelstadium werden sie nur vorbereitet/formatiert, hier eröffnet sich die in die Zukunft gerichtete Möglichkeit, einen Platz im Symbolischen, das heißt u. a. in der Geschlechterordnung überhaupt einnehmen zu können. Vgl. dazu auch Hartmut Böhmes Kritik an Lacans besonderer – um nicht zu sagen chauvinistisch gefärbter – Lesart des Phallus, in der es einmal mehr um äußerst problematische weibliche gender-Zuschreibungen und -Masken geht.300 Erstaunlich ist, dass Lacan solche „männliche[n] Phantasie[n]“ an anderer Stelle – wie etwa in Freuds fragwürdiger Rede über den quasi-natürlichen „weiblichen Masochismus“ durchaus erkennt und auch kritisch betrachtet. Diese gehörten, so Lacan, in einer „ernsthaften Untersuchung in die Klammer gesetzt“.301 Das männliche Fantasma als (phallische) Stütze im Geschlechterverhältnis hat Lacan in seinem späten Seminar XX eindeutig benannt und sogar – zu Recht – mit der Perversion korreliert.302 An anderer Stelle bezeichnet er das „männliche Geschlecht als das schwache Geschlecht hinsichtlich der Perversion“.303 Dass die Fetischisierung von 300 Böhme 2006, Punkt 8.2. im 4. Kapitel „Lacan und der Phallus – mit einem Exkurs zum primordialen Mord“, 422-434 und weitere Bespiele für Lacans Misogynie: Lacan 2003, 80, 127. 301 Vgl. Lacan 1987, 202. 302 Vgl. Lacan 1991 (b), 94. 303 Lacan 1986 (b), 200. Es gibt neben all dem aufregenden Neuen auch eklatante Brüche und sogar Widersprüche in Lacans Werk – vor allem zwischen dem Früh- und Spätwerk, die „[d]er absolute Herr und Meister“ (Borch-Jacobsen 1999, Buchtitel) nonchalant übergeht. „Lacan selber diskutiert seine Positionswechsel nie. Er stellt das Neue dar, ohne den mindesten Versuch zu machen, es neben das 94 Körperoberflächen – z. B. durch modische Kleidung – gewiss kein reines Frauenphänomen ist, wie es sich Freud noch vorstellte,304 sondern genauso auf Männer zutrifft, hat Jacques Lacan mit seinen edlen und extravaganten couturier- outfits am eigenen Leib vorgeführt. Dabei hat er es nicht versäumt, masochistische Akzente zu setzen: „Auf den schmalen Schultern Lacans [...] ein riesiger brauner Pelzmantel [...] aus der letzten Damenmodenkollektion.“305 Wo sich bei Sade in einem tableau vivant kopulierende Körper quasi feinmechanisch zu bewegen beginnen und diese Dynamik das Begehren selbst ist, zeigt sich eine Fluidität leuchtender Partialobjekte und -organe bei Sacher-Masosch, auf die das Begehren in Stellvertreter-Funktion übertragen wird. Diese Fließbewegung ist für den Masochisten ganz elementar, offenbart(e) sich in dieser doch zum ersten Mal sein Fetisch-Objekt. Hartmut Böhme erklärt dies an Hand der rhetorischen Figur der Synekdoché, mit der schon in der US-amerikanischen Forschung Erkenntnisse über Bild- und Sprachformen des Fetischs gewonnen wurden: „Die fetischistische Alte zu stellen, das er aufgibt; wenn das Alte sichtbar wird, dann nur aus der Perspektive des Neuen.“ Waltz 2001, 108. 304 Vgl. Böhme 2006, 404 f. 305 Kittler 2004, 122. Vgl. zu Lacans Modefetisch auch Bitsch 2000, 258-260. Merkwürdigerweise erwähnt Annette Bitsch in ihrem Text nicht Lacans auffällige Pelz-Garderobe, obwohl von dieser sogar Fotografien existieren. – In den folgenden Kapiteln werde ich mich noch einmal auf Lacans Theorie des Imaginären konzentrieren, weil in ihr – ähnlich wie in der Installation der ‚Venus im Pelz’ – Strukturelemente der Identitätsbildung (wie das Ideal-Ich), die in ihrer Funktion und Wirkung auch als sadomasochistisch beschrieben werden können, erscheinen. Dabei geht es um die Herausbildung von virtuellen ‚Organen’ bzw. Prothesen im Spiegelstadium. 95 Synekdoché bezeichnet den Mechanismus durch welchen die first-encounter-scene, welche den Fetischisten mit seinem Objekt verschweißt, ins Fließen gebracht wird. Dadurch entsteht, worauf alles ankommt, eine ununterbrochen sich transformierende Zirkulation einer irgendwie heiligen Substanz – das Mana, das Orenda, das Göttliche, die toten Ahnen, das begehrte Objekt, das verehrte Idol. Wichtig ist dabei die Kompromissfigur. Sie markiert ebenso die Abwesenheit des Initialobjekts, das oft der Amnesie unterliegt, wie sie zugleich das Abwesende als Deckerinnerung, in eine seriell verlängerte Präsenz zwingt“.306 Die Fluidität dieses Objekts und Szenarios wird zudem in der Maso-performance durch den Einsatz der Peitsche verstärkt, quasi ein Strobo-Effekt, zu dem sich auch die auditive Dimension gesellt und hervortritt. Der Nachbildeffekt ist demgegenüber physiologisch bedingt und in seiner negativen Form als länger anhaltende, von einer Lichtquelle hervorgerufene Erscheinung durch Erregung der Netzhaut zu verstehen. In seiner positiven Form wird er durch die Bewegung eines Lichtkörpers durch Ermüdung der Netzhaut hervorgerufen. Er geht also auf die Erregbarkeit und Trägheit der Nervenfasern im Auge zurück. Ein Gegenstand wird auch dann noch an der Stelle seiner Erscheinung gesehen, wenn dieser bereits verschoben wurde. Für die Filmprojektion bzw. die Imagination heißt dies, dass der Übergang zwischen den Einzelbildern nicht ins Bewusstsein vordringt, er operiert als/in der Täuschung und zeitigt paranoische Reaktionen: – Severin: „Sie verfolgt mich durch die düsteren Laubengänge, über die hellen Rasenplätze, in das Dickicht, durch das nur einzelne Mondstrahlen brechen, ich finde den Weg nicht mehr, ich irre umher, kalte Tropfen perlen mir auf die Stirne.“307 Diese zumindest in ihrer Wirkung schon sehr kinematografisch anmutende Animation bzw. Psychodynamik, in der sich auf der inhaltlichen Ebene Teile des Venus-Kults bzw. 306 Vgl. Böhme 2006, 394. Wie sich die Figur der fetischistischen Synekdoché nicht nur auf die Genese der ‚Venus im Pelz’ bzw. des Pelzes mit Venus drin anwenden lässt, sondern auch als räumliches (Oberflächen-)Modell – als Naturbild in der Ästhetik Sacher-Masochs – lesbar wird, vgl. 114 f. und 138 ff. in dieser Arbeit, und auch die (möglichen) materialistischen bzw. medientechnischen Voraussetzungen für dieses Bild 191 ff. 307 Sacher-Masoch 2003, 19. In einem tief verschneiten Irrgarten bei klirrender Kälte endet Stanley Kubricks SHINING (1979), um damit das abgründige Labyrinth, das Wahnsystem bzw. die tödliche Sackgasse, in die sich der Protagonist Jack Torrance (Jack Nicholson) unrettbar verstrickt hat, zu illustrieren. 96 verschiedene ‚grausame Frauen’ aus unterschiedlichen Zeitaltern und Zusammenhängen mischen,308 bewirkt in Severins Bewusstsein jenes Total-Bild der einen grausamen Frau, die es realiter nicht gibt und deren Wahrheitsgehalt daher höchst zweifelhaft erscheint, sind die Ausgangsbilder doch selbst schon Kopien gewesen.309 Gerade dieses Vermögen, alle historischen und individuellen Unterschiede der vielen ‚grausamen Frauen’ in einem Ideal-Bild zu fixieren und damit auch zu nivellieren, sehen Sacher-Masoch und Severin jedoch nicht als Defizit, sondern als etwas Positives, als Gabe einer (Über-)Sinnlichkeit. Sie glauben eine besondere Wahrnehmung zu haben, dabei handelt es sich nur um einen technisch induzierten, Bild- und halluzinativen Bewusstseinseffekt, der schon in den wissenschaftlichen Experimentalanordnungen und optischen Medien zu Lebzeiten Sacher-Masochs implementiert war und den der Autor auch sehr genau mit literarischen Mitteln in der Anordnung seines Venus-im-Pelz-Dispositivs wiedergibt.310 Dieses Dispositiv zeigt – wie Michael Wetzel in seinem Aufsatz über Verführerische Bilder (mit anderen Beispielen) postuliert –, dass die „Wahrheit der [technisch reproduzierten (Anmerkung S. P.)] Bilder nur eine der modernen Masken eines Willens zu Lust und Macht ist“, das heißt, dass es eine Leerstelle formatiert und aufrechterhält, die für die masochistische Lust, das Maskenspiel, entscheidend ist. Überhaupt könne man die abendländische Geschichte der Einbildungskraft bzw. des Sehens in ihrem strukturalen Funktionieren laut Wetzel als „Substitution“ und/oder als „Supplement“ verstehen.311 Die Substitution im klassischen Masochismus ist also die Bildfusion aus unzähligen ‚grausamen’ bzw. mächtigen Frauen, aus der ein neues, genormtes Bild 308 So ist es laut Monika Treut kein Wunder, dass im weiteren Verlauf der Erzählung Aphrodite und Katharina II., Cleopatra und Manon l’Escault, Judith und Lola Montez gemeinsam auftreten können. Vgl. Treut 1990, 166. 309 Vgl. Böhme 2003, 14. 310 Auch die Methode der Kompositporträts von 1883 umfasst eine nivellierende Überblendung unterschiedlicher Gesichter. Mit ihr wurde es nicht nur möglich, prototypische (d. h. fetischistisch- irreführende) Verbrecher- und Kranken-Visagen zu erzeugen, sondern auch rassistische und sexistische Vorstellungen, wie sie in der männlichen (Natur-)Wissenschaft des 19. Jahrhunderts weit verbreitet waren, zu festigen. Solche fehlgeleiteten Vorstellungen und Vorurteile projizierten sich vor allem auf den weiblichen Körper. Vgl. dazu Annegret Friedrichs Anmerkungen in: dies. 1997, 164-181. 311 Vgl. Wetzel 1994, 335 ff. 97 bzw. kanalisiertes Begehren hervorgeht, aber eben kein neues ‚Leben’. Das Supplement, welches das ästhetisch Neuartige darstellt, erweist sich hier als fließendes Partialobjekt bzw. -organ.312 „So wie der Roman aus der Zeugung von Bildern aus Bildern in immer neuen medialen Übersetzungen entsteht, so ist alles, auch die Figuren, Surrogat, Supplement, Kopie, Stellvertreter, Maske oder Zitat.“313 Vor diesem bildtheoretischen Hintergrund, der nicht mehr auszumachenden Differenz zwischen Original und Kopie,314 entsteht auf Seiten des Subjekts eine Überschuss- 312 Vgl. auch Iser 1991, 410 f. 313 Böhme 2003, 14. „Was den Signifikanten charakterisiert, ist nicht, daß er ein Objekt [...] ersetzen kann, sondern, dass er sein eigenes Substitut werden kann, welches eine Verkettung voraussetzt, [und] ein Gesetz, das die Signifikanten ordnet.“ Lacan 1958, 258. Übersetzung von Annette Bitsch (auf einer Kopie). 314 Gleichsam korrespondiert dieser Unentscheidbarkeit die bewusstseinsimmanente, paranoisch oszillierende Bewegung zwischen zwei Bildern, die den Blick (über-)formt und die keine Hierachisierung, keine ursprüngliche Kausalbeziehung zwischen Ur- und Abbild bzw. Ur- und Sache mehr zulässt. Annette Bitsch erwähnt diesen wichtigen Aspekt mehrmals in ihrer Genealogie des Unbewussten, die mit Diskrete Gespenster betitelt ist. (Vgl. Bitsch 2009, 10 f., 110 ff., 155, 490; vgl. McLuhan 1995, 435; Derrida 2004, 131, Iser 1991, 407 und auch Adamowsky 2000, 224: „Die spielerische Dramatisierung kulturspezifischer Skripts und Phantasiemotive behält sich [...] das letzte Ende vor, um in einem schwebenden Zustand dauerhafter Unentscheidbarkeit zu verweilen.“) Es ist also ein Bewusstseinseffekt, ein Spiel des Ich, das bzw. der diese Unentscheidbarkeit, dieses vermeintlich Unergründliche bzw. Grundlose im Bild der Frau und anderswo auf den Plan ruft. Auch Friedrich Nietzsches Frauenbild ist in dieser Hinsicht – auch wenn es seiner Zeit voraus ist – nicht frei von gewissen Vorurteilen: „Nietzsches Weib ist wild, veränderlich, verführend, und ihr Arkanum liegt im Spiel mit dem Schein des Unergründlichen. [Sic! – Für dieses Spiel (und andere) sorgten eben nicht Frauen selbst, sondern zu Nietzsches Lebzeiten noch (masochistische) Männer und ihre Medien! (Anmerkung S. P.)] Das Weib gibt es so wenig wie Die Wahrheit. ‚Vielleicht ist die Wahrheit ein Weib, das Gründe hat, ihre Gründe nicht sehen zu lassen?’“ (Vgl. Bolz 1992, 75 und Originalzitat von Nietzsche 1980, 352. Vgl. auch Deuber-Mankowksy 2007, 133-140.) Auch Severin siniert während einer Bahnreise „über die Räthsel des menschlichen Daseins [...] und über das größte dieser Räthsel – das Weib.“ (Vgl. Sacher-Masoch 2003, 61.) Ebenso attestiert Freud ‚dem’ Weib Rätselhaftigkeit, indem er fragt: „Was will das Weib?“ – und in seinem Leben keine befriedigende Antwort mehr darauf erhielt. (Vgl. Seifert 1987.) Dieses ‚Problem’, das im Kern ein medientheoretisches ist, konnte erst mit postmodernem Differenzdenken – eben u. a. mit Derridas différance (der Schriftlichkeit) oder Lacans 98 Produktion, ein visueller Exzess, der das „Phantombild des Begehrens seines Betrachters“ evoziert. Da dieses Bild also nicht einfach nur der künstlich hergestellte „Widerschein des Realen“, sondern, wie es die lebendig gewordene Venus-Statue zeigt, eine mit Begehren aufgeladene Wunschprojektion des Betrachters bzw. ein diskretes Gespenst ist, wird es, wie gesagt, äußerst fraglich, ob Wanda überhaupt real existiert, zumindest hat sie wahrscheinlich nicht viel mit dem gemeinsam, was Severin in ihr zu sehen glaubt.315 „Die gefühlsneutrale masochistische Lust hat die Eigenschaften eines Serienfabrikats, sie ist im Prinzip unabhängig von bestimmten Personen oder Umständen und jederzeit technisch reproduzierbar.“316 Auch die starke Fixierung auf die Supplemente, Partialobjekte und Fetische, die im masochistischen Szenario in Großaufnahme herangezoomt werden, lassen Skepsis aufkommen, ob es wirklich um eine bestimmte Person bzw. ganze Persönlichkeit geht, zumindest rückt diese in den Hintergrund. Der Masochist bzw. Voyeur „wird sich [...] irgendeine magische Präsenz zusammenphantasieren, das Zierlichste aller Mädchen, selbst dann, wenn auf der anderen Seite [der Schatten hinterm Vorhang (steht vorher so im Text; Anmerkung S. P.)] nur ein behaarter Athlet ist.“317 „Je perfektionierter daher der technische Vorgang der Bildproduktion abläuft, desto größer ist der Lustgewinn an den Bildwelten, die – durch die Mechanisierung machineller Reproduktion vom Legitimationsdruck künstlicher Nachahmung befreit – zum quasi-authentischen Ersatz werden. Was das Bild im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit aufheizt, ist gerade der objektivistische Lustaspekt seiner Täuschung, und die vom Unbewußtem, ja – im außermoralischen Sinne – Unmenschlichem getragene Einsicht zeigt, daß der vorgeblich dokumentarische Wille zur Wahrheit der Bilder nur eine der modernen Masken eines Willens zu Lust und Macht ist, ‚die vollkommene Befriedigung unseres Hungers nach Illusion durch einen mechanischen Reproduktionsprozeß, in dem der Mensch keine Rolle spielt’; denn so belegt André Bazin seine postnietzscheanische Medienanalyse am transitorischen (kybernetischer) Signifikanten-Theorie gelöst werden, indem dieses Wissen in die gender-Forschung einer Kristeva, Irigaray, Seifert u. a. einging und transformiert wurde. 315 Vgl. Wetzel 1994, 335. 316 Koschorke 1988. 317 Lacan 1987, 191. 99 Beispiel der Photografie: ‚Die Fotografie fügt der natürlichen Schöpfung tatsächlich etwas hinzu, anstatt sie durch eine andere zu ersetzen.’ Dieser Logik der Substitution oder des Supplements verdankt sich der lustvolle Charakter des Sehens, ja mehr noch die Gier, dabei sein zu wollen, Augenzeuge oder besser Voyeur sein zu können, [sie] beherrscht zumindest die abendländische Geschichte der Einbildungskraft, d. h. der Beschäftigung mit dem kognitiven Vermögen, das eine visuelle Realität der wie auch immer intendierten Gegenstandswelt beschwört.“318 In solchen substituierten/supplementierten Objekten bzw. Bildern liegt also ein wesentliches Merkmal des Masochismus. Sie werden aus einem bestehenden Zusammenhang herausgelöst, umgedeutet, neu zusammengesetzt und dabei sexuell aufgeladen – wie z. B. im Falle des Pelzes, der ja in seiner eigentlichen Funktion als hüllendes Kleidungsstück vor Kälte und auch vor lüsternen, feindlichen Blicken schützt. Dabei ergeben sich, wie Hartmut Böhme schreibt, „Umschaltstellen von erotischen Kraftlinien“319; Slavoi Žižek redet in diesem Zusammenhang von einem ergänzenden Ko-Sinn der Sexualität: „Bei der Perversion wird die Sexualität direkter Gegenstand unserer Rede, doch den Preis, den wir dafür zahlen, ist die Entsexualisierung gegenüber der Sexualität. Die Sexualität wird zu einem entsexualisierten Objekt neben anderen.“320 Das, was einmal als Abwehrmaßnahme gegen ein bedrohliches Reales – welcher Art auch immer – gedacht war, kann masochistisch besetzt werden, d. h. in dieser Form bzw. Funktion negiert werden und erzeugt dann selbst wiederum etwas (halluziniertes, objektgebundenes) Reales in Form von Mehr- oder Wollust. Dies gilt natürlich auch für moralische Abwehrmaßnahmen und Strafpraktiken – wie z. B. das Auspeitschen, welches eigentlich eine brutale Züchtigung darstellt und auch Abschreckung erzeugen soll (wie es ja in vielen Ländern heute leider noch der Fall ist) –, die der Masochist aber in eine Lustpraxis umwandelt. Das Objekt bzw. die Praxis geht in diesem Prozess in einen überdeterminierten,321 seinem eigentlichen Zweck entfremdeten und zumindest 318 Wetzel 1994, 335 f., Zitat von André Bazin in: Kemp 1983, 61-63. 319 Böhme 2006, 392. 320 Žižek 2005, 125. 321 „‚Überdeterminierung’ heißt: die Determinierung des Ganzen durch eines seiner Elemente, dem nach abstrakter Klassifizierung nur eine untergeordnete Rolle zukommt und das als Teil der Struktur 10 0 für den Maso libidinös aufgeheizten Signifikanten über. Dieser unterhält eine pars- pro-toto- (bzw. in Hinsicht auf den fetischistischen Blick und sein fixiertes Bild: eine pars-in-loco-totius-)Beziehung, in der eben ein einziger Teil eine (individuelle) Geschichte oder Szene vollständig erzählen (bzw. gleichsam ersetzen) soll.322 Für Böhme liegt genau hier die Grenzlinie zur Perversion: Der Teil steht nicht mehr für das Ganze, welches eine Verbindung zum Signifikat unterhält, sondern der Teil steht an Stelle des Ganzen. Das Signifikat ist gekappt worden, es soll im Fetisch selbst aufgehen, der Teil demnach autonom werden. Aus dieser Perspektive erhellt sich auch Gilles Deleuzes „rätselhafter Satz“, dass der Masochismus „eine sonderbare Art“ habe, „die Liebe zu entsexualisieren und die ganze Geschichte der Menschheit zu sexualisieren.“323 Dies kann zur Folge haben, dass geschlechtliche Liebe, das koitale Begehren und auch die Reproduktion auf der Strecke bleiben, was jedoch nicht heißen muss, dass der Geschlechtsakt überhaupt keine Rolle mehr spielt. Dies traf auch auf Sacher-Masoch selbst zu, der noch genitalen Sex praktizierte, auch wenn sein Werk und Begehren auf das Ideal einer geschlechtslosen Liebe zielen. Zudem können fetischistische, also symbolische Lustpraktiken, in denen die sexuelle Funktion der Geschlechtsorgane suspendiert ist, tatsächlich zum Orgasmus führen. Der mind-fuck ist allein entscheidend und kann starke körperliche Reaktionen hervorrufen. Sowohl die (medial-körperliche) Schmerzerfahrung als auch das heftige Schmerzbedürfnis in masochistischen Lustpraktiken324 speisen sich gerade aus der Nichtübereinstimmung zwischen dem fetischisierten Objekt-Sex, in dem sich infantile/präödipale Wünsche ausdrücken, und der genitalen Sexualität, die diesen Wünschen im Weg steht. Die Abweichung bzw. Inkongruenz bleibt immer erhalten, da man der genitalen Sexualität schließlich (noch) das Ganze umhüllt.“ Vgl. dazu auch nachfolgende Anmerkungen zur pars-pro-toto- und pars-in-loco- totius-Beziehung. Žižek 2005, 58 und vgl. Mansfield 1997, 71. 322 Vgl. Böhme 2006, 393 ff. 323 Deleuze 1980, 168; zitiert nach Weibel 2003, 34. 324 The „ASPECT OF PAIN AS A MEANS WAS IDENTIFIED BY FREUD IN THE ECONOMIC PROBLEM OF MASOCHISM WHERE HE POSITS THAT, IN THE CASE OF MASOCHISM, PHYSICAL PAIN AND PLEASURE ARE NEITHER ENDS IN THEMSELVES NOR SIGNALS, BUT MEANS TO ATTAIN A GOAL WHICH IS ALWAYS PLEASURE.“ M’Uzan 1995, 165 (Konsequente Großschreibung im Originaltext). 10 1 nicht entgeht. Schon Sade hatte, wie Deleuze schreibt, versucht, diese Kluft zwischen ‚zwei Naturen’ mit Hilfe von Schmerzerfahrung und Kalblütigkeit zu ‚überbrücken’.325 Logik des Fetischs Der Masochismus ist daher ein gespaltenes, komplexes und sehr hybrides Phänomen, da dieser stets die Möglichkeit bietet, einen erotischen und/oder intellektuellen Mehrwert, Mehrdeutigkeit in Form von symbolischer Differenz zu erschaffen. Das ist tatsächlich das Tolle und Großartige daran. Genauer gesagt handelt sich um eine Differenz in stetiger Bewegung, um eine operante différance,326 die sich u. a. in auffälligen Kontrasten wie Flimmern, Flackern oder Fließmetaphern ausdrückt. Mit dieser oszillierenden différance kann prinzipiell alles libidinös besetzt, d. h. um- und übercodiert werden. Masochismus adressiert vor allem jene Signifikanten, die in einem Diskurs zu einer bestimmten Zeit fehlen oder zumindest gesellschaftlich unterrepräsentiert sind (wie z. B. die Macht und Grausamkeit der [Ehe-]Frau und Mutter, die Impotenz des herrschenden Mannes etc.).327 Wird diese Differenz, die die Wahrnehmung auf einen bestimmten Teil oder Ausschnitt lenkt bzw. diesen aus dem Realen überhaupt erst herausfiltert,328 zu stark objektiviert, d. h. fetischisiert, besteht 325 Vgl. Deleuze 1980, 181 ff. 326 Zum Begriff vgl. Derrida 2004, 110-149 und Bitsch 2009, 80 ff. 327 Der Pelz galt, wie Weibel bemerkt, im 19. Jahrhundert eigentlich als ein Insignium männlicher Macht, weshalb er gemäß masochistischer Codierung auf die Frau übertragen wurde. Es zeigt sich, dass es hier um Signifikanten oder Objekte geht, die bereits gesellschaftlich anerkannt sind und daher einen gewissen Stellenwert haben – oft Machtsymbole. Es können auch Signifikanten sein, die individuell und/oder kollektiv die Wiederkehr des Verdrängten bewirken bzw. dieses anzeigen (und dabei nicht selten Unbehagen, Unsicherheit und Angst erzeugen.) Vgl. Weibel 2003 (b), 47 und vgl. Žižek 2001 (b), 477. 328 Hier kommen neben den Erinnerungstechniken im individuellen und/oder kollektiven Gedächtnis vor allem die jeweils vorherrschenden Medientechniken zum Zuge, d. h. ihre Macht zur Wirklichkeitserzeugung, zu Generierung, Übertragung und Speicherung von Informationen. Dabei ist für das analoge Medium – ebenso wie für das Subjekt – immer nur ein Ausschnitt der Wirklichkeit greifbar, d. h. erinner- bzw. speicherbar. In der kinematografisch anmutenden Genese der ‚Venus im 10 2 in dieser Verabsolutierung stets die Gefahr, dass das Objekt sein eigentliches Ziel, den Lust- und/oder den Erkenntnisgewinn, verfehlt. Denn sobald die laufende différance zum Stillstand gebracht wird, wäre der libidinöse Mehrwert, der begehrte flux libidinal,329 dahin. Die Erotik wäre dann in einem Standbild eingeschlossen und unverfügbar, da sie nicht mehr übertragen wird. Hier haben Fetisch-Unternehmungen – und zudem alle (modernen) Begehrensformen, die auf mediale Vereinheitlichung, Verdinglichung, Totalisierung, Standardisierung, Idealisierung und Arretierung – und damit letztendlich auf Nivellierung und Indifferenz – setzen, ihre signifikante – und meist gern verkannte – Sollbruchstelle. (Das sind nicht wenige.) Hier lauert Gefahr, die das fetischistische Ich und sogar den gesamtem Subjektapparat zum Absturz bringen kann. Es ist dann meist nur eine Frage der Zeit, wann dieser vorprogrammierte, der Perversion inhärente bug sein Recht einfordert und nicht selten genau das zur Aufführung bringt oder symptomatisch anzeigt, was mit dem Fetisch vermieden werden sollte. Da die „(d)ie Selektion des einen Signifikanten endgültig“ ist, offenbart sich im Fetischismus wie auch im Masochismus eine „fatale Strategie“, die das zielgerichtete Verhalten der AkteurInnen dann nicht selten paradoxal und tragisch-komisch erscheinen lässt.330 Hier sei noch einmal an Hegels drittes Moment erinnert, das die Beteiligten eigentlich leisten müssten, um aus dem Leerlauf ihrer Zwick- bzw. Tretmühle herauszukommen. Doch vielmehr legt es die masochistische Perversion gerade darauf an, die Hegelsche Synthese zu vermeiden bzw. bewusst zu verfehlen.331 Denn sie möchte genau jene Lust, Laune oder Willkür, die mit einer solchen Maßnahme – seien es Absprachen, Abkommen, Verträge, Normen, Gesetze etc. – wirksam unterbunden wird, auf den Plan rufen. Diese Lust kann daraufhin in Form von Kontingenzen, Störungen oder gar Abstürzen, die wohl kalkuliert sind und nach Möglichkeit auch von den AkteurInnen vertraglich festgelegt werden,332 in der performance zur Geltung kommen. Darin zeigt Pelz’ ist diese selektive, mediale (Filter-/ Speicher-)Funktion ersichtlich geworden: sie ist über einen Fensterblick, d. h. genauer gesagt über einen Bildausschnitt virtuell ins Leben gerufen worden. 329 Vgl. zu diesem Lacanschen Begriff Boelderl 2001, 308. 330 Vgl. Böhme 2006, 393. 331 Vgl. ebd. 378. 332 Daniel Kehlmann bezeichnet den Vertrag als „das wahre Emblem des Masochschen Prinzips [...], dieses von der Welt eines de Sade unendlich weit entfernte Zubehör bürgerlich verwalteten Daseins“. 10 3 sich eine raffinierte List und Subversion, denn in dieser Vertraglichkeit wird die Strafe, die sich bei Vertragsbruch ergäbe, bereits vorweggenommen, indem sie als Ritual inszeniert und gleichsam parodiert wird. „Der masochistische Humor besteht darin, eben das Gesetz, das die Verwirklichung von Triebwünschen unter Strafandrohung verbietet, zu dem Gesetz zu machen, welches zuerst abstraft und danach zur Befriedigung derselben Triebwünsche verpflichtet.“333 Schuld und Strafe Der Masochist fühlt sich immer schuldig und möchte, um sein Seelenheil wiederherzustellen, dafür bestraft werden. Sein bloßes Sein bedeutet ihm Schuld, denn ein Übertritt, eine Grenzverletzung hat aufgrund des reinen, subversiven Signifikanten im Unbewussten, der das bloße Sein begründet, immer schon stattgefunden.334 Albrecht Koschorke nennt dies das „unbestimmte Gesetz“,335 Slavoj (Kehlmann 2005, 51 und vgl. zur Vertraglichkeit auch Böhme 2002.) Ich möchte die Bedeutung des Maso-Vertrags in dieser vorliegenden kultur-/ medienwissenschaftlichen Arbeit überhaupt nicht schmälern; allerdings plädiere ich eher dafür, die masochistische Bildkonstruktion bzw. -collage (das Bild der Domina) als das wichtigere, von Anfang an vorhandene Emblem zu sehen. (Der Vertrag als perverses Steuerungselement erscheint ja zumindest in der Venus im Pelz auch erst später – im Verlauf des Spiels.) 333 Deleuze 1980, 238 f. 334 Aus klassischer psychoanalytischer Sicht speist sich dieses Schuldgefühl hauptsächlich aus dem nicht verarbeiteten Trennungsschmerz, den das Kind in der Abnabelung von der Mutter bzw. darüber hinaus im Nicht-Eins-Sein mit der Welt erfährt. Dieser Schmerz beginnt mit der Geburt und manifestiert sich u. a. in der Mutterschoßimago, welche räumlich strukturiert ist und „die Imagines der intrauterinen Behausung und der anatomischen Schwelle des extrauterinen Lebens“ zum Inhalt hat. (Vgl. Lacan 1986 (c), 59.) (Severin mag es, wenn er seinen Kopf in Wandas Schoß legt oder wenn er Blumen in ihren Schoß wirft. [Vgl. Sacher-Masoch 2003, 39, 42.]) Isabelle Azoulay bemerkt ferner in diesem Zusammenhang: „Die Wahrheit der Phantasien liegt in der Überschreitung, mit der die Dialektik von Schrecken und Lust, von Intimität und Einsamkeit immer neu inszeniert und erlebt wird. Individuation beruht auf Trennung, und die Gewaltsamkeit steht im Zusammenhang mit der Bewältigung des Trennungsschmerzes. Was bleibt? Im besten Fall Melancholie.“ Azoulay 2003, 83. 10 4 Žižek redet vom „leere[n] Gesetz“,336 das jedoch gewiss nicht nur im Masochisten wirksam ist: „Das Subjekt ist [...] allein aufgrund seiner Existenz a priori schuldig: schuldig, ohne zu wissen, worin seine Schuld besteht (und gerade deshalb schuldig), das Gesetz übertretend, ohne dessen genaue Ausführungsbestimmungen zu kennen... Wir haben es hier erstmals in der Geschichte der Philosophie [seit Kant (Anmerkung S. P.)] mit der Bestimmung eine Gesetzes als unbewusstes zu tun: Die Erfahrung einer Form ohne Inhalt ist immer der Index eines verdrängten Inhalts; je intensiver das Subjekt der leeren Form anhängt, umso traumatischer wird der verdrängte Inhalt.“337 Das mit diesem Gesetz eng vernetzte Schuldgefühl ist ganz elementar und unüberwindbar. In früheren Zeiten hat man von Erbsünde gesprochen.338 Dieses treibt den Maso stets an und bildet sein eigentliches Handlungsmotiv, das er spielerisch kultivieren möchte. Deleuze bezeichnet dieses Gefühl als „das Tiefste, Lächerlichste339 und Verdrehteste (zugleich); es ist integrierender Bestandteil des 335 Koschorke 1988, 110. Koschorke scheint sich auf Deleuze zu beziehen: „Und nicht einmal durch Schuld und Strafe erfahren wir, was dies Gesetz sei, sondern sie lassen es in der gleichen Unbestimmtheit, die gerade als solche der äußersten Genauigkeit der Strafe entspricht.“ Deleuze 1980, 234. 336 Žižek 2001 (b), 507 ff. 337 Ebd. 508 f. 338 Vgl. Highwater 1998, 82, der den Beginn der Erbsünde mit der „Großen Wende“ ungefähr 600 v. Chr., wie sie John Campell beschrieben hat, korreliert: „Die ‚Große Wende’ war weltweit ein gewaltiger historischer Moment, in dem eine beispiellos negative Auffassung vom Schicksal geboren wurde, die sich schließlich in der Vorstellung von der Erbsünde ausprägte, die Schmerz und Strafe zu einem unverrückbaren Aspekt des westlichen Lebens macht.“ 339 Annette Bitsch bezeichnet den reinen Signifikanten kurz und treffend mit „es gibt [...] – die Zufügung der Seinskluft, die Diskretisierung, die [...] aus einem Körper ein korpsifizierendes Medium macht“. (Vgl. Bitsch 2009, 458.) In diesem Zusammenhang lässt sich auch sagen: Es gibt immer symbolische Schuld (und demnach Schuldgefühl[e]) – wie lächerlich dies einem auch erscheinen mag; sie ist immer da und genau in diesem Sinne gerade keinewegs lächerlich. Meint Deleuze hier etwa tragisch-komisch? 10 5 masochistischen Triumphes. Es macht den Masochisten frei.“340 Wenn dem Masochisten der ‚Prozess’ gemacht wird, darf es keine Gnade, keinen Freispruch geben. Neben dem Fetisch(-Objekt) ist es also die angewandte Strafpraxis, die er begehrt und für die er SpielpartnerInnen benötigt, ansonsten könnte er es auch – wie jeder gewöhnliche Fetischist – bei den inszenierten Objekten oder Medien belassen. Dabei versteht der Masochist es, das Vertragsrecht gründlich ad absurdum zu führen, ohne jedoch mit dem tatsächlichen Gesetz bzw. dem großen Anderen in Konflikt zu geraten. Auch dafür muss er sich bestrafen. Das (Sitten-)Gesetz wird also individuell ausgelegt und erweitert, d. h. zu einem privaten Vertrag gemacht, der alle notwendigen formalen Kriterien erfüllt und demzufolge auch so etwas wie eine Rechtsgrundlage (zumindest weitere Spielanweisungen) schafft und sichert. Der Masochist verfolgt hier weiterhin seine Strategie, der Notwendigkeit des Gesetzes, der symbolischen Schuld im-Namen-des-Vaters nachzukommen und sie/es anzuwenden, wenn auch auf seine Art – in völlig verdrehter Form und auf jeden Fall ohne Vater. Das (mediale) Gesetz wird zum Selbst, zum lustvollen Begehren. Darin liegt von vornherein das paradoxe wie auch virtuelle Wesen des Masochismus begründet, nämlich aus der Dysfunktion341 Funktion zu machen, d. h. mediale Leerstellen in ihrer negativen – für den Maso lustfördernden – Wirkung zum Laufen zu bringen und als solche zu kultivieren. „Die Störung wird in einem rein dezisionistischen Verfahren zur Ordnung erklärt, die Katastrophe erhält eine Vertragsform.“342 Wie dies genau von statten geht, wie der masochistische Fetisch gewisse Lustökonomien inszenieren und regulieren soll, wurde zwar schon mit dem Bildsubstitut der grausamen Frau erläutert, soll aber jetzt im Anschluss noch mit dem psychoanalytischen Konzept des Phallus vertieft werden. Dieses ermöglicht nicht nur die weitere Analyse des Venus-im-Pelz-Spiels, sondern eröffnet auch eine Art Metatheorie343 bzw. Medientheorie zum Fetisch bzw. zu perversen Lustpraktiken. Sie bildet einen wesentlichen Kern der vorliegenden Arbeit. 340 Deleuze 1980, 249. Ein Triumph, der höchst fragwürdig erscheint, ist dieser doch rein illusorisch und so individuell ausgeprägt, dass er nach außen hin schwer kommunizierbar ist und nicht selten absurd wirkt. 341 Vgl. zur Begrifferläuterung Weber 2008, 82 ff. 342 Koschorke 1988, 87. 343 Vgl. Böhme 2006, 406 ff. 10 6 Der Phallus im sadomasochistischen Szenario und Körperbild Peter Weibel erläutert mit Deleuze und Guattari, dass ein wesentlicher Zug des masochistischen Körpers darin bestünde, dass die Integration der Partialobjekte durch den Phallus misslingt. „Die phallokratische Organorganisation zerfällt und an ihre Stelle tritt eine hierachielose, demokratische, transversale Vielfalt von Organen und Objekten. Die von den Partialobjekten abgeleiteten bzw. mit ihnen verbundenen Triebe werden ebenfalls emanzipiert.“344 Diese Emanzipation mag zwar für die moderne Kunst und insbesondere für den Surrealismus zutreffen, in dessen Kunstwerken tatsächlich unzählige Objekte oft frei herumschwirren, nicht aber für die Zeit und die Texte Sacher-Masochs. Der Masochsche Körper und dessen Begehren sind noch sehr phallozentrisch organisiert. Das, was hier autonomer wird, ist das Spiel um das Phallus-Begehren. Und zwar in dem Sinne, dass man auf der Ebene der manipulierten und manipulierbaren Bilder, einer Aufrüstung und Maskierung der Sinne, sich und anderen vorgaukeln kann, den Phallus zu besitzen oder eben nicht zu besitzen. Ihn auf keinen Fall besitzen zu wollen, das ist das Maso-Begehren Severins. Dieses Nicht-Besitzen-Wollen trifft für ihn aber nur auf einer symbolischen Ebene zu, imaginär hat der Phallus dafür eine umso größere Bedeutung für ihn.345 Diese strukturale Unterscheidung, die Sacher-Masoch noch nicht klar durchschaute, betont auch Slavoj Žižek mit Gilles Deleuze: Der Phallus als Imago ist das einheitliche Körper-Stand-Bild im Spiegel, er heißt „Phallus der Koordination“, da er erogene Körperzonen bzw. -teile zum Bild totalisiert. Dem steht eng verbunden der symbolische Phallus als Signifikant der Kastration gegenüber bzw. im Weg, da dieser wirksam verhindert, dass beide zusammenhängende Phallus-Ausprägungen zur Deckung gelangen können. Denn die imaginäre Koordination scheitert immer wieder an der symbolischen Kastration.346 „Das Ergebnis dieses Scheiterns ist jedoch nicht 344 Weibel 2007, 229. 345 Vgl. Braun 2008, 181. 346 Das kastrative Moment ist bereits im Phallus der Koordination enthalten. Es ereignet sich mit der Bildaufnahme bzw. Übertragung des imaginären Signifikanten im Spiegelstadium. Durch die gleichzeitig einsetzende Verkennungsfunktion im Individuum, die Eröffnung des Feldes des Imaginären und des Blicks, bleibt es jedoch unbewusst. Erst mit dem sprachlichen Signifikanten, dem Phallus der Kastration, der spätestens im Ödipuskomplex seine volle Wirkung entfaltet, offenbart sich dieses einschneidende und meist tragische Moment. (Dieses wird für das Subjekt zugleich 10 7 die Rückkehr zu einer unkoordinierten Vielfalt erogener Zonen, sondern gerade die ‚symbolische Kastration’“, welche den bereits erwähnten Ko-(Un-)Sinn technisch objektivierter bzw. versprachlichter Sexualität auf den Plan ruft. Man kann in Bezug auf diese gespaltene, störende bzw. in sich gestörte Funktionalität auch von einem rückgekoppelten Leerstellen-Wechselspiel sprechen, welches sich zwischen dem sogenannten -phi im Spiegel und dem Phi in der Sprache unentwegt ausagiert An diesen Löchern oder Leerstellen wirken stets libidinöse Kräfte, die an der Organisation der Fantasie und Imagination des Ich maßgeblich beteiligt sind. In diesem Spiel artikuliert und kennzeichnet der Phallus – d. h. ver- und enthüllt – als symbolischer Effekt und Operator des Mangels (Phi) Formen des Begehrens, u. a. gewisse (Ohn-)Macht(s)fantasien, aber auch mögliche (Leer-)Plätze in einer vorhandenen Struktur, sei es in der Geschlechterordnung oder einer technischen Schaltung.347 So sehr Severin den Phallus als Insignium patriarchalischer Herrschaft, d. h. in seiner bedrohlich-kastrativen Funktion, ablehnt, so sehr möchte er die erotische Gewalt und Spannung, die der Phallus codiert und transformiert, in seiner Inszenierung erlebbar machen, d. h. die grundsätzliche Fähigkeit des Phallus, symbolische Differenz bzw. übersetzbare Alterität – als Sexualität, Geschlechtlichkeit, Erotik, Identität etc. – neu (ein-)zu(-)schreiben. Severins Trick und Raffinesse bestehen gerade darin, mittels der eben beschriebenen Dispositiv-Anordnung ein Machtbegehren mit negativen Vorzeichen zu implementieren, also den Phallus virtuell darzustellen und zum Laufen zu bringen, sein fortwährendes Spiel zwischen (symbolischem) Mangel und (imaginärer) Fülle, An- und Abwesenheit, Codierung und Re-/ Übercodierung – kurz um: ihn in seiner dynamischen Eigenschaft als/im Bild(-)/ Fetisch für seine Lust verfügbar zu machen, zu steuern und ihn sich dergestalt vom Leibe bzw. auf Distanz zu halten. In diesem Sinne möchte er den Phallus ferngesteuert darbieten, ihn quasi wahrnehmbar bzw. kann dann nicht mehr verkannt werden). Man könnte auch sagen: Wo ein Signifikant ins/als Bewusstsein eingreift, ist immer auch symbolische Kastration im Spiel. Mit Sacher- Masoch heißt das – indem er Wanda sprechen lässt –, dass „es keine Wonne gibt, der nicht dem Stachel der Qual beigegeben wäre“. Vgl. Sacher-Masoch 2003, 80. 347 Vgl. Žižek 2005, 125 f. und Lacan 1986 (b), 200. 10 8 auf Knopfdruck halluzinativ herbeizaubern, aber keinesfalls – wie es bei Sade der Fall ist – selbst Phallus-Sein.348 Der Phallus eröffnet sozusagen eine wahrnehmbare Leerstelle im Andern bzw. im Symbolischen – nach Lacan das Symbolische überhaupt,349 d. h. die grundlegende Leere bzw. strukturelle Inkonsistenz des Symbolischen – und sorgt gleichsam dafür, dass diese Leerstelle durch einen imaginären Signifikanten, einen Signifikatseffekt auf der Bewusstseinsebene ausgefüllt wird. In diesem Moment des Aufrufens eines neuen Signifikanten – der kurzzeitigen imaginären Schließung – entzieht sich der Phallus aber, da er auf Grund seiner symbolischen Verfassung hinter dem erzeugten Signifikat, der Wirkungsmacht des imaginären Bildes, zurücktritt.350 Auch wenn er sich in diesem Moment entzieht, quasi die Bild- bzw. Bewusstseinsoberfläche verlässt, ist er nicht gänzlich verschwunden. Er ist gleichsam in diesem Bild bzw. dieser Imago noch als Spur und (Um-)Rand(-ung), als „Grenzmarke“351 präsent und wird weiterhin dafür sorgen, dass neue Bilder entstehen können. „Als Instanz des Zeichenmachens, die etwas als etwas wahrnehmbar macht, wirkt er im verborgenen Unbewussten, ohne selbst ein Signifikat zu haben, also auf eine konkrete Vorstellung zu verweisen.“352 Seine besondere Eigenschaft liegt also darin, dass er selbst nicht als ein bestimmter, absoluter Siginifikant adressierbar ist und auch als solcher niemals in Erscheinung tritt, auch wenn er auf symbolische Vollständigkeit bzw. Schließung 348 In diesem Sinne muss Gaylyn Studlars Aussage, dass „der Besitz oder Nichtbesitz des Phallus für die Psychodynamik des Masochisten eine sekundäre Angelegenheit“ sei, als ungenau bzw. falsch bewertet werden. (Vgl. Studlar 2003, 345 [a].) Der Besitz des Nichtbesitzes des Phallus ist das, worum es dem klassischen Masochisten in erster Linie geht. Studlars Analyse sieht ferner nicht das Prothetische des inszenierten Phallus, wie er im masochistischen Fetisch codiert ist. Ihrer Analyse – genauso wie die einiger Cyborg-TheoretikerInnen – „entgeht aber das Wesentliche: In streng lacanianischen Sinne ist phallisch gerade die Struktur der künstlich-mechanischen Prothese, die die Wunde unserem Körper supplementiert, da der Phallus selbst als Signifikant eine solche Prothese ist, die ihrem Träger die Macht um den Preis einer traumatischen Verstümmelung verleiht.“ Žižek 2001 (b), 515. 349 Vgl. Lacan, 1986 (b), 128 und Böhme 2006, 422 ff. 350 Vgl. Žižek 2005, 128. 351 Borch-Jacobsen 1999, 240 f. und Lacan 2003, 57. 352 Treichl 2005, 43. 10 9 unbewusst drängt. In seinem Drängen zeitigt er immer schon verletzende, kastrative, sadistisch-ödipale (Neben-)Wirkungen. Er ist gerade dadurch bestimmt, „die Signifikatswirkungen in ihrer Gesamtheit zu bezeichnen“353. Diese Gesamtheit ist für Normalsterbliche – also u. a. für übersinnliche Masochisten und destruktive Sadisten – unerreichbar, erscheint er doch nur in seinen Ersatzformen und konfiguriert daher einen leeren symbolischen Ort, den Platzhalter oder Rahmen, an dem dann Platztausch bzw. das Spiel Bedeutung tragender Signifikanten möglich wird und stattfindet. Er ist die treibende Kraft in diesem Spiel, seine unbändige Fähigkeit zu Übercodierung und Kontingenz hält es am Laufen. Aber dennoch steht das Subjekt diesem Spiel, das unbewusst stattgefunden haben wird, nicht völlig hilflos und unbeteiligt gegenüber. Es kann durch bestimmte technische Maßnahmen Einfluss darauf nehmen, z. B. dafür sorgen, dass der Phallus in einer bestimmten Weise zur Geltung kommt, u. a. in seiner An- und Abwesenheit in/an einem bestimmten Objekt und Ort. Deshalb geht der Fetischist bzw. der Perverse mit Akribie und einem ausgeprägten Ordnungssinn zu Werke, seine hochgradig geplanten und aufwendig dargebotenen Unternehmungen gelten als Versuche, den Phallus zumindest in der (sexuellen) Imagination ein Stück weit verfügbar zu machen. So konnte sich Sade im Zeitalter der klassischen Episteme sehr schön einbilden, in die greifbare Nähe dieses ‚Supersignifikanten’ zu kommen,354 indem er auf Tausenden von Skriptseiten alles zu sagen schien, was sonst kaum jemand auszusprechen wagte und auch noch nicht ausgesprochen war – und musste trotzdem in seinem manischen Unternehmen scheitern, da er doch nur die schlechte Wiederholung in endlosen Serien zustande brachte. Auch Sacher-Masoch versucht einmal mehr, das Unmögliche möglich zu machen. Auch er möchte alles sagen, was sein Begehren verursacht und nicht mehr loslässt. Und dies nicht mehr mit unendlich vielen Worten, sondern, wie 353 Lacan 1986 (b), 126. 354 Curval glaubt in den 120 Tagen von Sodom, dass die Imagination bis an ihr Endziel durchschritten werden könne: „eine Ausschweifung zieht die andere nach sich; die ewig unersättliche Phantasie bringt uns bald an die letzte Grenze; und da sie ihre Bahn nur durchlaufen konnte, indem sie auch das Herz verhärtete, kennt dieses Herz, das früher einige Tugenden in sich barg, deren keine einzige mehr, wenn die Phantasie ihr Endziel erreicht hat“. Sade 1972, 134. 11 0 bereits erwähnt, mit einer verkürzenden, piktoralen Sprache,355 welche durch das Transzendentalsignifikat seiner Lust, der ‚grausamen Frau’, aufgerufen und getragen wird. Im Gegensatz zum Sadeschen Libertin, der den Phallus in dem Maße pervertiert, indem er ihn auf seine negative Kraft, sein aggressives Drängen, das im Fantasma totaler Weltzerstörung gipfelt, reduziert,356 setzt der masochistische Held demgegenüber auf die schöpferische, erotische, halluzinatorisch-welterzeugende Gewalt dieses ‚Signifikanten aller Signifikanten’. Der Phallus offenbart und reguliert (bei beiden Autoren) die zwei sich gegenseitig aufrufenden Seiten des Lustprinzips, Eros und Thanatos, die sich dann in ihren symbolischen Wirkungen als welterzeugend und weltzerstörend erweisen. Grausame Mutter Natur Sades und Sacher-Masochs gemeinsamer Bezugsrahmen in ihrem unterschiedlichen Phallus-Begehren ist die Natur, die sich in verschiedenen Mutterbildern ausdrückt. Wichtig ist, dass in diesen der Entzug oder Mangel, d. h. der abwesende Phallus, von vornherein miteinbezogen und in verschiedenen Formen und Funktionen ausgestellt wird. Diese Abwesenheit wird als Grausamkeit gelesen bzw. verkannt. 355 In seinem Tagebuch, das leider nicht mehr existiert, weil es einem Brand zum Opfer fiel, benutzte Sacher-Masoch ebenfalls eine verkürzte Schrift und Ausdrucksweise, die in gewisser Weise bereits an Stenografie erinnert. Einige Tagebuchpassagen wurden in Schlichtegrolls Sacher-Masoch-Biografie zitiert und somit gerettet. Vgl. Schlichtegroll 2003, 104, 112 etc. 356 Sadesche Operationen haben es darauf abgesehen, den Todestrieb in seiner reinen Form (Thanatos) zu offenbaren (vgl. Deleuze 1980, 184), eine funktionale Dimension, die der Phallus der Kastration tatsächlich besitzt. Dafür musste nicht erst die Atombombe, an der Sade seine helle Freude gehabt hätte, erfunden werden. Sades sardonisches Lachen scheint man am Ende von Stanley Kubricks DR. SELTSAM ODER: WIE ICH LERNTE, DIE BOMBE ZU LIEBEN (1964) während des Showdowns in Form eines Atombomben-Balletts, welches von Vera Lynns Gesang („We will meet again“) begleitet wird, zu vernehmen. Der Phallus ist nicht der Todestrieb selbst, jedoch die tödliche Waffe des Medialen, die in ihrer gesamten unbewussten – erotisch-aggressiven – Potenz nicht zu berechnen ist und die der Libertin im Gegensatz zum Masochisten gerade deswegen mit vollem körperlichen und geistigem Einsatz selbst sein möchte. 11 1 „Die Grausamkeit ist in der Natur angelegt“, schreibt er [Sade] in seiner Philosophie im Boudoir (La philosophie dans le boudoir, 1795). In Justine (1791) bezeichnet er die Natur als unsere ‚gemeinsame Mutter’. De Sades Welt steht unter der Herrschaft eines weiblichen Titanen: ‚Nein es gibt keinen Gott: die Natur ist sich selbst genug, sie braucht keinen Urheber.’ Die Große Mutter, das höchste weibliche Wesen bei de Sade, ist absoluter Anfang und absolutes Ende.“357 Aus dieser Perspektive könnte der Mutter unterstellt werden, dass sie es sei, die tatsächlich Macht über den Phallus hat. Auch wenn Frauen den Phallus als Organ, Objekt, Bild, Zeichen oder Signifikant letztendlich genauso wenig besitzen können wie Männer, so verfügen Frauen dennoch über etwas Grundlegendes, auf das Männer in ihrer phallischen Fantasie nicht selten neidisch sind, etwas, das ihnen rein biologisch verwehrt bleibt: Gebärfähigkeit bzw. Reproduktionskraft,358 die sich im Bild der magna mater als Basis für alles menschliche Leben und damit auch für das (phallische) Symbolische ausdrückt. Vor daher wundert es nicht, dass die heutige Klontechnologie und Reproduktionsmedizin einen massiven sadomasochistischen Hintergrund hat (und natürlich in diesem Sinne pervers vorgeht), steht sie doch u. a. im Zeichen der technologischen Ersetzung der weiblichen Geschlechtsorgane, d. h. im weiteren Sinne der Machbarkeit und Beherrschbarkeit von Leben und Tod.359 Dass die weibliche bzw. mütterliche Natur von Natur aus grausam sei, ist eine männliche Vorstellung und Fiktion, eine Strategie der Verkennung, eine Lüge, mit der das Nicht-Lesbare oder -Erklärbare in und an der Natur, ihr undurchdringbares Chaos und großes Geheimnis (besonders unter modern-naturwissenschaftlichen Vorzeichen) codiert werden soll. Bei genauerem Hinsehen handelt sich hier um einen Mythos,360 um fehlgeleitete Imagination, die selbst als Phalluseffekt gilt und vor dem Hintergrund des männlichen (Einheits- bzw. Macht-)Begehrens erscheint, alles wissen zu wollen bzw. sagen und technisch objektivieren zu müssen. Diese geschlechtsspezifische Codierung von Grausamkeit verweist realiter auf ein 357 Paglia 1992, 293. 358 Vgl. Böhme 2006, 458. 359 Vgl. Weibel 2003, 25. 360 Treut 1990, 165. 11 2 Scheitern, letztendlich auf einen grundlegenden Mangel an objektivem Erkenntnisvermögen, Natur bzw. das Reale vollständig verstehen und ergründen zu können – eine schmerzliche Erfahrung bzw. meist nicht eingestandene Enttäuschung für das aufgeklärte, männliche Wissenssubjekt. Diesen Schmerz lenken Männer dann gern in Abwehrreaktionen und Sublimationen auf Frauen, die dann als seelenlos, kalt, dämonisch oder eben grausam dargestellt und als solche u. a. auf Maschinenfunktionen reduziert werden. „Die Frau steht in der patriarchalischen Kultur als Signifikant für das männliche Andere, gefesselt von einer symbolischen Ordnung, in der Männer ihre Phantasien und Obsessionen durch die Herrschaft der Sprache ausleben können, indem sie sie dem schweigenden Bild der Frau aufzwängen, der die Stelle des Sinnträgers zugewiesen ist, nicht die des Sinnproduzenten.“361 In derart verzerrten Bildern und Unternehmungen ist nicht nur (Gebärmutter-)Neid und Faszination, sondern auch die Angst, Unsicherheit und Abhängigkeit von/vor diesem Anderen virulent.362 Im weiteren Sinne zeigt sich in diesen die – bis heute bestehende – Machtlosigkeit bezüglich der „uneinholbare[n] Regenerativität der Natur“ bzw. der Unbeherrschbarkeit des Realen und auch des Phallus. Genau aus diesem Grund werden die Libertins bei Sade „zu Virtuosen der Grausamkeit, welche die gehasste weibliche Imago fortwährend schänden“. Damit „demonstrieren sie die Souveränität ihrer ‚Maschinen’“ und „[stellen] ihre eigene Integrität und Schrankenlosigkeit zur Schau“. Einen Höhepunkt finden die Sadeschen Schändungen in der „rituellen Vernähung der Geschlechtsorgane der Mutter“ sowie in ihrer nachfolgenden Ermordung (Philosophie im Boudoir).363 Wie Monika Treut an Hand von Sades Juliette herausstellt, bleibt diese männliche Gewalt nicht ungesühnt. Die beiden Libertines Juliette und Clairwil rächen sich, indem sie dem Mönch Claudius, nachdem sie ihn u. a. mit einem Dildo („godmiché“) anal penetriert haben, den Penis abschneiden, worauf er verendet. Dabei haben sie einen Heidenspaß, Clairwil wird in 361 Mulvey 1998, 390. 362 Vgl. auch Kittler 2003 (a), 440-467, „Damenopfer“. 363 Vgl. Böhme 2003, 23. 11 3 ihrer „lüsternen Raserei“ bestärkt.364 „Die phallische Macht des Mannes, die im Genuß der Frau als vergötzte Gewalt beunruhigend und erniedrigend erfahren wird, wird anatomisch interpretiert und so praktisch angreifbar.“365 Das heißt, der Phallus wird bei Sade auf eine (Geschlechts-)Organfunktion, sein vermeintliches Reales, literarisch reduziert und als solches attackiert, sowohl bei Männern als auch bei Frauen.366 Im Gegensatz zu solchen (ein-)schneidenden horror-Praktiken zeigt sich ein ganz anderes Phallus-Begehren und -Bild der weiblich codierten Natur bzw. der Mutter im Werk Sacher-Masochs. Dieses Bild ist auch grausam, aber dennoch differenzierter und viel versöhnlicher als bei Sade: „Im Vorwort der Galizischen Geschichten erhebt ein ‚Wanderer’ Klage gegen die böse Natur. Die Natur selber gibt darauf zur Antwort, daß sie dem Menschen nicht feindlich sei, daß sie ihn nicht hasse, auch nicht im Tode, aber daß sie ihm immer dies dreifache Gesicht des Kalten, Mütterlichen und Strengen zukehre... Die Natur ist wie die Steppe. Die Steppenschilderungen Masochs sind von bemerkenswerter Schönheit, besonders die vom Anfang des Frinko Balaban: in der Einheit der Steppe, des Meeres und der Mutter soll fühlbar gemacht werden, daß die Steppe das ist, was die griechische Welt der Sinnlichkeit unter sich begräbt und die moderne Welt des Sadismus von sich abstößt mit einer Kraft der Durchkältung, die das sinnliche Verlangen umbildet und die Grausamkeit verwandelt. Das ist der Messianismus, der Idealismus der Steppe.“367 364 Vgl. Treut 1990, 49. Auch Sacher-Masochs Lust ist vor allem von „Vernichtungsrausch und Kälte“ gezeichnet. Vgl. Koschorke 1988, 110. 365 Treut 1990, 47. 366 Allerdings folgen die Libertines dabei doch nur den phallisch-sadistischen Praktiken, indem sie diese einfach gegen ihre Urheber wenden. Damit werden zwar gewisse, durchaus nachvollziehbare Rachegelüste befriedigt, aber gewonnen ist dadurch nichts. Sie sind und bleiben damit Opfer und Komplizinnen des Libertins bzw. des sadistischen Vaters. Eine Täuschung und Verirrung, die bis heute mitunter feministisches Denken prägt. – Vgl. dazu auch Virginie Despentes BAISE-MOI (FICK’ MICH!) (2000), einem umstrittenen Spielfilm mit pornografischem Inhalt, der den Juliette-Stoff neu inszeniert: Zwei Frauen töten auf ihrer Odyssee durch Frankreich wahllos Männer, denen sie zuvor Avancen gemacht haben, um die selbst erlebte Brutalität und sexuelle Gewalt von Männern zu sühnen. 367 Deleuze 1980, 207. 11 4 In Deleuzes Zitat wird ersichtlich, dass die Natur im Bild der Steppe für den männlichen Betrachter eine Trennfunktion erfüllt: Sie hat die Welt der Sinnlichkeit unter sich begraben und dichtet diese gleichsam ab. Die Eis- und Schneedecke des strengen galizischen Winters erfüllt eine vergleichbare Funktion. Obwohl das Signifikat, d. h. die Sinnlichkeit, eliminiert wurde, strahlt es durch die Eisdecke schillernd hindurch und folgt dabei der fetischistischen pars-in-loco-totius-Ästhetik, die in räumlicher Anordnung, d. h. als versiegelnde Oberfläche, offenbar wird. Die Faszination, die aus der Strahlkraft dieser Negativ-Ästhetik zwischen Mutter, Natur, Raum, Temperatur, Sinnlichkeit und Sadismus hervorging, kulminierte in der masochistischen Vorstellung einer Herrschaft der Mütter, eine noch stark von der Romantik geprägte Neuerfindung des Matriarchats. Diese Fantasie bezeichnet Albrecht Koschorke als „die archaische Utopie einer Männergesellschaft, die ihr Unbehagen an der eigenen Rationalität, ihre Ausflösungswünsche als Phantasmen ausleben will, ohne ihren Ordnungswillen und ihr Existenzmonopol zu gefährden“.368 Ähnlich wie der Raum der Natur triadisch angelegt ist, zeigt sich auch das Frauen- bzw. Mutterbild gemäß Deleuzes Lesart als Dreifaltigkeit: „zuerst die primitive, uterine, hetärische Mutter, Mutter der Kloaken und Sümpfe, dann die ödipale Mutter, Imago der Geliebten, die als Opfer oder als Komplizin zu dem sadistischen Vater in Beziehung treten wird, zwischen beiden aber die orale Mutter, die Mutter der Steppen und große Nährerin, die Todesbringerin“.369 Wie kommt es zu dieser Trias, die nicht nur Urbilder der Mutter im Masochschen Universum beschreibt, sondern die auch schon verdächtig an die drei Positionen in Freuds psychischem Apparat (Es, Ich, Über-Ich) bzw. Lacans methodischer Distinktion (Reales, Imaginäres, Symbolisches [RSI]), erinnert? Dieses triadische Denken ist selbst Ereignis und Ergebnis einer Phallus-Operation; besser gesagt: der symbolischen Phallus-Genese, die mit Freuds Psychoanalyse beschreibbar wird. 368 Koschorke 1988, 101. 369 Deleuze 1980, 208. Diese drei Frauentypen entpringen Johann Jakob Bachofens Hauptwerk Das Mutterrecht (1861), einer Schrift, die die Bedeutung des Matriarchats für die Entwicklung der modernen Gesellschaft herausstellt. Laut Deleuze muss Sacher-Masoch Bachofen gelesen haben und hält diese Lektüre sogar für eine Inspirationsquelle des Traums am Anfang der Venus im Pelz (vgl. ebd 250). Monika Treut hat diese Quelle in Bezug auf Sacher-Masochs Frauenbild(er) ausgearbeitet (vgl. Treut 1990, 174 ff.). 11 5 Phallus-Funktionen Der Fetisch ist für Freud „ein Penisersatz“ und zwar „der Ersatz für den Phallus des Weibes (der Mutter), an den das Knäblein geglaubt hat und auf den es [...] nicht verzichten will“.370 Die Urszene, in der sich der Fetisch konstituiert, ist jener schicksalsträchtige Moment, in dem das Kind unter den Rock der Mutter schaut und anstatt des erwarteten männlichen Genitals nur eine Leerstelle erblickt. Der Schreck, den das Kind in diesem Moment erfährt, lässt den Blick aufhalten, die Bewegung der Imagination kurz innehalten. Laut Böhme muss es „ein Niederschlagen des Auges gegeben haben, ein Festhalten an Knie, Fuß oder Schuh. Eines davon wird nun ‚eingesetzt’ als Fetisch, d. h. als jenes Objekt, das ein gesehenes anderes ersetzt und nun jeden folgenden Blick ‚aufhält’ und alle sexuelle Energie bindet.“371 Es erfolgt also – ähnlich wie in der Bildsubstitution der ‚Venus im Pelz’ – ein Tausch: die Ersetzung eines imaginierten Gegenstandes durch einen ihn symbolisierenden anderen. Das männliche Organ, das der Frau unterstellt wird, wandelt sich, indem es dem mütterlichen Körper zugeordnet wird, zum Phallus-Signifikanten, d. h. zum leeren Signifikanten, der als (bzw. den) Platzhalter des Symbolischen figuriert wie auch u. a. die Einschreibung von Geschlecht bewirkt. Dieser entsteht also aus dem Bild des abwesenden, ‚kastrierten’ Penis der Mutter und aus dem, was dieses Fehlen ausgleichen soll, z. B. ein Fetisch-Objekt. Der Phallus könnte daher als weiblicher Penis gelten. Dass es sich hier tatsächlich bereits um einen Signifikanten handelt, lässt sich damit begründen, dass der Schwindel, nachdem er aufgeflogen ist, nicht mehr geleugnet werden kann.372 Das unbewusste Subjekt bzw. dessen Ich kommt gegen die entdeckte 370 Zitiert nach Wetzel 1993, 341, Original: Freud 1999 (d), 329 f. 371 Böhme 2006, 401 f. 372 Auch Lacan betont die „symbolische Grundlegung“, welche sich im von unten gesehenen, psychodynamischen Spektakel des abwesenden Phallus ereignet, und erläutert an dieser Stelle gleichzeitig den psychoanalytischen Begriff der „Deckerinnerung“: „[D]as Kind hält in seiner Beobachtung, so sagt zumindest seine Erinnerung, am Rande des Kleides der Mutter inne. Sie stellen hier ein bemerkenswertes Zusammenlaufen mit der Struktur dessen fest, was man als Deckerinnerung bezeichnen kann, das heißt dem Moment, an dem die Kette des Gedächtnisses innehält. Sie hält in der Tat am Rand des Kleides inne, nicht über den Knöchel hinausgehend, da, wo man auf den Schuh stößt, 11 6 Leerstelle nicht mehr an, kann dieser nicht mehr mit gewissen Abwehrreaktionen – mit denen zuvor schon Risse und Löcher in der Spiegelmatrix erfolgreich überblendet wurden (-phi) – begegnen. Diese Leerstelle im Bild der Mutter (Phi) ist zu konkret, sie hat bereits zuviel symbolischen Gehalt. Mit dem Schock der plötzlichen Entdeckung kommt sie nicht nur gewaltsam zum Ausdruck, sondern macht dem kleinen Jungen auch Angst, selbst kastriert zu werden. Das heißt, diese Angst geht mit dem Wissen einher, dass der Phallus, über dessen Existenz das Kind keinen Zweifel hegt,373 eine gewisse Unberechenbarkeit und Unsicherheit – zumindest was den Ort seines möglichen Erscheinens und seine Erscheinung selbst angeht – besitzt. Er ist demnach ein zufälliges Hybrid aus imaginären und symbolischen Anteilen, die sich gegenseitig aufrufen und somit das Wechselspiel von An- und Abwesenheit anzeigen und einschreiben. Er offenbart/übersetzt damit das fortwährende Gleiten des reinen Signifikanten im/ins Symbolische(n). Auf diese Weise macht er die operante différance wahrnehmbar, welche den Glauben an eine fixierbare „integrale phallische Identität“,374 wie sie seit der Installation des Spiegelstadiums im Individuum (als Ich- Bewusstsein) virulent ist, in Frage stellt, wenn nicht sogar schon vereitelt. Dieser Glaube kann dann nur im Fantasma bzw. im Fetisch überleben, wo er mittels der Verdrängung konserviert wird. An diesem Ort und in dieser Form ist er dann meist umso wirkungsmächtiger. Es ist die Fantasie, von der Masochisten und auch meist und das ist wohl auch der Grund, warum dieser zumindest in einigen besonderen Fällen, aber beispielhaften Fällen die Funktion des Ersatzes annehmen kann für das, was nicht gesehen, aber artikuliert und formuliert wird, als sei es wahrlich für das Subjekt das, was die Mutter besitzt, nämlich den Phallus, der zweifellos imaginäre, aber für ihre symbolische Grundlegung als phallischer Mutter wesentliche Phallus.“ (Lacan [zu seinen SeminarteilnehmerInnen] im Jahr 1956, 2003, 139.) Was hier offen bleibt, ist die wichtige Frage, warum dieses Erlebnis bei einigen Kindern („in einigen besonderen Fällen“) masochistisch-fetischistische Fantasien auslöst, und bei anderen eben nicht – sollte es überhaupt stattfinden. 373 Dieses Wissen ist die notwendige Bedingung dafür, dass das von unten gesehene Spektakel auch funktioniert, d. h. dass sich der Fetisch überhaupt konstituieren kann. Diese Bedingung ist aber auch gleichzeitig die große theoretische Schwachstelle. Denn wer kann beweisen, dass der kleine Junge auch tatsächlich vom Phallus weiß oder zumindest an diesen glaubt – auch wenn man aus psychoanalytischer Perspektive von einer unbewussten und übermächtigen Wirkkraft des Phallus (in der Moderne) ausgehen kann? Vgl. in diesem Zusammenhang – also zu Freuds Aprioris – auch Deleuze und Guattari 1977, 74 ff. Sie kritisieren an dieser Stelle Freuds leidenschaflichem „Imperialismus des Ödipus“ oder das Ubiquitäre der Vatermetapher in dessen Psychoanalyse. 374 Böhme 2006, 402. 11 7 Fetischisten reichlich besitzen, um den Phallus der Frau, um den sie ‚betrogen’ worden sind, wieder herbeizuzaubern.375 Auch der Masochismus-Kenner und Psychoanalytiker Theodor Reik betont die Rolle der Fantasie sehr deutlich und behauptet sogar, dass „Menschen mit schwach entwickelter oder keiner Phantasie keine Neigung zeigen, Masochisten zu werden“.376 Doch anders als der gewöhnliche Fetischist, dem zur Heilung seiner Kastrationsangst, seiner identitätsnegierenden Verletzung stets ein gewisses Fetisch-Objekt, das für den abwesenden Phallus steht, ausreicht, geht der Masochist gewiefter vor. Auch er bedarf der heilenden Kraft des harmonisierenden Fetischs. Jedoch geht es ihm dabei auch um die nachvollziehbare Darstellung – eine Imitation – des gerade mit Freud, Böhme und Lacan beschriebenen primären Prozesses, der sich um die schmerzliche Erkenntnis des angeblich fehlenden Phallus in der Mutter strukturiert. Einerseits möchte der Masochist die Gewalt des Schreckmoments, andererseits den Nervenkitzel/suspense – ‚vielleicht hat die Frau den Penis ja doch, vielleicht war das von unten gesehene Spektakel nur eine Täuschung!’377 – zur Wiederaufführung bringen und dann am liebsten gar nicht mehr vom Spielplan streichen. Diese wiederholte Prozedur,378 ein „acting-out“,379 in der der Phallus unterstellt wird, nicht da ist, und deswegen symbolisch ersetzt wird, steht nicht nur für die grundlegende Bewegung des 375 Vgl. Treut 1990, 157. 376 Ebd., Original: Theodor Reik 1977, 62. 377 Vgl. Žižek 2008, 256 378 Sie erinnert in gewisser Weise auch an eine Sadesche Beweisführung, wobei der Masochist ganz genau weiß, dass das, was er beweisen möchte, nämlich den Penis im (Körper-)Bild der Mutter, realiter unmöglich ist und bleibt. (Vgl. zur Unmöglichkeit im Hinblick auf die Perversion: Lacan 2003, 140.) Jedoch ermöglicht dieses Wissen den spielerischen Umgang mit dem Phallus-Begehren bzw. der Perversion – und darüber hinaus mit allen Phänomenen, deren Schein erkannt worden ist (was nicht bedeutet, dass der Schein damit aufgehoben wäre). Es ermöglicht die Transformation von Bildern auf einer virtuellen Ebene (beim klassischen Maso die Projektion eines versteckten Penis in der Frau – eben die phallische Frau), worin sich schon erste latente Anzeichen des Cyberspaces und der Cyborg – des kybernetischen Zeitalters – kundtun. Und nicht zuletzt ermöglicht es Humor, Ironie, Inversion, Parodie und Paradoxie – flottierende Signifikanten, die für jedes ernstzunehmende Spiel von Bedeutung sind. (Vgl. zum Spiel des Fetischisten auch Böhme 2006, 410.) Auch die Cyborg ist, vergleichbar mit der ‚grausamen Frau’, eine Collage bzw. Verschaltung aus Mensch, Tier und Maschine. Vgl. Pühler 2007 (a). 379 Lacan 2003, 191. 11 8 masochistischen Begehrens, sondern auch für die Dramaturgie des daraus abgeleiteten, szenenartigen Spiels. Der Fetisch leistet dies auf ähnliche Weise, in ihm ist diese Bewegung aber verborgen, d. h. als Deckerinnerung codiert bzw. im/zum Objekt erstarrt. Der Masochismus setzt diese Starrheit wieder in Bewegung, kehrt das Verborgene nach außen. Er verwandelt sie in dynamische Bilder und fokussiert dabei jenes Moment, in dem die Bildsubstitution etwas vernichtet oder verdrängt, gleichzeitig aber auch etwas Neues zum Vorschein und ins Fließen bringt. Deshalb ist auch ein realer Frauenkörper in diesem Spiel so wichtig, denn dieser steht nicht nur für die anwesende Mutter, eben für den ‚Tatort’ der Urszene, sondern auch für den Entzug/die Ersetzung des Bildes/Phallus selbst. Dass die (bzw. der Körper der) Frau in der männlichen Fantasie als Leerstelle erscheint und demnach mit Signifikanten, die um Mangel, Unstetigkeit, Unberechenbarkeit, Gefahr und Gewalt (Phi) kreisen, assoziiert werden, wundert daher nicht. Auch nicht, dass dieser Ort so verlockend ist, bietet er doch stets die Möglichkeit zu Libido, Spiel, Transformation und Zukunft – insofern sich hier der Mann als Schöpfer betätigt! Für den Masochisten stellt der weibliche Körper also nicht nur eine Projektionsfläche dar, sondern zudem eine Signifikanten-Batterie und Energiequelle, welche die Projektion in Gang hält. Sollte diese ‚technische’ Funktion einmal versagen, ist nicht der Mann schuld, sondern die Frau, die dann zur Rechenschaft gezogen wird.380 Dieses Fehlen und Schwinden, das einst für die 380 So war es zumindest im Selbstexperiment bei Sacher-Masoch – stets gab er den Frauen die Schuld am Misslingen seiner Fetisch-Operationen. Er ging dabei seinen eigenen Projektionen auf den Leim, indem er seine Spielpartnerinnen tatsächlich für dämonische Verräterinnen hielt. Diese wahrlich perverse Logik eines bereits perversen Spiels lässt sich wie folgt zusammenfassen: Sacher-Masochs Gespielinnen hätten seine abgründigen Fantasien erst geweckt, ihn in ihren Bann gezogen, um ihn dann eiskalt abzuservieren und schließlich sitzen zu lassen. (Vgl. Koschorke 75 ff., 167 ff.; vgl. Böhme 2003, 21 und Böhme 2006, 405, Anmerkungen in der Fußnote 24.) (Dass Frauen nicht nur in der masochistischen Imagination als gefährliche Feindinnen der Männer erschienen, sondern die vorherrschende Angst vor Frauen [insbesondere vor deren angeblicher „sexuelle(r) Anarchie“] auch politische Dimension erlangte, legt George L. Mosse nahe: „So war tatsächlich in einer neuen bayerischen Gesetzessammlung zu Beginn des 19. Jahrhunderts zu lesen, daß Männer zu Opfern gemacht und in ihrer Sexualität von Frauen bedroht werden könnten.“ [Vgl. Mosse 1997, 103.]) Aber auch die Wissenschaft vom Sex bzw. deren Gründungsväter waren in Bezug auf das Thema Frauen und Masochismus nicht gerade unvoreingenommen, oft wurden aus phänomenologischen Äußerlichkeiten 11 9 Übertragung von realer psychischer Gewalt gesorgt hat, übersetzt sich in das Register des masochistischen Privattheaters, überträgt/projiziert sich hier auf die Rolle der vermeintlich grausamen Frau, die diese Gewalt dann von Neuem geltend macht, indem sie sie auf- und ausführt. Der Schock von einst wird so in die serielle, metonymische Präsenz von immer wieder abrufbarer Lust verwandelt und gebannt. Dass es neben den ausgestellten Fetisch-Objekten vor allem sie selbst ist, die als Domina in der männlich-masochistischen Fantasie phallischen Charakter hat, zeigt sich in der Venus im Pelz daran, dass sie unberechenbar und despotisch ist bzw. sein soll. Ihre Launen und Willkür, „Gnade und Ungnade“,381 ihre gleichzeitige Nähe und Distanz zu Severin, ihre stetiges Erscheinen und Verschwinden, aber auch ihre Liebe und möglicher Verrat sind dafür deutliche Indizien. Ihr schwankendes Verhalten, welches als Projektion männlich-masochistischer Unsicherheit gilt, macht nachvollziehbar, dass das klassische Maso-Begehren im Grunde immer auf die von Deleuze beschriebenen drei Frauentypen zielt: auf eine Pendelbewegung zwischen der hetären und der ödipalen Mutter, die den Typus dazwischen, die orale Mutter in imaginärer „Herrlichkeit und Vollkommenheit“,382 erscheinen und gleichzeitig oszillieren lässt. (Dieses triadische und dynamische Modell ist aber auch im Typus der grausamen Frau aktiv; es ergeben sich dann Positionen der femme fatale, femme cruelle und neo-femme fatale.)383 Bei genauerem Hinsehen zeigt sich darin auch die Pendelbewegung zwischen der „Kastrationsangst und dem erlösenden Phallus“. Der Fetisch ist laut Böhme der „Kompromiss“, der und Projektionen scheinbar unumstößliche Sexwahrheiten abgeleitet: So dichtete sogar Sigmund Freud Frauen eine quasi-natürliche Unterwürfigkeit in Form eines femininen Masochismus an und auch seine Vorstellungen über den angeblich weiblichen Modefetischismus weisen – wie bereits erwähnt – in diese Richtung. Auch dass die Libido angeblich männlicher Natur sei, ist ein Trugschluss Freuds. Wie Hartmut Böhme feststellt, „beginnt sich dieses Syndrom“ – die männliche Phallus-Zentrierung, die nicht selten einen fragwürdigen „Theoriefetischismus“ oder bizarre gender-zuschreibungen nach sich zog, erst „gegen Ende des 20. Jahrhunderts aufzulösen: durch die kulturelle Publizität des Sex, durch die Frauenbewegung sowie durch die staunenswerte Ausbreitung des Fetischismus auf allen Ebenen der Kultur.“ Vgl. Böhme 2006, 383. 381 Sacher-Masoch 2003, 114. 382 Deleuze 1980, 205. 383 Vgl. dazu den Punkt „Zur Konstruktion des Typus grausame Frau“ in dieser Arbeit. 12 0 zwischen diesen beiden Seiten unbewusst geschlossen wird,384 also letztendlich zwischen dem Phallus der Koordination und dem der Kastration. Im Masochismus wäre dies die orale Mutter bzw. strafende femme cruelle.385 Man muss weder die Vorstellungskraft eines Fetischisten haben, noch an mythisch geprägte Erzählungen der Psychoanalyse glauben, um das Geheimnis des verschleierten Phallus in der Natur, in der Frau oder im Fetisch lüften zu können.386 Stattdessen tun es auch medientheoretische Überlegungen, und möglicherweise sogar besser, da man mit ihrer Hilfe die hier angewandte gender-Argumentation stützen, erweitern oder auch aufheben kann.387 Sade war hier bereits weiter, da er gewisse Phallus-Fantasien nicht nur bei Männern, sondern auch bei Frauen konstatierte – und in seiner Literatur brutal zerstören ließ. Diese Gewalt, das Abschneiden des Penis bzw. das Zunähen der Vagina – Schnitt und Schließung – bringt die kastrative (Stör- und Fehl-)Funktion des Phallus sichtbar und unverkennbar zum Ausdruck. Gleichsam entlarvt und eliminiert Sade in dieser Verwerfung macht- und lustvolle Trugbilder des imaginären Phallus, wie sie sich z. B. in romantisierten Vorstellungen eines von Natur aus harmonischen Geschlechterverhältnisses (bzw. noch allgemeiner gesprochenen: in einem aus dem Realen direkt ableitbaren Geschlechterverhältnis)388 niederschlagen. 384 Böhme 2006, 403. 385 Auch Lacan hat die Schutzfunktion des Fetisches vor Kastrationsangst herausgearbeitet (und grenzt ihn deutlich gegen die Phobie ab). Vgl. Lacan 2003, 23 ff. 386 Vgl. zum Verhältnis Fetisch – Schleier/Vorhang: Lacan 2003, „IX Die Funktion des Schleiers“, 177- 210. 387 Natürlich drängt sich in diesem Zusammenhang unweigerlich die Frage, der Verdacht, auf, was wohl passiert, wenn das kleine Mädchen unter den Rock der Mutter schaut. Oder umgekehrt, wenn der Junge oder das Mädchen von der ‚weiblichen Leerstelle’ ausgehen und dann beim Mann den Penis entdecken! Bei solchen Überlegungen wird schnell deutlich, dass eine medientheoretische Verallgemeinerung notwendig wird. Vgl. dazu weiter unten im Haupttext. 388 Auch wenn es nach Lacan keine (sexuelle) Differenz im Realen selbst geben kann, so muss laut Marie-Luise Angerer dennoch dort etwas vorhanden sein, „was die symbolische Ordnung, sprich das Erscheinen der Geschlechter, verursacht, trägt, selbst jedoch dieser Ordnung entgeht.“ Ist dies nicht der schlagende Beweis für das obskur-ambivalente, nicht-repräsentierbare Objekt (klein) a, jene – wie es heißt – Neuerung, die Lacan in die Freudsche Triebtheorie einführt? Denn dieses Objekt erzeugt ja gerade jenen „Fleck, der das Reale für immer von den Weisen seiner Symbolisation separiert“ (Vgl. Žižek 1998, 91 f.). Das, was als 100 Prozent weiblich oder männlich benannt sein soll, macht dieses Objekt, dieser blinde Fleck, daher unmöglich. Es erweist sich als radikaler Störfaktor in jedem 12 1 Bei Sacher-Masoch muss diese Gewalt nicht mehr nur am Körper – im Realen – selbst vollzogen werden, sondern funktioniert – wie erwähnt – vorwiegend virtuell, d. h. in der Negation durch Bildmedien. Sie geht aus Erinnerungsbildern einer archaisch- anarchischen Mutter-Sohn-Beziehung (bzw. aus der eben beschriebenen Urszene) hervor und ist und bleibt daher – zumindest im klassischen Masochismus – heterosexuell zentriert. Gleichwohl geht es auch im Maso-Szenario um Schnitte. Diese finden zwischen den organisierten, libidinös aufgeheizten Bildern bzw. Vorgängen statt, dringen in ihrem Ablauf und Zusammenspiel jedoch aufgrund des blendenden Nachbildeffekts nicht ins Bewusstsein vor, da dieser mit der Trägheit der Sehnerven operiert. Deshalb benötigt der Masochist zusätzlich die diskrete Taktung der Peitschenhiebe, welche eine ‚stroboskopische’, haptische und auditive Wirkung haben. Diese Gewalt gaukelt ihm vor, dass sein inszeniertes Spektakel nicht nur halluziniertes Bilderspiel ist, sondern jenseits der Täuschung einen Bezug zur äußeren Wirklichkeit hat. Einerseits erdet die Peitsche ihn (die Peitsche geht nieder), andererseits dient sie ihm als Stütze und Verstärkung seines Fantasmas.389 Hier kommt zudem der körperliche Schmerz, die Erinnerung an den realen Körper und sein Gewicht (in vielerlei Hinsicht – nicht nur physikalisch betrachtet), was als Überbleibsel der Sadeschen Gewalt bezeichnet werden könnte, zur Geltung. In toto ergibt sich daraus für den Masochisten ein quasi- multimediales Gesamterlebnis, eine schillernde performance virtualisierter, fetischisierter Partialobjekte – eine individuell ausgestaltete Operation unbeschreiblicher Lust. Der Masochist weiß ganz genau, wo und wie er sich ludisches Rauschen verschafft. (phallischen) Ganzheitsbegehren, ist gleichzeitig aber auch der (hypothetisch-abwesende Ur-)Grund für jede Begehrenskonstitution bzw. -artikulation, die sich ja im ‚Normalfall’ gerade als Ganzheit im Imaginären geltend macht. Vgl. Angerer 2000 (a), 224 und im folgenden Kapitel dieser Arbeit „Das Objekt a“, das, wie zu zeigen sein wird, bereits bei Freud als Reizbläschen vorhanden ist. 389 Laura Mulvey sieht diesen Vorgang auch in der Filmwahrnehmung. Sie spricht diesbezüglich von „Faszinationsmuster[n], die stark genug sind, einen voübergehenden Verlust des Ego mit dessen gleichzeitiger Verstärkung zu koppeln. Das Gefühl, die Welt in dem Maße zu vergessen, wie das Ego sie als Folge davon wahrnimmt (ich vergaß, wer ich bin und wer ich war), ist eine wehmütige Reminiszenz an d[en] präsubjektiven Augenblick, in dem das Bild erkannt wurde.“ Mulvey 1998, 395. 12 2 „Das ludische Rauschen beschreibt eine besondere Weise, Vielfalt zu erschaffen und/oder sich mühelos darin zu bewegen. Man legt einen neuen Kontext um einen bekannten Gegenstand, eine Westernprärie um ein Holzpferd, und reitet so pfeifend in den nächsten Sonnenuntergang.“390 Diese schöne Definition, die mit Spielpraxis im selbsterschaffenen, virtuellen Raum operiert, lässt sich auch auf klassischen Masochismus anwenden: Man legt einen Pelz um eine kräftig gebaute Frau, gibt ihr eine Peitsche und lässt sich in ihrem kaminbeheizten Salon oder Gemach demütigen und auspeitschen, um so der klirrenden Eiseskälte des strengen Sittengesetzes im späten 19. Jahrhundert lustvoll zu entkommen. Was die Urszene der fetischistischen Schaulust (oder allgemeiner gesagt: das libidinös motivierte Nicht-Verzichten-Können auf ein Objekt, das an einem bestimmten Platz erscheinen soll) an (medien-)theoretischem Mehrwert bietet und auf jeden Fall festgehalten werden muss, ist die Asymmetrie bzw. der Schnitt zwischen Imaginärem und Symbolischem, welche/r der Phallus-Signifikant realisiert: Nämlich dass „das Gezeigte [...] nicht mit dem Bezeichneten [zusammenfällt], vielmehr entzieht es die Bedeutung wieder in Richtung einer Verweisung auf ein anderes Bild“.391 Es lässt den Blick „konnotativ ab und übergleiten auf das, was gerade nicht im Bild zu sehen ist, oder was sich in ihm versteckt“. Ziel dieser Suchbewegung ist die „Einlösung eines Versprechens des Wunsches, das obskure Objekt der Begierde zu zeigen.“392 Für den Masochisten gilt, dass dieses begehrte – realiter unmögliche – Objekt nur als beweglicher Schnitt393 in der Dynamik bzw. Fluidität des inszenierten Phallus für ihn 390 Vgl. Adamowsky 2000, 40. 391 Wetzel 1994, 342. Dass dieser Entzug nicht erst auf dem Niveau analoger (Bild-)Medien virulent wurde, sondern bereits die Dimension des Kantschen Gesetzes betrifft, hat Gilles Deleuze betont: „In jedem Fall gab Kant mit der Absolutsetzung DES Gesetzes dem Denken der Moderne eine seiner Hauptdimensionen: das Objekt des Gesetzes ist wesentlich ein sich Entziehendes.“ Vgl. zur Herleitung dieser These (– oder wie Žižek sagt: dieser „nicht überbietbare[n] Formulierung von Kants radikal neuer Konzeption des Moralgesetzes [Žižek 2001 (b), 507]): Deleuze 1980, 231 ff., 233 (Zitat). 392 Wetzel 1994, 342 f. 393 Vgl. zu diesem Begriff in Deleuzescher philosophischer Filmtheorie: Schmidt 2005, 102 f.: „Die Idee der Montage bzw. Zusammensetzung von Film sei [...] für Deleuze kein Argument dagegen [gegen eine kontinuierliche und unteilbare Bewegung, wie sie Henri Bergson definierte und wie sie 12 3 zu haben ist. Daher benötigt er Spielszenen und vor allem die Strafpraxis seiner Domina, in welcher die Schnittfolge – und damit verbunden: das Gleiten/ der Entzug/ die Entropie des Signifikanten – z. B. durch die ‚stroboskopische’ Wirkung der Peitschenhiebe (auf der Haut in Form von Striemen) angezeigt und spürbar wird. Diese dynamische Steuerung realisiert sich gleichsam in den sich gegenseitig aufrufenden Bildern der strengen und gütigen Mutter394 und nicht zuletzt im Öffnen und Schließen ihres Pelzes. Schaut man sich diese Prozedur von ihrer medialen bzw. strukturalen Seite an, offenbaren sich hier Stand- und Bewegungsbilder, genauer gesagt: ein wechselseitiges on-off. Als rein technisches Funktionsprinzip ist diese Steuerung nicht nur im Kinematografen, sondern bereits in der Wechselstromphysik des 19. Jahrhunderts implementiert. Diese markiert den Ausbruch einer neuen Zeit, in der sich die traditionelle Ontologie in eine operationale verwandelt: Wechselstrom-Apriori „Zwischen Mitte und Ende des 19. Jahrhunderts haben sich entscheidende Ereignisse und Entdeckungen in der Geschichte der Elektrizitätsphysik zugetragen, die als Genealogie der elektrischen Medien zugleich eine entscheidende Rolle für den die Zeit und die Konzeption des Unbewussten betreffenden epistemologischen Wechsel spielt. Anfang der dreißiger Jahre des 19. Jahrhunderts wird die bis dahin in Physik und Philosophie als ein kontinuierliches Fließen vorgestellte Zeit wird zur Serie oder Frequenz diskreter Ereignisse oder elektrischer Funken. Die ganze Welt, und Deleuze gleichsam als Modulation des Realen und als objektive Eigenschaften des Filmbildes begreift (Anmerkung S. P.)], weil die Bilder bereits in Hinblick auf Bewegung aufgenommen worden und für das Auge des Betrachters auch nur als solche vorhanden seien. Montage sei im Film daher kein starrer, sondern ein beweglicher Schnitt.“ Trotzdem sind die montierten Einzel- bzw. Ausgangsbilder auf dem Filmstreifen – auch wenn sie in (mechanische und philosophische) Bewegung geraten – damit nicht verschwunden oder inexistent, was auf den Masochismus übertragen noch eine entscheidende Rolle spielen wird. (Vgl. die Ausführungen zum Kino im nachfolgenden Punkt.) 394 Dieses gespaltene Frauenbild in gut und böse hatte bereits Sade in der literarischen Konzeption der Justine (die Tugendhafte) und Juliette (die Lasterhafte) realisiert. (Vgl. Sade 1990 ff.) In seinem Leben gab es tatsächlich zwei Frauen, die in ein ähnliches Schema passen: Einerseits seine unbarmherzige Schwiegermutter, die ihn verfolgen und einkerkern ließ und andererseits seine geliebte Ehefrau, die sich im Gefängnis rührend um ihn kümmerte und ihn u. a. mit Lebensmitteln und Literatur versorgte. 12 4 insbesondere die Welt der Wissenschaft, wird unterminiert durch die unendliche Oszillation zweier diskreter Zustände, eines elektrischen und eines magnetischen Feldes, sich selbst in reiner Selbstdekonstruktion gegenseitig aufrufend und zerstörend. Kurz nach Faradays Entdeckung der Funkeninduktion und des Stroboskopeffekts implementieren Faradays Induktionsspule, Saxtons Wechselstromgenerator und Ruhmkorffs Funkeninduktor eine Hegel’sche schlechte Unendlichkeit in den elementaren Stromflussveränderungen des Wechselstroms.“395 Was das masochistische Begehren mit diesem Wechselstromprinzip verbindet, ist, dass es ebenfalls einer diskreten Steuerung unterliegt, die sich durch Selbstdestruktion aufrecht bzw. am Laufen hält, dass es, wie gesagt, als Dysfunktion Funktion macht. Die Wirkung dieser Steuerung bzw. des Phallus realisiert sich genau dann, wenn Strom durch die Induktionsspule fließt, um das automatische, blitzschnelle Alternieren zwischen dem magnetischen und dem elektrischen Feld auszulösen. Auch wenn man sich tunlichst davor hüten muss, eine solche rein physikalische Versuchsanordnung, mit der die neue Zeit im „Takt der elektrischen Medien“ bzw. im „Takt der différance in ihren Verräumlichungen und Verzeitlichungen“ begann,396 auf das Subjekt und sein Begehren eins zu eins zu übertragen, so kann dieses Wechselspiel dennoch mit dem Pulsieren des Unbewussten397 in einem menschlichen Körper in Beziehung gesetzt bzw. analogisiert werden. Von daher möchte ich die These wagen, dass gerade dieser diskrete Takt eine Voraussetzung, ein technisches Apriori bietet, mit dem sich masochistische Begehrensstrukturen und Codes, Spielformen und Räume der Maso-Perversion vielgestaltig ausprägen können und auch erklären lassen. Denn dass die ‚grausame Frau’ unter „Telegrafen und Eisenbahnen“398 elektrisierende bzw. magnetisierende Eigenschaften besitzt, indem ihr Körper mit libidinöser Energie quasi unter Strom gesetzt wird und dabei sowohl anziehend als auch abweisend wirkt, wundert dann – wie bereits ausgeführt – nicht. Sie ermöglicht eben die „Umschaltstellen von 395 Bitsch 2009, 146. 396 Ebd. 397 Vgl. Lacan 1986 (b), 217. 398 Sacher-Masoch 2003, 24. 12 5 erotischen Kraftlinien“399 für den Masochisten, was der Wechselstromschaltung in einem elektrischen Medium ähnelt und diese als unbewusste Voraussetzung hat.400 Dass das Venus-im-Pelz-Dispositiv aufgrund des ausbleibenden dritten Moments ferner eine Hegelsche schlechte Unendlichkeit zeitigt und deshalb auf zwanghafte Wiederholungen angewiesen ist, legt ebenfalls den Vergleich mit diesem Wechselstromprinzip nahe, welches eine „zeitlos-ewige Rekursion, ein[en] oszillierende[n] Wahn, der keine Abbruchbedingungen mehr kennt“401, induziert. Das Hinauszögern und Aufschieben der Endlust im masochistischen Szenario weist ebenfalls in diese Richtung, auf Suspension in virtueller Unendlichkeit. Auch dass Severins masochistische Prozedur eine bereits abgeschlossene (Tagebuch-) Geschichte ist, die jedoch wie in einem Tagtraum (im Präsens) erzählt, d. h. erneut herbeihalluziniert wird, und Sacher-Masoch diese in eine zeitlich versetzte, d. h. nachfolgende Rahmenhandlung (im Präteritum) einbettet, sind signifikante Anzeichen für die neue, nicht-chronologische Zeit, in der „die klassische Folge von Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft“ radikal gestört und die chronologische Reihe von Gegenwartsmomenten inexistent wird. Gegenwart ist in dieser neuen Zeit deswegen so schwierig zu haben oder zu denken, da sie – vergleichbar mit dem reinen Signifikanten im Unbewussten – „nur im Sinne einer unendlichen Selbstdekonstruktion des Voraufgehenden in Form einer Antizipation [operiert], die wiederum nichts als ihre eigene Selbstdekonstruktion heraufbeschwört“.402 Gerade deswegen legt der Masochist größten Wert auf das Hier und Jetzt seiner performance. Er begehrt die Unmöglichkeit reiner Gegenwart, die Erotik im ewigen 399 Böhme 2006, 392. 400 Dabei spielt es keine Rolle, ob es sich um ein analoges oder digitales Medium handelt, denn diese Schaltung bleibt in jedem elektrischen/elektronischen Gerät, das mit Wechselstrom läuft, bis heute grundlegend erhalten. (Vgl. Bitsch 2009, 147.) Ähnlich wie im Okkultismus, dessen „Lieblingsbeschäftigung es war, nach Gespensterfotos zu jagen“, ist meiner Meinung nach auch der klassische Masochismus „eine Mimikry an die elektrische Telegrafie“ (Kittler 2002 [a], 188.) bzw. die Wechselstromphysik und analoge Fotografie nach 1850. Es geht in diesem Kommunikationsprozess allerdings weniger um die Übertragung und Speicherung von Wissen, sondern um das Ausleben perverser Lust auf dem Niveau des physikalischen Reellen. 401 Bitsch 2009, 146. 402 Ebd. 148. 12 6 Wachzustand.403 Nicht zuletzt kann die unter der Wahrnehmungsschwelle ablaufende, bewusstseinsimmanente différance, welche das Gleiten des (reinen) Signifikanten (on-off) und damit ein verkürztes, als beschädigt und diskontinuierlich empfundenes Sein bewirkt, als Grund für das unüberwindbare Schuldgefühl und das stetige Strafbedürfnis – schließlich für die inszenierte, lustvolle Selbstdestruktion – des Masochisten gelten. In diesem Sinne folgt Sacher-Masoch der Subversionsstrategie Sades, nämlich Erkenntnisse der (Natur-)Wissenschaft für eigene Lustzwecke zu entwenden, d. h. triebgesteuerte Experimentalanordnungen, die durchaus mit wissenschaftlichen Methoden vergleichbar sind und diese als Vorbilder haben, zu erfinden und auszuprobieren. Sade hörte dabei vor allem auf seinen Unterleib, Sacher-Masoch vertraute demgegenüber mehr seiner visuellen Wahrnehmung und seinem bildungsbürgerlichen (Bibliotheks-)Wissen. Wo bei Sade die wissenschaftliche Vorgehensweise in seinen Schriften klar zu erkennen ist, ist sie bei Sacher-Masoch in Camouflage, in salonfähige Unterhaltungsliteratur gehüllt und muss erst analytisch – z. B. mit medientheoretischen Mitteln – nachträglich zu Tage gefördert werden. Damit stützt Sacher-Masochs Perversion ebenfalls die Hauptthese der vorliegenden Arbeit, dass Sadomasochismus als Versuch zu verstehen ist, dem von sich selbst entfremdeten, modernen Subjekt jene Lust zurückzuerstatten, die diesem durch die Übermacht des Phallus, den Eingriff des technischen Signifikanten, abhanden gekommen ist. Dass beide Autoren auf diesen Mangel wiederum mit speziellen, raffinierten Techniken der Imagination bzw. des Selbst antworten, ist keineswegs nur belanglose Spielerei oder Hobby zum Zeitvertreib, sondern eine logische 403 Es ist der (Bergsonsche) Begriff der Dauer, der sich hier ankündigt und „in den Konzepten der Lebensphilosophie zum élan vital [...] als Reflex auf die als pathogen wahrgenommene Fragmentierung der Zeithorizonte in den Lebens- und Erfahrungskontexten zunehmender Mobilisierung, Industrialisierung und Urbanisierung“ seit dem späten 19. Jahrhundert herauskristallisierte. (Filk 2010, 23.) Der Begriff hat in gegenwärtigen medien-/ kulturtheoretischen Diskursen in dem Differential Kontinuität/Diskontinuität nach wie vor Konjunktur. Wenn der Masochismus wie beschrieben aus der Dysfunktion Funktion macht, heißt das u. a. auch, dass er Diskontinuität in Kontinuität bzw. Dauer transformieren möchte. Vgl. Henri Bergson 1991, darin: „A. Die Metamorphosen der Dauer, IX-XXII (Einleitung von Erik Oger); und in der Deleuzschen philosophischen Filmtheorie: Vgl. Schmidt 2005, 71-87 („3.2. BERGSONS GEDÄCHTNISKONZEPTION“). 12 7 Notwendigkeit, um Lust zurückzuerobern und Imaginationsvermögen zu sichern. Demzufolge arbeiten ihre SM-Techniken dem Erhalt der Ichfunktion und der Fanatasie zu, welche in der Moderne stets unter ‚Beschuss’ steht und deswegen abzustürzen oder gar zu verschwinden droht, gezielt zu.404 Mit dem Wechselstromdispositiv, wie es Lacan und Bitsch medientheoretisch bzw. zeitphilosophisch einführen und deuten und wie ich es auf das Maso-Begehren angewandt habe, soll nachvollziehbar werden, dass Sacher-Masoch keine Vielzahl an Fetischen und Lustpraktiken, eben keine Sadesche Perversionsenzyklopädie mehr benötigt, sondern sich stattdessen mit einer einzigen Versuchsanordnung zufrieden geben kann, verbirgt sich hinter/unter dieser doch jenes grundlegende dynamische Prinzip, welches das Selbstdestruktionsbegehren des Masochisten – ein für alle mal – formatiert und regelt. Unter der grellen und lärmenden Oberfläche der Maso- Inszenierung verbirgt sich gleichsam ein elektrischer Homöostat,405 dessen Effizienz durchaus mit der relativ störungsfreien, auf Hochtouren arbeitenden Lustökonomie Sades korreliert. Beide folgen in ihren Unternehmungen einer negativen, operationalen Ontologie, die – ähnlich wie eine elektrische Schaltung – dafür sorgt, das Es implementiert wird, fortan reibungslos läuft und das Reale der Lust jederzeit verfügbar machen soll. Das hat weitgehende Konsequenzen für den gender-Diskurs und das (romantische) Verständnis von Liebe: Auch wenn die Geschlechterbeziehung nicht existiert, „kein Logos und keine Losung der Liebe“ – so Annette Bitsch –, „gibt es nur eine Geschlechterdifferenz im strengsten Sinne des Wortes, eine Differenz in actu – die Verliebtheit funktioniert, überspitzt gesagt, wie ein Wechselstromgenerator. Die Liebe und die Liebe zur Wahrheit – all die glorreichen Werte, die großen Dinge, das Sternenleuchten der guten alten Zeit – die fallen mit dem Fanal der diskreten Operationalität, sie werden verinnert, faradayisiert, aber dies, wie bei allen 404 Vgl. dazu Sabine Wettigs Thesen in: Wettig 2009, 121 f. 405 „The notion of homeostasis allows us to trace the cybernetic circuit in the work of Freud. The pleasure principle is the principle that keeps the level of excitment at a constant level, and thus functions as a (cybernetic) principle of constancy.“ Nusselder 2009, 147 (Fußnote 8 im 3. Kapitel „Fantasy and the virtual mind“). 12 8 Umbrüchen, nicht ohne Verweigerungen, Komplikationen und Diskontinuitäten“.406 Gerade der Masochismus ist eine Form fetischistischer Verweigerung, eine verfehlte Liebe, die mit diskreter Operationalität funktioniert.407 Liebe als Wechselstromgenerator sorgt auch für Sacher-Masochs Begehren nach geschlechtsloser Liebe, technischem Sex. Dies ist auch das Begehren der Cyborg, analog strukturierte Dualismen und Oppositionen, wie sie u. a. in der Geschlechterdifferenz und ihrer meist repressiven (Ich-/ Subjekt-/ Gesellschafts- )Ordnung im westlichen Kulturkreis (historisch) zum Ausdruck kommen, geschaltet sind, medial zu unterlaufen und zu transformieren. Komplikationen sind dann nicht fern bzw. vorprogrammiert, wie es bei Sade deutlich zu beobachten ist. Seine maschinelle Ästhetik kulminiert nicht selten an einem Punkt, an dem der totale Kurzschluss der Apparate und sogar des gesamten Systems/Dispositivs erfolgen kann; dieser wird von Sacher-Masoch jedoch gerade nicht begehrt, sondern endlos hinausgezögert.408 Der Masochist möchte eigentlich nur 406 Bitsch 2009, 162. 407 Es geht dabei vor allem um die fehlende bzw. volle Anerkennung des geliebten Subjekts, der Domina. Was „die Entdeckung der Liebe mit der Entdeckung der Elektrizität gemein“ hat, erläutert Martin Burckhardt kurz in: Ders. 1998, 46. 408 Auch Sade kennt das Hinauszögern der ‚Endlust’. Allerdings nicht im Sinne eines masochistischen suspense, sondern um den hinausgeschobenen Orgasmus tatsächlich zu erreichen und intensiver erleben zu können – eine Art sexueller Selbsttechnik, die jene Techniken, die sich um die Sorge des Körpers im 18. Jahrhundert (inflationär) zu entfalten beginnen, bereits um die reine Lust-Dimension erweitert. So rät seine Romanheldin Juliette einer Freundin: „Verbringen Sie zwei volle Wochen, ohne sich mit Schlüpfrigkeiten abzugeben, jedenfalls dürfen Sie bis zum fünfzehnten Tag keinerlei libertine Gedanken aufkommen lassen. Sobald es soweit ist, sollten Sie sich in vollkommener Abgeschiedenheit, Stille und Finsternis allein zu Bett legen; rufen Sie sich dortselbst all das in Erinnerung, was Sie in dieser Zeitspanne verdrängt haben, und geben Sie sich sanft und träge jenem flüchtigen Fingerspiel hin, durch das Sie sich und andere so unvergleichlich aufzureizen wissen. Lassen Sie alsdann Ihrer Einbildungskraft freien Lauf, auf daß Sie Ihnen stufenweise die verschiedenenartigsten Ausschweifungen vorführen; spielen Sie sie in allen Einzelheiten durch. [...] Unmerklich wird Sie eines der vielgestaltigen Gemälde, die Sie vor Ihren Augen vorüberziehen lassen, stärker in seinen Bann ziehen als die übrigen. [...] Taumel wird sich Ihrer Sinne bemächtigen, und indes Sie bereits glauben, alles in die Tat umzusetzen, werden Sie entladen wie eine Messalina. Sobald dies vollbracht ist, zünden Sie Ihre Wachslichter wieder an und übertragen jene Ausschweifung, die sie just erhitzt hat, auf ein 12 9 die erotisch-elektrischen Spannungsstöße zwischen ihm und seiner Domina goutieren und dies aus sicherer Distanz, d. h. mit eingebauter Sicherung bzw. mit einem Schutzschirm (– seine technische Praxis der Liebe bzw. des Verliebtseins, Antesten mit Sicherheitsabstand). Dass heißt jedoch nicht, dass (klassischer) Masochismus vor so einem Sadeschen GAU gefeit ist, wie nun mit dem Ende der Venus im Pelz aufgezeigt werden soll. Sadistischer Showdown So sehr Sacher-Masoch also die Zeichen der neuen Zeit für eigene Zwecke geschickt zu inszenieren weiß und sich davon – ähnlich wie Sade – Lust auf Befehl bzw. Knopfdruck verspricht, so wenig ist er bereit, die Anordnung und Fernbedienung seiner masochistischen Apparatur, die Spielregeln im Verlauf des Venus-im-Pelz- Experiments zu überdenken und zu modifizieren. Wo die anfängliche Installation in dem Sinne geglückt zu sein scheint, als die Bewegung des sich stets entziehenden Phallus einen passablen Ausdruck gefunden hat, treten im weiteren Spielverlauf Turbulenzen und Störungen auf, die zwar die begehrte Gewalt bzw. Grausamkeitswollust des Masochisten wirksam befeuern, jedoch auch zielsicher zur finalen Katastrophe führen. Obwohl Severin eine rein objektzentrierte Fetisch-Praxis bzw. seine perverse Fantasie um die Dimension programmierter action (ebenfalls wie zuvor Sade) erfinderisch erweitern kann, so schafft er es dennoch nicht, dieses Spiel so zu gestalten, dass dessen strukturelle Gleichförmigkeit aufgehoben und überwunden wird. Bei genauer Betrachtung zeigt sich, dass es nicht über den Status bzw. die Funktion eines herkömmlichen Fetisch-Objekts hinaus geht – und dies trotz seiner multimedialen, d. h. durch Bildsubstitution und Peitschentakt generierten (Psycho-)Dynamik. Hier wie dort ist letztendlich die negierende, petrifizierende Wirkung dieses Objekts dominant und virulent, die bereits erwähnte fatale Strategie des Fetischs kommt zum Zuge. Denn anstatt die implementierte, sich aufheizende Dynamik mit seiner Spielpartnerin symbolisch zu verfeinern bzw. auf ein neues, gemeinsames Niveau zu heben, hält Severin zwanghaft an seinem idealisierten Schreibtäfelchen“. Dieses masturbatorische Selbstpraxis besitzt also sehr masochistische Züge. Vgl. Sade 1990, Bd. 8, 69; zitiert nach Zweifel und Pfister 2001, 25. 13 0 Ausgangsbild fest und versucht es gleichsam einzufrieren.409 Schließlich begehrt er, so beschreibt es die Sacher-Masoch-Forschung, das Erlebnis „‚photografischer’ Szenen der erstarten Bewegung“.410 Das Drängen des imaginären Phallus im Unbewussten bzw. im Maso-Dispositiv wird daher nicht mit einem notwendigen, neuen Signifikanten (S2) aktualisiert bzw. dem sich langsam verändernden Spielverlauf – d. h. den Befindlichkeiten Wandas – angepasst, sondern verharrt in einem Stillstand, der auf paradoxe Weise dennoch Bewegung ist, gleichsam ein masochistischer Leerlauf. Obwohl Severin zwar versucht, diesen Signifikanten einzuführen – es ist jenes Bild, das der deutsche Maler von Wanda und Severin in Florenz anfertigt –, bietet es letztendlich nichts Neues. Einmal mehr hält es die ‚grausame Frau’ fest und stellt diese aus. Zwar ist jetzt auch ihr devoter Sklave zu sehen, trotzdem verweist es auf einen bereits bekannten Inhalt, ohne diesem etwas Nennenswertes hinzuzufügen. Allerdings könnte man die Abbildung Severins auch dahingehend deuten, dass der Masochist nicht mehr nur ‚die grausame Frau’, sondern auch sich selbst – d. h. sein Ich – als virtuelle Spielfigur zu begreifen lernt. Doch dieser mögliche Erkenntnisprozess, der eine entscheidende Wendung in der Maso-Inszenierung herbeiführen könnte, bleibt aus. Dass es wieder nur um die ‚Despotin’ geht, bekräftigt der Maler, indem er sich heimlich eine Kopie seines Gemäldes verschafft, auf der nur Wandas Kopf zu sehen ist (wiederum ein Bildausschnitt, ein Teil des Ganzen bzw. ein Teil, der für das Ganze steht, so wie es die Ästhetik des Fetischs einfordert.) Zudem lässt er sich während der Produktion von Wanda auspeitschen, was schon in die Nähe postmoderner performance-Kunst – wie sie u. a. Jack Smith in den 1960er Jahren stilbildend und 409 „Die masochistische Kälte ist ein Gefrierpunkt, ein Ort (dialektischer) Transmutation: göttliche Latenz – entsprechend der Eiszeitkatastrophe.“ (Deleuze 1980, 205.) Vgl. in Bezug auf das Kino auch Mulvey 1998, 397: „Die Präsenz der Frau ist ein unverzichtbares Element der Zurschaustellung im normalen, narrativen Film, obwohl ihre visuelle Präsenz der Entwicklung des Handlungsstrangs zuwider läuft, den Handlungsfluß in Momenten erotischer Kontemplation gefrieren lässt.“ 410 Vgl. Treut 1990, 170 und auch Deleuze, der zudem von „erstarrter Kaskade“ spricht. Deleuze 1980, 188. 13 1 sehr masochistisch prägte – rückt.411 Auch der Ortswechsel, die Reise nach Italien hilft allein nicht weiter, um dem Spiel neue Impulse zu geben. Im Gegenteil: Es wird nur exportiert bzw. verbreitet, was sich in der stetigen Wiederaufführung an anderen Orten – wenn auch mit Variationen – und nicht zuletzt im heimlichen Bildklau des Malers offenbart. Dadurch bleibt es zwar stets in Bewegung, doch diese Rotation und Mobilmachung bedeutet keine qualitative Veränderung, sondern nur eine quantitative: sozusagen den internationalen Vertrieb der Perversion. Die serielle Reproduktion von Leerstellen, eben „die tödliche Sicherheit der Wiederholung“412 findet dann nicht mehr nur lokal im Maso-Dispositiv selbst statt, sondern weitet sich in den äußeren Raum, in andere Kulturen aus. Mediale Perversionen strömen in den medialen Raum, bilden und bedienen dort das fetischistische Fantasma von Globalität. Damit kann der notwendigen Aktualisierung aus dem Weg gegangen und über deren Fehlen geschickt hinwegtäuscht werden, handelt es sich doch nur um eine Erweiterung, eine metonymische Verschiebung und Auffächerung des Ausgangsbildes, schließlich ein fake sozusagen, der das immanente Halteproblem des masochistischen Begehrens nicht löst, sondern noch verstärkt.413 Die notwendige Transformation durch einen 411 Vgl. Diederichsen 2006, 163-173. Jack Smith (1932-1989) mischte mit seinen von Hollywood- und Flohmarkt-Kitsch inspirierten, orientalisch angehauchten, avantgardistisch-queeren performances und Filmen die New Yorker Kunstszene auf und prägte (nicht nur) diese sehr nachhaltig. Seine wegweisenden und stilbildenden Darbietungen verstehen sich als gelebte Kapitalismuskritik, als ein Angriff auf „Serious Culture“, „Art Museums“ oder seinen Vermieter („Landlordism“). Andy Warhol bezeichnete Jack Smith als sein Vorbild, von dem er eine Menge gelernt hat – u. a. das Filmemachen. Vgl. ebd. 164. 412 Koschorke 1988, 87. 413 Diese Verstärkung erfolgt dadurch, dass am Platz von S2 kein ‚voller’ sprachlicher Signifikant erscheint, der den sogennanten ‚Herren’-Signifikanten S1 symbolisch verwandeln könnte und somit ablöst, sondern nur ein weiterer leerer, nämlich wiederum ein fetischisiertes Bild, das dem anfänglichen imaginären Status von S1 (‚grausame Frau’) verhaftet bleibt. Die sich daraus ergebende imaginäre Oszillation der zwei Bildsignifikanten befeuert weiterhin die masochistische Angst- bzw. Wollust. Darin zeigt sich auch das aufgefächerte Frauenbild des Masochisten, die imaginäre Oszillation zwischen unterschiedlichen Frauentypen und -bildern, wie sie auch René Polllesch in seinem Theaterstück „Diktatorengattinnen I“ (tatsächlich mit drei Schauspielerinnen) inszeniert. Zum Begriff des Herrensignifikanten (in der analytischen Sitzung) vgl. Žižek 2005, 142: „[W]hat the discourse of the analyst ‚produces’ is the Master-Signifier, the ‚swerve’ of the patient’s knowledge, the surplus element which situates the patient’s knowledge at the level of truth: after the Master-Signifier is produced, even if nothing changes at the level of knowledge, the ‚same’ knowledge as before starts to 13 2 neuen Signifikanten findet nicht statt. Der Masochist verharrt daher in gespannter Warte-Position, dem suspense, der die Veränderungen in der Zeit suspendieren soll. Sade hatte den Transfer seiner Experimente in andere Länder ebenfalls in seiner Literatur imaginiert.414 Dabei geht es ihm auch um die Eigendynamik bzw. das Selbstläufertum der Perversion und des Verbrechens, wie es sich seine Romanheldin Clairwil genüsslich ausmalt: „I’d like to find a crime that should have never ending repercussions even when I have ceased to act, so that there would not be single instant of my life when even if I were asleep I was not the cause of some disorder or another, and this disorder I should like to expand until it brought general corruption in its train or such a categorical disturbance that even beyond my life the effects would continue.“415 Auch wenn sich Wanda zunächst geschmeichelt fühlt, dass sie auf einem Gemälde verewigt wird – „Wanda lächelte stolz“416 –, scheint sie nicht zu bemerken, dass Severin sie damit endgültig auf das Bild der grausamen Frau festlegt. Der Kardinalfehler des klassischen Masochismus zeigt sich hier darin, dass den Befindlichkeiten und dem Begehren der Domina kein eigenständiger Platz zugebilligt wird, auch wenn es nach außen hin – aufgrund der scheinbar ungleichen Machtverteilung, der Dynamisierung und schließlich der Vertraglichkeit – so aussehen soll. Wanda offenbart Severin ja ganz zum Schluss in einem Brief, dass ihr seine spezielle Leidenschaft, sein Ideal – trotz großem Amüsements und echter Liebe – zu anstrengend wurde. Hier kommt Wandas eigenes masochistisches Begehren ins Spiel, jene Leerstelle, welche der Phallus in der Installation des Spiels (als Herrensignifikant) bereits eröffnete und die sich in der performance nach und nach – mit ausbleibender Aktualisierung und daher zunehmender Grausamkeit – offenbarte.417 Sie bemerkte also erst im Nachhinein, dass sie auf äußerst gewiefte function in a different mode. The Master-Signifier is the unconscious sinthome, the cipher of enjoyment, to which the subject was unknowingly subjected.“ 414 Vgl. Barthes 1986, 170. 415 Zitiert nach Bataille 1986 [englische Übersetzung], 174; Zitat von Sade. 416 Vgl. Sacher-Masoch 2003, 111. 417 Vgl. ebd. 134. 13 3 Weise in eine Apparatur installiert wurde. Dennoch hat sie es während des Spielverlaufs nicht versäumt, sich mit den Mitteln, die diese zur Verfügung stellt, an Severin quasi unbewusst zu rächen, ihn gemäß der immanenten Logik des Spiels zu erziehen.418 Sie verriet ihn deswegen tatsächlich an einen Dritten, den sie im vollständigen Besitz des Phallus wähnte: an den Griechen Alexis Papadopolis, der ihr mit seiner blendenden Adonis-Schönheit und hochgewachsenen Figur zumindest rein äußerlich alle phallischen (Körper-)Merkmale bietet, die Severin nicht hat.419 Er nimmt die Sado-Position ein, die sich daraus ableitet, dass S2 im Venus-im-Pelz- Dispositiv nicht erscheint und damit noch vakant ist. Im Gegensatz zu Wanda scheint er jedoch keinen Zweifel an seiner Rolle zu haben. Ja, er lässt sich sogar von ihr einspannen, Severin ohne jeden Skrupel auszupeitschen und so das worst-case- Szenario, den showdown des Masochschen Helden, herbeizuführen.420 Der Grieche trägt sogar Pelz in der finalen Auspeitschszene. Severins wichtigster Fetisch hat somit einen neuen Platz bekommen und bringt in dieser Stellung das gesamte Dispositiv nicht nur (in der heterosexuellen Ausrichtung) durcheinander, sondern auch zum Absturz, was hier unweigerlich zum Zusammenbruch der masochistischen Lust- Ökonomie führt. Obwohl die Figur des Nebenbuhlers in der klassischen Maso- Dramaturgie von Anfang an einkalkuliert ist, ist dessen plötzliche Ermächtigung über Peitschen und Pelze – Heiligtümer des Masochisten – nicht vorgesehen und 418 Diese Logik (des Phallus der Kastration) ist gleichsam im etwas kleinphilosophisch anmutenden Schlusswort des Textes intendiert: „Wer sich peitschen läßt, verdient gepeitscht zu werden.“ (Ebd. 135.) Kulturwissenschaftlich konkretisiert heißt dies: Wer nur den Herrensignifikanten S1 behauptet und von diesem nicht loskommt (z. B. in Funktion eines Fetischs), muss damit rechnen, dass er oder sie den vakanten S2 dafür umso heftiger (am eigenen Körper) zu spüren bekommt. 419 Dabei scheint sie zu übersehen, dass er ebenfalls masochistischen fake betreibt, sich operettenhaft inszeniert, vier bis fünf Mal täglich seine „kokette Toilette“ wechselt und zuvor in Paris sogar in Frauenkleidung gesehen wurde. (Vgl. ebd. 97.) Cross-Dressing und Travestie gab es schon bei Sade. (Vgl. Paglia 1992, 296, 301.) Demgegenüber kommt bei Sacher-Masoch modisch aufgestylte und hoch masochistische Metrosexualität mit dem eitlen Griechen ins Spiel. Zu Metrosexualität vgl. auch Richard 2001. 420 Vor seinem plötzlichen Auftritt hielt sich der Grieche hinter Vorhängen in Wandas Himmelbett versteckt. Dies könnte ein Indiz dafür sein, dass es nun für Wanda und den Griechen um körperlichen Sex geht oder gehen wird – und nicht mehr um masochistisches Spiel, das auf geschlechtslose Liebe zielt. Vgl. Sacher-Masoch 2003, 129. 13 4 überfordert selbst einen hartgesottenen Sklaven wie Severin. Dies übersteigt sogar seine perverse Fantasie. Das masochistische Bestreben, den Phallus auf seine (negative) Funktion des Entzugs zu fixieren, indem er nur auf das (positive) Signifikat, den Herrensignifikanten ‚grausame Frau’ ausgerichtet wird, ist somit gescheitert. Anders gesagt: Severins Fehler liegt darin, zu glauben, er könne den imaginären Phallus (der Koordination) ohne den symbolischen Phallus (der Kastration) bekommen. Er spürt hier am eigenen Leib, dass dies nicht möglich ist, da beide Momente ineinander verschränkt und einzeln nicht zu haben sind.421 Wo der Fetisch oder Phallus am Ort des Konkurrenten für Severin dysfunktional geworden ist, macht er jedoch in dem Sinne Funktion, als er nun an diesem neuen Platz den virtuellen Als-ob-Modus des Spiels unterläuft und aushebelt. Der Gewaltakt ist nicht mehr nur simuliert, sondern setzt eine reale Dimension frei, die dann für Severin tatsächlich grausam ist – wahrscheinlich zum ersten Mal. Süße Schmerzlust und (Über-)Sinnlichkeit sind damit passé. Aus Spiel wird Ernst. Das Ende des Spiels, das bereits Teil der performance war, rührt „an den unauflöslichen Knoten der theatralisierten Perversion [...] an die Stelle, wo sich die Lust ohne jeden Rest in das Trauma zurückverwandelt.“422 Darin zeigt sich die Störanfälligkeit und Fragilität des gesamten Dispositivs, das auf gewisse Unwägbarkeiten eben nicht souverän reagieren kann und daher unflexibel bleibt. Es zeigt sich als Sackgasse und Falle, in der sich mit Notwendigkeit eine brutale Phallus- Wirkung genau an jenen (Schwach-)Stellen exekutiert, die nicht mitberechnet 421 Da der imaginäre Phallus im masochistischen Szenario quasi permanent überstrapaziert – sprich visuell übercodiert – wird, bringt er seine kastrative Funktion als Signifikant umso wirkungsmächtiger hervor. 422 Vgl. Koschorke 1988, 95. In dieser Erfahrung bricht das Reale (der Lust) auf traumatisierende Weise in den Diskurs bzw. die Libido-Ökonomie des masochistischen Subjekts ein, da es nicht mehr narzisstisch bzw. durch die (in ihrer Anordnung veränderte Fetisch-)Apparatur übertragen werden kann. Lacan und Nusselder sprechen in diesem Zusammenhang von tuché: „Lacan describes tuché as an encounter with the real. And in psychoanalysis tuché presents itself first of all in the form of trauma, as that which is inassimilable in the psychic system [...]. Hence the psychic system (the subject of the signifier) does not fully function as a (disembodied, neutral) automaton. It (affectively) ‚circles’ around inassimilable things. Lacan understands tuché as an encounter with the real that disturbs the functioning of the pleasure principle.“ Nusselder 2009, 104. Zu den aus der antiken Philosophie entlehnten Begriffen automaton und techné, die mit tuché eng vernetzt sind, vgl. ebd. 103 ff. 13 5 wurden. Damit wird genau das zur Aufführung gebracht, was mit dem Fetisch vermieden werden soll:423 Anstelle der ‚grausamen Frau’ erscheint nun ein strafender Mann, der von dieser instrumentalisiert worden ist. Der große Plan, das Gesetz im- Namen-des-Vaters auszutricksen bzw. es vollständig auf die Mutter zu übertagen, wodurch – wie Deleuze schreibt – „der Vater aus der symbolischen Sphäre vertrieben“ werden soll, 424 ist nicht aufgegangen.425 Im Gegenteil: Severin bekommt die Lektion seines Lebens erteilt und scheint danach von seinen masochistischen Gelüsten geheilt. Als er auf den Hof seines Vaters zurückkehrt, um wieder zu arbeiten und seinen Pflichten nachzukommen, wird er zum Sadisten, der sogar sein Personal schlägt. „Dann starb mein Vater und ich wurde Gutsherr, ohne dass sich dadurch etwas geändert hätte. Ich habe mir selbst die spanischen Stiefel angelegt und lebe hübsch vernünftig weiter, wie wenn der Alte hinter mir stünde und mit seinen großen, klugen Augen über meine Schultern blicken würde.“426 In allen drei Positionen, welche die Figuren in der Venus im Pelz hauptsächlich einnehmen (Severin: masochistisch, Wanda: sadomasochistisch, Grieche: sadistisch), bleibt der (imaginäre und symbolische) Phallus, der Signifikant des Mangels, sehr mächtig, auf einer sichtbaren Ebene bzw. Oberfläche organisiert er die Platzierung 423 Wie anfangs gesagt wurde, besteht das Ziel des gesamten Maso-Unternehmen darin, den symbolischen Phallus zu suspendieren und auch gewissermaßen zu opfern, und zwar so – wie Hartmut Böhme darlegt –, „dass dabei die Beschämung der Kastration verhüllt und vermieden werden kann.“ (Vgl. Böhme 1988, PDF-File, 21.) Gerade der plötzliche Eingriff des (symbolischen) Phallus der Kastration durch den folternden Griechen ruft diese Beschämung, den GAU des Masochisten, mehr als deutlich hervor. Der sadistische Phallus dringt im showdown an die Oberfläche des Dispositivs und zeitigt seine unverkennbare, spektakulär-fatale Wirkung. – Severin: „Mir war es wie das Erwachen aus einem Traum. Ich verging vor Scham und mußte zu gleicher Zeit fühlen, wie meine Seelenstärke unter den furchtbaren Hieben, die wie das glühende Eisen des Henkers in meinem Fleisch brannten, mehr und mehr dahinschwand.“ Sacher-Masoch 2003, 132. 424 Deleuze 1980, 240. 425 Aus diesem Grund, der Wiederkehr des Verdrängten – des Vaterähnlichen – im masochistischen Szenario, ist es rätselhaft, warum Deleuze mit Nachdruck betont, dass dieser showdown Severins einen halluzinatorischen Charakter haben soll. (Vgl. ebd. 216.) Severin wird doch gerade durch diesen kastrativen Akt jäh aus seiner schwebenden Träumerei gerissen und auf den symbolischen Boden der Tatsachen zurückgeholt. Gegen diese Katastrophe kommt seine Fantasie nicht mehr an. Das plötzliche Schockerlebnis ist traumatisch, jedoch nicht halluzinatorisch. 426 Ebd. 134. Vgl. auch „Der Vater in den Kulissen“: Gratzke 2000, 61 ff. 13 6 und Verschiebung der Partialobjekte – völlig gleich, ob dies von den handelnden AkteurInnen letztendlich so beabsichtigt ist oder nicht. Er bleibt demnach (in Form eines Bilder-Karussells der Begehrlichkeiten) am zirkulieren. Und so bekommt niemand in diesem Spiel, das um Macht bzw. Ohnmacht kreist, was er sich vom anderen erhofft. Auch Wanda geht schließlich leer aus, ihr Grieche fällt später in einem Duell. Damit zeigt sich aber auch die eigentliche Wahrheit des Phallus, dass niemand ihn besitzen, (vollständig) positivieren und steuern kann, dass seine Wirkungen gerade in Bezug auf Begehrensstrukturen nicht zu berechnen sind, oder aber, dass er auch nicht geleugnet werden kann, dass man ihm nicht entgeht. „Es geht darum zu erkennen, wo er [der Phallus] ist und wo er nicht ist. Er ist wahrlich niemals da, wo er ist, und er ist niemals ganz abwesend da, wo er nicht ist. Die gesamte Klassifizierung der Perversion muß sich darauf gründen.“427 Schließlich begreift man(n) dann auch, dass die Frau, die in dieser ménage à trois zwischen zwei Männern steht, kein Tauschobjekt mehr ist. Sie hätte die Chance und damit Macht, Hegels drittes Moment einzuführen. „Wanda is given power, and has to make someone submit to it, but especially when it appears most to her, she has absolutely no say in its definition, goal or scope.“428 Allerdings – und dies ist das Radikale und Neue der ‚Venus im Pelz’ – manipuliert und beendet sie mit ihrer Wahl ein männliches Spiel, indem sie ihr eigenes Begehren allmählich zu begreifen lernt und bereits (unbewusst) umsetzt. Sie ist damit nicht mehr nur Symptom oder Lust- Maschine des herrschenden Mannes, sie hat sich bereits aus dieser ihr zugewiesenen Position ein Stück weit befreit. Somit schafft Sacher-Masochs angewandter Bildfetisch – wenn auch so von ihm nicht beabsichtigt – in letzter Konsequenz einen neuen, selbstbewsst werdenden Frauentypus. Gleichzeitig nimmt dieser Fetisch – zumindest während des Spielverlaufs – die androzentrische, phallusbeherrschende 427 Lacan 2003, 228. 428 Mansfield 1997, 8. Dass Liebe bzw. das Verliebtsein generell als ein machtvolles Leerstellenspiel zu verstehen ist, hat Lacan immer wieder in die Diskussion gebracht, z. B. wenn er die „Liebe als die Gabe dessen“ sieht, „was man nicht hat“. Oder wenn er postuliert: „Im Objekt wird geliebt, woran es ihm fehlt.“ Lacan 2003, 164, 177 und Lacan 1986 (b), 127. Vgl. in diesem Zusammenhang auch Mansfield Kommentar zu „Barthes’s a Lover’s Discourse“, Mansfield 1997, 76 ff. Dass jede Liebe laut Hartmut Böhme zudem als fetischistisch zu bezeichnen ist, erklärt er in: Ders. 2006, 398 ff. 13 7 Position der Männer zurück und schafft androgyn-hermaphroditische Männer-Typen, die sich unter den heutigen Begriff der Metrosexualität subsumieren lassen. Die zwei wichtigsten männlichen Figuren in der Venus im Pelz, Severin und der Grieche, lassen sich – was ihre äußerlichen Inszenierungen bzw. Rollen angeht – genauso wie die ‚grausame Frau’ in Bildern und Typen struktural unterscheiden, d. h. in die Kategorien aktiv-ödipal/sadistisch-androgyn (die der Grieche verkörpert) und passiv-präödipal/masochistisch-hermaphroditisch (die Severin darstellt) aufteilen. Wanda überträgt die Maso-Spiellogik einfach auf Männer, dreht den Spieß um, ohne dabei an den Spiel- und Funktionsregeln grundsätzlich etwas zu ändern. Damit hat sie die unbewusste Spaltung bzw. Doppelung der männlichen ‚Spielfiguren’ nach außen gekehrt und sichtbar gemacht. Es gibt jedoch einen wichtigen Unterschied, der in Severins Maso-Dramaturgie nicht vorgesehen ist: Sie lässt das Ende eben nicht wie Severin in der Schwebe, sondern entscheidet sich für den sadistischen, in ihren Augen phallusbesitzenden Mann. So entscheidet sie sich letztendlich für die Wiederherstellung des männlich dominierten Geschlechterverhältnisses, das während des Spiels (virtuell) in Frage gestellt wurde. Fiebrige Oberflächenreflexe Der Phallus, der die Übertragungen von Signifikat(seffekt)en ins/im Bewusstsein ermöglicht und ausführt, kommt im Venus im Pelz-Spiel – obwohl der Begriff in seiner psychoanalytischen Konzeption noch nicht existierte – bereits in dieser Weise zur Geltung. Sein Primat als zirkulierender wie auch sich selbst entziehender ‚Supersignifikant’ geht einerseits auf die Unvorhersehbarkeit und Undurchschaubarkeit risikoreicher, individualisierter Lebensverhältnisse und - bedingungen in der Moderne zurück, andererseits auch auf das individuelle wie kollektive Begehren, diese deswegen systematisch bzw. strategisch beherrschen zu wollen. Von daher muss Albrecht Koschorkes kritische Aussage, dass Sacher-Masoch „das Defizit an Durchschaubarkeit der Welt durch fiebrige Oberflächenreflexe zu überspielen versucht“, weil „Ergründungen nicht seine Sache (sind)“, konkretisiert 13 8 werden.429 Wenn sich die bürgerliche Welt mehr oder weniger nur maskiert, eben als virtuelle Oberfläche darstellt – und das war sie bereits im letzten Drittel des (groß- )industriellen, materiellen und medial aufgerüsteten 19. Jahrhunderts – dann kann es für Sacher-Masoch nur logisch und notwendig sein, diese unüberschaubare Oberfläche für eigene Lustzwecke ästhetisch zu nutzen. Sie erscheint in seiner masochistischen Fantasie als geschlossene, vom Mondlicht beglänzte Eis- oder Schneedecke. Sein durch den Phallus gesteuertes Über-Spielen, eine Überdeterminierung als Oberflächenreflex, ist genau die passable Reaktion, Antwort und erhoffte Lösung auf ein persönliches Lust-Defizit, das aus zuviel räumlicher bzw. medialer Geschlossenheit und Oberfläche hervorging und damit auch die Fetischproduktion in Gang setzte. Wenn diese Fetische (Pelz, Peitsche, ‚grausame Frau’) zumindest in Sacher-Masochs Imagination reibungslos funktionieren und auch genau das in seiner Literatur abbilden, worum es ihm ging, nämlich die eigene Schmerzlust und ein sich wandelndes Machtverhältnis zwischen den Geschlechtern konsequent zu beschreiben, dann ist das Ziel lustökonomisch und auch künstlerisch erreicht. Weitere Ergründungen, Nachfragen und Kritik sind dann nicht unbedingt notwendig und würden dem Lustgewinn möglicherweise im Weg stehen. Es scheint, dass Albrecht Koschorke diesen Punkt, die (unbewusste) Funktion des Fetisches, in seiner sehr kritischen Sacher-Masoch-Monografie nicht wirklich anerkennt. Überhaupt scheint er zu übersehen, dass Masochs „gehobene Unterhaltungsschriftstellerei“430 eben auch als Anleitung zu einer machbaren, neuen Sexualität gelten kann. Dass bei der Erschließung von sexuellem Neuland und ersten Gehversuchen auf diesem Terrain auch reichlich Fehltritte, (Planungs-)Fehler und Unvermögen im Spiel sind, liegt in der ‚Natur’ der Sache – d. h. in der medialen Logik des Phallus – und sollte ihm daher nicht zu sehr vorgeworfen werden. Diese Erfahrung musste ja auch erst einmal gemacht werden! Allerdings muss mit Koschorke auch eindeutig klargestellt werden, dass Sacher-Masochs literarisches Schaffen – eben aufgrund fehlender Selbstreflexion – nicht mit den Werken der wohl 429 Vgl. Koschorke 1988, 28. 430 Ebd. 117. 13 9 bedeutendsten deutschen Dichter – wie z. B. Goethe – zu vergleichen ist, wie es Sacher-Masochs Biograf Carl Felix von Schlichtegroll ernsthaft behauptet.431 Phallus-Definition Abschließend gilt Gilles Deleuzes Phallus-Definition, die er in seiner erhellenden Schrift Woran erkennt man den Strukturalismus? präsentiert und die auch auf die erotisch-fatalen Verflechtungen in der Venus im Pelz anwendbar ist: „[D]er Phallus erscheint weder als eine sexuelle Gegebenheit noch als die empirische Bestimmung eines der Geschlechter, sondern als das symbolische Organ, das die ganze Sexualität als System oder Struktur begründet und im Verhältnis zu dem sich auf die wechselnde Seite von den Männern und Frauen eingenommen Plätze verteilen und auch die Serien von Bildern und Realitäten. Wenn man das Objekt = x als Phallus bezeichnet, so ist also nicht die Rede davon, dieses Objekt zu identifizieren, diesem Objekt eine Identität zu übertragen, die seiner Natur widerstrebt, denn der symbolische Phallus ist im Gegenteil das, was sich seiner eigenen Identität entzieht, was immer dort gefunden wird, wo es nicht ist, denn es ist nicht dort wo man es sucht, ist immer verschoben im Verhältnis zu sich, in Richtung auf die Mutter.“432 Und noch eine etwas andere – fragende – Definition; zusammen mit Félix Guattari im Anti-Ödipus: „Und muß nicht auch gesagt werden, dass der Phallus kein Geschlecht, vielmehr die umfassende Sexualität ist, will heißen das Zeichen der von der Libido besetzten großen Einheit, aus der notwendig beide Geschlechter in ihrer Geschiedenheit (die beiden homosexuellen Serien des Mannes mit dem Manne, der Frau mit der Frau) wie zugleich in ihren statistischen Beziehngen innerhalb dieser Einheit hervorgehen?“433 431 Vgl. Schlichtegroll 2003, 16. Zum vielgestaltigen, historischen Komplex von Oberfläche und (fetischistischen) Sinneffekten vgl. auch Žižek 2005, 123 ff. und im Hinblick auf die Ich-Konzeption vgl. Lacan 1990, 217 f. 432 Deleuze 1992, 49. 433 Deleuze und Guattari 1977, 379. 14 0 Vom geografischen zum virtuellen Raum – Résumé Nachdem bereits der imaginäre Raum, d. h. das Ich des Masochisten und der Domina in deren struktural-medialer Verfasstheit und Spiel-Funktion beschrieben wurde, soll jetzt noch kurz der geografische bzw. architektonische Raum im Werk von Leopold von Sacher-Masoch skizziert werden. Dieser spielt eine nicht unwesentliche Rolle in der masochistischen Ästhetik und deren virtueller Konstruiertheit. Wie bereits angedeutet oder erwähnt, sind Bühnenbilder und Kulissen, aber auch äußere Räume – u. a. karge Steppen- und frostige Winterlandschaften – wichtig, bilden diese doch Atmosphäre und Hintergrund(-beleuchtung) des Maso-Szenariums. Sie sind gleichsam Basis und Bestandteil der hier geltend gemachten Erlebnisqualitäten. „Die drei typischen Räume des Masochismus nach Sacher-Masoch sind der Wald (die Karpaten), in dem der galizische Edelmann jagen geht, an der äußersten Grenze der Zivilisation, dann Wandas Zimmer, in dem die Leidenschaften wie unter einem Brennglas gebündelt werden, und schließlich die leere Schneelandschaft des kontinentalen Winters.“434 Kaleidoskop Galizien Sacher-Masoch sucht für seine Erzählungen stets nach Orten, an denen sich die allmächtige Frau und ihr gepeinigter Mann besonders gut darstellen lassen, wo sie hervorstechen sollen. Räume mit heftigen Temperaturschwankungen, in denen „die Schwüle der Begegnung“ mit der Eiseskälte der masochistischen Lust kollidiert und sich wie in einem Gewitter entlädt.435 Zu den Schauplätzen zählt neben Russland, 434 Gratzke 2003, 93. 435 „Sowohl Severins als auch die von Wanda bewohnte Räume sind im Stil des ausgehenden 19. Jahrhunderts mit allerlei Möbeln und Gerätschaften voll gestellt. Während Severin sich nach seiner Affäre mit der schönen Witwe eine wissenschaftliche Welt mit einer Vielzahl von Messgeräten schafft, stehen Wandas Zimmer für die Leidenschaft. [...] Der geschlossene Raum, die Schwüle der Begegnung und die Abgeschlossenheit des Tableaus schirmen das Paar von der Natur ab, obwohl doch der Beweis geführt werden soll, dass die Frau von Natur aus grausam sei. Und noch nicht einmal der Balkon von Wandas Wohnung eröffnet einen Blick auf diese Natur, wenn Blattwerk und Himmel als schützende 14 1 Afrika oder Italien vor allem sein Geburtsort, das österreichische Galizien436, ein rückständiges und krisengebeuteles Gebiet, das aus der polnischen Teilung hervorgegangen ist, ohne gewachsene Identität und anfänglich ohne eigenes Wappen.437 „The population in this part of Europe was then and is still one of the most mixed in the world. The basic peasant stock, variously called Ruthenians, Ukrainians or Little Russians, had at this period endured centuries of servitude. It was, consequently, wild and backward to the last degree. It was mingled with Poles and largely exploited by Polish landowners. In the towns Jews predominated. The next most numerous nationalities were Germans, Hungarians and Czechs. Austrians formed the official aristocracy. This kaleidoscopic society of dramatic contrasts, deep-seated rivalries, passionate prejudices and exotic eccentricities was an exciting one to live in, maddening in its chaotic character or fascinating it its complexity, according to taste.“438 Dieser Grenzraum der europäischen Zivilisation scheint mit seiner urwüchsigen Landschaft und armen Landbevölkerung wie dafür geschaffen, Szenarien um und schirmende Dächer beschrieben werden. Diese Neigung dazu, abgeschlossene Tableaus zu schaffen, setzt sich in den Gemälden fort.“ Gratzke 2003, 94. 436 Es erfolgt dabei kein kultureller Austausch, stattdessen soll die Perversion ähnlich wie bereits bei Sade einfach nur in Umlauf gebracht werden. Die Neugierde an der fremden Kultur weicht so dem Bedürfnis, die vermeintlich universale Fetisch-Wahrheit an anderen Orten zu verbreiten. Dass Sacher- Masoch in Bezug auf seine Fetisch-Unternehmungen kein wirkliches Interesse an einem Dialog der Kulturen hat (und in dieser Hinsicht auch keine Kompetenz entwickelt), offenbart sich an mehren Stellen seines Werks. So entschließt sich Wanda in der Venus im Pelz dazu, mit ihrem Sklaven nicht nach Konstantinopel, sondern nach Italien zu reisen, da er dort besser heraussteche. Laut Michael Gratzke wäre im Osmanischen Reich aber auch ein männlicher, weißer Sklave aufgefallen, da es zu dieser Zeit dort überwiegend weibliche, schwarze Sklavinnen gab. Es zeigt sich hier, dass es Sacher- Masoch nie um die politisch-historische Realität und um ein gesichertes Wissen von Sklaverei ging, sondern nur um die Inszenierung der eigenen Lust. (Vgl. Gratzke 2003, 93.) Ein anderes Beispiel für die Absurdität des Fetisch-Exports besteht darin, dass Wanda ihre gesamte Pelztoilette – vom Hermelin-Jäckchen bis zum Reisepelz – in das mediterrane Florenz mitnimmt bzw. von Severin dorthin transportieren lässt. 437 Vgl. Gratzke 2003, 92. 438 James Cleugh 1972, 150; zitiert nach Treut 1990, 195. (Freuds Vater Jacob stammte aus Galizien.) 14 2 weibliche Herrschsucht zu imaginieren und sie dann als naturgegeben dar- und auszustellen – und dies trotz ihrer medialen Künstlichkeit, ihrer modebetonten Extravaganz und ihres betörenden Glamours.439 Sacher-Masoch glaubt tatsächlich, dass die Grausamkeitswollust ethnografische und atavistische Ursachen habe.440 „[S]elbst das unveräußerlichste Stück Masochismus in ihm erschien unfehlbar als Ausdruck slawischen Volksguts und weißrussischer Seele.“441 Für ihn und seine Texte mag das vielleicht zutreffen, nicht aber, um das Wesen einer sexuellen Spielart oder gar so etwas wie eine Natur des Menschen, d. h. eine anthropologische Konstante, ein universal gültiges, wahres und logozentrisches Sein, ein sogenanntes „Was-Sein“442 des Subjekts, zu begründen. Sacher-Masochs Werk ist vielmehr Teil einer bürgerlichen Fiktion, in der „die frevelhaften Regungen geknetet und geknebelt, abgeduscht und frisch angezogen werden, um präsentabel zum großen Auftritt vor dem ‚Anderen’ zu erscheinen“, bemerkt Isabelle Azoulay.443 In dieser Knebelung, Reinigung, Politur und Positur, die den manischen Abwehr- und Kontrollbedürfnissen des Masochisten (letztendlich einem erotischen Askese-Begehren)444 entspricht, liegt die eigentliche Grausamkeit. Sie geht auf ein übermächtiges und omnipräsentes Sittengesetz, auf die scheinbar unumstößlichen moralischen Zwänge im viktorianischen 19. Jahrhundert zurück, der Belle Epoque. Sie hängt mit Elektrizität und analogen (Bild-)Medien zusammen und versucht, das Unbewusste in den Griff zu bekommen; sie droht, das Subjekt – und, wichtiger noch, dessen Lust – zu ersticken bzw. einzufrieren. „In der furchtbarsten Bewegung wird die Natur starr und eisig. Wir selbst sind nur Teile der allgemeinen Kälte und Starrheit. Man begreift, wie das Eis eine Welt begraben hält, wie man aufhört zu leben, ohne zu sterben, ohne zu verwesen“. Dies ist die wahre (Selbst-)Erkenntnis des Kapitulanten in Sacher- 439„Masoch spricht eine Sprache, in der Folklore, Geschichte und Perverses ineinanderfließen zu einem einzigen nebulösen Bezirk für Peitschenhiebe.“ Deleuze 1980, 166. 440 Vgl. Bang 2003, 64. 441 Deleuze 1980, 180. 442 Žižek 2001 (b), 508. 443 Azoulay 2003, 85. 444 Wie religiöse Askesepraktiken in das naturwissenschaftliche Denken und Experiment – und damit in die aufgeklärte Ratio – seit Beginn der Neuzeit Eingang fanden und dabei den heteronormativen Geschlechterdualismus formatierten, haben Kathrin Braun und Elisabeth Kremer in ihrer Arbeit über den Asketischen Eros herausgearbeitet. Vgl. Braun und Kremer 1987 und auch die Zusammenfassung ihrer Thesen und die medientheoretischen Ergänzungen dazu in: Pühler 2006, 17-29. 14 3 Masochs gleichnamiger Novelle,445 die die bittere Konsequenz des masochistischen Unternehmens (und damit auch die Episteme des späten 19. Jahrhunderts) mit den Parametern Dynamik, Raum und Temperatur zusammenfasst bzw. in einem Naturbild ausdrückt. Gesellschaftliche Eiseskälte Auch Sacher-Masochs Fetisch- Inszenierungen kamen letztendlich nicht gegen diese Härte, das unwirtliche gesellschaftliche und sexuell repressive Klima, an. Eine Episode aus seinem Leben illustriert dieses Fehlschlagen. Sacher-Masoch stattete seine erste Ehefrau mit derart schwerem Pelzwerk aus, dass sie – so bemerkt sie in ihrer Autobiografie mit dem Titel Lebensbeichte – von der Last fast erdrückt wurde.446 – „Übrig bleibt nur eine lastende, seltsame Atmosphäre, wie ein zu schweres Parfüm, die sich in der erstarrenden Bewegung ausbreitet und durch keine Verschiebung aufgelockert wird.“447 Wo dieses Hilfs- und Heilmittel eigentlich einen passablen Ausweg aus der sexuellen Malaise, der Langeweile und dem Stumpfsinn eröffnen sollte, erwies es sich mehr und mehr als erdrückendes, entfremdendes und lebloses Fetisch-Objekt in einem 445 Sacher-Masoch 1996, 215. 446 Vgl. Treut 1990, 204. 447 Deleuze 1980, 189. 14 4 abgekarteten Spiel, welches seinen anfänglichen Zauber längst verloren hatte und von dem Sacher-Masoch – zumindest in seiner Imagination – nie wirklich loskam. Denn auch seine spätere Ehefrau, die das brave Ideal verkörpert, trägt auf einer Fotografie noch Pelz.448 So vielversprechend das Venus-im-Pelz-Experiment begann, versetzte es doch mit ‚hellenischer’ Heiterkeit starre gesellschaftliche Verhältnisse und vor allem eigene Lust in einen aufregenden Schwebezustand, umso härter kracht es zum Schluss auf den gefrorenen Boden einer eisigen medialen und gesellschaftlichen Realität. Der Schwindel fliegt auf, er musste gemäß der Phallus-Logik, d. h. aufgrund seines unerwiderten Drängens im Unbewussten, auffliegen. Die fortbestehenden Gewaltverhältnisse, die Sacher-Masoch hinter der glänzenden Fassade bürgerlicher Wohlanständigkeit und Sitte in seiner Literatur aufspürt und indirekt kritisiert, holen ihn letztendlich selbst in seinem perversen Begehren ein.449 In diesem Fall und Aufprall offenbart sich eine (Sadesche) Ironie und Wahrheit, der sich Sacher-Masoch und seine literarischen HeldInnen stellen müssten. Es bleibt wegen fehlender Aktualisierung, schließlich wegen fehlender Anerkennung des weiblichen Begehrens in diesem Spiel eine unvollendete Fiktion, eine mythische Träumerei. Die Wahrheit der Venus im Pelz ist, dass das Bild der Frau immer noch von Männern definiert und gesteuert wird,450 die maschinisierte Venus aber auch die Möglichkeit bekommt, dieses zu entlarven und zu transformieren. Sie hätte die Chance, ihre Position als diskretes Gespenst, als femme cruelle zu verlassen und damit S2 einzuführen. Dies entspricht der zaghaft gedeihenden Frauenbewegung am Ende des 19. Jahrhunderts in Europa, in der sich Frauen kleine Freiheiten und Spielräume erkämpften. Obwohl sich 448 Auffallend ist, dass auf dieser Fotografie die pelztragende Hulda Meister, Sacher-Masochs zweite Ehefrau, keine typische Domina-Positur einnimmt, sondern – im Gegenteil – wie ein artiges Kind auf Sacher-Masochs Schoß sitzt. Trotzdem zeugt dieses Bild noch vom Sublimen des masochistischen Humors und Glaubens. 449 Vgl. Koschorke 1988, 89. 450 Siegfried Kaltenecker redet in diesem Zusammenhang von einer Erweiterung (einem Erhalt bzw. einer Auferstehung) männlicher Macht und Souveränität: „Sowohl das Phantasma präödipaler Identifikation als auch die phantasmatische Besetzung der Henkerin machen das Projekt der Selbsterniedrigung zur Plattform für ein Projekt der Selbsterweiterung, durch das eine offensichtlich d[y]sfunktionale Männlichkeit quasi-bisexuell gestärkt reinstalliert wird.“ Kaltenecker 1996 (a), 251. 14 5 die Türen zu gesellschaftlicher Macht seitdem langsam für sie öffneten, waren sie jedoch weiterhin von den Herren der Schöpfung abhängig und akzeptierten dies sogar.451 Trotz dieses (von Anfang an einkalkulierten) Scheiterns ist der klassische Masochismus aber keineswegs nur ein obsolet gewordenes historisches Phänomen, das in der Mottenkiste neuzeitlicher Fetisch-Praktiken vor sich hin modert. Gerade wegen seiner strukturellen Offenheit, seiner lebendigen, inhärenten Phallus- Zirkulation452 und vor allem seiner (vornehmlich optisch/visuell ausgerichteten) Medialität kann er bis heute als spannendes Erkenntnisobjekt, dem noch viel Neues abzugewinnen ist, dienen. In seiner Funktion als individuelle Ermächtigungsstrategie, die ernsthaft versucht, gegen mediale und gesellschaftliche Kälte und Apathie anzukämpfen, um sie für eigene Lustzwecke (ästhetisch) verfügbar zu machen, ist er hochaktuell. Denn diese Strategie kann Anleitung geben, wie man in der hitzigen Erotisierung eine Sinnstiftung, einen Schutz(-raum) findet. Die sogenannte Perversion wird dann zu etwas Lebensnotwendigem, ja zu einer produktiven, humorvollen Lustpraxis. Sie möchte den Weg zum Genießen, zur unmöglichen jouissance453 ebnen und folgt dabei unbewusst den Spuren Sades, auch wenn es ihr dabei ebenfalls nicht gelingt, der seelenlosen Grundstimmung, jener tief wummernden, technoiden Basslinie (on-off) eines rationalen und rationalisierten Begehrens in der Moderne zu entkommen. Und dennoch ist der Masochismus im Gegensatz zum Sadeschen Verbrechen und Zerstörungswerk unendlich viel mehr, nämlich ein tatsächlich ernstzunehmendes und 451 Vgl. Gerhard 1995, 247-278; oder Schenk 1992, 104-186. 452 Es muss deutlich betont werden, dass der Phallus als dynamischer Statthalter von Differenz – jenseits aller machtfixierenden, androzentrischen, chauvinistischen Lesarten und Erklärungsversuche – in erster Linie ein Signifikant ist, der Bewegung, Veränderung und Emanzipation ermöglicht. Der Terminus Phallogozentrismus „weist auf Luce Irigarays Analyse westlicher Tradition sowie auf das ‚universale Prinzip’ der Emanzipation. Die Phallus- und Logozentrierung fokussierend verweist der Begriff auf die postulierte Notwendigkeit emanzipativer Theorie und Politik.“ Vgl. Treichl 2005, 50. 453 „Die grundlegende Illusion des Perversen besteht darin, dass er glaubt, er besäße ein (symbolisches) Wissen, das es ihm ermöglicht, seinen Zugang zum Genießen zu regulieren.“ Žižek 2001 (b), 443. 14 6 humorvolles Spiel,454 eines mit (mindestens) doppelten Boden, das zum Mit- und Nachmachen einlädt und dessen Regeln und Ziele stets von allen AkteurInnen prinzipiell erkannt und mitbestimmt werden können. Es stößt zwar ebenfalls an Wahrnehmungsgrenzen und kann von daher sehr extrem bzw. grausam werden; trotzdem ist es reversibel und muss nicht in die Sackgassen der Einsamkeit, Isolation oder Vernichtung führen, auch wenn es (wie bei Sade) aus einem erdrückenden Gefühl räumlicher Enge und Geschlossenheit entstanden ist. Darin liegt Hoffnung und Zukunft. Masochismus ist immer eine „Flucht nach vorn“,455 wobei das ‚vorn’ betont werden muss, um diese Flucht erfinderisch gestalten, d. h. produktiv ausspielen zu können. In der Venus im Pelz ist diese Flucht, dieses über der Wirklichkeit Schweben und Schwebende (folge-)richtig beschrieben bzw. implementiert worden, das hier eingeführte Dispositiv um die ‚grausamen Frau’ hält bis heute medientheoretischen bzw. psychoanalytischen Begriffen stand. – Es enthält bereits Begriffe (z. B. Phallus, Begehren, Deckerinnerung, Ideal-Ich bzw. Ich-Ideal, Projektion oder Freuds/Lacans dynamisches Unbewusstes), die erst danach entdeckt, entstanden oder ausgearbeitet worden sind. Wo die Initialzündung beim Startversuch geglückt zu sein schien, erwies sich die gesamte Experimentalanordnung aber als zu störanfällig und zu unberechenbar. In diesem Sinne versteht es sich als ein Übergangsobjekt,456 welches den liminal-wackeligen Status des Nicht-mehr und des Noch-nicht innehat. An einer Weiterentwicklung bzw. einem Nachbessern schien der reichlich frustrierte Sacher- Masoch nicht mehr interessiert. Das Serienfabrikat klassischer Masochismus hat sich trotz seines anfänglichen literarischen Sensationserfolges nicht durchgesetzt, es war 454 Bis zu einem gewissen Grad trifft dieses Spiel schon auf die Ausführungen der Cyborg- Theoretikerin Donna Haraway zu. Denn sie postuliert, dass „Ironie von Humor und ernsthaftem Spiel (handelt)“, das gleichzeitig den „ehrfürchtigen Glauben an die reine Lehre oder Identifikation“ bzw. die asketischen Utopien (virtueller Realität) entlarvt und pervertiert. (Haraway 1995, 33.) Doch dieser letzte Punkt ist in Sacher-Masochs Fetisch-Begehren noch nicht realisiert. Sacher-Masosch setzt insgeheim noch auf die reine Lehre, auf sein Ideal – im weiteren Sinne auf ein verfügbares Signifikat –, obwohl seine Lustpraxis doch genau das Gegenteil demonstriert und damit die Signifikats- bzw. bewusstseinsunterlaufende Wirkung technischer Medien im letzten Drittel des 19 Jahrhunderts unbewusst ausdrückt bzw. mitverhandelt. 455 Koschorke 1988, 87; Original Reik 1977, 148 ff. 456 Vgl. Lacan, 2003, 37 ff., der sich auf Winnicott bezieht; und Böhme 2006, 436 ff. 14 7 letztendlich nicht nachhaltig markt- bzw. massentauglich.457 Sein Namensgeber war schon zu Lebzeiten ein vergessener Autor, ausgerechnet in der Psychopathologie Krafft-Ebings wurde sein „literarisches Schicksal“ zu klinischen Zwecken „besiegelt“.458 – Ein Alptraum für einen Schriftsteller;459 Sade war dieses Schicksal schon vorher beschieden, er musste es aber immerhin nicht mehr miterleben. SM-Mehrwert Dennoch hat sich Leopold von Sacher-Masoch nie darüber täuschen lassen, dass der Versuch, eine perverse Unternehmung zu imaginieren und auch auszuprobieren, umsonst sei, dass sie keinen kulturellen (Mehr- und Lust-)Wert habe, dass sie etwa nur sinnlose Privatbeschäftigung sei ohne gesellschaftlichen Bezug und Konsequenzen. Bei Sacher-Masoch aber auch bei Sade zeigt sich die phallusgesteuerte, dialektische Beziehung zwischen eigenem Begehren und überpersönlichem Diskurs, die Verschränkung von Imaginärem und Symbolischem, oder wie es Lacan immer wieder betont hat, die Bewegung vom kleinen zum großen Anderen (a–A) und umgekehrt, die Schaukel des Begehrens zwischen Ideal-Ich und Ich-Ideal,460 die der Sadomasochismus in Bezug auf -phi und Phi spielerisch bearbeitet. „[D]ie vermeintlich selbsttätige Phantasie läßt sich durchweg nur als Spiel denken, das sich bald als Scheitelpunkt, bald als Schaukelbewegung und bald als Hin und Her 457 Trotzdem haben Masochs Schriften auch zu einer allmählichen Herausbildung einer Maso-Szene beigetragen. Nach Sacher-Masochs Tod berichtete seine geschiedene Frau Wanda über reichlich Fan- Post von Masochisten, die in ihr die ‚grausame Frau’ sahen und sehr interessiert an ihren Erlebnissen waren. Vgl. W. von Sacher-Masoch 2003 (b), 337 ff. 458 Vgl. Koschorke 1988, 62. 459 „Die Ferndiagnose, Sacher-Masoch sei selbst praktizierender Masochist gewesen, stand fest, bevor Details aus seiner Biografie bekannt wurden.“ Exner 2003, 33. 460 Vgl. Lacan 1990, 167 ff., 218 und vgl. zum Unterschied zwischen Gruppen- und Individualphantasie: Deleuze und Guattari 1977, 79 ff. 14 8 zwischen Projektion und Umweltdruck entfaltet; aber auch die Probierbewegungen, die das ‚Übergangsobjekt’ ermöglicht, sind solche des Spielens.“461 Trotz vieler offener Fragen und unbesetzter Leerstellen haben Sacher-Masoch und Sade die Notwendigkeit und prinzipielle Richtigkeit ihres Begehrens erkannt und als literarisches Wissen der Öffentlichkeit zur Verfügung gestellt. Als neugierige Autodidakten haben sie Pionierarbeit geleistet, d. h. die wesentlichen Geheimnisse einer mediatisierten bzw. übercodierten Sexualität, wie sie bis heute noch gern verdrängt, tabuisiert und lächerlich gemacht wird – und dafür umso heftiger im Unbewussten rumort – mit den ihnen verfügbaren Erkenntnis-/ Lustobjekten bzw. Personen (dem Wissen ihrer Zeit) zu lüften versucht und auf jeden Fall neu ins Spiel gebracht. Dabei haben sie die Ziele der Aufklärung, etwa das individualisierte Leben oder der persönliche Freiheitsgewinn, nie aus dem Blick verloren. In ihren Ideen, die auch anti-aufklärerische bzw. gegen-aufklärerische Elemente beinhalten, zeigt sich eine faszinierende, aufrichtige Widerspenstigkeit, in der sich die für die Perversion so typische Beharrlichkeit des Begehrens unverhohlen kundgibt. Sie haben sich das Denken ihrer Lust nie verbieten lassen, gerade Sade hat dabei viel riskiert. Dass in solchen wagemutigen und ambitionierten Projekten, Erkundungsreisen und Fluchtversuchen auch eine Menge schief ging, mit Notwendigkeit schief gehen musste, darf ihnen auf Grund ihrer Pionierarbeit, der Erschließung von sexuellem Neuland, nicht zu sehr vorgehalten werden – darf sie aber auch nicht per se vor jeder Kritik schützen, gerade wenn mit ihnen weitergearbeitet werden soll. So kann ihnen aus heutiger Perspektive u. a. vorgeworfen werden, dass sie ihre Lustexperimente dann doch mit zu viel instrumenteller Ratio,462 mit zu viel philosophischem, bildungsbürgerlichem und auf jeden Fall patriarchalischem Geist betrieben haben – Ballast – und dabei der Position des Anderen, ihren SpielpartnerInnen, keinen oder zumindest nicht genügend Spielraum gegeben haben. Da es bei beiden aber um das von Lacan als so wichtig erachtete Ernstnehmen des eigenen Begehrens geht,463 kommt nicht nur viel Selbsterkenntnis, sondern zudem bereits medientheoretische 461 Wolfgang Iser 1991, 353. 462 Vgl. Žižek 2001 (b), 443. 463 „Das einzige, dessen man schuldig sein kann, ist, abgelassen zu haben von seinem Begehren.“ Lacan 1996, 383. 14 9 Wahrheit zum Vorschein, auch wenn diese oft in der offen zur Schau gestellten Triebhaftigkeit – insbesondere in Sades Schockästhetik – etwas unterzugehen droht. Dieses ausführliche Anfangskapitel, das einen strukturellen Vergleich zwischen Sade und Sacher-Masoch (und die theoretische Basis wie den geschichtlichen Hintergrund der vorliegenden Arbeit) anbietet, soll deutlich machen, dass es sich lohnt, ihre Pfade und Spuren neu aufzunehmen und weiter zu verfolgen: überwiegend parallel laufende Trassen bzw. Signifikanten-Ketten oder Kraftlinien, auf denen die Autoren jedoch entgegen gesetzte Richtungen einschlugen, und die sich trotz aller medialer Differenzen und Ungleichheiten in verschiedenen Zeitaltern an einigen Stellen berühren, überschneiden, durchkreuzen oder sogar verschlingen.464 Dies geschieht gerade an jenen Orten, wo sich gemeinsame Leerstellen auftun, wo sich Signifikatseffekte, die meist direkt auf den Körper und dessen Bild zielen, ergeben. Sade drängt, vom Phallus getrieben, zur Zerstückelung im Realen, Sacher-Maosch, vom Phallus verfolgt, zum phallischen Idealbild im Virtuellen. Beide haben damit die Phallus-Operationen (Kastration und Koordination) in ihrem Begehren erkannt und richtig beschrieben, aber eben deren Konsequenz nicht (auf-)richtig verfolgt und konstruktiv zu Ende gedacht. Dies wäre die Rückverwandlung des übermächtigen Phallus-Signifikanten in ein gewöhnliches Partialobjekt, welches dieser (in der Vormoderne) einmal war.465 Es müsste demnach ein neues Partialobjekt (bzw. -organ) entstehen, das – so paradox dies auch erscheint – symbolische bzw. technische Wirklichkeit auf der Ebene des Signifikanten S2 wäre, also die phallische Dimension transformiert enthalten müsste und damit ein Hybrid aus Partialobjekt und Signifikant ergäbe. Aus dieser Perspektive könnte man sadomasochistische Unternehmungen auch als Versuche deuten, den symbolischen Phallus – die mediale Logik bzw. das unbewusste Gesetz – einem individuellen Lustritual zu opfern bzw. diesen zu etwas Neuem zu transformieren. Sade und Sacher-Masoch scheitern darin aber beide: Denn bei Sade wird dieses Partialobjekt zwar in Form totaler Körperzerstückelung erreicht und daher gleichsam eliminiert, bei Sacher-Masoch wird es als fetischisierter Signifikant in der Optik einer fotografischen Momentaufnahme eingefroren und 464 Vgl. zum Verschlingen/Verschlungenwerden in der perversen Fantasie: Lacan 2003, 204 ff., 230. 465 Vgl. Weibel 2003, 27. 15 0 dergestalt in der Schwebe gehalten. Dennoch haben beide die Grundlage (Übergangsobjekte) für diesen Signifikanten S2, der eventuell einen neuen Begriff erforderlich macht, in Form von versprachlichter Sexualität geschaffen.466 Und gerade aufgrund dieser literarischen Form des beweisbaren, objektivierbaren, reproduzierbaren Sexes ist nicht nur Sacher-Masoch, sondern auch Sade Fetischist (der Wörter). Damit ergänzen sich beide Diskurse und übertragen und offenbaren ihr jeweils Unbewusstes bzw. Noch-nicht-Symbolisiertes in kostbaren Momenten der Wahrheit. So verweisen sie auf eine Abwesenheit, eine grundlegende Negativität, die das Sein auf dem Niveau technischer Medien und Dinge immer schon affiziert und strukturiert haben wird, eine unüberwindbare und deswegen grausame Erfahrung für das aufgeklärte Lust- und Wissenssubjekt. „Die Grausamkeit hat nichts mit einer beliebigen oder natürlichen Gewalt zu schaffen, der nun aufgebürdet wäre, die Geschichte der Menschen zu erklären. Sie ist die Bewegung der Kultur selbst, die an den Körpern sich vollzieht, sich in sie einschreibt und sie bearbeitet. Dies bedeutet Grausamkeit.“467 Bei Sade und Sacher-Masoch zeigt sich eine technisch ausgestattete Sexualität der Grausamkeit, die dahingehend programmiert wurde, das Reale der Lust in Reinform zu erlangen bzw. zu repräsentieren und die Negativität in den Griff zu bekommen.468 Die eigentliche Grausamkeit der modernen Perversionen liegt also in der Übermacht technischer Medien und Praktiken, dem abwesenden und deswegen umso mächtigeren Phallus, den sie auf unterschiedliche Weise neu inszenieren. Diese diffuse Grausamkeit des technischen Eros transformieren beide in konkrete Schmerzlust, in der sich die Erfahrung der Negativität als reines Zeichen/Lust-Signal unverfälscht 466 Vgl. Deleuze 1980, „SADE, MASOCH UND IHRE SPRACHE“, 171-179. 467 Deleuze und Guattari 1977, 184. 468 Von daher macht es meiner Meinung nach wenig Sinn, sich – wie es zum Beispiel der Filmemacher, Autor und Theoretiker Noël Burch tut – gegen die Sadesche Ästhetik auszusprechen und stattdessen nur für Sacher-Masochs (praktikablen) Ansatz der Gewaltlust zu plädieren. (Trotz manchmal guter, nachvollziehbarer Gründe, wie etwa die [manchmal übertriebene] Euphorie der Surrealisten oder Poststrukturalisten für Sade, die durchaus kritisch zu sehen ist.) Vgl. Burch 2003, 269-324. 15 1 mitteilt. Es geht dabei in letzter Instanz um ein nicht vollständig erkanntes Selbstdestruktionsbegehren, letztendlich um den unbewussten Programmauftrag, das neuzeitliche Ich, das cartesische cogito zu transformieren und auch abzuschaffen. Dies ist bis heute die asketische Utopie und Teleologie moderner Schmerzlust. Als gemeinsamen Ausgangspunkt und Bezugsrahmen setzen Sade und Sacher-Masoch dabei auf das naturalisierte Bild mächtiger Frauen, an deren Güte und Strenge sich ihre angst- und lustbesetzte Fantasie entzündet und aufrechterhält. Diese Fantasie, die auf das In-Takt-Sein und die Ganzheitlichkeit individueller und männlicher Imagination und damit auch auf seelische Hygiene drängt, lässt sich auf ihre gemeinsame Venus-Faszination und den Venus-Kult, der sich in ihren Experimenten vielgestaltig ausdrückt, zurückführen. Schließlich verbinden sich beide Diskurse in diachroner wie synchroner Weise mit jenen Schicksalslinien und Fieberkurven, auf denen eine mediatisierte Lust und Macht im Systemraum der Moderne bis heute verläuft. Vielleicht könnte man sagen, dass Sacher-Masoch die Virtualisierung und Vereinheitlichung der Sadeschen Gewalt betreibt, indem er sie in Bilder und aufführbare Spielszenen verwandelt und dergestalt bannt und entschärft, ohne dabei auf intensivierte Erlebnisqualitäten verzichten zu müssen. Dies ist Sacher-Masochs große ästhetische Leistung und wahrlich ein Akt der Kulturalisation. „Von Masoch muß gesagt werden, dass nie jemand mit mehr Dezenz so weit gegangen ist.“469 Damit ist aber die sadomasochistische Virulenz und Dramatik keinesfalls aufgehoben; deren Ausgang bleibt weiterhin ungewiss. Das ungelöste Ende der Venus im Pelz, Sacher-Masochs Altersfrust und Sades Vereinsamung in Gefängnissen bzw. im Irrenhaus zeugen davon. Beide Autoren haben letztendlich nur die für die Perversion so typischen und notwendigen Übergangsobjekte geschaffen und bearbeitet – und diese auf keinen Fall überwunden oder im Sinne einer Symptom-Rekonstruktion aufgelöst. Allerdings scheinen sie bereits gespürt zu haben, dass die Offenheit und der Mangel, die diese Objekte strukturell kennzeichnen, aufrechterhalten werden muss, um den perversen Lustgewinn zu garantieren. Deshalb unterliegen ihre Experimente endlosen Wiederholungen, deren zwanghafte Monotonie sie nicht gestört zu haben scheint. Jede Form von Selbstzweifel und Selbstkritik liegt ihnen fern. Darüber kann auch 469 Deleuze 1980, 189 und Klappentext. 15 2 nicht der beachtliche Humor in ihren Schriften hinwegtäuschen. Sie haben nicht erfasst, dass das Reale der Lust letztendlich uneinholbar bleibt und damit auf die Unbeherrschbarkeit wie auch die Ewigkeit von Eros und Thanatos verweist.470 Trotz der vielen Unterschiede und Gemeinsamkeiten, die bislang herausgestellt wurden, um zu zeigen, dass Sade und Sacher-Masosch auf jeden Fall am gleichen Projekt gearbeitet haben – nämlich der Erkundung des abseitigen Begehrens im Zeitalter der technischen Vernunft471 – lässt sich nun abschließend ein ganz wesentlicher Unterschied zwischen den beiden großen Autoren der sexuellen Perversion herausstellen: Wo der Marquis de Sade behauptete, „dass die Hirngespinnste wonnevoller als die Wirklichkeit sind“ und dass das „Gaukelwerk der Fantasie der Wirklichkeit deswegen hundertmal vorzuziehen“ sei,472 versuchte Sacher-Masoch stets, seine Passion in die Lebenswirklichkeit (und sogar in sein Familienleben) zu integrieren. Wo Sade genau wusste, dass die meisten seiner Ideen nicht nur aus ethischen Gründen nicht praktikabel sind, wollte Sacher-Masoch Sinnesfreuden, Gewalt und Wollust nicht nur imaginieren, sondern offen ausleben. Er vermischte – so wie es in der gerade erwähnten Pelz-Episode mit seiner ersten Ehefrau angeklungen ist bzw. ähnlich wie Severin – Fantasie mit Realität: „Er hat 470 Gerade das 19. Jahrhundert ist vom Glauben an eine nie versiegende Libidoenergie geprägt: „Der Repräsentant des 19. Jahrhunderts pulsiert in dem mit dem ersten theromdynmaischen Hauptsatz attestierten Fond einer nie versiegenden Energie – demiurgischer Dampf, unendliche Lust, Unsterblichkeit kat exochen. Die Virulenz des moralischen Über-Ich innerhalb eines solcherweise übersättigten Systems ist evident. Uneingeschränkte Lust ist suspekt und deletär – ‚man verbrennt sich die Finger, man fängt sich einen Tripper, man bricht sich den Hals.’“ Bitsch 2001, 95; Zitat darin: Lacan 1991 (a), 172. 471 Bei Sacher-Masoch kommt im 19. Jahrhundert neben der (technischen) Vernunft auch der Begriff der Entwicklung mit ins Spiel: „‚Jede Zeit findet ihr erlösendes Wort. Die Terminologie des achtzehnten Jahrhunderts kulminiert in dem Begriff der Vernunft, die des neunzehnten im Begriff der Entwicklung, die gegenwärtige im Begriff des Lebens.’ (Plessner, Stufen 3) Mit dieser These hebt einer der Gründungstexte der Philosophischen Anthropologie, Helmuth Plessners Die Stufen des Organischen und der Mensch, in der zweiten Hälfte der 1920er Jahre an.“ Filk 2010, Original Plessner 1975. 472 Zitiert nach Zweifel und Pfister 2001, 24. 15 3 keine geistige Doppelexistenz geführt, Präsentation und Wirklichkeit nicht unterschieden.“473 ‚Grausame Frauen’ waren schnell gefunden; seine erste Ehefrau Aurora Rümelin stellte sich sogar maskiert und unter falschen Namen bei ihm vor, um das Spiel der Verführung besonders pikant zu machen.474 Obwohl ledig und aus armen Verhältnissen, gab sie sich als verheiratete Adelige aus. Die Venus im Pelz diente ihr dabei als Vorbild, sie bezeichnete sich sogar bis an ihr Lebensende als Wanda. Bis kurz nach der Geburt ihres ersten Sohnes kannte Sacher-Masoch ihre wahre Identität nicht. Im Sommer 1872 unterzeichnete Sacher-Masoch ihr einen Unterwerfungsvertrag. Der Ehealltag war von Eifersucht, Streit, Geldnöten und ständigen Umzügen geprägt, und noch von einer ganz speziellen Sorge: Sie konnten den Dritten, mit dem Wanda fremdgehen soll, einfach nicht finden. Sie suchten jahrelang und unter den möglichen Kandidaten sollen sich angeblich König Ludwig II. von Bayern und Kronprinz Alexander von Oranien befunden haben. Erst 1880 wurden sie fündig: Nachdem sie den Sommer bei einer befreundeten jüdischen Familie östlich von Budapest verbracht hatten, verführten sie den Nachbarssohn und Studenten Sandor Gross und empfingen ihn in ihrer spärlich ausgestatteten Wohnung in Budapest.475 Sacher-Masoch beobachtete durchs Schlüsselloch, nachdem er die beiden als Sklave bedient hatte, wie seine Frau auf seinen Wunsch hin fremdgeht. 476 473 Koschorke 1988, 12. 474 Vgl. Spörk 2003, 139. 475 Die Zeit, die notwendig ist, einen potentiellen Sex-Partner bzw. eine -Partnerin für gewisse Fetisch- Spiele zu finden, konnte also um 1880 mehrere Jahre betragen. Wegen des strengen Sittengesetzes waren eindeutige und offenkundige Avancen in Richtung Perversion nicht geboten. Man war deshalb meistens auf verschlüsselte Botschaften in Zeitungsannoncen angewiesen und musste diese erst richtig deuten, um sich dann tatsächlich anzuschreiben und zu treffen. Heute haben Fetisch-Fans gegenüber diesem umständlichen, meist sehr verklemmt ablaufendem Prozedere andere mediale Verschlüsselungstechniken (d. h. digitale Medien, Masken und Codenamen) und finden ihre potentiellen Sex-GespielInnen in ein paar Sekunden weltweit im Internet. Ob sie dabei letztendlich erfolgreicher als Sacher-Masoch sind, soll und kann an dieser Stelle nicht beantwortet werden. 476 Vgl. Exner 2003, 24. Die Maso-Dramaturgie, wie sie Sacher-Masoch bereits in der Venus im Pelz konsequent beschrieben hatte, wiederholte sich in analoger Weise – quasi als self-fulfilling prophecy oder, genauer gesagt, als self-defeating prophecy – in Sacher-Masochs erster Ehe. Neu scheint hier im Gegensatz zur literarischen Vorlage, dass das Alltags- und Familienleben nicht aus der Fetisch- 15 4 Dieser Genuss, das eigene Fantasma als Inszenierung aus der Zuschauerperspektive zu erleben, hat meiner Meinung nach schon viel mit der Schaulust im Kino zu tun.477 Auch Sade musste eine vergleichbare Erfahrung machen, allerdings gänzlich unfreiwillig und als horror-Tripp. Als er während der französischen Revolution aus Inszenierung herausgehalten wurde. Weder vor seinen Kindern noch vor seinem Personal machte Sacher-Masoch einen Hehl aus seinen erotischen Neigungen. War Wanda einmal nicht zur Stelle, musste eine Magd einspringen, um ihn auszupeitschen. Doch auch hier endete das Spiel im Fiasko: Nach zehn anstrengenden Ehejahren brannte Wanda 1883 schließlich mit ihrem neuen Lover, dem Hochstapler Armand Rosenthal, in die Schweiz durch; die nachfolgende Scheidung wurde ein langjähriger Rosenkrieg, in dem nur schwer zu entscheiden war, wem die Schuld für die gescheiterte Ehe zuzuschreiben war. Sacher-Masoch zog nicht nur seine Kinder in den Trennungskonflikt mit hinein – er entführte sogar seinen Lieblingssohn ‚Katzi’ –, sondern interessierte sich zu diesem Zeitpunkt auch schon für andere Frauen. Seine spätere Ehefrau Hulda Meister, die er durch ein Arbeitsverhältnis kannte, wurde von der eifersüchtigen Wanda sogar einmal verprügelt – und dies vor Masochs Augen. (Man sollte sich also davor hüten, wie es in der Sacher-Masoch-Forschung manchmal gängig ist, in der Streitfrage des Ehebruchs oder der guten Umgangsformen eindeutig Position für Wanda oder Sacher-Masoch zu beziehen.) Beide hatten gründlich versagt. Denn Wanda wurde im Gegensatz zum literarischen Vorbild nicht einfach nur in eine masochistische Apparatur eingespannt und in die Rolle der grausamen Frau gedrängt; sie hatte dies selbst so inszeniert (nachdem sie die Venus im Pelz gelesen hatte), um Sacher-Masoch zielsicher zu ködern und für sich zu gewinnen. Als Näherin (Sacher-Masochs Biograf Schlichtegroll nennt sie abwertend „Nähmamsell“ oder auch „Sodaliske“, da ihre Mutter einen Getränkekiosk betrieb) konnte sie sich die erforderlichen, aristokratisch anmutenden Masken und Kostüme selbst anfertigen. Sie hatte sich von dieser Camouflage gesellschaftlichen Aufstieg und materiellen Wohlstand versprochen und zumindest Ersteres auch bekommen. Deshalb war sie bereits einen Schritt weiter als Wanda von Dunajew aus der Venus im Pelz, da sie die männliche List im masochistischen Spiel, vor allem dessen Verführungsstrategie, durchschaute und für eigene Interessen zu nutzen wusste – und dies eben nicht erst zum Schluss, sondern bereits von Anfang an. Dabei hatte sie sich ihr Zusammenleben jedoch gewiss nicht so anstrengend und zermürbend vorgestellt, wie es ihr Ehemann mit seiner Fetisch- Dramaturgie vorsah. Quasi als selbstverständliche Ehepflicht forderte Sacher-Masoch ihre Rolle als Domina ohne Unterlass ein. Er zwang seine Frau nicht nur zum Fremdgehen, zur Prostitution, sondern degradierte sie in kleinbürgerlicher Manier auch tatsächlich – zumindest was seine Fetisch-Gelüste anging – zur Lust-Maschine, die stets für ihn zur Verfügung stehen und funktionieren musste. So gingen die Rechnungen des Ehedeals für beide Seiten schließlich nicht auf. Einmal mehr machten sich nicht erkannte Sollbruchstellen im (masochistischen) Beziehungsgefüge bemerkbar. Diese blieben virulent, da sie nicht in Form gegenseitiger Anerkennung benannt und überwunden wurden. Vgl. zu den biografischen Daten Exner, 2003, 24 ff., Schlichtegroll 2003 und W. von Sacher-Masoch 2003 (a). 477 Eine ähnliche Szene gibt es auch in David Lynchs BLUE VELVET (1986), vgl. dazu Žižeks PERVERT’S GUIDE TO CINEMA (2006). 15 5 der Haft kam und als Revolutionsrichter eingesetzt wurde, wetterte er so heftig gegen die Todesstrafe, dass er erneut verurteilt und eingekerkert wurde. Im Hof seines Gefängnisses wurden in 35 Tagen mehr als 1800 Menschen guillontiniert. Dieses Schockerlebnis hatte ihm „hundertmal mehr Leid zugefügt als alle erdenklichen Bastilles“.478 Und trotzdem konnte er nicht davon lassen, die Guillotine perfektioniert – als Folterinstrument – in seine sexuelle Gewaltfantasie einzubauen.479 Jenseits der Identifikation: Sadomasochismus und Kino Wie mit der Schaulust durchs Schlüsselloch angedeutet wurde, gibt es bereits im klassischen Masochismus Strukturelemente, die meiner Meinung nach schon sehr deutlich auf Kino (oder allgemeiner gesprochen auf bereits vorhandene Architekturen visueller Medien) hinweisen. Zu nennen wären hier festgelegte Blickrichtungen und die körperliche Fixierung und Passivität des Masochisten (also Dispositiv- Anordnungen, wie z. B. Severins Fensterblick auf Wandas Balkon oder gewisse Posituren: Etwa wenn die ‚grausame Frau’ auf der Ottomane thront und der Masochist ihr zu Füßen liegt), die auf einem Set inszenierte, nach Außen gekehrte männliche Innerlichkeit (Projektion) oder das psychodynamische Spiel mit Stand- und Bewegungsbildern (also das überwiegend Unbewusste von Stroboskop- und Nachbildeffekt, wie auch der bewegliche Schnitt, die fließende Bildlichkeit, Bild- Montagen, freeze frame480 und nicht zuletzt der suspense – Kinoeffekte, die hier aber nur als reines Kopfkino, noch ohne äußere kinematografische Technik erscheinen und 478 Zweifel und Pfister 2001, 29. Die Schnittstelle zwischen Sades realem horror-Erlebnis und Sacher- Masochs inszeniertem Schlüsselloch-Spektakel liegt meiner Meinung nach in der Freudschen Urszene, in der das Kleinkind den elterlichen Geschlechtsverkehr beobachtet und glaubt, dass der Mann der Frau Gewalt antue. In allen drei Szenen wird Grausamkeit wahrgenommen, die jedoch im Gegensatz zu Sades Erlebnis und Freuds Fallbeispiel in Sacher-Masochs Inszenierung auch erotisch ist (bzw. so wahrgenommeni wird bzw. werden kann). Der bedeutsame Unterschied zwischen Freuds und Sacher- Masochs Szene liegt darin, dass das Kleinkind – ebenso wie Sade – diese eigentlich gar nicht miterleben möchte und nur unfreiwilliger Zeuge wird. Vgl. Paglia 1992, 293. 479 Vgl. zu dieser Maschine: Frappier-Mazur 1994, 54. 480 Damit ist das Anhalten eines optischen Bewegungsflusses gemeint, wie es in der Venus im Pelz als ‚eingefrorenes’ Standbild erscheint. 15 6 funktionieren). Wenn man die Novelle der Venus im Pelz, diese „Bibel des Masochisten“,481 die Severin als „eine dumme Geschichte“ bezeichnet,482 noch einmal auf ihre möglichen kinematografischen Implikationen hin untersucht, so wird man sowohl im Originaltext als auch in der Sekundärliteratur fündig. Es sind meistens beiläufige Erwähnungen und Details, die Sacher-Masochs Hauptwerk in die Nähe des Kinos rücken lassen. So bezeichnet Albrecht Koschorke die fotografischen Fixierungen als jene Augenblicke, „an denen die erzählerische Kameraführung innehält“,483 Gaylyn Studlar redet vom „vorhersagbare[n] ‚Drehbuch’ des männlichen Masochismus“,484 das bereits – um einen Begriff von Nick Mansfield zu verwenden – im machtvollen „cinematic gaze“485 des Masochisten eingeschrieben ist; und Monika Treut beschreibt die von der Rahmenhandlung eingebettete Erzählung „als Leinwand, auf der die lehrreiche Erfahrung mit der grausamen Frau projiziert erscheint“.486 Diese Projektion realisiert sich sowohl in der für die imaginäre Ichfunktion als auch für die Kinowahrnehmung so typischen Zeit des futurum exactum, das den Modus und die Form einer antizipierten und vollendeten Zukunft ‚wird-gewesen-sein’ umfasst:487 „Lyndia Hart bestimmte das Future perfect [i. e. das futurum exactum (Anmerkung S. 481 Koschorke 1988. 482 Sacher-Masoch 2003, 12. 483 Koschorke 1988, 143. 484 Studlar 2003 (b), 361. 485 Mansfield 1997, 72. 486 Treut 1990, 118. Sind diese eindeutigen Kino-Bezüge etwa nur Zufall? Im heutigen High-Tech- Zeitalter scheint es schon zur alltäglichen Rede zu gehören, technizistische Ausdrucksweisen und Metaphern für gewisse Wahrnehmungen zu benutzen, insbesondere dann, wenn etwas schief geht (oder zu gehen droht), wie z. B. ‚im falschen Film sein’, ‚etwas gerade nicht auf dem Schirm haben’, ‚am Sender drehen’ etc. Dies ist nichts Besonderes und fällt trotzdem auf, da es bei den hier angeführten Zitaten um reflektierte Wissenschaftssprache und zudem um einen Untersuchungsgegenstand von 1869 geht, noch gut 25 Jahre vor der Erfindung und öffentlichen Präsentation des Kinos. Abgesehen von Gaylyn Studlar schreiben diese AutorInnen hier auch nicht in einem Kino-Zusammenhang. Siehe zum Themenkomplex technizistischer Metaphern auch das nachfolgendes Kapitel. 487 Vgl. Lacan, 1986 (d), 143. 15 7 P.)] als die Zeitform des Masochismus: dies wird die Geschichte meines Leidens gewesen sein.“488 Die Wirkung von Severins Erzählung ist eine Art Traumtechnik, die sich gerade dadurch auszeichnet, dass er seinen Traum „mit offenen Augen geträumt habe“.489 Zudem erklärt Gilles Deleuze in diesem Zusammenhang: „Der Masochist muss glauben, er träume, selbst wenn er nicht träumt.“490 Oder: „Der Masochismus ist die zur Technik gesteigerte Funktion des Phantasmas.“491 Diese Technik ist zwar noch nicht ganz Kino, aber sie bestehe ebenfalls – wie mit Deleuze gesagt werden kann – darin, „‚sich Flügel anzuheften’, um aus dieser Welt in den Traum zu fliehen“.492 Nach Hartmut Böhme sind „der ‚Masochismus’ und sein Protagonist Severin [...] ein Remake von Bildungs-Fetischen, die dabei ihr Geheimnis ausplaudern“.493 Könnte dieses Geheimnis nicht bereits das unbewusste Begehren nach bewegten und gleichsam reproduzierbaren Bildern sein, die optisch nicht mehr von denen im Traum zu unterscheiden sind – also Kino? 488 Hart 1998, 161; zitiert nach Gratzke 2003, 97. 489 Sacher-Masoch 2003, 12. Der Filmphilosoph Rudolf Harms, der die ästhetischen und metaphysischen Grundlagen des Films bereits 1926 mit bestechender Klarheit dargelegt hatte, sieht in der Utopie einen Wachtraum: „Der Traum der Utopie ist ein anderer Traum als der Traum des Schlafenden. Er ist ein Gedankentraum, ein Wunschtraum. Er wird gewissermaßen mit offenen Augen geträumt, er gehorcht nicht unbekannten, unentrinnbaren geistigen Naturgesetzen, sondern er läuft in der Richtung, in der sich die geheimsten Wünsche des Träumers bewegen.“ Harms 2009, 129. 490 Deleuze 1980, 223. 491 Ebd. 218. 492 Ebd. 187. 493 Böhme 2003, 12. Die Mittel und Medien, die dieses Geheimnis, das nicht auf eine biografische Ursache zurückzuführen ist, einschließen und umkreisen, sind laut Böhme „Zitaten-Mixtur“, „Bildungs-Fragmente“, „Masken“ und „ikonologisch vorgeprägte Muster“. „Und die ‚Venus im Pelz’ ist ein Bildungs-Roman, ein Roman, der aus den performativen Effekten kunst- und literaturgeschichtlicher Ikonen das ‚Verhängnis’ einer Leidenschaft synthetisiert, die die pervertierte Schwester klassischer Bildung ist.“ 15 8 „Wie Pinthus494 setzte Moreck495 den Film in Relation zum Traum, in dem Raum und Zeit aufgelöst und entmaterialisiert werden. [...] Diese Traumatmosphäre sei Resultat der Projektion des Films: ‚Das Gespensterspiel eines bleichen hastigen Nacheinanders von Dingen und Vorgängen beginnt. Das Wirkliche ist körperlos geworden, aber es lebt im Raum und doch nicht im Raum. [...] Der Mensch träumt im Kino ohne zu schlafen.’“496 Da ich bislang so gut wie keine Forschungen gefunden habe, in denen der mögliche Link zwischen dem theatralischen Maso-Schauspiel (wie auch Sades brutalem Körpertheater) und dem kinematografischen Spiel mit bewegten Lichtbildern im Sinne einer Dispositivgeschichte deutlich herausgestellt wird,497 soll dies jetzt mit einer gewissen Vorsicht angedacht werden. Im englischsprachigen Raum gibt es zwar zahlreiche, sehr von der Psychoanalyse und den Geschlechterstudien geprägte Arbeiten, die sich gerade mit der (männlich-)masochistischen Schaulust befassen,498 494 Kurt Pinthus war Literat und Journalist (1886-1975). In seinem Kinobuch von 1913, einem wichtigen Werk der frühen Kinogeschichte, hatte er bereits das Programm der Wunsch- und Montagemaschine Kinematographie in Abgrenzung zum Medium Theater formuliert. 495 I. e. der unter dem Pseudonym Curt Moreck publizierende Konrad Haemmerling (1888-1957), der sich in seinen Schriften eingehend mit Kultur- und Sittengeschichte befasst hat, etwa in seiner konservativen Sittengeschichte des Kinos von 1926. 496 Brauns 2007, 235; Zitat in Moreck 1926, 74. „Der Traumzustand werde schon durch ‚die Art der Vorführung, abgesehen vom Inhalt’ erreicht, durch ‚huschende, zuckende, zappelnde Bilder der Flimmerwand’. Dadurch verliere man, behauptet Moreck, ‚die Stetigkeit der Vorstellungsfolge’, ‚die logische Folge eines durchgehenden Gedankens und gebe sich ‚dem trüben Genuss der Affekte hin’.“ Ebd. 69 f.; zitiert nach Brauns 2007, 235. 497 Ein Argument, das für diesen Link als erstes ins Auge sticht, medientheoretisch allerdings alles andere als neu ist, ist die Tatsache, dass der Inhalt von Kino entweder eine Romanvorlage oder einfach abgefilmtes Theater ist. Beides trifft auf die Venus im Pelz bzw. den klassischen Masochismus zu. Jörg Brauns hat jenes Wissen, welches das Theater- und Kinodispositiv miteinander verbindet, rekonstruiert. Vgl. ebd., Kapitel 6, „Schauräume“, 195-258. Zum Verhältnis Theater – frühes Kino vgl. auch Harms 2009, 87 f. und vgl. Balázs 1998, 202 f., der von „fotografierte[m] Theater“ und von der „Industrialisierung der Schauspielkunst“ redet, solange die filmspezifischen Ausdrucksmittel (Mimik und Montage) noch nicht voll entwickelt waren; und zum Verhältnis Roman – frühes Kino vgl. Harms 110 f. 498 Vgl. Silverman 1988/1992, Adams 1989 oder Modleski 1991. 15 9 jedoch wird in diesen Arbeiten der technische Aspekt nicht hinreichend berücksichtigt. Das grundsätzliche Problem dieser teilweise recht ambitionierten Studien liegt darin, dass hier nur ein Ausschnitt – wie eben geschlechtlich besetzte Identifikationsprozesse – im Kontext von Masochismus herausgestellt werden und dies nicht immer vollständig und konsequent. Denn dabei wird meistens nur die literarische bzw. psychoanalytische Perspektive als Ausgangsbasis und Maßstab genommen; die der (optischen bzw. reellen) Medien, die eine eigene spezifische (Techno-)Ästhetik ausbilden, demgegenüber gern vernachlässigt.499 Z. B. besitzt die Kinematografie – wie auch deren Vorläufer – in ihrer reinen Materialität und technischen Funktion selbst schon genügend subversives Potential, sie gilt als polymorph-pervers. Gaylyn Studlar betrachtet das Kino z. B. als einen Ort, an dem grundsätzlich für beide Geschlechter die Möglichkeit offen steht, in das Reich präödipaler Selbsterfahrung, also in zeitlich zurückliegende Identifikationen auf der Ebene des frühkindlichen Narzissmus einzutauchen und dabei – wie es bereits die Konstruktion des klassischen Masochismus vorsieht – der Macht und Kastrationsdrohung des Gesetzes im-Namen- des-Vaters nachträglich und für die Dauer der Filmvorführung zu entgehen.500 „Auf 499 Eine Ausnahme bilden in dieser Hinsicht Linda Williams medien-/ kulturtheoretische Ausführungen („Viselle Obsessionen“) im Spannungsfeld der scientia sexualis, visuellen Maschinen (u. a. fotografische Bewegungsstudien bei Eadweard Muybridge) und dem (somit entstehenden) Pornofilm – hard core. Vgl. Williams 1995, 65-92. 500 Dieses Argument trifft bereits auf das Kino der Weimarer Republik zu und lässt sich soziologisch begründen und ausführen. Denn der Stummfilm erwies sich (nicht nur) zu dieser Zeit als geeignetes Mittel, um der zunehmenden Bürokratisierung und Verwaltung (Max Weber spricht in diesem Zusammenhang von einem verringerten „Spielraum“ des Subjekts; Franz Kafka kommt zu einem vergleichbaren Ergebnis in Das Schloß [1922]), die sich dem einzelnen Subjekt in seinen unterschiedlichen Lebenswelten zu erkennen gab, wenigstens für kurze Zeit zu entfliehen: „In dem Maße, wie Sprache und Kommunikation selbst zum Unterdrückungsinstrument wurde, schien das Kino mit seinen stummen Bildern einen Freiraum zu bieten [...] Als gesellschaftliche Institution war das Kino utopischer Ort für alle, die der Welt der Verordnungen und Verfügungen entrinnen wollten“. Die Stummheit der Bilder wurde keineswegs als Nachteil empfunden. (Vgl. Kaes 1993, 84, Weber-Zitat ohne Seitenangabe aus Wirtschaft und Gesellschaft [1921/22].) Es kommen hier zudem die „neuen urbanen Ausdrucksweisen“ ins Spiel, mit denen der Stummfilm schon immer eng verknüpft war. „’Die wechselseitigen Beziehungen der Menschen in den Großstädten’, schreibt Georg Simmel 1903, „zeichneten sich durch ein ausgesprochenes Übergewicht der Aktivität des Auges über das Gehör aus. 16 0 die frühkindliche Erfahrung einer lustvollen Unterordnung unter die mütterliche Autorität verweisend, verankert Studlar die kinematografische Schaulust nicht länger in einer männlich-sadistischen, sondern in einer feminin-masochistischen ZuschauerInnenposition. Regression und Perversion fungieren dabei als Motoren eines Begehrens, das von der Sehnsucht nach leibhaftiger Nähe und symbiotischer Verschmelzung erfüllt wird.“501 Kinematografische Kastration Studlars These des auf die Maso-Position zurückgeworfenen Kino-Subjekts, das nicht nur die primären Identifikationen mit der vermeintlich allmächtigen Mutter wiederherstellen möchte, sondern dabei auch den Wunsch nach lustvollem Geschlechterwandel, Bisexualität und infantiler Undifferenziertheit hege, soll nun kritisch beleuchtet werden.502 Zwar ist es richtig, dass das Kino mit seinen neuen Die Hauptursachen davon sind die öffentlichen Verkehrsmittel. Vor der Entwicklung der Omnibusse, der Eisenbahnen, der Tramways im neunzehnten Jahrhundert waren die Leute nicht in die Lage gekommen, lange Minuten oder gar Stunden sich gegenseitig ansehen zu müssen, ohne einander das Wort zu richten’“. (Ebd.; Simmel-Zitat ohne Quellenangabe.) Auch die Erschließung anderer städtischer Räume, wie Kaufhäuser, Passagen, Flaniermeilen, (Straßen-)Cafés etc. bewirkte, dass immer mehr Menschen am öffentlichen Leben teilnahmen und sich auf diese Weise überhaupt erst eine breite Öffentlichkeit, in der das Primat der visuellen Kommunikation vorherrschte, herausbildete. – Auch ein Prozess der Demokratisierung des öffentlichen Raumes lässt sich hier erkennen. Der Stummfilm konnte diese neuen Wahrnehmungsweisen adäquat abbilden. Er sollte auch an das Vermögen der ZuschauerInnen appelieren, bildliche Vorgänge ohne den Umweg über das Wort zu deuten — worin sich die „paradoxe Vorstellung vom Kino als Ort authentischer Erfahrung (weil) nichtsprachlicher Erfahrung“ spiegelte. (Vgl. ebd. und vgl. auch die Theorie zum „sichtbare[n] Mensch[en] von Béla Balázs weiter unten im Haupttext.) 501 Kaltenecker 1996 (a), 260. 502 Es lohnt in diesem Zusammenhang sehr, Siegfried Kalteneckers fundierte Kritik an Studlars Kino- Maso-Ästhetik zu lesen. Diese gliedert sich in folgende Punkte, die ausführlich dargelegt werden, hier aber aus Platzgründen nicht weiter verfolgt werden können: „1.) Die Konstruktion einer auf die allmächtige Mutter konzentrierten präödipalen Erlebniswelt; 2.) die unreflektierte Ausrichtung der masochistischen Schaulust auf die männlich-heterosexuelle Psychodynamik; 3.) den Glauben an eine mögliche Rückkehr in die frühkindliche Erlebniswelt und 4.) die Hypostasierung eines masochistischen Cinematic Apparatus.“ Ebd. 262 ff. 16 1 technischen Möglichkeiten, vornehmlich der kinematografischen Trance, präödipalen Gelüsten einen virtuellen Ausdruck verleihen kann und das Subjekt demnach in einen Schwebezustand versetzt, in dem es – für die Dauer einer Vorstellung – von den Routinen des Alltaglebens abgelenkt ist;503 doch bedeutet dies noch lange nicht, dass dem Kino-Dispositiv bzw. der Schaulust per se eine masochistische Funktion zugeschrieben werden könne. Diese Funktion sieht Studlar auf der Kinoleinwand jedoch eindeutig realisiert, nämlich in einer Art magischer „dream screen [...], auf dem die phantasmatische Regression ins Stadium des (Noch-)Nicht-Ich ihren Projektionsschirm findet“.504 Tatsächlich lohnt hier einmal mehr der Rückblick auf den Masochismus der Venus im Pelz. Denn der nach außen gelegte imaginäre Schirm, den sich Severin in Eigenregie konstruiert, hat zwar ebenfalls magische Eigenschaften, doch diese umfassen eben nicht nur die erhofften präödipalen Zwecke und Ziele, sondern können ebenso unerwünschte sadistisch-ödipale Nebenwirkungen zeitigen, also genau das, was mit dieser fetischistischen Konstruktion umgangen werden soll. Das soeben ausführlich analysierte, fatale Spiel um das imaginäre Phallus-Begehren soll ja deutlich gemacht haben, dass dieses nicht ohne den Aspekt der symbolischen Kastration zu haben ist. Und Kino ist genauso wie das Venus-im- Pelz-Dispositiv und alle neuzeitlichen Sehmaschinen-Architekturen – von der Camera 503 Vgl. Holl, Berlin 2002, 20 f. und 23. Kino, dieses Experiment unter Alltagsbedingungen, das gerade die Routinen des Alltags für die Dauer der Vorführung vergessen machen soll, lässt sich demnach als virtuelle Reise oder Flucht begreifen. Christian Filk hat in einem Aufsatz u. a. das Motiv der medialisierten Flucht im Werk des eher unbekannten konservativ-christlichen Schweizer Kultur- und Medienphilosophen Max Picard (1888-1965) hervorgehoben (vgl. Filk 2010, 21 f.). Picard hat sich dezidiert zur Kino-Flucht geäußert: „Das Kino, das ist die vollkommene Flucht. Als Muster der Flucht sind die Kinos überall aufgestellt, daß die Menschen lernen, wie sie am besten fliehen. Die Figuren auf der Leinwand sind eingerichtet nur für die Flucht, sie sind unkörperlich. [...] Hier im Kino ist es, als gäbe es keine Menschen mehr, als seien die wirklichen Menschen schon lange in Sicherheit und als hätte man nur diese Schatten zurückgelassen, daß sie an Stelle der wirklichen Menschen fliehen, sie markieren bloß die Flucht, und selbst die Menschen, die vor der Leinwand sitzen, um die Schatten auf der Leinwand zu beobachten, scheinen nur wie Attrappen, hergerichtet, die Täuschung zu vervollkommnen, indes die wirklichen Menschen schon lang entflohen.“ (Picard 1980, 18.) Hier sei noch einmal daran erinnert, dass nach Theodor Reik der Masochismus eine „Flucht nach vorn“ ist und auch, dass ‚die grausame Frau’ und weitere Fetische ebenfalls als Schatten, Attrappen und Masken des masochistischen Ich gelten. Zu den Phantomen bzw. Doppelgängern auf der Kino-Leinwand vgl. auch Kittler 1986, 225. 504 Vgl. Kaltenecker 1996 (a), 261 und Studlar 2003 (a), 338. 16 2 obscura bis hin zur digitalen Virtualität – im Kern eine phalluszentrierte und - gesteuerte Bildtechnik, die auf der Bewussteinsebene ihrer RezipientInnnen und UserInnen sowohl masochistische als auch sadistische Elemente und Begehrlichkeiten ermöglicht und freisetzt. Die gender-Forscherin und Filmemacherin Christina von Braun hat diesen Punkt, diese Ambivalenz genau erkannt, denn für sie ist das Kino „Ort der Allmachts- und der Ohnmachtserfahrung“.505 Weitere (Op-)Positionen, die die Filmwahrnehmung bestimmen, stellt Siegfried Kaltenecker heraus: „Die Verbindung zwischen den ZuschauerInnen und dem Leinwandgeschen ist nicht linear und eindeutig, sondern von unterschiedlichen Positionen der Projektion und der Abwehr, der Aktivität und der Passivität, des Sadismus und des Masochismus, kurz: von einem unaufhebbaren In-Differenz-Sein bestimmt.“506 Es gibt noch einen anderen spannenden Aspekt, der die sadistisch-bedrohliche Seite der Projektion in Severins Traumtechnik symptomatisch ankündigt: Jenes Bild, das in Wandas Schlafzimmer von der Decke leuchtet, Simson zu Füßen Delilas. Während Severin es verpasst, sein Spiel zu aktualisieren und es daher immer grausamer wird, wirkt auch die malerische Darstellung für den Protagonisten zunehmend unheilvoll und düster. Diese erweist sich als Vorbote der finalen Katastrophe, ähnlich wie auch die Pelze schwerer und farbintensiver werden. (Im frühen Kino bezeichnet man die 505 Braun 2001, 228. Zwar belegt Christina von Braun ihrer These von der Allmachts- und Ohnmachtserfahrung im Kino wiederum mit Gaylyn Studlars Aufsatz Schaulust und masochistische Ästhetik, womit sie auf „die freie Wahl der Identifizierung mit den männlichen und den weiblichen Rollen“ anspielt (Ebd. 229). Im Folgenden aber geht es mir dagegen darum zu zeigen, dass – um diese Wahl überhaupt treffen zu können – der Eingriff eines ‚technisch-sadistischen’ Signifikanten vorangängig sein muss: Nämlich die (Benjaminsche) Chockwirkung der Kinoprojektion auf das ZNS. (Vgl. Studlar, 1985 [b], 15-39 bzw. 2003 [a], 326-354.) Auch in der Neuauflage und Weiterentwicklung ihres psychoanalytischen Aufsatzes fehlen jegliche medientechnischen bzw. (aktuellen) medientheoretischen Bezüge. Zum Themenkomplex Psychoanalyse – Kino – Publikum sei Hölzer 2005 empfohlen. Hölzer bietet hier eine umfassende ZuschauerInnentheorie an, in der die wichtigen Aspekte der Kinowahrnehmung wie u. a. Fantasie, Erinnerung und Identifikation nicht nur psychoanalytisch, sondern auch medientheoretisch analysiert werden. 506 Kaltenecker 1996 (b), 298. 16 3 [wechselnde] Gesamtfärbung/ Tonung des Filmbildes/ Zelluloidstreifens als virage.)507 Laut Monika Treut durchläuft Severins Wahrnehmung dieses Bildes eine dreistufige Entwicklung und erscheint daher auch drei Mal im Roman: „glückliches Übersehen – vorbewusst ängstliche Faszination, und – todesängstliche Bewußtheit“. Dieses Bild verwandelt sich also in eine Art Kontrollschirm, der nicht nur die Transformation der Gefühle, sondern auch den aktuellen ‚Spielstand’ bzw. state of mind Severins aktuell anzeigt.508 Bei Sade wurde demgegenüber erst am Ende der 120 Tage von Sodom der finale ‚Spielstand’ als Statistik bzw. Todesbilanz präsentiert. Auch wenn man sich von dem regressiven Moment, welches im Kino äußerst wirkungsvoll reaktiviert werden kann, durchaus verführen lassen darf, liegt hier doch der sehr entscheidende Wert einer freigesetzten Lust,509 so muss dennoch dabei die stets vorhandene sadistische Dimension, die bereits in den Berechnungen des klassischen Masochismus zu kurz kam, berücksichtigt werden. Der kinematografische Vorstoß in begehrte präödipale Gefilde ist nur deswegen machbar, da das Kino einen symbolischen Apparat zur Verfügung stellt, welcher einen direkten Angriff auf das menschliche ZNS ausübt und somit das Imaginationsvermögen bzw. dessen Fähigkeit zur Identifikation unbewusst in Beschlag nimmt und steuert. Hier sei an Walter Benjamins Rede von den „Chocs der Moderne“ erinnert, zu denen er auch die Filmerfahrung zählt. „Ableitend aus Freuds Traumtheorie und den marxistischen Ansätzen über die Dressur des Arbeiters schloss Benjamin, dass die Mechanisierung des modernen Lebens traumatisch wirkende Chocs hervorrufe.“510 „So unterwarf die Technik das menschliche Sensorium einem Training komplexer Art. Es kam der Tag, da einem neuen und dringlichen Reizbedürfnis der Film entsprach. Im Film kommt die chocförmige Wahrnehmung als formales Prinzip zur Geltung. Was am Fließband den Rhythmus der Produktion bestimmt, liegt beim Film 507 Vgl. Harms 2009, 128. 508 Vgl. Treut 1990, 145 ff. 509 Ist dies nicht der Grund, warum wir überhaupt ins Kino gehen oder dieses zumindest hinsichtlich bestimmter Genres meiden? 510 Volkarts 2006, 34. 16 4 dem der Rezeption zu Grunde [...] Dem Chocerlebnis, das der Passant in der Menge hat, entspricht das ‚Erlebnis’ des Arbeiters an der Maschinerie.“511 Film versteht sich als ein analoges Medium, dessen verführerische, masochistisch- illusionistische Wirkungsmacht gerade darin liegt, die phallische „Choc“-Technizität und Materialität der projizierten Bilder vergessen zu machen und zu verschleiern. „Im Vergessen der Gemachtheit der Bilder, ihrer Apparatstruktur, liegt die Möglichkeit, ganz und gar der Magie der Bilder zu folgen.“512 Die kastrative Funktion des Phallus ist hier keineswegs aufgehoben, sondern bei genauerem Hinsehen – in medientechnischer Dimension – präsenter denn je. Dass der Kino-Phallus bereits zugeschlagen hat und unter der Wahrnehmungsschwelle ablaufende Schockwirkungen zeitigt,513 noch bevor überhaupt positive Identifikationsprozesse des Publikums (mit den Charakteren) im Film möglich sind, illustriert die berühmte Anfangssequenz von Ingmar Bergmans PERSONA (1966): Zu sehen gibt es dort eine Montage von Stummfilmausschnitten, die eine laufende Filmrolle, einen erigierten Penis, die Schlachtung eines Schafes, den Durchschlag eines Nagels auf einer Handoberfläche und tote bzw. leblose Körper präsentiert.514 511 Benjamin 1974, 126-128, zitiert nach Volkarts 2006, 34. 512 Böhme 2006, 478. 513 Diese Wirkungen funktionieren mit 24 Einzelbildern pro Sekunde. (Vgl. Kittler 1993 (a), 71.) Laut Kittler ist das Kino ein „psychologisches Experiment unter Alltagsbedingungen, das unbewußte Prozesse des Zentralnervensystems aufdeckt. […] Zum ersten Mal in der Kunstweltgeschichte implementiert ein Medium den neurologischen Datenfluß selber. [Was allerdings nicht heißt, dass Kinoprojektion mit dem neurologischen Datenfluss identisch ist; diese ist nur eine Imitation im medialen Realen, ein technischer Nachbau, der mit der körperlichen Funktion des menschlichen Wahrnehmungsapparats nicht viel gemeinam hat (auch wenn er in diesen massiv eingreift), wohl aber mit der oberflächlichen Erscheinung des Optisch-Unbewussten. (Anmerkung S. P.):] Während Künste Ordnungen des Symbolischen sind oder Ordnungen der Dinge verarbeitet haben, sendet der Film seinen Zuschauern deren eigenen Wahrnehmungsprozeß – und das in einer Präzision, die sonst nur dem Experiment zugänglich ist, also weder dem Bewusstsein noch der Sprache.“ Kittler 1986, 240 und vgl. Kittler 1993 (b), 100 ff. 514 Luis Buñuels surrealistischer Schwarzweißfilm EIN ANDALUSISCHER HUND hatte die Schnitt- Funktion des Phallus in Bezug auf den Sehsinn schon 1929 thematisiert – und dies mit unvergesslicher sadistischer Schockwirkung: Ein Mann schneidet einer vor ihm sitzenden Frau mit dem Rasiermesser durchs Auge. Dieser Schnitt wird in Nahaufnahme gezeigt. Inszenierte Schnitte und Wunden sind 16 5 Danach sieht man einen liegenden, in weißes Tuch gehüllten, nackten Jungen, der ein Buch liest und seine Hand zu dem überdimensionierten, unscharfen Gesicht einer Frau ausstreckt – ein masochistisch stark aufgeladenes Bild, das der phallischen Mutter. Es geht hier also um das Sichtbarmachen jener kastrativ-bedrohlichen Vorgänge, Schnitte, die der Filmwahrnehmung inhärent sind. Bergman verdeutlicht mit dieser traumartigen Exposition, dass phallisch-negative Filmwirkungen (ein- )greifen und virulent sind, bevor überhaupt sinnerzeugende Subjekt-Objekt- Relationen, welche auch (geschlechtliche und/oder [prä-]ödipale) Identifikationsprozesse umfassen, vom Publikum gemacht, d. h. als solche unterschieden werden können. Diese Wirkungen, Körper(ein)schnitte, sind selbstverständlich auch dann aktiv, wenn es kein (klar umrissenes) Objekt oder jedoch schon in der Kino-Frühgeschichte virulent. Arno Meteling berichtet von zwei Thomas-Edison- Kurzfilmen mit kastrativen Inhalt bzw. kastrativer Wirkung: Der eine, ELECTROCUTING AN ELEPHANT (1909), zeigt die von Edison selbst durchgeführte Tötung des Elefanten Topsy durch elektrischen Strom, der andere, EXECUTION OF MARY QUEEN OF SCOTS (1895), gehört zu den allerersten Filmen überhaupt und führt die (tricktechnische) Hinrichtung Maria Stuarts vor. Der Henker präsentiert dem Publikum den abgeschlagenen Kopf der Königin. Meteling findet es zu Recht auffällig, dass sich dieser Kurzfilm nur für die Exekution und nicht – wie das Schillersche Drama – für die Person Maria Stuart und ihr politisches Schicksal interessiert. (Vgl. Meteling 2010, 190 f.) Siegfried Kracauer hat laut Meteling schon früh die Theorie des Gewaltfilms entwickelt: „Der Film strahlt die Erscheinung des Entsetzlichen an, dem wir sonst im Dunklen begegnen, macht das in Wirklichkeit Unvorstellbare zum Schauobjekt.“ Kracauer-Zitat in ebd. 191; Kracauer 1974, 25. 16 6 Subjekt im Leinwandspiegel zu sehen gibt – wie z. B. im Experimental- oder im fantastischen Film, dann etwa, wenn das amorphe Objekt – z. B. ein Alien – die gesamte Bildfläche einnimmt und quasi verschlingt. Dennoch können gerade solche nicht-figurativen Bilder und fantastischen Inszenierungen präödipale Erinnerungen hervorrufen. Die (masochistische) Angstlust ist dann meist nicht fern. „Was sich im Kino ereignet, ist der Verlust des eigenen Spiegelbildes, seine Auflösung im Geschehen des Anderen: des Blicks des Anderen. Zum Chock wird diese Erfahrung im Moment der Konfrontation zweier Medien, d. h. wo die Ruhe der vom Spiegel oder vom photografischen Bild gegebenen Ich-Imago im Schnitt von Totale oder Großaufnahme bedroht wird und – wie tatsächlich geschehen – die Zuschauer aus dem Saal laufen lässt.“515 Doch nicht nur das Leinwandgeschehen kann bedrohlich wirken, sondern auch die Abgeschlossenheit des abgedunkelten Kinosaales. „Mit der Dunkelheit entsteht ein ambivalenter Raum, der Nähe zum unmittelbaren Nachbarn einerseits und äußere Weite, weil Grenzenlosigkeit, andererseits evoziert. [...] In einem solchen dunklen Raum kann sich der Betrachter nicht mehr orientieren. Die natürlichen Distanzen werden aufgehoben, und nur noch die Distanz zu den bewegten Bildern auf der Leinwand bleibt erhalten.“516 „Die Nacht nimmt uns unsere Beweisstücke, wir wissen nicht mehr, wo wir sind. [...] Unser Blick hat nicht mehr das Sichtbare als Grenze, sondern das Unsichtbare als Gefängnis, homogen unmittelbar, indifferent, kompakt.“517 Was Annette Brauerhoch am Kino schätzt (bzw. was sie immer wieder zu Kinobesuchen motiviert), ist „eine gewisse, ungewisse Stimmung“, die sie nur hier so erlebt: „[E]in Verlangen nach Gemeinschaft im Allein-Sein, nach Umhüllung durch die Dunkelheit, nach dem Reiz des Lichtspiels auf meiner Netzhaut. Es ist auch das 515 Wetzel 1994, 352. 516 Brauns 2007, 252. 517 Zitat von Claudel in: Bollnow 1997, 185; zitiert nach Brauns 2007, 252. 16 7 Verlangen nach einer Kommunikation, die der Worte und des sozialen Umgangs nicht bedarf.“518 Suture Auch die (film-)strukturalistische Theorie der suture, der ‚Naht’, zeigt, dass die Wahrnehmung von Filmbildern zumindest insofern eine sadistische Dimension besitzt, als sich der Blick mit der Kameraführung und -dramaturgie unbewusst verschweißt, und dabei die Orientierung auf der Leinwand durchaus versagen oder ins Leere laufen kann. Waren es bei Sade weibliche Geschlechtsöffnungen, die zugenäht wurden,519 geht es in diesem Konzept, welches der Lacan-Schüler Jacques Alain Miller vornehmlich geprägt hat,520 also um das Vernähen des Betrachterauges – dem wahrscheinlich signifikantesten Geschlechtsorgan (in der Moderne) überhaupt – mit einem gezeigten Filminhalt. Ziel ist es dabei jedoch, den subjektiven Blick – bzw. das Begehren und den Diskurs – des/der ZuschauerIn während der Filmprojektion zu stützen und aufrechterhalten zu können. Nach Slavoi Žižek hat der aus dem operativ- chirurgischen Bereich entlehnte Begriff der suture für die Film- bzw. ZuschauerInnen-Theorie eine elementare Logik, die aus drei Schritten besteht: „– Erstens wird der Zuschauer mit einer Einstellung konfrontiert, die ihm auf unmittelbare Weise imaginäre Weise Lust bereitet und von der er völlig vereinnahmt wird. 518 Brauerhoch 1995, zitiert nach von Braun 2001, 235. 519 Vgl. Böhme 2003, 23. Deleuze und Guattari sagen über den sogenannten Körper ohne Organe des Masochisten, dass sich dieser seine Körperteile selbst (neu) vernäht: „AND THERE IS THE MASOCHISTIC BODY WHICH CANNOT BE UNDERSTOOD IN TERMS OF PAIN, FOR WHAT IS INVOLVED IS PRIMARLY THE BWO [Body without Organs]. IT HAS ITSELF SEWN UP BY ITS SADIST OR ITS WHORE –THE EYES, THE ANUS, THE URETHRA. THE BREASTS, THE NOSE, SEWN UP, CONQUETTISHLY ADDING BUTTONS WITH FOUR HOLES. IT HAS ITSELF SUSPENDED TO STOP THE ORGANS FROM FUNCTIONING.“ Vgl. Deleuze und Guattari 1995, 265 (konsequente Großschreibung im Originaltext) und mehr zum BWO bzw. oK im nächsten Kapitel: 131 (Fußnote 1036). 520 Vgl. Miller, Screen, Vol. 18, No. 4 (1977/78), 25 f. und Oudart in: ebd. 35. 16 8 – Zweitens wird das vollständige Eintauchen des Zuschauers dadurch unterminiert, daß er/sie sich des Bildes als solche[s] bewußt wird: Das, was ich sehe, ist nur ein Teil, und ich meistere das, was ich sehe, nicht. Ich befinde mich in einer passiven Position, die von einem Abwesenden (bzw. dem Anderen) beherrscht wird, der hinter meinem Rücken die Bilder manipuliert.521 – Hierauf folgt eine komplementäre Einstellung, die den Ort darstellt, von dem aus der Abwesende schaut und diesen Ort seinem fiktiven ‚Inhaber’, also einem der Darsteller, zuordnet. Kurz, man geht vom Imaginären zum Symbolischen, zum Zeichen, über: Die zweite Einstellung folgt nicht einfach nur auf die erste, sondern diese bezeichnet jene.“522 Man erkennt, dass die äußere Differenz zwischen zwei Bildern oder Einstellungen (d. h. zwischen dem Bild/der Einstellung und seiner/ihrer Leere) mit der ‚Naht’, welche eine aktive Projektionsleistung des Subjekts darstellt, verschweißt wird.523 Demnach ist diese ‚Naht’ nicht nur äußerlich, sondern verläuft auch durch den Schirm des Betrachter-Subjekts (die Oberfläche des Egos) und verbindet damit Innen und Außen, Ich-Schirm und Leinwandschirm. Die subjektive Projektion geht dabei nach innen. Entscheidend ist also auch hier die Leere (bzw. das Abwesende in Form eines Unsichtbaren oder Nicht-Sichtbaren), die es für das Betrachterauge und dessen Blick 521 In diesem zweiten Schritt zeichnet sich sicht nicht nur die masochistisch-fetischistische pars-pro- toto-Ästhetik ab („Das was ich sehe ist nur ein Teil“), sondern auch der Grund dafür: die Übermacht bzw. Übercodierung der medialen Umwelt, der Bilderflut des großen Anderen im Kino („und ich meistere das, was ich sehe, nicht“). Daraus folgt Schritt drei, der das (Noch-)Nicht-Gesehene bzw. Fehlende in einem Zeichen, das in den Rang eines symbolischen Fetischs gehoben werden kann, codiert. Der Filmästhet Béla Balázs bezeichnet diese pars-pro-toto-Wahrnehmung als impressionistischen Filmstil: „Der Impressionismus gibt immer einen Teil für das Ganze und überlässt die Ergänzung der Phantasie des Zuschauers. Eine Ecke wird gezeigt anstatt der ganzen Landschaft, eine Gebärdes statt der ganzen Szene und ein Moment statt der ganzen Geschichte. Diese herausgehobenen Teile werden aber ‚naturalistisch’ dargestellt.“ Auf diese Weise wird es möglich, den Eindruck von Größe zu steigern, selbst dann noch, wenn der vorhandene Rahmen längst imaginär ‚ausgefüllt’ ist. Laut Balázs können auf diese Weise aufwendige, sehr kostspielige Massen- oder Monumentalszenen günstig realisiert werden. Vgl. Balázs 1982, 91 f., 97 f. 522 Žižek 2001 (a), 12 f. 523 „Bei der ‚Naht’ wird der Unterschied zwischen dem Bild und seiner Absenz (Leere) auf die Differenz zwischen den beiden Aufnahmen projiziert.“ Ebd. 13. 16 9 in einem Symbolisierungsprozess zu meistern gilt. Meiner Meinung nach geht es beim Konzept der suture um die filmspezifische Anwendung und Ausdifferenzierung der Phallus-Theorie bzw. einmal mehr um das Verhältnis S1–S2.524 Dieser dargelegte Drei-Schritt bildet eine ideale Konstruktion, eine gelungene Hegelsche Syntheseleistung im Optisch-Unbewussten, die laut Žižek in dieser Reinform zwar nicht unmöglich, aber doch eher selten zu finden ist. (Dies korreliert mit der ausbleibenden Hegelschen Anerkennung im Venus-im-Pelz-Dispositiv.) Es wundert daher nicht, dass Lacans knapper Kommentar zur ‚Naht’ sich im Wesentlichen darauf beschränkt, diese als „Pseudo-Identifikation“525 zu bezeichnen bzw. zu entlarven. Das gezielte Suchen nach subjektivem Sinn und Kohärenz (und damit auch nach geglückten Identifikationen) erweist sich gerade im postmodernen Kino und insbesondere im horror-Kino meist als erfolglos. Auch hier fehlt oft der dritte Hegelsche Schritt oder wie Žižek schreibt „Point-of-View-Shot“,526 der einer Person zugeordnet werden könnte; vielmehr sind es dann selbst Räume oder Dinge, die einen anzublicken scheinen und plötzlich eine unheimliche oder gar monströse Dimension bekommen.527 Gerade dieser fantasmatische Blick, der sich vom Subjekt loslöst oder gar kein Trägersubjekt mehr hat, dreht die Bewegungsrichtung der „Naht“-Technik aber um. 524 Dies ist möglicherweise ein Grund, warum sich Jacques Lacan nicht selbst um die Ausarbeitung gekümmert hat. Das Feintuning seiner Begriffe hat er ja nicht selten seinen SchülerInnen oder nachfolgenden Generationen von WissenschaftlerInnen überlassen. Vgl. zum Verhältnis Phallus – suture: Cornell 1992, 290. 525 Lacan 1987, 124. Vgl. auch Pazzini 1999, 323 ff. 526 Žižek 2001 (a), 14. Neben dem „point-of-view-cutting“ gehören auch Schuss-Gegenschuss- Inszenierungen zur suture. Wie Siegfried Kaltenecker mit Stephen Heath betont, umfasst dieses Theoriekonzept aber nicht nur diese zwei Formen und bleibt daher keineswegs auf das Verbindungs- und Vernähungsmodell beschränkt. Vgl. Kaltenecker 1996 (b). 294 und Heath in: Screen, Vol. 18, No. 4 (1977/78), 64 ff. 527 „Eines der Standardverfahren des Horrorfilms ist die ‚Umkodierung’ der objektiven Aufnahme in einer subjektive. (Das was der Betrachter zunächst als objektive Sicht wahrnimmt, etwas ein Haus mit einer Familie beim Abendessen, entpuppt sich plötzlich durch kodifizierte Signale wie etwa das leichte Wackeln der Kamera, den ‚subjektivierten’ Soundtrack usw. als die subjektive Sicht eines Mörders, der sich an sein potentielles Opfer heranpirscht.)“ Žižek 2001 (a), 16 f. 17 0 Wie Žižek immer wieder mit Alfred-Hitchcock-Filmbeispielen demonstriert, ist der US-amerikanische Regisseur nicht nur der Meister des suspense, sondern auch der Meister im Verdrehen der ‚Naht-Technik’ auf ein (unheimliches) Objekt hin.528 Dieses Objekt kann bei Hitchcock prinzipiell alles sein und muss daher nicht an und für sich böse, obszön oder dämonisch sein, muss also nicht der Phänomenologie klassischer Schauer-Elemente und -Gestaltungsmittel entsprechen.529 Auf den ersten Blick völlig unscheinbare und harmlose Dinge, Vorgänge oder Räume, wie z. B. ein von oben gefilmtes Treppenhaus, die Nahaufnahme von ablaufendem Wasser im Abfluss einer Dusche oder ein versinkendes Auto in einem Tümpel können dann einen verunsichernden oder verstörenden Effekt haben – siehe PSYCHO (1960). „Oder wie in ‚Dr. Mabuse’: Die leblosen Dinge nehmen Gestalt an, sie bekommen entsetzliche gefahrdrohende Physiognomien. Die Notendruckmaschinen beginnnen selbständig zu arbeiten, sie geraten ins Fließen wie die ganzen Wände und die Perspektive des Zimmers und werden in der Vorstellung des wahnsinnig werdenden Mabuse riesenhafte Ungeheuer, die über ihn herfallen, um ihn zu zermalmen.“530 Das wahrlich Ver-rückte dabei ist also, dass sich diese verdächtig gewordene Dingwelt wiederum auf die Charaktere im Film rückprojizieren lässt, dass sie diese negativ bzw. selbstauflösend affiziert, worin sich dann nicht selten der Objektstatus des Ich offenbart – gerade, indem das Objekt hier ab-geht oder fehlt. Beliebtes Motiv sind in dieser Hinsicht erstarrte oder vom Schrecken gezeichnete Gesichter. – Ausdrucksweisen einer gestörten und dysfunktionalen Subjektivität, welche die ‚Naht’ weiterhin umdrehen, unterlaufen und sogar auflösen. Schon bei Sade gab es in den seelenlosen oder fehlenden Visagen seiner Lustobjekte diesen blanken horror zu sehen, er verweist auf das Scheitern der Physiognomie am Ende des 18. Jahrhunderts und die perverse Lust des Libertins. „Aber das Menschengesicht heute [i. e. in den 1930er Jahren (Anmerkung S.P.)] hat sich nicht dem Gesicht auf der Kinoleinwand nachgebildet, sondern umgekehrt: das Gesicht auf der Kinoleinwand hat sich dem Menschengesicht von heute nachgeformt. Das Bewegliche, Eilige, Provisorische, 528 Vgl. Žižek 2001 (a), 17 und Ders. (Hrsg.) u. a. 2002. 529 Vgl. Todorov 1992 und Weber 2008, 143-153. 530 Harms 2009, 132. 17 1 Verschwindende des Gesichts von heute hat sich ins Mechanische übertragen: das ist das Kinogesicht.“531 Der sichtbare Mensch Das Gegenteil dieses ‚mechanisch-verschwindenden’ Gesichtsausdrucks postuliert der ungarische Filmkritiker und -theoretiker Béla Balázs in seiner (bereits medienvergleichenden) Schrift Der sichtbare Mensch von 1924, eine der ersten systematischen Filmtheorien/Kunstphilosphien des Films. Er betont und fokussiert darin die neuen, verfeinerten Ausdrucksmittel des Körpers, der Gesten und Mienen der Schauspielästhetik auf dem Stummfilm, in denen das Innenleben der ProtagonistInnen sichtbar wird. Dieser Darstellungsprozess stillt die Sehnsucht „nach dem verstummten, vergessenen, unsichtbar gewordenen leiblichen Menschen“.532 Für Balázs offenbart sich in sich in der körperlichen Audrucksfähigkeit eine unbewusste Qualität, die, indem sie im Film – gerade in der Nahaufnahme – en détail abbildbar wird,533 den Geist in der Körperlichkeit materialisiert. Darin sieht er die kulturelle Überlegenheit der international verständlichen Stummfilm-Körpersprache – im Gegensatz zur vergeistigten, körperfernen Schriftsprache – begründet.534 „’Der stumme Film’, schrieb Balázs 1930, ‚war auf dem Wege, eine psychologische Differenziertheit, eine geistige Gestaltungskraft zu erreichen, die kaum je eine andere Kunst gehabt hat. Da brach die technische Erfindung des Tonfilms wie eine Katastrophe herein.’“535 Dabei bemerkte er jedoch nicht, dass gerade das technisch objektivierte Imaginäre des Kinos – sowohl im Stumm- als auch im Tonfilm – ein Effekt und Resultat der abendländischen Schriftkultur darstellt und mit dieser untrennbar – medienhistorisch – verbunden ist. McLuhan bemerkt dazu: „Die enge Beziehung zwischen der ‚meterwahren’ Welt des Films und dem persönlichen Phantasieerlebnis im gedruckten 531 Picard 1980, 147, zitiert nach Filk 2010, 25. 532 Balázs 1982, 54. 533 Vgl. ebd. 82 f. 534 Vgl. ebd 56. 535 Kaes 1993, 84, die Quellenangabe zum Originalzitat fehlt. 17 2 Wort ist also für die Gültigkeit des Films in unserer Welt Voraussetzung.“536 Auch die notwendige räumliche Distanz zwischen Publikum und Leinwand im Kino-Dispositiv, die die Immersion ins Filmbild erst ermöglicht, hat Balázs verkannt und behauptet stattdessen: „Dieses distanzlose Dabeisein, diese Gegenwart des Augenblicks gibt Wirklichkeitsfilmen eine Spannkraft, die kein Werk der künstlerischen Phantasie haben kann.“ – „Es liegt im Wesen seiner Technik, daß der Film die Distanz zwischen Zuschauer und einer in sich geschlossenen Welt der Kunst aufgehoben hat.“537 Sein Primat, dass ausschließlich Physiognomie(n) und Ausdrucksgebärden die Lesbarkeit des Films bestimmen sollen, unterschlägt in dieser Hinsicht die mindestens ebenso wichtige Bedeutung und Aussagekraft aller anderen (äußeren und übergeordneten) Merkmale des Film(bilde)s (wie Umgebung, Hintergrund, technische Voraussetzungen und Manipulationen, Produktion, Verleih, Vermarktung, Zensur, Spielstättenarchitektur etc.). Auch der Experimental- oder Tierfilm, in dem menschliche Physiognomien durchaus fehlen können, stützt diesen Einwand. Das nicht beachtete bzw. ausgeblendete ‚Über’ oder ‚Außen’ macht sich gerade dann bemerkbar, wenn (wie das oben angeführte Filmbeispiel aus DR. MABUSE veranschaulicht) Physiognomien (z. B. aufgrund der Übermacht technischer oder dinghafter environments) eine schizophrene oder gar mönströse Dimension bekommen und demnach alle Lesbarkeit in dieser Hinsicht vereiteln. Es gibt Wahrnehmungen, die derart negativ oder leer sind, dass ihnen kein Körper- bzw. Gesichtsausdruck mehr entspricht. Wie z. B. in einer Szene aus Hitchcocks DIE VÖGEL (1963), in der Lydia Brenner (Jessica Tandy) ihren von Vögeln getöteten Nachbarn in seinem verwüsteten Schlafzimmer erblickt, nach draußen läuft und einen Schrei auszustoßen versucht, der jedoch stumm bleibt. Der schockierende horror dieser Szene bzw. dieses lautlosen Schreiens (im Tonfilm) hängt vor allem damit zusammen, dass die mörderischen Vögel dem Opfer beide Augen ausgehackt haben und nun nur noch blutig-schwarze Augenhöhlen der Leiche zu sehen sind bzw. (im Drei-Schritt) herangezoomt werden.538 Diese Einstellung ist ein noch krasseres Negativbild des Sichtbare[n] Mensch[en] als Picards flüchtiges, mechanisches 536 McLuhan 1995, 434. 537 Balázs 1984, 39. 538 Vgl. Žižeks PERVERT’S GUIDE TO CINEMA (2006). 17 3 Menschengesicht, das sich ja gerade noch abbilden ließ. Derartige Bilder sind auch in der Venus im Pelz virulent, in dem erwähnten Gemälde von Simson und Delila. Jedoch geht es hier nicht um unbeherrschbare Naturgewalt, sondern um die medial bedingte Blindheit der Augen (die ebenfalls zu Gewaltereignissen führen kann): „Erinnert wird an jenen Verrat, durch den Delila ihren Geliebten Simson den Philistern auslieferte worauf sie ihn griffen ‚vnd stochen jm die Augen aus / vnd bunden jn mit zwo ehren Ketten / vnd er must malen im Gefengnis’. Die ausgestochenen Augen kennzeichnen dabei die Blindheit jener Augen, die der männliche Held Simson ‚bis zum letzten Augenblick von Wut und Liebe trunken auf die schöne Verräterin heftete’.“ 539 Der entsubjektivierte, leere Blick, der mit Lacans Antinomie zwischen Auge und Blick beschreibbar wird (und in derartigen Schockbildern kulminieren kann), bildet ein Äquivalent zur unheimlichen Subjektivierung, zur Verlebendigung der Dinge im Film. Dies ist auch insofern ein Sadescher Effekt, als das Publikum einem lust- und/oder angstvollen Nervenkitzel ausgesetzt ist, der sich symptomartig aus der Negativität abwesender/ abspaltender/ dezentrierender (Sinn-)Elemente speist. Der/ die ZuschauerIn kann dann – insofern sie/er mit den unbesetzten Leerstellen fantasievoll spielt – quasi diese Negativität genussvoll auskosten oder von diesen – insofern sie/er nicht in der Lage ist, damit zu spielen – ebenso irritiert oder schockiert werden. Solche unerwarteten Momente, auf die es der Sadist bei seinen Opfern stets abgesehen hat, können – auch wenn sie im Kino nur aus einem virtuellen Raum hervorgehen – tatsächlich äußerst grausam sein, d. h. sie können die Täuschung der Filmbilder, ihren konstruiert-montierten Erzählfluss zurücknehmen und den ZuschauerInnenkörper aufgrund des freigesetzten Realen stark affizieren.540 Denn Kino hat prinzipiell das Potential – wie jede Kunst – an den traumatischen Kern einer jeden Identität zu rühren, also individuelles wie kollektives Imaginäres, kulturelle Verdrängungsleistungen, zu bearbeiten, zu verschieben, zu verwandeln und sogar zu eliminieren. In diesem Transformationsprozess, der natürlich nicht nur horror- 539 Treut 1990, 145 f., erstes Zitat darin von Martin Luther, Altes Testament, Das Buch der Richter, C. XVI, 21, zweites von Sacher-Masoch 1980, 21. 540 Vgl. Angerer 2007. Vor solchen unkontrollierbaren Affekten fürchten sich vor allem (Film- )ZensorInnen. 17 4 Ereignisse umfasst, liegt einer der wichtigsten Aspekte des Kino-Begehrens und es bedarf technischem know-how und visionärer Einbildungskraft der Filmschaffenden, diesem nicht ungefährlichen, aber auch befreienden Begehren nachzuspüren und es richtig umzusetzen, d. h. ein ursprünglich verdrängtes Bild rekonstruieren zu können, um neues Wissen zu generieren und um somit Lust und Zukunft für den Einzelnen und die Gemeinschaft zu ermöglichen und zu sichern. Dabei geht es letztendlich um nichts anderes, als das Erkennen des Risses, das ‚Nähen’ des Risses und – falls notwendig – die Neubearbeitung eines bereits vorhandenen, meist schlecht oder falsch ‚genähten’ Risses. Auf jeden Fall liegt dem Riss in seiner optischen Beschaffenheit und Wirkung ein ursprüngliches, unüberwindbares Fehlen immer schon zu Grunde, was im Hinblick auf die suture das Scheitern des finalen point-of-view-shot oder des „Augenblick(s) der letzten Naht“541 bedeutet. Ist dieses leidenschaftliche wie auch vergebliche Vernähen des fantasmatischen Risses oder Lochs nicht genau – um es noch einmal zu rekapitulieren – in jenem algebraischen Zeichen codiert, mit dem Sades Tagebuchaufzeichnungen enden, ein durchgestrichener Kreis O? Wichtig zu betonen ist, dass die aktive, nach innen laufende Projektionsleistung des Subjekts im Kino dann insofern als sadistisch bezeichnet werden kann, als der/die ZuschauerIn versucht, die Bilder auf der Leinwand zu beherrschen, d. h. visuell in den Griff zu bekommen, sie eben zu vernähen (oder wie Sade sagt ins Lot [zu] bringen).542 – Unbewusste Operationen eines phallisch induzierten Kommandos, Macht über die Bilder und letztendlich über das gesamte Dispositiv zu erhalten.543 Neben diesen Allmachtsgelüsten ist aber auch die Ohnmachtserfahrung, die diese Gelüste weckt und aufrechterhält, für jedes 541 Laclau und Mouffe 1985; zitiert nach Kaltenecker 1996 (b), 298. 542 Im Gegensatz zu Sades erfolgreich vernähten Körperöffnungen ist die suture – genauso wie die Sadesche Enzyklopädie – nicht abschließbar, nur vorläufige Zwischenergebnisse sind möglich. 543 In diesem Sinne könnte die suture aber auch gesprengt werden, da sich das kritische Betrachterauge nicht mehr mit dem Kamerablick und der Montage verschweißt, sondern das gesamte Kino-Dispositiv (d. h. allgemeiner gesagt auch: die frames oder interfaces abendländischer Einbildungskraft) entlarvt und außer Kraft setzt. Strukturalistisches Wissen kann demnach dem Zauber bzw. horror des Leindwandgeschehens, d. h. der Schaulust, entgegen wirken. Gleichwohl kann dieses Wissen ganz neue, ungeahnte Türen der Wahrnehmung und lustvollen Fantasie – eben auch in theoretischer Hinsicht – eröffnen, etwas produzieren, das sich dann wiederum auf die Entwicklung der Filmästhetik oder andere Bereiche positiv auswirkt. 17 5 Kinoerlebnis von grundlegender Bedeutung. Allmachts- und Ohnmachtsfantasien (bzw. -befindlichkeiten) sind im Kino also zumindest während der Filmprojektion nicht zu trennen.544 Wie sehen aber nun, nachdem die struktural-sadistischen Elemente des Kino-Dispositivs herausgestellt worden sind, die masochistischen (neben den u. a. von Gaylyn Studlar bereits benannten) aus – insofern man diese tatsächlich theoretisch ausdifferenzieren kann? Auch diesbezüglich muss erst noch einmal auf die unbewusste Schockwirkung der Filmbilder eingegangen werden. Meine These ist, dass das sadistische Element masochistischer Schmerz- und Straflust, das Auspeitschen durch die ‚grausame Frau’ eben von der Apparatur, genauer gesagt vom implementierten Stroboskopeffekt im Kinematografen übernommen wird. Ein Blick auf die Rezeptions- bzw. Sittengeschichte des Kinos zeigt, dass dieser Vergleich bzw. ‚Medienwechsel’ gar nicht so weit hergeholt ist: So prangert die kulturkonservative Kritik am Kino in den 1920er Jahren an, dass es nur „Zeitvertreib und Nervenpeitsche einer entgötterten und ehrfurchtslosen Welt“545 darstelle. Diese Kritik – so kommentiert Jörg Brauns – „richtete sich daher nicht oder zumindest nicht allein wie bei jedem neuen Medium gegen die Inhalte, sondern vor allem gegen die medialen Effekte und dispositiven Bedingungen des Kinos“.546 Diese Effekte sind geradezu diametral entgegengesetzt zu 544 Die Passivität beim Kinoerleben weist aufgrund der dargelegten Gründe, die ich als sadistische bezeichne, also nicht nur auf Masochismus hin. (Damit das Publikum überhaupt in die Welt der Filmbilder ein- und abtauchen kann, müssen zuerst technisch induzierte Schocks auf den relativ passiven Körper und dessen ZNS erfolgen, um in einem zweiten Schritt die so ermöglichte, unbewusste Wahrnehmung der bewegten Filmbilder aktiv verarbeiten, sie u. a. ‚nähen’ zu können.) Auch der Libertin bleibt erst einmal passiv, hört sich gern perverse Erzählungen an und lässt so seine Sinne und Wollust erregen, bevor er dann selbst zur Tat an einem konkreten Lustobjekt schreitet... Kino funktioniert aber selbstverständlich auch ohne diese Passivität, die für die Apparatus-TheoretikerInnen so wichtig ist, vergleichen sie diese doch mit der (motorischen) Hilflosigkeit des Kleinkindes. Wie Elsaesser und Hagener bewiesen haben, war das Publikum gerade im frühen Kino keineswegs „an den Sitz ‚gefesselt’“. Somit wird im weiteren Sinne auch das ‚Apparatus-Argument’ vom Kino als Disziplinierungsmaschine fragwürdig. (Vgl. Elsaesser und Hagener 2007, 89 f.) Die Immobilität des Körpers ist für die Wahrnehmung des Films also nicht ausschlaggebend und zwingend notwendig, sondern einzig und allein die Trägheit und Erregbarkeit der Sehnerven. 545 Moreck 1926, 69; zitiert nach Brauns 2007, 234. 546 Ebd. 17 6 denen der tradierten Kunst-Rezeption, welche sich u. a. als Kontemplation, „Muße und Willensentspannung“ mitteilen.547 „Es [das Kino] wirkt mit so starken Mitteln, daß selbst erschlaffte Nerven aufgepeitscht werden, und die schnelle Folge der Ereignisse, das Durcheinander von verschiedenenartigen Dingen, lassen keine Langeweile aufkommen.“548 Publikum Die Kino-Peitsche, die eine gewöhnliche Peitsche und auch die ‚grausame Frau’ zumindest in ihrer für den Masochisten so äußerst wichtigen Funktion ersetzt, geht also nicht mehr auf ein einzelnes Maso-Subjekt nieder, sondern auf ein sadomasochistisches Publikum, das – zumindest während es in den Genuss der Filmvorführung kommt – so bezeichnet werden darf. Das Publikum bzw. der Voyeurismus sind im Sadomasochismus ohnehin ganz besondere Topoi. Wurde Sade in seiner Gefängniszelle zum einsamen Zeugen seiner monströsen Imagination, für die er kein Publikum brauchte, sondern nur Skripte,549 so gierte Sacher-Masoch förmlich danach, seine Perversion in der/einer Öffentlichkeit bzw. vor Dritten zu präsentieren. Aus Gründen der Luststeigerung ist die Adressierung an den Anderen – und sei es nur ein hypothetisches Über-Ich oder die bloße Annahme des Blicks des Anderen550 – stets notwendig und als auszuführender Programmauftrag in die Maso- 547 Ebd. 235. 548 Altenloh 1914, 56; zitiert nach Brauns 2007, 235. 549 Insgeheim hoffte Sade aber auch darauf, ein Publikum für seine Skripte zu finden oder diese zumindest in Umlauf zu bringen. Wurden sie zensiert, konfisziert oder vernichtet, war dies für Sade unerträglich. 550 Es muss kein reales Publikum vorhanden sein, der masochistischen Vorstellung genügt es mitunter, dass eines da sein könnte: „Ich kann mich von jemanden angeblickt fühlen, von dem ich nicht einmal die Augen und nicht einmal die Erscheinung sehe. Es genügt, daß etwas mir anzeigt, daß der andere da sein kann. Dieses Fenster, wenn es ein wenig dunkel ist und wenn ich Gründe habe anzunehmen, daß jemand dahinter ist, ist immer schon ein Blick.“ Lacan 1990, 272. 17 7 Inszenierung von vorneherein eingeschrieben. Es geht um mediale Maskierung551 und um den Schauwert bzw. die Schaulust, den dieser/diese bietet; letztendlich um etwas Exhibitionistisches, das sich dennoch nicht offenbart, weil es sich im Zeigen wiederum verhüllt. In diesem Sinne ist in der masochistischen performance nicht nur Abschirmung und Distanzierung äußerst signifikant,552 sondern gleichwohl auch die Fantasie und der Wunsch, in der dargebotenen Maske (von außen) sichtbar zu sein. Im Kino, einem öffentlich zugänglichen Ort, ist diese Funktion, von etwas angeblickt zu werden oder etwas anzublicken, ohne dabei sogar gesehen zu werden, realisiert.553 Severin hatte ganz am Anfang seiner Traumerzählung, als er im Fenster554 seiner Laube lag und nach außen blickte, genau diesen Vorgang beschrieben: „Man sieht Niemanden und wird von Niemanden gesehen.“555 Der Masochist kommt also schon dann auf seine Kosten, spürt Erregung, wenn einfach nur der architektonische/äußere Rahmen seines Dispositivs, seiner in den Raum erweiterten Maske gegeben ist, noch bevor also weitere Personen erscheinen und in Aktion treten.556 Auch hier ist die suture bereits wirksam, ohne dass es zu einer aktiven Identifikation mit weiteren ProtagonistInnen überhaupt kommen muss. 551 „From a Lacanian point of view, the virtual mask does not hide or reveal a present being behind the mask; instead, the mask itself reveals being: what I am does not exist in its ‚true form’. Behind the mask is nothing but the real of chaotic tendencies.“ Nusselder, 2009, 92. 552 Jörg Brauns hat in der Gliederung seines Kapitels zur „Theorie des Dispositivs“ u. a. den Aspekten „Abschirmung“ und „Distanzierung“ eigene Punkte gewidmet. (Vgl. Brauns 2007, 158-174.) Michael Wetzel betont mit Maurice Blanchot, dass das fetischistische „Sehen ein Kontakt auf Distanz“ bedeutet. Vgl. Wetzel 1994, 339. 553 Christina von Braun erkennt in der Photographie ein Auge, „das sich selbst der Betrachtung der anderen entziehen kann; ein Auge, das – wie Gott selbst – sieht, ohne selbst gesehen zu werden.“ von Braun 1996, 5 f.; zitiert nach Bitsch 2009, 186. 554 Vgl. zur filmtheoretischen Bedeutung des Fensters im Kino: Elsaesser und Hagener 2007, „1. Kapitel: Fenster und Rahmen“, 23-48 und allgemeiner zur Mediengeschichte des „Virtuellen Fensters“ Friedberg 2006. 555 Sacher-Masoch 2003, 15. 556 Auch Ute Holl betont diesen Aspekt in der Filmästhetik Josef von Sternbergs: „Weil Sternberg seine Bilder so kunstvoll zum Flirren bringt, dass das Fremde und Andere darin anwesend sind, wenn auch verborgen wie ein Raubtier im Dschungel – oder eine Robbe im Meer – kann er seine Filme aufladen mit einem Höchstmaß an erotischer Spannung, noch bevor ein identifizierbares Objekt des Begehrens 17 8 Gleichwohl lässt sich an diesem Vorgang erkennen, dass das (Kino-)Publikum und dessen Begehren nach Identifikation außen vor bleiben kann: „Die meisten gängigen Kinofime und die Konventionen, innerhalb derer sie sich herausbildeten, präsentieren eine hermetisch abgeschlossene Welt, die sich magisch entrollt, ohne die Anwesenheit der Zuschauer zu beachten, woraus für diese das Gefühl von Trennung und Abtrennung entsteht, während gleichzeitig mit ihren voyeristischen Phantasien gespielt wird. Nicht zuletzt trägt der extreme Kontrast zwischen der Dunkelheit des Zuschauerraums (die auch die Zuschauer voneinander trennt) und die Helligkeit der wechsenlden Licht- und Schattenmuster dazu bei, die Illusion voyeristischer Distanziertheit zu befördern.“557 In Luis Buñuels Anarchofilm DAS GESPENST DER FREIHEIT (1974), der aus lose aneinander gereihten surrealen Episoden besteht, gibt es eine Szene, in der die Rolle des Publikums in Bezug auf die Maso-Perversion thematisiert wird. Sie spielt in einem entlegenen Landgasthof in regnerischer Nacht: Ein seriös wirkender Hutmacher und seine attraktive weibliche Begleitung laden alle Gäste großzügig zu einer soirée in ihr Zimmer ein, ja nötigen sie fast schon, ihnen Gesellschaft zu leisten. Während sich die Gäste zusammenfinden und angeregt unterhalten – unter ihnen befinden sich auch kartenspielende und rauchende Mönche – sieht man, wie sich die Gastgeber im Bad umziehen. Völlig unerwartet beginnen sie nun, in Lack und Samt gehüllt, ihre Auspeitsch-performance vor den anderen. Das versammelte Publikum zeigt aber keine besonderen Reaktionen und wirkt gleichgültig. Die Mönche lassen sich gar nicht erst von ihrem Kartenspiel und Trinkgelage ablenken. Buñuel verdeutlicht damit das exhibitionistische Begehren dieses Pärchens. Dabei ist es ihnen völlig egal, ob die unfreiwilligen ZuschauerInnen nun an ihrer performance interessiert sind oder nicht. Dieses Spezialprogramm wurde ja nicht angekündigt, die ZuschauerInnen nicht gefragt. Trotzdem ist die Anwesenheit anderer hier von Bedeutung. eines begehrenden Subjekts ins Blickfeld tritt, und obwohl seine Schauspielerinnen nie zu den primären Sex-Symbol-Trägerinnen Hollywoods gehörten.“ Holl 2005, 307. 557 Mulvey 1998, 393 f. 17 9 Die masochistische Mehr-Lust liegt in dieser Szene darin, sich einem fremden Blick auszusetzen – quasi dummies zu finden, um sich von diesen anstarren zu lassen. Die bloße Anwesenheit anderer (miss-)braucht der Masochist, um einen symbolischen Bezug herstellen zu können, um sich vorzugaukeln, dass seine Begierden auch für andere – bzw. am Ort des Anderen – einen Stellenwert haben und daher nicht nur in der Heimlichkeit individueller Fantasie bzw. erotischer Zweisamkeit stehen bleiben.558 Tatsächlich zielt diese Ausstellung der Perversion aber ja gerade nicht auf eine ernstgemeinte Adressierung des Anderen, d. h. auf kritischen Dialog und feed-back, auf das öffentliche Verhandeln und die Bewertung des Gezeigten – wie etwa im Theater oder Seminar. Sie wird nur auf ihren reinen Schauwert beschränkt, die Teilnahme anderer – in welcher Form auch immer – ist hier (im Gegensatz zur Sadeschen Orgie) erst einmal nicht vorgesehen. Es tut sich eine räumliche und diskursive Distanz auf. In dem Maße, wie das versammelte Publikum hier außen vor bleibt, versagt auch eine mögliche Anschlusskommunikation. Die Aktion ähnelt dem Scheitern der suture, auch hier wird es – vergleichbar mit dem fehlenden point-of- view-shot – für das Publikum wenig Sinngehalt, keine kohärente Narration/Identifikation geben. Die Blicke laufen einmal mehr ins Leere. „Das Fetisch-Ding beherbergt hochbesetzte imaginäre Vorstellungsinhalte, die zur Darstellung drängen und Szenen eines unbewussten Erinnerns formatieren. Das Agieren [z. B. in der Maso-performance (Anmerkung S. P.)] ist umso flüssiger, als der Fetisch ‚von anderen nicht in seiner Bedeutung erkannt’ wird.“559 558 Der Masochist scheint seine individuelle Mehr-Lust mit überpersönlicher, symbolischer Mehr- Bedeutung, welche die inszenierte Perversion tatsächlich (unbewusst) enthält, zu verwechseln oder gleichzusetzen. 559 Böhme 2006, S. 408, Zitat im Zitat: Freud 1915, 385. Trotzdem scheint der Masochist mit der öffentlichen Ausstellung seines Fetisches insgeheim auch auf die Deutung anderer und damit auf gesellschaftliche Akzeptanz zu hoffen. (In dem Appell ‚Aimez-moi!’ seines masochistischen Wirkens [Sacher-Masochs letzte Worte] ist demnach immer schon ein ‚Aidez-moi!’ intendiert.) Der Masochist begehrt einen Beobachter seiner Szene, wie es im 19. Jahrhundert „der politische Ökonom oder der Psychoanalytiker“ waren, „beide in der Rolle des Lichtbringers“ (Böhme 2006, 408.) Diese(r) LichtbringerIn ist nach wie vor dringend notwendig, auch wenn perverse Handlungen und Fetische heutzutage schon fester Bestandteil des (pop-)kulturellen Diskurses und Geschäftes sind. Aber gerade in diesem Diskurs werden sie eben gern als Show- oder PR-Effekt – meist verflachend und verfälschend – vorgeführt und daher keinesfalls geklärt. 18 0 Buñuel erfüllt dieses Postulat, indem er eine mögliche Haltung und Position seines Kinopublikums im Film selbst vorwegnimmt: eben die Anspielung auf das Nicht- Erkennen des Fetischs bzw. die kollektive Gleichgültigkeit gegenüber diesem. Der spanische Regisseur ist gewieft genug, solche Wahrheiten in masochistischen Unternehmungen bzw. im Kino zu entlarven, sie humorvoll und reflektiert auf den Punkt zu bringen, weiß er doch ganz genau, dass er mit der Darstellung von bürgerlichen Perversionen – seine Spezialität – stets Gefahr läuft, sein Publikum nicht nur um den begehrten Sinneffekt zu bringen, sondern dieses auch zu langweilen. Gerade die Inszenierung derartiger Vorgänge und Zeichen, die für den/die Perverse(n) oder eine soziologisch definierte Gruppe, z. B. die BDSM-Szene, höchst bedeutsam sein können, sind demgegenüber für Nicht-Interessierte/ -Eingeweihte bzw. die breite Öffentlichkeit oft nichtssagend, peinlich oder einfach absurd. Dies kommt in Buñuels grotesker Maso-Szene, einem Gespenst der Freiheit, deutlich zum Ausdruck. Das wahrlich Ver-rückte und Intelligente dieser Szene liegt nicht nur darin, dass der Masochismus dieses Pärchens auf Grund der Gleichgültigkeit des anwesendes Publikums indirekt in Frage gestellt wird, sondern eben auch der Sadomasochismus der ‚pervers-maskierten’ Filmwahrnehmung ganz allgemein. Es gehört zu den großen und wundervollen Kunstgriffen des (postmodernen) Kinos, jene (dysfunktionalen) Wahrnehmungen, die das kinematografische Imaginäre (und darüber hinaus die moderne Technoimagination generell) strukturieren und formen, selbstreflexiv in den Film und seine Dramaturgie einzuschreiben – und dies meist sehr spielerisch: ironisch, enthüllend oder nur andeutend. Ferner wird mit dieser Aktion der – gern verkannte – kulturelle Mehrwert von masochistischer Sexualität (das, was der Masochist sozusagen unbewusst anerkannt haben möchte), mitverhandelt und indirekt problematisiert. „Masochism, in the postmodern era, has become a metaphor more than a praxis. Studlar’s text is an example of the function of such a metaphor as a way of structuring cultural activity. Its problem, however, is that it does not want to recognize the disjunction between cultural and pychosexual practice – the metaphor is developed 18 1 from psychosexuality, and transfered to the cultural zone, where it is then definied as prior to individual psychic experience.“560 Medien-SM-Bewusstsein Es ist wichtig zu erkennen, dass das psychosexuelle Begehren und die damit verbundenen Lustpraktiken – im SM und anderswo – immer schon von den vorhandenen Medientechniken bzw. Machtdispositiven (unbewusst) geprägt sind, d. h. dass diese Praktiken vom Symbolischen formatiert und meistens auch getragen werden. Damit ist die Emergenz dieses (fetischistischen) Begehrens immer sekundär und nachträglich.561 Zudem kann mit Mansfield gezeigt werden, dass in der Theoretisierung und Popularisierung von (Sado-)Masochismus oft genau jene Schwachstellen und Fehlleistungen unbemerkt übernommen werden, die schon in den literarischen Werken von Sade und Sacher-Masoch (in Form von Ängsten, Fantasmen, Verkennungen, Camouflagen, Ungenauigkeiten, Unwahrheiten, Wunschdenken etc.) virulent waren. (Besonders Sacher-Masoch glaubte ja, dass sein eigenes Maso-Begehren eine [atavistische und ethnografische] Naturgegebenheit sei 560 Mansfield 1997, 71 f. Mit Masochismus als Metapher in der Postmoderne hat Mansfield gewiss Recht (auch wenn ich die mangelnde perverse [Medien-]Praxis keineswegs erkenne, jedoch meint Mansfield mit „praxis“ an dieser Stelle wahrscheinlich die klassische Maso-Performance des 19. Jahrhunderts) – doch Metapher für wen oder was genau? Dass es diesbezüglich heutzutage nicht mehr nur um die sexuelle Dimension tabuisierter Begierden – um ein verbotenes Objekt – geht (hier sei noch einmal an Hartmut Böhmes Bemerkung von der „staunenswerte[n] Ausbreitung des Fetischismus auf allen Ebenen der Kultur“ [Böhme 2006, 383] erinnert), sondern generell um die fetischisierte Verwendung von (neuartigen) Dingen, Medien, Räumen und Spielen (auch und besonders im Film), soll in dieser Arbeit zumindest ein Stück weit (auf-)geklärt werden. Vgl. TEIL 2. 561 Man kann hier wohl getrost Abstand nehmen von Freuds Annahme, dass Perversionen eine angeborene, also genetische Ursache hätten (vgl. dazu auch die Diskussion zum [zweifelerregenden sadomasochistischen] Trieb: 245 in dieser Arbeit). Jedoch hat Freuds weitergehende Schussfolgerung aus diesem Postulat, nämlich dass jeder Mensch tendenziell pervers ist, heute umso mehr Aktualität und bildet – wie Micha Brumlik betont – hier gleichsam „die aufklärerisch-humanistische Pointe“: „Erklärungsbedürftig sind nicht die ‚Perversionen’, sondern der unwahrscheinliche Umstand, daß die heterosexuelle Genitalität als gesellschaftlicher Normalfall angesehen wird.“ (Brumlik 2006, 97.) Daran krankte bereits Krafft-Ebings Psychopathia sexualis, eben an der vorgeschalteten Blende sexueller Norm (die phallische Eins der Heteronormativität), die nicht von ihm erkannt wurde. 18 2 und eben nicht – wie es Buñuel zeigt – vornehmlich in einem symbolischen und überpersonalen Zusammenhang steht bzw. aus diesem, d. h. aus einem bestehenden, gesellschaftlichen (Medien-Macht-)Dispositiv erst hervorgeht. Trotzdem spürt der Masochist Erkenntnislücken wie diese, daher kommt sein Drang, die Perversion vor anderen zu präsentieren.) Manchmal werden aber auch neue Fehler und Ungenauigkeiten von der Theorie hinzugefügt, was in Bezug auf SM gerade für die Psychopathologie Krafft-Ebings oder die Psychoanalyse Freuds zutrifft. Bevor also individuelle psychosexuelle Begehrensstrukturen und Dynamiken mit gesellschaftlichen bzw. medialen/kulturellen Phänomenen verglichen werden – wie z. B. mit Fotografie oder Kino –, muss eine exakte Kenntnis aller verbindenden Elemente vorliegen, damit die mögliche Übertragung/ Übersetzung/ Analogie/ Metapher auch sauber gelingt, damit der fantasmatische/ täuschende/ irreführende/ fehlende Gehalt auf beiden Seiten weitgehend gekennzeichnet/gebannt ist und das Neue in Form einer Differenz gegenüber dem Bestehendem ersichtlich bzw. spürbar wird. Es muss also eine Bennennung bzw. Ausdifferenzierung aller gemeinsamen Signifikanten stattfinden: Dinge, Medien, Zeichen, Räume und Dramaturgien, die im Sadomasochismus vor allem zwischen Ich und Anderem (a und A), zwischen kausaler und zeitlicher Logik von Ursache und Wirkung, zwischen (antizipierender) Zukunft und (nachträglicher) Vergangenheit, zwischen Signifikant und Signifikat(seffekt), zwischen Imaginärem und Symbolischem etc. entstehen. Diese gemeinsamen Signifikanten lassen sich in ihrer halluzinativ-virtuellen Wirkung durchaus mit Freuds „Darstellungsmitteln des Traums“ korrelieren, „wo er die eigentümlich verzerrte ‚Darstellung der logischen Relationen’ ebenso in den Blick nimmt wie das Vergleichzeitigen von Ungleichzeitigem und die umgekehrte Darstellung von Kausalverhältnissen in ihrem Vor- und Nacheinander sowie schließlich die Umkehrung von Verhältnissen in ihr Gegenteil; endlich hier – ganz auf den Spuren Nietzsches – betreiben Träume auch die ‚Umwertung aller psychischen Werte’.“562 Aus dieser Perspektive besteht das spezifische Problem des klassischen Masochisten darin, dass er seine Ausgangssignifikanten, die die Dimensionen der oben angeführten Oppositionen umfassen, zwar sorgfältig auswählt und installiert, diese dann jedoch so lange imaginativ bearbeitet, (psycho-)dynamisch verdreht und verzerrt, bis er sie nicht 562 Brumlik 2006, 82 f. 18 3 mehr unterscheiden kann. Wie gesagt: Er fängt dann an, die daraus entstehende Virtualität für bare Münze zu nehmen, sprich seinem eigenen Spiel, dem selbst erschaffenen Mythos, gründlich auf den Leim zu gehen. Letztendlich kommt hier sein grundlegendes Dilemma, welches auch sein Begehren wiedergibt, vollständig zum Vorschein: zwei gegensätzliche Signifikanten zu etwas Neuem zu fusionieren, ohne dabei diese Ausgangssignifikanten, auf die er nicht verzichten kann, zu verwandeln oder gar aufzulösen. Er begehrt die Spannung bzw. den Signifikatseffekt, der aus der Opposition beider Signifikanten erwächst, tut aber alles, damit es nicht zu einer (weiterführenden) Metapher, einer Anschlusskommunikation, d. h. zur Ankunft von S2 kommt. Der Masochist wünscht sich demnach lustvolle Veränderung, ohne dabei das Risiko einer tatsächlichen Transformation eingehen zu müssen.563 Denn diese würde einen Schritt ins Ungewisse, ein echtes Wagnis bedeuten, möglicherweise einen Identitäts- bzw. Image- und Machverlust. Das im masochistischen Begehren angelegte Ziel, einen zweiten Signifikanten zu installieren, bleibt also unerreicht; dieser wird nur virtuell – spielerisch und durchaus geistreich – angedeutet bzw. vorbereitet, aber symbolisch eben nicht eingeführt. In der Virtualität des Spiels ist aber dennoch die erhoffte Transformation täuschend echt vorhanden. Der Masochist lässt sich von diesem virtuellen Schein blenden, akzeptiert und bewahrt ihn als einen sehr wichtigen Bestandteil seiner libidinösen bzw. sexuellen Wirklichkeit. Denn er spürt und weiß: „The virtual as virtual has a reality.“564 Gerade für die Analyse des Masochismus ist jene besondere Achtsamkeit wichtig, die der/die MediologIn beim Akt des Zeigens stets berücksichtigt: „Der Mediologe ist somit jener Dummkopf, der, wenn man ihm den Mond zeigt, auf den Finger achtet. Anstelle den Pfeilen blind zu folgen, folgt er dem Arm, um den oder die Körper zu sehen, die auf etwas zeigen.“565 Anstatt sich also vom Faszinosum der grausamen Frau blenden zu lassen, die der Masochist in seinem Spektakel ausstellt, gilt es demnach vielmehr, den Körper des Masochisten und seine schwankende Ich-Position bzw. seine brüchig werdende Macht zu entlarven. Auf das Kino bezogen bedeutet diese 563 Vgl. zu dieser grundlegenden Maso-Signifikanten-Logik noch einmal Mansfield 1997, 76 ff. (80 f.) in dem Abschnitt „Barthes’s a Lover’s Discourse“. 564 Deleuze 1966, 100; zitiert nach Friedberg 2006, 9; vgl. auch Böhme 2006, 479. 565 Debray 1999, 142. Vgl. auch Böhme 2006, 34. 18 4 mediologische Weisheit, dass die Montage der projizierten Filmbilder, die etwas zeigen, in ihrer künstlichen Gemachtheit stets hinterfragt und ggf. dekonstruiert werden müssen. Das Apparatus-Denken (u. a. von Jean-Louis Baudry) bzw. die Theorie zum Imaginäre[n] Signifikant[en] (von Christian Metz) hat dies als erstes in den 1970er Jahren erkannt – wenn auch mit einigen (u. a. ideologischen und ideologiekritischen) Irrtümern und Schwachstellen, wie z. B. der einseitigen Anwendung und Auslegung von Lacans Spiegelstadium, dessen bewusstseinsstrukturierende psychotische Wirklichkeit, die bereits in der Frühgeschichte des Kinos in Form von Doppelgängern und Körperzerstückelungen performativ und fantastisch (also in gewissem Sinne auch sadistisch) geltend gemacht wurde, hier zu kurz kommt.566 Dieses Manko, eine verkürzte Lesart des Spiegelstadiums, offenbart sich zudem darin, dass diese Erkenntnistheorie im Wesentlichen auf die Begriffe Spiegel (Leinwand), Mutter (wichtige Identifikationsfigur auf der Leinwand) und Kleinkind (ZuschauerIn) reduziert werden. Dass bereits bei Lacan der Spiegel jenseits solcher theoretischen Einengungen genauso gut mit anderen Medien und Begriffen (wie Fenster, Rahmen, Tür, Schwelle, Um[-Rand-]ung, Oberfläche, Raum, Architektur, [Bild-]Schirm, Leinwand, Gestalt, Phallus, Partialobjekt oder Haut bzw. weiteren Wahrnehmungsorganen/Sinnen [brain]) besetzt werden kann, umfasst ebenfalls diesen Kritikpunkt. Schon hier bedeutet der Spiegel also mehr; er erweist sich als Metapher bzw. Sammelbegriff für Interface-Kategorien.567 Das entscheidende Buch zu Lacanscher Interface Fantasy hat André Nusselder vorgelegt; es schließt damit die Lücke zwischen strukturaler Psychoanalyse und Cyborg-Theorie.568 (Dieses Buch ist deshalb so wichtig und notwendig, da Donna Haraways Cyborg-Konzeption das Spiegelstadium und dessen Imaginäres à la Lacan bewusst überspringt, ohne anzuerkennen, dass jede Cyborg- Figuration bzw -Schnittstelle untrennbar mit dieser Theorie verbunden ist.)569 Im nachfolgenden Kapitel werden die Medien, mit denen der (fehlende) Geist als Schnittstelle und technisches Modell lesbar wird, u. a. im Werk Lacans aufgeführt. 566 Vgl. Elsaesser und Hagener 2007, 89 ff. 567 Vgl. Friedberg 2006, 17 f. 568 Nusselder 2009. 569 Vgl. Pühler 2006, 53 f. 18 5 Maso-Kino Neben der These von der sadomasochistischen Kino-Peitsche möchte ich nun behaupten, dass die eben dargelegte, unbewusst wirksame Operation des Masochisten, Differenz als Indifferenz virtuell zu schaffen und zu halten, in der Materialität und Wahrnehmung von Kino implementiert ist und dort völlig neue ästhetische Spielräume eröffnet. „[F]ilm lives on the ‚denial of difference’ – all attempts at continuity are attempts to preserve ‚at any cost the synthetic unitiy of the locus where meaning originates’.“570 Die notwendigen Ausgangssignifikanten sind beim Film die photografischen Einzelbilder, getrennt aneinandergereiht auf dem Filmstreifen aus Zelluloid. Während diese im Projektionsapparat beim Filmtransport zu einem Bewegungsbild adaptiert werden, glaubt das Publikum aufgrund der unbewussten Wirkung von Stroboskop- und Nachbildeffekt einen kontinuierlichen und einheitlichen Bilderfluss zu sehen. Die lustvolle Täuschung dieser unter der Wahrnehmungsschwelle operierenden ‚Maskerade’, der Projektion, funktioniert also nur, wenn der Apparat läuft. Wird er angehalten, kommen die Einzelbilder als Standbild wieder zur Geltung. Die Einzelbilder sind also trotz ihrer zuvor ‚magischen’ Animation und Transformation nicht verschwunden oder verwandelt. Sie sind letztendlich da, wo sie von Anfang an waren – wie im klassischen Masochismus, der darauf abzielt, die Ausgangssignifikanten zu erhalten. Genau diesen technischen Vorgang hatte Sacher-Masoch bereits in der Literatur bzw. als theatralisches Spiel vorweggenommen, seine Apparatur und sein Spiel-/ Experimentierfeld war jedoch nicht der Kinematograf (bzw. seine Vorläufer) und ein dunkler Raum, sondern ein technisch/fetischistisch ausgestatteter Frauenkörper in einem erleuchteten großbürgerlichen Salon oder aristokratischen Schlafgemach. Auch hier wurde jedoch mit der Abbildung von Wirklichkeit und vor allem mit der Frage, wie man diese zum Laufen bekommt, geforscht, d. h. spielerisch geprobt. Und auch hier gab es schon das Wechselspiel von Stand- und Bewegungsbildern, wird „die masochistische Phantasie“ doch „durch eine Dialektik zwischen Bewegung und Stasis strukturiert und gehalten“.571 570 Friedberg 2006, 84, Originalzitat von Baudry 1986, 293. 571 Studlar 2003 (b), 361. 18 6 Sacher-Masochs Kopfkino begann sozusagen mit einer erworbenen Fotografie eines Venus-Gemäldes in der Venus im Pelz und endete ebenfalls mit fotografischen Aufnahmen, auf denen er (sich und) seine verschiedenen ‚grausamen Frauen’ in typischer Maso-Positur inszenierte.572 Zwischen diesen Fotografien, jenen „libidinösen Fixierungen“,573 bewegte sich sein gesamtes erotisches Begehren und damit der wesentliche Inhalt seines literarischen Schaffens; diese Fotos strukturierten gleichsam sein sexuell-literarisches Begehren. Doch die Übermacht der reproduzierbaren Bilder verdrängte das nackte und wahre Leben, letztendlich das Reale und damit auch den sinnlichen Körper. Dies spürte auch Sacher-Masoch, für ihn wahrscheinlich eine wirkliche, grausame Erfahrung, die seinem Begehren zu Grunde lag. Deshalb musste er eine Wiederkehr dieses Verdrängten für den eigenen Lustgewinn aufführen, musste den Bildern ihren Schrecken, ihre Heiligkeit, ihre Magie und ihre Erotik, die sie seit der Neuzeit sukzessive an technische bzw. optische Medien verloren hatten, zurückgeben.574 Dieses Begehren hatte er gerade in seiner 572 Zu Fotografien in Sacher-Masoch Werk vgl. Rolf Sachsse 2003, 389-401, einer der wenigen medientheoretischen Texte zu Sacher-Masoch überhaupt. Gerade weil die Medien in seinem Werk so marginal behandelt werden, aber dennoch an zentralen Stellen vorkommen, ist deren Signifikanz laut Sachsse nicht zu unterschätzen: „Insofern ist die Abwesenheit des eigentlich Photografischen im Oeuvre von Leopold von Sacher-Masoch eine Leerstelle, die für das Verständnis seines Schreibens von Bedeutung ist. Der photografische Akt, die Aufnahme in die Wahrnehmung durch einen Apparat, widersprach seiner Vorstellung des Abbildens von Welt in der Literatur. Dennoch kam er nicht umhin, diesen Akt als gegeben anzuerkennen und ihn darüber hinaus zum Ausgangspunkt jener Begriffsverschiebung werden zu lassen, die seine eigene Hinwendung zum Eros kennzeichnet.“ Ebd. 400. 573 Lacan 2003, 141. 574 Vgl. Debray 1999, 34 f. Debray schreibt hier allerdings nicht über Masochismus, sondern über die Mediologie des Bildes, die „Metamorphosen des Sichtbaren“ u. a. im technischen Zeitalter. Er sieht den Archaismus des Bildes, den er mit der Zeitlosigkeit und Überzeitlichkeit des „religiöse[n] Unbewußte[n] in Beziehung setzt, gerade in „Automatenbilder[n]“ gefährdet: Denn diese hätten „auf Grund ihrer Abstraktion von Körper und Angst nur sehr bedingte Aussicht darauf zu überdauern“. Christina von Braun, die sich auf Flusser bezieht, zeigt in diesem Zusammenhang, dass (nicht nur Körperbilder wie im Masochismus, sondern auch) Texte mit der Fotografie magisch aufgeladen werden können und damit der Abstraktion entgegen wirken. Sie betont, dass die „der Schrift inhärente Abstrakation von der Körperlichkeit“ in der Fotografie zum Verschwinden gebracht wird, was hier „Aufladung“ meint. (Vgl. von Braun 2001, 220.) Es wird klar, dass es letztendlich nicht nur das Bild des (verdrängten) Körpers ist, das das masochistische Medien-Subjekt in magischer Aufladung begehrt, 18 7 medialen Gemachtheit nicht erkannt, worin sich sein – für die Zeit nicht untypischer – starker Drang zu Naturalisierung und Idealisierung zeigt. Man könnte auch sagen, weil der Nachbildeffekt, die mediale Virtualität in den bereits existierenden optischen Apparaturen vor Erfindung des Kinos im späten 19. Jahrhundert – damit ist vor allem das analoge Speichermedium Fotografie gemeint – allmählich zu mächtig wurde, musste ein neues Medium oder zumindest eine Erfindung her, mit der die erlösende Bewegung und Rhythmisierung, die Mobilmachung dieses Nachbildes realisiert werden konnte: z. B. die bereits erforschte Nervenpeitsche des Stroboskopeffekts. Wurden im Kino beide Effekte technisch gekoppelt, hatte Sacher-Masoch dies bereits in der ‚grausamen Frau’ (Nachbildeffekt) und ihrem Peitschentakt (Stroboskopeffekt) – wie vorhin ausgeführt – unbewusst realisiert und dabei eben auch den im Bild verdrängten Körper wieder als einen realen zurück ins Spiel gebracht. Da die plötzliche Bilderflut dieser neuen Bildlogistik, die heutzutage im Kino mit mehr als 24 Einzelbildern pro Sekunde (oder bereits voll digital) funktioniert, nun aber wiederum auch gefährlich wird – diese Bilder sind von denen im Traum und Alptraum eben kaum noch zu unterscheiden –, müssen sie immer auch – und dies traf in gewisser Weise ebenfalls auf die ‚grausame Frau’ zu – in Schach gehalten und gezähmt werden. Den Trick, den Sacher-Masoch bzw. Severin dafür anbot, war neben aller Verführungs- und Erlebnispädagogik das Anhalten des optischen Bewegungsflusses mittels eines Stopptricks: die Fixierung des Augenblickes größter (Woll-)Lust im Anhalten des laufenden Films namens Imaginärem an einer Stelle, die hocherotisch ist, um diesen Moment dann auf einem Gemälde oder auf einer Fotografie für immer zu bannen. Wie Annette Bitsch mit Christina von Braun bemerkt, erlaubte bereits „die Photographie die Phantasie, dass es möglich sei, die Zeit zum Stillstand zum Bringen“.575 Um ein Filmstandbild bzw. um Film überhaupt zu realisieren, war erst die fotografische Momentaufnahme, die sich laut Kittler im langwierigen Experimentieren mit verschiedenen lichtempfindlichen Materialen und verkürzten Belichtungszeiten seit den 30er Jahren des 19. Jahrhunderts allmählich sondern vor allem das neue Medium – die Fotografie – selbst. (Ohne die Fotografie wäre die Funktion der Aufladung, die Magie, hier gar nicht möglich.) 575 Vgl. von Braun 1996, 5f.; zitiert nach Bitsch 2009, 186. 18 8 herausbildete, notwendig: „Schrittweise Veränderungen an Daguerres576 Verfahren [...] führten schließlich zur Momentphotografie, die es dann ihrerseits erst möglich machte, auch die Speicherung bewegter Bilder und das heißt den Film ins Auge zu fassen.“577 „Mit der Phantasie stehen wir vor etwas [...], das den Gang des Gedächtnisses fixiert und auf den Zustand des Augenblicklichen reduziert, indem es an jener Stelle innehält, die Deckerinnerung heißt. Stellen sie sich vor, wie eine kinematographische Bewegung, in raschem Ablauf begriffen, plötzlich angehalten wird und alle Figuren erstarren. Dieses Augenblickliche ist bezeichnend für das, was stillgestellt wird in der Phantasie, die mit allen erotischen Werten beladen bleibt, die in dem eingeschlossen sind, was diese Szene ausgedrückt hat, und die deren Zeugnis und Träger, der letzte davon übrig gebliebene Träger ist. Wir stehen da in direkter Berührung mit der Abbildung dessen, was man die Gußform der Perversion nennen kann, nämlich die Aufwertung des Bildes. Es geht um das Bild, insofern es der privilegierte Zeuge von etwas bleibt, das im Unbewußten artikuliert und in der Dialektik der Übertragung wieder ins Spiel gebracht werden muss, das also innerhalb des analytischen Dialoges seine Dimension wiedererlangen muß.“578 Die Unlust, die entsteht, wenn ein laufender Film anhält, es womöglich einen Filmriss gegeben hat, und damit auch die suture-Operationen zum Stillstand kommen, kennt jeder, der dies im Kino oder im Kopf schon einmal erlebt hat. Doch was aus heutiger Perspektive selbstverständlich scheint, haben Severin bzw. Sacher-Masoch eben noch nicht klar erkannt im 19. Jahrhundert und glaubten tatsächlich, dass man Lust und Begehren – den Zauber des imaginären Phallus – nach Belieben manipulieren und beherrschen kann, indem sie z. B. versuchten, diesen in einem fotografischen Standbild zu fixieren.579 Danach haben sie es jedoch nicht mehr geschafft, ihren Film 576 I. e. Louis Daguerre (1787-1851), französischer Maler und Erfinder des ersten vermarktbaren fotografischen Verfahrens, der Daguerreotypie. 577 Kittler 2002 (a), 177. 578 Lacan 2003, 139 f. 579 Diese Fixierung eines Bewegungsbildes, die im Kino Unlust bereitet, bringt dem Masochisten aber erst einmal Lust. Unlust ist bei ihm notwendige Voraussetzung, um Lust zu erlangen. Und trotzdem 18 9 zum Laufen zu bekommen, der „analytische Dialog“ mit der ‚grausamen Frau’ wäre dafür notwendig gewesen oder Kinotechnik. Darin zeigt sich, dass sich ihre Unternehmungen, auch wenn sie meiner Meinung nach schon recht eindeutige Kino- Referenzen aufweisen, doch noch lange nicht auf dem erkenntnistheoretischen Niveau von Kino befinden (können).580 Zudem lässt sich Kino neben all den Tricks und technischen Manipulationen, mit denen das Optisch-Unbewusste581 bearbeitet werden kann, in seiner grundlegenden Materialität als Analogie zur fetischistisch-masochistischen pars-in-loco-totius- Ästhetik beschreiben.582 Wie mit Lacans Definition der Deckerinnerung oben aufgezeigt wurde, kann jedes Einzelbild auf einem Filmstreifen eine Deckerinnerung sein, es kann zu einem fetischisierten Bild werden, welches stellvertretend für alle anderen steht,583 die dann nur abwesend, aber eben nicht verschwunden sind. Auf die Projektion und die suture bezogen heißt dies: „Das Aussagen wird auf eines der Elemente in einer Serie reduziert, die die ausgesagte Fiktion konstituieren, d. h. das wird er an seinem Stopptrick, wie es das fatale Ende in der Venus im Pelz gezeigt hat, jämmerlich scheitern. 580 Dies ist aber auch zu diesem Zeitpunkt nur schwer möglich, da ein Medium in seinem Inhalt – streng nach McLuhan – immer erst durch ein neues nachfolgendes Medium erkannt werden kann. (Vgl. Kittler 2002 [a], 178.) (Der Dialog mit Frauen wäre demgegenüber aber sehr wohl möglich gewesen. Dieser existierte nur noch nicht als Psychoanalyse, der Analyse des Unbewussten.) Für das grundlegende erkenntnistheoretische Verständnis des Analogmediums Film musste im 20. Jahrhundert erst das Digitale Einzug halten; diese digitale Dimension ist im Film aber bereits enthalten. Denn sonst wäre folgendes Postulat (medienhistorisch) nicht zu halten: „Digitalisierung verwandelt alle analogen Signale in computerlesbare. Das gilt für Klänge ebenso wie für Bilder, Linien oder Buchstaben. Derart digitalisiert können Rechner alle Bilder und Geräusche der Welt speichern, ordnen und für beliebige Tansformationen (Kopie, Analyse, Resynthese) abrufbereit halten.“ Bolz 1992, 133. 581 Vgl. zu Walter Benjamins Konzept des Optisch-Unbewussten: Lindner 2001, 271-289. 582 Vgl. zum Verhältnis Fetisch – Kino: Böhme 2006, 476-483 (kulturtheoretische Ausführungen) und Metz 2000, 64-70 (struktural-psychoanalytische Ausführungen). 583 Diese Deckererinnerung, welche stellvertretend für den gesamten Film steht, ist meist auf Filmplakaten zu sehen. Dem steht meist ein aufmerksamkeitserregnder Filmtitel gegenüber, der – zumindest im postmodernen Film aufgrund seiner (meist ironisch-spielerischen, auch rätselhaften) Zwei- bzw. Mehrdeutigkeit nicht selten Kultcharakter besitzt: Z. B. FÜR DEN UNBEKANNTEN HUND (2007) oder SIE KÜSSTEN UND SIE SCHLUGEN IHN (1959). Vgl. zum Marketing von Buchtiteln auch McLuhan 1996, 39 ff. 19 0 Element, das als Platzhalter für die abwesende Ursache des Prozesses fungiert, erscheint als eines der Elemente innerhalb dieses Prozesses.“584 Bei Sacher-Masoch war dieses Abwesende in Steppen- und Winterlandschaften, in frostigen Gefilden, die mit einer im Mondlicht glänzenden Eisschicht bedeckt sind, literarisch-räumlich codiert. Der masochistische Pelz-Fetisch, der aus diesem Setting (und auch aus Kindheitserinnerungen) resultiert, ist ebenfalls eine Deckerinnerung, ein privilegierter, überdeterminierter Signifikant, welcher immer noch eine enge Beziehung zu dem oberflächlich ‚abgekühlten’ Abwesenden/Verdrängten unterhält. Wie gesagt, dieses Verdrängte ist für Sacher-Masoch die antike und freie Welt griechischer Sinnlichkeit, deren mediterrane Wärme und Heiterkeit als Signifikat immer noch durch die silberne Eisoberfläche, i. e. durch die mediale und räumliche Versiegelung bürgerlicher Lebenswelt hindurchstrahlt und die Imagination stark anregt. Kristall-Bilder Dieser silberne look, der die metallisch-glitzernde Kühle und coolness masochistischer Flächen-Ästhetik prägt, könnte seinen Ursprung in der (Früh- )Geschichte der Fotografie haben und lässt sich als Ergebnis eines photochemischen Effekts auf kristallinen Silbersalzen interpretieren bzw. frei assoziieren: „1727 nahm Dr. med. J.H. Schulze, Professor der griechischen und arabischen Sprache in Halle, die Experimente mit dem Phosphor wieder auf, brachte aber in guter alchemistischer Tradition auch Silber in die Experimentalanordnung mit ein. Als er seine Tests zufällig vor einem Fenster mit Sonnenlicht ausführte, stellte Schulze fest, dass das von ihm hergestellte Silbersalz überall dort, wo es von der Sonne beschienen wurde, dunkel geworden war, überall dort, wo es im Schatten lag, hell blieb. Und ganz wie Kirchner mit der Laterna magica eigentlich geheime Schriftzeichen über einen nichtsahnenden Feind hinweg zu übertragen plante, so nutzte Schulze die Lichtempfindlichkeit von Silbersalzen zur Datencodierung aus. Er schrieb dunkle 584 Žižek 2001 (a), 14. 19 1 Buchstaben auf ein Glas, stellte es zwischen Sonne und Silbersalz und erzielte auf diese Weise ein erstes Photonegativ, überall wo das Licht nicht durch die Buchstaben weggefiltert wurde, verschwand gerade umgekehrt alle Helligkeit aus der beleuchteten Chemikalie.“585 Es muss betont werden, dass der Vergleich zwischen dem Naturphänomen der geschlossenen, kristallinen Eis- und/oder Schneedecke in der masochistischen Fantasie („frozen frame“)586 und flächig angewandten Silbersalzen auf materiellen Trägern in der entstehenden Fotografie nur eine konstruierte Analogie, eine sehr freie Assoziation ist, die sich wissenschaftlich nicht eindeutig bzw. stringent beweisen lässt. Trotzdem glaube ich, dass hier ein Zusammenhang besteht, der das Verhältnis zwischen medialer Oberflächenversiegelung, der sich bereits deutlich abzeichnenden und überhand nehmenden Virtualisierung von Subjekt und Gesellschaft im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts und ihrer Codierung in der Literatur Sacher-Masochs ausdrückt. Dies soll aber keineswegs heißen, dass sich masochistische Oberflächen- Ästhetik nur dergestalt, also rein medientechnisch begründen ließe. Die Ursachen dafür sind äußerst vielgestaltig. (Vgl. dazu den vorangegangenen Punkt.) Ein weiteres Indiz, das in diese Richtung zu denken erlaubt, ist das „Kristall-Bild“ in Deleuzes Filmtheorie, ebenfalls ein Natur-Medien-Hybrid: „Wenn das virtuelle Bild aktuell wird, dann ist es sichtbar und rein wie im Spiegel oder in der Festigkeit des vollendeten Kristalls. Aber das aktuelle Bild wird seinerseits virtuell, sieht sich auf ein anderes hin verwiesen, undurchsichtig und dunkel wie ein kaum aus dem Boden gewachsener Kristall.“587 Auch Lacan betont den „kristallisierenden Wert“ des Bildes, wenn er in seinem Seminar über Die Objektbeziehung postuliert, „daß kein Bild sich aus sich heraus aufrechterhält. Immer nur im Verhältnis zu einem anderen nimmt jedes dieser Bilder seinen kristallisierenden, ausrichtenden Wert an, dringt es in das Subjekt ein, um das es geht, nämlich das kleine Kind“.588 Hubertus von Amelunxen 585 Kittler 2002 (a), 160. 586 Vgl. Keppler 2006, 60. 587 Deleuze 1997, 98; zitiert nach Schmidt 2005, 123. Weitere Ausführungen und Kritikpunkte zum Kristall-Bild (auch in Abgrenzung zur psychoanalytischen Filmtheorie [des Spiegelstadiums]) ebd. 120 ff. 588 Vgl. Lacan 2003, 47. 19 2 schreibt, dass „im spiritistischen Medium [...] die Medientechnik des 19. Jahrhunderts in kristalliner Form zutage [tritt]. Das Medium als Träger erzeugt eine Präsenz und hat sie zugleich zu bezeugen. Es soll vermitteln – zwischen Geist und Mensch oder Sender und Empfänger – diese Vermittlung aber ebenfalls authentizifieren und archivieren.“589 Hier sei noch einmal daran erinnert, dass Sacher-Masochs ‚grausame Frau’ in dieser Arbeit auch als quasi-spiritistische Erscheinung, als (diskretes) Gespenst, „als Signifikant [...] ohne Signifikat“590 (oder eben in der täuschenden Wahrnehmung des Masochisten deswegen genau als das Gegenteil, als Transzendentalsignifikat) gelesen wird. Sie gilt als eine Mimikry an die Wechselstromphysik und analoge Fotografie nach 1850. Demnach lässt sich Amelunxens Zitat zum Spiritismus der Medien auch auf die Theorie der Perversion anwenden, insofern Sender und Empfänger ein und dieselbe Person sind – eben der oder die Perverse, dessen oder deren Lust und Begehren sich ebenfalls in einer Art medialem Kristall, dem Fetisch, eingeschlossen haben. Dieses Begehren soll in diesem undurchsichtigen Kristall(-Bild) präsent sein bzw. (in der masochistischen performance immer wieder mit diesem halluzinativ) bezeugt werden. Dieser Kristall speichert Zeit und verspricht/verleiht spirituelle Kraft und Macht. Maurizio Lazzarato spricht mit Bergson von Zeitkristallisationsmaschinen.591 – Sucht man nach einem lupenreinen, masochistischen Kristall-Objekt in der heutigen Popkultur, so ist dies schnell gefunden: die rotierende Disco-Kugel, die – seit den 1970er Jahren – quasi als künstlicher Mond den Dancefloor und Party-Subjekte magisch illuminiert. Zu den musikalischen Höhepunkten im Stereo-Sound – wie z. B. himmlischen Disco-Geigen – umweht nicht selten Trockeneis-Nebel und ein Kokain-Schneegestöber die tanzenden Körper am Boden.592 589 Amelunxen 1990, 314; zitiert nach Meteling 2006, 101. 590 Ebd. 278. 591 Lazzarato 2002, 18 und 23-62. 592 Auch wenn Disco demnach masochistische Elemente aufgreift, ist diese Sound-, Licht-, Nebel- und Körperästhetik keine Perversion im klassischen Sinne, da zwischen dem/der DJ und seinem/ihrem Publikum echte bzw. volle Kommunikationsakte stattfinden – die (jedoch ähnlich wie im Masochismus) im „Transformieren von Gefühl, Wahrnehmung, Bewusstsein und Handeln“ individuell- kollektiv bestehen. (Vgl. Adamowsky zur heutigen Schamanen-Praxis der DJ-Culture: 2000, 158.) Auch wenn sich Disco (wie auch Techno oder andere elektronisch produzierten Musikstile) gern dem reellen Sound des Analogspeichermediums Schallplatte bedient, steht dessen Aktionsfeld Dancefloor ganz im Zeichen hybrid-digitaler, körperbezogener und -betonender, hochindividualistischer 19 3 Auch wenn Kittler betont, dass der frühe, von Schulze zufällig entdeckte Silbersalz- Effekt nicht der Geschichte der Fotografie im Sinne einer Mediengeschichte des physikalisch Reellen (i. e. bei Kittler das Reale im speicherbaren, medialen Sinne) zuzuordnen sei, sind die nachfolgenden photochemischen Endeckungen und Entwicklungen im 19. Jahrhundert, die eindeutig diese Geschichte begründen, auch mit Silberstoffen (Chlorsilber, Jodsilber, Silbernitrat)593 und anderen Materialien wie Asphalt, Glas(-) oder Metall(-platten) realisiert worden,594 und entsprangen ebenfalls nicht selten dem Zufall, wie es dem Fotopionier Louis Daguerre passierte: „Der erste Zufall sorgte dafür, daß eines Tages beim Experimentieren ein Silberlöffel auf einer Jodsilberplatte lag, daß die Sonne den Löffel beschien und da ein Abbild des Löffels auf der Platte entstand“.595 Im Anschluss an eine weitere Zufallsentdeckung setzte er „eine belichtete Jodsilberplatte zur Probe Quecksilberdämpfen aus“, womit ihm „die Hervorrufung des Bildes [gelang], was von fundamentaler Bedeutung für den Daguerrotypieprozeß“ und damit für die erste Daguerrotypie von 1839 war.596 Die Erforschung von chemischen, kristallinen Silberverbindungen, wie sie von Anfang an die Fotografie und damit auch die nachfolgenden seriellen Bilder auf dem Film ermöglichten (Silberhalogenid der Zelluloid-Emulsion), hinterließen also – so vermute ich – gleichsam ihre sichtbare Spur in der Ästhetik des klassischen Masochismus und in der Medientheorie (vgl. neben Deleuzes „Kristall-Bild“ auch Arnheims Die Seele in der Silberschicht597). Diese mediale Spur reicht bis in die Gegenwart, denn Silber bzw. Metall sind – wie es die Filmanalysen im zweiten Teil dieser Arbeit zeigen – nach wie vor Zeichen für übercodierte Sexualität und für masochistisches Objekt-Begehren,598 das sich nicht zuletzt in einer wiederholbaren Negativ-Prozedur, wie sie William Henry Fox Talbot (1800-1877) ab 1843 im Ausdrucksformen. Natürlich wäre ein Disco-Erlebnis nichts ohne ‚sadistische’ Strobo-Effekte, ohne diese Rhythmisierung abgehackt-hysterischen Zuckens. 593 Vgl. Kittler 2002. 163, 177. 594 Ebd. 172. 595 Ebd. 596 Ebd. Originalzitat: Eder 1905, 182. 597 Vgl. Arnheim 2004. 598 In dem Film FALSCHER BEKENNER (2005) spielt auch Asphalt eine wichtige Rolle. 19 4 fototechnischen Sinne zur Serienproduktion brachte, buchstäblich abbildet.599 „Die Natur zur schwarzweißen Selbstabbildung zu bringen [...], war [...] schierer Wille“600, ein männlicher Machtwille, der nicht nur den Fotopionier sondern auch den Masochisten dazu antrieb, ihrem Untersuchungs- und Lustgegenstand – der „pencil of nature“ (Talbot)601 und die ‚von Natur aus grausame Frau’ – in einer vorgegebenen Apparatur einerseits freien Lauf zu lassen, diesen ‚Gegenstand’ andererseits aber auch in seinem Lauf gründlich zu fixieren602 – „Sie [die Fotografie] umfasst ein Werden, indem sie es fixiert.“603 Christina von Braun schreibt zu diesem Machtwillen in der Fotografie: „So besagt eine grundlegende Theorie über die Photographie (die in verschiedenen Varianten 599 „Ob diese Begrifflichkeit des Positiven und des Negativen in der Photografie aus der viel älteren, analogen Begrifflichkeit der Mathematik stammte, oder aber aus der damals erst fünfzig Jahre alten Positiv-Negativ-Begrifflichkeit der Elektrizitätstheorie, weiß ich leider nicht, sollte aber irgendwann geklärt werden.“ Kittler 2002 (a), 178. 600 Ebd. 601 Ebd. 602 Talbot übernahm den Begriff – genauso wie Daguerre – vom Astronomen John Herschel (1792- 1871), mit dem er befreundet war und der ebenfalls am fotografischen Verfahren forschte. Herschel „entdeckte eine Möglichkeit, die verwendeten Silbersalze nach dem Entwickeln an weiterer Reaktion zu hindern – er nannte den Vorgang ‚Fixieren’“. Dass Talbots fototechnische Experimente – zumindest in der Wahrnehmung seiner Frau Konstanze – sogar eine gewisse masochistische Dimension erlangten, zeigte sich darin, dass sie die „auf seinem Anwesen platzierte[n] [...] Versuchskameras für lange Belichtungszeiten – grob gearbeitete Kistchen, nur 5-8 cm groß“, „Mausefallen“ nannte. (Vgl. Wikipedia-Artikel zu William Henry Fox Talbot: http://de.wikipedia.org/wiki/William_Henry_Fox_Talbot) Das Motiv der Mausefalle bzw. des Katz- und Mausspiels ist auch in der Venus im Pelz von Bedeutung. Severin: „Ich komme mir wie eine kleine, gefangene Maus vor, mit der eine schöne Katze zierlich spielt, jeden Augenblick bereit, sie zu zerreißen, und mein Mausherz droht mir zu zerspringen. Was hat sie vor? Was wird sie mit mir anfangen?“ (Sacher-Masoch 1980, 69.) Die Unwägbarkeiten dieses speziellen Tier-Werdens, wie das plötzliche Zuschlagen der Katze, korreliert wahrscheinlich mit der drohenden Gefahr des Einbruchs des Realen in den Wahrnehmungsapparat des Subjekts (vgl. dazu im nächsten Kapitel: „Apparate bei Freud und Lacan“); was ein wichtiges Spielelement in der masochistischen Dramaturgie und Maskerade (z. B. als suspense) ist. Es handelt sich hier um das acting out einer Metapher, die mit Tier- oder Naturgewalt realiter nicht viel gemeinsam hat, wohl eher mit der Angst-Lust des technisierten Maso- Subjekts. 603 Lazzarato 2002, 65. 19 5 auftaucht), dass das Auge des Betrachters ein ‚herrschendes’ sei. Es entfaltet seine ‚Aktivität’ und ‚Wirklichkeitsmacht’, indem es den anderen in sich aufnehme, mit Haut und Haaren verschlinge, um sich seiner zu bemächtigen – eine Form von optischer Aneignung, auf die schon Otto Fenichel in seinen Aufsatz Schautrieb und Identifizierung (1935) hingewiesen hat.“604 Dass Sacher-Masoch im Gegensatz zu den frühen Fotoforschern vergaß, die Bildtechnik, die er selbst in seinem Experiment benutzte, zu berücksichtigen, ist bis heute eine Blindheit im Gebrauch technischer Medien, die einerseits mit der menschlichen Neigung verbunden ist, technische Aspekte zu übersehen oder zum Verschwinden zu bringen,605 die andererseits auch auf die ‚Neigung’ der modernen Technik zurückgeht, sich in ihrem Wesen und ihrer Funktion – nicht erst seit Heidegger – dem Menschen gleich einer unsichtbaren Hand zu entziehen.606 Technik gehört untrennbar zur Camouflage des Masochisten, einer Maskierung, die naturalistisch wirken sollte, mit der – wie es im folgenden Kapitel zur Prothesentheorie weiter verhandelt wird – nicht nur Technikverdrängung offenbar wurde, sondern – damit verbunden – auch ein Programm des Rückzugs von den Realitäten bzw. Härten des heraufgezogenen Industriezeitzeitalters erfolgreich installiert werden sollte. Wie erwähnt sah dieses Programm einen Abschirmmechanismus vor, welcher vor Langeweile, Apathie und Entfremdung schützt. „Leopold von Sacher-Masoch thematisiert hier bereits als Angst, was ein Jahrhundert später mediale Gewissheit ist, die Reizüberflutung durch Bilder, jenes Erdrücken der körperlichen Wahrnehmung durch visuelle Vorgaben, die jede Erotik auf ein Reiz- Reaktion-Schema verkürzt. Sacher-Masoch will gar nicht wissen, woher die Photografien kommen, er will nichts von ihrer Genese und schon gar nichts von ihrer Wirkung wissen [...]. Leopold von Sacher-Masoch ergreift damit einen Topos der Kulturkritik an den Medien avant la lettre, denn die Photografie war noch nicht wirklich zum massenhaft vertriebenen Medium geworden. Doch der Handel unter 604 Von Braun 2001, 220. 605 Zu dieser „Invisibilisierungsthese“ vgl. Hagen 2000, 91 f. 606 Vgl. ebd. Heidegger-Zitat über „das Wesen der Technik“ in: Ders. 1994, 38. 19 6 dem Ladentisch mit ‚Akademien’ und Pornographie war dem Abbildverfahren schon im ersten Jahrzehnt zur zweiten Natur geworden, der sich ein Schriftsteller keinesfalls entziehen konnte, wenn er erotische Themen behandelte.“607 Fazit und Plädoyer Sacher-Masochs Ästhetik bildet, so mein Vorschlag, ein Hybrid und Übergangsobjekt aus/zwischen Fotografie und Kino. Fotografien lassen sich in seinem Leben und Werk eindeutig nachweisen, meine Rede vom Kino ist hier vorerst nur eine These, im besten Fall eine vorgreifende Analogie, die es weiterhin zu untersuchen und kritisch zu hinterfragen gilt, aber gerade als Fragestellung – da bin ich mir sicher – auf jeden Fall Bestand hat. Sacher-Masochs erotisches und literarisches Begehren ist letztendlich nicht über das mediale Niveau einer fotografischen Momentaufnahme hinaus gekommen, worin sich sein libidinös gesteuerter Hang zu medialer (Oberflächen-)Täuschung (worin sich ein Reflex schockartiger und panikauslösender Blendung zeitigt, der sich nach Implementierung im Maso-Dispositiv in reproduzierbare Lust-Angst verwandelt), eine für die Perversion so typische Beharrlichkeit und Unverbesserlichkeit, oder einfach nur ein starrer bzw. robuster Konservatismus zeigt – und dies, obwohl Sacher-Masoch doch in seinem Privattheater eine quasi-multimediale Kinoerfahrung – jedoch nur im Modus imaginärer Virtualität – bereits gemacht hatte und ihm dabei vor Wollust die Sinne vergingen. Auch wenn sein Fetisch im Wesentlichen dem Analogmedium Fotografie unterworfen und verpflichtet bleibt, ist er bereits eine Art ‚Medienverbund’ in Form gekoppelter, als Collage angeordneter Partialobjekte.608 Sacher-Masochs Begehren ist vergleichbar mit dem Forscherdrang früher Fotopioniere. Ihre wichtigen Entdeckungen läuteten eine Epoche ein, in der die Natur anfing, sich im Sinne einer Mediengeschichte des Reellen selbst zu schreiben, „wo Erfindungen und d. h. 607 Sachsse 2003, 400 f. 608 In diesem multimedialen Sinne geht Sacher-Masochs Perversion schon über die Fotografie und den Stummfilm hinaus, da diese nicht nur Visuelles, sondern bereits Auditives und zudem auch das Reale des Körpers – wie Haptisches und Schmerz – umfasst. Der Tonfilm wurde demgegenüber erst Ende der 1920er Jahre eingeführt; körperbezogene bzw. körperliche Real-Elemente kommen erst in der digitalen und biotechnologischen Virtualität unserer Gegenwart, dem Post- und Transhumanen, wieder ins Spiel. 19 7 historische Zufallsergebnisse auf Dauer, Wiederholbarkeit, ja fast auf Erfolgsgarantie gestellt wurden“.609 „Der grundlegende Trend moderner Medientechniken, alle statischen Werte durch dynamische und alle Festigkeit durch Geschwindigkeit zu ersetzen“,610 wurde auch von Sacher-Masoch mit Hilfe der Installation seines Pelz-und-Peitsche-Dispositivs und der damit verbundenen Psychodynamik aufgegriffen und befolgt, aber eben nicht bis zum Schluss experimentell durchgehalten. Die rotierende Bewegung seiner Fetisch-Produktion und -Projektion erwies sich für ihn als unberechenbar. Obwohl auch diese Produktion auf Erfolg, Dauer und Wiederholbarkeit angelegt war, entzog sie sich dem männlichen Machtwillen, diese selbsterschaffene, virtuelle ‚Natur’ in den Griff zu bekommen. Im Gegensatz zur technischen Naturbeherrschung, wie sie die Fotopioniere im 19. Jahrhundert ein Stück weit im Reellen mit ihren optischen Apparaturen realisierte (auch diese Experimente endeten – vergleichbar mit Severins Fiasko – bisweilen tragisch im Körper des Wissenschaftlers),611 ist die Beherrschung und Steuerung sexueller Lust, wie sie aus der Materialität und Wirkung dieser Medien u. a. hervorging und wie sie der Masochist am Körperbild seiner grausamen Frau zu verwirklichen suchte, letztendlich in dieser Form nicht aufgegangen. (Hier sei noch mal an den nackten Jungen aus Bergmans PERSONA [1966] erinnert, der seine Hand zum überdimensionierten, verschwimmenden Bild einer Frau auf einer Leinwand austreckt; der imaginäre Phallus ist hier am Verschwinden, er wird in der Postmoderne dysfunktional.) Die Kontingenz und stetige Wandlung subjektiver und damit medialer und körperlicher Sexualität steht diesem fetischistischen Machtbegehren, d. h. dem Problem der symbolischen Nachhaltigkeit bis heute im Weg. Doch trotz dieses störenden ‚Hindernisses’ hätte auch Sacher-Masoch ein 609 Kittler 2002 (a), 173. 610 Ebd. 171. 611 Kittler 1986, 184: „[I]n experimenteller Härte untersuchte erst [Gustav Theodor] Fechner die Nachbildwirkung. Versuchsleiter und Versuchsperson in einem, starrte er in die Sonne – mit dem Ergebnis, daß Fechner 1839 für drei Jahre erblindete und seine Leipziger Physikprofessur niederlegen mußte. So folgenreich war der historische Schritt von Psychologie zu Psychophysik (Fechners schöne Wortschöpfung [vgl. zur Begriffserläuterung u. a. Pühler 2006, 123, Fußnote 350]), so buchstäblich entsprangen die modernen Medien physiologischen Handycaps ihrer Erforscher.“ Vgl. zu anderen experimentellen Selbstverstümmelungen in der modernen Naturwissenschaft: Hagen 2001, 114. 19 8 befriedigenderes Ergebnis in seinem Selbstversuch erzielen können, er hätte seinem Begehren und vor allem dem seiner ‚grausamen Frau’ einfach mehr Spiel- bzw. Experimentierraum geben müssen. Sein Versuch ist daher noch nicht abgeschlossen.612 Aus diesem Grund, der Dynamisierung von (un-)kontrollierbaren mentalen und technischen Bildern, plädiere ich dafür, die Anfänge des Kino-Begehrens nicht nur im Zirkus, auf dem Jahrmarkt, im Varieté, in Transportmitteln (wie Schiff oder Eisenbahn), im Panorama, in vorangehenden optischen bzw. technischen Medien, in psychophysischen Labors oder sogar – wie es die gender-Forschung seit ein paar Jahren postuliert – im Zoo,613 sondern eben auch im Masochismus à la Sacher-Masoch zu suchen. Dies soll nicht heißen, dass das Kino in einer unmittelbaren Verbindung zur masochistischen Perversion stünde, dass es sich aus dieser genealogisch herleiten ließe. Das Kino wäre auch ohne Sacher-Masochs (und auch Sades) Unternehmungen entstanden. Die Ursprünge und Wege, die zum Kinematografen bzw. zum Begehren 612 Anders als Sade, der genau wusste, dass er das (noch vom menschlichen Geist vollständig aufnehmbare) Weltwissen seiner Zeit um dessen damals noch nicht hinreichend bekannte inhärente perverse Dimension(en) erweiterte, also literarisch durchgespielt hatte (wenn auch nicht – wie von ihm behauptet – komplett), so bleiben bei Sacher-Masoch mehr ungelöste Fragen als bei seinem Vorgänger bestehen. Sacher-Masoch konnte das Weltwissen im späten 19. Jahrhundert eben nicht mehr geistig beherrschen – diese Unmöglichkeit ist ein weiteres Argument für sein starkes Fetisch-Begehren. Zudem hatte er sein Experiment zu früh aufgegeben bzw. nicht weiter entwickelt. Beim Durchschreiten seiner fetischistischen Fantasie ist ihm quasi auf halber Strecke das Imaginationsvermögen ausgegangen. Sein (Übergangs-)Objekt erscheint in seiner virtuellen Konstitution – nach wie vor – viel rätselhafter und unvollkommener als jenes der Sadeschen Ästhetik. Das Masochsche Objekt offenbart in seiner oberflächlichen Repräsentation daher viel weniger Wissen als es bei Sade der Fall ist, ist dieses mögliche Wissen doch hinter einer (medialen) Maske verborgen und operiert unbewusst (in einem Kristallbild). Jedoch konnte Sades Objekt demgegenüber bis heute weder einem gesellschaftlichen Diskurs, noch dem Kulturbetrieb wirklich einverleibt werden. Es widersteht in seiner realen Beschaffenheit eben den Formen und Medien gesellschaftlicher Virtualität, die seit dem späten 19. Jahrhundert (gesellschaftlich) virulent wurden. Als Fremdkörper leistet es immer noch starken Widerstand und bleibt daher abgründig. Aus diesen genannten Gründen sind Sades und Sacher-Masoch Lusttechniken für die heutige Forschung, für den Erkenntnisgewinn und neue Wissensproduktion u. a. in Kultur- und Medienwissenschaft, weiterhin äußerst relevant – Glücksfälle. 613 Vgl. Nessel: Immersionsgehege. Wie Zoo und Kino die Sinne der Zuschauer ansprechen, Vortrag am 3.10.2009 auf der Jahrestagung der Gesellschaft für Medienwissenschaft 2009 in Wien. 19 9 nach optischer Bewegungsillusion führten, sind äußerst zufällig, vielgestaltig, verworren, verschlungen und letztendlich noch nicht vollständig erforscht – wie auch die des Sadomasochismus. Sie bilden ein Symptom technischer Virtualität, das auch im digitalen Zeitalter noch längst nicht rekonstruiert ist, sondern dort nur noch rätselhafter, wahrscheinlich noch grausamer erscheint.614 Dennoch ist die Suche nach neuen Wahrnehmungsqualitäten und -modalitäten, wie sie der lustvolle Drang nach bewegten Real-Bildern im späten 19. Jahrhundert auf den Plan rief und wie sie das Kino dann nachfolgend implementierte und massenanwendbar machte, bereits von Sacher-Masoch literarisch erkannt und bearbeitet worden. Umgekehrt hat Kino immer schon neue ästhetische Ausdrucksmöglichkeiten geboten, um die zuvor in der Literatur oder an anderen Orten gemachten halluzinativen Erfahrungen615 – Bewegungen der Fantasie und des Begehrens – täuschend echt wiederzugeben. Damit hat die meist verschlüsselte Sprache des Traums und Alptraums eine Abbildung, ein äußeres Medium erhalten. Der Phallus des Optisch-Unbewussten ist hier ein Stück weit sichtbar, manipulierbar und damit auch reproduzierbar616 geworden. Und trotzdem sind selbstgemachte, d. h. meist zufällig zustande gekommene Perversitäten – wie im klassischen Masochismus oder in der Sadeschen Raritätensammlung – immer schon sehr viel mehr als analoges oder digitales Kino, wirken diese doch in ihrer unbewussten Eigenlogik und Erlebnisintensität sehr viel stärker und nachhaltiger als das, was die Filmschaffenden mit ihren Werken meistens zu bieten haben617 – zumindest für die/den einzelne(n) Perverse(n) oder eine bestimmte Gruppe. Obgleich wir immer wieder darauf hoffen, unser ureigenes Begehren auf der Kinoleinwand zu erblicken, dort auf Bildersuche bzw. -Beute gehen und so gleichzeitig zur Beute der Bilder werden, so bleibt das Gesehene, auch wenn es noch so perfekt mit dem eigenen lustsuchenden, phallischen Blick vernäht wird, 614 Vgl. Flusser 1998, 139. 615 Vgl. Kittler 1986, 226 und 1993, 88. 616 „Die Metapher des Reproduktiven in medialen Objekten ist weder für Sacher-Masoch noch für seine Zeitgenossen neu, und ihre Anwendung in der Literatur ist mannigfach. Was diesen Autor von anderen scheidet, ist die Gleichsetzung des photografischen Bildes mit einer anonymen, industriellen und einer ephemeren, kaufmännischen Distribution.“ Sachsse 2003, 399. 617 Letztendlich schafft sich jede(r) RegisseurIn, jede(r) KünsterIn, jede(r) IngenieurIn, jede(r) Hausfrau /-mann etc. in Artefakten ihren/seinen eigenen Fetisch (oder zumindest Lustobjekte). 20 0 immer im Diskurs des Anderen, d. h. in der Sprache, Semantik und Materialität des Films gefangen. Selbst im Gewaltporno oder im snuff-Genre wird das obskure Objekt der Begierde – so tödlich und brutal es sich hier auch mit-teilt – auf jeden Fall verfehlt, auch hier präsentiert sich das Reale – wenn überhaupt – nur als schwacher afterglow der jouissance.618 Von daher – so möchte ich spekulieren – wären Sacher- Masoch und Sade zwar durchaus vom Kino angetan gewesen, hätten aber dennoch wahrscheinlich die Lust an den bewegten Lichtbildern auch schnell wieder verloren, da dem Leinwandgeschehen bis heute ein wesentliches Element abgeht, das in ihren sadomasochistischen Unternehmungen auf keinen Fall fehlen darf: die Präsenz eines realen menschlichen Körpers. „[D]ie Wiedergabe des eigenen Körpers ist verschwunden“, schreibt Christian Metz in seiner psychoanalytischen Studie über den Imaginäre(n) Signifikant(en),619, was über – das Kino hinausgehend – bedeutet, dass der reale Körper und sein unbändiges, auch monströses Vermögen zu Libido, Imagination und Reflexion eben noch längst nicht von den medialen Apparaturen bzw. interfaces absorbiert worden ist und gegenüber diesen tatsächlich relativ autonom und widerständig bleibt.620 Letztendlich geht es in sadomasochistischen 618 „Denn für Reales ist, nach Lacan, noch das Wort Leiche ein Euphemismus.“ Kittler 1986, 22. und vgl. zum „afterglow“ auch Wetzel 1994, 347. 619 Metz 2000, 46. 620 In diesem Sinne gehen Bewusstseins- und Maschinenfunktionen nicht problem- bzw. nahtlos ineinander auf, wie es Friedrich Kittler manchmal (provokant) postuliert: „Und daß das Symbolische die Welt der Maschine heißt, kassiert den Wahn des sogenannten Menschen, durch eine ‚Eigenschaft’ namens ‚Bewusstsein’ anders und mehr als ‚Rechenmaschinen’ zu sein.“ (Vgl. Kittler 1986, 30.) Es gibt demgegenüber sehr wohl Bewusstseins(dys)funktionen, ein Körperdenken und -fühlen, einen realen (Lust-)Widerstand des Ich und des Körpers und den Körper schließlich als Einschreibfläche und (Speicher- und Übertragungs-)Medium – sprich eine Komplexität des Körpers bzw. des Körperbildes, die mit Digitalcomputern bzw. mit Biotechnologie nicht zu simulieren ist. Noch nicht. Zum Glück. (Vgl. Pühler 2006, 36 ff., 42, Fußnote 99 und nachfolgendes Kapitel über „Prothesen“.) Vgl. auch Kittlers vordergründige Kritik an „der modische(n) Überbetonung des Körpers [...] in ganze[n] Wissenschaftszweige(n)“. (Kittler 2002 [a], 199.) Von daher wundert es nicht, dass Kittlers versierte technische Medienwissenschaft die heutigen, sehr dominanten und zukunftsträchtigen Bio- und Gentechnologien, die aus der Kybernetik entstanden sind (vgl. Kay 2001, 489-523), nie ernsthaft in seine Forschungen miteinbezogen hat (und er zudem die Zukunft in Quantenrechnern und nicht in organischen Kohlenstoff-Computern sieht). Dass in technikzentrierten Diskursen und im Denken der Computer- bzw. Cyberfetischisten reale Körper und Körperbilder nicht selten missachtet, degradiert, negiert, ausgeschlossen oder gleich ganz abgeschafft werden, ist nichts Neues oder Ungewöhnliches. 20 1 Techniken nicht nur – wie es die Hauptthese der vorliegenden Arbeit betont – um die Rückeroberung und den Erhalt individueller Lust und Fantasie,621 sondern auch um den Erhalt des Mediums, in dem all dies möglich wird: eben dem realen Körper aus Fleisch und Blut, welcher ebenso wie die neuzeitliche Imagination unter Beschuss steht, immer weniger ins Gewicht fallen darf und daher gleichsam – zumindest in der medialen Wahrnehmung – zu verschwinden droht. SadomasochistInnen (und auch ‚eingefleischte’ horror-Fans und -Ästheten) wissen oder spüren zumindest sehr deutlich, dass das Begehren – obwohl es symbolisch erzeugt, gesteuert und kontrolliert wird (und so überhaupt erst möglich wird) – in letzter Instanz immer an den lebenden und lebendigen Körper gebunden ist und bleibt – und dies gewiss nicht nur bei bondage-LiebhaberInnen.622 Aus dieser Perspektive mutet es ironisch an, dass Sacher-Masoch genau in jenem Jahr stirbt, 1895, als die Brüder Lumière zum ersten Mal eine kinematografische Trance auf die Öffentlichkeit losließen und Wilhelm Conrad Röntgen – wieder einmal durch eine Zufallsentdeckung623 – der X-Strahlung auf die Schliche kam. Die ‚grausame Frau’ war in der masochistischen Fantasie zwar noch keineswegs verschwunden – auch wenn sie in der Literatur längst verblasst war –, doch mit diesen neuen Medien, die Kittler als „psychopathologische“624 bezeichnet, wurde Platz für ganz neue Schon seit Descartes darf der störende, triebhafte und vergängliche Körper nicht mehr wirklich – vor allem in naturwissenschaftlichen Unternehmungen – ins Gewicht fallen und wird bisweilen sogar für tot erklärt. (Vgl. Kutschmann 1986, 16 f. und Adamowsky 2000, 174 ff.) Und dennoch hat Kittler den Körper in seiner Mediendefinition berücksichtigt. (Vgl. 252 [Fußnote 819] in dieser Arbeit.) 621 Allerdings soll dies keinesfalls heißen, dass das Kino – wie bereits erwäht – nicht auch ein wesentlicher Promotor zur Anregung individueller Phantasie ist. Vgl. Harms 2009 (Erstausgabe 1926), 115. 622 Denn „[w]ie Lacan schließlich ganz krude herausrückt, ‚bleibt das Begehren in letzter Instanz immer Begehren des Körpers, Begehren nach dem Körper des anderen und nichts als Begehren nach seinem Körper’ (S X, Sitzung vom 8. Mai 1963).“ Borch-Jacobsen 1999, 253. 623 Vgl. zur Zufälligkeit beim (Er-)Finden: Kapp 1978 (1877), 49. Auch Freuds klinische Praxis konzentriert sich – wie Micha Brumlik betont – vornehmlich auf Akzidentien: Freud „geht es um das Zufällige, das Nichtsystematische, die beiherspielenden Eigenschaften und nicht um die Substanz – jedenfalls nicht die der menschlichen Sexualität: ‚Das Akzidentelle spielt nämlich die Hauptrolle in der Analyse, es wird durch sie fast restlos bewältigt.’“ Vgl. Brumlik 2006, 58 und Originalzitat von Freud 1999 (b), 29. 624 Kittler 1986, 217; an anderer Stelle redet er auch von „psychopathischen Medien“. 20 2 Wunder und Monstren geschaffen, die über das hinausgehen, was sich Sade und Sacher-Masoch bis dahin ausmalen konnten. Es beginnt hier das Kapitel zu psychotisch-schizophrenem SM, einer ganz neuen medialen Gewalt- und Lustqualität, die jede Macht und Kontrollierbarkeit unterläuft und die die Imagination bis an ihre letzte Grenze und darüber hinaus führt.625 Erst hier wird, so versuchen es die folgenden Kapitel zu verdeutlichen, das unbewusste Ziel und Begehren des Sadomasochismus, nämlich den Phallus tatsächlich wieder in ein Partialobjekt rückzuverwandeln und sogar aufzulösen, realisiert. Erst hier erfolgt also eine vollständige Transformation des Selbst bzw. des cogito, das sich in den Konzeptionen klassischer Schmerzlust bei Sade und Sacher-Masoch bereits als Begehren deutlich abzeichnet, aber eben technisch noch nicht erreicht wird. Ob man in Bezug auf das zerstörerische Werk der Psychose dann tatsächlich noch von SM im Sinne Sades und Sacher-Masochs sprechen kann, ist eine der Fragen, die im Folgenden aufgeworfen werden – vor allem in der VIDEODROME-Analyse. Nachtrag: Marlene Dietrich und Josef von Sternberg Kinematografische Spielräume masochistischen bzw. glamourösen Begehrens hatte Josef von Sternberg (1894-1969) in seinen Filmen äußerst kunstvoll ausgelotet. Wie kein anderer Regisseur hatte er eine Lichtgebung, „die das Verhältnis des Blicks zum Fremden selbst in jedes Bild setzt“,626 schlicht neu erfunden. Dabei scheint sich der etablierte geometrische Bildraum zugunsten der „Gründung einer neuen Ordnung auf dem Nichts, im Schwarz zwischen allen Bildern [bzw. des öligen Hafenwassers in DOCKS OF NEW YORK (1927) (Anmerkung S. P.)] oder im Weiß der wachsenden Wüste [in MAROCCO (1930) (Anmerkung S. P.)] als Fluchtlinie allen Begehrens“,627 aufgelöst zu haben. Bis sich dieses Lichtspiel, das implizit auch auf die Negativ- Positiv-Materialität des Films rekurriert, nach jeweils einer Seite hin aufgehoben haben wird, bleibt noch viel Sichtbarkeit bzw. (Zwischen-)Raum für all jene flackernden, flirrenden und fluiden Phänomene, wie sie bereits im klassischen 625 Vgl. Weber 2008. 626 Holl 2005, 290. 627 Ebd. 293. 20 3 Masochismus die fetischistische Wahrnehmung fesselten: „Blinkende Pailletten, glänzende Stoffe, reflektierende Masken, zitternde Federboas, opake Schleier.“628 Ute Holl arbeitet „zwei grundlegende künstlerische Verfahren in der Herstellung von Licht im Film“ heraus, die für Sternberg höchst signifikant sind: Dieser wirft „die Struktur von regelmäßigen und unregelmäßigen Gitterwerken über die Bilder, die sich als Schleier oder Schattenwürfe über die Körper oder Gesichter legen, und die – als Netze, Vorhänge oder Geflechte – Räume als perspektivische oder als Paradoxien von Perspektiven inszenieren. [...] Das Netz, unregelmäßig, als Anziehung und Falle, steht dem koordinierenden Schleier einer Gitterstruktur gegenüber. Dazwischen bewegt sich, rauchend und summend, Marlene Dietrich, und dazwischen bewegt sich auch der Blick der Zuschauer von Ebene zu Ebene.“629 Sternberg war filmtechnisch versiert genug, solche Licht- und Schatteneffekte als eine eigene Sprache virtuos auf Zelluloid, auf das (damals noch leicht entflammbare) Filmhäutchen zu bringen, hatte er doch als Labor-Assistent eines Filmrestaurators in Hollywood gearbeitet. Zudem hatte er gleichsam ein Grundwissen in Sachen fetischistischen Ausstattungsdekors während seiner Lehrzeit in einer New Yorker Pailletten- und Spitzenhandlung erworben (heißt es). Trotz seiner revolutionären, schon surrealistisch anmutenden Lichteffekte im Film, welche immer auch als Ausdruck des Begehrens (d. h. der Blickschwankungen seiner ProtagonistInnen) gelten und zur Auflösung im Realen tendieren, hatte er dennoch – so möchte ich behaupten – den klassischen Rahmen masochistischer Dramaturgie und Ästhetik, wie ihn bereits Sacher-Masoch vorgegeben hatte, nicht wirklich verlassen oder sogar gesprengt. Er hat ihn zusammen mit Marlene Dietrich 628 Ebd. 291. 629 Ebd. 297. 20 4 (1901-1992) jedoch kunstvoll erweitert, hat den fotografisch-filmischen Glamor daran entdeckt und wiederholend inszeniert, damit auch neu erfunden. Einerseits macht sich dies in seiner autoritären, akribischen und kontrollierten Arbeitsweise (der ausgeprägte Ordnungssinn bzw. das Kontrollbegehren des Perversen), andererseits in seinem wohl kalkulierten Verhältnis zur Dietrich (der dieser Sinn nicht fremd war) und deren Auftritten bemerkbar. Sternberg überwachte jeden Arbeitsschritt „vom Buch über Besetzung, Ausstattung, Kostüme und Requisiten seiner Filme bis zum Schnitt und der Vertonung [...], verstand sich als absoluter Koordinator des koordinatenlosen Bildes.“ Er musste also „den Zufall ausschließen, um ihn ins Bild zu setzen“.630 Diese hochgradig geplante Vorgehensweise, eine „seltsam perverse Operation“ namens „Glamor im Bild“,631 erinnert sehr verdächtig an Severins bzw. Sacher-Masochs pygmaliontische Bildanimation eines Frauenkörpers, der dann ins Fließen gerät. So behauptet Sternberg: „[M]it sehr wenigen Ausnahmen wird der Glamor nicht von einer Frau geschaffen, so begehrenswert sie zeitweilig auch sein mag, sondern durch einen Künstler mit überragendem Können, der mit Lampen, Kamera seinem erwählten Gegenstand und seiner Einsicht zu manipulieren vermag, bis ein Zustand erreicht ist, der nicht mehr in die Komponenten auseinanderbrechen kann, aus denen er so geschickt zusammengesetzt ist.“632 Um den künstlichen Oberflächeneffekt des Glamours, den technisch konstruierten „Augenblick der Grazie“633 also einzufangen und zu sichern, muss das Bild – wie jenes der grausamem Frau in der Venus im Pelz – stillgestellt und gleichsam verewigt werden: „Es ist ganz einfach, den Eindruck von Glamor zu erwecken, wenn man stillhält; in der Bewegung entstehen tausend und eine Fallgrube, um die Bezauberung zu zerstören“.634 Wie Ute Holl zu Recht kritisiert, hat Sternberg die als Blick – und eben nicht als Angeschaute – inszenierte Marlene Dietrich nie für seine eigene Ich-Bildung und künstlerische Entwicklung in Betracht gezogen. (Dies gilt ebenso für Severins Verhältnis zu seiner Domina.) Stattdessen 630 Ebd. 311. 631 Ebd. 312. 632 Ebd. 313; Zitat von Sternberg: Ders. 1969, 132. 633 Holl 2005, 313. 634 Zitat von Sternberg 1969, 131 f., zitiert nach Holl 2005, 313. 20 5 verkündete Josef von Sternberg in hinreichend bewiesener, chauvinistisch anmutender Spiegelstadium-Verkennung: „Marlene is not Marlene, she is me.“635 Auch wenn Marlene Dietrich in ihren Memoiren bemerkt, dass sie ein „nobody“ war, bevor Sternberg sie engagierte,636 bleibt es jedoch eine offene Frage, wer letztendlich wen manipuliert, d. h. zu unsterblichem Weltruhm gebracht hat. Einmal mehr macht sich hier die biopolare Machtstruktur der masochistischen Beziehung, die eine (künstlerische) Arbeitsbeziehung ist, bemerkbar. Die Dietrich war zum Glück gewieft genug, dieses Spiel ihres Entdeckers und vermeintlichen Schöpfers früh zu durchschauen und so aktiv mitgestalten zu können: „[S]he knew everything there was to know about photography and lightening – and developed a sharp sense of her as a glamorous star.“637 Schließlich schuf sie sich mit eigenem schauspielerischen Können, Witz und Geist – nicht zuletzt mit preußischer Disziplin und natürlich ihres medial inszenierten Sexes – ein „Denkmal auf Zellluoid“.638 Die (Selbst-)Inszenierung der Marlene Dietrich hat somit nicht mehr viel mit dem Typus der grausamen Frau gemeinsam, obgleich sie als neo-femme fatale immer noch deutlich phallische Züge ihrer Vorgängerin des 19. Jahrhunderts aufweist. Ihre Erscheinung und ihre Handlungen sind subtiler, souveräner und strategischer – d. h. für den Masochisten noch unberechenbarer – geworden; aufgedonnerte Pelztoiletten und lautes Peitschenknallen sind nicht mehr zwingend notwendig und überwiegend passé, stattdessen reicht in MAROKKO das Zerreißen der Visitenkarte des Masochisten, um ihm Glücksgefühle zu bereiten. 635 Ebd. 315; Zitat von Sternberg in: Weinberg 1967, 96. 636 Vgl. Gundle 2008, 191; Originalzitat in: Dietrich 1989, 105. 637 Gundle 2008, 191. 638 Holl 2005, 313. 20 6 Da – so meine These – die Peitsche nun selbst in den Strobo-Effekt des Kinoapparats grundlegend eingegangen ist, kann eben das Sublime des masochistischen Begehrens im Film selbst – wie es Dietrich und Sternberg spielerisch tun – viel deutlicher als im klassischen Masochismus adressiert und ausgestellt werden. Die fesselnde Wirkung dieser Bilder tritt noch stärker als in der Literatur Sacher-Masochs hervor; sie ist nicht mehr nur vornehmlich in der subjektiven Wahrnehmung des Masochisten präsent, sondern hat sich auf Zelluloid objektiviert und kann dergestalt auch einem Massenpublikum kommuniziert werden. Wie Laura Mulvey bemerkt, geht es Sternberg gerade um diese Bildwirkung und deren Genuss, weniger und die „Beschäftigung des Zuschauers mit der Story“, weshalb es ihm sogar recht ist, „wenn man seine Filme gegenäufig projizierte“.639 Neu an Sternbergs Ästhetik ist zudem, dass die Frauenfiguren ihre Grausamkeit nicht sadistisch – etwa mit Hilfe eines Komplizen wie die ‚Venus im Pelz’ – zum Schluss geltend machen müssen, sondern stattdessen eher masochistisch gegen sich selbst richten: Sie gehen ins Wasser oder in die Wüste, begehen also nicht selten Selbstmord, um sich auf radikale Weise jeder „Ökonomie der Verführung“ wirksam zu entziehen.640 Ein trauriger, aber dennoch konsequenter Schritt in einer von selbstverliebten Männern und phallischer Technik beherrschen Welt.641 639 Vgl. Mulvey 1998, 401. 640 Holl 2005. 293. 641 Vgl. Holl 2005, vor allem die brillante Herleitung der Sternbergschen Lichtgebung und des Glamours aus Lacans Blicktheorie; zum Verhältnis Marlene Dietrich – Josef von Sternberg vgl. auch Koch 1989, 83 ff. und Gundle 2008, 190 f. 20 7 Prothesen und Organprojektion Was nun die Idee angeht, das, was man den Menschen nennt, in eine Beziehung mit dem zu setzen, was man die Welt nennt, verlangt sie danach, dass wir diese Welt als ein Objekt betrachten, und dass wir aus dem Subjekt die Funktion einer Korrelation machen. Die Welt, gedacht als Ob-jekt, setzt ein Sub- jekt (sub-jet) voraus. Jacques Lacan Eine Analogie zwischen Organen impliziert nicht notwendigerweise einen entwicklungsgeschichtlichen Zusammenhang, und ein ‚Evolutionismus’, der annähernd kontinuierliche Gegebenheiten auf einer einzigen Linie gruppiert, obwohl ihnen heterogene irreduzible Au bildungsprozesse zugrunde liegen, kann nur Schaden nehmen. So kann z.B. ein Auge am Ende mehrerer unabhängiger Entwicklungsreihen stehen und das analoge Resultat gänzlich verschiedener Mechanismen darstellen. Verhält es sich mit Sadismus und Masochismus, bzw. dem ihnen angeblich gemeinsamen Organ der Schmerzlust nicht vielleicht ähnlich? […] Wie, wenn ihr gemeinsames Organ, ihr ,Auge’, ein schielendes wäre?“ Gilles Deleuze Medien sind keine Pseudopodien, die der Menschenkörper ausfahren würde, sie folgen der Logik der Eskalation, die uns die Schrift-Geschichte hinter sich läßt. Friedrich Kittler Die Moderne hat mit dem Hammer philosophiert, jedoch sich selbst getroffen. Bruno Latour Wir befinden uns im Zeitalter der Partialobjekte, der Bausteine und Reste. Gilles Deleuze und Félix Guattari 208 Vorüberlegungen für eine Medientheorie moderner Schmerzlust Es wurde bereits gezeigt, dass Sadomasochismus, wie er sich in den Werken seiner (unfreiwilligen) Namensgeber Sade und Sacher-Masoch artikuliert, bereits bestehende Medientechniken oder kulturelle Codes, Praktiken und Sitten adaptiert und dabei gleichzeitig modifiziert. Die literarische Aufzeichnung und Form der Veröffentlichung bzw. Verbreitung mag bei beiden Autoren das signifikanteste Medium sein,642 dennoch geht es im vorangegangenen Kapitel wie in der ganzen vorliegenden Arbeit weniger um literarische, als eine breit angelegte kulturwissenschaftliche Analyse, die vor allem das mediale environment fokussiert und erkundet. Das heißt es rücken hier Dinge, Artefakte, Medien und Techniken des Selbst in den Vordergrund, die einerseits zur Demonstration und Erklärung der sadomasochistischen Schmerzlust dienen können und andererseits darüber hinaus mit jenen Phänomenen, die in den fantastischen Universen Sades und Sacher-Masochs mittels der Perversionen (meist indirekt und auch ungewollt mit-)verhandelt werden, in enger Beziehung stehen. Zu nennen wäre u. a. die prekäre Position von Frauen in ihrer Funktion als Lustobjekt (letztendlich auch die der lustgeblendeten, männlichen Protagonisten), die heikle Frage nach der Ich- und Subjektkonstitution, das meist nicht hinreichend beleuchtete Kommunikationsverhältnis zwischen Perversion und Gesellschaft – der (Um-)Weltbezug, das Unbewusste des medialen bzw. phallischen Gesetzes etc. Es mögen auf den ersten Blick persönliche Ticks oder spleens sein, die die perversen Szenarien auf den Plan rufen. Trotzdem bieten diese individuellen Ausdrucksformen neben dem Mehr an Lust (in der Bedeutung von fantasievoller, spielerischer Selbstgestaltung) immer auch ein Mehr an Erkenntnis und an zu rekonstruierendem Wissen. Perversionen haben trotz oder gerade wegen ihrer offen zur Schau gestellten 642 Vgl. zur schwierigen – von schlechten Editionen, Zensur und Gerichtsprozessen begleiteten – Herausgabe des Sadeschen Werks seit dem späten 19. Jahrhundert: Mayer 2001. Die Protagonisten bzw. sogenannten Sadologen, die sich dafür einsetzten, dass Sade allmählich aus dem klinischen Bereich der Psychiatrie ‚befreit’ und publiziert werden konnte, sind u. a. Maurice Heine, Gilbert Lely oder Jean-Jacques Pauvert. Letzterer kam noch 1956 vor Gericht, da er wegen der Veröffentlichung der Hundertzwanzig Tage von Sodom und Juliette bezichtigt wurde, gegen die Sittlichkeit verstoßen zu haben. Vgl. ebd. 174. 209 Triebhaftigkeit nicht selten politischen Charakter, der sich u. a. in gender-, queer- und bodypolitics produktiv niederschlägt.643 – Ein Politikum, das auch unser libidinöses, ökonomisches und soziales Leben – und damit das kollektive Imaginäre644 – immer schon maßgeblich bestimmt haben wird (demnach real affiziert, imaginär formatiert und ebenso gewaltsam symbolisch reguliert). Wenn die dynamisch- transformatorischen Spielräume und -formen des Sadomasochismus – wie angenommen – tatsächlich gesellschaftspolitische Relevanz und Zukunft besitzen, so müssen diese auf ihre materiellen und psycho-physischen Voraussetzungen und Grundstrukturen, auf ihr eigentliches Gesetz – insofern es dieses überhaupt gibt – hin befragt und untersucht werden, um den möglichen theoretischen Mehrwert herausstellen zu können. Im ersten Kapitel ist dieser Weg schon ein Stück weit beschritten worden: Vom Besonderen und Einzigartigen des persönlichen Begehrens hin zum Überpersönlichen, Allgemeinen von Sprache und Medien. In der Implementierung, Verbreitung und massenwirksamen Darbietung von Kino (und bereits in dessen Vorläufern) lebt das sadomasochistische Imaginäre auf und fort – und gewiss nicht nur in rein technischer Dimension. Es wird dort in Form fetischistischer Schaulust endgültig öffentlich und gesellschaftsfähig.645 Gerade weil das Kino in so enger und unbewusster Verbindung zur (polymorphen) Perversion steht, galt es meiner Meinung nach auch am Anfang – neben anderen Gründen – als „Schund und Schmutz“646, als berauschendes Unterhaltungsmedium, und es war kein einfacher Weg, bis es schließlich in den Rang der Kunst und Hochkultur erhoben 643 Vgl. Deleuze und Guattari 1980, Sigusch 2008; Degele 2008; Pfitzenmaier, Hille und Reuters (Hrsg.) 2008. 644 Vgl. zu diesem Begriff das gleichnamige Kapitel in: von Braun 2001, 255-289. Sie beschreibt hier u. a. eine „Kopula [...,] die medialen Bedingung eines Bindegliedes [...] zwischen Geschichte und Medien, [..., die] wir das ‚kollektive Imaginäre’ [nennen]. (Ebd. 255.) Deleuze und Guattari gehen sogar davon aus, dass es gar keine Individualfantasien gibt, sondern diese stets der Gruppe entspringen. (Vgl. Deleuze und Guattari 1977, 83.) – „Wenn es zwischen der individuellen und kollektiven Erfahrung auch zu unterscheiden gilt, so scheint die Psychoanalyse doch ein geeignetes Instrument zur Wechselbeziehung zwischen Individuum und Kollektiv zu sein. [...] Imaginationen können als kollektive Imaginationen ‚entschlüsselt’ und in ihrer Wirkungsmacht auf den einzelnen untersucht werden.“ von Braun 2001, 258. 645 Rudolf Harms bezeichnet den Film als „Kollektivkunst“ und dessen Wirkung als „Massengenuß“ (Harms 2009, 57); Béla Balázs redet diesbezüglich von „Volkskunst“ (Balázs 1982, 46). 646 Vgl. Jacobsen 1993, 30 und Schumacher 2000, 101. 210 werden konnte.647 Es musste sich dafür aber auch erst entwickeln und ausdifferenzieren (u. a. in Stilmitteln und Genres). Diese Konzeption bzw. dieser Weg, auf dem sich eine Metamorphose der dargelegten Begriffe – Raum, Medien und Spiel – in ihrer dispositiven Anordnung und Wirkung beobachten und beschreiben lässt, enthält und offenbart gleichsam eine Spielanweisung, die in dieser Arbeit die wichtigste ist: Regungen, Übertragungen und Objekte/Signifikanten der subversiven Mehr-Lust648 sollen (im theoretischen Zweifelsfalle) hier immer Vorrang haben, auch wenn es dabei stets zu bedenken gilt, dass es letztendlich abstrakte Medientechniken und ihre interfaces (also ihre Verschaltung mit/in realen Körpern) sind, die diese Artikulationen und Wahrnehmungen des Besonderen, wie Bewusstsein generell, überhaupt erst konstituieren – und daher in der Diskussion keinesfalls zu kurz kommen dürfen. Meiner Meinung nach (und mit Sade und Sacher-Masoch ganz speziell) ist in der normliebenden Moderne und mittlerweile digital gleichgeschalteten Spätmoderne, inklusive ihres Körper durchdringenden, virtuellen Systemraums, nur über die individuelle, lustvolle Abweichungspraxis (Selbst-)Erkenntnisfortschritt und kurzzeitige Wahrheit mach- und erfahrbar – insofern die Abweichungen, die meistens im heterotopen Raum649 anzutreffen sind, offen und ehrlich kommuniziert werden. 647 Béla Balázs wendet sich in Der sichtbare Mensch (1924) an die Gelehrten der Ästhetik und Kunstwissenschaft und bittet diese, den Film endlich als eine eigenständige Kunst anzusehen und in den Kanon aufzunehmen. Vgl. Balázs 1982, 46. 648 Vgl. zur Mehr-Lust den vorangegangenen Punkt oder auch zur möglichen Inhaltsbestimmung dieses Begriffes den „Mehr-Lust-Appendix“ am Schluss dieser Arbeit. Das weitläufige Begehren, das dieser Begriff umfasst, kommt u. a. im Deleuzeschen „Minoritärwerden“ (vgl. Günzel 1998, 107, Fußnote 256 und Hexter 2012, 38 ff.), in Deleuzes und Guattaris Hervorhebung autonomer Partialobjekte und Randstrukturen („Wir glauben nur an Randtotalitäten.“ [Deleuze und Guattari 1977, 54]) oder in Virilios „Zeit der Mikroerzählungen“ zum Ausdruck: „Geschichte gibt es nur auf der Ebene der großen Erzählungen. Ich meinerseits glaube nur an Collagen. Sie sind transhistorisch.“ Virilio 1986, 76; zitiert nach Schumacher 2000, 75. 649 Heterotopien sind bei Foucault „wirkliche Orte, wirksame Orte, die in die Einrichtung der Gesellschaft hineingezeichnet sind, sozusagen Gegenplazierungen oder Widerlager, tatsächlich realisierte Utopien, in denen die wirklichen Plätze innerhalb der Kultur gleichzeitig repräsentiert, bestritten und gewendet sind, gewissermaßen Orte außerhalb aller Orte, wiewohl sie tatsächlich geortet werden können.“ Foucault 2004 (a). In dieser Definition müsste noch ergänzt werden, dass sie auch für mediale Orte und Anwendungen gilt. 211 Diese Bedingung, dieses durchaus streitbare Postulat und Primat des Medialen, das mediale Apriori (wie es im Dispositiv lesbar wird), gilt nach wie vor, sogar – wie die folgenden Ausführungen nachvollziehbar machen sollen – mehr denn je. Extensions of an Wie lässt sich das Allgemeine aus den unzähligen, differenten Formen sadomasochistischen Begehrens (medien-)theoretisch herausdestillieren? Wie kann es auf einen plausiblen Nenner gebracht werden, ohne dabei das Besondere zu übersehen, zu übergehen, zu beschneiden oder gar zu zerstören? – Die Herstellung des Verhältnisses zwischen Besonderem und Allgemeinem ist generell eine große Schwierigkeit und Herausforderung im akademischen Spiel und gerade in der sexual- bzw. kulturwissenschaftlichen Betrachtung des Sadomasochismus und seiner Geschichte.650 Es muss also eine Theorie oder Philosophie ge- oder erfunden werden, die aus kulturhistorischer wie medienästhetischer Perspektive auf SM anwendbar ist, sich mit diesem verbinden und entwickeln lässt und bis in die Gegenwart hinein trägt. Ich schlage als Ausgangspunkt die Technikphilosophie Ernst Kapps von 1877 vor, die in den 60er Jahren des 20. Jahrhunderts in den Forschungen Marshall McLuhans wiederkehrt und seitdem als Prothesentheorie (Extensions of an) weit über das akademische Feld hinaus bekannt wurde. Diese Wahl lässt sich damit begründen, dass es bedeutsame Schnittstellen zwischen klassischem SM und Prothesentheorie gibt: So sticht auf beiden Feldern das (dys- )funktionale (Abhängigkeits- bzw. Wechselwirkungs-/ pars-pro-toto-)Verhältnis zwischen Partialobjekten und Phallus hervor, ferner geht es um eine technisch- metaphorische Lesart von Natur, Körper(teile)n und Sinnen, die sich – stärker noch als bei Sade und Sacher-Masoch – als problematisch erweisen wird, letztendlich aber auch um kulturelle Erkenntnisprozesse, subjektive Leistungen, die das individuelle und kollektive Imaginationsvermögen stärken und neue Perspektiven eröffnen. Auch 650 Diese Herstellung bzw. Rekonstruktion ist eine Notwendigkeit in der (geisteswissenschaftlichen) Forschung und Bildenden Kunst, egal ob dann high arts und/oder trash dabei heraus kommt. Vgl. zum Begriff des trash: Kulle 2012. 212 eine Suchbewegung in der unmittelbaren Umwelt ist bei ProthesentheoretikerInnen und Perversen zu beobachten. Diese Suche ist sehr bedeutsam, nicht nur in theoretischer Hinsicht.651 Trotzdem sei auch hier wie bereits in der vorangegangenen Kinobetrachtung analytische Vorsicht geboten, da viele Aspekte und Leerstellen sich nicht so ohne weiteres einfach kurzschließen bzw. integrieren lassen. Die kritisierten (Denk-)Fehler, Auslassungen und Schwachstellen in dieser Medien- bzw. Metapherntheorie sollen nicht reproduziert werden. Trotzdem soll das Eine mit dem Anderen sorgfältig gelesen werden und gleichsam eine Brücke zwischen dem letzten Kapitel und den Filmanalysen im zweiten Teil – zwischen dem späten 19. Jahrhundert und dem beginnenden 21. Jahrhundert – geschlagen werden. Um das Besondere auf beiden Feldern darzulegen, werden noch andere Quellen zur Erschließung und Bearbeitung dieses gemeinsamem Terrains herangezogen – wie etwa Schrebers Wahn 651 Um Ergebnisse aus dem ersten Kapitel noch einmal zusammenzufassen: Dem Perversen geht es in erster Linie darum, den Phallus bei der Mutter zu suchen (und sein Fehlen zu verleugnen – also stets weiterzusuchen). (Vgl. Braun 2008, 179.) Dass dabei dann das Auffinden der Absenz des Phallus („das Objekt als Absenz“) in den Blick- und Mittelpunkt gerät, betont Lacan (vgl. ders. 1987, 191 und auch 2003, 96). Beim Masochisten ist daher die Suche nach einem/dem fehlendem Dritten in seinem Fetisch-Spiel immer signifikant. Sie ist als auszuführender Programmauftrag in die Maso-performance von vornherein eingeschrieben. Für MasochistInnen heißt es: ‚Finde den abwesenden Phallus in Objekten Deiner Erinnerung/Imagination und in Deiner (technischen) Umwelt wieder, inszenierte ihn auf (D)einer ([medial erweiterten] Körper-)Oberfläche wie es Dir gefällt, verleihe ihm als Fetisch alle Macht; tue aber alles, damit dieser bloß nicht seine volle symbolische Anerkennung erhält!’ Denn die sprachliche Objektivierung – das Erkennen des hier verschleierten Geheimnisses, der signifikanten Leerstelle – würde das Fetischspiel in seiner imaginären Offenheit und damit libidinösen Funktion bedrohen, eine symbolische Kastration bedeuten (vgl. Lacan 2003, 179), die der Maso deswegen so fürchtet, weil sie dem Erhalt seiner präödipalen Gelüste entgegen steht. Kommt dieses Moment ins Spiel – es muss nur angedeutet werden –, fällt die Spannung (suspense) schlagartig ab, der imaginäre Fetisch-Zauber wäre dahin und das Spiel vorbei; vgl. das vernichtend-sadistische Ende, Severins showdown, in der Venus im Pelz: Sacher-Masoch 2003, 129 ff. Lacan redet von „Ambiguität in der Beziehung zum Fetisch [...]. Diese Ambiguität, die sich als erlebt, als unterhaltene und als solche geliebte Illusion erweist, wird zugleich in einem zerbrechlichen Gleichgewicht erlebt, das in jedem Augenblick dem Herabfallen des Vorhangs oder seiner Lüftung preisgegeben ist“. (Vgl. Lacan 2003, 183 und Böhme 2006, 402 f., 407) Daher wahrscheinlich auch Sacher-Masochs Lust an überladenen Dekors – wie „schwere Vorhänge“ und „Garderobe“ [vgl. Deleuze 1980, 189].) Deshalb ist der klassische Masochismus im Wesentlichen eine räumlich-mediale Verhüllungstaktik /-technik, ein bildgesteuertes Schleier- und Maskenspiel, das stets abzustürzen droht. Gleichwohl spielt der Masochist mit dieser Gefahr. 213 (vor allem in der VIDEODROME-Analyse) oder Deleuzes/Guattaris organloser Körper bzw. die mit diesem Konzept verbundenen Wunschmaschinen, die ihre volle Wirkung – so versuche ich zu zeigen – in den (bio-)technologisch-fantastischen Zusatzorganen eines David Cronenbergs entfalten. Es soll verdeutlicht werden, dass derartige (body-horror-)Fantasien nicht nur einem ambitionierten sci-fi-Kino entspringen, sondern längst die Wirklichkeit posthumaner Technikwissenschaft tangieren – u. a. im Bereich der sogenannten Synthetischen Biologie. Primat der Wunschmaschinen „Herauszufinden gilt es, welches die Wunschmaschinen eines jeden sind, wie sie laufen, mit welchen Synthesen, welchen Durchdrehungen, welchen grundlegenden Fehlzündungen, mit welchen Strömen, welchen Ketten, welchen Ausprägungen des Werdens in jedem Fall. Nur kann diese positive Aufgabe nicht von unumgänglichen Destruktionen geschieden werden. Destruktionen molarer Einheiten, Strukturen und Repräsentationen, die das Funktionieren der Maschine verhindern.“652 Es geht im Begehren der Wunschmaschinen um die Anerkennung des Freud- Lacanschen Unbewussten; zunächst um das Erkennen jener unbewussten Technologien und deren Steuerungsprinzipien, die in uns sind, und die es nur dann zu zerstören bzw. umzucodieren gilt, wenn sie in uns in ihrer Virulenz und Psychopathogenität im Weg stehen, wenn sie uns kaputt machen. ‚Fertig’ gemacht haben sie schon – wir fliehen in und vor ihnen (wie die bisherige Bilanz und die folgende Analyse illustrieren soll). Dies muss gemeinsam erkannt werden. Auch das ist eine wichtige Spielanweisung der vorliegenden Arbeit, die jenseits von blinder Zerstörungswut zu intensiver Reflexion und spielerischer Imagination einladen soll. Der Erhalt und die Optimierung von Mehr-Lust im Sinne der Wissensproduktion steht dabei hier im Vordergrund: eine masochistische Flucht nach vorn. 652 Deleuze und Guattari 1977, 437. 214 Ernst Kapp Bevor die Prothesentheorie /-philosophie nun vorgestellt und kritisch erläutert wird, sollen erst noch einige biografische Daten zu dessen Begründer genannt sein: Ernst Kapp wurde 1806 in Ludwigstadt im bayerischen Oberfranken geboren. Er war als Geographielehrer in Minden, Westfalen, tätig und hatte neben einer zweibändigen Umweltphilosophie Lehrbücher und Didaktiken für den Geographieunterricht verfasst. Wissenschaftlich stand Kapp, ein promovierter Historiker, dem deutschen Geographen Carl Ritter, der neben Alexander von Humboldt die moderne Geographie als wissenschaftliche Disziplin begründet hat, nahe. Aus politischen Gründen – als Liberaler hatte er sich mit der preußischen Bürokratie angelegt – emigrierte er 1849 in die USA. Zusammen mit seiner Frau Ida Kapell und ihren fünf Kinder ließ er sich in dem von ihm gegründeten Sisterdale im südwestlichen Texas nieder und schloss sich dort einer sogenannten Latin Community, die intellektuelle Deutsche gegründet hatten, an. Kapp, der seine europäische Kultur und sein altphilologisches Wissen in Texas also keineswegs vernachlässigte, bewies dort auch sein handwerkliches Geschick und arbeitete u. a. als Farmer, Zimmermann und Viehzüchter. Aufgrund der dort erworbenen Lebenspraxis schrieb er seine Grundlinien einer Philosophie der Technik (1877), das neben der Allgemeine[n] vergleichende[n] Erdkunde (1869) zu seinen wichtigsten Werken zählt. In Texas war er weiterhin politisch aktiv, so z. B. als Präsident des Freien Vereins, einer Gruppe von deutschen Intellektuellen und Freidenkern. Dieser Verein trat unter anderem für die Abschaffung der Sklaverei ein, was in der texanischen Bevölkerung damals einen Sturm der Entrüstung auslöste. Zudem entwickelte er eine spezielle Hydrotherapie, Dr. Ernest Kapp’s Water-cure, die zur Stärkung der Abwehrkräfte in einem eigens dafür eingerichteten Badehaus in Sisterdale angewendet wurde. Von 1865 an hielt er sich aus gesundheitlichen Gründen wieder in Deutschland auf und starb 1896 in Düsseldorf.653 653 Vgl. zu den biografischen Daten Kapps: Sass, Einleitung, vor allem „III. Kulturtheorie“ in: Kapp 1978, XX-XXXIII und vgl. auch Wikipedia-Eintrag zu Ernst Kapp: http://de.wikipedia.org/wiki/Ernst_Kapp. 215 Um eine Vorstellung zu bekommen, wie das Leben dieser Siedler im südwestlichen Texas im 19. Jahrhundert aussah, sei auf diesen Erlebnisbericht des Geologen und Politikers Julius Fröbel, der aus seinen Lebenserinnerungen stammt, verwiesen: „Gegen Ende des Monats Juni (1853) war ich in San Antonio, wo ich mich in einen Kreis von Deutschen versetzt sah, die mir mit Beweisen von Achtung und Freundschaft entgegenkamen. Ich ließ mich dadurch zu einem kurzen Aufenthalt bestimmen, während dessen ich eine deutsche Niederlassung am oberen Guadelupefluße besuchte. [...] Damals wohnten hier, sich dem Landbau widmend, mit ihren Familien Männer von höherer Bildung, wie Ottomar von Behr und der als Gelehrter bekannte ehemalige Professor Kapp, in deren Wohnungen ich ausgewählte Literatur, Gemälde, Pianos mit Noten klassischer Musik und andere Gegenstände eines verfeinerten Lebens vorfand. [...] Hegels Werke in Kapps Bibliothek, in welcher ich zu meiner Beschämung sogar meine ‚Soziale Polit k’ sah, nahmen sich an diesem Orte der Welt wunderlich genug aus. [...] Als ich [...] mit Kapp auf einem Spaziergange [...] mich im Freien setzte, umringte uns zutraulich eine Herde wunderbar zahmer Schweine, die ich bei meiner Ankunft, ein Töchterchen des Herrn Professors zu Pferde im Galopp hatte eintreiben sehen. So grenzten hier rohe und gebildete Lebenszustände in idyllischer Eintracht hart aneinander. Im Hofe an Kapps Haus hing ein von dessen Sohn erlegter Bär, von welchem ich, wenn ich mi recht erinnere, eine Keule habe verzehren helfen.“654 Kapps Grundlinien einer Philosophie der Technik Ernst Kapps Entwurf einer Technikphilosophie (Grundlinien einer Philosophie der Technik. Zur Entstehung der Cultur aus neuen Gesichtspunkten, Braunschweig 1877) gründet sowohl auf einem erkenntnistheoretischen als auch auf einem techniktheoretischen Aspekt:655 „[D]ie Entstehung und Vervollkommnung der aus der 654 Fröbel 1890, 477 f.; zitiert nach Sass, Einleitung, „III. Kulturtheorie“ in: Kapp 1978, XXVII f. 655 Vgl. ebd., „II. Organprojektion“ in: Kapp 1978, XIII. 216 Hand des Menschen stammenden Artefacte656 müssen als erste Bedingung seiner Entwickelung zum Selbstbewusstsein“ aufgefasst werden. Laut Kapp überträgt „der Mensch dabei unbewusst Form, Functionsbeziehung und Normalverhältnis seiner leiblichen Gliederung auf die Werke seiner Hand“ und wird sich erst im Nachhinein – dank eines Analogieschlusses – einer ästhetischen Beziehung zwischen diesen bewusst.657 Diesen Vorgang definiert er als „Organprojection“.658 Organprojektion Mittels Organprojektion, die sich in der Umwelt des Menschen vollzieht, wird es ihm ermöglicht, einen Schlüssel zum Verständnis der Welt in ihm zu finden.659 Dieses innere Wissen, das sich in Anlehnung an Hegels Herr-und-Knecht-Dialektik als Selbstbewusstsein denken lässt,660 entsteht aufgrund einer vergleichenden Beziehung zwischen der Innen- und Außenwelt des Menschen und realisiert sich, sobald er in der Lage ist, sein „Dasein von anderem Daseienden“ zu unterscheiden.661 Durch Einführung des Werkzeuggebrauchs bzw. der Technik in die Philosophie soll diese Differenz deutlich gemacht werden. Schon Hegel sah die Schnittstelle zwischen 656 Eine schöne Definition bietet Ernst Kapp zum Begriff der Artefakte: „Von den primitiven Werkzeugen erweitert sich der Begriff aufwärts bis zu den Werkzeugen der besonderen Berufsthätigkeiten, den Maschinen der Industrie, der Bewaffnung bei der Kriegsführung, den Instrumenten und Apparaten der Kunst und Wissenschaft, und umfasst mit dem Einen Wort Artefacte das ganze System der in dem Bereich der mechanischen Technik gehörendem Bedürfnisse, wo immer der Mensch ‚die Hand im Spiele hat’, mögen sie der täglichen Nothdurft dienen oder Gegenstände des Schmuckes und der Bequemlichkeit sein.“ Kapp 1978, 41 f. 657 Vgl. ebd. Sass, Einleitung, „Vorwort“, VI. 658 Vgl. ebd. „II. Die Organprojection“, 29-39. 659 Vgl. ebd. 11 (Zitat von Karl Ernst von Baer). 660 Susan Buck-Morss hat in Hegel und Haiti den Zusammenhang zwischen dem historischen Ereignis des Sklavenaufstands auf Haiti von 1791, der von „jakobinischen Freiheits- und Gleichheitsideen getragen wurde, die mit den Kolonialisten unter der Hand eingewandert waren“ (vgl. Vogt, taz-Artikel vom 13.9.2011; auch unter: http://www.taz.de/!78019/) und Hegels Herr- und Knecht-Dialektik in der Phänomenologie des Geistes von 1806 herausgestellt. Vgl. Buck-Morss 2011. 661 Vgl. Kapp 1978, 1. 217 Objekt und Subjekt im Werkzeuggebrauch.662 Der Dualismus663 bzw. die Gegensätze, die mit Hilfe einer derartigen dialektischen Bewegung herausgestellt werden, sollen sich „wieder die Hand reichen, um geeint zu neuer Wandlung, die Grundlagen zu befestigen [...], auf denen sich der Bau einer neuen höheren Weltordnung ankündigt.“ Dieses vergleichende, spannungsgeladene Prozedere und Verhältnis zwischen „Deduction und Induction, Idealismus und Realismus, Spiritualismus und Materialismus“;664 kurz: „der Process [einer] wechselseitigen Durchdringung von Hand und Hirn“,665 in dem es Kapp immer um einen Entwicklungs- bzw. Fortschrittsgedanken geht, soll Wahrheit konstituieren. „Das Selbstbewusstsein erweist sich demnach als Resultat eines Processes, in welchem das Wissen von einem Aeussern zu einem Wissen von einem Innern umschlägt. Dieses Wissen, wieder auf das Aeussere sich kehrend, und dessen Kenntnis erweiternd, giebt hinwiederum neue Aufschlüsse über das Innere und produciert in dem endlosen Herüber und Hinüber666 der Orientierung über die Welt und der Selbstorientierung überhaupt den Inhalt alles Wissens, die Naturwissenschaft.“667 662 Vgl. Arndt 2006, 314. Hans-Martin Sass weist jedoch auch auf Unterschiede hin – z. B. dass Hegel im Gegensatz zu Kapp „Natur nur als das Anderssein des Geistes verstanden“ hat und deswegen den geografischen Grundlagen, die für Kapps dualistisches Denken so wichtig sind, nicht genügend Aufmerksamkeit schenkt. Vgl. ebd. Einleitung, „IV. Werkzeuggebrauch“, XXXIII. 663 „Ohne Dualismus kommt eine wissenschaftliche Erörterung nicht zu Ende, wenn überhaupt zum Anfang, also auch gar nicht zu Stande. Dem Menschen ist nun einmal mit Einem Anlauf nicht beizukommen. Er muss discursiv, in successiver Darstellung, bald von der einen, bald von der anderen Seite gefasst werden. Das Operiren, jetzt mit geistigen, dann mit körperlichen Eigenschaften, ist die unvermeidliche Abschlagszahlung in sprachlicher Scheidemünze. Damit giebt man der Wissenschaft stillschweigend Credit, dass sie, auch ohne ausdrücklich immer wiederholte Versicherung, darauf bedacht ist, die polaren Beziehungen der Gegenseiten und ihren dialektischen Fluss vor einseitiger Erstarrung zu bewahren.“ Kapp 1978, 7-8. 664 Vgl. ebd. – Kapp spricht von „Centripetale[r] und centrifugale[r] Spannung“. 665 Ebd. 308 f. 666 Im „Hin und Her“ sieht Wolfgang Iser die „basale Spielbewegung [...,] in der sich ein manifest gewordenes Imaginäres zeigt“. (Vgl. Iser 1991, 378.) Max Picard sieht in den 1930er Jahren im „äußere[n] Hin und Her eine dynamische Fluchtbewegung, die sich „selbständig gemacht“ hat. Vgl. Picard 1980, 12; zitiert nach Filk 2010, 10. 667 Vgl. ebd., 23. 218 Ernst Kapp argumentiert hier bereits sehr psychoanalytisch – im Sinne der Kleinschen Introjektion und Projektion: „[D]as Objekt [befindet sich] ständig in einer Art Bewegung, die es aus dem Äußeren hin zum Inneren übergehen läßt, damit es alsdann aus dem Inneren ins Äußere zurückgedrängt wird, sobald es für das Innere zu sehr unerträglich geworden ist. Introjektion und Projektion werden so in einer vollkommenen Symmetrie belassen.“668 In diesem Zusammenhang scheint es Kapp plausibel, Ergebnisse der philosophierenden Physiologie669 des 19. Jahrhunderts auf außen liegende, vom Menschen erzeugte Objekte zu übertragen, um dann im Akt räumlichen Sehens beides (zu einem symmetrischen Ganzen) zu vereinen. Die These von der Organprojektion bewegt sich demzufolge zwischen physiologischem Wissen und angewandter Werkzeug- bzw. Maschinenkunde als Ausgangsbasis und den Höhen idealisierter Anthropologie (das heißt einer anthropozentrischen Idealvorstellung, die im Folgenden näher untersucht wird). So versucht Kapps Technikphilosophie nichts anderes, als in historischen Werkzeugen und den technischen Neuerungen des 19. Jahrhunderts (vornehmlich mechanische Apparate und erste elektrische Medien [bei ihm die Telegraphie]) Bezugspunkte zu finden, mit denen sich Ähnlichkeitsbeziehungen – Grundlinien – zum Bauplan und zur Funktion der menschlichen Psyche und/oder Physis herstellen lassen.670 668 Lacan 2003, 204 (seine Kritik in Bezug auf die Symmetrie: ebd. 204 ff.) und Lacan 1990, 109 ff. 669 Kapp spricht vom Ziel einer „Physiologische[n] Psychologie“, die eine „höhere Phase des Selbstbewusstseins“ einleiten soll. Vgl. ebd. 5. 670 Georg Christoph Tholen erkennt in derartigen Verbindungslinien bzw. „in der Grundannahme einer evolutiven Verbindungslinie“ zwischen Mensch und Technik einen äußerst problematischen Reduktionismus, der „in fataler Weise dazu führt, ‚daß die als ontisches Kontinuum unterstellte Linearität [...] als eine symmetrische und lineare Entwicklung vorgestellt wird, bei der sich in spiegelbildlicher Entsprechung Wesensbestimmungen und -eigenschaften von Mensch und Maschine korrelieren ließen.’“ (Bitsch 2009, 165; Zitat von Tholen 2002, 170.) Diese Fatalität, diese SM-Gewalt der Medien, soll in diesem Kapitel mit verschiedenen Beispielen analysiert und erläutert werden. 219 Unbewusstes (Er-)Finden „Die großen Erfindungen erweisen sich als Producte fortgesetzten Sichfindens nach einem anfänglich unbewussten Ziel hin. [...] Wie Finden und Erfinden sich gegenseitig fortsetzen, so versetzen und durchwirken sich das Bewusste und das Unbewusste unablässig das eine mit dem anderen. Aber vor dem Zeitpunkt der Verwirklichung der Idee bekommt die Unruhe bewussten Suchens die Oberhand.“671 Kapp scheint sich auf das Unbewusste in der physiologisch-metaphysisch geprägten Konzeption Eduard von Hartmanns zu beziehen,672 jedoch geben die genannten Textstellen kaum Aufschluss darüber. Hartmann glaubt das Unbewusste u. a. in einer Einheit aus Willen und Vorstellung zu erkennen.673 Kapp liest Hartmanns Philosophie des Unbewussten als „Princip der Orientierung über die Welt“.674 Solche substantialistischen Entwürfe stehen diametral zu dem prozessierenden, dem symbolisch uneinholbaren Unbewussten der Freudschen und Lacanschen Psychoanalyse und sind daher stets mit Vorsicht zu genießen: „Die Krankheit dieses Menschen, die empirisch-transzendentale Doublette675 heißt bei Lacan Diplopie und grassiert in der Psychologie. ‚Man dachte, indem man das Ich analysierte, finde man die Kehrseite dessen, was es hier verständlich zu machen galt. Man nahm so eine Reduktion von der Ordnung derjenigen vor, von der ich Ihnen spreche – zwei verschiedene Bilder in einem einzigen.’676 Und genau das hat man, sofern man den Kardialfehler des Denkens begeht, vor dem Lacan zu warnen nicht aufhört, sofern man Bewußtsein und Unbewußtes in einer inversen Beziehung zu denken versucht, vor sich – ein einziges Bild. Denn damit sind sie bereits erschöpft, die Kapazitäten des Bewusstseins, des Denkens überhaupt [...] – ein Ganzes zu imaginieren. [...] Es gibt also nicht zwei Bereiche der Koexistenz, seien sie Bewußtsein und Unbewußtes, Ich und Es, Cogito und Ungedachtes oder auch: Subjekt und Objekt, es gibt nur ein 671 Ebd. 134. 672 Vgl. ebd. 157 f., 187, 314. 673 Vgl. Hartmann 1969, „Ersther Theil, A. Die Erscheinung des Unbewussten in der Leiblichkeit; VII. Der indirecte Einfluss bewusster Seelenthätigkeit auf organische Functionen“. 674 Vgl. Kapp 1978, 158. 675 Vgl. Foucault 1971/1974, 367 ff. 676 Lacan 1991 (a), 60. 220 dialektisches bzw. temporales Verhältnis zwischen den genannten Oppositionen – nicht zwei antagonistische Bereiche, sondern zwei alternierende Zustände.“677 Im „Traume des Unbewussten [...], der dem Erwachen des Bewusstseins vorhergeht“,678 ist laut Kapp „die Unterscheidung von einem innerlich Wahrnehmenden von einem äußerlich Wahrgenommenen“ nicht möglich. Erst Organprojektion führt das für die (Selbst-)Erkenntnis notwendige differenzielle Moment ein. „Projicieren“ heißt für Kapp „Hinausversetzen und Verlegen eines Innerlichen in das Aeussere“,679 was die (bei ihm einseitige) Bewegungsrichtung bzw. Kommunikation dieses Vorgangs festlegt; darüber hinaus den Ort der Erkenntnis außen lokalisiert und die Frage nach der Konstitution des Selbst bzw. des Ich aufwirft: „Das Selbst hat aufgehört, der Inbegriff eines nur geistigen Verhaltens zu sein. Eine wunderliche Täuschung geht mit der Einsicht zu Ende, dass der leibliche Organismus der nächste und eigentliche Bestand des Selbst ist. Vermöchte man von all den Gebilden, welche das lebendige Gliederganze des Menschen ausmachen, abzusehen und den gesamten Stoffmenschen fortzudenken, was Anderes von dem gerühmten Selbst bliebe dann noch übrig als ein gespenstischer Geistesmensch?“680 677 Bitsch 2001, 15 f. 678 Nach Lacan ist das Erwachen aus diesem Traum ein Mythos und/oder der Tod: „Man wacht nicht auf: die Begehrungen unterhalten die Träume. Der Tod ist ein Traum unter anderen Träumen, die das Leben perpetuieren, der Traum sich im Mythischen aufzuhalten. Der Tod gehört auf die Seite des Erwachens. Das Leben ist ein ganz und gar Unmögliches, das von absolutem Erwachen träumen kann.“ Vgl. Lacan 1981/1985, 3. Vgl. auch zum „Schlaf der Vernunft“: Lacan 2008, 92 f. 679 Kapp 1978, 30. Wolfgang Iser schreibt: „Projizieren heißt, sich in etwas anderes zu versetzen, um sich dieses soweit einzugemeinden, daß man den Hiat zwischen der Defizienz der Instinkte und dem Umweltdruck auszugleichen vermag.“ Iser 1991, 353. 680 2. Diese Erkenntnis ist wertvoll, hier der Geist nicht mehr über den Körper gestellt – wie es seit Descartes im modernen Denken hauptsächlich der Fall ist. Für Descartes ist der Körper bereits tot: Eine unbeseelte „Gliedermaschine, die man auch an einem Leichnam wahrnimmt“. (Vgl. Braun und Kremer 1987, 21 ff.) Im Gegensatz dazu betont Kapp die lebendige Leiblichkeit des Selbst und möchte dieser wieder zu ihrem Recht verhelfen. Aufgrund dieser Umkehrung, die allerdings schon in La Mettries Mensch-Maschinen-Konzept vorhanden ist (vgl. von Braun 2001, 38), stellen „die Grundlinien einer Philosophie der Technik […] vielleicht das erste genuin moderne Werk der Technikphilosophie dar”. Vgl. Wikipedia-Eintrag zu Ernst Kapp: http://de.wikipedia.org/wiki/Ernst_Kapp. 221 In diesem Sinne kann „diese vom Menschen ausgehende äussere Welt mechanischer Werkthätigkeit auch nur als Fortsetzung des Organismus und Hinausverlagerung der inneren Vorstellungswelt begriffen werden.“681 Diese Verlagerung, welche in der „Selbstbeschau“ ein „Spiegel- und Nachbild“ des „Innern“ offenbart,682 löst beim Menschen einen Erkenntnisprozess aus, der ihm ein „ganze[s] und einige[s] Selbst“683 bestätigt. Damit wird ein Ich konstruiert und behauptet, „unter dessen centraler Machtvollkommenheit die wunderbare Harmonie im Spiel der organischen Gesammtthätigkeit zu Stande kommt”.684 Technik(-gebrauch) wird letzten Endes dann nur als etwas Organisch-Mechanisches, also eher als etwas der Natur Zugehöriges begriffen, das dem Menschen als „vernunftbegabtes Raumwesen“685 ermöglicht, sich seiner selbst bewusst zu werden und sein Ich als Zentrum der sinnlich-erfahrbaren Welt zu denken. Wenn sich das Selbst mittels Organprojektion entäußert und dabei die geforderte dualistische Trennung zwischen Innen und Außen nicht eindeutig auszumachen ist, so muss letztendlich das „Ich dictir[en], was ihm, je nach gegebenen Relationen, als Aussen gilt.“686 Der heiklen Frage nach der Herkunft und Struktur dieser autonom konzipierten Instanz des Ich weicht Kapp aus, indem er auf eine hypothetische, undefinierte „Uranlage“ hinweist. Diese befähige den Menschen, „die ihm gleich den Thieren verliehene Sinnesbegabung durch mechanische Unterstützung, seiner Hände Werk, productiv und receptiv bis ins Unendliche zu erweitern.“687 Mensch als Maßstab Das für Kapp im Unbewussten lokalisierte Ziel der Organprojektion lässt sich für ihn nur dann erreichen, wenn der Mensch sich dabei selbst zum Maßstab nimmt. Die 681 Kapp 1978, 26. 682 Ebd. 25 f. 683 Ebd. 2. 684 Ebd. 64. 685 Sass, Einleitung, „III. Kulturtheorie“ in: ebd, XXII. 686 Ebd. 24. 687 Ebd. 25. 222 eigene subjektive und täuschende Körperwahrnehmung688 wird zum Maß aller Dinge erhoben, weil der Mensch als „Idealthier“689 an der „Spitze der gesamten Entwicklungsreihe der organischen Bildungen auf der Erde“ stünde.690 „Das Raubthierähnliche schwand in denselbem Grade, in welchem das Geistige zu harmonisch menschlicher Bildung hervortrat.“691 Der Mensch ist daher der konkrete Mikrokosmos und „das ordnende Princip in der Natur“. Er soll sie verstehen lernen und zum Bewusstsein kommen, „dass er ihr Wesen und ihre Wahrheit ist“.692 Die den Maßstab konstituierende, räumliche Beziehung zwischen Körperlichkeit und Technik soll den Menschen mit letzterer versöhnen. Es geht Kapp mit seinem anthropogenen Technikverständnis um „die strikte Rückbindung der Technik an den Menschen zum Zwecke innerer und äußerer Kultivierung oder Kolonisation“.693 Vor diesem Hintergrund wird auch verständlich, warum sich Kapps Philosophie gegen jede ahistorische und essentialistische Erkenntnistheorie wehrt. An dieser ist mit Marx W. Wartofsky zu kritisieren, „daß ihr Simulationsmodell des Erkenntnisvorganges sich an einem entweder empiristischen oder idealisierten statischen Erkenntnisakt orientiert, der keinen Platz für die geschichtliche Entfaltung von Erkenntnisprozessen und Erkenntnissubjekten hat.“694 Der mythologisch und religiös aufgeladene Geschichtsraum muss dem geographischen Raum, also dem Raum der örtlichen Orientierung, weichen, da ersterer dem letzteren nur nachgestaltet wurde und dabei immer die Gefahr besteht, dass der von Kapp geforderte „anthropologische Maassstab“695 nicht eingehalten wird. Dass die aktive Gestaltung der Umwelt (des geographischen Raums) durch Werkzeuggebrauch absolute Priorität 688 Kapp ist sich der Selbsttäuschung im/des Ich durchaus bewusst: „Der Mensch pflegt ganz gemüthlich das, was ihn zu dem macht, was er ist, nämlich sein Selbstbewusstsein, nach unten hin mit dem Thiere, nach oben mit einem Absoluten zu theilen und geräth in der Selbsttäuschung über die Möglichkeit, aus seinem eigenen Wesen herauszutreten, sprachlich wie sachlich auf anthropopathische Irrwege.” Ebd. 160. 689 Ebd. 17. 690 Ebd. 16. 691 Ebd. 36. 692 Ebd. 21. 693 Vgl. ebd. Sass, Einleitung, „II. Organprojektion“ in: Kapp 1978, XIX. 694 Ebd. XIV. 695 Kapp 1978, 1-28. 223 in Kapps Philosophie erhält, mag wohl daran liegen, dass er selbst in 17jährigem Kolonistenleben (1849-65) im südwestlichen Texas das Land mit der Axt kultiviert hatte und er aufgrund der dort erworbenen Lebenspraxis diesen Technikbegriff entwickeln konnte („Philosophy of the Axe“)696. Die Technik fungiert also nicht nur als Abbild einer Organerweiterung und -verbesserung, sondern gilt darüber hinaus immer schon als Zeichen menschlicher, kultivierender Aktivität. Für Kapp liegt es nahe, eine Geschichte der Werkzeuge und des Werkzeuggebrauchs zu schreiben, die sich von ‚primitiven’ Steinzeitwerkzeugen bis zu sogenannten vollschlüssigen Maschinen des 19. Jahrhunderts erstreckt und die sich mittels Organprojektion und der darin enthaltenen Erkenntnisquelle den Weg zum absoluten Selbstbewusstsein ebnet. Ob diese Suche nach dem Ganzen bzw. Absoluten bei Kapp nicht selbst auf etwas Ahistorisch-Essentielles, auf einen Mythos oder eine Simulation zielt, bleibt jedoch äußerst fraglich.697 696 So sagt der „Hinterwäldler“ laut Kapp. Vgl. ebd. 253. 697 Und damit auch, ob der gesamte Vorgang der Organprojektion nicht selbst schon einer fetischistischen Bezugsgröße in der Wahrnehmung, einer fixen imaginären Entität, unterliegt. Kapp redet vom „Mittelbegriff des Bewusstseins“ (ebd. 160). Vgl. zu Kapps Prothesen-Fetischismus weiter unten im Haupttext. 224 Hand als Werkzeug – Gliederganzes als Maschine An den ältesten Werkzeugen (Hämmer und Äxte der Steinzeit) soll das Prinzip der Organprojektion am deutlichsten zum Vorschein kommen, weil sie eine direkte „Verlängerung, Verstärkung und Verschärfung leiblicher Organe“ darstellen.698 Im Mittelpunkt steht die Hand, die schon Aristoteles als „das Werkzeug der Werkzeuge“ bezeichnete.699 „Sie liefert in allen denkbaren Weisen ihrer Stellung und Bewegung die organischen Urformen, denen der Mensch seine ersten nothwendigen Geräte nachgeformt hat.“700 Kapp weist mit Nachdruck darauf hin, dass sich die innere Verwandtschaft des Werkzeuges mit dem Organ nicht in beabsichtigendem Erfinden, sondern eher in einem unbewussten Finden zeigt. Er betont die Zufälligkeit beim (Er- )Finden.701 Schon in den primitiven Werkzeugen sei eine elementare Beschaffenheit zu erkennen, die in den späteren Metamorphosen der Gegenstände wiederkehrt.702 In „Wechselwirkung [unterstützte] das Werkzeug die Entwickelung des natürlichen Organs, dieses hinwiederum auf jeder höheren Stufe entsprechender Geschicklichkeit die Vervollkommnung und Entwickelung des Werkzeugs“.703 „Unbewusstes instinctives Finden und bewusstes absichtliches Suchen und Erfinden lösen sich in zunehmenden Einander ab.“704 Im weiteren Verlauf der Untersuchung führt Kapp das menschliche Auge an, das das Vorbild aller optischen Apparate sein soll. So schlussfolgert er, dass die „Construction“ des Auges einer Camera obscura „ganz analog“ zu befinden ist.705 Sie ist das „von dem Organ aus unbewusst projicirte mechanische Nachbild des Auges [...,] mittels dessen Unterstützung die Wissenschaft nachträglich in die Vorgänge der 698 Kapp 1978, 42. 699 Allerdings hat Aristoteles auch schon die Differenz zwischen Technik und Körper betont: „Im Grenzfall versteht Aristoteles die techné als das andere der physis [...]“ Castoriadis 1983, 199. 700 Kapp 1978, 40 ff. 701 Vgl. ebd. 45, 49, 148. 702 Vgl. ebd. 152. 703 Vgl. ebd. 52. 704 Ebd. 123. 705 Ebd. 80. 225 Gesichtswahrnehmung habe eindringen können.“706 Ein weiterer, schlagender Beleg für seine Organprojektionsthese scheint die Übereinstimmung „zwischen architektonischer Anordnung bestimmter Knochen und den theoretischen Linien der graphischen Statik“ zu sein.707 Kapp schreckt auch nicht davor zurück, „Verkehrsadern“ zum „Blutgefässnetz[]“,708 elektrische Telegraphen zum Nervensystem der Menschheit,709 und schließlich Sprache und Staat zu den höchsten ‚organischen’ Artefakten, zu „Totalprojection[en]“ zu erklären.710 Schon Soemmering und Helmholtz sahen die Analogie zwischen Telegraphendrähten und Nerven.711 Bernhard Siegert stellt dazu fest: „1850 wurde der Mensch selber von dieser Intervallierung des Instantanen oder der Geschwindigkeit der Elektrizität angegangen. Man musste nur die Konsequenzen ziehen aus der langen Tradition des Gemeinplatzes, daß elektrische Telegraphendrähte ‚ein grob sinnliches Analogon eines Nervenstrangs’ [...] sind.“712 Kapp geht jedoch noch weiter und behauptet – was schon sehr fantastisch bzw. sci-fi-mäßig anmutet –, „dass eine Erfindung wie der elektrische Telegraph deshalb so sehr den Eindruck des Wunderbaren [macht], weil die auf den Draht übertragene Bewegungskraft dieselbe ist, welche wir auch mit der Innervation, also auch mit unserem Willen und mit unserem Empfindungen, in Verbindung wissen. Sie dient in gleicher Weise dem Gedanken wie der Depeschenform des Gedankens.“713 In dem Spielfilm SCANNERS – IHRE GEDANKEN KÖNNEN TÖTEN (1981) nimmt David Cronenberg dieses Kappsche Postulat, die telegrafische Depeschenform des Gedankens, wörtlich: In einer raffinierten action-Szene dringt der telepathisch-telekinetisch begabte bzw. gestrafte Held Cameron Vale mit seinen Scanner-Fähigkeiten über einen öffentlichen Fernsprecher in ein despotisches Computerprogramm ein, um dieses zu zerstören – 706 Ebd. 81. 707 Ebd. 109. 708 Ebd. 135. 709 Vgl. ebd. 141. 710 Vgl. ebd. 308 f. 711 Vgl. Bitsch 2009, 285 f. 712 Siegert 2003, 363; zitiert nach Bitsch 2009, 286. 713 Kapp 1978, 146. 226 mit Erfolg. Man sieht, wie Vales Gedankenübertragung in der Leitung heiß läuft und das Pogramm schließlich explodieren lässt. „Die Natur ist zwar die erste Bedingung der Existenz aller Organismen; aber im Vergleich mit der vom menschlichen Kunsttrieb erschaffenen Aussenwelt714 nicht auch die erste Instanz menschlicher Vervollkommnung.“715 – „So entspricht die organische Entwicklungstheorie einer mechanischen Vervollkommnungspraxis.“716 Hans-Martin Sass betont in diesem Zusammenhang, dass Kapp „der Darwinschen biogenetischen Entwicklungstheorie eine technogenetische Kulturtheorie an die Seite“ stellt.717 Bei der Maschine ist dann nicht nur mehr die Hand das unbewusste Vorbild, sondern das einheitliche Gliederganze des leiblichen Organismus, zu dem die Teile der Maschine in übereinstimmende Zweckmäßigkeit gebracht werden (müssen).718 Auf diese Weise soll eine „planvolle Beschränkung“, der „Ausschluss jeder Unbestimmtheit“719 und eine „disziplinäre Vollschlüssigkeit“720 erreicht werden. Doch gerade vor diesem teleologisch motivierten, zweckorientierten Hintergrund, „die Dominanz des Humanen über das Machinale“,721 besteht für Kapp die Schwierigkeit, in der Maschinentechnik, die für das 19. Jahrhundert schon eine (vorläufige) 714 Kapp bezeichnet die selbstproduzierte Dingwelt als eine „zweite Aussenwelt“, die „der natürlichen“ gegenübersteht. Vgl. ebd. 151. 715 Vgl. ebd. 124. In den physikalischen Vorlesungen von Aristoteles heißt das: „Überhaupt sucht unsere Kunst [techné] teils zu bewirken, was die Natur [physis] nicht zustande bringen kann, teils ahmt sie die Natur nach.“ Oder: „Die Kunst vollendet nur [épitélei], was die Natur nicht zu Ende bringen kann [apergazesthai].“ Zitiert nach Castoriades, 1983, 198. 716 Kapp 1978, 133. 717 Ebd. Sass, Einleitung, „II. Organprojektion“, XV. 718 Ebd. 58. Wie bereits der Organismus als ein funktionierendes Ganzes (bestehend aus Einzelteilen bzw. Elementen) im 18. und 19. Jahrhundert gedacht wurde, beweist Stephan Günzel mit Lexion- Einträgen aus diesen Zeitaltern. Vgl. Günzel 1998, „2.3.1. Der Organismus im historischen Verständnis“, 23 ff. 719 342. 720 Ebd. Einleitung, „II. Organprojektion“, XX und ebd. 339. Kapp vergleicht den Vollschluss (in der Reulauxschen Maschinen-Theorie/Kinematik, die hier aus Platzgründen nicht mehr erläutert werden kann), mit der „Disciplin des Heeres als Vollschluss von Befehl und Gehorsam“. (Vgl. ebd. 339.) Man könnte hier auch die Geschlossenheit des Schaltkreises in Betracht ziehen – dann, wenn Strom fließt. 721 Ebd. Sass, Einleitung, „II. Organprojektion“, XVIII. 227 Vollkommenheit darstellt, das unverrückbar Organisch-Gesetzmäßige aufzufinden.722 Dieses Problem sticht zum Beispiel in Bezug auf die Dampfmaschine oder Lokomotive deutlich hervor, die ja in ihrer Arbeitsleistung nicht nur menschliche oder tierische Muskelkraft bei weitem übersteigen, sondern in ihrer Materialität und ihrer Funktion keine Vorbilder mehr in der Natur haben.723 Zäsur und Bruch Wo auf dem Niveau einfacher Werkzeuge die Organprojektion noch relativ plausibel erscheint, ist dies mit komplexen Maschinen oder eben den ersten analogen Medien zu Kapps Lebzeiten nicht mehr möglich. Hier entsteht eine medienhistorische Zäsur bzw. ein folgenreicher Bruch, der die Übermacht des Technischen sowohl in Bezug auf Muskelkraft (des Tieres) und Wahrnehmungsvermögen (des Subjekts) auf den Plan ruft.724 Dabei macht sich auch ein Unbewusstes bemerkbar, das sich nicht mehr in Form eines ganzen und einheitlichen Ich domestizieren lässt, sondern auf der Ebene abgetrennter Sinnes- und Körperfunktionen – u. a. in der Erscheinung von medialen Partialobjekten bzw. epistemologischen Löchern – operiert. Diese Partialobjekte werden bei Kapp nicht in ihrer realen Wirkungsmacht, das heißt subversiven bzw. pathogenen Sprengkraft725 – ihrem Fehlgehen726 – thematisiert, sondern im phallischen 722 Kapp 1978, 105 und 193. 723 Dass sich Technik und Körper nicht erst auf dem Niveau technischer Artefakte des 19. Jahrhunderts nicht mehr vergleichen lassen, macht Sandrina Khaled klar. In ihrem Seminar „Was ist eine Maschine?“ im Wintersemester 1999/00 am Seminar für Ästhetik der HU zu Berlin weist sie in Bezug auf Kapps Prothesentheorie darauf hin, dass es im menschlichen Körper nichts gibt, das einem mechanischen Rad gleicht. (Auch ringförmige Moleküle – wie Plasmide – sind mit der Funktion eines einfachen Rades nicht vergleichbar). Vgl. dazu auch Lacan 1999, 418. 724 Seitdem „Maschinen die Funktionen des Zentralnervensystems [erobern] und nicht mehr bloß, wie alle Maschinen zuvor, der Muskulatur“ – also seitdem die analoge „Medienrevolution von 1880 [...] Gutenbergs Speichermonopol sprengte“ und „den sogenannten Mensch[en] in Nachrichtentechnik und Physiologie“ zerfallen ließ –, ist die ‚mediale Fleischwerdung’ – um im Metaphernjargon der Prothesentheorie zu bleiben – technische Realität und eben längst keine imaginäre Funktion des „heiligen Geist[s]“ mehr. Vgl. Kittler 1986, 29 f. und 2002, 23. 725 „Melanie Klein ist die hervorragende Entdeckung der Partialobjekte, dieser Welt der Explosionen, Rotationen und Vibrationen zu verdanken.“ Deleuze und Guattari 1977, 56. 228 Idealbild der Organprojektion installiert, synthetisiert, überblendet und damit oberflächlich entschärft bzw. gleichsam „sublimirt“.727 Obwohl Kapps Philosophie längst auf dem Niveau dieser verführerisch-bedrohlichen, stets dazwischenfunkenden Objekte abläuft, übersieht bzw. verkennt er deren Dysfunktionalität und (Soll- )Bruchstellen, eben deren Sprengkraft und Fehlgehen in Relation zum (phallischen) Symbolischen. Anstatt also gerade die signifikanten – qualitativen und (dys- )funktionalen – Unterschiede zwischen Organischem und Technischem, Realem und Symbolischem hier deutlich herauszustellen, werden sie in der Organprojektion linear bzw. symmetrisch gemacht: eingeebnet, metaphorisch integriert und letztendlich zum Zweck der Kultivierung in diesem Bild symbolisch überhöht. Hier macht sich zudem das im vorangegangenen Kapitel untersuchte ‚masochistische’ Festhalten bemerkbar, die Arretierung eines Bewegungsflusses bzw. -bildes (u. a. als Momentaufnahme/ fotografische Fixierung/ filmisches Standbild/ [Organ-]Projektion/ freeze frame), in dem laut Kapp „Subject und Object [...] als Selbstbewusstsein Eins“728 sind bzw. sein (und bleiben) sollen.729 Dieses Nicht-Lassen-Können oder -Wollen bzw. krampfhafte Aufrechterhalten der virtuellen Einheit730 von Subjekt und Objekt ist bei genauerer Betrachtung schon ein ziemlich gewaltsamer Akt, wenn auch nur ein geistiger mit hohem ethischen Anspruch.731 Kapp scheint nicht so ganz realisiert zu haben, wie sich „der universelle symbolische Prozess von seinen körperlichen Wurzeln“ (spätestens zu seinen Lebzeiten im technisch aufgerüsteten bzw. labortechnischen 19. Jahrhundert) abgetrennt hat und 726 [D]as Fehlgehen, das ist das Objekt. [...] Das Objekt, das ist ein Verfehltes. Das Wesen des Objekts, das ist das Fehlgehen.“ Lacan 1991 (b), 64. 727 Vgl. Kapp 1978, 64. Sublimations- bzw. (mit Freud gesagt) Abwehrmaßnahmen des Ich hat Kapp demnach bereits beschrieben, jedoch nicht (wie Freud) in ihrem pathologischen bzw. dysfunktionalen Ausmaß erkannt. 728 Ebd. 23. 729 Diese Fixierung als „Eins“ fällt bei Kapp mit einem organprojizierenden Selbstbewusstsein, dem unbewussten Vorbild der Hand, zusammen und nicht mit dem (Freudschen und mehr noch Lacanschen) Unbewussten der (Apparate-)Technik, letztendlich dem Reellen, das sich als solches eben nicht (wie Kapp es versucht) repräsentieren lässt. 730 Vgl. Lacan 1991 (a), 67 f. 731 Deleuze bemerkt in seiner Sacher-Masoch-Studie, dass „die rationale Darlegung [bei Sade bzw. beim Libertin] selbst eine Gewaltsamkeit ist“. Deleuze 1980, 174. 229 damit die wesentliche und wahrnehmbare Funktion des (kastrativen) Phallus im Realen, die dessen Dominanz bzw. Vormachtstellung in der Moderne begründet, wiedergibt.732 Auch wenn der Begriff des Symbolischen zu Kapps Lebzeiten noch nicht im Sinne der Psychoanalyse entwickelt war, darf dieser hier angewandt werden, da Kapps Blick stets auf kulturelle – symbolische – Harmonie ausgerichtet ist und er auch Sprachprozesse analysiert. Dabei geht es ihm um deren vereinheitlichende Funktion(en),733 etwas „relativ Fertiges“ bzw. Vorhandenes;734 nicht aber um die (ab- )trennende und (mit-)teilende Funktion des Signifikanten: Dissoziative Gewalt in der Sprache und im Sprechen, die sich gerade im bzw. gegenüber dem Körper bzw. Organismus spürbar artikuliert. Allerdings gibt es einen Hinweis, der auf das sprachliche Fehlgehen hindeutet und den Kapp in Czermaks physiologischen Vorträgen entdeckt: „Was zwischen Mund und Ohr – zwar unsichtbar, aber eben nicht unerkennbar – den Raum erfüllt – das ist eine sinnlose rein mechanische Schallwellenbrandung!“735 Kapp läuft Gefahr, dass er – wie es schon im klassischen Masochismus der Fall ist – Differenzen, wie sie u. a. Subjekt und Objekt, Wirklichkeit und Wahrnehmung/Präsentation umfassen, in ihrer konstruierten Einheit nicht mehr (auseinander) halten kann. Um sein virtuelles Spiel der Organprojektion aufrechterhalten zu können, muss er einen wichtigen Unterschied dafür als Voraussetzung immer wieder herstellen und fixieren: denjenigen zwischen Mensch und Maschine. Er betont, dass eine Maschine niemals ein Organismus sein kann: „Durch verdeutlichende Anwendung der Gesetze der Mechanik werden Organismen sicher eben so wenig zu Maschinen, wie diese durch die Uebertragung organischer Bewegungsvorgänge zu Organismen werden.”736 Aus dieser Perspektive erscheint es jedoch umso erstaunlicher bzw. paradoxaler, wenn er den Menschen dann schließlich doch als „das ideal machinale System” bezeichnet.737 Er kommt hier bereits theoretisch ins Schleudern. Was ist jetzt was genau? 732 Vgl. !i"ek 2005, 119. 733 Vgl. Kapp 1978, 278 ff. 734 Vgl. ebd, 281. 735 Ebd. 283. 736 Ebd. 64. 737 Ebd. 188. 230 Mediales environment im 19. Jahrhundert Es gibt nun genügend Beispiele, die zeigen, dass sich die mediale Wirklichkeit des 19. Jahrhunderts nicht mehr in derartigen Idealbildern spiegeln bzw. (re-)konstruieren lässt und sich Kapps dem Analogieschluss bzw. der Vollschlüssigkeit verpflichtetes Maschinendenken daher auf ziemlich dünnem Eis bewegt. (Er sieht selbst die „Gefahr“ in seiner Philosophie und redet vom möglichen „Versinken“ am Anfang seiner Ausführungen.738 Er weiß genau, wie schnell man auf „sprachlich wie sachlich anthropopathische Irrwege“ geraten kann.739) Zu nennen wären hier u. a. – sehr verkürzt gesagt – die Bilder des strauchelnden und zerstückelten Körpers in der Ästhetik Kleists,740 deren horror und Gewalt sich in den ersten elektrophysiologischen Selbstversuchen von Galvani, Ritter und Volta (um 1800) bereits bestätigt haben,741 über die experimentelle Erhebung von Sinnesdaten, 738 Ebd. 9. 739 Ebd. 160. 740 Vgl. Neumann 1994 und Greiner 2000; insbesondere der Kleistsche Begriff der Grazie im Aufsatz Über das Marionettentheater (1810): „Statt als geglückte Übereinstimmung von Körper und Geist scheint die Grazie, indem sie der Marionette zu- und dem menschlichen Schauspieler dezidiert abgesprochen wird, einseitig mechanisch aufgefasst und auf den Pol ‚Körper’ reduziert zu werden [...].“ (Ebd. 202 und vgl. auch die für Kapps idealisierte Mensch-Maschinen-Kopplung [vgl. Kapp 1978, 187]) wichtige Beobachtung Kleists/Greiners, „dass ein Zusammenwirken von Maschinist und [mechanischen] Gliedermann [...] die Grazie der Marionette ausmacht.“ – Wo Kleist die Künstlichkeit fremdgesteuerter Bewegung in der Grazie – sowie das Fehlen von jeglichem Geist in dieser – klar erkennt, (vgl. Greiner 2000, 202) möchte Kapp dieser Bewegung gerade ihr fehlendes Selbstbewusstsein, dessen organische Konstitution bzw. Grundlage er stets betont, zurückerstatten.) Ferner weist Greiner auf das „der Grazie inhärente Moment der Gewalt“ hin, das der „Essay durch ein Oszillieren zwischen unverträglichen Bildern [‚Paradies’, ‚Grazie’, ‚Anmut’, Beseelung’ (gegenüber) ‚Maschinist’, ‚Gliedermann’, ‚mechanische Kurbel’] [vergegenwärtigt]“. (Vgl. ebd. 205.) Kapp hat diese Unverträglichkeit, obwohl sie u. a. seit Sade, Kleist oder Sacher-Masoch in ihrer gewaltsamen Erscheinung längst bekannt ist, kaum in Betracht gezogen bzw. weiter theoretisch verfolgt. 741 „Der schon 1780 gemachten Entdeckung Galvani’s, dass die Berührung von zwei ungleichartigen Metallen einen elektrischen Strom erzeugt, der hierauf von Volta 1800 hergestellte Apparat, welcher den elektrischen Strom Stand zu halten zwang, die von Oerstedt 1819 beobachtete Ablenkung der Magnetnadel durch den galvanischen Strom und der unmittelbar nachher von Schweigger erfundene Multiplicator, die Entdeckung der elektrischen Inductionsströme durch Faraday 1832 und endlich der erste 1837 durch Steinheil wirksam hergestellte telegraphische Apparat – allen diesen unablässig nach 231 die unter der Wahrnehmungsschwelle anzusiedeln sind, wie die „galvanometrische Messbarkeit von Nervenlaufzeiten in motorischen Fasern“742 eines Helmholtz’ oder Du-Bois Reymonds; oder wie Wundts oder Fechners experimentelle Psychophysik (um 1860);743 bis zu den ersten analogen Medien, wie Telegraph, Grammophon, Film oder Röntgenstrahlen. In diesen wird das gewaltige Reale, das, was als Natur (v)erkannt wird (und in diesem Sinne auch das Organische) medial durchdrungen, übertragen und gespeichert, Sinnesfunktionen im Außen täuschend echt nacherfunden744 und perfektioniert. „Apparate, Nerven und ihre physiologischen Schnittstellen werden verbunden zu Medien. Das Individuum muss Wahrnehmungsverhältnisse eingehen, die durch kein Bewusstsein mehr zu kontrollieren sind.“745 Diese Implementierung geht demnach nicht so planmäßig und kultiviert von statten, wie Ernst Kapp sich das vorstellt und wünscht, sondern zeitigt laut Friedrich Kittler „psychopathologische“,746 dass heißt bewusstseinsunterlaufende, u. a. hysterische, psychotische Effekte. Die Lesbarkeit von Körpern und Medien wird dadurch erschwert, wenn nicht sogar vereitelt. Kapp erkennt dieses Manko bei Faraday, indem er John Tyndall zitiert: „Die meisten derselben [Faradays Entdeckungen] kamen vollkommen überraschend, wie durch einen unbegreiflichen Instinct gefunden, zu Tage, und Faraday selbst wusste die Gedankenverbindungen, die ihn dazu geleitet hatten, auch später kaum in klaren Worten wiederzugeben.“747 Woran liegt das? Die entscheidende Antwort gibt Wolfgang Hagen: dem selben Ziel [welches für Kapp stets die Organprojektion ist (Anmerkung S.P.)] hindrängenden Kundgebungen der Wissenschaft entspricht eine gleiche Stufenfolge von mechanischen Apparaten.“ Kapp 1978, 146 f. 742 Bitsch 2009, 196. 743 Vgl. Pfitzenmaier 2004, 9 und Pühler 2006, 123. 744Vgl. zum „Nacherfinden“: Kapp 1978, 148. 745 Holl 2002, 176, zitiert nach Bitsch, 2009, 186. 746 Vgl. Kittler 1986, 217. 747 Tyndall 1870, VI; zitiert nach Kapp 1978, 149. 232 „Ab 1840 gibt es reelle Apparaturen des Medialen, die einfach nur funktionieren, z. B. Telegrafen und Kameras. Symbolische Beschreibungen innerhalb einer zureichend formalisierten Wissenschaft existieren nicht. Die Technologien enthalten ein reelles Wissen, das (noch) niemand weiß. Diese Differenz zwischen den Wissensarten ist eine historische, oder anders gesagt, das Historische an technisch-elektrischen Medien liegt eben in der Differenz der Wissensarten. Sie ist gebunden an Diskurse, also vorläufige Aussagen, und sie produziert im Symbolischen überschüssige Imagination, waghalsige Deutungen und große Verwirrungen.“748 Die Suche nach dem ganzen Selbst in der technischen Objektwelt – nach dessen plausibler Herleitung und Erklärung – erweist sich aufgrund dieses Nichtwissens als ein äußerst schwieriges und waghalsiges Unterfangen, das allerdings zu diesem Zeitpunkt auch notwendig wird und deswegen ernst zu nehmen ist. Darin begründet sich Kapps starker Wille, den Menschen mit der Technik zu versöhnen. Er nennt selbst den wahrscheinlich wichtigsten Motivationsgrund dafür, kann er doch sein welt- und technikphilosophisches Programm als „die wiederholte Sicherstellung des Begriffs vom Organismus gegen mechanische Überfluthung“,749 also gegen den ‚Angriff’ technischer Apparate auf Körper und Geist des Individuums, ausweisen. Diese Sicherstellung ist – wie er noch im gleichen Satz betont – für ihn wiederum nur mit technischem know-how machbar, indem „der Mensch sich sein leibliches Selbst zunächst nur unter erklärender Anwendung der von ihm selbst gefunden mechanischen Vorrichtungen und Gesetze vorstellig“ macht. Kapp reagiert auf die mediale Überflutung (inklusive dem damit verbundenen Verunsicherungs- und 748 Hagen 2005, 3; zitiert nach Bitsch 2009, 182. 749 Vgl. Kapp 1978, 152. Kapp konstatiert die „Feindseligkeit [der Maschine] gegen das Menschenwohl“ vor allem in der Arbeiterbewegung. Er hält diese Feindseligkeit jedoch für „scheinbar“ und die Arbeiterbewegung für ein vorübergehendes Phänomen bzw. für ein „wieder verschwindendes Fortschrittsmittel“. (Vgl. ebd. 200, 356.) Zudem sei es „[d]ie Aufgabe des Staates [...], der mechanischen Störungen sich zu erwehren und die organische Gesammtthätigkeit im ungehemmten Fluss zu erhalten. Der Mechanismus zehrt am Organismus, wie die Krankheit an der Gesundheit; mechanische Verkümmerung und organische Stärkung stehen in umgekehrtem Verhältniss.“ (Kapp 1978, 328 und 339.) Dieser Vergleich, dieses Verhältnis ist nur dann aufrechtzuerhalten, wenn die hier verwendeten Metaphern, ‚krankmachende Technik’ und „organische Stärkung“, begrifflich-analytisch erweitert und konkretisiert werden – z. B. mit dem Vokabular der Freud-Lacanschen Psychonanalyse. Vgl. dazu weiter unten im Haupttext. 233 Entfremdungspotential) mit seinen durchaus fantasievollen, Ich-stärkenden Organ- Metaphern, die selbst einem technischen bzw. phallische Apriori entspringen und gehorchen, das er jedoch nicht vollständig erfasst.750 Demnach scheint es weniger der Mensch – der Körper und sein Organismus – zu sein, die den ästhetischen Maßstab, Bezugsrahmen und die Schnittstelle für die Lesbarkeit des maschinellen Unbewussten vorgeben, sondern vielmehr die in ihrer Homogenität täuschende bzw. ein-bildende Optik imaginärer Körperbilder (und deren immanente Dynamik). „Das Wissen des ein kommt offenbar nicht vom Körper. Das Wissen des ein, so wenig wir darüber sagen können, kommt vom Signifikanten Ein.“751 Das aus diesen Ich-Wahrnehmungen konstruierte virtuelle Bild, gleichsam ein vereinheitlichter und fixierter Referenzrahmen,752 erweist sich nicht nur als probates Hilfs- bzw. Orientierungsmittel, um einen „momentane[n] Mangel[]“,753 sei es ein Unbehagen oder ein störender Widerstand (z. B. in der Wahrnehmung, im Denken) über- bzw. auszublenden, sondern auch als Voraussetzung für das Projektionsvermögen des Ich überhaupt. Der eigentliche Strukturmechanismus dieser Optik – vor allem dessen massive Ich-Blendung – bleibt bei Kapp unhinterfragt (wie 750 Obwohl Kapp bestrebt ist, „über die unmittelbare, oberflächliche Wahrnehmung der Dinge hinauszugelangen“ (vgl. ebd. 25), gelingt ihm dies nicht, da er eben nur die Oberflächen der Artefakte und Körper(-glieder) ausmisst bzw. auf diese projiziert. Auch bei der Betrachtung innerer Organ(teil)e und deren Funktion bleibt dieser von außen determinierte Projektionsvorgang wirksam. So vergleicht er „das Corti’sche Organ“, ein mikroskopisches Gebilde in der Ohrschnecke, welches „aus etlichen tausend Fasern oder Stäbchen von ungleicher Länge und Spannung besteht“, mit den Saiten eines Klaviers oder eine Harfe. Vgl. ebd. 86 f. 751 Lacan 1991 (b), 155. 752 Vgl. zum „Referenzrahmen“ das Tholen-Zitat unter dem nachfolgenden Punkt „Kreisbahnen“. Kapp redet von „Musterformen“, die „dem Gestaltungsbedürfnisse“ des Menschen „von innen heraus zu[- fliessen]“ (vgl. ebd. 48). Mit Lacan könnte man diese als „eine bestimmte Anzahl präfigurierter Rahmen“ bezeichnen, die „die Gesamtheit der Realität [...] organisieren“. (Vgl. Lacan 1990, 162.) Diese Musterformen oder frames des Imaginären haben zwar auch eine physiologische Ursache (vgl. Kittler 1993, 70), ihr Zustandekommen ist aber auf jeden Fall medial bedingt, das heißt von außen symbolisch vermittelt und gesteuert. Auch Kapp erkennt, dass die „Dinge das Material für [das] Vorstellungsvermögen [des Menschen] sind.“ (Vgl. Kapp 1978, 48.) Sade sieht dies ebenfalls so: „Alle unsere Vorstellungen sind Abbildungen von Gegenständen, die uns umgeben.“ Sade 1984, 20. 753 151. 234 gesagt: nicht unbemerkt) und deswegen leider im Dunkeln.754 In diesem Sinne ist das, was er in seiner Technik-Philosophie herausstellt, weniger einer Geschichte des erkennenden Selbstbewusstseins als einer des medialen Scheins zuzuordnen. Man könnte den (drängenden) Phallus in Kapps Theorie aus heutiger Perspektive einem Imperativ unterstellen, der auch als Spielanweisung lesbar wird (und zudem die Wahrnehmung von Analogmedien umfasst): ‚Erkenne Dich selbst im sinnesverwirrenden Chaos moderner Medientechniken, aber auf jeden Fall so, dass die imaginäre Einheit Deines Selbst dabei nicht zu Schaden kommt, sondern gestärkt wird! Gehe bei dieser Operation stets von Dir – also von Deinem Körper(bild) und Deiner praktischen Werkzeug-/ Medienerfahrung – aus und bestehe nachdrücklich auf dieser individuelle Erfahrung, egal was dabei auch passiert!’ Abwehrstrategie In toto lässt sich Kapps These von der Organprojektion als eine unbewusste Abwehrstrategie755 deuten und zusammenfassen, in der bereits Elemente einer Theorie 754 Dieses Manko darf ihm aber auch nicht zu sehr vorgeworfen werden, denn die dafür notwendige (wie u. a. psychoanalytische [Medien-]) Theorie existierte zu diesem Zeitpunkt noch nicht. 755 Gleichsam handelt es sich hier um eine masochistische Strategie, in der das, was es abzuwehren gilt, nämlich die sich abzeichnende Vorherrschaft des Maschinellen über den Menschen und seine Körperlichkeit, fetischistisch gebannt, das heißt in ein Ich-stärkendes, Rettung versprechendes Idealbild mit Hilfe der Organprojektion transformiert wird. (Vgl. zu masochistischer Re-, Um- und Übercodierung den Punkt „Installation des Venus-im-Pelz-Dispositivs“ im vorangegangenen Kapitel.) Kapp spürt und weiß bereits im 19. Jahrhundert, dass die Technik den menschlichen Körper, vor allem dessen Arbeitskraft, verdrängt und ersetzt, dass die einheitliche Wahrnehmung des Körperbildes/Ich auf dem Spiel steht und damit auch die vermeintliche Autonomie und Transparenz des denkenden Geistes. Nicht umsonst muss Kapp einen „physiologischen Rettungsapparat“ (vgl. Kapp 1978, 9) konstruieren und mobilisieren, um dieser prekären Lage wieder Herr zu werden, um seinen anthropozentrischen Standpunkt sichern zu können. Kapps nicht unbegründete (im Text jedoch nicht direkt benannte) Angst vor maschineller Überfremdung zeigt sich in seinem Dampfmaschinen-Kapitel (VII.) im Punkt „Die degradirende mechanistische Weltanschauung von der Maschinenwerdung des Menschen und der Menschwerdung der Maschine“. Ebd. 126 und vgl. 132. 235 der Ich-Funktion756 durchschimmern. In dieser Strategie stellt die Hand das privilegierte Körperteil bzw. konkrete Organwerkzeug dar, das die dialektischen Erkenntnisoperationen steuern und sicherstellen soll. Letztendlich möchte Kapp der Bedrohlichkeit des Maschinellen (auf der Ebene technisch strukturierter Partialobjekte) entschlossen und nachhaltig entgegen wirken. „In diesem narzisstisch strukturierten Mensch-Maschine-Verhältnis [der anthropozentrischen Prothesentheorie (Anmerkung S. P.)] manifestieren sich [...] nur apotropaische Versuche, Abwehrmaßnahmen, mittels derer ‚der Mensch seine Angst vor der rätselhaften Unbestimmtheit und Zweckoffenheit des Technischen [kaschiert]’.“757 Den Grund dieser Kaschierung bzw. Abwehrmaßnahmen sieht Stefan Rieger nicht nur in der medialen Bedrohung, sondern auch in deren bereits wirksamen Konsequenz, in der Verkürzung des menschlichen Seins: „Seit Medien dem Menschen seine Natur abspenstig machen, überlebt er selbst nur als bedrohte Reduktionsform. Als Phantom kann er auf eine ganze Reihe von Verlusterfahrungen verweisen, die ihrerseits erst in der Bedrohung durch die Medien zu ihrer Formulierung fanden.“758 Dabei deutet sich – so könnte man es aus heutiger medientheoretischer Sicht sehen – das schwierige und nie nur dualistisch-dialektisch zu verstehende bzw. gar zu lösende, komplizierte Verhältnis zwischen dem physischen Realen und dem physikalischen 756 Vgl. Lacan 1991 (a), 71, Lacan 1990, 163 f., Lacan 2008, 94 und Bitsch 2001, 16. Kapp redet von „der Unbestimmtheit des functionierenden Ich“ (vgl. Kapp 1978, 282) und von der „Projection des Functionsbildes“ (ebd. 137). Dieses Bild lässt das „Unbewusste[] […] in der Leiblichkeit wie im Geist zur Erscheinung komme[n]” (vgl. ebd. 163). In diesem Sinne erweist sich das Ich bzw. das Imaginäre (von dessen heutiger theoretischer Bestimmung her) bereits bei Kapp als mechanische Funktion des Optisch-Unbewussten, wenn nicht sogar schon als ein kinematografischer Projektionsapparat. Vgl. zur Analogie Kino – Imaginäres: Kittler 1993, 70. 757 Bitsch 2009, 165; Zitat von Tholen 2002, 191. 758 Rieger 2008, 256. 236 Reellen, das Ernst Kapp meiner Meinung nach im virtuellen Bild der Organprojektion philosophisch zu vereinheitlichen bzw. harmonisieren versucht,759 an. Dass sich das Reale bzw. Reelle, wie es Lacan und Kittler psychoanalytisch bzw. medientheoretisch formalisieren, bei Kapp bereits abzeichnet, zeigt sich darin, dass er von „kosmischen Kräften“ oder vom „Rest kosmischer Freiheit“, der „den machinalen Systemen beigemengt ist“, spricht. Er erkennt ein „Uebergangsgebiet [...], welches aus dem ideal machinalen System in das kosmische überleitet“.760 Diese Idee, dass kosmische Kräfte, die durchaus mit dem physikalischen Reellen technischer Medien, wie auch mit dem physischem Realen („Letztendlich reicht der Körper bis an die Sterne.“)761 verglichen werden können, in unbekannte Welten und Weiten überleiten, ist im postmodernen horror-Film sehr verbreitet. Vgl. zu dem wunderbaren, verführerischen oder auch bösen Spuk, den z. B. ein Fernsehgerät ausstrahlen kann: Tobe Hoopers POLTERGEIST (1982) oder David Cronenbergs VIDEODROME (1983).762 In POLTERGEIST kommt sogar das bläulich strahlende Skelett einer Geisterhand – nach Sendeschluss – aus dem Fernseher. Diese unheimliche Erscheinung könnte sozusagen als Negativbild zu Kapps idealisierter, werkzeug- und kulturstiftender Hand gelten.763 Auch Kapp erkennt sehr wohl das Eigenleben der Apparate, „den Anschein selbstthätiger Bewegung“ in Dampfmaschinen- und Telegraphenfunktionen, und bezeichnet dieses als etwas „Dämonische[s]“. – „Und was anderes kann dies sein als der Widerschein eines Geisthaften, wie es sich offenbart in Beziehungen, welche der Mensch vom organischen Leben abstrahiert und sich in Form von Gesetzen der Mechanik vorstellig gemacht hat?“764 Kapp deutet also den wesentlichen Grund für solche geisterhaften Phänomene an: die Übermacht des technisch Reellen, auf das das Ich imaginativ reagiert bzw. reflexartig reagieren muss – z. B. mit einer Erfindung wie der Organprojektion, die mediale Gespenster erzeugt. 759 Vgl. zu dieser Harmonie: Kapp 1978, 11. 760 Vgl. ebd. 188 f. 761 Kamper 2002, 196; Zitat stammt ursprünglich von Henri Bergson. 762 Vgl. Meteling 2006, 200 ff., 283 ff. und die VIDEODROME-Analyse in dieser Arbeit. 763 Vgl. zur Geisterhand auch Kalisch 2006, 339. 764 Kapp 1978, 100. 237 Das Dilemma bzw. der Zirkelschluss, in dem sich Ernst Kapp befindet, besteht darin, dass er zur Identifizierung des vermeintlich Natürlichen (was bei ihm auch das spezifisch Menschliche umfasst) in und an der Technik doch nur wieder mechanistisch-positivistische Erklärungen heranzieht bzw. vorschiebt und damit „die richtige Vorstellung von der organischen Lebendigkeit“,765 das heißt eine Vorstellung vom Realen bzw. Reellen (inner- und außerhalb des Subjekts) zielsicher verfehlt. Das, was er zu suchen glaubt bzw. zu entwickeln vorgibt, hat er damit von vornherein schon gefunden, sodass sich diese Methodik bzw. dieser Weg als eine Pseudo-Suche, gleichsam als masochistischer Leerlauf eines Theoriefetischs,766 erweist. Der Leim, an dem Kapp kleben bleibt, ist die Eins/Einheit eines transparenten Selbst(- bewusstseins) – inklusive dessen hypothetischer Uranlage – und der stets wiederkehrende Bezug zum Maßstab des menschlichen Leibs; wissenschaftliche Vorstellungen, auf die er nicht verzichten will: also von vornherein festgelegte Größen, die trotz ihrer dialektischen Bewegung auf der Stelle treten und mit denen er in seiner Philosophie sehr viel und daher letztendlich sehr wenig erklärt. – Ein ästhetisches Spiel, das „Alles in Allem“767 mit nur einer Idee bzw. Projektion zu erläutern versucht. Die dabei entstehende Unübersichtlichkeit (um nicht zu sagen: das Chaos) von Begriffen macht sich bereits im Inhaltsverzeichnis bemerkbar.768 Es fehlt ähnlich wie im klassischen Masochismus die Intervention eines symbolischen Dritten, der diese in Bewegung geratene Körper-Geist-Verstrickung löst, anerkennt und somit und auf ein neues Begriffsniveau hebt (um dort besser weiterlaufen zu können). Die Technik könnte dieser Dritte durchaus sein, aber nicht so lange sie imaginativen Bezugsgrößen unterworfen bleibt. Darin liegt Kapps methodischer Kardinalfehler – eine unbewusst laufende Fetisch-Funktion. 765 Ebd. 339. 766 Vgl. Böhme 2006, 433, 445 ff., 461 ff. 767 Vgl. Kapp 1978, 351. 768 Dieses Inhaltsverzeichnis war eine Inspirationsquelle für den Mehr-Lust-Appendix am Ende dieser Arbeit. In Deleuzes und Guattaris Anti-Ödipus ist diese Proliferation der Begriffe ebenfalls (im erweiterten Inhaltsverzeichnis am Ende des Buches) virulent. (Derartige Signifikanten-Wucherungen treffen an vielen Stellen auch auf die vorliegende Arbeit zu. Ich hoffe, dass hierbei keine Redundanzen oder schlechte Wiederholungen entstanden sind.) 238 Fetisch-Funktion Dennoch scheint Ernst Kapp dieses Problem geahnt zu haben. Immerhin bemerkt er mit Otto Caspari „Urgeschichte der Menschheit I, 309“, dass „Naturmenschen, obwohl sie so viel Indifferentes als Fetisch verehren, ihre Geräthe, auf welche sie doch so hohen Werth legen, niemals anbeten“. Dies hängt laut Caspari damit zusammen, „dass diese fetischistische Verehrung durch die Gewohnheit gehindert werde, ‚die zu innig mit dem Objecten verwächst, ähnlich wie der Mensch mit seinen Gliedern, die er gewiss am höchsten schätzen sollte’“.769 Darin lässt sich bereits die psychoanalytische Konzeption des modernen Fetischs, der umso besser bzw. flüssiger funktioniert, solange er nicht in seiner Bedeutung erkannt wird (je mehr er also das unbewusste Subjekt tangiert und im Griff hat), ablesen.770 Und damit wird gleichermaßen das Betriebsgeheimnis der Grundlinien einer Philosophie der Technik im Text selbst offengelegt: der unbewusst operierende Theoriefetisch namens Organprojektion auf dem Niveau analoger Medien, gerade indem dieser auf andere, auf „Naturmenschen“, projiziert wird. (Dies erinnert ein wenig an Kleistsche Figuren, die mitunter Wahrheiten aussprechen, die sie in deren Tragweite [noch] nicht ermessen können.) Ernst Kapp hätte merken können, dass Natur in der subjektiven Wahrnehmung wie auch in der technischen oder künstlerischen (Auf-)Zeichnung immer schon eine Konstruktion – letztendlich ein virtuelles Bild – ist.771 Das Wissen dafür gibt es bereits seit Kant. Im Begriff der „Technik der Natur“, auf den Hartmut Böhme u. a. im Zusammenhang der ludi naturae verweist, entdeckt Kant das imaginäre Analogiespiel zwischen Natur und Technik. Er hat dessen (Un-)Zweckmäßigkeit gesehen und auch, dass damit keine neuen Erkenntnisse über Naturobjekte zu gewinnen sind, wohl aber über einen (neuen bzw. erweiterten) Begriff von Natur. Dieses Spiel fällt auch in den Bereich der Kunst; 769 Vgl. Kapp 1978, 104; Zitat von Caspari. 770Vgl. Böhme 2006, 408. 77 1Vgl. Akademie der Künste (Hrsg.) 2001. 239 es läuft nach einem selbstständigen Prinzip oder Mechanismus, dem der Verstand nicht beikommt: ’Die selbständige Naturschönheit entdeckt uns eine Technik der Natur, welche sie als ein System nach Gesetzen, deren Prinzip wir in unserem ganzen Verstandesvermögen nicht antreffen, vorstellig macht, nämlich dem einer Zweckmäßigkeit, respektiv auf den Gebrauch der Urteilskraft in Ansehung der Erscheinungen, so daß diese nicht bloß als zur Natur in ihrem zwecklosen Mechanism, sondern auch als zur Analogie mit der Kunst gehörig, beurteilt werden müssen. Sie erweitert also wirklich zwar nicht unsere Erkenntnis der Naturobjekte, aber doch unseren Begriff von der Natur, nämlich als bloßem Mechanism, zu dem Begriff von eben derselben als Kunst; welches zu tiefen Untersuchungen über die Möglichkeit einer solchen Form einladet.’ (KdU B 77, § 23).”772 Optische und sprachliche Projektionen und Analogien sind daher weder organisch noch Ich-autonom bzw. -transparent; sie unterliegen technischen Standards und Kunstfertigkeiten, die historisch variabel sind, und – wie mit Kapp festgehalten werden kann – eine Entwicklung(sgeschichte)773 bzw. Transformation durchlaufen. Projektionen (rein medialer Art wie auch im unbewussten Subjekt) sind damit funktionale Bestandteile einer künstlichen, technisch dominierten zweiten Natur,774 deren Erscheinungen und verborgenen Spielregeln es zu erkennen gilt und die das Begehren u. a. nach (innerer und äußerer) ‚Natur’ bzw. ‚Natürlichkeit’ überhaupt erst inaugurieren. 772 Vgl. Böhme 2010. Wenn der Kunstbegriff in diesem Zitat mit technischen Medien erweitert wird, umfasst Kants Postulat bereits das ästhetische Grundprinzip der Organprojektion. – Gleichsam eine Einladung und Spielanweisung für weitere Forschungen auf dem weitläufigen Gebiet des Natur- Technik-Verhältnisses. (Kants luzide Darlegung ist nicht nur für Kapps, sondern auch McLuhans Untersuchungen [im 20. Jahrhundert] signifikant, übersteigt sogar deren Erkenntnisleistungen und formatiert demnach ein prothesentheoretisches Wissen avant la lettre.) 773 Vgl. Kapp 1978, 326 774 Sie entsprechen auch jenen Dispositiv-Elementen, die im vorangegangenen Kapitel für die Maso- und Kino-Anordnung herausgestellt wurden: Distanzierung und Abschirmung. 240 „Der landläufige Technikbegriff unterstellt, daß das Natürliche vom Technischen in ontologischer Hinsicht unberührt sei: Technik – als Inbegriff instrumenteller, zweckdienlicher Mittel – kommt den natürlichen Bestimmungen bzw. den Bestimmungen des Natürlichen hinzu. Im alltäglichen Umgang mit Maschinen und Medien mag diese Einstellung zur Technik mit ihrem bipolaren Schema (Natürlichkeit versus Künstlichkeit, Mittel versus Zweck) hinreichen. Doch indem wir in diesem Fragehorizont verbleiben, das heißt die Technik nur als Instrument vorstellen bzw. uns vor-stellen, bleiben wir, wie die Technik- und Sprachphilosophie Heideggers gezeigt hat, dem blinden Willen verhaftet, sie nur bemeistern und beherrschen zu wollen.“775 Kapp hat zwar den Dimorphismus/ die Bipolarität/ den Dualismus/ die Dialektik/ die Gespaltenheit/ die Hybridität/ die Differenz/ die Immanenz/ die Kontingenz/ die Fließbewegung etc. des unbewusst begehrenden Medien-Subjekts schon angedacht bzw. grob umrissen – immerhin –,776 jedoch nicht (auf-)richtig zu Ende gedacht, das heißt weitergehende Konsequenzen bzw. Fragestellungen aus diesen Beobachtungen zwischen Technik und Natur gezogen. Kapps methodisches Fehlgehen liegt darin, dass Ausgangspunkt und Ziel der Organprojektion (i. e. die Ganzheit oder Eins des sich erkennenden Selbst) mehr oder weniger identisch sind, sodass das dritte Hegelsche Moment oder die Emergenz eines neuen Begriffs aus- bzw. in der Schwebe bleibt.777 Obwohl Kapp selbst Hegelianer ist, hat er den eigentlichen Clou bzw. die notwendige Folge der Herr-und-Knecht- Dialektik, die gegenseitige Anerkennung, die ein neues Symbol hervorbringt (dann tatsächlich auf einem höheren bzw. erweiterten Niveau des Selbstbewusstseins), nicht erreicht: Maschine und Geist bleiben bei ihm – eben aufgrund ungenauer Differenzierung – prekär ineinander verstrickt. Wie in einer imaginären Gleichung 775 Tholen 2002, 169; zitiert nach Bitsch 2009, 165. 776 Vgl. ebd. 223: Vor allem in den „Secretions-, Geschlechts- und Bewegungsorgane[n]“ sieht Kapp „das Bild der Entzweiung, der Spaltung und des Aussichherausgehens“. 777 Wie im klassischen Masochismus bleibt das Wissen hier hinter seinen Möglichkeiten, was gewusst werden kann, zurück, obwohl das (Diskurs-)Spielfeld, Spielmittel, -regeln und willige SpielerInnen vorhanden sind. Letztere sind so eingestellt (um nicht zu sagen: implementiert), dass bei Kapp und Sacher-Masoch überhaupt in einem sozialen Sinne gespielt werden kann. 241 bilden sie nur austauschbare Äquivalente, Verdoppelungen und Substitutionen, mit denen Kapp unentwegt sein ästhetisches Spiel treibt.778 Trotz der aufgeregten Bewegung, die dabei zu beobachten ist, findet keine Transformation statt – nur serielle Vervielfältigung bzw. Auffächerung ein und derselben Projektion. Übrig bleiben am Ende (wenn sich Kapps saturiertes Ich und damit selbstzufriedenes Subjekt in der Sprache und im Staat schließlich vollständig projiziert hat)779 erhebliche Zweifel – verbunden mit den drängenden Fragen: Sind Werkzeuge oder Artefakte wirklich nach außen verlegte, erweiterte Organe? Wie maschinell funktioniert ein Organismus tatsächlich? Was ist am Körper bzw. an der Natur – also am Realen – Bild und umgekehrt? Wo befinden sich die Schnitt-/ (Soll-)Bruchstellen in einem virtuellen Bild wie der Organprojektion? Welche Risiken und Gefahren lauern hier? Was hat all dies mit der Emergenz und Gestalt(ung) des (bei Kapp angeblich selbstbewussten) Ich zu tun? Wie steht es um die Wahrheit? Die medientheoretische Frage, die Kapp stellt , lautet: Sind die ersten Analogmedien (noch) klassischen Werkzeuge – u. a. im Sinne der Kappschen Organprojektion? Mehrwert der Organprojektion Gerade aufgrund solcher Fragen haben Kapps Ausführungen nach wie vor kulturtheoretische und gesellschaftspolitische Relevanz,780 was nicht nur an deren unfreiwilliger – auf jeden Fall hervorzuhebenden und zu erläuternden – Fetischlogik liegt. Ihr offenkundiger Mehrwert besteht vor allem im Impetus und in der Anleitung, sich in der medialen Umwelt zu erkennen und zu orientieren, gerade indem man diese über die eigene Körperlichkeit zu handhaben lernt. Bei dieser im Unbewussten operierenden Navigation und Einübung zeichnen sich technische Metaphern, Modelle 778 Vgl. zu „imaginären Gleichungen“: Lacan 1990, 110; vgl auch Kapp 1978, 48: Kapp spricht von „Substitute[n]“ und Vervielfältigung der Körperglieder, welche der Organismus „bei seiner mechanische[n] Verstärkung und Ausdehnung“ erzeugt. 779 Mit Deleuze und Guattari kann Kapps Totalprojektion als „voller organloser Körper“ angesehen werden – ein reiner Schizo-Prozess. Vgl. Deleuze und Guattari 1977, 108 ff. 780 Das heißt insofern sie kritisch kommentiert werden, also Anschlusskommunikation stattfindet. 242 und Kartografien des Geistes als brauchbare, hilfreiche Wissensformen ab, die Kapp als „Denkwerkzeuge“, einen „Nothbehelf der Vorstellung“, „Weg der Abstraction“781 und „Schemen“,782 bezeichnet und benutzt. Er hat sehr richtig erkannt (auch wenn er dafür noch nicht das notwendige Begriffsvokabular hat), dass die Bewegung des Imaginären (des arbeitenden Geistes) dem Realen des Körpers entspringt783 und auch, dass die dabei entstehenden Körperbilder bzw. Projektionen als mediale, von außen vermittelte Konfiguration(en) zu begreifen sind. Kapp hat in der homogen erscheinenden, täuschenden Funktion dieser Bilder, die die Imaginationskraft seiner Theorie schließlich ausmacht und antreibt, nicht nur die (phallische) Eins (und damit bereits das „Un des Unbewussten“)784 lokalisiert und markiert, sondern auch die Erfahrbarkeit und Lesbarkeit des Unbewussten generell in technischen Artefakten und Medien, was seine Theorie ungemein modern und aktuell macht. Kapp spannt damit einen Theorierahmen auf, steckt gleichsam ein Spielfeld ab, in dem sich Körper-Medien-Diskurse bis heute bewegen – seien es kybernetische und/oder biotechnologische Mensch-Maschinen-Verbindungen bzw. -Schnittstellen (Avatare, Bioroboter, Servonen, Implantate, Mikrotechnologien, kurz: das, was auf dem Feld der Bionik und Synthetischen Biologie stattfindet) inklusive der zahlreichen Cyborg- und sci-fi-Fantasien, sei es die unbewusst operierende Ich-Dialektik des suchenden/begehrenden Subjekts oder – anders gesagt – das (im Gegensatz zu Kapps Ausführungen nach wie vor sprachlich bzw. technisch niemals vollständig zu beherrschende/zu rekonstruierende) Symptom der Ich-Funktion (welche sich vornehmlich durch realitätvermittelnde frames oder screens optischer Medien konstituiert – all das, was die Theorie(n) des Imaginären bzw. das Dispositiv des Spiegelstadiums umfasst). – Aktuelle Themen und Fragestellungen, die in ihrer virtuellen und virulenten Problematik, das heißt u. a. in ihrer fetischistischen 781 Kapp 1978, 100. 782 Ebd. 308. 783 Ebd. 26. 784 „Das Un des Unbewussten ist ein diskretes un, und der Begriff des Unbewussten ist der Begriff dieses un, womit automatisch die Grenze dieses und des Begriffs überhaupt angezeigt ist.“ (Bitsch 2009, 400.) Dieses Ein-Bewusste zeugt von „der Eins des transzendenten Phallus“. Vgl. Deleuze und Guattari 1977, 93. 243 Wahrnehmung, Bearbeitung und Bedeutung, noch längst nicht geklärt sind; gerade auch in ihrer ethischen Dimension, die für Kapp so maßgebend ist. Kreisbahnen In seiner Philosophie hat Ernst Kapp bereits eine geschlossene Kreisbewegung gesehen, die – wie mit Lacan präzisiert werden kann – u. a. als Schautrieb des auftauchenden Subjekts identifizierbar ist.785 Wo Kapp diese auf sich selbst bezogene Zirkelbewegung jedoch der Positivität rationaler Betrachtung (dem Hin und Her dialektischer Projektion) zuschlägt,786 kann sie laut Lacan am Ort des Denkens nicht sein, sieht er doch „die Erscheinung des Triebs als Erscheinung eines Subjekts ohne Kopf“787 an.788 Laut Lacan möchte Freud zeigen, „wie der Trieb in seinem Anfang und in seinem Ende auf den Eigenkörper zurückkehrt, sich in den Eigenkörper einrückt“.789 Deleuze und Guattari argumentieren ähnlich, bezeichnen sie doch das Verhältnis von Mensch und Natur als koextensiv, 785 Lacan 1987, 186, 190. Lacan behauptet, dass die Triebe an einen ökonomischen Faktor, welcher durch das Lustprinzip – auf der Ebene des Real-Ich im ZNS – gegeben ist, gebunden sind. Vgl. ebd. 184. 786 Kapp hat dabei nicht den Zirkelschluss seines Prothesendenkens erkannt. 787 Ebd. 189. 788 Jedoch folgt auch bei Lacan die Kreisbewegung des Triebs einer Dialektik, die er als spielerisch begreift: „Der Trieb schließt von vornherein in seine ganze Existenz eine Dialektik des Bogens, ich möchte sogar sagen: des Bogenschießens ein. Und eben so vermögen wir ihm in der psychischen Ökonomie seine Stelle anzuweisen.“ (Vgl. ebd. 186.) Auch Theodor Reik argumentiert gerade im Hinblick auf den Masochismus mit der Schieß-Metapher: „Der Versuch, den Masochismus auf eine primitive Schmerzlust zurückzuführen, hat das Ziel nicht erreicht. Wir vergleichen ihn mit einem Schuß, der eine große Strecke vor der Scheibe einschlägt. Die Todestrieb-Hypothese Freuds geht über das Ziel weit hinaus – sie überfliegt es, wenn wir die psychologische Ableitung des Masochismus als dieses Ziel bezeichnen.“ (Reik 1977, 51.) – Lacan erklärt schließlich mit Heraklit, dass die „Lektionen der Weisheit [...] vor dem ganzen Zirkel wissenschaftlicher Anstrengung [...] auf dem direktesten Wege“ auf „das Ziel [zusteuern]“, dass als „Bíos“ – jenem „Bogen, dem der Name des Lebens gegeben ist“ und dessen „Werk [...] der Tod [ist]“ – bezeichnet werden kann. Vgl. Lacan 1987. 185 f. 789 Vgl. ebd. 244 „nämlich [als] die Kreisbewegung, in der das Subjekt bleibende Unbewußte sich selbst produziert und reproduziert. [...] Man könnte sagen, daß das Unbewußte als reales Subjekt auf seiner gesamten Kreisbahn ein residuales und nomadisches, scheinhaftes Subjekt ausgeschickt habe, das jedes mögliche, den inklusiven Disjunktionen entsprechende Werden durchmacht“.790 Es stellt sich im Rahmen der vorliegenden Arbeit die Frage, inwiefern die Partialtriebe – gerade in ihrer Gewährleistung einer „Homöostase der innern Spannungen“, eine „konstante Kraft“ – an der Konstitution des sexuellen bzw. sadomasochistischen Fantasmas beteiligt sind. Dass der Trieb „jene Montage“ ist, „mit deren Hilfe die Sexualität am psychischen Leben partizipiert“,791 und dass gerade der Schautrieb an der perversen Lust maßgeblich beteiligt ist, wird in Lacans Ausführungen transparent.792 Er bezieht sich hier auf den Voyeurismus und den Blick als ambivalentes, immer schon verlorenes und unwiederbringliches (Partial-)Objekt a. Doch kann man mit Freud und Lacan tatsächlich von einem „sadomasochistischen Trieb“ sprechen?793 Deleuze warnt davor; er hält „den Begriff des Partialtriebs [...] in dieser Hinsicht für gefährlich, weil er von der Spezifität der Typen sexuellen Verhaltens ablenkt“. Und auch, weil hier ein „Transformismus“ wirksam ist, in dem „die Sexualtriebe ihre Ziele und Objekte ändern können“.794 – Einerseits merkt Lacan an, „daß Trieb nicht gleich Perversion ist“, da der Perversion immer ein (symbolischer [Inszenierungs-]) Ort zugewiesen ist,795 was ihn jedoch keineswegs dazu veranlasst, den Freudschen Triebbegriff hier aufzugeben.796 Vielmehr konzentriert sich Lacan nun auf die Emergenz des Schmerzes in Freuds sadomasochistischem Trieb. Dieser entstehe an der Schnittstelle zwischen Trieb und dem auftauchenden andern, dann, wenn die Kreisbahn des Triebs sich schließt, „wo das Subjekt sich als Term, als 790 Deleuze und Guattari 1977, 139 und 426 f. 791 Vgl. Lacan 1987. 184, 189. 792 Vgl. ebd. 190 f. 793 Ebd. 192. 794 Vgl. Deleuze 1980, 197 f. 795 Vgl. Lacan 1987, 190 796 Vgl. zu Freuds Triebdefinition – der „Grenzbegriff des Somatischen gegen das Seelische, ein[] Repräsentant[] organischer Mächte“: Ders. 1994, 196. 245 terminus/Endstation des Triebs ergriffen hat“.797 Es bleibt bei Lacan in diesem Kapitel, in dieser Seminarsitzung, unklar, inwieweit der Trieb also durch den andern – auf der Ebene des Spiegelstadiums – abgelöst oder von diesem gerade gestützt, durchdrungen, unterlaufen usw. wird, um sich dann quasi auf psychischem Niveau, in anderer Form, fortzusetzen.798 Lacan redet diesbezüglich von „Aufbrüchen/béances“ und „signifikanten Besetzungen im Subjekt [...], [...] die sich, algorithmisch abbilden lassen“.799 Deleuze und Guattari argumentieren ebenfalls in diese Richtung; der Trieb ist hier in ihr Konzept der Wunschmaschinen (eine philosophierende Mischung aus Trieben und Partialobjekten auf der Ebene der künstlichen „modernen Territorialitäten“) eingegangen.800 Allerdings bleibt auch hier das komplizierte Verhältnis Trieb – Partialobjekt(e) – a/Anderer, genauso wie ihr (Wunsch- )Maschinen-Konzept, ziemlich nebulös. Anders – einfacher – gefragt: Spielt die Kreisbahn des Triebs tatsächlich irgendeine Rolle bei der kreisenden Suchbewegung bzw. den zwanghaften Wiederholungen des/der aktiven Perversen, also auch in der symbolischen Realität, das heißt letztendlich im großen Anderen und dessen Begehren? Ist die Zirkelbewegung des Triebs etwa im closed-circuit- oder feed-back-Verfahren technisch repräsentiert/geschaltet?801 Oder sind solche rückgekoppelten Funktionen von Strom- bzw. Schaltkreisen nur rückwirkende Projektionen auf den Triebbegriff? – Gerade im Masochismus scheint der Sexualtrieb zumindest als „die psychische Repräsentanz einer kontinuierlich fließenden, innersomatischen Reizquelle“802 zugunsten eines konkreten, medialen Objekts suspendiert zu sein – auch wenn der/die Perverse am fetischisierten Objekt oft eine verführerische Fließ- und/oder Rotationsbewegung wahrnimmt. Ellie Ragland-Sullivan, die sich sehr dezidiert mit dem (Chaos des) Triebbegriff(s) bei Lacan auseinandersetzt, betont, dass es zumindest „im Erwachsenenleben keine Symmetrie zwischen der beim Trieb strukturell angelegten 797 Vgl. Lacan 1987, 192. 798 Vgl. zu dieser Problematik Fuchs 1998, 67 ff. 799 Vgl. Lacan 1987, 190. 800 Vgl. Deleuze und Guattari 1977, 46. 801 Vgl. zu diesen Begriffen die FUNNY GAMES U.S.-Analyse: Pühler 2010, 38. 802 Vgl. Freud 2010, 47. 246 Richtung hin zu der psychischen Illusion auf der Ebene des Spiegelstadiums und den Realen Objekten [gibt], die ‚Trieb’-Befriedigung versprechen.“803 Sadomasochistische Operationen können aus dieser Perspektive als Suche und Weg interpretiert werden, die verlorenen realen Objekte wiederzugewinnen bzw. in deren Nähe zu gelangen. Kein leichtes und ungefährliches Unterfangen. Mit Lacan kann man schließlich festhalten: „[D]er Weg des Triebs ist die einzige Form, in der dem Subjekt ein Überschreiten in bezug auf das Lustprinzip gestattet ist“,804 das heißt auf das angepeilte, jedoch unerreichbare Genießen im Realen. Auch Sade sprach bereits vom Durchlaufen einer „Bahn“, auf der sich die „ewig unersättliche Phantasie“ bewegt und dabei – während sie ihren Endpunkt anpeilt – das „Herz verhärtet[]“.805 Stefan Zweifel und Michael Pfister sehen in seinen schriftlich fixierten Lustpraktiken, wie sich „der Kreislauf schließt: Die Schrift gewordenen Lust dient ihrerseits zum Erregen körperlicher Lust.“806 „In Justine und Juliette bilden 100 mit Dildos bemannte Frauen einen Kreis, der höchste Effizienz garantiert und ‚bei den Italierinnen’, wie der Atheist [Sade] augenzwinkernd hinzufügt, ‚Rosenkranz’ genannt werde.“807 Ernst Kapp nimmt die Kreisbahn des sich selbst (re-)produzierenden Unbewussten, wie sie u. a. in poststrukturalistischer Theorie (und keinesfalls wie bei Sade) erscheint, schon ein Stück weit vorweg – nur eben mit dem bedeutsamen Unterschied, dass sich diese Bewegung bzw. Figur bei ihm noch mit dem denkenden Subjekt oder cogito (scheinbar) problemlos akkom odieren lässt: 803 Vgl. Ragland-Sullivan 1989, 102; vgl. dazu auch Pagel 1989, 78 ff. und Brumlik 2006, 96. 804 Lacan 1987, 192. 805 Allerdings überschreitet und sprengt Sade dabei auch immer (mediale) Grenzen – wie z. B. Körperbilder – und hat es gleichsam darauf abgesehen, „eine letzte Grenze“ (die Natur/das Reale selbst) beherrschen, das heißt zerstören zu können. (Vgl. Sade 1972, 134.) Damit reagiert Sade auf die disjunktiven bzw. kastrativen Elemente und Wirkungen des/im (fatasmatischen) Imaginären, indem er sie reproduziert. 806 Vgl. Zweifel und Pfister 2001, 20. 807 Zweifel und Pfister 2001, 28; Zitate von Sade. 247 „Die denkende Betrachtung, wie verschieden ihr Gegenstand nach Ausdehnung in Raum und Zeit sein mag, vereinsamt oder verliert sich niemals ins Endlose, sondern kehrt über kurz oder lang auf derselben Bahn dahin zurück, von wo sie ausgegangen war, zum – Menschen. Mit ihm bleibt ihr Zusammenhang ununterbrochen, und das was sie nach allem Suchen und Entdecken findet, ist immer nur der Mensch, nach des Wortes eigenster Bedeutung der ‚Denker’.“808 Nicht nur mit Lacan bzw. Deleuze und Guattari kann diese Erkenntnis erweitert und aktualisiert werden, sondern auch mit Jacques Derrida im Diskurs postmodernen Differenzdenkens: „Die Geschlossenheit dessen, was kein Ende hat, läßt sich nichtsdestoweniger denken. Die Geschlossenheit ist die kreisförmige Grenze, innerhalb derer die Wiederholung der Differenz sich unbegrenzt wiederholt. Das heißt sein Spiel 809raum.” Und noch einmal Lacan, der das zirkuläre Denken dann um dessen medientheoretische Dimension, um den alternierenden Signifikanten, ergänzt: „[Wir] haben begreifen gelernt, daß der Signifikant sich nur in einer Verschiebung erhält, die mit unseren Tagesnachrichten in Lautschrift oder mit den rotierenden Gedächtnissen unserer Maschinen-die-wie-Menschen-denken vergleichbar ist, weil er alternierend funktioniert, indem sein Prinzip fordert, daß er seinen Ort verläßt, um zirkulär zu ihm zurückzukehren.”810 808 Kapp 1978, 1. 809 Derrida 1994, 339; zitiert nach Günzel 1998, 138. Im Nachdenken über derart abstrakt-unbewusste Prozesse kann also das Humane – oder sagen wir besser: das Subjekt –, auf das Kapp doch zu Recht so großen Wert legt, ein Stück weit rekonstruiert und gerettet werden – und dies durchaus sehr spielerisch; gerade darin liegt der immense Vorteil der Freudschen und Lacanschen Psychoanalyse (und auch des Derridaschen oder Deleuzeschen Differenzdenkens). (Post-)Strukturalistische Operationen und Spiele sind daher – wie es manchmal vermutet wird – keine Demontage oder gar Abschaffung des Subjekts – im Gegenteil: „Die Hauptsache ist nicht, das Bewußtsein zu demolieren – wir versuchen hier nicht, ein großes Zerdeppern von Glas zu veranstalten.“ Vgl. Lacan 1991 (a), 78. 810 Lacan 1986 (a), 28 f. 248 Auch bei Hartmut Böhme schließt sich der symbolische Kreis – durch die „Ding- Kraft” (am/im Fetisch) und mit Marcel Mauss’ Theorie der Gabe bzw. Magie: „Diese durch unvereinbare, paradoxe Eigenschaften charakterisierte Ding-Kraft (die […] auch auf Fetische zutrifft) – ihre Eigenaktivität – garantiert, dass der Kreis geschlossen (die Gaben kommen gleichsam reich beladen zurück) und damit auch wieder neu eröffnet werden kann: Die Zirkularität wird verstetigt. Was Mauss hier Magie nennt, kann auch als das ‚wirksame Imaginäre’ angesprochen werden.”811 Im klassischen Masochismus offenbart sich die fetischistische bzw. phallische Dimension – wie im vorangegegangen Kapitel mit Deleuze erläutert wurde – im Zusammenschluss bzw. in der Verschaltung verschiedener Frauen- und Mutterbilder, die dann „im Medium der oralen Mutter” bzw. in dessen „Schwingkreis” das perverse Fantasma strukturieren: „In diesem Sinn sind die uterine und die ödipale Mutter die Symbolränder des masochistischen Phantasmas, ist ihr Zwischenraum der Bewegungsort der oralen Mutter, das Herz des Phantasmas. Der Masochist spielt beide Extreme aufeinander ein, entläßt all ihre Wirkungen ins Medium der oralen Mutter. Dadurch mißt er ihr, der guten Mutter, einen Schwingkreis zu, in dem sie unablässig die Bilder der Rivalinnen streift, während sie deren Wirkungen resorbiert.”812 811 Vgl. Böhme 2006, 293. In der Ordnung des Gabentausches herrschen – wie Böhme betont – auch negative Kräfte. „Das Haben, das Geben, das Empfangen, die gesamte Zirkulation der Dinge und Güter, sind [...] vom Agon [vgl. zur Begriffsdefinition Adamowsky 2000, 53] beherrscht. Im Gabenwettstreit verschuldet der Gebende permanent den Beschenkten. Daraus entsteht der soziale Zusammenhang, auf einem latenten Grund von Schuld.“ Die Produktion des Sozialen und des Ökonomischen umfasst dabei immer auch Akte der (kreativen) Zerstörung, was nicht nur grundlegend paradox ist, sondern gleichwohl die symbolische Ordnung in ihrer Medialität maßgeblich bestimmt. (Vgl. ebd. 291. f.) Dieser produktive und (selbst-)destruktive Mechanismus ist auch für die (Spiel- )Formen des Sadomasochismus signifikant. 812 Deleuze 1980, 218. 249 Natascha Adamowsky beschreibt die Reisen durch den heutigen Cyberspace, was man als erweiterte, massentaugliche Maso-Praxis (Cyberspace mutiert dann zum Fantasma der „Dominatrix”)813 bezeichnen könnte, als „ein Durchspielen des Ungesagten, das seine unterschwelligen Kreise zu ziehen beginnt, ein nomadisieren der innersten Bilder, die man mit den Worten auf die Reise schickt. Diese Reise führt nirgendwo hin. Sie erfüllt sich selbst als symbolic wandering.”814 Mit Georg Christoph Tholen lässt sich abschließend – bei all dem kreisenden Schwindelgefühl – die ganze Problematik des anthropozentrischen und fetischistischen Prothesendenkens à la Kapp – wie es sich in wiederkehrenden Kreisbewegungen (u. a. im gleichzeitigen Analogie- und Zirkelschluss) realisiert – zusammenfassen:815 „Die Axiomatik der leiblichen Projektionen oder systematischen Selbsterhaltung, die in den meisten kulturanthropologischen Medientheorien unbefragt bleibt, konstruiert einen Referenzrahmen unmittelbarer Wechselwirkung zwischen Körperfunktion und technischem Gerät: Die Leistungen der modernen Technik werden teleologisch bestimmt als Erweiterungen der physischen und sensorischen Fähigkeiten des menschlichen Körpers oder als Steigerungsfähigkeit seiner Intelligenz. Doch diese Rückbindung des Technischen an den menschlichen Leib folgt der Funktion des imaginären Körperbildes des Menschen: Das Bild, das notgedrungen der Mensch sich von seinem Körper macht, hält diesen – einheitsstiftend – zusammen. Ausgehend von diesem kohärenten bzw. ganzheitlichen Körper-Bild projiziert der medienanthropologische Diskurs dieses auf die Technik. [...] Der – wie immer auch 813 Vgl. Kroker und Kroker 1996, 71. 814 Adamowsky 2000, 215. 815 Diese umfassende und sehr treffende Kritik gilt auch für die nachfolgenden Bearbeitungen der Prothesentheorie – insbesondere für McLuhan, weniger für Freud, wie noch zu zeigen ist. Ähnlich wie Tholen hat David Cronenberg (als einer der ersten neben KünstlerInnen wie Hans Bellmer, Edward Kienholz oder Louise Bourgeois) auf diesem Gebiet Klartext geredet; jedoch nicht mit analytischen Texten, sondern in Form von body-horror-Filmen seit den späten 1960er Jahren. Vgl. die VIDEODROME-Analyse in dieser Arbeit. 250 unfreiwillige – Fetischismus dieser Projektion liegt in der Vorgabe, es gäbe ein vom dinglichen Schein des Technischen ablösbares und unersetzbares Proprium des Menschen, in welchem die Technik sich letztendlich aufzuheben habe. Indem diese Diskurse die Medien als prophetische Ordnungen eines Selbst oder Wir fingieren, d. h. unter dem Namen Leib, Leben oder Geist dem ureigensten Bestand des Menschen hinzuzählen, verdoppeln sie den anthropomorphen Narzissmus noch dort, wo sie das Ende des Menschen beschwören. Die Frage nach dem Ort des Menschen kann nur gestellt werden als die Frage nach der Möglichkeit der Bedingungen technischer Kommunikation, in deren Namen ‚wir’ über Kommunikation kommunizieren. Jenseits des anthropologischen Zirkels wird sich so die Frage nach der Technik zu der nach ihrer medienhistorischen Un-Beständigkeit verschieben.“816 Wird dieser Zirkel also nicht durchbrochen bzw. von einem neuen Signifikanten ‚erlöst’, dreht sich dieses Analogie-Spielchen als virtuelle Rotation weiter um sich selbst: „Die vermeintliche Wesensverwandtschaft zwischen Mensch und Maschine erweist sich als Analogieschluß, der sich mit stets neuen Argumenten ebenso bestätigen wie widerlegen läßt. Er dreht sich im Kreise deshalb, weil die vermeintliche Ähnlichkeit oder Unähnlichkeit bereits in Gestalt einer bloß imitativen und funktional äquivalenten Leistungsfähigkeit unterstellt wird.“817 Ego-Philosophie vs. Lustexperiment Was in Kapps vor idealistischem Selbstbewusstsein strotzender bzw. rotierender Ego- Philosophie zudem problematisch ist – weil es grundsätzlich fehlt – ist die Frage nach der Lust und dem Begehren.818 Gerade in der sinnlich-geistigen (Such-)Bewegung 816 Tholen 2002, 17 f.; zitiert nach Bitsch 2009, 187 f. 817 Tholen 2002, 190; zitiert nach Bitsch 2009, 165. 818 Kapp sieht zwar, indem er sich auf Frederick Anthony Hartsens Grundzüge der Psychologie (1874) bezieht, dass auch Begierden und Empfindungen projiziert werden können, geht jedoch nicht weiter auf diesen wichtigen Aspekt ein. (Vgl. Kapp 1978, 31.) Lacan betont dafür umso deutlicher das Projektionsvermögen des Begehrens: „Der Projektion des Bildes folgt konstant die des Begehrens. 251 zwischen Ich und Umwelt, die sich zwischen Körpern und Kulturtechniken abspielt,819 offenbaren sich die Dimensionen der Libido,820 des Lustprinzips821 und des (sekundären) Narzissmus. Mit diesen Begriffen lässt sich die identifikatorische Hinwendung zu und Orientierung in der (Um-)Welt zumindest theoretisch erfassen: „Die narzißtische Identifizierung – das Wort Identifizierung ist, unbestimmt, unbrauchbar – diejenige des zweiten Narzißmus, ist die Identifizierung mit dem andern, der im Normalfall dem Menschen erlaubt, seinen imaginären und libidinösen Bezug zur Welt überhaupt präzis zu situieren. Sie erlaubt ihm, an seinem Ort sein Sein zu sehen und es als Funktion dieses Ortes und seiner Welt zu strukturieren. Mannoni hat eben ontologisch gesagt, einverstanden. Ich würde, genau, sagen – sein libidinöses Sein. Das Subjekt sieht sein Sein in einer Reflexion im Bezug auf den andern, das heißt im Bezug auf das Ich-Ideal.“822 Dementsprechend gibt es eine Re-introjektion des Bildes und eine Re-introjektion des Begehrens. Schaukelspiel, Spiegelspiel.“ Lacan 1990, 228. 819 Hier spielt auch Kittlers Medienbegriff, der aus der kanadischen Medientheorie um Marshall McLuhan, Harold Innis und Arthur Kroker stammt, hinein: „Medien sind [...] bei McLuhan die Schnittstellen oder Interfaces zwischen Technologien auf der einen Seite, Körpern auf der anderen.“ Kittler 2002 (a), 21. 820 „Die Libido stellt für Freud die Energie der Sexualtriebe dar. Lacan differenziert hier Freuds Auffassung: Auch er lokalisiert die Libido im Körper. Aber er sieht sie als eine negative Größe, eine Art realen Verlusts, den das Subjekt vor seiner Geburt, wenn die Membranen des Eis brechen, wenn aus dem Fötus ein Neugeborenes wird, erleidet. [...] Die Libido im Sinne Lacans entspricht einer energetischen Leerstelle.“ (Widmer 1997, 87 f.) Deleuze und Guattari verhandeln den Begriff mit Wilhelm Reich und ihrer Konzeption des Molekularen und Molaren: „Als Sexualität ist die Libido [...] definiert durch die Verknüpfung zweier Funktionsleistungen, der mechanischen und der elektrischen innerhalb einer zweipoligen Sequenz, die den molaren und den molekularen Pol erfaßt (mechanische Spannung, elektrische Ladung, elektrische Entladung, mechanische Entspannung).“ Deleuze und Guattari 1977, 375. 821 „Das Lustprinzip – Eintritt in ein zweideutiges Spiel, ein schicksalhaftes, womöglich böses Spiel, ist doch mit ihm ‚der Konflikt an der Basis, ja am Ursprung eines Organismus eingeführt’“. Bitsch 2009, 61; Zitat von Lacan 1996, 38. – „Es scheint, dass unsere gesamte Seelenthätigkeit darauf ausgerichtet ist, Lust zu erwerben und Unlust zu vermeiden, dass sie automatisch durch das Lustprinzip reguliert wird.“ Freud 1999 (e): XI 369; zitiert nach Bitsch 2009, 306. 822 Lacan 1990, 163. 252 Kapp hat diesen reflexiven Weltbezug, dieses Sich-selbst-sehen(-Sehen), das über den andern vermittelt ist, zwar bereits erkannt und – aus eigener (und gewiss auch libidinöser) Erfahrung heraus – analytisch beschrieben, aber eben nur zum Zweck der Ich-Stärkung (im Symbolischen der Werkzeuge und Maschinen, welches sein Ich- Ideal wiedergibt) – und nicht etwa zu dem der Lust-Orientierung bzw. -Optimierung (gerade im Hinblick auf das fleischlich–fantasmatisch–sexuelle Begehren). Das heißt bei ihm ist das Ich und dessen medial vor-gestellte, visualisierte Leiblichkeit im Wesentlichen ein Steuerungs- bzw. Anpassungsinstrument an die äußere Umwelt, auch wenn diesem Ich noch Spielraum zu deren Gestaltung bleibt. Trotz dieses verbleibenden Raums wird die Selbstmodellierung und -verwirklichung des Subjekts, eine Individualität, auf die Kapp großen Wert legt, durch solche Zwänge massiv eingeschränkt. Kapps Forderung nach ethischen Richtlinien im Umgang mit Technik bzw. technischen Fragen – so zwingend notwendig sie im technischen Zeitalter tatsächlich sind – rechtfertigt letztendlich nicht eine derartige Vermessung und zweckdienliche Maßregelung des Subjekts (im Namen einer imaginären Totalität, die realiter nie im Symbolischen bzw. Gesellschaftsleben erreichbar sein bzw. existiert haben wird). Was Angelika Ebrecht der Lebensphilosophie attestiert, trifft auch auf Kapps und Sacher-Masochs Projekt zu: Ein Scheitern am Psychologismus, der „in letzter Konsequenz [zu] Selbstaufgabe und Selbstzerstörung gerade der Individualität“ führt, „um deren Willen die Rettung des Ganzen ins Individuelle berieben worden war“.823 Ähnlich wie viele Begriffe in Kapps Denken (u. a. technische/ körperliche/ geistige Funktion(smechanism)en, Un-/ Ein-/ Selbstbewusstes, Ich, Dialektik, Ideal, Projektion, Fetisch, Kreisbahn) auf dem Wissensstand von 1877 formuliert sind und gerade in der nachfolgenden Psychoanalyse und heutigen Kultur-/ Medienwissenschaft ihren Platz haben, so tangiert auch Kapps Medien-Mythos von der Organprojektion – gerade als ein Ich-Anpassungsinstrument an die Umwelt – einen bedeutsamen Topos der Psychoanalyse im 20. Jahrhundert: die Ego- Psychologie bzw. „Ego-Orthopädie“.824 Diese Ausrichtung meint – verkürzt und überspitzt gesagt – das technische Gefügigmachen des Ich nach 823 Vgl. Ebrecht 1992, 11; zitiert nach Filk 2010, 15. 824 Vgl. Lacan 1990, 236. 253 gesellschaftsrelevanten /-politischen Vorgaben und Richtlinien, eine zweckorientierte Seelenklempnerei, wie sie u. a. gerade in den USA oder im englischsprachigen Raum ihre treuesten AnhängerInnen fand und findet. Gegen dieses (Miss-)Verständnis bzw. diese (klinische) Praxis der Psychoanalyse, die die Freudsche Entdeckung schließlich leugnet, ist Lacan zu Recht rigoros (das heißt mit einem beträchtlichen Teil seines Gesamtwerks) vorgegangen.825 Vgl. u. a. Lacans Beispiel des Michael Balint826 und auch D. H. Lawrence, der den Eindruck hatte, „daß die Psychoanalyse im Begriffe stand, die Sexualität in einem bürgerlich aufgeputzten wunderlichen Kasten, in eine Art ziemlich ekelhaften artifiziellen Triangel zu sperren, der die ganze Sexualität als Wunschproduktion zum Ersticken bringen mußte“.827 Wo ist die Lust? Doch die sexuelle Wunschproduktion bzw. Lust-Dimension geht dabei nicht wirklich verloren; sie wird nur in Bildern, z. B. Organprojektionen, verdrängt und zu fixieren versucht. Sie läuft unterschwellig weiter und produziert Symptome. Es handelt sich bei diesem Bild bereits um jene Perversität, die Lacan als das Genießen des Anderen bezeichnet; dieses ist im technisch aufgerüsteten 19. Jahrhundert der Kraftmaschinen und ersten reellen/elektrischen Medien schon ziemlich dominant. Wie könnte dieses codierte Genießen nun dem Subjekt zurückerstattet oder genauer gesagt von diesem geködert werden?828 Einmal mehr soll die Kulturtechnik des Masochismus à la Sacher-Masoch, wie sie bereits im vorangegangenen Kapitel anhand des Venus-im- Pelz-Spiels beschrieben wurde, hier als (hoffentlich) aussagekräftiges Beispiel dienen, da heißt Kapps lustnegierende und -verdrängende Ego-Philosophie mit einem 825 Alle AnalytikerInnen, die nicht im Namen Freuds oder seinem Namen denken und handeln, gehören Lacan zufolge der sogenannten „SAMCDA“ an: der fiktiven „société d’assistance mutuelle contre le discours analytique “ Lacan: „Verdammte SAMCDA!“ Vgl. Lacan 1988, 70. 826 Ebd. 257 ff. und 263 ff. 827 Deleuze und Guattari 1977, 62. 828 Vgl. zu dieser (auch masochistisch zu lesenden) Köderung des Begehrens Lacan 1991 (a), 192: „Das Subjekt merkt schließlich, daß sein Begehren nur Umweg ist, das Genießen des anderen einzufangen, zu ködern – wenn es mit dem Dazwischentreten des andern merkt, daß es ein Genießen jenseits des Lustprinzips gibt.“ 254 spielerischen, lustermöglichenden Ego-Experiment zu vergleichen. Trotz der großen Unterschiede ihrer Unternehmungen bestehen zahlreiche Ähnlichkeiten und Überschneidungen, besonders in struktureller Hinsicht; es macht sich aber auch ein großer Unterschied bemerkbar. Ernst Kapp und Leopold von Sacher-Masoch sind promovierte Historiker, die jedoch außerhalb des Universitätsbetriebs agieren.829 Sie haben nicht nur zur gleichen Zeit gelebt, sondern verschreiben sich auch gleichermaßen technischen Anordnungen zum Erkenntnis- bzw. Lustgewinn.830 Ihre Projekte folgen dem aufklärerischen Versprechen, (mehr) individuelle Freiheiten zu erlangen. Bei beiden geht es um Erkundungen des dialektisch operierenden, projizierenden Ich, gleichsam um abenteuerliche Ermächtigungsstrategien, Selbstmodellierungsstechniken, die die Körperlichkeit des Menschen fokussieren und dabei funktional eingrenzen; bei beiden steht der selbstgestaltete Raum (in Form innerer und äußerer Kolonisation) im Vordergrund; beide verlassen sich auf die Optik subjektiver Wahrnehmung, deren Ich-Blendung ihnen sehr wohl bekannt ist,831 und erforschen schließlich über das (mediale) Außen das noch weitgehend unbekannte Terrain des eigenen und fremden Selbst. Dabei betreten sie (medien-)ästhetisches Neuland. Sie bedienen sich geist- und fantasiereicher, wie auch praktisch anwendbarer Fetische, Orientierungsmittel im Unbewussten, mit denen u. a. die Entfremdung moderner Medientechniken strategisch 829 Sacher-Masoch hatte seine Laufbahn als Unidozent aufgegeben, um sich ganz der Schriftstellerei widmen zu können; Kapp war – soweit ich feststellen konnte – nie an einer Universität beschäftigt. 830 Hier ist allerdings schon ein erster signifikanter Unterschied zu beobachten: Wo Kapp die Fotografie bzw. Daguerreotypie, die doch eine Schlüsselposition in der Mediengeschichte des 19. Jahrhunderts einnimmt, so gut wir gar nicht thematisiert (sie wird wie der Begriff des Begierde nur kurz erwähnt: vgl. Kapp 1978, 81, 84), ist sie bei Sacher-Masoch, wie im vorangegangen Kapitel erläutert, ein äußerst wichtiger Bestandteil seines fetischistischen Begehrens. Gleichwohl gilt sie im Hinblick auf die Funktion der Fetischstruktur (neben anderen [Bild-]Signifikanten) als wichtiges Antriebsmoment. 831 Vgl. diesbzüglich bei Kapp: Ders. 1978, 160 und bei Sacher Masoch: Ders. 2003, 80: Er lässt Wanda, die ‚dämonische Despotin’ in der Venus im Pelz bemerken: „Alles, was die Menschen [Glück] nennen, besteht nur in ihrer Einbildung, beruht auf Selbsttäuschung. Ich bin zu verständig, um mir Illusionen zu machen. Ich weiß, indeß, daß auch jeder Genuß in Schmerz und Leiden endet, wie die Liebe in Haß.“ Vgl. zum Selbstbetrug des Fetischisten, der diesen in seinem Spiel durchaus erkennt, auch: Böhme 2006, 410. Vgl. zu Liebe und Hass in der Freudschen Psychoanalyse: Freud 1999 (e), 94 f.; und in der Lacanschen: Lacan 1987, 216. 255 bzw. systematisch abgewehrt werden kann. In diesen Mitteln und Medien lässt sich die Zirkularität phallischer Imagination, die Figur einer sich wiederholenden Kreisbahn, auf der sich der ‚Satellit’ ihrer Erkenntnisobjekte sozusagen bewegt, deutlich nachvollziehen. Weitere auffällige Gemeinsamkeiten bestehen in der Suspension der Hegelschen Synthese, wie auch darin, dass Kapp und Sacher-Masoch die damit einhergehenden kon ingent-kastrativen Störfaktoren (zwischen Partialobjekten und idealisierter Maschine) nicht hinreichend in Erwägung ziehen, auf diese nicht spontan reagieren (können oder wollen), was schließlich zum Misslingen ihrer Experimente, was keiner der beiden eingesteht, führt. Sie scheinen sich zu stark mit ihren Lustobjekten zu identifizieren, sie sind sich zumindest sehr sicher. Es gibt bei ihnen weder eine Fehleranalyse, noch irgendeine Form von Selbstzweifel oder -kritik. So scheitern sie an ihren konstruierten, fetischistisch-fixierten Körper- und Projektionsbildern,832 mit denen die verdrängte Lebendigkeit und Sinnlichkeit des Organismus, schließlich der Vitalismus eines flux libidinal wiedergewonnen werden soll. Die seit der Antike bekannte Fließmetaphorik, die einen ‚natürlichen’ bzw. libidinösen Prozess des Werdens und Wandels bezeichnet, wird sowohl in der Wahrnehmung des Fetischisten als auch im Denken des Prothesentheoretikers somit erfolgreich zum Stillstand 832 Dem drohenden, vorprogrammierten Moment des Scheiterns wird dann mit noch mehr Projektionsleistung, mit noch mehr Fetischkraft, entgegen gewirkt. – „[M]an [stößt] auf einen umso stärkeren Widerstand [...], je näher das Subjekt einem Diskurs kommt, welcher der letzte und gute wäre, aber den es absolut ablehnt.“ (Vgl. Lacan 1990, 32.) Obwohl Kapp einsieht – wie er mit Hilfe von Reuleux’ Maschinenkunde erläutert –, „dass die Mitwirkung des Menschen an den Maschinen in demselben Grad verringert wird, wie die Unabhängigkeit der Maschine zunimmt“; und auch, dass sich die Maschine diesem „Gipfelpunkte der Vervollkommnung“ [...] stellenweise schon auf Sehweite genähert“ hat (vgl. Kapp 1978, 198), veranlasst ihn dies jedoch nicht zum Umdenken, sondern vielmehr dazu, nun erst recht mit irrwitzigen Argumentationen an seinem fragwürdigen Postulat der Organprojektion – einem Medienmythos – festzuhalten. Auch bei Sacher-Masoch ist viel Mythos, Blendung und Widerstand im Spiel, denn eigentlich müsste er wissen, dass sich eine romantische Liebesbeziehung nicht problemlos mit medialem Grausamkeitsbegehren kurzschließen lässt, hat er doch diesen zermürbenden Konflikt in seiner Literatur folgerichtig und sehr anschaulich beschrieben. Dennoch hält ihn dies keineswegs davon ab, das ‚Venus-im-Pelz’-Spiel mit verschiedenen Frauen in verschiedenen Ländern – letztendlich in seinem Ehe- und Familienleben – auszuprobieren. Auch Kapp bezieht seine ganze Familie in sein Wunschprojekt mit ein, ist sie ihm doch nach Texas gefolgt. 256 gebracht – es passiert also gerade das, was sie nicht beabsichtigen, liegt ihr Ziel doch darin, diesen vitalen Prozess mit technischen Mitteln und Phantomen wiederzuerlangen. (Gerade Kapp betont ja ausdrücklich, den „dialektischen Fluss vor einseitiger Erstarrung zu bewahren“.)833 Darin liegt das grundlegend Paradoxale, die unaufgehobene Widersprüchlichkeit ihrer ambitionierten Aktionen. Sie beabsichtigen in einem letzten groß angelegten Akt, sozusagen in einer Rettungsaktion der ganzheitlichen Selbsterkenntnis /-erfahrung, das mediale Reale (das Unbewusste der Apparate bzw. den technisch [über-]codierten Subjekt-Körper) lesbar und verfügbar zu machen, indem sie zwanghaft und gewaltsam versuchen, dieses Reale instrumentell zu naturalisieren – anstatt es begrifflich exakt zu benennen und dergestalt theoretisch und praktisch voranzutreiben. Ihre widerständigen ‚Rettungsaktionen’ finden vor der analogen Medienrevolution von 1880 statt,834 also kurz bevor das Natur-/ Körper-/ Menschenbild von den (elektrisch-)reellen Medien absorbiert und spätestens damit in dem Sinne unsicher wird, als es geistig nicht mehr als solches zu bewältigen ist. Das ruft die Notwendigkeit von Medien-Fetischen auf den Plan, mit denen Sacher-Masoch und Kapp die konservatistische Strategie verfolgen, ihren philosophischen bzw. literarischen Begriff von Mensch, Natur und Kultur, ihre (Definitions- und Identitäts-)Macht, zu bewahren. Bei Sacher-Masoch geht es dabei auch – und vor allem – um Erotik und (Über-)Sinnlichkeit. In diesem Sinne folgen beide nicht Kants Einladung und Spielanweisung, einen neuen Begriff von Natur bzw. Technik zu entwickeln. 833 Vgl. ebd. 1978, 8. 834 „Die Medienrevolution von 1880 hat den Möglichkeitsgrund für Theorien und Praktiken gelegt, die Information nicht mehr mit Geist verwechseln. Anstelle des Denkens ist die Schaltalgebra getreten, anstelle des Bewußtseins ein Unbewußtes, das Poes Entwendeten Brief (spätestens in der Lesart Lacans) zur Markoff-Kette macht.“ (Kittler 1986, 30.) Kittler scheint sich auf Walter Benjamins Kinobetrachtungen zu beziehen: „So [in der Betrachtung der kinematografischen Zeitlupe und Großaufnahme (steht vorher im Text; Anmerkung S. P.)] wird handgreiflich, daß es eine andere Natur ist, die zur der Kamera als die zum Auge spricht. Anders vor allem dadurch, daß an die Stelle eines vom Menschen mit Bewusstsein durchwirkten Raums ein unbewußt durchwirkter tritt.“ (Benjamin 1977, 36.) Diese andere Natur ist das technische Reelle (gegenüber dem körperlichen Realen), jene medienästhetische Differenz, auf die Benjamin schon indirekt hindeutet. 257 Take off mit Bodenkontakt Beide wollen trotz oder gerade wegen ihres gewagten Vorstoßes in noch unbekannte Gefilde, sozusagen einem take off im Virtuellen,835 stets sichernden Bodenkontakt wahren, denn sowohl bei Sacher-Masoch und mehr noch bei Kapp bilden agrarische Lebens- und Produktionsweisen bzw. das Ackerbaumotiv einen wichtigen Bezugspunkt in ihrem Denken und Handeln.836 Damit ist eine reale Grund- bzw. die Ausgangslage ihrer individuellen Operationen im Zeitalter der Eisenbahnen und Telegraphen gegeben.837 Das dies notwendig erscheint, lässt sich gerade in Sacher- Masochs Schriften nachvollziehen, ist dort doch – wie auch generell in der Nachmärz- Literatur des bürgerlichen Realismus in Deutschland – ein „sentimentales Bedauern über die verlorengegangene und historisch überlebte rauhe Naturunmittelbarkeit des Daseins“, das mit „ein[em] antiindustrielle[n] Ressentiment“838 einherging, zu 835 Wie der take off nicht nur imaginär, sondern in der Kulturgeschichte des Fliegens dann tatsächlich technisch realisiert wurde, beschreibt Natascha Adamowsky in/als Das Wunder in der Moderne: Dies. 2010 (a). 836 Bei Sacher-Masoch geht das Ackerbaumotiv einerseits auf seine Kindheit im agrarisch geprägten Galizien zurück, andererseits auf Bachofens Theorie zum Mutterrecht, vor allem auf das zweite Entwicklungsstadium der trocken gelegten Sümpfe und der dadurch möglich werdenden Landwirtschaft. In diesem Stadium hat die gütige, orale Mutter das Sagen. Es gibt bei Bachofen drei Entwicklungsstadien, denen drei Frauentypen entsprechen, die Sacher-Masoch in seiner Fetischkonstruktion der grausamen Frau in einem Bild vereinigt bzw. synthetisiert. Er projiziert dieses Bild u. a. auf Wanda, die ‚Venus im Pelz’. Daher wundert es nicht, dass in der Novelle Venus im Pelz drei schwarze Dienerinnen, von Wanda beauftragt, Severin in einen Pflug einspannen und ihn gewaltsam zur Feldarbeit antreiben (vgl. Treut 1990 186). Hier wird die Konstruktion dieses zusammengesetzten Frauenbildes offenbar, gerade indem deren inhärentes Funktions- bzw. Steuerungsprinzip nach außen gekehrt wird. (Wanda lernt das Funktionsprinzip des Maso-Spiels [inklusive dessen inhärenter Fernsteuerung] also allmählich kennen, indem sie es anwendet.) Im Gegensatz zu Kapps tatsächlich gelebter Ackerbaupraxis geht es bei Sacher-Masoch also vielmehr um eine literarische Bearbeitung – um die mythische und geschlechtliche Dimension – dieser Tätigkeit und dieses Motivs. 837 Vgl. zu den Anfängen globaler Vernetzung im 19. Jahrhundert (besonders die Entwicklung der Eisenbahnnetze, die nicht selten denen der Telegraphen folgte): Mattelart 1999, „Die Pioniere der Telegraphie“, 18 f. und vgl. auch: Böhme, „7. Historische Wurzeln des Netzbegriffs“ unter: http://www.netzeundnetzwerke.de/files/boehme_netzwerke.pdf. 838 Vgl. Koschorke 1988, 28. 258 beobachten.839 Das Begehren nach Bodenhaftung und Erdung lässt sich – wie Deleuze und Guattari bemerken – auch in den Erscheinungen psychischer Dysfunktion wiederfinden und gilt als Moment und Modus der Unterbrechung: „Neurose, Psychose und auch Perversion, wie deren Verhältnis zueinander, hängen vor der jeweiligen Situation einer jeden gegenüber dem Prozeß und der Art und Weise ab, in der jede einen Modus der Unterbrechung, einen Rest Erde repräsentiert, an die man sich klammert, um nicht von den deterritorialisierenden Strömen fortgerissen zu werden.“840 In diesem Sinne bilden Kapps und Sacher-Masochs abenteuerliche Unternehmungen auch eine Gegenstrategie – Wunschmaschinen und Antiproduktion841 – zur bürgerlich verordneten und verwalteten Existenz, eben „ein Programm des Rückzugs von den Realitäten des heraufgezogenen Industriezeitalters“.842 Dieser Rückzug ins literarisch inszenierte oder real gelebte ländliche Idyll – Ausdruck asketischer Begehrensformen 839 Der Historiker Joachim Radkau, der zur Geschichte der Ökologie forscht, sieht darin die Wurzeln des kollektiven Umweltbewusstseins in Deutschland: „In der Belle Époque hatte die Industrialisierung Deutschland und die USA voll ergriffen. Andererseits hingen grad die Deutschen noch an ihrer Gemütlichkeit. Viele empfanden diese Spannung als quälend und meinten, man brauche eine Menge Natur, um nicht das Nervensystem zu ruinieren.“ (taz-Interview vom 12.4.2012.) Lacan redet in diesem Zusammenhang von „Suppengrünidealismus“, den die Deutschen u. a. in ihren Schrebergärten, jenen „grünen Klitschen“, pflegten. (Vgl. Lacan 1986 [b], 115.) Heutzutage haben ‚Landhaus-’ bzw. ‚Country-Style’-Magazine in Deutschland zusammengenommen eine höhere Auflage als das Nachrichtenmagazin Der Spiegel. Vielen Dank an Volker Müller-Veith für diesen Hinweis. Vgl. zu dieser bürgerlichen Landhaus-Sehnsucht auch Michael Hanekes FUNNY GAMES (U.S.). 840 Deleuze und Guattari 1977, 176. Dass der „Modus der Unterbrechung“, zumindest in einem rein medientechnischen Sinne, nie „ein Stück Erde repräsentieren“ kann (vgl. dazu die Kommentare zur Bodenlosigkeit des Seins im elektrischen Zeitalter in dieser Arbeit 497, 503 [Fußnote 1642]), sondern nur eine Wunschvorstellung (auch und besonders im psychopathologischen Sinne) darstellt, muss hier hervorgehoben werden. (Dieser Irrtum macht sich auf fatale Weise auch in jeder faschistischen Blut- und-Boden-Ideologie bemerkbar.) 841 Vgl. Jäger 1997, 126 842 Koschorke 1988, 28. Annette Bitsch beschreibt die „utilitaristische[] Moral des industriellen Zeitalters“ im 19. Jahrhundert „als die der Nikomachischen Ethik – Moderation, Entwilderung, Pädagogik, Diätik“, was „Fragen von Gleichgewicht, Homöostase und optimaler Distribution von Energie“ aufwirft. Vgl. Bitsch 2001, 95. 259 und reterritorialisierende Praxis zugleich (an äußeren geografischen Grenzorten zwischen Zivilisation und Wildnis) – kann einmal mehr als eine masochistische Flucht nach vorn angesehen werden. Christian Filk hat in der Picardschen Medientheorie den Zusammenhang zwischen Flucht und Kreisbewegung aufgezeigt, der dann auch noch in die Zitatsammlung des vorangegangenen Punkts aufgenommen werden kann: „Die Argumentationsfigur der Flucht nimmt sich als eine autark in sich zirkulierende, permanent perpetuierende Dynamis aus. Sie zeitigt nach Picard nivellierende Wirkungen.“843 Wo jedoch bei Picard die (mediale) Fluchtbewegung negativ besetzt ist, ist das Gegenteil bei Deleuze und Guattari der Fall: „Nicht die Drucklinien des Unbewußten zählen, sondern deren Fluchtlinien. Nicht das Unbewußte übt Druck auf das Bewußtsein aus, sondern das Bewußtsein drückt und knebelt, um jenes an der Flucht zu hindern. Das Unbewußte gleicht dem platonischen Gegensatz beim Nahen seines Gegensatz: es flieht oder geht zu Grunde.“844 Wo Kapp der despotischen Maschinerie der preußischen Bürokratie entflieht,845 um in den Weiten der texanischen Prärie das Land – nach eigenen Bedürfnissen – nutzbar zu machen und zu besiedeln,846 flieht Sacher-Masoch zur virtuellen Konstruktion einer individuellen Wunschmaschine, deren Zentrum eine pelztragende, peitschende ‚Despotin’ ist, die seinen Kindheitserinnerungen im österreichischen Galizien, seinem 843 Filk 2010, 22. 844 Deleuze und Guattari 1977. 845 Vgl. Kapp 1849 (Der constituirte Despotismus und die constitutionelle Freiheit), 85: „Je mechanischer ein Staat regiert wird, desto despotischer wird er regiert. Also Mechanismus gleich Despotismus, Organismus gleich Freiheit“ [sic!] [letzter Satz im Zitat ist im Originaltext mit Fettdruck hervorgehoben]. 846 Dennoch entkommt Kapp der Despotie nicht, bedient er sich doch in seinen Grundlinien einer Philosophie der Technik wiederum eines „despotischen Signifikant[en]“, der „die sozialen Codes“ – das heißt bei ihm der Werkzeug- und Maschinengebrauch bzw. die Organprojektion – „linearisiert und bijektiv macht“ (vgl. Deleuze und Guattari 1977, 51), also zum Zweck der ganzheitlichen Selbsterkenntnis vereinheitlicht und nivelliert (und demnach in ihrer Vielheit und Andersartigkeit beschneidet). Das Andere des Körpers und der Technik kann somit nicht deutlich herausgestellt werden; es bleibt bei Kapp schwammig bzw. undurchsichtig. 260 agrarisch geprägten (und von ihm mythisch verklärten)847 Geburtsort entspringt.848 Auch der Masochist verlegt seine innere Vorstellungswelt in ein apparatives bzw. dispositives Äußeres, baut sich eine Bühne im Privaten, auf der er sich selbst und sein ‚Objekt’, die vermeintlich grausame Frau, projiziert und demonstrativ zur Schau stellt. Zugleich wird dieses Setting oft auch auf andere Schauplätze verlegt, wie z. B. nach Russland, Italien oder Afrika. Hier offenbart sich der innere Drang des Masochisten nach Exhibition und Expansion, sein Sendungsbewusstsein, das er befolgt und ausführt, indem er seine Fetisch-Erfindung in andere Kulturen/Räume exportiert: Er glaubt, dass das, was ihm selbst Lust bereitet, für andere nicht falsch sein kann. Wie im ersten Kapitel bereits erwähnt, bilden äußere Weiten, karge Steppen- und frostige Schneelandschaften, deren kristallene Oberflächen meist im fahlen Mondlicht geheimnisvoll schimmern, in Sacher-Masochs Ästhetik einen wichtigen und notwendigen Bezugsrahmen, quasi das Begehren nach Natur- bzw. Erdverbundenheit im maschinell ausgestatteten und (groß-)industriellen späten 19. Jahrhundert. Im Gegensatz zum grenzenlosen, nicht-sichtbaren Raum reeller Medien und realer Körper ist diese Weite – sei es nun die texanische oder galizische Wildnis; entlegene Randgebiete in Ost und West auf verschiedenen Kontinenten – bei Sacher-Masoch und auch bei Kapp zumindest noch geografisch und eben literarisch-philosophisch zu überschauen. Bei ihnen erscheint der Blick noch unverstellt: „‚Auf dieser unermeßlichen Ebene’, beschreibt er [Sacher-Masoch] das Land am Fuße der Karpaten [Galizien], ‚wo sich Erde und Himmel zu berühren scheinen und um Größe und Erhabenheit miteinander wetteifern, hat der Mensch noch das Gefühl von Unendlichkeit und Ewigkeit. Zwar bringt es ihm auch seine eigene Nichtigkeit zu Bewusstsein, erhebt ihn aber zugleich über diese kleine Welt, den Sternen zu, die uns dort näher erscheinen als in den funkelnden Städten des Westens.’“849 847 Durch diese Verklärung wie auch „Selbstmythisierung hindurch führt wie ein roter Faden die Absicht, der eigenen Kindheit des Anstrich des Singulären und Exterritoritalen zu verleihen.“ Vgl. Koschorke 1988, 20. 848 In dem Maße, wie Kapp sich die texanische Natur unterwirft, macht Sacher-Masoch dies gewissermaßen ebenso mit der (vermeintlich grausamen) Natur der Frau. Beide Pioniere wollen also mit persönlich-konkreten Wunschvorstellungen eine terra incognita – die auch immer ihr eigenes unbewusstes Selbst umfasst – erschließen. 849 Vgl. Sacher-Masoch 1985, 33; zitiert nach Koschorke 1988, 29. 261 Solche Raum- bzw. Umweltbezüge an der heterotopen Zivilisationsgrenze verstehen sich als hilfreiche Orientierungspunkte, um die Endlosigkeit und Virtualität des äußeren (und auch inneren) Raums (der Natur, des Körpers, der Technik, des Wissens, etc.), noch (sinnlich) erfahren zu können. Nach Linda Hentschel äußert sich dieses Begehren bereits seit der Erfindung der Camera obscura (bzw. des zentralperspektivischen Apparats) im 16. Jahrhundert, einem frühen optischen Medium, das sie sowohl als Raumbeherrschungs- wie auch als Raumpenetrationsmaschine liest: „Der Entgrenzung des Raumes korrespondierte [...] eine Begrenzung des Subjekts und seines Körpers, die ästhetische Vereinheitlichung und Telekopierung von Raum war gekoppelt an die zunehmend populär gewordene Theorie seiner Unüberschaubarkeit und Endlosigkeit“.850 Signifikanter Unterschied Wie ebenfalls zuvor schon mit Peter Weibel und Gaylyn Studlar belegt wurde, ist ‚die’ Frau im späten 19. Jahrhundert zumindest in der masochistischen Fantasie eine zusammengesetzte Figur aus Tier, Engel und Maschine,851 wobei sich diese 850 Vgl. Hentschel 2001 und die Zusammenfassung ihrer Anmerkungen zum zentralperspektivischen Apparat/Raum: Pühler 2006, 26 ff. 851 Auch bei Kapp ist der Mensch eine Mischung aus „Idealthier“ und „ideal machinale[m] System“. In Bezug auf Benjamin Franklin spricht Kapp auch vom „tool making animal“ (Kapp 1978, 237), der deswegen die „Krone der Schöpfung“ bildet und in dieser erhobenen Position sogar aufhört, „Thier zu sein“. (Ebd. 16 f., 188; vgl. auch Daniel Paul Schreber [1995, 175], der in seinen Wahn Ähnliches behauptet, und Deleuzes und Guattaris Kritik an dieser „Krone der Schöpfung“ 1977, 10.) Aus dieser Perspektive ist es wahrscheinlich nur gut, dass Kapp in seiner vom Tier losgelösten machinalen Tier- Mensch-Konzeption nicht auch noch Fragen der Geschlechtlichkeit und der Sexualität prothesentheoretisch verhandelt. (Jedoch könnte hier auch vermutet werden, dass – wie die Cyborg- Theorie u. a. nahe legt – geschlechtliche Dimensionen im technischen Fühlen und Denken zumindest auf der Oberfläche keine Rolle mehr spielen, also entweder ausgeblendet bzw. aufgehoben werden – und damit allerdings nicht aus der Welt/aus dem Unbewussten sind.) Dennoch ist es verwunderlich, dass Kapp in seiner Mensch-Maschinen-Philosophie nicht auf jene mechanischen Automatenpuppen bzw. Automatentiere, wie sie sich im 18. Jahrhundert bei Hofe und in den Salons großer Beliebtheit erfreuten, näher eingeht, hätte er doch mit diesen seine Organprojektionsthese produktiv fortführen können (– z. B. die Verdinglichung, die Maschinisierung des Seins/Ich klar erkennen können). Er erwähnt diese Androiden, die ein anthropologisches Körperschema besitzen, zwar kurz, jedoch 262 maschinisierte Natur als dämonisch, kalt und seelenlos zeigt. Auch hier liegt also eine stilisierte, sterilisierte, synthetisch-überhöhte Idealvorstellung, ein Projektion ermöglichender Referenzrahmen vor, ein Objekt der Technoimagination mithin, welches in seiner hybriden, aus Partialteilen zusammengesetzten Struktur (einer Mischung aus körperlichen und geistigen Anteilen bzw. neuen und [ur-]alten Symbolen) durchaus vergleichbar ist mit Kapps Ästhetik der Organprojektion, keineswegs aber mit der harmonisierenden Wirkung, worin der große Unterschied besteht: „Die Idee einer harmonischen Wiedervereinung von Menschengeist und Natur hat bei Sacher-Masoch keinen Raum. Die Natur beweist ihre Ungebrochenheit vielmehr in der uneingeschränkten Gewalt, mit der sie den Blick des Menschen trifft. [...] Sein Eskapismus bedient sich nicht der abgenutzten Stilmittel des Harmonisierens, sondern schlägt die Gegenrichtung ein, ästhetisiert den Schrecken, lässt die Weltgeschichte in ein Bestiarium verwandelt erscheinen.“852 Wo sich das Ich bei Kapp zum absoluten Selbstbewusstsein bzw. zu disziplinärer Vollschlüssigkeit hochschaukelt (oder dies zumindest versucht), ist eine Umkehrung dieses Vorgangs bei Sacher-Masoch virulent: Dieses Ich wird in einem grandiosen scheinen ihm solche Unterhaltungsmedien einer wissenschaftlichen Betrachtung nicht würdig zu sein. (Vgl. Kapp 1978, 101 ff., 129 und 286: „Spottfigur aus Rad und Draht“ – „die Mißgeburt eines musikalischen Instrumentes“.) So hält er die „künstlichen Uhr- und Räderwerke tanzender und plappernder Gliederpuppen“ nur für „Gegenstände der Neugier [...], [...] der Langenweile und des Ueberdrusses“. (Ebd. 105. Vgl. zum Automatendiskurs des 18. Jahrhunderts Felderer 2000 und Venus 2001:) – „Der eigentliche ‚Androïd’ des 18. Jahrhunderts war nicht der Automat, dessen perfektes Uhrwerk zu täuschender Nachahmung natürlicher Vorbilder befähigte: der eigentliche ‚Androïd’ war vielmehr der Mensch, der zur Teilhabe an der bürgerlichen Gesellschaft befähigt werden sollte – der Zögling, der Adressat pädagogischer Ambitionen, der erfolgreich alphabetisierte, der ‚disziplinierte’, der effektive Zeitgenosse.“ (Felderer 2000, 219.) Diese Lesart des Androiden als Nachbau eines disziplinierten, programmierten Subjekts, das nach wie vor (u. a. als Marionette, Avatar, [Bio-]Roboter etc.) Aktualität besitzt, wurde durchaus schon im 18. Jahrhundert erkannt und kritisiert, z. B. in einem Streit zwischen Julien Offray de La Mettrie und Georg Christoph Lichtenberg: „Während bei La Mettrie der Automat als Chiffre des lebendigen Menschen figuriert, ist für Lichtenberg der Automat Symbol verminderter Lebendigkeit, er steht für den perfekten, das heißt dummen Untertan.“ Vgl. Venus 2001. 852 Koschorke 1988, 30, 38. 263 Spektakel gedemütigt und zerlegt, dem Masochisten buchstäblich Verstand, Sinne und Selbst-/ Sendungsbewusstsein herausgepeitscht,853 bis dieser orientierungslos und dem Selbstmord nahe im kultivierten Raum umherirrt.854 Die Domina peitscht demnach nicht nur den Körper des Masos, sondern vor allem auch dessen überhöhtes Ich-Ideal aus, holt ihn quasi aus seiner luftigen Transzendenz auf den harten Boden der Tatsachen zurück – auch wenn sie (und dies ist das Pervers-Komische an dieser Praxis) sein Idealbild gleichzeitig voll bedient. Dabei wird nicht nur das „Raubthierähnliche“, von dem Kapp – wie zuvor erwähnt – im Zusammenhang „harmonisch[er] menschlicher Bildung“ spricht,855 im Bild der grausamen Frau (bzw. in der erregten Imagination des Masochisten) wirkungsvoll reaktiviert,856 sondern auch „der Affektrhythmus dem Kulturrhythmus an[ge]pass[t]“,857 schreibt Michael Gratzke, was meiner Meinung nach auf nichts anderes hinausläuft, als das technisch gespeicherte (übercodierte und verdrängte) Reale dem Subjekt hier verfügbar zu machen. Die Intensität an medialer und körperlicher Gewalt, die dabei freigesetzt wird, entspricht der masochistischen Lust. Teleologische Bestimmungen (wie z. B. die der maschinellen Vollschlüssigkeit) werden dann in dem Sinne verdreht und auch ad absurdum geführt858 – jedoch nicht aufgegeben oder verworfen –, als dass sie nur noch der Totalität des Lustgewinns zuarbeiten, der sich als ein rein negativer erweist. Trotz Vertraglichkeit kann das Medium ‚grausame Frau’ dann genausowenig wie die organprojizierte Maschine im späten 19. Jahrhundert domestiziert bzw. kontrolliert werden, beides schlägt sozusagen in Eigenregie zurück. Die ‚grausame Frau’ besitzt also ebenso wie die analoge Maschine Macht in diesem masochistischem Spiel;859 853 Vgl. Sacher-Masoch 2003, 105. 854 Ebd. 120 f.: Nach einem missglückten Versuch, sich im Fluss zu ertränken, „irr[t]“ Severin, der masochistische Held aus der Venus im Pelz, „unstät im Garten [von Wandas florentinischer Villa] umher, wie ein Thier, das seinen Herr verloren hat“. 855 Vgl. Kapp 1978, 36. 856 Auch das Geisterhafte, das Kapp in analogen Medien erkennt (vgl. ebd. 100) , kommt in diesem Bild (quasi medienspiritistisch) zu seinem Recht. 857 Vgl. Gratzke 2003, 95. Theodor Reik schreibt in diesem Zusammenhang von einer Überanpassung: „Beim Masochisten ist, scheint es, die Ersetzung des Triebrhythmus durch den Kulturrhythmus zu gut gelungen.“ Reik 1977, 147. 858 Zumindest geschieht dies nicht im ‚Licht’ des denkenden Bewusstseins, der Selbstreflexion. 859 Sogar Kapp bezeichnet – obwohl geschlechtsspezifische Äußerungen in seiner Arbeit sonst fehlen – die „Dampfmaschine“ als weiblich, als „Mutter einer Legion von Arbeitsmaschinen“ und „Herrin der 264 einem Spiel kalkulierter Männerfantasien, in dem es das wahrnehmbar gewordene Reale/Reelle zu bändigen/bezwingen gilt und – zumindest bei Sacher-Masoch – schon in diesem – aufgrund der ‚disjunktiven’ Peitschenhiebe (und deren Striemen im Fleisch) – experimentell bewegt (worin sich das Begehren nach Selbstbestrafung und sozusagen die [Medien-]Avantgarde Sacher-Masochs offenbart). Doch im Gegensatz zur Maschine, die einfach nur eine ihr einprogrammierte Funktion ausführt, entscheidet die ‚grausame Frau’ relativ frei über Verlauf und Ausgang der masochistischen Dramaturgie (dabei wird sie für den Masochisten – wie bereits beschrieben – am Ende tatsächlich grausam), auch wenn ihre Rolle und die ‚Apparatur’, in die sie eingespannt wird, genauso von vornherein auf Verfügbarkeit, Dauerpräsenz, Funktionieren und Nachhaltigkeit (via Bildcollage und Vertrag) eingestellt ist wie Kapps Theoriefetisch der Organprojektion (via Vorbild der menschlichen Hand und dem ‚Gliederganzen’ des Organismus) und viele weitere (natur-)wissenschaftliche Behauptungen, Versuche, Resultate, Erfindungen oder einfach Perversionen im späten 19. Jahrhundert und danach. Die Maso-performance ist daher von einer strukturellen Offenheit geprägt,860 einem Ausgang im Ungewissen, der gerade den Reiz und die Spannung (im Sinne von suspense) ausmacht. Die ‚Despotin’ wirkt dem „Ausschluss jeder Unbestimmtheit“ zumindest auf der Ebene männlicher Fantasie und Libido, letztendlich auf der Ebene der Partialobjekte und Fetische entgegen und hat daher eine Effektivität (im Sinne einer produktiven Mehr-Lust), die bei Kapp fehlt bzw. theoretisch unterschlagen wird. Schließlich wird sie die vorgegebene phallische Organisation der Partialobjekte zum Absturz bringen und damit genau jenen GAU des selbst- bzw. prothesenverliebten Masochisten herbeiführen, mit dem dieser einmal nicht gerechnet hat (und den er gerade deswegen insgeheim umso mehr begehrt).861 Wie sie dabei vorgeht, bleibt ihr Situation“. (Vgl. Kapp 1978, 199.) Auch der Erfinder des Dieselmotors, Rudolf Diesel, nannte seine bahnbrechende Motor-Erfindung ‚schwarze Geliebte’. 860 Vgl. zur Offenheit des Maso-Spiels: Mansfield 2003; vor allem die Nähe des Begriffs zur „Offenständigkeit“ und zum „Freisein zum Offenbaren eines Offenen“ in Heideggers Philosophie: ebd. 433 f. 861 Nicht nur der Masochist bekommt hier seine Lektion erteilt, sondern auch all jene egoman- phallisch-hegemonial-positivistisch-sexistisch-rassistisch-sadistisch denkenden Akteure, die glauben, man könne das Reale der Lust und des (medialen) Begehrens einfangen und als greifbares Objekt – ein 265 überlassen: Sie verfügt prinzipiell über Wahlmöglichkeiten eines subjektiven Begehrens, über eine Kommunikation mit ihrer Umwelt, in der sie eben nicht mehr nur die ihr zugewiesenen männlichen Projektionen umsetzt, sondern anfängt, selbst zu agieren, eigene Spielzüge zu entwickeln. Sie nimmt dann – so könnte man vielleicht sagen – jenen Platz ein, den Ernst Kapp als kosmischen Rest an der Maschine identifiziert, gleichsam ein offenes, noch nicht erschlossenes Übergangsgebiet, der Raum des oszillierenden Intermediären/Imaginären und der Zukunft: die „Position einer Zwischenschaltung“.862 Damit verlässt sie die für sie bestimmte Rolle als programmiertes Lustobjekt bzw. Maschinenfrau und fängt an, ihre eigene – längst überfällige – Subjekt-Werdung in Angriff zu nehmen, ihrer eigenen Lust Lauf zu lassen und zu folgen.863 Sie wird damit auch das (nicht hinreichend) aufgeklärte, männliche Wissenssubjekt belehren und transformieren. Dies ist ein Ziel der masochistischen Prozedur, das in diese unbewusst eingeschrieben ist. Der Entwicklungs- und Wahrheitsgedanke, der für das gesamte ‚lange’ und sehr experimentelle 19. Jahrhundert so ungemein wichtig ist,864 wird im Masochismus also eher möglich als in positivistischer Ego-Philosophie à la Kapp. für alle mal – sicherstellen; seien es u. a. (Natur-/ Sozial-)Wissenschaftler, Ärzte, Anthropologen, Pädagogen, Philosophen, Perverse, Psychoanalytiker, Psychologen, Psychopathologen, Hygieniker, Sittenwächter, Moralapostel, Zensoren, Politiker, Prediger, Ingenieure oder Industrielle im 19. Jahrhundert (bzw. auch danach). All jene, die „in der materialistischen Epoche“ für „all ihre[] Unfälle[], experimentellen Manien, Grands Mals und Zerstörungsgewalten“ gesorgt haben. (Vgl. Bitsch 2009, 232.) Das gilt auch und besonders für die sexualwissenschaftliche Betrachtung des (Sado- )Masochismus. Wanda von Sacher-Masoch bemerkt in einem Nachtrag zu ihren Memoiren, ihrer von Deleuze geschätzten Lebensbeichte, 1908: „Mit ihren Forschungen, und nur mit diesen, hat die Wissenschaft der heutigen Generation den Masochismus suggeriert, ihn zu einer Modekrankheit erhoben, die bereits in allen Ländern grassiert […]. Wenn die Wissenschaft nicht helfen kann, dann möge sie doch lieber schweigen – für die große Öffentlichkeit wenigstens.” W. von Sacher-Masoch 2003 (b), 335. 862 Lacan 2003, 182. 863 Auch wenn sie dieses masochistische Programm erst einmal nicht los wird, so greift sie doch darin ein, dreht den Spieß bzw. legt den Schalter einfach um. 864 Vgl. Bitsch 2009, 191. 266 Zwischenergebnis Als vorläufiges Ergebnis kann im Vergleich beider Ansätze, in denen Wahrnehmungen des technisch formatierten – zum Objekt vereinheitlichten, verdinglichten – Ego virulent werden,865 festgehalten werden: Die Abhängigkeit vom Anderen bei gleichzeitiger Unkontrollierbarkeit desselben bedingt und beschreibt demnach bis heute ein masochistisches Ich, das Kapps Ich-Konzeption – wie auch allen nachfolgenden (Fehl-)Entwicklungen einer philosophisch-psychologischen Ego- Orthopädie – zumindest in dessen bewusstsseinsunterlaufenden, anarchischen Wirkungen entgegen steht. Dieses Ich ist keine autonome Zentrale des gesamten Subjekt-Apparats,866 sondern nur Schnitt-/ Schaltstelle und damit Effekt außenliegender Medien, deren Beherrschung es im Realen zwar begehrt, aber eben nie erreicht (hat). Kapp hat diese strukturale Seinsverfehlung – genauer gesagt die Tücke und Gewalt des (Lust-)Widerstands der Partialobjekte, Loch- und Leerstellen im Imaginären bzw. Symbolischen – nicht sehen und begreifen wollen, obwohl deren Symptome (Geistererscheinungen, Paradoxien, Begriffskonfusionen etc.) ihm in seiner Philosophie bereits übel mitspielen und ihn ins Schleudern bringen. Demgegenüber nutzt der Masochist die Partialobjekte seines Ich – deren negativen Wirkungen – sehr gezielt, wenn auch vornehmlich unbewusst, erweitert diese metonymisch bzw. prothetisch, um so abwesende Lust zu ködern und abrufbar zu machen. Aber auch er scheitert, da die Gewalt in seinem Experiment letztendlich zu heftig, zu (selbst-)destruktiv wird, sowohl für ihn als auch für seine Domina. Wo liegt nun also die Lösung? Lustfeindliche, völlig humorfreie, jedoch Ich-konstituierende Ego-Philosophie bei Kapp gegen (bzw. und/oder) Ich-zerstörende, aber auch (zumindest am Anfang) amüsant-romantische Lust- und Liebespraxis bei Sacher- Masoch? Und wo ist mehr Kultiviertheit im Spiel (im Sinne von Mehr-Lust und - Wissen)? Die mögliche Antwort liegt wahrscheinlich – wie so oft – irgendwo 865 Dies gilt sowohl für beide Geschlechter als auch für alle anderen – bis heute. 866 „Wie auch immer, Lacans Ego dominiert in keiner Weise als Integrations- und Regelzentrum den gesamten Apparat, sondern ist ‚bloß eine Funktion’.“ Bitsch, 2001, 84, Zitat darin: Lacan 1991 (a), 71; vgl. zum Begriff des psychischen Apparats bzw. Subjekt-Apparats den nachfolgenden Punkt. 267 dazwischen und entspricht dem Übergangsstatus, dem Halteproblem der masochistischen Prozedur.867 Der hier dargelegte Vergleich zwischen Kapp und Sacher-Masoch geht – wenn man diesen als konkurrierendes Spiel betrachtet – sozusagen unentschieden aus, auch wenn – zumindest aus heutiger Forschungsperspektive – Sacher-Masochs Fetisch mehr (unbewusste, das heißt zu entschlüsselnde) Wahrheit enthält und dem Begehren nach Transformation viel eher gerecht wird als derjenige Kapps. Sacher-Masoch hat sein Begehren schlichtweg radikaler ausgespielt bzw. aus-spielen lassen;868 seine performance greift tiefer ins mediale Reale ein als Kapps texanisch-hegelianisch geprägte Technik-Philosophie und ist zudem raffinierter inszeniert. Allerdings wäre eine Auseinandersetzung mit Hegels Dialektik bzw. analytischen Fragen für Sacher- Masoch durchaus hilfreich gewesen, sein paradoxes Maso-Begehren besser bzw. überhaupt verstehen zu können. Doch in der Venus im Pelz schläft der namenlose Ich- Erzähler über einem Buch von Hegel ja gerade ein, um von einer zürnenden Herrscherin zu träumen...869 Technikdefinitionen Mit Kapps Philosophie kann – und dies ist trotz aller Kritik ihr großer Vorteil – die Technikfrage bzw. -definition, die im klassischen Masochismus außen vor bleibt,870 867 Christoph Dolgan spricht mit dem französischen Ethnologen Arnold van Gennep von einem Übergangsritual. Vgl. Dolgan 2009, „IV. Übergänge“, 139 ff. 868 Sacher-Masoch hat das Venus-im-Pelz-Experiment eindeutig als Spiel bezeichnet, wohingegen Kapp den spielerischen Aspekt seiner Organprojektion unerwähnt lässt bzw. womöglich gar nicht wahrgenommen hat. (Dennoch erkennt er die darin „[zustande gekommene] Harmonie im Spiel der organischen Gesammtthätigkeit“. [Vgl. Kapp 1978, 64]). Auch das spricht eher für Sacher-Masochs Ansatz, wenn man wie Kapp die „Entstehung der Cultur aus neuen Gesichtspunkten“ ins Auge fasst. 869 Sacher-Masoch scheint also gewusst oder zumindest geahnt zu haben, dass zwischen Hegels Dialektik und seinem Maso-Spiel ein signifikanter Zusammenhang besteht. 870 Auch wenn Sacher-Masoch das Künstliche und Technomorphe seines Experiments nicht durchschaut oder gar nicht durchschauen möchte, kommen nichtsdestotrotz technische Dinge und Wahrnehmungen auch in seiner Literatur zum Vorschein, ist doch stets in Bezug auf die ‚grausame 268 differenziert erläutert werden. Hans-Martin Sass fasst mit Helmut Schelsky „drei große Anwendungsgebiete von Werkzeuggebrauch – von hard-ware-Werkzeugen und soft-ware-Werkzeugen – zusammen: 1. Die Techniken der Produktion, der Erzeugung sachhafter Güter [...]; 2. Die Techniken der Organisation, also die Methoden der Beherrschung und Erzeugung sozialer Beziehungen [...]; 3. Die Techniken der Veränderung, Beherrschung und Erzeugung des seelischen und geistigen Innenlebens des Menschen, die wir mit dem Begriff der Humantechniken bezeichnen wollen“.871 Sass fügt diesen Kategorien moderner Technikbestimmung noch zwei weitere hinzu, die sowohl für Kapps als auch Sacher-Masochs Fetisch in Frage kommen:872 „4. Die Techniken der Orientierung, in fachwissenschaftlichen Theoriekonzepten, in metawissenschaftlichen Simulationsmodellen, in metaphysischen Orientierungsrahmen, in künstlerischen Handlungen und Herstellungen, in der Sprache und in der Religion. 5. Die Techniken der individuellen und intellektuellen Selbstbehauptung in logischen und analytischen, in meditativen und metaphysischen, in kommunikativen, emotionalen und diskursiven Techniken, die deswegen von den Techniken der Orientierung zu unterscheiden sind, weil den Orientierungstechniken ein Hang zum Fabulieren und zum Sichverlieren anhaftet, der die Entdeckung zum Selbstzweck und das Entdeckte zum Beherrschenden werden lassen kann.“873 Was die nach diesen Definitionen bestimmbaren, technikorientierten Diskurse des Masochismus und der Prothesentheorie auf einer elementaren Ebene verbindet, ist deren spürbar gewordene Entropie, der Entzug an Sein, der Verlust des Ursprungs und Frau’ bzw. masochistische Konstellation von einer medialen – elektrisierenden und magnetisierenden – (Lust-)Gewalt die Rede. Hier zeigt sich der ‚böse Reiz’ dann ausnahmsweise einmal unmaskiert. 871 Sass, Einleitung, „I. Technik“ in: Kapp 1978, VI. 872 Schon die Humantechniken umfassen SM-Begehren. 873 Sass, Einleitung, „I. Technik“ in: Kapp 1978, VII. Gerade die Orientierungstechniken, in denen „die Entdeckung zum Selbstzweck und das Entdeckte zum Beherrschenden werden“ kann, haben demnach verführerisches Fetisch-Potential. 269 letztendlich der Todestrieb.874 Beide Diskurse sind in einem Raum der Negativität angesiedelt und darauf ausgerichtet, Sichtbarkeiten zu produzieren. Sie organisieren und inszenieren sich auf körperlichen und/oder medialen Oberflächen,875 wobei sie – so möchte ich postulieren – das beginnende Zeitalter des Medienfetischismus (etwa ab 1850) symptomatisch anzeigen, aufzeichnen und gleichsam prägen. (Mai Wegener spricht auch von der „einsetzenden Experimentalisierung des Lebens“ ab Mitte des 19. Jahrhunderts.)876 Bei beiden gehen sehr gegensätzliche und sogar sich ausschließende Begriffe und Qualitäten eine spannungsgeladene, dynamische und fantasieanregende Liaison ein, die dann meistens (auf der Wahrnehmungsebene und auch nach außen hin, in der Ich-Projektion) recht groteske bzw. perverse Züge annehmen kann. U. a. heißt dies, dass Organisches und Anorganisches, Chaos und Ordnung, Trieb und Gesetz, Körper und Medien, Partialobjekte und Phallus, ‚Natürliches’ und Künstliches, Lust und Unlust – kurzum: Reales und Symbolisches in ihrem medialem Zusammenschluss, ihrer theoretischen wie auch praktischen Implementierung, unbewusst interagieren und nicht selten erhöhte Aufmerksamkeit – sei es Neugier oder Schaulust – erzeugen. Auf der Ebene des beobachtenden Subjekts 874 „Auf der Ebene der als unbelebt angesehenen Systeme, einschließlich dessen also, was im Innern der lebenden Organisation auftritt, ist das In-Funktion-Treten einer irreversiblen Tendenz, die auf die Herstellung eines Zustands endgültigen Gleichgewichts zielt, eigentlich das, was in der Energetik als Entropie artikuliert wird. Dies ist eine erste Bedeutung, die dem Todestrieb bei Freud beigelegt werden kann.“ (Lacan 1996, 256; zitiert nach Bitsch 2001, 88.) Lacan „akzentuiert Freuds Verknüpfung von entropischen Kältefiebern und destruktiven Temperamenten [diese Kälte bzw. Apathie und Destruktivität sind gerade im (Begehren des) Masochisten und auch Sadisten virulent (Anmerkung S.P.)], um ‚aus dem Willen zur direkten Zerstörung’ das algorithmische Agens eines Subjekts zu destillieren, das über selbige Zerstörung zu einem per definitionem inexistenten reellen Ursprung zu retirieren begehrt, ein Ursprung mithin, der nicht mehr in frostigen Niederungen, sondern im Bereich der Zahlen liegt. [...] Das Subjekt rotiert innerhalb einer Kette, die in einer diachronischen Ebene encodiert wurde ausgehend eben von jenem Strukturelement, das es durch Zerstörung der Kette zu punktieren begehrt – Seinsfrage, Ursprungsfrage, namenloser Terror, infinite Agonie [und Sadomasochismus (Anmerkung S. P.)].“ Bitsch 2001, 89; Zitat darin: Lacan 1996, 257. 875 Vgl. Rieger 2008, 256. Stefan Rieger betont, dass der Oberflächendiskurs der Prothesentheorie nicht nur von einer „gewissen Monotonie“ geprägt ist, sondern dass ihm „Bildfindungen wie die von der technisch ausgespannten Haut geschuldet [sind], ohne auf die Spezifik der Medien besondere Rücksicht nehmen zu müssen“. Ebd. 876 Wegener, 2004, „Einleitung“, 9. Der Begriff findet sich auch bei Hans-Jörg Rheinberger und Michael Hagener. Vgl. ebd. 270 ergeben sich aus diesem Verhältnis im günstigsten Falle positive Signifikatseffekte, die in lustfördernden, sinnverheißenden Metaphern, wie z. B. die der Organprojektion oder der ‚grausamen Frau’, einen Ausdruck finden und in diesen Fällen fetischistisch konserviert werden; im schlechtesten Falle – u. a. als Resultat solcher Strategien – aber unkontrollierbare psychophysische Reaktionen wie Atemnot, Kälte, Schwindel, Sinnesschwund oder einfach (Todes-)Angst auslösen, die den horror eines gespaltenen Subjekts unverhohlen ans Licht bringen:877 Jene erschreckende Real- Erfahrung, die nicht nur Sacher-Masoch im Selbstversuch macht, sondern die auch in den psychophysischen Labors des 19. Jahrhunderts experimentell ausgelöst wird.878 – Eine Erfahrung der fundamentalen Subjekt-Gespaltenheit, die bereits in Sades Techniken deutlich zu beobachten ist. Maso-Metaphern Albrecht Koschorke schreibt über den Strukturmechanismus, die Funktion der Metapher in der Masochschen Ästhetik – wie sie nicht nur die Machtveränderungen im bürgerlichen Geschlechterdualismus des späten 19. Jahrhunderts, im Ehe- und Familienleben, registriert, sondern auch auf übergeordneter Ebene die Auflösungstendenzen des „östereichische[n] Zentralismus“ (in der Machtpolitik) oder den „Totentanz des Fin de Siècle“ (in der bildenden Kunst) umfasst bzw. literarisch codiert: 877 Es geht hier vornehmlich um jene dysfunktionalen Erscheinungen, mit denen Freud als Psychiater konfrontiert wurde: „Katatonien, Willenslähmungen, manichäisches Leiden, Alptraumräume und schizothyme Rhythmen, er sah das menschliche Leiden, die Krankheit des Menschen kat exochen, er sah sie mit den Augen von Ananké. Er sah Dystonien, unübertragbaren Tremor, Schwermut in extremis, er sah all die Kranken, Nervolabilen, die Abendgestalten, die Freitagskinder, er sah die Hinfälligkeit der organischen Existenz [... – kurzum:] Trauma, Tremolo, Phobie, Paranoia, Diskontinuität.“ Bitsch 2009, 193. 878 Vgl. Bitsch 2009, 331. 271 „Dem Ordnungsdenken ist die schizophrene Anlage eigen, die Lust an der Unordnung metaphorisch mitschwingen zu lassen, zumindest solange die Unordnung den Bereich der Metapher nicht verlässt, nicht aus den Bildrahmen steigt.“879 Das Ich, das ebenfalls wichtiger Teil dieses unter Kontrolle stehenden Bildrahmens und Metaphernraums ist, lässt sich demnach als konfliktuöses Verhältnis, ein „Tremolo von identitätsstiftenden und identitätsauflöseden Momenten“, beschreiben.880 Die psychoanalytische wie medientheoretische Forschung von Jacques Lacan und Annette Bitsch konzipiert dieses schwankende, ruhelose Ich deshalb in erster Linie als ein pathogenes Symptom,881 in dem sich symbolische Elemente, die durch 1 und 0 binär codiert sind, diskret zu multimedialen Partialobjekten verschalten,882 das heißt sich operational-dialektisch – Herr-und-Knecht-mäßig – aufeinander beziehen, stetig ineinander umschlagen und darauf zielen, sich gegenseitig auszulöschen. Sie illudieren, simulieren und perforieren dabei jede Form von imaginärer Realität. Ein möglicher Sinn lässt sich in diesem rivalisierenden Spiel, 879 Korschorke 1988, 25. Vgl. zur Metapher auch Lacan 1986 (b), 32: „Ein Wort für ein anderes ist die Formel für die Metapher, und wenn Sie Poet sind, bringen Sie, indem Sie sich ein Spiel daraus machen, einen ununterbrochenen Strom hervor, ein betörendes Gewebe von Metaphern.“ George Lakoff und Mark Johnson sehen das ähnlich: „The essence of metaphor is understanding and experiencing one kind of thing in terms of another.“ (Dies. 1980, 5.) Laut Manfred Riepe ist die Metapher ein Vergleich von Unvergleichlichem, „ein (kreativer) Missbrauch der Sprache, ein Missbrauch, der aber dem konventionellen Gebrauch von Sprache logisch vorausgeht.“ (Riepe 2002 [b], 37 ff.) Katharina Müller- Rosalius hebt Orientierungsmetaphern hervor: Diese „strukturieren ein ganzes System von Konzepten und basieren auf unserer physischen und kulturellen Erfahrung räumlicher Orientierung.“ Vgl. dies. 2007, 118. 880 Vgl. Bitsch 2004, 327. Diese Ich-Funktion kann u. a. auch mit dem „Differenzial Kontinuität/Diskontinuität“ (vgl. Filk 2010, 18 ff.) gelesen werden. Rein strukturalistisch betrachtet lassen sich diese Oppositionen zu einem operationalen Verhältnis von on/off-Momenten formalisieren – die digitale Funktion im Unbewussten des mediatisierten Subjekt-Körpers. Im weiteren Sinne kann (mit Deleuze und Guattari diesbzezüglich) auch von Konjunktion/Disjunktion gesprochen werden. 881 Lacan bezeichnet das privilegierte Ich-Symptom im Innern des Subjekts nicht nur als „Geisteskrankheit des Menschen“ (vgl. Lacan 1990, 24), sondern spricht in Bezug auf Subjekte auch von „’denkkranken Tieren’“ – „so wie man „’pestkranke Tiere’ sagt“ (Lacan 2008, 109). 882 Es handelt sich hierbei um „eine Verkettung diskreter Elemente im Sinne eines Programmspeichers.“ Vgl. Bitsch 2001, 95. Vgl. zur digitalen Codierung (in der kognitiven Entwicklung) des Subjekts auch Ragland-Sullivan 1989, 72. 272 ein Drama, das zunächst auf der synästhetischen Ebene der kleinen anderen, (a–)a–a’, stattgefunden haben wird, – bis zu einem gewissen Grad – immer erst nachträglich rekonstruieren. Zeitliche Distanzierung ist für diese verspätete Rekonstruktion, die dem individuellen Lust- und Erkenntnisgewinn zuarbeitet und die Ernst Kapp in diesem epistemologischen Zusammenhang anschaulich beschreibt,883 also unabdingbare Voraussetzung. Mit Hilfe der Sprache sowie auch mit anderen Techniken – vor allem denjenigen des Zweifelns und Fragens – kann sich dieses hybride, stets lustsuchende Ich am Ort des großen Anderen – der wiederum derjenige der Sprache/Technik ist – objektivieren (und aktualisieren), das heißt zu diesem (neu) in Stellung bringen.884 Damit wird dem Subjekt prinzipiell die Möglichkeit eröffnet, sich quasi wie in einem Film bei seinem Spiel um Herrschaft und Knechtschaft von außen zu beobachten und gleichsam zu orientieren, den Spielstand abzurufen und zu checken, um dann in den weiteren Spielverlauf – das eigene Symptom – einzugreifen oder nicht. Es geht dabei um die Frage ‚Was will der Andere von mir?’; eine Frage, die gleichsam die wichtigste Subroutine in diesem Spiel-Film namens Symptom oder Ich konstituiert: „Was willst Du? Che vuoi?“885 883 Diese „Nachträglichkeit artikuliert [...] die Wahrheit von dem [...,] was vorausgegangen ist.“ (Lacan 2008, 57.) Lacans Behauptung jedoch, dass er die Nachträglichkeit des (Selbst-)Erkennens – vor allem dessen Signifikanz für die analytische Situation – entdeckt habe, ist nicht richtig, da dies schon Ernst Kapp im 19. Jahrhundert geleistet hat. (Die entsprechenden Stellen besitzen durchaus schon psychoanalytische Qualität [vgl. in dieser Arbeit 217 und 225). – „Niemand vor mir hatte jemals die Tragweite dieses nachträglich* bemerkt, obgleich es bei Freud auf allen Seiten steht.“ Ebd. Zitat von Lacan. Vgl. auch Fuchs 1998, „f) Die entscheidende Verspätung“, 61 ff. 884 Dabei muss einmal mehr an die Unerreichbarkeit sprachlichen bzw. technischen Seins appelliert werden: „Das Sprechen kann das Sein des Subjekts ausdrücken, doch es erreicht es, bis zu einem bestimmten Punkt, nie.“ Lacan 1990, 40. 885 Lacan 2003, 189. – „Auf die Frage ‚Was will er?’ – die identisch ist mit der ‚Was will er (von) mir? bzw. als was will er mich? [que me veut-il]“ (vgl. Schr.II, 190), verstanden als ‚Wie will er mich’ (S X, Sitzung vom 14. November 1962) gibt es vom Andern tatsächlich keine Antwort, es sei denn einen Signifikanten, der mich in meiner Abwesenheit für einen anderen Signifikanten darstellt usw.usf.“ Borch-Jacobsen 1999, 253. 273 Zweiter Beobachter Heidemarie Schumacher erläutert die „Konstruktion des Betrachtersubjekts“, wie sie sich im Radikalen Konstruktivismus S. J. Schmidts findet (und auch mit psychoanalytischem bzw. prothesentheoretischem Wissen durchaus vereinbar ist), indem sie sich auf die Kopplung des kognitiven Systems an die Umwelt mit Hilfe von Medien bezieht: „Die Subjektkonstruktion des Radikalen Konstruktivismus differenziert zwischen Beobachtungen erster und zweiter Ordnung. Aufgrund der Priorität des kognitiven Systems bilden Medien sozusagen eine Ebene der Systemrealität; die Realität des kognitiven Systems ist der Realität der Medien einerseits vorgeschaltet, andererseits wird die Konstruktion der Realität durch Medien nicht geleugnet.886 Es kommt zu Aporien zwischen den Medien als Systemen symbolischer Ordnung und der Realität des kognitiven Systems; die Kopplung von kognitiven System und Medium im Sinne einer Wahrnehmungstheorie bleibt ein bisher noch ungelöstes Problem.“887 Diese Aporien und Probleme, die sich aus der unaufhebbaren, unüberwindbaren Diskordanz bzw. Inkongruenz – all jenen fundamentalen Ungereimtheiten und Differenzen – zwischen wahrnehmendem Subjekt und technischer Umwelt ergeben und die in der anthropozentrischen Prothesentheorie wie auch im klassischen Masochismus medienfetischistisch gelöst werden sollen, machen es notwendig, eine „Beobachtungsebene zweiter Stufe, eine Beobachtung der Beobachtung, wie Niklas Luhmann (1985) dies genannt hat“, einzuführen.888 Diese Notwendigkeit ist dadurch 886 Es wäre schwierig, diese Leugnung plausibel zu begründen, denn – wenn man den Satz aufmerksam liest – ist da ja etwas „vorgeschaltet“, also medial formatiert bzw. determiniert. Auch dass die subjektive Wahrnehmung hier als „System“ erscheint, weist in diese Richtung. Vgl. zum (Unbewussten des) Systembegriff(s) gerade im Hinblick auf die Psychoanalyse und Systemtheorie: Fuchs 1998. 887 Ebd. Vgl. zur Lesart der Medien(-geschichte) als vernetztes System: Faulstich 1994, 9 f. Schon Kapp hat den Begriff des Systems in einem medialen Kontext verwendet. Er betrachtet die „gewaltigen Culturmittel, welche wie die Eisenbahnen und Telegraphen, gegenwärtig in ununterbrochenem Zusammenhang Welttheile, ja den ganzen Erdball umspannend, die Bezeichnung ‚Apparate’ überschreiten und als Systeme auftreten“. Vgl. Kapp 1978, 126. 888 Böhme 2006, 449. „[I]m Blick auf die Theorie kann es nicht darauf ankommen, eine homogene Konstruktion, ein theoretisches Passepartout zu bilden. Vielmehr sind die Verfahren der 274 begründet, dass die hier angewandten Fetischkonstruktionen – das heißt deren inhärenten (Struktur-)Mechanismen bzw. (Spiel-)Regeln – gar nicht oder nicht hinreichend von den AkteurInnen (an-)erkannt worden sind (worin sich nicht nur die rückgekoppelte Zirkularität bzw. zwanghafte Wiederholungstendenz889 fetischistischen Denkens und Handelns äußert, sondern auch die Adressierung an den großen Anderen – die Suche nach dem vakanten, dritten Moment/Element im Symbolischen bzw. der dritten Person). Nicht nur bei Sacher-Masoch, sondern auch bei Kapp zeichnet sich diese Wiederholungstendenz, der Versuch einer „wiederholte[n] Sicherstellung“,890 deutlich ab, ist doch – wie er sagt – „[d]em Menschen […] nun einmal mit Einem Anlauf nicht beizukommen“,891 was also mindestens einen zweiten Anlauf und Beobachter erforderlich macht.892 In Severins ‚medienspiritistischer’ Animation der ‚Venus im Pelz’ hat es ebenfalls mindestens zwei Anläufe, zwei nächtliche Szenen, gegeben, bis das Bild in seiner Imagination ins Lot kam und in virtueller Vollkommenheit funktionierte – wobei aber der zweite Beobachter ausbleibt (insofern nicht der/die LeserIn hier die Beobachtung leistet). Bei Sade ist die zweite Beobachtung der sexuellen Handlungen von vornherein eingeplant und somit Bestandteil seiner literarischen Ästhetik. Nicht selten sitzen Täter und Opfer dann gemeinsam zu Tisch und philosophieren über das Erlebte. „Zu den literarischen Eigentümlichkeiten der Sadeschen Pornographie zählt, dass sie den Vollzug von Akten der Lustbefriedigung nicht nur ausführlich beschreibt, sondern auch unaufhörlich kommentiert und erläutert. Die erotische Praxis findet in dem Moment, da sie begrifflich-diskursiv beleuchtet wird, zu ihrer eigentlichen fetischistischen Produktion (in der Ökonomie, in der Kultur, im Sex, im Unbewussten, in der Kunst, in der Religion und in der Wissenschaft) und die Verfahren ihrer Deutung gleichzeitig zu beobachten.“ Ebd. 889 „Ein Jahr vor Jenseits des Lustprinzips restituiert Freud den Wiederholungszwang in seinem Aufsatz Das Unheimliche. Im Wiederholungszwang ist, so Freud, eine Tendenz wirksam, die noch primitiver und mächtiger ist als das homöostatische Lustprinzip. Ein wahres Ungeheuer von Verdrängung sei am Werke, das nicht mehr durch Bewusstmachung, sondern nur noch durch den Tod zu bewältigen sei.“ Bitsch 2001, 88. 890 Kapp 1978, 152. 891 Ebd. 7. 892 Bei diesen Anläufen bzw. Beobachtungen geht es letztendlich um die im vorangegangen Kapitel beschriebene Notwendigkeit, einen neuen Signifikanten – S2 – einzuführen. 275 Wiederholung. Die Orgie verdoppelt sich so in der distanzierten Observation – die Lust erscheint erst dann, wenn sie der Autor als Beobachter zweiter Ordnung bespricht, als wahre Ausschweifung.“893 In diesem Zusammenhang ist zu betonen, dass das Subjekt dank seines Reflexions- und auch Imaginationsvermögens selbst zweiter Beobachter sein oder werden kann. Dies kann gleichwohl als ein Ziel psychoanalytischer Praxis nach Freud und Lacan betrachtet werden. „[E]bendies wird möglich, wenn man die Selbstrepräsentanz des Beobachters für unvollständig erklärt: Er muss (unter Voraussetzung eines erweiterten psychischen Systems) Interferenzprozesse über sein Innenleben laufen lassen, wie er es in der Beobachtung der Anderen gewohnt ist.“894 Gemäß den Selbstbehauptungstechniken hat das sprechende bzw. handelnde Subjekt dann gewisse Wahl- und Gestaltungsmöglichkeiten, Herr- und Knecht-Positionen aktiv zu besetzen, zu tauschen und sogar gleichzeitig einzunehmen. Damit beantwortet sich einmal mehr die am Anfang dieser Arbeit gestellte Frage, ob man die Begriffe Sadismus und Masochismus zum Begriff des Sadomasochismus, wie er z. B. in der Psychopathologie des 19. Jahrhunderts oder in der heutigen Alltagssprache oder Popkultur wie selbstverständlich verwendet wird, verbinden darf.895 In Bezug auf die AkteurIn-Positionen bzw. die Ich-Verfassung ist dies also durchaus legitim, wobei dann aber auch immer genau analysiert werden muss (gerade im Hinblick auf die späteren Filmbetrachtungen in dieser Arbeit), wie das Mischungsverhältnis genau aussieht, wie es sich zu einem bestimmten Zeitpunkt nun gerade auf diesen oder jenen Platz verteilt und verhält und auch, wie diese Orte als Sprache oder Raum aussehen und funktionieren, ob sie als solche überhaupt im Symbolischen existieren (und wenn ja, ob sie nicht vielleicht schon von vornherein in ihrer materiell-architektonischen Beschaffenheit und technischen Ausstattung eine Machtstruktur, das [fetischistische] Primat einer Absicht, einer Idee, eines Ideals, eines Wissens, eines Mediums etc. verkörpern.) Dass es bereits in den Diskursen und dispositiven Anordnungen von Kapp und Sacher-Masoch zu einem Platztausch, zu virtuell-räumlich strukturierten 893 Alt 2010, 265. 894 Fuchs 1998, 40. 895 Im vorhergehenden Kapitel wurde die Legitimität des einheitlichen Begriffs schon für die Kino- Wahrnehmung herausgestellt. 276 Inversionen und Verwechselungen zwischen dem, was symbolisch und real ist, auf der Ebene des Imaginären kommt, führen die beiden Fälle ja nun anschaulich vor Augen: An einem Ort, wo eigentlich Medien sein sollen, erscheinen stattdessen auf einmal Körperteile; oder da, wo ein weiblicher Körper instrumentalisiert wird, offenbart sich u. a. eine bedrohliche Maschine. „Sachen und Personen vertauschen ihren Platz, sodass imaginäre Kräfte sich an die Stelle wirklicher setzen. Daraus erwächst, wenn man will, ein wahnhaftes Wesen, eine das Reale beherrschende Schicht der Imagination.“896 Vorgängigkeiten und Schwindel Dieser Wahrnehmungsschwindel im Imaginären, eine psychische Gewalt, die auch als despotisch beizeichnet werden kann, hat mit der leistungsstarken Verkennungs- bzw. Verdrängungsmaschinerie eines technisch aufgerüsteten Ich im letzten Drittel des 19. Jahrhundert zu tun, das unter Hochdruck arbeitet, um die unter ‚Beschuss’ reeller Medien stehende Ganzheitlichkeit von Sinn und Sinnen zu retten. Es ist verwunderlich, mit welch immensen Aufwand die Wissenschaft seit der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts daran arbeitet, das Symbolische u. a. mit biologistischem Vokabular zu lesen bzw. zu analogisieren, um es schließlich in maschinengesteuerte Synchronisation mit Körpern und Subjekten zu bringen, anstatt es in seiner störenden Andersartigkeit, ja in seiner offenkundigen Monstrosität (wie sie u. a. in der Metapher des Raubtierartigen bei Kapp und Sacher-Masoch einen Ausdruck findet),897 die das Körperbild längst affiziert hat, zu begreifen. So bedient sich z. B. auch die entstehende Soziologie biologistischer Metaphern.898 Wie Peter Hejl herausstellt, lieferte gerade die Evolutionslehre Charles Darwins Begriffe wie z. B. Organismus, 896 Böhme 2006, 293. 897 Darin zeigt sich, wie Christian Filk mit Schopenhauer erklärt, „der animalische Lebensdrang“ (vgl. Filk 2010, 13), aber eben auch, wie gesagt, die ‚unzähmbare’ Gewalt des reellen Signifikanten auf dem Niveau elektrischer Medien. 898 Bereits Kapp betrachtet den Staat als Organismus. – Eigentlich eine harmlose (und weit verbreitete) Metapher (im 19. Jahrhundert), wenn sie nicht im Faschismus des 20. Jahrhunderts so brutal missbraucht worden wäre und seitdem deshalb nur noch mit Vorsicht zu genießen ist. 277 Entwicklung oder Evolution, die sich anboten, um soziale (Massen-)Phänomene zu beschreiben, für die es noch keine angemessene Terminologie gab.899 Obwohl die daraus resultierende Metaphernbildung schon während ihrer Entstehungszeit durchaus als problematisch angesehen wurde, war sie für sozialwissenschaftliche Theorieansätze äußerst fruchtbar. Sie bewirkte u. a. eine Naturalisierung der Vorstellung vom Menschen bzw. organizistisch/rassistisch orientierte Modelle, die dann soziale und politische Großeinheiten wie Gesellschaft oder Nation prägten.900 Dass diese Metaphernproblematik heutzutage immer noch virulent ist (u. a. in den Massenmedien, in der Werbung, Politik, Industrie(-anthropometrie) oder Wissenschaft [auch in der Medientheorie; vgl. dazu Wolfgang Hagens Kritik am geläufigen Begriff der „Medienevolution“ – u. a. als „nachträgliches Ideengebäude und reine Legitimationsideologie“]901), macht der kanadische Evolutionspsychologe Steven Pinker, der ein Buch zur Gewaltgeschichte der Menschheit verfasst hat, wiederum am Beispiel der Soziologie fest: „Sie [die verwirrten Soziologen (so vorher im Text; Anmerkung S. P.)] verwenden Gewalt als eine Metapher, um Dinge darunter zu fassen, die sie für falsch halten. Sie wollen damit eine allgemeine Ablehnung gegen Gewalt mobilisieren, um sie gegen ökonomische Verhältnisse in Stellung zu bringen, die ihnen nicht passen. Ich halte das für unscharfe Terminologie, die zwei völlig verschiedene Phänomene zusammenwirft. Das ist so, als wenn ich ein Krebsforscher wäre und Sie mich fragen würden, warum ich mich nur auf körperliche Formen von Krebs konzentriere und nicht auch die metaphorischen Erscheinungsformen von Krebs in der Gesellschaft wie Korruption berücksichtige. Ist das nicht auch eine Form von Krebs? Ich würde darauf antworten, dass Sie in Metaphern sprechen, und jeder, der sich in seiner wissenschaftlichen Arbeit von Metaphern leiten lässt, ist verwirrt und wird keinen Erkenntnisfortschritt erzielen.“902 899 Wie sich das Organische bzw. Molekulare in größeren molaren Einheiten fügt und dergestalt totalisiert wird (was „die biologische Einheit einer Art oder die strukturale eines Sozius“ sein [kann]“), zeigen Deleuze und Guattari sehr schön auf. Vgl. dazu: Dieselben 1977, 442 f. 900 Vgl. Hejl 2000. 901 Vgl. Hagen 2000, 89 f. 902 Pinker, Taz-Interview vom 30.11.2011, auch unter: http://www.taz.de/Das-Ende-der- Gewalt/!82774/. 278 An dem Inhalt der Aussage muss konkretisiert werden, dass Metaphern doch nur dann verwirren können, wenn sie nicht als solche erkannt und analysiert werden – wie es z. B. in der Fetischwahrnehmung meist der Fall ist. Jede Wissenschaft hat ihre fixen Bilder, ihre Lieblingsthemen, ihre Aprioris, Grundtheoreme und Ausgangslagen; dazu zählen neben Medien und (deren) Metaphern auch (Gründungs-)Mythen. Gerade Metaphern können (z. B. in ihrem poetischen bzw. imaginationsfördernden Gehalt) sehr wohl Erkenntnis und wissenschaftliche Aufklärung stiften. In der Kultur-/ Medienwissenschaft und anderswo könnten technische Medien und ihre (unbewussten) Phänomene doch gar nicht ohne die Hilfe von Metaphern beschrieben werden. Ohne sie wären wir ziemlich aufgeschmissen. „Man weiß nichts über seine Sinne, bevor nicht Medien Modelle und Metaphern bereitstellen.“903 Dennoch ist Pinkers Beschreibung der Metapherstruktur plausibel, schon deswegen, weil er sie u. a. als verführerisches wie auch strategisches Machtinstrument entlarvt und kritisiert. Er sieht hier eine Gefahr und Gewalt ([karzinogene] Virulenz und Pathogenität), die der Metaphernstruktur inhärent ist und zu verschiedenen Zwecken missbraucht werden kann. Was man in der Anwendung solcher Metaphern demnach nicht immer zu verstehen scheint oder vielleicht einfach nicht verstehen möchte, ist, dass solche verfälschenden Wahrnehmungen selbst einem medialen Apriori,904 letztendlich einer Episteme 903 Kittler 2002 (a), 28. 904 Das Vorhandensein eines technisch-medialen Aprioris wird in der Medientheorie kontrovers diskutiert. Vor allem Hartmut Winkler kritisiert, dass dessen „epistemologischer Status [...] auch 20 Jahre nach Entstehen immer noch nachhaltig ungeklärt [ist].“ (Winkler 2008, 161, Fußnote 6.) Mit einigen Einschränkungen, z. B. dass es – vergleichbar mit der Position des Radikalen Konstruktivismus – kein „Eins-zu-eins-Verhältnis zwischen Medien und Wirklichkeitsverhältnis“ gibt, redet Geoffrey Winthrop-Young gerade in Bezug auf Kittlers Theorie von der unleugbaren Tatsache, dass dieses Apriori existiert. (Vgl. Winthrop-Young 2005, 76 ff.) Heidemarie Schumacher führt in Kittlers medientechnologisches Apriori grundlegend ein. (Vgl. Schumacher 2000, 82-94.) Außerdem muss nicht zwingend die ‚harte’ Materialität der Technik – die Hardware – in diesem Apriori dominant sein, es gibt zu dessen Bestimmung noch ganz andere Wege und Begriffe (wie sie in dieser Arbeit u. a. mit Techniken und Transformationen des Selbst und des Sozialen beschrieben werden). Vgl. Winkler 2008, 165. 279 unterliegen,905 die, um verlässliche Aussagen über Dinge, Medien, Menschen und Wissen in der Moderne machen zu können, erkannt und berücksichtigt werden muss. Erst dann lässt sich die Frage einigermaßen plausibel beantworten, wie das Begehren, die Lust und auch der Zwang, Symbolisches mit Realem (u. a. im Namen der phallischen Eins gewaltsam) zu akkom odieren, zustande kommt. Es geht dabei, wie Norbert Bolz mit Heidegger formuliert, um „die Vorentscheidung“: „Heideggers Ge-Stell heißt jetzt ‚Makrogerät’ – die gadgets bilden ein System, das unsere ‚Welt’ ist. Man kann diese Geräte nicht mehr als ‚Mittel’ gebrauchen, sondern sie konsumieren uns; deshalb gibt es in dieser Welt der neuen Medien und Technologien keinen Spielraum menschlicher Entscheidung mehr. Heideggers Ge- Stell, das Makrogerät, ist ‚die Vorentscheidung’.“906 Tholen spricht in diesem Zusammenhang von der „Vorgängigkeit einer stets medial zäsurierten Wahrnehmung und Erfahrung“, die nicht nur auf die Gegenwart neuer Medien zutrifft, sondern universale Gültigkeit beansprucht: „Denn es gibt keine Wahrnehmung, die durch ihre natürliche Gegebenheit hinreichend bestimmt wäre. Wahrnehmung ist eine stets medienvermittelnde. Sie ist immer schon vom Künstlichen affiziert, angewiesen auf die List der techné, die erst etwas erscheinen läßt – auch die Welt der Instrumente.“907 905 „Unter Episteme versteht man in der Tat die Gesamtheit der Beziehungen, die in einer gegebenen Zeit die diskursiven Praktiken vereinigen können”. (Foucault: 1981, 272. Vgl. zu Foucaults Definition auch Friedberg 2006, 253, Fußnote 20 und [im Zusammenhang der Rückläufigkeit der Erinnerung, die Lacan am Beispiel des Menon aufzeigt] Lacan, 1991 [a], 25:) „Ziel und Paradox des Menon ist, uns zu zeigen, daß die epistéme, das durch eine formale Kohärenz gebundene Wissen, nicht das gesamte Feld der menschlichen Erfahrung deckt, und vor allem, daß es keine epistéme dessen gibt, was die Vollkommenheit, die areté dieser Erfahrung verwirklicht.“ Dies gilt besonders für die fetischistische areté. 906 Vgl. Bolz 1991, 105. Die Frage nach der gegenwärtigen (Nicht-)Existenz dieses Spielraums wird in in den Filmanalysen und im Schlussteil dieser Arbeit aufgegriffen und überprüft. Auf jeden Fall gibt es diesen noch. Vgl. Punkt 7 am Ende der THE HURT LOCKER-Analyse sowie das gesamte SHORTBUS-Spiel. 907 Tholen 2002, 93.; zitiert nach Bitsch 2009, 165. 280 Auch Deleuze und Guattari ermuntern dazu, Vorgängigkeiten und Vorgänge – wie das Vorbewusste – zu erkunden. Diese Recherche ist, wie sie betonen, jedoch nicht leicht (und keineswegs ungefährlich): Sie schlagen vor, dabei bis auf die Ebene des Molekularen vorzudringen, was hier mit dem sadomasochistischen Begehren nach realen Objekten korreliert. „Nicht leicht ist es, die Moleküle, selbst das Riesenmolekül, ihre Bahnen, ihre Präsenzzonen und die ihnen eigenen Synthesen quer über die großen Anhäufungen hin wiederzufinden, die das Vorbewußte erfüllen und ihre Repräsentanten selbst ins Unbewusste schicken mit dem Auftrag, die Maschinen zum Stehen zu bringen, zum Schweigen zu bringen, Sabotage zu verüben, zu leimen, Nägel einzuschlagen, in sie Keile zu treiben.“908 Allerdings muss diese Argumentation, dass das ‚molekulare’ Vorbewusste, wie sie es nennen, tatsächlich in der Lage sei, Befehle zur Maschinendestruktion auszusenden, deutlich in Frage gestellt werden. Auch hier liegt Metaphernmissbrauch vor. Denn es sind medial (fern- )gesteuerte Diskurse (im Anti-Ödipus der 1970er Jahre nach wie vor auf dem Niveau von RSI), Machttechniken des großen Anderen und deren inhärente Widerstände, die solche und andere Befehle im Unbewussten ermöglichen; niemals wird eine molekulare Struktur allein (auch kein Riesenmolekül) einen bestimmten Befehl, eine symbolische Handlungs- oder Spielanweisung bewirken oder nur den Impuls dafür senden können. Demgegenüber können diese Strukturen aber – wie Deleuze und Guattari an anderer Stelle im Anti-Ödipus richtig bemerken – sehr wohl die Kommunikation für die (Nicht-)Produktion von Aminosäuren in tierischen und pflanzlichen Zellen regeln, welche durch die DNS, den genetischen Code, auf Molekularebene festgelegt ist.909 Gen-Defekte können Krankheiten und frühen Tod bedeuten, sie attackieren dann (quasi-sadistisch – über die gestörte oder aussetzende Aminosäuren-Produktion) von innen heraus die ‚Maschine’ des Organismus. Deleuze und Guattari bringen hier die strikt auseinanderzuhaltenden Kommunikationsebenen, -formen und -modi zwischen Molekulargenetik und strukturaler Psychoanalyse durcheinander, schließen sie metaphorisch kurz, ohne anscheinend zu bemerken, dass dieser „Vergleich von Unvergleichlichem“ zu nichts 908 Deleuze und Guattari 1977, 437. 909 Vgl. ebd. 372 ff. 281 führt, außer zu einem „kreativen Missbrauch der Sprache“.910 Ihr Fehlgehen bzw. der Amoklauf der Metapher an dieser Stelle lässt sich darauf zurückführen, dass sie die Sprache der vorherrschenden analogen und digitalen Medien ihrer Zeit, die techné, nicht hinreichend berücksichtigen und deswegen das Verhältnis zwischen technischer Umwelt und unbewusstem Subjekt (mit Lacan gesprochen: das Verhältnis a – A, das sich nicht mit ihrer Unterscheidung zwischen Molekularem und Molarem deckt) nicht richtig analysieren können. Möchte man streng urteilen, könnte man hier von „Elegante(m) Unsinn“ reden,911 wohlwollend aber von inspirierendem Aktionismus einer Technoimagination und -metapher, deren schizoid-fantastischer Gehalt in die Nähe von guten sci-fi-Comics (oder SM-Fantasien) rückt. Mich erinnern solche Passagen im Anti-Ödipus an das, was Stefan Zweifel und Michael Pfister bei Sade als „Fickmoleküle“ identifizieren, eine satirisch-metaphorische, bewusst gewählte Beschreibung und (nicht-naturwissenschaftliche) Erklärung für die kopulierenden, maschinisierten Leiber in der Orgie.912 In seiner Sacher-Masoch-Studie schreibt Deleuze: „Das Böse wird von Sade als das mit der unaufhörlichen Bewegung der wütenden Moleküle schlechthin Identische definiert.“913 Im Anti-Ödipus ist dann sogar von „Schizo-Moleküle[n]“ die Rede.914 Welche (vermittelnden, welterzeugenden und meist auf virtuelle Ganzheit programmierten) Medien(dys)funktionen, das heißt beobachtbare Steuerungsprinzipien sind im Sadomasochismus bzw. der Prothesentheorie tatsächlich vorgeschaltet?915 Wie sieht die techné916 hier aus? Und damit verbunden auch generell die Frage, wie das Subjekt bzw. Ich technisch formatiert bzw. digital verziffert wird; also wie der Signifikant denn nun (durch mediale Gewalteinwirkung, virusartig) in 910 Vgl. Riepe 2002 (b), 37 ff. 911 Vgl. Sokal und Bricmont 1999. 912 Vgl. Zweifel und Pfister 2001, 28. 913 Deleuze 1980, 265. 914 Vgl. Deleuze und Guattari 1977, 373. 915 Im vorangegangenen Kapitel wurde bereits die These aufgestellt, dass der Maso-Prozedur der diskrete Takt des Wechselstroms zugrunde liegt. 916 Vgl. zur Begriffsdefinition von Braun 2001, 284. Vgl. dazu auch: Castoriad s, „1.1 die griechische Techné“, 196 ff. „Die Götter sind in der techné, v e r f ü g e n a n f a n g s a l l e i n ü b e r s i e . “ ( E b d . 1 9 7 . ) B e i Lacan sind die Götter aus dem Feld des Realen. 282 den Körper des Individuums gerät, wo er den Zugang zur sichtbaren Welt und subjektiven Wahrnehmung (und demnach auch zu kreativer Metaphernbildung) eröffnet (und dort stets in Formen der Virulenz und Virilität sein groteskes Unwesen treibt). Zur Bearbeitung solcher Fragen soll nun einmal mehr die Freud-Lacansche Psychoanalyse bzw. Medientheorie (so wie sie u. a. Kittler und Bitsch betreiben) behilflich sein; mit dieser wird es möglich, das Prothesendenken konstruktiv ins 21. Jahrhundert zu übertragen, das heißt den Hokuspokus fetischistischer Imagination à la Kapp und Sacher-Masoch weiterhin kritisch zu beleuchten und dergestalt – ludisch- lustvoll und (selbst-)reflexiv – voranzutreiben (z. B. mit Adamowskys und Böhmes Medientheorie). Apparate bei Freud und Lacan Auch Sigmund Freud schließt gewissermaßen Technik mit Körpern und Sinnen kurz, gilt sein psychischer Apparat917 doch in erster Linie als ein Analogon zur Dampfmaschine mit Fliehkraftreglern, ein dem Prinzip nach analog-pneumatisches, homöostatisches Regelsystem, welches sozusagen der Konstanthaltung und Abfuhr von Libidoenergie dient (und diese dabei gleichzeitig transformiert).918 Es handelt sich um „ein Gerät, in dem unabgeführte Libido in Angst transformiert und entladen wird. Freuds Konstanzprinzip – diesen Terminus übernimmt er, wie den Topos des Anderen 917 Vgl. Wegener 2004, „Was ist ein Apparat“, 21 ff. 918 Freud redet von „Libidoverschiebungen, welcher unser seelischer Apparat gestattet, durch die seine Funktion so viel an Geschmeidigkeit gewinnt.“ (Vgl. Freud 1997 [b], 45 f.) Kittler merkt an, dass der Dampfmaschinen-Fliehkraftregler nicht, wie Lacan annimmt, im 19. Jahrhundert (zu einem Zeitpunkt zwischen Hegels Phänomenologie des Geistes [1806] und Freuds Entstehung der Psychoanalyse im Entwurf [1895]) entwickelt worden ist, denn dieser „ging“ bereits „1784 in Betrieb“. Kittler bezeichnet James Watts Erfindung dieses Reglers als „erste[] negative Rückkopplungsschleife“, in der nicht nur „Mayers Gesetz der Energiekonstanz“, sondern die „gesamte Zahlenbasis auch von Freuds gesamter Triebökonomie liegt“ bzw. theoretisch nachvollziehbar wird. (Vgl. Kittler 1993 [a], 65 und ebd. Fußnote 26.) Das von Denis Papin erfundene Sicherheitsventil zur Dampfdruckregulation gehörte bereits seit 1717/18 zur Standardausrüstung von Dampfmaschinen und -kesseln. Vgl. Kalisch 2006, 336; vgl. zu Watts Fliehkraftregler auch: ebd. 333 ff. 283 Schauplatzes, von Fechner – beschreibt im Grunde nichts anderes als das Postulat von der Erhaltung und dem Ausgleich der Energie: Die innere Tendenz des Nervensystems strebt dahin, die Erregungsmenge möglichst gering oder zumindest auf einem konstanten Level zu halten.“919 Freud hat damit jenes (hypothetische) Bindeglied, das zwischen Kapp und Sacher- Masoch noch fehlte, eingeführt: ein libidinös arbeitendes Unbewusstes,920 das als/im Ich auf die stark verändernden Umweltbedingungen im späten 19. Jahrhundert, u. a. auf die Ausweitung von Körpern und Sinnen im Reellen der Analogmedien, sehr empfindlich reagiert, und krankmachende Symptome produzieren kann, die als solche erst einmal zu erkennen – zu lokalisieren und identifizieren – sind. Freuds neuartige psychologische Methode, die er dafür begründet und einsetzt, die talking cure,921 versteht sich ebenfalls wie bei Kapp als ein Orientierungsmittel im Unbewussten gemäß technischer Standards – oder genauer gesagt: als Neubestimmung bzw. Neuerfindung des bereits existierenden Begriffs des Unbewussten.922 Peter Fuchs spricht diesbezüglich von einem „genialen Kunstgriff“,923 von einer „Extension“ des Psychischen bei Freud, welche in „Instanzen, Provinzen, Domänen“ (aus Gründen der Darstellbarkeit topologisch) differenziert ist. – Eine „Differenzierung, die es gestattet innerpsychische Einheiten zu isolieren und sie zugleich als interagierend zu denken. [...] Die Ursache all dessen, was auf das 919 Bitsch 2009, 341. Diese Geringhaltung gilt der Vermeidung von Unlust. Vgl. Fuchs 1998, 45 f. 920 Vgl. ebd., 42. 921 Der Begriff geht auf Freuds erste Patientin Anna O., alias Bertha von Pappenheim zurück, die während ihrer Krankheit nur Englisch sprach bzw. verstand. Vgl. Kittler 2003 (a), 344. 922 „Das ‚Unbewußte’ [bei/seit Freud] – im trivialisierten Diskurs immer wieder als das ‚Unterbewußte’ mißverstanden – korrigiert eine der Grundvoraussetzungen nicht nur des abendländischen Denkens: daß sich menschliche Existenz zuerst und vor allem in einer bewußten, einer sich selbst wissenden Stellungnahme zum eigenen Leben auslegt.“ (Brumlik 2006, 21; vgl. zum Missverständnis des „Unterbewusstseins“ auch Bitsch 2009, 505.) Es geht dabei, mit Lacan gesagt, um die Kritik, Bearbeitung und Transformation des täuschenden „cogito“, das sich dann anders als bei Descartes gerade nicht mehr als transparent und unhintergehbar, sondern als technisch gesteuerte „Verkennungsfunktion“ erweist. Vgl. Lacan 1986 (a) 63, 69. 923 Vgl. zum Genie Freuds auch: Lacan 1997, 17. 284 Bewusstsein einwirkt, ohne daß es direkten Zugriff darauf hätte, ist selbst psychisch, aber genau nicht: bewusst.“924 Im psychischen Apparat lassen sich nicht nur Dampfmaschinen-Funktionen rekonstruieren, sondern, wie Friedrich Kittler ausführt, auch die wichtigsten zu Freuds Lebzeiten verwendeten Kommunikationstechniken. Den Einfluss technischer Medien auf das unbewusste Subjekt hat der revolutionäre Wiener Nervenarzt in seinen Forschungen zwar nicht immer hinreichend in Betracht gezogen, aber in seiner Methode dann doch mitgedacht und wegweisend umgesetzt: „Freuds Materialismus dachte [...] nur, was seine Epoche an Informationsmaschinen baute – nicht mehr und nicht weniger. Statt die Seele weiterhin als Ursprung zu träumen, beschrieb er einen ‚psychischen Apparat’, (Freuds schöne Wortschöpfung), der alle verfügbaren Übertragungs- und Speichermedien implementierte, also nur das technische Universalrechenmedium Computer noch nicht. Übertragungsmedien in der psychoanalytischen Behandlung war eine Telephonie, die Schall oder Patientenunbewußtes in Elektrizität oder Bewusstseinsrede umwandelte, damit dieses Unbewußte überhaupt gesendet und durch gleichschwebende Aufmerksamkeit des Analytikers wieder in Schall oder Unbewußtes rücktransformiert werden konnte. So Freud fast wörtlich, ohne allerdings dabei zu erwähnen, dass in der Wiener Berggasse 19 die Fernsprechkabel (seit 1895) nur im Wohnbereich, nicht aber im Sprechzimmer lagen, die Telephonie also drahtlos und das heißt als Radio avant la lettre lief. – Übertragungsmedium in der Traumdeutung war ein optischer Apparat vom Kameratyp, der latente Traumgedanken ins System bewusster Wahrnehmung umsetzte925 und dessen virtuelle Abbildungen Lacan unschwer als Kino entziffern 924 Fuchs 1998, 39. 925 „In der Traumdeutung ist die metaphorische Maschine [...] noch nicht (wie später im Wunderblock) der skripturalen Analogie angeglichen worden. Es ist eine optische Maschine.“ (Derrida 1994, 308; zitiert nach Schmidt 2005, 43.) Vgl. zu Freuds Wunderblock, kein reelles, aber ebenfalls dem psychischen Apparat zuzuordnendes Medium, das neben skripturalen bereits digitale on-off-Qualitäten aufweist: ebd. 34. Freud löst mit dem Kinderspielzeug des Wunderblocks, den er auf einer metaphorischen Ebene mit dem menschlichen Gedächtnis vergleicht, das Paradoxon, wie man sich die Gleichzeitigkeit der gegenläufigen Funktion des Bewahrens (von Dauerspuren) und Löschens vorstellen kann. „Das aus drei Schichten zusammengesetzte Schreibgerät vermag es, Dauerspur und 285 konnte. Um drittens schließlich Edison, der ja zugleich Kinetoskop und Phonograph erfunden hatte, in aller Breite zu Ehren, dachte Freud die psychoanalytische Datenspeicherung (wie alle Physiologen seiner Zeit) von jenen Rillen her, die Phonographen – im Unterschied zu Berliners späteren Grammophonen Geräte zur Wiedergabe und Aufnahme – auf Wachs oder Stanniolplatten ritzten. ‚Die Seele’, lehrten Delboeuf und Guyau seit 1880, endlich dem archaischen Gedächtnismodell Alphabet enthoben ‚ist ein Heft phonographischer Aufnahmen.’ Dafür standen nicht nur die ‚Bahnungen’ oder Gedächtnisspuren in Freuds Entwurf, sondern auch seine Beschreibungen der eigenen talking cure. [...] So vollständig fußte die Gründung der Psychoanalyse auf dem Ende des Schriftmonopols, auf historischer Ausdifferenzierung der Medien. Telephon, Film, Phonograph und eine (im Haus Freud seit Frühjahr 1913 schreibmaschinisierte) Schrift bildeten den psychischen Apparat.“926 tabula rasa gleichzeitig zu präsentieren: Die aus feinem Wachspapier bestehende Oberfläche kann beschrieben und überschrieben werden. Das darunterliegende Zelluloidblatt dient als Reizschutz für die gesamte Wachstafel, welche die Dauerspuren festhält, die bei günstigen Lichtverhältnissen sogar als feine Rillen sichtbar bleiben.“ Ebd. und vgl. Freud 1999 (e). 926 Kittler 1993 (a), 63 f.; Zitat darin: Guyau 1986 (1880), Kittler 1986, 50. (Vgl. auch Freuds Medienaufzählung im Unbehagen der Kultur, die er ebenfalls wie Kapp als Organerweiterungen liest: Freud 1997 [b] [1930], 57 und auch weiter unten im Haupttext.) Neben dieser aufschlussreichen Betrachtung Kittlers gibt es jedoch noch andere Lesarten zur technischen Bestimmung des Freudschen Unbewussten (gerade im Hinblick auf dessen Dynamik und Regelung): „Nun ist einer kritischen Kulturgeschichte schon seit langem aufgefallen, daß sich Freud bei der Darstellung seiner Triebtheorie gezwungen sah, eine hydraulische Semantik zu verwenden, d. h. die innerseelischen Vorgänge in Begriffen der Wassermechanik zu beschreiben. [...] Die hier zugrundeliegende Semantik ist die von ‚natürlich’ vorkommenden Flußläufen, die durch menschliches Eingreifen bedingt gesteuert und begradigt werden können.“ (Brumlik 2006, 107 und vgl. Freud 1997 [b], 58.) Stefan Höhne argumentiert ebenfalls in diese Richtung und beschreibt Freuds Entdeckung im Zusammenhang des Baus des Trinkwasser- und Abwassersystems seit 1873 in Wien – Freuds Wohnort –, das heißt der städtisch-flächendeckenden Wasserversorgung: die Installation neuer Leitungen, Kanäle, sanitärer Einrichtungen etc., die einem zunehmenden Hygienebedürfnis entsprachen und mit rasch wachsender Einwohnerzahl in den Großstädten gesundheitspolitisch notwendig wurde. Vgl. Woran erkennt man den Infrastrukturalismus?, Vortrag auf der Tagung „Gefüge, Kollektive und Dispositive. Zum ‚Infrastrukturalismus’ der Gesellschaft“ am 18. März 2011 an der TU Berlin. 286 Talking cure Freud hat das Unbewusste von Medien(dys)funktionen (wozu auch Infrastruktur und Grundversorgung zählen) im menschlichen, das heißt technisch geprägten Imaginären/Ich bzw. Körper nicht mehr wie Kapp und Sacher-Masoch im projizierten Idealbild zu repräsentieren und zu fixieren versucht,927 sondern dessen unkontrollierbare Dynamiken und Wandlungen – Symptome – genau verfolgt, wissenschaftlich befragt und (selbst-)kritisch reflektiert,928 was bis heute den produktiven Mehrwert seiner (Trieb-/ Kultur-)Theorie ausmacht und neue methodische Maßstäbe in der/für die Wissenschaft seiner Zeit setzte. Sigmund Freud deckt diesen Schwindel auf, indem er das Unbewusste, wie es sich u. a. als Trieb, Widerstand, Angst, (Un-)Lust, Projektion, Verdichtung, Verschiebung, Ideal, Störung, Unfall oder Katastrophe individuell und gesellschaftlich artikuliert, mit strukturalistischem Gespür beobachtet und es vor allem als dynamisch und zeitlos definiert.929 Dabei hat er dieses kulturell bzw. medial geprägte – mit Lacan gesagt: verzifferte – Unbewusste gerade in seiner Ich-Pathogenität erforscht, sodass er schließlich – dies ist der entscheidende Punkt – seinen PatientInnen in der talking cure individuelle Lösungswege, die notwendige Hilfe zur Selbsthilfe, aufzeigen konnte. (– Dies ist kein Wunder- oder Zaubermittel, aber eines mit solchem Effekt [im Sinne der Aufklärung des individuellen und kollektiven Seelenlebens], ein heilsamer Effekt, wenn die Therapie Erfolg hat.)930 927 Freud ging es gerade darum, bildlich fixierte Ideale im Imaginären seiner PatientInnen durch Sprache zu zersetzen. (Vgl. von Braun 2001, 228 und Freud 1991, 282.) Trotzdem sieht Freud in Idealen – „ob man die höchste Leistung des Menschengeistes in ihnen sucht oder ob man sie als Verirrungen beklagt [... –] einen Hochstand der Kultur“. Vgl. Freud 1997 (b), 60. 928 Auch Friedrich Kittler betont in einem seiner letzten Interviews vor seinem Tod im Oktober 2011 (im Titel): „Wir haben nur uns selber, um daraus zu schöpfen.“ Und dies, obwohl das menschliche Denken bei ihm doch zuvor bereits vollständig an den Computer abgetreten worden ist, sodass dieser die Weltherrschaft antreten kann... Zitat von Friedrich Kittler in: Welt am Sonntag vom 30.1.2011, abrufbar unter: www.welt.de/print/wams/kultur/article12385926/Wir-haben-nur-uns-selber-um-daraus- zu-schoepfen.html. 929 Vgl. Freud 1999 (b), 213. 930 Vgl. Seifert und Hanika 2006. Vgl. zur Heilmethode auch Brumlik 2006, 17. 287 „Der Psychiater Sigmund Freud verstieg sich nicht dazu, seine Theorie zu repräsentieren,931 sondern teilte Ahnungen mit, allerdings leidenschaftliche und überzeugte Ahnungen von jenem es, das wir bis heute nicht kennen, über dessen Existenz bis heute kein Beweis vorliegt, nicht die Spur eines Beweises vorliegt, nur Spuren.“932 „Freud kalkuliert und untersucht die Wirkungen eines Subjekts, das Verhältnisse zur Welt ausbildet, die nicht mehr auf Adjustierung und somit auf einer erkenntnistheoretischen Fragestellung reduziert werden können, sondern denen, mit Lacan, vielmehr stets ein Begehren unterstellt werden muss.“933 Nicht nur das in der Wissenschaft verdrängte und verpönte eigene subjektive Begehren, das das (stets objektiv zu betrachtende) mediale Großexperiment, Programm und Telos moderner Naturbeherrschung angeblich nur verfälschen kann,934 kommt bei Freud libidinös zurück ins Spiel, sondern damit auch das (dritte) Moment sprechenden Seins, mit Lacan gesagt: die Zeit des Begreifens und der nachfolgende Moment des Schließens,935 der bei Kapp und Sacher-Masoch zwar virtuell intendiert 931 Ist das eine Anspielung auf Lacans Text Meine Lehre (vgl. ders. 2008) und im weiteren Sinne auf Lacans typischen ‚Herr und Meister’-Habitus, mit dem Slavoj !i"ek, während er den dozierenden Lacan auf Filmaufnahmen beobachtet, so wenig anfangen kann? Vgl. die Dokumentation !I!EK! (2005) und das Ende dieses Kapitels. 932 Bitsch 2009, 204. 933 Ebd. 317. 934 Damit ist vor allem der (an den Rand gedrängte) Körper – auch der des Wissenschaftlers – gemeint. (Vgl. Kutschmann 1986, 16 f.) „Freiheit vom Körper, von Wünschen, statt Freiheit zu Genuß und Erfüllung“ lautet seit dem 17. Jahrhundert das negativ bestimmte Programm einer instrumentellen Vernunft, die einengende Ästhetik des technischen bzw. Asketischen Eros. (Vgl. Braun und Kremer 1987, 63 und Buchtitel.) Freud identifiziert einen der wesentlichen Gründe dafür: das (ur-)menschliche Bedürfnis, Sicherheit vor und über Natur zu finden. – „Der Kulturmensch hat für ein Stück Glücksmöglichkeit ein Stück Sicherheit eingetauscht.“ Freud 1997, 79. 935 „Der Schließmoment ist der dritte und letzte Moment innerhalb der aus drei Momenten (Augenblick des Sehens, Zeit zum Begreifen, Moment des Verstehens) bestehenden logischen Zeit des Unbewussten.“ (Bitsch 2009, 182, Fußnote 148.) Auch wenn dieses Moment in der Theorie Kapps nicht auftaucht, so hat Kapp immerhin schon die Spannung und Unruhe gespürt, als es sich anbahnte – ähnlich wie wenn es beim Kinderspiel Topfschlagen plötzlich ‚heiß’ wird: „Aber vor dem Zeitpunkt 288 ist, jedoch symbolisch ausbleibt. Mit „Geduld und technische[m] Geschick“936 ereignet sich dieses Moment in Freuds Unbewussten und dem seiner PatientInnen, das dann – dank (Gegen-)Übertragung – meist kathartische Wirkung hat.937 Dabei artikuliert sich wahrhaftiges Sein, ein rares Gut in den (maschinellen und moralischen) Zwängen, Korsetts und Camouflagen der bürgerlichen Gesellschaft des späten 19. Jahrhundert und ihrer Institutionen, das, wenn es (in der Analyse) aktiviert und anerkannt wird, mit Notwendigkeit (wie Lacan betont) eine „Dämmerung, einen imaginären Weltuntergang [...] und sogar [...] eine Erfahrung an der Grenze der Depersonalisierung“ auslöst – das Ende der Analyse. Anders gesagt: „Wir können ahnen, daß der Psychoanalytiker in der Kur seinen Analysanten dazu bringen muß, die Ungereimtheit der Sprache und seines Sprechens zu begreifen“.938 Sollte dies gelingen, dann „fällt der Zufall weg – das Akzidentelle, das Trauma, die Löcher der Geschichte – und es ist das Sein, das sich nun eben konstituiert hat.“939 der Verwirklichung der Idee bekommt die Unruhe bewussten Suchens die Oberhand.“ Kapp 1978, 134. Vgl. Lacan 1986 (c): Die Logische Zeit und die Assertion der antizipierten Gewißheit. 936 Freud 1999 (c), 29; zitiert nach Brumlik 2006, 91. 937 Damit ist Freuds Langzeit-Experiment bzw. Lebenswerk der Psychoanalyse – im Gegensatz zu Sacher-Masochs und Kapps Unternehmungen – kein fetischistisches Projektionsspiel mehr, auch wenn in den Symptomen seiner PatientInnen solche Formen noch virulent sind (– Edith Seifert spricht diesbezüglich von einem „Diskurs in Anführungszeichen, eine[r] Diskursperformanz, die einen Zuschauer verlangt“: Den/die schweigende AnalytikerIn. (Vgl. Seifert und Hanika 2006, 72; Zitat von Edith Seifert), sondern der ambitionierte Versuch, mit Neugier, enormem Wahrnehmungs- und flexiblem Deutungsvermögen – auch mit Witz(-analysen) – die terra incognita des Unbewussten, das „große[] X“ (vgl. Freud 1999 [b], 216), zu erkunden. (Vgl. zu psychoanalytischem Witz bzw. Witzen in der Psychoanalyse u. a.: !i"ek 1991, 82 ff.; „III.2.1 Die beiden hegelianischen Witze“: 86 ff. oder den berühmten Witz Freuds, in dem sich „[z]wei Juden im Eisenbahnwagen in einer galizischen Station [treffen]“: Freud 1970, 78.) Trotzdem könnte man – aus Freud-Lacanscher Perspektive – Kapps und Sacher-Masochs Praktiken bereits als Gehversuche bzw. produktive Einübungen auf diesem noch unbekannten Terrain deuten. Kapp und Sacher-Masoch verfügen bereits über reichlich Wissen, buchstäbliche Herrensignifikanten (S1), mit denen u. a. psychoanalytisch und medientheoretisch weitergearbeitet werden kann und muss. 938 Seifert und Hanika, 2006, 77; Zitat von Edith Seifert. 939 Vgl. Lacan 1990, 294. „Das Ende/der Zweck des symbolischen Prozesses [u. a. in der talking cure] ist, daß das Nicht-Sein zum Sein kommt, daß es sei, weil es gesprochen hat.“ Lacan 1991 (a), 390. 289 „Die Löcher und Lügen innerhalb der symbolischen Geschichte, die desintegrativen unbewussten Strukturen, die in der Analyse entziffert940 und reintegriert werden, damit Wirkung eintritt, müssen keine Landung in jenem Bewusstsein, jener Analgesie zwischen Sommernachtstraum und Chloroform vollziehen.“941 Nicht-Landung Es muss aus dieser Perspektive – der Nicht-Landung – nachdrücklich betont werden, dass identitätsverwandelnde, erkenntnisstiftende Momente wie diese – in der Psychoanalyse und anderswo – weder die vom Realen unterspülte und verrauschte Grundkonstitution menschlicher Wahrnehmung in den Griff bzw. geregelt bekommen, noch ein absolutes Wissen im Sinne Hegels, einen Zustand finaler Harmonie, Kapps Totalprojektion, oder gar den Zugang zur begehrten jouissance ermöglichen (und nicht einmal bedeuten können, auch nicht im Sadomasochismus), auch wenn es virtuell bisweilen so erscheinen mag (und die [Massen-]Medien mit allen Tricks daran arbeiten, dies aus verschiedensten Gründen zu suggerieren).942 Das Unbewusste nach Freud und Lacan kennt die Funktion Nein oder Stopp nicht, lässt sich niemals an- oder aufhalten, geschweige denn vollständig medial rekonstruieren, sondern läuft einfach immer nur weiter, vergleichbar mit den blitzschnellen Schaltkreisen in uns und um uns herum (selbst dann, wenn der Strom einmal ausfallen sollte).943 Als mediales Reales bleibt es gegenüber dem sprachlich strukturierten Signifikanten, den es stets antreibt und in rotierender Bewegung hält, unabhängig und autonom. Es spricht bzw. sendet unentwegt, ob wir wollen oder nicht. Die damit verbundene Grund- und Haltlosigkeit subjektiven Seins auf dem Niveau der 940 Vgl. zur Entzifferung des Zeichens: Lacan 1986 (b), 7: „Eine entzifferte Mitteilung kann ihr Rätsel bewahren.“ 941 Bitsch 2009, 466. 942 Vgl. Pühler 2006, 44 ff. 943 Wie z. B. beim Stromausfall am 10. November 2009 in São Paulo und anderen brasilianischen Städten, als plötzlich vier Stunden lang für 80 Millionen BrasilianerInnen das Licht ausging. Vgl. Philosophie – Maschine. Raphaël Enthoven diskutiert mit Frédéric Vengeon über das Paradox der Maschine. Arte-Sendung vom 8. Januar 2011. (Die beiden Denker philosophieren – mit zwei Gaslaternen ausgerüstet – im Dunkeln u. a. über die Geschichte der Stromausfälle.) 290 physikalisch nachweisbaren und mit Apparaten und Medien anwendbar gemachten Elektrizität, wie sie sich bereits bei Sade, Sacher-Masoch und Kapp in verschiedenen, jedoch vergleichbaren Symptomen gezeigt haben,944 ist durch nichts beizukommen, denn das Symptom als „Überschuss“ des Realen, wie auch als „Kern des Genießens“,945 der pathogene Kern eines „im Unbewussten persistierenden Defekts“,946 widersteht hartnäckig allen Versuchen, „es durch Explikation, eine Verbalisierung seines Sinns aufzulösen“.947 Es wird stets zurückkehren – als/im (Nicht-)Ich wie auch in der historischen Transmission und Transformation der Medien. Auch Freuds talking cure ist nur ein Zwischenschritt, ein vorläufiges Ergebnis, aber eben eines, mit dem das Subjekt zufriedenstellend weitermachen kann – weiterrechnen und -spielen muss. Es geht dabei um eine Neuorientierung, den Antrieb und Erhalt individueller Lebenslust, ein äußerst humanes und notwendiges therapeutisches Anliegen Freuds. Gleichzeitig geht es immer auch um die notwendige Erfahrung des Es, um die unendliche Tiefe und Negativität realen Seins, dessen Schicksal, Schmerz und Tragik. Etwas, das uns spätestens seit Freud ganz deutlich signalisiert, dass die vorgefundene und selbstgestaltete Umwelt und Wirklichkeit948 immer einer a/Andere ist und wohl bleiben wird, eine unfertige, dass sie sich der bewussten bzw. objektiven Erkenntnis stets entzieht, dass sie dergestalt übermächtig, das heißt geistig undurchdringbar und daher an und für sich unbeherrschbar ist; und schließlich auch, dass wir weiterhin an vielen Orten geduldig suchen und vorsichtig experimentieren müssen, um individuell und gesellschaftlich mit diesen in Dauertransformation befindlichen, chaotischen Verhältnissen symbolisch und libidinös umzugehen.949 944 Die Vergleichbarkeit dieser Symptome wird in ihrer medienhistorischen Rekonstruktion möglich – dies versucht die vorliegende Arbeit u. a. zu zeigen. 945 Vgl. !i"ek 1991, 20. 946 Vgl. Bitsch 2001, 84 und Bitsch 2009, 488 ff. 947 Vgl. !i"ek 1991, 20. 948 Vgl. zum Wirklichkeitsbegriff – gerade im Kontext des Experimentierens – Waldenfels 1998, 214 ff. 949 „Rette sich wer kann“ ist die Überschrift eines Tageszeitung-Artikels vom 27.2.2012 über den Soziologen Wilhelm Heitmeyer, dessen Forschungen zur gesellschaftlichen Lage Deutschlands von 291 Subjektwissen der Perversion und Psychoanalyse Der oder die Perverse, welche(r) – so möchte ich behaupten – seit dem späten 19. Jahrhundert das masochistische Medien-Subjekt par excellence repräsentiert, kann dafür als lehrreiches Vorbild dienen (und dies in jeglicher Hinsicht), spürt es doch sein/ihr Unbehagen und Ungenügen an der nicht mehr fassbaren Realität – die innere Klüftung, die Verkürzung des Seins, das Gefühl von Minderwertigkeit, Ohnmacht und permanenten Scheiterns (meist verbunden mit einem unaufhebbaren Schuld- und Angstgefühl,950 hypostasiert bzw. auskristallisiert im schlechten Gewissen, einer Zentralkategorie unserer Zeit), aber vor allem auch die Unverzichtbarkeit des Lustprinzips, und versucht, diese Erfahrungen in seinem/ihrem Begehren genussvoll umzusetzen, das heißt das Beste aus der „Kälte des Seinsmangels“951 zu machen.952 Gabrielle Goettle wie folgt zusammenfasst werden: „Entsicherung, Richtungslosigkeit und Instabilität sind zur neuen Normalität geworden, die Nervosität scheint über alle Gruppen hinweg zu steigen. Wir erleben, wie sich ein neuer Standard etabliert: ‚Volatility’, so die New York Times. Eine explosive Situation als Dauerzustand. Aus all dem resultiert vor allem eines: Die gewaltförmige Desintegration ist auch in dieser Gesellschaft nicht unwahrscheinlich.“ Weitere Stichwörter neben dieser „neuen Normalität“ sind „entsicherte und entkultivierte Bürgerlichkeit, Vereisung des sozialen Klimas, kalte Kalkulation gegenüber den Nutzlosen, Renaturalisierung der Ungleichheit.“ (Vgl. Goettle 2012, 15 f., die den Artikel in Form eines langen Redebeitrages Heitmeyers verfasst hat; Zitate von Heitmeyer.) In dem Artikel wird auch der Skandal um eine Broschüre des Bundesministeriums für Arbeit und Wirtschaft unter Wolfgang Clement thematisiert. „Sie erschien 2005 mit einem Titel im Stürmerstil: ‚Vorrang für die Anständigen – Gegen Missbrauch, „Abzocke“ und Selbstbedienung im Sozialstaat’. (BMWA 2005, S. 10).“ Ebenda findet sich einmal mehr jener Metaphermissbrauch, der gerade in Deutschland eine lange und fatale Tradition besitzt: der Vergleich zwischen Minderheiten bzw. hier sozialschwachen MitbürgerInnen und Parasiten in der Biologie – ‚Sozialschmarotzer’. Clement musste sich dafür nicht vor Gericht verantworten, die Anzeigen wegen Volksverhetzung wurden von der Staatsanwaltschaft Berlin abgewiesen. Sie wollte hier keinen Angriff auf die Menschenwürde erkennen. Vgl. ebd. 950 Wie die Angst durch technische Apparaturen im 19. Jahrhundert induziert worden ist, vgl. Bitsch 2009, 338. 951 Vgl. Bitsch 2001, 227. 952 Diese Persönlichkeiten – so möchte ich behaupten – weisen in deutlichen Ansätzen bereits auf Donna Haraways Cyborg-Figuration hin. Denn „die Cyborg ist eine überzeugte Anhängerin von Partialität, Ironie, Intimität und Perversität“ (vgl. Haraway 1995, 35) und immer auf der Suche nach lustvollem Kontakt; zudem widerspenstig, respektlos, unschuldig, utopisch und fluide. – Eine queere Frau-Mann in den unendlichen Weiten von Äther und Cyberspace. Ich nehme an, dass sie sich zu 292 „We say: Oedipus and castration, make the best of them, because it’s not going to last.“953 Das aktiv handelnde, perverse Subjekt ist ein im medialen Unbewussten suchendes, schließlich ein wichtiger Repräsentant der ‚Suchmaschine Mensch’. Es gibt sich mit den vorgefundenen, libidofeindlichen (Medien-)Verhältnissen keineswegs zufrieden und nur selten auf, diese zu Lustzwecken zu optimieren. Es lernt, dieses eigene Begehren in der Wiederholung spielerisch einzuüben und zu begreifen, sodass dabei neue Formen der (praktischen) Erkenntnis und des Wissens entstehen. Wahrheiten, die gewiss nicht nur für die Psychoanalyse Freuds und Lacans von hoher Bedeutung sind. Dies macht die spielerische Intelligenz und auch den kulturellen Mehrwert der Perversion aus. Ohne Perverse – wie auch ohne (Zwangs- )NeurotikerInnen und HysterikerInnen; all den „Nervolabilen“, „Abendgestalten“, „Freitagskinder[n]“954 und vielen anderen – wäre Freuds Psychoanalyse nie entstanden; als hilfesuchende PatientInnen sind sie gleichsam notwendige ZeugInnen bei deren Entstehungs- und Entwicklungsprozess geworden und sind es noch.955 Die Wissens- und Wahrheitsform, die dabei evident wird und für Freud einen hohen und eigenen Stellenwert hat,956 bringt Annette Bitsch auf den Punkt. Damit verweist sie auch allgemein auf den Entstehungs- und Transformationsprozess von Wissen in der technisch geprägten Moderne: ein Vorgang, der sich in ‚explosiven’ Partialobjekten ereignet: „Das Wissen, also die vorläufige, verkürzte, saisonale Wahrheit, wird irgendwann exundiert von dem Begehren zur Wahrheit, das [...] als ein Hegel’scher Prozess Funktion vom Scheitern, vom Unmöglichen macht. Neue Symbole bzw. Denkmodelle emergieren demnach stets in Momenten wahnhafter Kontingenz, paroxysmale einem posthumanen Kugelwesen entwickelt (hat). Vgl. Pühler 2007 (a), 37 und zur Cyborg-Kritik auch: Pühler 2006, 53 f. und 185 f. 953 Zitat von Gilles Deleuze in: Guattari 2009, 75. Deleuze spricht hier auch für Guattari. 954 Bitsch 2009, 193 und Freud 1994 [Zwang, Paranoia und Perversion, Studienausgabe Bd. VII]. 955 Dabei wird auch der individuelle Entstehungsprozess und die Geschichte des Subjekts (im Ich der PatientInnen) aufgerufen, durchgearbeitet und – wenn dies gelingt – produktiv überformt, umcodiert und einfach neu erfunden. „Die Durcharbeitung* ist deshalb etwas Notwendiges, weil der Durchlauf eine bestimmten Anzahl von Kreisen (circuits) – in mehrere Bedeutung des Wortes – notwendig ist, damit die Symbolisierungsfunktion des Imaginären wirkungsvoll erfüllt ist.“ Lacan 2003, 326. 956 „Nicht nur als Therapie empfehlen wir Ihnen die Psychoanalyse, sondern um ihrer Wahrheit willen.“ Zitat von Freud in: Hanika und Seifert 2006, 39. 293 Momente, Gewaltakte, die die bestehenden trägen, imaginären Realitäten sprengen und durch Erweiterung oder Revolution mitunter an den Rand der Desorganisation führen, wie es nicht zuletzt die Geschichte des Wechselstroms mit ihren von Hagen aufgezeigten massiven psychotischen und okkultistischen Infusionen zeigt.“957 Die Anarchie solcher Gewaltakte ist in Sades Ästhetik virulent: „Das Zentrum der Macht kann nicht durch eine Revolution neu besetzt werden, sondern muss durch eine ex-zentrische Kultur der Ekstase, durch eine permanente Revolution, durch ‚das höchste Gut, die Anarchie’ in alle Richtungen zersprengt werden.“958 Die Kunst, die Sade dabei verfolgt, ist, diese Ekstase, dieses Gut, zu beherrschen, schließlich ein enzyklopädisches Wissen daraus zu machen. Freuds materialistisches, vom Spiritismus noch keineswegs losgelöstes Denken und Wissen,959 seine der Biologie und der Empirie zugewandte Forschung,960 kann – gerade mit einer medienästhetischen Sichtweise – als notwendiger, zweiter Beobachter Kapps fungieren: als ein zweiter Anlauf, um der medialen (Grund- )Konstitution des unbewussten Subjekts und seines Begehrens, dem Ich, weiterhin auf die Spur zu kommen. Auch wenn der Nervenarzt Freud der medialen Dimension seines psychoanalytischen Unternehmens weniger theoretischen Platz einräumt als der von seinen organprojizierten Prothesen vereinnahmte Kapp, hat Freud dennoch bereits in einem sehr kultur- und medienwissenschaftlichen Sinne gearbeitet und gedacht (dies zudem sehr viel präziser als Kapp), indem er sozusagen eine umfassende 957 Bitsch 2009, 152. „[M]it Lacan [...][muss] die Trägheit des Imaginären einkalkuliert werden, mit anderen Worten, der für die Ich-Funktion konstitutive Widerstand, der sich bei der Erneuerung gesicherter Wissensbestände entgegenstellt.“ Ebd.; vgl. auch Freud 1999 (b), 205. Vgl. zur elektrizitätstechnischen Dimension von Widerständen: Bitsch 2009, 492 und vgl. zu gesellschaftlichen Widerständen bei Medienwechseln: Debray 2000 (b), 69, 71. 958 Zweifel und Pfister 2001, 29; Zitat darin: Sade 1990, Bd. 8, 169. 959 Vgl. Ebd. 204. 960 Freuds Wissenschaftlichkeit war eng mit seinen Erkenntnissen in den Drei Abhandlungen zur Sexualtheorie (1905) verbunden. Er muss so etwas „wie eine psychoanalytische Biologie im Sinn gehabt haben [...]. Für das Erfassen der Phänomene dieser psychoanalytischen Biologie bedurfte es freilich einer empirischen, einer eigenen empirischen Haltung.“ (Vgl. Brumlik 2006, 90.) Von daher ist er mit diesem Anliegen gar nicht so weit von dem entfernt, was Kapp „Physiologische Psychologie“ nennt und verfolgt. Vgl. Kapp 1978, 5. 294 Wirkungsforschung im/des medialen Unbewussten betrieben hat,961 die nicht nur ‚analoges’ Ganzheitsdenken (u. a. als Resultat unbewusster Angst- und Abwehrmechanismen bzw. von libidinösen und traumatischen Widerständen) als trügerische und gefährliche Illusion aufdeckt und zu verabschieden beginnt,962 sondern bereits die Anfänge hybrid-digitaler bzw. kybernetischer Denkmodelle markiert, die sich erst in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts allmählich durchzusetzen beginnen.963 „Gegen alle Alltagsevidenz, gegen die Tradition der Philosophie ebenfalls postuliert Freud die Möglichkeit, alle Akte des Seelischen, seien sie bewußt oder nicht bewußt, als Formen in einem Medium aufzufassen, die aus der Kenntnis bewusster Vorgänge stammen: ‚Vorstellungen, Strebungen, Entschließung u. dgl.’“964 961 Man könnte auch – so möchte ich vorschlagen – von einer Medienwirkungsforschung avant la lettre sprechen, ähnlich wie Sade mit seiner enzyklopädisch anmutenden Raritätensammlung in gewisser Weise die Psychopathia sexualis des 19. Jahrhunderts vorwegnahm (und gleichzeitig unterlief, da Sade sich nicht an gesellschaftliche Moralvorstellungen hielt, sondern nur an die eigene abseitige Lust und Fantasie.) Vgl. Zweifel und Pfister 2001, 21. 962 „In ‚Jenseits des Lustprinzips’ wird die seit der klassischen Antike geläufige Vervollkommnungsidee durch Bildung einer Grundsatzkritik unterworfen“ (vgl. Brumlik 2006, 177): Freud widerruft den Glauben und die Illusion, dass „im Menschen selbst ein Trieb zur Vervollkommnung wohnt“ (Kapp redet vom „menschlichen Kunsttrieb [Kapp 1978, 124]), dass dieser „seine Entwicklung zum Übermenschen besorgen wird. [...] Die bisherige Entwicklung der Menschen scheint mir keiner anderen Entwicklung zu bedürfen als die der Tiere, und was man an einer Minderzahl von menschlichen Individuen als rastlosen Drang zu weiterer Vervollkommnung beobachtet, läßt sich ungezwungen als Folge der Triebverdrängung verstehen, auf welche das Wertvollste der menschlichen Kultur aufgebaut ist.“ (Vgl. ebd. und Zitat von Freud: Ders. 1999 [b], 227.) „M. Hyppolite: ‚In die Zukunft einer Illusion fragt sich Freud, was geschehen wird, wenn alle Illusionen dahin sein werden.’“ In: Lacan 1991 (a), 92. 963 Vgl. Schmidt 2005, 36. Martin Burckhardt wundert sich jedoch, dass Freud an der Semantik der Elektrizität vorübergeht, „sich statt dessen auf den Vater und Ödipusrepräsentanten fixiert“ – und dies, obwohl der „psychische Apparat [...] ein Gebilde [ist], das seine Herkunft aus dem Geist des Elektromagnetismus kaum verleugnen kann“. Und trotzdem „hat Freud, im manikalischen Kampf und die Ankettung änigmatischer Libido an eine materialistische Substanz, eine ganze Metaphorik des Stromkreises initiiert“. Vgl. Bitsch 2001, 85. 964 Fuchs 1998, 69, Zitat von Freud in GW, X, 267 (Das Unbewußte). 295 Sigmund Freud hat der Psychoanalyse damit gleichsam deren eigene „mediale[] Rahmenbedingungen“,965 das heißt machbaren Spielregeln und (Be- )Handlungsmethoden, eingeschrieben. Anders als Kapp hat Freud den szientistischen Vorgaben, Forderungen und Trends seiner Zeit (wie sie u. a. in verschiedenen [Experimental-]Dispositiven zur Beherrschung des Realen/Reellen implementiert sind)966 auch widerstehen können. Seit dem Entwurf von 1895 sind die analogen Idealvorstellungen in seinem Denken geschmeidiger geworden: „Beide Systeme – das des Entwurfes und das der Traumdeutung – sind bestimmt von einer Durchlässigkeit und Heterogenität des idealisierten energetischen Gedächtnisflusses, die zwar eine beständige Flexibilität des Systems garantiert, jedoch keine Starrheit zulässt.“967 Diese Durchlässigkeit und Heterogenität sind zwar schon im Analogiedenken Sacher- Masochs und Kapps zu beobachten, u. a. in dessen Bipolarität und dialektischer Wechselseitigkeit, können jedoch mit diesem Denken nicht allein dauerhaft aufrechterhalten werden. Der hartnäckige Lustwiderstand,968 der in ihren Idealbildern maskiert zum Ausdruck kommt und dergestalt medial verstärkt wird, hindert sie an der Erhaltung des Konstanzprinzips auf symbolischen Niveau,969 schiebt die notwendige Aktualisierung und Kontinuität auf, lässt die mit diesen Bildern 965 Vgl. von Braun 2001, 258. – Bedingungen, die medienhistorisch zwischen Analogem und Digitalem anzusiedeln sind. 966 „[I]n Freuds Fall das Dispositiv der Experimentalwissenschaften und der materialistischen Psychiatrie.“ Bitsch 2009, 319. 967 Schmidt 2005, 43. 968 Dieser Widerstand hat vor allem libidinöse Ursachen. Wenn in der vorliegenden Arbeit Metaphern wie auf den Leim gehen verwendet werden, dann ist immer dieser Widerstand – die ‚Klebrigkeit’ – der Libido gemeint. Deleuze und Guattari sprechen diesbezüglich „von einer nicht lokalisierbare[n] Widerstandsart: gewisse Individuen haben eine derart klebrige oder, im Gegensatz dazu, eine derart leicht bewegliche, flüssige Libido, daß es nicht gelingen will, sich ihrer zu ‚bemächtigen’.“ (Vgl. Deleuze und Guattari 1977, 84.) Haben wir es hier mit (Grund-)Merkmalen der Perversion bzw. von perversen Subjekten zu tun? Vgl. zu ‚klebriger’ Libido, die als „ein bestimmendes Moment [...] bei den Perversen“ vorkommt (aber auch „beim Normalen“): Freud, 252, Band XI, 360 f. und Bitsch 2009, 260. 969 Vgl. zur „Differenz von Trägheitsprinzip und Konstanzprinzip“: Fuchs 1998, 45. 296 realisierten Fetisch-Operationen (trotz des in ihnen eingeschriebenen Willens zu Entwicklung, Fortschritt und Wahrheit – der unbewusst-drängende Wunsch, anders zu werden)970 nicht nur in der Schwebe, sondern dort in dynamischer Aktion schließlich erstarren. Deleuze nennt dies die „erstarrte[] Kaskade“971 der Maso-Prozedur; im vorangegangenen Kapitel war von fotografischen Momentaufnahmen972 bzw. Standbildern (im Sinne des phallischen Aufrechtstehens,973 des Anhaltens der Projektion oder von stills) die Rede. „Was das Bild halten macht, das ist ein Rest. Die Analyse zeigt, daß die Liebe in ihrem Wesen narzißtisch ist und verrät, dass diese Substanz des vorgeblich Objektualen – Bluff – in der Tat das ist, was, im Begehren Rest ist, nämlich seine Ursache und der Träger seiner Unbefriedigung, ja, seiner Unmöglichkeit.“974 Beim libidinös motivierten Halt(en)-Machen – gerade im/am (fetischisierten) Ding975 – stellt sich irgendwann das Gefühl masochistischen ‚Erfrierens’ ein, was auf dieser 970 Es handelt sich um das „Anderswerden von Bestimmtheit“, wie es Wolfgang Iser im „‚Nicht-Sein’ des Imaginären“ konstatiert. (Vgl. Iser 1991, 359.) Überhaupt geht es beim spielenden Subjekt – wie Iser mit Johan Huizingas Spielkategorie Mimikry erläutert – darum, dass es „glaube oder andere glauben lassen [möchte], daß es etwas anderes als es selbst sei.“ Ebd. 446. 971 Vgl. Deleuze 1980, 188: Deleuze bezeichnet Sacher-Masochs Erzähltechnik als die der stillstehenden Bewegung, eine Struktur der Zeiterfahrung (suspense), „in der Veränderung und Stillstand, Spannung und Aufschub zusammenfallen.“ Vgl. Treut 1990, 170; Zitat von Treut; vgl. auch Rudloff 1994, 61 ff. 972 Vgl. Deleuze 1980, 186. 973 Der Stand und die Statur des homo erectus rechtfertigen für Mikkel Borch-Jacobsen – jenseits androzentrisch motivierter (Fehl-)Deutungen – die Annahme, dass der Phallus ein privilegierter Signifikant ist. (Borch-Jacobsen 1999, 241.) „Der Phallus ist, mit einem Wort, der imaginäre ‚Herr und Meister’, der buchstäbliche kolossale Doppelgänger, in welchem das kleine Menschenkind die Meisterung und Beherrschung seines eigenen Körpers vorwegnimmt.“ (Ebd.) Ich möchte von daher vorschlagen, den Phallus als privilegierte, ‚aufrecht stehende’ und unbeherrschbare Leerstelle des Symbolischen zu bezeichnen; eine Leerstelle, die sowohl die Ebene der Partialobjekte als auch die des Signifikanten umfasst. 974 Lacan 1991 (b), 11. 975 Wie Dinge in individualistischer Weise vom Subjekt zurückgehalten werden und sich dabei „kontraphobische Reaktionen“ einstellen, die darauf verweisen, dass Menschen selbst verdinglicht, eben zu „Konsumenten“ und „Waren geworden sind, zu Funktionsteilchen von Organismen und 297 subjektiven Ebene nichts anderes als Vergeblichkeit, Enttäuschung und Frust heißt. – „Laxheit, Ermüdbarkeit, Aneurie und depressive Verdunkelung beherrschen das Finale illustrer Begierden“.976 Zugespitzt gesagt: Lebendiges Totsein. Agonie ohne Ende: ein auswegloses Zombie-Sein977, das laut Deleuze und Guattari den einzigen wirklich modernen Mythos darstellt: „[T]ödliche Schizos.“978 Sacher-Masochs turbulente Gefühlswelt offenbart demnach am Ende das, wovor Kapp am meisten Angst hat: Das ‚Sich-Verlieren und die Vereinsamung ins Endlose’,979 der Absturz ins Bodenlose, ins Nicht-Sein. Hier sei noch einmal an die bittere Selbsterkenntnis des Kapitulanten in Sacher- Masochs gleichnamiger Novelle erinnert: „In der furchtbarsten Bewegung wird die Natur starr und eisig. Wir selbst sind nur Teile der allgemeinen Kälte und Starrheit. Man begreift, wie das Eis eine Welt begraben hält, wie man aufhört zu leben, ohne zu sterben, ohne zu verwesen“.980 Allerdings handelt es sich hier wohl weniger um eine Naturgegebenheit, als um erregten Leerlauf des Imaginären, ein beschleunigtes Auf- der-Stelle-Treten und gleichzeitiges Rallentando der inneren Bilder, ein Schwinden des Begehrens und des Sinns auf dem Niveau elektrischer Medien[-Fetische]). Mit Daniel Paul Schreber kann dies als ein „Lebendigbegrabenwerden“981 bzw. „Liegengelassenwerden“982 bezeichnet werden.983 Systemen“, beschreibt Hartmut Böhme sehr anschaulich. Zudem beobachtet er in diesem Zusammenhang „gesichtslose Wesen in einer wesenlosen Gesellschaft, die ihre Waren so umschlägt wie die Menschen, aus denen sie besteht.“ Vgl. Böhme 2006, 306. 976 Bitsch 2001, 97. 977 Vgl. zur aktuellen wie historischen Zombie- bzw. Vampirforschung in Philosophie und Medien: Fürst, Krautkrämer und Wiemer (Hrsg.) 2010 und Greene und Mohammed 2010. 978 Vgl. Deleuze und Guattari 1977, 433. (Das vollständige Zitat befindet sich im Mehr-Lust-Appendix unter dem Ordnungspunkt „Go hardcore“.) 979 Vgl. Kapp 1978, 1. 980 Vgl. Sacher-Masoch 1996, 215. 981 Vgl. Schreber 1995, 43. 982 Ebd. 69, 72. 983 Wie das Werden in der Wiederholung zum Stillstand kommen kann, beschreibt Marc Rölli (2007, 180) u. a. mit Freud und Nietzsche. 298 Obwohl Freud die theoretischen und praktischen Mittel (er-)findet, mit denen solche und andere Befindlichkeiten bzw. Störungen des Seelenlebens analysiert und korrigiert werden können (gleichwohl sprachlich gesteuerte Spiegel, in denen Phantome oder Zombies als Persönlichkeiten tatsächlich sichtbar werden können), heißt dies selbstverständlich nicht, dass sein Denken frei von Dysfunktion und Irrtum wäre.984 Gerade hinsichtlich seiner Thesen zu SM – sei es die Annahme, dass Perversionen genetisch bedingt sind, SM-Triebe existieren oder Frauen so etwas wie einen quasi-natürlichen Masochismus ausbilden – trifft dies zu und wurde bereits kritisiert. Auch bei ihm schleichen sich sogar verfälschende Wahrnehmungen im prothesentheoretischen Sinne ein, vor allem am Anfang seiner Laufbahn. Als junger Neurophysiologe spricht er 1874 „von der Poesie des Nervenfasernalphabets, ‚einer Art Semantik der Nervenbahnen’“, die ihn (wie die Psychoanalytikerin Edith Seifert herausgefunden hat) in äußerst verdächtige Nähe zur psychotischen Nervensprache des Senatspräsidenten Daniel Paul Schrebers rückt.985 Als späterer Psychopathologe und Kulturtheoretiker kann er solche „phantastischen Anatomien“986 zwar nicht mehr im Organischen auffinden; dies ist für ihn jedoch kein Anlass, auf die Verwendung organizistischer Metaphern zu verzichten: 984 Im Gegensatz zu Lacan hat Freud seine Fehler, Korrekturen und Richtungswechsel, insofern er sie gesehen hat, stets benannt und im Fortschreiten seines Wissens offengelegt. 985 Freud 1879, 468; zitiert nach Seifert 2001, 340. „Schrebers Wahn kreist zwar um die Grund antasie seiner Geschlechtsumwandlung zur Rettung der Weltordnung, er artikuliert sich dabei aber auch in Begriffen einer phantasmatischen Nerventheorie. Diese Darstellung hat Freud beunruhigt und zu der sorgenvollen Frage veranlasst, ob nicht vielleicht im Wahn mehr Wahrheit enthalten sei, als manchen glaublich ist, oder nicht vielleicht in seiner, Freuds eigener Theorie mehr Wahn, als er selber möchte.“ – paranoia scientifica. Ebd. 339 und Freud 1994, 200. 986 Paul Ricoeur betrachtet den Entwurf einer wissenschaftlichen Psychologie von 1895 (der erst 1950 posthum veröffentlicht wurde) als „Freuds letzten Versuch, seine Entdeckungen anatomistisch zu umschreiben; der Entwurf ist der Abschied von der Anatomie in Form einer phantastischen Antatomie“. (Vgl. Ricoeur 1993, 95.) Mit Lacan und Fuchs müsste man hier – gerade im Vergleich mit Schrebers Wahn – eher von fantasmatischer Anatomie reden (vgl. Fuchs 1998, 87 und Lacan 1986 [a], 67). (Denn Fantastik hatte Freud nie im Sinn, er hatte sich einfach nur getäuscht. Das Fantastische ist demgegenüber die bewusste Inszenierung der Unschlüssigkeit des Fantasmas.) 299 „Der Mensch ist sozusagen eine Art Prothesengott geworden, recht großartig, wenn er all seine Hilfsorgane anlegt, aber sie sind nicht mit ihm verwachsen und machen ihm gelegentlich noch viel zu schaffen.“987 Psychische Lokalität und anderer Schauplatz Trotzdem sieht er hier ein entscheidendes Problem, das nicht nur für das Verständnis von Organprojektionen wichtig ist, sondern auch die sogenannte Technoscience988 bis heute stark beschäftigt: Die medial zu überbrückende bzw. zu schließende Kluft, die zu optimierenden Schnitt- und Anschlussstellen – interfaces989 – zwischen Körper und Medium in Medien und Körpern. Zwei wichtige Stellen in der Traumdeutung von 1900 weisen auf die unbewusste interface-Differenz von optischer Medienfunktion und innerem Wahrnehmungsvermögen hin, wie sie im psychischen Apparat (metapsychologisch) angelegt ist, und unterlaufen somit wirksam die prothesentheoretische Illusion, eine Konvergenz bzw. Kompossibilität zwischen technischen Medium und Bewusstsein im Sinne des cogito wissenschaftlich begründen und aufrechterhalten zu können.990 Dies lässt sich mit Freuds Topik der psychischen Lokalität – ein Dazwischen im/des Unbewussten,991 an dem eine der Vorstufen des virtuellen Bildes entsteht992 – zeigen. Freud wird damit sozusagen zum kritischen Beobachter Kapps: 987 Freud 1997, 57 (Freuds berühmtes Prothesengott-Zitat aus Das Unbehagen der Kultur [1930]). 988 „Mit dem von Bruno Latour und Jacques Derrida übernommenen Begriff der Technoscience markiert Donna Haraway die durch die Technisierung des Wissens bedingte epistemologische Zäsur um 1950, durch die klassische Dichotomien wie Technik vs. Natur, Subjekt vs. Objekt und Natürlichkeit vs. Künstlichkeit untergraben und aufgelöst werden“. Vgl. Bitsch 2008, 238 (Fußnote 4) und Holas 2010, „6.1.2 Die Überwindung binärer Oppositionen“, 180 f. 989 Vgl. Adamowsky 2000, 177. 990 Damit ist gleichsam die Illusion gemeint und zerstört, eine evolutive Linearität und Symmetrie, eine in sich aufgehende Äquivalenz zwischen Organischem und Technischem, schließlich die Eins im Kontinuum, hier logisch bzw. wissenschaftlich postulieren zu können. 991 Vgl. Schmidt 2005, 41. – „’[D]er Ort, an dem nichts stattfindet als der Ort’ (Mallarmé).“ Fuchs 1998, 73. 992 Eine Optik des/im psychischen Apparat(s), die „durch ein Verhältnis von materiellen Trägern und immateriellen Effekten qualifiziert“ wird. Vgl. Vogl 2000, 373. 300 „Die Idee [Fechners Vermutung, dass ‚der Schauplatz der Träume ein anderer sei als der des wachen Vorstellungslebens’ (steht vorher so im Text; Anmerkung S. P.)], die uns so zur Verfügung gestellt wird, ist die einer psychischen Lokalität. Wir wollen ganz beiseite lassen, daß der seelische Apparat, um den es sich hier handelt, uns auch als anatomisches Präparat bekannt ist, und wollen der Versuchung sorgfältig aus dem Wege gehen, die psychische Lokalität etwa anatomisch zu bestimmen. Wir bleiben auf psychologischem Boden und gedenken nur der Aufforderung zu folgen, daß wir uns das Instrument, welches den Seelenleistungen dient, vorstellen wie etwa ein zusammengesetztes Mikroskop, einen photographischen Apparat u. dgl. Die psychische Lokalität entspricht dann einem Orte innerhalb eines Apparats, an dem eine der Vorstufen des Bildes zustande kommt. Beim Mikroskop und Fernrohr sind dies bekanntlich zum Teil ideelle Örtlichkeiten, Gegenden, in denen kein greifbarer Bestandteil des Apparats gelegen ist. Für die Unvollkommenheiten dieser und ähnlicher Bilder Entschuldigungen zu erbitten, halte ich für überflüssig. Diese Gleichnisse sollen uns nur bei einem Versuch unterstützen, der es unternimmt, uns die Komplikationen der psychischen Leistung verständlich zu machen, indem wir diese Leistung zerlegen und die Einzeldarstellung den einzelnen Bestandteilen des Apparats zuweisen. Der Versuch, die Zusammensetzung des seelischen Instruments aus solcher Zerlegung zu erraten, ist meines Wissens noch nicht gewagt worden. Es erscheint mir harmlos. Ich meine, wir dürfen unseren Vermutungen freien Lauf lassen, wenn wir dabei nur unser kühnes Urteil bewahren, das Gerüste nicht für den Bau halten. Da wir nichts anderes benötigen als Hilfsvorstellungen zur ersten Annäherung an etwas Unbekanntes, so werden wir die rohesten und greifbarsten Annahmen zunächst allen anderen vorziehen.993 [...] Alles, was Gegenstand unserer inneren Wahrnehmung 993 Freud 1997 (a), 572. Lacan hat in seinem ersten Seminar Freuds technische Schriften nicht nur dieses Zitat ebenfalls fast in dieser Länge wiedergegeben, sondern es auch mit verschiedenen Spiegelapparaturen praktisch umgesetzt, um u. a. die Wirkungen der psychischen Lokalität seinen SeminarteilnehmerInnen zu illustrieren. Darunter befindet sich auch das berühmte Experiment vom umgekehrten Blumenstrauß, mit dem er zeigt, dass etwas (hier der Strauß) „im Spiegel oder der Realität [dort] erscheint, wo es im Realen nicht ist“ (vgl. Lacan 1990, 100 ff.). Dieses Nicht-Erkennen des Realen (z. B. der in einem Kasten versteckte Blumenstrauß) ist exakt das Hauptproblem des klassischen prothesentheoretischen Diskurses (und gewiss nicht nur in diesem). 301 werden kann, ist virtuell, wie das durch den Gang der Lichtstrahlen gegebene Bild im Fernrohr.“994 Wie lässt sich nun das Verhältnis zwischen dieser Lokalität im psychischen Apparat, die nicht auffindbar bzw. unbewusst ist, und der bewusstseinsfähigen, virtuellen Wahrnehmung, einem gegebenen Bild, denken? – Laut Freud muss eine Verbindung vorliegen, argumentiert er doch in beiden Zitaten mit den gleichen metaphorischen Mitteln – mit optischen Apparaten. Die mögliche Antwort – wiederum eine Konstruktion mit Hilfe eines visuellen Mediums – gibt er in einem Brief an Wilhelm Fließ: „Eine grobe, aber ziemlich angemessene Analogie dieses supponierten Verhältnisses der bewußten Tätigkeit zur unbewußten bietet das Gebiet der gewöhnlichen Photographie. Das erste Stadium der Photographie ist das Negativ; jedes photographische Bild muß den Negativprozeß durchmachen, und einige dieser Negative, die in der Prüfung gut bestanden haben, werden zu dem Positivprozeß zugelassen.“995 In dieser Analogie ist eine nicht näher bestimmte Zensur am Werke, die darüber entscheidet – quasi aussiebt996 –, welche Negative zugelassen werden und welche nicht. Freud beschreibt die Initiation eines Auswahlverfahrens ex negativo, das eine Grenzlinie zieht zwischen dem, was unbewusst bleibt und dem, was bewusstseinsfähig werden kann. Dabei sind es weniger die Negative (die das Unbewusste in seinen Erscheinungen formatieren, diesem Ausdruck verleihen),997 994 Ebd. 597. 995 Freud 1986, 110 f. Manuskript H.; zitiert nach Fuchs 1998, 66. Um die räumliche Dimension ergänzt heißt das (ebenfalls bei Freud): „Wir setzen also das System des Unbewußten einem großen Vorraum gleich, in dem sich die seelischen Regungen wie Einzelwesen tummeln. An diesen Vorraum schließe sich ein zweiter, engerer Salon, in welchem auch das Bewußtsein verweilt. Aber an der Schwelle zwischen beiden Räumlichkeiten walte ein Wächter seines Amtes, der die einzelnen Seelenregungen mustert, zensuriert und sie nicht in den Salon einlässt, wenn sie Mißfallen erregen.“ Freud, GW, XI (1916/17), 350; zitiert nach Bitsch 2001, 81. 996 Vgl. zur Konstruktion des Apparats als Sieb: Lacan 1996, 60. 997 Die fotografischen Negative sind hier die notwendige Voraussetzung für Unbewusstes. 302 sondern vielmehr der unbekannte symbolische Prozess, jener mediale Zensor, der die Zulassung und den Ausschluss realisiert und reguliert. Das Unbewusste artikuliert sich somit als mediale Differenz, deren Negativ und Positiv nicht nur fotografisch bzw. optisch, sondern mit Lacan, Kittler und Bitsch als digitales Schaltprinzip, eine Abfolge von (!) und (+) in technischer wie theoretischer Codierung gedacht werden kann.998 Und dies eben nicht nur in/mit Computern bzw. Wechselstrom-Apparaten, sondern bis zu einem gewissen Grad auch in/mit Subjekten und deren Begehrensstruktur (insofern sich die symbolischen Anteile dieser Struktur wie im Grad-Ungrad-Spiel formalisieren und damit adressieren lassen.)999 Für die Transformation der Ich-Steuerung von Freud zu Lacan – vom energetischen zum informationstechnischen Zeitalter – heißt das:1000 „Im Zuge der Erweiterung von Freuds psychischem Regelsystem um eine Berechnungsfunktion, im Zuge der Weiterentwicklung des Unbewußten von der Dampfmaschine zum Computer wird aus dem Regler-Ego ein Schalter-Ego. Voraussetzung jeder digitalen Schaltung ist aber eine Nullstelle, der Seinsmangel des psychoanalytischen Diskurses.“1001 Lacans Medienwissenschaft Lacans Ego-Begriff erweist sich dabei als vielseitig: Einerseits als glorreich-fatale Verkennungsfunktion, wie sie in der schillernden Grandezza, im Hochglanzformat des moi erscheint (und damit alles subjektive Erkennen von vornherein der Selbsttäuschung, dem [V]Erkennen, unterwirft), andererseits als Übertragungsort 998 Lacan 1986 (a), 46. 999 Vgl. zu diesem Spiel: Bitsch 2001, 261 ff. 1000 Nicht nur im Hinblick auf die Ich-Steuerung, sondern auf die gesamte Konzeption des Unbewussten macht sich in diesem Zusammenhang ein wesentlicher Unterschied bemerkbar: „Lacans technisches Modell des Unbewussten ist der Computer im Gegensatz zu Freuds Dampfmaschine. Während Letzteres Freud zu Vorstellungen des Unbewussten führt, die auf substantielle Verwandlungen gründen, führt Lacan die Rechenmaschine zu der Vorstellung von logischen und konfiguratorischen Transformationsprozessen.“ M. Butler 2007, 170, Fußnote 385. 1001 Bitsch 2001, 56 ff. 303 einer unbewusst rotierenden Botschaft – „die signifikante Kodifizierung der Formel des Begehrens, die, an den Anderen adressiert, dessen eigenes Begehren aktualisieren soll. [Diese Aktualisierung bleibt – wie gesagt – in fetischistischen Handlungen meist aus; Anmerkung S. P.]“ Annette Bitsch hat verschiedene technische Bestimmungen des Ich (moi), Apparate- Funktionen, in der Theorie/Lesart Lacans herausgestellt. ‚Geist’ bzw. Unbewusstes mutiert so einmal mehr zum technischen Modell auf dem Niveau des operanten Reellen: „[Das] moi paradiert in einer ganzen Serie physikalischer, optischer und technischer Geräte vom Schirm bis zur Verstärkerröhre, die von Lacan wenngleich nicht immer ganz stringent, so doch sehr virtuos präsentiert wird. In seiner homöopathischen Funktion dient es der Abfederung oder Verkennung der condition humaine [...]. Ähnlich auch seine Rolle als Röhre oder Widerstandsphänomen, der gemäß es bis zu einem gewissen Grad resistent gegenüber einer im Unbewußten insistierenden Todesbotschaft wie auch gegenüber vorschnellen Intrusionen des Analytikers reagiert.“1002 Freuds psychische Lokalität, „eine quasi-räumliche Anordnung von gegenständlichen und virtuellen Bestandteilen“, Vorform des Ich-Bildes bzw. der Imago,1003 erweitert Lacan um die gerade vorgestellte Ich-Funktion, die das Bild dann als flimmerndes Ganzes auf die Oberfläche des somit entstehenden Egos überträgt/projiziert, wie es das Dispositiv des Spiegelstadiums,1004 eine Theorie der Identitätsbildung, nahe legt. 1002 Ebd. 83 f. 1003 Sigmund Freud hatte den Begriff zwar als Titel einer Zeitung, die er selbst herausgab, verwendet, die Imago besitzt aber dennoch keine konstitutive Bedeutung für sein Werk. C. G. Jung hatte den Begriff in Wandlungen und Symbole der Libido (1911) eingeführt. Vgl. Gekle 1996, 64 f. und Roudinesco 1996, 175. 1004 Vgl. Lacan 1986 (a). Dass es sich hier tatsächlich um ein räumlich strukturiertes Dispositiv, nämlich auch ein Spiegelstadion handelt, wird in der VIDEODROME-Analyse herausgestellt. Severins nächtliche Installation der ‚Venus im Pelz’ auf dem Parkgelände seiner Pension in einem Karpatenkurort ist nichts anderes als ein weiteres, jedoch sehr signifikantes Moment in diesem Dispositiv, inszeniert sich dabei doch Severins Fetisch als die Sinne erregendes Schauspiel des Ich. 304 Aus Freuds mechanischem Energieverteiler wird bei Lacan ein digital prozessierender Bildapparat mit Aufnahme- und Wiedergabefunktionen, gleichsam (in der Sprache der jetzigen Medienstandards) ein hochauflösender (Plasma-)flatscreen mit verführerischem 3D-Effekt, dessen telematische Magie das Individuum völlig in seinen Bann zieht, masochistisch unterwirft und es, gemäß dieser Installation, der nachhaltigen Illusionsmacht seiner (alp-)traumhaften Perzeption überlässt.1005 Es wird sich nach anfänglicher Aha-Euphorie als panisch geblendetes und paranoisch strukturiertes Oberflächenwesen1006 wiederfinden, das in unbewusster Selbststeuerung ein wechselseitiges Austauschverhältnis, eine instabile Äquivalenz zwischen realen/reellen und virtuellen Objekten/Bildern produziert;1007 „jenes ‚bisschen Realität’“,1008 die es an der Schwelle zur sichtbaren Welt erhascht und zu fixieren versucht.1009 1005 Es handelt hier sich hier um schlag- bzw. blitzartige Verwandlung durch eine Bildaufnahme – das Ich-Symptom geht auf Sendung. 1006 Vgl. Freud 1999 (a), 266: „Das Ich ist vor allem ein körperliches, es ist nicht nur eine Oberfläche, sondern selbst die Projektion einer Oberfläche. [...] Auch der Schmerz scheint dabei eine Rolle zu spielen, und die Art, wie man bei schmerzhaften Erkrankungen eine neue Erkenntnis seiner Organe erwirbt, ist vielleicht vorbildlich für die Art, wie man überhaupt zur Vorstellung seines eigenen Körpers kommt.“ Judith Butler nimmt diesen Gedanken auf und entwickelt ihn weiter: „Wenn also, wie Freud verficht, Schmerz eine umrißgebende Wirkung hat, demnach vielleicht eine der Arten ist, in der wir zu einer Vorstellung unseres Körpers überhaupt gelangen, kann es auch so sein, daß die die sozialen Geschlechtsidentitäten instituierenden Verbote dadurch wirken, daß sie den Körper mit einem Schmerz überziehen, der in der Projektion einer Oberfläche kulminiert – eine sexuierte Morphologie, die kompensierende Phantasie und fetischistische Maske in einem ist.“ Vgl. Butler 1997, 100. 1007 Vgl. Lacan 1990, 109: Lacan betont, dass dieses Austauschverhältnis, „die Verbindung der verschiedenen Teile, der sets, nie vollständig sein kann“. 1008 Vgl. Lacan 1986 (a), 66. 1009 Vgl. ebd. Eine wesentliche Programm-Funktion dieses Subjektapparats ist der technisch induzierte Schlaf (der Vernunft), ein imaginäres Vor-sich-hin-Dämmern (ohne finale Dämmerung des Dämmerns, das heißt ohne reflexives Aufwachen im Leben), das u. a. – wie es schon für den Masochismus und das Kino herausgestellt wurde – erlaubt, mit offenen Augen träumen zu können. Allerdings soll dies nicht heißen, dass (Selbst-)Reflexion unmöglich sei. Es ist die Totalreflexion bzw. -Projektion im Sinne eines absoluten Wissens, die dem Geist bzw. Begehren verwehrt bleibt. 305 „Das ‚Ich’ ist unermüdlich darauf aus, einen subjektiven Prozess zum Stillstand zu bringen, der nicht zum Stillstand gebracht werden kann, das lebendige Feld menschlichen Begehrens zur Stagnation zu bringen.“1010 – Eine Unmöglichkeit voller Tragik(-komik), die als solche in der Oberflächen- Simulation bzw. -Verschleierung optischer Medien, ein technisches Spannungs- und Steuerungsfeld mithin, meist gar nicht zum Bewusstsein kommt, da sie auf diese Weise und in diesem Feld wirksam verkannt/eskamotiert wird. Das mediatisierte Individuum wird unter der unausweichlichen Vorherrschaft bzw. dem Gesetz visueller Apparate und Medien nach Lacan schließlich endgültig selbst zum Apparat;1011 in diesem bleibt der Zwischenraum der psychischen Lokalität quasi als Lücke, welche das Unbewusste auf der nebulösen Objektebene der kleinen anderen ([a–]a–a’) schmerzvoll-umrissgebend konstituiert, bestehen. Das Spiegelstadium in der Lacanschen Konzeption versteht sich als Bedingung und Effekt medialer Welt- bzw. Körperbilderzeugung in unseren Köpfen: ein Bild überträgt sich reflexartig und mit durchschlagender Kraft, schiebt sich narzisstisch vor und installiert so einen optischen Referenzrahmen, eine digitale Matrix mithin, die die subjektive Wahrnehmung von da an – in der Individualentwicklung seit dem sechsten Monat1012 – in Formen bzw. Gestalten des Ein- oder Unbewussten1013 gefangen hält. Dies geschieht auf Lebenszeit, ohne jede Hoffnung auf vorzeitige Begnadigung. „Das Subjekt ist ein Apparat. Dieser Apparat ist etwas Lückenhaftes, wobei das Subjekt in der Lücke die Funktion eines bestimmtes Objekts als verlorenen Objekts instauriert. Das ist der Status des Objekts a soweit es im Triebe präsent ist. Beim 1010 Bowie 1997, 30. Dieses Anhalten bzw. Halten-Machen gehört auch, wie im Haupttext beschrieben, zu den grundlegenden Figuren der Maso-Prodzedur. 1011 Vgl. Baudry 2000, 399. 1012 Vgl. Lacan 1986 (a), 63. Die in den ersten Lebensmonaten erfahrene unbewusste Angst des Säuglings wird im Spiegelstadium optisch vereinheitlicht; sie bekommt Gestalt (fixiert an losen Partialobjekten bzw. -organen hatte sie sich schon vorher): „In den ersten sechs Monaten einer biologischen Verfrühung hatte sich die Angst fixiert.“ Im Symbolischen kann dieser Angst dann ein erkennbares Gesicht gegeben werden. Vgl. Roudinesco 1996, 179; Zitat von Lacan. 1013 Vgl. noch einmal zum „Signifikant Ein“: Lacan 1991 (b), 155 f. und Fuchs 1998, 193: „Das Psychische ist, was immer es sein mag, Eins, und die Bewußtheit nur ein inkonstantaner Teil des psychischen Geschehens.“ 306 Phantasma bleibt das Subjekt oftmals unbemerkt, es ist aber immer da, sei es im Traum, in den Einbildungen oder in sonst einem jener mehr oder weniger entwickelten Gebilde. Das Subjekt situiert sich selbst als determiniert durch das Phantasma.“1014 Peter Fuchs erkennt ebenfalls diese Lückenhaftigkeit und benennt, was das (psychoanalysierte) Subjekt mit dieser anfangen kann: „Das Subjekt ist sinnlückenkonfiguriert, die Psychoanalyse entsprechend die Kunst, an der Lücke, am strauchelnden Sinn, ihren Diskurs über die Wahrheit des Subjekts zu entfalten.“1015 Es muss in diesem Zusammenhang klargestellt werden, dass das medial unterworfene und ‚geknechtete’ (vom [imaginären] Signifikanten infizierte, perforierte, negativierte und bereits durchgestrichene)1016 unbewusste Subjekt im Hinblick auf das Reale, das höchst ambivalente und auf jeden Fall unverfügbare Objekt a, zumindest auf einer unbewussten Ebene sehr viel autonomer bleibt als jede erdenkliche Maschine, einfach weil eine Maschine nicht (oder vielleicht noch nicht) Funktion von sich selbst machen, das heißt sich selbst zählen und in diesem Sinne transformieren kann. „Das Subjekt setzt sich als operant, als menschlich, als ich, von dem Moment an, da das symbolische System auftaucht. Und dieser Moment läßt sich aus keinem Moment 101 4Lacan 1987, 193. – „Die Psyche ist ihr eigenes, verlorenes Objekt.“ Castoriad s 1984, 492; zitiert nach Iser 1991, 362. 1015 Fuchs 1998, 105. 1016 Aus (sadomasochistischer) Partialobjekt-Perspektive heißt das: „ausgeschlossen, ausgemerzt, zerteilt (geschlagen, zerschnitten, defäkiert)“. (Borch-Jacobsen 1999, 257.) Dem Ich bzw. Subjekt eröffnet sich mit derartigen Einschnitten und Aufbrüchen, mit (kleinen) a(ndern), die bereits digital codiert, ‚imaginafiziert’ sind (vgl. Bitsch 2001, 51), ganz im Gegensatz zu einer Maschine bzw. einem Medium grundsätzlich die Möglichkeit, sich selbst zu zählen, das heißt, in sich zu unterscheiden, auf die operante différance (als apriorische Bedingung des Wahrnehmungsvermögens) zu reagieren, wobei die fantasmatische bzw. illusorische Konstitution stets erhalten bleibt: „Die anfängliche ‚Illusion’ des Subjekts liegt einfach darin, dass es vergisst seine eigene Tat dazuzurechnen, daß es folgendes nicht sieht: ‚es zählt, es ist gezählt und in dem Gezählten ist das Zählende schon darin. (Lacan)“ !i"ek 1991, 11. 307 ableiten, das von der Ordnung einer individuellen Strukturierung ist. Um es anders auszudrücken, damit das menschliche Subjekt erschiene, müßte die Maschine sich in den Informationen, die sie gibt, selbst zählen als eine Einheit unter anderen. Und das ist genau das einzige, was sie nicht tun kann. Um sich selbst zählen zu können, müßte sie nicht mehr die Maschine sein, die sie ist, denn man kann alles fertigbringen, außer daß eine Maschine sich selbst als Element zu einem Kalkül addiert.“1017 Das Subjekt bleibt immer seinem Mangel1018 und seinem Begehren, schließlich der fantasmatischen Bilderwelt seines Narzissmus verhaftet,1019 wohingegen eine Maschine in der/als Welt des Symbolischen solche libidinösen Erscheinungen nicht kennt und einfach nur eine Aufgabe oder ein Programm ausführt. Dies allerdings meist sehr viel effektiver (im Sinne messbarer, physikalischer Leistung oder von Rechengeschwindigkeit) – schneller, präziser und auch zuverlässiger – als der sogenannte Mensch in seiner imaginären Verpeilung, sofern sie läuft. Dies soll nicht negativ gemeint sein, auch wenn es das ist, denn die libidinöse illusio, die aus der gespenstischen und irrlichternden Selbstverkennung hervorgeht, ist ein unbegreifliches Lust-Wunder, meist „grober Unfug“, wenn es funktioniert; wenn nicht, auf jeden Fall: „verkorkstes Zeug“.1020 Das Subjekt als Apparat gehorcht zwar 1017 Vgl. Lacan 1991 (a), 70. 1018 Lacan lokalisiert und klassifiziert den Mangel gemäß seiner methodischen Distinktion in die Funktionen: „Kastration, symbolische Aktion – Frustration, imaginärer Term – Privation, realer Term. [...] Jeder Mangel ist Mangel an seinem Platz und jeglicher Mangel an seinem Platz ist symbolischer Mangel.“ (Lacan, 1986 [d], 39 f.) Peter Widmer beschreibt diese Trias des Mangels ebenfalls in der von Lacan vorgegebenen Folge: „[S]ymbolische Schuld“ – „imaginäre Beschädigung“ – „reales Loch“. (Vgl. Widmer 2001, 39 [Schematische Abbildung].) Zur Privation muss auch der irreduzible Mangel des Objekts (klein) a gerechnet werden: vgl. weiter unten im Haupttext. Auch in der Prothesentheorie besitzt der Mangel bzw. die Idee des sogenannten Mängelwesens, wie es bereits im 18. Jahrhundert bei Herder oder dann in der Romantik auftaucht, konstitutive Bedeutung. Vgl. Rieger 2008, 253. 1019 Denn die masochistische Abhängigkeit des Ich vom Signifikanten, von dessen Pathogenität und Virulenz, bleibt in mediatisierten menschlichen Körpern immer bestehen. Sie bildet die Ausgangslage, das Apriori eines allerspätestens mit Alan Turings Erfindung der Turing-Maschine 1936 digital geschalteten Unbewussten, welches die symbolische Matrix unseres technischen (Nicht-)Seins formatiert, sich quasi wie ein medialer Parasit an uns heftet, wie ein Alien in uns haust. 1020 Vgl. Bitsch 2008, 249.; Zitate (leicht missbraucht) von Jacques Lacan. Der französische Psychoanalytiker stellt in diesem Zusammenhang auch klar, „dass es keinen größeren Murks gibt als die menschliche Realität“. Ebd. 248 und Lacan 1990, 111. 308 ebenfalls bestimmten Programmbefehlen und führt diese dann quasi-maschinell, das heißt (wie) ferngesteuert, aus, jedoch ist es eben dank seiner paranoid-schizogenen Verfasstheit,1021 seinen individuellen Unwägbarkeiten, Kontingenzen und Fehlgriffen, aber auch dank seiner bewusst reflektierten Wahlakte bzw. Spielzüge und nicht zuletzt dank seines perversen Imaginationsvermögens – milles fleurs, Blumen des Bösen – immer schon mehr. Das heißt auch: Dank seiner nicht vorhandenen delete- Taste zur Auslöschung der (quälenden) Erinnerung bzw. Stopp-Taste zum Anhalten des stream of consciousness1022 ist der Mensch als Rest immer schon mehr. Weniger (von diesem Rest) ist hier nicht mehr. Noch. Maschinen und Subjekte können also nur bis zu einem gewissen Grad analogisiert werden. Der unüberwindbare Widerstand, der an den Lochstrukturen der Partialobjekte (wie auch an deren medialer Erweiterung und Verstärkung, u. a. in Fetischen) wirksam ist, macht sich in Form von Störungen und Verfehlungen im Sprach- bzw. Mediengebrauch bemerkbar. SM ist selbst eine solche Störung, allerdings eine produktive, insofern der Andere bzw. SpielpartnerInnen hier ernst genommen bzw. anerkannt werden und somit Aktualisierung möglich ist und stattfindet. Sie artikuliert sich an der buchstäblichen Schnittstelle zwischen der Fernsteuerung technischer Medien und dem blinden Fleck bzw. der obstruktiven Wirkung des Objekts a; also zwischen jenen vorherrschenden, unbewussten Machttechniken des großen Anderen und einem kleinen realen etwas, das Annette Bitsch als „seltsam widernatürliches Objekt, eine Amphibie zwischen Objekt und Anti-Objekt, Abfall und Trüffel, ‚Agens der Qual’“ bezeichnet. – „[M]al opalisiert es wie ein sakrale Reliquie, dann wieder stürzt es ab ins Entsetzliche.“1023 1021 Vgl. Lacan 2002. 1022 Von dieser Stopp-Taste im Bewusstsein (zum Anhalten der imaginären Realität) träumen u. a. MasochistInnen. 1023 Bitsch 2009, 502. 309 Das Objekt a Kritik an den Spekulationen um das sagenumwobene Objekt a, das neben anderen Lacanschen Begriffen für die Bezeichnung von Realem, sei es das libidinöse Ding oder das „Protoplasmenungeheuer“ namens Lamelle,1024 meist für (diskursfördernde oder -abbrechende) Irritationen sorgt, ist berechtigt, entgleitet und bricht das Verstehen hier doch nur allzu leicht. Und trotzdem hat dieses schwierige, opake Objekt, das mit der Phallus-Logik eng vernetzt ist, gerade in seiner unmöglichen Symbolisierbarkeit, radikalen Abwesenheit bzw. seinem klaffend-obszönen Nicht- Sein eine gewisse Bedeutung und Legitimität (besonders im SM) – insofern mit Mikkel Borch-Jacobsen ein wichtiger Unterschied zur Kenntnis genommen wird: Das Objekt a – „Kurz, ein unmögliches Bild, eine Art letzter Anhalt der Identifizierung: ein Selbst-Porträt, in dem allenfalls das Subjekt sehen kann, wie es sich nicht sehen kann, eine Schreckensvision, in der ihm seine eigene Nichtigkeit erscheint. Wer bin ich für dich? Ein Stück Scheiße, Kehricht... Wer bist du für mich? Das, was ich an dir versehre, worum ich dich verstümmeln muß... (S XI[dt.], 282). Das heißt soviel wie, daß das Objekt a im Bereich des Imaginären eine Rolle spielt, die der des phallischen Signifikanten im Bereiche des Symbolischen genauestens entspricht: diejenige, die Abwesenheit des Subjekts zu verkörpern. Es ist hier wie dort, bis lediglich auf einen Unterschied im Register, realiter dieselbe Logik am Werke. So wie der symbolische Phallus jenes Objekt des Begehrens des Andern darstellte, mit dem das Subjekt sich nicht identifizieren durfte, so stellt jetzt das Objekt a des Phantasmas jenes verlorene Objekt des Andern dar, in welchem das Subjekt sich identifiziert, ohne sich darin identifizieren zu können. So wie der Phallus der Signifikant des Rätsels dessen war, was ich für das Begehren des Andern (nicht) bin, so ist jetzt das Objekt a dessen Bild.1025 1024 Bitsch 2001, 126. 1025 Borch-Jacobsen 1999, 261. 310 Hier nun ein weiterer Versuch, diesem schwierigen Objekt theoretischen Ausdruck zu verleihen. In seinem Seminar über L’Angoisse (Die Angst) führt Lacan das Objekt a ein und definiert es als „das, was der Assimilation zur Funktion des Signifikanten widersteht, [...] das, was in der Sphäre des Signifikanten [...] sich immer als verloren darstellt [...]. Nun, ist es justament dieser Abfall, dieses Abgefallene und der Signifika[ntisa]tion Widerstand Leistende, was, wie sich herausstellt, die eigentliche Begründung des begehrenden Subjekts ausmacht’ (S X, Sitzung vom 13. März 1963).“1026 Félix Guattari betont ebenfalls die enorme Macht des Widerstandes, die dieses sublime Objekt mitunter entfalten kann: „[T]he theory of the ‚a’ object perhaps contains the seed that allows to liquidate the totalitarianism of the signifier.“1027 Man gerät hier an die Grenze dessen, was mit Freud und Lacan gerade noch gedacht bzw. theoretisch imaginiert werden kann. Dieses Objekt drückt – auch wenn man 1026 Ebd. 254. 1027 Guattari 2009, 79. 311 Superlative sparsam verwenden sollte – buchstäblich das Maximum erfahrbarer Negativität im Unbewussten aus, jene sich in extremer Verdichtung mit-teilenden Paradoxien, Ambivalenzen und Zerrissenheiten menschlichen Seins, oder einfach das Subjekt am Rande seines Verschwindens; wobei der fantasmatische Status dieser Phänomene, ihre Real-Seite, betont werden muss. Jenseits des phallisch gesteuerten Füreinander-Einspringens der Signifikanten (zwischen -phi und Phi), welches das Objekt a initiiert (die „Induktionssphäre des Ich*“),1028 bedeutet es die selbstgemachte, inaugurale Trennung des Individuums, in der es Körperteile (-säfte/ - zellen/ -hüllen) verliert, ausscheidet, oder (wie es weiter unten bei Freud heißt) ‚durchbrennen’ lässt, um sich zu konstituieren; in der es „das Zerbrechen des Bildes, den Schnitt der Kastration letztgültig verkörpert und verbildlicht“:1029 „eine disjunktive Konjunktion, [...] eine Mund-zu-Mund-Verbindung zweier Wunden, Beziehung von Nicht-Beziehung, sexuelle (Nicht-)Beziehung“.1030 Als äußerst sublimes Rand-Loch-Objekt stellt es änigmatische Leere und Unsichtbarkeit – den unsichtbaren Schatten eines Risses, Einschnitts oder Abdrucks –, so etwas wie einen Ur-Defekt dar, vom Trieb umkreist und gleichsam abgeschirmt. Es zeigt sich am trägen Widerstand der Imagination, wie sich dieser in der Angst vor Veränderung oder in anderen Symptomen ausprägt. In seinen Wirkungen offenbart sich a nachträglich meist als zufälliges, groteskes, unberechenbar-brutales etwas, das die unglaubliche Fähigkeit besitzt, sich als reines Begehren selbst am Schwanz zu packen, kurzzuschließen und auszufüllen bzw. auszustaffieren. „Petit a, a whole hole with a border, imposes a form on jouissance.“1031 „Gehege der Zähne, an Brustwarze knabbernd; Lippen, sich um die Eichel schließend; Anusring, den Säulenschaft von Fäzes oder Penis abtrennend; Auge ans Schlüsselloch gepresst, Mund anorektisch ums Nichts geschlossen.“1032 1028 Lacan 1987, 206. 1029 Borch-Jacobsen 1999, 254. 1030 Ebd. 257. 1031 Miller 2007, 23. 1032 Ebd. 257. Weitere Beispiele wären: „Ödipus blutende Augen über den Boden kullernd; die abgeschnittenen Brüste der heiligen Agatha, gemalt von Zurbarbán; die vor „den Gesandten“ dahersegelnde phallische Vanitas [in Form eines anamorphen Totenkopfes (Anmerkung S. P.)] auf dem gleichnamigen Gemälde von Holbein.“ (Ebd. 255.) Auch die ausgestochenen Augen, die nur mehr 312 Dem phallischen Signifikanten steht das unwiederbringliche Objekt a jenseitig entgegen, es entwischt ihm immer, unterläuft und übersteigt ihn zugleich. Es hat die reale Macht der Subversion und bewirkt, dass der imaginäre Phallus, dessen bildnerische Ich-Aktivität von a induziert wird,1033 sich demzufolge selbst als „a priori negiert-überstiegen-transzendiertes Objekt“1034 erweist und in rotierender Bewegung hält, aber – und das eben ist der Unterschied zu a – auch symbolische (Spiel- )Funktion besitzt. Das feine Objekt a berührt das Subjekt viel intensiver als der Phallus, kann aber aufgrund seiner radikalen Abwesenheit, seiner ‚Sprachlosigkeit’, im Gegensatz zum Phallus nicht bearbeitet oder gehandhabt werden. In diesem Sinne ist a persönlicher als -phi und Phi. Das Objekt a erzeugt gerade im Zeitalter des Wechselstroms ungeheure Spannung, Unruhe, Unsicherheit, (Ver-)Störung und vor allem Angst –: oszillierende Symptome, halluzinative Umkehrwelten, rastlose wie ausrastende Begierden, die das obszön-grausame Über-Ich gnadenlos zu genießen befiehlt: Go hardcore!1035 (Das heißt z. B.: Dringe zum harten Kern Deines Ich vor! Gib alles! Halte das aus!) Das Objekt a ist meiner Meinung nach das sadomasochistische Objekt schlechthin, das die unerreichbare (jedoch nicht unausdenkbare) Differenz zwischen dem physischem Realen (im [verdrängten] menschlichen Körper) und dem physikalischen Reellen (in [analog bzw. digital] codierten Medien) figuriert und sich als Mehr-Genießen tief im Innern – fantasmatisch – bemerkbar macht. Das perverse Subjekt versucht, dieses realiter unmögliche Objekt (wieder-)zufinden, sich dieses in der Imitation bzw. Mimikry als a-Funktion anzueignen, indem es Techniken radikalen Begehrens entwickelt: Sade glaubt es im orgiastischen Zerfetzen seiner Automaten-Leiber,1036 Sacher-Masoch im blutig-schwarzen Augenhöhlen eines von Vögeln getöteten männlichen Opfers in Hitchcocks DIE VÖGEL (1963), sind a-Schocker. Ebenso der rollende Golfball in Michael Hanekes FUNNY GAMES (U.S.), der anzeigt, dass die Mörder wieder da sind. 1033 Lacan redet diesbezüglich von „Einkleidung des Selbstbildes“, die dann das Objekt ‚Ursache des Begehrens’ einhüllt.“ Vgl. Lacan, 1991 (b), 100 und Borch-Jacobsen 1999, 252. Vgl. dazu auch weiter unten im Haupttext. 1034 Ebd. 238. 1035 David Cronenberg meint diesbezüglich: „I think the more inventive and extreme we are, the better off we are.“ Rodley 1997, 67. 1036 Wenn – wie mit Foucault in der Exopsition dieser Arbeit gezeigt wurde – im 18. Jahrhundert ein Blick aus Fleisch entsteht, dann ist das Objekt a – mit Sade gedacht – darin die Verwerfung dieses Blicks bzw. Körperbildes, die Sade als Kunst gern beherrschen würde: Dies bedeutet nichts anderes als 313 durchdrehenden Bilder-Karussell seiner peitschenden Pelz-Domina aufzuspüren. – „Die Maschine verkörpert die radikalste symbolische Aktivität beim Menschen.“1037 Deleuze verweist in diesem Zusammenhang auf ein Zitat aus Sades Justine. Er kommt zu dem Schluss, dass „die beweisführende Funktion [libertin handelnder Personen an dieser Stelle, wie auch im Sadeschen Werk allgemein; Anmerkung S. P.] ihre schlagendste Wirkung nur vermöge der Beschreibung und der beschleunigenden und verdichtenden Wiederholung entfalten [kann]“.1038 Zudem bemerkt er im Hinblick auf die sich wiederholenden Praktiken bei Sade und Sacher-Masoch folgenden Unterschied: „Die Wiederholung tritt [...] im Sadismus bzw. Masochismus in zwei völlig verschiedenen Formen auf, je nachdem ob ihr Sinn sadistische Beschleunigung und Verdichtung, oder masochistische ‚Erstarrung’ und Suspension ist.“1039 Deleuze übersieht hier, dass gerade die masochistische Suspension, der aufgeheizte Leerlauf – in der durchdrehenden Wiederholung – eine reale Gewalt erzeugen kann, die mit der Sadeschen Beschleunigung vergleichbar ist. (Vgl. dazu das fatale Ende, die Medien- Subjekt-Apokalypse, in Cronenbergs VIDEODROME in dieser Arbeit.) Der Unterschied liegt vielmehr in der Adressierung und Bearbeitung des jeweils begehrten Gewaltobjekts und dessen Lokalität: Bei Sacher-Masoch ist dies das fetischistische Ideal des ‚medial eingekleideten’, ‚despotisch-peitschenden’ Frauenkörpers, bei Sade – jenseits idealisierter und wütender Bildhüllen – das Reale des Fleisches, dessen klaffende Obszönität, Unförmigkeit und Anarchie. Es ist demzufolge nicht nur die Unterscheidung der Bewegung oder Nicht-Bewegung, sondern diejenige der Gewaltarten zwischen körperlichem Realen (Sade) und medialem Reellen (Sacher- Masoch), die hier ausschlaggebend ist (und sich ab einem gewissen Punkt in der Wahrnehmung überschneidet, das heißt undifferenzierbar bzw. mitunter tödlich wird). psychotische Intervention des sogenannten Körpers-ohne-Organe (oK) – oder, wie Marie-Luise Angerer sagt, „Körper-ohne-Organisation“ (Angerer 2000, 219), wie ihn Deleuze und Guattari aus Antonin Artauds Theater der Grausamkeit übernehmen. (Vgl. Günzel 1998, „Formen organloser Körper“, 26 ff. und Deleuze und Guattari 1980.) Ist der oK jenes Fantasma, das am dichtesten an das Objekt a im Reellen heranreicht? – Ein Fantsama, das zu medial induzierten (Schreberschen) Psychosen führt bzw. diese antreibt? 1037 Lacan 1991 (a), 99. 1038 Vgl. Deleuze 1980, 184. 1039 Ebd. 188. 314 Deleuze erkennt diese „zwei sehr verschiedenen Typen von Gewalttätigkeit“ zwischen fetischistischer Medialität und Nicht-Medialität sogar deutlich.1040 Es geht dabei also – indirekt – um den feinen Unterschied zwischen real und reell, der bereits in Ernst Kapps Philosophie angelegt ist und den Kittler in seiner Theorie erwähnt bzw. markiert, jedoch zumindest in Bezug auf das Reale nicht weiter ausführt.1041 Bei Deleuze bzw. Klossowski ist dieser Unterschied auch in der Betrachtung der zwei Naturen bei Sade schon intendiert.1042 Das ist eine Herangehensweise, mit der sich das Objekt a erahnen und denken lässt; es schimmert hier bereits theoretisch durch; es ist sozusagen die amorphe Grenze und auch der Widerstand zwischen real und reell (natürlich nicht nur im SM). Festzuhalten gilt: Die sich wiederholenden SM-Praktiken sind durch mediale Extensionen des Körpers bzw. Intrusionen in den eigenen wie auch in den Körper anderer bzw. des Anderen realisiert und reguliert, die als phallische Prothesen des Objekts a, als unbewusste Supplementierung psychischer Wunden und Läsionen oder einfach als Implementierungen von Partialorganen/ -objekten lesbar werden. Damit steht das Objekt a in einem technisch-dispositiven Zusammenhang, ohne den es nicht wahrnehmbar und denkbar wäre. Ohne den es keine Träume, Fantasien, Wünsche – gewaltsame/gewaltige Begehrlichkeiten aller Art – gäbe. Gestörte Wunschmaschinen Sades und Sacher-Masochs mediale und psychische Erweiterungen, Fliehkräfte und Fluchtlinien ins/des Unbewusste(n), Beschleunigungen, die aus der Perspektive des Symbolischen oder der Vernunft niemals glatt und glimpflich verlaufen können, dafür aber im Realen/Reellen umso besser funktionieren, korrelieren mit einer Aussage aus Deleuzes und Guattaris Wunschmaschinen-Diskurs: „Die Wunschmaschinen [...] stören fortwährend ihren Funktionsablauf und laufen nur als gestörte: stets pfropft sich dem Produkt das Produzieren auf, bilden die Maschinenteile auch den 1040 Vgl. dazu ebd. 186. 1041 Vgl. Kittler 1993, 65. 1042 Vgl. Deleuze 1980, 181 ff,. 315 Treibstoff.“1043 Mit ihrer Wunschmaschinen-Konzeption haben die beiden Querdenker genau jenes Element benannt,1044 das in Deleuzes Sacher-Masoch-Studie noch fehlte und den vermeintlichen Unterschied der Beschleunigungsarten bei Sade und Sacher- Masoch ausmachte: Die gestört laufenden und schließlich durchdrehenden Wunschmaschinen, deren Lustgewalt, Reelles und Reales, in beiden historischen Fallbeispielen bzw. ihrer Literatur zu beobachten ist. Im Gegensatz dazu hat Kapp mit seiner Wunschmaschine, der Organprojektion, diese Erfahrung wohl nicht bewusst gemacht, zumindest findet sich bei ihm so gut wie nichts über deren Dysfunktionalität oder Fehlgehen, den meist plötzlichen und fatalen Wirkungen des a.1045 In experimenteller Hinsicht bleibt er mit seiner auf optischer Symmetrie und kultureller Harmonie geeichten Organprojektion weit hinter Sades und Sacher-Masochs (für sie 1043 Deleuze und Guattari 1977, 370. „[T]he desiring machine is a nonorganic system of the body; it is in this sense that we speak of molecular machines or micro-machines. (Zitat von Deleuze in: Guattari 2009, 74.) Die beiden scheinen mit diesem Diskurs eine „Mikrophysik“ (Deleuze und Guattari 1977, 235) – eine Art Metatheorie? – des maschinellen Unbewussten vorzulegen, die jeder rein phallisch- technischen bzw. materialistischen Maschinendefinition widerstehen bzw. diese erweitern soll. „Yes, we give the machine its greatest extension: in relation to the fluxes. [...] [Mechanism] designates every system that cuts off fluxes going beyond the mechanics of technology and the organization of the organism, whether it be in nature, society, or man.“ (Zitat von Deleuze in: Guattari 2009, 74; vgl. auch die Anmerkungen zum ‚Flux’ in Fußnote 1123) Es stellt sich die Frage, ob bzw. in wie weit ihr Wunschmaschinenkonzept einem technogenetischen Code unterliegt, denn auch das perverse Funktionmachen der Dysfunktion (wie auch der damit zusammenhängende Libidoflux) gehorchen ja – wie die vorliegende Arbeit zu beweisen versucht – vorherrschenden Medienstandards. Diese gelten nach Lacan auch und gerade für das Objekt a, das Deleuze und Guattari sogar als Wunschmaschine bezeichnen: nämlich als eine „Höllenmaschine“, die in das „strukturale Gleichgewicht [...] [einbricht]“. Vgl. Deleuze und Guattari 1977, 108. 1044 Lacan glaubt, dass der Anti-Ödipus auf seine Seminare zurückgehe, in denen bereits die Annahme einer Wunschmaschine zu finden sei. – Ein [Plagiats-]Vorwurf, den Lacan nicht nur im Hinblick auf Deleuze und Guattari äußert... Vgl. Roudinesco 1996, 515. 1045 Tatsächlich erwähnt Kapp mit keinem Wort die Nöte, Ängste, Härten, Probleme, Wünsche, chocs crashs etc., die das Menschsein im 19. Jahrhundert bedeuten. Auch erfahren wir in den Grundlinien nichts über die Gründe seiner Auswanderung in die USA, seine persönlichen Erfahrungen (z. B. seine Tätigkeit als Viehzüchter oder Familienvater), die doch seine Technik-Philosophie stark prägen. (In diesem Sinne ist das Subjekt des Begehrens hier so gut wie inexistent; es wird auf ein idealisiertes, technisches Funktionsschema reduziert. Dies ist umso verwunderlicher, als Kapp doch sehr um die individuelle Freiheit besorgt ist, sich zudem für das Gemeinwohl tatkräftig einsetzt und nicht zuletzt anthropologisch argumentiert.) 316 zumindest) lustvollen Störfall-Inszenierungen zurück. Kapp wähnt sich auf der sicheren Seite ontologischer Gewissheit mit seiner idealisierten, linearisierten Werkzeug- und Maschinen-Philosophie. Er blendet alles, was nicht in die Gussform seines ‚Theoriedesigns’1046 passt, oder gar einen Negativ-Befund bedeuten könnte, kurzerhand aus. Damit übergeht er zielsicher jenes Loch klein a, das doch bei genauer Betrachtung im unbewussten Fluchtpunkt seiner durch -phi zentrierten Technofantasie steht.1047 Kapps anthropologischer Diskurs (bzw. das, was aus diesem u. a. bei McLuhan wurde) verfehlt die Wahrheit des Realen/Reellen, gerade weil er den (möglichen) Störungen und Unwägbarkeiten des Objekts a, „wofür es keine Ideen gibt“,1048 in/mit seinen Grundlinien und Organprojektionen zu widerstehen, das heißt mit aller Fetischkraft entgegenzuwirken versucht – wie gesehen mit sehr zweifelhaftem Erfolg. Es geht ihm dabei nicht nur um die wirksame Abwehr medialer Subversion und Verunsicherung, sondern auch darum, der damit stets verbundenen Gefahr drohender Ich- bzw. Körperzerstückelung, wie sie das Objekt a als Angst und Schrecken einflößende, schizophrene Fantasmen1049 kondensiert, vorzubeugen. Dennoch ist Kapp den Medien-Gespenstern, die er in seinem Diskurs produziert und sogar mit einer gewissen Faszination wahrnimmt, nicht entkommen. Demgegenüber versucht klassischer SM, sich gespenstischen Objekten wie diesen lustvoll anzunähern, sie als groteskes Körper-Theater in speziellen Räumen zu inszenieren, auszustellen oder wenigstens anzudeuten. – „‚Das also wollte dies sagen?’“1050 1046 Ein fürchterlicher Begriff, wie ich finde, der hier jedoch angemessen erscheint. 1047 Kapp konstruiert sich mit seinen Grundlinien, die höchstwahrscheinlich von den sich im 19. Jahrhundert ausbreitenden Telegrafen- und Eisenbahnnetzen inspiriert sind (vgl. Kapp 1978, 331), quasi eine isolierende, geometrische Netzstruktur, einen Schutzschirm bzw. doppelten Boden, der ihn vor den Unwägbarkeiten des Realen, dem Absturz in den nicht-euklidischen Raum, bewahren soll. 1048 Vgl. Lacan 2009, unter: http://www.valas.fr/Die-Dritte,019. 1049 Horror- bzw. suspense-Fantasien, wie sie jeder halbwegs gute slasher-/ splatter-Film oder bereits die Schauerliteratur seit dem 18. Jahrhundert (bzw. heute die Markt überschwemmende Krimi- bzw. thriller-Literatur inklusive ihrer massentauglichen TV- und Kino-Adaptionen) zu bedienen vermag. 1050 Deleuze und Guattari 1977, 86. 317 Freuds Reizbläschen Auch wenn es scheint, als ob das Objekt a zu den wenigen Theoremen gehört, die Lacan von Freud trennen (was dann ausnahmsweise keine Rückkehr Lacans zum Begründer der Psychoanalyse bedeuten würde),1051 so gibt es doch einige Stellen im Freudschen Werk, die auf a sehr deutlich hinweisen und es vorbereiten (wenn nicht sogar schon als solches spekulativ vorwegnehmen): In Fetischismus (1927) erkennt Freud den „blinden Fleck der Netzhaut“;1052 in Die Verneinung (1925), „dass Objekte verloren gegangen sind, die einst reale Befriedigung gebracht hatten“;1053 und in seiner grandiosen Metapsychologie Jenseits des Lustprinzips (1920),1054 schließlich einen durchgebrannten Reizschutz an der Oberfläche eines merkwürdigen „Bläschen[s]“,1055 das sich zwischen Organischem und Anorganischem befindet. – Ein längeres, in diesem Zusammenhang wichtiges Zitat (von dem ich nicht genau weiß, ob es irgendwo im Werk Lacans [im Zusammenhang des a] auftaucht): 1051 ‚Rückkehr zu Freud’ nennt Lacan nachträglich sein von der Kybernetik und Linguistik inspiriertes Programm, seine strukturalistische Wende ab Mitte der 1950er Jahre. „Weder läßt Lacan die Psychoanalyse mit der Philosophie konvergieren, noch unternimmt er den Versuch einer technischen Substantialisierung des Unbewußten. Er appliziert vielmehr unterschiedliche Diskurse, er dekliniert das Unbewußte in den verschiedenen Denksystemen von Hegels Dialektik über die Linguistik, die Mengenlehre bis hin zur Informatik. Denn wenn das Unbewußte als ‚Fallseite des Sinns’ per definitionem ‚nur zu einem Diskurs ex-sistiert’, muß man es einem diskursiven Register, einem Code, unterstellen, z. B. dem Hegelschen, der jedoch auch nur als lalangue extrahiert ist.“ Vgl. Bitsch 2001, 43; Zitat von Lacan 1988, 65. 1052 Freud 1999 (d), 330. Wie Kittler schreibt, ist „der blinde Fleck am Austrittsort des Sehnervs aus dem Auge“ bereits „von physiologischen Experimenten des 17. Jahrhunderts entdeckt worden“. Vgl. Kittler 2002 (a), 31. 1053 Freud 1999 (c), 324. 1054 Die Ausführungen zu SM am Anfang dieses Schlüsseltextes sind damit aber nicht gemeint; Freud glaubt hier eine Dichotomie zwischen Sadismus und Masochismus zu sehen. Vgl. Bitsch 2001, 86. 1055 Freud meint mit diesem undifferenzierten Bläschen „einen lebenden Organismus in seiner größtmöglichen Vereinfachung“, ein „reizaufnehmendes Organ“, dessen Oberfläche durch zu starke Reizeinwirkung bereits „so durchgebrannt“ ist, dass es eine Rinde als Schutzschicht gebildet hat. (Vgl. Freud 1999 [b], 211.) Das erinnert an das vordigitale „mechanisch-elektrische Menschenbild von ‚lockeren Schrauben’ und ‚durchgebrannten Sicherungen’“. Vgl. Adamowsky 2000, 177. 318 „Dieses Stückchen lebender Substanz schwebt inmitten einer mit den stärksten Energien geladenen Außenwelt und würde von den Reizwirkungen derselben erschlagen werden, wenn es nicht mit einem Reizschutz versehen wäre. Es bekommt ihn dadurch, daß seine äußerste Oberfläche die dem Lebenden zukommende Struktur aufgibt, gewissermaßen anorganisch wird und nun als eine besondere Hülle oder Membran reizabhaltend wirkt, das heißt veranlaßt, daß die Energien der Außenwelt sich nun mit einem Bruchteil ihrer Intensität auf die nächsten, lebend gebliebenen Schichten fortsetzen können. Diese können nun hinter dem Reizschutz sich der Aufnahme der durchgelassenen Reizmengen widmen. Die Außenschicht hat aber durch ihr Absterben alle tieferen vor dem gleichen Schicksal bewahrt, wenigstens so lange, bis nicht Reize von solcher Stärke herankommen, daß sie den Reizschutz durchbrechen. Für den lebenden Organismus ist der Reizschutz beinahe eine wichtigere Aufgabe als die Reizaufnahme; er ist mit eigenem Energievorrat ausgestattet und muß vor allem bestrebt sein, die besonderen Formen der Energieumsetzung, die in ihm spielen, vor dem gleichmachenden, also zerstörenden Einfluß der übergroßen, draußen arbeitenden Energien zu bewahren. Die Reizaufnahme dient vor allem der Absicht, Richtung und Art der äußeren Reize zu erfahren, und dazu muß es genügen, der Außenwelt kleine Proben zu entnehmen, sie in geringen Quantitäten zu verkosten. Bei den hochentwickelten Organismen hat sich die reizaufnehmende Rindenschicht des einstigen Bläschen längst in die Tiefe des Körperinnern zurückgezogen, aber Anteile von ihr sind an der Oberfläche unmittelbar unter dem allgemeinen Reizschutz zurückgelassen. Die sind die Sinnesorgane, die im wesentlichen Einrichtungen zur Aufnahme spezifischer Reizeinwirkungen enthalten, aber außerdem besondere Vorrichtungen zu neuerlichem Schutz gegen übergroße Reizmengen und zur Abhaltung unangemessener Reizarten. Es ist für sie charakteristisch, daß sie nur sehr geringe Quantitäten des äußeren Reizes verarbeiten, sie nehmen nur Stichproben der Außenwelt vor, vielleicht darf man sie mit Fühlern vergleichen, die sich an die Außenwelt herantasten und dann immer wieder von ihr zurückziehen. [...] Gegen außen gibt es einen Reizschutz, die ankommenden Erregungsgrößen werden nur in verkleinertem Maßstab wirken; nach innen zu ist der Reizschutz unmöglich, die Erregungen der tieferen Schichten setzen sich direkt und in unverringertem Maße auf 319 das System fort, indem gewisse Charaktere ihres Ablaufs die Reihe der Lust- Unlustempfindungen erzeugen. [...] Aber zweierlei ist durch diese Verhältnisse entscheidend bestimmt, erstens die Prävalenz der Lust- und Unlustempfindungen, die ein Index für Vorgänge im Innern des Apparates sind, über alle äußeren Reize, und zweitens eine Richtung des Verhaltens gegen solche innere Erregungen, welche allzu große Unlust-Vermehrung herbeiführen. Es wird sich die Neigung ergeben, sie so zu behandeln, als ob sie nicht von Innen, sondern von Außen her einwirkten, um die Abwehrmittel des Reizschutzes gegen sie in Anwendung bringen zu können. Dies ist die Herkunft der Projektion, der eine so große Rolle bei der Verursachung pathologischer Prozesse vorbehalten ist.“1056 Es handelt sich hier um eine Spekulation über die Entstehung von Bewusstsein im Jahr 1920, Metareflexion an der Schnittstelle bzw. den Widerständen von analogem und dem sich bereits ankündigenden digitalen Unbewussten. Freud nennt Stellen wie diese eine Vertiefung „in die Fiktion des psychischen Apparats“.1057 Einerseits kehrt hier die bereits gemachte Aussage, dass die mediale Wirklichkeit übermächtig geworden ist, wieder („mit den stärksten Energien geladenen Außenwelt“, „zerstörender Einfluß der übergroßen, draußen arbeitenden Energien“), andererseits entwickelt sich hier als Reaktion darauf eine Membran, ein unbewusster Reizschutz, der das Sinnesleben somit vor allzu großer Schädigung bewahren soll. Dieser liefert im psychischen Apparat gleichsam das unbewusste Vorbild für die Ausbildung einer Schutzhülle („besondere Vorrichtungen zu neuerlichem Schutz gegen übergroße Reizmengen“), einer zweiten ‚Haut’1058 sozusagen. Eine Haut, die der Masochist bzw. User in technischer Simulation – als Unlust vermeidendes Masken- bzw. Camouflagespiel – vorsichtig an- und aus-testet („fühlende „Stichproben der 1056 Freud 1999 (b), 212. 1057 Freud 1999 (e), II/III 604; zitiert nach Bitsch 2009, 372. 1058 Diese mediale Haut spielt auch in Marshall McLuhans Medienbetrachtungen eine wichtige Rolle: „McLuhan weitet den Medienbegriff auf komplette Milieus oder Environments aus, die uns mit allen Fasern durchdringen und beherrschen; sie umhüllen uns, wie es in dem zusammen mit Quentin Fiore verfassten Medium is the Massage (1967) heißt, wie eine zweite Haut, die wir nicht abzustreifen vermögen, worin wir uns zugleich bewegen, die unser Lebenselement ausmacht. Anders ausgedrückt: die kulturellen Sphären des Menschen gleichen ‚Mediosphären’.“ Mersch 2008, 198; vgl. dazu auch Rieger 2008, 255 ff. 320 Außenwelt“ – „sie in geringen Quantitäten [...] verkosten“).1059 Die hier bereits wirksamen Projektionsbilder, die sich aus dem herantastenden Kontakt zur Außenwelt synästhetisch übertragen,1060 sind meiner Meinung nach die Grundlage für das, was Lacan dann im Theorem des Spiegelstadiums darlegt: eine subjektive Verkennungsleistung als Ich-Abwehr gegen das bedrohliche Reale/Reelle (eine Abwehr, in der das Ich als Phallus-Funktion imaginär entsteht, von dieser symbolisch ‚eingekleidet’ bzw. gesteuert wird).1061 Freud betreibt also ebenfalls Organprojektion, präziser gesagt: überreizte Bläschen-Projektion, die nicht wie bei Kapp einer nebulösen Uranlage entspringt, sondern der Vermutung eines benennbaren Defekts (‚durchgebrannte Reizschicht’) tief im Realen des Körpers. Damit wird die dysfunktionale ‚Grundlage’ medialer Wahrnehmung, die Kapp übersieht bzw. übergeht, beschrieben und theoretisch eingeführt. Sie bildet das digitale Apriori der Perzeption. Obwohl die Projektion von „außen her einwirk[t]“ und „die Abwehrmittel des Reizschutzes gegen sie in Anwendung“ gebracht werden müssen, bleibt die Frage offen, was diese Mittel (Dinge und Medien) genau sind oder sein können, und wie sie zur Anwendung kommen. Warum nutzt Freud hier nicht sein Wissen über die psychische Lokalität, die sich aus optischen Geräten (Fernrohr, photographischen Apparat etc.) zu einem virtuellen Nicht-Ort zusammensetzt, und denkt bzw. erweitert – ausgehend von diesem funktionalen Ort – seinen (evolutions-)biologisch 1059 Die im Innern des psychischen Apparats zunehmenden und drängenden Unlust-Empfindungen glaubt der Masochist – und nicht nur dieser – also in den Griff zu bekommen, indem er sich praktische Abwehrmittel verschafft („eine Richtung des Verhaltens“ dagegen), aber auch, um mit diesen Extensionen dann spielerisch hantieren zu können. 1060 Mit diesem Herantasten an die Umwelt (und dem Wiederzurückziehen) setzt „das ursprüngliche Pulsieren von Verschmelzung und Trennung des Leibes aus der Umwelt“ (vgl. Küchenhoff und Warsitz 1989, 135), der Beginn eines diskreten Takts, ein. Es durchpulst den unbewussten Raum einer Zwischenleiblichkeit, den es im gegenwärtigen Zeitalter medienfetischistischer bzw. elektrooptischer Oberflächenversiegelung zu öffnen gilt (vgl. Pühler 2006, 188 ff.). 1061 „Was in die Psyche eindringt, gilt es abzuwehren, wenn nicht gar zu zerstören; dadurch erleidet die Psyche jedoch die Prägespuren des Anderen, um als das gesellschaftlich instituierte Individuum daraus hervorzugehen. Das freie Spielen zielt dann auf Destruktion, denn die Psyche will den Anderen abstoßen.“ (Iser 1991, 373.) – „Es geht in der Perversion um die Erotisierung der Abwehr.“ Lacan 2003, 132. 321 motivierten Begriff der Projektion nicht ebenso medientechnisch – z. B. kinematografisch, wie es doch in den 1920er Jahren dank Hugo Münsterbergs Schriften über Psychotechnik1062 und u. a. Georges Méliès’ fantastischer Film(-Trick- )Kunst1063 längst möglich ist? – Es liegt wohl daran, dass Freud dem dämonisch wirkenden, meist tonlosen Lichtspiel auf der Leinwand nicht viel abgewinnen kann und ablehnend begegnet; „das Wort Kino“ taucht, wie Kittler bemerkt, in seinem Werk nicht auf.1064 Da „[i]n Filmsachen dumme Dinge vor[gehen]“,1065 so Freud, möchte er mit diesen auf keinen Fall in Verbindung gebracht werden.1066 Trotzdem hält ihn dies nicht davon ab, in Jenseits des Lustprinzips jene signifikante Metapher der Projektion zu verwenden, die u. a. aus der Filmtechnik und deren Vorläufern 1062 Vgl. Münsterberg 1996 (1914). Vgl. auch Kittler 1993, 102 ff. „Jeder einzelnen Kameratechnik ordnet Münsterberg einen unbewußten psychischen Mechanismus zu: Der Großaufnahme die Aufmerksamkeitsselektion, der Rückblende das souvenir involontaire, dem Filmtrick das Tagträumen usw.“ Ebd. 103. 1063 Vgl. Theweleit 2008, „1. Méliès: Das Unbewusste filmen“, 91-95. 1064 Vgl. Kittler 1993 (b), 95 und dazu auch Brumlik 2006, 85: „Tatsächlich finden sich in Freuds ganzem Werk weder Verweise auf diese Kunstform als solche noch gar Anspielungen auf einzelne Filme oder Schauspieler.“ Freud lehnte auch eine Beratertätigkeit für den Filmtycoon Sam Goldwyn ab. Dieser wollte ihm 25 Dollar Stundenlohn (bzw. 100 000 Dollar für die Verfassung eines Drehbuchs) zahlen. Über eine Wiener Boulevardzeitung ließ Freud mitteilen, dass er kein Interesse an einer Zusammenarbeit habe und Goldwyn gar nicht erst sehen wolle. Vgl. dazu auch Guattari 2009, 257 ff.: „Psychoanalysts are always a little suspicious of film, or rather, they have always been attracted to other forms of expression.“ Der Umkehrschluss gilt jedoch nicht, dass FilmemacherInnen und -theoretikerInnen kein Interesse an der Psychoanalyse zeigen – siehe z. B. David Cronenbergs A DANGEROUS METHOD (2011), das die Notwendigkeit der talking cure historisch wie aktuell hervorhebt. 1065 Vgl. Psychoanalyse und Film, Sigmund Freud Museum Wien, abrufbar unter: http://www.freud- museum.at/freud/themen/film-d.htm; Zitat von Freud. 1066 Freud glaubte, dass der Film (gemeint ist G. W. Pabsts GEHEIMNISSE EINER SEELE [1926]) „unsere Abstraktionen“ (gemeint ist psychoanalytische Theorie) „nicht in respektabler Weise plastisch“ darstellen könne. (Vgl. Freud, Ausstellung Kino im Kopf. Psychologie und Film seit Sigmund Freud, Deutsche Kinemathek und Museum für Film und Fernsehen, Berlin [14.9.2006-7.1.2007], große Texttafel im Raum „Psychoanalyse im Kino“; Zitat von S. Freud.) Vielleicht liegt Freuds ablehnende (aber keinesfalls verurteilende) Haltung auch darin, dass der Umgang mit Bildern in Psychoanalyse und Film fast „konträr“ verläuft: „Geht es im Film um ‚sichtbare Bilder’, die das Unbewusste besetzen – hierin ähnelt der Film dem christlichen Paradigma einer Fleischwerdung des Wortes –, so ging es Freud um die ‚Zersetzung’ der Bilder durch Sprache“. Vgl. von Braun 2001, 228. 322 stammt; wobei fraglich bleibt, wie bewusst ihm das tatsächlich ist.1067 – „Der psychische Apparat verbaut jeden Sinn für technische“, meint wiederum Kittler (zugespitzt), was nicht nur für Freud ein Stück weit gilt, sondern generell für die ersten gescheiterten Versuche, „Traumtechnik und Kinodarstellung [...] diskursiv zu verschalten“.1068 Darin äußerst sich wahrscheinlich einmal mehr die „Invisibilisierungsthese“,1069 die relative Blindheit im Gebrauch oder in der Diskussion technischer Medien (was vornehmlich auf die Verkennung im flimmernden bzw. pixeligen Spiegelstadium zurückzuführen ist – eine privilegierte Dysfunktion des/im Ich, um die Lacan Freud ergänzt). Schnitt(e) im Digitalen Lacan macht einen sauberen Schnitt zu allen positivistisch-natürlich-biologistisch motivierten Erklärung(sversuch)en des Seelenlebens und unterstellt das Unbewusste einfach einem digitalen Code. Dies lässt sich am Beispiel des Spiegelstadiums zeigen: Der marxistische Entwicklungspsychologe Henri Wallon (1879-1962) hat entdeckt, dass die Erprobung eines Spiegels es dem Kleinkind erlaubt, sich zu erkennen und sein Ich zu einer im Raum befindlichen Einheit zu machen. Wo Wallon der darwinistischen Auffassung folgt, wonach die Verwandlung eines Individuums in ein Subjekt die Engführungen einer natürlichen Dialektik durchläuft,1070 ist in Lacans Neufassung dieser Spiegeltheorie Natur bereits kursiv gesetzt. Er betont „beim Menschen die Wirkung einer organischen Unzulänglichkeit seiner natürlichen Realität anzuerkennen, die sogar jener Dialektik vorausgeht – wenn wir überhaupt dem Terminus Natur einen Sinn geben wollen“.1071 Diese Aussage korreliert mit dem Mangel bzw. Mängelwesen in der Prothesentheorie und zeigt, dass es nicht (mehr) viel mit Natur zu tun hat. (Es sei denn, man definiert 1067 Hier sei noch einmal daran erinnert, das Freud seine Elektrizitätsmetaphern für die Beschreibung innerpsychischer Prozesse laut Martin Burckhardt nicht durchschaut habe. Vgl. Burckhardt 1998, 42. 1068 Vgl. Kittler 1993 (b), 95. 1069 Hagen 2000, 91. 1070 Vgl. Roudinesco 1996, 177. 1071 Vgl. Lacan 1986 (a), 66. 323 diese Natur als reale und/oder reelle.) Aufgrund solcher Befunde, die sich in Lacans intensiver Partialobjektforschung seit den 1950er Jahren ergeben, kann er im Jahr 19641072 nicht nur das Subjekt als Apparat, sondern auch das Objekt a technisch bestimmen: „Das Objekt klein a funktioniert [...], so Lacans Vorschlag aus dem Seminar XI, wie ein Bildschirm (écran): es läßt ein begehrenswertes Jenseits ahnen, dessen ‚wahre’ Natur es zugleich verdeckt.“1073 Trotzdem ist Freuds ‚gereizte’ Bläschen-Spekulation noch keineswegs erledigt, zumindest nicht deren mediale Effekte im Unbewussten. Denn Freud hat sehr richtig die dysfunktionalen Erscheinungen seines Konstrukts beschrieben. So wie der Reizschutz schon während seiner Entstehung wegen Überlastung mehrmals durchgeschmort ist, ein schmerzvoller, Unlust erzeugender Vorgang im Körper,1074 so wird sich dieser Defekt auch in dessen materiellen und virtuellen Extensionen in unterschiedlichster Weise – kollektiv und individuell – reproduzieren und damit verstärkt fortsetzen; besonders dann, wenn diese fetischistisch codiert bzw. medial fixiert sind, was genormte Medien(oberflächen) inklusive ihrer meist nicht 1072 1964 ist auch in medienhistorischer Hinsicht bedeutsam, wurde doch in diesem Jahr das Farbfernsehen der Öffentlichkeit in Europa vorgestellt, der Plasma-Bildschirm entwickelt und die Olympischen Spiele in Tokio durch erste Satellitenübertragungen ausgestrahlt, womit ungefähr das Zeitalter der Videosphäre begann (vgl. zu den medialen Sphären bzw. Zeitaltern in der Mediologie: Debray 1999, 218 f. und darin: Nachwort von Thomas Weber, 406), die dann mit der Freigabe des Internets ab 1990 um die Hypersphäre ergänzt wurde. Außerdem haben François Englert, Robert Brout, Peter Higgs u. a. im Jahr 1964 die theoretischen Grundlagen für das sogenannte Higgs- oder Gottesteilchen in der Physik erarbeitet. Auf der Suche nach diesem Teilchen ist die größte und teuerste Maschine seit Menschengedenken entstanden, der Large Hadron Collider (Großer Hadronen- Speicherring) in der Nähe von Genf, ein unterirdischer Teilchenbeschleuniger mit einem Durchmesser von fast 27 Kilometern. Hans Magnus Enzensberger nennt diese Megamaschine eine ‚Kathedrale der Physik’. 1073 Vgl. Cremonini 2001, 177 und Lacan 1987, 103. In diesem Zusammenhang gibt Andreas Cremonini eine schöne Definition: „Das Objekt klein a ist ein Suchbild, ein Phantombild des Verlorenen, mit dem sich das Subjekt über die wahre Natur des Mangels, das interferierende Nichts der Sprache täuscht.“ Klein a erzeugt „ein objekthaftes ‚Wissen’ um den Verlust [...], das die wahre Ursache dieses Verlustes verdeckt.“ Cremonini 2001, 177. 1074 Vgl. Freud 1999 (b), 215 324 einsehbaren Programmfunktionen ja heute vorwiegend sind (Protected Mode)1075. Was eigentlich dem Schutz vor medialer Reizüberlastung bzw. Implosion des gesamten psychischen Apparats dient, kann in technischer Reproduktion dann schnell selbst zu einer Gefahr, zur buchstäblichen killer application bzw. zum medialen Letalfaktor werden: Nämlich zur „Überschwemmung des seelischen Apparats mit großen Reizmengen“, wobei „das Lustprinzip [...] dabei zunächst außer Kraft gesetzt“ ist.1076 „Erregungen von außen, die stark genug sind, den Reizschutz zu durchbrechen, heißen wir traumatische. [...] Und was können wir als Reaktion des Seelenlebens auf diesen Einbruch erwarten? Von allen Seiten her wird die Besetzungsenergie aufgeboten, um in der Umgebung der Einbruchstelle entsprechend hohe Energiebesetzungen zu schaffen, es wird eine großartige ‚Gegenbesetzung’ hergestellt, zu deren Gunsten alle anderen psychischen Systeme verarmen, so daß eine ausgedehnte Lähmung oder Herabsetzung der sonstigen psychischen Leistung erfolgt.“1077 Bei Marshall McLuhan heißt das dann in Understanding Media (1964): „Es wäre gut möglich, daß durch die zunehmende Mechanisierung der verschiedenen Körperorgane seit der Erfindung des Buchdrucks das gesellschaftliche Leben zu brutal und überreizt geworden ist, um vom Zentralnervensystem noch ertragen werden zu können. [...] Wir müssen unser Zentralnervensystem betäuben, wenn es erweitert oder exponiert wird, oder wir gehen zugrunde. So ist das Zeitalter der Angst und der elektrischen Medien auch das Zeitalter des Unbewußten und der Apathie.“1078 1075 Vgl. Kittler 1993 (c). 1076 In Bezug auf Schrebers Wahn redet Lacan diesbezüglich vom „Einbruch ins Reale“ und dem „Auftauchen einer vollständigen Fremdheit, die schrittweise zu einer radikalen Überschwemmung aller seiner Kategorien führen, ihn sogar zu einer regelrechten Umbildung seiner Welt zwingen wird.“ (Lacan 1997, 104.) Schreber ist einer der Kronzeugen für den flutenden Einbruch des Reellen ins psychotische Bewusstsein. 1077 Freud 1999 (b), 214. 1078 McLuhan 1995, 82. Apathie ist ein zentraler Begriff in der Sadeschen Libertinage (vgl. Deleuze 1980, 183: Deleuze übersetzt den Begriff hier mit „Kaltblütigkeit des Pornologikers“ und „Kälte des Gedankens im Medium der beweisenden Logik“), muss doch das aristokratische Lust-Subjekt nach Exzess und Verausgabung zu wohlverdienter Ruhe kommen (vgl. ebd. 174). Chill-out sagt man heute. 325 Der Prothesen- bzw. Servonen1079-Forscher Klaus Bartels kommentiert: „Mit Bezug auf die zeitgenössische Stressforschung, die jede Ausweitung des Menschen als Selbstamputation interpretiere, als eine Reaktion des Körpers auf nicht lokalisierbare Reize oder als Versuch, diese zu umgehen, erkannte McLuhan im Spiegelbild des Narziss ‚eine Selbstamputation oder eine durch Reizdruck hervorgerufene Ausweitung’ [...]. ‚Medien sind demnach sowohl Ausweitungen des Menschen als auch Werkzeuge der Selbstamputation.’ [...] Die Sage von Narziss verstand er als Mythos der Servomechanisierung und Selbstnarkotisierung.“1080 „Mit seinem Spiegelbild auf dem Wasser habe Narziss eine Ausweitung seiner selbst so lange betrachtet, bis er von der Anstrengung seines Schauens vollständig narkotisiert‚ ‚zum Servomechanismus seines eigenen erweiterten und wiederholten Abbilds wurde.’“1081 Das hat Jacques Lacan psychoanalytisch wie medientheoretisch 1936 (Publikation 1949) auf ähnliche Weise bereits gesagt,1082 allerdings hat er mit seiner technischen ‚Narziss-Konzeption’, dem Spiegelstadium, im Gegensatz zu McLuhan eine eigene Theorie vorgelegt, die der paranoischen Erkenntnis.1083 Was beide jedoch im Negativen verbindet, ist, dass wichtige Quellen unterschlagen werden; bei McLuhan gibt es nicht einmal Literaturangaben. Lacan erwähnt z. B. Bei Sacher-Masoch ist die Apathie dann sozusagen zum chill factor mutiert: Nicht nach sondern in der performance, weswegen der Maso darin relativ passiv – körperlich regungslos bzw. apathisch – bleibt. Er lässt andere für seinen Lustgewinn arbeiten, worin sich nicht zuletzt der kapitalistische Aspekt, den sich der Masochismus raffiniert zueigen macht, mitteilt. Auch die Negativ-Auswirkungen kapitalistischen Begehrens werden im Masochismus und auch Sadismus offenbar: Gier, Gewalt, Realitätsverlust, (Selbst-)Destruktion etc. 1079 Wie Bartels bemerkt, ist es im heutigen Zeitalter der „Miniatisierung der Prothesen durch die Entwicklung der Chiptechnik und Nanotechnologie“ angemessener, von sogenannten Servonen zu reden. „Unter Servonen, abgeleitet aus dem Lateinischen von ‚servus’, der Diener, sind prothetische Medien zu verstehen“, die jedoch auch dem herkömmlichen Prothesen-Begriff (im Sinne von Verstärkung, Ausweitung und Ersatz menschlicher Funktionen) gerecht werden – sei es in Form eines einfaches Werkzeugs, eines philosophischer Weltentwurfs oder der Cyberspace. Vgl. Bartels 2005, 13 f. 1080 Bartels 2008, 411, Zitat von McLuhan in: Ders. 1995, 74. 1081 Ebd.; Zitat darin von McLuhan 1995, 73. 1082 Vgl. Bitsch 2008, 234 ff. 1083 Vgl. Lacan 1986 (a), 61-70, und ders. 2002. 326 nicht, dass er den Begriff des Spiegelstadiums eben von Henri Wallon übernimmt und auch die Husserlsche Phänomenologie hier noch nachhallt.1084 Zudem denkt Lacan noch nicht (an) das Objekt a. Dieses bekommt seinen großen Auftritt erst im Jahr 1964 (es taucht wie erwähnt schon im Jahr davor im Seminar über Die Angst auf), als McLuhan Understanding Media in magische[n] Kanäle[n] aufführt. McLuhan reaktiviert darin mit großer Außenwirkung Kapps Medien-Mythos der Organprojektion von 1877, ohne Kapp wahrscheinlich je gelesen zu haben und ohne diesem etwas grundlegend Neues hinzuzufügen. (McLuhan hat höchst wahrscheinlich Kapps Gedanken aus zweiter Hand, nämlich aus einer Schrift des französischen Jesuitenpaters Teilhard de Chardin übernommen.1085 Denn Chardins bzw. McLuhans zentraler Begriff der Noosphäre, die Hinausstellung der Sinne als ein Gehirn für die Welt, lässt sich bereits bei Kapp nachweisen.1086 Auch Hegels Gedächtnistheorie, die Floskel vom Weltengeist, macht sich hier noch bemerkbar.)1087 – McLuhan fällt aufgrund der fehlenden Explikation dieser Körpermetaphern1088 sogar hinter Kapp zurück, der seine Methode bzw. seinen dialektischen Code genau darlegt. Auch wenn McLuhan die Organprojektion um den (nicht nur für SM-Analysen) sehr wichtigen Aspekt medialer Selbstamputation erweitert (was nichts anderes als phallische Kastration bedeutet), wird diese quasi durch harmonische Selbstregulierung der Sinne wieder zurückgenommen und damit relativiert.1089 Daraus ergibt sich für McLuhan – was äußerst fragwürdig ist – der „‚totale[] und umfassende[]’ Organismus einer vervollkommnete[n] Synästhesie der Sinne und damit die himmlische ‚Endphase der Ausweitung des Menschen’“,1090 von der bereits Kapp im späten 19. Jahrhundert in seiner Medien-Teleologie, der harmonischen Mensch-Maschinen-Symbiose, träumte („wunderbare Harmonie im Spiel der organischen Gesammtthätigkeit“).1091 Der 1084 Vgl. Gekle 1997, 166 f. 1085 Vgl. Winkler 2008, 160 f. Den Hinweis auf die Verbindung Kapp – Chardin – McLuhan verdanke ich Kirsten Wagner. Bei McLuhan bleibt die Herkunft seiner organizistischen Metaphern im Dunkeln. 1086 Vgl. Kapp 1978, 16. 1087 Vgl. Kittler 1986, 54 und Schumacher 2000, 88. 1088 Vgl. ebd. 67. 1089 Vgl. zu „Zyklizität“ und „Selbstkorrektur“ bei McLuhan: Mersch 2008, 204. 1090 Bitsch 2008, 249; Zitat von McLuhan. 1091 Kapp 1978, 64. 327 kanadische Literaturprofessor McLuhan kann dann – wenn auch mit einigen Vorbehalten – das „Goldene Zeitalter“ des Elektromagnetismus1092 und andere frohe Botschaften, mediale „Pfingstwunder“,1093 in seiner „Kirche von ‚global village’“ verkünden.1094 (Nebenbei bemerkt: McLuhan hat an seinem Hauptwerk, Understanding Media, so lange gedacht und gearbeitet, wie Sade in Gefängnissen bzw. im Irrenhaus zubrachte, fast 30 Jahre.) Fassen wir zusammen: Traumatisch-narzisstisch-narkotische Wirkung stellt sich ein, wenn technische Medien in den Körper gewaltsam ‚eindringen’, sich übertragen und diesen erweitern, das heißt zum Selbst amputieren, indem das Sein geklüftet, verkürzt, durchlöchert wird. Das Individuum steht während dieser Installationsprozesse (bzw. immer dann, wenn neue Läsionen, Verletzungen oder übermäßiger Stress im Unbewussten auftreten – etwa bei Medienwechseln bzw. -durchbrüchen) unter betäubenden Schocks.1095 Auch Horkheimer und Adorno erkennen den „Augenblick, in dem der Mensch das Bewusstsein seiner selbst als Natur sich abschneidet“ und reden besorgt von „der Verleugnung der Natur im Menschen“ und sogar – zu Recht – 1092 Vgl. Bitsch 2008, 246, Zitat von McLuhan; vgl. auch Schröter 2008, 316 f. 1093 Kittler, 2002, 23; Zitat von McLuhan. 1094 Bitsch 2008, 249. Vgl. dazu auch die VIDEODROME-Analyse in dieser Arbeit, Cronenbergs satirische ‚Amputation’ McLuhans und seines fetischistisch-spiritistischen bzw. erzkatholisch geprägten Medienkultes, den Cronenberg in seiner Perversität dank neuer Spezialeffekte ad absurdum führt. 1095 Vgl. Rölli 2007, 176: Es handelt sich um mediale Auswirkungen, wie sie Marc Rölli in Jenseits des Lustprinzips als Benjaminsche chocs verifiziert. Prägnante Beispiele für mediale (Massen-)Schocks sind die Explosion des Space Shuttle Challenger (1986), der von einer Sekte organisierte Giftgasanschlag auf die Tokioter U-Bahn (1995), die Ereignisse von 9/11, unzensierte TV- Berichterstattung des Vietnamkrieges (in den späten 1960ern), Seveso (1976), Bhopal (1984), Tschnernobyl (1986), oder Fukushima (2011). Dabei sticht 9/11 (und auch der Giftgasanschlag in Tokio) heraus, da es sich nicht um einen Unfall, eine Auswirkung von Naturgewalt oder Krieg handelt, sondern einen geplanten Terroranschlag, der auf weltweite Live-Übertragung setzte (was jedoch unter einer Form von Medienkrieg zu subsumieren ist). Die Massenmedien wurden in einem durchweg sadistischen Spiel zu notwendigen, willfährigen Komplizen der TerroristInnen, zu Werkzeugen, und sind es noch – grausam-perverse Spektakel, die für die Verantwortlichen bislang aufgehen (und den politischen wie medialen Weltfrieden bis heute nachhaltig stören). Vgl. Niemeyer 2006 und Hoffman 2006. 328 von einer „virtuell[en] [...] Vernichtung des Subjekts“.1096 Freuds „großartige Gegenbesetzung“, die sich als Abwehrreaktion in diesem Zusammenhang aufbaut, besteht – mit Lacan gedacht – aus projizierten Einzelbildern, optischen sets, die in narzisstischer (Über-)Blendung auf der Oberfläche des Ego erscheinen und bereits Fetischpotential besitzen: ikonologisch geprägte Muster und phantomartige Gestalten.1097 Lacan bezeichnet diese egomorphe Organisation der Partialobjekte, in der sich das Subjekt libidinös verbildlicht, verkörpert, (v)erkennt, verstrickt etc., als das „idealisierende groß I der Identifikation. [...] Es gibt ein Jenseits zu dieser Identifizierung, und dieses Jenseits ist definiert durch Bezug und Abstand des Objekts klein 1098a.“ Versuch einer SM-Definition Sadomasochistische Operationen versuchen – so möchte ich als Definition vorschlagen – nichts anderes, als dieses spannungsgeladene Verhältnis a – I zu Lust- und Machtzwecken auf unterschiedliche Weise zu erkunden, zu bearbeiten bzw. einfach kurzzuschließen,1099 indem sie quasi den Abstand bzw. Widerstand zwischen a und I verringern bzw. beseitigen (Sadismus) und/oder erhalten bzw. vergrößern (Masochismus). Sadismus und Masochismus suchen und begehren auf verschiedenem Wege – mit dispositiven Anordnungen, die sich in ihrer (dys-)funktionalen Materialität, Medialität und Logik vergleichen lassen – das Jenseits von a, letztendlich den Todestrieb. Und all das passiert mehr oder weniger im Modus des Schlafens, des Vor-sich-hin-Dämmerns – im „blinde[n] Blick“ der Vernunft.1100 1096 Horkheimer und Adorno 1969, 51. 1097 Wichtig ist, dass diese Muster noch ein einen zweiten Signifikanten, quasi ein zweites choc- bzw. Schreck-Erlebnis, benötigen, um den Fetisch zu konstituieren, wie es z. B. Freud beschreibt: Der kleine Junge entdeckt den abwesenden Penis, der bereits im Bildphallus des Spiegelstadiums strukturiert ist, am Körper der Mutter. 1098 Ebd. 1099 Vgl. zum Kurzschluss in der Perversion: Lacan 1987, 216. 1100 Vgl. Lacan 1991 (a), 68. 329 Sacher-Masoch operiert mit Hilfe einer medialen Erweiterung seines Idealbildes, der buchstäblichen Einkleidung von a (durch -phi) im Fetisch (I). Sade schlägt genau die Gegenrichtung ein, er zerreißt alle medialen und körperlichen Hüllen, Oberflächen und Masken1101 und zielt direkt auf a im Realen des Fleisches.1102 Sacher-Masoch identifiziert sich mit I, Sade mit a. Beiden geht es um die (durch-)schlagende Kraft ‚elektrisierter’ Imagination, um den (bösen erotischen) Reiz und die Unmöglichkeit von a, das reine Begehren in Form libidinöser Halluzination. Beide zielen in ihrem phallischen, lustsuchenden Blick auf das libidinöse Ding, das, was von a im Imaginären fehlt, woran ihr Blick kleben bleibt, der negative Abdruck von a sozusagen, der gerade soviel an rudimentärer Information vermittelt, dass an dieser Stelle ein beliebiges (Partial-)Objekt erscheinen und anschließen kann bzw. nachträglich im Symbolischen, dann als medial erweitertes (Fetisch-)Objekt adressierbar bzw. rekonstruierbar wird.1103 Beide haben damit in ihren Prozeduren gleichsam die unbewusste Wirkung technischer Medien im elektrischen Zeitalter umgesetzt bzw. antizipiert: Sacher-Masoch begehrt Mehr-Lust in heftigen Dosen narzisstischer Narkose, die vom fetischisierten I virtuell übertragen und gehalten wird; Sade die traumatische Schockwirkung des a im Absturz und der Destruktion der imaginären Funktion, welche das I außer Kraft setzt. Das, was beide Pioniere moderner Schmerzlust verbindet und was auch Lacan in seiner Theorie brennend interessiert, ist die hier virulente „Doppeldeutigkeit, dieses Flottieren zwischen einer imaginären Kontinuität und einer realen Trennung“,1104 die über den Phallus gesteuert 1101 „Sade, der Repräsentant des perversen Genießens, zerreißt die heiligen Schleier des Objekts, ‚demonstriert die [...] imaginäre Struktur der Grenze’, um die phantasmatische Vision vom gefressenen Objekt auf den apokalyptischen Fraß selber, auf den in Form der Destruktion ritualisierten Todestrieb zu verschieben.“ (Bitsch 2001, 226; Zitat von Lacan 1996, 238.) Auch Deleuze erkennt diesen Vorgang bei Sade: „Sicher ist, dass viele sadistische Morde von rituellen Handlungen begeleitet sind, so einem Zerreißen der Kleider, das nicht vom Kampf herrühren kann.“ Vgl. Deleuze 1980, 186. 1102 Darin besteht der große Unterschied zu Sacher-Masoch, der ja fleischliche Genüsse im Konzept seiner geschlechtslosen Maso-Liebe ausblendet und spielerisch abschaffen möchte. 1103 Das Ding „ist der zentrale Term, dunkel und unspezifiziert, um den die Vorgänge, die quantifizierbaren libidinalen Einheiten, Präfigurationen diskreter Elemente oder Signifikanten, gravitieren, ist zugleich der Grenzwert alles Vorstellbaren und Auffindbaren. Das initiiert die Funktion des Wiederfindens im Freudschen Apparat, jene Funktion, die das sich entziehende Ding in der kompensatorischen Serie der begehrten Ersatzobjekte adressiert.“ Vgl. Bitsch 2001, 101. 1104 Vgl. Borch-Jacobsen 1999, 255. 330 ist und nur über diesen – mehr schlecht als recht – manipulierbar ist (im Sinne der Kastration und Koordination). Das heißt für die Schnitt- bzw. (Soll-)Bruchstellen zwischen Realem und Imaginärem: Sie werden gesucht, herangezoomt, ausprobiert, bearbeitet, prothetisiert, fetischisiert, ausgestellt etc. oder einfach (dabei) zerstört – und in diesem Prozess immer auch transformiert bzw. neu erfunden: eben zu Mehr- Lust und zu Mehr-Wissen. In diesem Sinne ist Sadomasochismus nach wie vor ein mediales Experimentierfeld und eine (Medien-/ Kultur-/ Libido-)Wissenschaft, auch Bildende Kunst, die sich im zufälligen Zusammenspiel (bzw. mit Lacan gesagt: im Unfall)1105 von realen (Körper-)Löchern, virtuellen Partialobjekten und des Phallus (das heißt in dessen symbolisch organisiertem Wirkungsfeld/Dispositiv) ereignet und artikuliert. Dabei treibt – wenn SM funktioniert – die sexuell-fantasmatisch- fantastische Imagination ihr obsessives und groteskes Spiel (an) – sie läuft im (überwiegend unbewussten) Modus eines radikalisierten Gewaltbegehrens technisierter Sinne. „Das Objekt klein a, hieratischer Fetisch, alabasterner Traum, beleuchtet von Strahl eines orphischen Begehrens, evoziert die luzide Sphäre anfliegender Glücke, den proteischen Wahn des Ein im Reellen – verlogene Emissionen aus dem Land des Lächelns, der Honey-Moon-Enklave, die doch nur Kolonie des Anderen ist. Denn in der Astralvision, der unsäglichen Erscheinung a, geflügelt, gepudert und umflort, haust nicht ein mystisches freies Radikal zur Synthese einer unmöglichen Zahl, sondern der imaginäre Mangel, die Zahl i, mitsamt all der Todestriebe, Halteprobleme und digitalen Verfluchungen, die den einen wie den anderen stigmatisieren. Das Ein und das a sind nicht kompatibel.“1106 1105 Lacan bezeichnet „die Perversion“ u. a. als „ein Unfall in der Entwicklung der Triebe“. (Vgl. Lacan 2003, 132.) Foucault schreibt: „Der historische Unfall bestünde [...] eher in den Schamhaftigkeiten des ‚viktorianischen Puritanismus’; auf jeden Fall aber bedeuteten sie einen Unschwung, eine Rafiinierung, eine taktische Wendung in dem großen Prozeß der Diskursivierung des Sexes.“ Foucault 1992, 35. 1106 Bitsch 2001, 224. 331 Lacans Analyse Auch Lacan nutzt dieses ungeheure wie problematische Lust- und Erkenntnispotential, die maßlos-tödlich-stigmatisierende Leere von i, der das a zeitlich und räumlich voran- bzw. abgeht, richtet er doch seine Theorie und klinische Praxis darauf aus, indem er i neu erschließt. Wo Freud noch an so etwas wie Triebbefriedigung (im Sinne von Wiederfinden eines verlorenen Objekts)1107 dachte,1108 ist dies bei Lacan endgültig passé. Die Hinwendung zu den widerständigen Partialobjekten, zur Medialität von i, verhindert stets endgültige Triebbefriedigung, jouissance, die es – wenn überhaupt – wahrscheinlich nur im Moment des realen Todes gibt. (Die folgenden drei Zitate sind eine lose [Wunsch-]Maschinen-Diskurs-Verkettung, in der technisches Wissen über den Lusterhalt in der Moderne vernetzt werden soll:) „Lacan [...], bei dem sich jenseits jeder materialistischen Denkmatrix nicht mehr das verlorene Objekt, sondern der Algorithmus des Verlusts selber wiederholt, fokussiert wie John von Neumann nur noch Rechengeschwindigkeiten. Das Freudsche Genießen ist dem Entropiebegriff der Wärmelehre subordiniert, während Lacans geschmeidige Jouissance Entropie von allen energetischen Faktoren entschwert und einfach mit Shannon als Information definiert. Lacans großer Anderer ist ein Despot, der nicht wie Freuds drakonischer Gesetzeshüter das Genießen untersagt, sondern das Genießen dekretiert.“1109 Dieser Befehl ist bereits bei Sade zu beobachten, denn 1107 Vgl. Lacan 1986 (a), 45. 1108 Bitsch 2001, 128: „Obwohl illusorisch drapiert ist das Freudsche Ersatzobjekt dennoch sedimentiert durch ein materialistisches Substrat, welches, und nur darin liegt seine Funktion jenseits der akzidentellen Singularität, reale Befriedigungserlebnisse zu zeitigen vermag – amphibischer Fetisch, schillernd zwischen Sein und Schein.“ 1109 Ebd. 212. 332 „[i]m Sadeschen Diskurs wurde die Pflicht zum Genießen an die erste Stelle gesetzt, und das Begehren blieb damit dem Gesetz als einem Willkürinstrument der menschlichen Freiheit untergeordnet: ‚Du mußt genießen’.“1110 „Bleibt das wahre und ganze Genießen aufgrund der im phallischen Signifikanten symbolisch notierten Inexistenz des Objekts auf immer ein unmögliches, so führen die aus Übercodierung des phallischen Signifikanten hervorgehenden Partialtriebe dennoch zu einem alternativen Genießen des phantasmatischen Objekts klein a.“1111 Und in dieser Alternative liegt alles, was für begehrende Subjekte möglich, das heißt imaginier- bzw. denkbar, ist. Lacan versucht in seiner psychoanalytischen Praxis ans a heranzuführen, an jene magische Stelle, wo das Begehren wieder Trieb zu werden beginnt. Es geht hier um eine Art reset-Funktion im Unbewussten, die das Subjekt wieder an den Triebkreislauf anschließt, um eine Transformation des bereits vorhanden, meist fehlgeleiteten Begehrens zu ermöglichen, auch um überhaupt wieder begehren zu können. Dieser Nullpunkt-Neustart findet, wie auch Freuds Methode, im Namen individueller Persönlichkeit, der „subjektive[n] Positionen der Existenz“1112 statt (– das ist die Richtschnur); und er soll dafür sorgen, dass das Subjekt nicht mehr von seinem Begehren ablassen wird. Lacan programmiert den Befehl dazu. Es wird mit dieser Neuformatierung keinen Rückzieher, kein Pardon, keine Ausflüchte mehr geben, wenn die Kur bzw. Lektion Erfolg hat. Das ist die heilsame Strenge, die Praxis Lacans. „Um Ihnen Formeln, Merkpunkte zu geben, möchte ich sagen – wenn die Übertragung das ist, was vom Trieb den Anspruch sondert, dann ist das Begehren des Analytikers das, was den Anspruch auf den Trieb zurückbringt. Auf diesem Wege isoliert der Analytiker das a und bringt es auf größtmögliche Distanz zum I, das er, der Analytiker, wie das Subjekt verlangt, verkörpern soll. Der Analytiker muß von dieser Idealisierung herunter, um Träger des trennenden a sein zu können, um zwar, 1110 Roudinesco 1996, 466. Vgl. auch Lacan 1986 (b) [Kant mit Sade]. 1111 Bitsch 2001, 224. 1112 Lacan 1987, 259. 333 soweit sein Begehren es ihm erlaubt, in einer Art umgekehrter Hypnose, den Hypnotisierten zu verkörpern. [...] Die Spannkraft der analytischen Operation verdankt sich gerade der Aufrechterhaltung der Distanz zwischen I und .“1113a Lacan versucht das a zu isolieren, sein Träger bzw. Medium zu werden, ohne dass sich das Subjekt in ihm (Lacan) zu identifizieren vermag. Dabei wird das Objekt gerade nicht (sadistisch) zerstört, sondern in der Übertragung – beim Durchschreiten des „phantasme radical/d[e]s Wurzelphantasma[s]“1114 der AnalysantIn – (masochistisch) gehalten. Lacan nutzt also sein Wissen über die Funktionsweise des Imaginären und deren Leerstellen, ein profundes, versiertes Partialobjekt-1115 und Signifikantenwissen, das mit der eben genannten Definition und Praxis masochistischer Perversion ein Stück weit korreliert. Diese Funktion – das wäre sozusagen die Spielanweisung Lacans – muss in der psychoanalytischen Behandlung bzw. im (medienmasochistischen) Diskurs stets neu aufgerufen und zum Laufen gebracht werden. Anders als bei Sade wird es bei dieser Aktualisierung – eben im ‚Regel’-Fall – keine Opfer und körperliche Versehrtheit geben. Es ist nur die Gewalt des unbewussten Signifikanten, die dann ins werdende Bewusstsein eingreift. Man muss jedoch bereit sein, (im Gegensatz zum klassischen Masochismus/Fetischismus) bestimmte, (zu) liebgewonnene,1116 meist übercodierte Bilder loslassen zu können; das 1113 Ebd. 287. 1114 Ebd. 288. 1115 „Seit Freud führt die Psychoanalyse eine Liste von Partialobjekten, die erstens vom Körper abtrennbar sind und zweitens vor jeder Unterscheidung zwischen den Geschlechtern erregen: Brust, Mund und Kot. Lacan hat dieser Liste zwei weitere Partialobjekte angefügt: die Stimme und den Blick. Psychoanalyse im Medienzeitalter, denn erst das Kino kann den abgetrennten Blick wiedergeben und erst das Telephon die abgetrennte Stimme übertragen.“ (Kittler 1986, 90.) Wie schwierig es jedoch ist, über die Gleichung bzw. Äquivalenz Partialobjekt = technisches Medium hinauszugelangen, um das (Nicht-)Verhältnis des Subjekts zu seinen multimedialen Partialobjekten, die es durchläuft, einigermaßen korrekt zu bestimmen, verdeutlicht Lacan anhand von Freuds Theorie in: Lacan 1987, 203 ff. und Lacan 2003, „I. Einführung“ [in die „Theorie des Objektmangels“], 9-25. – Ein schwieriges, jedoch sehr bedeutsames Feld, wie die anschließenden Filmanalysen zeigen sollen. 1116 „Kill your darlings“, sagt der Filmemacher Michael Haneke in Bezug auf Drehbuchschreiben. Vgl. Haneke und Assheuer 2008, 40. 334 heißt auch und vor allem, die negativierende, unberechenbare Wirkung des a anzunehmen und auszuhalten, damit die Ego-Transformation – der flow des digitalen Signifikanten – gelingt. Ohne diese ‚Härte’ wird es in diesem Zusammenhang, Lacans medial erzeugter Steuerungsvision être parlant, nicht gehen. Ohne das Wissen Sigmund Freuds ebenfalls nicht. „Die Kur war grausam, aber radikal, und die Hauptsache ist: ich bin gesund geworden.“1117 So könnte die Heilung einer Neurose oder einer vergleichbaren psychischen Störung in Lacans oder Lacanianischer Analyse-Praxis aussehen, insofern sich es im Sprechen geregt und mitgeteilt hat. Und tatsächlich hat Lacan, der brillante Analytiker, vielen seiner PatientInnen (HörerInnen bzw. LeserInnen [mir selbst]) helfen können: „Lacan hat uns ins Herz des Schmerzes zu existieren mitgenommen. Wenn er nicht da gewesen wäre, wäre ich tot oder ich wäre verrückt geworden. Wir sind alle Geisteskranke, aber wir müssen nicht zwangsläufig alle verrückt sein. Der Verrückte, das ist der derjenige, der der Welt die Verwirrungen seiner Seele zum Vorwurf macht.“1118 Man hat Lacan Sadismus vorgeworfen1119 und dies, obwohl er sich doch für seine AnalysantInnen sehr zurücknimmt und gleichsam masochistisch operiert1120 – auch wenn die idealisierten Identifizierungen I (im Gegensatz zur Funktion des masochistischen Fetischs) dabei zunächst außer Kraft gesetzt werden müssen, um die 1117 Zitat von Severin – seine Bilanz des Venus im Pelz-Experiments. (Sacher-Masoch 2003, 135.) Heilende Wirkung ist bei ihm bzw. seiner Domina nur bedingt eingetreten, da eine wahre bzw. emanzipative Selbsterkenntnis, die des Phallus, noch nicht stattgefunden hat. Vgl. das Ende des Punktes „Der Phallus im sadomasochistischen Szenario und Körperbild“ im vorherigen Kapitel. 1118 Zitat von Jean-Michel Vappereau, der bei Lacan in Analyse war, in: Roudinesco 1996, 543. 1119 Vgl. weiter unten im Text „père-version“. 1120 Dies gilt auch für seine Theorie, die doch sehr vom Mangel, von der Nicht-Ganzheit und Leere, von Abfall, Rest und Widerstand geprägt ist. Ohne Negativität und Verkürzung (des Seins) ist für Lacan kein Subjekt-Begriff und keine Medientheorie denk- und machbar. 335 Erfahrbarkeit von a geltend zu machen, um das Subjekt in Bezug auf a auszuzeichnen.1121 „By becoming an ‚a’ object, the partial object detotalized, deterritorialized, and permanently distanced itself from an individuated corporeity; it is in a position to swing over to real multiplicities and to open itself up to the molecular machinisms of every kind that are shaping history.“1122 Lacan versucht die a-Werdung der/des PatientIn zu realisieren, indem er i analytisch operationalisiert: Das Zahlengestöber in der Lotterie des Signifikanten, buntes Tummeln und Treiben in der Manege der Imagination, soll nicht nur wieder ordentlich in Gang gebracht, sondern dort gleichwohl gehalten werden, ohne dass dabei sofort die ‚Hauptattraktion’ kommt bzw. ‚Fünf Richtige’ fallen, das heißt eine neue täuschende Identifizierung I vorschnell einrastet und auch, wie gesagt, ohne dass das libidinöse Objekt (a) dabei verschwindet oder gar zerstört wird. Es geht um den signifikantengesteuerten flux1123 oder flow libidinal, eine „kontrollierte Paranoia“,1124 1121 Vgl. Lacan 1987, 288. 1122 Guattari 2009, 79. 1123 „The process is what we call a flux. Now, once again, the flux is a notion that we wanted to remain ordinary and undefined. This could be a flux of words, ideas, shit, money, it could be a financial mechanism or a schizophrenic machine: it goes beyond all dualities. We dreamed of this book [Anti- Ödipus] as a flux-book. [...] We define the machine as any system that cuts the fluxes. Thus, sometimes we speak of technical machines, in the ordinary sense of the word, sometimes of social machines, sometimes of desiring-machines.“ (Zitat von Deleuze in: Guattari 2009, 74.) Hegels bzw. Kapps dialektisch-spielerisches Hin und Her erweist sich spätestens im Informationszeitalter als Umschlagen diskreter Zustände, die sich in libidinösen Flux-Bewegungen, unbewussten, jedoch spürbaren (Begehrens-)Strömen ereignen. (Um ein Bild davon zu bekommen, sei auch auf die Kunst und das Wissen der Fluxus-Bewegung in den 1960er Jahren verwiesen. Fluxus möchte u. a. nicht nur die Trennung zwischen Leben und Kunst im fließenden Übergang aufheben, sondern auch – in diesem Sinne – das Kunstwerk in seiner Funktion als bürgerlicher Fetisch attackieren.) 1124 „Das Ich hat eine paranoische Struktur; der Wechsel vom Spiegel-Ich zum sozialen Ich bringt eine paranoische Entfremdung mit sich; die Psychoanalyse als therapeutische Methode führt im menschlichen Subjekt eine kontrollierte Paranoia herbei, und die Erkenntnis ist in allen ihren Formen ihrerseits unheilbar paranoisch.“ Bowie 1994, 41. (Das Zitat hat vier Fußnoten; vorher erscheint im Fußnotentext auch die Paranoia-Definition von Laplanche und Pontalis: „Paranoia. Chronische Psychose, die durch einen mehr oder weniger gut systematisierten Wahn, die Prädominanz der 336 wie Malcolm Bowie treffend formuliert.1125 Auch wenn die Ausrichtung auf a sowohl in perverser als auch in psychoanalytischer Praxis angegangen wird, betont Lacan nachdrücklich, dass die Analyse nie das sein kann, was im klassischen SM und anderswo hartnäckig verfolgt und zu fixieren versucht wird: „das Begehren im Reinzustand“,1126 das Ding an sich – dieses obskure Objekt der Begierde, um das sich alles dreht. „Und insofern im Symptom ein Kern des Genießens persistiert, der jeder Interpretation widersteht, ist vielleicht auch das Ende der Analyse nicht in einer interpretativen Auflösung des Symptoms zu suchen, sondern in einer Identifikation mit ihm, einer Identifikation des Subjekts mit diesem nicht-analysierbaren Punkt, mit diesem partikularen ‚pathologischen’ Tick, der letztendlich die einzige Stütze des Daseins bildet.“1127 Nachdem Jacques Lacan über die letzten „drei Jahrhunderte in der Wissenschaft“, die „sogenannten Massenmedien“, „die Apparate“, die „planetarisierte, stratosphärisierte Stimme“, das „suggestive Überhandnehmen [des] Blick[s] [...] durch die Unzahl der Spektakel und Phantasmagorien“, über die „monströsen [...] Formen des Holocaust“1128, das „Begehren jenes Anderen [im] Deus obscurus“ und schließlich über Spinozas „Amor intellectualis Dei“ gesprochen hat,1129 schließt sein Seminar XI Interpretation, das Fehlen von Intelligenzabnahme charakterisiert ist und im allgemeinen nicht zur Vernichtung der Persönlichkeit führt.“ Ebd. 204 und Laplanche und Pontalis 1972, 252. Vgl. auch Pühler 2006, „1.2.1.2 Paranoische Erkenntnis“, 32-44. 1125 Durfte in der masochistischen Praxis wie auch Metapher das Schizophrene nicht aus dem Bildrahmen steigen, so wird dies in Lacanscher Vorgehensweise durchaus (signifikantengesteuert) erreicht; deswegen, weil Lacan tatsächlich reichlich (praktisches) Wissen darüber/dafür besitzt. Vgl. Lacan 2002. 1126 Lacan 1987, 290. Vgl. auch Baas 1995 (Das reine Begehren; eine philosophische Studie, die Sades Begehren im theoretischen Spannungsfeld zwischen Kant und Lacan situiert.) 1127 !i"ek 1991, 26 f. 1128 Vgl. auch Lacans Anspielung auf den Nazismus bzw. Holocaust im Vorwort der deutschen Übersetzung seiner Ecrits (1986 [a], Band II, 9) und Roudinescos Zusammenfassung der Lacanschen Sicht – u. a. mit Spinoza und Sade – auf diese dunkle Zeit des totalen Krieges und der Massenvernichtung in Europa. Dies. 1996, 468. f. 1129 Vgl. Lacan 1987, 288 f. 337 am 24. Juni 1964 mit einem seiner schönsten Zitate, welches das subjektive wie analytische Begehren in seiner ganzen Unreinheit, in seiner grenzenlos- masochistischen Liebe, bezeichnet: „Das Begehren der Analyse ist kein reines Begehren. Es ist ein Begehren nach der absoluten Differenz, die dann auftritt, wenn das Subjekt, konfrontiert mit dem Ursignifikanten, erstmals in die Lage kommt, diesem sich zu unterwerfen/assujettir. Nur da kann die Bedeutung einer grenzenlosen Liebe entstehen, die nun außerhalb der Grenzen des Gesetzes ist, wo sie allein zu leben vermag.“ Nachtrag: père-version Obwohl Lacan in der letzten Sitzung seines Seminars XI deutlich vor gefährlichen, sadistischen Bildern (z. B. die „Faszination des Opfers“, welcher man nur zu schnell erliegt) warnt und einmal mehr den „Gegenstand der Liebe in ihrer menschlichen Zärtlichkeit“ dagegen hält, bleibt es fraglich, warum sich namhafte Intellektuelle der Pariser Analytiker-Szene über Lacans Praxis und Gepflogenheiten, denen sie Sadismus unterstellten, lautstark in ihren Schriften echauffieren.1130 – Ein Zitat von 1130 Vgl. u. a. Castoriadis 1983, 59-104 („Die Psychoanalyse und das Projekt der Aufklärung“) und Roustang 1976 (Un destin si funeste). – „[Ein so düsteres Geschick] war ein Bilderstürmerbuch, das die Effekte des Freudianismus und dem Lacanismus eigentümlichen Heiligenverehrung ins Lächerliche verkehrte. Doch anstatt wie der Anti-Ödipus in eine interne Kritik des Strukturalismus einzuschreiben, denunzierte er das Ganze des von Lacan ausgearbeiteten Denksystems als eine totalitäre Doktrin, ja als einen Gulag des Geistes.“ (Roudinesco 1996, 567.) Der Titel des Buches ist von einem Zitat aus Lacans berühmten Seminar über E. A. Poes „Der Entwendete Brief“ inspiriert: „Un dessein si funeste, s’il n’est digne d’Atrée, est digne de Thyeste.“ (Lacan 1986 [a], 40 [und orthografisch leicht verändert auch ebd. 12]. Wenn man ‚ein so düsteres Geschick’ in Lacans Biografie tatsächlich erkennen möchte, sollte man nicht vergessen – so besagt zumindest eine der vielen Legenden, die sich um ihn ranken –, dass er seine zweite Frau vor den Nazis im besetzten Frankreich gerettet hat. Nachdem Sylvia Bataille, die Jüdin war, bei der Gestapo denunziert wurde, schaffte es Lacan irgendwie, an ihre Akte zu kommen und sie zu entwenden. In einer Nacht-und-Nebel-Aktion ist er dann mit ihr per Boot aus Paris geflohen. Auch wenn die Quelle nicht ganz sicher ist, so betont Elisabeth Roudinesco, dass dieses Verhalten auf Lacan bzw. seine moralische Integrität zutrifft. (Vgl. dies. 1996, 554.) Möglicherweise – das ist meine 338 Cornelius Castoriadis, das deswegen hier in dieser Länge angeführt wird, weil es symptomatisch für die Rezeption des ‚sadistischen’ Lacan in den späten 1970er Jahren ist (und dabei die ‚masochistische’ Vorgehensweise des französischen Psychoanalytikers völlig verkennt), lautet wie folgt: „Lacan spielt für die Lacanianer und sie spielen für ihn die Rolle eines Geländers/Irrenwächters [garde-fou] (52)1131; sie benutzen sich gegenseitig als Stützpunkt, kurz: als Schutzschild gegen den psychotischen Zusammenbruch. Beiläufig erweist sich damit Lacans stilisierte ‚Einsamkeit’ in seiner ‚Sorge um die Sache der Analyse’ als verlogen. [...] Sobald das Subjekt und seine Partner/Komplizen [Castoriadis meint Lacan und seine AnhängerInnen, Anmerkung S. P.] zu handeln beginnen, stehen ihnen für ihre Handlungen mehrere Wege offen. Einer davon ist die rituelle Wiederholung, ein anderer die Eskalation. Im letzteren Falle muß die psychische Droge, als welche die reale Inszenierung jener Phantasie [i. e. das Verhältnis der Knechtung, der Verächtlichkeit und Geringschätzung, welches Castoriadis und Roustang Lacan in seiner ‚Herr und Meister’-Position weiter oben im Text unterstellen und vorwerfen;1132 Anmerkung S. P.] dient, in höherer Dosis verabfolgt werden – so lange wenigstens, wie die Konstitution der Beteiligten das aushält. Das ist der Weg der Figuren de Sades, das ist die Laufbahn der O. Und Lacan überbietet das noch. Bei seiner Trennung von der Lacan-Schule – die gerade zu einer neuen Eskalation überging (1968) – erinnerte Guy Rosolato die versammelten Lacanianer an den Satz, mit dem der göttliche Marquis die Belustigungen eines anderen ‚Herrn und Meisters’ beschrieb, der ‚in seinem Begehren nicht nachließ’, jenes seraphischen Ritters und Spekulation an dieser Stelle – hat Lacan diese existentielle Krisensituation eben in seinem Seminar über E. A. Poes „Der Entwendete Brief“ theoretisch verarbeitet. 1131 Seitenangabe in: Roustang 1976. 1132 Castoriadis redet im weiteren Sinne von Sadismus, obwohl er doch, ohne es anscheinend zu bemerken, Lacan Masochismus attestiert: eben „die reale Inszenierung jener Phantasie“. Auch die Rede vom „Schutzschild“ am Anfang des Zitats ist ein deutlicher Hinweis auf masochistische Abwehr, wie ebenfalls die damit möglich werdende crash-test-Funktion („so lange wenigstens, wie die Konstitution der Beteiligten das aushält“), die (im Gegensatz zum Sadismus) nicht auf den Widerstand des Körpers zielt, sondern auf den der Signifikanten und Medien (im/als Ich). 339 seiner Kumpane: ‚Die Figur löst sich auf, man wechselt die Stellung.’ Aber die Sadesche Kombinatorik ist nicht statisch und kann es nicht sein. Neue Stellungen müssen erfunden werden, mehr Teilnehmer müssen einbezogen werden und mehr massakriert werden. Die Überschreitung muß immer wieder überschritten werden, sonst würde sie als solche nicht mehr erlebt. Die nacheinander durchlaufenden Stadien der Verachtung und Geringschätzung seiner selbst und der anderen sind bekannt. [...] Bekanntlich hat aber auch die Einbildungskraft Sades Grenzen, und je länger die Bahn ist, die seine Helden auf dem Weg zum Tode schon zurückgelegt haben, desto mehr packt die Langeweile den Leser.1133 Wäre es nicht uninteressant und abgeschmackt, so könnte man Voraussagen versuchen, was sich der Lacanismus während der qualvollen Dauer seiner 120 Tage noch einfallen lassen könnte. Vielleicht wird Lacan eines schönes Tages verkünden, Psychoanalyse gebe es gar nicht, und er sei auch kein Analytiker, während sich die Anzahl seiner ‚Analysanden’ gleichzeitig noch einmal verdoppelt. Eins jedenfalls ist sicher: Seit vielen Jahren richtet Lacan Schaden an. Und im Laufe des letzten Jahrzehnts ist er zudem noch langweilig geworden, was noch schlimmer ist, wie ein Ästhet wohl einwenden würde. [...] Eliminiert wird alles, was aus dem einzelnen Subjekt, seiner Gedankentätigkeit und der menschlichen Geschichte etwas anderes macht, als die aberwitzige Montage von Maschinen, die nicht sprechen, sondern gesprochen werden, und die nur ‚sprechen’, um zu sagen (oder um unwillentlich durchblicken zu lassen?), daß immer alles das gleiche sei.“1134 Auch wenn Castoriadis, der einst selbst Mitglied in der Schule Lacans, der EFP, war,1135 hier einige Un- bzw. Halbwahrheiten verbreitet und sogar als solche erkennt 1133 „Das gängige Urteil, Sade sei langweilig [ein Vorwurf, den Castoriadis ebenfalls gegenüber dem Spätwerk Lacans äußert (vgl. oben im Zitattext); Anmerkung S. P.], wirft im Sinne Lichtenbergs ein Licht auf den Leser, der sich beim Zusammenstoß seines Kopfes mit einem Buch fragen muss, ob nun das Buch oder der eigene Schädel hohl sei.“ Zweifel und Pfister 2001, 15. 1134 Castoriadis 1983, 62 ff. Er sagt auch, dass „die Lacansche ‚Psychoanalyse’“ in einen „Fäulniszustand“, einen „Verwesungsprozess“ übergangen ist. Ebd. 59. 1135 EFP ist die von Lacan 1964 zunächst unter dem Namen „Ecole Française de Psychoanalyse“ gegründete „Ecole Freudienne de Paris“. „De facto eröffnete Lacan den Weg zu einer neuen Form der 340 (tatsächlich ist es uninteressant und abgeschmackt, Lacans Methodik mit der Sades in den 120 Tagen von Sodom so in Eins zu setzen), so können dennoch einige Parallelen gezogen werden, zumindest solange sauber bzw. sachlich differenziert wird. Lacan hatte ab 1977, in seinen letzten vier Lebensjahren, in denen er körperlich nachließ und die aus diesem und anderen Gründen mit dem langanhaltenden Niedergang seiner Ecole zusammenfielen, die berühmt-berüchtigten Kurzsitzungen eingeführt, das heißt. die durchschnittliche Sitzungsdauer von 30 Minuten auf ein paar Minuten reduziert. Castoriadis spricht in diesem Zusammenhang von einem Skandal; Elisabeth Roudinesco bestätigt ihn in ihrer lesenswerten, sehr gut recherchierten Lacan-Biografie darin.1136 „Es lag etwas von einem Schrecken des Todes in den Kurzsitzungen, in diesen Psychoanalysesitzungen, bei denen man die Dauer nicht vorweg wußte [...]. Der aus der Kürze der Sitzungen und der Unvorhersehbarkeit ihres Endes geknüpfte Effekt schafft eine Situation, die auf großartige Weise die Tendenzen zur freien Assoziation ermutigt. Sie sagen alles, was Ihnen durch den Kopf geht, fast unmittelbar, spontan, weil Sie gar nicht die Zeit haben, wiederzukäuen, die bessere Formulierung zu suchen.“1137 Sade – Lacan Ähnlichkeiten in Bezug auf Sades Orgien-Apparat(e) lassen sich insofern konstatieren, als die TeilnehmerInnen dort in ihren Stellungen und performances ebenfalls höchste Effizienz und Flexibilität vorweisen müssen – vor allem im Internationalisierung des Freudianismus. Er nannte école [Schule], was der Legitimismus Assoziation nannte, und bezeichnete als freudienne [freudianisch], was gewöhnlich die Benennung Psychoanalyse trug. Er gründete im primären Sinne des Wortes eine Republik des Geistes, in der ein großes Laboratorium des schöpferischen Denkens ins Werk gesetzt werden sollte.“ Roudinesco 1996, 470. 1136 Ebd. 569 und „III Psychoanalyse auf dem Nullpunkt“, 567-587. 1137 Schneiderman 1983, 133 f., zitiert nach Roudinesco 1996, 571 f. In diesem Zitat lässt sich auch ein gewisser masochistischer suspense erkennen, der sich im Effekt „der Kürze der Sitzungen und der Unvorhersehbarkeit ihres Endes“ ereignet. 341 Ausfüllen von noch vakanten Stellen in diesem straff organisierten und mechanisch gesteuerten System kopulierender Körper: die Vermeidung von Leerstellen bzw. unbearbeiteten Körperöffnungen; etwas, das mit der panischen Angst vor Lust-/ Machtverlust des Libertins zusammenhängt. Auch und gerade im masochistischen Fetischspiel sind zweck- bzw. zielorientierte Vereinfachungen, Verkürzungen und Reduktionen am Werk,1138 die sich, wie es sich für technische Anwendungen und Problemstellungen gehört, stets – wie Adam Smith im 18. Jahrhundert bereits erkannte – um die einfachste Lösung bemühen,1139 welche meist die beste und eleganteste ist. Somit kann der Zweck, die Effektivität, die Bedienbarkeit und das Design der Maschine optimiert werden: eine messbare Qualitäts- und Leistungssteigerung, die letztendlich auf Wunschmaschinen-Mehr-Lust zielt und gleichsam zur Nachahmung (im SM und anderswo) anregt – ein Askese-Begehren. Die Libido nimmt in derartigen Ökonomien, medialen Systemräumen, immer den kürzesten (Flucht-)Weg, dort entlang, wo der Widerstand für sie am geringsten ist, und wo der Masochist sie prothesentechnisch (bzw. der Prothesentheoretiker sie masochistisch) zu halten versucht. Dem (unbewussten) Verlauf dieses Fluchtweges (bzw. dieser Wege oder Spuren) versucht Sade, wie gesagt, im Gegensatz zu Sacher- Masoch oder Kapp nicht in der Medialität des Symbolischen, sondern direkt im Realen des Fleisches zu folgen bzw. nachzuspüren. Am Ende der 120 Tage macht sich Sade erst gar nicht mehr die Arbeit, noch ausführlich über Art und Weise des Lustmordes zu berichten, sondern setzt auf sprachlichen Kurzschluss, sodass nur noch Täter und Opfer(zahl) kurz erwähnt werden. Die Tötungsmaschinerie läuft dann auf Hochtouren, und zwar so lange, bis alle in diesem vollautomatisierten bzw. vollschlüssigen Gewaltexzess „abgefertigt“ sind: Libertine ex machina, deren Bilanz 1138 In Bezug auf den Platonismus sieht Deleuze in der Masochschen Technik, „eine ganze Technik dialektischer Umkehrung, Verschiebung, Verkappung und Verdoppelung“. Vgl. Deleuze 1980, 178. 1139 „Smith folgt der Hypothese, dass die ersten Maschinen, die erfunden wurden, in ihren (Bewegungs- und Verbindungs-) Prinzipien äußerst umständlich und vielheitlich waren, so dass zuweilen ein partikuläres Prinzip für jede partikuläre Bewegung vonnöten war. Spätere Maschinen wurden immer einfacher und produzierten ihre Effekte mit immer weniger Hilfsmitteln und Prinzipien. Einen solchen Vereinfachungsprozess als Tendenz, mit immer weniger Prinzipien auszukommen, glaubt Smith auch in der Geschichte der wissenschaftlichen Systeme beobachten zu können; damit formulierte er zugleich sein eigenes methodologisches Leitbild.“ Kalisch 2006, 332. 342 der Marquis als Todesstatistik genau dokumentiert.1140 Auch im Verlauf der Novelle Venus im Pelz nehmen Härte der Strafen bzw. Frequenz der Peitschenhiebe stetig zu – bis zum showdown des Masochisten, dem Kurzschluss bzw. Totalabsturz fetischistisch organisierter Libido. Dieses im doppelten Sinne tödliche Durchdrehen der Wunschmaschinen, ein fatales Irregehen, ist genau die Seite und Gefahr, die Ernst Kapp in seiner Konzeption des technisch ausgestatteten, unbewussten Subjekts im 19. Jahrhunderts nicht berücksichtigt.1141 Im Hinblick auf Lacans ‚AnalysantInnen-Abfertigung’ (in beschleunigten Kurzsitzungen) rechnet Elisabeth Roudinesco nach, dass Lacan „von 1970 bis 1980 [...] im Durchschnitt zehn Patienten in der Stunde [empfing], bei einem Durchschnitt von etwa zwanzig Arbeitstagen im Monat, auf der Basis von acht Stunden Analyse pro Tag und zehn Monaten im Jahr. Er verdiente also dank der Psychoanalyse ungefähr vier Millionen Francs jährlich, wenn man davon ausgeht, daß der Preis für eine Analyse zwischen 100 und 500 Francs und der für eine Kontrollsitzung zwischen 300 und 500 Francs schwankte. [...] Was das Geld betraf, wurde Lacan im Laufe der Jahre immer gieriger und zeigte sich geizig und verschwenderisch zugleich. Er legte auch eine gewisse Zuneigung zum Gold an den Tag und begann schließlich, Goldbarren zu sammeln. Am Ende seines Lebens war er Inhaber von vier Bankkonten.“1142 Neben Immobilien besaß er Luxuskarossen, auch aus deutscher Produktion, die er gern mit überhöhter Geschwindigkeit fuhr. Lacan war in den 1970er Jahren in Frankreich eine Berühmtheit – ein Star (mit gelegentlichen Fernseh- und Radiointerviews). Es war chic und meist nicht billig, eine 1140 Vgl. Sade 1972, 203: „Der 1. März[.] Man bemerkt, daß der Schnee noch nicht ganz geschmolzen ist und entschließt sich, alle, die noch übriggeblieben sind, von Fall zu Fall abzufertigen.“ 1141 „Hervor aus Werkzeugen und Maschinen, die er geschaffen, aus den Lettern, die er erdacht, tritt der Mensch, der Deus ex Machina, Sich Selbst gegenüber!” – So der Schluss in Kapps Mensch-Maschinen- Philosophie von 1877. Kapp 1978, 351. 1142 Roudinesco 1996, 587. Warum es Sinn macht, einen angemessenen Preis für eine Psychoanalyse selbst zu bezahlen, erläutert Edith Seifert im Interview mit Iris Hanika in: Dieselben 2006, 98 ff. 343 Analyse bei Jacques Lacan, 5 rue de Lille,1143 zu machen. Ein Analytiker-Kollege Lacans, Jean Guy Godin, der beim Meister in Kur war und zudem noch zu Kontrollsitzungen erschien, sah dies als eine durchaus rentable Investition an: „Für jeden von uns war Lacan eine Gesellschaft, eine Aktiengesellschaft, an der wir jeder einen Anteil besaßen; um so mehr, als zu Anfang der siebziger Jahre ihr Kurs nicht aufhören wollte zu steigen. Doch gehörte er uns nicht wirklich, auch wenn wir die Illusion hatten, einen Anteil davon zu bezahlen, uns ein Stück davon zu kaufen, und fürs erste gab uns diese Aktie ein Anspruchsrecht; was Dividenden betraf, so würden sie – wenn es sie denn gäbe – später, viel später kommen.“1144 Auch wenn gewisse Ähnlichkeiten zwischen kapitalistischer Mehr-Wert- und psychoanalytischer bzw. sadomasochistischer Mehr-Lust-Logik bzw. -Logistik hier hervorstechen,1145 so geht der Vergleich Lacan – Sade, wie ihn Costariadis zieht, nicht auf – er hinkt. Denn Lacans PatientInnen und AnhängerInnen kamen stets freiwillig zu ihm; das ist der Unterschied. Ein Sadescher Libertin würde – wie Deleuze hervorhebt – nie jemanden akzeptieren, der/die sich ihm freiwillig, das heißt aus eigener Lust heraus für seine Zwecke anböte.1146 Der Libertin braucht ausgewähltes ‚Körpermaterial’, verfügbare Opfer, die Widerstand aus Todesangst leisten (bis dieser schließlich gebrochen ist und sich der Körper reibungslos in die Todesmaschinerie oder das -Dispositiv einfügt). Darin liegt die durch und durch perverse Lust des Libertins. Und dennoch – so möchte ich behaupten – gehört Lacan zu den wenigen Persönlichkeiten nach Sade, die es zumindest im Zusammenhang der Freiheit bzw. Umsetzung ihres Begehrens (indem es imaginiert, ausgesprochen und zumindest in diesem Sinne auch ein Stück weit gelebt werden kann) geistig mit dem Marquis aufnehmen können. Es geht beiden um die maximale Ausnutzung des individuellen Begehrensspielraums, ein Wissen im plus-de-jouir, den/das sie mit Ernst und Strenge, 1143 So der Titel eines Buches von Jean Guy Godin, der zu den ersten Berichten über Lacans Analyse- Praxis zählt. Vgl. ebd. 573. 1144 Zitat von Godin, in: Ders. 1990, 155; zitiert nach Roudinesco 1996, 574. 1145 Vgl. zum Verhältnis von Marx’ kapitalistischer Mehr-Wert- und Lacans psychoanalytischer Mehr- Lust-Theorie: Lacan 1988, 37. 1146 Vgl. Deleuze 1980, 193 f.: „Aber ebensowenig wird ein Masochist sich einen wirklich sadistischen Henker suchen.“ 344 aber auch mit reichlich Humor und Sprachwitz, verfolgen.1147 Lacan hat in dieser Hinsicht durchaus vergleichbare ‚libertine’ Qualitäten entwickelt, die sich jedoch im kybernetischen Zeitalter anders ausprägen als in Sades Fantasie im Zeitalter der Uhrwerke und Automaten. Lacan hatte zwar auch Geliebte unter seinen Analysantinnen, doch gebrauchte er „[n]iemals […] die Couch, um das Verbot der Sexualität zu übertreten; niemals zwang er jemanden noch drohte er jemanden; niemals suchte er eine Anerkennung oder einen Titel gegen eine Gunst einzutauschen; und schließlich nötigte er niemals jemanden, ihn zu bezahlen. Lacan war ein Verführer und kein Diktator; er regierte durch das Wort und gemäß der Kunst der freiwilligen Knechtschaft, niemals durch Manipulation, Betrug oder Korruption.“1148 Über Kontrollsitzungen bei Lacan schreibt der Psychoanalytiker und Schriftsteller Claude Halmos: „Er zwang den anderen, sich nicht um seine Einzigartigkeit herumzudrücken,1149 und war gleichzeitig streng in den Grundsätzen. Man konnte alles tun und alles sagen unter der Bedingung, daß man mit dem Patienten eine symbolische Distanz aufrechterhielt: zum Beispiel akzeptierte er nicht, daß man in der Kur zu einem Patienten von sich sprach.“1150 Ein beachtliches, sehr aussagekräftiges Zeugnis über Lacans späte Analysetätigkeit liefert Houda Aumont, eine junge Studentin, die in der zweiten Hälfte der 1970er 1147 Allerdings irrt sich Lacan gehörig, wenn er behauptet, dass Sade das „Gespür“, der „Sinn für Komik“ fehle. (Vgl. Lacan 1986 [b], 155.) Stefan Zweifel und Michael Pfister betonen diesen Sinn bei Sade nachdrücklich, indem sie seine raffinierten, satirischen Wortspiele wiedergeben und ausführen. (Vgl. Zweifel und Pfister 2001, 21 ff.) Auch Lacan hat derartige Wortspiele in seinem Seminar Le sinthome (1975-76) präsentiert; auch wenn er im Gegensatz zu Sade dabei nicht obszön wurde. Vgl. Roudinesco 1996, 548. 1148 Ebd, 570. 1149 „Der Wunsch nach ‚irreduzible[r] Autonomie als Individuum’ ist untrennbar vom modernen Menschen.“ M. Butler 2007, 195; Zitat darin von Lacan 1997, 158. 1150 Roudinesco 1996, 583; Zitat von Claude Halmos, der zwischen 1974 und 1979 eine Kontrollanalyse bei Lacan machte. 345 Jahre zu ihm kam: „Während der Jahre hatte ich den Eindruck, ‚verzaubert’ zu sein, doch Lacan machte nicht auf Guru und brachte in seine Praxis keine Magie ins Spiel. Er verfügte über ein fantastisches Hören, eine humane Herangehensweise voller Takt; ich habe den Eindruck gehabt, dass er mein Leiden verstand und dass er sich nicht über mich lustig machte.“ Allerdings sind „dann im Herbst 1978 die Dinge ins Kippen geraten. [...] Lacan ließ alle Tage Patienten kommen und setzte manche von ihnen gewaltsam vor die Tür. Manchmal geriet er in eine schreckliche Wut und schlug mit den Fäusten um sich. Er zeigte ‚sham-rages’, ‚Scheinwutausbrüche’, ähnlich den ‚colères de lion’. Dann wieder ertrug Lacan mein Schweigen nicht mehr. Während ich ausgestreckt dalag, stürzte er sich mit seiner Wutmaske auf mich und zog mich an den Haaren: ‚Sie werden jetzt sprechen!’ rief er. Ich war geschockt und musste mich gegen den Angriff verteidigen. Am selben Abend rief er mich an, um seine Handlungen zu entschuldigen, und bestand darauf, dass ich weiter zu meinen Sitzungen komme.“1151 ‚Herr und Meister’-Habitus Sicherlich haben Lacans Inszenierungen als absoluter Herr und Meister (gerade wenn er dozierte, jedoch so gut wie nie in seinen Analysesitzungen [von seiner Spätphase einmal abgesehen]) für Unmut und Verwirrung gesorgt, zumal seit der zweiten Hälfte der 1960er Jahre autoritäre Vaterfiguren in der gesellschaftlichen, akademischen oder künstlerischen Kritik standen. „Es gibt keine ‚Meister’; es gibt nur Herrschende, Ausbeuter, Manipulateure. Und der Diskurs über den Diskurs des Meisters gehört zu ihren Schlichen. [...] Der Meister ist immer nur ein Schaumschläger.“1152 Der rasante Autokrat Lacan, seine „ständige[] narzißtische[] Komödie“,1153 wirkte da wie ein 1151 Vgl. Ebd. 581. 1152 Castoriadis 1983, 63. 1153 Ebd. 64. Allerdings hält Castoriadis seine ‚gepfefferte’ Lacan-Kritik selbst für ein „eitles Thema“. (Vgl. ebd. 59.) Höhepunkt der narzisstischen Selbstverkennung Lacans scheint eine Vortrags-Reise in die USA (u. a. an das MIT [Massachusetts Institute of Technology]) im Jahr 1973 zu sein. Da Lacan zu dieser Zeit in Frankreich bereits eine Berühmtheit war, glaubte er, dass dies in den USA ebenso der Fall sein würde, obwohl ihn dort nur eine überschaubare Zahl interessierter AkademikerInnen kannte. So reihte sich während dieses Aufenthalts, wie Roudinesco mit ihrem Gespür für Lacans 346 Relikt aus vergangener Zeit, bot sich aber auch als Projektionsfläche für zahlreiche Fantasien an. In den ersten literarischen Dokumenten, die seit den 1970er Jahren entstanden – teils fiktiv, teils biografisch angelegt –, wurde Lacan u. a. als impotenter „Großwesir“, der zugleich „dem Marquis de Sade, Cagliostro und dem Père Grandet“ ähnelte,1154 oder (etwas weniger dramatisch) als „Meister des Zen“ gezeichnet.1155 Lacan selbst rechtfertigt sein gewöhnungsbedürftiges Auftreten als maître mit der Psychose: „‚[Diese] ist der Versuch einer Strenge’ [„père-sévère“ (Anmerkung S. P.)],1156 erklärte er, ‚in diesem Sinne würde ich sagen, daß ich psychotisch bin aus dem einzigen Grunde, weil ich stets versucht habe, streng zu sein.’“1157 Dieses Zitat ist ein ehrliches Schizo-Bekenntnis Lacans. Darin artikuliert sich sein Begehren, die imaginär oszillierende Wechselwirkung zwischen Strenge und Psychose, die er im Sprechen und in der Selbstinszenierung lustvoll umsetzt. Von daher ist Castoriadis’ Behauptung, dass sich Lacan und Lacanianer gegenseitig als „Schutzschild gegen den psychotischen Zusammenbruch“ benutzen, keineswegs falsch. Doch was soll daran verwerflich oder kritikwürdig sein?1158 Castoriadis scheint nicht zu sehen, dass das Wissen und die Praxis der Psychoanalyse u. a. den Zweck Extravaganzen und spleens dokumentiert, eine skurrile Episode an die nächste (was gleichsam Stoff für ein Drehbuch abgeben könnte). Vgl. Roudinesco 1996, 554-560. Vgl. vor allem die tragikomisch anmutende Begegnung zwischen Lacan und Salvador Dalí in New York während dieser Reise (ebd. 557), die auch im Mehr-Lust-Appendix dieser Arbeit unter dem Punkt „Eier popeia“ kurz erwähnt ist. 1154 So der fiktive Bericht von François Weyergans über eine Kur bei Lacan (mit dem Titel Le Pitre [Der Hanswurst]). Vgl. Roudinesco 1996, 571. 1155 So Stuart Schneiderman 1983 (Jacques Lacan. The Death of an Intellectual Hero). Vgl. Roudinesco 1996, 571. 1156 Ebd. 708; Ausführung zu Fußnote 29: „Das Wort ‚père-sévère’ [‚strenger Vater’, aber auch ein Spiel mit persévère, einer Form des Verbs persévérer: ‚Ausdauer besitzen’; ‚nicht aufgeben’ – A. d. Ü.] stammt von Lacan.“ 1157 Vgl. ebd. 555; Zitat von Lacan. 1158 Lacans Einsamkeit in seinem Kampf, die Castoriadis in diesem Zusammenhang als stilisiert und verlogen bezeichnet, muss nicht (wie er es hier darstellt) zwangsläufig wegfallen, wenn man eine große Anhängerschaft hat, öffentliches Ansehen genießt bzw. prominent ist. – Gerade die Schutzschilder, von denen Castoriadis spricht, müssen nicht unbedingt Gemeinschaft stiften, sondern können genauso gut, wie es die Analyse des Masochismus und seiner Medien bisher gezeigt hat, das Gegenteil bewirken, das heißt Einsamkeit und Seinskälte verstärken. 347 erfüllen, sich vor der Übermacht und dem Zugriff des despotischen Anderen, einer technisch (über-)codierten Umwelt, zu schützen, um nicht im Signifikantenchaos bzw. in der Mehrdeutigkeit des Virtuellen zu verschwinden, in der Informationsflut unterzugehen. (Dies ist umso verwunderlicher, als Castoriadis doch fachkundig über Psychoanalyse und auch Technik schreibt.)1159 Lacan hat alle, die in sein Analyse-Laboratorium hinein wollten, zugelassen. Wie in der Sadeschen Orgie wurde niemand ausgeschlossen: „Die Maschine toleriert keinen Einzelgänger, keiner bleibt außerhalb.“1160 Dabei nahm er sich auch schwieriger und schwierigster Fälle an, wie z. B. Selbstmordgefährdete, die andere PsychoanalytikerInnen (meist aus Risikogründen) ablehnten.1161 Lacan hat in dieser Hinsicht nie einen Unterschied gemacht, keinerlei Vorbehalte bzw. Berührungsängste gehabt.1162 Er war als ausgebildeter Psychiater gewohnt, solche PatientInnen zu behandeln und er zeigte großes Interesse an ihnen. Manchmal empfing er seine AnalysantInnen schon um sechs Uhr morgens, „bekleidet mit einem eleganten Morgenmantel und mit schwarzen Pantoffeln an den Füßen“ und ließ ihnen Kaffee und ein gekochtes Ei servieren.1163 Lacan musste früh aufstehen, um den täglichen PatientInnenansturm bewältigen zu können. Er machte keine Termine zur festen Stunde mehr aus und fing an, als Gedächtnisstütze Karteikarten für seine zahlreichen AnalysantInnen bzw. AnhängerInnen anzulegen. Seine Wohnung und Praxis in der 1159 Vgl. den gesamten dritten Teil, „Gesellschaft“, in Durchs Labyrinth, den er mit „Technik“ bzw. technisch liest: Castoriadis 1983, 195-276. 1160 Vgl. Barthes 1986, 174, der hier über den Sadeschen Orgien-Apparat schreibt. Es ist wohl nicht zu leugnen, dass Lacans Psychoanalyse zu einer profitablen Hochleistungsmaschine geworden ist. (Auch wenn diese eben nicht eins zu eins mit Sades Orgie vergleichbar ist.) 1161 Vgl. Roudinesco. 573. 1162 Lacan hat auch im Hinblick auf die sexuelle Identität und Orientierung seiner PatientInnen nie einen Unterschied in dem Sinne gemacht, dass er z. B. Perverse oder Homosexuelle von vornherein ablehnte. Dies muss umso deutlicher betont werden, als in der freudianischen Bewegung Homosexualität nicht nur als Perversion, sondern zudem als soziale Abweichung angesehen wurde. „Lacan beugte sich diesem Konformismus nicht und war bereit, Homosexuelle genauso zu analysieren wie gewöhnliche Patienten, ohne zu versuchen, sie zu normalisieren. Aus diesem Grund hat es auch eine beträchtliche Zahl von ihnen vorgezogen, bei ihm auf der Couch zu liegen.“ Ebd. 338; Roudinesco berichtet hier über die 1950er Jahre. 1163 Vgl. ebd. 542 und 576. 348 Pariser Rue de Lille verwandelte sich, nachdem er die Kurzsitzungen eingeführt hatte, in ein stets gefülltes Wartezimmer, glich „einer Art Asyl, wo zwischen den Kunstzeitschriften, den Büchern und den Sammlungen ein jeder seine Runden drehte.“1164 Auch wenn man sich der Bücher aus Lacans erlesener Bibliothek oder anderer vorgefundener Artefakte bedienen durfte, war dies gewiss nicht immer ein Trost für das mitunter stundenlange Warten auf wenige Minuten Psychoanalyse. Sigmund Freud achtete demgegenüber genau darauf, dass immer nur eine Person im Wartezimmer saß, den seine PatientInnen sollten sich hier nicht begegnen. Mit dieser straffen Organisation, Psychoanalyse auf highspeed-Niveau, hatte Lacan die Trennung zwischen Berufs- und Privatleben aufgehoben. Er schreckte nicht davor zurück, Kuren weiterzuführen, während er seinen Schneider, seine Pediküre oder seinen Friseur zu Hause empfing.1165 Zudem begann er ein sadomasochistisches Spielchen mit seiner Haushaltshilfe Paquita. Sie war Spanierin, ein wenig schwerhörig und phlegmatisch, „und kam mit der seltsamen Atmosphäre in der Rue de Lille sehr gut klar“. Lacan nannte sie „arme Idotin“, brüllte ihren Vornamen und schikanierte sie ständig, je nach Laune, mit kleinen Aufgaben – bis zu ihrer Erschöpfung.1166 Auch wenn diese Erniedrigung nur eine Episode darstellt, offenbart sie dennoch ein Stück weit Lacans schwieriges Verhältnis zu Frauen. Wie Sade und Sacher-Masoch – und wie viele moderne und aufgeklärte Männer – hatte Lacan Angst vor ‚der’ ‚Natur’ ‚der’ Frau, ihrer vermeintlich bedrohlichen Sexualität und 1164 Ebd. 571. Wie sich der architektonische Schnitt dieser Wohnung (deren Durchgang) besonders dazu eignete, als großes Wartezimmer zu fungieren (in dem „ein jeder seine Runden drehte“), beschreibt Roudinesco sehr anschaulich und führt an dieser Stelle sogar Lacans Theorie ins Feld. Vgl. ebd. 575. f. 1165 Vgl. ebd. 576. 1166 Vgl. ebd. Dieses Spiel, gegen das sich Paquita nicht wehrte, erinnert ein wenig an die masochistische Rolle der schweigsamen Sekretärin Marlene (Irm Hermann) in Rainer Werner Fassbinders Filmdrama DIE BITTEREN TRÄNEN DER PETRA VON KANT (1972). Petra von Kant (Margit Carstensen), eine erfolgreiche und vermögende Bremer Modedesignerin, behandelt Marlene wie eine Sklavin, was diese jedoch nicht zu stören scheint. Ein Gegenbild zur stummen Servilität Marlenes und Paquitas sind die quirligen spanischen Haushälterinnen in Philippe Le Guays romantischer (und dennoch nicht anspruchsloser) Komödie NUR FÜR PERSONAL (LES FEMMES DU 6EME ETAGE [2011]). Obwohl die Gastarbeiterinnen ebenfalls von ihren ArbeitgeberInnen ziemlich geknechtet werden, halten sie zusammen und machen das Beste für sich aus ihrer prekären Lage. Der Film spielt in der Pariser Bourgeoisie Ende der 1950er Jahre. 349 geheimnisvollen Macht, was ihn mitunter zu hanebüchenen Aussagen verleitete, die, wenn sie nicht erst gemeint wären, als groteske gender-Satire gelten könnten. (Auf jeden Fall handelt es sich hier einmal mehr um den Neuaufguss uralter Klischeevorstellungen.) Diese vage, nie eingestandene Angst, die in ihrer theoretischen Konsequenz in gewisser Weise an Freuds Rätsel und Mythen über Weiblichkeit anknüpft,1167 ist wohl auch der wesentliche Grund dafür, dass Lacan den Phallus (bzw. dessen Schleier) in seiner Theorie stets überbewertet, strapaziert und schließlich fehldeutet (in diesem Sinne also noch mehr verschleiert),1168 besonders in Hinsicht auf dessen gender-Dimension. Lacans Primat bzw. Fetisch der Vater- Metapher, seine Herr-und-Meister-show-acts, hängen ebenfalls mit dieser nicht untypischen Männer-Angst zusammen; und auch damit, dass er – wie das Zeugnis seiner Tochter Sibylle nahe legt – seiner Rolle als leiblicher Vater nicht gerecht wurde. Er war nicht da, als sie ihn dringend brauchte und um Hilfe bat.1169 1167 Vgl. zu Freuds Gedanken über ‚das Unheimliche des mütterlichen Körpers’ bzw. ‚Rätsel des Weibes’, von denen sich u. a. auch die Surrealisten inspirieren ließen, Bronfen 2001, 113-126. 1168 Vgl. zur „Funktion des Schleiers“ das Kapitel IX in: Lacan 2003, 177-209; darin u. a. Lacans patriarchalisches Begehren bzw. theoretische Verschleierung der Phallus-gender-Problematik: „Diesen Phallus, die Frau hat ihn, symbolisch, nicht.“ (Ebd. 179.) – Männer entgegen der Behauptung Lacans in diesem Abschnitt (vgl. ebd. 179 f.) jedoch ebenfalls nicht, völlig gleich, ob dabei das reale, imaginäre oder symbolische Register gemeint ist. Denn der Phallus ist grundsätzlich das Objekt, „das sich entzieht oder das nur in seinen Ersatzformen existiert, oder kurz und gut: Niemand hat den Phallus.“ (Vgl. Wetzel 1994, 340.) Genau in diesem Sinne ist es ratsam, Abschied von dem zu nehmen, was Lacan zum Thema Phallus und gender imaginiert, fixiert und demnach als Wissen und Wahrheit zu verkaufen versucht. 1169 Vgl. Sibylle Lacan 2001 (Ein Vater. Puzzle). Roudinesco weist darauf hin, dass Lacans Analysen einiger Werke James Joyces mit wichtigen Aspekten seiner eigenen Lebensgeschichte (z. B. sein Ungenügen als Vater) korrelieren. (Vgl. das Seminar Le sinthome [1975-76], das sich als Kommentar zu Leben und Literatur von Joyce versteht.) Lacan schloss u. a., dass „der Name-des-Vaters aus dem Joyceschen Diskurs verworfen wurde und daß Joyce, um diesem Mangel abzuhelfen, den grimmigen Willen gehabt habe, sich ‚einen Namen zu machen’, das heißt seinen Namen der Nachwelt zu hinterlassen und so die ‚Universitätsleute’ dazu zu zwingen, ‚während dreier Jahrhunderte über ihn zu schreiben’: ‚Ist nicht das Joycesche Begehren, ein Künstler zu sein, der die ganze Welt beschäftigen würde [...] genau das Kompensationsmittel dafür, dass sein Vater niemals für ihn ein Vater gewesen ist?’“ (Roudinecso 1996, 550; Zitat darin von Lacan in der Seminarsitzung vom 10.2.1976.) – Ist dies nicht auch, aus gleichem Grund, das Begehren Lacans? Nicht nur die eigene Vaterrolle spielt in diese Deutung hinein, sondern auch Lacans gestörtes Verhältnis zu seinem leiblichen Vater, dem katholischen Weinessighändler Alfred Lacan. Vgl. Roudinesco 1996, 548 ff. 350 Lacan „empfand [...] gegen Ende seines Lebens immer noch denselben Haß auf die Mütter und die dieselbe Faszination für die verrückten und mystischen Frauen. [...] Lacan gab seit seiner Begegnung mit Bataille und seiner Lektüre von Madame Edwarda dem Geschlecht der Frau theoretisch Gestalt als einem Ort des Schreckens, einem klaffenden Loch, einem mit einer extremen Oralität und einem unkenntlichen Wesen ausgestatteten ‚Ding’: ein Reales, eine Heterologie. [...] ‚Ein großes Krokodil, in dessen Mund Sie sich befinden – das ist die Mutter. Man weiß nicht, was dazu führen kann, daß es plötzlich sein Maul zumacht. Das ist das Begehren der Mutter.’ Und endlich sollte er sich nie wieder derart massiv ausdrücken als anläßlich eines Kommentars zur Biographie Lytton Stracheys, indem er die Gestalt der Königin Viktoria mit einer ungeheuren vagina dentata verglich“.1170 Von daher wundert es auch nicht, dass Lacan der heimliche Besitzer von Gustave Courbets kleinem Meisterwerk L’Origine du monde aus dem Jahr 1866 war. (Courbets Gemälde zeigt die naturalistische, von der Fotografie inspirierte Darstellung eines weiblichen Unterleibs, ein Körperausschnitt fast in Lebensgröße, vergleichbar mit einem liegenden Torso, umhüllt von Seidenartigem Tuch. Der Kopf ist im Bildausschnitt nicht mehr zu sehen. [Bis heute wird darüber spekuliert, wer für diesen Akt Modell stand.] Die gespreizten Beine lenken den Blick direkt auf die dunkel behaarte, quasi in Nahaufnahme gezeigte Geschlechtsöffnung: das Zentrum des Bildes.) Lacan hatte es 1955 aus Privatbesitz erworben und in seinem Landhaus unter Verschluss gehalten. Mit Hilfe eines Doppelrahmens wurde es durch ein Landschaftsgemälde André Massons, des Stiefbruders Lacans, getarnt. Lacan lüftete den Massonschen ‚Schleier’, der ebenfalls L’Origine du monde hieß, nur selten und redete „entgegen seiner sonstigen Lust an Bildlektüren“ nie über Courbets bedeutsames Werk. Heute kann man dieses millionenschwere ‚Skandalbild’ (eine Entblößung des phallisch-heterosexuell-männlichen bzw. masochistischen Blickregimes des 19. Jahrhunderts, die, wie Linda Hentschel argumentiert, 1170 Vgl. Roudinesco 1996, 545 f.; Zitat von Lacan. Hartmut Böhme konstatiert, dass „die phallischen Mythen Lacans eine Überlebenserzählung [sind], welche Schutz vor der unheimlichen Umfassung des Mütterlichen bieten und die ‚Aufrichtung’ einer Gegenmacht darstellen soll“. (Ebd. 459 f.) Solche androzentrischen und äußerst problematischen (Phallus-/ Fetisch-)Lesarten, geschlechterdualistische Deutungen der Psychoanalyse, reichen mitunter bis in die Gegenwart. Vgl. ebd. 456 („9. 1 Das Ungenügen der Psychoanalyse“). 351 ‚Penetration des Bildes durch den Betrachterblick’ [ein kastrativer Blick, der Frauenkörper verkürzt]) öffentlich und unverschleiert – jedoch hinter Panzerglas – im Musée d’Orsay bewundern.1171 Lacan hat sich in seinem Spätwerk vor allem dem Realen zugewandt und versuchte es mit seiner methodischen Distinktion RSI, dem Borromäischen Knoten, neu zu erkunden und zu denken, indem er mit Ringen, Knoten und anderen Topologien operierte bzw. buchstäblich bastelte. Er versuchte mit aller Kraft, die absolute Differenz des/im Unbewussten zu formalisieren. Es ging ihm dabei um den „Glanz des Seins“, das sogenannte Joycesche „sinthome“, um eine Theorie der Epiphanie und Ekstase, die „Suche nach einer von Zeit und Geschichte befreiten Logik; dem Willen, an ein mehr oder weniger unmögliches ‚Reales’ zu rühren, und schließlich der Faszination für die Frage des Genießens, assimiliert einem ‚japanischen Ding’, einer mystischen Schwärmerei, einer ‚Litteralität’ und, am Ende, einer Perversion – geschrieben: père-version [Vater-Version; Vater-Werdung]“.1172 Wegdämmern am Planeten Borromeo Lacan war dabei sozusagen auf der Umlaufbahn des Planeten Borromeo hängengeblieben, er drehte sich dort nur noch um sich selbst – bis zu seinem Tod 1981. Die Dinge entglitten zusehends. So fand die Analyse nicht mehr nur im Kabinett des Doktors statt, sondern weitete sich auf andere Räume aus. „Zunächst in den verschiedenen Zimmern des Hauses, dann im Seminar, schließlich im Café Les Deux Magots, wo sich die AnalysantInnen wiedertrafen, um den Inhalt oder das Fehlen von Inhalt ihrer Sitzungen zu kommentieren und sich mitunter in abenteuerlichen Deutungen der Gesten und Worte des Meisters zu ergehen.“1173 Trotz Lacans zunehmenden Ausrutschern, Ausfällen und Absenzen, die in engem Zusammenhang mit seiner Altersschwäche standen, schaffte er es dennoch, die 1171 Hentschel 2001, 20 ff.; Zitate ebd. und vgl. die arte-Sendung Die Enthüllung vom 12.9.2010 (Erstausstrahlung im September 2006) unter der Regie von Rudij Bergmann in der Dokureihe „Nackt ist die Kunst“. 1172 Roudinesco 1996, 549. 1173 Ebd. 577. 352 Gemeinschaft seiner AnhängerInnen zusammenzuschweißen, mitunter durch seine bloße körperliche Anwesenheit.1174 Allerdings hatte er (und anscheinend auch sein ihm nahestehendes Personenumfeld) dabei eben nicht bemerkt, dass das Maß des Erträglichen längst überschritten war, dass es für ihn höchste Zeit war, aufzuhören und loszulassen. Vielleicht wagte man es einfach nicht, dies Lacan ehrlich mitzuteilen. Und so passierte schließlich das, was in einer Analyse nach Freud und Lacan nicht passieren darf: „In dem Maße, wie Lacan ins unendliche Zeigen des Planeten Boromeo wegdämmerte, setzte er eine phantastische Auflösung der Zeit der Sitzung in die Tat um. Erstmals in der Geschichte der Psychoanalyse wagte es ein genialer, mit einem klinischen Sinn sondergleichen begabter Denker, das große technische Prinzip, auf dem das gesamte, von Freud errichtete Gebäude der Übertragung beruhte, auf ein Häufchen Asche zu reduzieren. Und diese Geste wurde von Lacan im Namen einer gegen die Wissenschaft gerichteten Herausforderung vollzogen. Innerhalb weniger Jahre formte er in der Tat mit bestimmten Patienten die Kurzsitzung in eine Nicht- Sitzung um. Der Übergang zu einem Nullgrad der Sitzung ging mit der faustischen Versuchung des Mathems und der Knoten einher. Nicht nur, dass Lacan stumm blieb, während er zunehmend seine Flechten und seine Ringe exponierte, sondern es ging bei ihm ein Hören des wirklichen Sprechens seiner Analysanten verloren. Er hörte nicht mehr in ihnen und in sich selbst die Realität des Sprechens, sondern suchte eine Grundsprache der Psychose, ähnlich der von Schreber in seinen Denkwürdigkeiten beschriebenen, zu vernehmen: eine Sprache des Mathems, fähig, den aleatorischen Charakter eines jeden Sprechens auf nichts zu reduzieren. Die Nicht-Sitzung war das Symptom dieser Suche: im Unterschied zur Kurzsitzung gestattete sie dem Patienten, weder zu sprechen – dazu hatte er nicht die Zeit – noch nicht zu sprechen, da er keine Zeit zu verlieren hatte. [...] Noch heute hält die Mehrzahl derer, die an dieser Höllenfahrt teilhatten, die Fiktion einer minimalen Dauer aufrecht.“1175 1174 Roudinesco redet von einer sich langsam entwickelnden, ungenannt gelassenen Pathologie, die Lacan aber nie völlig um seinen klaren Verstand gebracht hatte. Vgl. ebd. 589. 1175 Vgl. Roudinesco 1996, 586 f. „Zum Schluß, gegen Ende jeder Vorstellung, gegen Ende eines Lebens und am Ende der Bahn, wie Lacan und Benn sagen, à bout de course, und, wenn man es aushält, au bout de la nuit, kann es zu einer Beschleunigung der bisherigen Bewegungsform kommen, zu einer Unregelmäßigkeit der Atmung, einer Unterbrechung der bis dahin verbindlichen Rhythmik 353 In diesen bedauerlichen Fällen wurden die Leerstellen im Imaginären nicht mehr zum Laufen gebracht, sie wurden nicht mehr im Namen des individuellen Begehrens aufgerufen, artikuliert und gehalten. Stattdessen bewegten sich diese fatalen Nicht- Sitzungen sozusagen auf jenes bereits erwähnte Symbol zu, mit dem Sades Tagebuchaufzeichnungen enden, ein durchgestrichener Kreis, O, der als Auslöschung der für das Unbewusste konstitutiven Leer-/ Nullstelle gelesen werden kann (und zudem Lacans bzw. Lacansche Formalsprache bzw. Algebra antizipiert).1176 Das Ende einer Freud-Lacanschen Analyse bestand zwar immer schon in imaginären Auflösungserscheinungen bzw. im Abbau und in der gleichzeitigen Transformation von fixierten bzw. libidohemmenden (Ich-)Idealbildern, doch diese notwendigen Prozesse wurden eben symbolisch, mit Hilfe der talking cure, getragen – jenes mediale Steuerungsprinzip, être parlant, das beim späten Lacan dysfunktional wurde und ausblieb. Die wahrscheinlich wichtigste psychoanalytische Regel, die symbolische Distanz und Spannung, die Gewalt des Signifikanten im Unbewussten, zwischen AnalysantIn und AnalytikerIn stets (offen) zu halten (die ebenfalls im klassischen Maso-Dispositiv zu erkennen ist und von den AkteurInnen befolgt wird), wurde von Lacan in seiner letzten Lebensphase demnach gebrochen. – Jene Regel, die er selbst entscheidend geprägt und sein Leben lang – gegen alle Widerstände und Missbräuche – im Namen Freuds zu Recht verteidigt hat. Das Resultat waren dann unbeherrschbare a-Wirkungen, Höllenfahrten mit Lacan. – „Laxheit, Ermüdbarkeit, Aneurie und depressive Verdunkelung beherrschen das Finale illustrer Begierden“.1177 Und der Tod. Jacques Lacan stirbt am 9. September 1981 in einem Pariser Krankenhaus an den Folgen einer Darmkrebsoperation. (einer Art von coupure esthétique), des Lebenstils, zu einem vielleicht unmerklichen, aber effizienten Innehalten, das die plötzliche Entladung der letzten Reserven beschließt. Das ist der Augenblick der katastrophé.“ Steinweg 2001, 31. 1176 Es handelt sich hier auch um das Zeichen, welches den symbolischen Tod des (imaginären) Ich markiert – ein letztes Zeichen im menschlichen Lebenszyklus, „bevor das Reale alles überfegt“ (Bitsch 2001, Klappentext): „Und dann, wenn alle Morphine verzehrt, wenn alle Tremolos verzittert, ‚wenn es nur noch Mangel gibt, fällt der Andere, und der Signifikant ist der Signifikant seines Todes.’“ Bitsch 2001, 225; Zitat von Lacan 1996, 233. 1177 Bitsch 2001, 97. 354 „Vor der Operation beschwerte sich Lacan noch über die Spritzen und legte eine starke Reizbarkeit gegenüber den Schwestern an den Tag. Danach schien er sich innerhalb weniger Tage bestens zu erholen. Doch plötzlich brach die mechanische Vernähung und rief eine Bauchfellentzündung hervor, an die sich eine Blutvergiftung anschloß. Die Schmerzen waren schrecklich. Wie Max Schur am Krankenbett von Freud traf der Arzt die Entscheidung, die für den sanften Tod erforderliche Droge zu verabreichen. Im letzten Augenblick warf Lacan ihm einen vernichtenden Blick zu. [...] Er hatte noch die Zeit, diese Worte zu sprechen: ‚Ich bin hartnäckig [...]. Ich sterbe.’“1178 1178 Roudinesco 1996, 600. 355 TEIL 2 SM-KINO – CRASH TEST DER MEDIEN ([1983] 2000-2012) Der Perverse wieder nimmt das Artefakt beim Wort: ihr wollt sie und ihr werdet sie bekommen … künstlichere Territorialitäten noch als alle uns von der Gesellschaft angebotenen, unendlich künstliche neue Familien, geheimnisvolle, wunderliche Gesellschaften. Endlich der Schizo, der stets taumelnd, strauchelnd, unaufhörlich wandernd, sich verirrend immer tiefer in die Deterritorialisierung, auf seinen organlosen Körper in die unendliche Dekomposition des Sozius sich versenkt: vielleicht wird diese ihm eigentümliche Weise, das Umherschweifen des Schizo, ihn die Erde wiederfinden lassen. Gilles Deleuze und Félix Guattari Was auf dem Feld des Unbewußten alle darin auftauchenden Vorstellungen auf seine Kraftlinien ausrichtet, ist eben dieser über alle Wünsche herrschende Wunsch nach vollkommener Vereinigung, Abschaffung aller Unterschiede und Entfernungen – ein Begehren, das sich vor allem darin äußert, daß es Unterschied und Entfernung ignoriert. Cornelius Castoriadis SM und Fantasma VIDEODROME (Kanada 1983; Regie: David Cronenberg) Welcome to the Pleasuredome Frankie Goes To Hollywood (1984) Give me light give me action at the touch of a button. Flying through hyper-space in a computer interface. Stop - living on video stop - integrated circuits. Stop - sur un faisceau de lumières stop - is this reality? Trans X. Living on Video (1981) Die Irrealität ist hier nicht mehr die des Traumes oder Phantasmas, eines Diesseits oder Jenseits, es ist die einer halluzinierenden Ähnlichkeit des Realen mit sich selbst. Jean Baudrillard Video is a bastard medium, however narrowly defined. Sean Cubitt A Film like Videodrome, which deals specifically with sadomasochism, violence and torture, is naturally going to have a lot of nervous systems on edge. David Cronenberg 357 Von Schrebers SM-Seite oder die Despotismen des Reellen Exposition Leopold von Sacher-Masochs Novelle Venus im Pelz (1869) beginnt mit zwei Bildern im Stile klassischer Malerei, die den Topos der grausamen Frau wiedergeben (die „im rothen Widerschein des Kaminfeuers einen unbeschreiblichen Eindruck machte“).1179 Wo der Masochist dieses Bildmaterial dazu verwendet, es auf eine reale weibliche Person zu projizieren, um sie dann gemäß dieser Vorlagen zur geliebten Despotin zu erziehen, zeigt der Anfang von VIDEODROME (1983) demgegenüber Videobilder im bzw. als Film, die bereits ein masochistisches Szenario aufgezeichnet wiedergeben: Bridey James (Julie Khaner), die Assistentin des Fernsehproduzenten Max Renn (James Wood), übermittelt ihm eine gesprochene Botschaft auf Video. Es ist der Versuch einer Selbstpräsentation, die sie quasi zum personifizierten Wecker und Terminkalender ihres Vorgesetzten macht: „Max, es ist leider wieder Zeit, ich muss Dich langsam und schmerzvoll aus Deiner Bewusstlosigkeit herauslocken. Nein – ich bin keine Traumfee, obwohl man sagt, dass ich eine wunderschöne Vision sei. [Aus dem off ist an dieser Stelle eine Männerstimme zu hören, die spöttisch dazwischen ruft: ‚Wer soll denn das gesagt 1179 Vgl. Sacher-Masoch 2003, 11. 358 haben?’] [kurze Pause] Ich bin nur Deine Dir sklavisch ergebene Dienerin Bridey James, die dich aufweckt am heutigen Tag, welcher Mittwoch, der 23. ist. Hast Du gehört? [laut werdend] Mittwoch ist heute und zwar der 23.! [Sie zählt seine Geschäftstermine auf.] Over and out, Commander!“ Obwohl diese Szene oberflächlich betrachtet sehr masochistisch anmutet, übernimmt Bridey hier einen sadistischen Part, scheint es ihr doch Spaß zu machen, Max auf diese sehr ungewöhnliche Weise – ‚langsam und schmerzvoll’ – aufzuwecken und ihn auf den bevorstehenden Arbeits(all)tag einzustimmen. (Für Max ist die Aktion tatsächlich unangenehm, wie seinem leisen Stöhnen beim Aufwachen zu entnehmen ist. Er dreht sich noch einmal kurz um.) Bridey bringt ihm die Weckruf-Videos sogar persönlich nach Hause und legt sie in seinen Videorekorder ein. So erschließt sie sich hier einen kleinen sadistischen Spielraum; ein Vorgang, der sich tagtäglich in Max’ Privatsphäre zu wiederholen scheint. Dieser ermöglicht es, ihr Begehren, eine Traumfee und ‚grausame Frau’ zu sein (?), geschickt zu tarnen, geht es doch vordergründig um Max’ Geschäftstermine und um das Wohl seiner Firma Civic TV (und damit auch um ihr eigenes). Sie adressiert also einen Anderen,1180 für den dieses bizarre Weckruf-Spielchen aufgeführt wird (und der dieses unbewusst steuert). Damit erfüllt sie ein wesentliches Strukturmerkmal der Perversion, wie es bereits für Sades und Sacher-Masochs Imagination bzw. Inszenierungen zutraf. Doch im Gegensatz zum klassischen SM-Begehren hat diese Szene weniger libidinösen als funktionalen Wert, was auch an Brideys leicht genervtem und nicht ironiefreiem Tonfall zu erkennen ist: eine Arbeitsroutine. Der eigentliche Effekt (das ‚Live’-Erlebnis, das ‚Dran-Sein’ am Geschehen), um den es dem oder der Perversen in erster Linie geht (in diesem Fall: wie Max auf die Botschaft reagiert), bleibt ihr jedoch verschlossen, 1180 Vor Brideys ‚Auftritt’ wird dieses Andere namens VIDEODROME eingeführt: „Gleich das erste Bild [nachdem der orangefarbene Titel Videodrome (verzerrt) eingeblendet wurde (Anmerkung S. P.)] scheint von einer rauschenden ‚Sendestörung’ betroffen zu sein, das Bild flackert. Es wird abgelöst von einem farbigen Schriftzug auf schwarzem Untergrund, der sich gleich in vielfarbigen Variationen auffaltet: ‚Civic TV’. Darunter leuchtet in orange-gelber Schrift ‚Channel 83, Cable 12’.“ (Heller 2004, 155.) Es geht also um optische Verzerrungen bzw. Sendestörungen, Videobilder (in einer noch nicht näher bestimmten Arena, einem ‚Video-Dom’) und die (noch nicht näher bekannten) schillernden Facetten des kommerziellen Privatfernsehens. Der Rahmen ist somit gesetzt. 359 ist sie doch nur virtuell anwesend: als programmierte Video-Aufzeichnung im Reellen des Films. Ihr realer Körper ist de facto abwesend.1181 Weitere Unterschiede zu Sades und Sacher-Masochs Ästhetik, in der reale, lebende Körper in ihrer Show-Präsenz unverzichtbar waren, machen sich auch daran bemerkbar, dass die Perversion nicht mehr vom Alltags- und Arbeitsleben – zeitlich und räumlich – getrennt sein muss. Die Medialität, die sie (unbewusst) begründet, ist zumindest in der Materialität, in verschiedenen gadgets, deutlich sichtbar geworden. Sie bewirkt, dass Perversionen trotz oder gerade wegen ihrer praktischen Alltagstauglichkeit und apparativen Sichtbarkeit meist nicht von den AkteurInnen bzw. UserInnen, die sie regelmäßig betreiben, als solche empfunden und bezeichnet werden. (Das haben die neuen Perversionen durchaus mit den alten gemeinsam. Es herrscht nach wie vor dringender Klärungsbedarf.) Zudem ist es nicht mehr die literarische Erzählung (meist in Buchform), die dem abseitigen Begehren einen besonderen Rahmen bzw. ein diskursives Spielfeld gibt, sondern die Bildoberflächen bzw. interfaces audiovisueller (mittlerweile digital vernetzter) Technologien und deren Übertragungs-, Aufzeichnungs- bzw. Speichermöglichkeiten, letztendlich deren elektronische Signalsprache, die den Menschen unterläuft und gleichsam abhängt. Nicht mehr der entlegene, imaginäre und/oder geographische (Wunsch-)Ort im Außen dient als Schauplatz und Bühne für die Inszenierung perverser Lust, sondern u. a. die 1181 Das ist nichts Besonderes, sind doch alle SchauspielerInnenkörper auf dem Film reell-virtuell, d. h. Leinwandgespenster, Doppelgänger-Golems oder einfach verschaltete Subjekte. (Vgl. Kittler 1986, 225.) Walter Benjamin bemerkte mit Rudolf Arnheim bereits in den 1930er Jahren, dass Schauspieler auf dem Film zu Requisiten geworden sind (und so behandelt und eingesetzt werden). (Vgl. Benjamin 1977, 26.) Cronenbergs (Video-)Bild-im-(Film-)Bild-Ästhetik, die u. a. von der Ästhetik Réné Magrittes oder den Skulpturen des Videokünstlers Fabrizio Plessi inspiriert ist (vgl. Gaida 2002, 42 und Riepe 2002 [a], 97 f.), verdeutlich einmal mehr diese Verdinglichung bzw. Medialiät realer Körper, die sich in der Postmoderne auf Video mit anderen (Gestaltungs-)Mitteln fortsetzt. Die technischen Grundlagen für Video, audiovisuelle Informationen auf Magnetband aufzeichnen zu können, wurden bereits in den 1930er Jahren (von AEG-Telefunken) industriell entwickelt. (Vgl. ebd. 87.) Ferner markiert Cronenberg damit auch generell das intermediäre (Differenz- bzw. Spannungs- )Verhältnis zwischen projiziertem Zelluloid bzw. abgetastetem Videomagnetband und der Körperlichkeit der SchauspielerInnen und auch ZuschauerInnen, was auf eine Unterscheidung bzw. Heraus- und Gegenüberstellung zwischen/von medialem Reellen und körperlichem Realen (im analog- digitalen Unbewussten) hinausläuft. 360 eigenen vier Wände und der eigene Körper, was schon im klassischen SM äußerst signifikant ist: die Rückzugsmöglichkeit in den abgeschirmten Privatraum; heute das (häusliche) Alltagsambiente, das technisch entsprechend ausgerüstet ist (oder spätestens in den 1980er Jahren entsprechend ausgerüstet wird).1182 In Brideys Rede, die an „etablierte Präsentationsmodi von Fernsehmoderatoren“1183 erinnert, hat sich eine Fehlleistung eingeschlichen, die jedoch leicht zu überhören ist (und daher den möglichen Sinngehalt nicht wirklich stört).1184 Denn ob der vor dem laufenden Fernseher auf der Couch eingeschlafene Max tatsächlich ‚bewusstlos’ ist, mag dahingestellt sein. – Im Traum bzw. Schlaf ist ja gerade im Normalfall eine erhöhte Bewusstseinsaktivität zu beobachten, die sich hauptsächlich in Übertragungen des Optisch-Unbewussten mitteilt – zumindest wenn der Trauminhalt erinnert (und 1182 Vgl. Diemers 2002, 48. 1183 Heller 2004, 157. Brideys Präsentation offenbart bzw. prophezeit bereits im Jahr 1983 wie heutige Fernsehmoderationen, vor allem in Nachrichten- bzw. Infotainmentformaten, gestaltet werden. (Einführende Programm-Ansagen fehlen heute fast komplett in der ausdifferenzierten [Sparten- ]Fernsehlandschaft. Meistens waren es Frauen, die diesen Job ausübten, bis sie dann ungefähr zum Zeitpunkt der Jahrtausendwende durch Trailer ersetzt wurden.) In den heutigen TV-Moderationen lässt sich eine merkwürdige Mischung aus subjektiver Nähe und objektiver Distanz beobachten. Oft weiß man nicht so genau, ob die Ansagen den Status eines persönlichen Kommentars, einer Meinung oder einer sachlich-nüchternen Botschaft haben (sollen). Nicht selten wird das adressierte Publikum dabei wie ein Kleinkind behandelt bzw. belehrt. Auch Bridey kann sich, nachdem sie in ihrer Rede schon an einer Stelle leicht ausfallend wurde – „der 23.!“ –, eine maßregelnde Bemerkung gegenüber Max nicht ersparen: „Normale Arbeitszeiten sind Dir wohl unbekannt?!“ Obwohl Max von ihren Aktionen sichtlich genervt ist, lässt er diese einfach über sich ergehen. Als seine Assistentin spielt sie hier mehrere Rollen zugleich: Sie ist so etwas wie sein Personal Trainer, sein (schlechtes) Gewissen und vor allem seine Videobotin. Dabei versucht sie ihre noch unterbelichteten sadomasochistischen Gelüste auszuprobieren bzw. zu artikulieren. Sie testet an, wie alle. 1184 In den (verkürzten) Expositionen von Cronenbergs Filmen sind oft (kleine) Fehler, Ungereimtheiten, Widersprüche, Doppeldeutigkeiten etc. zu beobachten; die, wenn sie erkannt werden, Skepsis oder Zweifel in Bezug auf die hier gemachten Aussagen oder Bilder erregen. Dabei kündigt sich ein widerständiges Unbewusstes bzw. Verdrängtes subtil an, dass sich dann im Verlauf der Filmhandlung voll entfalten wird: u. a. als fantastische Verwandlung von Körper und (Selbst- )Wahrnehmung in Form eines unkontrollierbaren body horror. Ein Fehlen und/oder ein Überschuss an Information projiziert sich sozusagen auf den dramatischen Verlauf eines Cronenberg-Films – bis zur Katharsis. 361 die Sprache des Traums übersetzt werden) kann.1185 Trotzdem spricht sie hier eine Wahrheit über Max aus, die auf ihn bzw. seinen Charakter insofern zutrifft, als Bewusstlosigkeit einerseits mit Gefangennahme durch den Traum oder andererseits,1186 auf den Wachzustand bezogen, mit imaginärer Verkennung bzw. narzisstisch-narkotischer (Selbst-)Wahrnehmung gedeutet werden kann: der allgegenwärtige, medial erzeugte und verstärkte Schlaf der Vernunft oder einfach die ganz alltägliche Verpeilung. Mich erinnert der vor dem Fernseher wegdämmernde Max Renn an Adornos berühmten Satz aus den Minima Moralia: „Es gibt kein richtiges Leben im falschen.“1187 In der ursprünglichen Textfassung lautete die Sentenz: „Es läßt sich privat nicht mehr richtig leben.“1188 Denn das Alltagsleben ist durch Massenkommunikationsmedien permanent bestimmt, infiltriert bzw. pervertiert, was sogar im Werbeslogan von Max’ privater Fernsehstation zum Ausdruck kommt: „Civic TV – Der Sender, den Sie mit ins Bett nehmen.“ Gleichzeitig wird dieser Slogan durch ein Comic-Bild verstärkt: Es zeigt einen dicken Mann, der mit einem Plüschteddy im Arm gemütlich im Bett liegt und Civic TV schaut. Die Differenz bzw. Wechselwirkung zwischen individuellem Träumen (a) und medial erzeugter Wirklichkeit (A), Selbst- und Fremdwahrnehmung, Für-sich-Sein (Privatheit) und Für-andere-Sein (Öffentlichkeit) etc. wird in diesem commercial nivelliert. Régis Debray betont, dass Differenzen wie diese (letztendlich denjenigen zwischen Subjekt und Objekt) schon aufgehoben seien, da „man bereits im Fernsehbild enthalten ist“.1189 Cronenberg betont mit diesem Comic-Bild auch die relative körperliche Bewegungslosigkeit beim Fernsehkonsum. Im weiteren Sinne verweist der kanadische Regisseur auf das Begehren, den erbitterten Kampf der Massenmedien um Aufmerksamkeit bzw. gewinnbringende Quote –: ‚Hör’ auf zu träumen und verlasse Dich stattdessen auf die Bilder, die Dir täglich vorgesetzt werden!’, lautet die 1185 Vgl. zum Sprechen des Traums: Lacan 1997, 17. 1186 Vgl. Iser 1991, 428: „Wird im Wachleben die Differenz von Zeichen und Bezeichnetem in der Regel durchgehalten, so schwindet diese in Tagtraum und Traum oftmals bis zur vollständigen Gefangenschaft in Bilderwelten.“ 1187 Adorno, 2008, 57. 1188 Vgl. Mittelmeier 2008. 1189 Vgl. Debray 1999, 291. 362 unterschwellige Botschaft dieses Werbespots, das Begehren spätkapitalistischer Bewusstseinsindustrie. Ellie Ragland-Sullivan betont mit Lacan: „Im Wachzustand ist man der oder die für andere; schlafend ist man der oder die für niemanden. [...] Die Träume sind jedoch nicht das Unbewußte selbst: Vielmehr handelt es sich um die Entstellung eines Realen (Anderen) unbewußten Teil des Seins, so, wie es auf die Ebene der Wahrnehmung zurückkehrt.“1190 Vielleicht hat Bridey aber auch Recht, möglicherweise träumt Max nicht mehr. Auch wenn Max noch nicht näher charakterisiert wurde, kann mit William Beard zusammenfassend vorweggenommen werden: „Altogether, Max’s actions reveal, underneath a surface of confidence and power, a picture of inconsistency, moral uncertainty, disavowal, and un-self-knowledge.“1191 Später wird ihn seine Vertrauensperson Masha Borowsky (Lynne Gorman), eine ältere, erfahrene Erotikfilmproduzentin, darauf hinweisen, wo das grundsätzliche Problem liegt; nämlich darin, dass ihm etwas fehlt: eine Philosophie. Max hat zudem keinen Bezug zu seiner Emotionalität, seiner Innerlichkeit, genauer gesagt, wie Cronenberg in Chris Rodleys Monografie zu Cronenberg mitteilt: keine bewusste Vorstellung von Melancholie: „He hasn’t reached a point in his life where he actually connects with melancholia.“ Zudem verrät Cronenberg an dieser Stelle, dass Max alias Jimmy Woods im Film eine Projektion seiner selbst sei.1192 Auch der Marquis de Sade hatte in der literarischen Figurenkonzeption der Libertins sein (ur-)eigenes Begehren sprechen lassen, es vorgeschoben und marionettenhaft inszeniert. Ob Max Renn nun zu einem spätmodernen Libertin bzw. zu einem Sadeschen Objekt mutiert, wird zwar erst die Analyse seiner bevorstehenden Transformation zeigen, jedoch kann 1190 Ragland-Sullivan 1989, 72 f. 1191 Beard 2001, 136. 1192 Vgl Rodley 1997, 95 f.; Zitat von Cronenberg: „Even though we don’t look alike, Jimmy Woods’s presence on the screen began to feel like a projection of me. It was exciting to find an actor who was my cinematic equal. [...] Being a human being who’s as sensitive to himself as anybody else, I suppose I have similarities to Max at that point, but then we start to diverge. That isn’t to say that I haven’t noticed that I’m attracted to images of sexual violence, and wonder what that means about myself, but I’m not Max.“ 363 laut Brideys Ansage schon mit einer gewissen Sicherheit vermutet werden, dass Videobilder ihn aus seinem Dämmerzustand herausreißen werden. „'Video changes daily habits’ (The New York Times, 29.3.1979)“.1193 Architektur-Maschinen/urbane Lebenswelt Waren es bei Sade oft verschlossene Kerkerwelten, bei Sacher-Masoch demgegenüber eher offene Schauplätze in Galizien, Italien oder Afrika, die bemüht wurden, um der abseitigen Lust einen angemessenen Inszenierungsort zu geben, dienen in VIDEODROME als Pendant dazu die Arbeits- und Wohnräume des Protagonisten Max, d. h. – wie es die Anfangsszenen zeigen – die Innenbereiche zweckorientierter Architektur, insbesondere sein abgedunkeltes, in kalt-bläuliches Lamellen- und Fernsehlicht ‚getauchtes’ und stets unaufgeräumtes Apartment im kanadischen Toronto, dem Geburtsort Cronenbergs. Michael Palm beobachtet „scharfe Jalousienschlagschatten in Maxens Wohnung, die aussehen, als säße man im Innern einer Maschine oder eines Fernsehgerätes, und die Schatten sind die Schatten der Kühlritzen oder die Zeilen, die die Kathodenstrahlröhre zwecks Bildaufbaues auf die Mattscheibe und dann durch Auge und Gehirn der Zuschauenden bombardiert.“1194 In VIDEODROME sind in den architektonischen Innenräumen keine Fenster zu sehen (nur Bildschirme, Rahmen, Türen und Absperrungen [closed for alterations, staff only, keep out]).1195 Dies liegt u. a. daran, dass es keine Fenster gibt oder an der 1193 Heller 2004, 155. 1194 Vgl. Palm 1992, 166. 1195 Vgl. ebd. 169 f. und Gaida 2002, 57. Max’ erster Termin des Tages findet – wie es Bridey angekündigt hat – im ‚Classic Hotel’ statt, wo er japanische Geschäftskollegen treffen wird. Er geht dort durch einen Flur und hört Stimmen im Hintergrund: „Verdammt noch mal, mach’ endlich die Tür auf, ich liebe Dich doch, mach endlich diese Scheißtür auf, sonst werde ich sie eintreten.“ – „Hau’ ab oder ich hol’ die Polizei ...“ Nachdem Max an der Zimmertür der Japaner angeklopft hat und die Tür geöffnet wird, reißt die Kette, mit der die Tür gesichert war. 364 Verwendung von Jalousien, die den Blick nach draußen behindern und den Innenraum durch Schattenwurf verdunkeln und verfremden. Der unverstellte Aus- bzw. Überblick in den Außenraum, letztendlich in die Natur, wie er für Sacher-Masochs Ästhetik bedeutsam war, ist somit nicht mehr möglich. (Am Anfang der traumartigen Erzählung Venus im Pelz liegt Severin, der masochistische Held, im Fenster einer Gartenlaube und schaut in die reizvolle Natur, die Bergwelt der Karpaten.) In Cronenbergs Filmen stellt sich generell die Frage, ob es so etwas wie eine äußere Natur – im klassischen Sinne – überhaupt noch gibt.1196 „Wie ein Bildschirm tritt die Jalousienfläche [...] als Lichtquelle ins Bild.1197 An die Stelle des Fensters, durch das der Betrachter in einen Raum Einblick nimmt, ist die Oberfläche getreten, auf der Figuren und Gegenstände wie Daten ablesbar sind. Die dicht liegenden Lamellenlinien mögen sogar, wenngleich unmerklich, eine Analogie zu den Zeilen des Bildschirms formulieren.“1198 Lorenz Engell, der hier über das Motiv der Jalousie in Film- und Medientheorie schreibt, interpretiert ähnlich wie Michael Palm, ohne sich dabei jedoch auf VIDEODROME zu beziehen. Schon bald erscheint diese sehr (un-)gewöhnlich anmutende Lebenswelt im beißenden Rot der videodrome-Folterkammer. Dabei wird die normierende, den Tagesablauf chronologisch strukturierende und begleitende Funktion des Fernsehens, die vielleicht wichtigste dieses Mediums überhaupt, nachhaltig gestört und aufgelöst. 1196 „Kim Newman vermutet, dass die CAEI (die ‚Canadian Academy für Erotic Inquiry’) in STEREO (1969), das ‚Somafree Institute’ in THE BROOD (1979), die Areale in SCANNERS (1980) und nicht zuletzt ‚Starliner Towers’ in SHIVERS [...] von ‚demselben Sadisten’ entworfen wurden. Danny Peary konstatiert, dass alle Häuser, Schulen, Apartments und sogar die Schauplätze im Freien in [Cronenbergs] Filmen geradezu klinisch sauber gehalten seien; ‚sterile Environments’, die Cronenbergs morbide Faszination an Krankheiten noch unterstreichen.“ (Traber 1992, 14.) Dieses Aussage gilt vor allem für sein Frühwerk, das wohl mit VIDEODROME endet. Vgl. dazu den nachfolgenden Punkt. 1197 Stimmt es, dass die Jalousie wie eine Lichtquelle wirkt? Als Metapher funktioniert dieses Bild vielleicht, jedoch nicht im technischen Sinne. Denn im Gegensatz zu Computer- oder Fernsehmonitoren wird hier kein Licht erzeugt und ausgestrahlt, sondern nur medial verändert: reflektiert, geworfen, gebrochen etc. Es gibt also noch so etwas wie ein Außen. 1198 Engell 1999 (b), 336. 365 In diesem Zusammenhang, der vorgegebenen Taktung des Tagesverlaufs1199 (vom feel good-Frühstücksfernsehen über die erbarmlosungslosen Scherbengerichte des [Nach- ]Mittagstalks [heute sogar mit echten RichterInnen] bis zur zynisch-satirischen Late Night-Show),1200 sei noch einmal an den Slogan erinnert, mit dem Max’ Fernsehstation wirbt und der gleich zu Beginn des Films eingeblendet wird: „Civic TV – der Sender, den Sie mit ins Bett nehmen“.1201 videodrome wird den medialen Schein des Fernsehens, d. h. die Stütze des Fantasmas von Alltäglichkeit demontieren und in etwas Neues verwandeln. Diese mediale Dysfunktion, die bei Cronenberg jedoch wie im klassischen SM zielgerichtet Funktion machen wird, zeigt sich immer schon dann, wenn Videoaufzeichnungen im Filmbild erscheinen – gleichsam in Form von 1199 „Fernsehen wurde aufgrund des privaten Gerätebesitzes sehr rasch als Gebrauchsgut in den Alltag integriert und strukturierte mit seinem Angebot den Tagesablauf seiner Nutzer.“ Eine Entwicklung, die sich seit den 1960er Jahren abzeichnet (und zudem „die Produktion von Illusion und Zerstreuung“ vom öffentlichen Raum des Kinos in den privaten Wohnbereich verlagert). Vgl. Schumacher 2000, 102. 1200 „Die Welt oder virtuelle Oberfläche sprechenden Seins, das paraphrene Rondo zwischen Frühstücksfernsehen und Ehebruch, G-Punkt und DSH, Wonderbra und Valium zu später Stunde, dieser ganze ‚Fluß möglicher Transformation’, wird skandiert durch das sakrilegische Element des phallischen Signifikanten, der den Seinsmangel repräsentiert.“ Bitsch 2001, 45; Zitat von Lacan 1996, 334. 1201 Und tatsächlich hat Cronenberg bis heute, 30 Jahre nach VIDEODROME, mit diesem Slogan Recht behalten. Auch wenn es derzeit nicht mehr nur das (mittlerweile digitale) Fernsehen ist, das uns in die Nacht bzw. in der (Hegelschen) Nacht begleitet. Denn heute – da muss ich mich nur in meiner WG umschauen – werden sogenannte smart devices, handliche, hübsch designte, digitale Kleinstgeräte bzw. Medien-Fetische (meist mit einem leuchtenden, angebissenen Apfel-Logo – ein Zeichen unserer derzeitigen, auch prekären Subjekt-Konstitution, der vergiftete Apfel Alan Turings, in den er biss?) mit in die Küche, ins (Wohn-)Bett oder aufs Klo genommen. Sie treten mittlerweile überall und jederzeit in Erscheinung und scheinen so etwas wie eine existenzielle Notwendigkeit geworden zu sein. Wie war das Leben eigentlich ohne diese Geräte? Gab es ein Leben davor? Es drängt sich der unbehagliche Eindruck bzw. Verdacht auf, dass – wie es das Apple-Macintosh-Logo programmatisch vorwegnimmt – unser technologisch hochgerüsteter life-style angebissen bzw. beschädigt ist, spätestens dann, wenn wir versuchen, ohne diese relativ neuartigen Medien auszukommen, ‚kein Netz’ oder Strom da ist bzw. die Technik abstürzt oder ihren Geist aufgibt. (Vgl. zu den gestörten Kommunikationsformen, die selbst dann resultieren können, wenn die Technologie einwandfrei funktioniert: z. B. Roman Polanskis DER GOTT DES GEMETZELS [2011].) Der vorliegende Text ist übrigens ebenfalls mit Hilfe eines derartigen Maschinchens entstanden. 366 flackernden und verrauschten Bildstörungen.1202 Überhaupt erlaubt es home video den Medien-KonsumentInnen seit Mitte der 1970er Jahre, dem vorgegebenen Programm der Rundfunkanstalten zu entgehen und stattdessen über individuell gewählte Fersehinhalte zu verfügen, wobei dann auch die bis dahin eher schwer beziehbaren Genre der Gewalt-, horror- und hardcore-Filme den Markt und die häuslichen Mattscheiben erobern – und dies bereits überwiegend auf VHS, dem qualitativ schlechtesten aller Videoformate zu dieser Zeit.1203 Dennoch gilt, wie David Cronenberg medienwissenschaftlich erläutert: „The video cassette is freedom of the image. There’s freedom to record, to change, to edit, to freeze-frame and look again, to exchange tapes.“1204 Laut Yvonne Spielmann sind es gerade die Vorwärts- und Rückwärtsbewegungen, welche die Umkehrbarkeit immer schon mit einschließen, wie auch die fließende Bildlichkeit, die dazu Anlass geben, Video als ein Transformationsmedium zu denken.1205 „Mit Transformation sind somit flexible, instabile, nicht-fixierte Formen des Bildes gemeint“, die bereits auf „den Übergang zum digitalen Simulationsbild“ verweisen.1206 1202 Es geht dabei auch um die Auflösung einer der grundlegendsten Differenzen, die das menschliche Sein bestimmen: Die Differenz zwischen Tag und Nacht. 1203 Riepe 2002 (a), 87 ff. 1204 Rodley 1997, 106; Zitat von David Cronenberg. 1205 Vgl. Spielmann 2005, 11 ff. Dieses mediale Fließen gilt jedoch nicht nur für Video, sondern bereits für Film und Fernsehen (und wie erwähnt natürlich für das klassische Maso-Bild, den Glamour der ‚grausamen Frau’): „Fernsehtheoretiker von Marshall McLuhan bis Neil Postman haben beschrieben, wie das Fernsehen sich auszeichnet durch Pausenlosigkeit und die Permanenz des Sendeflusses, durch räumliche, zeitliche und logische Entgrenzungen. Während man Kunst-, Theater-, Literatur- und Filmgeschichte ausgehend von Knoten- und Kristallisationskernen (EIN Film, EINE Inszenierung, EIN Gemälde) betreiben kann, die jeweils einen Rahmen, Anfang, Mitte und Ende aufweisen, ist dies beim Fernsehen viel schwieriger, weil es von vornherein auf die Dauerwirkung angelegt ist.“ (Engell 2000 [a], 92.) Franziska Heller betont mit Raymond Williams, dass Fernsehen „geplanter flow“ ist. (Vgl. Heller 2004, 154.) Laut Oliver Fahle versucht Fernsehen, „den ständigen fortlaufenden Prozess zwischen Welt und Fernsehen zu koordinieren“. Dabei soll auf Schnitt verzichtet werden. (Vgl. Fahle 2003, 201.) McLuhan analogisiert TV-Bilder mit einem Mosaik oder einer Plastik. (Vgl. Schumacher 2000, 134.) Ein wichtiger Unterscheid zwischen Fernsehen und Video besteht darin, dass die fließende Bildlichkeit, der Bilderfluss, mit bzw. als Video technologisch manipuliert werden kann (Zeitachsenmanipulation). 1206 Vgl. Spielmann 2005, 11. 367 „Das Videobild ist kein bewegliches Einzelbild, das durch eine mechanische Anordnung in Bewegung gesetzt wird, sondern ein sich ständig umformendes Profil, das von einem elektronischen Pinsel gemalt wird.“1207 „Im Kino zeigte sich die Welt bereits als Bilderstrom und als eine Welt der Bilder, die in ständiger Veränderung begriffen ist. Videotechnologie ist demgegenüber eine weitere Deterritorialisierung dieser Ströme. [...] Die Videotechnologie ist eine maschinelle Anordnung, die eine Beziehung zwischen asignifikanten Strömen (Wellen) und signifikanten Strömen (Bildern) etabliert. Sie ist das erste technische Mittel der Bildproduktion, das der allgemeinen ‚Dekodierung der Ströme’ entspricht.“1208 Es machen sich dank Videotechnologie erste, sehr deutliche Anzeichen von virtueller Interaktivität bemerkbar, dem optimierten Operieren im eigenen wie kollektiven Fantasma (in technologischer Modulation und Decodierung der Libido-Ströme), bemerkbar; ein Fantasma, das sich im heutigen digitalen Zeitalter weiter entfaltet und noch längst nicht zu seinem Ende gekommen ist.1209 Damit sind – nach wie vor – Fragen der Wirkung, Beherrschung, Kontrolle und Zensur dieser audiovisuellen, „multidimensional und omnidirektionell unbegrenzten“ Spielräume des elektronischen Transformationsbildes gemeint.1210 „‚Ich wollte sehen, wie es ist, wenn sich das, was die Zensoren sagen, tatsächlich ereignet’, sagt Cronenberg. [...] Cronenberg zielt auf die der Zensur zugrundeliegende Vorstellung, nach der ein medialer Reiz (die Gewaltdarstellung) eine deformierende Wirkung auf die Psyche des Betrachters ausübt.“1211 1207 Lazzarato 2002, 66. 1208 Ebd. 65; Zitat von Deleuze und Guattari aus: Anti-Ödipus 1977, 310 f. „Die Videotechnologie ist eine Modulation der Ströme und das Bild ist das Verhältnis dieser Ströme.“ Lazzarato 2002, 66. Vgl. zur technisch exakten Bestimmung von Video-Modulationen: Spielmann 2005, 8. 1209 Vgl. Adamowsky 2000, 28 f. („Übergangsobjekte und Übergangsphänomene“), 40 („ludisches Rauschen“), 50 („Erlebnisstrukturen“), 133 ff. („Die Reise in den Sound“), 166 f. („Was Cyberspace nicht ist“). 1210 Vgl. Spielmann 2005, 13. 1211 Riepe 2002 (a), 88. 368 Max wird in den Genuss einer medialen Selbstgestaltung kommen, der Erweiterung seines Begehrensspielraums, die den schlimmsten Befürchtungen der ZensorInnen entsprechen wird. „Selbstmedialisierung heißt [...], die Simulation, den Schein, die Illusion vorzuführen, indem man den medialen Ort des Erscheinens real körperlich einnimmt [...].“1212 – „Don’t hate the media, become the media!“1213 Cronenberg nimmt solche Strategien in seinen Werken wörtlich, hier, indem er sie als ‚Infektion’ von Max’ Imaginären vorführt. Den Beginn markiert ein Detail in Form eines Tomatensoßenkleckses, den Max aus Versehen auf eine Schwarz-Weiß-Fotografie schmiert, während er zum Frühstück ein kaltes Stück Pizza isst. Zu sehen ist auf dem Bild eine halbnackte Japanerin mit lustvoll geschlossenen Augen. Sie spielt in einer japanischen softcore-Serie namens „Samurai Dreams“1214 (aus dem Hause Hiroshima Video) mit.1215 Auch Sades Medien weisen, neben dem skripturalen Sperma, das hier 1212 Adamowsky 2000, 124. Der Begriff der Selbstmedialisierung geht auf einen Artikel von Wolfgang Pauser über die Berliner Love Parade zurück. Vgl. ebd. und Pauser 1995, 53. 1213 So der Aufruf des Punksängers Jello Biafra, zitiert nach Bougnoux 2008, 109. 1214 In dem sechsminütigen (Video-?)Film „Samurai Dreams“, den Cronenberg für VIDEODROME drehte, sind am Schluss neben der Geisha tatsächlich zwei maskierte Samurais, männlich und weiblich, in traditionellen Rüstungen zu sehen. Sie fehlen dann jedoch in dem einminütigen Ausschnitt, den Cronenberg in VIDEODROME verwendet. (Vgl. Oetjen und Wacker 1993, 105 f.) Damit zeigt Cronenberg (vorerst) nicht die kämpferische, aggressive Seite des Begehrens (des Geschlechterkampfes?), die sich hinter weichgezeichneten Oberflächen wie in „Samurai Dreams“ oder später in Mashas „Apollo und Dionysos“ verbirgt. 1215 Als Max später zusammen mit seinen Geschäftspartnern Moses und Rafael in einem Meeting überlegt, ob sie die Lizenzen für die Ausstrahlung der Serie erwerben sollen, und deswegen einen Ausschnitt daraus sichten, ist die Japanerin, die nun als Geisha gekleidet ist, wieder zu sehen. Sie greift zu einer Puppe, die, wie Jochen Gaida bemerkt, „eine Miniatur ihrer selbst ist. Als die Frau die Kleidung und den Kopf der Puppe entfernt, wird darunter ein Dildo sichtbar. In aller Deutlichkeit demonstriert die Szene damit noch einmal den Status von Abbildern in diesem Film: die Puppe ist ein Fetisch, der den Phallus, Symbol des Mangels schlechthin, verbirgt und zugleich verkörpert. Dadurch wird sie selbst zum Objekt des Begehrens, und es ist bedeutsam, daß es nicht die Frau ist, die dieses Begehren verkörpert, sondern ihr Abbild. Die Nachahmung ist dem Original überlegen: Es sind die Bilder, die Kopien und Attrappen, die in Videodrome das Interesse auf sich ziehen.“ (Gaida 2002, 40.) Einerseits spielt Cronenberg hier mit der klassisch-masochistischen Vorstellung einer phallisch ‚eingekleideten’ Frau (die dann nicht Pelz, sondern – in kultureller Variation – Kimono trägt bzw. auch nicht trägt), andererseits unterläuft er diese Vorstellung, da der Phallus im (Körper-)Bild der Frau eben nicht mehr für die Lustzwecke des Masos versteckt bzw. verschleiert bleibt, sondern in Form eines Dildos sichtbar geworden ist, der nun der nackten Geisha zur eigenen Befriedigung dient: In vollen 369 reichlich vergossen wurde, konkret-materielle Spuren auf. Auf den Briefen, die Sade im Gefängnis von seiner Frau erhielt, finden sich Fruchtzucker, Zitronensaft-Flecken, Brandlöcher und Ruß.1216 „Sade mästete [sich] während seiner 13-jährigen Inhaftierung in Vincennes und der Bastille (1777-1790) an süßen eingemachten Früchten aus der Provence und materialistischen Streitschriften, deren Seiten nicht selten von seinen Gourmandisen verklebt waren.“1217 Laut Jochen Gaida ist das ‚befleckte’ Bild in VIDEODROME eine Matrix, ein „blutgetränkte[r] Nährboden, auf dem weitere Bilder heranwachsen können“.1218 Régis Zügen bzw. mit geschlossenen Augen genießt sie die sexuelle Selbststimulation – wie das Ende dieses Ausschnitts aus „Samurai Dreams“ zeigt. Aber: Diese doppelte Subversion im seichten Erotikformat, von kitschiger Flötenmusik begleitet, ist schließlich doch nur wieder für den heterosexuell-männlichen Blick bestimmt: „Asiatischen Sex finde ich gut“ („Oriental sex is a natural“, wie es in der Originalfassung von VIDEODROME an dieser Stelle heißt, Anmerkung S. P.]), kommentiert Moses (Reiner Schwarz, der tatsächlich als TV-Produzent in Toronto arbeitet und dort Kultstatus genießt [vgl. Mathijs 2008, 108]), nachdem er die verkürzte Szene gesehen bzw. goutiert hat. Das ist das Abbild- bzw. (sexuelle) Objekt-Begehren, von dem Gaida spricht und das schon im klassischen Masochismus des späten 19. Jahrhunderts sexuellen Konsumzwecken diente (und Sacher-Masochs Auflage einiger seiner literarischen Werke in die Höhe trieb). Auch das Sendungsbewusstsein, wie es bereits für den Maso von einst signifikant ist, verschafft sich hier, im Dispositiv des Privatfernsehens der 1980er Jahre, erneut Ausdruck. Denn Moses konstatiert anschließend: „Könnte sicher neue Zuschauer ansprechen“. Max ist davon jedoch nicht überzeugt, ihm ist die Serie zu „soft“. Auch Rafael merkt an: „Too much class. Bad for sex.“ - Linda Williams merkt an, indem sie sie sich auf Steven Marcus bezieht, dass „im 20. Jahrhundert das Bild einer masturbierenden Frau geradezu als Symbol der entfremdeten Kosumkultur angesehen werden kann: eine Übersättigung der Sinne“. Vgl. dies. 1995, 152. 1216 Es handelt sich hier um mit Zitronensaft geschriebene „Kosewörter“ und „Wortküsse“, die erst dann sichtbar wurden, als der Marquis die Briefe über eine Kerze hielt. Vgl. Zweifel und Pfister 2001, 17. 1217 Vgl. ebd. 16. Vgl. zum Thema Sade und Zensur, d. h. Sades trickreiche Strategien, der Zensur seiner Briefe und Schriften zu entgehen, sie aus dem Gefängnis zu schmuggeln. In diesem Zusammenhang muss auch über Sade hinaus berücksichtigt werden, wie die Ausgabe dieser Dokumente, von denen einige verbrannt worden sind, dann bis in die 1950er Jahre zensiert wurde: vgl. Mayer 2001. 1218 Gaida 2002, 40. 370 Debray bemerkt in seiner mediologischen Untersuchung Jenseits der Bilder, in der er auf 400 Seiten 30 000 Jahre Blickgeschichte in unterschiedliche Zeitalter einteilt, unter anderem die Videosphäre nach Einführung des Farbfernsehens ab Ende der 1960 Jahre in Europa (in den USA schon Ende der 1950er Jahre), dass unsere gegenwärtigen „heiligen Bilder nicht mehr bluten und auch nicht mehr weinen. Wenn wir mit ihnen noch mit halblauter Stimme sprechen, dann allein im Halbschatten oder aus Versehen.“1219 Debray deutet mit dieser Aussage auf jene mittelalterliche Ikonografie hin, deren bildliche Körperlichkeit noch einen unmittelbaren, prägenden Eindruck auf den frommen Betrachter oder die Betrachterin ausübte, die jedoch im westlichen Kulturkreis seit Beginn der Neuzeit überwiegend passé ist, genauso wie der groteske Leib oder die Plastik. Max wird sich schon bald auf der Suche nach diesem verdrängten bzw. verschollenen Anderen befinden. Softpornografie kann ihm dabei nicht mehr weiterhelfen. Er braucht etwas Härteres, „etwas, das wirklich reinhaut“ und was ihm sein Techniker, der Videopirat Harlan (Peter Dvorsky), auch tatsächlich anbietet. videodrome nennt sich das verschlüsselte Signal, das er abgefangen und decodiert hat. Harlan: „Die benutzen ein wechselndes Verschlüsselungssystem. Ich meine damit, sie haben bemerkt, dass wir sie empfangen. Und jetzt haben sie automatisch den Code geändert.“ Die kurze Sequenz zeigt einen Raum vor einer unter Spannung stehenden Lehmwand (wohlgemerkt aus weißem Lehm),1220 in dem sich brutale Folterszenen abspielen.1221 1219 Debray 1999, Klappentext. 1220 Die weiße Lehmwand kann als ‚organische’ Analogie zur Kinoleinwand gedeutet werden, als ein Schirm, der an die Funktion des Objekts a erinnert (vgl. Cremonini 2001, 177 und Lacan 1987, 103). Der Zugang zur reinen Wahrnehmung – wie sie Henri Bergson beschreibt – ist damit nicht möglich, jedoch ist dieser Schirm wie ein Filter bzw. Sieb zum Realen hin durchlässig, sodass Differenziale bzw. Algorithmen – Signifikanten – im Individuum generiert werden können, die überhaupt erst (Übertragungs-)Prozesse als imaginäre Wahrnehmung(en) formatieren und auch regeln: „Die reine Wahrnehmung existiert für uns nur als Abstraktion, da zu ihrer Sichtbarmachung ein Filter notwendig ist, der etwas erscheinen lässt. ‚Ein großes Sieb muss dazwischen treten, eine elastische und formlose Membran, wie ein elektromagnetisches Feld ... um ein etwas aus dem Chaos heraustreten zu lassen ...’ [...] Das im Video arbeitende elektromagnetische Sieb ist der reinen Wahrnehmung sehr viel näher als unsere Sinne.“ Dies bewirkt die magische Anziehungskraft, den optisch-unbewussten Bannkreis dieses 371 Max’ Techniker bezeichnet diese als „grotesk“, während er im Gegensatz zu Max nicht auf den Monitor schaut.1222 Zu sehen gibt es dort, nicht sehr deutlich, zwei maskierte Männer in schwarzen Gummischürzen, die eine halbnackte, gefesselte Asiatin auspeitschen. Dabei handelt sich nicht nur um ein krasses Gegenbild zu den seichten „Samurai Dreams“, sondern auch um die Akzentuierung der sadistischen Seite der masochistischen Konstellation: Die Frau steht zwischen zwei Männern; jedoch hat sie nicht – wie im klassischen Maso-Ritual – die Möglichkeit, die performance aktiv mitzugestalten oder sogar zu beenden, vielmehr ist sie hier – der Intensität ihrer Schreie zufolge – gefoltertes, wehrloses Opfer zweier Sadisten. In einem späteren Ausschnitt wird sie durch einen schwarzen Mann ersetzt.1223 Auch wenn nicht sicher zu bestimmen ist, ob die Bilder echt sind, ob die Gewalt nur gespielt ist oder eben nicht – generell ein großes Problem in Bezug auf SM(- Betrachtungen)1224 – kann zumindest festgehalten werden, dass videodrome die animierte Projektion der ‚blutenden’ Fotografie ist, die Max’ sexuelle Fantasie Mediums. Lazzarato 2002, 68 f.; Zitat von Deleuze 2000, 126 f. Vgl. zur „reinen Wahrnehmung“: Bergson 1991, 52-65.; vgl. zur Funktion des unbewussten Siebs bei Freud/Lacan: Freud, GW, XI (1916/17), 350 und Lacan 1996, 60; weiterhin zu den daraus resultierenden Mediasphären bei Debray und McLuhan: Debray 1999, 218 f., Mersch 2008, 198 und auch Rieger 2008, 255 ff. 1221 Mit Lehm assoziiere ich hier den Golem. Vgl. DER GOLEM (Deutschland 1920; Regie: Paul Wegener): Dieser ist ein künstlicher Mensch aus Lehm, der nach alter jüdischer Tradition zum Leben erweckt wird, um drohendes Unheil abzuwenden. In dieser Funktion ist er ein praktischer Fetisch, quasi ein Medium, das man sogar – je nach Bedarf – ‚an- und ausschalten’ kann. 1222 Von dem Fernseher, auf dem sich Max in Harlans Video-Werkstatt, einem fensterlosen Raum, videodrome anschaut, sind nur die Kathodenstrahlröhre, Kabel und Elektronik zu sehen. Das Gehäuse des Apparats, der von hinten gezeigt wird, fehlt hier. 1223 Eine Anspielung Cronenbergs auf die rassistische Gewalt und den Terror des Ku-Klux-Klan (abgekürzt KKK) in den USA, auf Folter und Mord an schwarzen US-BürgerInnen? 1224 Vgl. Palm 1992, 157. Palm bezieht sich hier auf die Theorie von Linda Williams: vgl. dies. 1995, 252. Vgl. auch Riepe 2002, 91. Gerade im masochistischen Szenario ist diese Frage – nach der Echtheit der Gewalt – oft schwer zu beantworten: Der Maso spielt (praktisch und imaginär) mit der Frage und Gefahr, wie weit seine Domina und er gehen werden bzw. können, d. h. wann bzw. ob der Punkt erreicht wird, an dem das Spiel (sadistisch) kippt, wo es plötzlich Ernst wird, wo die Rückkehr des hier Verdrängten bzw. Ausgeschlossenen plötzlich und brutal erfolgt. Demgegenüber stellt sich beim Libertin bzw. beim Sadisten diese Frage nicht; hier muss das Opfer auf jeden Fall geschändet oder sogar getötet werden. – Oder vielleicht doch? Es wurde ja bereits gesagt, dass Sades Opfer Automaten- Puppen bzw. Duplikate sind. Ist es Gewalt, einen dummy (literarisch) zu missbrauchen? 372 ‚infiziert’ und erstmals sichtbar gemacht hatte, in ein anderes Medium, einen anderen Raum:1225 eine medial gesteuerte Transposition, eine ortsverändernde Bewegung des/im Imaginären, die von soft- zu hardcore übergeht. Obwohl oder gerade weil Max nicht weiß, wann und wo sich diese bizarre, äußerst realistisch dargestellte SM-Session zuträgt, ist er von den Aufnahmen regelrecht fasziniert und möchte sie – da kostengünstig zu produzieren – in das Programm von Civic TV aufnehmen. Schon Sacher-Masoch erkannte im späten 19. Jahrhundert industrielle und kommerzielle Aspekte visueller Medienproduktion, setzte er doch in seiner Literatur das „photografische[] Bild[] mit einer anonymen, industriellen und einer ephemeren, kaufmännischen Distribution“ gleich.1226 Im Gegensatz zu Max war Sacher-Masoch jedoch nicht daran interessiert, herauszufinden, wo diese Bilder herkommen und wie sie verbreiten werden (bzw. sich quasi von selbst unter der Hand bzw. Ladentheke verbreiten).1227 Dieses Geheimnis der Medien, der kaschierte Phallus, musste in seinem Diskurs (und gewiss nicht nur in diesem)1228 gewahrt bleiben und um jeden Preis vor Entschleierung und Entweihung geschützt werden. Trotzdem kann man in der Venus im Pelz sehr deutlich beobachten, was die Fotografie und deren Distributionsweise in/mit Sacher-Masochs Fantasie anstellt,1229 d. h. eine Wunschproduktion in Gang setzt, die es so vorher noch nicht gab. Das Anlaufen einer Wunschmaschine ist ebenfalls in VIDEODROME zu beobachten: Diese Show scheint ein ‚gefundenes Fressen’ für einen profitorientierten Medienmacher wie Max zu sein, ist dieser doch immer auf der Suche nach neuem verwertbaren, d. h. sendefähigem Bildmaterial (und schreckt dabei nicht vor 1225 Vgl. Gaida 2002, 40 (Aussage leicht verändert). 1226 Vgl. Sachsse 2003, 399. 1227 „Sacher-Masoch will gar nicht wissen, woher die Photografien kommen, er will nichts von ihrer Genese und schon gar nichts von ihrer Wirkung wissen“. (Ebd. 400 f.) Dies gilt aber nur für die Ebene technischen Verständnisses. Sonst geht es ihm ja gerade um die Wirkung(en) seiner medial inszenierten Maso-Praxis, um Erlebnisrationalität und Libidoerhalt bzw. -gewinn. 1228 Vgl. dazu Michael Wetzel, der die Phallusverschleierung auch in der Medizin bzw. bürgerlichen Sexualmoral des 19. Jahrhunderts (in/ an/ mit weiblichen Körper[bilder]n) beschreibt: Wetzel 1994, 344 ff. 1229 Wie im ersten Kapitel gesagt: Ein Jude hat dem Helden Severin die Fotografie der Venus im Pelz zugespielt. 373 Gewaltdarstellungen zurück): „Es [videodrome] ist brillant, absolut brillant!“ – „Es ist pervers“, ruft Harlan, der Video-Nerd, leise dazwischen. Harlan soll der unbekannten Übertragung deshalb weiter auf der Spur bleiben. Sie käme angeblich aus Malaysia und später dann aus Pittsburgh, Pennsylvania, USA, und verweist so einmal mehr auf einen ungewissen Entstehungsort. Das detektivische Begehren, das diese Videobilder auslösen, die Frage nach ihrer Herkunft und Quelle, nach ihrer Echtheit, erzeugt wie in einem thriller Aufmerksamkeit und Spannung. Es fordert das Kombinationsvermögen der ZuschauerInnen heraus und animiert zum Mitspielen. Dennoch kann das Geheimnis um videodrome (im Film) nicht gelüftet, die Unschlüssigkeit nicht plausibel (im Sinne eines Krimis) aufgelöst werden, was für Max und das Publikum im Kino verwirrend und schließlich enttäuschend ist. Denn je länger die Aufzeichnungen werden, die Harlan abfängt und präsentiert, je mehr VIDEODROME voranschreitet, desto rätselhafter erscheinen all die Bilder auch in Bezug auf den zu rekonstruierenden Gesamtzusammenhang, den möglichen Sinn des Films.1230 Die Spur und das Motiv wird sich verlaufen. – Was bedeutet es also, wenn 1230 Es handelt sich dabei (in der vorliegenden Analyse) um eine medienarchäologische Recherche im Reellen von Video bzw. im infizierten Bewusstsein von Max, die einerseits mit Symptom- Entschlüsselungen in der Psychoanalyse oder – im weiteren Sinne – mit den Ermittlungen in Detektiv- bzw. Kriminalgeschichten korreliert. Beides basiert auf Spurensicherungen. Heutzutage sind es sogenannte profiler, TatortanalytikerInnen, die in US-Fernsehserien (wie in Kriminologie und Sozialwissenschaft) vorkommen, und mit hightech Fälle bearbeiten und aufklären. Gerade diese Fernsehserien, die zudem auch mysteriöse Elemente (in Sinne von mystery) inszenieren, suggerieren gern, dass es nur eine Frage der Anwendung und Beherrschung gewisser Technologien sei, mit der die rätselhaften Fälle aufgelöst werden können. – „[Ü]ber die Untersuchung von Knochen, Gewebeproben und Körperflüssigkeiten bis hin zur Analyse von DNS-Proben mit Hilfe der Polymerase-Kettenreaktion führt der Weg der Ermittlungen“. Kolja Mensing verortet den „medical thriller“ in einem „größeren nekrophilen Zusammenhang[]“, der von den umstrittenen Körperwelten-Plastinaten eines Gunther von Hagens bis hin zu jenen in den Medien bestaunten US-Forensikern des CIA reicht, die u. a. im Irak nach Saddam Hussein fahndeten. – „Es ist die einstmals religiöse Gewissheit, die hier zwischen den Bestsellerlisten und den Wissenschaftsteilen der Zeitungen wieder auflebt: Death is not the end. Die eigentliche Show beginnt nach dem Tod.“ Ein Motto, das auch, wie noch zu zeigen ist, für Max Renn gilt. Vgl. Mensing, taz-Artikel „Pathologie und Pathos“ vom 17.5.2003; auch unter: http://www.taz.de/1/archiv/archiv/?dig=2003/05/17/a0140 und vgl. zum klassischen Kriminalfernsehen im westdeutschen Fernsehen: Weber 1992. Vgl. zur Spurensicherung bei Holmes, Freud und Jung: Kittler 2003 (a), 338 f. 374 das Symptom1231 „‚Videodrome’“ – in Max’ ‚infizierter’ Fantasie bzw. im Filmbild – „wächst“, sich aus einem unbekannten Raum in einen anderen unbekannten überträgt, d. h. dabei in/als Video-Modulation immer groteskere Blüten treibt?1232 Orientalischer Despotismus/horrality Auch Sacher-Masochs literarische Szenarien wurden aus einem anderen Raum übertragen; auch hier ist imaginär einiges in Bewegung geraten. Seine pikanten Novellen um grausame Despotinnen und ihre willigen Sklaven spielen oft im österreichischen Galizien, dem Geburtsort des Autors. Für das Bürgertum des 19. Jahrhunderts erwiesen sich seine Erzählungen als spannende Nachrichten von der europäischen Zivilisationsgrenze, die weit genug entfernt war, um neugierig auf die slawische Kultur mit ihrer ‚Urwüchsigkeit’ und armen Landbevölkerung zu werden, allerdings nicht zu weit, um in ihrer folkloristischen ‚Exotik’ und Andersheit im westlichen Blick seiner LeserInnen nicht mehr verständlich zu sein. Auch der hier dargestellte Masochismus war – wie das videodrome-Signal – zumindest insofern verschlüsselt, als Sacher-Masoch diesen als spezifische Naturgegebenheit Galiziens beschrieb und dieses ‚atavistische’ Phänomen demnach in einen ethnografischen Kontext stellte. Auch die Kulturgeschichte mächtiger Herrscherinnen und ihrer (vermeintlichen) Grausamkeit, so wie sie der promovierte Historiker Sacher-Masoch in diesem Zusammenhang las (d. h. mit eigenem Begehren lustvoll anreicherte und gleichsam systematisch verzerrte),1233 zeugt von einer Logik der Naturalisierung, einer 1231 „Ein Symptom entsteht laut Lacan immer an genau der Stelle, an der das Subjekt das Gesetz des Diskurses nicht versteht.“ Vgl. Bitsch 2009, 394. 1232 Vgl. Gaida 2002, 41. 1233 Ein Filmbeispiel, das zeigt, wie heutzutage das Leben einer (einst) mächtigen Frau inszeniert und dabei (zu Unterhaltungszwecken) verzerrt wird, ist: THE IRON LADY (England, Frankreich 2011; Regie: Phyllida Lloyd). Doch dieses Porträt der alternden (zu diesem Zeitpunkt noch lebenden) Margaret Thatcher (Meryl Streep) scheint gerade aus der bewusst inszenierten Verzerrung ihrer Biografie, ihrer Darstellung als ‚phallischer Frau’, seinen Wert zu beziehen, der durchaus wahre Elemente enthält (oder zumindest suggeriert). Diese Verzerrungen in der Wahrnehmung der an Alzheimer erkrankten Thatcher, flashbacks und Halluzinationen, werden quasi zum ‚stützenden’ Element in diesem Film (und sind auch auf dem Filmplakat grafisch umgesetzt). Die grandiose 375 Camouflage, deren mediale Voraussetzungen er nicht hinreichend erkannte, obwohl er sie erwähnt und praktisch ins Spiel führt. Wie Peter Wollen schreibt, ist der projizierende Blick auf andere Kulturen, besonders in Richtung Osten bzw. Orient, in der westlichen Kultur der Moderne tief und fest verankert: „As in their different ways, Edward Said (in Orientalism) and Perry Anderson (in Lineages of the Absolutist State) have both shown, the Orient is the site of scientific and political fantasy, displaced from the body politics of the West, a field of free play for shamelessly paranoid constructions, dreamlike elaborations of a succession of Western traumas. In the nineteenth century, the Orient became more and more the site for erotic as well as political projection. Not pure fear, but fearful desire was now projected onto the screen.“1234 In der Kinematografie wurden solche Fantasien dann objektiviert auf die Leinwand gebracht und massenanwendbar gemacht. Die kollektive imaginäre Projektion fand ihre technische Umsetzung, Nachahmung und ästhetische Erweiterung im Bewegungsbild des Films –: „Der Narzißmus ist nachgebaut.“1235 „’In der Phantasielosigkeit unserer mechanischen Zeit hat die Buntheit der Kinematografie direkte Möglichkeiten so wechselvoller Kombinationen gebracht, wie sie bisher nur die phantastischen Völker des Orients in ihren von Mund zu Mund gehenden Erzählungen und Märchen gekannt haben. Der Film ist der große Fabulierer unserer nüchternen Zeit.’“1236 Schauspielleistung Meryl Streeps wurde 2012 mit einem Oscar in der Kategorie ‚Beste weibliche Hauptdarstellerin’ ausgezeichnet. 1234 Wollen 2008, 5 f. 1235 Kittler 1986, 249. 1236 Zitat von Paul Ickes (Film und Kultur), ohne Seitenangabe in: Harms 2009 (Erstausgabe 1926), 115. Zweifelhafte Aussagen wie diese lassen sich wohl darauf zurückzuführen, dass für die Sprache des Films am Anfang seiner Geschichte, sein „Geist“, wie Balázs schreibt (vgl. Balázs 1984 [Der Geist des Films]), noch keine hinreichend eigene Terminologie entwickelt worden war. Vgl. Balázs 1982. 376 Mit Wollen lässt sich zeigen, dass sich im Unbewussten dieser (nach der selben Grundstruktur bzw. Matrix) ablaufenden Projektionen bereits im 17. Jahrhundert etwas herausbildete, das dann als sogenannter orientalischer Despotismus auf den metaphorischen Begriff gebracht wurde: Ein faszinierender Mythos, ein virtuell funktionierendes Trugbild, ein konstruierter fake, der bereits deutliche masochistische Züge trägt und in seiner symbolischen Wirkkraft bis heute ungebrochen ist.1237 „Since the time of Montesquieu, in the seventeenth century, the myth of ‚Oriental despotism’ had served as a projection of domestic fears on the screen of the Other. The West described the East to itself in terms that reflected ist own political anxieties and nightmares: an exaggerated absolutism dispensing with the established rule of law.“1238 Nachdem Wollen die Geschichte dieses besonderen Despotismus anhand von Montesquieu, Voltaire, Louis XIV., Hegel und Robespierre weiter verfolgt hat1239 (und dabei auch deren signifikantes Darstellungsmittel, den screen of the Other, erwähnt), geht er noch auf die Entwicklung dieser Geschichte im 20. Jahrhundert ein: 1237 Mit Lacanscher Formalsprache gesprochen: Es handelt sich bei diesen neuen und alten Projektionen um eine unbewusst wirksame, anpassungs- wie wandlungsfähige Metapher (im Symbolischen [A]): ein widerständiger, unter Spannung stehender, (auf-)reizender Platzhalter (im kollektiven Imaginären [I)], der einen virtuellen (Nicht-)Ort simuliert (in der psychischen Lokalität [i]), der fremd, aufregend, libidinös und böse ist bzw. sein kann (auf der Ebene der wahrnehmbaren, spekularen Objekte klein a ([a–]a–a’ [u. a. die Gestalt des/der Orient-DespotIn]). 1238 Ebd. 5. Auch wenn diese Darstellung, dieser Vergleich Batailles vollkommen falsch ist, so ist der Themenkomplex Nazis und Islam keineswegs aus der Luft gegriffen, haben die Nazis doch mit islamistischen Antisemiten durchaus kooperiert. Der ‚Großmufti von Jerusalem’, Mohammed Amin al- Hussein (1893-1974), „überzeugter Befürworter der Vernichtung der europäischen Juden im Deutschen Reich […,] knüpfte Kontakte zu den Nationalsozialisten, gewann die Unterstützung durch deutsche Führungskreise und lebte ab 1941 in Berlin. Al-Husseini war Mitglied der SS und betrieb Propaganda für Deutschland in arabischer Sprache. In der Spätphase des Zweiten Weltkrieges half al-Husseini auf dem Balkan bei der Mobilisierung von Moslems für die Waffen-SS.“ Vgl. Wikipedia-Eintrag zu al- Hussein unter: http://de.wikipedia.org/wiki/Mohammed_Amin_al-Husseini. 1239 „Next came Hegel. Now it was the turn of Robespierre and the Terror to inspire fear: ‚La religion et la terreur was the principle in this case, as with Robespierre, la liberté et la terreur.’“ Wollen 2008, 5; Zitat von Hegel aus seiner Geschichtsphilosophie. Vgl. auch bei Ian Almond 2007, 185. 377 Finally, in the twentieth century, there was another wave of revolution and Wittvogel wrote his post-Marxist polemic, Oriental Despotism, against Stalin. Hitler too had his moment. ‚Incarned in the person of the leader (in Germany the properly religious term, prophet, has sometimes been used) the nation thus plays the same role that Allah, incarnated in the person of Mahomet or the Caliph, plays for Islam. Thus wrote Georges Bataille, in his 1933 essay entitled ‚The Psychological Structure of Fascism’.“1240 Die Projektionen des despotischen Orientalismus waren, wie dieser Fehlgriff Batailles veranschaulicht, demnach vielseitig anwendbar, facettenreich und bis zu einem gewissen Grad wandlungsfähig. Das abendländische Denken ist davon fasziniert und geprägt. Metaphern wie diese haben sich im Verlauf der Jahrhunderte erstaunlich gut gehalten.1241 Ein Dauerbrenner sozusagen in der Transmission der Medien bzw. in den Köpfen der BetrachterInnen. Bis heute regeln sie in ihrer Fiktionalität die kollektive und individuelle Selbst- und Fremdwahrnehmung: damit auch einen beträchtlichen Teil der ökonomisierten Lust, des Begehren und des Gewissens. Wie dieses Programm im heutigen Zeitalter (unbewusst) läuft, wird gleich in VIDEODROME und in den nachfolgenden Filmanalysen der „Sado-Spiele“ analysiert. Heute – so viel sei vorweggenommen – sind es die muslimischen TerroristInnen, die – so sehe ich das zumindest – an die Tradition dieser westlichen Trugbilder anknüpfen und diese auf grausame Weise, in einem sadistischen Spiel gemeinsam mit den Massenmedien, reproduzieren: Eine durch Medien und für die Medien geschaffene Terror-‚Inszenierung’ an konkreten geografischen Orten, u. a. an empfindlichen Knotenpunkten und Schaltstellen technologischer Vernetzung,1242 die 1240 Ebd. 1241 Hier sei noch einmal auf die Ausführungen des Evolutionspsychologen Steven Pinker verwiesen, der sehr schön aufzeigt, wie leicht man Metaphern, vor allem deren unbewusst operierende Wirkmacht und Gewalt für gewisse Zwecke einsetzen und auch missbrauchen kann. (Vgl. 279 in dieser Arbeit.) Es ist u. a. die Aufgabe der Wissenschaft, Kunst und Medien auf diesen Missbrauch hinzuweisen, ihn aufzuklären und zu verhindern. Es gilt hier wachsam zu bleiben. 1242 Vgl. Böhme 2001, 25-27 („Global Cities, Terrorismus. Fragile Urbanität in einer vernetzten Welt“). 378 weltweit und sogar in Live-Übertragung stattfindet.1243 Dabei wird über Leichen gegangen. Bilder von Opfer-Leichen auf der Seite des Westens werden im Fernsehen nicht gezeigt (sie können manchmal auch gar nicht mehr gezeigt werden, wie eine New Yorkerin, ein Opfer, schmerzvoll erfuhr),1244 die auf der anderen Seite werden (bildmanipuliert) hervorgehoben und gewinnen Pulitzer-Preise.1245 Es handelt sich um die wörtlich genommene Inszenierung des despotischen Fantasmas, das die (massen- )mediale Wirklichkeit affiziert1246 und beherrscht – wie alle Sensationen, Unfälle und Katastrophen: Abgründe und Bodenloses als täglich vermarktbare horror-Meldungen; seien sie nun real oder/und simuliert. „[D]ie Realität [hat] die Energie der Fiktion absorbiert und [ist] selbst zur Fiktion geworden.“1247 Das heißt unter anderem, dass action-Gewalt-splatter-Inszenierungen (oder andere sadistische Artefakte oder Vorgänge) in der gesellschaftlichen Realität längst angekommen und zur 1243 Baudrillard spricht vom „Terrorismus des Spektakels“ und „unserem Theater der Grausamkeit“. (Vgl. Baudrillard 2003, 31 f. und 2008 [1982], 108 f.) Oliver Fahle beschreibt in diesem Zusammenhang mit Umberto Eco „eine Art Rückkopplung zwischen dem Ereignis und dem Medium [...]. Das Medium versucht dort zu sein, wo das Ereignis gleich sein wird, da es aber nicht weiß, wo dieses gleich sein wird, muss es eine Art ‚Möglichkeitsfeld’ bereitstellen, das größte Instantaneität ermöglicht.“ Vgl. Fahle 2003, 195 und Eco 1977, 199. 1244 „Eine New Yorkerin bat flehentlich um ein Körperteil ihres unter den Trümmern der Türme des World Trade Centers begrabenen Mannes. Sie forderte es für ihre Kinder und sich selbst, um seinen Tod zu realisieren, den sie sich sonst nicht veranschaulichen können.“ (Jeudy 2003, 186.) Die gefangenen Körper im einstürzenden WTC wurden meist (wie die Computer an diesem Ort und auch die Architektur selbst) zu Staub zermalmt, so dass meist keine visuelle Identifizierung der Toten mehr möglich war. 1245 Genannt sei u. a. ein Vorfall im irakischen Fallujah Ende März 2004, als private amerikanische Sicherheitsleute in einen bewaffneten Hinterhalt gerieten und getötet wurden. Einer der Angreifer hatte neben seiner Kalaschnikow auch eine Videokamera bei sich. Zwei der verkohlten Leichen der US- Amerikaner wurden an einer Euphrat-Brücke aufgehängt und zur Schau gestellt. Die Bilder dieser (mit den Massenmedien realisierten) doppelten Hinrichtung gingen um die Welt und erhöhten die Klickzahlen. Der AP-Fotograf Khalid Mohammed bekam einen Pulitzer-Preis für sein Bild, das die von der Brücke hängenden Körper „wie geschlachtete Schafe“ zeigt. – So ein Anwohner Fallujahs, der diesem Theater der Grausamkeit beiwohnte und dessen Zitat genauso viel Verbreitung fand wie die Bilder selbst. Vorfälle bzw. Bilder wie diese sind leider keine Ausnahme: Vgl. BERLIN DOCUMENTARY FORUM 1. New practices across disciplines 2. – 6. Juni 2010, Haus der Kulturen der Welt (auch taz-Beilage). 1246 Vgl. zum Begehren nach dem Affekt: Angerer 2006. 1247 Ebd. 30. 379 konsumistischen Medien-Gewohnheit geworden sind. Sie sind keine Ausnahme mehr. „Der Anthropologe Michael Taussig spricht von der absoluten Macht öffentlicher Bilder. Mittlerweile gehören Mythen und Symbole des Terrors zu den am häufigsten reproduzierten Bildern der Welt.“1248 Jean Baudrillard stellte bereits 1982 fest: „The media are terrorists in their own fashion, working continually to produce (good) sense, but, at the same time, violently defeating it by arousing everywhere a fascination without scruples, that is to say, a paralysis of meaning, to the profit of a single scenario.“1249 Der heutige Terrorismus und dessen Live-Übertragung(en) bzw. ‚Inszenierung(en)’ wären ohne die sich in den 1970er Jahren verbreitende Videotechnologie nicht möglich: ein – um den Jargon der Massenmedien zu zitieren – Quantensprung. Bruce Hoffman schreibt in Inside Terrorism: „By the early 1970s the effect of this technological leap was further enhanced by the availability of three critical pieces of television equipment that made possible the reporting of events in ‚real time’. These were the Minicam (the portable, lightweight video camera), the equally portable battery-powered video recorder, and the time-base corrector (which converts video footage into transmittable output that in turn can be broadcast over the airwaves). With this combination of technologies, live television transmissions could now be made directly from remote locations throughout the world and beamed instantaneously into the homes of viewers everywhere.“1250 Paul Virilio stellte bereits 1998 fest: 1248 Vgl. Haustein, taz vom 12.7.2012, auch unter: www.taz.de/!97031/ 1249 Baudrillard 2009 (1982), 108. 1250 Hoffman 2006, 179. 380 „Wir sollten nicht vergessen, dass der internationale Terrorismus unlöslich mit dieser Medienfront verknüpft ist und dass die Anschläge nur aufgrund der Fernsehpräsenz, die ihnen unweigerlich zugestanden wird, einen politischen Sinn und Wert haben.“1251 Wie erwähnt hat Lacan schon am Ende seines Grundbegriffe-Seminars im Jahr 1964, in dem er sich u. a. auf das „suggestive Überhandnehmen [des] Blick[s] [...] durch die Unzahl der Spektakel und Phantasmagorien“ in „Apparate[n]“ und „Massenmedien“ bezog, mehr als deutlich vor der (masochistischen) Faszination des (sadistischen) Opfers gewarnt: Vor jenem „pathologischen Objekt“, das derzeit in explosiver Form medial zutage tritt und längst Überhand genommen hat – in etwa so, wie es David Cronenberg in VIDEODROME am fiktiven Fallbeispiel Max Renn 1983 inszenierte (wie noch zu sehen ist) und wie es Lacan u. a. psychoanalytisch im kollektiven Begehren des „Deus obscurus“ beschrieb.1252 Diese Weitsicht Lacans und Cronenbergs im katastrophischen, telematischen Zeitalter ist das notwendige Gegenbild, understanding media, zu McLuhans kurzschlüssiger Medien-Prophetie (eines goldenen Zeitalters des Elektromagnetismus) ebenfalls im Jahr 1964, das ungefähr mit dem Beginn der Videosphäre zusammenfällt. Das virtuelle Konstrukt des despotischen Orientalismus gilt – wie die meisten Projektionen – der Abwehr von Ängsten bzw. Unsicherheiten, einem verstärkten Schutzbedürfnis (homeland security). Es beschwört gleichzeitig das, was es ausgrenzt: das Fremde und Böse des Anderen, das immer auch das eigene Selbst ist: Ein xenophober, (selbst-)destruktiver Abwehrzauber, für dessen Verständnis es meist sinnvoller ist, auf den/die oder das zu schauen, der/die oder das hier zaubert bzw. projiziert, als auf das Projizierte selbst. Wichtig zu betonen ist, dass diese verzerrenden Projektionen bzw. fetischistischen Schablonen nichts mit der tatsächlichen (aktuellen bzw. virtuellen) symbolisch-historischen Realität in den Kulturen des Nahen und Fernen Ostens zu tun haben müssen oder generell mit den Räumen, die sie aus Gründen eines Lust- und Machtbegehrens abzubilden versuchen. Dieses ‚Spiel’ funktioniert selbstverständlich nicht nur in seiner Ausrichtung nach 1251 Virilio 1998, 45; zitiert nach Niemeyer 2006, 53. 1252 Vgl. Lacan 1987, 289. Vgl. zu Jacques Lacans „Sehnsucht nach dem Osten“ in den 1970er Jahren: Roudinsco 1996, 519-544. 381 Osten hin, alle Himmelsrichtungen können dafür in Frage kommen. Auch die Entfernung kann – wie erwähnt – variieren, sodass ebenso auf die unmittelbare Umgebung bzw. den eigenen Körper (bzw. dessen Bild) projiziert werden kann. Dieser (Nicht-)Ort einer despotischen Fremdheit ist ein reizvolles und reizendes Thema, ein phallisches Stand- bzw. Test-Bild, das in seiner zähen Widerständigkeit, robusten Nachhaltigkeit und seinem meist unreflektierten Konservatismus, in seinem rotierenden, ungebremsten Expansions- bzw. narzisstischen Geltungsdrang mithin, sehr ernstzunehmende Gefahren birgt. Die fantasmatische Medien-Magie hat ihre Tücken. Meist sehr brutale und plötzliche, wenn sie sich offenbaren, d. h. bewusst werden. Nichts anderes demonstriert die Realität unseres täglichen Medienkonsums: Die Simulation ist real (im Sinne von viral),1253 mit Philipp Brophy gesagt: „horrality“.1254 – Cronenberg bemerkt: „We are in wave of reaction and fear; control of imagery and dialogue is a manifestation of that.“1255 Wir leben im multimedialen Zucht- und Irrenhaus. Wir sind die gewollten Projektionen einer gigantischen, buchstäblich hochauflösenden 3 D-Simulation, eine gewaltige Blase „im globalen Dorf, in dem der Anti-Ödipus auf den Körper ohne Organe trifft“.1256 Das ist der crash test unserer Zeit, das ist VIDEODROME bzw. heute Hyperdrome. Realiter ist der Ort dieses Fantasmas, dieser Simulation, überall und nirgendwo zugleich. Er befindet sich – zumindest im Bannkreis der optischen Medien – 1253 Vgl. Baudrillard 2003, 54. Allerdings muss hier eingewandt werden, dass diese Viralität nur metaphorisch gemeint sein kann (im Sinne von Virulenz). Sie hat so gut wie nichts mit der technischen Realität bzw. Wirkung eines Computervirus oder mit der organischen eines (Krankheits-)Erregers zu tun. Auch hier schnappt also die ‚Falle’ organizistischer Metaphern zu: die kurzschlüssige Analogie von Techno- und Bioviren, die unsere heutige Wahrnehmung im telematisch-katastrophischen Zeitalter tangieren. Vgl. zu diesem Problem Weingart 2002, 79, Sarasin 2004 und Lange 2011, 580: „Die Wahrnehmung des globalen Terrors als spezifisch bioterroristische Gefahr entbehrt jeder faktischen Grundlage und bildet dennoch seit den Anschlägen vom 11. September den Nährboden von Terrorangst und Kriegslegitimation. Dahinter verbirgt sich letztendlich die imaginäre Gleichsetzung des (speziell arabisch-exotischen) Terroristen mit einem biologischen ‚Fremdkörper’, der die Immunität von Nation und Körper gleichermaßen bedroht (Sarasin 2004).“ Ebd. 1254 Vgl. Mathijs, 2008, 106; Zitat von Brophy 1986, 5. 1255 Zitat von Cronenberg in: Rodley 1997, 107. 1256 Cavall 2008, 278. 382 irgendwo zwischen „Hades und Zirkuskuppel“ bzw. „Lähmung und Mondsucht“.1257 Er lässt sich, zumindest seit dem 19. Jahrhundert in seiner flüchtig-oszillierenden Struktur bzw. in seinen betörenden und bösartigen Wirkungen, als physikalisches, elektromagnetisches Phänomen technisch beschreiben und darauf zurückführen: rauschende Ätherwellen und flimmernder Cyberspace; implementiert in (Projektions- )Apparaten und Subjekten. Es handelt sich um einen medialen Zwischenraum, ein funkend-funkelndes Spannungs- und Steuerungsfeld,1258 in dem seit ungefähr 1850 der reelle Signifikant zunehmend den imaginären Raum des Subjekt-Körpers. bzw. des Menschen in seiner Lebenswelt negativ angeht, okkupiert, unterläuft und verdrängt.1259 Wenn man will, kann man diese beunruhigende, bedrohliche – in vielerlei Hinsicht aufregende, nervenaufreibende – Entwicklung als media overkill bezeichnen; als einen deutlich wahrnehmbaren, von (tief) innen kommenden bzw. (weit) außen wiederkehrenden Despotismus, der sich auf Freuds anderem Schauplatz unbewusst zuträgt: in der psychischen Lokalität zwischen Körper und Medium in Medien und Körpern. Dieser räumlich und sprachlich schwer zu bestimmende Ort ist in der Post- bzw. Spätmoderne quasi zu videodrome bzw. hyperdrome mutiert. „Der Darstellungsraum der Videotechnik entzieht sich der Bühne und auch dem Bildschirm.“1260 Die unbekannten Spielregeln auf dem Niveau bzw. der Nicht-Bühne reeller optischer Medien und ihrer interfaces haben sich verändert, auch wenn die Grundstruktur, die Jochen Gaida als blutgetränkte Matrix (videodrome) identifiziert, gleich geblieben ist. Dieser Nicht-Ort umfasst auch – so möchte ich postulieren – die Video- und auch schon Hypersphäre, die mediale Haut des technologisch 1257 Vgl. Bitsch 2001 (2009?). 1258 Vgl. Fußnote 1237 in diesem Kapitel. 1259 Dieser reelle Signifikant ist jedoch nicht erst seit dem elektrisierten 19. Jahrhundert virulent. Er stellt die Dinge bereits zu dem Zeitpunkt auf den Kopf, als es technische Entwicklungen erlaubten, Natur reell abzubilden. Dieses Geschichte beginnt mit den kopfstehenden und seitenverkehrten Projektionen der Camera obscura im 16. Jahrhundert, die ein architektonisches Modell der zentralperspektivischen Sehfunktion lieferten. (Vgl. Hentschel 2001, 23 ff.) Das (cartesianische) Erkenntnissubjekt glaubte in den Projektionen dieses Mediums ein authentisches Abbild der Wirklichkeit und des Selbst zu erkennen, ohne dabei die täuschende Kraft, die unbewusste Wirkung dieses Reellen zu bemerken, auch wenn, wie Descartes es tat, daran gezweifelt wurde. Im Gegensatz zu den visuellen Techniken des 19. Jahrhundert (u. a. Foto- bzw. Kinematografie), war es bei der Camera obscura noch nicht möglich, deren Abbildungen zu speichern und zu manipulieren. 1260 Lazzarato 2002, 86. 383 ausgestatteten Subjekt-Körpers, die uns umgibt, ‚einkleidet’ und in verstärkter Abhängigkeit zu strenggläubigen Medien-MasochistInnen (das heißt u. a. zu Orient- Träumenden und/oder eben mit [unbewusster] Notwendigkeit zu DespotInnen) macht. Gleichzeitig wird das medial umhüllte Körper-Subjekt, seine operante Grundstruktur bzw. Matrix, deren Bedeutung bislang offen bleibt, im Film selbst freigelegt. Es sei etwas Politisches, es habe eine Philosophie, hat Masha in VIDEODROME erklärt –: „Max, von videodrome solltest Du wohl besser die Finger lassen. Es ist ganz bestimmt nichts für die breitere Masse.“1261 Diese gut und ernst gemeinte Warnung spricht sie aus, als die beiden Medien-Macher sich zum business lunch im Orient-Restaurant treffen. Dort wird Bauchtanz als unterhaltsames Begleitprogramm aufgeführt. Cronenberg zeigt die performance einer leicht bekleideten Frau – ‚stilecht’ zu orientalischen Klängen. Die Einstellung wird auffällig ins Bild gesetzt, eine Kamerafahrt folgt ihrem erotisierenden Tanz durch den gastrokommerziellen Erlebnisraum. Während Masha und Max auf der Empore zu Tisch sitzen und sich unterhalten, läuft die Musik als Soundkulisse im Hintergrund weiter. Bauchtanz wurde allerdings nicht nur im Orient, sondern auch in Frankreich um 1880 erfunden.1262 Der Begriff geht auf den französischen Schriftsteller und Orientreisenden Emile Zola zurück, der den Tanz – zumindest literarisch – in diesem 1261 Masha weist darauf hin, dass videodrome nicht gestellt sei; Folter und Mord würden sich tatsächlich in dieser snuff-Show ereignen. 1262 Vielen Dank an Uwe Vagelpohl für diesen Hinweis. 384 Jahr vor dem Hintergrund seines prüden Zeitalters einführte: danse du ventre. Masha scheint ein Faible für solche Inszenierungen zu haben, was sich auch an ihren extravaganten Kostümen, inklusive modischem Kopfputz, zeigt. Ihre Aufmachung hat – ihrem fortgeschrittenen Alter angemessen – etwas dezent Verspieltes und harmoniert mit ihrer ausgeglichenen Gesamtpersönlichkeit.1263 Ihr aufgeschlossener und mütterlicher Typ ist ein konstrastreiches Gegenbild zu Max, der trotz seiner Ecken und Kanten (und großen Augen bzw. geweiteten Pupillen) eher angepasst und meist an- oder abgespannt wirkt. Bridey bezeichnet Masha als eine „harte Nuss“.1264 Masha ist auf keinen Fall Max’ ‚grausame Frau’, sondern vielmehr seine Vertrauensperson. Trotzdem hat sie aufgrund ihres (Medien-)Wissens und ihrer Lebenserfahrung Macht – und ist auf gewisse Weise dann doch seine Herrin. (Auch wenn Max ihren Ratschlägen nicht immer folgen wird. Sie warnt ihn nicht nur, sondern fragt auch an anderer Stelle z. B. nach, ob er nicht schon einmal daran gedacht hätte, einen eigenen Film zu produzieren.)1265 In der englischen Originalfassung spricht Masha mit Akzent, der auf ausländische Herkunft hindeutet. Mashas süßlich-seichte Erotikproduktionen ähneln, wie ein Ausschnitt aus „Apollo und Dionysos“1266 in VIDEODROME verdeutlicht, in ihrer Ästhetik der gezeigten Erlebnisrestaurant-Bauchtanz-performance. Mashas Faszination scheint an die Zeit der leuchtenden Orientalismen im Paris der Jahrhundertwende anzuknüpfen, wie sie das vergnügungssüchtige Bürgertum und auch die künstlerisch-wissenschaftliche Avantgarde im 19./20. Jahrhundert zu inszenieren und goutierten wusste. Dabei ist der Show-Aspekt unverkennbar. Vgl. Tausendundeine Nacht [Neuübersetzung von Joseph Charles Victor Mardrus 1899- 1904, 16 Bände, Revue Blanche (Hrsg.)], Tausendundeine Nacht [legendäre Motto- 1263 Vgl. zur „Gesamtpersönlichkeit“ und deren „Trugbild“ bei Freud und Lacan: Lacan 1997, 285 f. Vgl. zur Gesamtpersönlichkeit und deren Idealisierung bei McLuhan: Bitsch 2008, 249. 1264 Masha ist sehr geduldig. Als sie mit Max bei Civic TV verabredet ist und dieser eine Stunde zu spät zu dem vereinbarten Termin erscheint, wirft sie ihm dies nicht vor. Von Genervtsein keine Spur (im Gegensatz zur hektischen Bridey James). 1265 Das Komische ist hier, dass Max in VIDEODROME schon von Anfang an nach und nach seinen ureigenen Videofilm produziert, ein egomorphes horror-Fantasma. 1266 Ernest Mathijs erinnert der Ausschnitt an CALIGULA (1979, Regie: Tinto Brass). Vgl. Mathijs 2008, 110. 385 Party am 24.6.1911, zu der der Modedesigner Paul Poiret geladen hatte], Scheherazade [erfolgreiche Ballett-Inszenierung von Sergej Diaghilev 1910 bzw. Freuds Phallus-Fantasien hinsichtlich dieser Erzählung in: Totem und Tabu, ein Text, an dem er 1912-13 schrieb: „the definite version of the fantasy of the all-powerful male with monopolistic control of all women.“].1267 Trotz auffälliger ‚Orient-Fantasien’ am Rande ist in VIDEODROME sonst nichts von ‚exotisch-orientalischer’ Sinnlichkeit (und ihrer mehr oder weniger verschleierten Körperlichkeit oder was die Klischees sonst noch hergeben) zu sehen oder zu spüren. Ausschlaggebend sind hier vielmehr die Rauschmittel und Subversionen des postmodernen Alltags. Ernest Mathjis erkennt diesbezüglich in VIDEODROME: „porn, illegal trafficking, cheap liquor, takeaway food, piracy“.1268 Vor dem Hintergrund der eben diskutierten Metapher scheint dann das ‚Orientalische’ (Eros) fast verschwunden zu sein, wohingegen zu fragen ist, inwiefern der Despotismus (Thanatos) in der medialen Alltagskultur präsent ist. Nicki Brand und Rena King Max lernt die Radiomoderatorin Nicki Brand (Deborah Harry, Sängerin und Texterin der New Yorker New Wave-Band Blondie) kennen.1269 Sie moderiert die ‚Rettet die 1267 Vgl. zu diesen Quellen: Wollen 2008, 1 ff.; Zitat 6. „The impact of Schéhérazade was due, above all, to brilliant and unexpected combinations of massed colour: emerald green, deep blue, orange-red.“ Ebd. 4. Ist es Zufall, dass genau diese Spektralfarben – wie es der anfängliche Werbetrailer in VIDEODROME zeigt – im aufgefächerten Schrift-Logo von Civic TV verwendet werden? Im Verlauf das Films wird sich allerdings orange-rot (zur Kennzeichnung des Viszeralen, des fleischlichen Innenlebens) gegenüber den anderen Farbtönen durchsetzen. Vgl. Beard 2001 156 ff., 160. 1268 Vgl. Mathijs 2008, 108. 1269 Bei Cronenberg sind die Namen seiner Figuren immer Programm. Ihre Eigennamen spiegeln Charaktereigenschaften und filmdramaturgische Funktionen wieder [telling names]. (Vgl. Weber 2008, 187.) So verweist Nickis Nachname Brand auf ihre masochistischen hardcore-Gelüste, fügt sie sich doch in einer Einstellung eine Brandwunde zu – mit einer brennenden Zigarette auf ihrer Brust. Auch für Max ist sie brandheiß – wie spätestens das Ende des Films deutlich macht. Er wird sich dann nicht nur die Finger an ihr verbrannt haben... („Nick bedeutet Einschnitt, brand Brandmal.“) Vgl. Oetjen und Wacker 1993, 114. 386 Gefühle-Show’ des Radiosenders C-RAM, eine Vorwegnahme jener ‚Seelen- striptease’-Formate, wie sie seit den 1980er Jahren in den USA und den frühen 1990er Jahren auch in Deutschland im (Mittags- bzw. Nachmittags- )Fernsehprogramm der Privatsender äußerst populär geworden sind.1270 Nicki und Max begegnen sich zum ersten Mal ebenfalls in einer TV-Nachmittagstalk-Runde, zu der Rena King (Lally Cadeau) in ihre gleichnamige Show geladen hat. Wie es für daily-talk typisch ist, trägt die Show den Namen der Moderatorin oder des Moderators. Damit wird eine zentrale Identifikationsfigur geschaffen, die durch die Sendung, (d. h. durch den sich hier meist abspielenden, kalkulierten Krawall und Tumult) ‚führt’. Rena ist, auch wenn sie ziemlich bieder wirkt, einfach der ‚King’: phallisch-telematisch, versteht sich. Rena King wird sich in der aktuellen Ausgabe ihrer Show mit dem Thema ‚Fernsehen und soziale Verantwortung’ befassen. Ähnlich wie zuvor Bridey ist auch Nicki über einen Monitor eingeführt worden, der sie abbildet und zugleich (an ihrem Sitzplatz im Fernsehstudio) verdeckt.1271 Kurz bevor die Talkshow auf Live-Sendung geht, macht sich der nervöse, (Ketten- )rauchende Max noch einmal locker und nimmt eine aufrechte Körperhaltung ein (sein Gesichtsausdruck erscheint nun ernst, er muss seriös wirken),1272 während Nicki wie versteinert bzw. ‚eingefroren’ neben ihm sitzt.1273 Im Verlauf der Diskussion 1270 Allerdings nimmt Nicki – im Gegensatz zu unseriösem Daily- oder Affekt-Talk im Fernsehen – die Sorgen ihrer AnruferInnen tatsächlich ernst, wie eine Szene, die sie bei ihrer Arbeit im Studio zeigt, beweist. Eine weibliche Stimme schluchzt am Telefon und hat sich bei Nicki im Radio einmal richtig (öffentlich) ausheulen können. Schon hier wird klar, dass Nicki als Spiegel fungiert, auf den andere ihre Probleme projizieren. (Allerdings konnte sie in diesem Fall nicht weiterhelfen und muss die verzweifelte Anruferin an eine professionelle Seelsorge weiterleiten. Man erfährt auch nicht, worum es in diesem Gespräch ging.) 1271 Vgl. Gaida 2002, 42. Max Renn wird als ‚umstrittener Präsident von Kanal 83’ vorgestellt. Dass er irgendwo eine Präsidenten-Funktion inne hat, scheint nicht zu stimmen, zumindest wird dies im Film nicht ersichtlich. Eventuell ist dies schon einen Anspielung auf den Wahn des Senatspräsidenten Daniel Paul Schreber, der, wie noch zusehen ist, als Folie für Max Transformation in VIDEODROME dient. 1272 Allerdings, so ehrlich ist Max dann doch, gesteht er Rena King, dass er trotz langjähriger Berufserfahrung vor solchen Auftritten immer noch sehr nervös ist. Rena beruhigt ihn mit freundlichen Worten. 1273 Nicki wird als petrifiziertes Stand- bzw. Monitorbild in VIDEOROME eingeführt. Das Einzige, das sich in dieser Einstellung an ihr bewegt, sind ihre Augen – ein Blick auf Max. Man achte auch auf die 387 erklärt Nicki, dass sie „in einem hochgekitzelten Zustand der Überstimulation“ lebt.1274 Sie meint damit nicht nur sich selbst, sondern auch die Medien-/ Informationsgesellschaft in der sie lebt: „Ich glaube, dass wir heute in überstimulierten Zeiten leben. Wir suchen Stimulation, wo es nur gerade geht, wir stopfen uns voll damit, wir wollen immer mehr davon.“ Gleichwohl hält sie diesen Zustand, egal ob dieser „fühlbar, emotional oder sexuell“ sei, „für schlecht“. Nicki trägt während ihres Auftritts ein rotleuchendes Kleid, das Aufmerksamkeit erregt und an dem Max’ Blick hängen bleibt: Max: „Wissen Sie, was Freud über das Kleid wohl gesagt hätte?“ – Nicki: „Er hätte wohl Recht gehabt!“ (Wahrscheinlich meint sie einmal mehr die Überstimulation, in der sie lebt. Und tatsächlich hätte sie dann Recht, spricht Freud doch von einer „mit den stärksten Energien geladenen Außenwelt“ und erwähnt auch deren „zerstörende[n] Einfluß“.)1275 Auffallend ist, dass bei diesem Talk niemand genau bzw. besonders gewissenhaft auf die Fragen des anderen antwortet (oder antworten kann). – Ein geschwätziges Drauflos- bzw. Aneinander-vorbei-Reden, wie es für dieses Genre typisch ist, das hier jedoch Palmenkulisse, vor der beide sitzen und die noch eine bedeutende Funktion übernehmen wird. Vgl. 403 f. (Fußnote1324) in dieser Arbeit. 1274 Schon Daniel Paul Schreber schrieb 1903 autobiografisch über „die Nervenüberreizung in Folge von Ueberkultur.“ Vgl. Schreber 1995, 120. 1275 Vgl. Freud 1999 (b), 212 und vorheriges Kapitel in dieser Arbeit: „Das Objekt a“. Damit verfügt sie über ein Medienwissen, das der Domina bzw. dem Masochisten im späten 19. Jahrhundert noch fehlte. 388 aufgrund von (sexuellen) Anspielungen und Doppeldeutigkeiten überzeichnet und leicht grotesk wirkt. Rena King ist von der Peinlichkeit dieser Kommunikation zwar irritiert, tut aber so, als ob nichts wäre. Vor allem dann, als Max Nicki vor laufender Kamera verführt, worauf Nicki sich einlässt. Rena: „Ist Max eine Gefahr für unsere Gesellschaft?“ (Sie meint damit die Gewalt- und Erotiksendungen, die Civic TV ausstrahlt.) – Nicki: „Da bin ich mir nicht sicher, er ist auf jeden Fall eine [Gefahr] für mich.“ Langweiliger, gestellter Nachmittags-Talk mutiert so plötzlich zur aufregenden dating show, die ausnahmsweise echt ist. Die Kommunikation erhält an dieser Stelle ihre zuvor abwesende Glaubwürdigkeit zurück. Dies spricht auf jeden Fall für daily-talk.1276 Damit man nun bloß nicht glaubt, dass sich hier eine boy-meets- girl-Romanze anbahnt, schließt an die letzte Einstellung der Rena-King-Show eine Übertragung aus der videodrome-Folterkammer an. Nicki ist praktizierende Masochistin und liebt Pornos, was ihre soeben bei Rena King gemachte Aussage ambivalent erscheinen lässt (und gleichsam ein Schlag ins Gesicht aller feministischen ‚Por-NO’-Kampagnen dieser Zeit darstellt).1277 Als sie und Max sich bei ihm zu Hause videodrome anschauen (sie hat die Videokassette mit der Raubkopie dort mehr oder weniger zufällig in Max’ Video-Sammlung entdeckt),1278 übt dieses snuff-Programm sofort eine starke Faszination auf sie aus. Nach außen hin, in der medialen Öffentlichkeit, verneint sie, was sie im Privaten begehrt: sex and horror, die two tribes der Postmoderne (wie es bei Frankie Goes to Hollywood 1984 heißt).1279 Max wirkt unsicher und möchte die Präsentation abbrechen. Nicki interveniert – sie halte das aus. Von den Folterszenen sexuell stimuliert verlangt sie von Max, dass er sie mit seinem Schweizer Armeemesser auf der Schulter oben links 1276 Zwei Beispiele für Grenzüberschreitungen in TV-Talkshows gibt Angela Keppler. Sie verweist darauf, dass auch seriöse Talksendungen (im öffentlich-rechtlichen Fernsehen) durchaus auf Entgleisungen und Krawall setzen. (Es geht um ein aggressives Gespräch zwischen Sandra Maischberger und Oskar Lafontaine bzw. den für Talkshows äußerst typischen Kampf ums Rederecht.) Vgl. Keppler 2006, 198-216. 1277 Vgl. zu Pornografiezensur-Befürworterinnen: Williams 1995, 40 ff. 1278 Vgl. zum unbewussten Finden in der Prothesentheorie Ernst Kapps: Ders. 1978, 134. Das ist die Dimension, die bei Kapp fehlt – das unbewusste Finden eines bösen Objekts. 1279 Vgl. Mathijs 2008, 102. Andy Warhol bezeichnete VIDEODROME als CLOCKWORK ORANGE der 1980er Jahre. Ebd. 107. 389 verletzt.1280 An dieser Hautstelle befinden sich bereits mehrere kleine Schnittwunden, wie eine Nahaufnahme zeigt. Max ist somit nicht der erste, der sie sadomasochistisch bedient, wie sie ihm leicht verlegen, aber dennoch cool bestätigt. Später, als beide unbekleidet und ineinander verschlungen auf dem Bett liegen, durchsticht er ihr Ohrläppchen mit einer Nadel. In diesem Vorspiel leckt er ihr Blut von der Nadel ab: vielleicht eine Reminiszenz an vampirisches Blutsaugen von einst (auf jeden Fall: eine homöopathische Dosis und kein Safer-Sex im Jahre 1983). Während des nachfolgenden Geschlechtsakts – im Hintergrund läuft die videodrome-Aufzeichnung weiter – verändert sich auf einmal Nickis von Cronenberg auffällig in Szene gesetztes Stöhnen: „[D]ie musik hat in diesem moment stillgehalten. der charakter des stöhnens wird in der modalität plastisch, scheint nicht mehr aus der szene zu kommen, sondern steht über ihr. musik und stöhnen begleitet die optische verlagerung des nackten paares in einen anderen raum. der ist ident mit der aus dem video bekannten folterkammer. das 1280 Auch in Cronenbergs Film eXistenZ (1999), der mit seinen neuartigen Bio-Simulationstechnologien thematisch an VIDEODROME anknüpft und diesen aktualisiert (vgl. Ochsner 2003 [Zur Konfusion der Bilder]), wird die Protagonistin links oben (aus der Zuschauerperspektive) auf der Schulter verletzt (vgl. Pühler 2006, 130). Nicht, weil sie es so wollte, sondern weil sie Ziel und Opfer eines terroristischen Anschlags wurde. Wahrscheinlich handelt es sich bei der wiederholten Ausstellung dieser Körperstelle bzw. Wunde um einen Vorgang, der noch zu entschlüsseln ist und demnach Cronenbergs Geheimcode unterliegt (vgl. Dreibrodt 2000, 14 f.); vielleicht sind damit auch nur Akupunkturpunkte gemeint. Solche Punkte auf dem oberen, linken Schulterbereich markieren die oberflächliche ‚Repräsentation’ innerer Organe (vornehmlich im Unterleib). (Möglicherweise hat Cronenberg ein gewisses Faible für diese Hautstelle bei seinen attraktiven Schauspielerinnen, ähnlich wie Tinto Brass bzw. Sade weibliche Hinterteile fixierten... Eine weitere auffällige Überschneidung zwischen VIDEODROME und eXistenZ besteht darin, dass die Protagonistinnen in beiden Filmen in machen Szenen glattes Haar, später dann gelocktes oder gewelltes Haar haben – eventuell eine Anspielung auf 1440 – Das Glatte und Gekerbte in Deleuzes und Guattaris Raumtheorie [vgl. dazu Dünne und Günzel 2006, 434-446, Originalquelle: Deleuze und Guattari 1992, 658-694].) Wie dem auch sei, VIDEODROME ist auf jeden Fall der Film, in dem sich Cronenbergs (Geheim-)Code seines Werks am Dichtesten präsentiert: „Every motif and metapher explored in any Cronenberg film originates or resonates in this film: science, technology (both shiny and fleshy), body horror, gore, isolation, hallucination, medicine, paranoia, family dysfunction, physical sexuality, male and female sado-masochism – they all resound in Videodrome. Yet, Videodrome, is an elusive und reclusive piece of work.“ Mathijs 2008, 105. 390 entfremdete, vom beginn der koitalen vereinigung kommende stöhnen überlagert den neuen, bühnenartigen raum, in den wir von oben einsehen // 0:16.21 //. das stöhnen ist das vorstellungsbild, das nie filmbild war: das der penetration. als bild inauguriert es die halluzination im video-dom: ein auditives bild führt in videodrome ein. [...] es ist der volle tonkörper, der uns in das zentrum eines imaginären territoriums einlässt, sein inneres spürbar macht.“1281 Jochen Gaida erkennt an dieser Stelle, an der der Film endgültig ins andere, in die multimediale Fülle von videodrome zu kippen bzw. raffiniert in einen akustischen sex-flow überzugleiten scheint, ein sich verdichtendes „elektronisches Echo“. Trotzdem vergisst Gaida hier nicht die visuelle Dimension (gerade weil es ja die Optik des Filmbildes ist, die den funktionalen Rahmen schafft, in dem solche Szenen in VIDEODROME [für das Publikum im Kino oder vor der Video-, DVD-, Rechner- Präsentation] so verführerisch, so ungemein reizvoll wirken): „Max hat eine Vision: Nicki und er befinden sich inmitten eines rotleuchtenden Raums, im Hintergrund ist eine Mauer aus Lehm zu sehen: Es ist die ‚Videodrome- Kulisse’. Dann ist der Raum auf einmal leer – erst das Ende des Films wird die beiden für immer in ihm vereinen. Dieses letzte Bild der Vision, der leere Raum, ist dabei eindeutig als ein elektronisches zu erkennen gewesen.1282 Max träumt nicht nur von den Aufnahmen, die sein Fernseher pausenlos produziert, er halluziniert sogar in Videobildern; seine Phantasien nähren sich nicht länger von Video, sie sind Video. Auf diese Weise ist Max gleichzeitig Konsument und Produzent der Show. Videodrome ist nicht nur ein Ort, an den seine Phantasien ihn versetzen. Videodrome 1281 Friesenbiller 1992, 147 (Konsequente Kleinschreibung im Text). Mit dieser Tondramaturgie, schreibt Stefan Höltgen, wird das detektivische Verwirrspiel in VIDEODROME (bzw. um videodrome), die hier rätselhafte Frage nach Herkunft und Authentizität der Aufzeichnungen und des Sounds, noch verstärkt: „Besonders offenkundig wird dies auch auf der Ton-Ebene, die die Differenz zwischen medial-abwesend und räumlich-anwesend zu brechen in der Lage ist.“ Höltgen 2004, unter: http://www.f-lm.de/2004/03/19/»the-retina-of-the-minds-eye«/ 1282 Am Schluss dieser Einstellung ist leise der Sound einer ins Schloss fallenden Eisentür zu hören. Nach einem Schnitt sieht man den öffentlichen Außenraum um das Civic TV-Gebäude in Toronto, eine städtische Straßenansicht. In einer vorangegangenen Einstellung wurde bereits die von außen sichtbare, bewegliche Satelliten-Technik des Senders, die videodrome abfängt, prominent ins Bild gerückt. 391 ist die technische Reproduktion dieser Wunschvorstellungen, eine Live-Schaltung aus einem abgespaltenen Teil seines Bewusstseins.“1283 Nach Régis Debray ist das Zeitalter der elektronischen Bilder – eben die Videosphäre – gerade dadurch gekennzeichnet, „daß es dem Hörsinn die höchste Stelle zuweist und aus dem Blick nur eine Abwandlung des Gehörs macht. [...] Der Gehörsinn ist von seinem Ursprung und von seiner Anlage her archaisch. Daher gleicht das Audiovisuelle die optische Loslösung durch eine akustische Anbindung aus, eine instabile Verbindung, in der der Audio-Teil zur Dominanz neigt.“1284 Yvonne 1283 Gaida 2002, 43. Gaidas Analyse ist der Alptraum Ernst Kapps, des Vaters des anthropozentrischen Prothesendenkens. Dieser hatte ja schon – auch wenn er es nicht direkt zugab – eine panische Angst vor der „degradirende[n] mechanistische[n] Weltanschauung von der Maschinenwerdung des Menschen und der Menschwerdung der Maschine“ im späten 19. Jahrhundert. (Vgl. Kapp 1978, 126 und 132.) Und wie man bei Cronenberg in dieser Sexmaschinen-Szene sieht: zu Recht. Es wird für seine Philosophie (spätestens mit dem medienpsychotischen Schreber-Diskurs) in VIDEODROME noch schlimmer kommen. Jochen Gaida führt in seinem Buch Bewusstseinsprothesen kurz in die Technik-Philosophie Kapps und generell in das daran anschließende Prothesendenken bei Freud, Baudrillard u. a. – ein. Vgl. Gaida 2002, 17-37 und auch seine in diesem Zusammenhang äußerst inspirierende, dezidierte und hier bereits viel zitierte VIDEODROME-Analyse: ebd. 39-61. 1284 Debray 1999, 290 f.: „Der Begriff der ‚Landschaft’ wurde dem Auge vorbehalten und der der ‚Umwelt’ dem Ton. Nun ist das Visuelle zu einer gleichsam stimmhaften Umgebung geworden und die ehemalige ‚Landschaft’ zu einer synästhetischen, vereinnahmenden Umwelt. Fluxus ist der Name für unsere Zeit. Der Ton fließt und vielleicht hat er das Bild gleich mit weggeschwemmt.“ (So wird es dann in VIDEODROME passieren.) 392 Spielmann weist ferner darauf hin, dass Video in Signalprozessen besteht, die eben auch in akustischen Geräten wie Synthesizern generiert werden können und dies – was für Video allgemein gilt – „ohne jegliche Aufzeichnung“.1285 Hier wird einmal mehr das Ephemere, das Ort- und Raumlose, das Jenseitige1286 deutlich –: die reelle Immanenz dieses Hybridmediums, wie sie uns in der heutigen Wahrnehmung erscheint; ein tiefes Eintauchen in bzw. gleichzeitiges Abheben mit elektronisch produzierte(n) Bilder(n) und produzierten(/m) Sound,1287 die/der die unendlichen Weiten des elektromagnetischen Feldes oder Cyberspaces ziemlich perfekt simuliert bzw. sich in diesem technisch realisiert. Gerade elektronischer Sound lässt das Medium selbst vergessen und hebt die reale Körperlichkeit im sich verändernden und/oder auflösenden Innen- und Außenraum wieder hervor. Es wundert daher nicht, dass Howard Shores Soundtrack zu VIDEODROME u. a. am Synthesizer entstanden ist.1288 „Wenn man ein Video produziert, schaltet man sich ein, verbindet sich mit dem kontinuierlichen Prozess universaler Veränderung, der bereits existiert, bevor man die Absicht hat, sich seiner zu bedienen. Man richtet sich im Strom ein.“1289 Max’ wahnhaftes Oszillieren, gleichzeitig Konsument und Produzent von videodrome zu sein,1290 korrespondiert im technischen Sinne insofern mit Video, als Aufnahme- 1285 Spielmann 2005, 8. 1286 Vgl. zu Jenseitsräumen: Böhme 2000, 63; bzw. in Computerspielen: Butler 2007, 178. 1287 Vgl. club transmediale und Meike Jansen (Hrsg.) 2005. 1288 „Synthesizer and electro-pop, big hair and tight jeans, the VCR and MTV, Ronald Reagan and Margaret Thatcher, the Cold War, nuclear missiles and „Star Wars“, Lebanon and Nicaragua, umemployment and corporate greed, AIDS and famine, Pac Man and the Walkman, series, serials, sequels, remake, sampling and franchises, Friday the 13th and Cats, and the general commodification of past tastes through persiflage and pastiche: the 1980s have a bad reputation.“ (Vgl. Mathijs 2008, 102.) Diese Aufzählung, die die 1980er-Jahre-Signifikanten wirkungsvoll zusammenfasst, hätte der kubanische Künstler Félix González-Torres mit seinen Schlagwort-Jahreszahlen-Serien wie in „Untitled“ (1988) wohl nicht besser hinbekommen. Vgl. auch den Mehr-Lust-Appendix in dieser Arbeit, der von solchen Quellen inspiriert ist. Auch News- oder Börsenticker im Fernsehen oder Tag- Sammlungen im Internet gehören dazu. 1289 Lazzarato 2002, 68. 393 und Wiedergabefunktion simultan ablaufen können.1291 Mit Freud und Lacan gesprochen: Jenes mysteriöse AV-Signal (a)1292 ist für Max zur faszinierenden Objekt- Ursache einer neuen psychischen bzw. psychotischen Aktion geworden; zu einem sich encodierenden videostream (ohne Stopp- oder Pausenfunktion), der in seinem unbewussten Programm, einer operanten Syntax, gleichzeitig (Umwelt- )Informationen einliest, speichert, verrechnet und in stetig fließender Selbstverwandlung virtuell, im/als Ich(-Projektion), als Blick wiedergibt. Dieses streaming wird mit den herkömmlichen Bildmedien, bewegliche Spiegel(- Apparaturen) mit fixierten Einzelbildern, dabei in einen intermedialen und sadomasochistischen Konflikt geraten, der nach Anerkennung, einem Ergebnis/Zeichen ruft und daher auf jeden Fall ausgetragen werden muss. Der Effekt liegt zunächst auf der Ebene der Aufmerksamkeit und des (sexuellen) Begehrens, in dessen zunehmender Intensität bzw. Faszination. Max bemerkt, während er videodrome konsumiert bzw. produziert: „Ich kann gar nicht aufhören hinzuschauen!“ Die fantasmatische Manege der spekularen (kleinen) anderen ist jetzt eröffnet. Die Kulissen des Ich erstrahlen im gleißenden Licht des Reellen und geben einen düsteren, ‚viszeralen’ Glanz ab. Diese Farbdramaturgie bildet einen deutlichen Konstrast zum kalten, bläulichen Kathodenstrahl-Licht in Max’ Apartment. Zudem sind sozusagen als running gag in diese Kulissen bzw. in den architektonischen Innenräumen oft horror-Filmplakate zu sehen: „[I]n seinem [Max’] Büro hängt ein Filmplakat mit der Aufschrift Up from the Depths (Aufgestiegen aus den Tiefen); überall an den Flurwänden des TV-Senders hängen Plakate von Horrorfilmen mit ähnlichen Sprüchen über irgendetwas Unbekanntes, Bedrohliches aus der dunklen 1290 Diese Figur, dieser Vorgang, dass das mediatisierte Subjekt gleichzeitig VerbraucherIn und ErzeugerIn von Information ist, hatte McLuhan schon in Bezug auf Werbung herausgestellt. Vgl. McLuhan 1995, 346. 1291 Vgl. Spielmann 2005, 7. 1292 Manfred Riepe umschreibt die a-Funktion in VIDEODROME mit einem Paradox: „Max ist fasziniert von dem Gedanken, dass es im Fernsehen etwas gibt, das zugleich nicht mehr Fernsehen ist.“ (Riepe 2002 [a], 90.) Dieses obskure (Nicht-)Objekt bewirkt in VIDEODROME das, was Max (psychotisch) begehrt und sucht. 394 Tiefe der menschlichen Psyche, das an die Oberfläche drängt.“1293 Doch bei dem gag dieser Filmplakate wird es nicht bleiben. David Cronenberg kehrt Max’ psychotisch werdende Innerlichkeit nach außen, er projiziert sie als delirierende Imagination in das Filmbild selbst, was einen verstörenden Effekt nicht nur für Max, sondern ebenso für seine RezipientInnen bedeutet: Ein neuer – simpler wie genialer – Spezialeffekt, der nicht mehr viel mit herkömmlichen Inszenierungen psychischer Dysfunktion im Film zu tun hat.1294 Max, der Held, ist somit in seiner eigenen Wahnwelt als handelnde, mediengesteuerte Figur stets präsent bzw. gefangen. Er wird zusehends zur Videomarionette,1295 zum ferngesteuerten Zombie-Avatar, der verstörende Kunststücke aufführt und dabei sogar die gewohnte Wahrnehmungslogik bzw. -logistik von Zeit, Raum und Körperlichkeit hinter sich lassen wird. Dieser Vorgang, der sich über die Gesamtdauer des Films erstreckt, und den man zuerst kaum wahrnimmt,1296 macht VIDEODROME zu einem sogenannten first person-Film:1297 Ein Film im Zeichen der ‚kinematografischen’ Ich- Funktion, wie sie für Max erscheint und mit Video aus den Fugen gerät. Dabei versucht er, seine sich plötzlich stark wandelnde imaginäre Realität, sein zunehmend außer Kontrolle geratendes Ich-Bewusstsein zu manipulieren, d. h. wieder ins Gleichgewicht bzw. – mit Barthes in Hinblick auf Sade gesagt – „ins Lot“ zu bringen.1298 1293 Oetjen und Wacker 1993, 105. Vgl. zum Fetisch Filmplakat 190 (Fußnote 583) in dieser Arbeit. 1294 In Cronenbergs eXistenZ (1999) zählt die Protagonistin Allegra Geller solche Inszenierungsmittel, Montage-Techniken des Films, auf: „Das können sehr bruale Schnitte, weiche Blenden oder verschimmernde Verzerrungen sein.“ 1295 Schon Carl Gustav Jung war aufgefallen, dass „das Ich-Bewusstsein bloß die Marionette ist, die auf der Schaubühne eines verborgenen automatischen Getriebes tanzt“. Jung 1905, zitiert nach Kittler 2003 (a), 337. 1296 Man weiß demnach auch nicht genau, wann Max anfängt, zu halluzinieren. Wahrscheinlich ist sein Wahn von Anfang an in VIDEODROME vorhanden. Dieser wird erst mit den Spezialeffekten, die im Haupttext noch thematisiert werden, ersichtlich. Diese verweisen auf die paranoische Grundverfassung des Subjekts. Sie ist immer da und bewirkt, dass überhaupt (anderes) wahrgenommen werden kann. 1297 Vgl. Riepe 2002 (a), 100 ff. und Pühler 2006, 136, Fußnote 401 (Kommentar zur Abgrenzung der first-person-Perspektive zur subjektiven Kamera). 1298 Vgl. Barthes 1986, 35 395 David Cronenberg führt diesen unkontrollierbaren psychischen Vorgang, den er mit optischen Medien in VIDEODROME realisiert, auf ein Eingeschlossensein, auf Gefängnisse, zurück: „I feel that Max ultimately manages to manipulate this new reality he finds himself in to seek his own equilibrium again. I think that’s what would happen. People in prison camps, or people subjected to all kinds of psychological and physical torture are constantly trying to rebalance themselves. There is an innate balance that wants to be expressed.“1299 Spiegelstadium /-stadion Cronenberg visualisiert hier Lacans Theorem über das Spiegelstadium1300 und mehr noch das in der Forschung meist vernachlässigte oder übersehene Vorspiegelstadium, wie es Ellie Ragland-Sullivan als Begriff(serweiterung) einführt.1301 In diesem haben sich erste latente Signifikanten-Regungen, Objektsplitter und Körperfetzen, niedergeschlagen (auch erste Körperinformationen wie z. B. Herzrhythmustöne im Mutterleib), die die synästhetische Struktur der Objekte klein a vorbereiten, zunächst akustische Informationen,1302 die dann aber durch die nachfolgende, schockartige Installation der phallischen Imago bzw. des Körperbildes (ab dem sechsten Monat beim Säugling) in den Hintergrund, ins Innere, gedrängt werden. (Das Ohr besitzt die wenigsten Sinneszellen von allen menschlichen Sinnesorganen.) Die Verwandlung eines Individuums durch die Übertragung von optischen Informationen mag auf den 1299 Zitat von Cronenberg in: Rodley 1997, 96. 1300 Zur Bedeutung des Spiegelstadiums in Cronenbergs Ästhetik vgl. Grünberg 1992, 77 ff. Serge Grünberg hebt die Todesdimension in diesem Theorem mit einem Wortspiel hervor: „Le stade du ‚mouroir’“. Hanna Gekle redet vom Tod im Spiegel. Vgl. dies. 1996. 1301 Vgl. Ragland-Sullivan 1989, 40 ff. Der Übersetzer Claus Koch merkt an, dass Ragland-Sullivans explikativer Begriff des Vorspiegelstadiums im Werk Lacans nicht vorkommt. 1302 „Verfolgt man die Geschichte eines Körpers zurück an seinen Anfang, so gelangt man an einen Punkt, an dem der Körper im Mutterleib auf seine Geburt wartet. Der Fötus hört den Körper seiner Mutter, ein nicht enden wollendes Geräusch, und selbst das noch sehunfähige Baby hört bereits zu. Das Bild kommt vor dem Wort, der Ton aber kommt noch vor dem Bild.“ Debray 1999, 291. 396 Primat des Sehsinns und die Vormachtstellung des Visuellen in der Moderne verweisen („Nur das, von dem es ein Bild gibt, hat Realität“),1303 darf aber keinesfalls nur darauf reduziert werden. Zudem sollte diese Ich-Installation nicht nur als zeitlich und räumlich abgeschlossenes Stadium begriffen werden, wie es z. B. Entwicklungspsychologen gerne tun. Denn im Subjekt können – dafür ist Max Renn ein signifikantes Beispiel – grundsätzlich zu jeder Zeit wahnhafte Manifestationen (eines intensivierten bzw. radikalen Begehrens, dem massiven Signifikanten-Drängen im Unbewussten) auftreten, welche die Integrität und vermeintliche Autonomie des Ich unterlaufen bzw. in Frage stellen. Dadurch wird die Funktion des Spiegelstadiums, die Abwehr des bedrohlichen (Körper-)Realen, dessen funktionale Vereinheitlichung als/im Apparat, gestört. Seitdem es reelle Medien gibt (also ungefähr seit der Renaissance), ist nicht mehr nur die Körpergrenze zum Realen sichtbar und unsicher geworden, sondern auch diejenige zum Technisch-Symbolischen, das heute die Welt der elektronisch gesteuerten und vernetzten Maschinen ist, das Reelle. Und dieses umfasst – formatiert und affiziert – eben auch (und besonders) die innere Welt der psychischen Apparate, die unter Spannung stehenden, hochtourig laufenden Wunsch- und Höllenmaschinen im Ich. Daraus resultiert schließlich, wie bereits in den vorangegangen Kapiteln gesagt wurde, der Glamour und mehr noch die Psychopathologie des Reellen, Glamor und Tremor, die dann im KonsumentInnen-freundlichen ‚Videostadium’ seit Mitte der 1970er Jahre verstärkt – libidinös-aggressiv – zutage tritt und auf Video bzw. in VIDEODROME gleichsam verbreitet wird. (Heute digital im Internet/WWW in verschiedenen tubes.) Die ersten mutagenen Anzeichen dieses Videostadiums regen sich bereits sehr deutlich in Lacans Text über das Spiegelstadium von 1949 (bzw. in Form eines Kongressvortrags, der von Ernest Jones abgebrochen wurde, schon 1936).1304 Mit Hilfe eines Wortspiels kann sich dieses Stadium unversehens in ein Stadion verwandeln. Lacan spricht hinsichtlich der Ich-Bildung, wie sie sich u. a. in Träumen manifestiert, von einem „befestigen Lager“, einem „Stadion, das – quer durch die 1303 Kamper 2002, 169. 1304 Vgl. Roudinesco 1996, 181 f. 397 innere Arena bis zur äußeren Umgrenzung, einem Gürtel aus Schutt und Sumpfland – geteilt ist in zwei gegenüberliegende Kampffelder, wo das Subjekt verstrickt ist in die Suche nach dem erhabenen und fernen inneren Schloß“.1305 Wie mit Malcolm Bowie festgehalten werden kann, „[verwandelt] der Doppelsinn des französischen Wortes stade [...] Zeit in Raum, eine Reflexion in eine Auseinandersetzung“, die sich „als ritueller Wettbewerb“ zwischen den kleinen anderen, z. B. Max’ dynamisierten Spiegelbildern innerhalb der VIDEODROME-Arena, im Video-Dom, tatsächlich abspielen wird. Max wird diesen Kampf mit sich selbst, d. h. mit seinem entfesselten, schließlich Amok laufenden Unbewussten, aufnehmen. In diesem Zusammenhang lässt sich mit Lacan der Ausdruck „spéculaire“ zu „spectaculaire“ ausweiten. Aus dem alltäglichen Sehen wird ein grandioses Spektakel, ein perverser Genuss.1306 „Die Beziehung von Subjekt, Objekt und Zuschauer und dem durch ihre Beziehungen bestimmten Raum der Darstellung wird vom Spektakel vollständig neu definiert. [...] Wir sind wirklich in das Zeitalter des ‚Spektakels’ eingetreten, in dem Sinn, dass das Aktuelle und das Virtuelle bis ins Unendliche aufeinander verweisen.“1307 Der Psychiater Lacan verweist in diesem Zusammenhang des rituellen, spektakulären Wettbewerbs auf Hegels Dialektik von Herr und Knecht, importiert und implementiert sie – angeleitet von den Pariser Hegel-Vorlesungen Alexander Kojèves der 1930er Jahre – gleichsam in seine Theorie des Imaginären, die zur selben Zeit entsteht.1308 Denn auf dem lebenslangen Niveau des Spiegelstadiums, womit der suchende Blick im/in den Spiegel, in ein Gesicht, auf eine interface-Oberfläche oder die karge Wand gemeint ist, ist nicht zu entscheiden, wer oder was hier eigentlich wen 1305 Lacan 1986 (a), 67. Vgl. auch Bitsch 2009, 69-96; eine der umfassendsten Ausarbeitungen dieser Theorie, die sehr schön bzw. genau die Dimensionen von Herrschaft und Knechtschaft bzw. „Hegels dialektische[n] Dreischritt“ aufzeigt. Ebd. Punkt 3.2., 70-72. 1306 Auch wenn Bowie zu Recht moniert, dass es Lacan nicht für nötig hält, solche direkten Sprünge „vom speculum zum spectaculum“ näher zu erläutern, so wird sich Lacans Beobachtung dann schließlich mit VIDEODROME doch noch bewahrheiten – zumindest in der unbestechlichen Fantasie Cronenbergs. – „Der miroir ruft mirages hervor, anstelle von rein sinnlichen images.“ Vgl. Bowie 1997, 39. Vgl. zum jähen Sprung bzw. der Sprunghaftigkeit in der perversen Fantasie, über die Deleuze in seiner Sacher-Masoch-Studie schreibt: Deleuze 1980, 266. 1307 Lazzarato 2002, 85, Debord 1996 und Bosch, Hacker und Krampl (Hrsg.) 2012. 1308 Vgl. Borch-Jacobsen 1999, 14 ff. und 20. 398 oder was beherrscht: der Spiegel (die [Lein-]Wand, der Monitor etc.) das Ich, oder umgekehrt das Ich sein virtuelles Bild.1309 Beide Momente, die in ihrer Grundstruktur auf die Verschaltung diskreter Zustände zurückgehen, schlagen stetig ineinander um, Ich und Spiegel-Ich jagen einander und versuchen sich auszulöschen. Comics und Actionfilme zeigen diesen Prozess, dieses sich wiederholende und jagende Hin und Her u. a. sehr deutlich. Das Motiv bzw. der Ritus der Jagd gehört auch zur Grundausstattung Masochscher Fantasie und Literatur.1310 – Das ist das Spektakel, „ein Drama des Schauens“1311 – nicht nur in einem optischen, sondern eben auch szenischen Spiegel:1312 Katz und Maus, Severin und Wanda, Tom und Jerry, Max und Nicki, Film und Video, Bewusstseins- und Waffenindustrie (wie es sich weiter unten in Max’ Wahn noch zeigen wird). Die Machtverteilung ist bipolar-fließend: ein symbiotisch-synenergetisches Verhältnis, eines der gegenseitigen Abhängigkeit, Fremdsteuerung und wiederholten Tödlichkeit. 1309 Und dennoch gilt, dass die vom Mangel gekennzeichneten kleinen (Spiegel-)anderen a und a’ (oder, wie es gleich bei Lacan heißen wird, O und O’), oszillierende Partialobjekte, das Imaginäre eines Subjekts ein Leben lang beherrschen. Somit halten sie das Ich gefangen bzw. in Schach: „Ah! Man soll nicht glauben, daß sich mein ganzes Leben zwischen O und O’ abspielen wird. Armer Schatz! Es wird sich, dein Leben, zwischen O und O’ abspielen, wie für alle Welt. [...] Damit muß man sich schon abfinden.“ (Lacan 1990, 211 f. [Die misogyne Anspielung Lacans habe ich in diesem Zitat ausgelassen. Lacan meint hier mit „armer Schatz“ vor allem „ein kleines Mädchen – ein virtuelle Frau“. Er widerspricht sich selbst, da O und O’, wie er ja noch an gleicher Stelle bemerkt, „für alle Welt“ gelten. Auch damit müssen sich vor allem Patriarchen und Frauenhasser abfinden.]) Auf Max, den armen Schatz, übertragen heißt das dann: „Zwar ist die Sendung [videodrome] ein Produkt von Max’ Phantasie, doch wird er umgekehrt von ihr versklavt.“ (Gaida 2002, 48.) Und genau deswegen imaginiert Max, genauso wie Lacan und alle Medien-Masochisten, virtuelle Avatare, die (gerade im fetischisierten Analogen meist) ‚grausame’ Frauen sind oder sein können. 1310 Vgl. Deleuze 243: „Sacher-Masoch hat in seinen Romanen drei große Ritentypen, nämlich Jagdriten, Ackerbauriten und Regenerations- oder Wiedergeburtsriten.“ Dieses kehren alle in VIDEODROME wieder; jedoch ist die agrarische Nutzbarmachung der Natur hier durch die Eroberung des audiovisuellen Cyberspace ersetzt worden. 1311 Böhme 2006, 408. 1312 Auch Daniel Paul Schreber erkennt in seinem Wahn „das Wunder der Blickrichtung [...], das [...] seit Jahren bei den verschiedensten Anlässen ganz regelmäßig in Scene gesetzt wird.“ Vgl. Schreber 1995, 177. 399 Nach Lacan kann diese paranoische Entwicklung, die sich für Max Renn im Dispositiv seines erweiterten ‚Ich-Stadions’ immer deutlicher abzeichnet und gleichsam masochistisches wie auch sadistisches Begehren artikuliert,1313 nur durch das Eingreifen des großen Anderen, des Gesetzes im-Namen-des-Vaters, des Symbolischen der Sprache, gebremst werden. Aber David Cronenberg wird sich davor hüten, den Wahn durch irgendetwas aufzuhalten, schließlich verschafft dieser dem technologisch ausgestatteten Subjekt doch ein ungeahntes Lustempfinden und die Rückkehr in eine bis dahin verschlossene und verschüttete Innerlichkeit, die verzweifelte Suche nach etwas Authentischem, schließlich nach Melancholie. „Cronenberg nous parle de ce continent inconnu qui est l’lintérieur de nous même, que nous connaissons à peine, et que nous ne contrôlons absolument pas.“1314 Cronenberg pervertiert die psychoanalytische Auffassung, dass es aus Gründen der sozialen Verträglichkeit notwendig sei, das gewaltsam-aggressive Potential der Lust und des Begehrens in das ordnende Regelwerk des Symbolischen zu übertragen und dort zu bannen, comme il faut.1315 Stattdessen erfolgt in VIDEODROME das Gegenteil, über das elektronische Bildmedium wird dieses imaginäre Potential dort hingeführt (und entfaltet), wo es ursprünglich entstanden und hergekommen ist: In die unbewusste Anarchie, in das Reale des kreatürlichen Fleisches, schließlich in die bluttriefende Matrix von videodrome, die Max durchquert (und in der er, wie dabei noch zu sehen ist, ziemlich queer und ‚verdreht’ wird.) Es werden dabei lose Äquivalenz- und Austauschbeziehungen, später dann ‚mutierende’ bzw. modulierende Substitutionen zwischen Körper-Realem und Video-Reellem auf der Ebene 1313 Dabei zeichnet sich, wie es schon in den Fall-Analysen zu Sade und Sacher-Masoch herausgestellt wurde, eine halluzinativ-fließende, stark libidinöse Bildlichkeit ab, die sich durch ein technisches Medium im betrachtenden Bewusstsein realisiert und aktualisiert. 1314 Grünberg 1992, 77. 1315 Dies stellt nicht nur eine Herausforderung für sein Publikum, sondern vor allem auch für seine ZensorInnen, Gegner und Hasser dar. Mit A DANGEROUS METHOD (2011) setzt Cronenberg der Abwesenheit bzw. dem Fehlen des Symbolischen (ausbleibendes drittes Moment), das ja gerade für sein body-horror-(Früh-)Werk signifikant ist, sozusagen in der Inszenierung der Freudschen talking cure, dem Thema dieses Films, etwas entgegen. Es handelt dabei auch um Cronenbergs erstes period pic, eine Ausnahme; seine anderen Filme spielen in einer mehr oder weniger nebulösen (postmodernen bzw. posthumanen) Gegenwart oder nahen Zukunft. 400 schizophrener Fantasie erfolgen – das synästhetische ‚Klingen der Kathodenstrahlröhre’, wie es schon in der Rena-King-Show verkündet wurde und als Auditives Video (un-)bewusst prägt. Dieses Klingen wird gemäß Deleuzes und Guattaris Wunschmaschinen-Logik umso besser funktionieren, je mehr das regelnde Symbolische suspendiert ist. „Dabei folgt der freie Austausch, der zwischen einzelnen Objekten oder Körperlichkeiten, zwischen einzelnen Partialobjekten stattfindet, beileibe keinem Regelsystem1316. Er ist ungeregelte apparative und maschinelle Verkettung, die keinerlei Wert mehr produziert und weiter verarbeitet – wenn man so will das Leerlaufen der Beudeutungsmaschinerie. [...] Die Intensität des sadistischen Programmes führt aus der nach dem Äquivalenzprinzip geregelten Zirkularität heraus, welche einerseits Maxens Subjekt, andererseits seine Wahrnehmung – und damit auch die seines Körpers – definiert. ‚Videodrome’ als folgenschwere Thrombose in Maxens ökonomischem und perzeptivem Kreislauf und – wie zu sehen sein wird – auch im narrativen und diskursiven Nervensystem von VIDEODROME. [...] 1316 Palm ist Recht zu geben, dass in diesem Transformationsprozessen, in der Psychose, ein regelnder Signifikant ausfällt (der in der symbolischen Struktur des Ich nie richtig verankert war oder fehlte). Und trotzdem bleibt zu fragen, inwiefern hier eine rein maschinelle Funktion oder Struktur erhalten bleibt (bzw. umso besser läuft), schließlich erkennt auch Palm trotz oder gerade wegen der symbolischen Regellosigkeit eine „apparative und maschinelle Verkettung“. Cronenbergs sieht dies ähnlich in Bezug auf (pathogene) Apparate: „Es ist meine persönliche Vorstellung, dass vielleicht manche Krankheiten, begriffen als Krankheiten, die einen gut funktionierenden Apparat zerstören, diesen Apparat jedoch tatsächlich in einen Apparat verwandeln, der nur etwas anderes tut, und wir müssen herausfinden, was dieser Apparat jetzt macht. Statt mit einem Defekt haben wir es mit einem wunderbar funktionierenden Apparat zu tun, der nur einen anderen Zweck erfüllt.“ (Vgl. Newak 1988, 116; Zitat von David Cronenberg.) Das korreliert nicht nur mit der Symptomentschlüsselung in der Psychoanalyse, die dann notwendig wird, sondern eben auch mit einem Perspektivenwechsel zwischen Reellem ([zu] gut funktionierender [Bild-]Apparat) und Realem (kranker [Körper-]Apparat). Mit Elisabeth Bronfen lässt sich hier ein Konflikt rekonstruieren, der sich zwischen der „Krankheit der Gebärmutter“ (body horror/bodies that splatter) und der „Krankheit der Repräsentation“ (mangelndes, nicht erreichbares bzw. erkennbares Symbolisches – Löcher, Lücken, Auslassungen, bugs der Medientransposition, Informationsbombardement) abspielt. Vgl. Bronfen 1998, 657. 401 Irgendwann gerinnt der narrative Fluss von VIDEODROME zum Gelée. Irgendwann beginnt der Körper selbst zu sprechen, der Körper Maxens und der Textkörper des Films, ohne den Umweg über die Repräsentation nehmen zu müssen. Diejenigen Instanzen, die zu Beginn des Films noch dessen erzählerische Ebenen und Ordnungen strukturieren, verabschieden sich der Reihe nach. Dann wird nicht mehr erzählt, sondern bloß gezeigt.“1317 Für den weiteren Verlauf der Handlung, die es in den videodrome-Aufzeichnungen nicht gibt,1318 heißt dies, wie Jochen Gaida erläutert, dass in dem Maße, wie die Halluzinationen den Bildschirm verlassen und in die simulierte Wirklichkeit drängen, Nicki als fantasmatisches Objekt genau an diesen schwer bestimmbaren Ort namens videodrome gezogen wird. Nicki will die Zuschauerposition verlassen und in der Videosphäre abtauchen; sie möchte nach Pittsburgh reisen, um sich als Kandidatin für videodrome zu bewerben. Auch der Sadesche Libertin kannte dieses Begehren nach Immersion und verließ durchaus – für einen Lustgewinn – seinen idealen Betrachterstandpunkt, um in die Orgie, ins tableau vivant, einzusteigen, um Teil des mächtigen Funktionsbildes zu werden.1319 – „Ich bin wie geschaffen dafür“, sagt Nicki, während sie in einen Handspiegel schaut uns sich dabei schminkt. Und damit hat sie zweifelsohne Recht, denn sie ist für Max nicht nur die mediale Ausgeburt bzw. Objekt-Verkörperung sadomasochistischen Begehrens, das es zu beherrschen gilt, Du musst (kontrolliert) genießen,1320 sondern jetzt wechselt bzw. entschwindet sie auf die 1317 Ebd. 156 ff.: Dies ist eine lose Zitat-Verkettung zum Thema Wunschmaschinen-Funktionen, wie sie Michael Palm in VIDEODROME bzw. seiner Analyse scharfsinnig beobachtet. In diesem Zusammenhang bemerkt er auch: „[D]ie Libido [findet] Gelegenheit für Ausschweifungen aus dem Regelkreis des Sinnes. Diese Ausschweifung manifestiert sich jedoch nicht in etwaigen masochistischen oder sadistischen Orgien, sondern im leisen Stottern der Signifikanten.“ (Ebd. 165.) Schon das mechanische Orgientreiben bei Sade ist – abgesehen von einigen Lust- und Todesschreien – ein ziemlich leiser, jedoch nicht stotternder Vorgang gewesen. 1318 Die fehlende Handlung hatte bereits Harlan bemerkt und angesprochen. 1319 Sacher-Masoch war bereits seit seiner Kindheit in eine virtuelle Bilderwelt aus mächtigen und grausamen Frauen eingetaucht. 1320 So der unbewusste (Über-Ich-)Befehl, der sich hier ankündigt und in Max’ Warnung, die er gegenüber Nicki und ihrem Plan ausspricht, als solcher dann bemerkbar macht. Dies zeigt, dass – wie Laplanche und Pontalis gesagt haben – Paranoia keine Intelligenzabnahme bedeutet; der Bezug zum 402 ganz andere Seite und scheint dabei den aktiven Part in diesem Spektakel zu übernehmen:1321 Ein Umschlagen macht sich bemerkbar. Ähnlich wie Wanda, die ‚Venus im Pelz’, steuert sie nun den dramatischen Fortgang des sadomasochistischen Szenarios, was für VIDEODROME das noch tiefere Eindringen in Max’ Videohölle bedeutet. Im Gegengsatz zu Sacher-Masochs Ästhetik bzw. Show-Programm der grausamen Frau, in dem die Peitschenhiebe und Demütigungen zunehmend brutaler wurden, muss sie dafür allerdings nicht körperlich anwesend sein. Nickis Bild wird ab nun Max’ despotischen Videowahnsinn aus dem off heraus fernsteuern. Max spürt demnach, dass er die Kontrolle über Dinge, Medien und Körper verliert – und damit auch über sich selbst. Er möchte – wie jeder Medien-Masochist oder User – auf keinen Fall auf gewisse Bilder und deren Manipulierbarkeit verzichten.1322 Dies ist ein sehr narzisstisch motivierter Vorgang,1323 der zudem die sexuelle Intimität des Subjekts (oberflächlich) berührt. Der Bedrohung, der Angst vor Lust-Verlust, glaubt Max beizukommen, indem er Nicki den Schminkspiegel aus der Hand reißt, sie in einem aggressiven Ton und mit erhobenem Zeigefinger zu belehren versucht: „Hör’ mal zu. Ich möchte, dass Du Dich von denen fernhältst, von diesen verrückten, brutalen Videoleuten; die haben obskure Verbindungen, die gehen aufs Ganze. Viel härter als selbst Nicki Brand spielen möchte, hast Du das kapiert?“ – Nicki: „Das hört sich richtig gut an! Hast Du ’ne Zigarette?“ – Max: „Weißt Du, in Brasilien, in Anderen bzw. Über-Ich funktioniert noch in dieser Hinsicht (und als Befehlssprache umso besser). Vgl. 336 [Fußnote 1124] in dieser Arbeit. 1321 Bis auf die ‚historisch-sadomasochistischen’ Ergänzungen stammen alle Beobachtungen in diesem Abschnitt aus: Gaida 2002, 43 f. Nickis Entschwinden entspricht der im voran gegangenen Kapitel erläuterten Fluchtbewegung des/im Unbewussten: eine masochistische Flucht nach vorn, diesmal nicht nach Texas, sondern Pittsburgh in Pennsylvania, USA (in Max’ Blindflug nach Süden – von Kanada aus gesehen). 1322 Vgl. dazu auch Mansfield 1997, 5 f. Sacher-Masoch konnte in seinem Experiment die Bildkontrolle gerade noch – mehr schlecht als recht – halten. Max wird dies aber nicht gelingen. Denn „die Bilder wuchern“ bereits. Vgl. Gaida 2002, 44. 1323 Ein Vorgang zudem, in dem sich das berechenbare Spiel mit der Angst um Lust-Verlust, der suspense, einrichtet. Dieses Spiel ist ein Grundprinzip masochistischer Strategien. 403 Mittelamerika und solchen Ländern,1324 betrachtet man solche Videos als eine subversive Tat. Dabei werden Leute hingerichtet, und in Pittsburgh kann es genauso sein.“1325 Max’ Projektionsrichtung/Autopilot der Wahrnehmung geht nun nicht – wie bei Masha oder wie am Anfang von VIDEODROME – nach Osten, in den fantastischen Orient oder nach Malaysia, sondern ändert den Kurs, verschiebt sich nach Süden, in die sogenannte Zweite und Dritte Welt, und adressiert dabei u. a. die dort vorherrschende bzw. imaginierte Gewalt. Max meint damit – von seinem kanadischen Standpunkt aus – auch die USA. Die Blickrichtung auf das Andere von der westlichen Medienwarte aus, auf andere Kulturen, verläuft in der Postmoderne über eine imaginäre Nord-Süd-Achse, eine bedeutsame Grundlinie, deren Fantasma sich um einen Begriff zentriert, der bereits im 19. Jahrhundert dauerhaft Konjunktur hatte: den der Entwicklung. Ernest Mathijs erkennt in Max’ Rede Cronenbergs Anspielung auf Filme wie MONDO CANE (1962; R.: Gualtiero Jacopetti, Franco Prosperi, Paolo Cavara) oder CANNIBAL HOLOCAUST (1979, R.: Roberto Deodate), in denen despotische Fantasien über das lockende Fremde – im (gefakten) Stil des explorativen 1324 Max scheint Länder mit Urwaldvegetation zu meinen. Denn in der Rena-King-Show saßen er, Nicki und Rena vor einer Zimmerpalmenkulisse (vgl. Abbildung unter dem Punkt „Rena King und Nicki Brand“, die man zu Anfang der Szene – in der Totalen – nicht so recht wahrnimmt, da sie sich kaum sichtbar an den Rändern der sonst nüchternen, cremefarbenen Studiodekoration befindet. Der Urwald, ein fantasmatisches und stark besetztes Medienbild unserer Zeit, gleichwohl eine Projektion, ist in VIDEODROME auch ein Bild für Max’ unerschlossene Innerlichkeit, die terra incognita seines Unbewussten, seine archaische Wildnis. 1325 Diese Belehrung ist mindestens so (un-)wahr wie das, was Sacher-Masoch über die Natur der grausamen Frau verkündet (bzw. in den Ausdruck oder Mund seiner weiblichen literarischen Figuren legt). (Vgl. in dieser Arbeit 77.) Auch Sade ging vergleichbar vor und hatte Haarsträubendes und sogar Menschenverachtendes über Frauen geschrieben. (Vgl. weiter unten in diesem Kapitel.) Wenn Dialoge in Cronenberg-Filmen mit Weißt du/Hör’ mal zu beginnen (oder mit verstehst du? aufhören), gilt es, den Inhalt der Aussage (z. B. in Bezug auf den Film-Diskurs) genau zu prüfen. Meist ist hier ein besonders hoher fantasmatischer Gehalt zu konstatieren, der mit der entsprechenden Auslegung wahre Erkenntnis – so etwas wie kurzzeitiges Verstehen – ermöglicht (bzw. vorher nicht erkannten Unsinn aufdeckt). (Vgl. Pühler 2006, 93 und 115.) – Der Cronenberg-Fan Martin Scorsese wirft dem kanadischen horror-Filmer vor, dass er nicht wüsste, worum es in seinen Filmen eigentlich geht. Cronenberg bestätigt dies und hofft sogar, dass er seine Filme nie verstehen werde. Vgl. Rodley 1997, 118. 404 Dokumentarfilms, u. a. als Dritte-Welt- bzw. Dschungel-Projektionen/ -Fantasmen – zum Ausdruck kommen. Im-Namen-des-Vaters Nach Nickis Verschwinden nehmen Max’ Halluzinationen zu: Videokassetten und Max’ Fernsehapparat (eine sperrige, alt wirkende TV-Truhe US-amerikanischen Stils, die im Ambiente seines funktional eingerichteten Apartments sehr auffällt), bekommen ein organisches Eigenleben, beginnen zu pulsieren und zu atmen.1326 Es handelt sich dabei um einen psychotischen relaunch, das Irregehen der organizistischen Technik-Metaphern Ernst Kapps (und deren schlechter Reproduktion bei Marshall McLuhan).1327 So eine ‚mutierende’ Videokassette hat Max auch aus dem Archiv von Brian O’Blivion (Jack Creley) erhalten. Denn Max hat dank Masha in Erfahrung gebracht, dass dieser Medienforscher, den Cronenberg hier als Persiflage des kanadischen Medientheoretikers Marshall McLuhan einführt und inszeniert,1328 der Kopf hinter videodrome sei. (Nebenbei bemerkt: McLuhan hatte sich bzw. seine Vorlesungen ebenfalls auf Video aufzeichnen lassen.) Max gerät an O’Blivions Tochter Bianca (Sonja Smits), die das Videoarchiv ihres Vaters verwaltet und sogar behauptet, dass sie der Bildschirm bzw. Schutzwall ihres berühmten – und wie sich noch herausstellt: bereits verstorbenen – Vaters sei.1329 McLuhan schreibt: „Beim Fernsehen ist der Zuschauer Bildschirm. Er wird mit Lichtimpulsen beschossen, die James Joyce die ‚Attacke der leichten (light = leicht und Licht) 1326 „Das Videobild resultiert aus Linien und Verwebungen. Anders als ein Gewebe webt und verwebt sich das Videobild unablässig nach neuen Motiven.“ Lazzarato 2002, 67. 1327 Vgl. zum Amoklauf der Metapher bei Deleuze und Guattari: Dies. 1977, 437. Vgl. zur Adaption von McLuhans (bzw. eigentlich Ernst Kapps) Prothesen in VIDEODROME: Bartels 2008, 413 und Cavell 2008, 277. 1328 William Beard erkennt in Brian O’Blivion „clearly a radical pastiche of McLuhan as a media prophet.“ Vgl. Beard 2001, 124. 1329 „Brian O’Blivion starb friedlich vor 11 Monaten auf einem Operationstisch. Ich halte ihn am Leben, so gut ich kann“, sagt Bianca in einer späteren Szene. (Sie hält ihn durch das Archiv seiner Videoaufzeichnungen ‚am Leben’; sie schirmt ihn gleichsam ab.) 405 Kavallerie’ nannte, die seine ‚Seelenhaut mit ‚unterwehwußten’ Ahnungen’ erfüllte.“1330 Schumacher aktualisiert mit Baudrillard: „Wenig Spielraum bleibt [...] für die Subjekte. In dem Essay ‚Videowelt und fraktales Subjekt’ konstatiert Baudrillard, daß der telematische Mensch überwiegend maschinell kommuniziere und selbst zum Bildschirm mutiere: ‚Vielmehr wird der Bildschirm selber gezielt Moment des Interface. Die Maschine (der interaktive Bildschirm) verwandelt den Prozeß der Kommunikation, die Beziehung des einen zum anderen, in einem Prozeß der Kommunation, d. h. in einen Prozess der Wechselwirkung desselben auf dasselbe [...]’“1331 Obwohl Bianca nicht wie Nicki oder Bridey als Videobild auf einem Monitor eingeführt wird, hat auch sie in ihrer Abschirm-Funktion eine starke Affinität zu diesem visuellen Medium, d. h. zu den Tausenden von Videoaufzeichnungen und - kassetten ihres toten Vaters, deren Archivierung und Verleih sie sorgfältig betreibt, ihr Tagesgeschäft sozusagen.1332 „Bianca [...] is dedicated to spreading her father’s gospel of transformation-through-television.“1333 Das Subjekt als Bildapparat bzw. als Bildschirm, wie es bereits im vorherigen Kapitel beschrieben wurde, erfährt dann auch durch O’Blivion medienwissenschaftliche Objektivierung (gemäß der klassischen Prothesenphilosophie des späten 19. Jahrhunderts). Er erwähnt dabei auch den Spielort, das Stadion-Dispositiv VIDEODROME, in dem all dies stattfindet: 1330 McLuhan 1995, 473. „Angesichts von immer mehr Menschen, die ihre Arbeitszeit Tag für Tag am Computerbildschirm verbringen, um dann in ihrer Restzeit vor dem Fernsehbildschirm zu sitzen, machen diese Thesen empirisch Sinn.“ Schumacher 2000, 136. 1331 Ebd. 116, Zitat darin von Baudrillard 1990, 263. Vgl. noch einmal dazu: Schumacher 2000, 70 und 136. Wenn man dieses Zitat mit dem vorangegangenen von McLuhan vergleicht, merkt man, dass aus dem medialen Beschuss eine interaktive Kommunikation geworden ist, Joyces ‚unterwehwußte’ Ahnungen bewahrheiten sich dann. 1332 Heute wäre ihr Job wahrscheinlich aufgrund von Video-on-Demand-Portalen wie YouTube überflüssig. Was jedoch gleich bleibt oder sich intensiviert hat, ist die Bildschirm-Funktion des telematischen Subjekts. 1333 Beard 2001, 122. 406 „Der Verstandeskampf in Nordamerika wird gefochten in der Videoarena, dem VIDEODROME. Der Bildschirm ist sozusagen die zweite Netzhaut des geistigen Auges geworden. Er ist ein Teil der physischen Struktur des Gehirns. Deswegen wird alles, was der Fernseher zu zeigen in der Lage ist, eine völlig neue Erfahrung für den jeweiligen Betrachter. Deswegen ist Fernsehen Realität und Realität ist nichts ohne Fernsehen. [...] Selbstverständlich ist O’Blivion auch nicht mein Geburtsname. Es ist mein Fernsehnahme. Schon in Kürze haben wir alle spezielle Namen, Namen, die dazu geeignet sind, die Kathodenstrahlröhre zum Klingen zu bringen.“1334 Diese Predigt geht selbstverständlich auf Videomonologe O’Blivions zurück: „Ich lehne es ab, im Fernsehen aufzutreten – außer über Fernsehen natürlich.“ Dies hat er bereits in der Rena-King-Show von sich gegeben, als er ‚live’ über Videokonserven als obligater Experte zugeschaltet und demnach ebenfalls über einen Monitor eingeführt wurde. Die Idee der interface-Oberfläche als (zweite) Netzhaut ist nicht neu; Edgar Morin hatte sie bereits 1956 in Bezug auf das Kino formuliert: „Der Zuschauer reagiert auf die Filmleinwand wie auf eine externe Netzhaut, die mit seinem Hirn in Fernverbindung steht.“1335 Ernst Kapp hatte bereits 1877 die ‚Konstruktion’ des menschlichen Auges mit einer Camera obscura verglichen bzw. analogisiert.1336 Auch die These von der Fernsehrealität ist übernommen worden. Sie stammt mehr oder weniger aus Jean Baudrillards Simulationstheorie von 1978, die – wie Stefan Höltgen nahelegt – Cronenberg bekannt sein muss. Höltgen weist darauf hin, dass O’Blivions These von der Gleichsetzung der imaginären Realität mit der des Fernsehens aus Baudrillards Agonie des Realen entnommen sein muss. Dort heißt es: „Auflösung des Fernsehens im Leben, 1334 Vgl. zum Thema ‚masochistische’ Spitz- bzw. Codenamen: 80 in dieser Arbeit und 154 (Fußnote 475). 1335 Vgl. Morin, 1956, 139, zitiert nach Kittlers Übersetzung in: Ders. 1993 (b), 100. 1336 Vgl. Kapp 1978, 80. Die Firma Apple wirbt im Juni 2012 im Internet mit dem Slogan ‚Das neue Macbook Pro mit Retina Display. Die völlig neue Sicht aufs Notebook.’ In technischer Hinsicht trifft dies vielleicht zu, mediengeschichtlich ist retina display keine neue Sicht, sondern ein alter Hut. 407 Auflösung des Lebens im Fernsehen.“1337 Die These, dass sich die Wirklichkeit, der (Um-)Weltbezug mit Hilfe einer Äquivalenzbeziehung zwischen medialen Partialobjekten und Körperteilen bzw. Sinnesorganen strukturiert, lässt sich über Lacan und Freud bis in die Prothesentheorie Kapps im späten 19. Jahrhundert – und darüber hinaus – rückverfolgen. Michael Palm erkennt mehrere solcher Äquivalenzen in VIDEODROME: „Max [entspricht] ‚Civic TV’ [entspricht] ‚Videodrome’ [entspricht] VIDEODROME“.1338 Solche imaginären Gleichungen liegen auch der Fetischkonstruktion zugrunde. Die Funktion des Fetischs Fernsehen besteht dann darin, die Differenzen, das Informationsgefälle dieser Äquivalente oberflächlich zu nivellieren und/oder auch künstlich zu dramatisieren, um sie für Kommerz- und Lustzwecke, schließlich für die Quote, verfügbar zu machen. Das ist tatsächlich eine wichtige Funktion des Massenmediums Fernsehen, die sich in VIDEODROME dann von seiner anderen, nicht-nivellierten, jedoch dramatischen SM-Seite zeigt. Aber auch im klassischen SM gibt es natürlich mediale Fetische, die wichtigste Gleichung lautet hier: Frau entspricht Natur entspricht unkontrollierbarer (mütterlicher) Gewalt entspricht (männlicher) Lust (wie sie für Max’ Bild von Nicki, seine ‚grausame Frau’, zumindest insofern gilt, als Natur hier durch AV-Medien substituiert ist). Ähnlich wie im klassischen Masochismus oder in der anthropozentrischen Prothesentheorie geht es bei O’Blivion mehr oder weniger nur um männlich- narzisstisches ‚Sendungs’-Bewusstsein, nicht um die tiefer gehende Bedeutung eines Mediums, dessen Technizität und Code. Oder eben nicht um die darin erkennbare, psychotisch strukturierte Ich-Funktion. Die Erklärungen bleiben hier – wie das, was sie beschreiben – meist oberflächlich (das heißt an ihren Effekten bzw. Affekten kleben). Das gilt auch und besonders für McLuhans Theorie, der zwar technologische Pfingstwunder in seiner Kirche vom global village verkündete, dabei jedoch nicht den seit 1946 bekannten Unterschied zwischen analog und digital (bzw. in Bezug auf seine Medien-Organ-Metaphern zwischen real und symbolisch) hinreichend berücksichtigte (bzw. überhaupt kannte). Stattdessen operiert er mit dem problematischen Differential heiß/kalt.1339 Es gibt bei McLuhan weder eine Ich- oder 1337 Vgl. Höltgen 2004 und Zitat von Baudrillard 1978, 49. 1338 Vgl. Palm 1992, 165. 1339 Vgl. Schröter 2008, 304 f. 408 Subjekttheorie, noch einen eigenständigen medienästhetischen Code.1340 Darüber kann auch nicht das produktive Mischmasch seiner Ausführungen, sein verführerisch- flüssiger, anregender Stil hinwegtäuschen.1341 Wie Natascha Adamowsky mitteilt, entspricht all dies einem Baukasten-Prinzip, das sogar auf der Erstausgabe von Understanding Media (als cover) grafisch umgesetzt wurde.1342 Von wissenschaftlicher Innovation kann bei O’Blivon also keine Rede sein. Eher von Plagiat.1343 Oder, mit Daniel Paul Schreber gesagt: „ödes Phrasengeklingel“.1344 Cronenbergs Wissenschaftsfiguren sollte man immer mit einer gewissen Vorsicht begegnen; sie wirken trotz ihres seriösen Auftretens, ihrer Eloquenz und auch ihrer tatsächlich gut gemeinten Absichten suspekt. Oft sind diese mad scientists1345 nicht mehr anwesend, während ihre Experimente eine fatale, unkontrollierbare Eigendynamik entwickelt haben. So schließlich auch in VIDEODROME, dessen Erfinder, wie sich herausstellt, Professor O’Blivion ist bzw. war. 1340 Dies scheint ebenfalls auf O’Blivion zuzutreffen. 1341 Vgl. Durham Peters 2008, 72 f.: „Das Schwierigste, womit man fertig werden muss bei Marshall McLuhan, ist seine unerträgliche Leichtigkeit.“ Durham Peters, der sich hier auf Milan Kundera bezieht, meint damit u. a. „Heißluft“ und fehlende „Bodenhaftung“ in McLuhans Theorie. Ebd. 73. 1342 Vielen Dank an Natascha Adamowsky für den Hinweis auf das Baukasten-Prinzip in McLuhans Medienbetrachtungen. 1343 „Zugespitzt formuliert, ist O’Blivion ein Pagagei, der erklärt: Ich bin ein Pagagei.“ Riepe 2002 (a), 95. 1344 Vgl. Schreber 1995, 119. 1345 Cronenberg sagt: „In another way, everybody’s a mad scientist, and life is their lab.“ (Vgl. Rodley 1997, 7.) Vgl. zu Cronenbergs Entwurf des mad scientist und dessen/deren Stellung zum (Natur- )Wissenschaftsdiskurs: Pühler 2006, 66 ff. und 108 ff. Cronenberg nimmt WissenschaftlerInnen und deren Forschung sehr ernst (er hat selbst einmal Biologie studiert), betrachtet diese Figuren aber eher aus einer metaphorischen Perspektive. Dabei spielt das, was in deren Diskurs verdrängt, verpönt oder nicht gern gesehen wird, eine wichtige Rolle: die Libido, die Sexualität, der eigene Körper etc. –: das, was das ‚objektive’ Experiment (als ‚störendes’ Imaginäres) stets (unbewusst) mitbestimmt und bei Cronenberg wieder zu seinem Recht kommt und (im Experiment selbst) sichtbar wird. Meistens identifizieren sich Cronenbergs mad scientists zu stark mit ihrem Untersuchungsobjekt, ähnlich wie Max Renn mit videodrome, sodass Gefahr droht, sich im Objekt bzw. dessen Diskurs zu verlieren und aufzulösen. (Vgl. Riepe 2002 [a], 93. Nebenbei bemerkt: Dieser Kritikpunkt trifft auch auf mich selbst in der vorliegenden Arbeit zu.) Dieser Vorgang entspricht dem (sadomasochistischen) Begehren nach den realen Objekten, dem Ding an sich. 409 Auch er habe Halluzinationen gehabt, die dann sogar zu einem Gehirntumor geführt hätten: „Ich glaubte durch die Visionen sei der Tumor entstanden und nicht umgekehrt.1346 Ich fühlte, dass sich die Visionen eindickten, sie wurden Fleisch, unkontrollierbares Fleisch. Aber nachdem man den Tumor entfernte, nannte man es videodrome. Ich war videodromes erstes Opfer.“ (Nebenbei bemerkt: Auch McLuhan wurde tatsächlich an einem Gehirntumor operiert.) O’Blivion „wollte ‚die nächste Phase in der Entwicklung des Menschen zu einem technologischen Wesen [technological animal]’ herbeiführen.“1347 Er war, wie Bianca erzählt, davon überzeugt, dass das Leben im Fernsehen besser abgebildet sei als in der wirklichen Gegenwart. Er betrachtete videodrome als ein neues Organ [a new outgrowth of the human brain], was mit dem Tumor dann (wohl unverhofft) eintrat. Er war frei von Furcht, zu sterben. 1346 Bianca O’Blivion wird etwas anderes, das Gegenteil, behaupten: Nicht durch die Visionen sei der Tumor entstanden, sondern durch das AV-Signal. „Die Art der Halluzination ist bestimmt durch die Form der Bilder auf dem Videoband. Aber das videodrome-Signal, das den Schaden [den Gehirntumor] anrichtet, kann man selbst unter einem Testbild ausstrahlen. [...] Die Halluzinationen werden durch diesen Tumor ausgelöst.“ Einmal mehr wird hier das Verwirrspiel um die Ursache und Wirkung von videodrome in VIDEODROME fortgesetzt. Damit thematisiert Cronenberg die im Unbewussten nicht nachvollziehbare bzw. rekonstruierbare Kausalbeziehung oder Hierarchie zwischen Ur und Sache. (Vgl. in dieser Arbeit u. a. 520.) Auch Daniel Paul Schreber hat diese Schwierigkeit in seinen Denkwürdigkeiten gleich im Vorwort benannt: „Der Mensch kann sich nicht vorstellen, dass es ein Ding geben soll, das kein Anfang und kein Ende hat, eine Ursache, die nicht wieder auf eine frühere Ursache zurückzuführen wäre.“ (Schreber 1995, 2.) Sade sagt ganz Ähnliches in: Ders. 1984, 20. 1347 Ebd. Schon der mad scientist in Cronenbergs Spielfilm-Debüt SHIVERS (1974), Dr. Elmore Hobbes, war fest davon überzeugt, dass der Mensch ein Wesen sei, das sich überentwickelt habe und deswegen zu seinen biologischen Wurzeln zurückgeführt werden müsse. (Das grenzt an eine lebensphilosophische Tradition an, die doch in der Postmoderne eigentlich passé sein müsste.) Im Gegensatz zum Sadeschen Wissenschaftler-Typus, wie ihn der durchweg böse Chemiker Almani in Neue Justine repräsentiert (vgl. Böhme 1988, unter: http://www.culture.hu- berlin.de/hb/static/archiv/volltexte/texte/natsub/sade.html), ist der verpeilte mad scientist bei Cronenberg zwar nicht vorsätzlich böse; doch weil er in seinen high-tech-Experimenten mitunter überkommenen Vorstellungen folgt – er nicht weiß bzw. ermessen kann, was er da tut –, löst er das Böse dann ungewollt und mit katastrophalen Wiederhall in seiner Umgebung aus. Es ist sozusagen die unbewusste Arbeit am technologisch Verdrängten, das in Cronenbergs Wissenschaftsdiskurs ans Licht kommt und sich u. a. als Tumor oder (Lust-)Seuche fatal ausbreitet – ein beliebtes horror-Film-Thema (vgl. u. a. 28 DAYS LATER [2002]). 410 Dabei handelt es sich, gemäß der Aussagen von Vater und Tochter, also nicht nur um die Beschreibung eines zweifelhaften wissenschaftlichen Projekts (über das man, trotz richtiger Aussagen [Plagiaten], so gut wie nichts erfährt),1348 sondern vielmehr um dessen unbewusste Wirkung und vor allem Ursache: um eine bösartig mutierende Wirkung im/am eigenen Leib, vor allem im Gehirn.1349 O’Blivion argumentiert dann in einer weiteren Videobotschaft, in der er Max zum Schluss mit leicht süffisantem Lachen verhöhnt,1350 dass die Halluzinationen durch den Tumor beherrschbar seien (vorher redete er noch von „unkontrollierbarem Fleisch“).1351 Mit Aussagen wie diesen referiert Cronenberg nicht nur auf den strukturellen Kontrollwahn1352 (Wahnsinn bzw. -witz) patriarchaler Wissenschaft, paranoia scientifica, sondern vielmehr noch auf die Psychopathologie zwischen Medien und Körpern, die des reellen Signifikanten (wie sie, neben der Paranoia und Schizophrenie, in das Forschungsgebiet der Freud-Lacanschen Psychoanalyse fallen). – Weniger ist damit 1348 Denn wenn man sich diese ‚wissenschaftlichen’ Aussagen genau anschaut, stellt sich die Frage, was die Erfindung videodrome nun eigentlich sei. O’Blivion redet ja nur über gewöhnliches Fernsehen, Visionen und einen Gehirntumor (der operativ entfernt wurde, dessen maligne Wirkmacht damit jedoch anscheinend nicht aufgehoben ist). 1349 Der entfernte Tumor entspricht dem Status des psychoanalytischen Objekts a und damit videodrome. Diese Kleinschreibung umfasst – wie bereits geschehen – in dieser Analyse auch die reine Videotechnik (AV-Signale, Schaltkreise, Videoformate, die Videosphäre etc.) und die Folterkammer (die psychische Lokalität, die auch den unbewussten Teil des interface bildet [die verrauschten, flackernden Videobilder]) inklusive der snuff-Show (die intermediäre Ebene a–a’, die den fantasmatischen und projektiven Inhalt generiert und die sich sichtbar und subjektiv auf der interface- Oberfläche abspielt). Wenn VIDEODROME groß geschrieben ist, ist damit die Sichtbarkeit dieser Oberfläche, das Stadion-Dispositiv und natürlich Cronenbergs Film(-Experiment) gemeint (die Ebene A bzw. A). (In den Zitaten trifft diese Unterscheidung nicht immer zu.) Dies darf aber nicht heißen – und das macht VIDEODROME sehr deutlich –, dass man die Ebenen a und A immer sauber trennen könnte, denn sie geraten schnell (grotesk) durcheinander (und waren immer schon unbewusst vermischt, vernetzt, verschlungen oder ‚verwachsen’). Diese Trennung bzw. Differenzierung ist nur theoretisch möglich. 1350 Er verspottet den psychotischen Max, indem er sagt: „Wahrscheinlich denken Sie, Wirklichkeit kann außerhalb unserer Vorstellung von Wirklichkeit gar nicht sein. So sehen Sie es doch sicher.“ 1351 O’Blivion scheint nicht anerkannt zu haben, dass das neue Organ eben der Tumor ist. (Vgl. Palm 1992, 162.) – „Die Botschaft ist das Medium selbst und die Botschaft dieses Mediums ist ein Gehirntumor.“ Gaida 2002, 49. 1352 Es handelt sich dabei um den Wahn unumschränkter Naturbeherrschung, wobei Natur auf eine Maschinenfunktion bzw. -Metapher reduziert wird. Vgl. Braun und Kremer 1987. 411 die in den 1980er Jahren ausufernde Debatte, ob dargestellte Gewalt in den Medien psychischen bzw. gesellschaftlichen Schaden anrichtet oder davor bewahrt, gemeint, auch wenn sich diese Endlos-Debatte, diese Forschungen, tatsächlich sehr gut mit VIDEODROME kurzschließen ließe. Denn der ‚Schaden’ existiert ja längst und ist Freuds Psychoanalyse auch seit 1895 bekannt – was keineswegs heißen darf, das gewaltige und Gewalterzeugende dynamische Unbewusste bzw. den dort drängenden Signifikanten nur mit Krankheit und Störung zu lesen (auch wenn es sich oft dergestalt artikuliert und anfühlt). Dieses Unbewusste ist nämlich immer auch ein Wunder des Realen. Das spürt Max, trotz allem, ganz deutlich.1353 Zudem nimmt Cronenberg mit O’Blivions Forschung einerseits Bezug auf Mary Shelleys Frankenstein-Mythos, ihren Schauerroman von 1818,1354 der davon berichtet, wie sich die Hybris der Wissenschaft (hier die Medizin) letztendlich durch das erfundene Objekt selbst rächt, andererseits parodiert er damit sehr subtil das Gesetz und die Metapher im-Namen-des-Vaters. Nach Annette Bitsch erfüllt der Vater, sei es nun der reale Vater oder das, was das Gesetz letztendlich errichtet, gerade oft nicht seine so – wie es sich die Freud-Lacansche Psychoanalyse wünscht – wichtige, stabilisierende Funktion. Es besteht nämlich immer auch Gefahr, dass der familiäre Gebieter „vom kastrativen Infernal zur komischen Petitesse“ degeneriert. Sogar Lacan, der die Autorität der Vater-Metapher streng verteidigt, erkennt hier einen Mangel1355 und fügt hinzu: „ein Idiot [...], manchmal auch ein Gauner oder einfach ein armer Kerl oder meist ein Schwächling, wie es bei Freud der Fall war“.1356 Die 1353 Waldemar Vogelsang zählt 1991 über 3000 Studien zur Frage der Gewalt in den Medien, des schädigenden Einflusses der Medien auf das Subjekt, auf. Vgl. Vogelsang 1991, 109; Quelle bei Riepe 2002 (a), 89. Diese Frage wird in der FUNNY GAMES U.S.-Analyse (Pühler 2010) aufgegriffen. 1354 Cronenberg wurde angeboten, nach VIDEODROME einen Frankenstein-Film zu drehen. Das Projekt wurde jedoch nie realisiert. Vgl. Rodley 1997, 92. 1355 Vgl. Lacan 1986 (b), 112. Lacan erkennt aufgrund dieses Mangels „einen donnernden, einen gutmütigen, einen allmächtigen, einen gedemütigten, einen steifen, einen lächerlichen Vater, einen Hausvater, einen Vater, der bummelt“. Vgl. ebd. 1356 Bitsch 2001, 49: „Auf groteske Weise konfligiert der Idealvater mit dem realen Vater, und gerade in dieser peinlichen Diskrepanz zwischen dem mythischen Vater und dessen empirischem Repräsentanten, einer personalen Ungelungenheit zwischen Trauer und Versagen, Velleität und Gebrochenheit, manifestiert sich die Absenz des Anderen.“ Vgl. in diesem Zusammenhang auch Deleuze 1992, 12: „Zum Beispiel ist der reale Vater einer oder will es seinem Gesetz nach sein; doch 412 Wirkmacht des kulturstiftenden, Nein-sagenden, symbolisch ‚kastrierenden’ Anderen ist also auch bei O’Blivion nicht gegeben, nicht nur, weil er so merkwürdig untot und mit Fernsehnamen auf Video herumspukt – er hat seit 20 Jahren keine Unterhaltung mehr geführt (also seit Beginn der Videosphäre)1357 –, sondern weil er Max nicht aus seinem Wahnsystem befreien kann und ihn nur noch tiefer in den Abgrund hinein zieht: mise en abyme im audiovisuellen Reellen der père-version. Für den höchst beunruhigten Max heißt das nun u. a., dass er mit offenen Augen den Alptraum durchlebt, einen Gehirntumor zu entwickeln. O’Blivion ist eine weitere Ausgeburt von Max’ infizierter Fantasie: eine psychotische Erklärung für das, die (überzeichnete) Wahrheit von dem, was im Namen-des-Vaters in (aufgeklärter) Wissenschaft und (technischen) Medien in VIDEODROME und anderswo fabriziert und verzapft wird. Als Max ihn fragt, wer hinter videodrome steckt (der psychotische Max ist in der Lage, wie zuvor schon gesehen, mit O’Blivions Videostatements in interaktiven Dialog zu treten),1358 kann dieser nicht das Bild des Vaters ist immer in sich doppelt, einem Dualgesetz folgend gespalten. Es wird zumindest auf zwei Personen projiziert, von denen die eine die Rolle des Spielvaters, des Clowns-Vaters auf sich nimmt, die andere die des Arbeits- und Idealvaters, so wie der Prinz von Wales bei Shakespeare, der von einem Vaterbild zum anderen übergeht, von Fallstaff zur Krone.“ In der (historisch-mythischen) Grundlegung der symbolischen Autorität (wie sie die Freud-Lacansche Psychoanalyse liest) erkennt Slavoj Žižek sogar drei Väter: 1. Den Gott des reinen Willens (des unberechenbaren Abgrunds) und Gott als Agent des Verbots. 2. Die reale, prähistorische Vaterfigur; ein Urvater, der erst nach seinem Tod – nach dem Vatermord durch seine Kinder – als symbolische Wirkmacht, sein Name oder unsere Schuld, wiederkehrt. (Freuds Totem und Tabu.) 3. Die notwendige Ausnahme Ödipus, der nicht- wissend das Gesetz im-Namen-des-Vaters brach und somit (negativ) vervollständigte. Vgl. Žižek 2001, 427 ff. 1357 Es wirkt besonders grotesk oder verdächtig, wenn ein Wissenschaftler gerade auf das verzichtet, was in jeder Wissenschaft das A und O ist: Der (Wissens-)Austausch und Dialog in gesprochener und geschriebener Sprache. Möglichweise ist dies auch eine Beobachtung bzw. Kritik Cronenbergs, dass – über die Wissenschaft hinaus – (immer) weniger Dialog stattfindet, obwohl die Kommunikation ja sichtlich erhöht ist (wie die zig Tausend Videoaufzeichnungen O’Blivions nahelegen). 1358 Für PsychotikerInnen ist es nicht ungewöhnlich, dass sie sich u. a. von NachrichtenmoderatorInnen im Fernsehen direkt angesprochen fühlen. Auch O’Blivion wendet sich in seiner Videoansprache auf einmal persönlich an Max und erklärt ihm: „Ihre Realität besteht schon zur Hälfte aus Videohalluzinationen. Wenn Sie nicht aufpassen, wird es zur totalen Halluzination. Sie müssen lernen, in einer ziemlich kuriosen, neuen Welt zu leben.“ 413 antworten, da er von einer schwarz vermummten Person mit einem Strick hinterhältig erwürgt wird. „Ich war videodromes erstes Opfer“ sind seine letzten, gestotterten Worte im Todeskampf. Daraufhin nimmt die Gestalt ihre Maske ab – es ist Nicki, die ihm antwortet „Ich möchte Dich, Max!“1359 Hier kündigt sich nicht nur die für den Wahn so typische kastrierende, Opfer fordernde, tödliche Dimension an, sondern es zeigt sich auch die direkte Adressierung, ein Gefühl von Auserwählt- und Wichtigsein,1360 schließlich von (medial konfiguriertem) Helden- oder Märtyrertum, das schon den klassischen Masochisten in seinem Denken und seinen Handlungen prägte, aber viel mehr noch die paranoid-schizophrenen Projektionen nachfolgender Medien-Mutanten: Daniel Paul Schreber, Max Renn oder MAX HEADROOM. Heute sind es nach wie vor u. a. perverse Cyberpunks, lustgestörte sex maniacs und stotternde freaks und nerds, die auf ihren Spuren, denen der Mehr-Lust, wandeln.1361 Dabei betrachten sie sich gewiss nicht nur als HeldInnen oder MärtyrerInnen (auch wenn Computerspiele oder Filme wie eXistenZ oder THE MATRIX solche Rollen in zahlreichen Variationen anbieten).1362 1359 Hier zeigt sich die ‚Komplizenschaft’ zwischen Maso und ‚Grausamer Frau’, die u. a. dazu dient, den Vater aus dem symbolischen Universum zu vertreiben, was hier brutal glückt. Das ist natürlich alles Wunsch(-Maschinen-)Denken des Masos, also von Max. Vgl. Deleuze 1980, 240. 1360 Es ist die Frage des Anderen „Was willst Du? Che vuoi?“, die sich hier psychotisch verselbständigt bzw. exekutiert, d. h. nicht mehr im Symbolischen der Sprache – diskursiv – gehalten werden kann. Sie beantwortet sich quasi von selbst, indem sie dem paranoiden Max ein grandioses Spektakel, in dem er die einzige Hauptrolle – first person – spielt, absolut glaubwürdig (und gewiss unter die Haut gehend) präsentiert. Der nervenkranke und paranoide Daniel Paul Schreber schreibt in diesem Zusammenhang, dass er „für Gott in gewissem Sinn der Mensch schlechthin oder der einzige Mensch geworden“ ist, „um den sich Alles dreht, auf den Alles, was geschieht, bezogen werden müsse und der also auch von seinem Standpunkt alle Dinge auf sich selbst beziehen solle.“ Vgl. Schreber 1995, 192. Vgl. dazu auch Riepe 2002 (a), 97 (Fußnote 10), der über das „Fernseh-Setting“ schreibt, dass es „das Weltgeschehen medial so organisiert und strukturiert [...], als spielte es sich nur für den im Wohnzimmer isolierten Zuschauer ab. Das TV-Setting begünstigt damit paranoische Konstruktionen.“ 1361 Zu dieser Gruppe oder Szene, soviel (Lebens-)Beichte muss an dieser Stelle sein, zählt sich auch der Autor dieses Textes. Natürlich ist dies nur eine Wunschprojektion. 1362 Vgl. M. Butler 2007, 194 ff. 414 Nun transformiert sich der bereits organisch gewordene Fernseher. Wir sehen Nickis rot geschminkten Kussmund und strahlend weiße Zähne, die als Partialobjekte die gesamte Mattscheibe einnehmen. Nickis verführerische Radio-Stimme ruft: „Komm’ her, komm’ zu Nicki. Lass’ mich nicht warten. Bitte!“, womit sich – wie im klassischen Masochismus – auf einmal eine mütterliche Dimension in Max’ Bild seiner grausamen Frau, einem fantasmatischen Video-Vamp, offenbart. Dieser Vamp kann nicht ‚Ich’ sagen, sondern redet von sich in der dritten Person (und spiegelt sich im Gegensatz zum klassischen Vampir in optischen Medien). Max betastet bzw. streichelt seinen Fernsehapparat (touchscreen) und taucht schließlich mit seinem Kopf in Nickis Partialbild, in die Kathodenstrahlröhre ein, was eine neue Form des Oralverkehrs, Cybersex, bedeutet. Die Wölbung des Monitors wird dabei größer und verschlingt einen Teil seines Kopfes, sein Gesicht.1363 (Dies ist eine Referenz an die kopflose Dildo-Puppe am Anfang der „Samurai Dreams“-Sequenz.1364 Oder an das 1363 Vgl. Böhme und Slominski (Hrsg.) 2013. 1364 Die ‚Kopflosigkeit’, wie sie Cronenberg an mehreren, signifikanten Stellen des Films unterschiedlich inszeniert (einmal mit, dann wieder ohne Kopf), geht auf die fehlende oder aussetzende Selbstreflexion des Protagonisten Max zurück. Es ist einerseits seine körperliche Triebsteuerung zusammen mit der Videosteuerung seiner alptraumhaften Perzeption (vgl. dazu das kopflose, laufende Männchen aus Freuds Traumdeutung: Kittler 2003 [a], 330, 332), die nun zum Vorschein kommen und seine Wahrnehmung beherrschen. Diese beiden Arten der ‚Kopflosigkeit’ befeuern das Unbewusste in VIDEODROME, verwandeln die Libido-Ströme in einen nach unten ziehenden, immer schneller drehenden Wirbel. Es geht dabei, mit Freud gesagt, um „die Überschwemmung des seelischen Apparats mit großen Reizmengen“, die sich nicht mehr aufhalten lässt und für Cronenbergs 415 ‚Krokodilmaul der Mutter’, in dem man sich befindet und das plötzlich zuschnappen kann, in Jacques Lacans sadomasochistischer Fantasie.)1365 Die Leerstelle des Videobildes im „Nullmedium Fernsehen“1366 wird förmlich sichtbar und bläht sich wie in einer biochemischen Reaktion auf. Eine Gelée-artige Masse füllt dann den erweiterten interface-Raum zwischen Körper und Medium (die hier mutierende psychische Lokalität Freuds), in dem sich Max vorübergehend verliert. Schon Sade schrieb aus dem Gefängnis an seine Frau, „daß man möglichst selten im Leeren schwimmen sollte, weil die Natur Descartes zufolge die Leere verabscheue“.1367 Max unterläuft dann die Nullebene des audiovisuellen Mediums. In dieser fantastischen Konstruktion, einem Spezialeffekt der gerade noch vordigitalen Ära auf diesem Gebiet,1368 zeigt sich der hybride Zusammenschluss bzw. Kurzschluss des Sadeschen und Masochschen Diskurses, ein vorläufiger Höhepunkt in VIDEODROME bzw. im SM-Diskurs und seiner Mediengeschichte: Einerseits das Eindringen in die Tiefe des Körpers, den Raum des anderen (Sade), andererseits das auf der Oberfläche stattfindende virtuelle Spiel mit dem erweiterten Körperbild (bzw. einem Ausschnitt oder Teil davon [Sacher-Masoch]), welches nach der Video-Logik, ihrer techné, simultan abläuft.1369 Trotzdem – was man bei der Betrachtung solcher Schizo-Trick- Szenen (der Sichtbarmachung und Verselbständigung von Partialobjekt-Funktionen psychotische Figuren in seinen Filmen, mutierende Medien-Lust-Zombies, irreversibel ist. Vgl. Freud 1999 (b), 214. 1365 Vgl. 351 in dieser Arbeit. 1366 Vgl. Enzensberger 1997 und Der Spiegel 20/1988, auch unter: http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-13529129.html 1367 Vgl. Zweifel und Pfister 2001, 21; Zitat von Sade in einem Brief an seine Frau, Vincennes, Juli 1783, Sade 1966/67, Bd. 12, 395. 1368 Cronenberg bzw. sein special effects-Spezialist, der Make-up-Künstler Rick Baker, AN AMERICAN WEREWOLF IN LONDON (1981), arbeiteten u. a. mit echten Fischblasen, um plastische Wirkungen wie diese zu erzielen. Für die Videoeffekte zeichnete Michael Lennick verantwortlich, VIRUS (OVERKILL – DURCH DIE HÖLLE ZUR EWIGKEIT) (1980) oder TWILIGHT ZONE (UNHEIMLICHE SCHATTENLICHER) (1983). Vgl. Oetjen und Wacker 1993, 114. 1369 In der Wahrnehmung der BetrachterInnen ereignen sich – ähnlich wie bei Max – kurzschlüssige Mehr-Lust-Effekte, die in ihrem Nicht-Verständnis oder non-sense Faszination und Verstörung auslösen, die deswegen aber auch – meist vorschnell – zu Ablehnung, Protest, Verurteilung und Zensur führen können. 416 [Max’ blähendes Begehren/Medien-Meteorismus]) nicht vergessen darf – handelt es sich hier ‚nur’ um eine Filmprojektion. Cronenberg zeigt damit auch, dass das unbewusste Subjekt gleichzeitig eine sadistische und masochistische Position (räumlich-medial) einnehmen kann. Dieser Vorgang ist schon deswegen so erstaunlich, da das elektronische AV-Medium – zumindest in Max’ delirierender Wahrnehmung – eine vorübergehende, plastische Tiefen-Dimension erreicht (von der bereits der [ebenfalls delirierende?] McLuhan sprach),1370 die es de facto nicht hat. Michael Palm schreibt, dass die „andere mediale, immaterielle Bewusstseinsebene“ in VIDEODROME ihre (zuvor verdrängt- abwesende oder nicht wahrgenommene) ‚Körperlichkeit’ bzw. ‚Fleischlichkeit’ (die Real-Ebene des ‚plastischen’ Signifikats bis hin zur unmöglichen jouissance) im Fantastischen zurück erhält,1371 auch wenn dieser ‚Körper’ gewiss kein ganzer mehr ist oder werden kann.1372 „In der elektrifizierten Welt gibt es Spannungen zwischen Oberfläche und Tiefe, Schein und Wahrheit nicht mehr; reine Datenflüsse kann man nicht mehr kritisch distanzieren. Deshalb spricht Baudrillard vom Kupplerhaften der elektronischen Datenprozesse und der absoluten Promiskuität aller Orte und Dinge in den von neuen Medien und Computern bestimmten Environment. [...] ‚Scatologie de l’information: le rêve d’une conductibité absolue ne peut-être que laxatif et excrémentiel.’“1373 Tiefe und Oberfläche, Medium und Körper, Reales und Symbolisches kommen in VIDEODROME zwar actiongeladen zurück ins Spiel (auf der Leinwand bzw. in Max’ Bewusstsein), geraten in ihrer Ordnung bzw. Regelung jedoch auch ziemlich kurios durcheinander. (In Opposition stehende) Kategorien und Begriffe (wie diese) durchdringen sich promiskuitiv und sind dann nicht mehr eindeutig definierbar bzw. 1370 Vgl. Schumacher 2000, 134. 1371 Vgl. Palm 1992, 162. 1372 Vgl. ebd. 161. 1373 Bolz 1992, 118, Zitat darin von Baudrillard 1987, 182. 417 verortbar. Auch wenn das Reale/ Organische/ Fleisch dabei wiederkehrt und spürbar wird, ist es Max Renn nun prinzipiell egal, ob das Bild von Nicki noch einen Körper aus Fleisch und Blut hat, oder ob es nur noch rein technisch erzeugt ist – Nickis Partialbild und Lockrufe waren ja vorerst nur reell, bevor sie dann mit Max’ Abtauchen in dieses AV-Bild plötzlich wieder real wurden. Für Sacher-Masoch war diese Unterscheidung – trotz seiner ebenfalls starken Fixierung auf mediale Oberflächen und Partialobjekte – noch äußerst wichtig, ging es ihm doch, wie Peter Weibel schreibt, beim Konstrukt und Einsatz der grausamen Frau um ein „atmendes Phantom“ (– der besondere Reiz, der wahrnehmbare Fluchtpunkt dieses lebendig gewordenen Bildes lag neben der Tierhaut-Umhüllung1374 auf Atem/Atmung).1375 Die ganze fatale Wirkung spätmoderner Bildmedien kommt in diesem Bild des Verschlungenwerdens zum Ausdruck: Wo sich das Subjekt aus Gründen der Selbsterkenntnis – d. h. aus einem Lust- und Machtbegehren heraus – einst an eine Technik anschloss, schließt diese, mittlerweile organisch gewordene, sich (nicht nur bei Cronenberg) jetzt selbst an das Subjekt an. Der organische Körper wird in einem Platztausch zur destabilisierenden Prothese des mutierenden Mediums. Darin bewahrheitet sich Friedrich Kittlers (masochistisch anmutende) Medien-These, dass im technischen/technologischen Unbewussten „etwas aufhör[t] [...], sich nicht zu schreiben“1376 bzw. „Menschen die Informationsmaschinen nicht erfunden haben 1374 Oberflächenreize und (haptische) Sensationen im Masochismus, Pelze oder Bärenfelle (die zweite Haut des Masos), werden (spätestens) in der Postmoderne von nüchterner interface-Umhüllung, screen-Rahmungen und neuen Mediasphären abgelöst, wobei die technisierte Wahrnehmung (inklusive des verdrängten Realen, sozusagen des ‚Tierischen’ [im Menschen]) als solche erkennbar und erschlossen wird. Das ist das Posthumane der Gegenwart, ein Tierlich-Werden im Sinne eines „technological animal“, wie O’Blivion gepredigt hat. (Das andere wichtige Element im klassischen Masochismus, das Ausgepeitscht-Werden, ist im medialen Realen heutiger Technologien nach wie vor präsent: härter, schneller und intensiver denn je dank highspeed-Leitungen und digital vernetztem Informationsbeschuss, der eine virtuelle Flut darstellt. Wo Sacher-Masoch seine Lust an der medialen Gewalt noch spielerisch symbolisieren konnte, erweist sich dies heutzutage als schwierig, wie das Fallbeispiel des psychotisch gewordenen Max Renn zugespitzt zeigt.) 1375 Vgl. Weibel 2003 (b), 39. 1376 Genauer gesagt hört in Cronenbergs Ästhetik etwas nicht auf, real, imaginär und symbolisch zu ‚wachsen’. Es wächst jedoch nur dort, wo der asketisch-phallische Zwang zu Einheit und Sinn suspendiert ist. Vgl. Samsonow 2002 [Der Körper als Passage. Meditation über das Wachsen]. 418 können, sondern umgekehrt ihre Subjekte sind“.1377 Anders (einfacher) gesagt: Max’ Körper ist zum Anhängsel seines Fernsehers geworden.1378 Bei Freud ist das Individuum Anhängsel seines Keimplasmas.1379 Beides kommt in der wabernden, gelée-artigen Masse der Monitor-Kussmund-Blase, Max Kopf(losigkeit), zur Geltung: Your brains turn to mush.1380 Die ganzheitliche Selbsterkenntnis löst sich hier in der schizophrenen Psychose auf,1381 der Lustgewinn wird in diesem Moment sadomasochistisch optimiert und unbeschreiblich.1382 1377 Vgl. Kittler 1993 (a), 77. 1378 „Monika Elsner und Thomas Müller wiesen darauf hin, daß der habitualisierte Gebrauch des Alltagsmediums Fernsehen eine harmonische und deshalb nicht mehr spürbare Kopplung zwischen dem kognitiven Apparat des Menschen und dem Fernsehen herstellt. Die Metapher vom ‚angewachsenen Fernseher’ fungiere demnach auch ‚als Platzhalter für die Forderung, eine Beschreibung dieses Phänomens zu leisten und eine explizite Theorie der Fernsehwahrnehmung zu entwickeln.“ (Vgl. Schumacher 2000, 121, Zitat von Elsner und Müller 1988, 393.) Cronenberg hat also in Bezug auf diese Forderung schon gute Vorarbeit geleistet: Bei ihm kommen die medien-/ kulturwissenschaftlich viel diskutierten Themen bzw. Dispositive um Immersion oder Fluidität (vgl. Heller 2010) bereits 1983 voll zur Geltung. Dabei inszeniert er auch das, was bei der medialen Schnittstellen-Nivellierung, die de facto alles andere als harmonisch verläuft, gern übersehen bzw. nicht mehr wahrgenommen wird: die (Selbst-)Kastration bzw (-)Amputation (in Form von Max’ Kopf- bzw. Gesichtslosigkeit und seiner fehlenden Selbstreflexion). Das scheint hier der nicht gerade kleine Preis zu sein, damit Spürbarkeit und Gespür wiederkehren (können). 1379 Vgl. Freud 1999 (f), 56: „Es [das Individuum] hält selbst die Sexualität für eine seiner Absichten, während eine andere Betrachtung zeigt, daß es nur Anhängsel an sein Keimplasma ist, dem es seine Kräfte gegen eine Lustprämie zur Verfügung stellt, der sterbliche Träger einer – vielleicht – unsterblichen Substanz, wie ein Majoratsherr nur der jeweilige Inhaber einer ihn überdauernden Institution.“ 1380 So heißt es in BLOOD SIMPLE (1984), dem Debüt-Spielfilm der Gebrüder Coen. 1381 Kein „ganze[s] und einige[s] Selbst“ (vgl. Kapp 1978, 2) kann sich hier mehr projizieren, sondern nur noch die (organisch gewordene) Prothese selbst, die jede Ego-Orthopädie wirksam unterläuft. 1382 Die größte Lust (und auch Erkenntnis) liegt nach wie vor in der radikalen Metamorphose des Selbst, d. h. vor allem in der (weiter zu entwickelnden) Kunst, diese erst einmal zuzulassen, auszuprobieren und zu teilen (d. h. anderen zu kommunizieren). Dies gilt u. a. für klassischen SM ebenso wie für VIDEODROME (und ist auch ein Appell Cronenbergs an sein Publikum). – „Dem zustimmend erwiderte Lassalle: „Diese absolute Selbstproduction ist eben der tiefste Punkt im Menschen.“ Kapp 1978, 29. 419 Technologische Filmdramaturgien Mit Cronenberg bzw. Max sehe ich in dieser Sequenz (in Bezug auf organisch gewordene Technologie), dass wir uns alle – mad scientists – nicht nur ziemlich tief im eigenen wie kollektiven Fantasma (inklusive dessen spektakulären Inszenierungen) aufhalten, dieses (unbewusst) zu durchqueren und zu ergründen versuchen (im Reellen), sondern mittlerweile auch mit Gen- und Biotechnologien zu tun haben, um ebenfalls einen Innenraum, den des (tierischen) Körpers, zu erschließen (im Realen).1383 Cronenberg dokumentiert und imaginiert (alte und neue) Technologien in ihren verschiedenen libidinösen – wunderbaren und unheimlichen – (Aus-)Wirkungen bzw. Anschlussfehlern (in Bezug auf die Medien-Körper-Schnittstellen). Er hat bereits den medizinischen und biotechnologischen horror der 1960er und 70er Jahre (Transplantationsmedizin [SHIVERS (1974)], plastische (Unfall-)Chirurgie [RABID (1976)], Pharmaindustrie/Pharmakologie [SCANNERS (1980)], psychoplasmatics [THE BROOD (1979)] und Kosmetikindustrie [CRIMES OF THE FUTURE (1970)] aufklärerisch und fantastisch inszeniert (im Sinne einer heutigen Kultur-/ Medienwissenschaft). Cronenbergs Ästhetik könnte man auch als Unfallwissenschaft (siehe CRASH [1996]) bezeichnen, wie sie u. a. Virilio betreibt und fordert.1384 Wo sich Cronenberg in seinem Frühwerk eher der Manipulierbarkeit von Körpern durch neue Medizin-Technologien zuwendet, rückt in VIDEODROME erstmals ein elektronisches Bildmedium in den Mittelpunkt seiner Technoimagination, ebenfalls zu diesem Zweck. (Der Computer und dessen Vernetzbarkeit spielt schon in SCANNERS eine wichtige Rolle). PS-starke Verkehrsmittel wie Motorräder [THE ITALIAN MACHINE (1976) (Kurzfilm) und RABID (1976)] oder dragster [FAST COMPANY (1979)] sind die Lust-Objekte in diesen Filmen (und gewissermaßen das phallische Gegengewicht zu Cronenbergs mutierendem body horror). In VIDEODROME findet der VOLLGASRAUSCH IM GRENZBEREICH, so der deutsche (Zusatz-)Titel von FAST COMPANY, dann nicht mehr mit 10 000 PS statt, sondern mit psychotisch-exzessiven (test-)drive in der Immaterialität bzw. Immanenz 1383 Vgl. Virilio (1993, 108), der vom angebrochenen Zeitalter ‚verinnerlichter Komponenten’ spricht und A. Pühler, Müller-Röber und Weitze (Hrsg. 2011), die in die Synthetische Biologie einführen. 1384 Vgl. Schumacher 2000, 77 und Virilio 2009 (b). 420 von Video. Zur ‚Beschleunigung’ des Begehrens in VIDEODROME braucht es keine leistungsstarken Motoren mehr, sodass die Verkehrsmittel, die Cronenberg hier zeigt, demgegenüber alt, sperrig und langsam wirken. So fährt bzw. rumpelt am Anfang des Films eine Straßenbahn vor der Hausfassade des ‚Classic Hotels’ vorbei (ebenso in späteren Einstellungen vor dem Spektakulär-Optik-Brillengeschäft). Max nicht zu bremsender Video-Wahn endet im Bauch eines stillgelegten, verrotteten Schiffs (condemned vessel) im grauen Industriehafen von Toronto. Max’ Metamorphose Doch nicht nur exzessive Lust, sondern vor allem auch Angst kommt jetzt brutal ins Spiel. Nachdem Max begriffen hat, dass O’Blivion videodrome selbst zum Opfer fiel, setzt er sich den Bildern nicht mehr unbewaffnet aus.1385 Er fühlt sich verfolgt, hört bekannte Stimmen (die bereits geführte Dialoge abgebrochen wiedergeben), glaubt Opfer einer Verschwörung zu sein oder zu werden. Weil die Anrufung des Vaters, O’Blivions, missglückt ist, offenbart VIDEODROME nun endgültig seine kastrative bzw. (Selbst-)vernichtende – dabei jedoch auch seine intensivierte transformatorische – Seite und Funktion. Die Video-Bilder haben Max mittlerweile so fest im Griff, dass die Halluzinationen auch die Integrität seines Körpers in Frage stellen und bedrohen. Ähnlich wie in Daniel Paul Schrebers (1842-1911) 11. Kapitel seiner Denkwürdigkeiten eines Nervenkranken (1903), das mit „Schädigung der körperlichen Integrität durch Wunder“ betitelt ist,1386 muss auch Max in seinem Wahn feststellen, dass der eigene Körper „keine letzte feste Größe mehr ist“:1387 Er entwickelt eine 1385 Aus gesteigertem Sicherheitsbedürfnis benutzt Max als Waffe eine selbstladende, aus deutscher Produktion stammende Walther PPK (Polizeipistole Kriminal, fälschlicherweise auch als ‚Polizeipistole kurz’ bezeichnet). Deren kompakte und handliche Konstruktion eignet zur verdeckten Trageweise am Körper. Sie wurde wie Video in den 1930er Jahren entwickelt, allerdings im Gegensatz zu Video schon zu dieser Zeit vertrieben. Vgl. Oetjen und Wacker 1993, 114. 1386 Schreber 1995, S. 109 ff: Ein tatsächlich denkwürdiges Kapitel zum Thema grotesker bzw. zerstückelter Leib, das splatter-Fantasien, wie sie im Theater, Kino, in der Wissenschaft etc. des 20. Jahrhunderts exploitativ inszeniert (oder real angewandt) wurden, vorwegnimmt. 1387 Vgl. Schneider 2000, 13. Das, was nach Zusammenbruch des idealistischen Denkens als letztes, ganzes Objekt (u. a. den [philosophierenden] Lebenswissenschaften) noch bleibt, Ein Körper, 421 Zusatzöffnung, einen etwa 20 bis 25 Zentimeter langen Schlitz in seinem Bauch, vom Bauchnabel bis zum Brustbein, der an eine überdimensionierte Vagina (oder einen vergrößerten Nabel) erinnert und somit Unterleib und Oberkörper als öffnende Leerstelle ‚verbindet’ bzw. dort aufklafft, quasi die „Konfrontation von matrizialer Spaltung und Kastrationslinie“, wie sie in Deleuzes und Guattaris Schizo-Analyse des Anti-Ödipus zu Tage tritt.1388 Dieser wunderliche Vorgang ereignet sich, während Max mit freiem Oberkörper auf der Wohnzimmer-Couch vor dem Fernseher sitzt und eine Video-Predigt O’Blivions produziert/konsumiert. Er stochert dann mit seinem (phallischen) Revolver an dieser anfangs noch blutenden Öffnung herum, bis dieser schließlich in dem Spalt verschwindet. (Ein weiteres, krasses Gegenbild zur „Samurai Dreams“-Sequenz, in der sich eine Geisha auf harmlose Weise mit einem Dildo befriedigt.) Max scheint nicht mitbekommen zu haben, dass die Waffe in ihm verschwunden ist. Er sucht sie verzweifelt, bringt sein bereits unordentliches Apartment noch mehr in Unordnung. Max’ ‚Rumstochern’ bzw. Masturbationstestversuch ist das ‚fleischliche’ Wörtlichnehmen dessen, was mit McLuhan als die Taktilität, das (Ab-)Tasten1389 bzw. verabschiedet sich nun, in der Spätmoderne, auch noch. In Schrebers Wahn war es bereits am Ende des 19. Jahrhunderts soweit, in der Bildenden Kunst schon viel früher. 1388 Vgl. Deleuze und Guattari 1977, 385. 1389 Vgl. zum „Abtastsystem“ Fernsehen: McLuhan 1995, 473. Tastfunktionen sind bei McLuhan aber auch durchaus wörtlich zu nehmen, was dann auch Haptisches umfasst; zudem meint der kanadische Medientheoretiker damit auch das Gesamtspiel aller Sinne im Mediengebrauch. Heidemarie 422 (An-)Testen im Medien- bzw. Waffengebrauch1390 bezeichnet werden kann. Das Besondere ist hier bei Max, dass der ‚Phallus’ als Objekt von der medialen Bildoberfläche verschwindet.1391 Auch die taktilen Sensationen im Werk Sacher- Masochs, wie sie Christoph Dolgan eindrucksvoll beschreibt,1392 und darüber hinaus das, was mit Félix Guattari als Frau-Werden im postmodernen/ -humanen Zeitalter oder mehr noch als Dystopie der Harawayschen Cyborg lesbar wird, machen sich an dieser Stelle bemerkbar und eröffnen die Möglichkeit zu verschiedenen Interpretationen.1393 Schumacher weist darauf hin, dass die Taktilität schon in der Medientheorie Walter Benjamins eine wichtige Rolle spielt. (Vgl. Schumacher 2000, 71.) Das Gesamtspiel gab es schon bei Ernst Kapp. Vgl. Kapp 1978, 64. 1390 McLuhans Medienbegriff umfasst auch Waffen. Vgl. McLuhan 1995, 42 und Bitsch 2008, 247. 1391 Max’ Revolver und die Einheit bzw. Integrität seines phallischen Körperbildes verschwinden hier. 1392 Vgl. Dolgan 2009 95 ff. Dolgan bezieht sich dabei auch auf die „taktile Gewissheit“, wie sie sich über körperlichen (Lust-)Schmerz und das Haut-Ich realisiert: „’Ich kriege eine totale Gänsehaut’. Auf Russisch heißt das wörtlich: kleine Ameisen [murashki] laufen über meinen Körper.“ Ebd. 105. 1393 „ON THE LEVEL OF THE SEXED BODY THE LIBIDO IS ENGAGED IN A BECOMING- WOMAN. MORE PRECISELY, THE BECOMING-WOMAN SERVES AS A POINT OF REFERENCE. AND EVENTUALLY AS A SCREEN FOR OTHER TYPES OF BECOMING (EXAMPLE: BECOMING-CHILD AS IN SCHUMANN, BECOMING ANIMAL AS IN KAFKA, BECOMING-VEGETABLE AS IN NOVALIS, BECOMING-MINERAL AS IN BECKETT.“ (Vgl. Guattari 1995 [1980], 87. [Konsequente Großschreibung im Text.]) Was Guattari hier vergisst, ist das sadomasochistische bzw. phallische Frau-Werden durch Technologie (den notwendigen SCREEN zur Typenerzeugung erwähnt er schon), z. B. als Cyborg oder in Form einer Geschlechtsumwandlung durch pharmakologische Behandlung und chirurgische Eingriffe. (Oder als ein Zusatzorgan einer fantasmatischen Anatomie: eben das neue, ‚weibliche’ Geschlechtsteil Max Renns, das dieser ungewollt bekommt bzw. ausbildet.) Das Problematische ist hier, dass Technologien, das technologische Denken und Cyborgs „Abkömmlinge des Militarismus und patriarchalen Kapitalismus sind“. Auch die moderne Medizin muss dazugerechnet werden. Ein schweres Erbe und „ein großes Problem“, wie es Haraway in ihrem Cyborg-Mythos bzw. im -Denken klar erkennt und benennt. (Vgl. Haraway 1995, 36.) Denn wenn die Frau-Werdung wie bei Max technologisch erfolgt, sind dabei immer auch unausweichliche phallische Kräfte und Zwänge im Spiel bzw. virulent, von denen sich Haraway und auch Guattari aus gutem Grund verabschieden wollen. (Damit kann der Zwang zu heteronormativer Zweigeschlechtlichkeit, zu einseitigem Binär-/ Analogiedenken, zur [täuschenden] harmonischen Prothesen-Schnittstellen oder zu ‚grausamen Frauen’ gemeint sein.) (Vgl. zur phallischen Dimension noch einmal Guattari 1980, 87.) Diese phallisch-patriarchalische Dimension wurde schon mit der väterlichen Wissenschaftsfigur O’Blivion in VIDEODROME (satirisch) angesprochen, die des militärisch-industriellen Komplexes folgt gleich in Max’ Wahn. 423 Die Lacansche wäre: Weil die notwendige Distanz zur äußeren Umwelt fehlt, d. h. ein regelnder Signifikant – der Phallus – ausgefallen ist bzw. psychotisch verworfen wurde (bzw. nie richtig gegriffen hat oder installiert war),1394 bildet sich in Max’ Imagination eine angstbesetzte, fantasmatische Anatomie heraus,1395 eben ein unkontrollierbares (Körper-[Bild-]) „Loch [...], das Platz schafft für Krieg, Tragödie und Kybernetik [das heißt u. a. für videodrome bzw. Medien-SM (Anmerkung S. P.)]“.1396 „Damit die Psychose ausgelöst wird, muß der Namen-des-Vaters, der verworfen*, d. h. nie an dem Platz des Andern gekommen ist, daselbst angerufen werden in symbolischer Opposition zum Subjekt. Das Fehlen des Namen-des-Vaters an diesem Platz leitet nämlich durch das Loch, das es im Signifikat aufreißt, jene kaskadenartigen Verwandlungen des Signifikanten ein, die einen progressiven Zusammenbruch des Imaginären zur Folge haben, bis an den Punkt, wo Signifikant und Signifikat sich in der delirierenden Metapher stabilisieren.“1397 Für die Projektion heißt das, ebenfalls bei Lacan: „Sowie das, was aus dem Symbolischen verworfen wird, im Realen wieder erscheint, so mobilisiert das Loch des Verlustes im Realen den Signifikanten. Dieses Loch bieten den Platz, wohin sich der fehlende Signifikant, der zur Struktur des Anderen wesentlich ist, projiziert. Es handelt sich um denjenigen Signifikanten, dessen Abwesenheit den Anderen ohnmächtig macht, Ihnen die Antwort zu geben, um 1394 Dieser Signifikant müsste noch bestimmt werden: vgl. den Epilog, die Auswertung dieser Arbeit. 1395 Vgl. Lacan 1986 (a), 67. 1396 Vgl. Kittler 1993 (a), 77. Kittler redet hier von der Öffnung eines Lochs im Spiegelstadium: Krieg, Tragödie und auch Kybernetik. Die Kybernetik bzw. das sie ermöglichende elektromagnetische Feld sind in VIDEODROME zwar die notwendige Voraussetzung, um dysfunktionale Körperwahrnehmungen, erweiterte Körperloch-Bilder bzw. bugs in der Matrix, fantastisch zu inszenieren, jedoch wird Max’ Wahn am Ende darauf zielen, die Grenzen der Technik, hier die unbewusst-kybernetischen Schaltkreise (in ihm selbst), schließlich sadistisch in die Luft zu jagen. 1397 Lacan 1986 (b), 110. Das sich das Delirium stabilisieren wird, ist in VIDEODROME nicht der Fall, wie das fulminante Finale später zeigen wird. Es wird eine Totaltransformation im Realen, eine Cronenmorphose, stattfinden. Die Libido-Kaskaden ergießen sich dann bis zum bitteren Ende, zum sadistischen showdown: der Auslöschung des Imaginären. 424 denjenigen Signifikanten, den sie nur mit ihrem Fleisch und Blut bezahlen können, um den Signifikanten, der im wesentlichen der unter dem Schleier ist.“1398 Weil einerseits die Anrufung im-Namen-des-Vaters misslang, andererseits Nickis Körper als mediales (Lust-)Objekt und Projektionsfläche für seine heimlichen SM- Fantasien nicht mehr zur Verfügung steht – sie bzw. ihr Körper bleibt in VIDEODROME weiterhin verschwunden –, projiziert sich die daraus resultierende doppelte Leerstelle bzw. Leerstelle im Quadrat gewaltsam auf Max’ eigenen Körper bzw. auf sein (unsicher gewordenes) Körperbild und erzeugt dabei die groteske Erscheinung eines Vagina-ähnlichen Zusatzorgans. Diese optische Verzerrung, dieser individuelle Wahrnehmungsbruch1399 ist nur noch Video-/ Triebgesteuert.1400 Ein Schnitt geht durch seinen Bauch, der sich aufgrund einer wörtlich genommenen, radikalen Organprojektion ereignet.1401 Mit Freud und Lacan gesagt, projiziert sich hier nur noch Reales (Loch-/ Nabelstrukturen, Partialorgane, Geschlechtsteile, Körperöffnungen etc.), das sich dann nicht mehr phallisch-fetischistisch anordnen und (auf Distanz und unter Kontrolle) halten lässt, sondern in verdichteter und lebendiger, jedoch auch höchst aggressiver Form, etwas Neues, (vorerst) Unbekanntes und Dysfunktionales, an Max’ groteskem Körper ausbildet. Auch wenn – oder gerade weil 1398 J. Lacan 1986 (d) 26, 13; zitiert nach Bitsch 2001, 65. 1399 Wenn das Körperbild in seiner imaginären Grenzziehung zum Realen Störungen ausgesetzt ist (was sehr wahrscheinlich ist), können laut Lacan „Bruchlinien“ entstehen, „welche die fantasmatische Anatomie umreißen und die [...] in Spaltungs- und Krampfsymptomen, in hysterischen Symptomen“ offenbar werden. (Vgl. Lacan 1986 [a], S. 67.) Diese Bruchstellen seien im Organischen selbst greifbar. Vgl. Kittler 1993 (a), 70 bzw. die nachfolgenden Anmerkungen zu Paul Emil Flechsigs Gehirn-Forschung. 1400 Sowohl in Sades als auch in Sacher-Masochs Fiktionen sind weibliche Geschlechtsorgane angstbesetzt und deshalb meistens verhüllt bzw. ausgeblendet. Umso deutlicher stellt Cronenberg diese männliche Angst, die nicht nur im klassischen SM oder bei Max in VIDEODROME panisch vorherrscht, in Form eines projizierten Zusatzorgans, das an eine ‚hingewunderte’ Vagina erinnert, an einem männlichen Körper aus. Möglicherweise ist damit auch das Zusatzorgan, das videodrome laut Professor O’Blivion erzeugen soll, gemeint. Es ist dann kein neuer Teil des Gehirns, sondern ein neues, künstlich erzeugtes Geschlechtsteil (Betonung liegt auf ‚künstlich’ und ‚Teil’). Dieser imaginäre Kurzschluss zwischen Hirn- und Geschlechtsteilen bzw. -funktionen ist eine Sadesche Prozedur und signifikant für VIDEODROME. 1401 Dieses horror-Bild ist das kastrative Kontrastprogramm zur erotisch-orientalischen Bauchtanz- Darbietung in dem türkischen Lokal, in dem Masha Max traf (und ihn vor videodrome warnte). 425 – all dies im Wahn stattfindet, realisiert Cronenberg hier das, was der klassische Masochismus oder die Prothesenphilosophie im Virtuellen anvisierte, fetischisierte, jedoch mit Notwendigkeit verfehlte und schließlich nicht erreichte: einen neuen Naturbegriff bzw. die technische Produktion neuen Lebens – eine künstliche Gebärmutter, wie weiter unten noch zu sehen ist. Prothesenpathologie Psychotische Körperbilder wie diese sind einfach die unvermeidbare Konsequenz des analogen Prothesen-(Wunsch-)Denkens spätestens seit 1877, das selbst etwas höchst Psychotisches in sich birgt und auf jeden Fall Unheimliches produziert: Kapps oder Sacher-Masochs wahrnehmbarer Medien-Spuk.1402 Cronenberg denkt bzw. imaginiert hier (wie in allen seinen body-horror-Filmen) fantastisch und folgerichtig zu Ende, was u. a. Kapp und McLuhan noch nicht vermochten: Die mediale Real-Seite, die virtuell-maschinelle Formatierung bzw. ‚Kontaminierung’ menschlicher Körper oder einfach die ‚Krankheit’ der Prothesen, deren unbewusste Viralität, Kontagiosität und Promiskuität auf der Ebene der interface-Kommunikation, die im Medien-Delirium analoger und digitaler Simulation tatsächlich zu Selbstmutation und -auflösung (auf der Ebene des Ich oder cogito) bis hin zur Körperverletzung führen (können). Daniel Paul Schreber redet von Seelenmord.1403 Etwas, das, wie videodrome, ‚beißt’, stellen Max und Bianca fest. – Cronenberg erkennt, so deute ich diese Feststellung im weiteren Sinne, dass das Reale und dessen ‚unterwehwusste’ Bisse in der anthropozentrischen Prothesentheorie eskamotiert werden;1404 er lüftet diesen Schleier 1402 Vgl. 87, 221 und 237 in dieser Arbeit. 1403 Vgl. Calasso 1980, 27 f. und 35. 1404 Vgl. Bitsch 2008, 239. Dies gilt besonders für Kapp und McLuhan. Auch wenn McLuhan im Gegensatz zu Kapp die sexuelle Dimension seiner Prothesen berücksichtigt, so fehlt dennoch bei beiden eine Theorie oder ein Begriff, der oder die die pathogene Real-Seite ihrer Metaphern hinreichend kennzeichnet und beschreibt. (Gerade McLuhan ist dies vorzuwerfen, da das dafür notwendige [psychoanalytische] Wissen längst existierte.) Kapp erwähnt zwar an einigen Stellen in seinen Schriften das Thema Krankheit (z. B. in Bezug auf staatliche Institutionen und deren Bürokratie), jedoch verzichtet er darauf, deren mögliche mediale Ursachen wie individuelle und gesellschaftliche Folgen genauer zu erläutern bzw. abzuschätzen. [Vgl. 233 (Fußnote 749)] in dieser Arbeit.) Ähnliches gilt für McLuhan, der zwar die Gewalt, den Sadomasochismus der Medien, deutlich 426 mit sadomasochistischer Imagination, die in Wahn umschlägt. Dabei wird die kastrative Seite des imaginären Phallus im Realen/ Organischen/ Fleisch sichtbar und gleichsam in/als Mutation im Reellen des Kinos plastisch gemacht [psychoplasmatics].1405 Der Phallus hört auf, ein überdeterminierter, aufgeblasener Signifikant zu sein und erweist sich schließlich als das, was dieser realiter immer schon gewesen ist: ein gewöhnliches, wenn auch priviligiertes und ‚egoistisches’ Partialobjekt neben anderen.1406 David Cronenbergs experimentelle Ästhetik offenbart dann – neben und mit dem verstörenden (Ekel-)horror – eine subtile Ironie, manchmal auch Satire, auf jeden Fall produktiv-perverse Mehr-Lust einer einzigartigen Wahrnehmung, und ermöglicht – im ausgestellten Spiel frei waltender Einbildungskraft – kritische Distanz, Reflexion und neues Wissen. Diese Kino- erkennt (Medien als [Sex-]Waffen [Die mechanische Braut, New York 1951] oder die narkotisch- narzisstische Selbstamputation des Subjekts und die damit verbundene Angst und Apathie im Zeitalter elektrischer Medien [vgl. McLuhan 1995, 82]), jedoch an eine mehr oder weniger magische Selbstregulation im ‚Biotop’, in der ‚Evolution’ der Sinne glaubt, an ein zyklisch funktionierendes Korrektiv, das Störungen in der Mensch-Maschinen-Symbiose harmonisieren wird. (Vgl. 327 in dieser Arbeit.) Jens Schröter weist darauf hin, dass McLuhans „Zentrierung des Technischen um den Menschen [...] im Schatten von Automation und Atomwaffen [...] allmählich zu entgleiten beginnt.“ Und dies bereits in den 1960er Jahren. (Vgl. Schröter 2008, 317.) Auch Kapps Prothesen waren schon zu seinen Lebzeiten, was er philosophisch hätte wissen können (denn unbewusst gespürt hat er es ja), nicht ‚ganz dicht’ bzw. gespenstisch. Ein derartiges Entgleiten, die fatalen Auswirkungen des analogen Prothesendenkens, hat David Cronenberg am fiktiven Beispiel Max Renns in VIDEODROME u. a. inszeniert bzw. kritisch aktualisiert. 1405 Mutation gilt hier als plastisch-sichtbare Manifestation des Unbewussten. Psychoplasmatik, wie sie als Therapieform in Cronenbergs THE BROOD (1979) von Dr. Raglan praktiziert wird, body horror, ist eine Perversion der Freud-Lacanschen Psychoanalyse, da das Durcharbeiten nicht im Symbolischen der Sprache, sondern im Realen des Fleisches erfolgt. (Nicht nur die Signifikanten geraten hier in Bewegung, sondern autonom gewordene (Zusatz-)Organe, die bereits in der Malerei des Hieronymus Bosch im 16. Jahrhundert oder als im Körper wandernde Geschlechtsteile einer hysterischen Medizin im späten 19. Jahrhunderts erschienen bzw. ihr groteskes Unwesen treiben.) Psychoplasmatik nimmt die wissenschaftliche Vorstellung wörtlich, psychische Vorgänge und vor allem Störungen nur auf organisch-somatischer Grundlage zu erklären bzw. zu demonstrieren. Zudem wirkt Cronenberg mit seiner Methode Freuds Skepsis entgegen, dass der Film (gemeint ist G. W. Pabsts GEHEIMNISSE EINER SEELE [1926]) „unsere Abstraktionen“ (gemeint ist psychoanalytische Theorie) „nicht in respektabler Weise plastisch“ darstellen könne. Zitat von Freud; vgl. in dieser Arbeit 322 [Fußnote 1066].) 1406 Vgl. 150 in dieser Arbeit. 427 Forschungsreisen durch das Unbewusste abendländischer Einbildungskraft (und darüber hinaus bzw. hindurch), terra incognita, projet X,1407 laden zumindest – auch wenn dies nicht über positive Identifikationen läuft (und bisweilen als Zumutung oder als Angriff auf bürgerliche Werte und die Demokratie empfunden wird) – zu all dem ein, sofern man die hier angesprochenen (philosophischen bzw. medienkulturellen) Diskurse kennt bzw. zu deuten weiß.1408 Selbstverständlich faszinieren und verführen David Cronenbergs Filmbilder – gerade in ihrem ‚toxischen’ Gehalt – auch von selbst. In VIDEODROME sind dies u. a. die hartnäckigen Fantasmen bzw. Metaphern im Diskurs der grausamen bzw. phallischen Frau (die mütterlich codierte Medien- Gewalt im klassischen SM oder was die père-version sonst noch parat hat) und diejenigen im Diskurs organizistischer Prothesen (die fetischistische Analogisierung von menschlichen Körpern, Sinnen und Medien, ebenfalls ein Medien-Gewalt- Diskurs).1409 Sie sind wichtige Bestandteile in einem umfassenden Show-Programm, einer Nummernrevue (ur-)alter und neuer Despotismen, die Cronenberg virtuos montiert und neu erfindet. Cronenbergs weiß genau, womit er sadomasochistisch spielt. Die koordinierende phallische Dimension dieser Metaphern scheint an der medialen (Körper-)Oberfläche, im Außen, zu verschwinden, sodass das Erkenntnisobjekt fehlt; 1407 Hoheitsgebiet des Seins und der Ästhetik, der Schönheit und Wahrheit, Paranoia und Schizophrenie. 1408 Dies ist der Knackpunkt, das Manko in VIDEODROME (und anderen Cronenberg-Filmen). So lässt sich der mögliche Sinn (oder so etwas wie Verstehen) dieses mutierenden Wahnsinns, dieser Gewalt, nur mit einer gewissen Bildung, einem Wissen, das der Film selbst nicht hergibt, bewerkstelligen (wenn überhaupt). Jedoch könnte man hier auch relativierend einwenden, dass – wie Lacan behauptet – „die Psychose keine Vorgeschichte hat“, was an der fehlenden Symbolisierung bzw. der grundsätzlichen Unfähigkeit des Psychotikers/der Psychotikerin liegt, gegenüber dem Wahn- Ereignis die Verneinung, das Halten-Machen, zustande zu bringen. (Vgl. Lacan 1997, 105.) Cronenberg liegt demnach alles andere als falsch hier. Trotzdem rät der kanadische Filmemacher, sich verstärkt philosophischen Themen zuzuwenden, um seine Filme auswerten zu können. Manchmal liest er auch zur Einstimmung auf Dreharbeiten philosophische Texte mit seinen SchauspielerInnen. Vgl. Pühler 2006, 12 f. 1409 In Cronenbergs Bildmontagen und Installationen kommt der sexualisierte sci-fi-horror moderner Wissenschaft voll bzw. fantastisch zur Geltung, dabei geht der kanadische Auteur-Filmer sehr wissenschaftlich vor. (D. h. er folgt den Gesetzen abendländischer Einbildungskraft und optischer Medien.) 428 im Realen, in Max’ Fleisch, kommt sie dafür aber in ihrer (meist verdrängten oder nicht wahrgenommenen) kastrativen Schnitt-Funktion umso deutlicher bzw. virulenter zum Vorschein. Das ist David Cronenbergs sadomasochistische Prothesenpathologie oder der creative cancer seiner images virales: „Man betrachte meine Filme aus der Perspektive der Krankheit. Man sieht dann, warum sie allen Versuchen widersteht, zerstört zu werden“,1410 sagt er in diesem Zusammenhang. Seine kinematografischen Bildgeschwüre und Höllentrips (à la Dante, Bosch, Kafka, Schreber oder Burroughs), die an das Erkenntnisvermögens appellieren (ein Wachrütteln im Unbewussten) und sich der Mehr-Lust (weniger dem reinen Schock-Effekt und der Provokation) verschreiben, produzieren dann „im Symbolischen überschüssige Imagination, waghalsige Deutungen und große Verwirrungen“.1411 Sie haben schizophren-kreatives – in diesem Sinne eben durchaus krankes, jedoch auch befreiendes – Potential, das sich auf das Publikum übertragen kann und soll. „Das Streben nach Wissen soll, wie Foucault sagt, nicht nur ‚den Erwerb von Erkenntnissen’ bringen, sondern vor allem ‚das Irregehen dessen, der erkennt’.“1412 Dieser Krebs, creative cancer, wuchert(e) nicht nur als Tumor in Professor O’Blivions Hirn (videodrome), sondern auch in der Noosphäre, der Sphäre der menschlichen Vernunft: Kapps, Chardins und McLuhans Gehirn für die Welt. Dies tangiert auch die Videosphäre [in] VIDEODROME, sind doch beide Mediasphären durch eine elektromagnetische Membran definiert.1413 Aus dieser Tumor-Perspektive erkennt Cronenberg sogar einen blinden Fleck in der Evolutionstheorie Charles Darwins: „He never considered the possibility of evolution by disease – the idea that some disease might amount to a superior strain of the species.“1414 Kritisch 1410 Riepe 1996, 5; Zitat von Cronenberg. 1411 Hagen 2005, 3; zitiert nach Bitsch 2009, 182. Hagens Zitat umfasst die Auswirkungen reeller Apparaturen des Medialen, die seit etwa 1840 existieren. 1412 Shaviro 1997, 162; Zitat darin von Foucault. 1413 Vgl. zur Noosphäre 327 in dieser Arbeit. 1414 Vgl. Stanbrook 1988/89, 56; Zitat von David Cronenberg. Vgl. zu diesem hochspannenden Aspekt, der ein neues Licht auf die Evolutionslehre wirft und mittlerweile nicht mehr nur von der Bildenden Kunst oder vom horror-Genre (an-)erkannt wird: Cavell (2008, 279 f.), der sich auf Carl Woese 2004 und 2007 (mit Nigel Goldenfield) bezieht und dessen revolutionäre Behauptung vorstellt, „dass die darwinsche Evolution keine Kostante des biologischen Lebens darstellt“. Vgl. Cavell 2008, 279. 429 anzumerken ist hier, dass Autoren wie Kapp und McLuhan in ihren evolutionsbiologisch geprägten Medien-Diskursen, ihren phallisch-imaginären Körperprojektionen, „den durch Uneinheitlichkeit, Nicht-Assimilierbarkeit und Undenkbarkeit bestimmten realen Körper vollkommen aus[geblendet haben]“, sie entgehen der „‚schrecklichen Entdeckung [...] des Fleisches, das man niemals sieht, [...] des Fleisches, insofern es leidend ist, insofern es unförmig ist, insofern seine Form durch sich selbst etwas ist, das Angst hervorruft’.“1415 Am systematischen Verkennen dieses realen, sterblichen und deshalb Angst machenden Körpers, der durch optische Medien, Reelles, überhaupt erst als realer theoretisch/denkbar ins Spiel kommt (und gleichzeitig in der imaginären Wahrnehmung, als ferngesteuerte Eskamotierung und Camouflage, also virtuell-[un-]bewusst verdeckt wird), ‚krankt’ das abendländische Denken und ihre Wissenschaft. Und dies gewiss nicht nur bei Kapp und McLuhan. Zudem redet Lacan in diesem Zusammenhang auch von falschen oder irrealen Organen, die u. a. als eine „begrenzte Anzahl von Mündern an der Oberfläche des Körpers“ offenbar werden bzw. aufklaffen.1416 Vergleichbare Fantasie-Organe befinden sich, genau beschrieben und faktisch dargestellt, bereits in den ersten Anatomie-Atlanten der neuzeitlichen Medizin, u. a. in Andreas Vesals Grundlagenwerk De humani corporis fabrica von 1543 (als man zum ersten Mal seit der Antike wieder anfing, Leichen zu öffnen und zu erforschen). Die Bühne und der Aufführungsort für das dann stattfindende medizinische Anatomie-Theater war der architektonische Ort Anatomietheater an Universitäten. In Cronenbergs technologisch gesteuerten Kino-Anatomie-Theatern sind solche selbstständig gewordene Fantasie- Organe grotesker Körper in allen Facetten, d. h. als Partialobjektfunktionen, ausgestellt. Dies ist die Kunst David Cronenbergs, gerade weil sich diese unbewussten Funktionen – als solche – schwer darstellen lassen. 1415 Vgl. Bitsch 2008, 241; Zitat darin von Lacan 1991 (a), 199 f. 1416 Vgl. Bitsch 2008, 238 und Lacan [Zitat] 1996, 116. 430 Endlich Schreber Auch Daniel Paul Schreber konnte in seinem Wahn von vergleichbaren grotesken Erscheinungen berichten, vor allem von seiner transsexuellen weiblichen Seite, die er entdeckte und genau beschrieb. „In endopsychischen Wahrnehmungen“1417 entwickelte er weibliche „Wollustnerven“,1418 so etwas wie eine gefühlte Vagina,1419 und stellte sich dann vor, „dass es doch eigentlich recht schön sein müsse, ein Weib zu sein, das dem Beischlaf unterliege“.1420 Am Ende mutierte der Dresdner Senatspräsident und vormalige Reichstagskandidat zur Hure Gottes, „’Miß 1417 Vgl. Freud 1994, zitiert nach Kittler 2003 (a), 351 f. Lacan redet in in diesem Zusammenhang von „endosomatischen Wahrnehmungen“ (vgl. Lacan 1986 [b], 102) oder von „wahnhaften Endoskopien“ ins Innere der Organe (vgl. Lacan 1997, 45). „Ich habe Licht- und Schallempfindungen, die von den Strahlen unmittelbar auf mein innerstes Nervensystem projicirt werden und zu deren Aufnahme es daher der äußeren Seh- und Gehörswerkzeuge nicht bedarf.“ Schreber 1995, 90. 1418 Diese Nerven durchsetzen ihn „vom Scheitel bis zur Sohle“ (vgl. Kittler 2003 [a], 366; Zitat von Schreber) und bewirken „Seelenwollust“ (vgl. Schreber 1995, 69) an der Grenze zur jouissance. Der innerlich mutierende Schreber stellt fest, „daß die Wollustempfindung – gleichviel aus welchem physiologischen Grunde – beim Weibe in höherem Grad als beim Manne, eine den ganzen Körper ergreifende sei und daß insbesondere die Mammae in ganz besonders hervorragendem Grade an der Wollustempfindung theil nehmen.“ (Schreber 1995, 202.) Schreber glaubt, dass Gott durch seine neuen Wollustnerven angezogen werde und deshalb näher an die Erde herangerückt sei, die nun „zum unmittelbaren und andauernden Schauplatz göttlicher Wunder geworden ist“. (Vgl. ebd. 64.) Laut Schreber ist Gott unfähig, den lebenden Menschen zu verstehen, er sieht ihn nur von außen: „jede Innerlichkeit bleibt ihm verschlossen.“ (Vgl. Lacan 1986 [b], 94 f. und Schreber 1995, 135.) Der Senatspräsident hat jedoch auch Angst „vor geschlechtlichem Mißbrauch“, nämlich dass er, nachdem er sich zum Weib verwandelt habe, den Wärtern seiner Nervenheilanstalt vorgeworfen werde. (Vgl. ebd. 72.) Schreber sieht seine Frau-Werdung, die in einem heiligen Medium sich vollzieht, als eine Prüfung, sozusagen als eine crash test-Funktion seiner Nerven, eine „Geduldsprobe“, wie er sagt. (Vgl. Schreber 1995, 193 und Klappentext auf der Innenseite des Umschlags.) Dieses Wissen hat er den Hysterikern (u. a. in der patriarchalen Wissenschaft, den Ärzten und Wissenschaftlern) seiner Zeit voraus. 1419 Schreber bemerkt in Bezug auf seine „Entmannung [...] starke Andeutungen einer wirklichen Einziehung des männlichen Gliedes“, was er „als ein fast dem vollständigen Zerlaufen sich näherndes Weicherwerden desselben“ empfindet. Er hatte u. a. den Eindruck, so schreibt er, „daß mein Körper um etwa 6-8 Centimeter kleiner geworden sei, also der weiblichen Größe sich angenähert habe.“ Ebd. 110. 1420 Ebd. 26. 431 Schreber’“,1421 die/der nach dem „Akt der göttlichen Befruchtung“1422, einer unbefleckten Empfängnis,1423 die bevorstehende Geburt erwartete.1424 „Ich habe [...] zu zwei verschiedenen Malen bereits einen wenn auch etwas mangelhaft entwickelten, weiblichen Geschlechtheil gehabt und in meinem Leibe hüpfende Bewegungen, wie sie den ersten Lebensregungen des menschlichen Embryo entsprechen, empfunden: durch göttliches Wunder waren dem männlichen Samen entsprechende Gottesnerven in meinen Leib geworfen worden; es hatte also eine Befruchtung stattgefunden.“1425 Der Unterschied zu Max’ ‚Frau’-Werden besteht darin,1426 dass Schreber seine transsexuell-weibliche Seite zwar auch erst entdecken und kennenlernen musste,1427 sie ihm in seinem sadomasochistisch anmutendem ‚Testversuch’, seiner Nerven- bzw. Strahlenkommunikation mit Gott nach einer gewissen Gewöhnungsphase überhaupt nicht fremd, gefährlich oder bösartig (vor-)kam – ganz im Gegensatz zu vielen anderen Wundern, die ihm widerfuhren, und auch im Gegensatz zur vorherrschenden männlichen Angst vor Frauen und ihrer Sexualität (sei es im klassischen SM, in der 1421 Ebd. 93. 1422 Vgl. Lacan 1986 (b), 103. 1423 Vgl. Schreber 1995, 3. 1424 Vgl. die prägnante Zusammenfassung von Schrebers Wahn: Seifert 2001, 337. Vgl. zum Verhältnis Schreber–Cronenberg: Pühler 2006, 81 ff. 1425 Ebd., 3 (Fußnotentext). 1426 Wo Max im Videozeitalter gleichzeitig Konsument und Produzent dieses Mediums wird, ist dies bei Schreber im Analog-Zeitalter schon im „Trio von Schöpfer, Geschöpf und Geschaffenem“ (vgl. Lacan 1986 [b], 94) zu beobachten. Dabei steht, trotz oder wegen der unverkennbaren medialen Seite, der Kommunikationsstruktur seines Unbewussten, die er in seinem Wahn offenbart und sogar technisch beschreibt (Telephonie, Lichttelegrafie, Nerven- und Grundsprache, Aufschreibesysteme [Vgl. Schreber 1995, 96, 10, Calasso 1980, 62 und Kittler 2003 (a)]), eine religiöse Dimension und Motivik im Vordergrund. 1427 Schreber saß dann meistens vor dem Spiegel und legte sich Schmuck und Bändchen an, selbstgekauften ‚weiblichen Zierrat’ und hatte große Freude an seinem neuen Aussehen. Seine Frau- Werdung war (ab einem bestimmten Zeitpunkt) gewollt. Schreber brauchte keine Pistole, um seine Weiblichkeit zu erfahren, wohl aber – wie Max – eine ordentliche Dosis Paranoia. Der Unterschied liegt auch darin, dass Max (noch) keine Vorstellung von seinem Frau-Werden hat, also was er in VIDEODROME psychotisch ‚ausbrütet’, was das videodrome-Virus mit bzw. in ihm anstellt. 432 Psychoanalyse, in VIDEODROME und anderswo). Das verführerische und (vermeintlich) bedrohliche Weibliche im männlich-heterosexuellen Blick (technisierter Wahrnehmung) wird nicht länger auf reale Frauen-Körper oder den medialen ‚Körper’ des Andern projiziert und dort – als fetischistische Angstabwehr- und Lust-Schutzmaßnahme – gewaltsam zu beherrschen versucht (z. B. als ‚Automatenpuppen’-Programm mit festgelegten, jedoch variablen femme cruelle/ fatale-Rollen),1428 sondern dieses Andere wird von Schreber am/im eigenen Körper (an-)erkannt und sogar spielerisch ausprobiert. Schreber hat in diesem Sinne keine Angst vor ‚dem’ Weiblichen, das seinem und jedem menschlichen Körper (sex) und Ich (gender/ queer/ trans etc.) strukturell innewohnt. Es bereitet ihm größte Lust, Seelenwollust. Das hat der paranoide Senatspräsident a. D. Sacher-Masoch und vor allem Sade an praktischer Erkenntnis, an gefühlter Leiberfahrung, an eigenem Sexwissen voraus. Dabei waren die Pioniere moderner Schmerzlust gar nicht soweit von Schrebers becoming woman entfernt, ging es doch in deren Begehren ebenfalls sehr gezielt um das Macht-Spiel/die Spiel-Macht der weiblichen Seite und der damit verbundenen Position(en), wie sie/es im Venuskult, in der mütterlichen Natur (magna mater), in der ‚Fülle’ weiblicher Lust und Magie, im ‚Tier’-Werden der Frauen1429 (und in anderen, meist phallisch-maschinellen Fantasien) deutlich codiert ist und dieses Begehren projiziert bzw. virtuell steuert. Sade und Sacher-Masoch haben in ihren Experimenten Frauen, vor allem deren Wissen und Begehren, nie (voll) anerkannt, ihnen (und damit auch sich selbst) keinen oder nicht genügend Spielraum gegeben. Frauen sollen, trotz einiger Zugeständnisse – denn ohne sie findet überhaupt kein Spiel statt –1430 in ihrer für sie vorgesehenen Lust- 1428 – Unterschiedliche und vor allem unbewusste Rollen, die Frauen für Männer (die Umkehrung gilt natürlich auch) spielen müssen/wollen und die sie in ihrer eigenen Freiheit, ihrem Begehren, massiv einschränken und hemmen. 1429 Vgl. zum Raubtierartigen im Bild ‚grausamen Frau’: 264 in dieser Arbeit. Tierlich-Werden ist auch bei Sade (vgl. Harmuth 2004, 121 und Zweifel und Pfister 2001, 26) zu beobachten: Letztere beschreiben u. a., wie die vom Opium berauschte Romanheldin Juliette „in den Ruinen von Pompeji mit Affen und Doggen, mit Zwergen und Truthähnen irrheidnische Orgien“ feiert. 1430 Möglicherweise mussten die Pioniere moderner Schmerzlust dies erst einmal herausfinden! 433 Maschinen-Funktion stets verfügbar, d. h. ferngesteuert und manipulierbar bleiben.1431 Sie sind Sklavinnen im Dienste und im Experiment männlicher Mehr-Lust, was neben der fehlenden oder nicht hinreichend umgesetzten ethischen Dimension (Unrecht und Diskriminierung) schon deswegen so merkwürdig ist, da Sade und Sacher-Masoch doch selbst (bzw. in literarischen Doppelgängern) zu androgynen und hermaphroditischen (bzw. bereits metrosexuellen) Wesen mutierten (und dies ebenfalls sehr genossen, literarisch verarbeiteten, aber anscheinend nicht hinreichend 1431 Nicht umsonst rät Sade: „In welchem Stand sich eine Frau auch befinden mag, [...] sei sie Mädchen, Frau oder Witwe, nie sollte sie ein anderes Ziel, eine andere Beschäftigung haben, als sich vom Morgen bis zum Abend ficken zu lassen: Einzig zu diesem Grund hat die Natur sie geschaffen.“ (Vgl. Harmuth 2004, 121; Zitat von Sade.) Es ist natürlich Sade, der (in seiner überhitzten) Fantasie in Bezug auf Weiblichkeit, die er fürchtet, ständig gefickt werden möchte und wird (d. h. vom Weiblichen in ihm selbst). In aufgebrachten Revolutionszeiten heißt es in Sades Pamphlet „Franzosen, noch eine Anstrengung, wenn ihr Republikaner sein wollt“ (1793) an einer Stelle, die er durch eine raffiniert verdrehte, perverse Logik einleitet: „Es kann einem Geschlecht nie das Recht zugestanden werden, sich des andern ausschließlich zu bemächtigen. [...] [U]nd wenn wir uns einig sind, dass jede Frau uneingeschränkt allen Männern gehört, darf kein Mann vom Besitz einer Frau ausgeschlossen sein.“ (Vgl. Harmuth 2004, 127; Zitat von Sade 1975.) So war es und so kam es dann ja auch erneut – u. a. in den Zwängen des Bürgertums des 19. und 20. Jahrhunderts. (Vgl. zur gesellschaftlichen Misogynie, die Philippe Reliquet bis ins Mittelalter zurückverfolgt und dabei u. a. den uralten klerikalen Argwohn gegen Frauen herausstellt: Relinquet 1990, 240 ff. Gleichzeitig betont er, dass das Geschlechtsleben im Mittelalter dennoch längst nicht so restriktiv war wie in der Moderne. [Ebd.]) Der Bürger-Literat Sacher-Masoch ist da schon einen bedeutsamen Schritt weiter als Sade. Er lässt sich von seinen ‚grausamen Frauen’ zwar nicht penetrieren, dafür aber gehörig auspeitschen, was für ihn auf das Selbe hinausläuft. (Heute reguliert sich diese Lust eben nicht nur mit der Peitsche, sondern zunehmend mit Anschnalldildos [strap-on]. Vgl. Castor, taz vom 9.6.2007, auch unter: http://www.taz.de/1/archiv/?id=archiv&dig=2007/06/09/a0006 [„Glücklicherweise höre ich oft von Freundinnen, dass sie problemlos mit dem Arsch ihres Mannes spielen.“] Auch in dem Film SHORTBUS, der am Ende der Arbeit vorgestellt wird, sieht man kurz in der Exposition, wie die Protagonistin Sofia, ihren Ehemann Rob, der an einem Glastürrahmen lehnt, von hinten bedient.) Sacher-Masoch spielt seine innere, weiblich codierte Angst(-Lust) aus, Sade ebenfalls, doch hätte er diese bzw. seinen Masochismus nie zugegeben (obwohl dieser in der Furcht vor seiner mächtigen Schwiegermutter mehr als offensichtlich ist.) Und trotzdem habe beide ihre eigene unbewusste Weiblichkeit, die sich in ihnen libidinös-aggressiv artikuliert, im Gegensatz zu Schreber dabei nicht anerkannt. Es fehlt ihnen wie Max in VIDEODROME das dritte Hegelsche Moment bzw. einfach ein ehrliches Bekenntnis. (Das hätte nichts mit Schwäche zu tun, sind die ‚weiblichen’ [Spiel-]Elemente in ihnen doch ziemlich stark ausgeprägt.) 434 reflektierten und/oder für sich akzeptierten).1432 Ihr testendes Frau-Werden ist, wie bei Max, missglückt und/oder noch nicht fertig. Diese Prozedur, die maschinell bzw. phallisch gesteuert läuft und der Verdrängung und Verkennung unterliegt, ist ein abstürzender crash test in schlechten Wiederholungen. Frauen sind bei Sade, Sacher- Masoch oder bei Max beschädigt, lücken- und/oder fehlerhaft, demzufolge gar nichts oder alles wert. Deshalb werden sie (nicht nur im klassischen SM oder in VIDEODROME) glorifiziert, geschändet und getötet: Heiligkeit und Prostitution, Paranoia und Lüge, Sex und horror, Gewalt und Opfer – dies sind die drängenden Signifikanten, two tribes, die sich hier – in einem digitalen Spannungs- und Steuerungsfeld – interaktiv herausbilden und meist bizarre fetischistische (Spiel- und Gewalt-)Formen annehmen („Max’s bizarre psychic landscape“1433). Darin liegt pervers-partriarchalische Lust, die unerkannt bleiben muss, deren Geheimnis nicht preisgegeben werden darf,1434 damit sie weiterhin funktioniert und fließt (was sie in VIDEODROME wirksam tut). Allerdings sind Sade und Sacher-Masoch im Gegensatz zu Max und Schreber nicht psychotisch oder nervenkrank geworden (wohl aber einsam und frustriert), auch wenn sich gerade Sade immer schon in der Nähe des Schizophrenen in seiner Literatur bewegte.1435 Sades und Sacher-Masochs literarische und/oder gelebte Fetische und machine-sex-Visionen scheinen den drohenden Absturz oder Zusammenbruch ihres Imaginären erfolgreich abgewehrt zu haben. „Stets ist der Fetisch das Zugleich zweier sich ausschließenden Bestimmungen, deren prekäre Balancierung einen Schutz vor der Psychose darstellt [...] Mit der Psychose teilt der Fetischismus, die Forderungen des Es anzuerkennen und die Realität zu 1432 Vgl. 138 und 152 f. in dieser Arbeit. 1433 Vgl. Beard 2001, 155. 1434 Zeichen der Implementierung/Maschinisierung gibt es im hysterischen Energie- und paranoid- schizophrenen Informationszeitalter ohne Ende, sie sind nur (noch) nicht (an-)erkannt, d. h. hinreichend symbolisiert. Che voui? 1435 „Simone de Beauvoir erklärte 1955 in ihrem Essay Faut-il brûler Sade? mit tadelndem Unterton, der Prosa des Marquis hafte die ‚Monotonie schizophrener Träumereien’ an.“ Vgl. Alt 2010, Zitat von Beauvoir 1983, 46. und Delon 2001, 68: „halluzinatorisches Fresco von Verbrechen und Schmerz“. 435 verleugnen: ‚Es gibt’ den weiblichen Phallus, es droht keine Kastration, man kann der Lust ungestraft folgen.“1436 Erweiterte SM-Definition Es ist – um die Schmerzlust-Definition mit Max/Cronenberg und Schreber zu aktualisieren – demnach ein trans- und omnisexuelles Grundmotiv, die Projektion und Verschiebung auf das ganz andere hin, das fantasierte/halluzinierte ‚Weibliche’ und ‚Sexuelle’ der Technik in einem s/Selbst, etwas Reales, eine wahnhafte Intensivierung bzw. laufende Metamorphose des eigenen Lust-Begehrens durch (wörtlich genommene, [für einen Anderen] inszenierte [und vom a/Anderen gesteuerte]) meist fetischisierte Körper-Sex-Medien-Metaphern,1437 was SM im Innersten unbewusst strukturiert und antreibt. Es geht hier um nicht (an-)erkannte Melancholie, einen trägen Widerstand und eine reale Leiche:1438 Krasse Wirrungen eines andauernden psychosomatischen Leidens‚ einer ‚blutenden’ Imagination, eines schmerzvollen (Ver-)Schwindens, Verlorengehens und bereits -seins (Sacher-Masoch spricht vom ‚Eingefrorenwerden’, Schreber vom „Lebendigbegrabenwerden“1439 und „Liegengelassenwerden“1440). Es geht auch und besonders um die a-Funktion (deren Struktur – ihr Ur-Springen – nicht im Symbolischen lokalisierbar bzw. rekonstruierbar ist), die jedoch, in technischer Extension und Verstärkung, in Form 1436 Vgl. Böhme 402, 407. 1437 „Der psychoanalytische Grundgedanke (nach Lacan) ist der, dass die Fähigkeit der Metaphernbildung (Witz, Fehlleistung, Ironie, Humor – alle Formen von Polysemie) etwas für das Subjekt absolut grundlegendes ist. Eine wörtlich genommene Metapher wäre nach Freud die Identität von Wortvorstellung und Sachvorstellung. Eine wörtlich genommene Metapher ist so etwas wie eine (im Hegelschen Sinn) ‚Aufhebung’ der Metapher.“ Höltgen 2004, Zitat von Manfred Riepe. 1438 So wie O’Blivion videodromes erstes Opfer war, stellt Schreber selbstdeklarierend fest: „Ich bin die erste Lepraleiche und führe eine Lepraleiche.“ (Schreber 1995, 68. Vgl. auch Seifert 2001, 339.) Damit ist im weiteren (symbolischen) Sinne auch Descartes’ Gliedermaschine, die man auch an einem Leichnam wahrnimmt, gemeint. (Vgl. Braun und Kremer 1987, 21 ff.) Aus Schrebers Krankenakte geht zudem hervor, dass er einem der Wärter in Flechsigs Leipziger Nervenklinik bei seinem zweiten Aufenthalt „500 Mk. [verspricht], wenn er ihm ein Grab zurechtmache“. Vgl. Lothane 2004, 584. 1439 Schreber 1995, 43. 1440 Ebd. 72 (und 69). 436 von Wunsch- und Höllenmaschinen, die im Realen implementiert sind, perverse Lust ermöglicht und verschafft: eine „schizoide [Ein-]Übung“.1441 Es ist einfach die Passion, sich von technischen Medien, von der (kosmischen) Elektrizität selbst, ordentlich penetrieren bzw. affizieren zu lassen (etwas, das im/als Ich-Apparat, spätestens seitdem es reelle Medien gibt, sowieso permanent unbewusst läuft und Verlust und Opfer fordert; das, was am Objekt stets fehlt und deshalb die imaginäre, übercodierte (Partial-)Wirklichkeit nach wie vor meistens als eine einheitliche und ganze erscheinen lässt).1442 Diese medial manipulierbaren, (dys-)funktionalen Prozesse auf Partialobjekt-/ Molekular-Ebene, andauernde crashs bzw. crushs, gelten für Frauen, Männer und alle anderen, gerade wenn sie davon wissen wollen, wenn sie danach suchen oder wenn sie, wie Schreber und Max, plötzlich ziemlich psychotisch werden (d. h. die SM-Metapher beginnt zu delirieren und sich aufzuheben).1443 Schreber täuscht sich nicht, wenn er benennt, was er in diesem Zusammenhang am meisten sucht bzw. begehrt: ein wollüstiges, aber auch „geistreiches Weib“ zu sein und zu werden. Er entwickelt da zum Glück überhaupt keine falsche Scham oder Rücksicht, er ist sich absolut sicher – was das Subversive, das Radikale, das Selbstbewusste und das Feministische (auch schon die Cyborg) an/in Daniel Paul Schrebers Persönlichkeit ausmacht. Das ist seine Perversion, sein Befreiungsschlag, sein Anti-Ödipus: etwas Neues und Konstruktives, über das er ehrlich, offen und detailliert berichtet. Es ist ihm sehr wichtig; schon „aus Vernunftgründen“ bleibt ihm, wie er bemerkt, gar nichts anderes übrig:1444 „Ich habe […] die Pflege der Weiblichkeit mit vollem Bewusstsein auf meine Fahne geschrieben und werde dies, soweit es die Rücksicht auf meine Umgebung gestattet, auch fernerhin thun, mögen andere Menschen, denen die übersinnlichen Gründe 1441 Deleuze und Guattari 1997, 137. 1442 So dissoziativ und auffächernd Max’ subjektive Wirklichkeit vom Symbolischen aus betrachtet auch erscheint, das VIDEODROME-Filmbild läuft gegenüber diesen Störmomenten – im Normalfall – einwandfrei. 1443 Die bislang vorgestellten SM-Medien-Diskurse laufen also (gestört) weiter, sie transformieren sich, gehen sozusagen mit Schreber und Max in die nächste Runde, d. h. in den Himmel und die Hölle des elektromagnetischen Feldes, u. a. in die Folterkammer der Video-Arena. 1444 Vgl. Schreber 1995, 129. 437 verborgen sind, von mir denken was sie wollen. Ich möchte auch denjenigen Mann sehen, der vor die Wahl gestellt, entweder ein blödsinniger Mensch mit männlichem Habitus oder ein geistreiches Weib zu werden nicht das Letztere vorziehen würde. So aber und nur so liegt für mich die Frage.“1445 Dieses (Nach-)Fragen,1446 diese bewusste Wahl, dieser Klartext und diese Wahrheit Schrebers stellt vieles in den Schatten, was Sade und Sacher-Masoch über Frauen und Männer gedacht und geschrieben (bzw. mit ihnen ausprobiert) haben. So psychotisch Schrebers Sexualität und Fantasie auch ist oder sein mag, relativ neu ist hier (gerade im SM-Kontext, im Kontext moderner Bürgerlichkeit [sex und gender]), dass sie nicht mehr auf Kosten anderer (z. B. Frauen oder sexuellen Außenseitern) geht.1447 Der bedeutsame Unterschied ist, dass der Senatspräsident in Bezug auf seine eigene Weiblichkeit, sein Anderssein und -werden, keine Angst mehr hat, und deshalb nicht 1445 Ebd. 130. 1446 Es geht dabei auch um die Frage, was der unselige gender-Dualismus (von dessen diskriminierender Männer-Politik der klassische SM alles andere als frei ist) in der Moderne (gerade in seiner bürgerlichen Ausprägung) bedeutet oder tatsächlich sein soll. Diese Frage wurde erst mit der aufkommenden, noch sehr zaghaften Frauenbewegung in Europa am Ende des 19. Jahrhunderts gesellschaftlich gestellt und langsam bearbeitet. (Vgl. dazu 145 f. in dieser Arbeit.) Das vorerst Unerhörte an Schreber war, dass er diese Frage im Wahn an sich selbst richtete, und zu deren Beantwortung ein geistreiches und wollüstiges Weib werden musste, sich gleichsam ‚emanzipierte’, indem er darüber schrieb. (Schreber hat hier schon Ich- und Körperaspekte betont, die dann erst in der postmodernen Frauenbewegung seit den 1960er Jahren aufgegriffen und diskutiert wurden. Vgl. u. a. The Boston Women's Health Book Collective, ed. [Our Bodies, Ourselves (OBOS)], 2008 [1971].) Erst in dieser letzen Ausgabe des Klassikers werden Fragen, wird Wissen zur Transsexualität einbezogen. Deleuze und Guattari operierten bereits 1972 – zumindest philosophisch-psychoanalytisch – auf dem produktiven Schizo-Plateau der Transsexualität, die in jedem menschlichen Wesen (und auch in der gender-Kategorie) steckt. Sie entdecken „überall eine mikroskopische Transsexualittät, die bewirkt, dass die Frau ebenso viele Männer umfasst wie ein Mann, und der Mann ebenso viele Frauen, die alle in der Lage sind, miteinander in Verhältnisse der Wunschproduktion einzutreten, die die statistische Ordnung der Geschlechter umstürzt.“ Deleuze und Guattari 1977, 381. 1447 Allerdings hat wahrscheinlich Schrebers geliebte Ehefrau, wie diejenige Sades, unter der langen Abwesenheit wie auch der wahnhaften Fantasie ihres Ehemanns gelitten. (Die Hoffnungen auf Heilung ihres Ehemanns manifestierten sich in einem Porträt Paul Emil Flechsigs, dem behandelnden Psychiater ihres Ehemannes, das sie sich auf ihren Schreibtisch gestellt hatte.) Schreber spricht dies an (was seine Frau wohl denken möge, wenn er selbst zur Frau wird), wahrt jedoch aus gutem Grund Diskretion. Vgl. Schreber 1995, 131, Fußnotentext. 438 auf andere (Körper) projizieren muss. Er hat gelernt, mit ständiger Ungewissheit in einer, wie mit O’Blivion gesagt werden kann, ‚ziemlich kuriosen, neuen Welt’, in seiner Welt, zu leben. Schreber spürt und entdeckt, genauso wie Max knapp 100 Jahre später, dass ‚das Weiblich-Sexuelle’ vor allem in ihm selbst liegt, als matrix,1448 die sich in der Ausprägung einer ‚Gebärmutter’ wahngesteuert offenbart.1449 Um diesen Verwandlungsprozess zu erreichen, musste jedoch erst Schrebers Nervenkostüm zerrüttet, seine Identität als untadeliger Bürgersohn in gehobener Beamten-Stellung ‚gelöst’, d. h. von innen heraus transformiert werden (eine „tiefgreifende innerliche Veränderung“, stellt Schreber an sich fest),1450 was nicht zuletzt daran liegt, dass er in verschiedenen psychiatrischen Einrichtungen (insgesamt 14 Jahre seines Lebens) ‚weggeschlossen’ wurde, z. B. in „gänzliche[r] Absperrung hinter den Mauern des Sonnensteins [so der Name einer der psychiatrischen Anstalten, in denen er behandelt wurde (Anmerkung S. P.)]“.1451 – Gewiss also kein kleiner Preis für seine neu gewonnene Freiheit als MannFrau, die er einsam pflegt und stolz mit sich zelebriert. 1448 Eben als wortwörtliche Schnittstelle und Matrixloch bzw. -bug (und damit weniger als göttliches Wunder). Dies macht VIDEODROME nachträglich klar bzw. eindeutig. 1449 Einerseits sei Vorsicht geboten, nicht in die Prothesentheorie- bzw. Fetisch-Falle zu geraten, wenn hier solche wörtlich genommenen Gleichungen bzw. Metaphern [Matrix entspricht Gebärmutter entspricht Natur usw.] verwendet werden. Andererseits bewirkt die Offenlegung der digitalen Matrix im delirierenden Spiegelstadium (Max’ neue Körperöffnung) ja gerade, dass solche imaginären Gleichungen (u. a. zwischen gender und Technik) fragwürdig werden und schließlich nicht mehr greifen. Deshalb muss Max sein neues Zusatzorgan, das dann nicht mehr als (eindeutig) weiblich zu bezeichnen ist, erst einmal kennenlernen und ausprobieren. Es geht Cronenberg um das Erkennen und die Anerkennung der immanenten Differenz des eigenen Körperbildes, dessen stetige Dynamik und Verwandlung. Dieses Bild ist medial manipulierbar, jedoch – zum Leidwesen von FetischistInnen – nicht arretier- bzw. fixierbar. Das ist meiner Meinung nach der Schlüssel, mit dem sich das Cronenbergsche Universum gerade im Hinblick auf seine Körper- und Technoimagination öffnet. 1450 Ebd. 62. 1451 Ebd. 130, Fußnotentext. Schreber berichtet, dass er gerade in der Leipziger Nervenklinik eine rohe Behandlung erfuhr – das Pflegepersonal malträtierte ihn, er bezog Prügel – und schon deswegen in seinem Leiden nicht erst genommen wurde. (Ebd. 42 f.). Er nannte diesen Ort die Flechsigsche Hölle. Nachfolgende Sanatorien, in denen er interniert war, bezeichnete er als Teufelsküche (Privatheilanstalt für Geisteskranke zu Coswig) oder Teufelschloss (Anstalt Sonnenstein bei Pirna). Lacan hatte dieses Manko der unwürdigen PatientInnenbehandlung bereits als Psychiater und Paranoia-Forscher (in den 439 Schreber schreibt: „Es sind einzelne Menschen recht unglücklich geworden; ich selbst habe, wie ich wohl sagen darf, eine grausige Zeit durchlebt und eine bittere Schule der Leiden durchgemacht.“1452 Blanchot bemerkt in seinem Sade-Buch: „[D]er wahre Mensch weiß, daß er allein ist, und er findet sich damit ab; alles in ihm, was sich auf die anderen bezieht, [...] weist er von sich; Gefühle wie Mitleid, Dankbarkeit, Liebe zerstört er, durch ihre Zerstörung erlangt er all die Kraft zurück, die er diesen schwächenden Impulsen hat weihen müssen, und er zieht [...] aus dieser Zerstörungsarbeit die erste wahrhafte Energie.“1453 Im Zarathustra schreibt Nietzsche: 1930er Jahren), also schon vor seiner Beschäftigung mit Schreber (ab Mitte der 1950er Jahre), bemerkt und sich dafür eingesetzt, die Persönlichkeit, die biografische Entwicklung und die Spannungen der sozialen Beziehungen des Patienten oder der Patientin zu berücksichtigen und in den Behandlungsprozess miteinzubeziehen. Das war zu dieser Zeit alles andere als selbstverständlich. Vgl. Roudinesco 1996, 83. 1452 Ebd. 23. Obwohl Schreber nie gläubig war und sich selbst als „ruhige, leidenschaftslose, klar denkende, fast nüchterne Natur“ bezeichnet, gibt es auch eine Phase in seinem Wahn, die er als „heiligste Zeit“ seines Lebens empfindet (Mitte März bis Ende Mai 1884). Dieses andauernde Hochgefühl fällt in den Zeitraum, als er zum ersten Mal stationär (in der Nervenklinik der Universität Leipzig bei Paul Emil Flechsig) behandelt wurde: „wo meine Seele ganz begeistert von den übersinnlichen Dingen, die immer massenhafter auf mich eindrangen, inmitten der rohen Behandlung, die ich äußerlich erfuhr, von den erhabensten Vorstellungen über Gott und Weltordnung erfüllt war.“ (Vgl. ebd. 47.) Schreber möchte diese Erlebnisse und Erkenntnisse trotz allem gegen „kein Gold der Erde“ eintauschen. Vgl. ebd. 167. Vgl. zu wahnfördernden Aufenthalten in der Psychiatrie den Spielflm I’M A CYBORG, BUT THAT’S OKAY (2006), der wie VIDEODROME eine posthumane Aktualisierung und Erweiterung des Schreberschen Diskurses darstellt (und höchst sehenswert ist). 1453 Blanchot 1986, 56. Heiner Müller bemerkt in „Jenseits der Nation“: „Was man lernen muss, was Emanzipation überhaupt ausmacht, ist, Einsamkeit zu ertragen.“ Müller 1991, 81. 440 „Und wer ein Schöpfer sein muss im Guten und Bösen: wahrlich, der muss ein Vernichter erst sein und Werthe zerbrechen.“1454 Die langjährige Isolation, die schlechte Behandlung, die teuflische Einsamkeit, das psychische Leiden, die zermürbende Apathie:1455 lähmende Torturen, aber eben auch ‚weibliche’ Wollust bzw. wahrhafte Energie, das Wunder und die Gewalt des Realen, sind u. a. das, was Schreber mit Sade verbindet. Bemerkenswert ist hier, dass Schreber eben nicht die kastrative Seite seiner Fantasie, die in ihrer Intensität und Bildlichkeit durchaus mit den libertinen Ausschweifungen Sades vergleichbar ist, annimmt und wie Sade die Zerstörung des a/Anderen (bis zur totalen Weltvernichtung) imaginiert (Thanatos), sondern, im Gegenteil, eine masochistisch- koordinierende Position für sich wählt, einnimmt und verteidigt. Darin offenbart und entfaltet sich eine welterzeugende, harmonisierende Kraft (Eros), die auch dafür sorgt, dass das „weltordnungswidrige Verhältnis“,1456 in das Schreber geraten ist, zumindest für ihn selbst wieder (ein Stück weit) rückgängig gemacht werden kann. Der Clou bei Schreber ist aber, dass in seinem Begehren die von Sade geschmähte und verworfene Religion, Gott selbst (der doch spätestens am Ende des 19. Jahrhunderts endgültig tot war),1457 libidinös zurückkehrt und mit Schreber eine 1454 Nietzsche 1980, Bd. 14, 149. 1455 Vgl. zu Schrebers Passivität: Ders. 1995, 103. Im Wahn wurde Schreber eingeredet, „daß ich [Schreber] mich selbst gewissermaßen beständig wie eine Leiche verhalten solle]“. In Sades 120 Tage erzählt eine Hure, dass einer ihrer Freier, der Herzog von Florville, größte Wollust empfand, wenn sie sich tot stellte und als Mordopfer „mit Hühnerblut“ inszeniert wurde. (Meiner Meinung nach handelt es sich hier, vergleichbar mit Schrebers Tot-Stellen, um eine der bemerkenswertesten Perversionen im Sadeschen Werk, die, was das Besondere ist, ganz ohne reale Gewalt auskommt. Auch das Opfer im SM-Begehren, die Frau, kommt darin deutlich zum Ausdruck – zum Glück nur fake. (Vgl. Sade 1972, 142 ff.) Allerdings gibt es diese Perversion, Leichenschändung bzw. praktizierte Nekrophilie, dann doch nicht nur als fake bei Sade. Philippe Ariès betont: „Wohlgemerkt, die Paarung mit Toten ist im Werk von Sade häufig.“ Vgl. ders. 1997, 482 f. 1456 Vgl. Schreber 1995, 138. 1457 Vgl. zu diesem Tod und was das u. a. für Nietzsche oder das Unbewusste bedeutet: Deleuze und Guattari 1977, 137 ff. Gott verkehrt – so Schreber – eigentlich nur mit Leichen. Schreber ist in diesem Zusammenhang die ‚weltordnungswidrige’ Ausnahme, er ist das erste lebende Objekt in dieser Hinsicht. (Vgl. Schreber 1995, 41.) Auch Schrebers behandelnder Arzt Paul Emil Flechsig verkehrte in seiner Hirnforschung mit Leichen: „So bietet überhaupt die Erhebung des Leichbefundes den 441 liaison dangereuse, ein sexuelles Abenteuer mit offenem Ausgang eingeht. (Sade musste sich dabei im Grab geschüttelt haben: Denn dies ist die Perversion, die bei Sade nicht sein durfte und es auch nicht gab: die Ausnahme der Ausnahme sozusagen.) Mit Schreber und Böhme kann festgehalten werden, dass in der Moderne „das Religiöse die Form flottierender Energien annimmt, die alles und jedes mit willkürlicher Wucht und mit mächtigen Bindungskräften besetzen können, ganz besonders Phänomene des Neuen und Vielversprechenden“.1458 Kommen wir nun zurück zu Cronenbergs Film, womit die Wunder des Senatspräsidenten, Vielversprechendes, noch keineswegs vorbei sind. Denn eine andere Überschneidung zwischen Schrebers Nervensprache und dem düsteren Kathodenstrahl-Klingen in VIDEODROME findet sich in der Figur des plötzlich auftauchenden Barry Convex (Leslie Carlson),1459 der laut Manfred Riepe zu jener imaginären Spezies der „flüchtig hingemachten Männer“ zählt.1460 Diese directesten Weg, um zur Erkenntnis gesetzmäßiger Abhängigkeitsverhältnisse zwischen Geistesstörungen und Hirnanomalien vorzudringen.“ Flechsig 1886, 34. 1458 Böhme 2000, 436. 1459 Convex hatte sich bei Max zu Hause telefonisch gemeldet und ihn in einer Luxuslimousine abholen lassen; er möchte mit ihm über videodrome sprechen. Vgl. zum Motiv der Limousine, der Cronenberg gleichsam einen ganzen Film gewidmet hat: COSMOPOLIS (2012), nach einer Adaption des Don DeLillo-Romans aus dem Jahr 2003, der die (Dauer-)Krise, den Irrsinn und den horror des (Spät- )Kapitalismus im Finanz-Spekulationsmilieu (dialogfreudig) verhandelt. Vgl. (zum Roman) Vogl 2010/11, 9 ff. 1460 Vgl Riepe 2002 (a), 97. Schreber glaubte phantomartige Menschengestalten bzw. Wunderpuppen zu sehen, die „‚gesetzt’“ bzw. „hingeworfen“ wurden und sich rasch wieder auflösten. Diese Menschen-ähnlichen, projizierten Geschöpfe machten nicht den Eindruck, „als ob sie ein vernünftiges Gespräch zu führen im Stande wären, wie ich denn damals auch selbst noch nicht zum Sprechen geneigt war“. (Vgl. Schreber 1995, 3 [Fußnotentext].) Auch Schrebers Ehefrau erschien ihm einmal „nach Art der flüchtig hingemachten Männer“. (Vgl. ebd. 32.) Demgegenüber gibt es bei Schreber noch die ganz „kleinen Männer“ oder sogar „Teufel“, die „zu bestimmten Zwecken die Form winziger Menschengestalten annahmen (wie schon früher bemerkt von der Größe einiger Millimeter) und als solche an den verschiedenen Körpertheilen, theils im Innern des Körpers, theils an der Außenfläche derselben ihr Wesen trieben.“ (Sie sitzen u. a. in den Augenbrauen und bedienen „nach ihrem 442 Wortschöpfung aus Schrebers Aufzeichnungen (literarisch wirkender Krankenbericht und Halluzinationsfierberkurve), die sich mit anderen wunderlich-grotesken Erscheinungen in seinem Wahn mischt,1461 korrespondiert einmal mehr mit Lacans Geschmack“ die Augenlieder über „spinnwebartige[] Fäden“. Sie schimpfen sogar und rufen „Luder“.) (Vgl. ebd. 116.) Schrebers kleine Männer und Kapps Organprojektion gingen dann sozusagen in die spektakulären Mensch-Maschinen-Illustrationen Fritz Kahns (1888-1968) ein; wie z. B. in „Der Mensch als Industriepalast“ (1927) oder „Klingeln als fugenlose Überblendung von neurologischem und elektromechanischen Schaltkreis“ (1929). Zu sehen gibt es in diesen sehr populären und populärwissenschaftlichen, grafisch äußerst ansprechenden Visualisierungen, die zu einem Welterfolg mit sechsstelligen Auflagen wurden, u. a. kleine Männchen, sozusagen FabrikarbeiterInnen, die in einem technomorphen, jedoch noch anthropologischen Körperschema (also à la Ernst Kapp) in den einzelnen Organen ‚arbeiten’ und sozusagen deren Funktionen am Laufen bzw. ‚in Betrieb’ halten. Kahns Ästhetik „als Interferenzzone von Medizin, Technik und Kultur“ lieferte einen wichtigen Beitrag zur Volksaufklärung hinsichtlich (unbewusster) Organ- und Sinnesfunktionen. Auch Fragen der Sexualität, sogar zur männlichen Impotenz, wurden vom Gynäkologen Kahn anschaulich und fantasiereich umgesetzt. (Vgl. den schönen Aufsatz von Cornelius Borck, der zwar auf Kapp, jedoch nicht auf Schreber eingeht: Borck 2007, 7 ff. und zu dem ‚kleinen Menschen im Kopf’, den Freud schon erwähnte [„Gehirnmännchen“]: vgl. Bitsch 2009, 271, und der [bei] Lacan Kopfschmerzen bereitet: Lacan 1986 [c], 134. – „[D]as heißt, daß es ihm zweifellos an dem anderen kleinen Menschen schmerzt, den er seinerseits in seinem Kopfe hat, und so weiter bis ins Unendliche?“ Ebd.) Ein weiteres Beispiel für Organprojektionen, an denen Cronenberg ebenfalls seine Freude hätte (oder wahrscheinlich hat), sind natürlich die durchs Mikroskop vergrößerten Pflanzen(teile), die Karl Blossfeldt (1865-1932) fotografierte und 1928 veröffentlichte (dann ohne kleine Männer): Diese Pflanzenaufnahmen lassen in ihrer vergrößerten Darstellung Muster und Ornamente („Urformen“) erkennen, die u. a. an antike, skulpturale Formen oder andere Symbolismen der Kulturgeschichte erinnern. Der fotografische Blick durchs Mikroskop, die streng-formalistische Abbildung, gestattet hier also in medialer Doppelerweiterung und Serialität, im Realen etwas Symbolisches zu (v)erkennen. In der klassischen Prothesentheorie ist es genau anders herum: Die technisch strukturierte Imago (v)erkennt im Symbolischen etwas, das dann irrtümlicherweise als organisch oder natürlich bezeichnet wird, das Reelle. Vgl. Lammert, 2001, S. 52 ff., auch H. Böhme 2007 [Vorwort]. 1461 Schreber halluziniert u. a. Katzen mit glühenden Augen auf Bäumen (vgl. Schreber 1995, 56); schwarze und weiße Bären; gewunderte Vögel, die Leichengift auf seinen Körper verstreuen (vgl. ebd. 152 ff.); Insekten(-schwärme), die erscheinen, wenn er auf einer Gartenbank sitzt und die Augen schließt (vgl. ebd. 176 f.); Skorpione und winzige krebs- oder spinnenartige Gebilde im Kopf; verschiedene Arten von Pest, die ihn heimsuchten (vgl. ebd. 68); permanenter Denkzwang (vgl. ebd. 158); Nachdenkungsgedanke (vgl. ebd. 121); Nichtsdenken, Brüllwunder und Hülferufe (vgl. ebd. 150); Nichtdenkungsgedanke (vgl. ebd. 161); beleidigende Redensarten (vgl. ebd. 96); ein System des Nichtausredens (abgebrochene Redensarten/Gedanken-Bruchstücke) (vgl. ebd. 158-160); verfluchte Stimmungsmache gegen seine Wollust, die ihm nicht gegönnt sei; göttliche Strahlen, die, sobald in 443 Konzept vom spekularen/spektakulären kleinen anderen, als dieser größenwahnsinnige, despotisch-faschistoide Absichten verfolgt. Convex möchte nämlich das ‚verottete’ Nordamerika zu neuer Reinheit und Stärke führen.1462 Das videodrome-Signal soll, so der Plan, über Max’ Kanal bzw. Channel 83 (Civic TV) ausgestrahlt werden und all jene Personen infizieren und töten, die sich „so einen Scheißfilm“ anschauen.1463 In solchen abstrusen, aber nicht ungewöhnlichen Vorstellungen, wie sie sich in VIDEODROME und im Gesellschaftsspiel negativ bzw. wahnhaft offenbaren, sind gewisse virtuelle Bilder virulent, die nicht nur Vergänglichkeit und kulturellen Verfall Bewegung, sprechen (vgl. ebd. 95); Sonnenwunder (vgl. ebd. 102); Schreckwunder schwarzer Schatten (vgl. ebd. 182); Seelenkommunikation mit Verstorbenen (vgl. ebd. 120) und Seelen, die, wenn er in eine andere Heilanstalt verlegt wird, rasch dorthin folgen (vgl. ebd. 102). All dieser Wunder erscheinen ihm meist in nervtötender, schlechter Wiederholung: jahrelanges Anhörenmüssen eines entsetzlichen, multimedialen Blödsinns (vgl. ebd. 193) bis zum Seelenmord (vgl. ebd. 20). 1462 Genauer gesagt thematisiert Cronenberg hier meiner Meinung nach fragwürdige Erlösungsfantasien, die u. a. tragender Teil der politisch-religiösen Mythologie der USA sind (und sich in VIDEODROME in ihren medial-psychotischen Auswüchsen despotisch fortsetzen und radikalisieren). Nach dem 11. September 2001 empfindet sich ein nicht unbeträchtlicher Teil der mittlerweile tief gespaltenen Gesellschaft der USA, jenes von Gott auserwählte Land (‚God’s own Country’), als – wie Baudrillard schreibt – vom puritanischen Gott gestraft: „Wenn sie [die US- BürgerInnen] also bestraft wurden, dann heißt das auch, dass Gott sich für sie interessiert. Und all das entsteht aus der Weigerung, dem Anderen, der Andersheit zu begegnen – aus der Weigerung anzuerkennen, dass es eine feindliche Macht geben könnte.“ (Baudrillard 2003, 82.) So problemlos kann also das kollektive Imaginäre mit Religion und Masochismus zusammen- bzw. abfallen. Selbstbestrafungsparanoia und die erhöhte Bereitschaft, Gewalt anzuwenden, können als wahrscheinliche Konsequenz davon in Betracht gezogen werden. Vgl. zur (Gewalt der) Selbstbestrafungsparanoia: Roudinesco 1996, 88. 1463 Vgl. zu Sades ‚Scheiß-Show’ bzw. Skatologie („Sade als Sexkrement“) Zweifel und Pfister 2001 32-37: „Der Mensch kann sich noch so viel Mühe geben, sich über sich selbst zu erheben, es gibt stets zwei verhängnisvolle Augenblicke am Tag, wo er sich auf die trostlose Grundlage der Tiere zurückgeworfen sieht […], von denen Ihnen mein Lehrgebäude, wie Sie wissen, nicht allzu sehr absetzt. […] [D]iese schlimmen Augenblicke sind, wenn er sich füllen und wenn er sich entleeren muss“. Sade, Brief an Marie-Dorothée de Rousset 17.4.1782, zitiert nach Zweifel und Pfister 2001, 32. Vgl. zu Schrebers Skatologie, die er im Gegensatz zu Sade als göttliches Wunder bezeichnet, und die es ihm erlaubt, wie Sade, „auf alle Welt zu sch…..“. (Vgl. Schreber 1995, 165.) Max hatte zu Masha im Orient-Restaurant gesagt: „Die Welt ist ein Scheißhaus.“ 444 registrieren und beschwören (kurz: die vielen Untergänge bzw. erhofften Vollendungen des Abendlandes oder der Weltgeschichte – „es steht schlimm“, hatte Bianca O’Blivion zuvor zu Max gesagt),1464 sondern, um dem ab- bzw. nachzuhelfen, bereits das ‚rettende’ Szenario einer gesellschaftlichen Stärkung oder gar einer Auferstehung der Menschheit (der Nation, der Partei, der Familie, des Unternehmens, des Geschlechts, der Hautfarbe, des Körper, der Kultur etc.) herbei halluzinieren. Schließlich offenbart sich hier ein messianisches Motiv, das Abhilfe oder Erlösung verspricht und meistens reale Kastration (Unheil, Unglück, Gewalt, Vernichtung, Krankheit, Katastrophen, Krieg, Tod, Frust, Verlust, etc.) und Opfer (Tote, Versehrte, Geschändete, Stigmatisierte, Diskriminierte, Ausgeschlossene, ‚Liegengelassene’ etc.) bedeutet: schließlich Trauer und Melancholie, wenn man dazu noch fähig ist. „Zweifelsohne wird die neue spirituelle Menschheit Schreberscher Kreaturen ganz aus seinem Eingeweide geboren werden, damit die verdorbene und der Verdammung anheimgefallene Menschheit der heutigen Zeit neu geboren werde. Es handelt sich tatsächlich um eine Art Erlösung – so wurde der Wahn katalogisiert –, die jedoch nur die kommende Kreatur anbelangt, denn die gegenwärtige ist geschlagen mit einem Verfall, der der Erschleichung der göttlichen Strahlen durch die Wollust entspricht, die diese Strahlen an Schreber festmacht.1465 Darin zeichnet sich die Täuschungsdimension ab, die noch durch die unbestimmte Zeit, um die sich seine Verheißung verzögert, unterstrichen wird, um die zutiefst von der Vermittlungslosigkeit bedingt ist, von der das Phantasma zeugt.“1466 Da drehte dann auch der verstrahlte Schreber ziemlich ab und ging seinem Fantasma, als Dirne Gottes eine neue Menschheit aus Schreberschem Geiste zu gebären, 1464 Vgl. zu Schrebers „Untergang der ganzen Erdenschöpfung“: Ders. 1995, 23, 55 und 67 f. Vgl. auch zu Schrebers „Erschaffung einer neuen Menschenwelt (neuem Menschen aus Schreber’schem Geist)“: ebd. 84. 1465 Die wechselseitige Anziehung von Strahlen und Nerven sieht Schreber als „ein Prinzip der Lichttelegraphie“. Schrebers Kommunikationswahn ist also nicht nur göttlich bestimmt. (Vgl. Schreber 1995, 86. [Fußnotentext]) Das, „was bei Freud sozusagen ins System des psychischen Apparats eingeht, [schlägt] bei Schreber ins Religiöse [aus]. Freilich: dieser religiöse Ausschlag geht auf ein technisches Phantasma zurück“. Vgl. Burckhardt (Nachwort) in: Schreber 1995, 272. 1466 Lacan 1986 (b), 102. 445 ziemlich auf den Leim.1467 Die Machtverteilung ist hier, in seiner schrillen Fantasie, jedoch (ähnlich wie im klassischen Masochismus) keineswegs so eindeutig festgelegt, wie sie vielleicht erscheint. Denn in diesem sexuellen Verhältnis göttlich-medialer Strahlenkommunikation ist auch Gott von Schreber(s Körper) abhängig. Dieser ist sozusagen das über den „Nervenanhang“1468 mit dem Senatspräsidenten kommunizierende reale ‚Anhängsel’, a, das mit Schrebers Seelenwollust – in „hochgradige[r] Erregung“ – funktioniert:1469 eine Art Relais-Funktion, hochempfindlich und störanfällig, mit der Schreber die Entfernung zwischen Gott und Welt (die Annäherung Gottes an die Erde bzw. die „Anziehungskraft auf die Gottesnerven“) zu beeinflussen glaubt.1470 (Dies ist gleichsam Schrebers persönlicher Beweis, dass die Lust und das Begehren über den a/Anderen läuft [Lacans Rede vom Genießen des Anderen], dass sie sich zwischen Körpern und Medien verschaltet, sich hier buchstäblich „durchschaltet“, wie es bei Kittler heißt.)1471 Auch wenn es der Wahn ist, der hier alles (imaginär über-)steuert (bzw. symbolisch auch gar nicht steuert) und Schreber so durch seine fantastischen Bildwelten (in Form einer Odyssee seines Imaginären in verschiedenen virtuellen frames oder, wie er sagt, „Gottesreichen“) navigiert bzw. durchschaltet, so ist Schrebers paranoid-schizophrene Steuerungsutopie,1472 Technologie des Unbewussten, kein Realitätsverlust, sondern vielmehr eine delirierende Erweiterung derselben. Seine beachtliche Intelligenz und Verstandeskraft, sein Wille zum Wissen, sind hier keineswegs verschwunden oder 1467 Dies galt zumindest für seine Zeit, als es noch kein cloning gab, wohl aber Menschenzücht[ig]ung und flüchtige Doppelgänger medialer und/oder imaginärer Art. 1468 Schreber 1995, 8. 1469 Genau dies, das Objekt a, sucht Max in seinem Video-Wahn und wird – da es unerreichbar ist – zum Anhängsel seines Fernsehers, ähnlich wie Schreber mit den Gottesnerven verwuchs. 1470 Ebd. Martin Burckhardt sieht in diesem Anhang eine narzisstische Prothese, eine Batterie und eine Schnittstelle. (Vgl. ebd. 269 [Nachwort von Martin Burckhardt].) „Daniel Paul Schreber: das ist der Mensch schlechthin, ein sozusagen autonom gewordener Adam, der einzige und alleinige Draht, der Gott noch über den Zustand seiner Schöpfung zu unterrichten vermag.“ Ebd. 270. 1471 Kittler 2003 (a), 352. 1472 Vgl. zu einer ähnlichen Steuerungsutopie in Videospielen oder im Kino auch die FUNNY GAMES- Analyse (Pühler 2010). 446 erloschen;1473 im Gegenteil, versteht er seine übersinnliche Transformation und Neugeburt1474 doch auch als eine ‚Mensch-Werdung’ „in Menschengestalt“, als eine „Potenz“, die „im innersten Wesen der göttlichen Strahlen“ liegt (und die er in der Erscheinung seiner kleinen Männer bereits wahrnimmt).1475 Aus seinem Kampf mit/ gegen Gott sieht sich Schreber bereits als Sieger hervorgehen.1476 In diesem Kampf hat Schreber klar erkannt, dass „[b]eständiges Genießen oder beständiges Denken [...] für den Menschen nicht möglich [ist]“.1477 Wenn Sigmund Freud im Unbehagen der Kultur 1930 „die Technik als Vervollkommnung der Organe und Steigerung der ‚Gottähnlichkeit’ beschreibt (Stichwort ‚Prothesengott’)“,1478 dann nimmt Schreber 1903 diese Ähnlichkeit, die auf Kapps Prothesenphilosophie von 1877 verweist, in seinem Wahn wörtlich. Schreber hat Einfluss auf die Steuerung der Gottprothese,1479 auf das mediale Reale in ihm selbst, den Nervenanhang (a). (Er muss dies nicht wie McLuhan und O’Blivion anderen predigen, er probiert es einfach [an sich] aus und bietet sich [bzw. die exakt dokumentierten Ergebnisse seiner Selbsttechniken] masochistisch an – eine äußerst kluge Strategie, die, was die Beobachtung und das Aufschreiben angeht, zu Nachahmung einlädt.) Schrebers ‚Spiel’- bzw. Aktionsfeld ist ein (organ- )projizierender Kosmos seiner ausgeweiteten Nervenbahnen, die sich ihm in hierarchisch angeordneten Gottesreichen (sein Cyberspace) endosomatisch-virtuell 1473 Schreber versucht mit aller Kraft – schriftlich – zu beweisen, dass er bei vollem Verstand und eben nicht geistesgestört ist. Er konnte sich auch selbst vor Gericht verteidigen, um seine Entmündigung zu vereiteln – mit Erfolg. Vgl. Hagen 2001, 13. 1474 David Cronenberg sagt: „Mich interessiert weniger der biologische Aspekt der Geburt, sondern das kreative Moment einer menschlichen Wiedergeburt. Der Gedanke, dass wir uns neu erfinden, etwas neu erfinden, die Welt neu erfinden.“ Vgl. I Have To Make The Word Be Flesh, Fersehdokumentation unter der Regie von André S. Labarthe, arte-Sendung vom 20. Oktober 1999. 1475 Schreber 1995, 187. 1476 Ebd. 45. 1477 Ebd. 234. 1478 Wegener 2004, 23, Fußnote 38. 1479„Die Simulation, die von den Zeichen Gottes ausgeht, maskiert somit seine Abwesenheit und bewahrt ihn vor dem Tod. Sie zerstört nicht das Reale, sondern, indem sie seine Stelle einnimmt, rettet sie es, wird zu seinem Vertreter, Surrogat des Wahren, Gottprothese.“ Gaida 2002, 33, der zudem über Baudrillards fraktales Subjekt schreibt: Vgl. ebd. 27-37. 447 eröffnen und tatsächlich völlig neue Einblicke in die symbolische Weltordnung wie auch ins fantastische Reale/Reelle gestatten. Lacan spricht von der „intuitive[n] Stütze eines Hyperraums, in dem Schreber sogar sieht, wie die signifikanten Übertragungen ‚Fäden’ entlang geleitet werden, die die Parabelbahn materialisieren, auf der sie durch das Hinterhaupt in seinen Schädel eingehen.“1480 (Nebenbei bemerkt hatte schon Ernst Kapp diese Fäden [in seiner eher beschränkten Vorstellung vom Unbewussten] erkannt, womit sich das [nicht (an-)erkannte bzw. eskamotierte] Psychotische oder Reale der Prothesentheorie [durchaus schon von Schrebers Seite] ankündigt: „Wenn im Unbewussten die unendlichen Fäden liegen, durch welche der Mensch in das gesamte Universum verflochten ist, so ist alle Philosophie recht eigentlich auch Philosophie des Unbewussten [Fr. Zange, Ueber das Fundament der Ethik, S. 170].“1481 Kapp musste also nicht wie Schreber erst psychotisch werden, um Unbewusstes zu erkennen, jedoch konnte der anthropozentrisch-materialistisch denkende Kapp, der nach Texas ausgewanderte Hegelianer, dafür auch in seiner Philosophie, mit seinem Begriff des Unbewussten, nicht dessen Funktion im Realen sehen, d. h. wie die Übertragungen mit/ an/ durch/ als diese Fäden, die mit dem Körper und Kosmos verbunden sind, laufen.) Schrebers Wahn bzw. kosmisches Begehren, als Hure Gottes die Weltordnung libidinös zu steuern und zu retten,1482 kann als masochistisches Gegenbild zu Sades Despotismus einer totalen Weltzerstörung gelesen werden. Bei beiden sind vergleichbare libidinöse Kräfte im Spiel, nur eben mit diametral entgegen gesetzten Wirkungen und Absichten (und einem zeitlichen Abstand von einem Jahrhundert, in 1480 Vgl. Lacan 1986 (b), 94. Schreber entdeckt somit bereits das, was man in der Psychoanalyse Übertragungsbeziehung nennt. Denn es ist, wie er sagt, „völlig ausgeschlossen, daß ich von selbst auf derartige Gedanken gekommen bin“. (Vgl. Seifert 2001, 338; Zitat von Schreber.) Neben der Lichttelegraphie (vgl. Schreber 1995, 86 [Fußnotentext]) ist es die Telephonie, die Schreber in seinem Wahn als Medium entdeckt: „Es liegt vermuthlich eine ähnliche Erscheinung vor wie beim Telephonieren, d. h. die nach meinem Kopfe ausgesponnenen Strahlenfäden wirken ähnlich wie Telephondrähte“. (Vgl. ebd. 232.) Vgl. dazu auch Kittlers Analogie zwischen Übertragungen in der Psychoanalyse und denen der Telephonie: Kittler 1993 (a), 63. 1481 Kapp 1978, 163. 1482 „[Wo] die Weltordnung einmal gebrochen ist, da bleibt nur eine Machtfrage übrig, in welcher das Recht des Stärkeren entscheidet.“ Schreber 1995, 44. 448 dem sich das Reelle der Apparate deutlich, mit gesellschaftlicher Wirkung, ausgeprägt hat). Sade bekommt also Konkurrenz von der anderen Seite, von Schreber, die sich bereits im klassischen Masochismus, in der Rolle der aktiven, (zurück-)schlagenden Frau, abzeichnete und sich beim Senatspräsidenten radikalisierte, nachdem er 1893 ein zweites Mal in Professor Flechsigs Leipziger Nervenklinik eingeliefert wurde. (Schreber lernte dabei, seine eigene Frau zu werden, die dann auf einmal gar nicht mehr grausam ist.) Das Aktionsfeld verlagerte sich dort auf den zuvor verschlossenen bzw. nicht oder nicht ohne Weiteres einsehbaren Körperinnenraum, auf das ZNS; Bereiche, in deren Nähe Sade, im Gegensatz zu Sacher-Masoch, mit seinen Körpertechniken schon fantasmatisch vorgedrungen war.1483 Schreber macht Sades Fantasie nicht nur Konkurrenz, er unterläuft bzw. verschärft sie sogar mit seiner religiösen Symbolik, der virtuellen Anordnung der Gottesreiche und dem sexuellen Verkehr mit Gott. Sade wusste genau, warum seine Romanheldin Juliette Schizophrene, „die sich für Jesus oder gleich für Gott halten“, im Irrenhaus von Salerno ans Kreuz nageln ließ.1484 Doch so religiös Schreber auch geworden ist, so erkennt er in Gott vor allem einen täuschenden Gott, der eine Politik der Halbheit/Halbschürigkeit,1485 ein Komplott, betreibt und in ihm gleichzeitig mit und gegen ihn1486 kämpft. In Jesus sieht Schreber einen weiteren flüchtig hingemachten Mann.1487 Schreber ist eben sehr aufgeklärt: Gott ist für ihn gleichzeitig Feind und Schutzwaffe. Gott ist nicht vollkommen. Auch Götter verwesen. Schreber hält Gott nicht für prinzipiell böse.1488 „[I]ch habe, um mich eines Oxymorons zu bedienen, in dem von Gott wider mich geführten Kampfe Gott selbst auf meiner Seite gehabt, d.h. ich bin in der Lage 1483 Wie am Anfang der Arbeit gesagt wurde, sind die Sadeschen Lusttechniken u. a. eine Reaktion (bzw. unbewusste Übertragung) im Hinblick auf die Reiz- und Läsionsexperimente am lebenden Tierkörper in der experimentellen Medizin des 18. Jahrhunderts. Vgl. 48 ff. 1484 Vgl. Zweifel und Pfister 2001, 26. 1485 Schreber 1995, 105. 1486 Vgl. Schreber 1995, 41, 105. 1487 Ebd. 3 (Fußnotentext), 21. 1488 Ebd. 21 ff. 449 gewesen, seine eigenen Eigenschaften und Kräfte als eine unbedingt wirksame Schutzwaffe zu meiner Selbstverteidigung in das Feld zu führen.“1489 Noch einmal muss betont werden, dass Schreber, der in seiner göttlichen Wunderwahnwelt bzw. hinter Schloss und Riegel in psychiatrischen Anstalten unentwegt bösartigen Reizen und Gemeinheiten ausgesetzt war,1490 dabei nicht gemein oder despotisch wurde, sich eben nicht gegenüber anderen bösartig, destruktiv oder terroristisch verhielt. (Manchmal drehte er völlig durch, „schreit um Hilfe, reißt Tisch und Stuhl um“,1491 beruhigte sich dann aber auch bald wieder.) Deshalb hat sein Wahn, Entmannung (bzw. den Verzicht auf den Phallus [‚blödsinniger männlicher Habitus’]) als ‚auf die Fahne geschriebenes’ Heilmittel einzusetzen, gewiss sein Gutes, auf jeden Fall eine fantastische Wirkung, die nicht nur für ihn allein gültig und wahr ist. Schreber kann auf Juliette und Co., hinsichtlich seiner body options,1492 getrost verzichten; so frei ist er in der Isolation verschiedener Irrenanstalten, im Diskurs analoger Medien und schizophrener Neugeburt, schließlich geworden. „Er sei nun glücklich verrückt gemacht worden“, attestiert ihm sein behandelnder Arzt Prof. Flechsig in einem Bericht vom 25. Juni 1894.1493 Waren die kleinen Männer für Schreber, wenn sie ihm nicht gerade als Teufelchen erschienen und übel mitspielten, nicht wirklich gefährlich, ist Barry Convex, dieses flüchtig hingemachte Männchen in VIDEODROME, nur noch bösartig und kastrativ. Als jovialer Geschäftsführer von Spektakulär Optik, einem multinationalen Unternehmen, das neben preiswerten Brillengestellen (‚billigen Gläsern’) für die 1489 Ebd. 45 (Fußnotentext). Darin zeichnet sich eine subversive, schon postmoderne Strategie ab: ‚Wir schlagen Euch [Gott] mit Euren [seinen] eigenen Waffen!’. 1490 Die Sadesche Lust und Gewalt, deren Härte und Plötzlichkeit, ist an vielen Stellen der Denkwürdigkeiten nachvollziehbar, diskursiv macht sie sich nicht mehr ganz so hart in Schrebers „System des Nichtausredens“, in sogenannten „abgebrochenen Redensarten“ bemerkbar. Denn der unvollständige Imperativ „Sie sollen nämlich“, den er u. a. eingeflüstert bekommt, liest bzw. ergänzt Schreber (metonymisch) mit „Sie sollen nämlich dargestellt werden als Gottesleugner, als wollüstigen Ausschweifungen ergeben u.s.w.“ (Vgl. Schreber 1995, 158 ff. und Hagen 2001, 124 ff.) Schrebers Über-Ich funktioniert also noch, sogar besser denn je. 1491 Vgl. Lothane 2004, 584. 1492 Vgl. Angerer 2000 (b). 1493 Vgl. Lothane 2004, 585 f. 450 Dritte Welt und Waffenfernlenksystemen1494 für die NATO (industriell-militärischer Komplex) auch videodrome produziert, entpuppt sich Convex als Verbündeter von Harlan, dem nerdig-devoten Videopiraten, der Max stets mit patron anredet. Max’ unauffälliger, zuverlässiger Techniker erweist sich jetzt als glühender, hasserfüllter Faschist, der seine menschenverachtenden Parolen unverhohlen kund gibt. Convex denkt auch so pervers (im schlechtesten Sinne), doch stehen in Bezug auf videodrome in diesem Zusammenhang bei ihm noch geschäftliche Interessen im Vordergrund. Convex würde nie über seine kriminellen Absichten und Machenschaften reden, er geht diskreter vor. Beide sind für Max jetzt höchst suspekte Personen, denen er nicht mehr trauen kann. Wo Schreber seinen Psychiater, den international renommierten Gehirnforscher bzw. cholerischen Nervenvermesser Paul Emil Flechsig verdächtigte,1495 Macht über seine Nerven zu haben, besitzt Convex tatsächlich eine 1494 Vgl. zum Topos Fernlenkwaffen bzw. zu Maschinen, die Maschinen verfolgen: Roch und Siegert 1999. Am Ende bemerken die Autoren dieses Texts: „Es bleibt einer Kulturgeschichte der Verfolgung daher aufgetragen, die Interaktion und Kommunikation der neuen Medien als Strategie zu entziffern und mögliche Gegenstrategien zu entwerfen. Kulturgeschichten hätten in jedem Fall dem Sachverhalt Rechnung zu tragen, daß Maschinen, die nicht Menschen, sondern Maschinen verfolgen, den Kampf um den Kanal gewonnen haben.“ (Ebd. 229.) Das gilt besonders für Schrebers, McLuhans und Max’ magische Kanäle ins Jenseits. Sie glauben nämlich, den Kampf um den Kanal zu gewinnen. 1495 Paul Emil Flechsig (1847-1929), der sich u. a. mit „der myelogenetischen Gliederung des Gehirn- und Rückenmarks“ befasste, und damit auch „die entwicklungsgeschichtlichen Grundlagen für eine bis heute gültige Systematik der Pathologie der Hirnerkrankungen [schuf]“, hatte tatsächlich, wie seine Schüler berichten, „ein stark cholerisches Temperament [...], unter dem er selbst schwer gelitten hat“. (Vgl. Ahrend 2000, 64.) In seiner berühmten Rektoratsrede Gehirn und Seele, die er am 31.10.1894 in der Leipziger Universitätskirche hielt, benutzte er ebenfalls wie Freud den Begriff des Apparats: „Die geistigen Zentren sind [...] Apparate, welche die Tätigkeit mehrerer innerer (um somit auch äußerer Sinnesorgane) zusammenfassen zu höheren Einheiten.“ Er nennt sie „Assoziations- und Coagitations- Zentren“, denen „der Mensch“ hauptsächlich „seine Überlegenheit über alle Tiere [verdankt]. Wohin die exzessive Reizbarkeit dieser Zentren führt, können wir wiederum klar bei den Geisteskranken feststellen. Ohne Zutun der bewußten Überlegung komponieren hier die grauenerregende Kraft der Einbildung und das sie begleitende krankhaft gesteigerte Angstgefühl Szenarien und Gestalten von erschütternder Wirkung, von tragischer Gewalt“. (Zitiert nach Calasso 1980, 46 f.) Friedrich Kittler sieht in Flechsigs Ausführungen Ueber die Associationscentren des menschlichen Gehirns (Flechsig 1897, 58), in denen der Hirnforscher eine geografische bzw. globale Metaphorik anwendet, die psycho- physische Grundlage und den myelogenetischen Beweis für Lacans Spiegelstadium, also für die Spiegelmatrix und mehr noch für den damit verbundenen corps morcélé (vgl. Kittler 1993, 70), die bereits erwähnte disjunktive Partialobjekt-Ebene des Vorspiegelstadiums. Flechsig arbeitet in seiner 451 neue Technologie, die dies ermöglicht. Mit einem sehr organisch wirkenden Helm, der in seinem Design an futurische VR-Technologie bzw. hinsichtlich der Geschichte unbewusster Technologien an Sades Röhrenhaube erinnert, mit der Schmerzensschreie in einen anderen Raum übertragen werden, und den er Max überstülpt, kann er dessen Halluzinationen angeblich zu Analysezwecken aufzeichnen. Max lässt dies mit sich geschehen, ähnlich wie Schreber sich freiwillig und masochistisch der Wissenschaft als lebendes Untersuchungsobjekt angeboten hat.1496 „[Schreber] muss sich als ungewollter Bote eines ungewollten Experiments, das an ihm vollzogen wurde, darstellen, gleichsam als dessen Empfänger und Sender zugleich: als ein Radio.“1497 Der Schreber-Spezialist Zvi Lothane redet in diesem Zusammenhang von einem „mental radio“,1498 ein Begriff, der sich auf Carl du Prels (1839-1899) (okkultistische) Rede über „drahtlose Telegraphie“ bezieht.1499 experimentellen Hirnsektion, medizinischen Schnittpräparaten, dem Begriff des zerstückelten Körpers praktisch und theoretisch zu. Auch den Begriff der „Körperfühlsphäre“ (als eine Schnittstelle zwischen „Außenwelt [in Form von Sinneseindrücken]“ und „Innenwelt [als sinnliche Triebe]“ [vgl. Ahrend 2000, 62]), den Flechsig von Hermann Munk übernimmt, ist dann ebenfalls relevant – gerade im Hinblick auf die Mediasphären-Diskussion und das (ein-)hüllende Imaginäre im Spiegelstadium in dieser Arbeit. Diese Sphäre ist im Gegensatz zu den motorischen Fähigkeiten des Kleinkindes myelogenetisch frühreif, was Lacan (ohne Bezug auf Flechsig) als „spezifische[] Vorzeitigkeit der menschlichen Geburt“ bezeichnet. (Vgl. Lacan 1986 (a), 66.) Trotz dieser (Nerven-)bahnbrechenden Erkenntnisse, die sich beim Patienten Schreber oder in der fiktiven Filmfigur Max fantastisch/psychotisch abbilden und erweitern, ist an Flechsig, dem international anerkannten Hirn- Imperator und brain commissioner, zu kritisieren, dass er (im Gegensatz zu Freud) stets versuchte, seelische Prozesse zu lokalisieren und dingfest zu machen. Seine ungebrochene „Lust auf frisches Hirn“ (vgl. Bitsch 2009, 266 ff.) mag ähnlich ausgeprägt gewesen sein, wie Max’ ständiger ‚Appetit’ bzw. ‚Heißhunger’ auf Gewaltbilder. Flechsigs wissenschaftlicher „Trieb zur Verortung der Seele im Gehirn“ hat selbst perverse Züge und scheint wie Schrebers bzw. Max’ Wahn ebenfalls medieninduziert zu sein. Vgl. ebd. 267 (Fußnote 272). 1496 Vgl. Seifert 2001, 339. 1497 [Weiter im Zitat:] „Und er muss hoffen, dass der Diskurs dieser Botschaft, seine Sendung in Form eines Buches, wissenschaftliche Anerkennung erfährt.“ Hagen 2001, 15. Dies hat er schon geschafft, wobei dieser Prozess noch in vollem Gange ist. Mit Schreber sind wir noch nicht fertig. 452 ‚Keeping an Eye on the World’ ist der Slogan, mit dem Spektakulär Optik wirbt. Das Firmenlogo ist eine Mischung aus Pupille und Weltkugel .1500 Demzufolge handelt es sich um eine paranoide Welt (in den Augen) dieses international agierenden Unternehmens, das nun in einem ersten Testversuch an Max herausfinden möchte, wie es Macht über Halluzinationen erlangt. In Schrebers Wahn waren es nicht die existierenden und bereits weltweit expandierenden Großkonzerne, sondern die göttlichen, von Flechsig abgelenkten und geschwärzten Strahlen,1501 „die fortwährend 1498 Vgl. Lothane 2004, 171. 1499 Zvi Lothane „fand du Prels Schriften über ‚Telegraphieren ohne Draht und die Telepathie’ in seinem (1889) Buch Die Magie als Naturwissenschaft (Leipzig: M. Altmann, 1912), welches in ‚magische Physik’ und ‚magische Psychologie’ unterteilt war.“ (Vgl. ebd, Fußnote 14.) Carl Du Prel war Schriftsteller, Philosoph und Okkultist. Schreber kannte sein Werk Entwicklungsgeschichte des Weltalls. Entwurf einer Philosophie der Astronomie, Leipzig 1882. Vgl. Hagen 2001, 16. 1500 Wenn hier ‚Pupille’ durch ‚Gehirn’ ersetzt wird, lässt sich ein direkter Bezug zu Flechsigs Gehirnforschung herstellen: „Flechsig erhebt die Welt zum Gehirn und das Hirn zu Welt.“ (Vgl. Bitsch 2009, 269.) Das entspricht Kapps, Chardins oder McLuhans Rede vom Gehirn für die Welt, die Sphäre der Vernunft (Noosphäre). „Flechsig, Napoleon der Gehirne, okkupiert die ontologische Zone mit der Gewalt eines materialistischen Tsunami, und – kein Zweifel, dass in einem solchen mit Präzision und Allmacht vermessenen und intabulierten Cerebraluniversum für den großen Anderen kein Ort, sondern nurmehr eine Schreber’sche Anaphylaxie, eine psychotische Verwerfung bleibt.“ Vgl. Bitsch 2009, 269. 1501 Diese Schwärzung gibt es tatsächlich in der Nervenforschung Flechsigs: „Flechsig sah, auf Schnittserien der Gehirne von Kindern vor der Geburt leicht verfolgbar, weil in der Färbung nach Weigert auf transparentem Untergrund isoliert geschwärzt dargestellt, die zentralen Bahnen der Sinnesorgane [...]. Er verfolgte diese Bahnen bis zur Großhirnride und bestimmte die einzelnen in sich geschlossenen Rindenfelder, in die sie einstrahlen. Flechsig unterscheidet auf myelogenetischer Grundlage 40 später 45 und schließlich über 50 Hirnrindenfelder.“ Schreber sieht im Wahn, einmal mehr in der unbewussten Übertragungsbeziehung, die er zu Flechsig(s Wissenschaft) aufbaut, dass sich die „Flechsig’sche Seele [...] in eine große Anzahl von Seelentheilen gespalten [hatte]; es existierten deren eine Zeit lang wohl an die 40-60 [...].“ (Vgl. Schreber 1995, 81. Vielleicht hatte er von Flechsigs Aufteilung der Gehirnstruktur in Rindenfelder auch vorher erfahren, denn Schreber war gebildet und mit einigen Wissenschaftsdiskursen seiner Zeit vertraut. [Vgl. Hagen 2001, 16 f.].) Diese halluzinierten Seelenteile entsprechen in ihrer Größe und Lage ungefähr dem Aufbau der Flechsigschen Gehirnkartografie. Flechsig sieht, dass sich „die menschliche Großhirnrinde [...] ähnlich wie die Erdoberfläche aus mindestens sieben anatomisch wohlgesonderten Gebieten zusammensetzt“. (Vgl. Calasso 47; Zitat von Flechsig 1894 [Gehirn und Seele].) Zudem entdeckt Flechsig beim Neugeborenen „eine ganze Anzahl gesonderter Bewusstseinskreise. Jede Sinnessphäre repräsentirt zunächst ein besonders selbstständiges Organ, welches Sinneseindrücke einer Qualität in sich 453 zu wissen begehrten, woran ich [Schreber] denke“.1502 Als Max für diesen Hallu-Test zu einem heruntergekommen spectacular optics-Brillengeschäft in einer düsteren, vermüllten Vorstadtgegend chauffiert wird (bereits während dieser Fahrt in der schwarz-weißen Stretchlimousine halluziniert er heftig), spiegelt er sich nach seiner Ankunft in der Eingangstür dieser Filiale in einem kleinen, kaum erkennbaren Aufkleber, in dem bereits erwähnten Logo dieses Unternehmens: Eine Anspielung auf das ständige Gesehen- und Überwacht-Werden in Orwells 1984,1503 das ebenfalls wie in VIDEODROME über screen-Oberflächen des großen Anderen/Bruders läuft und – im Gegensatz zu 1984 – oft gar nicht bemerkt und noch weniger reflektiert wird. Es handelt sich hier auch um die für die psychoanalytische Theorie und Praxis wichtige Beziehung zwischen I (Idealvorstellung, Wunsch- und Allmachtdenken [Keeping an Eye on the World]) und a (fehlendes bzw. prekäres Partialobjekt [Logo-Aufkleber auf dem Türglas der Filiale]). Facebook Schreber Einmal mehr macht sich Max’ Kontroll- und Größenwahn bemerkbar, aber auch die gesellschaftlich verbreitete und gewiss nicht unbegründete Furcht, dass Technologien und ihre Anwendungen dazu missbraucht werden, einzelne UserInnen wie auch Gruppen bzw. Szenen gezielt auszuspionieren, nach Belieben in die Privat- und Intimsphäre anderer, schließlich in das technisch codierte Ich, eindringen zu können (also den [nicht vorhandenen oder unwirksamen] Datenschutz zu missachten bzw. außer Kraft zu setzen). – Was auch in Deutschland von staatlicher Seite aus aufnimmt, mehr oder weniger verarbeitet, d. h. verknüpft, sie auf den Bewegungsapparat des zugehörigen Sinneswerkzeuges überträgt, vielleicht Bewegungen desselben einübt u. dg. m. Im Anfang erscheinen also die zwischen den einzelnen Sinnescentren liegenden unentwickelten Bezirke der Grosshirnlappen geradezu als Isolatoren, wie die Meeresflächen, welche die Continente der Erde trennen.“ (Flechsig 1897, 58, zitiert nach Kittler 1993, 70.) Mit diesen selbständigen Organen hat Paul Emil Flechsig bereits sehr treffend die Partialobjektebene, Sinnessphären gesonderter Bewusstseinskreise, im Vorspiegelstadium beschrieben. 1502 Schreber 1995, 35. 1503 Vgl. Mathijs 2008, 118. 454 geschieht.1504 In England stellt die Polizei mittlerweile verdächtige Personen ins Internet und eröffnet damit die öffentliche Hetzjagd (auch auf Unschuldige).1505 Demgegenüber gibt allerdings in Deutschland schon jede/r vierte freiwillig persönliche oder gar intime Daten auf Internet-Portalen, meist Facebook,1506 preis. Dabei wissen die meisten UserInnen solcher kommerziellen (Freundschafts-, Sex- und Aufmerksamkeits-[Simulations-]) Angebote, neuer, nicht-staatliche Meldeämter1507 und mehr noch (Test-)Mittel gegen Einsamkeit und Isolation, dass sie sich (d. h. ihr hier inszeniertes, virtuelles Maso-Ich) privatwirtschaftlichen Unternehmen und deren Geschäftsbedingungen ausliefern. Natürlich verfolgen auch viele UserInnen neben der 1504 Am 18. und 19. Februar 2011 z. B. spionierte das Dresdner Landeskriminalamt in mehr als 40 000 Fällen persönliche Handydaten aus; Anlass war eine Demonstration gegen einen Neonazi-Aufmarsch. Vgl. „Demoüberwachung per Mobilfunk. Mal eben ausgespäht“, taz-Artikel von Paul Wrusch vom 19.6.2011, unter: http://taz.de/!72708/ 1505 „Per App sollen Einwohner Londons helfen, mutmaßliche Kriminelle der Krawalle 2011 zu identifizieren. Zu Bildern sollen Namen eingetragen werden. Datenschützer schweigen.“ Vgl. taz- Artikel von Ralf Sotscheck vom 26.6.2012, unter: http://www.taz.de/!96172/. Die Kriminalpolizei in Deutschland folgt dieser fragwürdigen Methode und lässt mittlerweile über Facebook fahnden. Ich denke hier an den pensionierten Präsidenten Curval, ein höherer Richter, aus Sades 120 Tage, der in seiner Amtszeit größte Lust daran empfand, Unschuldige zu verurteilen. Vgl. Sade 1972, 51. 1506 Glaubt man David Finchers Film THE SOCIAL NETWORK (2010), ist Mark Zuckerbergs Facebook-Erfindung im Jahre 2003 aus einer selbsterlebten, gecrashten Liebesbeziehung hervorgegangen. Der Havard-Student Zuckerberg entwarf eine sexistische Website, auf der jeweils zwei Bilder seiner Kommilitoninnen erschienen, um verglichen bzw. nach Aussehen bewertet werden zu können. Gleichzeitig verunglimpfte er seine Ex-Freundin in Blog-Einträgen. – So der Ursprungsmythos bzw. Anfangsfrust von Facebook, der nicht über das phallische Analogdenken des 19. Jahrhunderts (Frauen im Testversuch der Männer) hinauskommt. Eine pubertäre Spielerei. 1507 Daher wundert es nicht, wenn nach einer kapitalistischen und kurzschlüssigen Mehr-Wehr-Logik (à la Max Renn) der wegen eines EM-Spiels äußerst schwach besetzte Deutsche Bundestag am 28.6.2012 auf die Idee kommt, in nur 57 Sekunden ein Gesetz zu verabschieden, das es Meldeämtern erlaubt, Datensätze an die Werbewirtschaft zu verkaufen. (Diese Daten sind besonders wertvoll bzw. lukrativ, da sie – im Gegensatz zu Internet-Daten – meist aktuell und zutreffend sind.) Vgl. den Kommentar von Svenja Bergt zum neuen Meldegesetz, ein Skandal und eine Farce, in der taz vom 9.7.2012, unter http://www.taz.de/1/archiv/digitaz/artikel/?ressort=a1&dig=2012%2F07%2F09%2Fa0006&cHash=086 7e84160 („Schlimmer als Facebook“). Allerdings hat sich – vergleichbar mit der Reaktion auf die Fukushima-Katastrophe – in Deutschland innerhalb von nur wenigen Tagen im Internet der Widerstand gegen diese Maßnahme formiert und bereits über 125.000 Unterschriften dagegen gesammelt. Der Vorgang illustriert auch das demokratische und vor allem zeitnahe Reaktionsvermögen neuer Medien. 455 hier angewandten Ego-Hochglanz-Politur ihre eigenen gewerblichen Interessen, big business und Schnäppchenjagd. „Ist dieser Selbstausdruck die höchste Form des Foucaultschen Geständnisses? Jedenfalls ist er eine Form von Gewalt, die dem einzelnen angetan wird, und zugleich dem Bild in seiner Einzigartigkeit.“1508 Er ist einer der technologisch-gesellschaftlichen Masochismen unserer Zeit, ein gewaltiger kommerzieller Trend und eine Massen-Perversion, die sich mehr oder weniger unbewusst (das heißt u. a. mit einer gewissen Kopf- bzw. Gesichtslosigkeit und auch bestimmt nicht in Buchform) ereignet; ein fetischistisches Spiel mit ungleichen Bedingungen, für das man nicht erst psychotisch und/oder sadomasochistisch werden muss, um daran teilnehmen zu können (oder vielleicht doch?), das jedoch wie SM und Wahn(-sinn) einen offenen Ausgang, einen im Ungewissen hat. Denn noch ist nicht klar, wie diese Unmengen gespeicherter Daten, die produziert worden sind und nun Facebook und Co. gehören, gefährlich werden, u. a. gegen ihre UserInnen verwendet werden (können). (Damit ist nicht nur der lukrative Verkauf von Daten gemeint, der längst Gang und Gebe ist.) Unternehmen wie Facebook haben mittlerweile die (Datenbank-)Macht, das kollektive Imaginäre ihrer KundInnen (global) zu steuern und zu manipulieren: „Ende März 2012 waren rund 901 Millionen monatlich aktive Nutzer angemeldet.“1509 Wie gesagt, man muss nicht erst richtig paranoid werden, um zu bemerken, dass hier etwas faul ist und noch fauler werden kann in einem als soziales Netzwerk ‚getarnten’ kapitalistischen 1508 Baudrillard 2003, 4: „Sich pausenlos auszudrücken, zu sprechen, zu kommunizieren. In jedem Augenblick lesbar zu sein, überbelichtet von den Scheinwerfern der Information (die Frau, die sich Tag und Nacht online im Internet produziert, mit den kleinsten Einzelheiten ihres Lebens).“ Baudrillard meint damit auch die Gewalt des „Realitiy-TV“, in „Doku-Soaps, ‚Big Brother’“, „‚Loft Story’“ etc. . (Vgl. ebd. 3.) Dagegen erscheint das viele Sprechen über Gewaltlust in der Literatur Sades oder Sacher-Masochs beinahe als harmlos. 1509 Vgl. Wikipedia-Eintrag zu Facebook: http://de.wikipedia.org/wiki/Facebook. In der ARD- Dokumentation „Milliardengeschäft Facebook“ vom 13.2.2012 gesteht die 17jährige Franziska, die in ihrem Jugendzimmer gefilmt wird (im Hintergrund leuchtet der Computerscreen), dass sie kurz davor stehe, ihr gesamtes Leben bei Facebook zu posten. Leichtes Unbehagen steht ihr dabei ins Gesicht geschrieben, fragende Zweifel oder gar Kritik äußert sie aber nicht. (Das gilt auch für einige der anderen [älteren] UserInnen, die in dieser Sendung vorgestellt werden.) 456 Großunternehmen, das die aufgeregte Manege bzw. der ständig aktivierte showroom im gegenwärtigen Hyperdrome darstellt, ein mächtiges und undurchsichtiges Kontrollinstrument, gewiss kein Rettungsschirm. „Diejenigen, denen wichtige Daten, wichtiges Wissen gehört, sind in einer Position großer kultureller Bedeutung – und manchmal auch großer ökonomischer Bedeutung. Und sie können böse sein“, warnt der Netzphilosoph David Weinberger. Er redet im Zusammenhang der privatwirtschaftlichen Ökonomisierung digital-sozialer Netzwerke von einem „fürchterlichen Fehler“, etwas, das „potentiell ein Desaster“ ist. „Darüber sollte man sich Sorgen machen.“1510 Schrebers Wahn gibt, im Gegensatz zu kritischen Nachfragen bei Firmen wie Facebook, fantastische Auskunft darüber, was die (zukünftigen) Datenverwendung1511 für die UserInnen bedeutet oder bedeuten könnte: „[M]an überzog meine innere Schädeldecke mit einer anderen ‚Gehirnmembran’, um die Erinnerungen an mein eigenes Ich auszulöschen. Alles ohne irgendwelchen nachhaltigen Erfolg.“1512 1510 Weinberger bemerkt in diesem Zusammenhang, dass die Idee des Internets, wie sie Tim Berners Lee umsetzte, gerade darin bestand, Dokumente ohne Copyright und Eigentümerschaft zur Verfügung zu stellen. Als Unternehmen wie Facebook auf den Plan traten, gab es keinen Tim Berners Lee. „[E]in unglaublich wertvolles System privater Beziehungen gehört heute einer Firma, die kommerzielle Interessen hat. Das ist potentiell ein Desaster.“ Vgl. Interview „Netzwerke wissen es besser“ mit David Weinberger in der taz vom 7.8.2012. 1511 Man weiß nur, dass Facebook gerade in Schweden am Polarkreis Serverhallen für umweltfreundliche Datenspeicherung baut, die die Größe von elf Fussballfeldern haben; in Schweden sind die Datenschutzbestimmungen besonders lasch. Vgl. http://www.sueddeutsche.de/digital/facebook-polarkreis-rechenzentrum-koennte-zur-abhoerfalle- werden-1.1179412 [„Polarkreis-Rechenzentrum könnte zur Abhörfalle werden“]. Demnach kann man vermuten, dass Facebook auf jeden Fall bestrebt ist, alle Daten erst einmal (fetischistisch-zwanghaft) für eigene (aktuelle und zukünftige) Interessen zurückzuhalten. Dass solche egoistischen Aktionen nicht gut gehen können, wurde bereits im klassischen SM analysiert, wie es z. B. der finale Total-crash des Venus im Pelz-Experiments zeigt. 1512 Schreber 1995, 70. 457 Wo dieser imaginäre, äußerst gewaltsame Eingriff bei Schreber vorerst keinen Erfolg hatte, sollte es noch schlimmer kommen, denn die nächste Technik, eine Folterapparatur, war schon in Stellung gebracht: die sogenannte „Kopfzusammenschnürungsmaschine“, eines der „abscheulichste[n] Wunder“ in Schrebers Hyperraum: „In meiner Schädeldecke war nämlich durch die vielen Strahlengänge usw. ungefähr in der Mitte eine wahrscheinlich nicht von außen, aber doch von innen sichtbare tiefe Spalte oder Cäsur entstanden. Zu beiden Seiten dieser Spalte standen die ‚kleinen Teufel’ und pressten durch Andrehen einer Schraubenkurbel meinen Kopf in der Art einer Schraubenpresse zusammen, sodaß mein Kopf zeitweise eine nach oben verlängerte, fast birnenförmige Gestalt gewann. Der Eindruck auf mich war natürlich ein äußert bedrohlicher, zuweilen auch mit sehr empfindlichen Schmerzen verbunden. Zeitweise wurde auch wieder zurückgeschraubt, meist aber nur ‚sehr lässig’, sodaß der zusammengepresste Zustand immer einige Zeit anzudauern pflegte. [...] Die Zeit, in der diese ‚kleinen Männer’ und ‚kleinen Teufel’ auftraten, umfaßte etwa einige Monate, dann verschwanden sie, um niemals wieder aufzutreten.“1513 Indem Convex Max den nagelneuen und sonderbaren VR-Helm aufsetzt (eigentlich wollte er doch nur, wie am Telefon angekündigt, mit Max über videodrome sprechen), wird Max’ Haupt gleichsam ersetzt: Er bekommt eine Gehirn-Prothese. Von außen wirkt es, als hätte er nun einen überdimensionierten Insekten-Roboter-Kopf. Convex: „Ich denke, ein bisschen sadistische Träume können nicht schaden, damit Sie kräftigere Halluzinationen kriegen. Deswegen sind die videodrome-Filme alle so seltsam. Am Besten wirkt noch immer Gewalt auf die Nervensysteme. Es öffnet die Rezeptoren in Gehirn und Rückenmark, und so kann das videodrome-Signal eindringen.“ 1513 Ebd. 116. 458 Wie Gewalt auf bzw. in Nerven wirkt, lässt sich bereits bei Sade im späten 18. Jahrhundert beobachten (wobei Gewalt nicht nur wie in VIDEODROME rein medial erzeugt und übertragen wird, sondern der Libertin für diese Übertragung selbst agieren muss): Der Herzog von Blangis „verfiel jener unglückseligen Abirrung, die uns Genuß am Leid des anderen finden läßt, ihm wurde bewußt, daß eine irgendeinem Gegenpart zugefügte gewalttätige Handlung das Gesamtnetz unserer Nerven in eine Schwingung versetzt, deren Wirkung die animalischen Geister, die im Hohlraum unserer Nerven fließen, reizt, sie zwingt, auf die erektiven Nerven zu drücken und dadurch das zu erzeugen, was man ein wollüstiges Gefühl nennt.“1514 1514 Vgl. Sade 1972, 44 f. Man sieht, dass Sade in der Beurteilung des gewalttätigen Verhaltens des Herzogs – „unglückselige[] Abirrung“ – durchaus ein moralischer Autor ist (auch wenn das in einem Text wie Die 120 Tage schizophren wirkt). Convex fehlt demgegenüber jede Form von Moral, er hat keine bewusste Vorstellung von dem, was er anderen antut. Convex genießt seine perversen Handlungen deshalb auch nicht, dies macht nur der Andere, die Technologie hier. Genauso wie die bösen Buben in FUNNY GAMES (U.S.) arbeitet Convex nur für den Genuss des (Video-)Anderen (A). Darin macht sich auch die Unterscheidung zwischen einem Libertin wie Blangis und einem Sadisten wie Convex bemerkbar. Allerdings ist auch Blangis medial (fern-)gesteuert, Handlanger einen Diskurses, der nicht seiner ist, wie in der Charakterisierung des Libertins im ersten Kapitel dieser Arbeit aufgezeigt wurde. 459 Während Convex’ Gerät, dieser sonderbare VR-Helm, eingeschaltet ist (die Strahlen, die dieser produziert, sind erst viel zu stark),1515 sehen wir den Inhalt der Halluzinationen (auf Max’ mind screen im Innern dieser Maschine), der nun aufgezeichnet wird (was in dieser Form technisch natürlich [noch] unmöglich ist).1516 Max’ ‚Gehirn-Festplatte’ wird nun aktiviert und heruntergeladen. Das Gerät leuchtet orangerot auf und pulsiert gleichsam. Convex hat während dieses Prozesses das Hinterzimmer des Brillengeschäftes verlassen. Max erkennt in dieser Apparatur, die ihm Einblick in seine Matrix gewährt, nun Nicki – sie erscheint aus einem undeutlichen, gerasterten elektronischen Bild,1517 das dann aber scharf wird – wie sie eine enorme Peitsche holt, um sie ihm zu überreichen. „Da bist Du ja endlich, wo wir alle sein müssen – in videodrome. Worauf wartest Du, mein Liebling? Wir müssen auf die Bühne gehen. Öffnen wir unserer erotischen Schleusen!“ Max steht nun in der videodrome-Kulisse und peitscht, nach kurzem, anfänglichen Zögern, die Rückseite seiner Wohnzimmer-Fernsehtruhe aus, die sich ebenfalls in dieser Lokalität befindet. Max, der Held, kann jetzt als videodrome-Statist1518 endlich richtig reinhauen, es 1515 Max schreit; Konvex versicherte vorher, dass es nicht weh tut. 1516 Genauso wie es unmöglich ist, Träume bzw. Imaginäres aufzuzeichnen bzw. eins zu eins wiederzugeben. Vgl. dazu Wim Wenders’ BIS ANS ENDE DER WELT (1991). In diesem Film wird am Ende eine Technik erprobt, die tatsächlich Träume speichert und ihre UserInnen, wenn sie sie dann im replay-Modus ansehen, danach süchtig werden lässt. Vgl. Weber 2008, 192-211. 1517 Vgl. „Rasterfahndung. Das Raster in der Kunst nach 1945“, Ausstellung(skatalog) Kunstmuseum Stuttgart 5.5. – 7.10.2012, (Groos, Schimpf [Hrsg.] 2012). 1518 Vgl. Gaida 2002, 51. 460 knallt laut und er findet Gefallen daran. Auf dem Monitor erscheinen Nicki und danach Masha, die die Hiebe abbekommen und dabei leidend-schreiend zusammenzucken. Dies war sozusagen erst die Vorübung, das warming-up. Denn in einer späteren Szene programmiert Convex Max zum Terroristen, verfügt dieser doch nun über Max’ Festplatten-Speicher und Quellcode. Über eine Videokassette, die er gewaltsam in Max’ neue Körperöffnung einführt,1519 erhält Max, das mittlerweile mehrfach 1519 Dies erinnert an eine fist-fucking-Szene, die nicht pornografisch, sondern fantastisch wirkt. Laut Egbert Hörmann ist das Fisten, das vaginale oder rektale Einführen einer Faust oder eines Unterarms, die einzige neue Sexpraktik, die das 20. Jahrhundert hervorgebracht hat. (Vgl. ders. 1997, 15.) In dieser Gewalt- und Stresssituation schüttet der Körper eine hohe Dosis Endorphine aus, die reichlich Lust 461 heimgesuchte und brutal überreizte, gefolterte und kastrierte Medienopfer, einen Auftrag: Er soll seine beiden Geschäftspartner, Moses und Rafael, umbringen. Als Max versucht, die Videokassette aus seinem Schlitz zu entfernen, gebiert er eine flesh gun, die durch künstliche Schläuche mit seiner Hand (und durch sie hindurch) im Schnelllauf verwächst und (wie später zu sehen ist) einen Fleischklumpen ausbildet.1520 Sein verschwundener Revolver ist damit sozusagen (organprojiziert/ - transformiert) wiedererschienen.1521 Der direkt ins Fleisch eingeschriebene Video- Befehl zum Töten – Max’ Wille ist somit umgangen bzw. ausgeschaltet – wird mit dieser Pistole, sein neues Waffen-Organ, oder auch mit seiner Walter PPK erfolgreich ausgeführt.1522 Das grundlose Attentat geschieht am hellichten Tag bei Civic TV. Tatort ist das Chefberatungszimmer von Max und seinen Gesellschafter-Kollegen, die er dort erschießt.1523 Bianca soll das nächste Opfer sein, doch sie kann Max von diesem despotischen Plan gerade noch abhalten und umstimmen, indem sie ihm Videoaufnahmen präsentiert, die demonstrieren, wie Nicki in videodrome zu Tode gefoltert wurde.1524 Bianca, die gewieft-grausame Frau, nutzt Max nun für ihre verschaffen. In einer Ausgabe des butt-Magazins bezeichnet der Filmregisseur John Waters diese Praktik als ungesund. 1520 Später kommt eine entsicherte Handgranate aus seiner ‚Gebärmutter’ bzw. vagina dentata, die Harlan auf dramatische Weise tötet. „See you in Pittsburgh“, ruft Max dabei. Vgl. zur künstlichen Gebärmutter in Cronenberg-Filmen: Bronfen 1998. 1521 Dieser angewachsene Revolver ist voll einsatzfähig und scheint echte Kugeln abzufeuern. 1522 Die klobig-schleimige Waffe lässt sich nun – im Gegensatz zur handlichen Walter PPK, die man verdeckt am Körper tragen kann – kaum verbergen. Das fehlende dritte Moment in VIDEODROME, das verbindend-verbindliche Symbolische, ist nun zur buchstäblichen und sichtbaren Handfeuerwaffe mutiert; zudem ein krasses Gegenbild zu Ernst Kapps kulturstiftender Hand bzw. zu Adam Smiths unsichtbarer Hand. Max’ Kopflosigkeit hat ihn zur videowahngesteuerten Körper-Waffe bzw. einfach zum (Selbstmord-)Terroristen (wie im Haupttext des folgenden Punktes noch gezeigt wird) gemacht. 1523 Es ist der Raum, ein Besprechungszimmer, in dem die „Samurai Dreams“-Szene stattfand. 1524 In dieser Sequenz kündigt sich bereits Max’ Selbsttötung duch seine flesh gun an, die im nachfolgenden Punkt thematisiert wird: Sie kommt aus dem Rauschen des Fernsehers, ihre Konturen werden in der sich nach außen wölbenden, hautartigen Monitoroberfläche erkennbar. Drei Schüsse fallen, wobei in der nächsten Einstellung Max’ Oberkörper inklusive der Einschusslöcher nun die perforiert-blutende Oberfläche des Bildschirms bildet. Vgl. zu dieser wahnhaften Video-Installation, high art, die Max nur virtuell tötet, die Ausführungen von Michael Fürst. Er schreibt über die emersiven Bilder in VIDEODROME und deren Verhältnis zum Publikum: Ders. 2009, 127-142. Vgl. zum Begriff der Emersion auch die FUNNY GAMES U.S.-Analyse: Pühler 2010, 29 f. 462 Zwecke, nämlich die Ermordung ihres Vaters durch Convex zu rächen:1525 „Sie sind das zu Fleisch gewordene Video. – Nun wissen Sie, was zu tun ist. Gehen Sie an gegen videodrome. Tod für videodrome! Lang lebe das neue Fleisch!“ So ihr Schlachtruf, der – vergleichbar mit Schrebers Offenbarung – eine religiöse, evangelikale Dimension enthält. Max, der Held, wird daraufhin Harlan und Convex ‚zur Strecke’ bringen. Die unbewussten Schaltkreise laufen in ihrer Wahnsteuerung nun einmal mehr wie am Schnürchen bzw. auf Hochtouren,1526 Todesmaschinen bzw. killer apps, vergleichbar mit dem Ende der 120 Tage von Sodom. Spätestens in diesen action-Gewaltszenen zeigt sich der sadomasochistische Konflikt in VIDEODROME nicht nur von seiner medienterroristischen Seite in all seiner kopflosen Brutalität und realen Tödlichkeit, sondern auch in seiner Grundstruktur inklusive sozial-ethischer Bedeutung bzw. Konsequenz: „Der Streit zwischen den beiden verfeindeten Untergrund-Gruppierungen hat sozial- ethische Dimensionen: Während die Seite von Convex die Schwäche der Gesellschaft in einem ‚zu viel’ an Medien sieht und dies durch das Videodrome-Signal zu bekämpfen trachtet, optiert die Seite von Bianca O’Blivion für das Gegenteil: Sie sieht das gesellschaftliche Drama darin, dass die Gesellschaft längst von den Medien abhängig ist und nun unter der ungleichen Verteilung von medialer Information leidet, wie sie Max Renn [...] erklärt.“1527 1525 Es gibt nun also drei Versionen von Brian O’Blivions Tod: 1. Er ist auf einem Operationstisch gestorben. 2. Er wurde von Nicki erwürgt. 3. Convex hat ihn wegen videodrome umbringen lassen. 1526 Sie bilden einen roten, blutgetränkten Faden, eine Spur, die über das Lustprinzips hinaus führen wird. 1527 Vgl. Höltgen 2004, auch unter: http://www.f-lm.de/2004/03/19/»the-retina-of-the-minds-eye«/. Dieses Zuviel oder/und Zuwenig an Informationen, das sich nun im terroristischen Kampf gewaltsam ausagiert, ist bereits in der Anfangssequenz des Films angelegt. Dass es in diesem K(r)ampf völlig kopf- und verstandlos zugeht, ist Cronenbergs scharfer Weitblick auf das terroristische Zeitalter der elekronischen Medien, in dem wir heute leben und das wir sind. Er aktualisiert bzw. radikalisiert dieses Thema, diesen Kampf noch einmal in seinem Spielfilm eXistenZ (1999), wobei nicht mehr die Psychose eines einzelnen gezeigt, sondern das first-person-Prinzip gruppendynamisch erweitert wird. Vgl. Pühler 2006, 136 f. 463 Bis ans Ende der Matrix: Schnittstellenoptimierung/ -eliminierung im Realen In diesem Punkt soll nun noch einmal die Matrix videodrome/Max’ Videowahnsinn struktural durchdrungen, d. h. deren/dessen Schaltprinzipien im hier inszenierten Medien-SM-Spektakel analysiert werden. Waren bei Sacher-Masoch im späten 19. Jahrhundert drei fetischisierte Mutterbilder in einem Schwingkreis maschinell rückgekoppelt, die dann auf einen realen Frauenkörper projiziert wurden, gibt es in der Spätmoderne in VIDEODROME vier Frauentypen, die sich in Max’ Fantasie als selbständige Spielfiguren mit individuellen Charaktereigenschaften, aber anscheinend ohne (bzw. nur mit eingeschränkter) reale(r) Körperlichkeit, Avatar-mäßig auf seinem mind screen in Szene setzen. Masha, Bridey, Bianca und Nicki1528 sind einfach (durch) das Reelle der Videotechnologie, das sie für Max darstellen bzw. ‚verkörpern’, weitgehend ersetzt worden, wobei Masha den höchsten, Nicki den geringsten symbolischen (Rest-)Gehalt aufweist.1529 Masha hat damit sozusagen symbolische Autorität in VIDEODROME, ja sogar eine verlässliche Orakelfunktion. Zwar erkennt Max ihre Autorität an (schließlich weiß sie von videodrome und nennt ihm Brian O’Blivion), hört jedoch nicht immer auf ihre Rede, gerade wenn sie ihn warnt. Max’ radikales videodrome-Begehren, sein sadomasochistisches Fantasma oder Sex-Ideal (Nicki), aber auch sein detektivischer Forscherdrang – was, wo und wie ist videodrome? (Bianca) – ist in diesem Moment schlicht stärker als die gutgemeinten Worte Mashas. 1528 Rena King könnte man hier auch noch anführen; sie spielt in Max’ Fantasma aber nur eine Nebenrolle. Sie ist – vergleichbar mit Masha – ein verständnisvoller, eher mütterlicher Typ. 1529 Es ist zweifellos grausam, Menschen hier wie Objekte bzw. vernetzte gadgets zu beschreiben, aber sie erscheinen Max in VIDEODROME eben nur in dieser technischen Präsenz und Funktion, d. h. als Monitorinhalt und/oder libidinöse Schnittstellen. Harlan bemerkt in dieser Hinsicht gegenüber Max: „Meinst Du, ich bin ein Servomechanismus?!“ (Diese Frage, die im Raum stehen bleibt, lässt sich mit Ja beantworten, auch wenn Max nicht weiß oder ahnt, was das für ihn und andere bedeutet.) 464 Frauen im integrierten Schaltkreis Max’ Spielfiguren, ‚grausame Frauen’ (mit Ausnahme von Masha), die wahrscheinlich alle nur in seiner erregten Fantasie (als Videoprojektionen) existieren, können auf die vier Positionen in Lacans bekannten Schema L einrücken,1530 d. h. auf die vier Plätze dieser Zickzack-Linie, die die (theoretische) Matrix des kybernetischen Unbewussten umfasst (und die Lacan in seinem Sade-Text um die Funktion des Fantasmas erweitert).1531 Das Schema L ist, wie Mai Wegener betont, grafischen Illustrationen des Mathematikers Georges-Théodule Guilbaud (1912- 2008), der zur Kybernetik, Spiel- und Informationstheorie forschte, entnommen.1532 1530 Vgl. zu diesem Schema Lacan 1986 (a), 53; ders. 1986 (b), 81; ders. 1997, 21. Zuerst ist es in Lacans Seminar II am 25. Mai 1955 zur Sprache gekommen: vgl. ders. 1991 (a) 310. 1531 Vgl. Lacan 1986 (b), 144 ff. Nebenbei bemerkt: In Sades 120 Tagen gibt es vier Libertin-Typen, zwischen 45 und 60 Jahren, mit unterschiedlichen individuellen (perversen) Charaktereigenschaften und sexuellen Begierden. 1532 Lacan hatte seinen Lehrer auf dem Gebiet der Kybernetik erst in den 1970er Jahren in seinem Werk namentlich erwähnt, obwohl G.-Th. Guilbaud ihn bereits seit den 1950er Jahren beriet und ihm dabei half, die Psychoanalyse zu kybernetisieren. Guilbaud, der in Paris Statistik lehrte, prägte Lacan vor allem durch sein Bändchen La Cybernétique von 1954, in dem er in all die Themen einführt, die dann beim ‚kybernetischen’ Lacan für Aufmerksamkeit sorgten: „Das Maß der Information, Markow- Ketten, das Problem des Rauschens, der Entropiesatz.“ Dem Wissen und der Genauigkeit Guilbauds ist es wohl hauptsächlich zu verdanken, dass Lacans neue Konjekturalwissenschaft, trotz einiger Rechenfehler, gerade auf ihrer spiel- und informationstheoretischen Basis bis heute eine medienwissenschaftliche Erfolgsgeschichte darstellt. (Damit hat Lacan Freuds Psychoanalyse für die Medienwissenschaft und andere Disziplinen, die dem Geist der Kybernetik entspringen, voll anschlussfähig gemacht.) Der weitsichtige Guilbaud hatte in seinem Werk viele Irrtümer über Kybernetik beseitigt (und damit dem Hype um diese neue Wissenschaft die Grundlage entzogen, womit er sich nicht nur Freunde gemacht hatte – gerade unter seinen KollegInnen). „Entgegen dem emphatischen Ton der Zeit schlägt Guilbaud hier vorsichtige und kritische Töne an. Und noch in einem weiteren Punkt nimmt Guilbaud eine dezidiert kritische Position ein. Er hält nichts von der Rede von den neuen ‚denkenden Maschinen’ und den sich an sie knüpfende Sensationen, das beginnt ‚unerträglich zu werden’, schreibt er.“ Vgl. Wegener 2004, 34 ff.; Zitate von Guilbaud 1954, 8,14 und 133. 465 Lacan ließ sich „durch die kleine Grammatik der Netze, die Guilbaud in seinem Aufsatz ‚La théorie des jeux’ von 1949 seine Leser durchlaufen läßt“, inspirieren.1533 Man stelle sich nun also ein Quadrat vor, in dessen Position rechts unten die weise Masha Platz findet [(A)utre], in dessen diametral entgegengesetzter Position sich die betörende Nicki befindet [Es (S)], um dann genau auf der zwischengeschobenen/ - geschalteten imaginären oder intermediären Ebene dieses Feldes in den Ecken rechts oben [(a)’utre] und links unten [(moi) a] die ordentliche Bianca und die quirlige Bridey aufzustellen, die die unbewusste Relation zwischen (der weitsichtigen) Masha und (der abwesenden bzw. nicht erreichbaren) Nicki herstellen und durchkreuzen.1534 Bianca und Bridey sind die beiden Frauen in VIDEODROME, mit denen Max tatsächlich am häufigsten verkehrt, d. h. praktisch zu tun hat. Von beiden erhält er Videokassetten mit gesprochenen Botschaften. Sie sind seine Vermittlungsinstanz a – a’ bzw. Agentinnen, die die unbewusste Kommunikation zwischen dem verführerisch-bedrohlichen Es (Nicki/videodrome) und dem Wissen und der Struktur des großen Anderen (Masha/VIDEODROME) herstellen, d. h. mit denen sich Max auseinandersetzen bzw. ‚herumschlagen’ muss, um in seinem Begehren weiterzukommen. Sie haben für ihn so etwas wie eine dummy-Funktion. Und tatsächlich ergeben sich dabei auch Schläge bzw. Gewalthandlungen. Denn es scheint, als ob Max Bridey zwei Mal (hintereinander) ziemlich heftig ohrfeigt. (Er verdächtigte sie bei einem ihrer regelmäßigen Besuche, die Kassette mit den videodrome-Aufzeichnungen angefasst zu haben – was zu dieser überstürzten Reaktion führte, die er aber nur halluzinierte).1535 Nachdem Max zur ferngesteuerten Terrorwaffe geworden ist, versucht er Bianca zu töten und liefert sich dabei sogar eine kurze, dramatische Verfolgungsjagd mir ihr. In diesem Verhältnis wild gewordener kleiner anderer wird nicht nur fantasmatische Gewalt entfesselt, sondern es macht sich hier, auf prekärem Partialobjektniveau, auch 1533 Vgl. Wegener 2004, 39 und Guilbaud 1949. 1534 Schon Almut Oetjen und Holger Wacker haben in ihrer VIDEODROME-Analyse die ProtagonistInnen auf die verschiedenen Positionen in Freuds Psychischen Apparat, dem Modell der drei Schichten (Über-Ich, Ich und Es) platziert. Vgl. Oetjen und Wacker 1993, 107. 1535 Nach der ersten Ohrfeige sah Max in Bridey plötzlich (im Gegenschnitt) Nicki, weshalb er noch einmal zuschlug, um dies wieder rückgängig zu machen – mit Erfolg. Eine Einübung. 466 das bereits von Stefan Höltgen diskutierte Zuviel oder Zuwenig an Informationen (das als Grund und Erklärung des freigesetzten Aggressionspotentials in Frage kommt und sich im terroristischen Konflikt radikalisiert), negativ und störend – paranoisch – bemerkbar:1536 So wundert es nicht, dass Bridey Max täglich mit ihren überdrehten Weckruf-Videos inklusive Terminkoordinierungen nervt (was ein ‚Zuviel’ bedeutet, nach dem Max nicht verlangt hat, das er aber auch nicht unterbindet). Demgegenüber kann Bianca als Hüterin ihres väterlichen Wissens auf Videokassetten zwar gewisse Informationen, die er tatsächlich sucht, liefern; doch diese sind so unverständlich, verwirrend oder einfach negativ, dass er damit nicht viel anzufangen weiß (was auf ein ‚Zuwenig’ hindeutet, das Max’ Zustand nur noch verschlimmert: die Video- Botschaft des Gehirntumors).1537 Max’ videodrome-Problem, seine psychische Halt- und Orientierungslosigkeit, besteht nach wie vor darin, dass hier ein regelndes, sprachlich strukturiertes Symbolisches ausbleibt und sogar eliminiert wird. Dies wird in jener Szene am Deutlichsten, als Max mitten in der Nacht aufwacht (er schläft ausnahmsweise einmal nicht vor dem Fernseher) und plötzlich Masha tot – geknebelt und gefesselt – neben ihm im Bett liegt. (Dieser schockierende Vorgang schließt an die Episode mit dem VR-Helm im Brillengeschäft an, als Max Einblick in seine Matrix bekam bzw. gehirnamputiert wurde und Nicki und Masha heftig ‚medial’ auspeitschte.) Der außer sich geratene Max ruft bzw. kommandiert Harlan telefonisch herbei. Dieser soll Beweisfotos von Mashas Leiche anfertigen. Max: „Ich will Bilder!“ Doch als Harlan 1536 Dieses Zuwenig und Zuviel an Information überträgt sich auf der bloßen imaginären Ebene als strukturaler Seinsmangel (Loch- bzw. Leerstelle) und metaphorische Übercodierung (wahnhaftes Signifikat). Medientheoretisch heißt das: „Nun kann jede Maschine auf eine Reihe Relais reduziert werden, die einfach aus Plus und Minus bestehen. Alles in der symbolischen Welt kann mit Hilfe einer derartigen Abfolge dargestellt werden.“ (Vgl. Lacan 1991 [a], 235.) Um dieses Plus und/oder Minus in seiner subjektiven Auswirkung zu begreifen, muss es nicht erst so krass wie in videodrome zugehen, es reicht vollkommen aus, auf die Alltagssprache zu hören: „Das Subjekt sagt immer etwas mehr oder etwas weniger als das, was es ‚sagen wollte’, und in diesem Zusatz wird die ihm selbst verborgene Wahrheit über es ausgesprochen.“ Vgl. Žižek 1991, 32 (der sich hier auf Lacans Ausführungen zu Poes Entwendetem Brief bezieht). 1537 Es gibt noch weitere solcher Vorgänge bzw. Differenzen in Cronenbergs Film, die aufgrund eines Informationsmangels und/oder -Überschusses, aus der Konfrontation zwischen Realem und Symbolischen resultieren, z. B. in der Gegenüberstellung von soft- und hardcore-Elementen. 467 mit professioneller Kameraausrüstung zur Stelle ist, kann er niemanden bzw. nichts Verdächtiges in Max’ Bett und Schlafzimmer finden.1538 Im Gegensatz zu Schreber kommt Max nicht auf die Idee, all diese mysteriösen Vorgänge zu befragen bzw. aufzuschreiben, eben Selbstreflexion mit Hilfe von objektivierender Sprache zu betreiben; stattdessen braucht er einen Zeugen bzw. zweiten Beobachter1539 und viel dringender noch ein weiteres technisches Medium, um mit seinem horror-Chaos irgendwie klar zu kommen (um sich und anderen zu beweisen, dass er sich nicht getäuscht habe und seinen Augen noch trauen kann). Er begreift einfach nicht, dass sich sein Medien-Wahnsinn mit solchen Aktionen nur noch verstärkt. Jochen Gaida erwähnt in diesem Zusammenhang, dass Max noch mehr Gewaltbilder benötigt, um seine Sucht zu stillen,1540 um die hier virulente Tödlichkeit eines in Auflösung begriffenen Symbolischen noch besser goutieren zu können (ähnlich wie die CRASH- FetischistInnen aus Cronenbergs gleichnamigen Film von 1996 Alben mit Fotos ihrer ‚Lieblingsunfälle’ anlegen und sich gegenseitig präsentieren). So greift Max einmal mehr ins Leere und geht dabei mittlerweile auch, eben ohne es zu realisieren, über Leichen – die ihn, ähnlich wie Schreber, dann heimsuchen und auf den Leib rücken.1541 D. h. er dreht sich im closed circuit von Video-Schaltkreisen nur noch psychotisch und unrettbar um sich selbst. Er dringt dabei nicht einfach – wie Scottie in Hitchcocks VERTIGO (1958) – in ein Reich der Toten vor, sondern in jenes der ‚elektromagnetischen’ Zombies, flüchtig hingemachte Videogestalten (die 1983 – so könnten man vielleicht sagen – das fotografische Fantasma der grausamen Frau noch einmal sadistisch für ihn hochleben lassen, kurz bevor es verschwindet und sich auf dem Friedhof bzw. Schrottplatz der Bildmedien entsorgt). 1538 Vgl. Kleist 2002, 35: „Mein Seel, der Platz ist leer“, muss Sosias entsetzt feststellen, als dieser vor seinem Herrn Amphitryon in Kleists gleichnamiger Tragikomödie von 1807 eine versiegelte Kassette öffnet, in dem sich das Diadem des Labdakus befinden soll. 1539 Max nutzt hier seine Chefposition gegenüber Harlan, der ja in der Arbeitshierarchie von Civic TV unter ihm steht, schamlos für eigene Zwecke aus. Selbstverständlich ist Harlan nicht gerade begeistert, als er früh morgens bei Max erscheinen muss. Aber auch er fragt nicht ernsthaft nach, was denn eigentlich los ist, was das soll. 1540 Vgl. Gaida 2002, 51. 1541 Das heißt, um auf den Civic-TV-Werbespot vom Anfang zurückzukommen: Nicht nur einen Sender nimmt Max mit ins Bett, sondern nun auch eine Leiche! Sein Bett wird zum Grab seiner Vertrauensperson. 468 Auch Quentin Tarantino lässt seinen exzessiven SM-Gewaltfantasien ungeniert freien Lauf, wie es u. a. sein Film DEATH PROOF (2006) deutlich zeigt. Auch hier – das hat dieses Werk mit VIDEODROME gemeinsam – geht es um vier Frauen in einem technischen Dispositiv, mit denen der männliche Held, ein alternder Stuntman, sein despotisch-fatales Spiel treibt. „Im ersten Teil des Films verfolgt der ehemalige Stuntman Mike vier Frauen, die er durch einen absichtlichen Zusammenstoß mit seinem ‚todsicheren’ Auto, wie es für Stunts bei Filmproduktionen verwendet wird, umbringt. Im zweiten Teil findet er neue Opfer – diesmal vier Frauen aus der Filmbranche. Sein geplantes tödliches ‚Autospiel’ missglückt, die Verfolgungsjagd kippt um und es sind jetzt die Frauen, die den Mörder bis zu seinem Tod jagen.“1542 So sehr diese „Frauen im integrierten Schaltkreis“1543 bei Cronenberg (oder bei Tarantino im crash test) auch männlicher Lustgewalt ausgesetzt sind und so einmal mehr die bereits viel diskutierte Metapher der phallischen und kastrierten Frau (als fetischisierte Maschinenfunktion/mediale Schnittstelle) ins Spiel kommt, ist VIDEODROME in dieser Hinsicht dennoch differenzierter als das, was in der Literatur Sacher-Masochs, Sades oder der Freud-Lacanschen Psychoanalyse über Frauen (und auch Männer) in dieser Hinsicht behauptet wird. Denn David Cronenberg ist der erste Protagonist im Kontext der vorliegenden Arbeit, der nicht nur männliche Unsicherheit und Angst vor Frauen in vielen seiner Werke sadomasochistisch inszeniert, sondern diese eben auch als eigene Angst ehrlich benennt und 1542 Gradinari, 2011, 357. 1543 Vgl. Haraway 1995, 33. Haraway spricht in ihrem Cyborg-Manifest also auch schon eine sadomasochistische Fantasie (ironisierend) an (was nicht verwunderlich ist, da die Cyborg in ihrer Technizität ja selbst grundlegend pervers ist; ebd. 35). Dieses unbewusste, sehr männlich geprägte Frauen-Maschinen-Schaltkreis-Denken, dem Frauen ausgesetzt sind und das sie nur zu gut in praktischer Anwendung, im täglichen Umgang mit Männern (und Frauen) kennen, ist also gewiss nicht nur auf dem Feld der SM- oder Cyberpunk-Literatur bzw. -Szene in der Postmoderne vorherrschend. Marie-Luise Angerer glaubt, dass Frauen aufgrund dieser historischen (Negativ-)Erfahrung und ihres daraus resultierenden Wissens einen Vorteil bzw. einen Vorsprung im Umgang mit neuen Digitalmedien haben, den es nun für sie – Cyborg-like – zu nutzen gilt. Vgl. Angerer 2000 (a), 215. 469 kennzeichnet.1544 Er verortet sie im unbewussten Begehren (seiner) männlicher(/n) Heterosexualität: „It’s very difficult to divine what’s unconscious and what’s conscious, but if you were to find by analysing my films, for example, that I’m afraid of women, unconsciously that is, I would say, ‚Ok, so what? What’s wrong with that?’ If I am an example of the North American male, and my films are showing that I’m afraid of women, then that’s something which could perhaps be discussed, perhaps even decried. But where do you really go from there? I would never censor myself. To censor myself, to censor my fantasies, to censor my unconscious would devalue myself as a film-maker. It’s like telling a surrealist not to dream. The way I portray women is much more complex than any ideological approach is going to uncover. The advertisement says that the image of a woman sitting on top of the car in a bathing suit is what a woman should aspire to.1545 This is more insidious.“1546 1544 Vgl. Riepe (2002 [a], 207), der Cronenbergs Frauen-Figuren als zentrales Thema im Werk des kanadischen Filmemachers betrachtet. Sie erscheinen hier für die Weltordnung des Mannes bedrohlich. „Nicht in allen Filmen wird gleichermaßen deutlich, daß dieses bedrohliche Moment aufs engste mit der Sexualität der Frau verknüpft ist – unübersehbar ist jedoch, daß die jeweiligen Katastrophen ausgelöst werden, wenn sich die Geschlechter auf dem Feld der Sexualität, der Liebe und des Begehrens ‚begegnen’.“ Begegnen heißt hier, so möchte ich postulieren, einen crash test (unbewusst) durchzuführen. 1545 Hier spricht Cronenberg das fetischistische bzw. masochistische Fantasma der Mechanische[n] Braut (McLuhan 1949) an, die (nicht nur bei McLuhan) ikonisch die Kühlerhaube von Autos ziert und gleichsam so etwas wie die Galionsfigur des nordamerikanischen, motorisierten Individualverkehrs darstellt. (Vgl. McLuhan 1995, 332 ff. und 1996, 132.) In verführerischen Frauenbeinen, die auf einem Werbefoto abgebildet sind, erkennt der sexistische McLuhan „Ausstellungsstücke“, die ihn an den „Kühlergrill eines Autos“ erinnern. „Sie weiß, daß einem ‚scharfen Gestell alle Türen offen stehen’“ usw. (Die mechanische Braut leidet also daran, dass der Sexismus der US-amerikanischen Volks- und Konsumkultur, den McLuhan an ihr beschreibt und zu kritisieren versucht, von ihm selbst – in seinem eigenen fetischistischen Begehren und Denken – nicht überwunden wird.) Quentin Tarantinos DEATH PROOF zeigt zu Beginn attraktive weibliche Beine bzw. Füße ausgestreckt auf dem Armaturenbrett eines Autos, dann also im Innenraum des PKWs. (Attraktive weibliche Körperteile lässt Tarantino, der wie Cronenberg die Fetisch-Funktion durchschaut, dann aber im Verlauf des Films herausreißen oder verstümmeln – (s)ein Anti-Sexismus-Mittel, das die Gewalt wiedergibt, die dieser Sexismus enthält bzw. codiert.) Jacques Lacan hat sich ebenfalls von derartigen SM-Fantasien einnehmen lassen, zwar nicht so gewalttätig, aber immerhin behauptete er noch in den 1970er Jahren, als der Feminismus in der Gesellschaft längst auf breiter Basis angekommen war, auf einem internationalen Fachkongress der 470 Auch wenn sich Cronenberg hier ein wenig rechtfertigt (was er doch gar nicht müsste), geht es ihm darum zu zeigen bzw. nachdrücklich zu betonen, dass technisch erzeugte Gewalt-Lust-Fantasien um Weiblichkeit (auch und gerade im Sinne von Guattaris oder Schrebers becoming woman – ein Begriff, der bereits weit über gender hinausgeht) nichts Ungewöhnliches sind, spuken sie doch seit Jahrhunderten – Ewigkeiten – im kollektiven Unbewussten munter herum.1547 Daran wird sich vorerst wahrscheinlich nicht viel ändern, d. h. dass diese SM-Fantasien im spektakulären Spiel des Technoimaginärem nach wie vor darauf drängen, anerkannt zu sein. Dabei macht Cronenberg klar, dass es in dieser Hinsicht (auf der Suche nach Anerkennung und ebenso lebensnotwendiger sexueller Erfüllung bzw. Intensität/dem Begehren nach sich selbst) vergebens und meist fatal ist, wie Max vorzugehen (also dabei stets nur technische Medien und Apparaturen als Selbsttechnik anzuwenden bzw. konsumistisch zu benutzen.) Das ist so etwas wie die Moral in Cronenbergs Film, dieser Geschichte, die keine mehr ist. Diese Moral wird nicht, wie Max es tut, mit erhobenem Zeigefinger und lauter Stimme autoritär kommuniziert, sondern eben sehr subtil und leise, aber dennoch deutlich wahrnehmbar. Den ‚kranken’ horror, den Max produziert/konsumiert, wünscht Cronenberg niemanden. Cronenberg verdeutlicht bzw. visualisiert folgende Aussage aus dem Anti-Ödipus, die für (klassischen) SM zentral ist: „[D]ie Individuierungen treten nur in ausdrücklich durch intensive Erschütterungen definierten Kraftfeldern auf, die grausame Figuren einzig als induzierte Organe, Teile von Wunschmaschinen (die Mannequins) antreiben.“1548 So sehr die verschiedenen Frauentypen in VIDEODROME auch penetriert, malträtiert, gefoltert und getötet werden – man hört förmlich den feministischen Aufschrei in diesen Momenten – darf erstens nicht vergessen werden, dass Max und Psychoanalyse in Rom: „Kein Zweifel darüber, daß man ein Auto wie eine Ersatzfrau besitzt.“ Vgl. Lacan 1975, unter: http://www.valas.fr/Die-Dritte,019 1546 Vgl. Rodley 1997, 99; Zitat von Cronenberg. 1547 Diese Fantasien müssen mit Notwendigkeit gezeigt bzw. aktualisiert werden, damit jede/r Interessierte wissen kann, was im kollektiven Unbewussten los ist (oder was nicht los ist). 1548 Deleuze und Guattari 1977, 110 (sie reden an dieser Stelle über Artauds Theater der Grausamkeit). 471 andere Protagonisten in VIDEODROME der gleichen medialen Härte und Gewalt ausgesetzt sind (auch sie sind mehr oder weniger traumatisierte crash test dummies); zweitens, damit zusammenhängend, dass all das eine unbewusste, angstbesetzte SM- Fantasie in Max’ ziemlich gestörtem first-person-Video-Delirium, das er nicht- wissend fetischisiert bzw. unbewusst forciert, ist; und drittens, dass Frauen in Cronenbergs Film eben auch, wie es schon der klassische Masochismus gezeigt hat, äußerst produktive Seiten aufweisen, neben der Erotik z. B. Versöhnendes, Heilendes und Zukunftbringendes – Neues und Vielversprechendes (‚Neues Fleisch’) – ausstrahlen und dabei selbst aktiv und spielerisch handeln.1549 Sie sind die Erfahrenen und deshalb die Wissenden in VIDEODROME, handeln danach und berichten ehrlich davon. Sie können dabei auch grausam sein. Demgegenüber ziehen die Männer in Cronenbergs Szenario (nicht nur) in dieser Hinsicht den Kürzeren.1550 Kein Wunder also, wenn die VIDEODROME-Frauen dieser masochistischen Tradition, Retterinnen in der Not (der Männer) oder zumindest verlässliche Ansprechpartnerinnen zu sein, mehr oder weniger folgen. Sie sind nicht nur sehr kommunikativ bzw. kooperativ, sondern besitzen zudem eine ausgeprägte soziale Ader (und, wie im Fall von Masha, Rena und Nicki, sogar mütterliche Qualitäten)1551: Nicki ist Moderatorin zur Rettung der Gefühle im Radio; Masha hat immer ein Ohr und einen guten Ratschlag für Max, ihr Sorgenkind; und auch Bridey ist immer sehr 1549 Diese Projektionen und Zuschreibungen sind natürlich sehr problematisch, da sie hier männlich- masochistischen Vorstellungen entspringen/entsprechen und den Frauen einfach angedichtet/aufoktroyiert worden sind. Aber wenigstens sind diese Klischees nicht destruktiv, was vor dem Hintergrund der hier diskutierten SM-Gewalt zu betonen ist. Ist es nicht so, dass jeder Mensch zum Existieren Eros, (Seelen-)Heil und Zukunftsperspektiven, Begriffe, die im Spiel bleiben müssen (becoming woman), benötigt? Dies sind universale Werte. Man könnte dann vielleicht von positiver Diskriminierung der Frauen sprechen, wiederum ein ‚Zuviel’, das dem ‚Zuwenig’ ihrer schlechten Behandlung bzw. nach wie vor gesellschaftlichen Benachteiligung gegenübersteht.) 1550 Sei es Brian O’Blivion als ‚phrasenklingelnder Papagei’, Convex als ‚flüchtig hingemachtes Männchen’ oder Harlan in seiner lächerlichen bzw. bedauernswerten Unterwürfigkeit gegenüber seinem Chef, Max. 1551 Wenn man will, könnte man mit diesen drei Frauen die klassisch-masochistische Trias, die aus drei Mutterbildern zusammengesetzt ist, rekonstruieren. Wichtiger ist in diesem Zusammenhang, in der Postmoderne, aber die Schaltkreis-Matrix, die sich aus vier Positionen (vier Frauen in VIDEODROME) ergibt und das klassische Maso-Schema aktualisiert und ablöst/schließt. 472 bemüht (manchmal zu bemüht) um das Wohlergehen ihres chaotischen Chefs, den sie verehrt (heimlich liebt?). – ‚Soziale Verantwortung’ war sogar Diskussionsthema in Rena Kings (leicht aus dem Ruder gelaufenen) TV-Talkshow. Bianca widmet sich diesem Topos ganz besonders intensiv und gewissenhaft, betreibt sie doch neben dem Videoarchiv noch eine Art „Video-Suppenküche“,1552 die Kathodenstrahl-Mission, die ebenfalls von ihrem Vater ins Leben gerufen wurde. Mit dieser fast schon kirchlich anmutenden Institution, in der Bedürftige ihre tägliche Ration Fernsehen und etwas Warmes zu Essen bekommen (mehr braucht das verwahrloste telematische Subjekt anscheinend nicht), versucht sie, dem Zuwenig (an Information) im visuellen Medienzeitalter karitativ zu begegnen. Sie glaubt, einen Resozialisierungseffekt durch Fernsehen zu erzielen.1553 Das ist gleichsam die Mission, der unbewusst-drängende Signifkant oder die verschlüsselte Botschaft in VIDEODROME, die David Cronenberg in seinem/Max’ technoimaginärem Hyperraum der Überinformation/ - stimulation entwirft: eine Resozialisierung (im Sinne eines Selbstbewusstseins, einer Ich-Werdung, eines vollen Sprechens, eines erfüllten, d. h. aufregenden Sexlebens mit anderen/mit dem Anderen etc.) zu bewirken, die aber (und das ist Max’ bzw. Biancas Kardinalfehler) nicht nur mit technischen(/m) Medien (-Wissen) allein zu bewerkstelligen ist. Medien, alle, können aber, wenn man sie richtig (d. h. im/mit eigenen/m Begehren) zu nutzen weiß, sehr behilflich bei dieser Resozialisierung – der sozialen Lustoptimierung – sein. Darum geht es in VIDEODROME, darum geht es in dieser Arbeit. Das darf auf keinen Fall, trotz aller Kritik, hier vergessen oder übersehen werden.1554 Dass es allen Protagonistinnen, damit vor allem Max, tatsächlich wichtig ist, etwas Gutes oder Sinnvolles zu tun, d. h. das dritte Moment (z. B. als regelnde Übereinkunft) im sozialen Miteinander bzw. gesellschaftlichen (Informations- 1552 Gaida 2002, 44. 1553 Ebd. 1554 In der Kathodenstrahl-Mission sitzen die medial Benachteiligten in abgetrennten Separees allein vor dem Fernseher – weitere Beispiele für das medial wegdämmernde, einsame Subjekt (Max): „Soll nach Freud dort, Wo es war, Ich werden, so kommt bei Cronenberg kein Ich mehr an, sondern ein serielles Individuum, das die seinem Leib eingeschriebene Formel des Wissenschaftsdiskurses [im weiteren Sinne des medialen Aprioris (Anmerkung S. P.)] agonal reproduziert.“ Riepe 1996, 2. 473 )Verkehr zu erreichen,1555 zeigt sich schon daran, dass alle Medien-Einrichtungen in VIDEODROME mit dem dritten Buchstaben des Alphabets anfangen: C-RAM, Civic TV, Cathode Ray Mission.1556 Allerdings muss relativierend eingewendet werden, dass das C, das eben für Civic (etwas Bürgerlich-Gemeinnütziges) steht, eher nur ein Platzhalter oder Wunschdenken ist. Denn die Realität für Max in VIDEODROME, videodrome, demonstriert meistens das Gegenteil: medial-räumliche Isolation, schmerzvolle Vereinsamung, unkontrollierbare Körpergewalt, Selbstdestruktion und Ich-Auflösung, katastrophé. Trotzdem wird klar, dass Max durchaus so etwas wie einen ethischen Anspruch hat und auch bis zum Schluss verfolgt. Er ist z. B. fest davon überzeugt, dass die Gewaltsendungen, die er über Kanal 83 ausstrahlen lässt, dabei helfen, die Gewalt in der Gesellschaft einzudämmen, d. h. „meinen Zuschauern ein harmloses Ventil zu geben für ihre Fantasien und 1555 Die Struktur sozialer Wechselwirkung, das „Spiel zu Dritt“, hat sich bereits, wie Eleonore Kalisch mit Adam Smiths Theorie des mitfühlenden Beobachters belegt, im 18. Jahrhundert im Theater und in der commercial society herausgebildet. Hegel hat es in seiner Herr-und-Knecht-Dialektik von 1806 bereits sehr phänomenologisch fortgeschrieben, ebenso Lacan, der es in seine Theorie des Imaginären in den 1930er Jahren implementierte und damit die Grundlage für sein strukturalistisch-kybernetisches Denken in den 1950er Jahren schuf. Vgl. Kalisch 2006 und Pühler 2008, unter: http://www.avinus-magazin.eu/2008/09/24/puhler-simon-uber-von-der-okonomie-der-leidenschaften- zur-leidenschaft-der-okonomie-adam-smith-und-die-actor-spectator-kultur-im-18-jahrhundert-von- eleonore-kalisch-24092008/ 1556 Almut Oetjen, Holger Wacker und Jochen Gaida weisen darauf hin, das C-RAM auch als Abkürzung für Cathode Ray Mission gelesen werden könnte. (Vgl. Gaida 2002, 44 und Oetjen und Wacker 1993, 110.) In dieser Reihe der Medieninstitutionen C-RAM (Nicki), Civic TV (Max), Cathode Ray Mission (Bianca) steht Max zwischen zwei Frauen; dies wäre also die Umkehrung der klassischen masochistischen Konstellation (Wechsel der ‚Vorzeichen’ [Frau/ Mann]), die vorsieht, dass eine Frau zwischen zwei Männern steht, die sie nach deren Spielregeln manipulieren kann. Max begehrt in seinem Fantasma Nicki (C-RAM) und Bianca (Cathode Ray Mission) am meisten: Nicki wegen ihrer sexuellen Ausstrahlung, Bianca wegen ihres videodrome-Wissens. Nicki und Bianca geben Max’ unbewusste Ich-Funktion zwischen Radio und Video wieder, eine Funktion, die er im Fernsehbild fetischisiert (zu fixieren versucht) und die im Code-Kürzel C-RAM verschlüsselt operiert. (C-RAM or Counter-RAM [Counter Rocket, Artillery and Mortar] ist auch ein 15 Millionen Dollar teures Raketenabwehrsystem, wie es vor allem im zweiten Irakkrieg zum Einsatz kam. Zudem ist RAM „in der Informationstechnik die Abkürzung für Random Access Memory, der Arbeitsspeicher eines Computers. Random Access ist als zufälliger Zugang, die Art und Weise, in der der Mustermensch des Fernsehzeitalters auf sein Gehirn zugreift, dessen einer Teil Arbeitsspeicher ist.“ Vgl. ebd. 110.) 474 Frustrationen. Es ist eine positive Sache. – Lieber im Fernsehen, als auf der Straße“, wie er bei Rena King sagt und damit nicht Unrecht hat, was allerdings gerade nicht für ihn selbst gilt. Er ist die Ausnahme seines eigenen Diskurses und der damit zusammenhängenden Gewalt-Praxis, die bei ihm auf jeden Fall medieninduziert ist. (Beispiele: Auf die ‚blutende’ Softporno-Fotografie folgt das Ohrläppchen-piercing bei Nicki [als Sex-Spielart – gewolltes Antesten von SM], auf Max’ öffnende Bauchspalte, vagina dentata, dann ungewolltes fist-fucking mit Videokassetten und Handfeuerwaffen [als brutale hardcore] usw.) Das soll nicht heißen, dass (zuviel) Medien-Gewalt-Konsum prinzipiell solche SM-Formen – Höllenfahrten und wuchernde Mutationen – bewirkt. Dieser muss nicht zwangsläufig zu (Terror- )Gewalt, Folter und Mord führen. Trotzdem existiert diese (potentielle) Gefahr einer real-verführerisch-perversen Lust, wie sie Rena King bei Max bereits sah und unbewusst ansprach, und ist deshalb in ihren individuellen wie gesellschaftlichen Symptomen, die Cronenberg unmissverständlich und weitsichtig in VIDEODROME inszeniert, ernst zu nehmen. So sehr sich dieses Netzwerk verschalteter Frauen, das Max in seinem Wahn unbewusst entwirft und Kurzschluss-mäßig durchläuft, auch bemüht, sich einen sozialen Anstrich zu geben, ist es dennoch, wie beschrieben, von vornherein zum Scheitern bzw. crash verurteilt. Wie die Venus im Pelz und Die 120 Tage von Sodom endet es grausam-fatal. Der Arbeitstitel des Drehbuchs zu VIDEODROME, an dem David Cronenberg bereits seit der Produktion von SHIVERS, seinem ‚orgiastischen’ Spielfilm-Debüt bzw. internationalem Kulturschock von 19741557 geschrieben hatte 1557 Wo in VIDEODROME eine künstlich erzeugte Gebärmutter, die sich als vagina dentata erweist, im Mittelpunkt steht, hatte Cronenberg demgegenüber in SHIVERS einen aggressiven biomedizischen Parasiten entworfen. Bei diesem grotesken Zusatzorgan handelt es sich um einen fleischgewordenen, rötlich-schwarz glänzenden Phallus, der die Erfindung eines mad scientist darstellt. Dieser schleimig- ätzende Parasit, der in seiner ekligen Erscheinung nicht von einem Ausscheidungsorgan bzw. ausgeschiedenem Exkrement zu unterscheiden ist (sozusagen ein fäkales, lebendig gewordenes Möbiusband), soll, nachdem er in den menschlichen Körper implantiert wurde, kranke Organe ersetzen, so zumindest der Plan. Doch das Experiment, das in einer sterilen Hochhausarchitektur – die Versuchsanordnung – stattfindet, geht schief. Der sich im Körper vermehrende, wandernde und hochinfektiöse Parasit, den Dr. Elmore Hobbes an seiner jugendlichen Freundin zum ersten Mal getestet hat, erweist sich als gehirnlähmendes, aufputschendes Aphrodisiakum, das sich rasch im Apartmentkomplex verbreitet und die gesamte Lokalität in eine Orgie aus Sex, Spiel, Gewalt und Tod 475 (und es sogar noch während der Dreharbeiten ständig veränderte), trug den Arbeitstitel Network of Blood (dies stand also von Anfang an fest).1558 Auch hier offenbart sich einmal mehr die intuitive Weitsicht das kanadischen Regisseurs: Macht er doch nicht nur auf das beginnende technologische Netzwerk-Zeitalter (das sich bereits in jugendlichen Video- und Hacker-Cliquen der 1980er Jahre ankündigt und herausbildet)1559 aufmerksam, sondern illustriert in radikaler Konsequenz, dass medial organisierte und geprägte Netzwerke gewiss nicht nur gemeinschaftsstiftenden oder sozialen, sondern eben auch dissoziativen oder gar despotisch-destruktiven Charakter haben können.1560 (Fiktive) Beispiele, die man vielleicht als Vorläufer solcher Netzwerkstrukturen, in denen gewisse Subversionen gepflegt werden und neu entstehen, in Betracht ziehen könnte, sind bereits in der klassischen SM-Literatur zu finden: etwa Sades abgeschottete Haus- bzw. Schicksalsgemeinschaft auf Schloss Silling im tiefen Schwarzwald während der Wintermonate, wie er sie in Die 120 Tage von Sodom ethnografisch beschreibt; oder die nomadischen „mystischen, erdverbundenen Sekten“, die von Frauen angeführt werden, eine romantische Vision, verwickelt. Die BewohnerInnen mutieren, nachdem sie sich angesteckt haben, zu Lust-Zombies, die enthemmt übereinander herfallen und nun (zum ersten Mal) ihre (heimlichen) SM-Lüste ausleben. Dieser Kultfilm und Kassenschlager wurde in 14 Sprachen übersetzt und in mehr als 35 Länder verkauft. Der Kulturschock, den SHIVERS laut Martin Scorsese weltweit auslöste, ist wohl darauf zurückzuführen, dass im (horror-)Film (im Gegensatz zur Bildenden Kunst [vgl. u. a. die vorzüglichen Zeichnungen von Hans Bellmer oder heute von Ralf Ziervogel]) ‚sadistische’ Partialorgane noch nie so deutlich und folgerichtig in ihrer Funktion ausgestellt wurden. Es handelt sich hier um Cronenbergs Skatologie des gerade begonnenen Organtransplantationszeitalters der high tech-Medizin. Vgl. Pühler 2006, 61-98. 1558 Die Grundidee von Network of Blood war ein „unabhängiger Fernsehproduzent[], der bei einem Privatsender auf eine reiche Klientel trifft, die für extreme Sex- und Gewaltdarstellungen hohe Summen zahlt. Eine zentrale Rolle spielte dabei der Videorecorder.“ Vgl. Riepe 2002 (a), 87. 1559 Vgl. zur Hacker-Szene der 1980er Jahre in Deutschland bzw. im Umfeld des Chaos Computer Clubs (CCC) den Spielfilm 23 – NICHTS IST SO WIE ES SCHEINT (1998, Regie: Hans-Christian Schmid), ebenfalls ein Paranoia-Film. 1560 Das Motto von David Finchers THE SOCIAL NETWORK zu Facebook lautet: „Wenn man 500 Millionen Freunde hat, ist es klar, dass man sich ein paar Feinde schafft.“ Oder mit Thomas Macho formuliert: „Wer die Dinge beseelt, muss auch mit ihrer Feindschaft rechnen.“ Vgl. Macho 2005; zitiert nach Bitsch 2009, 267. 476 wie sie Sacher-Masoch in den Romanen Die Seelenfängerin und Die Gottesmutter imaginierte.1561 Das, was Cronenbergs bzw. Max’ Netzwerk in VIDEODROME von einem heutigen ‚sozialen’ Netzwerk wie Facebook im Internet (noch) unterscheidet, ist die hier fantastisch inszenierte interface-Transformation vom Reellen (Oberflächen-/ Bildsimulation) zum Realen (biotechnologische Körpersimulation/ Synthetische Biologie/ künstliche Gebärmutter).1562 Diese Schnittstellen-Optimierung eines sadomasochistisch gesteuerten Programms manifestiert sich vor allem in Max’ neuer Körperöffnung, seiner Vagina-artigen Spalte im Bauch. Die virtuelle Spiegelmatrix wird hier fleischlich und sichtbar, offenbart sozusagen ihre technisch-‚organische’, nicht greifbare ‚Basis’, das (sonst) unsichtbare Medium des Realen (umgekehrt gedacht: das ‚Plasma’ des Reellen), in dem sie (dann nicht mehr [störungsfrei]) läuft. Die Nullstelle, die die Voraussetzung des digitalen Matrix-Denkens (z. B. in Form von Binärziffern oder (Basen-)Tripletts des genetischen Codes) bildet, ist bei Cronenberg sozusagen zu einem ambivalent-hybriden, männlich-weiblichen Körperloch mutiert, das eine visualisierte Erweiterung der porösen Matrix-Struktur darstellt und dessen durchlässige und dehnbare Funktionen in den blasenartigen Monitor-/ Bild-/ Körpermembran-Installationen in VIDEODROME wiederholt vorgeführt werden. Damit unterläuft Cronenberg wirksam das cartesianisch geprägte, meist zwangsneurotische, männlich dominierte, dualistisch operierende Phallus- Denken, wie es sich z. B. in gender-Konstruktionen bis heute hartnäckig hält: ein Testbild in schlechter Dauerwiederholung, das bei Cronenberg seinen Geist aufgibt. Der Geschlechterbildende Phallus, die Geschlechterkrankheit der Moderne, ist hier schon ziemlich porös geworden und fließt buchstäblich auf libidinösem Niveau aus (flux libidinal); verschwindet aber nicht, sondern transformiert sich in sadistische Partialobjekte, die als Körperwaffen wiederkehren und zum terroristischen Einsatz kommen, wobei die Schuss- bzw. choc-Metapher ins Spiel bzw. zum Zuge kommt.1563 1561 Vgl. Deleuze 1980, 246. 1562 Vgl. zur Herkunft der Biotechnologien aus dem Geist der Kybernetik: Mainzer 2011 und Kay 2001. 1563 Vgl. in diesem Zusammenhang zur Metapher des Schießens in der masochistischen Lust-Ökonomie 244 (Fußnote 788) in dieser Arbeit. (Der Schuss, der sein symbolisches Ziel nie erreicht [hat].) Oder vgl. Kittler, der von „der Schußlinie technischer Medien“ spricht, in die Subjekte (z. B. als „motorisierte Spiegelbilder“) geraten: Kittler 1986, 224. 477 – Schon „Benjamins anthropologischer Materialismus, schreibt Norbert Bolz, [begreift] [...] Technik als Organ eines sadistisch ummontierten Menschenleibs“.1564 Max’ neues Körperloch erscheint nicht nur in der Mitte seines Körperbildes (vgl. Ernst Kapps Anmerkungen zum Spielraum des ‚Goldenen Schnitts’),1565 sondern steht auch – in räumlicher wie semiotischer Hinsicht – im Mittelpunkt, im leeren Zentrum des Films. Einerseits zeigt Cronenberg, wie sich Bewusstseinslöcher (Null- und Leerstellen) in der Moderne virtuell zu einem erweiterten Körperloch (-phi) spektakulär verschalten können, das dann unbewusst begehrt und meist fetischistisch- maschinell zu fixieren versucht wird. Andererseits lüftet er demzufolge das Geheimnis des medialen Fetischs (und damit auch des Ich-Projektionsapparats): ein obszön-hypertrophes Körperloch (und eine unbewusste Blende)1566 – etwas, das 1983 eher noch weiblich aussieht, realiter a ist, und das dann sadomasochistisch (heute z. B. biotechnologisch) bearbeitet und erschlossen wird (und sich bei Cronenberg oder im klassischen SM als unkontrollierbar erweist). Cronenbergs grotesk-löchrige Techno-Fantasien sind nicht nur ein gewaltiger (Lust-)Widerstand, sondern immer auch Aufklärung und Kritik an bereits vorhandenen bzw. zukünftigen Medienentwicklungen und -diskursen. Sie bieten dafür einen (hypothetischen) Möglichkeitsspielraum (Was wäre wenn ...?). Dieses sich öffnende Matrix-Loch ist in VIDEODROME vor allem ein Resultat der unvermittelten, nicht-symbolisierten Intermedialität zwischen Film und Video beim Medienwechsel von Film zu Video in den frühen 1980er Jahren: eben Max’ Wahrnehmungsbruch zwischen Analogem und Digitalem, sein unaufhaltsames délir zwischen Reellem und Realem. – „Medientransposition“ muss eben, nach Kittlers Worten, „von Fall zu Fall Löcher 1564 Vgl. Schumacher 2001, 73 und Bolz 1990, 95. 1565 „Die Unterscheidung zwischen Ober- und Unterkörper ist die Gürtelregion. Sie wird durch die zwischen den untersten Rippen und dem Kamm der Hüftknochen befindlichen Lücke gebildet. In diese Lücke fällt die Theilung durch den Goldenen Schnitt, und zwar nicht ohne einigen Spielraum, welchen auch hier ‚das Gesetz der gestaltenden Natur gestattet, damit auf diese Weise die stereotype Gleichförmigkeit vermieden werde’. Als oberste Grenze des Spielraumes markirt sich die Taille, ‚während sich der nicht selten etwas tiefer, d. h. ein wenig unterhalb des Goldenen Schnittes liegende Nabel als Schwerpunkt dieses Spielraums darstellt’.“ Kapp 1978, 223 f.; Zitate darin von Johannes Bochenek (ohne Werkangabe). 1566 Diese Kamera-ähnliche Blende ist deutlich außen an Convex’ VR-Helm zu erkennen. 478 lassen“.1567 Dies gilt, wie Cronenberg nicht nur in VIDEODROME verdeutlicht, ganz sicher auch für technologisch manipulierte Körper(bilder). Flechsig–Schreber–Freud: ein SM-Netzwerk der Jahrhundertwende Schon in den unbewussten Übertragungsbeziehungen des Nachrichtennetzwerks Flechsig–Schreber–Freud, wie es Roberto Calasso in seiner geheime[n] Geschichte des Senatspräsidenten 1974 entdeckt und diskursiv beschrieben (und wie es Kittler danach bezeichnet)1568 hat, spielte technische Gewalt im Zusammenhang mit erweiterten Körperöffnungen, weiblichen Geschlechtsorganen, eine bedeutende Rolle, nicht nur wunderbar-fantastisch in Schrebers Fantasie, als Seelenwollust im plus-de- jouir, sondern eben auch sehr real-sadistisch, als chirurgische Praxis an psychiatrisiert-hysterischen Frauen. Denn Paul Emil Flechsig fertigte in seiner Nervenforschung nicht nur Schnittpräparate von menschlichen Gehirnen an, sondern war bei drei seiner Patientinnen, denen er „melancholische, maniakalische, leichte paranoische Zustände“ attestierte, zur „Castration“ übergegangen.1569 Flechsig, der Psychiater-Chirurg, hatte diesen Patientinnen die Ovarien oder gleich den Uterus herausoperiert. Seine Begründung: „Würde die Sexualaffektion nicht beseitigt, so war die Kranke mutmaßlich einem uneinheilbaren Siechtum verfallen, das jeden Lebensgenuß unmöglich machte. Auf Grund dieser Erwägungen wurde am 10. Juli [1883] zur Castration geschritten.“1570 (Höchst erstaunlich bzw. verdächtig an Flechsigs Aussage ist natürlich, dass er hier von der [Rettung der] Lust der Patientin und eben nicht von der eigenen [die sozusagen auf dem nicht-realisierten ‚Siechtum’ phallischer Zwangsvorstellungen basiert] spricht – einmal mehr eine klassische Projektion auf die Frau, die dann [nicht mehr nur im männlichen Blick] kastriert wird. Man beachte hier auch das Passiv im zweiten Satz).1571 Obwohl weder von gynäkologischer noch von psychiatrischer Seite irgendein Wissen zu dieser Methode 1567 Vgl. Kittler 2003 (a), 322. 1568 Vgl. Kittler 1984 und Kittler 2003 (a), 356, Fußnote 138. 1569 Vgl. Flechsig 1884, 468; zitiert nach Calasso 1980, 41 f. 1570 Vgl. Flechsig 1884, 437; zitiert nach Calasso 1980, 40. 1571 Es wundert dann nicht, dass – wie Roberto Calasso anmerkt – Freud (und ebenso Schreber) Flechsig als „lebendige Projektion“ wahrnahm. Vgl. ebd. 38. 479 vorlag, war der forsche Flechsig einfach auf gut Glück bzw. nach Gutdünken vorgegangen. Mindestens ebenso wenig gesichertes Wissen gab es 1883 darüber, ob die psychischen Defekte der HysterikerInnen oder anderer Nervenkranker tatsächlich – wie damals angenommen – eine organische (ererbte) Ursache,1572 u. a. in den von der modernen Medizin bis heute fetischisierten (weiblichen) Geschlechtsorganen bzw. -zellen haben.1573 Das war ja ebenfalls nur pure Spekulation bzw. ein Mythos. Und trotzdem hielt dies Flechsig nicht davon ab – auch wenn er anfangs etwas zögerte –, einige seiner Patientinnen im Namen der Wissenschaft sadistisch zu verstümmeln.1574 Dieses (im schlechtesten Sinne) perverse Denken, diese irrsinnig-brutale Praxis bringt David Cronenberg in seiner Gynäkologen-horror-Tragödie DEAD RINGERS (1988) auf den Punkt. Manfred Riepe schreibt: „Den Fehler suchen die Ärzte nicht in ihrer Methode, sondern im Untersuchungsgegenstand. Mit gottgleicher Souveränität stochert in ‚Dead Ringers’ der Stargynäkologe Beverly Mantle im Unterleib seiner Patientinnen herum. Als die Frau sich seltsamer Weise dennoch über Schmerzen beklagt, kommt Beverly zu der einzig ‚logischen’ Schlußfolgerung, daß nicht seine Instrumente, sondern die Patientin 1572 „In der deutschen organisch geprägten Sichtweise waren geistige Störungen statische Phänomene, die auf Erb- oder pathologische Gehirnschädigungen bzw. -defekte zurückzuführen waren (Flechsig, Weber).“ Vgl. Lothane 2004, 478. 1573 Nicht nur der Unterleib, sondern auch das menschliche Gehirn steht nach wie vor im Zentrum vielversprechender medizinisch-biotechnologischer Forschung. Schon Sade erkannte die Verbindungen zwischen Unterleib und Hirn, indem er sie in seinen Lust-Operationen u. a. einfach kurzschloss. Flechsigs Forschungen stehen ebenfalls in dieser Tradition, ist er doch beim Zerstückeln von Gehirnen und weiblichen Geschlechtsteilen nicht zu bremsen gewesen. Aber Flechsigs Nervenforschung hat eben auch den myelogenetischen Beweis für das (Vor-)Spiegelstadium erbracht: Lacans corps morcélé (den Lacan bei den Surrealisten und seinen PatientInnen kennenlernte und auf dem die Matrix und das Matrix-Denken ‚basiert’). Und damit die historische und theoretische Grundlage der defizitären, synästhetischen Partialobjekte/ -organe (u. a. in Freud-Lacanscher Psychoanalyse oder in der Prothesentheorie), in der es in dieser Arbeit hauptsächlich geht. 1574 Flechsig war sich jedoch keinesfalls darüber einig, ob man allgemeine Schlüsse aus dieser operativen Behandlung der Psychose ziehen könnte. Er redet von einer empirischen Prüfung, die dafür ausschlaggebend sein soll (was immer das auch heißen mag). (Vgl. Flechsig 1884, 468 und Calasso 1980, 41 f.) Nebenbei bemerkt: Gerade in Bezug auf andere Kulturen ist das Thema der weiblichen Genitalverstümmelung heute immer noch hochaktuell – gerade in den Massenmedien. 480 dafür die Schuld trägt: ‚Das Gerät hat überhaupt nichts zu tun damit. Der Körper ist es. Der Körper der Frau ist irgendwie falsch.’“1575 „Natürlich ist es der Arzt, der die Krankheit verbreitet. Ohne ihn und seinen Idealismus gäbe es gar kein Problem“, sagt Lars von Trier in EPIDEMIC (1986), während er in grausige Materie vertieft ist. Das Erstaunliche an Flechsigs Vorgehensweise zur Behandlung der hysterischen Paranoia in diesen Fällen war, dass die Operationen – im Gegensatz zu DEAD RINGERS – tatsächlich glückten. Nach einer Nachbehandlungszeit von etwa 20 Wochen, in der sich der Zustand der Patientinnen durchaus noch einmal verschlechtern konnte, wurden sie geheilt entlassen – mit „blühendem Aussehen“, „Gewichtszunahme“ oder dem Gefühl, „wie neugeboren“ zu sein.1576 Dies mutet fast ebenso pervers an wie die chirurgische Praxis selbst. Allerdings ließ eine der Patientinnen nicht davon ab, „die Ärzte zu beschuldigen, sie hätten mit einer langen Zickzacknarbe – die sich tatsächlich nach der Operation über ihren Unterleib hinzog – ihre Schönheit ruiniert [...]“.1577 Recht hatte sie. Konnte Flechsig hier einerseits fragwürdige therapeutische Erfolge vorweisen, eben die (im Gegensatz zur Neurose) schwer zu erreichende Wahn-Heilung, so hatte andererseits dieses Unrecht realer Kastration Schrebers Halluzinationen sozusagen erst richtig in Gang gebracht und entfaltet. Schreber übertrug diesen ‚Schaden’, nachdem er zu Flechsig in stationäre Behandlung kam, unbewusst auf sich selbst, auf sein Körperbild.1578 In einem gewissen Sinne entspricht dies dem Versuch des Masochisten, einerseits der gefürchteten patriarchalischen (Kastrations-)Macht zu entkommen, indem er deren Schaden und Schuld auf sich nimmt; andererseits – das ist das Paradoxe – kann er auf diese (für sein Spiel essentielle) Macht nicht verzichten, enthält sie doch gerade jene phallische Lust, die er begehrt und für die er 1575 Riepe 1996, 3. 1576 Flechsig 1884, 439 und 466; zitiert nach Calasso 1980, 40 f. 1577 Ebd. 40. 1578 Von daher darf der zweite Teil dieser Aussage Lothanes angezweifelt werden: „Schrebers einzige Perversion waren der geheime fetischistische Transvestismus und die Tagträume der Verweiblichung, die mit Flechsig nichts zu tun hatten.“ Vgl. Lothane 2004, 490. 481 dann hart bestraft werden möchte. Es geht ihm dabei um die Rettung der Gefühle, des Seelenheils und um die Tilgung von Schuld und Schande: schließlich um die libidinös motivierte Suspension phallischer (väterlicher) Macht (seiner Vaterähnlichkeit), die mit weiblichen Körperbildern und mit dem eigenen Körper(-schmerz) funktioniert und ludisch realisiert wird.1579 Es lässt sich hier eine indirekte (nicht zu Ende gedachte) Kritik an den gesellschaftlich dominanten patriarchalischen Machtverhältnissen im späten 19. Jahrhundert erkennen, die das eigene Unbehagen des Masos, aber eben auch die große Lust daran – an dieser Macht, dem Phallus – ausdrückt. Schreber bringt es, wie gesagt, auf den Punkt, worum es hier realiter – auch bei Max Renn – unbewusst geht: Um die Absage an den ‚blödsinnigen männlichen Habitus’ und dessen Gewalttätigkeit (was Sacher-Masoch im Gegensatz zu Sade schon ein Stück weit gelang, auch wenn er dabei auf Gewalt nicht verzichten konnte). Wahn ist eben immer auch Wahrheit, in diesen Fällen becoming woman. Der wichtige Unterschied zur masochistischen Perversion liegt darin, dass in Schrebers und Max’ paranoider Schizophrenie dieses negative Begehren nicht mit Hilfe eines inszenierten Fetischs, einer wirksamen (Selbst-)Strategie (Spielregeln) reguliert und irgendwie mit anderen (fair) ausgespielt werden kann, sondern sich einfach unkontrollierbar vor dem geistigen Auge, auf dem mind screen verselbständigt, d. h. psychotisch exekutiert: „[E]ine regelrechte Kettenreaktion auf der Ebene des Imaginären“, wie Lacan sagt.1580 – Etwas Gewaltiges, höchst Dynamisches und Lustvolles, dem nur schwer zu begegnen ist. Auch Schreber kam schließlich nicht, obwohl er die ganze Wahrheit für sich im Wahn erblickte, gegen seine Nervenkrankheit an. Seine wertvollen Erkenntnisse und Selbsttechniken – seine 1579 Schreber wie Cronenberg – so möchte ich behaupten – nehmen ebenfalls Schuld auf sich: es geht dabei um den horror moderner Medizin, den realen wie imaginierten Sadismus medialer Körpertechniken und deren unbewusster Kommunikation und Praxis. Auf jeden Fall auch um die Opfer. In diesem Sinne macht VIDEODROME deutlich, dass Schreber nicht geistesgestört war, was er selbst auch wusste und unmissverständlich klar stellte. Vgl. zu diesem Topos, der Rehabilitierung Schrebers: Lothane 2004. 1580 Vgl. Lacan 1997, 105. Max’ fataler Irrtum, den er nicht bemerkt, besteht darin, dass er versucht, videodrome gemäß der klassischen Maso-Methode (‚grausame Frau’/Nicki) zu steuern und zu fixieren. – Was mit Fotografie und Film in diesem Zusammenhang gerade noch zu funktionieren schien, geht mit (psychotisch wuchernden) Video(bildern) aber ziemlich schief. 482 Aufzeichnungen – hatten ihn nicht vor weiteren Psychose-Schüben und Aufenthalten im Irrenhaus bewahrt.1581 Obwohl es zwischen Schreber und (den Pionieren) der modernen Schmerzlust also durchaus signifikante Ähnlichkeiten gibt (wie z. B. die Vergleichbarkeit libidinöser, weiblich codierter Gewalt-Intensitäten: Lust-Expeditionen ins medial erweiterte Ich), wäre es gänzlich verfehlt, in Bezug auf Psychosen von einer ludischen bzw. performativen Praxis, wie sie im SM geltend gemacht wird, zu sprechen (auch wenn die Imagination hier sehr frei und interaktiv mit sich selbst spielt).1582 SM-Techniken sind hochgradig geplant, medial inszeniert und gesteuert, Psychosen nicht – sie brechen einfach (u. a. wegen medialer Übersteuerung bzw. komplett fehlender Steuerung des Ich) über das Subjekt herein bzw. aus diesem heraus (weshalb diese existentielle Erfahrung auch nie in irgendeiner Form komisch oder unterhaltsam sein kann; sie ist tragisch). Der Phallus ist hier nicht suspendiert, sondern verworfen worden, sodass dieser nicht mehr (wie im SM oder anderswo) bearbeitet, inszeniert und ausgestellt werden kann. Trotzdem befindet sich ausschweifender SM immer schon auf der Kippe zum Wahn, gerade Cronenbergs body horror macht diese mögliche Gefahr in schizophrenen Artikulationen, fantastischen Mutationen, sehr deutlich, inszeniert er diesen/seinen horror doch meistens mit klassischen SM- Elementen: technologische Gewaltfantasien um Weiblichkeit bzw. autonom- sadistische Partial- bzw. Zusatzorgane moderner Medizin und Medien etc. Nicht nur bei Cronenberg, sondern auch bei Sade wird diese (Partialorgan-)Grenze fokussiert, 1581 „Es sei bemerkt, dass Schreber den pathologischen Aspekt seiner Halluzinationen nicht verhehlte“; er spürte und sagte in diesem Zusammenhang, dass „meine Nervenüberreizung aber [...] mit menschlichen Mitteln überhaupt nicht beseitigt werden [kann]; sie wird, da sie mit übersinnlichen Dingen zusammenhängt, bis an mein Lebensende fortdauern“. Schreber macht sich hier keine Illusionen. Vgl. Lothane 2004, 169 (erstes Zitat; nachfolgendes von Schreber: ebd.). 1582 Die (inter-)agierende Imagination bleibt im Wahn selbstreferentiell und autonom. Sie kann nicht mit anderen/dem Anderen stattfinden. Das Reale des Wahns ist als solches nicht (mit-)teilbar, es kann jedoch auf andere übergreifen und sich dann unterschiedlich ausprägen – wie im Netzwerk Flechsig– Schreber–Freud. Die unmögliche Kommunizierbarkeit (in Sinne von Teilbarkeit) des Wahns hat David Cronenberg mit seiner fantastischen Erfindung eines Metaflesh-Gamepods in seinen Spielfilm eXistenZ (1999) gruppendynamisch überwunden. Hier bekommt nicht nur ein einzelner Einblick in seinen Wahn, sondern der Wahn einer ganzen Gruppe verschaltet sich interaktiv – und sehr bösartig – auf dem mind-screen der SpielerInnen – in 3D und Echtzeit. Vgl. Pühler 2006, 136 f. 483 bearbeitet und gern – zumindest literarisch – überschritten und/oder sogar gesprengt. Ebenso bewegte sich Severins bzw. Sacher-Masochs übersinnliche Wahrnehmung in nebeligen Grenzbereichen bzw. Grauzonen und war schon sehr dicht an der medieninduzierten Psychose dran: als quasi-kinematografische Trance oder fetischistische (von der Literatur geprägte) Träumerei auf dem Analog-Niveau optischer Medien seiner Zeit. Sowohl für die transformatorischen Ereignisse im Wahn als auch in SM-performances gilt, dass deren fruchtbare, figurale Momente, d. h. deren (über-)sinnliche Kontingenz und auch Sprengkraft, immer ein Stück Wahrheit ans Licht bringen; etwas, das aufhört zu täuschen; schließlich eine „originale Syntax“,1583 die kommuniziert werden muss: die Sprache reeller Medien und deren bis heute noch nicht hinreichend erforschtes, prekäres Verhältnis zum Realen, das sich in verschiedenen Symptomen (Unheimliches und Wunder [Angst-Diskurse]), hochindividuell äußert.1584 – A lot of nervous systems on edge. In diesem Sinne ist es problematisch, wenn Sigmund Freud in seiner Schreber- Analyse nur das Moment der „Kastrationsdrohung, die vom Vater und demnach auch 1583 Vgl. Gekle 1996, 85. 1584 Vgl. dazu die Figuren fantastischer Vorgänge, wie sie Tzetvan Todorov in der Literatur u. a. als Differenz zwischen Ich- und Du-Themen beschreibt (Ders. 1992), oder, über die Literatur hinausgehend, die Frage nach dem Figuralen und der Plastizität, wie sie eine Forschergruppe an der Universität Paris III unter der Leitung von Philippe Dubois untersucht: „Vielleicht sollte man, Dominique Chateau folgend, daran erinnern, dass die beiden Worte [Plastizität und figural] von der selben Wurzel abstammen, das erste Wort kommt aus dem Griechischen (Plasma), das zweite aus dem Lateinischen (Fig-), die Bedeutung beider Worte ist ‚dehnbar’, ‚modulierbar’, ‚modellierbar’, ‚manipulierbar’, und ist der Terminologie des Modellierens, der Skulptur – kurz: Der Arbeit der Hand am Material und an den Formen – entlehnt.“ (Vgl. Dubois 2003, 115 f.) Nicht nur in dieser Hinsicht sind David Cronenbergs body-horror-Plastiken bzw. seine Methode der Psychoplasmatik signifikant; Cronenberg erfüllt mit seiner Ästhetik zudem auch das, was Dubois in der Frage nach dem Figuralen als Störzeichen erkennt und zusammenfasst: Z. B. „Präsenz versus Repräsentation, Figuration versus Narration“ (ebd. 116), „figurativ, figuriert, figurabel, figural“ (ebd. 122), „Das Figurale als Bildereignis [1. Funkeln, 2. Riss, 3. Die Präsenz]“ (ebd. 126), „Das Figurale als Detailoperation“ (ebd. 131), „die Expansion“ (ebd. 132), „Die Abstraktion“ (ebd. 133) etc. Natürlich ist hier auch noch die Perversion (ritualisierter Wiederholungszwang) zu nennen. 484 von dessen Stellvertreter Professor Flechsig ausging [Hervorhebung S. P.]“ als ein wesentliches im Wahn des Senatspräsidenten ansieht:1585 „Die gefürchtetste Drohung des Vaters, die der Kastration, hat der zuerst bekämpften und dann akzeptierten Wunschphantasie der Verwandlung in ein Weib geradezu den Stoff geliehen.“1586 Freuds Aussage über Art, Herkunft und Verwandlung dieses Stoffs, sozusagen das perverse Begehren nach Anderswerden durch väterliche Kastration, ist eine hochspannende und richtige Beobachtung. Es ist jedoch anzumerken, dass die Kastration hier nicht mehr nur eine symbolische Drohung war (wie sie der Maso [unbewusst] fürchtet und deshalb in seinem Spiel maskiert bzw. medial zum Ausdruck bringt), sondern real stattgefunden hat, was ein völlig anderes Licht auf diesen Kontext wirft. Denn als ein „sichtbares Andenken im Fleische“ hinterließen Flechsigs Schnitt-Techniken reale Körperlöcher, Wunden und Narben (in Form von operativ entfernten, weiblichen Geschlechtsorgan[teil]en seiner Patientinnen bzw. von grotesken Anatomien in Schrebers und auch Max’ phallischer Fantasie).1587 – Traumatische Gewalt-Erfahrungen im unbewusst funktionierenden Nachrichtennetzwerk Flechsig–Schreber–Freud, das mit Sade, Sacher-Masoch und vor allem Cronenberg auch als ein Netzwerk moderner Schmerz-/ Gewaltlust lesbar wird. Freud wäre es nicht weiter vorzuwerfen, dass er die Real-Seite und -Praxis dieser kastrativen Vorgänge unerwähnt lässt, wenn er nicht davon gewusst hätte. Denn Flechsig hatte die Ergebnisse seiner sadistischen Handlungen nicht nur in einem Neurologen-Fachblatt veröffentlicht, sondern Freud sogar persönlich darüber in Kenntnis gesetzt.1588 Es scheint, wie mit Annette Bitsch argumentiert werden kann, 1585 Vgl. Calasso 1980, 38 und Bitsch 2009, 267. Neben der Kastrationsdrohung ist es die verdrängte Homosexualität, die Freud in der Betrachtung von Schrebers Wahn in die „Sackgassen des Denkens“ führt. Vgl. ebd. 1586 Freud 1994, 180. 1587 Vgl. zu diesem „sichtbaren Andenken“ Kafkas Erzählung Die Verwandlung: Ders. 1979, 79. 1588 „Wie Janet Malcolm in ihrem Buch Vater, lieber Vater...Aus dem Sigmund-Freud-Archiv schreibt, fand Jeffrey M. Masson in Freuds Bibliothek einen von Flechsig 1884 verfassten Artikel, den er an 485 dass Freud aus wissenspolitischen Gründen nicht an der Autorität Flechsigs, diesem Übervater und Super-Ego, rütteln wollte und ihn deshalb, im Gegensatz zu Lacan, nie kritisierte. „[N]ur indirekt diffundiert Flechsigs Lehre in Freuds Überlegungen.“1589 Gerade deshalb steht wahrscheinlich die Drohung des kastrativen Vaters in Freuds Schreber-Deutung so prominent im Vordergrund. Auch darin lässt sich ein unbewusster Ausdruck, ein negativer Effekt dieser Netzwerkstruktur, der die Machtverhältnisse und Autoritätsgläubigkeit in der patriarchalen Medizin um die Jahrhundertwende (19./20. Jhd.) anzeigt, erkennen. Bei Freud scheint die gefürchtete väterliche Drohung, die die Autorität Flechsigs für ihn bedeutete, auf jeden Fall gewirkt zu haben. Die frappierenden Ähnlichkeiten/fantasmatischen Überschneidungen zwischen Flechsigs ‚Kastrations- bzw. Schnittforschung’, Schrebers Wahn und Freuds Psychoanalyse blieben bei Freud (bis auf sein statement, dass in der Wissenschaft mehr Wahn enthalten sei, als dieser Recht sein könne [paranoia scientifica]), unerwähnt.1590 Er bringt hier die Vater-Metapher, deren symbolische Wirk- bzw. Drohkraft, in Stellung bzw. ins Theorie-Spiel; und nicht den tatsächlich kastrativ operierenden Vater. Freud bediente sich einer masochistischen Strategie, um nicht die ganze Wahrheit sagen zu müssen (die aber auf die Wahrheit hindeutet – wie beim Maso im Spiel mit der ‚grausamen Frau’). David Cronenbergs Rückgriff auf dieses Geheimwissen (bzw. dieses verheimlichte und auch unheimliche Wissen) dient in VIDEODROME nicht nur dazu, die Irrtümer und Schande medizinischer Wissenschaft im späten 19. Jahrhundert aufzurufen und erinnerbar zu machen (indem er sich ihr von Schrebers Seite nähert), sondern auch, als Konsequenz davon, die möglichen Sadismen der Gegenwart aktuell – zugespitzt und überzeichnet – hervorzuheben. Sie sind noch längst nicht passé. Genauer gesagt geht es ihm – so sehe ich das – um kybernetisch-biotechnologische Matrix- Manipulationen des/im Selbst, das Spektrum bzw. den Spielraum denkbarer Verwandlungen, Libido-Optimierungen verinnerlichter Komponenten, wie sie Freud gesandt hatte und in dem er berichtet, dass er in seiner Anstalt Kastrationsexperimente an hysterischen und zwangsneurotischen Patienten vornahm.“ Vgl. Malcolm 1986; 126 (und im Zitat genannter Artikel: Flechsig 1884); zitiert nach dem Wikipedia-Artikel zu Paul Flechsig unter: http://de.wikipedia.org/wiki/Paul_Flechsig. 1589 Bitsch 2009, 271. 1590 Vgl. vorangeganges Kapitel bzw. Seifert 2001, 340. 486 zunehmend (seit der Postmoderne) zur technischen (Alltags-)Realität, zum hedonistischen Sein, gehören und wie er sie in seinen Filmen wiederholt umsetzt. Schließlich auch – was sich dabei abzeichnet – um das sadomasochistische Fantasma einer künstlichen Gebärmutter, das Cronenberg dann von seiner bösartigen und monströsen Seite präsentiert. Die Ersetzung der weiblichen Geschlechtsorgane mit heutiger Klontechnologie und Reproduktionsmedizin – hier sei an Peter Weibels bereits erwähnte Ausführungen zu dieser (gesellschaftlich) anerkannten (naturwissenschaftlich praktizierten) Form von SM erinnert – entpuppt sich beim kanadischen auteur-Filmer als explosiv-terroristische vagina dentata. – Kontingente horror-Ereignisse partriarchaler (Natur-)Wissenschaft und hybrider Medien(- industrie), die sich im Namen des sadistischen Vaters nach wie vor real – nicht nur in Cronenbergs Ästhetik – zutragen. Ein schweres Erbe und Verhängnis (des kastrativen Phallus im-Namen-des-Vaters), wie mit Donna Haraway gesagt wurde, in dem zumindest auf technologischer Ebene, in der historischen Transmission der (Bild- )Medien (vom klassischen Spiegelstadium paranoischer Traum- und Körperbilder bis hin zur Schizophrenie heutiger Visualisierungen eines biochemischen monitoring)1591 die Überbleibsel der ‚grausamen Frau’ oder femme fatale des späten 19. Jahrhunderts nicht mehr erkennbar sind. Es handelt sich hier um eine erweiterte Perversion der Perversion von einst, ein Verschwinden, in einer (weiter zu entwickelnden) Medien(wirkungs)geschichte und Archäologie des Unbewussten, die vor allem die des realen Körpers, des Wechselstrom-Schaltkreises (Netzwerks) und des verführerischen Fetischs ist. Die technische ‚Natur’ scheint dabei nicht weniger grausam geworden zu sein, wie nun der showdown von VIDEODROME, Max’ Aporie seines medialen Wahnsinns, zeigt. Epiphanie und Apokalypse (condemned vessel) Max, der Terrorist, wird polizeilich bzw. steckbrieflich gesucht. Obwohl in TV- Nachrichtenkanälen nach ihm gefahndet wird, scheint ihn niemand zu erkennen, 1591 Vgl. Pühler 2006, 49. 487 während er durch die Straßen von Toronto irrt. Im Industriehafen zieht sich Max in ein altes, stillgelegtes Schiff (condemned vessel) zurück.1592 Im Bauch des verrotteten Schiffes trifft Max auf allerlei Müll und Unrat, auf eine leere Zigarettenschachtel, die er aufhebt und inspiziert, und auch auf seinen wuchtigen Fernsehapparat, robuster Fetisch, in dem nun Nicki erneut erscheint. Cronenberg inszeniert sie wie eine Nachrichtensprecherin, ihre Haare sind jetzt gelockt und leuchten dunkelrot. Nie war sie für Max verführerischer bzw. dämonischer als in dieser finalen Szene, die eine Epiphanie und ein Requiem zugleich darstellt. Einmal mehr wird sie als libidinöse Schnitt- und Schaltstelle fungieren; doch diesmal wird sie dem Maso, Max, nicht nur aufregende Botschaften aus dem Jenseits, dem ‚kosmischen’ Übergangsgebiet der Medien übermitteln (Kapp),1593 sondern Max tatsächlich in einer letzten Transformation an diesen Ort versetzen. (Nebenbei bemerkt: Auch Schreber war ziemlich überrascht, als ihn seine Ehefrau, die er in seinem Wahn längst für tot hielt [ebenso wie Max Nicki], in der Nervenheilanstalt besuchen kam und auf einmal vor ihm stand. „[D]as Wiedererscheinen meiner Frau [bleibt] auch jetzt noch in gewisser Beziehung ein ungelöstes Räthsel.“1594) 1592 Diese grau-dreckige Industrielandschaft, die letzte Außenaufnahme in VIDEODROME, in der zum ersten Mal im Film ein Horizont sichtbar wird, ist gleichwohl ein nüchternes Gegenbild zu den mondbeglänzten Schneeflächen der Masochschen Ästhetik. Dennoch ist eine gewisse Schönheit dieser Industriewüste und ihres Himmels nicht zu leugnen, oder? (Suchbild: Erkennen Sie Max darin?) 1593 Vgl. Kapp 1978, 188 f. 1594 Vgl. Schreber 1995, 89. 488 Hier Max’ und Nickis letzter Dialog (in dem schon an der Länge der Aussagen klar wird, dass die ‚grausame Frau’ tatsächlich das Sagen hat). Es ist neben dem Blick die Stimme, die – als mediales Partialobjekt – SM-Faszination prägt: Nicki: „Ich habe gehofft, Dich wiederzusehen. Ich werde Dir den Weg zeigen. Seitdem wir uns zuletzt sahen, habe ich viel gelernt. Ich weiß, dass der Tod nicht das Ende ist. Ich kann Dir helfen.“ Max: „Ich weiß nicht, was los ist. Ich hab’ Schwierigkeiten, meinen Weg zu finden.“1595 Nicki: „– Ja, weil Du soweit gegangen bist, wie Du eben nur konntest. Aber wie die Dinge jetzt stehen, ist videodrome nicht ausgelöscht. Immer noch mächtig, überall vorhanden. [Im Englischen sagt Nicki an dieser Stelle: „It’s very big, very complex.“] Du hast sie1596 zwar verletzt, zerstört jedoch nicht. Dazu wirst Du schon in die nächste Phase eintreten müssen.“ Max: „Welche Phase ist das?“ Nicki: „Dein Körper hat sich schon sehr verändert. Aber das ist nur der Beginn, der Anfang des Neuen Fleisches. Du sollst den Weg nun zu Ende gehen, bis zur totalen Verwandlung. Kriegst Du das hin?“ Max: „Ich denke schon. Doch wie geht das?“ 1595 Es ist das erste Mal, dass Max mit sich zu Rate geht, sich reflektiert und eine richtige Aussage treffen kann. Es ist ein (seltener) Moment der ausgesprochenen Wahrheit (in VIDEODROME), der jedoch – wie es für Cronenbergs Dramaturgien typisch ist – erst dann kommt bzw. bewusst wird, wenn es zu spät ist, wenn die Transformation so gut wie abgeschlossen ist und nichts mehr symbolisch geht. Ein wahres, sehr tragisches Moment, das erlösende Katharsis ermöglicht – zumindest für Cronenbergs Publikum. 1596 „sie“ – Nicki, die Videosphäre und/oder Max’ bösartige matrix videodrome? (Im Englischen heißt es an dieser Stelle „them“ – Max’ Feinde der videodrome-Verschwörung?) 489 Nicki: „Um Neues Fleisch zu sein, musst Du erst das alte töten. Du musst keine Angst haben, Deinen Körper zu töten, musst Dich nicht ängstigen. Jetzt komm’ zu mir, komm zu Nicki. – Warte, ich zeige Dir mal, wie es geht. Es ist ganz leicht.“ Max sieht sich auf dem Bildschirm seines Fernsehers; wie er sich aktuell im Innern dieses alten Schiffs befindet: neben ihm ein Feuer – die Flammen seines Begehrens flackern noch einmal auf. Er kniet nieder. Sowohl auf dem Monitor als auch (im nachfolgenden Umschnitt) vor dem TV-Set wird seine persona (im crescendo pathetischer Filmmusik) herangezoomt, bis sein Gesicht in Großaufnahme erscheint. Er hält die flesh gun an seine Schläfe. Der Schleim dieser Waffe funkelt nun auf einmal geheimnisvoll: bläuliches Molekularglitzern. „Lang lebe das Neue Fleisch“, spricht er besonnen und leise aus. Dann drückt er ab. 490 In diesem Schuss-Moment explodiert der Fernseher und speit dabei seine inneren ‚Organe’, Gedärme und Blutwurst, in rauen Mengen aus. Das condemned vessel wird sozusagen von innen heraus mit blutig-schleimig-fleischlicher Biomasse überflutet (Freuds ‚Überschwemmung des seelischen Apparats mit großen Reizmengen’).1597 Die Intensität dieser Szene könnte man vielleicht mit der Erfahrung des ersten Orgasmus vergleichen, von dem Lacan aus seiner Analytiker-Praxis zu berichten weiß: „ça crève l’écran“.1598 Die Szene wiederholt sich noch einmal (dann allerdings ohne reißende ‚Organ-Flut’ bzw. platzenden ‚TV-Orgasmus’). Max’ Gesicht erhält jetzt, für einen kurzen Moment, einen rötlichen Glanz: ein (zu spät) Erleuchteter in 1597 „Vessel“ ist ein Sammelbegriff für Fahrzeug, Behälter, Gefäß, Schiff oder Reaktor. Auch die Metapher bzw. das Ich wird u. a. als Gefäß gedacht. „Wie Lakoff/Johnson hervorheben, projizieren wir die Wahrnehmung unserer selbst als Gefäß (mit einer Haut als Grenze und einer Innen-Außen- Orientierung) sowohl auf physische Objekte, als auch auf unsere natürliche Umwelt.“ (Müller-Roselius 2007, 118.) Die (ontologische) Körpermetapher des Behälters hat schon Martin Luther beschrieben: Sein „abfälliges Diktum vom Madensack, der faulendes, verwesendes Fleisch enthält, hat die Vorstellung vom Körper seit dem späten Mittelalter geradezu obsessiv besetzt gehalten.“ (Kamper 1999, 45.) Jacques Lacan erweitert demgegenüber den Körperbehälter zu einer Blumenvase, in die sich mille fleurs der Triebe und Begierden projizieren: „Seen aus Bitumen“ sagt Schreber. (Vgl. Lacan 1990, 101 ff. und Bitsch 2001, 305 und Calasso 1980, 86; Zitat von Schreber.) Gefäß war im späten Mittelalter der umschreibende Begriff für das weibliche Geschlechtsorgan (vgl. Reliquet 1990, 71), den auch Sade noch in seiner Literatur verwendete (vgl. Zweifel und Pfister 2001, 21). Philippe Reliquet weist darauf hin, dass im 15. Jahrhundert „demgegenüber das männliche Zeugungsinstrument ungeniert beim Namen“ genannt wurde. (Vgl. ebd.) Man sieht dies auch in den Abbildungen zu Adam und Eva in Andreas Vesalius’ Anatatomieatlas De humani corporis fabrica librorum epitome (1543): Wo das männliche Geschlechtsteil unverhüllt gezeigt wird, verdeckt Eva ihre Scham mit der Hand. Vgl. Benthien 2001, 99 und vgl. auch zum historischen Diskurs der Körper-Haus-Metaphern, (diese Metaphorik hat sich erst in den letzten zwei Jahrhunderten durchgesetzt – vorher wurde der Körper als Gewand oder Kleid wahrgenommen, auch wenn beide Körperbilder „bereits aus Antike und Christentum bekannt sind, sie also strenggenommen nicht nacheinander entstanden“). Ebd. 33 ff. 1598 „Jeden Tag sehen wir auch Typen, die einem erzählen, die vergessen sie nie, ihre erste Masturbation, weil es ja im Bildschirm hereinplatzt („ça crève l’écran“). Tatsächlich versteht sich, warum der Bildschirm darüber platzt, denn es kommt nicht vom Innern des Bildschirmes. Der Körper, der kommt halt — davon bin ich ausgegangen — über das Körperbild in die Lustökonomie.“ (Vgl. Lacan 1975, unter: http://www.valas.fr/Die-Dritte,019) In Cronenbergs orgiastischer Fantastik kommt es dann tatsächlich vom Innern des mediatisierten Körpers: Freuds Reizbläschen bzw. Lacans Schirm des Objekt a platzt. Damit eliminiert sich alle Lust-Ökonomie (was ja beim Orgasmus nicht der Fall ist). 491 den Trümmern und Fetzen seiner versprengten, postmodernen Medien-Existenz. Nicht nur im Fernsehen, sondern auch in der Filmrealität verabschiedet er sich ein zweites Mal – zweite Beobachtung – mit einer Selbsttötung, dem ein Schwarzbild – das Ende des Films – folgt. Max ist jetzt am Ziel seines unbewussten Begehrens angekommen: in der Melancholie einer totalen Selbstdemontage, die sich dann nur noch als eine suizidale (suicidal melancholy [William Beard])1599 des nutzlosen, ausgedienten Fleisches (solitary flesh [David Cronenberg])1600 offenbart – ein dramatisches Ende zwischen zwei Toden,1601 Max’ innere Verzweiflung, etwas Todtrauriges. Und dennoch zeigt Cronenberg hier eines seiner stärksten Filmbilder, ein Schlüsselmoment im postmodernen Kino(begehren) und der fantastische Höhepunkt im SM dieser Arbeit – „still one of the finest things Cronenberg has ever done“.1602 Das medial manipulierte und brutal überreizte Subjekt, Max, hat in einem kurzen Übergangsmoment die sakrale Sphäre der realen Objekte erreicht, hat diese durchlaufen, um an einen unausdenkbaren Ort zu gelangen, der sich jenseits des Signifikanten und demnach auch von RSI bzw. dem psychischen Apparat befindet bzw. bewegt. Max hat die Unmöglichkeit vollbracht, in einer Totaltransformation mit sich selbst – mit seinen unbewussten Begehren – identisch zu werden.1603 Es geht hier 1599 Vgl. Beard 2001, 152. Vgl. zu Severins missglücktem Selbstmordversuch: Sacher-Masoch 2003, 110 f. Auch Schreber versuchte sich mehrmals das Leben zu nehmen (vgl. Lothane 2004, 583 ff.), u. a. im Hause seiner Mutter – in jener Nacht, bevor er zum zweiten Mal in die Leipziger Nervenklinik eingeliefert wurde (21. November 1893). Vgl. Schreber 1995, 29. 1600 Vgl. Celikates und Rothöhler 2006, 331. 1601 Vgl. Bernard Baas’ zweites Kapitel in seinem Sade-Buch: Ders. 1995, 11-22 („Der Weise zwischen zwei Toden“). Vgl. auch Žižek 1991, 72 ff.. 1602 Vgl. Beard 2001, 161. 1603 Die Liebe zum Identischen oder die Einheit im Geistigen, (einst religiöse) Askese-Praktiken, bilden den maßgeblichen Programmauftrag, das (unbewusste) Telos, in aufgeklärter, patriarchalischer Naturwissenschaft (und deren Medien). (Vgl. Kathrin Braun und Elisabeth Kremer 1992, 15.) Es geht dabei – seit Beginn der Moderne bis heute – um die Domestizierung eines Dämons (der Objekte klein a) die, wenn es dann schief läuft, so aussehen kann wie im Finale von VIDEODROME. Das Unbewusste eliminiert sich dann selbst (und schafft gleichsam das cogito ab. Dann kommt der mediale Letalfaktor zum Zuge, der Todestrieb schließt sich. – Eine Autoimmunreaktion des Körpers sozusagen). 492 um den „eucharistische[n] Augenblick, in dem die différance des Zeichen gelöscht würde – heiliger Moment der Transsubstantiation des Zeichens in das, was es gerade noch bezeichnet hat: den Leib?“1604 – „Die Sehnsucht des fraktalen Subjekts, sich in der Fülle seiner eigenen Kopien aufzulösen, erfüllt sich“.1605 Schon bei Ernst Kapp war 1877 diese narzisstisch-medial-masochistisch gesteuerte Sehnsucht bzw. Gefahr angelegt, sich in „Substitute[n]“ und Vervielfältigungen der Körperglieder, welche der Organismus „bei seiner mechanische[n] Verstärkung und Ausdehnung“ erzeugt,1606 zu verlieren, kam der Autor doch selbst beim Philosophieren schon ziemlich ins Rotieren und Schleudern (war dabei aber nicht so orientierungslos, verloren und verdammt wie Max Renn). Cronenberg schreibt diese Geschichte des technisch formatierten, hypertrophen Selbst, diesen Schleudergang und crash test, 1983 folgerichtig und radikal zu Ende. Ohne wenn und aber. Die patriarchalischen Fiktionen der ‚grausamem Frau’ (fetischisiert-kastrierte Frauen) und die der Organprojektion (anthropomorphe Prothesen) bleiben dabei bis zum bitteren Schluss virulent: eskalierende Medien-Gewalt, wie sie SM im Innersten strukturiert und sich hier, im Augenblick und Kulminationspunkt des absoluten Werdens (des virtuellen und realen Todes) Ausdruck verschafft und gleichsam erledigt. Es ist die letzte Konsequenz dessen, was Cronenberg „collision of imagery“1607 nennt, das beschleunigte und ungebremste Aufeinanderprallen rivalisierender Begehrlichkeiten, Cronenbergs Visualisierung unbewusster Gewalt- Prozesse (violent imagery). Es ist die finale Kollision zwischen wiederkehrendem Körper (Realem) und technischem Selbst-Bild (Reellem), die von innen aufplatzende Bildblase (Freuds ‚Reizschutz’), der berstende Schirm des Objekts klein a in Max’ Ich, der dem inneren Druck, dem gewaltigen Stress nicht mehr Stand hält. Bis hierhin ist der drängend-kastrative Phallus die antreibende Kraft dieser negativen Dialektik, d. h. der psychotischen (Nicht-)Steuerung dieses mindfucking video game (gewesen),1608 das sich nun endgültig seiner koordinierenden, repräsentativen Signifikanten-Funktion 1604 Siegert 1993, 30. 1605 Vgl. Gaida 2002, 56 f. 1606 Vgl. Kapp 1978, 48. 1607 Vgl. Rodley 1997, Begriff von David Cronenberg. 1608 Vgl. dazu den Begriff mind game movie (Gedankenspielfilm), wie ihn Thomas Elsaesser geprägt hat. Vgl. Elsaesser und Hagener 2007, 195. 493 (wie auch seines apparativen Dispositivs und imaginären Körperbehälters inklusive mind screen) entledigt hat. „Max’ Körper ist damit als letzte Instanz der Simulation zum Opfer gefallen.“1609 Das Schwarzbild und der darin verhallende flesh-gun-Schuss sind die letzten vagen Zeichen, die von Max in VIDEODROME wahrnehmbar sind und mit denen das Kino-Publikum entlassen wird: Aporie des Spiegelstadiums /- stadions.1610 „Havarie des Psychismus.“1611 All (nervous) systems gone. „Es ist der Körper, an dem die notwendige Apokalypse des Subjekts ausgetragen wird. Bei Cronenberg rafft sich der Körper als Funktionssystem hinweg, um als ‚resolute’ Degeneration seinen bedachten Träger zu verlassen und den Zuschauer aufzusuchen. ‚Dieser „materielle“ Dämon’, schreibt Grünberg, ‚wird den Zuschauer noch lange verfolgen, sowohl in seiner Weltsicht als auch in der Sicht seines Körpers ... Er ist nun seinerseits gezwungen, das melancholische Szenario seiner systematischen Destruktion seiner individuellen Integrität zu schreiben.’“1612 Wo sich das alte Fleisch in seiner phallischen Funktion nun spektakulär verabschiedet hat (und in dieser Form das Publikum einmal mehr [produktiv/melancholisch] verstört [image virale]),1613 lässt Cronenberg (bis auf das Molekularglitzern der flesh gun) offen, was das Neue Fleisch ist oder sein könnte. (Das müssen die ZuschauerInnen für sich selbst herausfinden, das ist die Spielanweisung. – Vielleicht erweist es sich dann auch gar nicht als so neu, sondern macht nur eine „eine restaurative Entwicklung“ durch – „Altes Fleisch in neuen Schläuchen?“)1614 Stefan Höltgen schreibt, dass das 1609 Vgl. Gaida 2002, 50. 1610 Es handelt sich um das rückwärts laufendes Spiegelstadium; „il s’ agit [...] d’ un stade du miroir inversé“ (vgl. Grünberg 1992, 78 und Ochsner 2003, 164, die zudem an dieser Stelle von der Opferung, der Tötung der Kino-Illusion spricht.) Man könnte demnach auch mit der umgekehrten Richtung der Bildvernähung, wie sie in den Kinobetrachtungen im ersten Kapitel erläutert wurde, argumentieren. Dieser Negativ-Prozess ereignet sich dann allerdings nicht nur in den Köpfen des verwirrten Publikums, sondern ist gleichsam in das Filmbild eingeschrieben, d. h. positiviert sich dort. 1611 Vgl. Riepe 1996, 8. 1612 Vgl. Ries 1992, 113. 1613 „Michael Palm spricht diesbezüglich treffend von einer ‚Ausweidung’ des alten Fleisches der Repräsentation.“ Vgl. Celikates und Rothöhler 2006, 332; Zitat von Palm 1992, 172. 1614 Vgl. Celikates und Rothöhler 2006, 333. Die beiden Autoren weisen auf die Schwäche hin, dass man im Programm des Neuen Fleisches, der transformatorischen Körperekstase, vorschnell glaubte, 494 Neue Fleisch reine Körperinformation ist („die Reduktion des Körpers auf seinen reinen Informationswert“),1615 was nicht abwegig erscheint – gerade in Bezug auf das mediale Askese-Begehren, die lustvolle Verdinglichung des Seins im Sadomasochismus (bis hin zum Ding an sich – Become the media!). Jochen Gaida argumentiert ähnlich, nämlich dass Max nun am Schluss nur noch „reines Videobild“ (also ein AV-Signal bzw. eine Video-Modulation im physikalischen Sinne) ist, etwas Immaterielles, Äther bzw. Cyberspace, jenseits von symbolisch-sagbarer Differenz; etwas, das dem reinen Begehren (Lacan) bzw. der reinen Wahrnehmung (Bergson) sehr nahe kommt bzw. diese(s) sogar schon ist. Max nimmt dann nicht mehr eine auszufüllende Lücke bzw. unbewusste Funktion in einem Schaltkreis bzw. Netzwerk- Dispositiv ein, ist er doch nun mit dem Loch bzw. der Null-/ Leerstelle (im psychoanalytischen Sinne: Seinsmangel), die diese Lücke bewirkt, vollständig verschmolzen und gleichsam verschwunden.1616 Auch das reelle Bild der grausamen Frau, Nicki, hat sich im Organspeienden TV-Set verabschiedet bzw. in die Luft gejagt. Das war ‚ihr’ Despotismus, der erst nachträglich zum Sch(l)uss kam. Cronenberg macht damit deutlich, dass organizistische Metaphern, d. h. phallische Konstruktionen wie die ‚grausame Frau’ oder vergleichbares, analoges Prothesendenken (zumindest erkenntnistheoretisch) ausgedient haben (was keinesfalls heißt, dass Metaphern [wie diese] und deren libidinöse Gewalt aufhören, im „dass die Disziplinar-Regime der Biomacht tatsächlich vor den vor sich hin mutierenden, polymorph perversen Hybrid-Körpern kapitulieren würden. [Diese täuschende Hoffnung, diese Hochgefühl habe ich selbst im Techno der 1990er Jahren, auf dem Dancefloor, erlebt. Eine unglaubliche kollektive Energie wurde damals freigesetzt. Alles schien möglich. Schön war es. (Anmerkung S. P.)] Stattdessen wurde das neufleischliche Versprechen jedoch, und zwar einigermaßen problemlos, in die Affektströme der hegemonialen Lustökonomie reintegriert. So stellte sich während [...] der Körper- Renaissancen der letzten beiden Jahrzehnte aus der Cronenberg-affinen Perspektive stets die Frage, was genau eigentlich schief lief, als der neue body hype offenkundig nicht zu fortschrittlich entgrenzten Kollektiv-Körpern führte, sondern geradewegs in die MTV-konforme Erlebnisökonomie [die ja seit 2011 in Deutschland nur noch als Bezahlfernsehen existiert (Anmerkung S. P.)] der nur vermeintlich anarchischen Arschbackenpiercer von Jackass.“ (Ebd.) Was zumindest seit der Jahrtausendwende diesbezüglich schief gelaufen ist, soll – aus der Perspektive von medial gesteuerten SM-Spielen – in den folgenden Film-Analysen herausgestellt werden. 1615 Vgl. Höltgen 2004. 1616 Vgl. zu Lücken, Leer- und Nullstellen: Hart Nibbrig 1995, 12, 21 und Adamowsky und Matussek (Hrsg.) 2004. 495 kollektiven Imaginären herumzuspuken).1617 Trotzdem ist das Verfallsdatum solcher Konstrukte und ihrer Wirkkraft Anfang der 1980er Jahre endgültig (bereits im time code von Video)1618 abgelaufen. Doch ob das, was dann von Max und Nicki noch übrig bleibt, Schuss und Schwarzbild, tatsächlich so etwas wie das Neue Fleisch begründet, bleibt offen und zweifelhaft; in VIDEODROME deutet zumindest nichts darauf hin. Vielmehr erinnert dieser showdown an Paul Virilios 1980er-Jahre- Postulat: „Disappearance is our future.“1619 Schon Hegel sprach von der „Furie des Verschwindens“.1620 Dieser apokalyptisch-metaphysische Schluss war erst gar nicht so geplant. Eigentlich hatte Cronenberg u. a. vor, VIDEODROME mit einer ménage à trois enden zu lassen, in denen die vormals isolierten und gestressten Figuren wieder zusammenfinden und 1617 Dass zumindest ‚grausame Frauen’ im Kino nach wie vor Konjunktur haben, zeigen nicht nur Filme von Quentin Tarantino (Kill Bill Volume I [2003] und II [2004] oder DEATH PROOF [2006]), sondern auch AUDITION (Japan 1999, Regie: Takashi Miike) oder S1m0ne (der Filmtitel ist eine Verbindung zwischen Simone und 0/1, wobei Simone als Abkürzung für ‚Simulation One’ zu lesen ist. USA 2002, Regie: Andrew Niccol). In AUDITION möchte ein Geschäftsmann sieben Jahre nach dem Tod seiner Frau wieder heiraten. Er organisiert deswegen ein casting für einen fiktiven Film, um junge Frauen kennenzulernen. So verliebt er sich in die schüchterne Asami und verbringt Zeit mit ihr. Nach ihrer ersten gemeinsamen Nacht ist sie plötzlich spurlos verschwunden. Seine Nachforschungen bringen Ungereimtheiten und schlimme Dinge im Zusammenhang mit ihrer Person ans Licht. Wie in VIDEODROME lässt sich nun (Alp-)Traum und Wirklichkeit (des Protagonisten) in der Filmrealität nicht mehr unterscheiden. Am Ende des Films sucht Asami ihn bei sich zu Hause auf, um ihn zu foltern und zu zerstückeln. Diese längere Schlussszene ist äußerst brutal. Nahaufnahmen zeigen, wie Asami, die Kindsfrau, ihm Körperglieder abtrennt oder seine Pupille mit einer Nadel durchsticht. Er wurde vorher von ihr betäubt, und zwar so, dass nicht sein Schmerzempfinden, sondern nur sein Bewegungsapparat gelähmt ist. (Als ich den Film 2001 in einem Berliner Kino gesehen habe, hat sich der Saal während dieser Schlussszene ungefähr um die Hälfte des anwesenden Publikums geleert. Ich habe weggeschaut.) Das wäre also eine sadistische Reinszenierung einer grausamen Frau. Eine masochistische Variante ist demgegenüber S1m0ne: Sie ist die animierte Simulation einer Filmfigur, die der Protagonist, der Regisseur Viktor Taransky, entworfen hat und in einen Film einfügt, nachdem er von der Hauptdarstellerin während der Dreharbeiten sitzen gelassen wurde. S1m0ne avanciert zum Megastar. Sie tanzt, singt und möchte sogar in die Politik gehen. Taransky hat alle Hände voll zu tun, das Auffliegen seines Schwindels zu verhindern. 1618 Bereits in Schrebers Wahn war vom „Ablauf der Weltuhren“ die Rede. Vgl. Schreber 1995, 63. 1619 Virilio 2009 (a) (1982), 310. 1620 Vgl. Hart Nibbrig 1995, 15. 496 sich gemeinsam mit ihren neuen Geschlechtsteilen vergnügen. Er hatte also nach dieser inszenierten Höllenfahrt durchaus etwas Positives, etwas (Omni-)Sexuelles und Gemeinschaftsstiftendes im Sinn. „Cronenberg hatte zwei Schlussvarianten geschrieben: Eine nie verfilmte Szene zeigt Max und Nicki umarmend und küssend und ähnlich unschuldige Dinge machend, eine Wiedergeburt auf freudianisch. In der zweiten Variante wollte Cronenberg Max und Nicki (und in einer dritten Variante auch Bianca) auf dem Videodrome Set zeigen, nackt und sich liebend. Nicki und Bianca enthüllen Bauchschlitze mit Penissen und alle drei probieren gegenseitig ihre Schlitze, fremdartige, mutierte Sexualorgane, die eine merkwürdige, schmierige Flüssigkeit absondern, [aus]. Aber es gab Zeitprobleme, Debbie Harry hatte eine Magen- und Darmgrippe und James Woods wollte, da es kurz Weihnachten war, unbedingt nach Hause.“1621 Gerade das dritte dieser alternativen Schlussbilder – Max’ Wunschwelt – würde nicht nur das (klassische) SM-Begehren nach realen, sexuell-interaktiven Körpern – so manipuliert und mutiert sie auch sein mögen – stützen, sondern es würde auch an die Transformationsdramaturgien in Cronenbergs Frühwerk, in dem menschliche Körper technologisch erweitert und optimiert werden (vgl. die 1970er-Jahre-Trilogie SHIVERS – RABID – THE BROOD), anknüpfen. Wo sich in diesen Filmen die cartesianische Kluft zwischen Körper und Geist zugunsten des (Unter-)Leibs sadistisch schließt („healing the cartesian schism“),1622 wird es in VIDEODROME nun (erstmals in einem Cronenberg-Film) fraglich, ob die (im-)materielle Grundlage der Selbstwahrnehmung, des Körpers (das unsichtbare Medium des Realen) am Ende der Metamorphose überhaupt noch existiert bzw. denkbar ist. Schon Schreber hatte – wie es ein Ausdruck seiner sogenannten Grundsprache nahe legt – bemerkt, dass der „‚Untergrund’ des Menschen beunruhigt wird“.1623 Nicht nur das Körperbild (inklusive cogito), sondern auch das, was dieses trägt – der Leib – scheint verschwunden oder zumindest sehr unsicher geworden zu sein. Wie dem auch sei, neu an Cronenbergs body horror seit VIDEODROME ist auf jeden Fall, dass sich 1621 Oetjen und Wacker 1993, 102. 1622 Zitat von David Cronenberg in: Rodley 1997. 1623 Vgl. Schreber 1995, 158. 497 anthropologische Körperschemata (wie sie u. a. in der Prothesentheorie als Vorbild und notwendiger Maßstab dienen) verabschieden, wie es Cronenberg in nachfolgenden Filmen wie THE FLY (1986) oder NAKED LUNCH (1991) deutlich (im Tierlich-Werden von Medien und menschlichen Körpern) vorführt. Hier geht Cronenberg dann über den Schreber-Diskurs hinaus.1624 Auch wenn eine Sadesche Orgie mit mutierten bzw. zusätzlichen Geschlechtsorganen in VIDEODROME denkbar wäre (sozusagen Cronenbergs [schauer-]romantisch- groteske SM-Vision vernetzter Techno-Körper), so ist der Schwarzbild-Sch(l)uss, wie Oetjen und Wacker betonen, das glücklichere Ende.1625 Diese Wahl Cronenbergs, die wohl auch mit der Unpässlichkeit seiner SchauspielerInnen kurz vor Beendigung der Dreharbeiten im Jahr 1981 zusammenhängt, ist gemäß des dramaturgischen Ablaufs,1626 Max’ unbewusst-gewaltsame Selbstdemontage, einfach die konsequentere und logischere. Auch die Unschlüssigkeit, wie sie Tzvetan Todorov als wichtiges Merkmal in der Ästhetik des (literarischen) Fantastischen beschreibt, kommt darin besser zur Geltung: „Vergessen wir [...] nicht, dass, wie Louis Vax es ausdrückt, die Kunst des Fantastischen sich im Idealfall in der Unentschiedenheit zu halten weiß.“1627 Diese besondere Unentschiedenheit (bzw. Unabgeschlossenheit und auch Unschlüssigkeit) zeigt sich darin, dass man sich am Ende von VIDEODROME wundern und z. B. fragen kann: Ist Max jetzt tot und/oder eine Videomodulation? Ist er im Himmel und/oder in der Hölle der Medien? Ist er jetzt glücklicher als zuvor?... Who knows? 1624 Tiere (Bären, Katzen, Vögel, Insekten etc.) spielen zwar auch im Wahn des Senatspräsidenten eine Rolle, doch weder sind diese mutiert, noch ist er selbst zum Tier geworden. 1625 Ebd. 103. 1626 Mit Manfred Riepe lässt sich hier eine Dramaturgie des Lochs (vgl. Riepe 2002 [a], 188), wie sie auch in Cronenbergs eXistenZ (1999) virulent ist, beobachten: ein blasenwerfendes und schließlich platzendes (Monitor-Körper-)Loch. 1627 Todorov 1992, 42. „Mit anderen Worten, man kann entscheiden, dass es das Ereignis gibt oder aber, dass es es nicht gibt.“ Ebd. 140. 498 VIDEODROME-Wissen Was bleibt also von VIDEODROME, nachdem sich die erweiterten Mensch- Maschinen-Schnittstellen, mediale Geschlechtsteile, im Realen eliminiert und dabei anscheinend das Reale als nicht-greifbares Trägermedium gleich mit aufgelöst haben? Gibt es in theoretischer Hinsicht irgendeinen Mehrwert, der sich in dieser Negativität des Verschwindens, des radikalen Entzugs erkennen lässt? – Es ist, so möchte ich behaupten, diese gegenläufige Bewegung der (paranoischen) Selbstwahrnehmung, ein Denken, das gegen sich selbst denkt bzw. arbeitet, das dann signifikant wird:1628 Max’ enger werdender Handlungsspielraum (auf der Jagd nach sich selbst), also die libidinös-dramatischen Verkürzungen des (Nicht-)Seins zwischen Ich und Spiegel- Ich, Aktualität und Virtualität, VIDEODROME und videodrome, Realem und Reellem, schließlich zwischen zwei Körpern und zwei Toden, die Cronenberg mit (medien-)wissenschaftlicher Exaktheit und reichlich überbordender SM-Fantasie präsentiert. Ein Dauerkurzschluss als Teufelskreis („impossible duality of mind and body“).1629 Dabei wird folgendes Postulat, die räumliche Platzierung des Körperbildes (zwischen Fleisch und Zeichen) ersichtlich: „Das in der physischen Realität gültige Prinzip, dass zwei Körper nicht dieselbe Stelle einnehmen können, ist außer Geltung gesetzt: Der ‚Fleischkörper’ der einen Person und der ‚Zeichenkörper’ der anderen Person sind in derselben ‚Lage’. Das Distanzgebot entfällt. Eben das ist der Witz der ‚illusorischen Platzierung’, die wir als ein definierendes Merkmal des Virtuellen eingeführt hatten.“1630 Bereits Schreber hatte diesen Wegfall, der sich bei ihm als wahngesteuerte Extermination seiner Ich-Funktion in verkürzenden Abständen einer „periodischen Wiederkehr“1631 zeigt, beobachtet und klar erkannt: 1628 „Man muss lernen scheitern zu können. Die Kunst des Denkens, das gegen sich selbst denkt, ist immer eine Kunst des Unmöglichen.“ Vgl. Kamper 2002, 172. 1629 Rodley 1997, 79; Zitat von Cronenberg. Es geht Cronenberg dabei auch um die Schaffung neuer Lust-Organe, die u. a. die Distanz zwischen den Geschlechtern verkürzen: „[P]erhaps we would become less polarized and more integrated creatures.“ Ebd. 82; Zitat ebenfalls von Cronenberg. 1630 Krämer 2002, 54. 1631 Vgl. Schreber 1995, 234. 499 „Die Wiederannäherung [an die Gottesstrahlen, an das Reale (Anmerkung S. P.)] erfolgt jetzt in Folge der stetigen Zunahme der Seelenwollust, an der alle ‚inneren Stimmen’ zu Grunde gehen, in immer mehr und mehr sich verkürzenden Zwischenräumen. Nach Verschiedenheit der eingerichteten ‚Systeme’ [soll heißen Medien(verbund)? (Anmerkung S. P.)] handelt es sich oft nur um wenige Minuten.“1632 Mit Daniel Bougnoux und Régis Debray kann man in Bezug auf Cronenbergs bzw. Schrebers Transformationen festhalten: „Das Medium hat selbstauslöschende Eigenschaften. Jeder Medienfortschritt verbirgt den Mittler und verkürzt den Kreislauf der Zugänge, und die Mediologie liefert die Geschichte dieser Verkürzungen.“1633 Lutz Ellrich ergänzt: „Die Mediologie will aber zugleich auch die Funktion der Verkürzungen ergründen. Wird das Medium in die Latenz gedrückt, so entsteht ein Schein von Unmittelbarkeit. Und dieser Schein macht sich nützlich: ‚Immer mehr Unmittelbarkeit – das ist der Schlüssel zum Komfort und zum technischen Fortschritt’1634.“1635 [Es ist auch der Schlüssel zur (Mehr-)Lust. (Anmerkung S. P.)] 1632 Ebd. Wo sich Schrebers imaginäre Weltuntergänge also wiederholten (auch Max wurde mindestens zwei Mal von den Medien ‚verschlungen’ (von Nickis Monitor-Kussmund bzw. Konvex’ insektoidem VR-Helm), scheint Max’ showdown, die platzende Monitorblase und der flesh-gun-Schuss, irreversibel und endgültig zu sein – sozusagen finale Paukenschläge im VIDEODROME-Spektakel. 1633 Debray 2003, 185, zitiert nach Ellrich 2008, 65. 1634 In diesem Sinne wären medialer Schein und Selbstverblendung ein nicht gerade geringer Preis, der für den technischen Fortschritt (weiterhin) zu zahlen ist. Das konstatiert auch Geoffrey Winthrop- Young in Kittlers Medienästhetik. „Wollte man aus Kittlers Texten eine Anthropologie herausdestillieren, wäre ihr Kernsatz: Der Mensch ist das Wesen, das immer wieder dazu programmiert wird, seine Programmierungen zu verkennen. Die Selbstverblendungen scheinen beinah unvermeidbar.“ Vgl. Winthrop-Young 2005, 170. 1635 Vgl. Ellrich 2008, 65; Zitat darin von Debray 2003, 185. „Im Kreislaufsystem einer Epoche“ unterscheidet Debray zwischen einem sichtbaren und einem unsichtbaren Teil, zwischen Transmission und Kommunikation: „Die Übermittlungstatsache ist der verborgene Teil, der einfache 500 Die medienfetischistische Geschichte der Verkürzungen in VIDEODROME, die sich nicht nur mediologisch ergründen bzw. rekonstruieren lässt, spielt sich für Max als verschlüsselte Botschaft zwischen C-RAM (Nicki als sexuelles Fantasma) und Cathode Ray Mission (Bianca als ‚analoges’ Wissensarchiv) ab. Max hat es jedoch nicht geschafft, diesen Code für sich zu entziffern (seinen Weg zu finden). Er hat das ‚Spiel’ mit sich (d. h. um sein unbewusstes Begehren/first person) verloren. Auf der Suche nach Unmittelbarkeit ist er zur ferngesteuerten Terrorwaffe, einem Servomechanismus, der im/als Ich bereits geschaltet war, mutiert. In seiner Odyssee ist er gleichzeitig zum Medien-Opfer und -Täter geworden. GAME OVER heißt es dann, ein für alle mal, für ihn und sein Imaginationsvermögen, seine narzisstische Ich- Funktion, seine phallischen Gelüste und damit auch sein Menschsein. Max wurde dann quasi um seinen Kopf und auch seinen (geschlechtlich codierten) Körper(behälter) maschinell ‚verkürzt’. Das macht VIDEODROME unmissverständlich klar; das ist der horror, den Cronenberg seinem Publikum kommuniziert: ‚das melancholische Szenario der systematischen Destruktion individueller Integrität’. Ein Szenario, das an den Mythos bzw. das tragische Ende von Narziss anknüpft und diesen aktualisiert. „Den Menschen, dessen Fleischbehälter – nicht umsonst nennt Gibson seinen Helden Case –1636 nicht auf die Höhe digitaler Rechenmaschinen [und wie Cronenberg zeigt: auch nicht auf die Höhe von (Analog-)Video (Anmerkung S. P.)] gebracht werden kann, gab es also als Instanz in diesem Rückkoppelungsprozess der Natur mit sich selbst nur vorübergehend: nachdem sich eine Form der Informationsübertragung etabliert hatte, die immer wieder auf den Menschen als ihre Hauptreferenz Kommunikationsakt der sichtbare Teil.“ Vgl. ebd. 150 und Ellrich 2008, 65. (Der unsichtbare und zu entschlüsselnde Teil wäre demnach videodrome [Max’ unbewusstes SM-Begehren], die offenkundigen Kommunikationsvorgänge laufen demgegenüber in VIDEODROME [im Video-Dispositiv, auf der screen-Oberfläche, die auch das Ego umfasst] ab. 1636 Gemeint ist der Held Henry Dorsett Case aus Willam Gibson Neuromancer von 1984, jener Cyberpunk-Roman, dem der Begriff Cyberspace entspringt. (Vgl. Diemers 2002, 24 f.) „Im Gefolge all jener Orakel, die die künstliche Intelligenz-Forschung einigermaßen diskreditiert haben, beschreibt Gibsons Roman einen weltweiten Verbund von Computerprogrammen und elektronischen Netzen, der über Sensoren und Effektoren in die Gehirne all seiner Figuren eindringt“. Vgl. Kittler 2002 (b), 168 (Der Kopf schrumpft. Herren und Knechte im Cyberspace). 501 zurückgerechnet werden musste, und bevor die immer feineren technischen Gestelle ihn hinter sich zurückließen.1637 Das ist Kittlers Version der von Günther Anders prognostizierten Antiquiertheit des Menschen im technologischen Zeitalter. Antiquiert ist der Mensch, weil er inkarniert ist, weil er also zu groß und grob ist für die exkarnierten Selbstverarbeitungen der Natur im Zahlenmedium. Letztendlich wird Kittlers Traum, ‚ganz wie Hegel’ einen Überblick über ‚diese historischen Stadien zu geben und eine Medienlogik unter den veränderten Vorzeichen einer viel komplexer gewordenen Medienlandschaft zu schreiben’ [...], vom Wunsch beflügelt, das Symbolische und das Reale ‚unter Umgehung des Imaginären direkt im Kurschluss verschaltet’ [...] zu sehen.“1638 Kittlers Forschung und Max’ Psychose sind also in ihrem Ziel durchaus vergleichbar,1639 geht es beiden doch um den Totalkurzschluss (Kapp redete von Totalprojektion)1640 zwischen Realem und Symbolischen, was die unausweichliche 1637 Das entspricht Jacques Lacans Diktum, dass das Ich bzw. cogito nur eine „historische Kontingenz“, spätestens im posthumanen Zeitalter sozusagen ein Spezialfall mit überschrittenem Haltbarkeitsdatum gewesen ist. Vgl. Lacan 1991 (a), 78. 1638 Winthrop-Young 2005, 149 f.; Zitate darin von Kittler 1994, 98, 113. „[A]lso wovon ich träume, ist, daß die Maschinen, vor allem die jetzige und intelligente Maschinenzeit, wie sie Turing 1936 im Geist erfunden hat, dass die gar nicht für uns Menschen so sehr ist, wir sind sozusagen viel zu groß gebaut, sondern daß sich da die Natur, dieser leuchtende und erkennende Teil der Natur, mit sich selbst rückkoppelt.“ (Kittler 2002 (b), 270; zitiert nach Winthrop-Young 2005, 148.) Hartmut Böhme schreibt Ähnliches, jedoch von einem ganz anderen Standpunkt aus: „Durch die Jenseitsreligionen sind wir vielleicht schon seit Langem darauf vorbereitet, dass das wirklich Bedeutende, die eigentliche Welt gar nicht unsere ist, sondern erst jenseits unserer beginnt. So leben wir dahin in unserer biophysischen Langsamkeit und so lassen wir, wie wir den Göttern ihr Göttliches ließen, den Elektronen ihre außermenschliche Geschwindigkeit.“ Böhme 2012, 5. 1639 Der Unterschied besteht darin, dass Kittler im Gegensatz zu Max über jenes Medienwissen verfügt, um diesen historischen Überblick zu bewerkstelligen. Den einzigen Aus- bzw. Überblick, den Max in VIDEODROME erhält, ist eine Sicht von oben aus Brian O’Blivions Arbeitszimmer auf die Kathodenstrahl-Mission. Max sieht die einzelnen Subjekte in ihren TV-Separees kauern, eine serielle Vervielfältigung seiner selbst (ähnlich wie John Malkovich in dem Spielfilm BEING JOHN MALKOVICH (1999) nur sich selbst in anderen Personen verdoppelt sieht, nachdem er auf fantastische Weise in sein eigenes Bewusstsein geschlüpft ist). Vgl. zu Doppelgängern in der Romantik, in der Psychoanalyse und im Film: Kittler 1993 (b). 1640 Vgl. Kapp 1978, 308 f. 502 Aporie des Imaginären zur Folge hätte.1641 Max erlebt, wovon Kittler träumt und was Cronenberg kinematografisch visualisiert: das perverse Fantasma, mit elektronischen Maschinen und deren Schaltkreisen ‚kosmisch’ zu verschmelzen, d. h. sich deren analoge und digitale Funktions- und Kommunikationsweisen (Transformation und Transmission [syn- und diachrone, serielle Signifikanten-Ketten und Codes]) anzueignen, ja sogar einzuverleiben, um mit deren schwindelerregender, ‚unmenschlicher’ Rechengeschwindigkeit irgendwie mithalten zu können; also die Unmöglichkeit zu realisieren, nur noch in der Binärarithmetik von 0 und 1 blitzschnell zu denken bzw. diskret zu operieren, nicht mehr den ‚Umweg’ über imaginäre Objekte oder gar den des ‚schwerfälligen’ und ‚sperrigen’ Signifikanten der Sprache oder Schrift nehmen zu müssen. Etwas Absolutes, (noch) Unmögliches. Was jedoch im Traum als flow einer optimierten/verkürzten Kommunikation,1642 als Wunsch nach Unmittelbarkeit und Mehr-Lust (geschmeidige jouissance) erscheint, wird bei Cronenberg dann schnell zum Alptraum eines fist-fucking mit Videokassetten im künstlich eröffneten Unterleib; hier wird der maschinelle Befehl tatsächlich direkt ins Reale, ins Fleisch eingeschrieben, ohne Entropieverlust bzw. den ‚Störfaktor’ oder Widerstand des Imaginären. Der Wille ist dabei suspendiert bzw. ‚ausgeschaltet’. VIDEODROME lässt sich als eine Kette von solchen fatalen Kurzschlüssen, die bereits Sade und Sacher-Masoch in ihrer Wirkung imaginiert, ausprobiert und goutiert 1641 Aber auch bei Kittler lässt sich demnach eine gewisse sadomasochistische Faszination gegenüber solchen Kurzschlüssen (irgendwo zwischen moderner Kriegstechnik [z. B. Flugabwehrsystemen im zweiten Weltkrieg] und Pink Floyd [z. B. Brain Damage]) beobachten. Winthrop-Young sieht in Kittlers bewusst gewählten, auch sehr unterhaltsamen „Übertreibungen“ oder in seiner „abklärende[n] Aufklärung“, nicht nur einen gewissen „Machismo“ des Denkens, sondern auch die Rede einen „enttäuschten Idealisten“. Vgl. Winthrop-Young 2005, 166 ff. 1642 Das heutige analog-digitale Medien-Subjekt begehrt unbewusst das, was seine Kommunikationstechnologien ‚magisch’ vormachen, u. a. dass „Symbole mit ihren eigenen Flügeln fliegen“. (Vgl. Kittler 1993 [a], 77.) Im analogen Zeitalter der Energie, bei Schreber, lautete dieser Wunsch, der technisch realisiert wurde: „Und doch ist vielleicht fast allen Menschen schon der Gedanken gekommen, es wäre doch eigentlich recht hübsch, wenn der Mensch auch noch fliegen könnte wie die Vögel.“ (Vgl. Schreber 1995, 22 [Fußnote 20] und Adamowsky 2010 [a].) Der Wunsch abzuheben, dem take off der Operatoren zu folgen, mag auch am fehlenden, unsicher gewordenen Grund des Menschen auf dem Niveau des reellen Signifikanten in der Moderne liegen. „Aus solcher Bodenlosigkeit erwachsen [...] Flügel.“ Vgl. Hart Nibbrig 1995, 20 (Der Autor meint damit vor allem das fehlende Objekt in der Wissenschaft vom Tod und Sterben: Thanatologie). 503 hatten, beschreiben. Hier wird VIDEODROME dann nicht nur äußerst sadistisch, sondern auch evangelikal und faschistoid. Kürzer-Werden Was Cronenberg in VIDEODROME, wie gesagt, unmissverständlich klar macht und ein wichtiges Thema/Ergebnis dieses Films darstellt, ist die sadistisch-kybernetisch gesteuerte Verkürzung des Abstands zwischen Medien und Körpern. Nicht nur in Cronenbergs Fantasie wird diese Distanz verringert (bis die Technik mit dem Körper verschmolzen bzw. in/mit diesem verschwunden ist), sondern auch in der Geschichte des Dispositivs optischer/reeller Medien: Von der Kinoleinwand über den TV-/ Computermonitor bis zum VR-Helm rückt die Technologie immer näher an den ZuschauerInnen-Körper und dessen Sinne heran. „Die Dinge sind [...] der menschlichen Gesellschaft auf den Leib gerückt. Sie treten ‚gefährlich nah uns vor die Stirn, und sensationell ist eben gerade ‚ihre sture, sprunghafte Nähe’“.1643 Nicht nur von außen, sondern auch von innen erobert die Technik zunehmend den Leib, um diesen zu prothetisieren – durch invasive (Mikro-)Technologien, mit denen sich Cronenberg vor allem in seinem Frühwerk intensiv auseinander gesetzt hat. (Die Peitschenhiebe im klassischen Maso-Dispositiv deuten schon auf diese Distanz- Überwindung im Unbewussten hin. Sie sind Teil des masochistischen Medien- Begehrens, die strafende Pein des reellen Signifikanten, die dann in VIDEODROME auf dem Niveau elektronischer Apparate seine sadistische Aktualisierung bzw. Radikalisierung erfährt. Trotzdem muss ein gewisser Abstand gewahrt bleiben, damit überhaupt gepeitscht bzw. ‚kommuniziert’ werden kann.) Diese Bewegung der Verkürzung scheint durch das Körperbild, das ja selbst schon eine ‚verkürzte’ Verschaltung zwischen „‚Fleischkörper’“ und „‚Zeichenkörper’“ darstellt, gesteuert zu sein.1644 Es liefert (wie in der Prothesen-/ Servonentheorie bzw. Bionik) den dafür notwendigen Maßstab bzw. Code und operiert vornehmlich unbewusst. Auch zu Sades Lebzeiten im 18. Jahrhundert gab es schon – wie in der Exposition dieser Arbeit dargelegt – mediale Körper- bzw. Muskelverkürzungen durch Reizexperimente 1643 Vgl. Bolz 1990, 103, Zitat darin von Benjamin 1972, 131 f.; zitiert nach Schumacher 2001, 72. 1644 Vgl. Krämer 2002, 53. 504 der Medizin, mechanische Körperbilder auf Automaten-Niveau, die der Marquis in seiner Literatur aufgegriffen und verarbeitet hat. Solche Verkürzungen projizieren sich in Schrebers Wahn als kleine Männer und manchmal als Teufel(chen). Matrix-Navigationen David Cronenbergs groteske Bildwelten durchqueren die abendländische Geistes- und Mediengeschichte und thematisieren diese gerade in Bezug auf ihre Löcher bzw. blinden Flecke, Leerstellen und Auslassungen, auf die damit verbundenen Blendungen, (Selbst-)Verkennungen und Fiktionen: Kurzschlüssiges, das an Mythen und/oder an Erlösungsfantasien rührt. Seine Transformationen und Transmissionen bedienen sich oft eines Bildmaterials, das bis ins Mittelalter und darüber hinaus verweist (conceptual imagery).1645 Cronenberg redet in Bezug auf sein Werk von einer „cinematic voyage“.1646 Er erinnert „an einen literarischen Bildungsreisenden des späten 18. Jahrhunderts (Grünberg 1992, 32), der das thematische und formale Terrain erkundet,1647 freilich nur, um es dann entsprechend den Bedürfnissen des Postmodernismus umzudefinieren.“1648 Diese Bedürfnisse, und da betritt Cronenberg mit VIDEODROME medienästhetisches Neuland im Kino (first-person-Perspektive), entsprechen einer Matrix-Navigation im Unbewussten, eines Durchqueren des kollektiven wie individuellen Fantasmas (inklusive der hier virulenten Wunder und Despotismen). D. h. er zeigt erstmals mutierende Vorgänge nicht mehr nur von außen an den 1645 Vgl. zu Cronenbergs ‚gesampelten’ und gleichsam plastischen Bildkonstruktionen Pühler 2006, 181 und zur strukturalen Betrachtung/Dekonstruktion seiner kinematografischen Metamorphosen: ebd. 182 ff. 1646 Vgl. Rodley 1997, 129. 1647 „Wiederholt rührt er an Themen, die die Gattung des Schauerromans dominieren: das Verhältnis des Geistes zum Körper und die damit einhergehenden Ängste hinsichtlich körperlicher und mentaler Verwund- und Fehlbarkeit; Fragen der sexuellen Identität, der Stellung des Individuums im Verhältnis zu seiner Familie und im Verhältnis zu gesellschaftlichen Institutionen; die Entfaltung metaphysischer und moralischer Kodes.“ Bronfen 1998, 653. 1648 Ebd. 505 manipulierten Körpern bzw. in den psychotischen Aktionen seiner ProtagonistInnen, sondern filmt nun quasi auch die Innenansicht des Bewusstseins, eine mikroskopische, ‚organische’ Sicht sozusagen, wobei der Blick von der Mutation selbst ausgeht und ins Filmbild projiziert wird.1649 – Eine Wiederkehr des Verdrängten, etwas Bewegendes und Kathartisches, etwas Fantastisches auf Molekular-Niveau. „Die Reise ist eine Art Tür, durch die man die Realität verlässt, um in eine unerforschte Realität einzutreten, die ein Traum zu sein scheint.“1650 Dieses spezielle Matrix-Reisen – ein Unterwegssein im (oszillierenden und auflösenden) Ich ohne sich dabei körperlich bewegen zu müssen (wie es u. a. im Kino möglich wird) – kann einmal mehr mit Schrebers Wahn gelesen oder kurzgeschlossen werden, gilt der schizophren-organmanipulierte und transsexuell träumende Senatspräsident a. D. doch als Kronzeuge – Referenzpunkt und Folie – für Cronenbergs mediale horror-Ästhetik, die im Innern des Körpers entsteht. Die Höllenfahrten Schrebers stehen der Fantasie des kanadischen Filmemachers in nichts nach (und dies nicht nur im Hinblick auf die körperlichen Wunder/Mutationen): 1649 „I’m sending out my films as integral, organic living things. The people who are my audience receive them that way“, so Cronenberg zur Rezeptionsästhetik seines Werks. (Vgl. Rodley 1997; Zitat von Cronenberg.) Auch die Psychose, d. h. deren sogenannte Elementarphänomene, gehören in Lacans Diskurs zu den wenigen Dingen, die ihre ‚organische’ Natürlichkeit und Integrität trotz oder wegen all dem flirrenden Hypertrophen (auch in Lacans Theorie), das sie medial strukturiert und umgibt, bewahrt haben: „[I]ch [habe] entschieden betont, dass die Elementarphänomene nicht elementarer sind als das, was der gesamten Wahnkonstruktion zugrunde liegt. Sie sind elementar, so wie es in bezug auf eine Pflanze das Blatt ist, an dem sich eine gewisse Besonderheit der Art, wie sich die Adern überschneiden und ineinander einfügen, zu sehen ist – es gibt etwas der ganzen Pflanze Gemeinsames, das sich reproduziert in gewissen Formen, die ihre Gesamtheit bilden. Genauso finden sich jeweils analoge Strukturen der Ebene des Aufbaus, der Motivation, der Thematisierung des Wahns und auf der Ebene des Elementarphänomens. Mit anderen Worten, es ist immer die gleiche strukturierende Kraft, wenn man sich so ausdrücken kann, die im Wahn am Werk ist, ob man ihn nun auf einen seiner Teile oder auf sein Ganzes hin betrachtet.“ (Lacan 1997, 27.) In den Momenten des délir bricht zwar immer nur das eine oder andere Moment aus dem paranoischen Symptomkomplex heraus, trotzdem ist die Wahnbildung von Anfang an als Ganzes da und Eigenschaften des Paranoikers oder der Paranoikerin entwickeln sich nicht sukzessiv und additiv. 1650 Diemers 2002, 115, Zitat von Guy de Maupassant. 506 „Die mit der Vorstellung eines Weltuntergangs im Zusammenhang stehenden Visionen, deren ich, wie bereits erwähnt, unzählige hatte, waren zum Theil grausiger Natur, zum Theil aber wiederum von unbeschreiblicher Großartigkeit. Ich will nur einiger weniger gedenken. In einer derselben fuhr ich gleichsam in einem Eisenbahnwagen oder einem Fahrstuhl sitzend,1651 in die Tiefe der Erde hinab und machte dabei sozusagen die ganze Geschichte der Menschheit oder der Erde rückwärts durch, in den oberen Regionen gab es noch Laubwälder, in den unteren Regionen wurde es immer dunkeler und schwärzer. Beim zeitweiligen Verlassen des Gefährtes wandelte ich wie auf einem großen Friedhof, wobei ich u. A. die Stätten, wo die Bewohnerschaft Leipzigs lag, auch das Grab meiner eigenen Frau kreuzte: Ich drang, wieder in dem Gefährt sitzend, nur bis zu einem Punkte 3 vor; den Punkt 1, der den Uranfang der Menschheit bezeichnen sollte, scheute ich mich zu betreten. Beim Rückwärtsfahren stürzte der Schacht hinter mir ein, unter steter Gefährdung eines gleichzeitig darin befindlichen ‚Sonnengottes’. Im Zusammenhang damit hieß es dann, daß zwei Schächte vorhanden gewesen seien (ob dem Dualismus der Gottesreiche entsprechend?); als die Nachricht kam, dass auch der Zweite Schacht eingestürzt sei, gab man Alles verloren.1652 Ein anderes Mal durchquerte ich die Erde vom Ladogasee bis Brasilien und baute dort in einem schloßartigen Gebäude1653 in Gemeinschaft mit einem Wärter eine Mauer zum Schutz der Gottesreiche gegen eine 1651 Der sagenhafte Tim Burton imaginiert solche Aufzüge bzw. Transportmittel ebenfalls sehr gern in seinen Filmen (vgl. z. B. den gläsernen Fahrstuhl in CHARLIE UND DIE SCHOKOLADENFABRIK [2005]). „Archäologische Kunstwerke sind Zeitmaschinen. Der Anwender ist zu einer Reise eingeladen, die jedoch nicht nur den Schacht der Zeit auf- und -abwärts führt, wie ein chronographischer Fahrstuhl. Stattdessen bewegt sich der Reisende in einem wesentlich komplexeren Reich der zukünftigen Vergangenheit und der vergangenen Zukunft, im dem sich die Zeitebenen überlagern und miteinander verbinden. Die Wahrnehmung der Zeit ist zyklisch und nicht einfach linear.“ (Vgl. Meinrenken 2007, 254; Zitat von Erkki Huhtamo.) Schrebers Denkwürdigkeiten und Cronenbergs VIDEODROME sind demnach (medien-)archäologische Kunstwerke bzw. Zeitmaschinen. Vgl. dazu auch Serres 1991, 291 ff. („Loxodromen der ‚Voyages extraordinaires’”). 1652 „Stimmen sagten ihm [Schreber], jetzt sei das Werk einer 14000jährigen Vergangenheit verloren, der Erde sei nur noch die Dauer von 212 Jahren beschieden [...]; in der letzten Zeit seines Aufenthaltes in der Flechsigschen Anstalt hielt er diesen Zeitraum für bereits abgelaufen.“ Freud 1994, S. 191. 1653 Werner Herzogs FITZCARRALDO (1982) handelt von der Vision, ein Opernhaus im peruanischen Urwald zu erbauen. – Die Geschichte eines grandiosen Scheiterns, in dem die „erste“ auf die „dritte“ Welt trifft, wobei sie sich zum Schluss als ein gelungenes Scheitern erweist. 507 sich heranwälzende gelbliche Meeresfluth – ich bezog es auf die Gefahr syphilitischer Verseuchung. Wiederum ein anderes Mal hatte ich die das Gefühl, als ob ich selbst zur Seligkeit heraufgezogen würde, ich hatte dann gleichsam von den Höhen des Himmels herab unter einem blauen Gewölbe ruhend die ganze Erde unter mir, ein Bild von unvergleichlicher Pracht und Schönheit; als den zur Bezeichnung des Bildes dienenden Namen hörte ich einen Ausdruck ungefähr wie ‚Gottesseibeieinanderaussicht’.“1654 Schreber sah sich als den „größten Geisterseher aller Jahrtausende“,1655 später mutierte er zum „Höllenfürst“.1656 Auch wenn solche Aussagen übertrieben und prahlerisch wirken, so hat Schreber dennoch das katastrophische 20. und beginnende 21. Jahrhundert in seinem Wahn schon recht präzise antizipiert. Man benötigt nicht mehr viel Fantasie, um in seinen Visionen Tsunamis, Seuchen (medialer Art) oder (die verschiedenen Verfilmungen des Jules Verne-Romans) Die Reise zum Mittelpunkt der Erde (1864), oder andere beeindruckende Bilder wie Weltraumaufnahmen der Erde à la 2001 – ODYSSEE IM WELTRAUM zu erkennen. Und das alles – so möchte ich behaupten – als unbewusster A/Effekt des Wechselstrom-Aprioris in analogen Apparaten und Subjekten, eine medial induzierte Psychose von vorher nicht gekannter Art. Diese Bildwelt ist sozusagen das vom Unbewussten zur Entwicklung freigegebene Negativ unserer heutigen, künstlich aufgeregten Medienwelt, horrality, das als Symptom in Schrebers Fantasie vorauseilte, sozusagen als Wiederkehr aus der Zukunft 100 Jahre zu früh kam. Das ist das eigentliche Wunder. Doch nicht nur in die Zukunft, sondern auch in seine Vergangenheit hat Schreber, wie alle ParanoikerInnen, projiziert: „Wir wissen wohl, daß der Paranoiker in dem Maß, in dem er fortschreitet, retroaktiv seine Vergangenheit überdenkt und bis hinein in die frühesten Jahre den Ursprung der Verfolgungen findet, deren Objekt er gewesen ist. Er hat manchmal die größte Mühe, ein Ereignis zu situieren, und man spürt tatsächlich seine Tendenz, es durch ein 1654 Schreber 1995, 55. 1655 Ebd. 57. 1656 Ebd. 120. 508 Spiegelspiel in seine Vergangenheit zu projizieren, die ziemlich unbestimmt wird, eine Vergangenheit ewiger Wiederkehr, wie Schreber es schreibt.“1657 Es darf in diesem Zusammenhang nicht übersehen werden, dass Schrebers Wahn auch eine beachtliche genealogische Dimension aufweist, die bis in das 17. Jahrhundert zurückgeht:1658 Nämlich „die Geschicke[] von zwei großen sächsischen Familien [...], zwischen den Ähnlichkeit und Feindschaft herrschte: den Schreber und den Flechsig, Angehörigen des ‚höchsten himmlischen Adels’.“1659 Wo bei Schreber also die Geschichte seiner Vorfahren (und deren vermeintlicher Feinde) eine Rolle spielte (in Stellung gebracht wird), offenbart Max’ Paranoia nichts über seine Familiengeschichte, wohl aber über seine mediale ‚Abstammung’, sein unbewusstes Symptom, dem er ja auch versucht, nachzugehen.1660 Dabei scheint er von den Medien und deren Macht bzw. Feindschaft, „eine historische Eskalation von Gewalt“,1661 ergriffen, absorbiert bzw. ersetzt worden zu sein. Der Konflikt ereignet sich hier nicht zwischen zwei Familien(-geschichten), sondern im Unbewussten zwischen technischen Medien am Übergang von Film zu Video bzw. – weiter gefasst – von Analogem zu Digitalem (was sich dann im terroristischen Kampf zweier verfeindeter Gruppen ausagiert). 1657 Lacan 1997, 143 ff. 1658 Roberto Calasso erwähnt einen Vorfahren Daniel Paul Schrebers, „Johannes David Schreber, Rector von Schulpforta, der erwürdigen Fürstenschule [...]. Schon mit seiner ersten kleinen Schrift, De libris obscoenis, 1688 erschienen, bestimmte Johannes David die Sorge über die ‚böse Lust’ zum Geschick seines Geschlechts.“ Vgl. Calasso 1980, 14. 1659 Vgl. ebd.; Zitat darin von Schreber. 1660 Daniel Diemers sieht die Individualisierung des modernen Menschen u. a. darin, dass es diesem „durch Optionierung und Entobligationierung“ ermöglicht wird, sich „aus kollektiven Systemen und traditionellen Gemeinschaften“ herauszulösen. (Sie sind nicht mehr notwendig, um das Überleben [im Kampf mit der Natur] zu sichern.) Dazu gehören auch Familien(-strukturen und -geschichten). Das kann zu einem „Verlust an elementarer sozialer Sicherheit“, zu einer „‚Entbettung’ der sozialen Systeme“ führen. (Vgl. Diemers 2002, 48 f.) Daher wundert es nicht, dass Max, der diesen verunsichernden Prozess, diese notwendige Schattenseite der Individualisierung durchlebt, sich u. a. nach Gemeinschaft, Geborgenheit und Intimität sehnt. Dieses Begehren wird bei ihm nicht nur im Wunsch nach sexueller Intensität, sondern auch nach mütterlicher Zuneigung und Wärme erkennbar (in Nicki und Masha). 1661 Vgl. Kittler 1993 (b), 93. 509 Und trotzdem streift der Psychonaut Max dabei auch eine Familiengeschichte: Die der Medici-Dynastie im Florenz des 15. und 16. Jahrhunderts, jener (Blüte-)Zeit, als neue optische Techniken wie Zentralperspektive und Camera obscura entwickelt wurden1662 – notwendige Vorläufer bzw. Grundlagen unserer heutigen screen-Medien, inklusive deren einheitlicher, nivellierender Wahrnehmung im „neuzeitlichen Systemraum“, der sich virtuell strukturiert.1663 Die Medici haben u. a. solche medialen Erfindungen von Künstler-Ingenieuren nachhaltig gefördert, d. h. finanziell unterstützt und für sich genutzt. Diese (nicht selbstlose) Mäzen-Funktion übernehmen heute u. a. global agierende Großunternehmen wie Spektakulär Optik.1664 „Für die Medici hatten Macht und Geld eine große Bedeutung. Ihr Einfluß erstreckte sich über Kirche, Politik und Kultur ihrer Zeit. Viel wichtiger im Kontext von VIDEODROME ist, daß die Medici zeitgenössische Medien benutzt haben, sich selbst in bestimmten Licht darzustellen und den Mitmenschen (sowie späteren Generationen) ein bestimmtes Bild von sich zu vermitteln. So in Gemälden wie Adorazione dei Magi (Die Anbetung der Könige) von Sandro Botticelli, oder in Arbeiten von Ghirlandaio, Gozzoli, und Verrocchio, in der Architektur über Bauwerke wie die Medici-Villa in Poggio von Da Sangallo und die Florentiner Kirche San Lorenzo, verbunden mit dem Namen Brunelleschi, Michelangelo und Donatello“.1665 1662 Wo die Zentralperspektive ein Fenster zur Welt öffnete, wurde dieses schon rasch wieder durch die Camera obscura geschlossen: Eben durch den dunklen Raum und das kleine Loch in der Wand, durch das die Camera obscura-Projektionen verliefen. Ich möchte behaupten, dass bis heute, d. h. in allen nachfolgenden optischen Medienentwicklungen, sich daran seitdem nichts mehr geändert hat. Aus dem Loch ist kein Fenster, keine (wirklich neue) Weltsicht mehr geworden. Die fehlende mediale Aussicht ist – trotz Google Earth und dergleichen – nicht mehr erreicht worden. – Ein Manko, dass nicht nur Max Renn (unbewusst) tangiert. 1663 Vgl. Hentschel 2001; Zitat 25. 1664 Auch Uni-Strukturen werden heute nach und nach über den sogenannten Drittmittelweg nicht selten an die Industrie verkauft und von ihr abhängig gemacht. Was als nützlicher Kuhhandel begann, wird möglicherweise bald die Forschung ganz und gar diktieren. Das Geld und die Industrie will die Macht (über der Steuerung) der Wissensproduktion. Für die Geisteswissenschaften und deren Freigeist sieht es hier düster aus. 1665 Vgl. Oetjen und Wacker 1993, 117. Wie Friedrich Kittler in seiner Vorlesung Optische Medien betont, hat gerade Brunelleschi bereits „1425 ein derart perfekt illudierendes Bild“ geschaffen, das mit 510 Max ‚reist’ allerdings nicht in die Renaissance an den florentinischen Hof der Medici (etwa um sich fortzubilden), sondern gerät in ein seichtes marketing event in Toronto: Mit viel Tamtam präsentiert Spectacular Optics seine neue Frühjahrs- Brillenkollektion ganz im Zeichen der Medici, der italienischen Renaissance, inklusive Musical-Revue und Tanzeinlagen. (Auch in Brian O’Blivions Arbeitszimmer, in dem sich Max wiederholt mit Bianca trifft, befinden sich zahlreiche Requisiten aus der Renaissance. Auf dem Boden liegen Orientteppiche. Dieser mit gesammelten Dingen überfrachtete Raum erinnert sehr verdächtig an Freuds Arbeitszimmer.1666) „Zwei angebliche Zitate des Florentiner Staatsmannes, Kunstmäzens Lorenzo de’ Medici [1449-92] schmücken die Bühne: ‚Love comes in at the eye’ und ‚The eye is the window of the soul’. Den Hintergrund bildet eine Nachbildung von Michelangelos ‚Die Erschaffung Adams’ hinter einer gigantischen Brille. Nimmt man die Dekoration beim Wort, die die Schöpfung des Individuums durch Augengläser zeigt, erscheint Menschwerdung im Zeitalter der technisierten Wahrnehmung als mediat. Das Subjekt ist, wie an Max deutlich sichtbar, nicht mehr ein Geschöpf Gottes, sondern ein Produkt der Technik, durch die es Zugang zur Welt hat.“1667 Max lauert Convex hier auf, um ihn – von Bianca befehligt – zu töten. Während dieser schmierige Geschäftsführer des Fernlenkwaffen- und Brillen-Produzenten Spektakulär Optik die Medici-Werbeshow seinem Publikum anmoderiert, wird er auf der Bühne von Max bzw. seiner flesh gun zur Strecke gebracht. Vier Schüsse fallen, Hilfe einer von ihm erfundenen „Linearperspektive“ zustande gekommen war: Eine neue Weltsicht und eine mediale Revolution, der Beginn von 3 D sozusagen. „Die neue Kombination zwischen Auge, Loch, Gemälde, Spiegel und Außenwelt ging ja vom Auge des Bildbetrachters, also nicht mehr Gottes aus.“ Vgl. Kittler 2002 (a), Zitate 61 ff. 1666 Unter O’Blivions Arbeitszimmer befindet sich das ‚Labyrinth’, die Separees der Kathodenstrahl- Mission, auf die Max, nachdem er einen Vorhang zur Seite geschoben hat, einen kurzen Blick wirft. Hinter dem Arbeitszimmer schließt direkt das Videoarchiv an. Vgl. zu den Arbeitsplätzen von Sigmund Freud: Bitsch 2009, 192-198 (Punkt 6.3.). „Freuds unauslotbarer, ab-ort-artiger Aufenthaltsort lag [...] zwischen dem Labor und dem Studierzimmer, und seine Theorie des Unbewussten, hatte nicht viel von dem, was der Prototyp des Forschers voll Selbstbewusstsein als seine Theorie lanciert.“ Ebd. 198. O’Blivion kann durchaus als ein derartiger Prototyp angesehen werden. 1667 Gaida 2002, 55. 511 „Lang lebe das Neue Fleisch!“ Konvex geht nieder und löst sich in eine rülpsende, karzinogene Biomasse auf, aus der parasitenartige Wesen „in zuckenden Schlängelbewegungen“ hervortrteten (eine Reminiszenz an die Parasiten in SHIVERS).1668 Wie bei einer Plastikpuppe, die ein wenig an CHUCKY (1-5) erinnert, ist sein Kopf aufgeplatzt und dabei zerbrochen. Im Saal bricht Panik aus, das Publikum flieht. „Das Mikrophon, das Barry in der Hand gehalten hatte, überträgt die schmatzenden Sterbegeräusche bis in die Eingangshalle, durch die Max ungehindert entkommt.“1669 Max ist auf seiner terroristischen Flucht, seiner Irrfahrt, durch unbekannte künstliche Territorialitäten und Blickzeitalter (das Abtauchen und Überfliegen des Schizos), durch verschiedene Bewusstseinsräume (sein Inneres), hindurch gegangen – und dies ziemlich blind bzw. ferngesteuert: ein medial induzierter Alptraum und Schlafwandel mit dem Ziel einer todsicheren Selbstdestruktion. Max’ unbewusste Botschaft Cathode Ray Mission ist als C-RAM verkürzt (als Schuss) angekommen, jedoch ohne Max. Max war in seinem Verschwinden, in seinem Symptom Sade, Sacher-Masoch (Leopold und Wanda), Kapp, McLuhan, Schreber, Flechsig(s kastrierte Patientinnen), Freud-Lacan, Benjamin‚ ‚Guattareuze’, Baudrillard, Kittler, Debray, de’ Medici, Brunelleschi, Michelangelo, Magritte, Plessi usw. und vor allem David Cronenberg. Auf jeden Fall alle Personen bzw. ‚Avatar-Figuren’, die in VIDEODROME vorkommen, in denen sich diese historischen Persönlichkeiten mehr oder weniger spiegeln – durchschalten und -rauschen, seien sie nun weiblich, männlich oder was auch immer. Schließlich ist Max in seinem unbewussten Video-Begehren sozusagen zur ferngesteuerten Dildo-Puppe und vagina dentata (die Reste der ‚grausamen Frau’ in ihm, die ihm groteske Terrorwaffen gebiert) mutiert. Beides fetischisierte er (nichtwissend), beides verschwand (mit ihm). Eine missratene Cyborg? (Oder vielmehr die masochistische Angst der Cyborgs, [wie] Max zu sein und zu werden?) Max hätte auf jeden Fall von all dem (von all diesen Personen, ihrem [Cyborg- 1668 Vgl. Ochsner 2003, 167. 1669 Ebd. 56. Als Convex sein Publikum begrüßte, sagte er gönnerhaft: „Ich kenne Sie und Sie kennen mich.“ Nun kennt es ihn richtig und weiß, wer und wie Konvex (im Innern) war. 512 ]Begehren und Scheitern), von sich selbst, wissen und lernen können, um sich (besser oder überhaupt) zu ‚verstehen’, um sein (sexuelles Körper-)Begehren im technologischen Zeitalter zu erfahren und seinen Code zu entschlüsseln (becoming woman). Es wäre für ihn keineswegs unmöglich gewesen. Das ist die Hoffnung in VIDEODROME, die, auch wenn sie sich beim delirierend-suizidalen Max nicht erfüllt hat, bleibt: Oedipus and castration, make the best of them, because it’s not going to last.1670 „Die intensive Emotion, der Affekt, ist gemeinsame Wurzel dieses Differenzierungsprinzip der Delirien und Halluzinationen in einem. Man sollte daher glauben, dass alles in diesem Werden, den heftigen Durchgängen und Wanderungen sich vermischte, diese ganze Abdrift, auf- und absteigend in der Zeit: Länder, Rassen, Familien, parentale, göttliche, historische, geografische Bezeichnungen und faits divers selbst. (Ich fühle) ich werde Gott, ich werde Frau, ich war Jeanne d’Arc und ich bin Heliogabal, und der Großmogul, ein Chinese, eine Rothaut, ein Templer, ich bin mein Vater gewesen und bin mein Sohn gewesen. Und alle Kriminellen, die ganze Liste der Kriminellen, der unehrenhaften und ehrenhaften: viel eher Szondi als Freud mit seinem Ödipus.“1671 Träumende Individuen VIDEODROME ist genau deswegen, in der Inszenierung dieses schizophrenen Wahnsinns David Cronenbergs „opus magnum“.1672 Überhaupt gehört Cronenberg zu den wenigen FilmemacherInnen, die eine Psychose von Schreberschen Ausmaß, diese ‚heftigen Durchgänge und Wanderungen’, ädaquat abbilden und unter veränderten/sich verändernden medialen Bedingungen neu erfinden können:1673 1670 Zitat von Gilles Deleuze in: Guattari 2009, 75. 1671 Deleuze und Guattari 1977, 109. 1672 Vgl. Ochsner 2003, 161. Manfred Riepe sagt Ähnliches an dieser Stelle. 1673 Vgl. zu weiteren Filmen, in denen dies möglich wird, Thomas Webers Filmographie zum fantastischen Film: Ders. 2008, 335-372 (Anhang). Viele der hier angeführten FilemacherInnen – ihre Drehbücher und Filme – navigieren ebenfalls durch seelische Abgründe, Wahnvisionen und Wunderwelten. Wie David Cronenbergs Kunst beflügeln sie die Imagination. 513 Blasen,1674 Schüsse, Schwarzbild – ungeheuerliche Visionen, raffinierte Filmkunst und mutierender Ekel-trash.1675 Cronenberg ist imstande, die dafür notwendigen schillernden Facetten, filigranen und labyrinthischen Verästelungen und unsichtbaren Ausfransungen in deren düster-polyphonem Zusammenspiel – auf ihrer Passage durch Räume und Zeiten hinweg1676 – glaubwürdig audiovisuell umzusetzen: eine sich verschlingende Mikromanie, die der Philosophie und auch der Medienästhetik nicht fremd ist. – Ungeheure Faszination und Neugier. „VIDEODROME ist sein komplexester, kompliziertester Film, vielleicht auch sein bester überhaupt.“1677 Es geht dem kanadischen Filmemacher, im Zeigen des Verschwindens, dabei um nichts anderes als um den Erhalt und die Rettung des träumenden Individuums, Surreales, um Lust und Begehren, Libido und Lebendigkeit (Eros): zentrale Themen, die auch die Wunsch- und Höllenmaschinerien im SM antreiben, am Laufen halten und beflügeln. Das ist Cronenbergs Vision und Telos, sein u. a. vom Surrealismus, Kubismus und modernen Techniken/Technologien inspiriertes Programm, sein kinematografisches Theater der Grausamkeit, das in der Projektions- und Suchmaschine Mensch nach wie vor sehr aktiv und vor allem unbewusst abläuft. Trotzdem wurde in dieser (für heutige Medienbegehrlichkeiten bzw. Aufmerksamkeitsökonomien wahrscheinlich viel zu langen) Analyse nur ein kleiner Ausschnitt von dem gezeigt, was VIDEODROME potentiell hergibt, was da noch geht, was da noch an enormen Spielraum vorhanden ist. Nicht nur in Cronenbergs Film, sondern generell im Sadomasochismus der Dinge, der Medien und vor allem der 1674 „Das Unbewusste gleicht [...] einer Blase/vessie, und nichts anderes möchte ich Ihnen zeigen: daß diese Blase, steckt man ihr auch nur ein winziges Licht an, als Laterne dienen kann. Sollte man sich wundern, wenn’s manchmal dauert, bis ein Licht auf geht! [Fußnotentext: Lacan spielt auf dem Ausdruck vouloir faire prendre à qn. des vessie pour des lanternes, wörtl. ‚jemanden Blasen für Laternen vormachen wollen’ entspricht ‚jemanden ein X für ein U vormachen’.] Lacan 1987, 197. 1675 Bei Adorno und Horkheimer heißt es in Bezug auf diesen Wahnsinn: „Technische Rationalität heute ist die Rationalität der Herrschaft selbst. Sie ist der Zwangscharakter der sich selbst entfremdeten Gesellschaft. Autos, Bomben und Film halten so lange das Ganze zusammen, bis ihr nivellierendes Element am Unrecht selbst, dem es diente, seine Kraft erweist.“ Vgl. Dieselben 1988, 129. 1676 Ein aktueller Film, der diese Passagen, verschiedene Personen zu sein und dabei über Räume und Zeiten hinwegzugleiten (über 500 Jahre), sehr schön aufzeigt, ist THE CLOUD ATLAS (USA 2012, Regie: Lana und Andy Wachowski und Tom Tykwer) – einer der teuersten Independent-Filme überhaupt und tatsächlich sehr beeindruckend. 1677 Oetjen und Wacker 1993, 118. 514 Subjekte, in Resten und Spuren, gibt es noch sehr viel zu entdecken, wie gleich die anschließenden (kürzeren) Filmbeispiele im Gegenwartskino zeigen sollen. In diesen läuft VIDEODROME weiter. Das Besondere ist, dass Cronenberg in dieser weitsichtigen SM-Vision – an einem fiktiven, aber durchaus repräsentativen Fallbeispiel, Max – demonstriert, wie mediales Terrorbegehren/terroristisches Medienbegehren, ein signifikanter Despotismus unserer Zeit, herkommt, entsteht und was dann passiert bzw. passieren könnte. Auch wenn alles frei erfunden ist, ist nichts davon unwahr, könnte nicht auch so (oder so ähnlich) im kollektiven Unbewussten (im „Waldesinneren des Fantasmas“),1678 stattfinden. Trotzdem gilt es zu bedenken, dass videodrome letztendlich nur die schiefgegangene Fantasie eines einzelnen Subjekts, Max, ist, der in seinem Dämmerzustand, seiner fantasmatischen Verpeilung und vor allem in seiner oralen Medien-Gier mit Fleisch und Sein teuer bezahlt hat. Wie Harlan Max gegen Ende des Films mitteilt, hat es videodrome angeblich nie gegeben, er habe Max einfach bespielte Videobänder, Kopien in schlechter Qualität, präsentiert. Alles hat nur in Max’ Kopf(losigkeit) stattgefunden: als blähendes Begehren und schließlich platzende Medien-Reiz-Blase. Max hat, ohne davon zu wissen, einen Sadeschen Kurzschluss zwischen Hirn und Unterleib vollführt, sein Hirn ist ihm dabei quasi in den medialen, ‚weiblich’ gewordenen Unterleib gerutscht: ein zielgerichteter, äußerst grotesker Organsturz (für die Dauer eines Spielfilms). Letzte Navigationsdaten Die Navigationsdaten der Projektionsrichtungen, die Max’ Ich-Apparat (bevor dieser völlig abdreht) dabei produziert und auswirft, gehen vom fernen Osten (Malaysia) über Nordamerika (Toronto und Pittsburgh) nach Mittel- und Südamerika (schließlich in den Urwald Brasiliens). Eine virtuelle Weltreise von Osten nach Westen, le grand tour à travers le réel, die sich jedoch nicht im Sinne einer Weltumrundung 1678 Lacan 1986 [b], 146 515 schließt.1679 Stattdessen stellt sich die plötzliche Kursänderung seines Autopiloten in Richtung Süden just in dem Moment ein, als Nicki ihre Reise nach Pittsburgh ankündigt (um auf die casting couch von videodrome zu kommen). Die letzte eindeutige Destination, die in VIDEODROME als geografischer Fixpunkt simuliert wird, ist also Pittsburgh, Pennsylvania, USA. (Dies ergibt sich während Max’ Blind- bzw. Nachtflug in Richtung brasilianischer Urwald, sozusagen das vage Bild seines eigenen ‚Medien-Sumpfs’, in dem er zielsicher versinkt (und in dem dann keine geografischen bzw. symbolischen Fixpunkte mehr auszumachen sind). Oder – um Medien-Jargon zu zitieren – der abstürzende ‚Quantensprung’ in die ‚grüne Hölle’ einer ‚Dritten Welt’ [CANNIBAL HOLOCAUST]). Pennsylvania ist derjenige US- bzw. Neuenglandstaat, der neben New York und New Jersey zu den sogenannten Mittelatlantikstaaten zählt. Pennsylvania grenzt jedoch nicht an die Atlantikküste an, sondern ist von dieser abgeschnitten. Stattdessen berührt ein geografischer ‚Zipfel’ dieses Bundesstaates, der an die Form eines Anhängsels bzw. kleinen Ausläufers erinnert, die kanadische Grenze, welche die ‚natürliche’ des Eriesees ist. „(‚Penns1680 Waldland‘ [lat. silva ‚Wald‘ bzw. Silvanus, eine Waldgottheit]) [...] Pennsylvania trägt den Beinamen ‚Keystone State’ (Schlussstein-Staat, nach dem zentralen keilförmigen Stein in der Mitte eines Bogens).“1681 Pittsburgh liegt im ältesten Industrieraum der USA, in dem bis zur Stahl-Krise in den 1970er Jahren vor allem Stahl produziert wurde. In Pittsburgh wurde Andy Warhol geboren und Georges Romeros NIGHT OF THE LIVING DEAD (1968) gedreht: ein filmischer Meilenstein, die Geburt – kein Schlussstein – des postmodernen Zombie-horrors (den Cronenberg, wie Kittler, in seiner technischen Dimension, Draculas Vermächtnis,1682 begreift).1683 1679 Eine geglückte Weltumrundung kann mit einem Durchlauf des Triebs auf seiner Kreisbahn, wenn der Lauf sich schließt, analogisiert werden. 1680 William Penn (1621-1670), Admiral und Gründer dieses Bundesstaates im Osten der Vereinigten Staaten von Amerika. 1681 Damit ist das Wappen dieses Bundesstaats gemeint. Pennsylvania bildet den Schlussstein der 13 Neuengland- bzw. Gründerstaaten der USA. Vgl. Wikipedia-Eintrag zu Pennsylvania unter http://de.wikipedia.org/wiki/Pennsylvania. 1682 Vgl. Kittler 1993. 516 Dieser Umweltbezug, diese geografischen und kulturhistorischen Daten zu Pennsylvania/Pittsburgh, sind die letzten Informationen, die wir rekonstruieren können, um herauszufinden, wie Max Trugbildpilot, sein Ich-Apparat, sein Nachrichtennetzwerk im Unbewussten codiert war, wie er projizierte und was er produzierte. Es kann abschließend festgehalten werden: Die Struktur dieses Apparats operierte in der Innerlichkeit eines Randgebietes, dunkles bzw. dichtes Waldgebiet, vom Ozean abgeschnitten, in dem nach einer heftigen ökonomischen Krise der mediale Zombie und dessen splatter auftauchte und bis heute nicht verschwunden ist. Das Rätsel um videodrome/VIDEODROME ist damit noch längst nicht gelöst, die Suche, dieses lösen zu können, dauert (dort) an. 1683 Vgl. Meteling 2006, 118. „David Cronenbergs Filme schließen sichtbar an die ästhetischen und narrativen Formulare des amerikanischen Splatterfilms, vor allem Romeros Night of the Living Dead, an.“ Ebd. 178. 517 FALSCHER BEKENNER (Deutschland 2005; Regie: Christoph Hochhäusler) We should move desire on the side of the infrastructure, on the side of production. Félix Guattari See it up high You can see it down low See it on times square I don’t own it no more We see it on the billboard On you’re your bedroom floor my universal pussy Comin’ through your door my universal pussy and a superstar Chicks on Speed. Universal Pussy (2003) We all aspire to appearance. Kaja Silverman Wir haben alle die Sehnsucht, in der großen Welterzählung vorzukommen, und die Verknüpfung ist sehr oft fiktiv. Wir müssen an unsere Wirkung glauben. Christoph Hochhäusler Vor der Wirkung glaubt man an andere Ursachen als nach der Wirkung. Friedrich Nietzsche 518 Sichtbarwerden im Nicht-Raum Westdeutschlands (Anti-Ödipus revisited) Die Exposition von Christoph Hochhäuslers zweitem Spielfilm beginnt mit einer langen Einstellung. Es ist Nacht. Eine Autobahnauf- oder -ausfahrt – dies lässt sich nicht genau unterscheiden – irgendwo in Westdeutschland. Kaum Verkehr. Langsam zeichnet sich eine schwarze Gestalt ab. Sie folgt einer horizontal verlaufenden, leicht abfallenden und gekrümmten Linie – eine Leitplanke, die sich in der Dunkelheit verliert. Dabei fällt der sich bewegende Schatten dieser Gestalt auf das schwach reflektierende Metall der Planke,1684 welche die einzige Sichtbarkeit in dieser stark reduzierten Bildkomposition, einer Totalen, erzeugt. Die Planke teilt den Bildrahmen in zwei schwarze Hälften. Hinter den zwei wandernden schwarzen Bildpunkten, der Gestalt und deren Schatten, verbirgt sich eine reale Person. Es ist der Held des Films, Armin Steeb, 18 Jahre (Constantin von Jascheroff), der gerade die Realschule abgeschlossen hat und sich gern auf Autobahnen, auf Rastplätzen, in Toilettenhäuschen und im angrenzenden Brachland aufhält, um diese eher unwirtlichen Räume zu Fuß zu erkunden. Hochhäusler ist in dieser Exposition eine raffinierte Umsetzung des Spiegelstadiums gelungen: An einem dunklen Nicht-Ort, in der Kurve einer BAB-Aus- oder Auffahrt, 1684 Das Experimentieren mit Metallplatten ist wichtiger Teil der Fotografie-Entwicklung im 19. Jahrhundert. Vgl. 194 in dieser Arbeit. 519 schlagen sich schattenhafte Umrisse eines werdenden Ich im schwach reflektierenden Spiegel einer vorgegebenen Linie nieder.1685 Auf äußerst anschauliche Weise und mit strukturalistischem Gespür fasst der Regisseur also komplexe psychoanalytische Theorie in einem Bild, einer langsamen Bewegung, zusammen, ohne dabei zu verfälschen oder zu vereinfachen.1686 Aus dieser Theorie-Perspektive können nun zwei wichtige Aspekte hervorgehoben werden: Linie und Punkt – Bruch und Sprung 1. Nach Jacques Lacans knapper und materialistischer Definition von Bewusstsein genügt es, „daß die Bedingungen derart sind, daß einem Punkt einer Realität eine Wirkung an einem anderen Punkt entspricht, so daß sich eine biunivoke Entsprechung herstellt zwischen zwei Punkten des realen Raums“ – z. B. mittels polierter Spiegel.1687 Diese beiden Punkte bilden kein kausales, konsekutives, hierachisches oder chronologisches, aber dennoch ein zutiefst voneinander abhängiges, bipolares oder eben biunivokes Verhältnis im Unbewussten. Von daher bleibt die Verknüpfung der zwei Seiten oder Pole in diesem optischen bzw. virtuellen Verhältnis, d. h. 1685 Mit Ernst Kapp kann die Leitplanke als eine der ‚Grundlinien’ im infrastrukturellen Verkehrsraum, dem dichten Straßennetz der BRD, betrachtet werden. Sie dient dem motorisierten Subjekt beim Fahren nicht nur als Orientierungshilfe (gerade bei Nacht) bzw. psychologische Stütze (gerade bei erhöhter Geschwindigkeit), sondern auch dazu, Gefahren (wie z. B. den Wechsel auf die Gegenspur) zu verhindern. Sie ist eine notwendige Sicherheitsmaßnahme im zunehmenden Straßenverkehr. Doch diese Begrenzung kann gleichwohl zur Gefahr werden und mitunter zu schlimmen Unfällen führen (z. B. wenn in Gefahrensituationen nicht ausgewichen werden kann). Der Sicherheitsaspekt relativiert sich dann. Auch der Unfall mit Todesfolge, der in der Exposition von FALSCHER BEKENNER noch zu sehen sein wird, wurde durch die Leitplanke nicht vereitelt (vgl. oben im Haupttext). Leitplanken sind eine postmoderne Erfindung: „Mit der Einführung von Schutzplanken, allgemein auch Leitplanken genannt, wurde an den westdeutschen Autobahnen Anfang der 1960er Jahre begonnen.“ Vgl. dazu die Wikipedia-Einträge „Autobahn“ [http://de.wikipedia.org/wiki/Autobahn] (Zitat) und „Schutzplanke“ [http://de.wikipedia.org/wiki/Schutzplanke]. 1686 Diese Lacansche Theorie der Identitätsbildung (Spiegelmatrix, Projektion und suture) ist zusammen mit der Deleuzschen philosophischen Kino- und Bildtheorie (Kristall-Bild) bis heute die Basis für kinotheoretische Reflexion. Man denkt beide mittlerweile auch schon zusammen, vgl. Schmidt 2005. 1687 Vgl. Lacan 1991 (a), 67; Lacan 1990, 100 und Bitsch 2001, 304 ff. 520 zwischen Gestalt und Schatten, Körper und Bild, letztendlich Ursache und Wirkung (oder, wie Annette Bitsch nachdrücklich betont, zwischen Ur und Sache)1688 flüchtig und vage, etwas Gespenstisches, das an zwei Orten zugleich sein kann und als (körperliches) Objekt Sichtbarkeit erzeugt. Und tatsächlich erscheinen Armins anfängliche Schattenpunkte in FALSCHER BEKENNER, die in ihrem Abstand bzw. Spielraum variieren, wie aus dem Nichts heraus plötzlich zusammen auf der silbernen Stahlplanke, auf ein und derselben Linie bzw. Ebene im Raum. Wenn man die Sequenz in slow motion ablaufen lässt und genau hinschaut, ist zuerst ein Bild- bzw. Schattenpunkt zu sehen, aus dem aber sofort ein weiterer (mehr oder weniger) identischer Punkt hervorgeht: Armin ist über die Leitplanke gesprungen und folgt ihrem gekrümmten Verlauf in Schrittgeschwindigkeit. Seine Bewegung geht nach links, die schwache, außerhalb des Bildrahmens befindliche Lichtquelle strahlt von rechts außen, sodass sich das Schattenspiel ebenfalls nach links bewegt. Anfangs sind weder Armin noch seine Silhouette zu erkennen. Lacan redet – so könnte dieser plötzliche und diffuse ‚Schattensprung’ mit etwas Fantasie theoretisch gedeutet werden – von einem „Aufspringen (déhiscence) des Organismus in seinem Innern“,1689 der auf eine gestörte Natur beim Menschen verweist und auf der Ebene des Spiegelstadiums individualgeschichtlich „zum Bruch des Kreises von der Innenwelt zur Umwelt“ führt.1690 Dieser Bruch der aufspringenden Punkte, der im weiteren Sinne vielleicht auch an den Mythos der geteilten Kugelwesen aus Platons 1688 Vgl. Bitsch 2009, 10 f., 110 ff., 155, 490. 1689 Vgl. Lacan 1986 (a), 66. 1690 Vgl. ebd. 67. Der Interpretationsbogen mag hier etwas überspannt worden sein, trotzdem bin ich überzeugt, dass sich jenes ontogenetische und folgenschwere Moment im Spiegel(-stadium/ -stadion), (realer) Bruch und (imaginärer) Sprung, wie es sich beim Kleinkind ab dem sechsten Monat ereignet und installiert (Geburt des Ich), bei Armin am Anfang von FALSCHER BEKENNER wiederholt (notwendige Fortsetzung dieses Moments, transformatorische Ich-Werdung). Während sich das Kind als leuchtende Gestalt im Spiegel-Dispositiv ganzheitlich imaginiert (und diese mit Jubel begrüßt), bekommt Armin demgegenüber im ‚Spiegel’ der Leitplanke nicht viel von sich zu sehen, zudem trägt er Ohrhörer, sodass davon auszugehen ist, dass er seine Umwelt wohl auch nicht oder zumindest nur eingeschränkt wahrnimmt. Hochhäuslers Exposition ist ein weiterer Beleg dafür, dass das Spiegelstadium nicht einfach eine psychologische Entwicklungsphase ist, die irgendwann abgeschlossen ist, sondern ein lebenslanger und sich stets verändernder Erkenntnisprozess, der auf symbolische Aktualisierung drängt. 521 Gastmahl erinnert,1691 steht für die (ein-)schneidende Konstitution und Bewegung von Differenz, für die bewusstseinsimmanente différance, mit der sich ein ganzheitliches, illusorisches Ich (moi) überhaupt erst übertragen, d. h. auf eine Oberfläche projizieren kann. In diesem Vorgang wird das Sicht- bzw. Operationsfeld eines Ich installiert, jener imaginäre und magische Ort des Begehrens, an dem Subjektwerdung möglich ist. Das Ich (moi) ist der Ort, wo (sich) Erkennen, die Ganzheit bzw. der Schein flimmernder (Selbst-)Wahrnehmung nur über ein diskret prozessierendes Verkennen – der Grund des Flimmerns – virtuell bzw. phantomhaft realisiert. Es bildet einen in sich beweglichen Puffer, eine Knautschzone zwischen Innen und Außen. Es überblendet die Bruch- bzw. Schnittstellen, aus denen es hervorgeht. 2. Lacan schreibt auch, dass sich die Form des spekularen Ich (moi) noch „vor jeder gesellschaftlichen Determinierung auf einer fiktiven Linie situiert, die das Subjekt allein nie mehr auslöschen kann, oder vielmehr: die nur asymptotisch das Werden des Subjekts erreichen wird“.1692 Diese fiktive Linie trifft sich also nach Lacan nicht in der symbolischen bzw. gesellschaftlichen Realität, sondern (rein theoretisch) erst im Unendlichen mit dem, was das Ich in letzter Instanz sucht oder begehrt, nämlich das unmögliche Reale bzw. den eigenen Tod. Für Armin ist diese gekrümmte Schicksalslinie also mit jener Leitplanke, die sich im Schwarz des Bildes auflöst, vorgezeichnet. 1691 Neben Platons Ursprungsmythos der Kugelwesen (vgl. von Braun 2001, 190) kommt auch sein ebenso bekanntes Höhlengleichnis, sozusagen die Urszene der Kinotheorie (vgl. Baudry 2000, 381 ff.), im Schattenspiel der Exposition von FALSCHER BEKENNER zum Ausdruck. 1692 Lacan 1986 (a), 64. 522 Diese Bildkonstruktion erfüllt ein Merkmal, auf das Hochhäusler großen Wert legt: Ein Anfangsbild in einem Film, so der Regisseur, müsse prophetischen Charakter haben,1693 es müsse die Spielregeln für alles Nachfolgende festlegen:1694 Der Filmtheoretiker Rudolf Harms ergänzt in diesem dramaturgischen Zusammenhang, dass auch die handelnden Figuren zu Beginn hinreichend vorgestellt werden müssen: „Der Zuschauer muß den Helden möglichst am Anfang der Handlung kennen lernen, um sein Geschick von Grund aus weiterleben und sich in seine Gestalt ganz einfühlen zu können.“1695 Magischer Knochen In der folgenden Einstellung bemerkt Armin von weitem ein stehendes Auto, dessen Nebelschlussleuchte auf der linken Seite rot leuchtet (der erste Farbakzent im silber- dreckigen Grau-Schwarz des Filmbildes, Armins Objekt klein a). Erst auf den zweiten Blick bzw. im Umschnitt wird deutlich, dass hier ein Unfall passiert ist: Eine Luxuskarosse, ein Jaguar, hat einen Brückenfeiler gerammt, in dem noch qualmenden Wrack befindet sich ein schwer verletzter oder bereits toter Mann. Anstatt sich um ihn zu kümmern und den Notarzt zu rufen, richtet sich Armins Aufmerksamkeit auf ein herumliegendes Schrottteil des Unfallwagens. 1693 Voice over-Kommentar Hochhäuslers zum Film (auf der DVD). 1694 „Die Exposition kann deduktiver oder induktiver Art sein. Das heißt: Sie leitet entweder von einem konkreten Einzelgeschehnis die weitere Handlung strahlenförmig ab, oder [...] [s]ie erklärt das Verhältnis jeder einzelnen Figurengruppe untereinander und rückt dann allmählich aus den verschiedenen Teilgruppen und Einzelzügen ein Gesamtbild der Handlung zusammen.“ Harms 2009 (1926), 108 f. 1695 Ebd. 109. 523 Wie aus dem Audio-Kommentar Hochhäuslers auf der DVD-Fassung hervorgeht, handelt es sich bei diesem Teil um eine Lenkstange, auch Spurstange genannt, die zur mechanischen Lenkvorrichtung im Auto gehört, ein magischer Knochen,1696 „der eine Reihe von Ereignissen und Fantasien auslöst – ein bisschen wie der schwarze Monolith in Kubricks 2001“.1697 Armin hebt diesen Knochen auf und nimmt ihn mit in das elterliche Haus gleich hinter der Autobahn. Es scheint fast so, als habe er den Unfall und das Opfer nicht bewusst wahrgenommen oder verkannt, obwohl er, 1696 Vgl. Lacan 1987, 193: Lacan spricht an dieser Stelle über das kopflose bzw. azephale Subjekt, wie wir es bereits in der Figur des Max Renn in VIDEODROME kennengelernt haben, und dessen Objekt des Triebs: „ein Knochen [Fußnote: Un os im Sinne von ‚eine Nuß zu knacken’], eine Struktur, ein Aufriß, was die eine Seite der Topologie wäre. Die andere wäre die, die aus einem Subjekt, über seine Beziehungen zum Signifikanten, ein durchlöchertes macht.“ 1697 Zitat von Hochhäusler in seinem Audio-Kommentar zum Film (auf der DVD). Tatsächlich gibt es ja auch in 2001 – ODYSSEE IM WELTRAUM am Anfang den Tapir-Knochen, den der Anführer der hier gezeigten Urhorde, Moonwatcher, in die Luft wirft, worauf dieser sich – nach einem harten und berühmten Schnitt – sozusagen in ein Raumschiff transformiert. Vielen Dank an Hartmut Böhme für diesen Hinweis. Meint Hochhäusler hier also tatsächlich den schwarzen Monolithen, wenn er von der Lenkstange, dem magischen Relikt, in Bezug auf 2001 redet? – Vielmehr meint er doch die vergleichbare Funktion, die Lenkstange und schwarzer Monolith jeweils erfüllen, oder? Dabei muss betont werden, dass der schwarze Monolith in seiner Funktion als undurchsichtiger Spiegel auf so etwas wie den uneinholbaren Ur-Signifikanten verweist: ein Spiegel, der es überhaupt erst ermöglicht, dass Objekte wie z. B. ein Knochen auf einer Bildebene erscheinen können. Was das konkrete Objekt- Werkzeug und rätselhaftes monolithisches Urgestein bei Kubrick und Hochhäusler symbolisch verbindet, ist deren phallische Konstitution und archaische Erscheinung; schließlich ein (technisches) Geheimnis, das übertragen werden möchte. 524 während er sich rückwärts gehend vom Unfallort entfernt, noch einmal wie gebannt ins Auto schaut. Erst als er später per Zufall in der Boulevardpresse mit einem Bild des Autowracks konfrontiert wird und in überdimensionierten roten Lettern das Wort TOT liest, scheint er die tragische Dimension des Unfalls, in die er bereit verstrickt ist, zu erkennen oder wenigstens zu erahnen. Spätestens jetzt müsste er merken, dass er sich der unterlassenen Hilfeleistung schuldig gemacht hat. Der englische Titel von FALSCHER BEKENNER lautet I AM GUILTY. Armin hat mit der Spurstange etwas gefunden, ohne gezielt gesucht zu haben, ein ‚unbewusstes Finden’ sozusagen, wie es bereits im zweiten Kapitel mit Ernst Kapp, dem Begründer der Prothesentheorie im 19. Jahrhundert, erläutert wurde.1698 Ein Objet trouvé also, das ihm zufällig begegnet ist, das eine neue Bedeutung produzieren könnte, auch wenn es außerhalb der dafür vorgesehenen Stelle in einer Lenkmechanik vorerst keinen Sinn zu ergeben scheint. Und letzteres müsste Armin eigentlich klar sein, immerhin repariert er sehr fachkundig – wie eine spätere Sequenz zeigt – die Autos der Nachbarn. Dieses aus seinem ursprünglichen technischen Zusammenhang herausgerissene Teil hat also bereits einen Mehrwert für Armin, auch wenn er diesen zunächst nicht erkennt und mit dem Teil nichts anzufangen weiß. Denn sonst würde es ihn nicht so merkwürdig faszinieren, sonst hätte er es gar nicht erst mitgenommen. Mit den Schlagzeilen über den Unfalltoten wird nun eine Fantasie in Armin virulent, die eventuell als eine masochistische bezeichnet werden kann. Das Relikt der Nacht, ein symmetrisches Partialobjekt mit stark phallischen Zügen, in sich mechanisch beweglich, wird nun auf jeden Fall sehr heiß für Armin, es hat Fetisch-Potential für ihn. Dabei kann es weiterhin als Steuerungselement dienen, nicht mehr in einem PKW, sondern in einem individuellen Perversionsfantasma, welches Armin für sich ausheckt. Der Motor einer Wunschmaschine glüht vor und springt an. Doch bevor sich der imaginäre Spielraum dieser Maschine nun in ihm virtuell eröffnet, sollen der Protagonist und auch die architektonischen Räume, in denen er sich aufhält, genauer charakterisiert werden. 1698 Vgl. zum unbewusstem (Er-)Finden in der Prothesentheorie Ernst Kapps: Ders. 1978, 134. 525 Armin Steeb Wer oder was steckt also hinter dieser noch recht kindlichen Person, die auf den ersten Blick etwas verhuscht und so konturlos wie sein blondiertes Haar wirkt, die stets in eine dicke Daunenjacke gehüllt ist und nachts auf Autobahnen allein umherirrt? – Eine Frage, die sich sowohl für ihn als auch für das Kinopublikum gleichermaßen stellt, ist er doch von Anfang an als Phantom, als Fremdkörper inszeniert worden. Obwohl Armin wie ein gewöhnlicher Jugendlicher seines Alters aussieht, entgeht er typischen Kategorisierungen, wie sie zum Beispiel Diedrich Diederichsen in einem Tageszeitung-Artikel heraus gestellt hat.1699 Denn für einen Slacker, Demonstranten oder gar Autoabfackler ist er zu angepasst, unpolitisch oder (gerade in Bezug auf den letztgenannten Typ) zu schlau, für einen Leistungsträger viel zu plan- und antriebslos, für die modische coolness eines Metrosexuellen einfach zu provinziell. Dies soll keine Kritik sein – Provinz befindet sich laut Elias Canetti ja nur im Kopf. Vielleicht ist es ein Glück, dass hier noch nichts entschieden ist und daher die Möglichkeit zu individueller Selbsterfahrung, d. h. zum Experimentieren überhaupt besteht. „Ich muss mich doch ausprobieren können“, nuschelt Armin störrisch in einer Einstellung, in Anwesenheit seiner Familie. Dass in ihm subversive, also zukunftsweisende Elemente schlummern, wird in seinen Vorstellungsgesprächen für eine Lehrstelle im kaufmännischen Bereich offenbar. Sein gelangweiltes Auftreten, seine fehlende Eloquenz und Selbstdarstellung lassen zwar eher auf Negatives wie Desinteresse, Unbeteiligtsein und Indifferenz schließen, aber trotzdem zeichnet sich in der Art und Weise wie er sich unbewusst zu den Räumen, in denen er sich befindet, verhält, schon ein latenter Ausdruck von Unbehagen ab, erste Anzeichen von Widerstand. Christoph Hochhäusler: 1699 Vgl. Diederichsen 2009, taz-Artikel in der Weihnachtsausgabe [„2009 Leistungsträger, Autoabfackler, Studierende – Die Deutschen haben wieder politische Emotionen. Bornierte Eliten und antiautoritäre Kämpfe.“] 526 „Ich beobachte im Alltag, dass sich psychische Zustände, Ängste, Gefühle überhaupt sehr stark darin ausdrücken, wo sich jemand hinstellt, in welchen Raum er geht, wie er sich zu dem Raum verhält. Das versuche ich, in meine Filme einzubauen.“1700 Es ist eine stille, innerliche, noch nicht erkannte Rebellion gegen die Fadheit und Enge räumlicher Strukturen wie auch gegen die Formen der positiven Selbstdarstellung und -Inszenierung, die in diesen Räumen gefordert werden, wie er sie in den auf reine Funktionalität angelegten Büroräumen der Bewerbungsgespräche oder in seinem rustikal eingerichteten Elternhaus antrifft. Seine bloße Anwesenheit genügt manchmal, um seine Gesprächspartner, u. a. smarte Abteilungseiter mittelständischer Unternehmen, zu irritieren. Und dies, obwohl ihm der Gegenschuss (auch in rhetorischer Hinsicht) in diesen Szenen meist verwehrt bleibt. Trotz ihrer antrainierten Professionalität, einer Ego-Camouflage (Image), die meist wie schlecht gespielt wirkt und die gerade deswegen eine großartige schauspielerische, nicht unkomisch wirkende Leistung ist, sind diese Abteilungsleiter in ihrer Persönlichkeitsentwicklung wahrscheinlich auch nicht sehr viel weiter als der Held des Films. Sie können sich nur einfach besser verstellen als Armin. Sie sind eingeübt, sie funktionieren. Hier sind bereits falsche Bekenner am Werk.1701 1700 Interview mit Christoph Hochhäusler unter: http://www.falscher-bekenner.de 1701 Es gibt drei Manager-Typen in Armins Bewerbungsgesprächen: Erstens den aalglatten, zweitens den jung-erfolgreich-dynamischen und drittens den väterlich-gemütlichen. Alle wollen etwas über Armins Persönlichkeit wissen. Sie prüfen auf sehr unterschiedliche Art und Weise, die auch ihre jeweilige Persönlichkeit zum Ausdruck bringt, ob er über kommunikative Fähigkeiten verfügt, die (im zukunftsgerichteten Blick) gewinnbringend für das jeweilige Unternehmen sein könnten: Typ 1 konfrontiert Armin mit seinen schlechten Schulnoten und macht sich über ihn lustig. Typ 2 betreibt dümmliche Psycho-Spielchen: „schnelle Fragen, schnelle Antworten: Ich zeigen Ihnen Bilder, Sie reagieren.“ Es stellt sich nebenher heraus, dass der Großvater dieses Managers Nazi war. Typ 3 gibt sich geduldig und gutmütig; verglichen mit den anderen Typen kommt er am Besten weg. Unter anderem erklärt er Armin, dass die Fragen, die er ihm stellt, standardisiert sind, was man erst gar nicht merkt. Mich erinnern diese Szenen an Martin Kippenbergers riesige Installation „The Happy End of Kafka’s ‚Amerika’“, die sich auf Kafkas unvollendeten Roman Der Verschollene bezieht. Sowohl im Roman als auch in der Installation geht es um Bewerbungsgespräche. Kippenberger hat auf einem verkleinerten Fußballspielfeld zahlreiche Tische mit meist jeweils zwei gegenüberstehenden Stühlen angeordnet. In der Installation finden sich zahlreiche Möbel(-Klassiker) des 20. Jahrhunderts wieder, auch Hochsitze und sogar Wachtürme sind hier zu sehen. So bunt und verspielt dieses groß angelegte Kunstwerk oberflächlich wirkt, so hat es dennoch etwas Gespenstisches an sich. Denn Personen fehlen 527 Die anderen Figuren des Films glänzen ebenfalls durch souveränes Schauspiel, darunter Devid Striesow, Manfred Zapatka oder Viktoria von Trauttmansdorff, alle sehr erfahrene und erfolgreiche TheaterschauspielerInnen. Hochhäusler konnte sie für sein Projekt gewinnen, obwohl kaum Geld für den Film zur Verfügung stand und er einen Kredit aufnehmen musste. Constantin von Jascheroff ist eine Idealbesetzung für die Rolle des Armin, er war seinerzeit tatsächlich erst 18 Jahre alt und hat dann auf dem Filmfest München 2005 für seine Leistung den Preis als bester Hauptdarsteller erhalten. Obwohl FALSCHER BEKENNER von einer stark ästhetisierten Nüchternheit und Beklemmung geprägt ist, wirkt nichts in den kammerspielartigen Szenen übertrieben oder gekünstelt. Es wurde ausschließlich an Originalschauplätzen gedreht, keine Kulissen extra gebaut. Alle gezeigten Medienformate gibt es tatsächlich, auch die Firma Quotec, in der Armins erstes Bewerbungsgespräch stattfindet, ist echt, ebenso die im Film gezeigten Polizeibeamten. Hochhäusler berichtet aus seiner Filmemacher-Praxis: „Was die Schauspielführung betrifft, so habe ich nach zwei Filmen noch keine Methode entwickelt. Vielleicht werde ich es auch nie. Ich benütze alles, was mir einfällt. Jeder Schauspieler braucht etwas anderes. Ganz allgemein ist meine Regie aber eher ‚kalt’, will heißen, äußerlich. Es geht in meinen Korrekturen meistens um Gesten, Positionen, Stimmlagen. Es gibt kein Schreien, kein Drohen, kein Flehen.“1702 Intuitiv, leise und durchdacht ist dieses Filmkunstwerk, das eine leicht unterkühlte, ‚gleichschwebende’ Atmosphäre verbreitet. Nichts stört den dramaturgischen Ablauf, die Präzision Hochhäuslers, wie das moderate Metrum der Bildsprache und dessen unterschwelliges dynamisches Begehren oder der sorgfältig ausgewählte, befremdlich-minimalistisch-gläserne Sound zu Armins Seelenlagen zeigen (Musik: Benedikt Schiefer). Im Prinzip besteht der Film aus aneinander gereihten Alltagsmomenten, die der Filmemacher gerade in ihrer Banalität, ihrer Absurdität hier, die Plätze bleiben leer. (Face to face-)Kommunikation wird in dieser dispositiven Anordnung möglich geworden sein. Vgl. Kippenberger 2009, 156 ff. Vgl. zum Topos Verdinglichung/ Anerkennung – wie sie in heutigen Bewerbungsgesprächen zu beobachten ist – auch: Honneth 2005. 1702 Interview mit Christoph Hochhäusler unter: http://www.falscher-bekenner.de 528 oder ihrem Stumpfsinn exakt wiedergibt und doch gleichzeitig durch ausgeklügelte, manchmal kaum wahrnehmbare Details wie Patzer, Versprecher, Doppeldeutigkeiten oder vor allem Auslassungen bzw. plötzliche Schnitte konterkariert (Schnitt: Stefan Stabenow). Er führt so bereits einen Subtext ein, der sich mit Armins Perversionsfantasie trifft. Zu diesem Subtext gehört auch die Tristesse der gezeigten westdeutschen Vorstadtverhältnisse inklusive Autobahn-Anschluss, die sich wie ein feiner Grauschleier über jedes Bild des Films legt. Diese ist allgegenwärtig und übermächtig. Sie steht neben Armin im Zentrum des Films, umhüllt und durchdringt ihn, gibt etwas Verdrängtes bzw. Verlorenes, auf jeden Fall etwas Melancholisches, in seinem Charakter und Blick wieder. Hartmut Böhme schreibt im Zusammenhang von Depression und Melancholie: „In der depressiven Welt sind die Dinge eingetaucht in eine Gleichabständigkeit und nebelhafte Konturlosigkeit, ein Spiegel davon, dass jene Gesten, die Dinge und Menschen zu Handlungen zusammenschließen, unmöglich geworden sind. Im Zielverlust, im Niedersinken der Intentionen, im antriebslosen Brüten werden die Dinge selbst matt und sind wie zurückgezogen hinter den Horizont möglicher Handlungen. Das kathektische Band zwischen Ich und Dingen ist zerrissen. Alles ist gleich weit und nah. Der depressive Raum kennt keine Tiefenstaffelung und keine Perspektive [...]. So vergrauen die Dinge in einem flachen, konturlosen Nebeneinander, in eigentümlicher Farblosigkeit.“1703 Hochhäusler hat im digitalen Videoformat High Definition gedreht, mit dem sich die Grautöne sehr gut herausstellen und bearbeiten lassen, hat aber den fertig geschnittenen Film wiederum auf Cinemascope kopiert, um ihm die nötige analoge ‚Schwere’ sowie oberflächliche Breite zu geben. Hochhäusler redet von einer klaustrophobischen Stimmung, die er mit dem Kontrast dieses Formats erreicht. Der Film ist also ein Hybrid aus Analogem und Digitalem. Überhaupt sollte man sich den Film auf einer großen Kinoleinwand oder zumindest in einem abgedunkelten Raum anschauen, hier wirkt er intensiver, noch gespenstischer. 1703 Böhme 2006, 124. 529 Armins (mitunter auch erotische) Wirkung auf andere beruht darauf, dass er sich nicht verstellt, dass er u. a. kein Problem mit seiner Mittelmäßigkeit, seinem manchmal etwas schlampigen Erscheinungsbild oder seinen eher schlechten Schulnoten hat.1704 Gleichzeitig lässt er seine Umwelt spüren, dass er mit den Spielregeln und Verhaltensnormen der Erwachsenen, wie sie ihm nun mit dem Eintritt ins Berufsleben begegnen und bevorstehen, nicht viel anfangen kann. Er negiert sie, ohne sich dieser inneren Ablehnung tatsächlich bewusst zu werden. Damit unterläuft und verletzt er an mehreren Stellen die gängigen Codes, wie sie in bestimmten Situationen bzw. Ritualen greifen bzw. gefordert sind,1705 sei es ein Date, eine Familienzusammenkunft oder eben ein Bewerbungsgespräch. Sein Unbewusstes sagt ihm stets etwas anderes, funkt dazwischen und wird ihn noch in die Bredouille bringen. Er ist keineswegs dumm, fragt sogar nach, bezieht jedoch keine Stellung, sieht keinen Anlass dafür. Manchmal ist er ein Spielverderber, aber nicht wirklich bösartig. Die Verhältnisse, in denen er aufgewachsen ist und die noch sehr an die alte Bundesrepublik erinnern, scheinen Selbstbefragung und Selbsterkenntnis nicht zu begünstigen. Trotzdem macht FALSCHER BEKENNER deutlich, dass es in der BRD-Realität der Nullerjahre (bzw. Gegenwart) sehr wohl um gewisse Ego-Qualitäten geht, um optimierbare Selbstdarstellung und Performanz im Sinne von Sich-Besser-Verkaufen-Könnens, um den nach außen gekehrten, zur Schau gestellten Mehr- und Marktwert des multitasking-Ich, schließlich um effizient-flexible1706 Arbeitskraft, die auf einem Markt feilgeboten bzw. ‚rekrutiert’ wird1707 – und dies gewiss nicht nur in der Geschäftswelt. 1704 Man achte darauf, wie sich Arnim für die Bewerbungsgespräche herausgeputzt hat bzw sich, als am Ende des Films ein Date ansteht, die Haare nach hinten gegelt hat. 1705 Vgl. zum Begriff des Rituals die FUNNY-GAMES-U.S.-Analyse (Pühler 2010, 10). 1706 Gelangweilt-abwesend und mit todtraurigem Blick spielt Armin mit einem Gummiband, während er darauf wartet, zu seinem ersten Bewerbungsgespräch aufgerufen zu werden. Armin, der sich in dieser Sequenz in den nüchtern-kalten Geschäftsräumen der Firma Quotec aufhält, setzt unbewusst um, worum es hier geht, was gefordert wird: Flexibilität im Sinne von Dehnbarkeit. Einen vergleichbaren Gummiband-Vorgang findet sich, wie ich einem Hinweis von Stefan Höhne verdanke, in Krzysztof Kieślowskis DEKALOG, FÜNF (1990). 1707 Spätestens dann, wenn headhunter auf einen angesetzt werden, weiß man, dass der crash test, sich auf dem Arbeitsmarkt erfolgreich zu behaupten, vorerst bestanden wurde. Dies ist wohl der Indikator. 530 „Der Kapitalismus basiert auf dem Prinzip ‚Kaufen und Verkaufen’. Das geht nur wenn Du ein Gesicht hast und es zeigst. Ein Mensch ohne Antlitz tritt nicht als Händler auf. Das kapitalistische System duldet Anonymität nicht.“1708 Dies ist gerade deshalb der Fall, weil der Kapitalismus nach wie vor und besser denn je auf anonymen Schaltprozessen basiert, virtuell-abstrakten Tauschbeziehungen, irren Geldströmen, denen jeglicher menschliche Maßstab, ein Gesicht oder eine Hand, längst abhanden gekommen ist. Obwohl Armins Familie völlig intakt ist und er hier sehr fürsorglich behandelt wird, kann auch sie ihm nicht weiterhelfen.1709 Im Gegenteil: Sie ist Teil seines Problems, seiner Einsamkeit, die er zu ergründen sucht, und macht alles nur schlimmer. Armins besorgte Mutter, die nicht mit ihm über Probleme redet, sich aber stattdessen bei anderen über ihn ausheult („er ist immer nur vorm Computer, Freunde hat er auch keine [...], ich habe so Angst um ihn [...], der schaffts nicht“), was Armin zufällig mitbekommt,1710 arrangiert z. B. ein Bewerbungstraining für ihn,1711 das ausgerechnet 1708 Interview mit Schljapa (der Hut), eine der anonym operierenden AktionskünstlerInnen von Pussy Riot, in der taz vom 29./30.9.2012; Zitat von ihr („Jeder Akt eine Mutprobe“). 1709 Folgt man dem Erlebnissoziologen Gerhard Schulze, so lässt sich das soziale Milieu, in dem die Familie Steeb lebt und das sie verkörpert, als Integrationsmilieu bezeichnen. „Kennzeichnend für das Integrationsmilieu ist die gediegene Mittellage. Das Eigenheim ist gepflegt, bleibt aber innerhalb der architektonischen Norm, die Kleidung maßvoll modisch, aber nicht außergewöhnlich, das Auto komfortabel und in bestem Zustand, aber unauffällig [...]. Das Integrationsmilieu baut seine Vorstellung von der Wirklichkeit unter dem Gesichtspunkt der Normentsprechung auf. [...] Erlebnisparadigma ist die nette Runde“, die auch tatsächlich gegen Ende von FALSCHER BEKENNER im elterlichen Hause stattfindet. Vgl. Schulze 1996, 301 ff. 1710 Noch einmal eine kleine (Lebens-)Beichte des Autors: Ich bin in westdeutschen Reihenhäusern (sogar mit Autobahn-Anschluss) aufgewachsen und habe solche Gespräche meiner Mutter (am Telefon) manchmal heimlich mitangehört und so einiges über mich erfahren (was ich sonst nicht erfahren hätte). Das, was Christoph Hochhäusler hier präsentiert, ist absolut real bzw. glaubwürdig. Ich hätte nie gedacht, dass man aus solchen Szenen einen spannenden und tiefgründigen Film machen kann. Armin bzw. FALSCHER BEKENNER geht mir sehr nahe. Gleichzeitig bin ich amüsiert, lache über meine eigenen Peinlichkeiten. 1711 Vorher hatte sie am Frühstückstisch gegenüber Armin geäußert: „Das haben wir doch ausgemacht: eine Bewerbung pro Tag“. Mit ernster Miene wendet sie sich dabei an ihn und redet ihm gleichsam ins Gewissen. Für sie scheint die berufliche Zukunft Armins wichtiger zu sein als für ihn selbst. Sie sagt 531 einer seiner älteren Brüder (Devid Striesow) durchführt – und dies auch noch in Anwesenheit der Eltern. Diese beobachten mit großer Aufmerksamkeit das simulierte Geschehen, das im Wohnzimmer stattfindet (der Spot einer Stehlampe ist auf Arnim gerichtet) und kommentieren es: „Aber wenn er sich verstellen muss, finde ich auch nicht so gut“, bemerkt Mutter Steeb. Es wird deutlich, wie sehr Armin als Projektionsfläche der anderen dient, wogegen er sich dann auch mit einem Anflug von Wut wehrt: „Is’ nicht jeder so’n Hengst wie Du“, sagt er seinem Bruder, der ihn zu coachen versucht, ins Gesicht, als dieser ihn kritisiert. Die Rolle des strahlenden self-made man, die seine Brüder spielen, möchte er gerade nicht nachahmen. Dies wurde ja schon in seinen Bewerbungsgesprächen offensichtlich. Es zeichnet sich bei ihm jene masochistische Tendenz ab, das Gesetz im-Namen-des-Vaters und – damit eng verbunden – die Kastrationsdrohung zu negieren, zu umgehen und auszutricksen. Dieses Gesetz, das in seiner Familie nicht der Vater (Manfred Zapatka), sondern seine älteren Brüder perfekt verkörpern, sieht in erster Linie vor – und dies gilt für das Leben in der Bundesrepublik allgemein – eine abgeschlossene Ausbildung zu haben, einer geregelten Erwerbstätigkeit nachzugehen, sich auf dem umkämpften Arbeitsmarkt zu behaupten, Geld zu verdienen und auf diese Weise unabhängig zu werden. Leistungsbereitschaft und stetiger Einsatz werden dabei pausenlos und wie selbstverständlich gefordert – bis zum burn-out, der dann in Focus und Stern massenmedial abgehandelt wird. Der gesellschaftliche Stellenwert, das Prestige einer Person oder einer Gruppe hängen ganz wesentlich von solchen meist unhinterfragten Leitbildern ab.1712 Sie wirken deswegen so verbindend, weil die meisten ihnen blind und unbewusst folgen. Man bildet sich ein, keine (andere) Wahl zu haben. Man auch: „So ein Vorsprung ist schnell verspielt: dass Du nicht zum Militär musst. Das ist doch eine Chance bei dem schwierigen Arbeitsmarkt.“ Der Vater, der ebenfall am Tisch sitzt, streicht sich Marmelade auf sein Brötchen und schweigt. 1712 Eines der wichtigsten Leitbilder in dieser Hinsicht ist das Fantasma von lohnender Leistung (die sich, das haben sogar schon neoliberale Politiker festgestellt, immer weniger lohnt), das schon in seinen Grundzügen ziemlich pervers strukturiert ist, weil es Arbeit nur quantitativ, nach Zeit und Tempo, bemisst und eben nicht nach sozial-humanem plus-de-jouir. Vgl. die bezeichnenden Äußerungen von Außenminister Guido Westerwelle, von einer phallischen und tatsächlich sehr mächtigen Frau ins Amt berufen, zum Thema Leistung und Mittelschicht unter: www.myvideo.de/watch/6947474/Guido_Westerwelle_ueber_Leistung_und_Mittelschicht. 532 begehrt in erster Linie, weil andere begehren, wegen des Begehrens des Anderen, der man ist. Dies macht der Film sehr deutlich. Und dies kann ziemlich hart und grausam sein, was Armin spürt. Es fragt sich in diesem Zusammenhang, warum Armin unbedingt einem kaufmännischen Bürojob ergreifen soll, kommunikative Fähigkeiten sind bei ihm ja eher schwach ausgebildet im Vergleich zu seiner technischen Begabung. Wenn er äußerst geschickt und kostengünstig das Auto eines Nachbarn repariert, ist dieser ihm nicht nur dankbar, sondern nimmt Armin auch als Subjekt, sogar als Autorität wahr. „Richtiger Fachmann, super!“ sagt der Nachbar, während er ihm interessiert zuschaut, und meint dies ernst. Die Autoreparatursequenz ist der erste Moment im Film, in dem Armin sich aus seinem anfänglichen, schattenhaften Objektstatus, aus seiner Passivität herausgelöst hat. Dennoch bemerken er und seine Familie nichts von dieser Stärke. Als der Vater erscheint, um Armin abzuholen, redet er nicht mit dem Nachbarn (der ihn sogar grüßt) und ignoriert ihn. Wir erfahren nicht, was die Ursache dieses auffälligen und demonstrativen Schweigens, dieser Kommunikationsstörung ist – etwa ein (nicht ausgetragener) Konflikt, wie er zwischen Nachbarn, die auf engem Raum zusammenleben, typisch ist? (Wir können annehmen, dass das hier angedeutete ‚Problem’ wohl eher auf der Seite von Armins Vater zu liegen scheint.) Schon am Anfang des Films wird Armins Technikinteresse angedeutet. Nach der nächtlichen Autobahn-crash-Exposition erwacht er in seinem Jugendzimmer, in dem allerlei technische Dinge zu sehen sind: eine große Stereoanlage, ein PC, Poster eines Spaceshuttle-Starts, ein (womöglich gestohlener) Straßenleitpfosten etc. Auf seinem Schreibtisch liegt die Spurstange, das Relikt der Nacht, das anzeigt, dass er den Unfall nicht geträumt hat. Zudem hängen auch drei Poster leicht bekleideter Popstars, sexistisch aufgemacht, an den Türen des Kleiderschranks. Eine junge Frau mit Top- Figur, der man in den Schritt sehen kann, wird flankiert von zwei Rappern in Macho- Pose. Teilweise sind die Gesichter dieser Personen nicht zu sehen, da sie vom Bildausschnitt nicht mehr erfasst werden. Hier projizieren sich bereits Armins Maso- Gelüste. Denn er hat – ohne es zu wissen – in diesem Arrangement, quasi ein Poster- Tryptichon, die klassische Maso-Konstellation aktuell umgesetzt: eine Frau steht 533 zwischen zwei Männern. Allerdings werden hier im Gegensatz zum klassischen Masochismus genitale Reize betont und zur Schau gestellt. Wenn Christina von Braun schreibt, dass „kein Zeitalter [...] je zuvor die tiefsten Geheimnisse der Seele, des Liebeslebens oder auch des Leidens so in den öffentlichen Raum gestellt [hat] wie das heutige, so daß man sich fragen kann, worin in den modernen Industriegesellschaften überhaupt noch das ‚Verdrängte’ besteht“ (vgl. von Braun 2001, 274: „der soziale Klebstoff der Moderne heißt ‚Sex’“ ), dann ist das insofern richtig, als es heutzutage in den Inszenierungen virtueller Oberflächen und damit im gesellschaftlichen Diskurs kaum noch Tabus gibt. Dies ist sicher, gerade im Vergleich zum ‚zugeknöpften’ und sexuell zu kurz gekommenen 19. und auch noch 20. Jahrhundert, sehr zu begrüßen. Ich möchte jedoch stark anzweifeln, dass dabei tatsächlich Geheimnisse des Seelenlebens gelüftet oder gar Leiden, wie sie an Armin sichtbar sind, abgebildet werden bzw. werden können, auch wenn tatsächlich viel über Krankheiten und die realen Ängste vor körperlichem Verfall und/oder schwindender Attraktivität in den Medien berichtet wird. Das Sexuelle ist heute jedoch verdrängter denn je in dem Sinne, dass das erotische Begehren des Einzelnen durch die Flut von sexistischen bzw. genital-fixierten Bildern in Werbung und Massenmedien virtuell zugekleistert wird. Viele Menschen sind wegen den vielen Sexbildern, die sie täglich aufnehmen, nicht selten überfordert, gerade wenn sie dann tatsächlich Sex mit jemanden ausprobieren wollen. Vielleicht könnte man (zugespitzt) sagen: Je mehr blendende Bildinformation über (genitalen) Sex öffentlich zirkuliert, desto schwieriger wird es, diesen tatsächlich praktisch umzusetzen und mehr noch dessen Geheimnis für sich zu erfahren und zu bewahren. Die Sexualität ist bereits zum technischen Ding neben anderen geworden, das mit Notwendigkeit etwas ausblendet oder verdrängt. Dagegen gilt es aufzubegehren, wohl am besten mit spontanem Sex, mit Libido, z. B. an öffentlich zugänglichen Orten, wie es Armin für sich erträumt. 534 Armins Spielplatz Auch wenn Armin viele seiner so nahe liegenden Wahrheiten noch verkennt, hat er immerhin schon einen Ort gefunden, an dem er allein und, wie Hochhäusler sagt, „freier“ sein kann, eben die Autobahn.1713 Hier hinterlässt er sogar Spuren, schmiert seinen Vornamen als Graffiti-tag auf die gefliesten Wände eines Rastplatzklos, führt dort eine Art Anwesenheitsliste, in die er sich bei jedem Besuch sorgfältig mit Datum einträgt, oder inspiziert mit kindlicher Neugier herumliegendem Müll.1714 Was führt ihn an diesen so unfreundlichen Ort, einen kreuzungsfreien Transitraum, der doch eigentlich noch viel abweisender wirkt als funktionale Büroräume oder das schlecht ausgeleuchtete elterliche Heim im verklinkerten, braun-beigen 80er-Jahre-Dekor? Es ist meiner Meinung nach die Erfahrung von Fremdheit, die er als illegaler Fußgänger an einem derartigen Nicht-Ort,1715 den man – wie Hochhäusler bemerkt – nur im „Raumanzug“ des Autos „betreten“ darf, machen möchte und begehrt.1716 Die nächtliche Autobahn wird auch tatsächlich als unheimlicher und mythischer Ort, als surreale Umkehrwelt, als futuristische Geisterbahn, vorgeführt – und dies sehr 1713 Vgl. Interview mit Christoph Hochhäusler unter: http://www.falscher-bekenner.de. „Die Perspektive auf diese Orte [die Autobahn, die Autobahntoilette oder das Brachland] lässt sich vielleicht so beschreiben, dass da das neue Deutschland auf den alten Westen blickt.“ Ebd. 1714 Vgl. Böhme 2006, 134. 1715 Vgl. zur Definition des Nicht-Raums Marc Augé (2006, 63): „If a place can be defined as relational, historical and concerned with identity, then a space which cannot be defined as relational, historical and concerned with identity will be a non-place. [...] Place and non-place are rather like opposed polarities: the first is never completely erased, the second never totally completeted; they are like palimpsests on which the scrambled game of identity and relations is ceaselessly rewritten. But non-places are the real measure of our time; one that could be quanitified – with the aid of a few conversations between area, volume and distance – by totalling all the air, rail and motorway routes, the mobile cabins called ‚means of transport’ (aircraft, trains and road vehicles), the airports and railway stations, hotel chains, leisure parks, large retail outlets, and finally the complex skein of cable and wireless networks that mobilize extraterrestrial space for purposes so peculiar that it often puts the individual in contact only with another image of himself.“ Vgl. auch Metelmann 2003, 228 f., der u. a. mit Deleuze demgegenüber argumentiert, dass „Nicht-Orte gerade keine beliebig allgemeinen Orte, sondern singuläre Ereignisse sind. Sie werden reiner Ausdruck von Emotion.“ Wie diese Umdeutung zu verstehen ist, wird im Haupttext noch mit der Theorie des cruising weiter verfolgt. 1716 Interview mit Christoph Hochhäusler unter: http://www.falscher-bekenner.de 535 realistisch, zwar verfremdet, aber ohne fantastische Mittel:1717 quasi ein faszinierendes Lichtspiel im Schwarz einer fernen Galaxie, das mit etwas Fantasie sogar an ein sci- fi-Spektakel mit Laserkanonen erinnert. Die Autobahn ist der einzige Ort im Film, an dem sichtbare Bewegung bzw. Dynamik stattfindet. Auch das wirkt anziehend auf Armin, den autistischen Autobahn-Nomanden.1718 Seine persona leuchtet in diesem Spektakel einmal kurz auf, während er durchs Bild geht. Die Subversion, die hier möglich wird, so der Regisseur, haben schon die RAF-Terroristen genau erkannt und genutzt. Denn sie haben sich immer Verstecke ausgesucht, die – ähnlich wie Armins Zuhause – einen direkten Autobahnanschluss hatten, um im Notfall schnell fliehen zu können.1719 Überhaupt glaubt Hochhäusler, dass es in Deutschland viel ums schnelle Wegkommen geht, weniger im Sinne einer „Utopie des Aufbruchs“, sondern eher „als Ventilieren von Frustration“. „Wir sind Reiseweltmeister! Das Wegkommen ist ein großes Thema für die Deutschen.“1720 – Masochistische Flucht nach vorn als kollektives Leitbild. Der Filmemacher bemerkte während der Dreharbeiten, dass eine Autobahn schwer zu fotografieren ist, sie erschien ihm quasi unsichtbar. (Auch das ist ein Grund für Armin, die Autobahn zu erkunden – er will sie wie Hochhäusler sehen, d. h. die Umwelt, in der er lebt, anders wahrnehmen.) Zudem nennt Hochhäusler das 1717 „Die phantasmatische Szene und die symbolische Ordnung sind strikt korrelativ: Es gibt keine symbolische Ordnung ohne phantasmatischen Raum, keine ideale Ordnung des logos ohne die pseudo- materielle, ‚virtuelle’ andere Szene, wo die phantasmatischen Erscheinungen auftauchen können, oder um es mit Schelling zu sagen, es gibt keinen Geist ohne Geister“, Žižek 1999, 86. 1718 Im Anti-Ödipus konstruieren Deleuze und Guattari zwei Pole, denen „gleichermaßen gesellschaftliche große Besetzungstypen“ entsprechen: „einen seßhaften und bijektiv-machenden Typ mit reaktionärer oder faschistischer, einen nomadischen und polyvoken Typ mit revolutionärer Tendenz.“ (Vgl. Deleuze und Guattari 1977, 440). Armin befindet sich genau zwischen beiden Polen, die er zu verknüpfen versucht. 1719 Wie mir ein Freund mitgeteilt hat, gab es in den 1960er Jahren so etwas wie ein ‚BRD-Autobahn- Anschlussgesetz’, das vorsieht, dass der Anfahrtsweg zwischen jedem Haushalt und einer BAB- Auffahrt nicht mehr als 25 Kilometer betragen darf. (Die Infrastruktur rückt also wie die heutigen technischen Medien auf den Leib.) Auch wenn wir nicht herausfinden konnten, wie dieser Bundestagsbeschluss genau heißt und wann er durchgesetzt wurde, danke ich Friedhelm Böpple für diesen Hinweis. 1720 Interview mit Christoph Hochhäusler unter: http://www.falscher-bekenner.de 536 Autobahngefüge im Audio-Kommentar zum Film – und da kommt einmal mehr eine organizistische Metapher im Sinne der klassischen Prothesentheorie ist Spiel – eine „Arterienkathedrale“,1721 „ein unvollendetes und unvollendbares Riesenbauwerk“, wie man es besonders im Ruhrgebiet und angrenzenden Rheinland, wo der Film gedreht wurde, findet. Schaut man sich dieses „terrortaugliche“ Gebiet1722 etwa auf einer Karte in größerem Maßstab an, so sieht man als erstes ein rhizomartiges1723 Autobahngeflecht, das mit seinen unzähligen Kreuzen, Dreiecken, Auf- und Ausfahren derart unübersichtlich und dicht ist, dass kaum mehr Platz für die Namen der umliegenden Städte bleibt. Auch der dänische Regisseur Lars von Trier, dessen Kopenhagener Produktionsfirma für Independent-Filme Zentropa an FALSCHER BEKENNER beteiligt ist, hat ein ausgesprochenes Faible für deutsche Autobahnen, besonders in dieser Region: Er hat sie in seinem Ausnahmefilm EPIDEMIC von 1987 im Auto zusammen mit seinem Drehbuchschreiber Niels Vørsel auf der Fahrt nach Köln zu Udo (Udo Kier) erkundet und klaustrophobisch in schwarz-weiß inszeniert/dokumentiert. Der Dramatiker Heiner Müller sagt in seinem Interview 1721 „Gemäß dem Bild des Körpers als Einheit mit äußeren Grenzen, einer inneren Ordnung und einer Mitte werden über Jahrhunderte hinweg die Städte angelegt. Dies ändert sich entscheidend mit der Entdeckung des Kreislaufsystems des Blutes. William Harvey entdeckte die Blutbahnen der Arterien und Venen mit dem Herzen als Pumpe im Jahre 1628. Fortan erscheinen Körper, Städte und Gesellschaft als gesund, wenn ein freier Fluss des Blutes bzw. der Menschen, der Waren, der Ideen und des Geldes stattfindet.“ (Schroer 2006, 282, der sich u. a. auf Sennett 1997 bezieht.) Diese Bewegungsfreiheit – im Sinne des Spielraums der Metapher – ist ein weiterer, möglicher Grund dafür, dass Armin die ‚Arterienkathedrale’ BAB so verlockend findet. Und dies gilt gewiss nicht nur bei ihm. – An ein Tempolimit auf deutschen Autobahnen, das sich doch eigentlich bei dem sehr ausgeprägten Ordnungs- bzw. Sicherheitsdenken in Deutschland längst durchgesetzt haben müsste und in allen anderen europäischen Ländern Gang und Gäbe ist, hat sich bis jetzt noch kein/e PolitikerIn wirklich heran getraut, es ist eines der letzten Tabus hierzulande. Einmal kräftig das Gaspedal durchtreten zu können, im PS-starken Wagen auf der ausgebauten Autobahn über Berg und durchs Tal zu brausen, gehört zu den wenigen Narrenfreiheiten, die den BürgerInnen heute von Seiten des Staates (noch) gegönnt sind, ein allseits von jung und alt praktiziertes ‚Kulturgut’. Allerdings hat Armin im Gegensatz zum gewöhnlichen Autobahn-User eben den Vorteil, dass er als Fußgänger dieses architektonische Monstrum, das Hochhäusler auch als Krake bezeichnet, ganz anders wahrnehmen und erleben kann – sein spezielles plus-de-jouir. 1722 Interview mit Christoph Hochhäusler unter: http://www.falscher-bekenner.de 1723 Vgl. die zusammenfassenden Anmerkungen zu Deleuzes und Guattaris wohl prominentestem Begriff, dem Rhizom (Graswurzel): Kacas 2003, 25 ff. 537 Jenseits der Nation mit Frank M. Raddatz, das kurz nach der deutschen Wiedervereinigung erschienen ist, dass es „in der Bundesrepublik [...] schon jetzt mehr Fläche für Autos, also Straßen, Parkhäuser und dergleichen, als Wohnraum [gibt].“1724 Und auch, dass der Mensch dieser Infrastruktur bzw. „Maschinenwelt schutzlos ausgeliefert [ist]. Er kann nur hoffen zwischen den sich unendlich vermehrenden Maschinen noch einen Ort für sich zu finden.“1725 Und genau diese Aussage ist – so möchte ich behaupten – die verschlüsselte Botschaft, die in Armin zirkuliert1726 und der er bereits nachspürt. – Dies war ebenfalls das Schicksal und unbewusste Begehren von Max Renn in VIDEODROME. Er hat es allerdings nicht geschafft, gegen die Medien und den Maschinenpark in ihm und um ihn herum anzukommen. Mit diesem Park, eine Anordnung aus verschiedenen Dispositiven, sind also nicht nur außenliegende Apparate und Architektur-Maschinen gemeint, sondern auch die hochtourig laufenden Wunsch- und Höllenmaschinen bzw. Subroutinen des/im Ich. 1724 Vgl. Müller 1991, 39. 1725 Ebd. Armins sich wiederholenden Autobahn-Streifzüge dienen vor allem dazu, sein Ich (besser) kennenzulernen. Eine Metapher McLuhans kann (spekulativ) darüber Auskunft geben, wie Armins Innenleben möglicherweise strukturiert ist, warum ihn die BAB so magisch anzieht: „Die Autobahnen des Denkens und Fühlens, die über den zeitgenössischen Geist gespannt wurden, sind noch bedrohlicher als die finanzielle und bürokratische Konzentration der Macht.“ McLuhan 1996, 37. 1726 Diese zirkulierende und zu entschlüsselnde Botschaft ist auch tatsächlich zu sehen: Während Armin als Sozius auf eine nächtliche Motorradspritztour auf die Autobahn mitgenommen wird (bzw. sich dort hin imaginiert), sehen wir, wie sich Lichtreflexe gleichmäßig auf dem Rand der zwei schwarzen Motorradhelme drehen (die Hochhäusler zwei Mal hintereinander zeigt). – Eine grandiose Miniatur als Lichtspiel, das das strukturalistische Feingefühl Hochhäuslers illustriert: Einerseits sind das die Drehmomente der maschinellen Partialobjekte, die zu einem ‚Reigen’ verbundene Leerstellen-Kette (o- o-o-o) auf großen schwarzen Kugel(wese)n, motorisierte Cyborgs; andererseits ist dieses Bild eine Variation zu David Lynchs berühmten LOST-HIGHWAY-Motiv (1996), das die ‚on-off’- Markierungen eines Straßen-Mittelstreifens während einer Fahrt zeigt und so dieser Kette ebenfalls Ausdruck verleiht. Lars von Trier arbeitet in der Exposition zu EUROPA (1991) ebenfalls mit dieser Symbolik, hier sind es Bahnschienen bzw. Schwellen, die mit Hilfe einer vorn an der Lokomotive montierten Kamera aus der Perspektive eines anfahrenden Zugs gefilmt werden. Lynchs Mittelstreifen- Motiv hat Hochhäusler kurz vorher in FALSCHER BEKENNER sogar zitiert: Im Gegensatz zu Lynch sind die Mittelstreifen jedoch kaum zu erkennen, da sie verschwommen dargestellt sind. Das sind natürlich auch Anspielungen auf die Bewegung des Films selbst: „Rollfilm“ (vgl. Kittler 2002, 203) oder auch (über das Kino hinaus) das „zirkulierende[] Ding“ (vgl. Böhme 2006, 293). 538 „Der Mensch ist der Feind der Maschine, für jedes geordnete System ist er der Störfaktor. Er ist unordentlich, macht Dreck und funktioniert nicht. Also muß er weg, und das ist die Arbeit des Kapitalismus – der Struktur der Maschine.1727 [...] Es ist ein ungeheurer Einschnitt [d. h. der Übergang von der Landwirtschaft zur Industrialisierung bzw. von organischem zu unorganischen Material, für Müller die Revolution des 20. Jahrhunderts; Anmerkung S. P.], denn die Maschine gehorcht einer anderen Zeit als die Menschen. Jetzt kann es nur noch darum gehen, in diesem Maschinenpark, der immer schneller wächst und sich immer schneller bewegt, ein Reservat für das Menschliche, für die biologische Geschwindigkeit des Menschen zu schaffen.“1728 Aber nicht nur auf der dynamischen, sich immer schneller bewegenden Oberfläche, sondern auch darunter könnte Armin etwas interessieren. ‚Unter dem Pflaster liegt der Strand’ lautet ein Spontispruch aus den 1970er Jahren. In Sacher-Masochs Ästhetik ist dieser begrabene Strand die antike Welt der griechischen Sinnlich- und Heiterkeit, eine klischeehafte Idealvorstellung, die sich seit Mitte des 18. Jahrhunderts entfaltet und die Fantasmen wie Normen des entstehenden Bürgertums prägt,1729 die unter der geschlossenen Schnee- und Eisdecke des strengen galizischen Winters hindurchschimmert oder, wie Gilles Deleuze schreibt, in den idealisierten Beschreibungen der Steppenlandschaften abwesend-anwesend ist.1730 Die Steppe der Bundesrepublik ist heute die dichte Verkehrsinfrastruktur und die Zersiedelung, geschlossene und weitläufige Oberflächenstrukturen, die mit Natur und Sinnlichkeit nichts mehr zu tun haben. Eher muss man von einer Beton- und Asphaltwüste sprechen.1731 Möglicherweise ist es das unbewusste Begehren irgendeines einbetonierten oder zumindest oberflächlich nicht mehr wahrnehmbaren 1727 Vgl. Müller 1991, 39 ff. 1728 Ebd. 38 f. Dies ist, nebenbei bemerkt, der notwendige Handlungs- und Spielauftrag, der nach wie vor gilt, mehr denn je und bestimmt nicht nur für Armin oder im akademischen Diskurs der vorliegenden Arbeit. 1729 Vgl. Mosse 1996, 42 ff. und 258. 1730 Vgl. 114 in dieser Arbeit. 1731 Das Experimentieren mit Asphaltplatten ist wichtiger Teil der Fotografie-Entwicklung im 19. Jahrhundert. Vgl. 194 in dieser Arbeit 539 Signifikatrests, welcher Armin so an die Autobahn, seinen Freiraum, bindet1732 – auch wenn er gewiss kein klassischer Romantiker oder Idealist ist. Dass er schon einen kleinen, aber intensiven Vorgeschmack auf das bekommen hat, was dieses Signifikat sein könnte, wurde bereits mit dem Unfall, der Lenkstange und dem Zeitungsbericht beschrieben. Aus dem kontingenten Zusammenspiel von Bruch, Tod, Objekt und Leerstellen, das buchstäblich einem überdeterminierten Dispositiv oder einem Gefüge (BAB und Massenmedien) für ihn entsprang und in das er bereits tief verstrickt ist, entsteht nun auf der Ebene perverser Fantasie ein Symptom, das zu einer Praxis führt.1733 Armin beginnt virtuelle Verbrechen zu begehen. Wie er in anonymen, am Computer verfassten Bekennerschreiben mitteilt (eine Stelle des Films zeigt, wie er ein solches Schreiben aufsetzt), habe er nicht nur den anfänglichen crash durch einen Sabotageakt ausgelöst, sondern auch weitere Unfälle, die sich im Laufe des Films noch ereignen. Zumindest suggeriert der dramaturgische Ablauf des Films, dass Armin seine Sabotage-Gelüste auch in die Tat – in Trittbrettfahrer-Aktionen – umsetzt. 1732 In unbewusster Projektion erweist sich die Autobahn für Arnim als jener Schirm, der ein unerreichbares Objekt (a) verdeckt: es leuchtete am gecrashten Jaguar hinten rot auf. „Das ins Selbstbild des Subjekts eingehüllte Objekt ist so wenig real wie nichtig, sondern Schein von Sein; an ihn adressiert sich der begehrende und erkennende Mensch. Das Sein stützt sich auf seinen Schein. So bleibt alles, was Menschen an Realität erobern, im Phantasma verwurzelt. Ja, man kann sagen: Das Feld der Realität funktioniert überhaupt nur kraft der Abschirmung durchs Phantasma.“ Bolz 1992, 33. 1733 Hier kommt, wie mit Žižek argumentiert werden kann, das grundlegende „Paradoxon der Logik des Signifikanten“ zur Geltung, „nach welchem sich unter den Elementen einer Menge immer wenigstens ein Element befindet, das gerade als ein Element innerhalb dieser Menge die ‚Färbung’ der ganzen Menge überdeterminiert, bzw. unter den Arten einer Gattung immer wenigstens eine, deren Bedeutung die der Allgemeinheit der Gattung selbst überdeterminiert.“ (Vgl. Žižek 1991, 35) In FALSCHER BEKENNER ist dieses Element bzw. Supplement einerseits die Spurstange (greifbares Partialobjekt, ein Werkzeug), andererseits der Grauschleier über jedem Bild (Gesamtfärbung des Films als virtuelles Totalobjekt), beides ist phallisch-unbewusst vernetzt. 540 Crash-Lust Neben dem anfänglichen Autobahn-crash gibt es einen weiteren signifikanten Unfall in FALSCHER BEKENNER für Armin: Zusammen mit der Nachbarstocher Katja, die aus ‚besserem Hause’ kommt und die er begehrt, hat er einen Rollstuhl zu Bruch gefahren, den Katja sich von einem behinderten Jungen aus der Nachbarschaft für ein Selbsterfahrungsseminar ausgeliehen hatte. „Willste mal fahren“, fragt Katja Armin, worauf dieser sich einlässt. Die beiden haben dabei ziemlichen Spaß, tollen herum. Nachdem Armin eine Runde Rollstuhl gefahren ist, kommt Katja an die Reihe. Nach anfänglichem Zögern setzt sie sich in den Rollstuhl und wird von Armin angeschoben. Doch Armin beschleunigt viel zu schnell, Katja kreischt – eine Mischung aus Angst und kindlichem Freudenschrei.1734 Diese rasante action findet in einer Tennishalle auf einem der courts statt; hier spielt Katja sonst Tennis bzw. versucht dies erfolglos, wie der Anfang der Sequenz zeigt. Dann muss sich irgendwann der crash ereignet haben, den wir allerdings nicht zu sehen bekommen. Erst nachträglich geht aus der Filmhandlung hervor, dass der Rollstuhl kaputt ist und Katja bei dem Unfall (zum Glück nur) ein paar Kratzer abbekommen hat. Armin verarztet sie liebevoll mit einem neuen Pflaster, als er sie später zufällig wieder trifft. Es kommt dabei zu einem Hautkontakt; die Verletzung wird in einer Nahaufnahme sichtbar. Armin muss sich auf Wunsch bzw. Anweisung der Mutter für diesen Faux Pas mit einer Schachtel Pralinen bei dem Besitzer des Rollstuhls, Richard, entschuldigen. Als Armin Richard zu Hause aufsucht, sitzt dieser im Wohnzimmer auf der Couchgarnitur und liest ein Buch von Robert Musil. (Der Titel lässt sich nicht genau erkennen; möglicherweise ist es Der Mann ohne Eigenschaften, was zu FALSCHER BEKENNER passen würde.) Der intelligente Junge, der ungefähr gleich alt wie Arnim wirkt, durchschaut das ‚Spiel’ dieser nett gemeinten Geste sofort, ahnt, dass Armin ihm Schokolade mitgebracht hat und sagt, noch bevor er das verpackte Geschenk geöffnet hat, dass er Süßigkeiten nicht essen darf. Armin kommt auf die Idee, dass er die Pralinen doch auch seiner Mutter anbieten könnte. Doch als Richard 1734 Der Tenniscourt, wo sonst nur ‚dialektische’ Ballwechsel stattfinden, wird zur elliptischen Rollstuhl-Test-Rennstrecke, in der das Netz umfahren wird. 541 sie fragen möchte, hat sie gerade keine Zeit. Daraufhin sagt er zu Armin: „Wennde willst, kannst Du essen. Aber ich will zusehen. Ich will wissen, wie Du ’ne Praline isst.“ Armin folgt seiner Anweisung: Einmal mehr wird er nun ‚getestet’ und zum Versuchsobjekt. Der Junge schaut genau hin und bemerkt, während er mit dem Zeigefinger auf die Mitte seiner Stirn deutet: „Das Lustzentrum sitzt hier.“ (Als Max Renn in VIDEODROME Barry Convex erschoss, traf die letzte Kugel seiner flesh gun genau diesen Punkt auf Convex’ Stirn. Brian O’Blivion hatte ebenfalls auf seinen Kopf gezeigt, um Max zu veranschaulichen, wo der videodrome-Gehirntumor wächst.) Nachdem Richard Armin aufgefordert hat, eine weitere Praline zu essen („Mach die Augen zu beim Kauen, dann schmeckst Du intensiver“), sagt er noch, dass er Armins Verhalten keineswegs billige. Damit meint er – so verstehe ich das – weniger den Unfall, sondern vielmehr die Entschuldigungsaktion, dieses von Armins Mutter verordnete Ritual, in dem es Armin nicht einmal fertig bringt, ‚Entschuldigung’ zu sagen. Vor allem ärgere es ihn, dass nicht Katja den Rollstuhl kaputt gemacht hat. Armin ergänzt diesen Gedanken: „Du meinst, dann würde sie hier sitzen.“ Da lächelt Richard nur noch genüsslich in sich hinein und schweigt. Nebenbei bemerkt: Katjas und Armins sportlicher test-drive kann mit einem Beispiel von Deleuze, in dem er die fantasmatische Struktur des Maso-Dispositivs beschreibt, analogisiert werden: „eine Frau in Shorts auf einem feststehen Fahrrad, heftig in die Pedale tretend: das masochistische Subjekt liegt unter dem Fahrrad, dessen wirbelnde Pedalen ihn fast streifen, und preßt sein Handflächen an die Waden der Frau“.1735 Das wäre die klassische Maso-Konstellation, sehr treffend mit einem in dieser Arbeit noch nicht erwähnten Medium wiedergegeben: das muskelbetriebene Zweiradprinzip bzw. Laufrad, eine Erfindung des frühen 19. Jahrhunderts. (Die Metapher der Tretmühle wurde jedoch schon verwendet.) Im Vergleich zu FALSCHER BEKENNER fällt erstens auf, dass der Rollstuhl eben nicht wie Deleuzes ‚Trimm-Dich-Rad’- Installation fixiert ist und schon beim zweiten Testversuch außer Kontrolle gerät; zweitens, dass im Gegensatz zum klassischen Masochismus die Rollen zwischen aktiv (weiblich) und passiv (männlich) nach Belieben getauscht werden können, was wie gesehen (und wie am Ende der Traumerzählung der Venus im Pelz) nicht gut geht; und drittens, dass Hautkontakt dabei nicht stattfindet, wohl aber Verletzungen der 1735 Deleuze 1980, 223. 542 Haut. (Die körperliche Verletzung ist hier quasi die Voraussetzung für einen zärtlich- verarztenden Hautkontakt, der später erfolgt.) Überhaupt ist der Rollstuhl ein starkes Symbol für die gegenwärtige, künstlich hocherregte bzw. beschleunigende Bewegungslosigkeit (Stichwort: dromologischer Stillstand [Paul Virilio 1980]) mit erhöhter Unfallgefahr, wie es für das Leben im virtuell aufgeheizten Nicht-Raum, in der Hypersphäre, charakteristisch ist. Armin erkennt sogar in einer nachfolgenden Einstellung, dass er – zumindest geistig – verkrüppelt sei, er meint damit seine Selbstblockade und auch schon sein Schizosein. (Seine Mutter hatte ihm zuvor, im Zusammenhang mit dem Unfall, schon ein „Spatzenhirn“ angedichtet.) Das ist eine richtige und wichtige Beobachtung Armins, die aus dieser Selbsterfahrung resultiert und mit der er – wie auch das Publikum – produktiv weiter arbeiten kann. Auch in Michael Hanekes neuestem Spielfilm, LIEBE (2012), der ein alterndes Bildungsbürger-Ehepaar, Georges und Anne, vorstellt, gibt es eine signifikante Rollstuhl-Unfallszene, die Christina Nord in einer Rezension erwähnt: „Nach dem ersten leichten [Schlag-]Anfall sieht man, wie sie [Anne] im Flur ihren neuen Rollstuhl testet und dabei freudig die Bewegungsmöglichkeiten entdeckt, dann aber stürzt sie beim verzweifelten Versuch, allein aufzustehen und Georges muss ihr zurück ins Bett helfen.“ Für George wird die Alterskrankheit seiner Frau zur Belastungsprobe ihrer Liebe.1736 Klammheimliche Sabotage Armin glaubt, sich mit seinen Bekennerbriefen in den gesellschaftlichen Diskurs einschreiben zu können und damit Erfolg zu haben, kann er doch die Resultate seines ‚Werks’ im abendlichen Fernsehen oder in der Zeitung sehen und klammheimlich genießen. Die Medien machen ihm ja deutlich vor, wie es geht: Hier werden Abgründe, Unfälle, Pannen und Terror (inklusive Bekennerschreiben bzw. -videos) meist unverfroren in Bild und Ton und wenn möglich sogar live am Ort des 1736 Vgl. Nord 2012. 543 Geschehens präsentiert. Armin folgt einfach den Inszenierungsstrategien und gleichsam unbewussten Codes massenmedialer Aufmerksamkeitserzeugung und - ökonomie, die gesellschaftlich gefordert und täglich konsumiert werden. Er möchte wie jede/r Perverse ganz nah dran sein am medialen Geschehen, möchte teilhaben und mitmischen an den hier produzierten Zeichen. So imitiert er den simulierten bzw. medial verstärkten Terror, allgemeine Verunsicherung bis zur hysterischen Panikmache, wie sie gerade in TV-Newsformaten variationsreich zum Ausdruck kommt. Dabei möchte er sich selbst als Ursache setzen bzw. ins Spiel bringen, mediale Machtgelüste ausdrücken bzw. antesten, wichtig sein, im leuchtenden Mittelpunkt stehen, etc. Eine Ursache muss in den Meldungen der Massenmedien – nicht nur bei Gewaltvorfällen, aber besonders dort – sofort genannt bzw. virtuell konstruiert werden, sie hat einen hohen Stellenwert, sie muss kommen, selbst wenn nichts oder wenig über den Hintergrund eines Ereignisses bekannt ist. Wie gleich zu sehen ist, ist im Todesfall Heilmann (das Unfallopfer im gecrashten Jaguar) dem TV- Nachrichtenformat, das diesen präsentiert, sofort klar, dass der Unfall Sabotage war: ein Racheakt, auch wenn die Staatsanwaltschaft daran noch zweifelt, wie in einem Nebensatz bemerkt wird.1737 Auch das ist gesellschaftlich so gewollt. Das vorgegebene und wirksame Muster, mit dem die Medien reagieren, ist im Prinzip immer das gleiche: leicht verständliche dann-Verknüpfungen („additive Montage“),1738 unterhaltsame und belehrende Informationsverknappung 1737 Meine Erinnerung an 9/11 ist, dass kurz nachdem klar geworden war, dass es sich um Terrorakte handelte, auf allen TV-Kanälen bereits feststand, dass Usama bin Laden hinter all dem grausamen Theater stecke; es wurden sofort qualitativ schlechte Archiv-Bilder dieser Person eingespielt. Daran hat sich danach nichts mehr geändert. Es wundert in diesem Zusammenhang auch nicht, dass die Tötung Bin Ladens am 2.5.2011 live in den Situation Room des Weißen Hauses, der mit Kubricks imaginärem war room aus DR. STRANGELOVE [1964] vergleichbar ist, übertragen wurde, also ein mediales Großereignis (nicht nur an diesem speziellen Ort) war. Die im Situation Room anwesende Hillary Clinton, Außenministerin der USA, bekam dabei einen Schock, den sie nachträglich als allergische Reaktion bezeichnete. Gerade bei Schuldzuweisungen sind die Massenmedien sehr schnell. Diese Zuweisungen müssen – im Gegensatz zu 9/11 – nicht einmal explizit ausgesprochen werden. Der erhobene Zeigefinger, wie auch der Sündenbock, ist meist im Bild codiert wirksam. Vgl. Keppler 2006, 260. 1738 Vgl ebd. 226. 544 („Bruchstücke“),1739 Schlagwort-Bingo-Reihen in Bild und Ton (u. a. als „Routine des Umgangs mit Gewaltereignissen“),1740 kurz: eine als Grundrecht verordnete Kollektiv- Verdummung, die auf den ersten Blick so plausibel, einleuchtend und pädagogisch erscheinen soll, dass sie gar nicht erst weiterer Klärung oder Nachfragen bedarf. Die Frage nach den großen Zusammenhängen ist ausgeblendet bzw. suspendiert. Dafür ist keine Zeit bzw. Aufmerksamkeit vorhanden. Die Bilder müssen stets bezeugen, was dazu gesagt wird. Wenn es dunkel und nebelig ist, dann sieht man nichts, dann hat man keine Orientierung und irrt tastend umher. Dann hilft auch kein künstliches Licht. Auch wenn Massenmedien pausenlos reagieren, d. h. registrieren und kommentieren (und oft im grell erleuchteten Nebel des Virtuellen realiter ziemlich hilflos herumstochern), so bleibt die erkenntnisfördernde Wahrheit – der Zweifel, der Widerspruch und Widerstreit – dabei meistens aus oder in der Schwebe. Trotzdem ist in TV-Darstellungen gerade im Hinblick auf Inszenierungen terroristischer Gewalt, wie Angela Keppler herausstellt, ein vorgegebener bzw. kalkulierter Spielraum vorhanden. Dabei muss nicht einmal explizit Gewalt gezeigt werden, schon die Andeutung oder der vage Verweis darauf ist meist ausreichend, um diese ins Bewusstsein zu rufen und Angst zu schüren. „Durch ihre Bildfolgen [...], die allein von Spuren und Potentialen der Gewalt handelten, können Nachrichtenbeiträge auch das Lauernde, Abwesende, Ungreifbare gerade einer terroristischen Gewalt in Erinnerung rufen oder gegenwärtig zu machen versuchen. All dies trägt wesentlich zu dem Bild der Gewalt bei, das durch die fraglichen Beiträge hergestellt oder verfestigt wird – ein Bild, zu dem sich die Zuschauer schwerlich indifferent verhalten können, auch wenn ihnen grundsätzlich der Spielraum bleibt, die entsprechende Sichtweise zu übernehmen oder ihr zu misstrauen.“1741 1739 Vgl. ebd. 222 ff. 1740 Vgl. ebd. 260. 1741 Vgl. Keppler. 260 f. (und vgl. ebd. 6.4 [„Spuren der Gewalt“], 241 ff.). 545 Zu den bizarrsten und wichtigsten Momenten in FALSCHER BEKENNER gehört in diesem Zusammenhang jene Sequenz, in der die Familie Steeb gemeinsam vor dem Wohnzimmer-Fernseher sitzt und Armins Schande, sein ‚terroristisches’ Spiel, mit großer Aufmerksamkeit in einem Nachrichtenmagazin verfolgt, ohne auch nur im geringsten etwas zu erahnen.1742 Zu sehen gibt es den gecrashten Jaguar am nächtlichen, nun im Gegensatz zur Exposition hell erleuchteten Unfallort. Ein einflussreicher Bankmanager, Dr. Heilmann, ist hier zu Tode gekommen, wie die männliche Sprecherstimme des Beitrages sagt. Der Bericht zeigt u. a., wie die Leiche, die man nicht sieht, in einem Sarg abtransportiert wird. „Das ist doch unsere Ausfahrt!“ bemerkt Mutter Steeb just in diesem Moment. Doch während Armin wahrscheinlich innerlich triumphiert (er schaut wie gebannt auf die Mattscheibe), bemerkt er, dass seine Mutter plötzlich am Kopf zu bluten beginnt und macht sie darauf aufmerksam. (Eigentlich hätte er das gar nicht bemerken können, da sie hinter ihm sitzt und es im Wohnzimmer ziemlich finster ist.1743)1744 Dieses Blut, das auch auf 1742 Wie in der vorangegangen VIDEODROME-Analyse bereits mit Régis Debray gesagt wurde, ist der/die ZuschauerIn schon immer im Fernsehbild enthalten. (Vgl. Debray 1999, 291.) Armin nimmt dies (zu) wörtlich, betreibt er doch heimliche und illegitime Interaktion mit den Massenmedien. Er möchte teilhaben am hier inszenierten Geschehen, möchte sich mit seiner Trittbrettfahrer-Aktion ins Fernsehbild setzen, Co-Produzent werden. 1743 In dem dunklen Raum funkeln dennoch kleine Lichter auf, ein molekulares Glitzern, die Magie des Reellen, die hier ebenfalls unübersehbar anwesend ist. 1744 Es handelt sich hier also um eine unbewusste Übertragung zwischen Mutter und Sohn. Die Mutter scheint Armins ‚Wunde’ – und damit verbunden: sein virtuelles Verbrechen, sein Symptom, seinen innerlichen crash – in diesem Moment zu spüren: Diese ‚Wunde’ überträgt sich und ‚platzt’ dann sozusagen an ihr auf. Dabei ist zu konstatieren, dass der Weg bzw. Kanal dieser ‚Kommunikation’ nicht logisch bzw. chronologisch nachvollziehbar ist. Denn wer oder was genau ist hier Sender und Empfänger? Was wird hier eigentlich gesendet: so etwas wie ‚blutende’ Körperinformation wie in VIDEODROME? Einmal mehr sind, wie am Anfang der Analyse schon erläutert wurde, Ursache und 546 ihren Ehemann tropft, ist jedoch nur rotes Haarfärbemittel, das sie sich vorher im Bad aufgetragen hat. Große Aufregung entsteht plötzlich wegen ein paar Spritzern Färbemittel – die Eltern verlassen eilig das Wohnzimmer. „Der TERROR ist da!!!“ wird die Schlagzeile am nächsten Tag in der Boulevardpresse lauten. Der TV-Bericht endete mit dem Satz: „Die Behörden sind in Alarmbereitschaft“. Vor der Hauptzentrale der Bank, der Heilmann vorstand, herrscht ab sofort Polizeipräsenz, wie der Sprecher mitteilt und das letzte Bild des Berichts bezeugt. Nachdem Armin ‚sein’ Nachrichtenmagazin konsumiert und den Fernseher ausgeschaltet hat, versinkt er alsbald in Träumerei; sein fantasmatisches Symptom, das aktiviert wurde, übernimmt jetzt die Regie in Form einer Wunschhalluzination – begleitet von geheimnisvollen Klängen. Es ist die unbewusste Reaktion Armins auf die Nachrichtensendung, die zwar nicht so heftig ausfällt wie Max Renns videodrome- Halluzinationen, aber in ihrer Herkunft und Struktur vergleichbar ist. Er imaginiert sich auf die Autobahn. Motorradbiker holen ihn am Rastplatz für eine nächtliche Spitztour ab. In dieser vorabendlichen Träumerei transformiert er sich, er wird anders, indem sein Unbewusstes sich öffnet: „An die Stelle des ‚und dann’ tritt das schizophrene ‚sei es ... sei es’.“1745 Bereits im klassischen Masochismus sind vergleichbare (Familien-)Szenen zu finden. Albrecht Koschorke stellt in der Literatur Sacher-Masochs fest, dass sich „die im 19. Effekt bzw. Ur und Sache in diesem mysteriösem Vorgang, der sich im Dispositiv gemeinsamen Fernsehens zuträgt, nicht eindeutig auszumachen. (Vgl. zu dieser Thematik: Žižek 1993, 19 f. und seine Ausführungen zu „Amfortas’ Wunde“, die er mit Kafka liest: ebd. 22 ff.) Es ließe sich aber durchaus nachträglich ein Sinn im Rahmen der Filmhandlung konstruieren: Z. B. – so mein Vorschlag – dass die Mutter das Symptom, die Schuld ihres Sohnes unbewusst auf sich nimmt. Diese Schuld wäre damit aber noch nicht symbolisch (an-)erkannt und beglichen, da weder Armin noch die Mutter wissen, was hier geschehen ist bzw. weiterhin geschieht. Das Problematische ist, dass solche Vorgänge unbewusster Kommunikation, (Gewalt-)Symptome, die tatsächlich ständig (im Alltag/im Gebrauch technischer Medien) virulent sind, als solche kaum wahrgenommen werden bzw. einfach nur als Zufall oder Missgeschick betrachtet werden, was sie in ihrer oberflächlichen Erscheinung ja auch sind. Intuitive Wahrnehmung, kritische Selbstbefragung, gutes Erinnerungsvermögen, Offenheit, Neugier, Fantasie und Deutungsvermögen – eigene Lust – sind dann sehr hilfreich, um derartige Vorfälle symbolisch rekonstruieren, deren Wahrheit entschlüsseln zu können. Nichts anderes versuchen Freud- Lacansche Psychoanalysen oder eben Kunstwerke wie FALSCHER BEKENNER. 1745 Deleuze und Guattari 1977, 19. 547 Jahrhundert vorherrschende illusionäre Aufteilung der Welt in eine intime und eine öffentliche Sphäre [...] [verabschiedet]“. Der Masochismus ginge „von der Wahrnehmung aus, daß es keine Schutzgebiete jenseits der Gewalt zwischen den Individuen gibt, dass die Linien der Macht nicht an der Parzelle der Kernfamilie vorbei, sondern durch sie hindurchführen“. Er registriere „die unüberwindliche Distanz, die zwischen den Personen hergestellt ist. Er ist eine spielerische Gestaltung der Auflösung der familiären Intimität“.1746 Hochhäusler bestätigt diese Sichtweise in einem Interview, indem er (wenn auch nicht im Zusammenhang mit Masochismus) davon spricht, dass „eine funktionierende Familie eine Erfindung früherer Zeiten“ sei (die allerdings, wie Koschorke belegt, schon im späten 19. Jahrhundert nicht mehr funktioniert hat), und auch davon, dass „selbst die netteste [...] Familie“ aufgrund von „Konkurrenz“, „Konflikten“ und „unvermeidlichen Verteilungskämpfen [...] immer auch ein grausamer Ort“ sei.1747 Ich glaube, dass es diese Grausamkeit ist, auf die Armin unbewusst und mit krimineller Energie reagiert. Und auch, denn so ist der Film angelegt, dass diese schon sehr starke Energie oder Libido etwas Gutes ist, auch wenn sie vorerst nur zu lächerlichen Bekennerbriefen mit folgenschweren Auswirkungen führt und Armin demnach noch völlig auf dem Holzweg ist. Denn er möchte ja aufwachen und sichtbar werden. Er möchte die unsichtbaren, virtuellen Wände,1748 die ihn in seiner Familie 1746 Vgl. Koschorke 1988, 113. 1747 Vgl. Interview mit Christoph Hochhäusler unter: http://www.falscher-bekenner.de. „Eine Familie hat also von vorneherein ein hohes dramatisches Potential, an das beinahe jeder emotional anknüpfen kann, weil die Erfahrungen letztlich ähnlich sind. In diesem Sinn ist mir diese Familie Steeb sehr vertraut. Ich bin in München aufgewachsen, mit vier Geschwistern, zwei Brüdern und zwei Schwestern. Ich bin die Nummer vier. Die Unterschiede zur Familie Steeb sind zahllos, aber die Grundkonstellation ist vergleichbar.“ Ebd. Jörg Metelmann gibt zwei weitere Beispiele für Familien- ‚horror’: „Filme wie Poltergeist oder Nightmare [zeigten] das Entstehen der Gewalt aus der Familie selbst, die vor allem unter dem ‚Grundwiderspruch zwischen Außen und Innen, der öffentlichen und der privaten Sphäre, dem Anspruch der Wirklichkeit’ leidet.“ Metelmann 2003, 26; Zitat darin von Seeßlen 1993, 14. 1748 McLuhan diagnostiziert, dass die „unterschwellige und bereitwillige Hinnahme des Einflusses der Medien [...] für die Menschen, die sie verwendeten, Gefängnisse ohne Mauern errichtet [hat].“ Vgl. McLuhan 1995, 42. Michael Haneke redet von „eine[r] gigantische[n] Medienhöhle, eine[m] große[n] Weltgefängnis“. Vgl. Pühler 2010, 6. 548 und anderswo umgeben, und die psychische Gewalt, die diese unbewusst auf ihn ausüben, überhaupt erst einmal erkennen und besser erfahren, um sie dann vielleicht irgendwann einmal zu öffnen und zu verlassen, um mehr sehen zu können, um überhaupt etwas sehen zu können. Es geht dabei um das Erlernen von Subversion und Medienkompetenz, u. a. um die Entwicklung einer spielerischen Kontingenz- Kompetenz,1749 eine trickster-Strategie. Auch der Medienphilosoph Vílem Flusser redet von diesen tückischen virtuellen Wänden, es sind die Codes der sogenannten Technobilder, wie sie uns gegenwärtig in der Video- bzw. Hypersphäre umgeben und durchdringen:1750 „Die Bewusstseinsebene, der diese Codes entsprechen, ist noch nicht erreicht worden. Daher sind sie so außerordentlich gefährlich. Sie programmieren uns, ohne in ihrem Wesen durchblickt worden zu sein, und bedrohen uns so als undurchsichtige Wände, anstatt uns als sichtbare Brücken mit der Wirklichkeit zu verbinden. Das ist unsere Krise.“1751 Deleuze und Guattari reden im Anti-Ödipus von „sozialen Codes, in denen ein despotischer Signifikant alle Ketten niederwalzt, sie linearisiert und bijektiv macht, schließlich sich der Bausteine als fester Elemente einer imperialen Chinesischen Mauer bedient.“1752 Und deshalb muss Armin diese medialen Wände, diese Mauer, u. a. die schlechten Maskenspiele und -spielchen, die im Fernsehen, in der Familie, bei der Bewerbung oder buchstäblich im Berufsberatungszentrum stattfinden, und die meist alle mit dem Erhalt von Unsichtbarkeit zu tun haben, auf den Kopf stellen und manipulieren, um zu sehen, was dann passiert. Dass er es dabei noch nicht weit gebracht hat, mag Anfängerpech sein, trotzdem haben seine verfehlten Aktionen bereits eine produktive, 1749 Vgl. Adamowsky 2010 (b). 1750 „Technobilder sind Flächen, die mit Symbolen bedeckt sind, welche Symbole linearer Texte bedeuten.“ Flusser 1998, 139. Die Beobachtung, „daß die technischen Bilder ‚visuell gewordene Schrift’ darstellen, findet ihr Gegenstück in den Strukturen des Gedächtnisses selbst, die die Form mündlicher Erinnerung haben“. Vgl. von Braun 2001, 271. 1751 Vgl. ebd. 105. 1752 Vgl. Deleuze und Guattari 1977, 51. 549 subversive Kraft und Richtung. Sie sind nur in der Wahl der Mittel, in der Ausführung, aber keineswegs im Ansatz falsch. Hochhäusler redet in diesem Zusammenhang „vom Mantel einer Absicht“.1753 Und diese Absicht verschafft Armin bereits Lust, so täuschend und fern- bzw. fremdgesteuert – ummantelt – sie noch ist. Armin beabsichtigt, aus der „Nebelkammer der Alienation“1754 aufzutauchen, ein Sichtfenster zu bekommen, auch wenn seine Testreihe in dieser Hinsicht bislang schief ging: „Im Nebel des Möglichen schreibt sich jeder seine Geschichte selbst – die eigene Hauptrolle inklusive.“1755 Denn Armin hat begonnen, mit den Zeichen bzw. Medien der Macht zu spielen, ein Spiel im Spiel, auch wenn es vorerst noch sein fantasmatisches Symptom ist, das ihn hier spielt,1756 das ihm auch übel mitspielt. Dieses Symptom ist selbst aus einem Macht- oder Statussymbol hervorgegangen, aus dem Schrott einer Luxuslimousine, in der sich ein toter Bankmanager befand. Bei Sacher-Masoch war es der Pelz, laut Peter Weibel ein Statussymbol für bürgerliche Männer im 19. Jahrhundert,1757 das er u. a. visuell-fetischistisch um- und übercodierte, indem er es auf die Frau übertrug und ihr damit auch Macht gab. Und auch in der literarischen Konstruktion seiner grausamen Frau gibt es eine Bruchstelle, die allerdings harmloser ist als in FALSCHER BEKENNER. Denn Sacher-Masochs aristokratische Damen mussten verwitwet oder geschieden sein, um das ‚Venus im Pelz’-Spiel reizvoll zu machen, um einen negativ- erotischen Mehrwert von Anfang an zu schaffen. Wo Sacher-Masoch sein Objekt bzw. Fetisch gefunden hatte und demnach spielerisch inszenieren konnte, ist Armin noch auf der Suche nach solch einem Objekt oder Signifikanten. Von einem wahren symbolischen Akt, einem echten Spielzug oder gar Spiel, ist er noch weit entfernt, aber ein magisches Werkzeug und einen Ort hat er bereits.1758 Wo bei Armin 1753 Christoph Hochhäusler (director’s note) unter: http://www.falscher-bekenner.de 1754 Vgl. Bitsch 2009, 505. 1755 Interview mit Christoph Hochhäusler unter: http://www.falscher-bekenner.de. 1756 Vgl. zum Topos „Spielen und Gespieltwerden“ (in Bezug auf die Lust am Text): Iser 1991, 468- 480. 1757 Vgl. Weibel 2003, 47. 1758 „Es ist gewiss, daß ein Objekt schon damit beginnen kann, seinen Einfluß auf die Beziehungen des Subjekts auszuüben, bevor es überhaupt als Objekt wahrgenommen werden wird.“ (Lacan 2003, 76.) In 550 kriminelle Energie im Spiel ist, hat demgegenüber Sacher-Masoch bei seinen Aktionen immer peinlichst genau darauf geachtet, nicht mit dem (Sitten-)Gesetz in Konflikt zu geraten. Rastplatz-Cruising Im Verlauf der Handlung regt sich Armins sexuelle Fantasie. Einerseits begehrt er die schöne Katja (Nora von Waldstätten), die für ihn scheinbar unerreichbare Nachbarstochter aus ‚besserem Hause’ („das ist doch gar nicht seine Liga“ sagt einer der Brüder Armins, als von Katja die Rede ist). Sie hat bereits einen festen Freund, interessiert sich aber für Armin, denn auch sie ist auf der Suche und belegt, wie schon erwähnt, gerade ein Seminar zum Thema Selbsterfahrung. Andererseits träumt Armin von schwulem Sex mit einer Gruppe von Motorradfahrern (mit den Düsselbikern, die es tatsächlich gibt) auf dem Autobahnrastplatz. Nichts Ungewöhnliches an Orten wie diesem. Und auch nichts Ungewöhnliches für die Perversion: Der Psychoanalytiker Masud Khan hat in seinem Buch Entfremdung bei Perversion diesem Phänomen, der (vorübergehenden) Hinwendung zum gleichen Geschlecht, viel Platz eingeräumt.1759 Überhaupt gibt es eine ganze Reihe von Doppelungen bzw. Spiegelungen zwischen Armins Fantasiewelt und seinem bürgerlichen Leben. Seinen aufregenden nächtlichen cruising-Streifzügen, also seiner Suche nach anonymen sexuellen Abenteuern im öffentlichen Raum, wird der obligatorische sonntägliche Spaziergang mit den Eltern gegenübergestellt. Dabei hakt sich seine Mutter bei ihm ihn, einer der wenigen Körperkontakte im Film. Armin findet dies eher befremdlich, obwohl die Szene sehr heiter und herzlich ist. In einer der cruising-Sequenzen legt ihm einer der Biker seine in Leder gehüllte Hand auf die Schulter, während ihn ein anderer masturbiert.1760 Das genießt Armin mit diesem Zusammenhang ist ebenfalls eine weitere Aussage Lacans bedeutsam: „Der Mensch hat die Ausbildung seiner Libido erreicht noch bevor er deren Objekt erreicht.“ Lacan 1990, 193. 1759 Vgl. Khan 2002, 75 ff., 197 ff. 1760 Vgl. Deleuze 1980, 178: Deleuze konstatiert im Leben und Werk Sacher-Masochs „eine ganze Technik dialektischer Umkehrung, Verschiebung, Verkappung und Verdoppelung.“ 551 geschlossenen Augen, während die Gruppe in Montur um ihn herumsteht und zuschaut. Zum Thema cruising gibt es eine kulturwissenschaftliche Theorie von Helge Mooshammer, die spannend und komplex ist. Sie erstreckt sich von Freuds Archäologie bis hin zu labyrinthischen Archiven der Gegenwart. Er definiert diese Sextechnik als „eine Weise der Annäherung, die uns zu einer anderen Vorstellung von Architektur führen kann: seine Orte bedürfen nicht unbedingt visuell-materialistischer Repräsentation, oftmals sind sie dunkel, verschwommen und ‚nicht-sichtbar’. Sie entfalten sich in der körperlichen Aufführung der Begehren und Imagination seiner Beteiligten. [...] Ein entscheidender Aspekt der Anziehung von Cruising für neue Modelle wissenschaftlicher und künstlerischer Praxis lokalisiert sich in seinem Vermögen, gerade keinen speziell gestalteten Raum als Bühne zu benutzen, sondern seinen Ort in der improvisierten Inanspruchnahme, Überlagerung und Transformation von unterschiedlichsten Umgebungen auszumachen, sich seine eigene Bühne zu bauen, mobil, unfertig, verdeckt.“1761 Cruising spielt also mit Libido und Imagination in einem konkreten Raum, der improvisierten Bühne des Ich, die sich dann für flüchtige Begegnungen und 1761 Vgl. Mooshammer 2005, 7, 19. 552 anschließenden Sex im Halbdunkel (darkroom)1762 anbietet und öffnet. Dafür kommen vor allem äußere Räume in Frage, die entweder schwach codiert oder völlig übercodiert sind, denn nur diese regen die Fantasie stark an. Meistens handelt es sich um naturbelassene, urwüchsige aber auch um hoch künstliche Räume, auf jeden Fall Heterotopien: OPs, Labore, Industriehallen, Umspannwerke, Büros, Verkehrsmittel, (Raum-)Schiffe, Kirchen, Beichtstühle, Umkleidekabinen, Klappen, Parks, Wäldchen, Unterholz, Morast etc. Sie müssen Authentizität, das heißt u. a. etwas Archaisch- Libidinöses verkörpern oder für die Beteiligten wenigstens unmissverständlich andeuten,1763 um somit lustvolle Spannung, die Bewegung von Differenz in ihrer anfänglichen Unentschiedenheit zwischen zwei Polen, zwischen Ur und Sache, zu ermöglichen. Sie müssen als Aktions(zwischen)raum dafür offen bleiben, auch wenn sie in ihrer architektonischen Anordnung nicht selten geschlossen oder in freier Natur auf einem Spielfeld mehr oder weniger abgesteckt sind. Sie wecken das Labyrinthische der sexuellen Lust und regen diese zum (Versteck-)Spiel darin an. Das ist – verkürzt gesagt – cruising, wie es Homosexuelle erfunden haben und u. a. der legendäre Peter Berlin auf seinen nächtlichen Streifzügen durch die Schwulen-Szene San Franciscos der 1970er Jahre perfektioniert und ausgereizt hat.1764 Es muss dabei nicht unbedingt zum Sex kommen, das Spiel, die Illusion der Verführung mit dem phantomhaften Fremden im samtenen Halbschatten – Personen und Dingen – kann bereits den entscheidenden Lustgewinn verschaffen und korreliert darin mit klassisch- 1762 Darkrooms müssen nicht unbedingt dunkel und queer codiert sein. Um eine erweiterte Vorstellung des Begriffs zu bekommen, geben Sie diesen bitte in die Google-Bildersuche ein und schauen was passiert. 1763 Gerade wenn es sich um künstliche Räume handelt, muss das Verdrängte oder Verbannte der Lust darin spürbar gemacht werden. Es muss den Spielern als solches vorher bekannt oder im Unbewussten zumindest irgendwie markiert sein, um damit überhaupt spielen zu können. Dass man als Spielvoraussetzung eingeweiht sein muss, ist ein Nachteil, weil dies von vornherein ausgrenzend ist. (Trotzdem sind cruising-Gebiete zumindest in der Natur natürlich öffentlich.) Diese Vorraussetzung wird z. B. auch in Clubs durch TürsteherInnen nur durch Gesichtskontrollen ‚getestet’: eine sehr fragwürdige Methode, die wohl an die Physiognomie des 18. Jahrhunderts anknüpft und über die in diesem Zusammenhang noch geforscht werden müsste. Wer oder was entscheidet darüber, ob man in einen bestimmten Raum des Begehrens zugelassen wird – oder eben nicht? Wer oder was entscheidet, warum man hier überhaupt rein möchte? 1764 Vgl. die Dokumentation THAT MAN: PETER BERLIN (2005) von Jim Tushinski, auf die mich Andreas Berghaus hingewiesen hat. 553 masochistischem Masken-Spiel. Am Anfang der Traumerzählung der Novelle Venus im Pelz umcruist Severin eine Venus-Statue, die er in einem Park vorfindet. Ihr Bild, ihr mondbeglänzter Marmor-Leib, wird ihn bis zum bitteren Finale nicht mehr loslassen. Armins schwierige Lage, die sein masochistisches Begehren strukturiert, ist, diese Lustspannung einerseits zu halten, sie andererseits aber auch symbolisch anzuerkennen, sie eben lustvoll zu verknüpfen, sie buchstäblich fortzuspinnen und auszuprobieren. Die Handlungsanweisung, im Symbolischen vor- und weiterzukommen, ist mit den konkreten Ausgangsobjekten Lenkstange und Leitplanke vorgegeben. Sie bilden deutlich sichtbare, aber inhaltslose Orientierungsstützen, phallische Leerstellen. In der möglichen Leerstellen-Verkettung (o-o-o-o, vom circuit-Kreislauf zur sagbaren Signifikanten-Kette) eines vorgegebenen und laufenden Diskurses liegt das Kunststück, das Armin sowie jede/r MasochistIn meiner Meinung nach aufführen möchte, darin liegt jedoch auch genau der Knackpunkt oder das Dilemma: Denn in dem Moment, in dem sich die libidinöse Fantasie und Faszination auf bewegender Partialobjektebene einem sprachlich strukturierten Signifikanten und damit einem Gesetz bzw. Code unterwirft (sich mit diesem symbolisch verknüpft und als logische Aussage fixiert), wird diese und deren Bewegungsspielraum in diesem aufgehoben.1765 Die Lust wird geopfert oder zumindest stark absorbiert, insofern es sich tatsächlich um einen symbolischen Akt handelt. Dann genießt vornehmliche der Andere.1766 Genau vor dieser entfremdenden Unlust, die mit einem symbolischen Schnitt zusammenfällt, dem der wahrnehmbaren Kastration, fürchtet sich der Masochist, und zwar so sehr, dass bereits die Gefahr oder Androhung eines solchen Schnitts Abwehrsymptome auslösen kann, in denen Ich und Anderer, Ursache und Wirkung, Realität und Nicht-Realität verdreht bzw. – wie am 1765 Es ergeben sich dann aber auch ganz neue Spielräume – die des (ödipalen) Anderen, die Deleuze und Guattari in iherer Anti-Ödipus-Analyse nicht sehen (wollen) und übergehen. Vgl. Žižek 2005, 115 f. („Ödipus als Operator der Deterritorialisierung.“) 1766 Sequenz in einem Fast-Food-Restaurant: Katja: „Ich mach’ gerad’ so ein, so ein Seminar. Das is’ echt voll spannend. Weißt Du, unser Ich, das ist so eine Art geistiger Raum, und es geht erst einmal darum, Ordnung zu schaffen.“ – Armin: „Hm.“ – Katja: „Ja, Du musst Dir das so vorstellen, weißt Du, in unserem Gedächtnis da staut sich voll viel Zeug an. Und, und das bleibt da einfach alles mal so liegen.“ – Armin: „Also ich hasse aufräumen.“ 554 Anfang gezeigt – als solche nicht eindeutig auszumachen bzw. unschlüssig sind. Wo Armin und der klassische Masochist das Bedürfnis haben, diese oszillierenden Momente zwischen zwei Zuständen in einer – wie Hochhäusler schön sagt – „Ursache-Wirkungs-Romanze“ zu verknüpfen,1767 um einen Zwischenraum, eine lustbringende und -sichernde Fiktion jenseits der drohenden Kastration zu erschaffen, hat Armin allerdings den Nachteil, dass ihn die Welt im Gegensatz zum Maso im 19. Jahrhundert „nicht berührt“ und sich ihm „unüberprüfbar entzieht.“1768 Der notwendige Prozess einer symbolischen Anerkennung oder wenigstens neuen Verknüpfung der Libido wird damit unmöglich. Das ist Armins Tragik in FALSCHER BEKENNER; das ist auch das Problem des Anti-Ödipus mit seinen irrelaufenden Wunsch- und Höllenmaschinen (ohne drittes Moment einer Hegelschen Synthese).1769 Stippvisite beim Anti-Ödipus Armin verkörpert im gewissen Sinne Anti-Ödipus, der in ihm drängt, d. h. Elemente von Deleuzes und Guattaris Gewalt-Lust-Spiel, das im zeitgeschichtlichen Umfeld von 1968 entstanden ist:1770 Die libidinösen Figuren, die Anti-Ödipus schafft, der 1767 Vgl. Audio-Kommentar von Christoph Hochhäusler auf der DVD. 1768 Vgl. Christoph Hochhäusler (director’s note) unter: http://www.falscher-bekenner.de: „Wirkung und Ursache, das sind für mich zwei getrennte Wahrnehmungen, die verknüpft werden wollen. An dieser Stelle treffen sich Thema und Medium – geht es doch in beiden Fällen um den Zwischenraum: zwischen zwei Zuständen, zwischen zwei Bildern. Diesen Raum kann nur die Fiktion durchqueren. Armin versucht, sich eine solche Fiktion zu schaffen. Er ist einsam, weil die Welt ihn nicht berührt, weil sie sich ihm unüberprüfbar entzieht. Auch das Sexuelle, vermeintlich ein Reservoir des Authentischen, bringt ihn der Welt nicht näher. Und so beginnt er, um wenigstens in einer Wirklichkeit ‚vorzukommen’, virtuelle Verbrechen zu begehen: in leichtsinniger Verzweiflung und ohne Gefühl. Er macht Schlagzeilen als falscher Bekenner, weil der Mantel einer Absicht – und sei er noch so lächerlich – leichter zu ertragen ist als das ‚sinnlose’ Unglück der Welt.“ 1769 Guattari sagt offen in einem gemeinsamen Interview mit Deleuze zum Anti-Ödipus, dass er das alte Schema der Synthese nicht besonders attraktiv findet. Vgl. Guattari, 2008, 42. 1770 Dass dieses Hauptwerk von 1972 Spielcharakter besitzt, hat Michel Foucault bemerkt und herausgestellt. (Vgl. Foucault 2004 [b], 159.) Ob bzw. inwiefern es sich beim Anti-Ödipus um ein (philosophierendes) SM-Spiel handelt, müsste noch in einer Analyse gezeigt und bewiesen werden. Vieles deutet hier auf sadomasochistische Gewaltlust und deren Medialität hin; seien es die künstlich 555 Schizo, der Zombie oder der Nomade, Mehr-Lust-Suchende, sind in Armin unbewusst codiert. Er wird mit diesen virtuellen (Spiel-)Figuren konfrontiert und er testet sie an, kombiniert sie, um etwas über sich und seine Umwelt zu erfahren. Es geht ihm dabei um das Einüben in machbare Schizo-Navigation, eine Lust-Öffnung, etwas Zukunftorientiertes, für das er einen äußeren Anschluss, einen Raumkontakt und eine Fläche als Spielfeld sucht. Das wäre sein ‚drittes Moment’, das (noch) nicht stattfindet. Im Gegensatz zu Anti-Ödipus oder Max Renn zielt er dabei nicht auf Destruktion, etwas Sadistisches,1771 sondern auf vorsichtiges Erkunden und Erspüren erweiterten, vollen Partialobjekte (vgl. Deleuze und Gauttari 1977, 398), deren Mangelstruktur die beiden Querdenker kurzerhand annihilieren (vgl. ebd. 76 und Bitsch 2001, 107), was eine Falschaussage und auch ein wohlkalkulierter Spielzug ist, den/die sie anwenden, um wie im klassischen Masochismus den ödipalen Phallus außer Kraft setzen zu können [vgl. Guattari 2009, 77 ff.]), oder seien es die von ihnen erkannten Wunschmaschinenfunktionen zwischen Disjunktion (entspricht sadistischer Kastration) und Konnexion (entspricht masochistischer Koordination) in Bezug auf Signifikanten-Ketten-Vorgänge im Unbewussten. – Wenn man davon ausgeht, dass SM mediale Schnittstellen fokussiert und bearbeitet, sind diese im Anti-Ödipus zwischen Psychoanalyse- Philosophie (Freudomarxismus) und Maschinencodes (auf Partialobjekt-Niveau) deutlich zu beobachten. Zudem müsste das zeitgeschichtliche Umfeld und der Medien-Kontext von 1968 dabei genau untersucht werden, um herauszufinden, was (wie Foucault schon fragte) 1968 im Namen von Anti-Ödipus und darüber hinaus wirklich geschah. (Vgl. Foucault 2004 [b], 153 f.) Anti-Ödipus zeichnet Libidoströme auf, er ist quasi der Seismograph des gesellschaftlichen Bebens dieser Zeit. Ich möchte behaupten, dass diese Diskurs-Maschine die Denkwürdigkeiten von 1968 sind. (Und dies gewiss nicht nur, weil Deleuze und Guattari darin Daniel Paul Schrebers Wahn und die Schizo-Analyse favorisieren.) 1771 Anti-Ödipus ruft tatsächlich zur Gewalt auf: „Zerstören, zerstören: die Aufgabe der Schizo-Analyse führt über die Destruktion, die umfassendste Säuberung, Ausschabung des Unbewußten. Ödipus zerstören, die Illusion des Ich, den Hampelmann Über-Ich, das Schuldgefühl, das Gesetz, die Kastration...“ (Deleuze und Guattari 1977, 401.) In ihrer nachfolgenden Kafka-Maschinen- Interpretation verschärfen sie diese Position sogar noch: „Da die kollektiven und sozialen Maschinen bereits eine massive Deterritorialisierung des Menschen bewirken, gilt es, diesen Weg weiterzugehen bis zu einer absoluten, molekularen Deterritorialisierung.“ (Deleuze und Guattari 1976, 81.) Das ist der fatale Weg, den Max Renn in VIDEODROME nahm. Ist dies nicht auch die medial-sadistische Terrorlust, die zur RAF und deren Todespielen führte und die Armin Steeb, obwohl er auch anti- ödipale Gelüste hegt, schließlich nicht weiter verfolgen wird? (Vgl. das Ende des Haupttexts.) In ihrem Werk Tausend Plateaus haben Deleuze und Guattari brandgefährliche Aussagen wie diese dann zum Glück relativiert. Erst hier begreifen sie die Gefahr, dass die „intensive Fluchtlinie“ der Deterritorialisierung „in eine reine Zerstörungs- und Vernichtungslinie verwandelt“ werden kann. (Vgl. Deleuze und Guattari 1997, 314; zitiert nach Kacas 2003, 97.) Wie Benjamin Kacas deutlich macht, 556 des Raumes, der despotischen Virtualität, der unsichtbaren Wände, in denen er lebt. Sein vorsichtiges Antesten des organlosen Körpers (oK) kennzeichnet ihn als Maso: „Der Colt sitzt bei ihm nicht so locker, das stimmt“, sagt Hochhäusler.1772 Die Figur und Praxis des Nomaden scheint dabei, wie Armin zunehmend merkt, am Vielversprechendsten für ihn zu sein.1773 Er möchte das Raum-Geheimnis, das er spürt und vermutet, nomadisch kennenlernen. Doch Armin kriegt, wie gesagt, die komplizierte Vermittlung dabei vorerst nicht hin, findet keine Anschlussstelle und scheint innerlich zu verzweifeln. Er kann somit den Grund seines inneren Konflikts ([Anti-]Ödipus), dessen traumatische Struktur und Spur, die ihn mit der Gemeinschaft verbindet, in seinen Testversuchen nicht erinnern bzw. rekonstruieren.1774 So treibt er sich nicht nur auf der Autobahn herum, sondern wohnt auch heimlich der Beerdigung des Unfallopfers Heilmann bei,1775 mischt sich (anscheinend in seiner Fantasie) unter die Gäste der Trauerfeier und schaut der Witwe sogar länger ins Gesicht, woraufhin sie einen ‚fragenden’ und leicht entsetzten Blick zurückwirft. Doch auch hier bleibt seine Suche bzw. sein Begehren nach den Spuren kollektiver Schuld und Trauer vergebens, nach dem verdrängten bzw. verschütteten Signifikanten, schließlich dem rettenden bzw. öffnenden Signifikanten der Liebe kann „die Deterritorialisierung [...] also sowohl positive, als auch negative Vorzeichen haben. Nicht nur die redundante ödipale Struktur tritt als die Quelle der Gewalt und Vernichtung auf, sondern auch die decodierte anödipale Sexualität [...] Die Wege des Werdens können in die Selbstvernichtung entarten, aber auch sie haben große kreative Potenzen.“ Ebd. 1772 Vgl. Interview mit Christoph Hochhäusler unter: http://www.falscher-bekenner.de. Dennoch hat Armin diesen Colt; er wird zum Glück nicht so schnell, nur im Ausnahmefall, gezückt. 1773 Mit Flussers „Nomadische[n] Überlegungen“ wie sie Norval Baitello junior auf den Punkt bringt, spielt unser gegenwärtiges, technologisch-geistiges Nomadentum nur in der Wüste des Realen bzw. Reellen, es hat also leider wenig mit romantischen bzw. Klischeevorstellungen zum orientalischen Nomadentum zu tun: „Der Zwang zum Immer-Weiter-Laufen, zum Provisorischen oder zum Transitorischen, beweist, dass der Mensch schon von so viel Abfall, Ausscheidungen und Exkrementen umgeben ist, von den Produkten der Verschlingung seiner Umwelt, dass ihm nichts anderes mehr übrig bleibt, als sich vom Wind treiben zu lassen, so wie der Wind durch die Löcher seiner Behausung zieht und sie ungewöhnlich und unbewohnbar macht.“ Baitello junior 2007, 13. 1774 Die Signifikanz von Traumata, die ein Kollektiv für sich wählt, um Konfliktsituationen bewältigen zu können, beschreibt Christina von Braun sehr anschaulich: Vgl. dies. 2001, 268 ff. 1775 Aus der Todesanzeige in einer Zeitung, die im Film kurz eingeblendet wird und die er markiert hat, ist Armin auf die Beerdigung und Trauerfeier aufmerksam geworden. 557 (Melancholie und Libido), der ihn „durch die Kurven und Umwegigkeiten gezeichnete Strecke der Trauerarbeit“1776 begleiten, mit dem er seine Recherche bewerkstelligen könnte. Libidio-Absturz Armin bleibt allein in dem Lokal der Trauergemeinschaft zurück und bricht schluchzend zwischen einer Gruppe leerer Stühle, gegen die er verzweifelt tritt und von denen einer umfällt, zusammen. Unter einem dieser rustikalen Wirtshausstühle versucht er sich sogar zu ‚verkriechen’ wie ein Kind, das sich unter dem Rock der Mutter versteckt. Nicht am Ende, im spektakulären showdown erfolgt demnach der libidinöse Zusammenbruch, wie es im Venus im Pelz-Spiel der Fall ist, sondern mittendrin. Er verzweifelt noch bevor irgendein Spiel, das diesen Namen tatsächlich verdient, überhaupt für ihn losgegangen wäre. An der Wand hängen Bilder von Schützenkönigen: Vater und Sohn in Trachten und mit Gewehren;1777 und von westfälischen Landfrauen: ein Damenchor, aufgerüscht in weißen Blusen, die Hände fromm gefaltet. Sie lächeln Armin verhalten bzw. debil an und kommentieren so das tragische Geschehen wortlos: etwas Zombieartiges kommt in ihnen, vor allem in ihren 1776 Vgl. Bitsch 2009, 505. 1777 Der Sohn steht deutlich über dem sehr klein und schmal wirkenden Vater und hat doppelt so viel Körperumfang wie dieser‚ was ‚aufgeblasen’ und grotesk wirkt. Dieses fotografische Arrangement appelliert an die Kugelwesen-Thematik des Films, auch an die vollen Partialobjekte des Anti-Ödipus. Dass das Bild fake ist, wird auch an den Gewehren sichtbar. Diese sind Holzattrappen und verweisen auf die schwindende Macht des Phallus im-Namen-des-Vaters in diesem Bild. 558 Blicken, zum Vorschein: Unschuldsengel und Aliens.1778 So wie die Personen auf diesen zwei Bildern, die Hochhäusler auffällig ins Filmbild rückt und gegenüberstellt (ein Abschnitt der untersten Reihe der Chordamen wird sogar noch einmal herangezoomt und langsam von rechts nach links gefilmt, die Bewegung wechselt dann in die andere Richtung, wobei nur noch die ‚frommen’ Hände in Großaufnahme zu sehen sind) möchte Armin auf keinen Fall werden. Dies ist für ihn wirklich zu spooky, denn in der unbewussten „Bannung des [...] Objekts wird der Spiegel zum Geisterphoto und sein Rückstrahl zur Blendung – ein reelles Licht, das mit mörderischer Intensität zunimmt [...]. ‚[...] Jemand müßte mir sagen können: „Haben Sie keine Angst mehr, sie haben ihn bereits verloren.“’ Gleißende Panik, Glut, Rabies bis zur Pathologie, zur nervlichen Enthäutung, zum existientiellen Ruin – ‚Du erträgst es nicht, Du fürchtest Dich, Du verlierst den Kopf’.“1779 Im internationalen Kino ist seit den 1970er Jahren eine Tendenz zu beobachten, in dem sich dieser Bruch zwischen Individuum und Umwelt als Krise des Deleuzeschen Bewegungsbildes, welches durch eine sinnstiftende, logisch erscheinende Kontinuität bzw. Sukzession der Bilderfolge bestimmt ist (Aktion und dazu ‚passende’ Reaktion der ProtagonistInnen, wie es filmdramaturgisch bis zum Neorealismus vorherrschte), beschreiben und deuten lässt: „This loss of belief is manifested in what Deleuze calls the cinema of the ‚crisis of the action-image’, where a breakdown of the concrete relations between individual 1778 Man müsste jeden einzelnen Blick, jeden Charakter dieser Frauen und den des in der Mitte positionierten Chorleiters, der einen schwarzen Anzug und Fliege trägt, genau analysieren. In dieser bizarren Bildmontage spiegelt sich unbewusstes und vor allem ungelebtes Begehren dieser Frauen (der 1970er Jahre?) wieder: Von der sehnsuchtsvoll dreinblickenden Metzgersfrau über strahlendes Empfangsdamen-Lächeln bis hin zum hinterhältigen MARS ATTACKS!-Alien (1996) gibt es hier einiges zu entdecken: Blicke, die in die Ferne schweifen oder den WALD VOR LAUTER BÄUMEN (2003) nicht zu erkennen scheinen, auch Zähneknirschen und -fletschen. 1779 Annette Bitsch schreibt hier über den Körper des Liebenden und dessen Objekt. (Vgl. Bitsch 2001, 223 f., darin erstes Zitat von Barthes 1988, 42 und zweites von Derrida 1982/89, 64.) Armin sucht dieses Objekt, findet es aber nicht. Trotzdem ist das Ergebnis dieser verzweifelten Suche, sein Scheitern, schon präsent: Armins ‚nervliche Enthäutung’ und Kopflosigkeit. 559 protagonists and the cinematic milieu they inhabit gets played out on the screen. This is the cinema of Scorsese, Penn, and Peckinpah, where the characters become nomads wandering through what he calls the ‚any-space-whatever’ with no discernible connection to the world around them, or at least not a connection, which enables them to act. One can think of Travis Bickle in Taxi Driver (Scorsese 1976), or Charlie in Mean Streets (Scorsese 1973) as example of this.“1780 Auch der klassische Masochist hatte bereits mit dieser Negativität zu kämpfen. Er schaffte es jedoch noch (im Sinne des Bewegungsbildes), gegen diese anzugehen, Innen- und Außenraum zu verknüpfen, indem er sich eine tragende Fiktion mit vorgefundenem Material und die dazugehörigen Spielräume und Ausdrucksformen erschuf. Doch die Signifikanten, Objekte und Orte, die Armin zur Verfügung stehen, reichen dafür nicht aus. Sie bestehen aus einem Schrottteil und aus einer äußeren Wirklichkeit, die für Armin nicht greifbar ist und ihn gefühl- und haltlos werden lässt. Er wird autistisch. Diese Wirklichkeit ist von zuviel geschlossener und abweisender Oberfläche, von zu vielen virtuellen Effekten gekennzeichnet, deren mögliche Ursachen sich – wenn überhaupt – meist nur schwer zurückverfolgen lassen. (Die mögliche Erkenntnis dieser Ursachen erfordert Intuition, Neugier und Experimentierfreude, die Armin hat, allerdings auch Feingefühl und vor allem Wissen, was Armin noch nicht hat.) Trotzdem ist diese räumliche Oberflächenversiegelung der medialen Umwelt längst nicht mehr so abgeschlossen und abgedichtet, wie sie auf den ersten Blick erscheint. Hochhäusler spricht in diesem Zusammenhang von einer „porös“ gewordenen Wirklichkeit, in der sich – wie er medientheoretisch festhält – ein „elliptisches Spiel mit dem On und Off“, eine Dialektik, kundgibt.1781 FALSCHER BEKENNER macht 1780 Gormley 2005, 19. Aus dieser filmtheoretischen Perspektive könnte man Christoph Hochhäusler unterstellen, dass er das Bewegungsbild des Kinos, die ‚Ursache-Wirkungs-Romanze’, die in diesem zu erkennen ist, retten möchte. Zumindest macht er in FALSCHER BEKENNER auf dieses mediale Schwinden aufmerksam. 1781 Diese Durchlässigkeit zeigt sich auch in der „schizophrene[n] Flucht und ihrer Molekulardispersion“, nämlich „sich vom Gesellschaftlichen abzuwenden, am Rande zu leben: durch die Vielzahl von Löchern, die das Gesellschaftliche zersetzen und durchbohren“. Diese subversiven Flucht- bzw. Suchbewegungen (Armins Autobahn-Streifzüge) machen deutlich – wie Deleuze und 560 dies deutlich in seinen plötzlichen Auslassungen, abrupten Schnitten und sprachlichen Verkürzungen, gerade in den Dialogen und sogar in einer Landschaftsaufnahme.1782 Vor allem passiert dies in den zahlreichen Unfallszenen. Es wird immer nur das Davor oder das Danach gezeigt. Crash-Ursachen oder der Augenblick des crash kommen nicht vor. Dies trifft übrigens auch auf Michael Hanekes FUNNY GAMES (U.S.) zu. Wenn Armin durch die Innenstadt von Mönchengladbach schlendert und zufällig Zeuge eine Großbrands wird, den man nur an einer kleinen Rauchwolke im Filmbild erkennt, antwortetet ihm ein Polizist, der den Unfallort absperrt, leicht genervt auf seine Frage, was denn hier passiert sei: „Das kannst Du morgen in der Zeitung lesen. Geh’ mal zurück!“, während er weiter seine Arbeit macht. Diese Erfahrung, dass Armin nicht ernstgenommen wird, dass er keine hinreichenden Antworten auf seine Fragen erhält und dass er gegenüber seiner Umwelt deshalb nicht zum Zuge kommt, ist nicht nur an dieser Stelle des Films zu bemerken. Dies ist nicht nur Armins Schuld. Guattari betonen –, dass dieses Begehren nach Molekularem nicht ohne das Molare, also für Armin eben die BAB-Strata bzw. für McLuhan die ‚Autobahnen der Gefühle’ sind, funktioniert. (Vgl. Deleuze und Guattari 1977, 440 f.) Das Molare ist somit die notwendige Voraussetzung, um Molekulares in diesem zu finden und es davon zu differenzieren, d. h. sich zu differenzieren. ‚Masochistisch-spielerische’ Recodierung von molaren bzw. phallischen Zeichen und Räumen, wie sie u. a. auf cruising zutrifft, ist also der Versuch, Molekulares individuell geltend zu machen, in diesem Fall z. B. Armins Graffiti auf dem Rastplatzklo, seine Aufmerksamkeit für herumliegenden Müll an diesem Ort etc. 1782 Gemeint ist die Sequenz des Sonntagsspaziergangs der Familie Steeb. Dabei ist im Hintergrund die ‚Kraterlandschaft’ eines Braunkohletagebaus zu erkennen. Deleuze schreibt in Kino 2: „Die Landschaften sind mentale Zustände, ebenso wie die mentalen Zustände Kartografien sind, die beide jeweils im anderen kristallisiert, geometrisiert und mineralisiert sind (der Strom in L’Amour à mort).“ Ders. 1993 (a), 266. 561 Allmählich merkt Armin, dass er nicht weiterkommt. Er möchte nicht mehr nur simulieren, sondern zur wirklichen Tat schreiten. So stellt er sich vor, wie er das Motorrad von Katjas Freund sabotiert. Dieser ist ihm schon zufällig zuvor im Berufsberatungszentrum bei einem Selbsterfahrungsspielchen (hinter einer Maske) begegnet. Seine masochistische Fantasie offenbart nun eine sadistische Dimension, die in dieser steckt, schon sichtbar wurde und sich nun fantasmatisch verstärkt. Der Film spielt zunehmend mit Fantasie und Wirklichkeit, sodass – ähnlich wie in David Cronenbergs VIDEODROME – am Ende nicht mehr klar ist, was an welchen Ort gehört bzw. was in der symbolischen Wirklichkeit des Films (Außen) oder nur in Armins Kopf (Innen) stattfindet. Höhepunkt ist in dieser Hinsicht jener Moment, als plötzlich einer der Motorrad-Fetischisten in Ledermontur und mit Helm vor der Haustür steht und es anschließend zum Sex in Armins Jugendzimmer kommt. Die Kamera dreht sich dabei im Halbkreis und folgt roten Linien, die sehr stylish an die Wand gezeichnet sind. Das sind die fantasmatischen Grund-/ Fluchtlinien, sozusagen der flow dieses Akts, der sich in zwei durch einen deutlichen Schnitt getrennten Figuren ereignet: Vorspiel mit geöffneten Hosen und nachfolgende Penetration Armins von hinten, während dieser an der Wand lehnt. Diese roten ‚Grundlinien’ ‚schneiden’ ihn, sie können als sexuell aufgeladenes Pendant, als imaginäre Fortsetzung zur silbernen Autobahnleitplanke der Exposition, über die Armin gesprungen war, gedeutet werden. Im sexuellen Fantasma verbinden sich nun diese Linien zwischen Innen- und Außenraum. Er wird von all dem penetriert. Dabei schließt sich ein Kreis, die Kreisbahn des Triebs in einer Sexhandlung, die durch Räumlichkeit definiert ist. Eine Runde wurde durchlaufen, eine symbolische 562 Verknüpfung aber noch nicht erreicht – das immanente Kreisen des Anti-Ödipus zu kraftvollem Elektro-Sound: Dass plötzlich jemand Fremdes unerwartet vor der Tür steht, in den Privatraum eindringt, um ihn abzuholen, wird sich noch einmal wiederholen: Diesmal ist es die Polizei, die klingelt, um Armin in einer kurzen, jedoch spektakulären Verfolgungsjagd im Garten hinter dem Haus zu verhaften. Während er in Handschellen abgeführt wird, kommt Katja vorbei, mit der er verabredet war; sie hatte ihm zuvor zusammen mit kichernden Freundinnen noch einen Telefonstreich gespielt. Und siehe da: Armin beginnt aus dem Polizeiwagen, auf dem Rücksitz durch die Fensterscheibe hindurch zu lächeln, nach draußen, das erste Mal im Film.1783 Das reflektierende Licht der Scheibe vermischt sich mit Armin lächelndem Gesicht, Sternbergscher Glamor blitzt kurz auf – hier allerdings ohne künstliches Licht, zufällig und nicht an einer Frau. Armin ist – durch das Einwirken der Polizeigewalt – sichtbar geworden. Endlich gibt es einen Kontakt mit dem ‚großen Anderen’, und gleich einen ziemlich heftigen. Er sieht rebellisch dabei aus, nicht nur, weil er sich für Katja die Haare à la James Dean zurechtgemacht hat. Was Katja, die das Geschehen mit Verwunderung und leichtem Entsetzen beobachtet, nun denkt? Armin hatte zuvor die Lenkstange bei der Polizei abgegeben. Da er in der Dienststelle zuerst nicht beachtet wurde, legte er sie einfach auf den Tresen und ging nach Hause. Er hat seine Schuld damit eingestanden, sie quasi beim großen Anderen angemeldet und daher gerade noch einmal die Kurve gekriegt. Doch hatte er sich wirklich schuldig gemacht? Hat er tatsächlich Sabotage in mehreren Fällen betrieben, wie es die Dramaturgie des Films, die Rezensionen, der Text auf dem DVD-Cover und auch Christoph Hochhäusler nahe legen?1784 „Er macht Schlagzeilen als falscher Bekenner.“1785 Bis 1783 Max Renn in VIDEODROME hat demgegenüber nie gelächelt. 1784 Ich habe diesbezüglich auch in meinem Bekanntenkreis herumgefragt. Diejenigen, die den Film gesehen haben, meinen, dass Armin für die Bekennerbriefe verantwortlich ist. Sie sind sich sogar ziemlich sicher. 563 auf den Rollstuhl-crash ist überhaupt nicht klar, ob Armin mit den anderen Unfällen irgendetwas zu tun hat. Er hat sich höchstens wegen unterlassener Hilfeleistung schuldig gemacht, wobei er das Unfallopfer Heilmann ja tatsächlich nicht wahrgenommen hat, auch wenn man ihm dies vor Gericht nicht abnehmen würde. Die Briefe, die er zuvor verschickt bzw. sichtbar im Film in Briefkästen eingeworfen hat, müssen nicht anonyme Bekennerschreiben, sondern können ebenso seine Bewerbungen um eine Lehrstelle gewesen sein. „Wir konstruieren Zusammenhänge, die zueinander passen, aber nicht auseinander hervorgehen.“1786 Das ist eine signifikante Funktion der Metapher und auch des Fetischs in der nebeligen Wirklichkeit, im virtuellen Nicht-Raum; und das ist auch die Falle, das Problem und die gleichzeitige Kritik, die in FALSCHER BEKENNER deutlich zum Ausdruck kommt: Ein Signal/Befehl des Unbewussten, ein Bild, ein Verdacht, ein (Vor-)Urteil, eine konkrete Anschuldigung, ein Gewaltopfer ist manchmal so schnell da bzw. (falsch und irreführend) konstruiert, wie Armin zum Schluss verhaftet wurde. Man ist hier – so machen es uns nicht nur die Massenmedien permanent vor – meistens ziemlich ‚fix’ bei der Sache. – Etwas, dem man am Besten mit einer selbstgeschaffen Fiktion, der Hochhäuslerschen Ursache-Wirkungs-Romanze, begegnet und beikommt, sollte man sie zustande bringen. Diese ludische Technik, diese Romanze übt Armin für sich, er ist auf dem Wege. Sie ist ebenfalls eine Metapher, die ein Fetisch (unter anderen) werden kann. Sie ist bei ihm noch nicht fertig. 1785 Vgl. Christoph Hochhäusler (director’s note) unter: http://www.falscher-bekenner.de. Mit ‚Schlagzeilen’ könnten jedoch auch die Pressestimmen zu FALSCHER BEKENNER (und nicht Armin als schuldiger Saboteur) gemeint sein. 1786 Vgl. Audio-Kommentar von Christoph Hochhäusler auf der DVD. 564 Finales Lächeln Armins abschließendes Lächeln zeigt, dass das Spiel nun keineswegs vorbei ist, sondern in eine neue Runde gehen könnte – nachdem eine vollständige Runde in Armins Fantasma gedreht wurde.1787 Denn sonst wäre ihm dieser Vorstadt-showdown (endlich passiert hier mal was!) vor anderen wohl eher peinlich. Wie es weitergeht, bleibt aber offen. Alle masochistischen und sadistischen (Traum-)Ereignisse könnten sich dann wiederholen. Auch der kraftvolle Elektro-Sound, „Universal Pussy“ (Anspielung auf magna mater) von Chicks on Speed weist in diese Richtung,1788 auf Anschlussfähigkeit und (Sado-)Masochismus und begleitet den Abspann. – Einmal mehr wird damit die subtile Ironie in dieser bitteren Komödie hervorgehoben. Es ist Armin zu wünschen, dass er ein Spiel daraus macht, das diesen Namen auch verdient, dass es zu einem richtigen Bekenntnis, zu einer symbolischen Anerkennung kommt. Den lustvollen Kontakt dafür hat er schon bekommen, den kennt er nun. Sicher scheint nur, dass das phallische Objekt der Lenkstange seine dominante Wirkmacht auf Armin verloren hat und nun nicht mehr notwendig ist. Diese hat sich somit als ein für die (Imagination der) Perversion typisches und unverzichtbares 1787 Hochhäusler bemerkt: „Ich weiß nicht, ob ich eine Komödie machen könnte, aber in meinem Leben gibt es viel zu lachen, und ich wollte, dass das auch im Film Platz hat.“ Vgl. Interview Christoph Hochhäusler unter: http://www.falscher-bekenner.de. 1788 Dieser track wurde bereits in der Exposition leise – kaum hörbar – angespielt (kurz bevor Armin den gecrashten Jaguar erblickte). 565 Übergangsobjekt erwiesen.1789 Welches Objekt danach kommt, ob überhaupt eines kommt, ist die große Frage, die Christoph Hochhäusler vielleicht selbst noch nicht zu beantworten weiß. Aber immerhin identifiziert er sich mit Armin,1790 der ja in seiner Rolle auch so etwas wie eine Lichtgestalt darstellt ohne dabei irgendetwas (vorschnell) zu behaupten und zu versprechen. Das ist das Faszinierende und Erotische an ihm, in ihm steckt Hoffnung. Wir dürfen auf Hochhäuslers nächste Filme also sehr gespannt sein,1791 gelten seine Werke, wie auch die der Berliner Schule, der er angehört, doch bislang als äußerst aufschlussreiche Bekenntnisse zu aktuellen Befindlichkeiten in der virtuellen Realität, z. B. in der Medien- und Infrastruktur- Maschine der Bundesrepublik Deutschland. – Aufrichtige Bekenntnisse einer Schule junger FilmemacherInnen, eines Netzwerks, das auch im Ausland, gerade in Frankreich, hoch geschätzt wird.1792 Diese Anerkennung hat es für den deutschen Film dort seit dem Tod von Rainer Werner Fassbinder 1982 nicht mehr gegeben. Die Kritik redet von einer Nouvelle Vague Allemande. Hier wird es lustvoll weitergehen, das spürt man. 1789 Vgl. Böhme 2006, 440. 1790 „Ich empfinde sein Leben im übrigen gar nicht als so katastrophal. So weit entfernt von Armin lebe ich zum Beispiel nicht.“ (Vgl. Interview Christoph Hochhäusler unter: http://www.falscher- bekenner.de.) Auch David Cronenberg konnte sich, zumindest bis zu einem gewissen Grad, mit Max Renn in VIDEODROME identifizieren. 1791 In seinem dritten Film UNTER DIR DIE STADT (2010), ein Liebesdrama, hat sich Christoph Hochhäusler dem Frankfurter Bankenmilieu und (indirekt) der Finanzkrise zugewendet. Mit dem Unfall Heilmanns in FALSCHER BEKENNER hat er dieses Thema, dieses Symptom bereits gespürt und angedeutet. 1792 Ganz kurz gesagt zeichnen sich die Filme dieser Schule (zu der u. a. Maren Ade, Christian Petzold, Thomas Arslan, Angela Schanelec, Benjamin Heisenberg, Henner Winckler oder Valeska Grisebach gezählt werden), die – auch wenn Mitglieder dieser Gruppe dort leben – kein reines Berliner Phänomen ist, durch exakte Figurenzeichnungen und unspektakuläre Alltagsästhetik im abgewirtschafteten, geographisch-gesellschaftlichen (Nicht-)Raum aus. Die eigene Erfahrung, ein aktuelles Lebensgefühl, spiegelt sich in den Werken dieser FilmemacherInnen wieder. Abstiegsängste und Fluchtmotive stehen dabei im Vordergrund. 566 Sado-Spiele BATTLE ROYALE (Japan 2000; Regie: Kinji Fukasaku) Eben weil die Politik den Gipfel der Futilität erreicht, bestätigt sich der gesunde Menschenverstand, der, der das Gesetz macht. Jacques Lacan Der Ausnahmezustand definiert einen Zustand des Gesetzes, in dem die Norm zwar gilt, aber nicht angewandt wird (weil sie keine Kraft hat), und auf der anderen Seite Handlungen, die nicht den Stellenwert von Gesetzen haben, deren ‚Kraft’ gewinnen. Giorgio Agamben Democratic struggle should not be fetishized. Slavoj Žižek Gruppendynamisches Todesspiel im Japan der Jahrtausendwende1793 1793 Teile dieses Textes sind schon veröffentlicht. Vgl. Pühler in: van Bebber (Hrsg.) 2011. 567 Pathetische Orchestermusik leitet die monumental wirkende und hart geschnittene Exposition des Action- und Gewaltfilms BATTLE ROYALE ein.1794 Kinji Fukasaku (1930-2003), der zu den erfolgreichsten Regisseuren Japans zählt, im Ausland jedoch weniger bekannt ist, zeigt als erstes Bild die Brandung an einer schroffen Felsküste, dann das dunkelrote, lorbeerumkränzte Logo von Battle Royale. Aus den eingeblendeten Schriftzeichen geht hervor, dass wir uns im Japan der Jahrtausendwende befinden. Doch das folgende Szenario offenbart vielmehr ein dystopisches Land in naher Zukunft, das im gesellschaftlichen Chaos zu versinken droht. Zehn Millionen Menschen sind arbeitslos, 800 000 StudentInnen boykottieren ihre Ausbildungsstätten, das Vertrauen zwischen Erwachsenen und Jugendlichen ist zerstört. Der aufgeheizte, gewaltsam ausgetragene Generationskonflikt ist Ausdruck einer Krise, wie sie das prosperierende Nachkriegsjapan noch nicht erlebt hat. Ursachen dieses crashs werden (– und das hat der Film mit FALSCHER BEKENNER und FUNNY GAMES [U.S.] u. a. gemeinsam –) nicht benannt oder gezeigt. Die japanische Regierung reagiert auf das Chaos, indem sie den ‚Millenium Educational Reform Act’, auch ‚BR Act’ genannt, erlässt. Dieser umfasst eine Erziehungsmaßnahme der besonderen Art. Per Lotterielos wird jedes Jahr eine neunte Schulklasse ermittelt, die auf eine einsame Insel entführt wird, um dort ein vom Militär organisiertes und überwachtes Todesspiel auszutragen. Für die auserwählten, ahnungslosen 15jährigen Schüler heißt dies, unterschiedlich bewaffnet aufeinander loszugehen, zu kämpfen und zu töten – jeder gegen jeden, möglichst schnell und effizient. Die Waffen in diesem Spiel, die den SchülerInnen zufällig zugeteilt worden sind, reichen von einfachen Küchenutensilien bis zu Handfeuerwaffen und Granaten. Gedreht wurde auf der Insel Hashima, zu Deutsch ‚Grenzinsel’, die zur Stadt Nagasaki gehört und eine bewegte Geschichte hat. Die Insel diente von 1887 bis 1974 als unterseeisches Kohleabbaugebiet und ist seitdem unbewohnt. 1916 wurde auf der Insel das erste Stahlbetonhochhaus Japans errichtet. Während des Zweiten Weltkriegs wurde auf Hashima ein Arbeitslager für Kriegsgefangene aus China und Korea unterhalten. 1959 bewohnten mehr als 5000 Menschen die Insel, die nur 160 mal 450 Meter misst. Damit betrug die Bevölkerungsdichte hochgerechnet über 83 000 Einwohner pro Quadratkilometer – eine der höchsten jemals aufgezeichneten Bevölkerungsdichten der Welt. Hashima ist ein mythischer 1794 Diesen Soundtrack, Dies irae aus Giuseppe Verdis Requiem, den das Warschauer Symphonie Orchester eingespielt hat, hat Quentin Tarantino in DJANGO UNCHAINED (2012) ebenfalls verwendet – in jener Sequenz, als Mitglieder der Ku-Klux-Klans angreifen. 568 Ort, ein äußeres Inneres, eine geografische Extimität,1795 die die Fantasie stark anregt und oft auch als Drehort für düstere sci-fi-Szenarios oder als Motiv für Mangas und Videospiele dient. Ein ehemaliger Bewohner setzt sich dafür ein, dass die Insel in das UNESCO- Weltkulturerbe aufgenommen wird.1796 Die äußerst grausame und packend inszenierte performance dieses kriegsähnlichen Spiels, das von Computergames bzw. dem ego shooter-Genre inspiriert ist, bescherte dem Film nicht nur internationale Aufmerksamkeit, sondern auch die üblichen Vorbehalte von Politikern und Pädagogen. In Japan immerhin ab 16 Jahren freigegeben, fiel der Film in Deutschland, nachdem er 2002 auf DVD stark geschnitten in den Handel kam, der Zensur zum Opfer und landete 2006 auf dem Index.1797 Selbst ein wohlwollendes Gutachten der Juristenorganisation SPIO konnte diesen Beschluss nicht verhindern. BATTLE ROYALE zeigt einen kompletten Spieldurchlauf, die Anwendung und Ausführung des ‚BR Act’. – Wieder einmal ist eine Klasse während eines Schulausflugs im Bus mit Gas 1795 Vgl. Widmer 2001, 16: „Das Sein des Subjekts sucht in den Objekten seine Verankerung. Damit ist klar, daß sie, obwohl äußerlich, einen sehr intimen Bezug zum Subjekt haben, Lacan hat hierfür das Wort Extimität erfunden – Freud sprach vom inneren Ausland.“ 1796 Diese Infos habe ich von Jo Preußler erhalten, wofür ich ihm danke. Im Anschluss an eine Unterhaltung über den Film am Rand eines Seminars schickte er mir Pressematerial zum Kunstprojekt „Spelling Dystopia“ von Nina Fischer und Maroan el Sani, eine Videoinstallation über Hashima. Vgl. auch die Vorschau unter: http://www.youtube.com/watch?v=JbGelGDQjNI („Spelling Dystopia“ scheint von BATTLE ROYALE inspiriert worden zu sein.) Vgl. zur modernen Kulturgeschichte der Insel-Faszination auch: Billig 2010. 1797 Auch Cronenbergs VIDEODROME ist in Deutschland indiziert. 569 betäubt und auf einen ehemaligen Inselstützpunkt der japanischen Armee verschleppt worden. In einer verfallenen Kaserne erwachen die Jugendlichen aus ihrer Betäubung. Per Videobotschaft, die wie ein Videoclip bzw. eine poppige Werbebotschaft ‚aufgezogen’ ist, erfahren sie – sichtlich verstört und verängstigt – die sadistischen Spielregeln. Spielleiter bzw. Oberkommandant ist der strenge Mittelschullehrer Kitano (Takeshi Kitano), der die zentrale Vaterfigur im Film verkörpert, eine frustrierte und tragische Gestalt. Er ist zuvor selbst schon Opfer von jugendlicher Gewalt geworden und geht nun nicht gerade zimperlich vor bei der Erklärung und Vorführung der mörderischen Spielregeln:1798 Per Fernsteuerung zündet er ein mit Sprengstoff versehenes Metallhalsband, das jedem Schüler bzw. jeder Schülerin angelegt worden ist, und killt – in bester splatter-Manier – einen der aufmüpfig gewordenen Schüler. Gleichsam ist dies ein Vorführeffekt, der Schrecken und Abschreckung erzeugt. Die tückische Vorrichtung ist zudem mit einem Sender ausgestattet, der die TeilnehmerInnen jederzeit und überall ortet. Wer versucht, das Halsband zu entfernen, zu fliehen oder sich dem Spiel zu entziehen, wird mit Sicherheit auf die gleiche, grausame Weise umkommen. Battle Royale sieht vor, dass sich die SchülerInnen innerhalb von drei Tagen töten, denn wenn nach Ablauf dieser Frist mehr als ein Überlebender übrig bleibt, müssen alle sterben. Der/die GewinnerIn aber wird freigelassen und wird hohes Ansehen in 1798 Kitano wurde bereits in der Exposition eingeführt: Er befindet sich in einem leeren Klassenzimmer. Er sitzt auf dem Pult, man sieht ihn von hinten. Dann wischt er die Tafel und löscht ein großes X, das dort angeschrieben war, aus. Die Zeit des Fragens, des Rätselratens und der geduldigen Pädagogik – so könnte dieser Platzhalter, Freuds Symbol des Unbewussten, hier gelesen werden (vgl. Freud 1999 [b], 216) – scheint nun vorbei zu sein. Auch hier gilt Christoph Hochhäuslers Postulat, dass in der Anfangssequenz das Thema des Films enthalten und angezeigt sein muss. 570 der japanischen Gesellschaft genießen. Die Tür zu Eliteunis wird ihm oder ihr offen stehen. Das Spiel- bzw. Schlachtfeld ist die gesamte Insel, die in Planquadrate eingeteilt ist und mit Computern von einem Kontrollpunkt aus überwacht wird. Sogenannte Gefahrenzonen, die Kitano mittels Lautsprecheransage bekannt gibt und die sofort zu verlassen sind, sorgen dafür, dass der Spielfluss bzw. die Kampfhandlungen nicht stocken. Bei Nichtbeachtung wird das silberne Halsband, das im coolen Design-Look eher an ein modisches Accessoire als an ein hochgefährliches gadget erinnert, gezündet. So ein technologisch aufgerüstetes und vernetztes Kleinstgerät, wie es zu Kommunikations- und Unterhaltungszwecken als smart device seit den 1990er Jahren Märkte und KonsumentInnen unaufhaltsam erobert, übernimmt hier also eine Kontroll- bzw. Tötungsfunktion.1799 Die Möglichkeit zur Überwachung ist in digitalen Geräten dieser Art – wie z. B. Handys – stets vorhanden, sie legt „einen Vergleich zur Katastrophenphantasie des Fortschrittsmenschen“ nahe, wie Natascha Adamowsky in ihrem Text Bodysnatcher Chic mit Bezugnahme auf den Film INVASION DER KÖRPERFRESSER aus dem Jahr 1956 und dessen Remake aus den 70er Jahren ausführt.1800 Diese Katastrophenfantasie ist mit BATTLE ROYALE realisiert. Die als Gruppenspiel implementierte und mit medialer Kontrolle und körperlicher Gewalt durchgeführte Züchtigungsmaßnahme geht in ihrem Wesen auf vormoderne Strafpraktiken zurück. Battle Royale ist eine Art Schauprozess ohne Publikum, in dessen Verlauf bereits – da das Urteil bzw. die Spielregeln von vorne herein feststehen – brutal exekutiert wird. Der Prozess ist die Exekution selbst – eine inszenierte Perversion, deep play.1801 Sie hat ihren Quellcode einmal mehr in der Literatur und den (Selbst-)Experimenten Sades und Sacher- Masochs, d. h. einer speziellen Lust und Macht, die nach festgelegten, sich wiederholenden Ordnungsmustern (gruppen-)dynamisch abläuft, an bestimmten Orten stattfindet und ludische bzw. interaktive Tendenzen aufweist. Wo der oder die Perverse in diesen Werken jedoch stets einen individuellen Lustgewinn für sich herausschlagen kann, schlägt in Kinji Fukasakus Gewaltspiel nur noch das Gesetz, der ‚BR Act’, gnadenlos zu.1802 Kurz bevor Battle Royale eröffnet wird, verkündet Kitano den Spielauftrag: 1799 Diese Kontrollfunktion wird in Deutschland bereits von der Exekutive genutzt. Vgl. 454 f. in dieser Arbeit. 1800 Vgl. Adamowsky 2002 und 2010 (b). 1801 Vgl. zu diesem Begriff („Lebensgefährliche Spiele“) Adamowsky 2000, 58, Fußnote 37. 1802 Nur wer Lust am Töten empfindet, wird hier auf seine Kosten kommen, kann diesen völlig perversen ‚Spielraum’ für sich entdecken und ausreizen. (Auf eine der SchülerInnen scheint dies zuzutreffen, sie strahlt bereits als es erste Opfer gibt, als Kitano die Sprengfunktion des metallenen Halsbandes vorgeführt hat.) Battle Royale hat nur noch wenig mit dem Sadeschen Lustmord zu tun, da hier das Töten und nicht die sexuelle Lust 571 „Don’t forget: Life is a game. So fight for survival und find out if you’re worth it.“ Battle Royale ist eine Mischung aus masochistischen und sadistischen, aus koordinierenden und kastrativen Elementen, wobei aufgrund der hohen Todeswahrscheinlichkeit und der rohen Gewalt, die die aufeinander losgelassenen TeilnehmerInnen verüben müssen, Sadismus überwiegt. Eindeutige sadistische Elemente bestehen in der Entführung der Schüler an einen von der Gesellschaft vollständig getrennten und abgeschirmten Ort,1803 in der sorgsamen Vorbereitung und zeitlich begrenzten Durchführung des technologisch überwachten ‚Spiels’, in der Gruppendynamik und in der exakt geführten und den SpielerInnen kommunizierten Todesbilanz. All dies gibt es auch in vergleichbarer Form in Sades Hauptwerk, Die 120 Tage von Sodom. Ähnlich wie Sade hat auch Kitano Angst vor Frauen: in einer Einstellung terrorisiert ihn seine Tochter am Telefon, er wird dabei ganz kleinlaut. Masochistische Elemente liegen demgegenüber in der kontrollierbaren Fernsteuerung der technisch ausgestatteten Körper, der virtuellen Übercodierung des gesamten Insel-Dispositivs (damit ist auch die mythische Aufladung dieses Ortes durch seine Geografie und Geschichte gemeint) und dem fetischisierten Logo des ‚BR-Act’, wie auch dem Logo des Films bzw. des Spiels, womit sich der Film ironischerweise selbst als Fetisch- bzw. Kultobjekt zu erkennen gibt, zudem er tatsächlich geworden ist. Priorität hat. In Sades Literatur war es umgekehrt. Trotzdem ist das Todesspiel Battle Royale ‚sadistisch’ durch Computertechnik bzw. -überwachung reguliert. 1803 In Sades Hauptwerk Die 120 Tage von Sodom sind ebenfalls Kinder und Jugendliche (hier aus ganz Frankreich) entführt worden, potentielle Lustobjekte, die den Libertins dann vorgeführt und von diesen gemustert werden. „Im ersten Gang wurden 50 ausgeschieden. Die 80 anderen nahm man sich erneut vor, aber mit mehr Sorgfalt und Strenge, der kleinste Fehler wurde von nun an ein Grund des Ausschlusses.“ (Sade 1972, 66.) Diese Art Vorläufer des casting ist in BATTLE ROYALE nicht notwendig, hier geht man pragmatischer vor und entscheidet über das Los. 572 Dass sich Perversionen als Markenartikel ausgeben, ist gewiss keine postmoderne Erfindung, sondern geht bereits auf das 19. Jahrhundert zurück: Sacher-Masoch hatte sich die Illustration einer peitschenden Pelzdame anfertigen lassen, die dann zu Selbstvermarktungszwecken sein Briefpapier, seine Geschäftskorrespondenz, zierte.1804 – Eines von vielen Argumenten, den klassischen Masochismus (in seinem literarischen wie apparativen Dispositiv) selbst als ein Serienfabrikat aufzufassen.1805 Man sollte sich also keineswegs von der Naturalisierung und der Mythologisierung, mit der Sacher-Masoch seine eigene perverse Fantasie inszeniert und literarisch verarbeitet, blenden lassen, befinden sich seine Fetischproduktionen – Peitschen, Pelze und ‚grausame Frauen’ – doch auf dem künstlichen Niveau von Warenästhetik und Bildmedien, insbesondere im Hinblick auf deren massive Täuschungs- und Verführungskraft. Was Battle Royale mit Sacher-Masochs Perversion gemein hat, ist, dass sie gesellschaftlich gewollt und anerkannt ist. Man sieht dies in der Exposition: die Heimkehr der kindlichen Siegerin eines vormaligen BR-Gemetzels ist ein gesellschaftliches Großereignis, das gefeiert und von massenmedialer Aufmerksamkeit bzw. Hysterie begleitet wird.1806 Ein Hubschrauber, 1804 Vgl. Koschorke 1988, 106. 1805 Vgl. ebd. 36, 149 ff. 1806 Eine TV-Reporterin kommentiert aufgeregt das tumultartige Geschehen und möchte zur kindlichen Gewinnerin vordringen, die sich – vom Militär abgeschirmt – auf dem Rücksitz eines offenen Jeeps befindet. (Dieses hysterisch inszenierte Spektakel zeigt die Konfrontation zwischen Militär- und Massenmedienbegehren.) Das Mädchen lächelt in diesem Moment des Blitzlichtgewitters (in dem dann sogar Donnerhall zu hören ist), 573 der vom Boden aus aufgenommen wird und dessen Unterseite zu sehen ist, kreist über dem Spektakel und filmt es. Ähnlich wie beim Warenfetisch sind die Produktionsbedingungen des Fetischs Battle Royale in dieser Anfangssequenz verschleiert.1807 Auch Sacher-Masoch konnte sich für sein Werk feiern lassen,1808 auch er bediente mit seiner Perversion gewisse Fiktionen, vor allem aber die Sensationsgier einer bürgerlichen Gesellschaft, deren perversen Bestandteile längst existierten und die er nur neu zusammensetzte, aber keineswegs (richtig) ergründete. Auch wenn Battle Royale seine Produktions- bzw. ‚Spiel’-Bedingungen im Film offen legt, so wird damit nicht der tiefer liegende Sinn, den es durchaus gibt, rekonstruiert. (Die Schüler stellen sich die Sinnfrage auch immer wieder bzw. schreien sie in ihrer Not heraus: „I don’t know what any of it means!“ Dies ist wie in Cronenbergs body horror ein Appell an das Publikum, die eigene Lage mit Hilfe des Gezeigten zu überdenken.) Ein weiteres Argument für die Kopplung sadistischer und masochistischer Elemente liegt in der Kontingenz des Todesspiels, die sich aus plötzlichen ‚sadistischen’ Überraschungs- und Schockmomenten ergibt – dann etwa, wenn die TeilnehmerInnen aus dem Hinterhalt angreifen –, aber auch in der masochistischen Erwartung des Befürchteten. Die TeilnehmerInnen wissen, dass sie höchst wahrscheinlich getötet werden, nur nicht wann innerhalb der drei Tage1809 und auch nicht genau wie bzw. durch wen oder was. Mit der Antizipation der Katastrophe rechnete auch Sacher-Masoch in seiner Imagination bzw. seinem Spiel; die wichtigste Frage oder Subroutine, die ihn dabei stets begleitete, lautete: Wie weit wird die grausame Frau, meine selbstgeschaffene Maso-Installation, die mich liebt, tatsächlich gehen? Wird sie mich an einen neuen Geliebten verraten oder mich sogar zu Tode was sozusagen die Anschlussstelle zum letzten Bild in FALSCHER BEKENNER darstellt, nur mit dem Unterschied, dass es sich hier um ein blutrünstiges Lächeln handelt. Diese Reporter-Einstellung scheint von Jean Renoirs LA REGLE DU JEU (1939) inspiriert worden zu sein, wie Hartmut Böhme bemerkt hat, dem ich diesen Hinweis verdanke. 1807 Diese Bedingungen lassen sich mit TV-casting-shows und/oder Spielshows bzw. (Reality-)TV-Formaten, in denen Kinder/Jugendliche mitspielen und/oder real getötet wird, vergleichen. Siehe dazu Tom Toelles WDR- Produktion DAS MILLIONENSPIEL (BRD 1970), Sydney Lumets NETWORK (USA 1976) oder Paul Thomas Andersons MAGNOLIA (USA 1999). 1808 So zum Beispiel am 20. Januar 1883 als „in der Centralhalle von Leipzig ein Festkommers zu Sacher- Masochs fünfundzwanzigjährigem Schriftstellerjubiläum“ stattfand. Ihm wurde eine „initiierte Sammlung von Glückwunschautographen“ überreicht. Vgl. Exner 2003 (a), 25. 1809 Die Zahl drei hat nicht nur in Hegels Dialektik, dem dritten Moment als Eintritt ins Gesetz des Todes große Bedeutung, sondern ebenso im Horrorfilm, wenn dem Opfer (nicht selten über technische Medien) kommuniziert wird: IN DREI TAGEN BIST DU TOT (2006). 574 peitschen? „Was hat sie vor? Was wird sie mit mir anfangen?“1810 In Battle Royale heißt dies – wie es auch zu Marketingzwecken auf dem Filmplakat oder dem DVD-Cover vermerkt ist: „Can you kill your best friend?“ Die SchülerInnen werden zu technologisch gesteuerten Opfern und Tätern gemacht (und dies gleichzeitig). Sie sind auf ein unbewusstes Schaltprinzip (Angriff [plus]/Abwehr [minus]) sadistisch verkürzt worden, das nun die Realität ihrer Handlungen, ihr Überleben, ganz und gar bestimmt – das Gesetz des Anderen (des Todes), das sie vorher nicht ([an-]er-)kannten. Eine neue Erfahrung, der sie in diesem Insel-Dispositiv, auf Hashima, nicht entkommen können. Sie sitzen in (bzw. kämpfen mit) einer „Technologiefalle“.1811 Die Perfidie des Spiels liegt auch darin, dass hier mit der Sexualität der Jugendlichen gespielt wird. Auch wenn sex und gender in BATTLE ROYALE nicht das zentrale Thema sind, so sind die stärksten Szenen doch diejenigen, in denen sich die Kampfhandlungen direkt aus dem (sexuellen) Begehren der SchülerInnen ergeben und es mit diesen Handlungen überhaupt erst sichtbar wird.1812 Dabei kommen Geheimnisse und Wahrheiten ans Licht.1813 Das Spiel nutzt die für Teenager so typischen Unsicherheiten und Ängste, Irrungen und Wirrungen einer noch nicht gefestigten Sexualität und Identität – wie sie sich im heimlichen Verliebtsein und Schwärmen, in Eifersucht und Missgunst etc. bemerkbar machen – schamlos aus, heizen diese 1810 Sacher-Masoch 1980, 69. 1811 Vgl. Lem 1995, 135: Stanisław Lem weist in seiner Technolgiefallen-Definition darauf hin, dass Gefahren technogener Operationen gerade in deren Entstehungsphase oft unbemerkt bleiben und sich erst in der Anwendung „in eine ein- oder mehrdimensionale Katastrophe verkehren, die immer offensichtlicher wird und von jenen mächtigen Entscheidungsträgern immer schwieriger zu stoppen ist“. Wo es in einem konstruktiven gesellschaftlichen Prozess eigentlich darum gehen sollte, die Risiken der Technik, deren Gewalt-/ Kontingenz, abzuschätzen und zu minimieren (Risiko-Folgen-Evaluation), wird diese Kontingenz in Battle Royale bewusst eingesetzt, d. h. staatlich verordnet. Sie ist gewollt. Battle Royale entspricht damit der sadomasochistischen Perversionslogik, der Kontingenz bzw. Katastrophe eine mediale Ordnung zu geben, sie für einen bestimmten Zweck zu nutzen. Vgl. zur Sackgasse und Falle des Maso-Apparats 134 ff. in dieser Arbeit. 1812 Eine Schülerin namens Takako Chigusa (Chiaki Kuriyama), die einen Jogging- bzw. fit-for-fun-Fetisch hat, den sie sogar noch im Angesicht des Todes in Battle Royale intensiv betreibt, wird von einem ihrer Klassenkameraden gefragt, ob sie nicht, bevor sie sterben werden, Sex ausprobieren wollen. Sie durchschaut das listige Chauvi-Spielchen. Als sie ihn abblitzen lässt, bedroht er sie mit seiner Armbrust und verletzt sie sogar leicht an der Wange: Er: „It’s your fault. You made me mad.“ – Sie: „Always blaming someone else. That’s why I hate your guts!“ (Vgl. zu den Schuldzuweisungen des Masos auf andere 119 [Fußnote 380] in dieser Arbeit bzw. in der FUNNY-GAMES-Analyse, Pühler 2010, 11.) Da zückt sie ihr Klappmesser, verfolgt ihn, sticht auf ihn ein und – wenn man genau hinschaut – kastriert sie ihn sogar in diesem Gemetzel. 1813 Vgl. Adamowsky 2000, 41 f. 575 doch die Gewalt zusätzlich an und führen dann nicht selten zu Kettereaktionen exzessiver Brutalität.1814 Das ohnehin schon gelegentlich zu (Selbst-)Destruktion neigende Verhalten von Jugendlichen, die Faszination daran – siehe MTVs Jackass und dergleichen – erfährt hier seine mit Waffengewalt ausgetragene Radikalisierung. Battle Royale illustriert, dass Begehren gleichzeitig Kämpfen bedeutet1815 und auch, dass Begehren/Kämpfen immer schon den Tod des anderen adressiert. In diesem Sinne offenbart sich die erotisch-aggressive Wirkmacht des Phallus, der sich dann von seiner bedrohlichen, vernichtenden oder eben kastrativen Seite zeigt. Im Verlauf des Gewaltspiels begreifen die SchülerInnen allmählich, dass ihre Existenz vor Battle Royale vielleicht doch gar nicht so schlecht war. Sie beginnen sich an idyllische Szenen aus ihrem bisherigen Leben, u. a. in ihrer Familie bzw. im Freundeskreis zu erinnern, was mit Rückblenden und Polaroidfotos dokumentiert wird. Dass es solche hardcore- Bedingungen braucht, um positive Erinnerungen zu haben, um die Endlichkeit des Seins zu spüren und zu begreifen – das, was wichtig ist – scheint ebenfalls ziemlich pervers zu sein. Was bedeutet nun diese schwarze Pädagogik1816 auf Hightech-Niveau, diese gruppendynamische Züchtigungsmaßnahme, diese Reinstallation der Über-Ich-Funktion in ihrer tödlichen Ausweglosigkeit? Was ging dieser Imagination voraus, wie kam sie zustande? Irritierend ist die Gewaltfantasie schon deswegen, weil das wirkliche Japan zur Jahrtausendwende genau das Gegenteil der in BATTLE ROYALE gezeigten Krise erlebte – zumindest rein oberflächlich betrachtet. Denn wie schon zu Beginn der 1990er Jahre war das Land die zweitstärkste Wirtschaftsnation der Welt, die Kriminalitätsrate auffallend gering, alles schien in geordneten Bahnen zu verlaufen. Kindheit und Jugend findet in Japan in geschützten Räumen statt, die gesetzlich festgelegt sind – ein Europa-Import aus dem 19. 1814 Z. B. im (phallischen) Leuchtturm der Insel, in dem sich eine Mädchengruppe zurückgezogen hat und den verletzten Protagonisten Shuya Nanahara (Tatsuya Fujiwara) pflegen. Eines der Mädchen versucht ihn zu vergiften, doch aus Versehen trifft es eine der Schülerinnen, was zu panischen Kurzschlussreaktionen und schließlich gegenseitigem Töten führt – bis sich die Gruppe selbst ausgelöscht hat. Bevor es so weit ist, schreit eines der letzten Opfer: „Wir hätten alle gerettet werden können.“ – „First look, first kill, so heißt die Devise eines unbewußten Mechanismus, der wahrscheinlich bei Massenmorden massenhaft funktioniert.“ Kamper 2002, 411. 1815 „Niemand begehrt oder kämpft (was dasselbe ist), wenn nicht Andere begehren oder kämpfen würden.“ Kittler 1993, 76. 1816 Vgl. Rutschky (Hrsg.) 1997. 576 Jahrhundert. Kindheit ist hier wie dort mit romantischen Vorstellungen verbunden.1817 Auch die Organisationsformen der Kaiserlich Japanischen Armee wurden seit 1878 aus Europa übernommen, aus Preußen, dessen moderne Armee als Vorbild diente und deren Strukturen teilweise eins zu eins kopiert wurde. Japan in den 1990er Jahren Dennoch brodelte es vor allem in der zweiten Hälfte der 1990er Jahre gewaltig in dieser westlich orientieren Industrie- und Wohlstandsgesellschaft, in der Gehorsam, Anpassung und Leistung wichtige Leitbilder sind. Der Ostasien-Experte David Leheny beschreibt Japan als ein Land, das zu diesem Zeitpunkt von diffusen Ängsten heimgesucht wurde.1818 Als Gründe dieser gesellschaftlichen Verunsicherung nennt er u. a. das verheerende Erdbeben in Kobe, bei dem 1995 über 6000 Menschen starben und das die Nation bis heute traumatisiert, was nicht zuletzt am erschreckend inkompetenten Katastrophenmanagement der Regierung lag.1819 Nur wenige Monate später verübten Mitglieder der Aum-Shinrikyo-Sekte einen perfiden Giftgasanschlag auf die Tokioter U-Bahn, der 12 Menschenleben forderte und 1000 Personen teilweise schwer verletzte.1820 Auch dieses Ereignis bestärkte den Eindruck von Blindheit und Versagen auf Seiten der Behörden, da sie den Terrorakt, nicht der erste dieser Art in Japan, nicht verhinderten. Seitdem ist das Vertrauen in den Staat im ordnungsliebenden Japan gestört.1821 1817 Vgl. Brumlik 2006, 99: Vor der Romantik waren Vorstellungen von Kindern „als lüsterne[] und aggressive[], letztendlich verstockte[] Wesen“ üblich, „denen nur mit Gewalt beizukommen sei“. Die Gewalt, die Kinder verüben (können), ist immer wieder Thema in Filmen von Michael Haneke: Vgl. BENNY’S VIDEO (1992), CACHE (2005) oder DAS WEISSE BAND – EINE DEUTSCHE KINDERGESCHICHTE (2009). 1818 Vgl. Leheny 2006, S. 27 ff. („A ‚Vague Anxiety’ in 1990s Japan“). 1819 Vgl. ebd. 34 ff. 1820 Den Zusammenhang zwischen einem Giftgas-Terroranschlag auf die Tokioter U-Bahn, Tod, SM und Sexexperimenten unter Jugendlichen zeigt der Film TOKYO X EROTICA (Japan 2001, Regie: Takahisa Zeze). Diesen Hinweis verdanke ich Jens Meinrenken. 1821 Vgl. ebd. 38 ff. Leheny bezieht sich hier sogar explizit auf den Film BATTLE ROYALE. (Vgl. ebd. 41.) Als ich die vorliegende Analyse bereits im Jahr 2010 für eine Textsammlung zu Horror-Artefakten im neuen Jahrtausend verfasste (vgl. Pühler in: van Bebber [Hrsg.] 2011), konnte ich natürlich noch nicht von dem verheerenden Tsunami und der anschließenden Nuklearkatastrophe von Fukushima wissen. Auch hier bestätigte sich erneut das Bild von der Unfähigkeit bzw. dem Totalversagen der Politik und in diesem Fall der Atomindustrie. Wie sich das Alltagsleben im krisengebeutelten Japan nach diesem GAU anfühlt – „die Lage ist 577 Zusätzlich sorgte 1997 ein bestialischer Mord, der sogennante Sakakibara-Fall, für Schlagzeilen – und regte höchst wahrscheinlich Koshun Takami zu seinem Roman an, auf dem der Film basiert: Ein 14jähriger Junge tötete einen 11jährigen Grundschüler; drei Tage nach seinem Verschwinden wurde sein abgeschnittener Kopf im Haupteingang seiner Grundschule gefunden.1822 Im Mund steckte eine kryptische1823 Zettelnotiz des Mörders. In BATTLE ROYALE wiederholt sich diese Szene in modifizierter Form: Ein abgetrennter Kopf mit einer Handgranate im Mund dient als makaberes Wurfgeschoss und explodiert in einem Haus. Einmal mehr wird an dieser Stelle wie in VIDEODROME oder FALSCHER BEKENNER das Thema der Kopflosigkeit bzw. Verkrüppelung und Selbstblockade des denkenden und sprechenden Geistes inszeniert, d. h. dessen buchstäbliche Transformation zur Terrorwaffe (und dies in splatter-Härte wie in VIDEODROME.) Der Mord löste heftige Diskussionen darüber aus, wie mit jugendlichen Straftätern umzugehen sei und warf vor allem in konservativen Zirkeln die Frage auf, ob man die Jugend bislang zu lax behandelt habe. Obgleich der Sakakibara-Fall ein isolierter Einzelfall war, stürzten sich die Massenmedien auf das Thema Jugendkriminalität und schlachteten es außer Kontrolle, es herrscht längst Ausnahmezustand“ – hat Frau Hashimoto aufgeschrieben. Gabrielle Goettle hat Auszüge aus ihren Briefen zu einem bewegenden Bericht zusammengefasst: vgl. taz vom 26.3.2012, auch unter: http://www.taz.de/!90340/ 1822 Leheny 2006, 58 ff. 1823 Vgl. zum Begriff der Verkryptung bzw. verkrypten Erinnerung, wie ihn Nicolas Abraham und Maria Torok geprägt haben: von Braun 2001, 262 ff. Die „‚verkrypten Erinnerungen’, die der Träger in sich verschließen muß ‚wie in einem Sarg’, entziehen sich der Versprachlichung oder der figurativen Darstellung und seien deshalb als ‚Antimetaphern’ zu begreifen.“ Ebd. und Zitate von Abraham und Torok 1987, 265 f. und Abraham ebd. 430. 578 hemmungslos aus. (Hier sei an die Medienhysterie in der Exposition erinnert.) Im medialen Imaginären war schnell klar, dass Japans Jugend verdorben und außer Kontrolle geraten sei. Auch der in den 1990er Jahren zunehmende Drogenkonsum unter Jugendlichen passte gut in dieses verzerrte Bild. Ebenso das ebenfalls medial aufgebauschte Phänomen, dass sich eine verschwindend geringe Zahl japanischer Schülerinnen in ihren Schuluniformen – begehrte Fetisch-Objekte – hin und wieder prostituieren, um ihr Taschengeld aufzubessern. Trotz zahlreicher kritischer Stimmen führte die aufgeregte Debatte letztendlich zu einer Verschärfung des Jugendstrafrechts. So wurde das Straffälligkeitsalter gesenkt, Justiz und Polizei bekamen mehr Spielraum bei der Verfolgung und Verurteilung von Delinquenten.1824 Weiterführende Thesen Ich komme nun zu meinen Thesen, die bereits auf den nächsten Film THE HURT LOCKER (2008) verweisen. (BATTLE ROYALE wird in dieser nachfolgenden Analyse weiter ausgewertet.) BATTLE ROYALE verdeutlicht eine nicht nur in Japan vorherrschende Tendenz, die im Innern einer Gesellschaft herumspukenden Ängste nach außen, auf einen anderen Schauplatz zu verlegen, um sie an dieser Stelle in verwandelter Form sichtbar zu machen und ferngesteuert kontrollieren zu können, was unter Baudrillards Begriff der „satéllisation du réell“ fällt.1825 Damit wird von den eigentlichen Ursachen dieser Ängste und deren möglicher Lösung abgelenkt. Die Politik kann sich dergestalt drängende Probleme in einer unübersichtlich gewordenen Welt bequem und wirksam vom Hals halten und ihr eigenes Nicht-Wissen und Versagen verschleiern. Das Besondere dieses outsourcing ist, dass es die Machtinszenierung einer kollektiven Verdrängung darstellt, die virtuell und real zugleich ist: Virtuell in ihrer äußerst zweifelhaften Legitimation und ihrem sakralen Heilsversprechen, real in ihrer blutigen Konsequenz an fremden Orten. Ein hegemoniales Machtdenken ist hier nach 1824 Vgl. Leheny 2006, 81 f. Vergleiche auch zur „Jugendkriminalität in Japan“ und „die Debatte um die Neuordnung des Jugendschutzes“ Rohde 2007, zweiter Punkt, auch unter http://www.uni- hamburg.de/oag/noag/noag2007_5.pdf abrufbar. Rohde geht in ihrer Analyse nicht nur auf den Film, sondern auch auf die Romanvorlage Battle Royale vergleichend ein. 1825 „Die zunehmende Angleichung des Realen und seiner Spiegelung durch die Medien mündet in ihrer völligen Austauschbarkeit in einer Hyperrealität. Das Reale wird dabei zunehmend von seinen Abbildern bedrängt und schließlich nach außen verlagert: ‚satéllisation du réell’.“ Gaida 1999, 32; Zitat von Baudrillard 1976, 115. 579 wie vor in/als fatale/r Praxis wirksam, das tief in der technischen Moderne – in deren dumpf pochernden Herzkammern – eingelassen/ verankert/ codiert ist (und anscheinend nicht nur vom Unbewussten der Maschinen und Analogmedien gesteuert und beherrscht wird). Die Außenpolitik der zivilisierten, westlichen Welt hat in den Nullerjahren des neuen Jahrtausends – angeführt von der Bush-Regierung der USA – solche Schauplätze mit sinnlosen Angriffskriegen und Präventivschlägen (die sich als panikartige, fetischistische Angst-Abwehrmaßnahmen deuten lassen)1826 zahlreich geschaffen, obwohl es deutliche Warnungen vor solchen Experimenten gab, nicht zuletzt von US-Militärs selbst. Diese Orte befinden sich u. a. im Irak, in Afghanistan oder auf Kuba und heißen Abu Ghraib, Bagram oder Guantánamo. An diesen Orten werden irrsinnige bzw. bestialische Folter- und Todesspiele aufgeführt,1827 deren Dramaturgien sich vornehmlich aus ungelösten inneren Spannungen, Konflikten – verdrängter Angst – der westlichen Welt direkt, d. h. unbewusst, ableiten. („‚L’inconscient, c’est la politique’“ [Jacques Lacan].)1828 Anstatt die Gewalt des internationalen Terrors zu reflektieren und einzudämmen, wurde er an Orten wie diesen erst richtig entfacht.1829 1826 Vgl. Böhme 2006, 410 f.: „Könnte es sein [...], [d]ass in den öffentlichen Inszenierungen von Politik, Religion und Kultur eine verdrängte Angst bearbeitet wird, die von diesen erst erzeugt wird? [...] Ist der Schutz, den uns die öffentlichen Idole und Fetische geben, nur die andere Seite der Angst, die wir vor ihnen haben?“ Ich bin sehr davon überzeugt, dass es genau so ist (also auch über die hier besprochenen Filme hinaus). 1827 Vgl. Boggs 2010, Mladek 2010. Diese beiden Aufsätze gehören zu den wichtigsten aktuellen Quellen in dieser Arbeit, um das sadistische Zeitgeschehen, diesen Wahnsinn, einordnen und (ein wenig) verstehen zu können. Sie verweisen auf unsere Scham(losigkeit) und entsetzliche Schande („im Zwischenraum des Untoten“ [vgl. ebd. 259 ff.]). 1828 Vgl. Žižek 2004, 103. 1829 „Eine detaillierte Analyse von de Sade im Zusammenhang mit Abu Ghraib steht noch aus, aber seine Texte versammeln alle Motive zu einer Konstellation, die auch die Szenen von Abu Ghraib und Guantánamo kennzeichnen: die Dialektik von Scham und Schamlosigkeit, die penibel arrangierten Choreographien der Folter- und Erniedrigungsszenen, das Zuarbeiten für einen genießenden Blick außerhalb der Folterszene, die Fantasie eines schandhaften, zweiten Todes jenseits des biologischen, die Produktion von untotem Fleisch (das zugleich das nackte Leben der Folterer spiegelt) sowie die theatralisch-performative Externalisierung der Destruktionstriebe, mit dem die Folterer ihre Vorgesetzten, die Öffentlichkeit und ‚Amerika’ insgesamt konfrontieren.“ (Mladek 2010, 255 f.) Gibt es ein sadomasochistisches Unbewusstes bzw. Vorbewusstes, dass sich – mediologisch betrachtet – durch Räume und Zeiten hinweg überträgt (Transmission) und dabei trotz aller Unterschiede in diesem medialen Transformationsprozess, Ausnahmezustand, doch bis heute in seiner Struktur erstaunlich gleich geblieben ist und überdauert? Ist das dynamische Unbewusste nach Freud und Lacan, dieser Apparat, in dem die Medienzeitalter und Mediasphären gleichzeitig nebeneinander existieren, miteinander 580 Dies macht sich u. a. daran bemerkbar, wie Gefangene im andauernden Terrorkrieg behandelt werden: Generalmajor Geoffrey Miller, der die Kommandantur von Guantánamo 2002 übernommen hatte (sein Vorgänger hatte sich zu sehr um die Einhaltung der Genfer Konventionen bemüht), gab die Losung aus: „You have to treat the prisoners like dogs. If you treat them or if they believe that they’re any different than dogs, you have effectively lost control of your interrogations from the very start. So they have to earn everything they get. And it works.“1830 – „Das heißt der Feind ist ein wildes Tier und entsprechend behandeln die Amerikaner zum Beispiel die Leute in Guantánamo, wenn sie sie in einen Käfig sperren.“1831 Die Libertins in Sades 120 Tage sprechen zu ihren Lustobjekten, „schwache und unfreie Wesen, die ihr einzig zu unserer Lust bestimmt seid [...]. [...] Denkt daran, daß wir euch keineswegs als menschliche Geschöpfe betrachten, sondern einzig wie die Tiere, die man um des von ihnen erwarteten Dienstes willen ernährt und die man mit Schlägen zermalmt, wenn sie ihren Dienst verweigern.“1832 Tiere, zumindest die geschützten, scheinen im Vergleich mehr Rechte zu haben als die Häftlinge in Guantánamo oder in Sades 120 Tage. Zusammenfassend lässt sich über den War on Terror der Bush-Ära aussagen: „Unter der Bush-Regierung entstanden [...] neue politische Objekte, Menschen und Orte, die sich dem Blick einerseits entziehen, doch andererseits von einem schamlosen Spektakel der Gewalt begleitet werden. Parallel zu den Medienkampagnen zum War on Terror muss der ‚schmutzige Krieg’ [...] dem ehemaligen Vizepräsidenten Cheney zufolge ganz im Stillen und Geheimen geführt werden. Die Doppelung von Geheimhaltung bei gleichzeitiger beispielloser Zurschaustellung der Macht ist emblematisch für die Politik unserer Zeit geworden. Unverblümt sprach die Bush-Regierung von dem, was die Nazijuristen den ‚gewollten Ausnahmezustand’ [...] nannten.“1833 vernetzt sind und nicht veralten, zumindest in seiner pulsierenden, digitalen Funktion 1 (schlagen) und 0 (geschlagen werden) nicht etwas sehr Sadomasochistisches? 1830 Vgl. ebd. 251. Vgl. zu den CIA-Foltermethoden auch Kathryn Bigelows ZERO DARK THIRTY (2012). 1831 Baudrillard 2003 (a), 82. 1832 Vgl. Sade 1972, 85 ff. 1833 Vgl. Mladek 2010, 245. Vgl. zum „gewollten Ausnahmezustand“: Agamben 2004, 9. 581 Terroristische Massenmedien Die Massenmedien haben in diesem ‚Spiel’, das eines „von Flamme und Feuer ist“,1834 bislang nicht wirklich vermittelt, sondern stattdessen reichlich Öl nachgegossen, um die Gier nach Gewaltbildern, nach spektakulären und blutigen Ereignissen, bedienen zu können. Was dabei kaum gesehen wird, ist, dass die verdrängte bzw. verbannte Angst, die mit diesem Begehren (unbewusst) vernetzt ist, schnell dahin zurückkehren kann, wo sie ursprünglich entstanden ist: Ins Innere der medial gleichgeschalteten Gesellschaft,1835 wo sie dann auf autodestruktive Weise umso heftiger wütet. Dies ist eine bewährte dramaturgische Logik des postmodernen Horrorfilms, das ist auch FUNNY GAMES (U.S.).1836 Die Folter-Bilder von Abu Ghraib sind dafür symptomatisch; erste deutliche Anzeichen, auch wenn sie noch fern am Ort des Anderen – da draußen – sind bzw. erscheinen. „’[T]he photographs are us’, war ihre [Susan Sontags] Reaktion (Sontag 2004)“, als diese an die Öffentlichkeit kamen.1837 Und genau davon handelt BATTLE ROYALE – von der Wiederkehr des Verdrängten: nicht nur in Schrecken einflößender Selbstbespiegelung (a-Schocker, Terror-Wiedergabe), sondern schließlich in kollektiver und spektakulärer Selbstvernichtung. In Mille Plateaux reden Deleuze und Guattari von einer Kriegsmaschine, die sich das Staates bemächtigt.1838 Diese – sie lässt sich auch zur Medienkriegsmaschine erweitern – rückt zielsicher auf den unbewussten ‚Kollektiv-Körper’ und die eigene Haut, durchdringt diese/n; kommt von Innen und Außen.1839 Es ist ein Sadescher Schmerz, der sich plötzlich böse artikuliert und der – wie 1834 Lacan 1990, 220. 1835 Diese technologische Gleichschaltung wird in Battle Royale in ihrer sadistischen Konsequenz sichtbar. Der Spielraum, der dabei entsteht und der den SchülerInnen gewaltsam aufgezwungen wird (was auch auf die ahnungslose Familie in FUNNY GAMES [U.S.] zutrifft – sie müssen auf jeden Fall mitmachen), den sie als ferngesteuerte Spielfiguren mit Leib und Seele ausfüllen müssen, steht im Zeichen von agon, geht es doch um „Wettstreit, die Arena der Rivalen, ein Kampfplatz um Überlegenheit in Schnelligkeit, Ausdauer, Geschicklichkeit, Wissen und Scharfsinn“. Vgl. Adamowsky 2000, 53. 1836 D. h. die Eliminierung des wohlhabenden Bürgertums durch ihre eigenen Zombie-Kinder: böse Nachbarsbuben als media born serial killers. Vgl. zu diesem Thema auch Cronenbergs THE BROOD (1979). 1837 Vgl. Mladek 2010, 257. „Der Zuschauer ist beschämt, weil die Photos ihm mit seinem eigenem unerträglichem Genießen konfrontieren.“ Ebd. 1838 Vgl. Kacas 2003, 96 ff. 1839 In der Exposition von THE HURT LOCKER, der Film, der gleich im Anschluss diskutiert wird, ist bei genauer Betrachtung zu sehen, wie bei einer Bombenexplosion das Blut des Soldaten von Innen gegen das Sichtfenster seines Schutzpanzers spritzt. Der Druck kommt von außen und gleichzeitig von innen, was mit dem Platzen des Schirms des Objekts a (am Schluss von VIDEODOROME) vergleichbar ist. Der Soldat in THE 582 David B. Morris in seiner Geschichte des Schmerzes herausstellt – immer schon der unsere ist: „weit enfernt, in der Geschichte des 18. Jahrhunderts begraben zu sein“.1840 „Ob es gefällt oder nicht, de-Sadescher Schmerz ist der Schmerz, der uns wohlbekannt ist.“1841 Es sind dann nicht mehr nur – wie es sich historisch gezeigt hat – die Anderen, die „kolonisierten Völker“, die „ethnischen Minderheiten“, die „kulturell Fremden“, die „sexuellen Außenseiter[]“,1842 oder – wie es momentan der Fall ist – die islamistischen TerroristInnen, auf die man es brutal bzw. barbarisch abgesehen hat, sondern, um diese Logik konsequent-sadistisch zu Ende zu führen, die eigenen Kinder, die bereitwillig geopfert werden. Damit sind natürlich nicht nur die leiblichen gemeint, sondern im weiteren Sinne auch die Personen, die man liebt und für die man da ist.1843 „Böhmes Medientheorie lässt sich applizieren auf die ‚dunklen Schicksalsmächte’,1844 die Freud aufruft, und auf seine unbehagliche Schlussfolgerung: ‚Auch der Haß tobt sich schrankenlos aus. Rache und Todeswünsche gegen die nächststehenden, im Leben geliebtesten Personen, die Eltern, Geschwister, den Ehepartner, die eigenen Kinder sind nichts Ungewöhnliches. Diese zensurierten Wünsche scheinen aus einer wahren Hölle aufzusteigen’.1845“1846 – Unsere Medien-Hölle, mein Ich, Huis clos. HURT LOCKER wird wie Max in VIDEODROME dabei getötet. Diese Explosion am Anfang von THE HURT LOCKER kann als direkter Anschluss zum showdown von VIDEODROME betrachtet werden. 1840 Morris 1994, 332. 1841 Ebd., 311. 311. Sade „zwingt uns zu erkennen, dass das Zufügen von Schmerz bisweilen heftige sexuelle Erregungen hervorruft. Er fordert uns indirekt dazu heraus zu begreifen, inwieweit diese alptraumhafte Gegenwelt sexueller Grausamkeit einem verzerrten, jedoch akkuraten Bild unserer eigenen verdrängten Begierde und Gewalttätigkeit gleicht.“ Ebd. 330. 1842 Böhme 2006, 329 f. 1843 In dem Film SONGS FROM THE SECOND FLOOR (Sånger från andra våningen), einem Meisterwerk des schwedischen Regisseurs Roy Andersson aus dem Jahr 2000, wird eine religiös-gemeinschaftliche Kindesopferung ausführlich gezeigt. Vielen Dank an Alexander Marusch für die Präsentation dieses Ausnahmefilms, an den BATTLE ROYALE in dieser Hinsicht zeitgleich anknüpft. Diese Fantasie gibt es also nicht nur in Japan. Vgl. zum Thema Kindstötung auch Nietzsche 1982, 91 („73 Heilige Grausamkeit“). 1844 Freud 1999 (e), IV, 231. 1845 Freud 1999 (e), XI, 143. 583 Solange dieser (sowohl politisch verordnete als auch selbstfabrizierte) Wahnsinn im enthemmten Turbo-Spätkapitalismus, diese gefräßige Gier zwischen Medien-Terror und fatalem Krieg(sspiel) (Operation Wüstensturm, BR, Millionenspiele [Logos/brandings der Kollektiv-Perversion]) nicht grundlegend erkannt und schleunigst gestoppt wird, wird auch die Gewalt (in uns und um uns herum) nicht abnehmen. Und solange wird einem wohl nichts anderes übrig bleiben, als auf der Hut zu sein und dem kategorischen Imperativ des Films zu folgen: „Run!“ Namhafte Filmemacher wie Michael Haneke, David Cronenberg, Michael Winterbottom, Alfonso Cuarón, Ulrich Seidl, Kathryn Bigelow, Sidney Lumet, Lars von Trier, Leos Carax, David Fincher oder Steven Soderbergh haben sich in den letzen Jahren auf unterschiedliche Weise intensiv mit diesem Thema – der Entstehung, Verdrängung und Wiederkehr von Gewalt(-spielen) – auseinandergesetzt (FUNNY GAMES U.S. [2007], A HISTORY OF VIOLENCE [2005], THE ROAD TO GUANTANAMO [2006], CHILDREN OF MEN [2006], IMPORT EXPORT [2005], THE HURT LOCKER [2008], ZERO DARK THIRTY [2012], BEFORE THE DEVIL KNOWS YOU’RE DEAD [2007], DOGVILLE [2003], ANTICHRIST [2009], MELANCHOLIA [2011], NYMPHOMANIAC [2013], HOLY MOTORS [2012], VERBLENDET/THE GIRL WITH THE DRAGON TATTOO [2011], SIDE EFFECTS [2013]). Es lohnt in diesem Zusammenhang auch sehr, die hellsichtigen Schriften von Jean Baudrillard über Die Intelligenz des Bösen1847 bzw. Den Geist des Terrorismus1848 genau zu lesen: Aufklärung im besten Sinne – wegweisende Bestandsaufnahmen und auch fantastische Zukunftsforschung, für die er nicht nur in den USA heftig angegriffen wurde.1849 Sie bekräftigen die These, dass ein überreguliertes, stets auf Expansion ausgerichtetes, technokratisches Machtsystem seine eigenen Dämonen und Monster gebiert und diese dann mit äußerst fragwürdigen Methoden zu bekämpfen oder zumindest in Schach zu halten versucht, um weitermachen zu können wie gewohnt. Der globale Ausnahmezustand dauert an – und gewiss nicht nur an den Schauplätzen des Militärs und des Terrorismus. 1846 Bitsch 2009, 280. 1847 Vgl. Baudrillard 2006. 1848 Vgl. Baudrillard 2003 (a). 1849 Baudrillard liebte und bewunderte – wie er im Interview betont – dieses Land, das er immer wieder bereiste, kritisch beschrieb und sogar eindrucksvoll fotografierte. Vgl. Baudrillard 2003 (a), 90 und Baudrillard 2003 (b). 584 Hunger-Spiele Einen direkten Anschluss an BATTLE ROYALE bietet der Hollywood-sci-fi-blockbuster THE HUNGER GAMES (2012, Regie: Gary Ross, das Drehbuch basiert auf dem Roman Die Tribute von Panem – Tödliche Spiele von Suzanne Collins), der einerseits auf die tiefgehende Spaltung der US-amerikanischen Gesellschaft (die Trennung zwischen sogenannten Hinterwäldlern bzw. hillbillies und der politisch und wirtschaftlich herrschenden Klasse an den Küstengebieten der USA) verweist,1850 andererseits die sadistische Radikalisierung und Transformation des heutigen, global funktionierenden und bereits durch und durch perversen casting-show-Genres zum Todeswettkampf – im Sinne von römischen Gladiatorenspielen (Brot und Spiele) – bedeutet. Wo in BATTLE ROYALE und im War on Terror noch versucht wurde, das schmutzige Kriegsspiel, die Produktionsbedingungen von Folter, Mord und Terror geheimzuhalten, wird das interaktive Gruppengemetzel mit Jugendlichen in THE HUNGER GAMES als jährlicher Höhepunkt des TV-Showprogramms erwartet und öffentlich ausgestrahlt. Es gibt hier keine Scham und auch keinen Gesellschaftsvertrag (théorie du contrat social) mehr. „Der Film spielt in der Zukunft im diktatorischen Staat Panem, der auf dem Territorium der heutigen USA liegt. Er besteht aus zwölf Distrikten und dem Kapitol als Regierungssitz. Während es den Menschen im verwöhnten Kapitol gut geht, kämpfen die Menschen in den Distrikten um das tägliche Überleben. Die Menschen in vielen Distrikten hungern und müssen 1850 Hier sei Vorsicht geboten, geht es doch auch um Klischeevorstellungen (wie z. B. white trash oder jene tumben Waldbewohner, die am liebsten hedonistische Großstadt-Kids, die sich in ‚ihr’ Territorium verirren, metzeln [siehe THE WRONG TURN (2003) oder TEXAS CHAINSAW MASSACRE (1974 und remake 2003)]), die ein Film wie THE HUNGER GAMES aufgreift, zuspitzt und auch verwandelt. Dass diese Realität dennoch in gewisser Weise zutrifft, macht ein ausgezeichneter Film wie WINTER’S BONE (2010, nach dem Roman von Daniel Woodrell) sehr deutlich. Die Regisseurin Debra Granik zeigt darin, dass die alltägliche Brutalität und Rohheit dieser Menschen in den sozialschwachen Milieus des Mittleren Westens der USA gerade deswegen vorherrscht, da sie vom Staat und der Gesellschaft ignoriert wurden, und nun zusehen müssen, wie sie überleben. Im Mittelpunkt dieses social-hardcore-Films steht eine 17jährige Protagonistin, die unter schwierigsten Umständen und ganz auf sich allein gestellt versucht, für ihre vaterlose Familie zu sorgen, sie zu retten. Man möchte nicht glauben, dass die gezeigten EinwohnerInnen in den Ozark Mountains im US- Bundestaat Missouri mehr oder weniger wie Tiere vegetieren, dass es diese soziale Grausamkeit und Kälte im Innersten der USA, diesem hochentwickelten Land, wirklich gibt. Es ist dann weniger der von Samuel Huntington proklamierte „Clash of Civilizations“, der hier virulent ist, sondern wie Žižek beobachtet, vielmehr „clashes within civilization“. Vgl. Žižek 2004, 41. 585 sich durch Wilderei, das Sammeln von wildem Gemüse und Früchten und den dadurch erzielten Tauschgeschäften ernähren. Wer dies nicht schafft, ist auf die Rationen des Kapitols angewiesen. Jedoch bedeutet jede Inanspruchnahme dieser pro Person einen weiteren Zettel mit dem eigenen Namen in einer Lostrommel. Jedes Jahr werden Zettel aus der Trommel gezogen, deren benannte Personen dann als Tribut in einer Arena landen. Dabei handelt es sich um die sogenannten Hungerspiele, welche landesweit im Fernsehen übertragen werden. Bei diesem modernen Gladiatorenkampf muss jeder Distrikt, repräsentiert durch je ein Mädchen und einen Jungen zwischen 12 und 18 Jahren, die Tribute, in der vom Kapitol kontrollierten Arena gegeneinander antreten. Die Tribute müssen sich gegenseitig umbringen, bis nur noch ein Tribut übrig bleibt. [...] Die Spielmacher sind während des Spiels in der Lage, Regeln zu ändern und die Natur innerhalb des Kampfgebiets zu kontrollieren.“1851 Was THE HUNGER GAMES mit BATTLE ROYALE verbindet, ist, dass beide Todesspektakel eine Machtdemonstration (inklusive Abschreckwirkung) der herrschenden Klasse darstellen: In BATTLE ROYALE dient sie dazu, die rebellische Jugend zu züchtigen, in THE HUNGER GAMES um genau dies – den drohenden Aufstand der Jugend, Recht und Gerechtigkeit im Gesellschaftsvertrag – zu verhindern: anscheinend eine sehr wirksame Präventivmaßnahme, eine blockende, robuste Fetischfunktion. Neben dem Hunger-/ Essensmotiv beherrscht vor allem die Opposition zwischen der armen Landbevölkerung (fast nackt) und den aristokratisch-dekadenten Küstenbewohnern (in ihren opulenten Barock- Kostümen und Perücken)1852 das Setting des Films. Kampf- und Jagdsequenzen sind die unterhaltsame Handlung. Diese Spannung ist bereits in der literarischen Ästhetik Sacher- Masochs zu beobachten (agrarische Gesellschaft und feudale Herrschaftsstrukturen in Galizien – quasi das Panem Osteuropas im 19. Jahrhundert) und wird bei ihm durch aristokratische ‚grausame Frauen’, Pelzwerk und Peitschen, medial verstärkt. 1851 Vgl. den Wikipedia-Eintrag zu Die Tribute von Panem – The Hunger Games unter http://de.wikipedia.org/wiki/Die_Tribute_von_Panem_–_The_Hunger_Games. 1852 „Hoher Aufwand wurde bei den über 500 unterschiedlichen Frisuren betrieben. Eigens dafür wurde ein 35- köpfiges, externes Team verpflichtet, das über fünf Wochen an den Perücken und Frisuren der Darsteller arbeitete.“ Ebd. 586 Casting-Shows und Docu-Soaps Den (perversen) Lustgewinn, auf den heutige Reality-TV-Formate quotenmäßig spekulieren und setzen, hat Christina von Braun bereits deutlich beschrieben. Sie erklärt die hohen Einschaltquoten in Bezug auf Docu-Soaps einerseits mit dem „Anspruch auf das ‚Dokumentarische’, das Nichtinszenierte“; andererseits aber auch gerade mit der „artifiziell[en] Situation, in der diese Vorführungen stattfinden. Diese erinnern an die Arena der Römer. Welcher von den Sklaven oder Christen wird die Spiele überleben? Wer liefert ein gutes Spektakel? Bei diesen Ereignissen konnte die Bevölkerung von Rom in Ekstase geraten. Ihre Lust hatte allerdings auch mit der Tatsache zu tun, daß die Menschen in der Arena um das nackte Überleben kämpften. Alle Zuschauer wußten das – und es machte sie an.“1853 Im Gegensatz zu spätmodernen Gladiatorenspielen wie Battle Royale oder The Hunger Games erfolgt in TV-Reality-Formaten wie Big Brother und dergleichen (auch sogenanntes ‚Unterschichtenfernsehen’) „die Unterwerfung nicht nur freiwillig, sondern sogar mit Lustgewinn. Ebendarin scheint die Funktion dieser und anderer Docu-Soaps für das gesellschaftliche Unbewußte zu liegen: eine erotische Beziehung zwischen dem Kollektiv und der individuellen Psyche herzustellen. Das Lusterlebnis besteht im Akt der Vereinigung zwischen denen vor der Kamera und denen vor dem Fernseher. Damit ist nicht Gruppensex gemeint, sondern Sex mit der Gruppe. Im Akt der Vereinigung zwischen denen ‚drinnen’ und denen ‚draußen’ besteht das Lusterlebnis.“1854 Dass sich SM-Elemente in die scheinbar unaufhörlichen Testreihen und die vernichtenden Codes dieser TV-Formate, in diesen speziellen Sex, zunehmend einschleichen, wundert nicht nach allem, was in dieser Arbeit über technischen bzw. telematischen Sex gesagt wurde (vgl. u. a. VIDEODROME).1855 Nebenbei gefragt: Gibt es sonst in der Gesellschaft irgendwo derart harte Auswahlkriterien wie in casting-Sendungen? Die „Auslese vor der Apparatur“1856 (und einem Scherbengericht) wird maßlos in die Länge gezogen, aufgebläht und rein kommerziell genutzt, quasi über Monate – die Dauer einer Staffel – verlangsamt und gedehnt. Eine Tortur. Es entstehen konfektionierte und hypertrophe entertainment-Objekte, die trotz oder wegen all dem Hype und der Hysterie, mit dem/der diese inszeniert und ausgestrahlt werden, realiter in 1853 Vgl. von Braun 2001, 274. 1854 Vgl. ebd. 276. 1855 Vgl. zur Gewalt im Reality-TV: Keppler 2006, 250-259. 1856 Vgl. Benjamin 1977, 27, Vgl. ebd. Fußnote 20. 587 slow motion ablaufen.1857 casting-Sendungen imitieren und forcieren den gnadenlosen (auch simulierten) Konkurrenzdruck im Spätkapitalismus und das flexible Maskenspiel der heutigen medialen Selbstvermarktung bzw. -versklavung: ein einziger fake bzw. eine krasse farce, die kollektiv so gewollt ist. Die Sinnfrage, die sich die SchülerInnen in BATTLE ROYALE stellen, bleibt hier aus. – In Frankreich hatte sich ein 32-jähriger Kandidat, nachdem er in der Reality-Show Trompe-moi, si tu peux teilgenommen hatte, das Leben genommen. Die Sendung, in der 10 gutaussehende Pärchen (darunter auch Homo-Liaisons) sich gegenseitig verführen sollen (ohne dass das Publikum zuerst weiß, wer von den KandidatInnen zusammen ist bzw. war) wurde daraufhin abgesetzt.1858 Auch hierzulande haben die Formen des kollektiven Erlebnisfernsehens ihre (Schmerz-)Grenzen längst erreicht. Bei Wetten, dass ...?, dem veralteten Show-Schlachtschiff des ZDF, gab es in einer halsbrecherischen Wette in der Sendung vom 4.12.2010 einen Unfall mit schwerer Körperverletzung. Ein 23jähriger erlitt dabei vor laufenden Kameras eine Querschnittslähmung. Die Sendung ging an diesem Abend sogar noch weiter, die Show wurde nicht abgesetzt.1859 1857 Demnach sind diese Formate stinklangweilig, laufen sie doch immer nach dem selben monotonen Muster ab. Ein echter suspense bleibt aus. Man weiß vorher, was hier passieren wird, was gezeigt wird. (Es werden keine Superstars kreiert.) 1858 Vgl. Balmer, taz vom 9.7.2010 („Tödliches Spiel“). 1859 Eine detaillierte Analyse von Sade und Sacher-Masoch im Zusammenhang des heutigen Reality-TVs steht noch aus. Auch wenn dies hier nicht mehr geleistet werden kann, so ist zu bemerken, dass sich die meist jungen TeilnehmerInnen in casting-Sendungen, wenn sie genommen werden, freiwillig und über mehrere Monate an solche Produktionen ausliefern – eine masochistische, medial manipuliert-kontrollierte Selbstausstellung und - ausbeutung. (Vgl. zu „Fetischisierung der Jugendlichkeit“ und „Zwangscharakter des Jugendlichen“ im (Spät- )Kapitalismus: Haug 1971, 53.) Ihre persönlichen Rechte und Privatssphäre sind dann eingeschränkt, müssen sie doch vorher 100seitige Verträge unterschreiben, in denen die Dos and Don’ts bis ins kleinste Detail für sie geregelt sind. Sie werden auf reine show-dummies verkürzt. In einer Staffel von Deutschland sucht den Superstar (DSDS [Fetisch-Kürzel]) im Jahr 2009 wurden alle KandidatInnen sogar zusammen in einem Haus im Bergischen Land untergebracht. Das erinnert an die Zwangs- und Schicksalsgemeinschaft auf Schloss Silling im Schwarzwald in Sades Die 120 Tage. 588 THE HURT LOCKER (USA 2008; Regie: Kathryn Bigelow) Eine Explosion in der Kunst, besonders eine ‚pathetische’ Explosion der Gefühle, wird nach dem gleichen Prinzip gebaut wie eine Explosion, die durch Sprengstoff erzeugt wird. Wie man das macht, habe ich einst gelernt in der Fähnrichschule für Militäringenieure, beim Kursus ‚Minenwesen’. In beiden Fällen wird zuerst der Spannungsdruck intensiv hochgetrieben. (Natürlich unterscheiden sich die Mittel, aber das Grundthema unterscheidet sich nicht im geringsten!) Dann explodieren die Rahmen, die die Ladung zusammengehalten haben. Und der Stoß setzt Myriaden von Splittern frei. Sergej M. Eisenstein Mit Film lässt sich eine fast vorbewusste psychologische Reaktion erzeugen, und ich finde es unheimlich faszinierend, die Zuschauer in eine Reaktion zu versetzen, in die sie sich selbst nie hineinwagen würden. Kathryn Bigelow Even on a ‚deeper’, psychoanalysable level, the possibility that the war in Iraq, the ‚War on Terror’, is really a war on our own repressive drives or sublimated fears is a wholly valid proposal. Ian Almond Ein neuer Fetisch: Bombenentschärfung im Irak Kathryn Bigelow zeigt in ihrem Spielfilm THE HURT LOCKER (2008) eine Elitetruppe des US-Militärs, ein Bombenräumkommando (Explosive Ordnance Disposal [EOD]) bei Einsätzen in Bagdad im Jahr 2004, also kurz nach der US-amerikanischen Besetzung des Iraks.1860 Sie beruft sich dabei auf Material des Kriegsjournalisten Mark Boal, der 2004 tatsächlich vor Ort war, Kampfhandlungen als sogenannter embedded journalist für die New York Times begleitete und das Drehbuch daher aus eigenen Erfahrungen heraus schreiben konnte. Der Film hat reportageartigen, fast schon dokumentarischen Charakter, eine 1860 Aus Sicherheitsgründen wurde im benachbarten Jordanien gedreht. Trotzdem wollte Bigelow unbedingt in den Irak, was – wie sie lachend erzählt – nur durch ihre Leibwächter verhindert wurde. „Ja ich wollte so nah wie möglich an das Kriegsgebiet, und ich hätte auf jeden Fall auch im Irak gedreht, wenn man mir die Erlaubnis gegeben hätte.“ Vgl. Interview mit Kathryn Bigelow 2009, 19; Zitat von ihr. 589 Mischung aus high arts und blockbuster (was in gewisser Weise auch an BATTLE ROYALE erinnert). Nichts scheint hier (dann im Gegensatz zu BATTLE ROYALE) erfunden. Bigelows Absicht ist, die Zuschauer in die Position des Soldaten oder Journalisten zu versetzen und „ihre Perspektive einzunehmen“: „Ich wollte das Geschehen so erfahrbar wie möglich machen. Eine ganz wichtige Rolle spielt in diesem Zusammenhang die Geografie des Films. Damit meine ich, dass es mir vor allem darum ging, dem Zuschauer in jeder Szene eine genaue Orientierung zu geben und jederzeit den Sinn für die Räumlichkeit bestehen zu lassen. Das Elite-Kommando muss ein Gebiet im Umkreis von zirka 300 Metern absichern. Dann macht sich der Soldat im Schutzanzug auf den sogenannten ‚einsamen Weg’ in Richtung des Sprengkörpers. In dem Moment steht der Krieg für ihn still, er hat keine Ahnung worauf er da zuläuft, es gibt keinen Spielraum für Fehler. Das ist ein qualvoll dramatisches Szenario, das kaum einer zusätzlichen filmischen Ausschmückung bedarf.“1861 Bigelow verdeutlicht mit diesen sich wiederholenden Aktionen des Räumkommandos auf Leben und Tod,1862 dass sich hier eine neue Form des Krieges herausgebildet hat, wobei man sich fragen muss, ob dies überhaupt noch Krieg ist. 1861 Vgl. ebd., 18. Der Sprengsatz und dessen wahrscheinliche Detonation rückt hier ähnlich nahe auf den Leib wie In BATTLE ROYALE, was sowohl für den Elitesoldaten als auch für das Kinopublikum gilt. Das Publikum hat jedoch den sicheren Schutzschirm der Leinwand, der Soldat nicht (nur seinen Schutzanzug, der ihn aber, wie in der Exposition gezeigt wird, nicht rettet). 1862 Denn entweder wird die Bombe erfolgreich entschärft (Reterritorialisierung im Sinne der Wiederherstellung öffentlicher Sicherheit an einem bestimmten geografischen Ort) oder der Elite-Soldat fliegt mit ihr in die Luft 590 „Eigentlich tut das Bombenräumkommando nichts anderes als das Kinopublikum. Es schaut genau hin, misstraut dem Augenschein, will erkennen, begreifen. Eine Plastiktüte, eine lahmende Katze, ein Eselskarren, Menschen auf einem Minarett – wer das Straßenbild falsch deutet, riskiert sein Leben. Immer wieder geht es mit Barry Ackroyds unruhiger 16- Millimeter-Kamera zum Einsatz, sieben, acht Mal in 120 Minuten. Immer wieder wird gepeilt, fokussiert, ins Visier genommen, Schärfe nachgezogen; die Zeitlupen entstanden mit hyperpräzisen Digitalkameras. Oft wussten die Schauspieler nicht, von wo sie gefilmt werden – Guerillataktik einer gewieften Genre-Regisseurin.“1863 Neu ist hier, dass ein einziger Soldat in einem für ihn abgrenzten Raum, einem Dispositiv agiert, in dem er auf sich allein gestellt mit einer hochgefährlichen Technik ‚kämpft’ und dabei Nervenstärke beweisen muss.1864 Diese Todeszone, die neue ‚Front’, eröffnet ihm einen sadomasochistischen Spielraum; er weiß nie, was ihn genau erwartet, es ist allerdings auf jeden Fall tückisch und sehr böse. Um das ‚sadistische’ Schockmoment der Explosion zu verhindern und somit zu überleben, muss er geschickt und hochkonzentriert vorgehen. Er muss die (meist) getarnte Bombe finden, ihre Zündtechnik verstehen und sie möglichst schnell unschädlich machen. Auch in BATTLE ROYALE gelingt es einem Schüler, einem und wird dabei höchstwahrscheinlich sein Leben verlieren oder zumindest (schwer) verletzt werden (Deterritorialisierung einer molekularen Teilchenexplosion, wie es die Exposition in digitaler und hochauflösender Zeitlupe demonstriert). Das ist immer wieder die Herausforderung für das Räumkommando: eine Testreihe mit wechselnden Straßen- bzw. Wüstenschauplätzen, die nur durch menschlichen Einsatz, nicht durch Technik allein zu lösen ist. Der GI mutiert demnach unbewusst zum Anti-Ödipus, der eine reale Terror- Gefahr (für andere) entschärfen soll und sie gleichzeitig (für sich) lustvoll entdeckt. Das ist das Dilemma: Ein süchtiges machendes SM-Spiel in einer Kriegs- bzw. Medienmaschine, im Dreck des Andern, shitstorm, mit fatalem Ende: entweder dem eigenen Tod oder einem weiteren Ausgang im Ungewissen, Tod oder schlechtem Leben. (Vgl. zu dieser negativen Oder-Problematik der Alienation, die auf Hegels ‚Freiheit oder Leben’ zurückgeht: Lacan 1987, 221 ff. und auch Miller 2007, 31: „[Y]ou only have the choice between nothing at all or a damaged set.“) – George Bushs Irak-Krieg, sein nicht (an-)erkanntes, abgestrittenes Ödipus-Problem, das schlechte Nachäffen seiner Vaters (der in seinem Irakkrieg wenigstens ein plausibles politisches Motiv und vor allem die UN auf seiner Seite hatte), kann als ein wiederholter und missratener Testversuch gelesen werden, seinem Ödipus-Begehren Ausdruck zu verleihen (Krieg als Vater aller Dinge). 1863 Vgl. Peitz 2009, Artikel bei Zeit-Online unter: http://www.zeit.de/online/2009/33/film-junkies-der- angst/seite-1). Bigelow bedient sich einer suchend-sondierenden SM-Methode, das Anpeilen, der zoom des Dings, des Objekts im Realen, a. 1864 Er hat Funkkontakt zu seiner Gruppe, die sich am Rande der Todeszone befindet und ist mit dieser vernetzt. In einer Szene zündet der GI eine Nebelbombe, um bei seiner Räumarbeit, bei der er leichtsinnig vorgeht, von anderen nicht gesehen zu werden. 591 Hacker, unter Zeitdruck die Technik bzw. das Computerprogramm, das das Spiel überwacht, zu zerstören. Zwei Jugendliche fliehen daraufhin von der Insel. Sie leben fortan im Untergrund der japanischen Gesellschaft und werden steckbrieflich gesucht (d. h. öffentlich zu TerroristInnen gemacht, eine allseits verbreitete politische Strategie um unliebsame DissidentInnen zu bekämpfen). Während diese beiden Schüler den Ort des Schreckens also rasch verlassen, entwickelt einer der Soldaten, Sergeant First Class William James (Jeremy Renner) in THE HURT LOCKER immer mehr Interesse an seiner Arbeit in der Todeszone und geht immer leichtsinniger bei der Entschärfung der Sprengsätze vor. Er wird allmählich süchtig nach diesem unberechenbaren Spiel, ohne zu wissen, was da eigentlich mit ihm passiert. Auch einige wenige Schüler finden im Verlauf der performance von Battle Royale reichlich Lust an der Gewalt, die sie gleichzeitig ausüben und abwehren müssen. Andere begehen stattdessen Selbstmord. „Der Rausch des Kampfes wird oft zu einer mächtigen und tödlichen Sucht. Denn Krieg ist eine Droge.“1865 Die Männer der Eliteeinheit versuchen die stetige Gefahr, in der sie sich befinden – auch wenn sie gerade keine Bomben entschärfen –, mit coolness und Machogehabe zu überspielen.1866 Trotzdem werden sie sich ihrer Angst, die sie im Laufe des Filmes entwickeln bzw. bereits vorher hatten, allmählich bewusst, es dämmert und sie sprechen sie aus, durchdringen sie jedoch noch nicht. Specialist Owen Eldridge (Brian Geraghty): „Ich hatte Angst.“ – Sergeant James: „Jeder ist bei irgendwas ein Feigling, weißt Du.“ – In der arte- Kulturdokumentation Horrorfilme. Von Apokalypsen, Viren und Zombies (Frankreich 2010) wird berichtet, dass horror-Filme den US-SoldatInnen im Irak als geeignetes Mittel dienten, mit ihrer ständigen Angst (besser) umgehen zu können. (Einer der Soldaten spielt in THE HURT LOCKER ein brutales ego-shooter-Videospiel.) Das entspricht Max Renns Position in VIDEODROME, dass die Darstellung von Gewalt in den Medien eine positive Sache sei, eine psychoreinigende Ventilfunktion übernehme. Michael Haneke glaubt genau das Gegenteil, 1865 Eingangszitat von Chris Hedges. (Erster Satz wird ausgeblendet.) 1866 Kathryn Bigelow kennt sich mit den Diskursen des postmodernen Sexes bestens aus. Einerseits hat sie bei Susan Sontag studiert und eines der wichtigsten Bücher zum Thema mitherausgegeben, POLYSEXUALITY [Semiotext(e) # 10], 1995 (1981). Andererseits muss sie sich als (attraktive) Frau in der Männer-Domäne der US-amerikanischen (action-)Film-Industrie behaupten. 592 dass diese Gewalt nur noch mehr Gewalt nach sich ziehe. Bei Sade – wie der Marquis dozieren lässt – zieht eine Ausschweifung die nächste nach sich, bis das Herz verhärtet. Da die Gewalt, die diese Männer täglich erleben, anscheinend noch nicht genug ist, messen sie ihre Stärke in Männlichkeitsritualen. Quasi als Freizeitbeschäftigung im US-Army-Camp- Container (den es zu dieser Zeit u. a. auch in Afghanistan gab, wo James zuvor agierte) schlagen sie sich unter Alkoholeinfluss, in einem Testversuch mit Hieben in den Unterleib,1867 gegenseitig halb tot und finden das sogar komisch. „In Situationen, in denen der äußere Feind fehlt oder nicht zu greifen ist, beginnen bewaffnete Männerbünde sich selbst zu ‚zerfleischen’, wie man sagt.“1868 Ihre Sexualität ist deutlich unterbelichtet, in ihrem zivilen Leben haben sie Probleme mit Frauen, James ist geschieden.1869 Auch wenn es zynisch klingt: Im Gegensatz zu Battle Royale gibt es hier keine nachvollziehbaren Spielregeln, weder innerhalb der Truppe, noch bei den Einsätzen.1870 Vorgesetzte werden kaum gezeigt, und wenn, dann wirken sie noch abgestumpfter oder hilfloser als die Sergeants selbst.1871 Der rebellische Gegner bleibt stets unsichtbar,1872 was zur Folge hat, dass die permanente Angst, z. B. überraschend aus dem 1867 Der Unterleib – dieser nicht nur in VIEODROME sehr groteske Körperteil – wird sogar mit Filzstift gekennzeichnet, sozusagen die finale Zielscheibe gruppendynamischer Gewaltlust in dieser Elite-Einheit. 1868 Theweleit 1980 (a), 30. 1869 James lebt aber noch mit seiner geschiedenen Frau und seinem kleinen Sohn zusammen, wie auch am Ende des Films zu sehen ist. Er sagt, dass seine Frau ihm gegenüber loyal sei. Sanburn (Anthony Mackie) hat eine Freundin, die ein Kind von ihm möchte, doch er fühlt sich noch nicht reif dafür. „Gib’ ihr endlich Deinen Samen, Du Hengst“, erwidert einer der angetrunkenen Männer. Erst am Schluss des Films, nach all der Terror- Gewalt, den existentiellen Erfahrungen, dem Stresstest und Schwachsinn dieses Krieges, verspürt er den Wunsch nach einem Kind bzw. Sohn. Er hat die brutale Leere des Seins in seiner Position und an diesem Ort kennengelernt. 1870 Dass die Soldaten diesen Krieg als Spiel sehen, wird deutlich, als einer der GIs der Elitetruppe einem Rebellen, der aus dem Hinterhalt, aus der Ferne angreift und den der GI dann tötet, abschließend zuruft: „Danke fürs Mitspielen!“ 1871 Diese kurzen Nebenrollen werden von etablierten Hollywood-A-Klasse-Schauspielern übernommen (Ralph Fiennes und Guy Pierce), wohingegen die Elite-Truppe mit neuen Gesichtern gecastet wurde. 1872 Vgl. Stöver 2007, 459 ff. („Der Gegner verschwindet“). In einer Szene kommt es diesbezüglich zu Verwechslungen: US-Landsleute werden von denselben erst nicht erkannt, als Feind betrachtet und mit drohenden Waffen begrüßt. 593 Hinterhalt angegriffen bzw. (wie es gezeigt wird) erschossen zu werden,1873 einen ungeheuren Stressfaktor bedeutet und traumatisierend wirkt.1874 Die Tage bis zu ihrer Heimkehr werden gezählt und als Untertitel eingeblendet. Eine Tortur. Dennoch können sie nicht von ihrem hochriskanten Job lassen. Wie Bigelow mitteilt, haben sich diese Männer und auch Frauen (die Bigelow erstaunlicher Weise nicht zeigt, obwohl sie ebenfalls im EOD-Kommando Bomben wegräumen)1875 meistens freiwillig gemeldet, sie können sich nicht mehr vorstellen, etwas anderes zu tun. Das, was die Suchtwirkung ausmacht,1876 ist eventuell vergleichbar mit der masochistischen Angstlust, dem suspense (Hitchcock inszenierte suspense auch gerne mit Sprengkörpern und Zeitzündern),1877 der nicht mehr wie im klassischen Masochismus mit Imaginationen inszenierter Gewalterotik operiert, sondern nur noch mit der technischen Gewalt selbst,1878 ein kalter Sadismus und ein Kick, der starke körperliche Reaktionen hervorruft, wie die Ausschüttung hoher Adrenalindosen. „De Sade zeigt, was in jeder Kultur geschehen kann, wenn Schmerz als Träger lediglich elektrischer Impulse jeden Bezug zum Tragischen verloren hat.“1879 1873 Man denke daran, wie sich Max Renn in VIDEODROME unbewusst wünschte, dass Nicki Prof. O’Blivion hinterhältig tötete (wie es dann ja auch zu sehen war). Plötzliche Angriffe aus dem Hinterhalt sind auch für Battle Royale typisch. 1874 Vgl. zu (traumatischen) Kriegsneurosen bei Freud bzw. das Unbewusste zwischen ‚Friedens-Ich’ und ‚dem kriegerischen Ich des Soldaten’, das wohl spätestens mit THE HURT LOCKER nicht mehr in dieser Form zu differenzieren ist: Brumlik 2006, 152. 1875 Im Interview deutet Bigelow darauf hin, dass auch Frauen diesen Todesjob ausüben. „Für mich persönlich habe ich [...] schon etwas erreicht, wenn sich die Leute, die den Film sehen, daran erinnert fühlen, dass es eben in diesem Augenblick Männer und Frauen gibt, die sich im Schutzanzug auf jenen einsamen Weg begeben, dass sie da draußen ihr Leben riskieren, ob man es nun für richtig oder falsch hält, dass sie dort sind.“ Bigelow im Interview mit dem Filmmagazin Ray: 2009, 19. 1876 Vgl. zur (Handhabung der potenziellen) Suchtgefahr des Fetischs: Böhme 2006, 480 f. 1877 Vgl. SABOTAGE (1936), jener Film, den Hitchcock nicht sonderlich mochte und der wohl am Deutlichsten zeigt, was bei ihm suspense ist: Ein Junge soll eine Paketbombe mit einem Zeitzünder in einem Bahnhofsschließfach deponieren. Da der Junge die Zeit vertrödelt, explodiert der Sprengsatz und tötet ihn. Alfred Hitchcock bemängelte zwei Dinge im Nachhinein: Erstens, dass er die Bombe explodieren ließ und zweitens, dass ein Kind Opfer wurde. Vgl. http://de.wikipedia.org/wiki/Sabotage_(Film) 1878 Hier sei noch einmal an Hartmut Böhmes Zitat erinnert, das bereits in der FUNNY GAMES-Analyse verwendet wurde: „Die Gewalt der Apparate fällt mit dem Bedürfnis der Menschen in eins.“ Böhme 2006, 339. 1879 Vgl. Morris 1994, 336. 594 Die Zeit steht still in diesen ambivalenten Momenten realer Todesdrohung und draufgängerischer Bewältigung: die Ruhe vor der Explosion, dem wahrscheinlichen Ende. Auch für Sacher-Masoch steht die Zeit still, wenn er von der ‚grausamen Frau’ ausgepeitscht wird. Übrigens wird die Bombe in der Anfangsszene von THE HURT LOCKER weiblich codiert, d. h. von einem der Soldaten als „Mama“ bezeichnet und mit „Hallo“ begrüßt. Man scheint sich also irgendwoher zu kennen.1880 (Vgl. u. a. THE JAZZ SINGER [USA 1927].) In Bigelows Film gibt es ähnlich wie in SONGS FROM THE SECOND FLOOR oder in FUNNY GAMES (U.S.) ein getötetes Kind; sinnlose Opfer, wie sie auch in BATTLE ROYALE gewollt und gefordert werden: In einem Terroristenversteck, einer Bombenwerkstatt, entdeckt die Elite-Einheit den Leichnam eines Jungen, den James kannte und der auf den Spitznamen Beckham hörte. Der Junge hatte vor dem US-Army-Camp mit DVDs gehandelt. Dem toten Jungen wurde Sprengstoff implantiert, den James – wider die Regel – entfernt und dem Jungen so ein Begräbnis ermöglicht.1881 James, dieser – wie Sanborn sagt – „reaktionäre, weiße Hinterwäldler“ gibt diesem barbarischen Akt die notwendige Kultur zurück, indem er nichts Geringeres als das Begehren Antigones umsetzt.1882 Das macht ihn einmal mehr zum einsamen Helden. Das ist der Kulturtransfer, die notwendige Praxis, die bislang in THE HURT LOCKER zumindest gegenüber den Feinden abwesend war: das Erkennen und die würdige Behandlung des/der Toten, denn sonst läuft, darauf hat Heiner Müller immer wieder hingewiesen, in einer Gesellschaft oder Kultur gar nichts mehr.1883 Eine Analogie zu dieser grausigen Sequenz findet sich in Sades 120 Tage[n] von Sodom, wie Camille Paglia hervorhebt: 1880 Vgl. McLuhan 1996, 133. McLuhan behauptet, dass die „Hiroshima-Bombe [...] zu Ehren von Rita Hayworth ‚Gilda’ getauft [wurde]“. Was nicht stimmt, da ‚Gilda’ eine Atombombe im Bikini-Atoll im Jahr 1946 war. Trotzdem macht McLuhan auf den phallischen Zusammenhang von Weiblichkeit (Sex) und Bombe (Waffe) aufmerksam, der ihn fasziniert (und anscheinend durcheinander bringt). (Vgl. dazu auch Stöver 2007, 208.) Die Zündung von ‚Gilda’ war auch eine Kino-mäßige Inszenierung, die live vor Ort – z. B. auf dem Sonnendeck eines Schiffes im Liegestuhl – mit Schutzbrille und Sicherheitsabstand goutiert wurde, ein Gemeinschaftserlebnis. (Vgl. ebd.; vor allem die Abbildung.) 1881 Die Regel wäre, die Bombe sofort an Ort und Stelle unschädlich zu machen, sprich diese mit einer weiteren Sprengladung zu eliminieren, was eine Perversion der Signifikanten-Logik S1–S2 bedeutet (bzw. deren vernichtende Vollendung im Realen). 1882 Vgl. zum Antigone-Mythos der Antike: Zimmermann 1993. 1883 Vgl. Müller 1990, 52 f. 595 „Hier ein [...] transsexuelles Experiment mit Organtransplantationen: ‚Ein Arschficker nimmt einem Knaben und einem jungen Mädchen die Eingeweide heraus, gibt die des Knaben in den Körper des Mädchens und näht sie wieder zu, bindet sie Rücken an Rücken an einem Pfeiler und sieht zu, wie sie sterben.’“1884 Man könnte Bigelow vorwerfen, dass sie ebenso wie Fukasaku nicht aufzeigt, was dem perversen Todesspiel vorausgeht, was die Ursachen und wer die Verantwortlichen dafür sind.1885 Dies wären in THE HURT LOCKER letztendlich die Ereignisse, die vor, am und nach dem 11. September 2001 stattgefunden haben und immer noch stattfinden, ein äußerst komplexer, undurchsichtiger Diskurs, gleichzeitig ein Symptom mit globalen Aktionsfeldern und profitablen playern ([Massen-]Medienproduktion, Waffenhandel, Sicherheits-/ [Ab- ]Schirmtechnologien, Steuerungssysteme, Zwischenschaltungen und apps aller Art etc. inklusive todesmutiger HauptakteurInnen [embedded journalists, TerroristInnen, SoldatInnen, Sicherheitspersonal – insbesondere all diejenigen, die den Dreck dann beseitigen müssen oder eben wollen]), das sich gewiss nicht so eindeutig rekonstruieren lässt, wie es mit BATTLE ROYALE in Bezug auf das Japan der 1990er Jahre möglich ist. Doch gerade weil Bigelow bzw. ihr Kamerateam mit der wackelig-nervösen Kamera so genau hinschauen und weil sie die ZuschauerInnen immer wieder in die Epizentren der chaotischen Verwicklungen versetzt, lassen sich diese Ereignisse nicht mehr so leicht verdrängen und schön reden. Sie lassen sich eben nicht wie Krisenberichte und -Bilder in Nachrichtenmagazinen aus sicherer Entfernung 1884 Vgl. Paglia 1992, 301; Zitat von Sade 1972. Hier sieht man bereits bei Sade im späten 18. Jahrhundert, was dann im organizistischen Prothesen-Denken des 19. Jahrhunderts wiederkehrt: Partialorgane, die plötzlich an einem fremden Ort, den der (analogen) Medien, erscheinen und Pathologien auslösen können. Das, was Sade und Kapp voneinander unterscheidet, ist, dass diese gewaltsame Transmission der Organe, die in Sades Fantasie real waren, in Kapps Maschinenkunde virtuell geworden ist, sich diese Organe demnach transformiert haben und auf einer medialen bzw. reellen Ebene operabel werden. Sade hat sozusagen im Gegensatz zu Kapp die Pathologie, die Perversion dieses Unternehmens schon beschrieben und avant la lettre erkannt. 1885 Jedoch muss bedacht werden, dass Bigelows und Boals exakte Bestandsaufnahme und Rekonstruktion der Ereignisse der erste notwendige Schritt ist, um überhaupt an so etwas wie die Gründe dieser wütenden Terror- Gewalt heranzukommen, um mehr darüber zu wissen. Trotzdem ist es merkwürdig, dass Bigelow nicht auf die politisch Verantwortlichen eingeht, sie bleiben ungenannt. Dieses Ausblenden des politischen Hintergrundes in THE HURT LOCKER scheint mit diesem Problem zusammenzuhängen. Oder ist es etwas Anderes? Werden PolitikerInnen oder andere verantwortliche AkteurInnen nicht genannt, weil sie das Bild bzw. die Wahrheit stets nur verzerren, weil von ihnen keine Lösungen bzw. Hoffnungen mehr zu erwarten sind? Doch deren (verdrängte, öffentlich nie eingestandene) Schuld und Schande ist nicht nur in THE HURT LOCKER abwesend-anwesend und wird bleiben. Das trifft natürlich ebenso auf die TerroristInnen zu. 596 konsumieren. Und trotzdem wird es dem Publikum dieses Films kaum gelingen, hier tatsächlich einen Sinn zu finden – ähnlich wie James wohl keinen Erfolg haben wird, seine Identität allein mit Elektroteilen der entschärften Bomben, die er in einer Plastikkiste sammelt und unter seinem Bett aufbewahrt, wiederherzustellen.1886 Einer der Soldaten bemerkt abschätzig: „Dreck vom Elektronikgroßhandel.“1887 Trotzdem ist dies der Versuch eines Neustarts. Es sind die Reste bzw. Trümmer einer ausgedienten, despotischen Wunschmaschine (machine désirante). – Eklipse einer zu Ende gegangenen Zeit, abgestürzte Imperialismus-Visionen Born In The USA,1888 deren draufgängerische Macho-Gewalt immer noch sehr präsent und real ist (ohne verwegene Cowboy-Erotik, versteht sich): Zeichen von verdrängter, verlorener und gecrashter Sexualität, nicht erkannter, missratener SM, an einem fremden, sehr unsicheren Ort – einfach das, was James „fast umgebracht hätte“, wie er sagt. Sein Ehering befindet sich ebenfalls in dieser Plastikbox. – Wir haben es hier mit gecrashtem/crashendem Analog-Denken und -Handeln zu tun, dessen wirksamer Widerstand zum bzw. im bereits voll implementierten Digitalen diese crashs und andere bewirkt(e), schließlich auch mit einer unbewussten Logik, einer bösen Netzwerksyntax inklusive unvermeidlicher und unübersehbarer Knalleffekte. „Einer Filmkritik nach bezeichnet Hurt Locker im Soldatenjargon einen Ort, an dem der Schmerz weggesperrt wird.“1889 Ich möchte behaupten, dass es weniger das Wegsperren des Schmerzes ist, das James mit seiner Schrottteil-Sammlung bezweckt, sondern vielmehr ein erster Versuch, mit der ständigen Gefahr, quälendem Schmerz, dem er täglich im Irak 1886 „Sammlung und Fetischismus sind stets konservativ; sie funktionieren als Kuratoren der Zeit. [...] Das Haus des Sammlers ist ein Bollwerk gegen den Tod. [...] Der Sammler knüpft an Dinge unsichtbare Spuren ihrer Herkunft, die auf die Menschen und Umstände verweisen, durch welche er in den Besitz der Stücke gelangt ist.“ Vgl. Böhme 2006, 361 ff. bzw. den Punkt „Sammlungen, Museen, Erinnerung“: 352-372. 1887 Vgl. dazu auch die Installation von Robert Kunec, THE TWELVE (Apostles), in der er verschiedene Terror- Bomben (bzw. Teile davon) und deren Zündvorrichtungen in zwölf Plexiglaskästen ausstellt. 1888 Die persönlichen Dinge getöteter GIs werden – und das ist das Gegenbild zu James’ Schrottteil-Plastikbox, wie es am Anfang des Films gezeigt wird – in großen weißen Kästen inklusive darin befindlicher US-Flagge aufbewahrt. Werden diese Kästen den Angehörigen der Toten in den USA überbracht? Die inszenierte ‚Reinheit’ soll den Schmutz und die Gewalt dieses Krieges kaschieren. 1889 Wikipedia-Eintrag zu Tödliches Kommando – The Hurt Locker http://de.wikipedia.org/wiki/Tödliches_Kommando_–_The_Hurt_Locker, zitiert nach Peitz, Zeit-Online vom 12.8.2009: http://www.zeit.de/online/2009/33/film-junkies-der-angst/seite-2. 597 ausgesetzt ist,1890 umgehen zu können, d. h. diesem einen symbolischen Ort zu geben. Hier sei an Cronenbergs Zitat zu VIDEODROME erinnert: „[P]eople subjected to all kinds of psychological and physical torture are constantly trying to rebalance themselves. There is an innate balance that wants to be expressed.“1891 Gerade im Sinne dieses Balancierungsversuchs, in einem Ausnahmedauerzustand so etwas wie psychischen Halt zu gewinnen, geht James Schicksal und das der anderen Soldaten sehr nahe. Auch deswegen, weil sie ja nicht nur Opfer von TerroristInnen, sondern gleichzeitig Opfer einer völlig verfehlten und moralisch enthemmten, gleichwohl demokratischen Politik, geworden sind.1892 So ist der Film weit mehr als ein gewöhnlicher blockbuster. Auch als enthüllendes Zeitdokument (einer materiellen Geschichte) ist er sehr aussagekräftig und hat sogar aufklärerischen Wert. Annette Brauerhoch schreibt in einer sehr dezidierten Online-Rezension: „The Hurt Locker wurde von vier Kamerateams aufgenommen. Gedreht wurde auf 16mm Material, ein Filmformat, das im Aussterben begriffen ist, aber an den Ursprung und die Verbreitung des Materials durch die Militärberichterstattung und -aufklärung während des zweiten Weltkriegs erinnert. Es erlaubt eine hohe Beweglichkeit der kleinen Teams, die mit dieser Technik selbst jeweils stark körperlich agieren. Nur das Zeitlupenmaterial wurde digital mit einer Phantom-Kamera erstellt, die in der Lage ist 10.000 Bilder pro Sekunde zu erzeugen. So existieren im Film alte und neue Technik, analog und digital, nebeneinander und reflektieren in diesem Mix das implizite Thema einer Koexistenz von Überwachungstechnologie und Bodenkrieg. Dabei verschmilzt der Film mit seiner stilistischen Anlehnung an das direct cinema der sechziger Jahre den politischen Impetus der Form mit der Flüchtigkeit weltweit live gesendeter TV-Berichterstattung.“1893 1890 Es muss betont werden, dass dieser Schmerz, diese Qual, im Gegensatz zu Sades Literatur (noch) keine Sprache hat und möglicherweise auch keine mehr findet. 1891 Zitat von Cronenberg in: Rodley 1997, 96. 1892 Eliot Weinberger schreibt über einen der Hauptverantwortlichen des Irak-Desasters: „Ende der sechziger Jahre war George Bush jr. In Yale und verpasste Studenten, die in die Verbindung Delta Kappa Epsilon aufgenommen werden wollten, mit einem heißen Kleiderbügel ein Brandzeichen auf das Gesäß. Michel Foucault saß in der Societé française de philosophie und überdachte die Frage: ‚Was ist ein Autor?’“ Vgl. Schäfer in der taz vom 13.12.2011, Zitat von Weinberger 2011. 1893 Brauerhoch 2010 bei Zeit-online unter: http://www.zeit.de/kultur/film/2010-03/hurt-locker-oscar („Die Aussage im großen Wumm“). 598 Obwohl Kathryn Bigelow, Grande Dame des US-amerikanischen action-Kinos,1894 manchmal dazu neigt, die Technik in dem Film, zum Beispiel den mit Keramikplatten gepanzerten Schutzanzug und die Orte, an denen er zum Einsatz kommt, mit großer Faszination künstlerisch dar- und auszustellen,1895 so ist ihre Technikbegeisterung kein Kriegsfetisch,1896 sondern vielmehr die Aufdeckung einer tiefgehenden, kurzschlüssigen, hochgefährlichen Medienverstrickung und nervlichen Überforderung (maximale Ausreizung der Stresstestfunktion – mehr geht nicht), die sich hier als Spur im irakischen Wüstensand, in Explosionspartikeln, verläuft und zumindest jetzt kaum zu rekonstruieren ist. Dies blieb schon Max Renn versagt und endete für ihn schließlich im Urwald bzw. Sumpf seiner reellen Video- Hölle.1897 Auf der Pressekonferenz der Filmfestspiele von Venedig sprach sich Kathryn 1894 Ich möchte Kathryn Bigelow, die ich für ihr Werk sehr verehre, hier nicht zur grausamen (Regie-)Frau stilisieren. Die Bezeichnung Grande Dame lässt sich in mehreren Rezension finden. 1895 Dieser Schutzanzug ist tatsächlich ein hochspannendes Objekt, gewiss nicht nur für FetischistInnen mit Hang zu derartiger gear. Ich sehe hier eine Mischung aus Michelin-Männchen, Raumfahrtanzug, Taucheranzug des 19. Jahrhunderts, Kugelwesen und DER FROSCH MIT DER MASKE (1959). 1896 Kathryn Bigelow: „Der Schutzanzug, den er [Jeremy Renner] im Film trägt, ist natürlich echt. Er besteht aus Kevlar mit eingesetzten Keramikplatten und wiegt etliche Kilo. Ihn darin durch den Drehtag zu bringen, war schon eine Aufgabe für sich.“ Dieser Schutzpanzer lässt sich durchaus mit dem Venus-Pelz im 19. Jahrhundert vergleichen (zweite Haut des Masochisten). 1897 Wie auf einem der Filmplakate zu THE HURT LOCKER (und im Film selbst) zu sehen ist, hantiert einer der Soldaten gleich mit mehreren Sprengkörpern, die an Fäden aneinander hängen: sozusagen die Konfrontation mit einer riskanten Partialobjekt-Verknotung (und gleichzeitig eine böse Überraschung, da der Soldat zunächst nur eine der aneinander hängenden Bomben entdeckte und entschärfte). Die verknoteten Fäden des Unbewussten strahlen hier nicht wie bei Ernst Kapp, Henri Bergson oder vor allem Daniel Paul Schreber in den Weltraum, sondern verlaufen sich unterirdisch im Wüstensand. 599 Bigelow deutlich gegen den Krieg im Irak aus und plädierte für den raschen Abzug der US- amerikanischen Truppen. Sieben Punkte Ich möchte jetzt zum Schluss dieses Kapitels noch kurz einige Dinge – im losen Zusammenhang – erwähnen und deuten, obwohl es auch im Hinblick auf BATTLE ROYALE noch viel mehr zu sagen gäbe. Es soll an dieser Stelle auch eine Einschätzung und Wertung zum Ausdruck kommen, auch wenn (oder gerade weil) diese Vorfälle noch sehr ‚heiß’ sind und eine wissenschaftlich-historische Einordnung eher schwierig ist. – Die folgenden sieben Punkte sind also unter Vorbehalt geäußert: 1. Der Technikeinsatz in THE HURT LOCKER entspricht nicht jenen Szenarien oder Fiktionen, in denen Industrielle, Politiker, Militärs oder Medienwissenschaftler von einer glorreichen Zukunft des überlegenen high-tech-Krieges träumen. „Technisch ist der Krieg ein Quantensprung“, verkündet Friedrich Kittler in einem Interview der Welt am Sonntag kurz vor Beginn des Irakkrieges im Jahr 2003 und liefert „gute Gründe für einen Kampfeinsatz“.1898 Dass es sich hier um einen technischen Quantensprung rückwärts handeln könnte, macht THE HURT LOCKER ziemlich deutlich. Die im Film angewandte Technik zur Bombenentschärfung, z. B. ein Roboter mit Greifarm und eingebauter Kamera, versagt, was gleich zu Beginn in der Exposition zu sehen ist und neben der tödlichen Explosion im Mittelpunkt steht. Stattdessen kommen Menschenhände und einfache Werkzeuge wieder zum Einsatz.1899 Hier lässt sich ein 1898 Vgl. Kittler in der Welt am Sonntag vom 2.3.2003 (b). 1899 Die Erkundung des fremden Terrains, der Todeszone, wird am Anfang von THE HURT LOCKER ebenfalls gezeigt. Das Filmbild ist dann gleichzeitig jenes Display, auf das der ferngesteuerte Roboter Umweltdaten, die er mit einer Kamera aufnimmt, in schlechter Bildqualität überträgt. Diese Nahaufnahmen gleichen einem fremden Planeten, einer Oberflächensondierung, und erinnern auch an Weltraumbilder. Das erste, kaum erkennbare Objekt in diesem monitoring ist eine zertretene Pepsi-Dose (am Logo identifizierbar), ein Verweis auf a (in Lacans Blick-Objekt-Theorie gibt es eine schillernde, im Meer schwimmende Konservendose [„die Impression, das Rieseln einer Fläche, die für mich nicht von vorneherein auf Distanz angelegt ist“] vgl. Lacan 1987, 101 und Pauser 1997, 62), womit sich dieser medial abgebildete Ort als eine Projektion US-amerikanischen Begehrens erweist. (Das Objekt a gilt als Objekt-Ursache des Begehrens: Du siehst es. (Es sieht Dich nicht, blickt bzw. geht dich aber unbewusst an). Du bist es. Medial bist Du schon an diesem Ort, in diesem Tableau, im Display – eben 600 Bezug zu Ernst Kapps Prothesentheorie des 19. Jahrhunderts herstellen: Er postuliert in seiner Philosophie eine ideal-vollkommene Mensch-Maschinen-Einheit, in der Menschenhände die Maschinentechnik bedienen, „bei welcher der Mensch nur das Einleiten und das Abrechen des machinalen Prozess zu bewirken hat.“1900 Dies ist für dort, wo das schillernde Objekt, ein visueller Fleck, für Dich erscheint. (Vgl. dazu auch Walter Benjamins Kritik an der fetischistischen Haltung bzw. Mode der Fotografie, „die jede Konservenbüchse ins All montieren, aber nicht einen der menschlichen Zusammenhänge fassen kann“: Ders. 1977, 62.) Weniger geht es dieser Präsentation um den realen geografischen Ort und dessen kulturelle Physiognomie: dieser (Vorstadt-)Straßenansicht Bagdads inklusive versandeter Bahnschienen (Zeichen für verschwindendes Analoges), die Bigelow dann aber auch deutlich – ohne vorgeschaltetes Display – zeigt bzw. mit ihrer (subjektiven) Kamera erkundet (und dabei das verführerische Fremde und auch Gefährliche dieses Ortes – zumindest im westlichen Blick [Stichwort: Orientalischer Despotismus] – subtil andeutet.) Hier macht sich etwas bemerkbar, das schon im ersten Kapitel in Sades und mehr noch Sacher-Masochs Begehren eine wichtige Rolle spielte: der Export und der Vertrieb der Perversion, des eigenen Sendungsbewussteins in andere Länder und Kulturen, was in THE HURT LOCKER eben die bläuliche Pepsi-Dose, die vom ferngesteuerten Kamera- Roboter überrollt wird, darstellt. Deshalb ist es nur konsequent, wenn Slavoj Žižek in seinem Buch über den zweiten Irak-Krieg nichts zur Landeskunde und Geschichte des Iraks schreibt, sondern diesen als ein westliches Symptom betrachtet und daher nur mit psychoanalytischer Theorie liest und deutet: „So in the style of Magritte’s Ceci n’est pas une pipe, I should emphasise that Iraq: The Borrowed Kettle is not a book about Iraq – but the Iraqi crisis and war were not really about Iraq either.“ (Vgl. Žižek 2004, 8.) Allerdings reicht Žižeks Blick von außen nicht aus, um zu verstehen, was hier genau vor sich geht, worin das Symptom dieses Krieges (und auch seines Buches) tatsächlich vor Ort besteht. Dafür ist dann schon Bigelows und Boals Nahaufnahme notwendig. Und selbstverständlich auch das, was irakische Landsleute, u. a. Intellektuelle und KünstlerInnen, zu diesem US- amerikanischen Kriegsverbrechen zu sagen haben. (Nicht umsonst zeigt Bigelow, wie der GI James auf der Suche nach Beckhams Mördern in das Haus eines irakischen Professors eindringt und ihn mit einer Waffe bedroht. Der Professor, der mehrere Sprachen beherrscht, bleibt jedoch ruhig und bietet ihm sogar seine Gastfreundschaft an, was James völlig aus dem Konzept bringt. Er verlässt das Haus dann unverzüglich.) 1900 Vgl. Kapp 1978, 198. Dies ist nicht nur in THE HURT LOCKER der Fall und keineswegs obsolet. Heute ist die haptische ‚handy’-Praxis, u. a. mit digitalen touchscreen-Funktionen virtuelle Oberflächen und interfaces leicht bedienen zu können, in allen Gesellschaftsschichten sehr verbreitet und weiter auf dem Vormarsch. Dass solche Funktionen bzw. smart devices nicht immer weiterhelfen (gerade wenn man im Irak lebendig begraben 601 ihn das Anthropomorphe der Maschine, ein hohes Kulturgut, das in THE HURT LOCKER als solches mit sprengender und süchtig machender Wirkung – fatal – wiederkehrt und seinen perversen Höhepunkt, seinen Zenit erreicht und diesen im Laufe des Films überschreitet. Es ist eine Überschreitung des analogen Schalter-Ich im Sinne von a, sicherer Abschied, vor allem ein radikaler Abbruch-Prozess inklusive Selbst- bzw. Körpereliminierung. Dies ist es, was Bigelow und Boal sichtbar machen und filmisch dokumentierten.1901 2. Ich habe bis jetzt kaum über die (unsichtbaren) TerroristInnen/ SelbstmordattentäterInnen gesprochen. Auch wenn ich mit Baudrillard glaube, dass der internationale Terror heutzutage nach wie vor ein Medienproblem und damit vor allem eines der aufgeblähten, überhitzten Global-Simulation ist, so soll dies nicht heißen, dass ich mit TerroristInnen sympathisierte oder ihre kriminellen Machenschaften in irgendeiner Form gut heiße.1902 Sie sind blinde Handlanger bzw. oder anderswo eingeschlossen ist), macht ein thriller wie BURIED (Spanien 2010, Regie: Rodrigo Cortés) sehr deutlich. Zudem darf nicht vergessen werden, dass auch Terrorbomben – wie im Film gesehen – über Handys gezündet werden. 1901 Vgl. dazu auch Eva Horn, die sich zur Schalterfunktion im Kalten Krieg in ihrem Aufsatz War Games äußert: Dies. 2004. 1902 Gerade in der BRD sind wir mit dem Thema Terrorismus (vgl. u. a. München 1972 [MÜNCHEN (2005)] oder deutscher Herbst 1977 [DEUTSCHLAND IM HERBST (1977-78)]) bestens vertraut. Das ist nichts Neues, auch wenn die Intensität medialer Terrorgewalt seit den RAF-Zeiten der 1970er Jahre erheblich zugenommen hat, perfide optimiert wurde und wird, und die damit zusammenhängenden politischen Forderungen und Botschaften noch abstruser bzw. größenwahnsinniger geworden sind (und im Gegensatz zum RAF-Terrorismus keine Sympathien in der Bevölkerung mehr wecken können). Terrorakte sind in ihrer spektakulär-grausamen Performanz die Botschaft selbst, auch und gerade die der Medien, die sie wie selbstverständlich übertragen und damit zum unverzichtbaren Komplizen und ausführenden Werkzeug werden: Eine Botschaft, die sich als Angst- Symptom rasend in den Netzen verbreitet, traumatisch ankommt und auf jeden Fall rekonstruiert werden muss (was, wie gesagt, schwierig, aber keineswegs unmöglich ist). Nicht mehr auf mächtige Einzelpersonen oder bestimmte Gruppen haben es TerroristInnen heute abgesehen, sondern auf die soziale Infrastruktur und mediale Öffentlichkeit selbst ([Nicht-]Räume globaler Kommunikation und wirtschaftlich-politischer Macht, Schaltstellen und Verkehrswege, Transportmittel, westliche Urbanität und hedonistischer life-style etc.). Sie kämpfen gegen einen unsichtbaren Gegner, eine technologische Macht, die kein Gesicht und auch kein sichtbares Objekt mehr hat, die ortlos-global ist, die nicht mehr von einem identifizierbaren Despoten gesteuert wird (auch wenn man Bin Laden dafür hielt), die nur noch abstrakten Schaltprozessen und immaterieller Information unterliegt. In den Augen der SelbstmordattentäterInnen kann diese Macht nur mit dem eigenen Körper und dessen Tod destruktiv herausgefordert werden, wie es die Praxis dieser vermeintlichen GotteskriegerInnen zeigt (Körper als Terrorwaffe) und wie es Jean Baudrillard erkannt hat. (Vgl. Baudrillard 2003 [a], 20 ff.) Es war ein Denkfehler nur zu glauben, dass die Staatsmacht bzw. Nation der USA – im weiteren 602 Marionetten unbewusster Technologien, sadistischer Codes, die sie u. a. mit dem abwesenden Gott verwechseln und die sie befehligen und fernsteuern.1903 Doch die Schuld, die bleibt, soll eben keineswegs nur den AttentäterInnen zugeschoben werden. Der Diskurs und das Symptom (grob gefasst: die Dialektik zwischen 9/11 und War on Terror) sind – wie erwähnt – sehr komplex und durchdringen sich auf beiden Seiten unbewusst. Es fällt auf, dass sich Ähnlichkeiten zwischen Medien, Perversion und Terrorismus, was ihre visuellen Erscheinungs- und Inszenierungsformen – Dramaturgien und Semiotik – angehen, angleichen und kaum noch zu unterscheiden, geschweige denn zu überblicken sind: schiefgegangene und krass schiefgehende Wunschmaschinen-Projektionen, medialer Murks und verkorkstes Zeug, das sich anstaut: fantasmatisch überdeterminierte Schrottteile und Organfetzen, die virulent werden;1904 etwas, das nicht nur TerroristInnen begehren (siehe VIDEODROME, FALSCHER BEKENNER), das (an-)erkannt und konstruktiv-libidinös – mit einer eigenen Sprache des Begehrens – genutzt, d. h. erotisiert und kommuniziert werden muss. Um es anzutesten, muss man gewiss nicht kriminell und terroristisch werden. Armin aus FALSCHER BEKENNER – der englische Titel des Films lautet: I AM GUILTY – ist dafür wegweisendes role model,1905 wie auch, wie in der nächsten Analyse zu sehen ist, Sofia in SHORTBUS oder der libertine Besitzer des gleichnamigen New Yorker Clubs. Mit ihnen wird es weitergehen, in diesen Filmen Sinne die westliche Welt – am 11.9.2001 und bereits zuvor angegriffen wurde. Es war ein noch größerer Fehler, diesem Übel mit herkömmlichen Kriegsformen und Geheimdienstmethoden, Angriffen auf Nationalstaaten und Entführungen verdächtigter Personen, zu begegnen, denn auf diese Weise wurde die Gewalt – im Sinne der TerroristInnen – nur weiter verbreitet. 1903 In ihrem Hass und ihrer Verzweiflung bedienen sich TerroristInnen eines SM-Wissens, das sie irgendwie, irgendwoher zu kennen scheinen, und missbrauchen es für ihre Zwecke. Ihren Attacken zeugen nicht nur von versiertem technischem know-how, sondern offenbaren damit auch ein materialistisches Begehren – Become the media by destroying them! Sie wollen selbst technologische Sprengkraft, kastratives Element, sein. Das wollten ebenfalls die Sadeschen Libertins (der Wunsch Clairwils, dass sich das schlimme Verbrechen von selbst ausbreitet [Vgl. 133 in dieser Arbeit]). Auch Deleuze und Guattari spielten – philosophisch – mit der Vorstellung der totalen Sprengkraft (des technologischen Selbst) in ihren Schriften der 1970er Jahre (vgl. 556 [Fußnote 1771]) in dieser Arbeit. In dieser Hinsicht sind TerroristInnen tatsächlich sehr modern und pro- technologisch eingestellt. 1904 Es würde sich lohnen, die Terror-Dispositive auf beiden Seiten zu analysieren und in ihrer (Un- )Gleichartigkeit/Disymmetrie herauszustellen. 1905 Vgl. Žižeks Anlayse zur Ermordung des holländischen Dokumentarfilmers Theo van Gogh am 2.11.2004 durch den islamistischen Extremisten Mohammed Bouyeri: Ders. 2006, 114-129 („The fundamental Perversion“). Vgl. zum Terrorismus in Filmen von Rainer Werner Fassbinder: Thomsen 1980, 145-164. 603 kann das um sich greifende Terror-Symptom, sexuelle Stauungen, rekonstruiert, d. h. entschärft und lustvoll gezähmt werden. 3. Daraus folgt: Die blinden und auch verzweifelten Gewalt-Aktionen heutiger TerroristInnen, Furcht und Fanatismus gründlich missglückter Libido,1906 sind mindestens genauso grausam, pervers und dumm wie die kurzschlüssigen und kostenintensiven Mittel,1907 die politisch bzw. kriegerisch gegen sie weltweit mobilisiert werden. – Um es noch einmal zu zitieren: Eine Perversion bzw. „Ausschweifung zieht die andere nach sich“, doziert Curval in Die 120 Tage von Sodom.1908 In Sades Neuer Justine gibt es einen Alchemisten, der in der Lage ist, explosive Chemikalien herzustellen, mit denen man Vulkanausbrüche und Erdbeben künstlich auslösen kann. So schafft er es, halb Sizilien in Schutt und Asche zu legen.1909 Wo bei Sade „das Böse in engem Zusammenwirken mit der Natur“ verübt wird,1910 so verüben es die TerroristInnen heutzutage in engem Zusammenwirken mit den Medien, egal ob es sich dabei um Video, Internet, Luftfahrt oder Börsenspekulation oder (andere) Waffentechnologien handelt. Sie versuchen die Mediasphären, in/zwischen denen sie sich befinden und mit denen sie operieren, zu verletzen und zu zerstören. (In VIDEODROME hatte Nicki Max in ihrem letzten Dialog darauf hingewiesen – auf die Vergeblichkeit dieser Destruktionsakte, seines 1906 Vgl. dazu Severins Erkenntnis in der Venus im Pelz: „Ich fühlte nun eine Furcht, sie [das Medium grausame Frau (Anmerkung S. P.)], die ich mit einer Art Fanatismus liebte, zu verlieren, diese aber so gewaltig, so zermalmend, dass ich plötzlich wie ein Kind zu schluchzen begann.“ Sacher-Masoch 2003, 98. 1907 Die Ausgaben auf Seiten der islamistischen TerroristInnen sind überschaubar: Die Vorbereitung und Durchführung der Anschläge von 9/11 kosteten 500 000 US-Dollar, eine Selbstmordattentäterbombe ist schon für 250 US-Dollar zu haben. Vgl. Hoffman 2006. 1908 Vgl. Sade 1972, 134. 1909 Vgl. zum Verständnis von Erdbeben (und Revolutionen) im 18. Jahrhundert (in der Theorie Adam Smiths): Kalisch 2006, 353 ff. 1910 Vgl. Delon 2001, 69; Zitat von André Breton. „Wenn sie [die soldatischen Männer] doch den Inzest wollen, dann ist es mindestens der Inzest mit der (Mutter) Erde. Der Wunsch, in einem gewaltigen ‚Inzest’ in diese einzudringen, sich mit ihr in die Luft zu sprengen, liegt ihnen weit näher, als sich ins Bett ihrer fleischlichen Mutter zu wünschen [Freuds harmloser motherfucker Ödipus (steht vorher so im Text, Anm. S. P.)]. Hier liegt etwas vor, was im Begriff des ‚Inzest’, im Begriff einer Objektbeziehung nicht aufgeht. Hier gibt es den Wunsch nach/die Angst vor Verschmelzung/Explosion.“ Theweleit 1980, 211. Vgl. auch ebd. 245 ff. („Berstende Erde. Lava“). 604 medialen Terror-Begehrens und -Unternehmens.)1911 Sacher-Masoch liebte demgegenüber das virtuelle Kriegsspiel (und natürlich auch den actiongeladenen Geschlechtershowkampf mit der ‚grausamen [Ehe-]Frau’, der ebenfalls schon sehr virtuell war). Mit Zinnsoldaten stellte er historische Schlachten nach, sein Spiel erstreckte sich – wie seine erste Ehefrau Wanda in ihrer Biografie Lebensbeichte fasziniert berichtet – über mehrere Tage (die Osterfeiertage) – und über mehrere Räume der Privatwohnung. Dazu lud er sich auch gerne Mitspieler – u. a. echte Militärs, die davon beigeistert waren – ein. Sie spricht mit Ironie vom „kriegerischen Geist“ ihres Ehemanns (den er mit seinem Vater, dem Polizeipräsidenten, teilt).1912 Mit Albrecht Koschorke lässt sich in diesem Miniatur-Kriegsspiel – ebenso wie im Spiel mit der grausamen Frau oder auch im Bombenräumkommando – „die Funktion von Stellvertretungsschauplätzen und Scheinkonkretisationen“ beobachten,1913 das, was mit Baudrillard heute – wie gesagt – als „satéllisation du réell“ zu bezeichnen ist (und keineswegs wie im Masochschen Kriegsspiel harmlos ist).1914 1911 Nicki sagte zum Schluss, kurz bevor der grausame Video-Spuk vorbei war, zu Max: „Aber wie die Dinge jetzt stehen, ist videodrome nicht ausgelöscht. Immer noch mächtig, überall vorhanden. Du hast sie [die empfindliche elektromagnetische Membran der Videosphäre (Anmerkung/Interpretation S. P.)] zwar verletzt, zerstört jedoch nicht.“ Trotzdem können gezielte Terroranschläge, die von wenigen AttentäterInnen begangen wurden, das ‚Nerven’- bzw. Mediensystem nachhaltig lähmen und traumatisieren, sprich Angst und Schrecken global verbreiten und die Ordnung der Mediasphären zum Absturz bringen. Katharina Niemeyers Hauptthese in ihrem Buch Die Mediasphären des Terrorismus lautet: „Die Implosion der Hypersphäre am 11. September 2001 findet durch das Einschlagen der Videosphäre in die Hypersphäre statt und kündigt eine Dominanzverschiebung von der Video- zur Hypersphäre an.“ (Niemeyer 2006, 55.) Auch die überschaubare Zahl der RAF- TerroristInnen, wie sie u. a. in der Öffentlichkeit auf Fahndungsplakaten und in zahlreichen deutschen Spielfilmen (vgl. die Übersicht zu den 20 wichtigsten Filmen dazu auf einer Webpage der Bundeszentrale für politische Bildung: http://www.bpb.de/gesellschaft/kultur/filmbildung/43367/kommentierte-filmografie-raf) zu sehen ist bzw. war, hielt bereits das kollektive Bewusstsein in den 1970er Jahren über die Massenmedien – die Videosphäre – ziemlich in Schach. 1912 Vgl. W. von Sacher-Masoch 2003, 67 ff. Die Bataillone an Zinnsoldaten, die Wanda aus Kisten auspackte und sorgfältig in Stellung brachte („Munition und Waffen an[]schaffen“), stammten ebenfalls von Sacher- Masochs Vater, ein Geschenk an ihn. „Die Truppenschau wurde für Leopold zu einer aufregenden Freude, weil sie ihm Gelegenheit gab, mir all die Helden seiner Armee persönlich vorzustellen, wobei er mir erzählte, wo und wie sie sich ausgezeichnet hatten.“ Ebd. 1913 Vgl. Koschorke 1988, 114. 1914 Vgl. Baudrillard 1976, 115. Vgl. zum virtuellen Kriegsspiel im kalten Krieg, das ebenfalls nicht harmlos war, noch einmal Horn 2004. 605 4. Kathryn Bigelow hat sechs Oscars für THE HURT LOCKER erhalten, zum ersten Mal ging der Regie-Oscar an eine Frau (was längst überfällig und deswegen ziemlich peinlich war für das coole Hollywood bzw. die 82jährige Geschichte der Academy Awards). Der Film konnte sich angeblich nur deswegen gegen den Hauptkonkurrenten AVATAR (2009, Regie: James Cameron, der Exmann Bigelows) durchsetzen, weil es in der Oscar-Kommission eine Mehrheit an Schauspielern gibt, die für Bigelows Werk stimmte. Es ist nicht verwunderlich, dass Schauspieler nicht wollen bzw. Angst davor haben, dass ihnen – wie in AVATAR – die Hauptrollen durch Computeranimationen streitig gemacht werden. 5. Kathryn Bigelow sagt, dass „der Krieg wie eine Fabrik, die existenzielle Erfahrungen produziert, funktioniert“.1915 Der Regisseur von BATTLE ROYALE, Kinji Fukasaku, musste während des zweiten Weltkrieges als 15-jähriger Jugendlicher in einer Munitionsfabrik arbeiten, die jederzeit von den US-Streitkräften hätte bombadiert werden können. Diese existentielle Erfahrung, sozusagen ein sadistischer suspense mit dem eigenen Tod als reale Kriegserfahrung, ist ein wichtiger Grund, warum er Koushuns Roman verfilmen wollte. 6. SM ist kein (klassischer) Krieg, auch wenn Formen des Krieges, traumatische Erfahrungen und Ausnahmezustände, Tür und Tor für Gewalt-Perversionen öffnen.1916 In ihrer medienwirksamen Legitimation und ‚Vermarktung’ können Kriege heutzutage so glorreiche Namen wie Operation Wüstensturm oder Infinite Justice tragen. Dies ähnelt dem Fetisch Battle Royale bzw. Film- und Videospieltiteln. Dabei sind die Übergänge zwischen der gesellschaftlichen Medienrealität und (militärischen) Game- Fiktionen sehr fließend geworden (wie im Punkt 2 mit der Dialektik zwischen 9/11 und War on Terror erwähnt wurde), die Oppositionen und Ebenen lassen sich an vielen Stellen, die zunehmend signifikant werden, nur schwer differenzieren (und geraten schließlich durcheinander oder jagen sich im schlechtesten Fall in die Luft). Noch einmal mit Baudrillard gesagt: „[D]ie Realität [hat] die Energie der Fiktion absorbiert und [ist] selbst zur Fiktion geworden.“1917 Die Steuerung durch die große 1915 Vgl. Interview mit Kathryn Bigelow 2009, 17. 1916 Das wäre die sadistische Seite des Krieges, vor allem die Vergewaltigungen an der Zivilbevölkerung, meist an Frauen. Klassischer Masochismus, der ja in einem metaphorischen Sinne auch ein Krieg der Geschlechter darstellt, ist immer auch technisch realisierte Camouflage und List: die Kunst der Täuschung des Gegners/Anderen, mit der Kriege vereitelt bzw. gewonnen werden können. 1917 Ebd. 30. 606 Politik, die Symbolisierung (im Sinne von Entschärfung) dieser mutierenden Fiktion/dieses hochexplosiven Symptoms ist bislang ausgeblieben und wird fraglich. 7. Und dennoch gibt es – im Gegensatz zu dem, was Norbert Bolz in seiner Medientheorie postuliert1918 – noch genügend Spielräume und verfügbaren libido-flux in all dem Chaos, masochistische Flucht nach vorn, Eros-Suche, gerade in den neuen Medien, wenn man diese konstruktiv – vor allem reflexiv und spielerisch – für sich und andere zu nutzen weiß. Der französische Kommunikationswissenschaftler Dominique Wolton verweist in diesem Zusammenhang nicht nur auf das Differenzial Öffnung/Schließung (das digitale on/off-Prinzip, das auch das Begehren nach medienmasochistischer Partialobjekterweiterung und/oder sadistisch-terroristischer Medien-Destruktion umfasst), sondern auch auf die Haltung und Wahl der SpielerInnen, von der sehr viel abhängt: „Im Leben gibt es jene, die den Spielraum verneinen und jene, die ihn erweitern. Es ist äußerst wichtig, zwischen diesen zwei Haltungen eine Wahl treffen zu können, denn von dieser Entscheidung kann Krieg und Frieden abhängen. Und den Spielraum verwalten macht die Größe der Politik aus ... So ist es auch in den zwischenmenschlichen Beziehungen. Einen Spielraum öffnen können, kann den Krieg oder den menschlichen Konflikt vermeiden.“1919 Wie das, Öffnung und Schließung des medialen Spielraums, besser als in den bislang vorgestellten Filmen geht, soll nun abschließend im Epilog dieser Arbeit, SHORTBUS (USA 2006), einem meiner Lieblingsfilme, verdeutlicht werden. Hier wird vor allem Wert auf den persönlichen, sexuellen Spielraum und dessen Erweiterung gelegt. Die große Politik interessiert hier nicht mehr so sehr. Sie ist jedoch noch nicht verschwunden oder bedeutungslos, denn sie macht ja nach wie vor die Gesetze, die dann für alle gelten und nicht selten – wie in BATTLE ROYALE oder THE HURT LOCKER – explosiv-katastrophal enden. 1918 Vgl. 280 (Fußnote 906) in dieser Arbeit. 1919 Wolton 2010, 76. Um diese notwendige Wahl treffen zu können, muss man, und das scheint mir die Krux momentan zu sein, erst einmal wissen, was das für einen heißt und ob man die Wahl dann auch tatsächlich hat. Wolton hat den Glauben an die große Politik dabei noch nicht verloren. – Sade ebenfalls nicht: „Wir müssen von unseren Gesetzgebern genügend Weisheit und Einsicht erwarten können, damit wir ganz sicher gehen, daß sie kein Gesetz zur Unterdrückung unserer Schwächen herausgeben.“ Sade 1984, 63. 607 Epilog Lichterketten und Funkelschauer in der schwarzen Nacht des Reellen, cineastische Highlights im namenlosen Grau, diskrete Schnitte ins Überabzählbare, auf daß es sich entzünde in lakunären Landschaften und esoterischen Kräutern, in singulären Kreaturen, fabelhaft, traumgesichtig und tiergestaltig, in Zwillingsdrachen und Teufelsstiegen, in Chinatown und Glen Coe, im Spuk der sogenannten Wirklichkeit, dem vermeintlich Objektiven, jener Physis, jenem „Textil, wo Knoten nichts als Löcher besagen würden“. Annette Bitsch (Zitat darin von Jacques Lacan) Das 20. Jahrhundert war de Sades Jahrhundert. Das 21. Jahrhundert wird das Jahrhundert Sacher- Masochs sein. Peter Weibel SHORTBUS (USA 2006; Regie: John Cameron Mitchell) „Warum kommen so viele junge Leute nach New York, wo es doch so teuer ist, hier zu leben?“ – „9/11. Es ist das einzig Reale, was in ihrem Leben passiert ist.“ Dialog zwischen Sofia und Justin Bond in SHORTBUS Immer aber sind es Welten, mit denen wir uns lieben. Und unsere Liebe wendet sich an diese libidinöse Eigenschaft des geliebten Wesens, sich über umfassendere Welten, Massen und großen Einheiten zu schließen und sich ihnen zu öffnen. Gilles Deleuze und Félix Guattari Open your mind. And everything else. Slogan auf dem US-amerikanischen Filmplakat zu SHORTBUS ! 608 Zur Rekonstruktion des sadomasochistischen Symptoms (in New York nach 9/11) Zum Schluss soll nun John Cameron Mitchells Spielfilm SHORTBUS (USA 2006) vorgestellt werden, eine Art Sittenporträt über das heutige New York. In Mitchells Film kommen nicht nur die in dieser Arbeit als signifikant erachteten Kategorien Raum – Medien – Spiel vor, die er mit viel Witz und Liebe zum Detail inszeniert, sondern als erster von den hier ausgewerteten Filmen bietet dieser konkret-machbare und zumindest vorübergehende Lösungen für ein Problem, das ich als ein sadomasochistisches Symptom der Gegenwart lese. Was das ist, möchte ich einmal mehr erläutern und dabei im Hinblick auf (vorläufige) Endergebnisse Bilanz ziehen bzw. einige Trends wiedergeben, die sich in allen besprochenen Filmen bislang abzeichnen. Es geht dabei im Wesentlichen um den Phallus, Elektrizität und Lust – also (hoffentlich gute) Wiederholungen am Filmbeispiel. Ich beginne einmal mehr mit der Exposition des Films; auch hier gilt (wie für alle anderen vorgestellten Filme), dass – wie es der Filmemacher Christoph Hochhäusler postuliert – ein Anfangsbild prophetischen Charakter haben müsse. In diesem würden die Spielregeln für alles Nachfolgende festgelegt werden. Dem kann hinzugefügt werden: „Beginnt, wie Stephen Heath festhält, fast jeder narrative Film mit einer Störung, mit der Unterbrechung eines Gleichgewichts oder einer krisenhaften Erschütterung, so ist es das Ziel der Erzählung, diese Störung zu beseitigen und das Gleichgewicht in einer Weise wiederherzustellen, die seine ursprüngliche Unterbrechung rückwirkend als bedeutungslos darstellt.“1920 In der Exposition von SHORTBUS, wie auch in zahlreichen weiteren Einstellungen des Films, werden sexuelle Praktiken explizit dargestellt. Der Film hat keine Jugendfreigabe. Auch wenn derartige Darstellungen leicht die Aufmerksamkeit erregen – man muss sich diesbezüglich nur die Filmkritiken durchlesen, die aber durchweg positiv sind – ist dies eigentlich nichts Besonderes oder Neues mehr; !!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!! 1920 Kaltenecker 1996 (b), 282. ! 609 namhafte RegisseurInnen wie Nagisa Oshima, Virginie Despentes, Catherine Breillat, Lars von Trier, Michael Winterbottom oder David Cronenberg haben in ihren Werken Sexualität äußerst offen und unverkrampft thematisiert.1921 Sie mussten sich dann oft den Vorwurf der Pornografie gefallen lassen. Es lohnt sehr, die Sex-Praktiken in SHORTBUS genau anzuschauen, wie auch die Räume und die Medien, die mit ihnen verbunden sind und in/mit denen sie stattfinden. Zuhören ist dabei, nicht nur bei den Sexszenen, genauso wichtig. Denn das Dargestellte sagt viel über den derzeitigen (prekären) Zustand der Sexualität und derjenigen, die sie ausführen, aus. Virtuelle Freiheitsstatue Wir sehen zu Beginn eine Art Pappmaché-Modell der New Yorker Freiheitsstatue, die als solche jedoch nicht sofort zu erkennen ist, da Mitchell vorerst nur bestimmte Körperzonen bzw. -teile dieses Freiheitssymbols in Nahaufnahme zeigt. Auch dass es sich um einen Nachbau handelt (digital bearbeitet und/oder eventuell bereits vollständig am Rechner erzeugt?) wird erst nachträglich klar. Eine frei bewegliche Kamera erkundet bzw. gleitet ruhig über die verwitterte Oberfläche dieses hybriden Modells. Zu sehen gibt es die Augen bzw. den Blick der Statue, dann die Finger und Füße (bzw. Fuß- und Fingernägel) und schließlich den Mund. Schon hier wird angedeutet, dass sich der Film auf der Funktionsebene der Partialorgane bzw. - objekte, nach Jacques Lacan die imaginären Objekte klein a, abspielen wird.1922 Auch Severin, der Held aus Sacher-Masochs Novelle Venus im Pelz von 1869 umcruist zu !!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!! 1921 Sexualität im Sinne von Neugeburt, was immer auch Loslassen/ fading/ Sterben heißt. 1922 Mit ihnen sei auf Deleuzes/Guattaris Minoritär-Werden bzw. auf die Mikroerzählungen Virilios verwiesen, von denen – so viel sei schon vorweg genommen – SHORTBUS handelt. ! 610 Beginn der Erzählung in einem Park eine Statue, es ist Venus, die Göttin der Liebe, deren Körperteile große Bedeutung für ihn haben und seine ganze Aufmerksamkeit beanspruchen. Im Gegensatz zu Mitchells Entwurf werden diese Organe schon zu Beginn lebendig, zumindest in seiner Imagination.1923 Er halluziniert hier sogar schon eines seiner Fetisch-Objekte, einen dunklen Pelz, der dabei ins Fließen gerät. Beide Szenen verweisen auf die Entstehung bzw. Konstruktion des imaginären Phallus, der Partialorgane zu einem ganzheitlichen Bild integriert, der sogenannte Phallus der Koordination. Er ist, wie Mikkel Borch-Jacobsen in seiner 1990 an der Universität von Washington in den USA gehaltenen Lacan-Vorlesung beschreibt, „eine imaginäre Gestalt des Körpers, [...] diese[s] gewisse[] Etwas, das aus der Erektion als solcher einen Signifikanten macht und uns alle nachfühlen lässt, dass in unseren ältesten Kulturen nicht von ungefähr der aufgerichtet-erhobene Stein eine solch erhabene Bedeutung hat.“1924 Borch-Jacobsen widmet der Bedeutung der steinernen Bildsäule bzw. des phallischen Körper-Standbildes in seinem Text ein eigenes Kapitel mit dem Titel „Der Statuenmann“.1925 Darin wird auch deutlich, dass der Phallus die entscheidende Kraft bei der Bildgenese (und dessen Architektur) innerhalb und außerhalb des Individuums ist. Er hat auch eine geschlechtserzeugende Wirkung im Sinne von gender und zeigt gewisse Stoßrichtungen oder Vektoren des (sexuellen) Begehrens an. Ganz allgemein gesagt hat er als Signifikant das Vermögen, Differenz !!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!! 1923 Rosalyn Deutsche bezieht sich in ihrem Queer-Studies-Aufsatz Vernünftiger Urbanismus u. a. auf das Lebendigwerden Londoner Statuen in Neil Bartletts Roman Alles von mir: „Bartletts Gewitterszene, in welcher städtische Monumente zum Leben erwachen und für eine nicht-normative Sexualität eintreten, kann als eine Theatralisierung des Fremden gelesen werden, die wie Märchen – auch die Märchen Wildes – den Impuls der Eroberung wettmacht, den solche Denkmäler oft repräsentieren.“ (Deutsche 2005, 175.) „Bartlett verknüpft die Stadt wieder mit dem Subjekt. Die Fantasie der von ihm ersonnenen sprechenden Statuen soll nicht so sehr einem Mangel abhelfen, als vielmehr die Statuen von einem Bann befreien – einem Zustand der Versteinerung –, mit dem sie belegt wurden, um die Wahrnehmung eines Mangels, d. h. ihrer Unvollständigkeit, zu verhindern. Seine mit einem Bann belegten Statuen sind städtische Monumente. Sie sind weniger Figuren in der Stadt als Figuren der Stadt, Bilder der Stadt als soziale Form.“ (Vgl. ebd. 173.) Beide Aussagen der Autorin treffen auf SHORTBUS und seine Figuren, die ein sexuell motiviertes Problem zu lösen versuchen, zu. Aus ihrer Selbstblockade (Libido-Hemmung) bzw. inneren ‚Versteinerung’ (imaginäre Erstarrung) versuchen sie sich zu befreien. 1924 Borch-Jacobsen 1999, 241. 1925 Ebd. 55 ff. ! 611 wahrnehmbar und übersetzbar zu machen, also einzuschreiben, fortzuschreiben und auch aufzuheben. Dabei operiert er sowohl auf der sichtbaren, medialen Oberfläche, die er umrandet bzw. umrahmt, als auch tief im Dunkel des Unbewussten. Er erzeugt Zeichen und Effekte, die um Fülle und Leere, Abundanz und Redundanz, Enthüllung und Verhüllung, Kontinuität und Diskontinuität, Lust und Unlust, Himmel und Hölle, on und off, kreisen. Phallus-Résumé Noch einmal zur Wiederholung:1926 Der Phallus hat in seinen unzähligen Artikulations- und Ausdrucksformen demnach eine imaginäre und symbolische Seite, die beide ineinander verschränkt bzw. verschaltet sind. Die eine Seite ist ohne die andere nicht denkbar; sie sind einzeln nicht zu haben, aber auch zusammen nie beherrschbar. Der Phallus verspricht Macht und verführt zu dieser. Man erwischt ihn nicht, entgeht ihm jedoch auch nicht. Ich würde sagen, dass er der Signifikant der Kontingenz ist (im wunderbaren wie fatalen Sinne). Immer dann, wenn er eingreift, wenn er seine imaginäre Seite symbolisch (über-)formt, kommt darin ein negatives Moment zur Geltung, eine Unterbrechung, ein (Aus-)Schnitt, eine Verkürzung, etwas sich Entziehendes: wahrnehmbare und transformatorische Erscheinungen, die überhaupt erst die notwendige Voraussetzung für objektivierbare Differenz(en) bilden. Deswegen wird er in seiner Funktion auch als Signifikant der Kastration bezeichnet. Er erzeugt (bzw. koordiniert), indem er kastriert. Sein Funktionsprinzip, auch wenn es unerreichbar bleibt, lässt sich in Derridas différance oder in Lacans !!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!! 1926 Ich fasse hier das im ersten Kapitel bereits dargestellte Phallus-Prinzip noch einmal kurz zusammen, da ich mir momentan nicht sicher bin, was mit diesem Theorie-Konzept sowohl in den Kulturwissenschaften als auch in der sozialen Realität tatsächlich geschieht. – Nur weil der Phallus seine ([gender-]ein-)schreibende Wirkmacht und Gewalt in den letzten Jahrzehnten auf breiter gesellschaftlicher Basis verloren hat, er zumindest in dieser Hinsicht nicht mehr so eindeutige Zeichen auf der medialen bzw. körperlichen Oberfläche produziert (quasi die mysteriös verschwindende Pistole in Max’ Unterleib in VIDEODROME), heißt das noch nicht, dass sein mächtiges Funktionsprinzip suspendiert oder passé wäre. Im Gegenteil. Als Bildmacher (leerer Signifikant) ist er im aufgeblähten Virtuellen (zumindest auf unbewusster Ebene) präsenter bzw. virulenter denn je. Wir werden sehen, was für neue, ungeahnte Differenzen dabei herauskommen, wenn es dann überhaupt noch (wahrnehmbare) Differenzen sind... (Hoffentlich endet es nicht so, wie für Max in VIDEODROME.) ! 612 Signifikanten-Theorie sehr gut beschrieben wiederfinden. In seiner stetigen Funktion als Signalgeber und Zeichenmacher muss der Phallus ein leerer und geheimnisvoller Signifikant bleiben, der als solcher nicht adressierbar ist, sprich sich nicht auf ein bestimmtes Signifikat festlegen lässt.1927 Wenn man nun also versucht, ihn – meistens aufgrund von Macht- oder Kontrollgelüsten – symbolisch zu fixieren und damit auch zu besitzen, so muss dies nach dieser Logik bzw. den bereits vorgestellten Filmdramaturgien letztendlich immer auf Verfehlung, Unaufrichtigkeit bzw. Lüge hinauslaufen.1928 „Jeder Versuch seiner Repräsentation“, schreibt die gender- Theoretikerin Helga M. Treichl, „etwa indem er zum Symbol für männliche (geschlechtliche) Potenz erklärt wird, leugnet die symbolische Kastration, die der Phallus gerade aufgrund seiner Undarstellbarkeit bewirken kann [– nicht nur kann, sondern immer schon tut! Er ist bereits im Imaginären kastrativ wirksam, doch der cut oder Mangel wird hier vom Ich aus Gründen des Lusterhalts verkannt und virtuell überblendet. (Anmerkung S. P.)]1929 Das Reale wird durch seine Leere erahnbar, vorstellbar gemacht und in den Bereich der Begrifflichkeit verschoben.“1930 Diese Leugnung der Kastration ist auch im Fetisch symbolisch codiert, er ist ein verführerisches Ersatzobjekt oder supplément für den sich stets entziehenden oder abwesenden Phallus. Der Psychoanalytiker Peter Widmer bemerkt: „[S]einetwegen gibt es Phantasmen und Symptome als Substitute der Realität.“1931 Und so ein vom Phallus ausgelöstes und gesteuertes Symptom ist meiner Meinung nach auch der klassische Sadomasochismus à la Sade und Sacher-Masoch. Beide wollen dabei das Große und Ganze der Lust, die Supermacht Phallus selbst bzw. !!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!! 1927 Der Phallus (in Vernetzung mit a) ist, wie Kleist es Jupiter zu Alkmene in Amphitryon (1806) sagen lässt (Jupiter beschreibt sich selbst mit diesen Worten), – „In ew’ge Schleier eingehüllt,/ Möcht er sich selbst in einer Seele spiegeln,/ Sich aus der Träne des Entzückens widerstrahlen.“ Kleist 2002, 55. 1928 „Well, a fellow is a creature who has always been strange. Just when you think you’re his. He’s gone and made a change“, singt Anita O’Day in der SHORTBUS-Exposition über die Merkwürdigkeit des Menschen bzw. Mannes (d. h. über dessen verschwindend-transformatorisches Verhältnis zum Phallus). 1929 Im Schlusssong („In the End“) von SHORTBUS heißt es: „We all cry in the dark/ Get cut off before we start.“ 1930 Treichl 2005, 44. 1931 Vgl. ebd. ! 613 genauer gesagt das, was es bewirkt und reguliert. Sade begehrt dabei vornehmlich dessen kastrative Seite, Sacher-Masoch mehr noch die koordinierende, erotisierende. Beide operieren dabei an Körperöffnungen und Leerstellen; Sade möchte diese brutal eliminieren (O), Sacher-Masoch möchte sie in fetischisierter bzw. medialer Repräsentation offen halten und erweitern, um mit ihnen aus sicherer Distanz heraus spielen zu können (O). Sacher-Masoch braucht für seine Aktion einen Schutzschirm, eine zweite Haut, denn es kann bei deren Erprobung sehr heiß und brandgefährlich werden, wie alle vorgestellten Filme – und Walter Benjamin – unmissverständlich klar gemacht haben.1932 Die Filme haben in diesem Sinne auch crash-test- Funktionen:1933 Sie sind Experimentalanordnungen in/mit denen wir ausprobieren können, wie weit wir mit unserem Ich im Virtuellen kommen, wie weit es uns in unserem Begehren nach Realem im Technisch-Reellen trägt. Dafür hat Kino ja – wie alle optischen Medien der Neuzeit – zum Glück ebenfalls einen Schutzschirm bzw. vorgeschalteten screen.1934 Luis Buñuel bemerkt diesbezüglich: „Spiegelte die weiße Leinwand nicht sein Licht, das Weltall ginge in Flammen auf.“1935 Viele der hier analysierten SM-Filme zeigen, was passiert oder passieren könnte, wenn diese Schutzschicht verletzt, durchbrochen wird oder nicht mehr funktioniert. Man sollte diese (phallische) Hülle nicht nur rein technisch denken, sondern gewiss !!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!! 1932 Schon Benjamin sah in seinem Kunstwerk-Aufsatz (1936) in einer Fußnote deutlich diese Gefahr: „Der Film ist die der gesteigerten Lebensgefahr, der die Heutigen ins Auge zu sehen haben, entsprechende Kunstform. Das Bedürfnis, sich Chockwirkungen auszusetzen, ist eine Anpassung des Menschen an die sie bedrohenden Gefahren.“ Vgl. Benjamin 1977, 39, Fußnote 28. 1933 Auch diesen Aspekt hat Benjamin erkannt und sprach von der „Testleistung“ die den Filmdarsteller unterwirft und durch die Apparatur vorgeführt wird, was gleichsam das Publikum tangiert: „Das Publikum fühlt sich in den Darsteller nur ein, indem es sich den Apparat einfühlt. Es übernimmt also dessen Haltung: es testet.“ Vgl. ebd. 24 f. Vgl. Deuber-Mankowsky 2007, 221-231 (3. Der Film als Wahrnehmungstest) und auch Deleuze und Guattari 1977, 520: „Noch in ihrer Gewalt stellt die Wunschmaschine eine Prüfung des gesamten gesellschaftlichen Feldes durch den Wunsch dar, die zum Triumph des Wunsches sich ebenso fügen kann wie zu seiner Niederlage.“ 1934 „Wie mit der vollen Alphabetschrift und anderen medialen Neuerungen, hat sich auch mit den technischen Bildern ein ‚Bild’ der Wirklichkeit vor die Wirklichkeit selbst geschoben und verdrängt diese aus dem Feld des Erfahrbaren.“ Vgl. von Braun 2001, 234. 1935 Zitiert nach Amos Vogel; Eingangszitat in: Ders. 1997. ! 614 auch körperlich bzw. organisch. Jacques Lacan zeigt, dass das Auge oder die Haut Schutzfunktionen aufweisen, die mit Buñuels Kinoleinwand-Postulat vergleichbar sind: „[D]enken wir daran, dass unser Auge eine Schale ist – aus der das Licht auch überquillt. Um diese Schale erfordert das Licht eine Reihe von Organen, Apparaten und schützenden Vorrichtungen. Die Iris reagiert nicht einfach auf Entfernung, sondern auch auf das Licht, sie beschützt, was auf dem Grund der Schale vor sich geht und was unter gewissen Umständen Schaden leiden könnte – auch dient das Augenlid bei starkem Licht zum Blinzeln, wobei es sich dann zu jener wohlbekannten Grimasse verengt. Dazu kommt, daß nicht das Auge allein lichtempfindlich ist, wie wir wissen. Die ganze Oberfläche der Haut kann – aus verschiedenen Gründen, die durchaus nicht immer visueller Art sind – lichtempfindlich sein.“1936 Gleichwohl können SM-Filme (mind fuck movies) in ihrer (narrativen) Dysfunktionalität und ihrem (visuellen) Exzess als Widerstand und Warnung gelten, vor allem aber als lustvolles Spiel mit der eigenen Wahrnehmung, wie es ebenfalls Walter Benjamin bereits im Kino erlebt und als solches benannt hat. Norbert Bolz schreibt, ich wiederhole es: „Es geht hier [bei Benjamin] im wesentlichen darum, den von den Reproduktionstechniken erschlossenen Bildraum als neuen Spielraum des Menschen zu erobern, was voraussetzt, dass er zugleich als Leibraum des handelnden Kollektivs erwiesen werden kann. [...] Walter Benjamins anthropologischer Materialismus des Films ist ein phantastischer Versuch, der Bilderflut des 20. Jahrhunderts einen revolutionären Index zu verleihen.“1937 Diesem Versuch folgt meine Arbeit, Benjamins Wahrnehmung und die der Freud-Lacanschen Psychoanalyse ist dabei ausschlaggebend und richtungsweisend. Diese Arbeit versteht sich als Weg oder vielmehr noch als Wegbereitung, einen solchen Index in Bezug auf Spielformen des Sadomasochismus, der Dinge, Medien und Menschen umfasst, für den Anfang des 21. Jahrhunderts zu schaffen, auch wenn damit gewiss erst einmal !!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!! 1936 Lacan 1987, 100. Gleichwohl sei an dieser Stelle auch auf Freuds unbewussten Reizschutz verwiesen, wie im zweiten Kapitel unter dem Punkt „Das Objekt a“ herausgestellt wurde. 1937 Bolz 1991, 101. ! 615 mehr Wert auf die Fantastik als auf die Revolution gelegt wird.1938 Beides muss sich nicht ausschließen, beides ist notwendig und vor allem libidinös im anti-ödipalen Sinne. Im Zeichen der Venus Ähnlich wie in SHORTBUS steht auch in Sades und Sacher-Masochs Ästhetik ein idealisiertes Frauenbild am Anfang. Beide Pioniere der modernen Schmerzlust beziehen sich dabei auf Venus-Gemälde bzw. -Statuen italienischer Renaissancekünstler, z. B. von Tizian oder Botticelli. Das Erstaunliche ist, dass sich gerade an diesen Darstellungen, die sich durch körperliche Schönheit und sanfte Wesensart auszeichnen, ihr erotisches Gewaltbegehren maßgeblich entzündet und aufrechterhält. Ihre phallische Fantasie lässt Grausamkeit in der Harmonie des Gezeigten erahnen, eine vermeintlich launische und bösartige Natur, die – und dies ist nicht nur bei ihnen der Fall, sondern symptomatisch für die Wissenschaft und Kunst ihrer Zeit – weiblich codiert wird. Im Hinblick auf Sade hat Georges Didi-Huberman diesen Bezug in seinem Buch Venus öffnen sehr anschaulich herausgestellt, für Sacher-Masoch hat dies u. a. Monika Treut geleistet, für die Medientheorie bzw. - kunst Yvonne Volkarts aktuell in Fluide Subjekte. Bei Sacher-Masoch ist der moderne Venus-Kult sehr offensichtlich, da er im Zentrum der Novelle Venus im Pelz steht und eben auch einen beträchtlichen Teil des Bildmaterials liefert, aus dem Sacher-Masoch seinen Fetisch zusammensetzt. Auch die Venus von Medici (eine Skulptur, die Sade als das schönste Objekt bezeichnet, das er in seinem Leben gesehen hat) soll bereits – wie der Marquis bemerkt – aus fünf Modellen zusammengesetzt worden sein.1939 Auffallend zu Beginn von SHORTBUS ist, dass die Freiheitsstatue unvollständig gezeigt wird, trotzdem erkennen wir sie sofort am Gesicht, woraus sich eine pars-pro- toto-Beziehung ergibt. Auch Sade inszeniert seine Frauenfiguren gern unvollständig, meist ist nur das Hinterteil obszön ausgestellt, die Vorderseite ist verdeckt oder fehlt. Sacher-Masoch fetischisiert weniger reale Körperteile, sondern hervorstechende !!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!! 1938 Vgl. in Bezug auf diesen Index auch den nachfolgenden Mehr-Lust-Appendix dieser Arbeit. 1939 Vgl. Didi-Huberman 2006, 113. ! 616 modische Accessoires und vor allem schwere Pelze, die diese verhüllen und die seine Domina für ihn tragen muss – die bereits erwähnte zweite, künstliche Haut. An seiner aufwendig ‚in Schale geworfenen’ Spielpartnerin nimmt Sacher-Masoch letztendlich nur diese inszenierte Oberfläche wahr, ihre persona und ihr eigenes Begehren blendet er zumindest während seines Spiels komplett aus. Sie ist, wie Peter Weibel sagt, ein „atmendes Phantom“.1940 Letztendlich wird sie bei Sacher-Masoch nicht über diesen prekären Status als lebendes Medien-Gespenst hinauskommen, nimmt doch – wie Deleuze schreibt – „der weibliche Henker [schließlich] starre Posen an, welche sie einer Statue, einem Porträt, einer Photographie gleichen lassen.“1941 In Bezug auf das Kino hat der ungarisch-deutsche Filmkritiker Béla Balázs, einer der ersten Filmtheoretiker, in seiner bereits medienvergleichenden Schrift Der sichtbare Mensch von 1924 diese pars-pro-toto-Beziehung und -Wahrnehmung im Kino entdeckt und als impressionistischen Filmstil bezeichnet: „Der Impressionismus gibt immer einen Teil für das Ganze und überlässt die Ergänzung der Phantasie des Zuschauers. Eine Ecke wird gezeigt anstatt der ganzen Landschaft, eine Gebärde statt der ganzen Szene und ein Moment statt der ganzen Geschichte. Diese herausgehobenen Teile werden aber ‚naturalistisch’ dargestellt.“1942 Auf diese Weise wird es möglich, den Eindruck von Größe zu steigern. Laut Balázs können auf diese Weise sehr aufwendige Massen- oder Monumentalszenen kostengünstig realisiert werden. Mitchell variiert diese impressionistische pars-pro-toto-Beziehung, indem er gerade nicht naturalisiert, sondern das Virtuelle daran betont und dabei gewiss nichts ausspart. Denn der inspizierende Kamerablick wendet sich von der Freiheitsstatue ab und entdeckt daraufhin ein neues, vielsprechendes Objekt: die magische Kulisse New Yorks, ebenfalls als Modell aufwendig inszeniert. Von einer großen Kleinen (die herangezoomte statue of liberty) zur/m kleinen/m Großen (magisches New York quasi aus ‚virtuellem’ Pappmaché in der Totalen) lautet dabei die Richtung des Suchbefehls, wie es Lacan im Le Séminaire XVI: D’un Autre à l’autre 1968/69 !!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!! 1940 Weibel 2003, 39. 1941 Deleuze 1980, 188. „Das Motiv des Steins tritt in den Texten Masochs als zugleich positiv und negativ auf. Wenn Severin zu Beginn der Erzählung Venus im Pelz von seiner Leidenschaft für die Statue der Venus schwärmt, wird einerseits der Stein und alles was mit ihm assoziiert wird als kalt und tot beschrieben, andererseits wird dem Marmor eine noble Eleganz und anziehende Blässe zugeschrieben.“ Samuel 2008, 35 unter: http://othes.univie.ac.at/2262/1/2008-11-01_0403715.pdf 1942 Vgl. Balázs 1982, 91 f., 97 f. ! 617 theoretisch postulierte und wie ihm darin Deleuze/Guattari in ihrem maschinellen Minoritärwerden, ihren Randtotalitäten (im postmodernem Zeitalter der Bausteine und Reste) oder Virilio in seinen von der Collage inspirierten Mikroerzählungen folgte. Stadt als Spielfeld Jetzt rückt also die Stadt ins Blickfeld der phallischen Lust, die als ein großer, bunter Spielplatz von oben erkundet wird.1943 Die bewegliche Kamera in der SHORTBUS- Exposition verwandelt sich zu einer fliegend-verfolgenden, in deren rasanten, zielgerichteten Gleitbewegungen meiner Meinung nach so etwas wie das Auge Gottes, Wahrnehmungen des Großstadtflaneurs des 19. Jahrhunderts und Google Earth ersichtlich werden. (Zudem sei an das Überfliegen des Anti-Ödipus-Schizos erinnert oder an das, was Ernst Kapp in seiner Technikphilosophie 1877 als ‚transzendentalen Fluge’ bezeichnete und dabei gleichsam den Trugbild(auto)pilot namens Ich unbewusst beschrieb.) Auf wundersame Weise ist hier eine Funktion realisiert, die Google Earth wohl hoffentlich nie haben wird, die aber die Fantasmen der UserInnen stark anregt, nämlich das voyeuristische Begehren nach dem Einblick in die Privat-, ja sogar Intimsphäre anderer; allgemeiner gesagt: das Begehren nach dem Geheimnis des Raums und dessen Leere – was auch die Leere im Innern des Subjekts umfasst. Durch einen Umschnitt, der sich an einem gusseisernen Milchglasfenster in gleißend- weißem Licht vollzieht, gelangen wir in das Badezimmer von Jamie (Paul Dawson), in das wir mit der Kamera eindringen. Im Fensterrahmen stecken zwei kleine phallische Symbole, bunte Dartpfeile, rot und blau, die quasi von der Beteiligung des !!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!! 1943 Vgl. zum „Spielplatz Stadt“ Bartels 2008, 415 ff. oder Die Stadt als Spielfeld Fahle 2007. Freud redet im Unbehagen der Kultur von „eher unnütz erscheinen[d]en [Dingen], z. B. wenn die in der Stadt als Spielplätze und Luftreservoirs notwendigen Gartenflächen auch Blumenbeete tragen oder die Fenster der Wohnungen mit Blumentöpfen geschmückt sind. Wir merken bald, das Unnütze, dessen Schätzung wir von der Kultur erwarten, ist die Schönheit“. (Vgl. Freud 1997 [b], 58.) Es gilt, das ist der Handlungsauftrag, die Spielanweisung dieser Arbeit – und über sie hinaus – diese Schönheit, das vermeintlich Unnütze lustvoll zu entdecken und dafür neue, kollektive Spielflächen zu schaffen. ! 618 Phallus bei dieser Verknüpfung von Außen- und Innenraum zeugen und subtil darauf hinweisen, dass nun auch spielerische Elemente Einzug halten werden. Noch herrscht aber eine sehr apathische Atmosphäre, die an den ‚steinernen Gast’ vom Anfang erinnert. Denn Jamie liegt totenblass und wie erstarrt in der Badewanne. Trotzdem scheint er innerlich erregt zu sein. Nur ein Wassertropfen löst sich sehr langsam – er muss etwas nachhelfen – von seinem Daumen. Ein erster Lusttropfen sozusagen, dargestellt im close-up: der Blick ist dabei nach oben auf seinen Daumen gerichtet, der nach unten auf sein Gesicht deutet. Jamies Körperlichkeit rahmt diese Einstellung ein Stück weit, quasi eine Phallus-Funktion, die nicht abschließt, sondern offen bleibt. Nun wiederholt sich die Eingangsszene: Mit einer Digitalkamera filmt der Protagonist sich dann selbst bzw. seine für ihn sichtbaren Körperteile, vor allem seinen Penis. Hier folgt die nächste Grenzüberschreitung, die leichte Bewegung in diese äußere Starre bringt: Jamie uriniert ins Badewasser. Auch der jugendliche Held Armin aus Christoph Hochhäuslers Film FALSCHER BEKENNER tat es ihm gleich und lebte so seine kleinen, heimlichen Alltagssubversionen im rustikalen Elternhaus aus.1944 Im Folgenden gibt die Promenade der fliegenden Kamera den Blick auf einen Ort frei, an dem zu Beginn der Nullerjahre dieses Jahrhunderts zwei der zumindest in architektonischer Hinsicht herausragendsten Phallus-Symbole der westlichen Welt oder Hegemonie, das WTC, buchstäblich kastriert wurden und darauf – wie Jean Baudrillard schreibt – quasi mit Selbstmord reagierten:1945 Ground Zero, die klaffende Wunde im Stadtbild New Yorks, von oben aus einem Hotelzimmer gefilmt. Diese Leerstelle als Kraterlandschaft, in der die zwei Abdrücke des WTC-Fundamentes noch deutlich zu erkennen sind,1946 steht auch in enger Verbindung zu der Luftblase in der Badezimmer-Einstellung davor, die durch Jamies Verunreinigung des Badewassers aufgestiegen ist und beim Auftreffen auf die Wasseroberfläche durch ein künstliches Plopp-Geräusch verstärkt wurde. – Möglicherweise ein Hinweis auf den !!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!! 1944 Diese Aktionen körperlicher Lust lassen eine Verbindung zu Freuds Anmerkungen bzw. Fußnote über den urinierenden, d. h. Feuer auspinkelnden Urmenschen erahnen. Vgl. Freud 1997 (b), 56. 1945 Baudrillard 2003 (a), 13. 1946 Hier wird eine phallische Übercodierung bzw. Aufhebung inszeniert: Mitchell überblendet die Kraterlandschaft des virtuellen Stadtmodells mit einer Originalfilmaufnahme von Ground Zero; sie zeigt das geglättete und bereits wiederhergestellte Fundament. Vgl. dazu auch Deleuzes und Guattaris Raumtheorie 1440 – Das Glatte und Gekerbte, Dies. 1992, 658-694. ! 619 Unterschied zwischen der Nullhypothese und der Maximalthese zu 9/11, das heißt der u. a. von Baudrillard mitgeführte Streit, ob dieses Ereignis nun der big bang in der Weltgeschichte sei oder eben nur ein Plopp-Geräusch.1947 Auf jeden Fall ist eine Blase geplatzt, spätestens seit Beginn der Nullerjahre ein sehr bedeutsames Zeichen für all die platzenden Spekulationsblasen, all die Heißluft, blähendes Medienbegehren im Spätkapitalismus einer technologisch übercodierten Welt, allgemein für eine porös gewordene Wirklichkeit im dampfenden Nebel des Virtuellen bzw. hier im warmen Badewasser. An der Fensterfront des luxuriösen Hotelzimmers sehen wir nun die Domina Severin (Lindsay Beamish), die den Namen des masochistischen Helden aus Venus im Pelz trägt, wie sie die Instrumente, u. a. Dildos, für die Session mit einem Kunden vorbereitet. Dabei unterhält sie sich mit ihm, ist aber von seinen Fragen sichtlich genervt. Auch hier ist der rote Dildo, den sie gerade desinfiziert, quasi das verbindende Element zwischen Innen und Außen. Mit Lacan könnte man in diesem Zusammenhang von einer Kopula,1948 von einem flüchtigen Verbindungselement oder einfach von einem link sprechen. Später wird sie ihr Kunde, eine junger Schnösel, fragen, welche Superkraft sie sich aussuchen würde, wenn sie die Wahl hätte, worauf sie mit heftigen Peitschenhieben und Kraftausdrücken antwortet, was er ziemlich genießt. Mitchell zeigt bereits hier, wie sich (phallisch gesteuerte) Sprache unversehens in sexuelle Praxis verwandelt. Genauer gesagt: Leere Sprache in sadomasochistische Aktion. Gleichzeitig erinnert diese Szene am Ground Zero an jene Schauplätze in Sades Roman Neue Justine, in denen Perversionen an den !!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!! 1947 Baudrillard 2003 (a), 65 ff. 1948 Vgl. Lacan 1986 (b), 128. „Man kann auch sagen, daß er [der Phallus] kraft seiner Turgeszenz das Bild des Lebensflusses ist, soweit dieser in die (in der) Zeugung eingeht.“ Ebd. ! 620 Kraterrändern sizilianischer Vulkane aufgeführt werden.1949 Und auch daran, dass u. a. wegen dieser Leerstelle, Ground Zero, und dem, was zu dieser Leerstelle führte, eine völlig verfehlte, weil aggressive Weltaußenpolitik des Westens in Gang kam, die sich bis heute nicht beruhigt hat und an deren unterem Ende bzw. auf fremdem Terrain, inneres Ausland, sich nach wie vor die real existierenden Höllen von Abu Ghraib, Bagram oder Guantánamo befinden, in der bestialische Sadismus-Spiele an der Tagesordnung sind. (Oder sich andere horror-Wahrheiten offenbaren, wie sie Kathryn Bigelow in den Filmen THE HURT LOCKER und ZERO DARK THIRTY dokumentiert hat.) Rückwärtsbewegungen Weiter geht es mit Jamie, der noch mit nassen Haaren das Bad verlässt, um im Wohnzimmer seiner Altbauwohnung eine merkwürdig anmutende Übung auszuprobieren, eine waghalsige Mischung aus Hatha-Yoga und Autofellatio.1950 Wahrscheinlich ist ihm die Idee dafür in der Badewanne (mit dem abperlendem ‚Lusttropfen’) gekommen – er versucht sich quasi mit sich selbst auf Körperebene kurzzuschließen. !!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!! 1949 Vgl. Sade 1990 ff. (Anm. 4) , Bd. 8, 168. „Die zerstörerische Krateröffnung kann nur mit dem unfruchtbaren Anus verglichen werden. Weit davon entfernt, eine Bestrafung zu sein, erscheint der Vulkan als Komplize und Ruhmesmal der Sodomiten.“ Delon 2001, 72. Vgl. zur (homo-)sexuellen Funktion des Anus bzw. Afters auch Theweleit 1980 (b), 307 ff. und 314 f. 1950 „Zwei bis drei Promille der Männer sind dazu [zu Autofellatio] imstande. Eine wirklichkeitsnah gefilmte Autofellatio, die mit einer unvollständigen ‚Rolle rückwärts’ eingeleitet wird, ist Bestandteil der Handlung in dem Spielfilm Shortbus.“ Vgl. Wikipedia-Eintrag zu Fellatio http://de.wikipedia.org/wiki/Fellatio. ! 621 (Nebenbei bemerkt: Auch Severin, der Maso-Held aus Sacher-Masochs Venus im Pelz, kam die Idee einer Bildkomposition, als er seine Domina und sich in einem Badezimmerspiegel erblickte.) Jamie filmt sich wiederum selbst während seiner Rückwärtsverrenkung und stößt dabei zufällig mit dem Fuß an ein Kaleidoskop, das sich in einem Regal befindet. Es beginnt zu wackeln, man hofft, dass es nicht runterfällt – ein winziges suspense-Element. Vielleicht könnte man sagen, dass Jamie die ästhetische Differenz oder Spannung zwischen diesen zwei optischen Medien bzw. Spielzeugen, Digicam und Kaleidoskop, mit sexueller Körperakrobatik, wie man sie in fantastisch-grotesker Überzeichnung auch in Sades Werk oft bewundern kann, unbewusst-körperlich zu überbrücken versucht. Auch die Paartherapeutin Sofia (Sook-Yin Lee) müht sich ziemlich ab beim Sex mit ihrem Ehemann Rob (Raphael Barker) in ihrer Luxus-Wohnung am Central Park; sie praktizieren Stellungen, die wahrscheinlich nicht einmal in einem Kamasutra-Führer zu finden sind. Entspannt wirkt dies nicht, es sieht eher nach überhitztem Leistungssport aus. In allen vorgestellten Filmen der Dissertation wird der Unterschied zwischen analog und digital bzw. das gegenwärtige Verschwinden des Analogen im Digitalen thematisiert und untersucht, was dieser aktuelle, medienästhetische Prozess der Ablösung bzw. Aufhebung auf der Ebene kultureller bzw. sozialer (Subjekt-)Ordnung im Einzelnen bedeutet. Man denke z. B. an die fetischistische Video-Rückspulszene in Hanekes FUNNY GAMES (U.S.), ein digitaler Effekt, ohne den der Film keinen Sinn machen würde. Oder an die raffinierte Mischung von analogem und digitalem Filmmaterial, Intermedialität, mit der Hochhäusler in FALSCHER BEKENNER und Bigelow in THE HURT LOCKER arbeiten. Hochhäusler erzielt damit eine beklemmende, gespenstische Atmosphäre, Bigelow erinnert an Filmaufnahmen aus dem zweiten Weltkrieg.1951 In SHORTBUS nimmt Severin ihre Umwelt hauptsächlich über das optische Analogmedium Polaroid wahr. Dies tun übrigens auch Cyborgs sehr gern und auch einige der SchülerInnen in BATTLE ROYALE. !!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!! 1951 Beide operieren nicht nur mit analogen Filmmaterial (16mm [Bigelow] und Cinematoscope [Hochhäusler]) sondern auch mit Digitaltechniken auf der Ebene des Molekularen: Hochhäusler arbeitet feine Grautöne in HD-Qualität heraus, Bigelow zeigt Teilchenexplosionen, die sie mit einer hyperpräzisen Spezialkamera, die 10.000 Bilder pro Sekunde aufnehmen kann, filmt. ! 622 Wie im ersten Teil der Arbeit dargelegt, hat Ernst Kapp den Zusammenhang zwischen Körperlichkeit und Analogtechnik bereits im späten 19. Jahrhundert analysiert und dabei eine Rückwärtsbewegung beschrieben: „[D]er unbewusst dem organischen Vorbild nachgeformte Mechanismus dient seinerseits wieder nach rückwärts als Vorbild zur Erklärung und zum Verständnis des Organismus, dem es seinen Ursprung verdankt.“1952 Albrecht Koschorke schreibt, dass Sacher-Masochs „Literatur […] eine Serie von Rückübersetzungen“ ist,1953 was u. a. die Transmission uralter Straf- bzw. Disziplinartechniken wie auch das patriarchalisch-perverse Fantasma weiblicher Herrschsucht und Zügellosigkeit tangiert. Auch McLuhans Medienbetrachtungen folgen einer gewissen epistemologischen Rückspiegelfunktion: Ein neues Medium macht ein Vorangegangenes im Nachhinein erst (in seinem Inhalt/seiner Signifikanz) sichtbar bzw. bestimmbar.1954 Es wundert daher nicht, dass McLuhan (was meiner Meinung nach mindestens so wichtig ist wie seine These von der Botschaft der Medien), das „Zeitalter der Venus“ ausruft – Medienbotschaft in seinem Werk.1955 Nur was das genau heißt, ist er seinen LeserInnen dann schuldig geblieben: „Bist du’s, Sacher-Masoch?“ fragt McLuhan in Die Mechanische Braut am Rande in Form eines Werbeslogans.1956 – Rückwirkende Nachträglichkeit, ankommende Medienbotschaft, was sich auch als retroaktive Kausalität des Signifikanten bezeichnen lässt,1957 ist für alle rekonstruierenden Erkenntnisprozesse ungemein wichtig, also nicht nur für diejenigen der Psychoanalyse oder des SM.1958 !!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!! 1952 Vgl. Kapp 1978, 26. 1953 Vgl. Koschorke 1988, 33. 1954 Vgl. Pühler 2006, 182. 1955 „Mit dem Ende des Zweiten Weltkrieges, behauptete McLuhan, hatte das Zeitalter der Venus die Ära des Mars abgelöst, wodurch eine libidinöse Ökonomie des entfesselten Konsums die Macht übernommen hatte.“ Cavell 2008, 278. 1956 Vgl. McLuhan 1996, 159. In der Beantwortung dieser Frage hätte McLuhan den fehlenden Code, das Symptom, in seinem Werk eventuell rekonstruieren können. Die Analogien zwischen klassischem SM und Medienfetischismus, wie sie in dieser Arbeit im Zusammenhang der Maschinenphilosophie Ernst Kapps (und in Ansätzen im Anti-Ödipus) herausgestellt wurden, stehen für McLuhans Betrachtungen also noch aus. 1957 Vgl. Žižek 1991, 19. 1958 Vgl. 273 in dieser Arbeit. ! 623 „Es zeigt sich“, schreibt Yvonne Spielmann in ihrem Buch über Video zum Verhältnis analog/digital, „dass eine gemeinsame Vergleichsebene, auf der [diese] strukturelle[n] Differenzqualitäten in Beziehung zueinander gesetzt werden können, nur schwer zu finden ist.“ Mit diesen Qualitäten, die also noch unkoordiniert vorliegen, meint sie „fotografisch-filmische“ im Gegensatz zu „digitalen, hypermedialen und hybriden“.1959 Anstatt diese Lücke(n) nun also rückwirkend und konstruktiv zu überbrücken, etwa mit neuen Praktiken, Zeichen und Lüsten – wie es Jamie versucht –, werden solche Unterschiede heutzutage nur zu gern fetischistisch in Stellung gebracht und meist spektakulär, das heißt u. a. in casting-show-Formaten, gegeneinander ausgespielt. Dieses Ausspielen findet hauptsächlich im Ich selbst statt, im sogenannten intermediären Raum, der vor allem das fantasmatische Imaginäre adressiert und umfasst.1960 Es erzeugt bzw. erzwingt zunehmend radikalere Spielformen des Selbst, die an körperliche, geistige und materielle Grenzen führen und auch darüber hinaus – Formen, wie sie in FUNNY GAMES, BATTLE ROYALE oder THE HUNGER GAMES sadistisch überzeichnet zum Ausdruck kommen. Hiebe und flow Was uns Mitchell hier im New York nach 9/11 präsentiert, geht nicht nur auf seine eigene Fantasie und Erfahrung zurück – er lebt selbst in dieser Stadt –, sondern ist auch das Resultat einer intensiven, zweijährigen Vorarbeit. Er veranstaltete u. a. Workshops, in denen er zusammen mit den (Laien-)SchauspielerInnen ihre Rollen und damit den plot entwickelte. In allen vorgestellten Filmen lässt sich beobachten, dass die Grenzen zwischen Leben und dessen Simulation, Realem und Fiktivem, Dokumentation und Spielfilm, stets fließend oder gleich ganz aufgehoben sind, sodass es schwierig wird, in dieser Hinsicht noch zu unterscheiden. Dies kommuniziert auch Severin ihrem neugierigen Kunden, der sie nach ihren sexuellen Präferenzen im wirklichen Leben fragt, einmal mehr mit einem Peitschenhieb. Sie lässt ihn damit !!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!! 1959 Vgl. Spielmann 2005, 44. 1960 Ein weiteres, bedeutsames Beispiel in dieser Hinsicht gibt Hartmut Böhme. Er betont in seinem Aufsatz im Ausstellungskatalog Die Kunst der Entschleunigung. Bewegung und Ruhe in der Kunst von Caspar David Friedrich bis Ai Weiwei, Kunstmuseum Wolfsburg 12.11.2011 – 9.4.2012, dass es „sinnlos“ ist, „Langsamkeit und Geschwindigkeit gegeneinander auszuspielen“. Vgl. Ders. 2011, 3. ! 624 spüren, was und mehr noch wie das wirkliche Leben für sie ist. In allen Filmen ist es wichtig, die Bewegung des Phallus, sein unbewusstes Gleiten und Drängen, seinen flow und seine Hiebe, zu erkennen, das heißt die Fährte, die er als Symptom bzw. mediale Spur im sexuell begehrenden Subjekt bzw. in der Filmfigur strukturiert, aufzunehmen und zu verfolgen. Wenn man dies aufmerksam betreibt, teilt sich dabei meist etwas Wahres mit: ein Fleck, ein Fragment, ein Detail, ein Subcode, mit Glück sogar eine grotesk oder surreal anmutende Umkehr- bzw. Gegenwelt (wie sie Mitchell fantastisch im Club Shortbus inszeniert), die nicht mehr vom Alltagsleben und -raum getrennt sein muss, sondern diesen bereits maßgeblich prägt. – Inklusive all den drohenden oder bereits vorhandenen Ängsten, Unsicherheiten, Gefahren, Abstürzen und Katastrophen, aber eben auch – und das ist das Allerwichtigste – mit einer anderen, neuen Lust, die noch sehr flüchtig ist, sich (wie die fliegende Kamera) ihren Weg sucht und die es unbedingt kennenzulernen und auszuprobieren gilt mit all dem Wissen, das wir u. a. von Sade und Sacher-Masoch haben (wie auch von vielen anderen [sex-]maniacs und freaks, von [Lebens-]KünstlerInnen, AutorInnen, FilmemacherInnen, DJs usw.).1961 Action Painting Mitchells Film macht Mut, sich auf dieses Andere, dieses Wagnis einzulassen. Ein kleiner, aber wegweisender Vorgeschmack darauf enthüllt sich bereits am Ende der Exposition, als Severins Kunde zufällig auf eine Jackson-Pollock-Reproduktion, die als Hotelzimmer-Deko dient, ejakuliert (eine „externe Ejakulation“).1962 Dieses abstrakt-expressionische Bild scheint Severin plötzlich sehr zu faszinieren, nicht zuletzt wegen der organischen Spur, dem langsam nach unten fließenden Sperma, ein untrügliches Zeichen individueller Mehr-Lust gerade auf dem Bildhintergrund. Sie hält inne und blickt zurück. !!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!! 1961 „All those lovely freaks and weirdos ... All the freaky people make the beauty of the world“ – so Michael Franty in stetiger Wiederholung auf dem Album Stay Human (2003). Vgl. auch die vorzüglichen Ausführungen zu freaks von Jamake Highwater 1998. 1962 Vgl. Williams 1995, 143 ff. ! 625 Man kann den Begriff Action Painting hier sehr wörtlich nehmen, denn das Bild drückt ja nicht nur die aufgewirbelte Dynamik hinter dem Begehren der gezeigten sexuellen Aktionen zwischen Kraftanstrengung und gelangweilter Routine nachträglich aus, sondern imitiert zudem auch noch einmal die Machart des Action Painting selbst, welches ja ebenfalls durch zufällige Schüttel-, Spritz- oder Tropftechniken der Künstlerin oder des Künstlers zustande kommt. Der Unterschied zwischen diesem und jenem Action Painting ist nun, dass hier plötzlich eine reale, körperliche Dimension zufällig ins Spiel kommt, die das Bild libidinös übercodiert und so ein kleines Stück weit ‚auferstehen’ lässt – auch wenn die Fließbewegung des Spermas hier nicht auf-, sondern abwärts geht. Es wäre interessant zu wissen, ob bereits Pollock mit Körperflüssigkeiten gearbeitet hat, wie es z. B. Andy Warhol in seinen legendären Piss Paintings gemacht hat, in denen er mit Urin auf Kupferfarbe ‚malte’ und einen Oxidationseffekt erzielte. Auf Sades handgeschriebenen Schriftstücken lassen sich ebenfalls – neben den skripturalen – reale Körperflüssigkeiten bzw. Essensreste nachweisen, wie ich bereits schon in Bezug auf VIDEODROME mit Stefan Zweifel und Michael Pfister erwähnt habe. Bei Sade, Cronenberg, Warhol und Mitchell ist also nicht nur die symbolische, sondern auch die reale Dimension des Phallus im Spiel. Das soll allerdings nicht heißen, dass der Phallus auf ein Organ reduziert werden darf, z. B. auf das männliche Geschlechtsteil und dessen (metaphorische) Funktionen bzw. (reale) Resultate, auch wenn dies in zahlreichen, teilweise sehr alten Artefakten meistens so aussieht. Und auch wenn es nach wie vor der Stand und die Statur sind (wir gehen meist immer noch senkrecht auf zwei Beinen), die die Dimensionen des Phallus nicht nur körperlich, sondern auch sprachlich sehr deutlich umreißen, so ist dabei immer, das ist signifikant, ein Prozess des Werdens und – wie es Luce Irigaray betont – der ! 626 Emanzipation gemeint:1963 Ehrlichkeit und Wahrheit. Demnach geht es auch um ein Aufrichtigsein, das sich gerade in einem ‚Kleiner’- bzw. Minoritär-Werden artikuliert (abfließendes Sperma, Jamies nach unten zeigender Daumen, von dem sich ein ‚Lust- Tropfen’ löst), um neue Lustintensität(en) zu erfahren. Trotz oder gerade wegen dieses orgiastischen Action-Painting scheint sich das hochaufgeregte und entfesselte Begehren, das solche Avantgarde-Bilder aus/seit den späten 1940er Jahren ausdrücken, sicher zu verabschieden, wie es David Cronenberg in COSMOPOLIS (2011) am Fallbeispiel eines jungen New Yorker Finanzmarkt- Milliardärs deutlich inszeniert: „Den Rahmen dieser Erzählung bilden zwei amerikanische Gemälde, zwei Abstraktionen, zwei Ikonen eines entfesselten Kunstmarkts: Eine Arbeit von Jackson Pollock wird während des Vorspanns eingetropft, eine der Farbkompositionen von Mark Rothko steht am Ende – vom Action Painting zur Todesruhe, das ist der Weg, den David Cronenbergs ‚Cosmopolis’ beschreibt.“1964 Das ist auch der Weg, den Mitchells SHORTBUS nehmen wird, wobei in der Todesruhe hier auch ein Neustart stattfindet, wie noch zu zeigen ist. Stillstehende Zeit So todtraurig die Höhepunkte, die – mit Bataille gesagt – ‚kleinen Tode des Orgasmus’ am Ende der SHORTBUS-Exposition auch sind1965 (nebenbei bemerkt: ‚strahlte’ bei Bataille ‚die Agonie’ dieser Traurigkeit noch, läuft bei Mitchell nur etwas langsam nach unten ab),1966 so haben sie doch einiges ausgelöst. Immerhin hat ein reflexives Moment mit dem befleckten Pollock-Bild eingesetzt. Wir sehen dies daran, dass Severin zum ersten Mal die Kommunikation mit ihrem jungen !!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!! 1963 Vgl. Treichl 2005, 50. 1964 Vgl. Griessemann 2012 unter: http://www.tip-berlin.de/kino-und-film/cosmopolis-im-kino. 1965 Auch James ist dann sehr traurig und bekommt sogar einen Heulkrampf. 1966 Vgl. Strinz 2011 (Textstellen über den Fußnoten 22 und 23) unter: http://www.kritische- ausgabe.de/artikel/das-obszöne-werk-von-georges-bataille. ! 627 Masochisten nicht mehr über die Peitsche regeln muss, sondern aufrichtig antwortet. Er hat aber auch zum ersten Mal eine Frage gestellt, die nicht mehr wichtigtuerisch und eitel war: – Ob sie danach traurig gewesen sei. – Ja, weil die Zeit nicht stehen blieb und sie nicht allein war. Sacher-Masoch versuchte diesen beiden Aspekten entgegen zu wirken, gerade indem er sich von der Domina immer wieder auspeitschen ließ. (Sprachliche Reflexion, aufrichtiger Dialog fand mit ihr nicht statt.) Auch die US-amerikanischen Sergeants in Bigelows Film THE HURT LOCKER, die auf Leben und Tod im Irak Terrorbomben entschärfen, halten die Zeit für sich an, wenn sie ihren Extremjob machen und werden in der Wiederholung süchtig danach. Sie haben sich, wie alle ProtagonistInnen in den analysierten Filmen, dafür – mehr oder weniger unbewusst – einen eigenen Raum geschaffen. In einem Interview zwischen Joseph Vogl und Alexander Kluge sagt Vogl: „Ja, dieses Heraustreten einer Sekunde aus dem Fluss der Zeit, aus der Verarbeitungsprozedur, diese Diskontinuität: Das ist ein glücklicher Moment, und das ist gleichzeitig aber auch die Bedingung der Möglichkeit eines Schrecks. Das Erschrecken kann eine Aufnahme für immer festhalten und dieses Nichtvergehenkönnen eines einzelnes Augenblicks in eine problematische Differenz zu dem verstreichenden Strom der Bilder, etwa im Kino, bringen. Was bedeutet es, wenn ein privilegierter Augenblick, eine Schrecksekunde, ein Schock im Eisenbahnwaggon oder im Straßenverkehr mit einem Mal ein Anhalten provoziert, eine Adhäsion an einen Augenblick, an dem die Zeit nicht mehr vergehen will, der von der Zeit umspült wird, der wie ein Moment oder wie ein Fels in diesem Strom plötzlich stehen bleibt? [Kluge:] Aber auch eine Begegnung, ein Glücksmoment. Ein Toter tritt wieder auf.1967 Kann das auch so erschrecken, dass die Zeit still steht? Das Herz hält an? !!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!! 1967 Ein Toter tritt auch am Anfang von SHORTBUS auf. James, der als Bademeister arbeitet, kommt zu spät, um einen ertrunkenen Mann zu retten, der auf dem Boden des Schwimmbeckens lag. Zwei cruisende Badegäste am Beckenrand hatten ihn bei ihrem Annäherungsversuch zufällig entdeckt, bekamen einen Schreck und sind dann sofort, obwohl James um Hilfe bat, geflüchtet. In allen vorgestellten Filmen dieser Arbeit erscheint plötzlich mindestens eine Leiche. ! 628 [Vogl:] Das Herz hält an. Oder das Herz wird kalt. Oder das Herz stockt in einem Zwischenbereich zwischen Leben und Tod.“1968 Die Gründe für dieses Begehren nach zeitlichem Stillstand und experimenteller Todeserfahrung, Anderswerden in jenem Zwischenreich, sind im ersten Teil dieser Arbeit zumindest für das späte 19. Jahrhundert dargelegt worden. Wichtige Quellen dafür sind Annette Bitschs Genealogie des Unbewussten und Eleonore Kalischs Ausführungen zur ‚Unsichtbaren Hand’ in ihrem Buch über Adam Smith (Von der Ökonomie der Leidenschaften zur Leidenschaft der Ökonomie), in denen sie sich dezidiert mit technischen Dingen auseinandersetzen; u. a. mit der kulturellen Erforschung von Regelungssystemen im 18. (Kalisch) und der Elektrizität ‚im 19. Jahrhundert (Bitsch).1969 Gerade die Entdeckung und Anwendung des Wechselstroms im 19. Jahrhundert, mit dem die Mehrheit der gebräuchlichen technischen Medien heute betrieben wird, ist eine wichtige theoretische Grundlage für eine mögliche Erklärung des masochistischen Begehrens in der Moderne. „Die bis dahin [bis 1850] in Physik und Philosophie als ein kontinuierliches Fließen vorgestellte Zeit wird zur Serie oder Frequenz diskreter Ereignisse oder elektrischer Funken“, schreibt Annette !!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!! 1968 Vgl. Vogl und Kluge 2004 (Zeit ohne Raum), 252. Vogl sagt auch, dass es unter dem „Diktat der Weltzeit oder diesem Diktat der Standardzeit glückliche oder schreckliche Zeitinseln gibt, in denen die Zeit nicht mehr vergeht, in denen die Zeit stillsteht.“ Er nennt das mit Kork abgedichtete Schreibzimmer Prousts (vgl. ebd. 246) oder Draculas Schloss in Bram Stokers Roman, das man in Transsylvanien anscheinend nur dann erreichen kann, wenn man den „Hort der Weltzeit [England]“ hinter sich lässt und auf der Reise dorthin „Prozesse[] der Verspätung“ und „des Zeitverlustes“ in Kauf nimmt (vgl. ebd, 252). Auch Wagners Parsifal zitiert er: „‚Die Zeit wird hier zum Raum’“ (vgl. ebd. 252), wie es dann die Verräumlichung und Manipulierbarkeit von Zeit in technischen Medien, gerade im Kino (durchaus mit pathologischer Nebenwirkung) vor Augen führt. (Vgl. ebd. 254.) Wenn man nicht aufpasst, kann diese „a-chronische Zeit der virtuellen Ereignisse“ (vgl. ebd.) im Kino und anderswo auch den Raum des Subjekts oder den geografischen Ort ‚auffressen’, wie es in VIDEODROME im Bauch des condemned vessel oder in der Todeszone der Exposition von THE HURT LOCKER gezeigt wurde. 1969 Bei Sade im 18. Jahrhundert ist diese technische Seite aus Platzgründen in dieser Arbeit vernachlässigt worden. Vgl. die Zusammenfassung dieses Medien-Aprioris, wie es Eleonore Kalisch eindrucksvoll beschreibt, in dies. 2006, vor allem im 5. Kapitel (Medizin- bzw. Körpertechniken) und im 11. Kapitel (Maschinendiskurse bzw. Regelungen in Technik und Ökonomie). Vgl. auch die online- Rezension zu ihrem Buch: Pühler 2008. ! 629 Bitsch.1970 Die chronologische Ordnung von Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft gerät dabei im Ich durcheinander, Gegenwart wird in der Wahrnehmung inexistent bzw. dort kaum noch differenzierbar. Deswegen versuchen Perverse – und nicht nur diese – in/mit ihren Operationen, die Zeit anzuhalten, sich eine buchstäbliche Auszeit zu geben, eine Zeit-Insel zu schaffen. Gerade Masochisten legen größten Wert auf das Hier und Jetzt ihrer performances. Sie begehren die Unmöglichkeit reiner Gegenwart, sie wollen teilhaben am ewigen Wachzustand des Eros im elektrischen Zeitalter.1971 Wechselstrom ist die unendliche und blitzschnelle Oszillation zweier diskreter Zustände eines elektrischen und eines magnetischen Feldes. Beide Felder „rufen sich, indem sie abwechselnd zusammenbrechen, gegenseitig auf.“1972 Etwas hält sich im Technisch-Reellen also selbstgesteuert am Laufen, indem es sich quasi gleichzeitig selbst zerstört und wiederaufbaut. Auf die symbolische Ebene übertragen, aus der Perspektive des Phallus, heißt das, wie gesagt, dass sich etwas erzeugt, indem es sich selbst kastriert (und umgekehrt), solange ein Kontakt hergestellt bzw. ein Stromkreis geschlossen ist. Man kann auch sagen, dass eine Dysfunktion Funktion macht. Eine der wichtigsten Thesen meiner Arbeit lautet, dass Masochisten und Masochistinnen bis heute versuchen, dieses Wechselstromprinzip um on und off unbewusst zu imitieren, medial zu inszenieren, um es dann in ihrem technisch ausgestatteten (Privat-)Theater, einem Dispositiv, gemeinsam und/oder mit sich selbst ausspielen zu können. Das können heute u. a. virtuelle Maskenspiele im Internet, Technotanz1973 oder einfach Computergames sein. Es ist die Intensität körperlicher Erfahrungen, die Affekt-Ebene der Partialobjekte, die dabei signifikant ist. Wo Severin also stillstehende Zeit wie auch Einsamkeit begehrt, auch wenn sie sich – wie sich im Verlauf des Films herausstellt – nach einer festen Beziehung, nach einem !!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!! 1970 Vgl. Bitsch 2009, 146. 1971 Vgl. ebd. 160. 1972 Vgl. ebd. 156. 1973 Aus eigener Erfahrung weiß ich, dass das Zeitgefühl beim Technotanzen suspendiert sein kann. Besonders dann, wenn das Set und die Stimmung gut sind, wenn sich der dancefloor für die tanzenden Leiber magisch öffnet. Wenn es funktioniert, wird diese Öffnung für eine Nacht sichtbar, etwas Wunderschönes: Molekularglitzern, moon dust. Eine Tanzfläche gibt es im Club Shortbus allerdings nicht (– dafür aber buntes Orgientreiben, was mit der heilsamen Kollektiv-Ekstase auf dem dancefloor, trotz Unterschiede, ein wenig vergleichbar ist). ! 630 bürgerlichem Leben mit Haus und Katze sehnt,1974 leidet James depressiv u. a. darunter, dass er all das quasi gerade hat. Es wird sich herausstellen, dass er plant, sich umzubringen. Für seinen Freund dreht er deswegen einen Film über sich selbst, den er auch schon am Computer schneidet. Es soll ein Abschiedsgeschenk werden: sozusagen sein Sterbefilm, der dann nicht nur für ihn selbst im Moment des Todes ablaufen wird.1975 Doch dieser ist noch nicht fertig, weswegen er sich permanent mit der Digicam aufzeichnet. Er würde an einem Kunstprojekt, über das er noch nicht spricht, arbeiten, erklärt er seinem interessierten Freund Jamie (PJ DeBoy). Ihre langjährige Beziehung kriselt, sie suchen – ähnlich wie Sacher-Masoch – einen Dritten für eine ménage à trois, um hier Abhilfe zu schaffen. Doch es geht James bei diesem Plan weniger um Sex, dies ist nur der Vorwand. Vielmehr möchte er einen neuen Partner für seinen Freund finden, damit er nach seinem Selbstmord nicht allein sein wird. Auch die hochprofessionelle und gebildete Paartherapeutin Sofia, Doktorin der Psychologie, hat – so empfindet sie es zumindest – ein großes Problem. Sie hatte noch nie einen Orgasmus.1976 (Nebenbei bemerkt: Auch Sade hatte Orgasmus-Probleme !!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!! 1974 Wie Severin Sofia später im Shortbus während einer gemeinsamen Sex-Handlung mitteilt, würde sie sich auch gern eine Auszeit nehmen, um Kunst zu machen. Doch dafür hat sie nicht das Geld. Sie lebt in einer Abstellkammer in einem Depot, das zum Wohnen nicht gedacht ist. Trotzdem hat sie sich diesen provisorischen, fensterlosen Raum behaglich eingerichtet – u. a. mit ihren zahlreichen Polaroids, die eine Collage ergeben. Diese Collage ist ihr Fenster zu Außenwelt. 1975 „Im Normalfall taucht die gesamte Biografie erst in den letzten Sekunden des Lebens auf, im berühmten Sterbefilm. Erst dann weiß man, wer man ist. Das ist der erste klare Blick auf den eigenen genetischen Code, damit hat man dann seine Schuldigkeit getan und kann gehen. Kunst ist der Versuch, die Zeit bis dahin zu verzögern, anzuhalten.“ Müller 1991, 71. Vgl. dazu auch Kittler 2002 (a), 29 f. 1976 Luce Irigaray spricht in Speculum vom einem „suspekten Fetischismus des Orgasmus“, den sie im Zusammenhang der psychotherapeutischen Behandlung ‚frigider’ Frauen aufzeigt und kritisiert. (Vgl. dies. 1980, 122 f.) Sofias Problem rührt wohl weniger daher, dass sie, wie mit Irigaray argumentiert werden kann, einer (männlichen) Erwartungshaltung entsprechen möchte, sondern weil sie einfach neugierig auf diese noch nicht gemachte sexuelle Erfahrung ist. Als Paartherapeutin wird sie mit dem Thema wahrscheinlich oft konfrontiert. – Zumindest theoretisch weiß sie eine Menge über Orgasmen, wie mehrere Stellen des Films belegen. Sie sagt, dass 70 Prozent aller Frauen Probleme beim Orgasmus haben, oder dass der Orgasmus durch die Massenmedien überbewertet ist: „Ein Mythos, um mehr Magazine zu verkaufen.“ Ihr Problem, „präorgasmisch“ zu sein, wie sie im Therapeuten-Slang ! 631 aufgrund – wie John Phillips annimmt – einer Geschlechtskrankheit oder eines chronischen Prostataleidens und deswegen Schwierigkeiten bei der Ejakulation.)1977 Sofias Mann Rob scheint ebenfalls sexuell nicht so ganz erfüllt zu sein, er surft auf Websites mit SM-Inhalten der etwas härteren Art. Trotzdem haben die Eheleute auch ziemlich viel Freude miteinander, auch und gerade beim Sex. Sie lieben sich. Club Shortbus Alle Personen werden sich in einem Privatclub namens Shortbus zusammenfinden und dort die Lösung ihrer Probleme, d. h. ihres Begehrens spielerisch in Angriff nehmen. Sie werden dort lernen, wie es Lacan in der Ethik der Psychoanalyse postuliert, nicht mehr davon abzulassen und es umzusetzen.1978 Der Name des Clubs ist keine Fantasieerfindung, weil es den shortbus tatsächlich gibt; es handelt sich um die auffälligen (kleinen) gelben US-amerikanischen Schulbusse.1979 Es geht hier sozusagen um das Transportmittel zu einer zukünftigen, nicht mehr allzu fernen Schule der Mehr-Lust (ars erotica). Der Privatclub in Brooklyn ist eine queer angehauchte Mischung aus Varieté, Salon, Filmclub, Kunstverein, Konzertbühne, Selbsthilfegruppe, Orgie und Beichtstuhl. Hier werden Sinnesfreuden offen zelebriert. Der Club ist ein Ort, an den man kommt, um andere um Vergebung zu bitten für das, was fehlt; wofür man sich schuldig fühlt, wovor man Angst hat und was weh tut. Etwas, das ein jeder kollektiv begehrt. !!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!! sagt, kommt zufällig gewaltsam ans Licht, als James und Jamie bei ihr auf der Therapie-Couch sitzen. Spätestens jetzt wird ihr klar, dass sie etwas dagegen unternehmen muss. Auf Empfehlung der ‚Jamies’ wird sie dann den Club Shortbus besuchen, dort in Selbsttherapie gehen. Das Thema präorgasmisch zu sein, trifft auch auf Linda Lovelace (alias Marchiano) in dem Porno-Spielfilm DEEP THROAT (1972) zu, dem ersten Porno, der eine sinnvolle Handlung hat, und im New Mature World Theater am New Yorker Times Square im Sommer 1972 Premiere feierte. Als ein Gerichtsbeschluss 1973 die Schließung diese Kinos erwirkte, hatten allein in New York über eine Viertelmillion Zuschauer den Film gesehen. Vgl. Williams 1995, 141 ff. 1977 Vgl. Phillips 2005, 26. 1978 Vgl. Lacan 1996, 383. 1979 Als die ‚Jamies’ bei Sofia in Therapie sind, sieht man durch ein Fenster im Hintergrund, wie ein solcher gelber Schulbus draußen vorbei fährt; ebenso kurz vorher, als sie bei Sofia vor der Haustür standen und klingelten. ! 632 Dies macht sich vor allem in jener Sequenz bemerkbar, als der ehemalige Bürgermeister von New York, der mittlerweile greise Ed Koch (Alan Mandell),1980 einen jungen Gast fragt, wofür er Vergebung sucht. (Das Handy dieses Gastes, das weiter unten im Text noch eine Rolle spielen wird, hatte Kochs Herzschrittmacher durcheinander gebracht – durch eine Störung wurde ihr Kontakt also hergestellt.) Doch der Gast antwortet vorerst nicht auf die Frage. Stattdessen beichtet Koch ihm daraufhin seinen eigenen Fehler und Lebenslügen. Auch wenn es ihm schwer fällt, er sich dabei noch zu rechtfertigen versucht, so gesteht Koch dem jungen Fremden schließlich sein versäumtes Coming-Out und politisches Versagen in der AIDS-Krise der 1980er Jahre. Er redet von seiner großen Angst und Unerreichbarkeit als Bürgermeister in dieser Zeit. Der junge, äußerst attraktive Mann, Ceth (Jay Brannan), erteilt ihm daraufhin mit einem Kuss quasi die Absolution. Ein ergreifendes Bild und Schlüsselmoment. Auch den ‚Jamies’ wird er helfen können: als Dritter in ihrem geplanten Sexspiel, was Mitchell höchst unterhaltsam bzw. anarchisch später in ihrer Privatwohnung !!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!! 1980 Das ist nur (eindeutige) Anspielung, im Nachspann ist von „Tobias, the Mayor“ die Rede. Ist dies auch eine Anspielung auf das Gemälde „Tobias und der Engel“ aus der Werkstatt von Andrea del Verrocchio, das irgendwann zwischen 1470 und 1475 entstanden sein muss? Es zeigt Tobias, Sohn des Tobit, wie dieser vom Erzengel Raphael auf einer Reise begleitet wird. Rafael hat Tobias einen Fisch gegeben, mit dessen Galle Tobias die Blindheit seines Vaters kurieren wird. Die Szene stammt aus dem Alten Testament. ! 633 inszeniert.1981 Nachdem Ceth Koch geküsst und umarmt hat, gibt es Stromschwankungen im Club, das Licht beginnt zu flackern. In diesem Moment kommt es zur ersten erotischen Blickaufnahme zwischen Ceth und den ‚Jamies’. Das Ideale, das Mitchell im Shortbus inszeniert, liegt darin, dass die meisten Gäste hier von ihrer Schuld, von ihren individuellen Begehren wissen (oder es dort erfahren) und nun Wege der Kommunikation suchen, es mit anderen zu teilen und auszuprobieren; Ihr Begehren muss dabei nicht mit Notwendigkeit verbalisiert werden, aber auf jeden Fall verständlich zum Ausdruck kommen. Das Nicht-Wissen vom eigenen (Lust-)Symptom war demgegenüber in allen anderen vorgestellten Filmen das große Problem der handelnden Figuren, die dies allmählich zu begreifen lernen. In VIDEODROME benennt Max Renn dies auch klar bzw. beichtet es seiner ‚grausamen Frau’ auf dem Fernseh-Monitor, vor dem er niederkniet, kurz bevor er vollständig zum Videosignal transformiert wird und im Nirvana des Reellen verschwindet. Seine wahre Erkenntnis kommt zu spät: ‚Ich habe meinen Weg noch nicht gefunden.’ Vielleicht ist der Shortbus eine (neue) Form der Clubkultur, in der die Begehrensformen und Lustpraktiken nicht von vornherein durch einen festgelegten Code, Stile oder Fetische einer bestimmten Szene reguliert sind (auch wenn alle etablierten Formen in dieser Hinsicht willkommen sind),1982 sondern sich erst einmal frei artikulieren und dann reorganisieren müssen, bevor die Party richtig los- und abgehen kann. Einer der Gäste im Berliner Club Golden Gate, ein Schauspieler aus Essen, bringt es nach einer rauschenden Nacht auf den Punkt, worum es in der heutigen, aufgeklärten Party-Kultur geht bzw. gehen sollte: „Heute Abend wurde Tschechisch, Russisch, Englisch, Spanisch gesprochen. Ich bin mit Leuten in Kontakt gekommen, mit denen ich normalerweise gar nicht sprechen !!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!! 1981 James ‚bläst’ dabei u. a. Ceth die US-amerikanische Nationalhymne in den Hintern. Bevor dieser ‚flotte Dreier’ beginnt, hat Ceth den ‚Jamies’ zur Einstimmung schon ein romantisches Gitarrenständchen gebracht. 1982 Vgl. M. Butler, Dissertation 2011. Er beschreibt u. a. die Spielformen bzw. Techniken des Selbst in dem Londoner Fetischclub Torture Garden. Butlers Arbeit ist ein wundervoller Einblick in diese Subkultur, wie sie auch im Shortbus vorherrscht. ! 634 würde. Dieser Raum ist sonst gar nicht da, ein Grundbedürfnis menschlichen Zusammenlebens zu erkennen, was heißt: gegenseitiger Respekt, Aufmerksamkeit, aufeinander aufzupassen, miteinander aber auch exzessiv zu feiern. Es kann sein, dass wir nur fünf, sechs, sieben Jahre unsere Jugend damit verbringen, diese Kultur zu leben, bevor wir Kinder haben, bevor wir ’ne Frau kennenlernen, uns sesshaft machen. Aber es bildet uns im menschlichen Sinne. Früher sagten die Leute, ich war in der Armee, und da hab ich gelernt, wie es ist, mit dem Leben umzugehen. Ich war im Golden Gate und habe gelernt, wie es ist, mit Leuten zu reden.“1983 Der Shortbus ist ein idealer Querschnitt durch mehrere Szenen, Gesellschafts- und Altersschichten, „ein Salon der Begabten und Behinderten“,1984 erklärt der schwule Inhaber Justin Bond, der sich hier selbst spielt und Sofia bei ihrem Problem behilflich ist. In einer Sequenz sitzen sie zusammen auf dem Sofa und schauen dem bunten Orgientreiben z. B. im ‚Sex statt Bomben-Raum’ zu:1985 „Das ist wie in den 1960ern, nur mit weniger Hoffnung“, kommentiert Bond ein wenig abgeklärt und gewohnt spitzzüngig und direkt. !!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!! 1983 Vgl. taz vom 17.8.2012, 23 („In Berlin ist Feiern ein Menschenrecht“, Interview von Detlef Kuhlbrodt, Ulrich Gutmair). 1984 Behinderung und Begabung schließen sich also keineswegs aus. Wo bei Kittler „die modernen Medien [den] physiologischen Handycaps ihrer Erforscher“ entsprangen (vgl. Kittler 1986, 184), liest Norbert Bolz Behinderung als Auswirkung technischer Medien: „[S]arkastisch fordert uns Jean Baudrillard auf, von den Behinderten die Kunst der Anpassung an das Mutanten-Milieu der neuen Medien zu lernen.“ (Vgl. Bolz 1992, 118.) In FALSCHER BEKENNER bezeichnet sich Armin, nachdem er den Rollstuhl eines behinderten Jungen aus Spaß ‚angetestet’ und unabsichtlich zusammen mit der Nachbarstochter kaputt gefahren hatte, als geistig verkrüppelt. Eine erste Selbsterkenntnis. 1985 In SHORTBUS gibt es zahlreiche Dispositiv-Anordnungen, in denen zwei Personen einer dritten gegenübersitzen – z. B. die Jamies gegenüber Sofia, die auf einem aufblasbaren Gummiball ‚thront’, in der Therapiestunde; oder Jamie als Bademeister auf einem Hochsitz gegenüber zwei cruisenden Männern am Beckenrand (kurz bevor die Wasserleiche auftaucht). Im Shortbus sitzen Sofia und Bond nicht einer dritten Person gegenüber, sondern der Orgie. ! 635 Bond: „Also, wie geht es mit dem großen O voran? Alle hier sprechen darüber, alle wissen Bescheid. Das ist die Frau, die keinen Orgasmus haben kann!“ Sofia: „Oh Nein!“ Bond: „Du solltest etwas lockerer werden. Ich finde, Du hast sehr hübsche Titten. [Sofia fasst sich an ihre Brüste, vergewissert sich sozusagen.] Du hast alles, was erforderlich ist. Also, worauf wartest Du noch?“ Sofia: „Ich denke, ich habe so eine Art Stau in meinen Nervenbahnen, irgendwo zwischen meinen Kopf und meiner Klitoris.“ Bond: „Das ist ja ekelig! [...] Sieh es eher als eine Art magische Schalttafel, eine Festplatte gefüllt mit einer Begierde, die über die ganze Welt reist [le grand tour à travers le réell (Anmerkung S. P.)],1986 die Dich berührt, die mich berührt, die alle verbindet. Du musst nur noch den richtigen Anschluss finden – [im Flüsterton] den richtigen Schaltkreis. [wieder laut] Sieh Dir all die Leute an, sie versuchen nur die richtige Verbindung zu finden. Und ich erwarte noch ein paar durchgeknallte Sicherungen, bevor der Abend vorbei ist und vielleicht wird eine davon Dir gehören. [...] Es ist Zeit, zu spielen. Die ganze Welt gehört Dir. Sie ist Dein Spielplatz!“ !!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!! 1986 Vgl. dazu die VIDEODROME-Analyse in dieser Arbeit. ! 636 John Lindell Diese magische Schalttafel lässt sich auch in der Kunst des New Yorker Architekten John Lindell finden. In „The Relay Race, 1994, Tinte, ca. 279 x 604 cm“ hat er aus erogenen Zonen quasi einen kleinen Schaltplan entwickelt und ziemlich großflächig an eine weiße Wand gezeichnet. Mund, Nippel, Eichel, Testikel, Anus und eine Leerstelle werden minimalistisch bzw. formalistisch als Schaltsymbole angeschrieben und über Vektorenpfeile miteinander verbunden. Im Gegensatz zur Shortbus-Orgie handelt es sich in diesem Diagramm um die Verbindung von ausschließlich männlichen erogenen Zonen. Die phallische Dimension dieses ‚Schaltprinzips’ wird durch ein schwarz lackiertes kleines Kasten- Objekt (Social Sculpt #6, 1994, lackiertes Holz, 15 x 61 x 23 cm), das auf vier Füßen steht und an eine Mischung aus Ottomane, schwarzem Monolith und organlosem Körper en miniature erinnert, verdeutlicht. Das geerdete Objekt erzeugt eine starke Spannung gegenüber der quasi frei im Reellen schwebenden Schaltplanskizze an der Wand. Ich sehe in dieser Installation eine SM-Apparatur, die auf ihr reines Funktionsprinzip, schwulen machine-sex inklusive ferngesteuertem Phallus-Begehren, reduziert ist. In weiteren Darstellungen ist dieses geschaltete Begehren in Form von ‚aufgeregten’ Kreisen und Ellipsen, die sich um die Symbole des Schaltplans verdichten, erweitert worden. ! 637 In die hellen Kreisbahnen werden dann noch einmal diese Symbole, fetischistische Substitute männlicher Körperöffnungen und Geschlechtsorganteile, in verkleinerter Form und quasi als weiße Flecken, eingestreut. Frei herumschwirrende Halbkreise sind ebenfalls abgebildet. Sie stehen für die Öffnungen in dieser Apparatur. Der schwarze Phallus ist nun als sichtbares Objekt abwesend, allerdings scheint seine Wirkung keineswegs nachgelassen zu haben, wie in der dunklen Hintergrundgestaltung der nachfolgenden Bilder der Serie „Untitled“ wahrzunehmen ist. Gleichzeitig kommen aber neue, helle Elemente zum Vorschein, die in ihrer Form an Pantoffeltierchen oder (Glücks-?)Tränen erinnern. Sogar die Umrisse einer Blüte bzw. See-Anemone heben sich auf dem dunklen Grund eines der Bilder schwach ab.1987 In späteren Arbeiten, die an „Untitled“ in Schwarz-Weiß anknüpfen, kommt auch Farbe ins Spiel, wie z. B. das Tiefrot in „15 – Hot“ aus dem Jahr 2000.1988 Das, was in Bonds Rede und Lindells (Installations-)Kunst deutlich wird, ist ein technisch lesbares Schalt- bzw. Steuerungsprinzip sexuellen Begehrens, wie es u. a. für die Medialität im SM, den Partialorgan- bzw. -objekt-Diskurs der Psychoanalyse (inklusive deren Elektrizitätsmetaphern) oder wie es für Deleuzes und Guattaris Wunschmaschinenkonzept typisch ist – ein Begehren, das in dieser Arbeit vorgestellt !!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!! 1987 Vgl. Sanders (Hrsg.) 1996, 16, 140. 1988 Wagner, Friedrich und Museum Ludwig Köln (Hrsg.) 2006, 56 f. ! 638 und versuchsweise historisch rekonstruiert wurde. Es tangiert auch das Matrix- Denken in VIDEODROME bzw. Guilbauds/Lacans kleine Grammatik der Netze. Sofias Vibrator-Ei Die unbewusste Koordination oder Steuerung eines Partialobjekts durch den Phallus illustriert auch Mitchell sehr anschaulich und unterhaltsam. Als Sofia mit ihrem Ehemann Rob eine Party im Shortbus besucht, hat sie die Idee, sich ein fernsteuerbares, batteriebetriebenes Dildo-Ei vaginal einzuführen. Die phallische Fernbedienung, mit der die Vibrationsintensität reguliert werden kann, überreicht sie stolz ihrem Ehemann Rob. Sie scheint medial-masochistische Kontrollgelüste, die sie auf ihren Ehemann projiziert, in dieser queeren Umgebung zu entwickeln. Wichtig bei diesem Vorgang ist, dass es ihr eigenes – und eben kein männlich- patriarchalisches – Kontrollbegehren ist, dass hier signifikant ist. Ihr Mann ist sichtlich überrascht: „Das ist doch nicht wahr, Sofia!“, bemerkt er, als Sofia ihm ihr Vorhaben erklärt und sich dabei das Ei aus Plastik einführt. Nachdem er die Fernbedienung jedoch ausprobiert hat, findet er ihr Spielchen amüsant.1989 Trotzdem !!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!! 1989 Im Vergleich zum klassischen Masochismus sind die Geschlechtsrollen vertauscht: ‚grausame (Ehe-)Frau’ ist sozusagen Rob und Sofia ‚Masochist’. Er soll sie nicht auspeitschen, sondern ihr elektrisches Vibrations-Ei nach Belieben bedienen. Der Lust-Impuls kommt in diesem Spiel dann nicht mehr von außen über die Haut, sondern von innen, aus ihrer Vagina. Das ist insofern bemerkenswert, als Geschlechtsorgane in der klassischen Maso-Prozedur keine Rolle spielten. Rob als notwendiger Spielpartner muss nicht in unmittelbarer Nähe oder im selben Raum anwesend sein; Sofia muss ihn auch nicht sehen. Das ist der suspense und der erhoffte Kick der Mehr-Lust. Dieser besteht für sie darin, dass sie nicht weiß, wann, wie lang und heftig er die Vibratorfunktion in ihr auslöst – oder ob er sie überhaupt bedient. Wie im klassisches Maso-Spiel ist das Begehren nach Kontrolle bzw. ! 639 wird er es auch schnell wieder vergessen und die Fernbedienung sogar verlieren, was zu komischen Zwischenfällen führt, gerade wenn Sofia z. B. mit Justin Bond oder Severin intim werden möchte. Diese Fernsteuerung fällt schließlich in die Hände anderer, jemand verwechselt sie mit einer Fernseher-Fernbedienung. Dies führt zu einer weiteren Panne in Sofias Lustspiel und zeigt generell die dazwischenfunkende und schließlich unbeherrschbare Macht des Anderen im technischen Begehren, die heute viele andere in der Hand haben (können), auf. Was als lustbringende Kontrollmaßnahme gedacht ist, entpuppt sich so als Lustkiller und löst sogar eine Pöbelei im Shortbus aus – was an solchen Orten sehr ungewöhnlich ist. Sofia wird ihr elektrisches Ei dann draußen vor dem Club zertrümmern. Sie benutzt dafür das Bein bzw. Knie einer Schaufensterpuppe, eine Prothese, die zu Dekorationszwecken im Eingangsbereich des Clubs an der Wand angebracht war.1990 Ein künstliches Partialobjekt verfolgt in dieser dramatischen Sequenz ein anderes, das Ei hüpft beim Draufhauen hin und her, Sofia hat Schwierigkeiten es zu treffen. Der Soundtrack zu dem Vorgang ist ein (für mich) unverständlicher, skandierend-anfeuernder Sprechgesang: ‚Du schaffst es!’ Sofia schafft es tatsächlich und ist danach fix und fertig. Sie hat ein selbstgemachtes, falsch laufendes Steuerungsprinzip ihrer Lust erkannt und erfolgreich eliminiert – der richtige Schritt, eine Selbsttherapie. Bond hatte ihr dafür (unbewusst) die richtige Metapher kommuniziert: eine weltumspannende, alles verbindende, magische Schalttafel, die ja zumindest in ihrem technischen Prinzip mit ihrem elektrischen Dildo-Ei, diesem Ehehygiene-Artikel, !!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!! Fernsteuerung auf jeden Fall signifikant, auch wenn sich diese eben technisch verändert und sich sozusagen ins Körperinnere verschoben hat – eben der versteckte Phallus in der Frau (Maso-Fantasie). 1990 Hier sei noch einmal an FUNNY GAMES (U.S.) erinnert, an das zertrümmerte Knie Georg(e)s, seine Verletzung, über die die bösen Buben Paul und Peter ihn sadistisch kontrollieren: Immer wenn er Widerstand zu leisten versucht, bekommt er einen äußerst schmerzhaften Schlag auf seine Wunde. Lacan bemerkt in seinem Sade-Aufsatz: „Man stelle sich vor, eine Wendung Epiktets hätte Eingang in die Sadesche Erfahrung gefunden. ‚Siehst du’, sagt er, ‚du hast es zerbrochen’ und zeigt auf sein Bein. Wird nicht die Lust, herabgewürdigt auf das Schmähliche einer solchen Wirkung, an der ihre Erforschung ins Straucheln gerät, in Ekel verwandelt?“ (Vgl. Lacan 1986 [b], 142) – Sofia wirkt dem entgegen. Sie beendet das Schmähliche und Schmerzliche ihres Experiments, ihre schiefgegangenen libidinösen Kontrollgelüste, gerade indem sie es mit einem Schaufensterpuppen-Bein bzw. -Knie zertrümmert. Vgl. zur Bedeutung des Knies in Freuds Urszene, in dem sich der Fetisch konstituiert: Freud 1999 (d), 329 f. und Böhme 2006, 401 f. (Die Kniebeuge als Demutsgeste gehört seit dem 13. Jahrhundert zur Praxis der Christen – eine Vorschrift. Vgl. Foucault 1992, 78.) ! 640 vergleichbar ist. Sofia hat bemerkt, auch natürlich indem sie die Orgie aufmerksam beobachtete und die anregende erotische Stimmung um sich herum aufnahm,1991 dass dieses Sex-Hilfsmittel doch ein paar Nummern zu klein für ihr Begehren ist, dass es zumindest in dieser Anwendung an einem Ort wie dem Shortbus, einem Raum frei flottierender Libido, gewiss nicht funktionieren kann und im Weg steht. Ihr kleines o, symbolisiert durch das Elektro-Ei, war vorerst aber noch stärker und hinderte sie daran, zum Ziel des großen O, zum ersten Orgasmus, zu gelangen. So ein Sex-Ei gibt es auch in Nagisa Oshimas Film IM REICH DER SINNE (1976), hier jedoch ohne Fernsteuerung und nicht elektrisch. Dieser Bezug ist eindeutig, da der englische Titel des Films In the Realm of the Senses sogar auf Sofias Ei gedruckt steht. Im Gegensatz zu SHORTBUS verschafft dieses Hilfsmittel den ProtagonistInnen bei Oshima mehr sexuelle Lust. Wo Oshimas Werk sadistisch mit dem abgeschnitten Penis des Protagonisten endet, steht die Zertrümmerung einer verkürzten Phallus-Prothese, Sofias Elektro-Ei, in Mitchells Film im Vordergrund, das ist der wichtige Unterschied. – Eine (indirekte) Kritik Mitchells an Oshimas Werk bzw. der hier angewandten Gewaltlust, einer realen Kastration?1992 Auf jeden Fall markiert/dokumentiert Mitchell eine Veränderung in der SM-Lust-Ökonomie: nicht mehr das reale Organ muss zerstört werden, sondern heute gegebenenfalls nur noch das reelle ‚Organ’, das der (nach wie vor phallisch-elektrisch strukturierten) Medien. . Auch wenn Sofias Testversuch frustrierend endete, so hat sie dabei nicht nur ihren Begehrensspielraum, sondern auch ihren Erkenntnishorizont mit Hilfe der Metapher erweitert:1993 mit Bonds erstaunlichem Sex-Wissen (à la Lacan bzw. Sade),1994 das er !!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!! 1991 In Zusammenhang mit Bonds Technometapher und Sofias Orgien-Schauen kann mit Nietzsche und Bolz von einer sogenannten „Anschauungsmetapher“ gesprochen werden. Diese hat es im Begriffsgebäude der neuzeitlicher Wissenschaft und Technik, einer Sprache der Abstraktionen, meist schwer. Vgl. Bolz 1991, 61. 1992 IM REICH DER SINNE wurde in der französischen PoststrukturalistInnen-Szene damals, in den späten 1970er Jahren, viel diskutiert. 1993 „Man weiß nichts über seine Sinne, bevor nicht Medien Modelle und Metaphern bereitstellen.“ Kittler 2002 (a), 28. 1994 Sofias ‚großes O’, von dem Bond redet, kann mit Lacans big Other oder wie dieser bereits bei Sade als „Supreme Other“ bzw. „The Supreme Nothing“ in Erscheinung trat, analogisiert werden. Vgl. ! 641 ihr intuitiv vermittelte, denn von ihrem inneren Ei, dieser Schaltung, wusste er nichts. Er zeigt dennoch reichlich Menschenkenntnis, d. h. Sinn für weiterführende Technometaphern, die das Sein heute tangieren und mit denen u. a. das Geheimnis der Sexualität – auch wenn es nicht gelüftet werden kann – zumindest in seiner technischen Struktur näher bestimmbar wird. Selbstverständlich waren auch Bonds sehr direkten Komplimente in der Situation hilfreich. Sofia wird Kontrollgelüste dieser Art in Zukunft wohl sein lassen oder zumindest überdenken. Diese Phallus- Funktion bei/in ihr ist nun ‚kleiner’ geworden, hat ihre Wirkmacht demnach ein Stück weit verloren. Ihre Suche kann also weitergehen, um ‚den richtigen Anschluss, den richtigen Schaltkreis’ noch zu finden. Um vom Besonderen dieses technischen Maso-Spielchens auf die Metaebene des Allgemeinen zu gelangen, sei ein Zitat von Heiner Müller angeführt, das heute gewiss nicht nur für die europäische Kultur bedeutsam, sondern vielmehr auf globaler Ebene, in Form(en) der Kontrollgesellschaft (Deleuze),1995 virulent ist: „[E]in wichtiges Charakteristikum der europäischen Kultur ist der ständige Versuch, den Menschen die Fähigkeit abzutrainieren, Erfahrungen zu machen. Überall werden Zwischenschaltungen eingebaut, damit zwischen der Sache und dem Menschen keine unmittelbare Beziehung besteht. Nur darf man aus dieser Kritik nicht den Kurzschluss ziehen, die Technik rundheraus zu verdammen. Sie muss gegen imperial-repressive Ausrichtung eingesetzt werden, etwa zur Steigerung des individuellen Genusses benutzt.“1996 Es gibt neben Sofias Experiment noch ein weiteres Beispiel für eine solche problematische, Libido-hemmende Zwischenschaltung: Ceth ist auf der Suche nach einem Ehemann im Shortbus; sein Handy namens ‚Yenta 650’ soll ihm dabei behilflich sein. Eine app ermöglicht es, Kontakt zu anderen Männern aufzunehmen und dabei vor allem ihre Profildaten zu checken, wie Ceth Sofia erklärt und auch !!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!! Sollers 1994, 77; Originalzitate von Sade in der hier vorliegenden englischen Übersetzung seines Briefes an den Kardial Bernis vom 7.12.1793. 1995 Vgl. Deleuze 1993 (b). 1996 Müller 1990, 39. ! 642 vorführen kann. Denn ein Interessent meldet sich alsbald: ein Klingelton ist zu hören, auf dem Display des Geräts wird dessen Foto, auf das eine weibliche, sprechende Avatar-Comicfigur hinweist,1997 eingeblendet. Dieses Foto wird nun lebendig, da die männliche Kontaktperson auch schon neben ihm steht; in der Hand hält sie ebenfalls ein ‚Yenta 650’.1998 Dabei fällt Ceths Augenmerk sofort auf die hier angegebene Penisgröße des Interessenten,1999 was diesem vor anderen unangenehm ist – obwohl er diese Daten selbst angegeben und somit öffentlich gemacht hat. Der Interessent verschwindet aufgrund dieser vermeintlichen Peinlichkeit in einem Nebenraum des Clubs, Ceth sagt, dass er ihm folgen wird. – apps können bei der PartnerIn(nen)- bzw. Sexsuche gewiss behilflich sein, doch in einem Club, Kino oder Theater (Räume erweiterter Selbstinszenierung bzw. -performanz) haben diese Geräte und ihre Anwendungen, zumindest wenn sie eingeschaltet sind, generell nichts zu !!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!! 1997 Auch hier wird Ceth’ (in die Zukunft gerichtetes) Begehren (nach einem Ehemann) noch durch eine Technofrau auf dem Display seines Yenta 650 übermittelt. Eine weibliche Avatar-Figur als phallisch codierte Zwischenschaltung beherrscht in dieser kurzen Szene sozusagen wie im klassischen Masochismus männliches Begehren – kein patriarchalisches, sondern schwules (was sich jedoch nicht ausschließen muss). Sie verweist u. a. auf Schwanzgrößen anderer Männer in diesem Medium. 1998 Nebenbei bemerkt: Jenta ist ein reiner Frauenname und stammt aus dem Jiddischen. Im Jahr 650 sind nicht nur [Groß-]Mächte zusammengebrochen, sondern auch der Papyroshandel nach Europa. Vgl. Wikipedia-Artikel zum Jahr 650 n. Chr. unter: http://de.wikipedia.org/wiki/650 1999 Zum Penisneid unter Männern vgl. Böhme 2006, 458. Und zur (humorvollen) ‚Pimmelbeschau’ mit Freud und Lacan vgl. Lacan 1987, 204: „Selbst ein Sexualglied beschauen“ – [...] einer beschaut sich in seinem Sexualglied“. ! 643 suchen, ebensowenig wie leuchtende Werbeflächen von Sponsoren oder Getränkeherstellern. Sie sind beim Spiel der Kontaktaufnahme und Verführung nur im Weg. Schon Sigmund Freud hatte im Unbehagen der Kultur (1930) – und da schließt Sofias und Ceth’ Erfahrung und Heiner Müllers Zitat indirekt an – bemerkt, dass es die Libido unter technischen Bedingungen nicht gerade einfach hat, es Schnittstellenprobleme gibt und sich der damalige analoge Mensch als „eine Art Prothesengott [...] in seiner Gottähnlichkeit nicht glücklich fühlt“.2000 Dieses störende Phallus- bzw. Schnittproblem der Medien und ihrer Subjekte kommt in der Anwendung von Sofias Ei und der Yenta-650-Kleinstgeräte noch deutlich zum Ausdruck. Es ist nach wie vor sehr virulent, auch wenn das paranoide Gott-Spielen heute gewiss – zumindest auf der medialen (Körper-)Oberfläche – sichtbar nachgelassen hat und es nun vielmehr um die Schizo-Erkenntnis, das lustvolle Spüren medialer (Fremd-)Körperteile und deren optimierten interfaces geht, von denen wir noch nicht genau wissen, ob sie das, was sie uns (unbewusst) versprechen, tatsächlich einlösen werden. Bei Sofia und Ceth hat sich dieses Versprechen in ihrer Medien- Sex-Praxis noch nicht erfüllt. Aber sie haben zum Glück noch andere Mittel. Becoming woman Nicht für alle Kommunikations- und Begehrensformen scheint die location des Clubs demnach geeignet zu sein. So wundert es nicht, dass Sofia und Severin, nachdem sie sich im Shortbus (über einen störenden Polaroid-Schnappschuss Severins, den Sofia völlig unangebracht fand)2001 kennengelernt haben, einen ruhigeren Ort suchen. Sie verabreden sich in einem Dampfbad, um zu zweit in ungestörter Atmosphäre reden zu !!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!! 2000 Vgl. Freud 1997 (b), 58. Das Gefühl der Gottähnlichkeit, diese Hybris und dieser Größenwahn, ist schon Beweis genug, dass die Libido auf dem Niveau analoger Prothesen im Jahr 1930 schief läuft, dass etwas nicht stimmt mit ihr – schon weil Gott doch seit Ende des 19. Jahrhunderts, zum Zeitpunkt der gesellschaftlichen Durchsetzung technischer Medien, wirklich tot ist. 2001 Generell lässt sich beobachten, dass etwas Produktiv-Neues immer dann in SHORTBUS oder im SM erscheint, d. h. die Möglichkeit eines neuen Zeichens ins Spiel kommt, wenn eine Störung im Sinne einer technischen Dysfunktion stattfindet: Schnitt und Schnitte (cuts und cutter) im Realen. ! 644 können. Sie steigen dann in einen geschlossenen, mit Wasser gefüllten Tank, in dem sie – angestrahlt von grünem Licht – wie Aliens wirken. Dort erklärt und zeigt Severin Sofia, wie sie sich am besten befriedigen, wie sie zum Orgasmus kommen kann. Und Sofia ist Severin dabei behilflich, ihre Identität anzunehmen, z. B. ihren richtigen Vornamen vor anderen auszusprechen. Es ist nur konsequent, dass Mitchell dieses intime Gespräch unter Frauen gerade als ein Moment der Fremd- und Andersheit inszeniert, werden solche Momente doch zumindest selten dokumentiert –:2002 „Denn von der Besonderheit des Begehrens zwischen Frauen ist nichts enthüllt, nichts ausgesagt worden“, schreibt Luce Irigaray in den 1970ern.2003 Das gilt auf jeden Fall für die Frauen(figuren) im klassischen SM (Wanda, Justine, Juliette u. a.), deren eigenes Begehren ja auch nicht zur Sprache kommt, da es hauptsächlich von herrschsüchtig-verpeilten Männern und deren Lust(techniken) besetzt und beansprucht – manipuliert – ist; sie in erster Linie literarische Marionetten des Begehrens ihrer Schöpfer sind.2004 Dies fällt hier im Austausch weiblichen Begehrens unter Frauen weg und schafft Platz für Neues: becoming woman. Für Severin und Sofia bedeutet dies, dass sie die Gründe für ihre !!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!! 2002 Wenn zwei Frauen zusammenkommen und sich etwas Wichtiges zu sagen haben, wird es meistens sehr spannend, vgl. z. B. Maria und Elisabeth in Schillers Drama Maria Stuart (vierter Auftritt im dritten Aufzug). Hier geht es um große Politik, das Schicksal von Nationen. 2003 Vgl. Irigaray 1980, 128. 2004 Tatsächlich ist auch in diesem Gespräch – zumindest am Anfang – von Männern die Rede. Sofia schwärmt von ihrem Ehemann Rob. Severin behauptet, dass die Mehrheit der Männer A...löcher sind. ! 645 erlebten Grausamkeiten, ihr Eingeschlossensein, ihr Problem, benennen: Sofia, die chinesisch-kanadischer Herkunft ist, wurde von ihrer Mutter viel zu streng erzogen und Severin wurde als Kind missbraucht. – Momente der Wahrheit in SHORTBUS, die kurz bevor sie ausgesprochen werden, noch einmal Gewalt bzw. Ablehnung erzeugen. Doch Eros wird diesmal stärker sein. – „Spüre zuerst den Gedanken, dann steige in den Bus!“, sagt Severin, die, wie wir dann von ihr erfahren, Jennifer heißt. Sofia ist nun nach all den selbst gemachten Erfahrungen, dank Severins/Jennifers und Bonds Hilfe,2005 bestens ‚gewappnet’, um ans Ziel ihrer Suche zu gelangen. Sie imaginiert sich, als sie in einer Therapie-Stunde, von einem biederem Ehepaar gelangweilt, durchs Fenster schaut und draußen das Grün des Central Park erblickt, an einen idyllischen Ort, der ihr wie geeignet für ihren ersten Orgasmus erscheint:2006 Ein weitläufiges, naturbelassenes Küstengebiet, stehendes Brachwasser, in der sich – surreal anmutend – eine einsame Parkbank und eine leuchtende Laterne (aus dem Central Park) befinden: maritime Atmosphäre, rötlich weich gezeichnet und mit freier Sicht auf die unruhige Oberfläche des Meeres und den Horizont. – Eine Anspielung auf Freuds ozeanisches Gefühl bzw. das (weich gezeichnete) Klischee davon?2007 !!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!! 2005 Jennifer hatte für Sofia eine Szene imaginiert, in der sich Sofia lustvoll verführen lässt (und die sie auch sehr stimulierend findet). 2006 Sofias Tagträumerei führt sie ins „Waldesinnere[] des Fantasmas“ (Lacan 1986 [b], 146), dessen Unterholz sie dann mühsam durchquert, um an ihren imaginären Wunschort zu gelangen. Vgl. zur Metapher des inneren Waldgebietes auch den Schluss der VIDEODROME-Analyse in dieser Arbeit. Im Gegensatz zu Max Renn schafft Sofia es, dieses zu durchqueren. 2007 Dieses Gefühl zeugt von der „unauflösbaren Verbundenheit, der Zusammengehörigkeit mit dem Ganzen der Außenwelt“ – schrankenlose kosmische Eintracht. Klaus Theweleit bemerkt, dass Freud das ozeanische Gefühl selbst nicht kannte und es deswegen so ausführlich beschrieben hat. Vgl. Theweleit 1980 (a), 258. ff. ! 646 Während Sofia hier, an diesem heterotopen Ort, den Abend allein verbringen wird und allmählich in ‚O’-Stimmung kommt, verzahnen bzw. verschalten sich wie in der Exposition noch einmal verschiedene Schicksale bzw. sexuelle Begierden. In dieser Montage, die wie am Anfang des Films so verdächtig an Robert Altmans SHORT- CUTS-Ästhetik erinnert,2008 sehen wir nicht nur Sofias Selbstbefriedigungsversuch in der Abenddämmerung, sondern James, Rob und Severin ebenfalls bei parallel geschnittenen Sexhandlungen, die für sie neu und ungewohnt sind: James wird von einem Stalker, Caleb (Peter Stickles), der ihn bereits durch den gesamten Film hindurch – sogar im Shortbus – heimlich verfolgte,2009 nicht nur in !!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!! 2008 In Werken wie NASHVILLE (1975), SHORT CUTS (1993) oder GOSFORD PARK (2001) führt Robert Altman in virtuos montierten, parallel laufenden Handlungssträngen dutzende Schicksale zueinander oder aneinander vorbei. Das polyphone Stimmenwirrwarr einer postmodernen Wirklichkeit – inklusive ihrer verdeckten sozialen Brüchigkeit – kommt dann plötzlich und unverhohlen ans Licht. Die zahlreichen Fragmente, die Altman mit anwachsendem Spannungseffekt immer dichter miteinander verwebt, sind Ausdruck seines panoramischen Stils, der niemals verschleiert, sondern eine distanzierte Bestandsaufnahme bestimmter Verhältnisse ermöglicht. Seine genaue Beobachtungsgabe und raffinierte Erzähltechnik, die stets mehrere, auch sehr konträre Lesarten zulässt, haben ihm Titel wie ‚Meister des Sublimen’ oder ‚Goya Amerikas’ eingebracht. Er gilt als Erfinder des amerikanischen Monumental-Mosaiks. Vgl. Self 2002. 2009 Schon in der Anfangssequenz verfolgte dieser junge Stalker James. Mit einem Teleobjektiv beobachtete er ihn voyeuristisch aus seiner Wohnung z. B. beim Autofellatio-Experiment. – Eine Anspielung auf Alfred Hitchcocks FENSTER ZUM HOF (1954); gleichzeitig eine Aktualisierung hinsichtlich sexueller Freizügigkeit bzw. Explizitheit. Stalking kann dem Themenkomplex ! 647 letzter Sekunde vor dem Selbstmord im Schwimmbecken gerettet,2010 sondern dieser Stalker-Lebensretter wird ihn, auf James’ Wunsch hin, sogar zum ersten Mal anal penetrieren – was für James zuvor ein Tabu war. Rob trifft Severin, um ihre Domina- Dienste in Anspruch zu nehmen. Sie peitscht ihn heftig, beschimpft ihn dabei und gerät schließlich außer sich – „Schau mich nicht an!“, ruft sie mehrmals verzweifelt aus. Rob nimmt sie in die Arme und tröstet sie dann. Jamie entdeckt James Abschiedsfilm(-Ordner) auf dem Computer-Desktop und klickt darauf: In diesem Film ist u. a. James als kleiner Junge auf (digitalisierten) Super 8-Aufnahmen zu sehen, wie er mit einem Stock auf eine große, weiße dummy-Puppe einschlägt und wie er ihr dann den Bauch aufschlitzt und ihre Eingeweide – Füllmasse – herausnimmt. (Der Unterleib als eine der grotesken Körperzonen überhaupt stand auch in VIDEODROME und in THE HURT LOCKER im Mittelpunkt bzw. wurde in diesen Filmen ebenfalls ziemlich malträtiert.) Noch einmal bricht hier sozusagen ein Sturm aufgewühlten Begehrens los: ‚peitschendes’ Antesten heimlicher Lüste, mühsames Abarbeiten angestauter sexueller Energie, bis Sofia endlich, es ist mittlerweile Nacht, ihren ersten Orgasmus krampfartig in die Dunkelheit hinausbrüllt – auch stellvertretend für die anderen in dieser unter Hochspannung stehenden ‚Sex- Collage’, unbewusstes Netzwerk der SM-Lust.2011 !!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!! masochistischen Jagens subsumiert werden, gerade dann, wenn – wie es hier bis zur Rettungsaktion der Fall ist – der/die StalkerIn unerkannt (maskiert) bleiben möchte (und dies heimlich tut). 2010 Als sich James mit einer Plastiktüte unter Wasser zu ersticken versucht, bläht sie sich zu einer Herzchen-Form auf. Auch das ist in gewisser Weise SM: ein aufgeblasenes bzw. einhüllendes Partialobjekt – hier als ästhetischer Nebeneffekt dieses Selbstmordversuchs. Dieses Herz schwillt sozusagen an. Vgl. noch einmal Vogl und Kluge: „[D]as Herz stockt in einem Zwischenbereich zwischen Leben und Tod.“ Dies. 2004, 252. 2011 Sie schaut während ihrer Selbstbefriedigung zur Seite, so als ob sie nicht ertragen könnte, was sie gerade erlebt. – Severins Ausruf „Schau’ mich nicht an!“, der als panische Ablehnung des Lacanschen Che vuoi? (Was willst Du? Was will der a/Andere von mir?) lesbar wird, scheint sich demnach auch auf Sofia unbewusst zu übertragen. Auch James scheint sich in dieser Sex-Montage nicht ganz wohl zu fühlen. Alle ProtagonistInnen erleben intensiv die Fremdheit/ Entfremdung/ Alienation ihrer sexuellen Identität bzw. Handlungen. Diese Intensivierung des Begehrens, so verstörend und schwierig sie für alle Beteiligten ist, hat jedoch einen heilsamen Effekt, da sie aktiv durchlebt wird und etwas Neues bedeutet. Ihr Sein öffnet sich. ! 648 Kosmischer Kurzschluss Durch ihren Orgasmus erzeugt Sofia einen kosmischen Kurzschluss, nichts anderes als das Wesen der Lust, wie mit La Mettrie im Eingangszitat zum ersten Kapitel gesagt wurde, der in New York die Lichter schlagartig ausgehen lässt. Dieser Stromausfall als orgiastischer Höhepunkt ihrer Selbstbefriedigung ist auch ein schönes Bild für die Libido-Konzeption im Anti-Ödipus, wie sie Deleuze und Guattari mit Wilhelm Reich zwischen mechanischer (An-)Spannung und elektrischer (Ent- )Ladung beschrieben haben,2012 wobei Mitchell eben auch die libidinöse Auf- bzw. Entladung des elektrisierten, städtischen Außenraumes thematisiert, der mit den gezeigten, sexuell aktiven Körpern verbunden ist. Der Stromausfall erweist sich als notwendiges Moment der Entschleunigung im Großstadt-Rhythmus bzw. des unbewussten Begehrens der ProtagonistInnen – ein nicht beabsichtigter, jedoch notwendiger Neben- bzw. Kontingenzeffekt. Die fliegende, sehr zielstrebig bewegte Kamera vom Anfang hat sich nun, nachdem sie zeitgleich mit Sofias Orgasmus transzendental in die Höhe geschossen ist und den leuchtenden Vollmond, ein totales Partialobjekt, fokussierte,2013 in eine kreisende, langsamer werdende verwandelt. Die Kulisse New Yorks erscheint nun plötzlich als verwunschene, Efeu-umrankte Ruinenlandschaft: Mitchells urromantische Vision, Bilder von ergreifender Schönheit, mit denen SHORTBUS aufhört und ausklingt. An eXXXtremely romantic comedy kündigt sogar das US-amerikanische Filmplakat an; was keine Übertreibung zu Werbezwecken ist, sondern tatsächlich stimmt. Im Vergleich zu den katastrophischen showdowns klassischer SM-Literatur, Venus im Pelz oder 120 Tage von Sodom, bzw. zu denen der cineastischen Sado-Spiele in dieser Arbeit, ereignet sich hier zwar auch ein gehöriger Lustknall, jedoch führt dieser nicht zum frustrierenden Totalabsturz der Wunschmaschinen oder gar zum realen Tod, sondern bewirkt vielmehr einen break, ein Innehalten und schließlich eine befreiende Kollektiv-Besinnung. Auch wenn die elektrischen Medien so zum Erliegen (bzw. die erschöpften Körper endlich zur Ruhe) gekommen sind, ist damit eben anders als im klassischen SM das Experimentieren noch nicht vorbei. !!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!! 2012 Vgl. Deleuze und Guattari 1977, 375. 2013 Der Mond ist ein schönes Symbol für Sofias großes, leuchtendes ‚O’, das sie in diesem Moment erfährt. ! 649 „Nach so viel Schmerzen ein Gefühl von Feierlichkeit. Die Nerven haben sich niedergesetzt, mit zeremoniellem Gepräge, wie Gräber; dies ist die Stunde des Bleis.“2014 Bei Kerzenschein und in spiritueller Atmosphäre finden sich alle ProtagonistInnen erneut im Shortbus ein, der Flug der Kamera führte zielsicher hierhin. Sie sind nachdenklicher geworden, wobei diese reflexiven und friedlichen Momente dem nun notwendigen Neustart bzw. der Reorganisation ihrer Begehrensformen keineswegs im Weg stehen. Im Gegenteil. Mitchell betont – so sehe ich das –, dass die ‚Elektrizität’ der Lust, dieses Fluidum, das seit Sades Zeiten bekannt ist,2015 auch ohne Stromversorgung bestens funktioniert. Nachdem Justin Bond, nur von Streichern begleitet, ein versöhnliches Lied – „In the End“ – für das hier versammelte Publikum intoniert hat, wird er von einer Blaskapelle, The Hungry March Band, die mit Aufsehen erregender Wirkung in den Shortbus einzieht, im nahtlosen Übergang abgelöst. Die fantastische Stimmung steigt bis zum Entzücken, bis zur Ekstase: Jubel und Tränen – echte Gefühle, keine kleinen. Der Club ist in diesen Schlussbildern zu einer Zeit- bzw. Rettungsinsel geworden, ein Ort des kollektiven Glücks und Rausches, der er schon vorher war. In diesem Sinne auch ein Wunder, das alle und alles in dieser besonderen Nacht verzaubert. Es ist gewaltiger sozialer sex-flow, ein notwendiger Humanismus, der den Raum durchströmt und alles rettet. !!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!! 2014 Calasso 1980, 86; Zitat von Schreber. 2015 Vgl. Seifert 2001. ! 650 „In einem Augenblick plötzlicher Metamorphose scheint alles mit allem zusammenzuhängen, sich überschneidend, sich austauschend, gegenseitig sich verwandelnd.“2016 Damit man nun nicht glaubt, dass Mitchell – wie es schon in Heiner Müllers Zitat sehr deutlich wurde – eine gewisse Technikfeindlichkeit hege, wird die Elektrizität durch einen zweiten Orgasmus, den Sofia dann im Shortbus erlebt, zurückkehren. Die Lichter in New York gehen wieder an. Ein buntes Lichtermeer strahlt in den urbanen Raum aus, durchpulst ihn wieder und versetzt das Kamera-Auge in eine schwindelerregende Kreiselbewegung – sozusagen ein sich in alle Himmelsrichtungen ausbreitendes, helles Licht-Rhizom, das sich dann im kosmischen délir verliert. Und auch ein elektronisch produzierter remix von Scott Matthews „Surgery“ begleitet dann den Abspann des Films, was schon deswegen bemerkenswert ist, da im Shortbus bzw. in SHORTBUS – auch vor dem Stromausfall – keine elektronische Musik gespielt wurde bzw. als Soundtrack des Films diente. Den Phallus wummernder Beats gibt es hier nicht, Scott Matthew u. a. singen auf dem sorgsam ausgewählten, opulenten Soundtrack vorher unplugged. Die Schlussereignisse in SHORTBUS, Sofias Orgasmen (mit denen sie anscheinend die New Yorker Stromversorgung regulieren kann), sind nicht nur das Gegenbild, die Alternative zur Subjektauslöschung im Realen, dem showdown in VIDEODROME bzw. der Sprengsatz-Explosionen in THE HURT LOCKER, sondern verweisen auf das dritte Moment Hegels, einen neuen Signifikanten, wie dieser im klassischen SM und anderswo maschinell verdrängt wurde und ausblieb. Das Begehren nach dem Supersignifikanten Phallus hat in SHORTBUS im Vergleich zum klassischen SM auf jeden Fall nachgelassen. Es geht dabei einmal mehr um die im ersten Kapitel vorgestellte Signifikanten-Logik zwischen S1 und S2. Lacan hat in seinem Seminar D’un Autre à l’autre vom 1968/69 darauf aufmerksam gemacht, dass S2 nur in engem Zusammenhang mit einem (durchgestrichenen) Partialobjekt realisiert werden kann. Er entwirft folgendes Schema: S1 (S2 O)← the other2017 !!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!! 2016 Adamowsky 2000, 158. ! 651 Weiß Lacan, dass er hier Sades Geheimsymbol für Sexuelles, O, verwendet hat, das in dieser Arbeit wiederholt zur Sprache kommt und als Schließung bzw. Eliminierung des Partialobjekts bzw. Mediums gedeutet wird? Diese Eliminierung hat auch Sofia für sich geltend gemacht, indem sie ihr elektrisches Dildo-Ei vor dem Club sadistisch zertrümmerte2018 – oder später dann unbeabsichtigt die städtische Stromversorgung zum Erliegen brachte. S2 wurde damit wie im klassischen SM und dessen Transformationen aber noch nicht erreicht. Trotzdem hat sie erfahren, dass dieses Ei nicht nur ein ‚falscher Anschluss’ für sie gewesen ist, sondern auch, dass manchmal eine gewisse Gewalt und sogar Bösartigkeit notwendig ist, um sich dem eigenen (und damit auch kollektiven) Begehren anzunähern, es umzusetzen und produktiv weiterzukommen.2019 Sofia musste also erst diese Negativ-Erfahrung im Sinne des oben angeführten Schemas machen, eine Selbsterfahrung im Zusammenhang von fetischisierter Dinglich- und Körperlichkeit,2020 um sich dann tatsächlich öffnen zu können, um ihren ersten Orgasmus zu erreichen. Aus O wird dann O. Wichtig ist !!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!! 2017 Vgl. Miller 2007, 35. 2018 Dies ist die Dimension, die Beatriz Preciado in ihrer fragwürdigen Anleitung zum Dildogebrauch, aktivistisch-lesbischer Phallusverehrung (inklusive Maso-Vertrag), vergisst. (Vgl. dies. 2004.) Wieso macht die Autorin so viel Aufsehen um einen alltäglichen Gebrauchsgegenstand, der gewiss nicht nur queer zu lesen ist (vgl. Sofias Ehehygiene-Artikel), der ein gewaltiges kommerzielles Geschäft darstellt und meiner Meinung bzw. Erfahrung nach Sex mit ‚echten’ Geschlechtsteilen und vor allem erotischen Körpern niemals ersetzen kann? – Sade wusste genau, wie leblos ein Dildo ist, auch wie Sex und Tod schließlich zusammengehören, wenn er in seiner Fantasie Menschenknochen zur sexuellen Befriedigung benutzte bzw. entweihte. Vgl. Zweifel und Pfister 2001, 26. 2019 Dies lässt sich auch mit Nietzsches Rede vereinbaren: „Oh Zarathustra Fürsprecher des Lebens! Du mußt auch Fürsprecher des Leidens sein! Die Menschen müssen böser werden. Zarathustra 4 dies ist mir das größte Leid – ich muß sie böser machen!“ Vgl. Nietzsche 1980, Bd. 10, 539 oder in der Fröhlichen Wissenschaft, ders. 1982, 77 f.: „’das Dasein ist etwas Böses’“. 2020 Vgl. Böhme 2006, 462: „Der Dingförmigkeit der psychischen Repräsentation entspricht die Zeichenhaftigkeit des dinglichen Fetischs. Es gibt keine Autarkie der sprachlichen wie psychischen Repräsentationen. Deren Referenz auf den Körper ist irreduzibel. Es gibt auch keine Geschlossenheit der Dinge. Sie sind die Bedingung für jede Repräsentation.“ Darin zeigt sich die fortwährende mediale Abhängigkeit von den Dingen (und ihrer Ordnung), die für das Subjekt signifikant bzw. repräsentativ sind – denen es mit Notwendigkeit masochistisch unterliegt. Es ist wichtig, diese strukturale Offenheit für sich (an-)zu(-)erkennen, sie spielerisch zu nutzen. ! 652 dabei auch die ‚Brücke’ der Metapher, jene berührende ‚magische Schalttafel’2021 von der Justin Bond sprach, wie generell Sofias sexuelle Neugier bzw. Experimentierfreude und natürlich auch ihr intimes Gespräch mit Severin/Jennifer im Wellness-Tank. Vor allem aber ihr Mut, als verheiratete, heterosexuelle Frau mit ihrem Sex-Problem in einen queeren Club zu gehen, um dort Hilfe zu bekommen und gleichzeitig dabei in Kauf zu nehmen, zum Gespött der anderen zu werden, ist äußerst bemerkenswert; das muss ihr erst einmal jemand nachmachen! Dass ihre ‚O’-Suche Erfolg hat, liegt vor allem an ihrer Neugierde und auch Bildung; sie verfügt über reichlich (Sex-)Wissen, ohne das sie wohl niemals zum Zuge und Ziel gekommen wäre.2022 Sofias Vorgehen ist ein zur Nachahmung einladender Idealfall, auch ein (Dildo-)Lehrstück – nichts Unmögliches, das sogar die limits bzw. Differenzen zwischen hetero, homo, queer etc. aufweicht bzw. deutlich in Frage stellt.2023 Sofia ist im Shortbus eine sexuelle Außenseiterin unter anderen AußenseiterInnen, die – wenn auch unbeabsichtigt – die rules of queerness dort ziemlich aufmischt, was ebenfalls eine Notwendigkeit darstellt. Denn sie unterläuft wirksam das queere Fantasma, das mächtige Feindbild von der ‚bösen’ Heteronormativität, dem sogenannten ‚He- Ter(r)o(r)’ (an dem aber, wie in jedem Fantasma, auch etwas dran ist, in dem zu entdeckende Wahrheit steckt).2024 Oder mit Severin bzw. Jennifer gesagt: Sofia hat einfach einen Gedanken deutlich gespürt und konnte dann in den Bus einsteigen. !!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!! 2021 Eine andere wichtige Technometapher, die nicht mit Eros, sondern mit Thanatos verbindet, zeigt sich in James’ Sterbefilm: Aus den vielen Tabletten, mit denen er sich umbringen möchte, hat er sich ein Blüte zurechtgelegt – sozusagen seine pharmakologische Blume des Bösen. – Die Dimension(en) der Schmerztherapie durch Medikamente, die hier angedeutet wird, und der gigantische Markt, der damit zusammenhängt, kann in dieser Arbeit nicht mehr aufbereitet werden. Dies würde eine eigene Untersuchung in Bezug auf SM erfordern. Vgl. Morris 1994, 386 ff. 2022 Eventuell scheint (zu viel) Bildung jedoch auch Teil ihres Problems gewesen zu sein. Trotzdem liegt es letztendlich an ihrem Wissen und ihrem Mut, ihr ‚O’-Problem in Angriff zu nehmen und zu lösen. 2023 Das was Sofia hier experimentell durchlebt, erfordert bei anderen jahrelange psychotherapeutische Erfahrung (die sie ja auch hat), um nur in die Nähe des eigentlichen Problems zu gelangen und das eigene Symptom halbwegs rekonstruieren, um aus der Verschüttung des Seins herauskommen, diese Zeichen der Versteinerung lesen zu können. 2024 In Zeiten, in denen Homosexuelle durch die Gesetzgebung strafrechtlich verfolgt wurden (in der BRD bis 1969) und werden, ist diese kriminalisierende Heteronormativität selbstverständlich kein Fantasma (gewesen), sondern krasse gesellschaftliche Wirklichkeit für (offen begehrende/sexuell aktive) Schwule, ein Alptraum (der in der Geschichte der alten BRD zu den dunkelsten Kapiteln zählt – ! 653 Die in SHORTBUS nachvollziehbare, symbolische Phallus-Verkürzung zugunsten des Autonomer-Werdens der Partialobjekte (dem romantischen Vollmond über New York sozusagen), seine nachlassende Wirkkraft (gerade im Hinblick auf die gender- Kategorie), schließlich sein Kurzschluss (und nicht sein völliges Verschwinden, Fehlen oder Bedeutungslos-Sein) bewirken eine kollektive Lust-Öffnung bzw. - Intensivierung im erweiterten Raums des Intermediären, die Möglichkeit S2 einzuführen, auch wenn es im Film selbst noch nicht so weit ist. Das erinnert an die Schlusseinstellung in FALSCHER BEKNNER, Armins Lächeln, den Abschied vom phallischen Übergangsobjekt. Wie im ersten Teil der Arbeit schon ausgeführt, müsste dafür ein neues Partialobjekt (bzw. -organ) entstehen, das – so paradox dies auch erscheint – symbolische bzw. technologische Wirklichkeit auf der Ebene des Signifikanten S2 wäre, also die phallische Dimension transformiert enthalten müsste und damit ein Hybrid aus technischem Partialobjekt und sprachlichen, d. h. (aus- )sagbaren Signifikant ergäbe.2025 – Etwas Technisch-Organisches, Körpertechnologie im Realen, die sich jedoch kaum aussagen/steuern lässt ... (die biotechnologische Implementierung von/durch a)? Aus dieser Perspektive, das ist eindeutig und kann einmal mehr festgehalten werden, sind gerade sadomasochistische Unternehmungen immer auch als Versuche lesbar, den Phallus – im weiteren Sinne die mediale Logik bzw. das unbewusste Gesetz – einem individuellen Lustritual zu ‚opfern’, d. h. diesen zu etwas Neuem zu transformieren – mit ungewissen bzw. offenem Ausgang, nach wie vor ein notwendiges Wagnis. !!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!! ein böses Nazi-Erbe). Selbstverständlich sind (schlechte) Fiktionen wie die der Heteronormativität heute noch keineswegs passé. 2025 Das Paradox besteht laut Lacan darin, dass die Kluft zwischen Partialobjekt(en) und sprachlichem Signifikant(en) nicht geschlossen werden kann. (Vgl. 98 [Fußnote 313] in dieser Arbeit und vgl. auch die mit Böhme erläuterte Offenheit der Dinge: 652 [Fußnote 2020].) Auch wenn das Objekt demnach sprachlich nicht ersetzt werden kann, so ist es die Metapher, mit der beide Seiten zumindest symbolisch verknüpft werden können. Deshalb ist dieses Stilmittel auch so wichtig heutzutage. Im Zeitalter der Biotechnologien ist es jedoch tatsächlich möglich geworden, im perversen Wörtlichnehmen, die Lücke zwischen Objekt und Sprache zumindest auf somatischer Molekularebene zu schließen, wobei die Sprachlichkeit, die Aussagbarkeit durch reine Technizität ersetzt wird. Das ist das ‚sadistische’ Problem, das ungelöst bleibt, eine sehr ernstzunehmende und verführerische Gefahr voller Möglichkeiten. ! 654 Das Gesetz der Symbolisierung Wichtig ist hier auch die Tatsache, dass wir es immer noch mit einem Verhältnis zwischen dem großen und kleinen a/Anderen, einer Lücke (zwischen dem Spüren des Gedankens und seines Verkehrsmittels/Mediums, mit/in dem dieser Ausdruck findet und kommunizierbar wird), zu tun haben. Sei diese Lücke bzw. Leerstelle nun Sofias großes O (kosmischer Orgasmus draußen in idyllischer Natur bei Mondschein) und kleines o (batteriebetriebenes, dysfunktionales Vibrator-Ei drinnen im Shortbus bzw. in ihr selbst – als falscher Anschluss) oder sei es die glitzernde Modellkulisse New Yorks (inklusive der ‚Wunde’ Ground Zero) und dem Knotenpunkt/Relais sexueller Vernetzung darin, dem Shortbus (die kommunizierenden ‚Wunden’ im Bewusstsein der hier versammelten Gäste – heterogene/s und frei flottierende/s Lust und Begehren).2026 Für das individuell-kollektive Begehren ist demnach das Gesetz des großen Anderen ausschlaggebend, eben „das Gesetz der Symbolisierung, an das sein Begehren [das des Menschen] notwendig gebunden ist, den Menschen in seinem Netz (filet) fängt,2027 und zwar durch seine Stellung als Partialobjekt, als welcher er sich darbietet bei seinem Eintritt in die Welt [...].“2028 Lacan macht hier im Jahr 1966 deutlich, dass das Subjekt eben nicht nur durch den sagbaren Signifikanten gesteuert wird, sondern auch durch seine/ihre Stellung als Partialobjekt, eben als Apparat, in einem Netz. – Eine Erkenntnis, die ihm Mitte der 1950er Jahre allmählich kommt, zur Zeit seiner Kybernetisierung der Freudschen !!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!! 2026 Mit Lacanscher Algebra ausgedrückt, geht es hier um das Leerstellen-Verhältnis zwischen -phi und Phi. Meiner Meinung nach kennzeichnet Mitchell die Leerstelle im Shortbus durch einen männlichen Gast, der immer wieder laut in den Club ruft: „Ich bin ein Albino!“ (Dieser ‚Albino’ ist auf der letzten Abbildung oben im Haupttext zu sehen. Er steht zwischen Bond und einem Clubbesucher, der Bond einen Handkuss gibt. Auch die bereits erwähnte Wasserleiche hatte eine sehr helle Haut.) 2027 Auch wenn klassische Fischernetze und Reusen in der Theorie Lacans eine besondere Rolle einnehmen, ist mit diesem Netz auch schon das Netzwerk des digitalen Signifikanten, wie er es im Schema L anschreibt, angedeutet. Vgl. dazu den zweiten Punkt in der VIDEODROME-Analyse dieser Arbeit. 2028 Lacan 1986 (b), 116, Fußnote 46. ! 655 Psychoanalyse und Schreber-Lektüre. Das Symbolische als alleiniges Selbsterkenntnismittel bekommt mit Beginn der Postmoderne bei Lacan also Konkurrenz von Seiten der Partialobjekte, die in diesem Zeitraum nach und nach entwickelt werden (bis zum klein a). Das Subjekt leuchtet dann nicht mehr nur im symbolischen Raum, sondern vor allem im Realen bzw. Reellen. – „Der Große Andere bleibt durchgestrichen“, was neben der Verkürzung/Verwirrung des Seins und der Gefühle vor allem (noch ungelöste) medienethische Fragen aufwirft.2029 Das Gesetz des großen Anderen ist damit noch keineswegs aus der Welt, in SHORTBUS bzw. in der (Sex-)Clubkultur New Yorks greift dies besonders restriktiv ein, und zwar in Form der sogenannte Gebietsabgrenzungsverordnung (zoning ordinance) aus dem Jahr 1995: „Im Oktober 1995 hat der New Yorker Stadtrat mit 41 zu 9 Stimmen ein neues Zonengesetz verabschiedet. Dieses Zoning Text Amendment betrifft Erotik- Buchhandlungen und Porno-Videotheken, Gastronomiebetriebe und Bars, Theater und andere Betriebe. Es gestattet diese Betriebe nur in Gebieten, die nicht als Wohngegenden eingetragen sind und die sich großteils im Hafengebiet befinden. Innerhalb dieser neu zugewiesenen Viertel ist es Erotik-Betrieben nicht gestattet, sich im Umkreis von weniger als einhundertfünfzig Metern neben einer religiösen Einrichtung, einer Schule oder einer Kindertagesstätte niederzulassen. Sie sind auf nur einen Betrieb pro Grundstück begrenzt und dürfen die Größe von 1000 qm nicht überschreiten. Die Beschilderung ist hinsichtlich ihrer Größe, Anbringung und Beleuchtung reglementiert.2030 Von den 177 ermittelten Erotik-Betrieben, die es in der Stadt gibt, müssen alle bis auf achtundzwanzig in Folge dieses Gesetzes schließen.“2031 John Lindell kommentiert diese Verordnung (nicht nur mit seiner hier bereits vorgestellten Kunst): !!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!! 2029 Vgl. Waltz 2001, 120 ff.; Zitat ders. 2030 So ein Schild, das peep-show und Pornomagazine anpreist, gibt es auch im Shortbus – eben nicht außen, sondern drinnen. Hier ist es dann besonders gut sichtbar aufgestellt; im Verhältnis zum Raum erscheint es überdimensioniert. 2031 Berlant und Warner 2005, 81 f. ! 656 „Der Bürgermeister von New York ist, wie Sie wissen, ein Konservativer [Lindell meint Rudolph Giuliani (Anmerkung S. P.)], und sogar innerhalb der Gay Community votiert eine kleine Minderheit wegen der Verbreitung von AIDS für die Schließung der Clubs sozusagen als Verhütungsmaßnahme. Sie hält öffentlichen promisken Sex für gefährlich. Ich selbst finde das nicht richtig, denn in einem öffentlichen Raum ist immerhin Aufklärung möglich. Wer die Clubs schließt, drängt die Leute zurück in ihre Wohnungen, wo gar keine Aufklärungsarbeit mehr möglich ist.“2032 Gegen diese Verordnung richtig sich auch die Kritik des queer-Theoretikers Michael Warner. In Zones of Privacy macht er deutlich, dass die Stadt New York ihre öffentliche schwul-lesbische Kultur dergestalt reglementiert und auch zerstört.2033 Wie es Lindell schon gesagt hat, trägt diese Gesetzgebung dazu bei, Sexualität in einen anderen Raum, vor allem ins Private abzudrängen.2034 Rosalyn Deutsche argumentiert hier mit Henri Lefèbvres ‚Recht auf die Stadt’, ein Begriff, mit dem der französische Soziologe 1968 „den Widerstand gegen die Vertreibung aus der urbanen Wirklichkeit durch eine diskriminierende und segredierende Organisation [legitimiert].“2035 In SHORTBUS und darüber hinaus bestände das ‚Recht auf die Stadt’ darin, den öffentlichen Raum für Sexualität jeglicher Couleur zurückzugewinnen (was unter einer solchen Gesetzgebung schwierig bzw. schnell illegal wird) oder eben, wie es Mitchell zeigt, (gerade deswegen) den eigenen Privatraum für Sex zu öffnen, halböffentlich zu machen. Dies korreliert mit Lefèbvres und Warners „Bezeichnung der Stadt als Gastraum“: ein urbaner Raum, der durch „Begegnung“ und „Simultanität“ bestimmt ist.2036 Ganz in diesem Sinne handelt der Inhaber des Shortbus, Justin Bond. Er stellt sein Haus anderen als Spielwiese zur Verfügung und muss dafür sogar noch reichlich Opfer bringen. Ein wenig ironisch sagt er zu Sofia, als er ihr den Club zeigt: !!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!! 2032 Vgl. Interview mit John Lindell, Kunstforum Bd. 154, Jocks (Hrsg.), April-Mai 2001, 145. 2033 „Vernichtet sexuelle Freiheiten und beinahe jede offene Schwulen- und Lesbenkultur wird verschwinden.“ Warner 2000, zitiert nach Deutsche 2005, 187. 2034 Dies hat nichts damit zu tun, dass das Recht auf Privatheit gerade beim Sex äußerst wichtig ist. 2035 Vgl. Deutsche 2005, 187 und Lefèbvre 1968; Zitat von Lefèbvre. 2036 Vgl. Deutsche 2005, 188. ! 657 „Ich verbringe so viel Zeit damit, der New Yorker Polizei einen zu blasen, nur um den Club offen zu halten. Ich habe kaum noch Zeit für mich selbst.“2037 Er ist die erste Person in den bislang vorgestellten Filmen der Dissertation, die tatsächlich so etwas wie libertine Qualitäten besitzt. Das soll nicht heißen, dass er Spaß am Quälen seiner Gäste hätte. Im Gegenteil, er sorgt ja gerade als Zeremonienmeister und Conférencier dafür, dass sich alle wohlfühlen und ausleben können, dass die lebensnotwendige Kommunikation des Begehrens hier fließt. Wenn er Gewalt anwendet, dann nur verbal – mit Camp und Schlagfertigkeit.2038 Im Gegensatz zum Sadeschen Libertin lässt er das Begehren der anderen zu und hat dabei – wie eine intensive Kussszene mit Sofia offenbart – keine Angst vor eigenen Unsicherheiten und schon gar nicht vor Frauen. Die Gewalt der Erotik ist für ihn nicht mehr (nur) in klassischen Malermeisterwerken oder Statuen codiert – solche Kunstwerke werden im Shortbus durchaus ausgestellt –, sondern in fantasievollen Technometaphern, Schaltkreis-Magie, die die Suche nach dem richtigen Anschluss, einer aktiven Körper- bzw. Sexpraktik (in Richtung S2), impliziert. Um es noch einmal – mit Bonds weisen Worten – zu betonen: „Es ist Zeit, zu spielen. Die ganze Welt gehört Dir. Sie ist Dein Spielplatz!“ !!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!! 2037 Das ist der einzige, vage Hinweis auf den politischen Hintergrund der Gebietsabgrenzungsverordnung in SHORTBUS. Auch in BATTLE ROYALE und THE HURT LOCKER werden die Hintergründe – wie politische Entwicklungen und die dafür Verantwortlichen – nicht gezeigt oder wenigstens benannt. Sind diese nicht mehr wichtig? Hat sich die große Politik (zumindest in den Köpfen der FilmemacherInnen) bereits verabschiedet? Wie mit ‚Ed Koch’ in SHORTBUS gezeigt wird, müssten sich PolitikerInnen meiner Meinung nach für ihr Versagen erst einmal öffentlich entschuldigen, um wieder ernst genommen zu werden. – Wo gibt es heute PolitikerInnen, die genau dies tun und sagen: „Ich bin Schuld, Ich habe (einen) Fehler gemacht, Pardon!“? 2038 Dennoch hat Bond als „Herrin“ des Clubs (wie er sich selbst bezeichnet), in den man nur auf Empfehlung gelangt, natürlich Macht, zu entscheiden, wer hier hineinkommt bzw. auch hinausgeworfen wird. In einer Einstellung, als er Sofia zum ersten Mal begegnet, schmeißt er ‚Dr. Donut’ hinaus, einen Doughnut-Fetischisten, mit der Begründung: „Ich hasse Kohlenhydrate!“ Auf der Schlussparty ist ‚Dr. Donut’ dann aber wieder anwesend. ! 658 Dabei sollte stets berücksichtigt werden: sicherheitsbewusst, mit klarem Verstand und einvernehmlich (safe, sane, consensual [SSC]). Das sind die bewährten, aber auch nicht immer leicht einzuhaltenden Spielregeln, die nicht nur im SM verbindlich gelten sollten, sondern generell in der heutigen entfesselten Spielkultur, wie sie global vorherrscht. Schlusslicht Um nun ein Schlusswort zu finden und dabei hoffentlich keiner vorschnellen Prophetie oder ätzenden Moralinsäure auf den Leim zu gehen, verweise ich mit Mitchells SHORTBUS noch einmal auf zwei Dinge, die meiner Meinung nach wichtig sind, Zukunft und Hoffnung versprechen: 1. Betörendes Glitzern auf Molekularebene, samtener moon dust, wie es u. a. in all den bunten Lichtern der Modell-Kulisse New Yorks und dem Club-Glamour des Shortbus (mit und ohne Stromversorgung) zur Geltung kommt:2039 ein Schillern, Funkeln und auch Flackern kleiner Wahrnehmungen – schließlich „ein !!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!! 2039 „Don’t you wanna be free?/ Do you like girls or boys?/ It’s confusing theses days/ but moon dust will cover you/ Cover you“, singt David Bowie auf dem Album Outside 1995, ein track („Hello Spaceboy“), den er mit Brian Eno geschrieben hat und den die Pet Shop Boys zusammen mit Bowie dann in ein fantastisches disco-remix verwandelten. ! 659 unübersehbares und flimmerndes Lichtermeer des Sexuellen“),2040 das nicht nur Deleuze und Guattari zumindest in ihrem Anti-Ödipus-Denken zur Transsexualität und zur Schizo-Analyse führt, sondern sich auch im Cronenbergschen Sinne der Omnisexualität Ausdruck und Freiheit verschafft (ich denke an Sound von Isolée, Alex Smoke, Thom Yorke oder/und einfach an digitale Weltmusik). – Ewig-kosmische Lust, flow, wie dieser heutzutage ludische Subjekte in allen Bevölkerungsschichten und Altersklassen berührt und auch verbindet, einfach weil sich ein gesellschaftlicher Spiel- bzw. Experimentierraum in den letzten Jahrzehnten dafür bewusst geöffnet hat, auch weil Formen der Perversion und des Fetischs heute einfacher medial zu handhaben und deshalb anerkannter und verbreiteter geworden sind; leider allerdings noch nicht erkannter sind – hier herrscht weiterhin Klärungsbedarf.2041 Diese notwendige und weiter zu entfaltende Kommunikation (être parlant) steht nur der Angst, nicht aber der Libido im Weg.2042 Das macht ein Film !!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!! 2040 Foucault 1992, 92. 2041 Das ehrliche und volle Sprechen über eigenes Begehren, Lust und Schmerz, ist notwendige Voraussetzung für diese Klärung, genauso das Gespür dafür – für neue Gedanken, wie wir von Jennifer wissen. Mitchells SHORTBUS weist zudem darauf hin, dass wir erst einmal unsere eigene Stellung als Partialobjekt in einem Apparat und dessen (Umwelt-)Programm, sich selbst als Funktionsteilchen in einem Mediendispositiv (im Netz des durchvirtualisierten Symbolischen) erkennen und begreifen müssen, um dann freier – als selbst-gesteuerter Spielball – darin agieren zu können (z. B. auf dem dancefloor, in der Orgie oder im Theater/ Kino/ Seminar/ Archiv/ Internet etc.: [mediale] Orte und Architekturen, an denen die Wahrheit des Begehrens [begehrende Wahrheit] kollektiv möglich wird, sich dann im offenen Spiel meist lustvoll mitteilt und transformiert). 2042 Da die Kommunikation über (sprechenden) Sex heute (und in der Moderne generell) ohnehin schon stark erhöht ist (vgl. Foucault 1992, 28 ff.) dank technischer Medien, (klassischer) SM(-Literatur), der scientia sexualis etc., sollte die notwendige und freiwillige Selbstöffnung in dieser Hinsicht (vor anderen/auf der Showbühne) doch eigentlich nicht so schwer fallen, oder? Gerade Perversionen sind spätestens seit dem 18. Jahrhundert unaufhörlich maschinell/medial eingepflanzt worden (vgl. ebd. 50 ff. und 91 f.), dieser heute bereits wuchernde Spielraum existiert schon lange, bei Sade, Sacher-Maosch u. a. ist er offenbar geworden. Ich betrachtete SM aus dieser Perspektive, die gewiss nicht die einzige ist, mit Foucault als ein Beichten mit und durch Sex(ualität) – eine weitere und diesmal kurze SM- Definition – die dritte in der vorliegenden Arbeit. SM ist auch der feste Glaube an diese Form des Beichtens, polysexuality, vor allem an dessen Wirkungen, die Lust-Intensivierung im/des Selbst, was gleichsam so etwas wie Absolution bedeutet. (Vgl. zur Bedeutung von Geständnissen in der Moderne ebd. 75 ff: „Im Abendland ist der Mensch ein Geständnistier geworden.“ – „Nun bildet seit der christlichen Buße bis heute der Sex die privilegierte Materie des Bekennens.“ Ebd. 79.) Spielerisches ! 660 wie SHORTBUS sehr deutlich. Ob Perversionen heute besser (im Sinne von S2) gelöst werden, ob sie mehr oder weniger Lust verschaffen als die klassischen Formen von einst, kann ich leider nicht beantworten. Wir werden sehen. Die klassischen Formen sind in modifizierter und medial erweiterter Form auf jeden Fall sehr präsent bzw. virulent, das habe ich in dieser Arbeit zu beweisen versucht. Es liegt an uns, an unseren potentiellen Fähigkeiten, sich intellektuell und sexuell Personen, Dingen und Medien zu nähern und zu öffnen, sich zwanglos anzubieten, dabei erfinderisch – mit allen Mitteln der Kunst – zu verführen, um das andere, Differenz zu spüren und konstruktiv weiterzugeben. Nicht nur Donatien Alphonse François de Sade bzw. Leopold und Wanda von Sacher-Masoch, sondern auch Daniel Paul Schreber, Max Renn in VIDEODROME, Armin Steeb in FALSCHER BEKNNER, die Mittelschulklasse in BATTLE ROAYALE, die Bombenräumkommandos im zweiten Irakkrieg in THE HURT LOCKER oder Sofia, Jennifer und Bond in SHORTBUS erweisen sich dabei als aussagekräftige Fallbeispiele digital geschalteten Begehrens, unseres heutigen SM-Schizoseins; eben als unbewusste Subjekte laufender crash- tests, dummy-Spielbälle in spektakulären Wunsch- und Höllenmaschinen, die nach Anerkennung, nach neuen Metaphern, kollektiven Spielformen und geeigneten Plätzen dafür rufen. 2. Um das Verführerische dieses Begehrens, diesen inneren groove,2043 das Pulsieren im Unbewussten zwischen on und off, ein wenig zu verstehen und weiter voranzutreiben, let your music play (le sinthome), sind zumindest in einem theoretischen Kontext auch die Schaltkreise und Schemata kybernetischen Denkens in der Theorie Jacques Lacans hilfreich: Eben in erweiterter Form, als Netzwerk- Metapher, technisch geschaltete Orgien, wie sie u. a. Sade, Cronenberg, Mitchell/Bond oder Lindell als wegweisende Erkenntnis(bei)spiele im medialen Umfeld ihrer Zeit umgesetzt haben. !!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!! Beichten mit/durch Sex kommt ohne Geständniszwang und Buße aus (jedoch nicht ohne realen/reellen Mangel und symbolisches Minoritär-Werden). Es bewahrt das lustbringende Geheimnis der Sexualität und des Signifikanten und gibt es weiter, ein spannungsgeladenes, sehr aufregendes Spiel. (Vgl. ebd. 80 f. und 89.) Der Schmerz lässt dabei nach, nicht aber die Lust. 2043 „I am so groovy now and I don’t care“, singt der Erfinder des brasilianischen Funk, Tim Maia. Vgl. zum wichtigen Unterschied zwischen Lässigkeit und Gelassensein: Böhme 2011, 2. ! 661 Die vorliegende Arbeit versteht sich nicht nur als eine Auseinandersetzung an der Konfliktlinie zwischen Analogem und Digitalem, Aktuellem und Historischem, De- und Rekonstruktion, schließlich o und O, sondern auch, wie es bereits Slavoj Žižek in Körperlose Organe. Bausteine für eine Begegnung zwischen Deleuze und Lacan 2005 andenkt, als ein produktiver Schlagabtausch und mehr noch geschmeidiger Theorie- flow zwischen diesen ‚Titanen’ des französischen Poststrukturalismus – inklusive Félix Guattari, Luce Irigaray und natürlich vieler anderer. Diese AutorInnen kommen hier nicht nur deswegen so ausführlich zu Wort, weil ich sie immer noch hochspannend finde, sondern weil sie die theoretischen Grundlagen für eine ludische Kultur des Minoritär-Werdens geschaffen haben.2044 – Bei Deleuze und Guattari ist diese Grundlage, wie gesagt, die Schizo-Analyse auf Molekularniveau, bei Lacan die kybernetische Netzwerk-Schaltung, die digitale Matrix im Begehren der Wunschmaschinen. Beides trifft sich im Schreber-Diskurs, der für ihre Schriften signifikant ist. Wir sollten, so möchte ich – auch über SM hinausgehend – postulieren, diese Grundlagen sehr ernstnehmen, um neue Libido-Anschlüsse, ohne die gar nichts laufen wird, zu schaffen oder bereits vorhandene mehr zu öffnen bzw. erweitern, und dies natürlich nicht nur in der Wissenschaft. Wir müssen uns vor jeder Form masochistischer Koketterie,2045 gesellschaftlich geforderten Höflich- und Dümmlichkeitsspielchen, Schikanen eines grausamen Über- Ich (FUNNY GAMES [U.S.]), und mehr noch vor Vulgär-Sadismen, auch blindem Vandalismus und Fanatismus (Terror[-begehren]), das/) der nichts oder nicht viel mit Sades Literatur zu tun hat, verwahren. Es gilt nicht nur bei Lacan kritischen Abstand und besser noch Abschied vom autoritären, patriarchalen Phallus zu nehmen. Zumindest sollte auf die damit verbundenen und noch äußerst wirksamen Dramaturgien phallischer Macht- und Kontrollgelüste verzichtet werden. Das ist gewiss keine neue Erkenntnis, aber weiterhin im sexuell-sozialen Verkehr sehr notwendig.2046 Wir dürfen unseren (Sadeschen) Schmerz nicht mehr wegsperren, wie es z. B. im Filmtitel THE HURT LOCKER angedeutet ist, oder, wie es die meisten !!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!! 2044 Sie lassen sich schon deswegen so gut miteinander in Beziehung setzen, weil Deleuze sich intensiv mit Sacher-Masoch und Lacan mit Sade beschäftigt hat. 2045 Vgl. dazu auch den Begriff der problematischen Selbstverkleinerungssucht: Reich 2003, 533 ff. 2046 Sofias Lektion mit ihrem merkwürdigen Sex-Ei ist ein gutes Beispiel dafür, dass ihr Phallus- Begehren im Selbstversuch so nicht funktionieren kann. ! 662 Filme gezeigt haben, diesen – als falsche Konsequenz dieses Wegsperrens und Zurückhaltens – nicht auf andere, meist Schwächere projizieren oder sonstwie auf Kosten anderer loswerden, selbst wenn wir dabei wie Sade sehr ehrlich sind.2047 ‚Kein Schreien, kein Drohen, kein Flehen’ ist die Devise und Regieanweisung in Christoph Hochhäuslers Filmen, wie der Regisseur betont. Es geht, um es kurz zu fassen, um einen neuen Ausblick im Hier und Jetzt, die illusio eines sichtbaren Horizonts, wenigstens um Türchen-Öffnungen des erkennenden Seins, narzisstisch-produktive Ego-Funktionen und individuelle Subjektwerdung im hochtechnologischen, sehr chaotisch beginnenden 21. Jahrhundert; immer auch um die dringend notwendige Entschleunigung von Teilchen- und Begehrensprozessen (i. e. die Notwendigkeit eines „leidenschaftlichen und langsamen Geistes“),2048 die Extermination falsch laufender Bewusstseinsverbindungen, sofern sie erkannt werden, ebenso – damit zusammenhängend – verletzender und vernichtender Codes und Sprache, inklusive ihrer meist schwer fassbaren Objekte und Ur-Sachen im Unbewussten.2049 Gewiss kein Leichtes, schon wegen der panischen Angst, etwas zu verlieren, die dabei im Spiel ist. Wir sollten eine genaue Vorstellung, ein offen kommunizierendes Netzwerk unserer eigenen Ängste und Schwächen entwickeln, vorhandene mediale Strukturen für dieses kollektive Begehren – für mehr Lustgewinn – nutzen. Es geht dabei nicht um Kurz- oder Ausschluss, kein Aus-Spielen im Sinne von agon, sondern um fair play, das polyphone Zusammenspiel, ozeanische Gefühle in klingenden Kathodenstrahlröhren oder auf multimedialen Plasma-flatscreens, (inter-)aktiver Körperkontakt und emotionaler Austausch (power exchange/guilty pleasure), auch und gerade in rosa-roter Weichzeichnung,2050 und letztendlich natürlich, das ist das Ziel, um kosmisch-multiple Orgasmen (beim public viewing und anderswo), die in SHORTBUS schon sehr beachtlich, jedoch gewiss noch optimierbar sind. !!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!! 2047 „De Sades libertäre [soll heißen: libertine? (Anmerkung S. P.)] Gesellschaft ist nicht in Bezug auf ihre fiktive Brutalität einzigartig (wie Auschwitz, Kambodscha und Vietnam bezeugen), sondern nur in ihrem ehrlichen Bewusstsein und dem offenen Genuß an dem Schmerz, den sie andern zufügt.“ Morris 1994, 336. 2048 Nietzsche 1982, 47. 2049 Dieses off macht plausible Erklärungen für (mediale) Gewaltphänomene nicht gerade einfach. 2050 In der Weichzeichnung steckt, wie wir in VIDEODROME („Samurai Dreams“) oder an Sofias Sehnsuchtsort mit Meerblick gesehen haben, eine enorme Energie. ! 663 Der Phallus sollte sich deshalb, bevor er blind verteufelt oder gleich als abgeschafft erklärt wird, in seiner bislang zu kurz gekommenen, transformatorischen und erotisch- libidinösen Seite entfalten können – ein Prozess stetiger Emanzipation und Wahrheitsfindung (im Sinne der Übertragung/ Erfahrung/ Weitergabe eines [wahrscheinlich unlösbaren] Sex-Geheimnisses, Rätsel des Seins). Es geht wie im klassischen Sadomasochismus und in SHORTBUS um die sexuell-imaginär- fantastische Seite des Phallus, nicht mehr um dessen versteinerte, repräsentativ- symbolische Seite, z. B. als Signifikant der (Staats-)Macht, als Zepter oder Statue.2051 Denn dieses Konzept ist, auch wenn es gerade keinen Trends oder Konjunkturen in der Wissenschaft folgt, noch längst nicht passé, das haben alle Filme sehr klar gemacht: in ihnen stehen phallisch-fetischistische Dinge und Medien im Mittelpunkt (vom magischen Knochen über vibrierende Dildo-Eier bis hin zu metaphorisch und/oder real durchknallenden Schaltkreis-Wundern – neue Dinge und Medien). Die immer noch vom (Ein-schneidenden, symbolisch verkürzenden) Phallus gesteuerte Suchmaschine Mensch muss für Eros einfach langsamer werden, slow down, rallentando und diminuendo (z. B. in entspannten Kreis- bzw. Gleitbewegungen: ein gemächlicher Sink- und Landeanflug auf rettende Zeitinseln, Rastplätze, die wir uns schaffen bzw. einfach herausnehmen müssen). Ist dies zu idealistisch-romantisch gedacht oder gar naiv („humanistische[] Träumerei“2052)? – Nicht nur das genaue Hinhören auf Biorhythmen und Subroutinen des verschalteten und biotechnologisch veränderten animal rationale, das immer noch durch den organischen Körper und dessen Trägheit, Widerstand und Vergänglichkeit – Libidinöses – bestimmt ist, sollte mehr in Erwägung gezogen werden (denn unbewusst zieht es immer alles in Erwägung), sondern auch der ästhetische Raum individueller Sinn- und Glücksfragen, !!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!! 2051 Über „[d]ie Leiden der Neurose und der Psychose“, die für Lacan „die Schule der seelischen Leidenschaften“ sind, kann ersichtlich werden – „wenn wir den Grad der Bedrohung ganzer Bevölkerungsgruppen ermessen wollen [...] wie weit die Leidenschaften im Staate abgetötet sind.“ – So Jacques Lacan am Ende seines Texts über das Spiegelstadium, worin sich im Jahr 1949 auch seine eigene, grauenvolle Erfahrung des Faschismus deutlich artikuliert. (Vgl. ders. 1986 [a], 70.) Heiner Müller schließt an Lacans Rede von den abgetöteten Leidenschaften im Staate an, indem er mit Sade die daraus resultierenden Folgen zusammenfasst: „Wenn jeder macht, was er will, geht gar nichts mehr. Vielleicht aber auch alles. Das ist das Interessante an de Sade und seiner These, dass der Staat über die Jahrtausende mehr Menschen getötet, gequält und gefoltert hat, als alle privatkriminellen Energien es je zustande bringen würden.“ Müller 1990, 69. 2052 Vgl. Foucault 1992, 91. ! 664 Besinnlichkeit und Hedonismus, der zurückerobert werden muss, bevor uns die Technologien – selbstverschuldet – zu Tode aktualisiert haben werden. Es wird deshalb auch Zeit, mehr von Thanatos zu erfahren und zu wissen, diesem vorsichtig eine Chance im Diskurs und in der individualisierten Lebens- und Sexpraxis zu geben. D. h. die Schnitte und den Trennungsschmerz, die uns erzeugen und transformieren, schon lange bevor wir anfingen, das, was wir begehren, zu suchen, (an-)zu(-)erkennen, um einen gehbaren Weg, eine machbare Spielpraxis, ein wenig Versöhnung und Trost in der Welt zu finden. Die machbare Freiheit einer Gesellschaft und Kultur zeigt sich heute u. a. darin, ob es Orte wie den Shortbus gibt, ob diese möglich sind. Das ist wahrscheinlich ein verlässlicher Indikator. Diese alternativen Räume, Heterotopien aller Arten und Artefakte (arts), gilt es offen zu halten und weiter zu öffnen, damit sie nicht verschwinden. Denn die Gefahr besteht, sie sind zumindest in New York, einem der weltoffensten (Sehnsuchts-)Orte überhaupt, aufgrund einer restriktiven Gesetzgebung dort schon ins Private bzw. Halböffentliche abgedrängt worden. – Sade wusste, warum er für öffentliche Freudenhäuser als Gesellschaftsinstitution plädierte.2053 Die Realisierbarkeit einer solchen Utopie ist kein Hirngespinst mehr, insofern sie eben so wie in John Cameron Mitchells SHORTBUS umgesetzt wird: als machbares Wunder. Ich möchte die Arbeit mit einem schlichten Dialog von Rainer Werner Fassbinder beenden, der zu den versöhnlichsten im Œuvre des deutschen Ausnahmeregisseurs gehört. Es geht einmal mehr um ein Gespräch unter Frauen – zwischen Petra von Kant und ihrer Mutter in dem Film DIE BITTEREN TRÄNEN DER PETRA VON KANT (1972): Die Mutter: „Man muß den Mut haben zu glauben. Jeder braucht irgendeinen Trost. Jeder, Petra. Und ... Jeder ist einsam ohne Gott.“ Petra: „Nein Mutter. Das ist kein Trost. Man muss lernen zu lieben, ohne zu fordern.“ Die Mutter: „Das ist dasselbe, Petra, glaub mir.“ !!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!! 2053 Vgl. Sade 1984, 42. ! 665 Mehr-Lust-Appendix Pervi-Baukasten zum Mitmachen – frei nach Fernando Vallejos Gedicht Entre Fantasmas (http://www.youtube.com/watch?v=A5eboEqIrJY): Grundrauschen (668)/ Stoffe (669)/ Atmospähren, Aggregate, Attribute (670)/ Symbolisches (671)/ Daneben, drüber, dazwischen, drunter (674)/ Spielfelder (678)/ Kleine Wahrnehmungen (680)/ Ausverkauf (681)/ Es werde Licht (682)/ Eier Popeia (683)/ Passagen (685)/ In the Mix (once more) (690)/ Frauen (694)/ Männer (696)/ Go hardcore (699)/ The show must go on – Credits (703)/ Perversion for You – Your Perversion! (705) 'Cause we were never being boring We had too much time to find for ourselves And we were never being boring We dressed up and fought, then thought: "Make amends" And we were never holding back or worried that Time would come to an end We were always hoping that, looking back You could always rely on a friend Pet Shop Boys. Being boring (1990) 'Cause we were never being boring we had so much fun and found our true selves and we were never being boring we dressed up in fur and our fur made us friends and we were never holding back, or worried that, time would come to an end we were always hoping that, looking back, you could always say furs were your friends Anonym im Internet unter http://www.10yearsofbeingboring.com/lyrics/rewrites/humour 666 It’s the same old song but with a different meaning since you’ve been gone The Four Tops. It's the Same Old Song (1965) (verwendet von Jeol und Ethan Coen in BLOOD SIMPLE [1984]) Der Sinn? Ein bestimmter Reiz/Geschmack, von einem Bewußtsein empfunden, wenn es eine Kombination von Elementen verkostet, deren jedes einzeln genommen einen vergleichbaren Reiz nicht bietet. Claude Lévi-Strauss EXposed EXtend EXpand EXtrude EXplore EXpire EXhale Plastikman. EX (performed Live at the Guggenheim. NYC, November 6th. 2013) Wie könnte die theoretisch schwer fassbare, meist sehr unbewusst operierende Mehr- Lust, der nicht aufgehende Überschuss/Rest des Realen, Loch im Spiegelbild, welche das Ego zentrieren, zusammenhalten und antreiben, im Allgemeinen und Besonderen beschrieben werden? Wo schlägt sie sich nieder, die Lust, wo hinterlässt sie Spuren? Wo sucht bzw. unterstellt man sie? Wer oder was bewirkt sie? – Hier mein (schizoid- unorthodoxes) Brainstorming, nicht vollständig und voll von beabsichtigten Plagiaten,* nicht p.c. und anstelle eines Begriffsregisters: * Diese Sammlung ist u. a. ein ‚Plagiat-Kunstwerk’ (zumindest der Versuch); etwas, das zumindest aus der Perspektive der Prüfungsordnung nicht als (herkömmliche) Wissenschaft betrachtet werden sollte und fakultativ ist. 667 Grundrauschen Voilà!, a-Appendix, enjoy!, Kaleidoskop, dunkler Kristall, What you see is what you get: Libido, Lüge, Libertinage, Wollust, Kolportage, Klatsch, Mythen (des Alltags), (moderne) Märchen, Mätzchen, Poesie(-alben), Mythopoetiken, Autopoiesis, (Ur-)Knall, Knall auf Fall, (Ur-)Schrei(-Therapie), Ursuppe, Schlacke, Schlamm, Humus, Magma, Plasma, Morphogenese, Genesis, Di-/ Amorphes, Urzeitkrebse, schwarzer Monolith, schwarzer Kater, Lava(-lampen), es zieht, es hakt, es tickt, es schmatzt, auf weiter Flur (auf einem weiten dancefloor) sein, Flurfunk, Prismen, Regenbogen(-presse/ -flagge), over the rainbow, Gravity’s Rainbow, Rainbow Warrior, Kitt, Schmierstoff, bullshit, scat, Skat, Skatologie, Sadologie, Schweinkram, (Hyper-)Chaos, chora, Kakologismen, Graswurzeln, ins Gras beißen, Another One Bites The Dust, Archaisches, Anarchisches, Ablagerungen, Sedimente, Sediertes, Versteinerungen, Bernstein(-zimmer), Verlorenes, Verdrängtes, Abwesendes, Abgründe, THE ABYSS, Amnesie, Äther, Anfang, Ende, Am Anfang war der Befehl, das Rauschen (des Realen) zu beenden, Höhen(-schwindel), IM RAUSCH DER TIEFE, Taumel, Horizont, Distanzen, Flächen, Zeit, Raum, (Spaltungs-)Ströme, Strom(-schnellen), Fluten, (Nuss-)Strudel, (Farb-)Wirbel, Himmel, Hölle, (Fege-)Feuer, Wasser, (Heil-)Erde, Luft, Schmutz, Entropie, hohle (mit Luft gefüllte) Nerven, (schwarze) Löcher, Unfassbares, Naturwunder, Marienwunder, Widerstände, unbewusste Erinnerung, Deckerinnerung, Madeleines, TOTAL RECALL, Wiederkehrendes, (Nimmer-)Wiedersehen, Unwiederbringliches, IRREVERSIBLE, Das gibts nur einmal, das kommt nicht wieder, You’ll Never Come Back, You’ll never have me, St. Nimmerleinstag, Sublimationen, Kollisionen, Korruptionen, Korrosionen, Eruptionen, Erosionen, Tektonik, Das Erdbeben in Chili/im Atomkraftwerk, Hemmungen, Lähmungen, Fremdes, Eigenes, Furcht, Ängste, Schocks, chocs, Phobien, Psychosen, Hypnosen, (Auto-)Suggestives, (Geruchs-)Halluzinationen, Perversionen, Zwänge, Nöte, Neurosen, artistic neurosis, (Spiegel-)Neuronen, Narzisstisches, Narkotisches, Narkolepsie, CFS (Chronisches Erschöpfungssyndrom – in Deutschland im Gegensatz zu den USA noch nicht von den Krankenkassen anerkannt), Autismus, Asperger-Syndrom, Affekte, Wallungen, Schwankungen, (Schauer- )Romantisches, Turbulentes, Zufälliges, AU HASARD BALTHAZAR, Random Factor, chill factor, Chili-Chil Bäng Bäng, Plötzliches, Plötzensee, Plötzlich letzten Sommer, ICH WEISS [NOCH IMMER], WAS DU LETZTEN SOMMER GETAN HAST, Eklat, Eclair, Blitzkrieg /-eis, Unerwartetes, Unverhofftes, Kontingentes, Inkontinentes, Inkompetentes, Kontingenz-Kompetenz, Ephemeres, Partikulares, Sprunghaftes, Einzigartiges, Singuläres, Temperamente, Mentalitäten, Temperafarben, tempora, Tempura, Tonarten, Ober-/ Untertöne, (Unter-)Grund, DAS WEISSE RAUSCHEN, Berliner Weiße (mit Schuß), DAS WEISSE BAND, Grund-/ Oberflächenspannung (aus- )halten, Spannkraft, Sud, Fond, (Essig-/ Quint-/ Parfüm-)Essenz, Dissonanz(en), blue notes, spleens, couleurs, chaleurs, Nuancen, Unwahrscheinliches, Surreales, (Hyper-)Realistisches, Reales, Reelles, Reality is what you make of it, augmented realitiy, We say: Oedipus and castration, make the best of them, because it’s not going to last, Impressionistisches, Expressionistisches, Dadaistisches, Kubistisches, White Cube, Minimalistisches, (Hyper-/ Post-/ Nach-/ Spät-/ Trans-/ Vor-)Modernes, Nie-Modern-Gewesen(es), MODERN TIMES, Brasilianischer Modernismus, Ist die Moderne unsere Antike?, Transitorisches, Transen, Transistoren, Übergangsorte /-zeiten, Überschall(-knall), überall, Überdauern, (Onmni-)Potenz/ (-)Präsenz, Ubiquität, Universalität, Universität, planet love, Planet Borromeo, Bororo, Marlboro, Borrelien, Afrika in uns, Afro-Look, AfrofuturlogInnen, Afrika – 1000 heiße Feuer brennen nachts, Wiege der Menschheit, DAS MEER IN MIR (in einem Zug austrinken), andare in onda, das ozeanische Gefühl, onda del futura, écriture automatique, stream of consciousness, In Flux, CHAOSOPHY, Kinetik, Kosmetik, Kinematografie, Magnifizenz, Opulenz, Abundanz, Exuberanz, Fülle, Fälle, Wonne, chroma, Roma, ROME, Che bellissima citta, alle Wege führen nach Rom, Stazione di Roma Termini, Rom wurde (auch) nicht an einem Tag erbaut, Club of Rome, die sieben Stufen der Lust, DER 7. SINN, (Über-)Sinnliches, Synästhesie, Sensualität, SENSO, SINN UND SINNLICHKEIT, Così fan tutte o sia La scuola degli amanti, Und alles ist sexuell. (...) Und dass selbst der Tod ein durchaus erotisches Erlebnis ist, Sex ist the biggest nothing of all time, The Supreme Nothing, Im Wappen unserer Sexualität steht zuchtvoll stumm und scheinheilig die spröde Königin, doch guter Sex kann immer alles retten, um den Sex herum zündet eine diskursive [und körperliche] Explosion, IM REICH DER SINNE, Siebter Himmel, Himmel voller Geigen, himmlisches Jerusalem, erste Geige, himmlische Discogeigen, Schweineorgeln, Posaunen (von Jericho), Pauken, Trompeten, Klaviaturen, (Kipp-)Schalter, Schieber, Regler, Hebel, Knöpfe, Kurbeln, Hähne, Ventile, Walzen, (Zitronen-)Pressen, Selbstauslöser, Zeitzünder, Autofocus, Rückkopplung, switchboards, surfboards, keyboards, billboards, synthesizer, E-Zither, Die Philosophie, das ist eine Art von Synthesizer für Konzepte, Vorführgeräte, Megamaschinen, Weltmaschinen (von Franz Gsellmann in seiner Scheune oder der Large Hadron Collider [LHC] unterirdisch und mit einem Durchmesser von 668 fast 27 Kilometern und mit NaturwissenschaftlerInnen weltweit vernetzt), Höllenmaschinen, (anale) Lichtmaschinen, Schwarzgerät, Schwarzlicht, Prothesengötter, verwesende Monstergottheiten, (Go-to- hell-)Hymnen, Elegien, Dämmerndes, madrugada, Morgengrauen, Morgenlatten, Terror Morgana, Zurückgenommenes, Diskretes, Gedämpftes, sotto voce, vortices, virage (wechselnde Gesamtfärbung des Bildes), Gepuffertes, Gedimmtes, Getöntes, Getünchtes, Überblendetes, Samtenes, Zartbesaitetes, (andere) Saiten (aufziehen), Hartgesottenes, Härtegrade, Härtefälle, HART ABER HERZLICH. Stoffe (Fossile) Brennstoffe, Botenstoffe, Theater-/ Filmstoffe, Reinstoffe, reiner Stoff, Rohstoffe, Rohfassungen, Rohes, Rost, Thüringer Roster, Reinheitsgebote, Bölkstoffe, (Krach-)Ledernes, (auszufüllende) Dirndl, Schuhplatteln, Jodeln, Jodeldiplom, Intelligenztests, Gaudi, Flokati, Blech, Alu, Alumnis, Teflon (wurde nicht für die Raumfahrt erfunden), Beton, Ytong, Stroh, Styropor, Schaumstoff, Tuff, tuffig, Schurwolle, Glaswolle, Wollblumenkraut, Krautrock, Techno mit Unkraut, Waldböden aus Plüsch, Seen aus Bitumen, Stanniol, Glykol, Glycerin, Lycra, Velour, Viskose, Meine Schwester heißt Polyester, Du bist vielleicht ganz schön/ Aber du bist aus Plastik/ Und ich versuchs zu übersehen/ Doch tut mir Leid: Ich schaffs nicht, Plastic Man, Plastelin, Plasmid, Bambus, Rattan, deutsche Eiche, Kork, Filz, Kord, filth, Plaste, Elaste, Satin, Salben, Salven, Salbei, Seide, Serotonin, Oxytocin, Mondamin, Dopamin, Protein, Rasputin, Pervertin, Zellulose, Zelluloid, Zellgift APTX 4869, Chlorophyll, Chloroform, Chlorsilber, Jodsilber, Silbernitrat, Silberring, Silberlöffel, Silberhalogenid der Zelluloid-Emulsion, Die Seele in der Silberschicht, Silicium, silencium, Edelmetalle, Edelramsch, Goldlamé, Talmi, Fimo, (Edel-)Gase, Xenon, Argon, Neon, Nickel, Krypton, Knallgas, Lachgas, Treibhausgas, Gaschromatographie (GC), GAS FOOD LODGING, (Soja-/ Heil-/ Diesel-/ Rizinus-)Öl, Dieselfahrzeuge mit steuerfreiem Heizöl antreiben (Bauernregel), Kraftstoff, Treibstoff, Tupperware, Hardware, Software, Wetware, heiße Ware, heißer Scheiß, warme Semmeln, (Kau-)Gummi, Warenhaus GUM, Kautschuk, protection, gear, from cotton to carbon, des Kaisers neue Kleider, Sonntagsanzüge, Jogginganzüge, Smokings, Maßgeschneidertes, Brioni(-Kanzler zieht vor Gericht, wenn die Presse behauptet, seine Haare seien gefärbt), Armani, armours, (edler) Zwirn, zweite Haut, Robe, Zobel, (Ratten-)Pelz, Pelz mit Reizwäsche drunter tragen (Rapper-Fantasie), Pelz- Attentate, Tüll-Terror, Trenchcoat mit nichts drunter tragen (Blitzer-Fantasie), Gehrock, Tennisrock, Plisseerock, sich unter Weiberröcken verkriechen, Schlitz im Kleid, kilt, (lila) Latzhose, Jeanshose (mit Domestos übergefärbt), Schlaghose, Ballkleid, Brautkleid, Blaukraut, Blaumann, white collar, Windel(weich), Fummel, Degas-Tutus, Tuniken, (Chanel-)Bomberjacken, Ethno-Chic, onkelige Hütchen, Fingerhut, Zuckerhut, Sepplhut, grauer Vormittagshut, Partyhut, Pickelhaube, auf der Hut sein, Hutschachteln, Sombrero, Turban, Perturbation, (Baseball) Cap (falsch herum tragen), Pudelmütze, Kopfputz, Kopftuch(-streit), Kutten, Kittel(-)/ (Ketten-)Schürzen, FULL METAL JACKET, Texas-Gürtelschnallen, slippers, sneakers, flip-flop(s), out of style/ fashion, Espandrillos, Sandalen (Zori), Hüttenschuhe, Moon Boots, Galoschen, Gamaschen, Moccasins, Moccabars, Moloko, Moko, Holzschuhe (geta, klompen, sabots), Holzschuh als Symbol der Sabotage, Chruschtschows Schuh, Schuhbomber, Clogs, Botten, Stollen, Stelzen, Stilettos, high heels, spanische Stiefel, Stinkstiefel, Plateaustiefel, Husarenstiefel /-stück, gestiefelte Katzen, bunte Krawatten (mit Diddl- Maus-Applikationen), Lederkrawatten, Lederlametta, Nappaleder, Krokoleder, zäh wie Leder, vom Leder ziehen, Epauletten, (Trekking-/ Kork-)Sandaletten, Jesus-Latschen, (weiße) Tennissocken, (Farbe der) Schnürsenkel, (Perlen-/ Piraten-)Ohrringe, Schmuck(es), Kleidsames, Kollektionen, outfit, Fetzen am Leib, Verschleierndes, Verhüllendes, Ummantelndes, ([semi-]permeable [Gehirn- ])Membranen, der Mantel einer Absicht, Atmungsaktives, Abweisendes, dreamcoats, Vampir Capes, Jack Wolfskin, Gore-Tex, fleece, Gefliestes, we are, what we wear, Umgarnendes, Einengendes, Abschnürendes, Korsetts, (eiserne) Halskrausen, Zwangsjacken, catsuits, Katjes, Maske(n), Mieder, Mascara, Mannequins, Müllsäcke, (essbare) Kleidung/Verpackungen, Verkleidungen, Kostüme, cosplay (ist eine Wortgestaltung aus den Begriffen costume und play, sehr beliebt bei japanischen Teenagern, die dafür viel Geld ausgeben – costplay), Coldplay, Schminke, Palatschinke, Faschingsball, fancy dress ball, Abschlussball, Presseball, Opernball, cross-dressing, Partner-Look, Zwie-Tracht, pyjamas, Morgenrock, Seidenkimono (Junihitoe), Adamskostüm, Äffchen, Beffchen, Lätzchen, jemanden eine vor den Latz knallen, Strickjäckchen (leger über die Schulter gehängt), Strickjacken- Konferenz Kohl – Gorbatschow, The Cardigans, das wärmste Jäckchen ist das Konjäckchen, etwas Warmes braucht der Mensch. 669 Atmosphären, Aggregate, Attribute Leichtes, Leichtfüssiges, Leichtverdauliches, Schweres, elegische Schwere, schweres Parfüm, Erdrückendes, Depressives, Belastendes, Bedrängendes, Bleierndes, Gleißendes, Blendendes, Verfluchtes, Heiliges, Profanes, Unheimliches, (Klamm-)Heimliches, Verdecktes, Verborgenes, Nicht- Sichtbares, Übersehenes, Offensichtliches, Offenkundiges, klar wie Kloßbrühe, Kläranlagen, geheimes/ unheimliches/ gefährliches Wissen, Monströses, Nicht-Vorstellbares, Unausdenkbares, Verkanntes, Isoliertes, Ausgesetztes, Verabschiedetes, Les Adieux (op. 81a), Abgesetztes, Unterdrücktes, (lebend[ig]) Begrabenes, BURIED, Altmodisches, Altruistisches, Verspätetes, Veraltetes, Eingeschlossenes, Eingefrorenes, (Ein-)Gemachtes, Ver-/ Untergangenes, die alte Bundesrepublik, das alte Europa, Altkluges, die Welt von gestern, der/ die/ das ewig Gestrige, der Schrottplatz der Geschichte, Zu-spät-Gekommene(s), old school, Versunkenes, Verschollenes, Verschüttetes, Verlassenes, Liegengelassenes, Vergessener Sonnenhut im Gras, Auf der Suche nach der verlorenen Zeit, das verlorene Jahrzehnt (2000-2010), das entsicherte Jahrzent (2000-2010), Überholtes, Übergangenes, Abgewürgtes, Abgetrenntes, Angekokeltes, Angefixtes, Angestacheltes, Aufgewühltes, An-/ Abgezapftes, O’zapft is!, Verzapftes, Versoffenes, Gebrauchtes, Geborgtes, Geklautes, Grand Auto Theft, Geplündertes, Missbrauchtes, Ver-/ Ausgestoßenes, Ausgeprügeltes, Ausgepeitschtes, Ausgewürgtes, Abgerungenes, Ausgerufenes, Ausnahmen, Ausschnitte, Andersdenken, Gedankometer, Die Gedanken sind frei, wer kann sie erraten?, Heterodoxie, Häresie, dumme Gedanken, Schubladendenken, Denkzwang, Wenn du denkst, du denkst, dann denkst du nur, du denkst, Denkzettel, Zettels Traum, Zettelkästen, Durchtriebenes, Umtriebiges, Irritierendes, Irrlichterndes, Schwirrendes, Versprengendes, Strandendes, Niederschlagendes, Schwarzer Regen, Saurer Regen, Singin’ in the Rain, It’s Raining Men, Hagel, Frösche, Vögel, Engel (Jahresendflügelfiguren), Ausbrechendes, Überrumpelndes, Eindringendes, Einbrechendes, Sturzbäche, Hörstürze, Horch, was kommt von draußen rein, DIE VÖGEL, Einlass, weltoffenes Deutschland seit den Olympischen Sommerspielen 1972 in München (gilt nicht für die Asylpolitik), Willkommenskultur, Durchlass, You have to let it happen, Durchwinken, happening, Die Karawane zieht weiter, Zurückgebliebenes, Aufgegebenes, Abgeschiedenes, abseits, Einsames, Solitaire, Schüchternes, ICH BIN SCHÜCHTERN, ABER IN BEHANDLUNG, Melancholisches, Insistierendes, Hartnäckiges, Bestechendes, Bedrohliches, Einschüchterndes, Plagendes, (Selbst-)Bestrafendes, Verstummendes, Vermummendes, Stummes, Sprachloses, Namenloses, Ungenanntes, Ausdrucksloses, Verstümmelndes, Zermalmendes, Zerstückelndes, Zersetzendes, Betäubendes, Bewegendes, Begeisterndes, Überwältigendes, Bezauberndes, Faszinierendes, Betörendes, Verführendes, Verlogenes, Verfolgendes, sich vom Geheimdienst verfolgt fühlen, Wilde Jagd, An-/ Aufspringendes, (Auf-)Begehrendes, gegen den Wind, gegen Windmühlen, gegen den Strom, Maelström, Nährstrom, BREAKING THE WAVES, Against guitar solos, against any kind of sedative art, against conservation of art in museums, reconstruction, against any individual retrospective now and in the future, gegen alles, Kämpfendes, Konkurrierendes, My Milkshake is better than yours, Ringendes, DEAD RINGERS, Duelle, THE WRESTLER, Widerstreitendes, Verletzendes, Tötendes, (Zu-)Packendes, Zuschlagendes, Duckendes, Ausweichendes, Abwehrendes, Abgewaschenes, (Ab-)Gekochtes, Gereinigtes, Sagrotan, Ha Ra, HARAKIRI, le dernier cri, Kickeriki, Gockolores, Gechlortes, Gesäubertes, Gekärchertes, wisch und weg, hin und weg, brainwashed, stonewashed, Sterilisiertes, Stilisiertes, Reines, die reine Lehre, nicht nur sauber, sondern rein, Absage an jedes System, Zen, Hervorstechendes, Herausragendes, Herausgeputztes, Geschniegeltes, Gestriegeltes, Edelweiß(-piraten), erstmals seit der Hansezeit stehen in Deutschland im November 2010 wieder Piraten vor Gericht, Piraten-Partei, Meißner Porzellan, Asketisches, Koscheres, (Unbe-)Streitbares, Veredelndes, Aufwertendes, Intimes, Persönliches, Unveräußerliches, Menschenrechte, ES WAR EINMAL DER MENSCH, verschwindendes Gesicht im Sand, Mensch ärgere Dich nicht, HAPPINESS, PERSONA (non grata), Limitierendes, Sterbliches, Kastrierendes, Kriminalisierendes, PARAGRAPH 175, CRIMES OF THE FUTURE, Kriminaltango, Destruktives, Blockierendes, Mauerndes, (Ein-/ Weg-)Sperrendes, Sperriges, Abgefertigtes, Abgerichtetes, Ausgesetztes, Auszehrendes, REQUIEM, Ausgewildertes, Geert Wilders, Verleugnendes, Verzögerndes, Heimsuchendes, Epressendes, Geißelndes, Geiseln, Gespenster, (Plage-/ Quäl-/ Lebens-)Geister, Unsterbliche, JULIA UND DIE GEISTER, GHOST DOG, GHOST IN THE SHELL, ghostwriter, gerufene Geister, Geisterseher, Schwelendes, Schwelgendes, Schwofendes, (Ab- )Schweifendes, Schwangeres, Verdächtigendes, Verzehrendes, Verzärtelndes, Verschlingendes, Verhätschelndes, Verätzendes, Verarztendes, Doktorspiele, Verheizendes, Verbrennendes, Verglühendes, Ver(s)engendes, Versagendes, Vergängliches, Verwelkendes, Vergilbtes, Verwitterndes, Verfaulendes, Verschimmelndes, Verwesendes, Verschwindendes, Vorüberziehendes, Verflüchtigendes, Verduftendes, Berührendes, Kreuzendes, Chiasma, Verhärmtes, Verhärtetes, Verkalktes, Verkorkstes, Verwirktes, Verworrenes, Verrostetes, Vertrocknetes, Verdorrtes, Ver-/ 670 Getilgtes, Einverleibtes, Nivelliertes, Eingedampftes, Eingestampftes, Normiertes, 08/15, 8 ½, (kleinster) gemeinsamer Nenner, das (kleinere) Übel, der (geringere) Widerstand, Abnehmendes, Abmahnendes, Abgehendes, seine Felle davonschwimmen sehen, Fell über die Ohren ziehen, (Ab- )Geschiedenes, Prekäres, Abgefucktes, Abgewetztes, Abgewirtschaftetes, ganz unten, Abtrünniges, Abgehalftertes, Abgetakeltes, Abgefeiertes, Abgekartetes, Abgeschmacktes, Ablehnendes, Ablebendes, ashes to ashes, funk to funky, heiße Asche (nicht in die Plastiktonne füllen), ASCHE UND DIAMANT, isländische Vulkanasche am europäischen Sommerhimmel, DER HIMMEL ÜBER BERLIN, Ein Stück Himmel. Erinnerungen an eine Kindheit, der blaue Himmel über New York am 11.9.2001, Flugverbote, Atmosfair, (Ab-)Fließendes, Abflussfrei, flux libidinal, Fließ’ Sexualchemie, Überlaufen, Überfluss, Neoplasmus, Fluxus, Flüssiges, Fluss(-diagramme), Fließgeschwindigkeiten, stehende Gewässer, stille Wasser, Plattensee, Verwässerndes, Homöopathisches, Gepanschtes, Dünnschiss, Diarrhoe, Gonorrhoe, harter/weicher Schanker, Syphilis, Lues, Durchfall(endes), Einläufe, dickes/dünnes Süppchen, gigantisch gärende Suppe aus Tatsachen zusammenbrauen, die beste Suppe kochst Du in alten Töpfen, sich etwas einbrocken, auslöffeln (müssen), Brühe, Plörre, Phasen, Brausen, Laugen, Limonade, Limonello, Robinsonade, Monade, Bionade(-Biedermeier), Fanta (4), Limo- Service, Lido di Venezia, Ich brauch’ kein Venedig, Aqua di Bologna, 47/11 Kölnisch Wasser, Chanel No. 5, Patchouli, Shalimar, Jungle Juice, Weihwasser, Heilwasser, H2O, Evian, Rotz und Wasser, Blut und Tränen, Lindenblütentee, Bachblüten, einen im Tee haben, Stil-/ Appendixblüten, Les Fleurs du Mal, Les Journées de Florbelle, Notre Dame des Fleurs, DIE MADONNA DER MÖRDER, Blümerantes, Ejakulierendes, Zuckendes, Besudelndes, (Aus-)Strömendes, (Aus-)Strahlendes, Fortpflanzendes, Befruchtendes, flow, Rausch(endes), Heißes, Kaltes, Cooles, Wohltemperiertes, Wohlkalkuliertes, Das Wohltemperierte Klavier (BWV 846-893), Klassik-Radio, E- und U-Musik, Ausgleichendes, Brownsche Molekularbewegung, (Selbst-)Gerechtes, Saturiertes, Selbstjustiz, HARRY BROWN, (der Glaube an) kosmische Gerechtigkeit, (Ur-)Tragisches, (Derb-)Komisches, Glorifizierendes, Verherrlichendes, Erhabenes, Aura, Grazie, Toxisches, Nachhaltiges, Störrisches, Törichtes, Widerspenstiges, Störendes, Sprödes, Rauhes, Rustikales, Frigides, Zugeknöpftes, Verhaltenes, Betuliches, Betuchtes, Befreiendes, Loslassendes, Iphigenie auf Tauris, Offenbarendes, Kathartisches, (Aus-)Tauschendes, Napster, Verschenkendes, Verschwendendes, Perlen vor die Säue, etwas hinterher geschmissen bekommen, Lieferservice, frei Haus, Auswurf, Rauswurf, Verlotterndes, Versautes, Verrotztes, Bekifftes, Versifftes, Schlüpfriges, (Auf-)Sparendes, (Auf-)Opferndes, (Ver- )Schonendes, Gnadengesuch, Gnadenbrot, Gnadenstoß, Stoßgebet, Schoßgebet, Lebensbeichte. Symbolisches animal symbolicum, animal rationale, tool making animal, machina rationale, maschinenartiges Säugetier, denkkrankes Tier, das [noch] nicht festgestellte Tier, vom Trieb zur Metaphernbildung geleitetes Tier, tragischer Aufriß, être parlant, Aufnehmendes, Aufgehendes, Aufhebendes, Anerkennendes, Anerkanntes, Arriviertes, Aufrichtige(s) Lügen, LÜGEN UND GEHEIMNISSE, Alle Kreter lügen, Alles Lüge!, Belege, Beläge, Beweisführungen, Gottesbeweise, Sexbeweise, DEATH PROOF, Quittungen, (große und kleine) Erzählungen, man(n) sagt, Konfuzius sagt, Oralität und Schriftlichkeit, Babylonische Sprachverwirrung, Romane mit 6000 Seiten (wie bei Sade), 100 Seiten für die Beschreibung einer einzigen Sexszene (wie in Péter Nádas Parallelgeschichten mit gut 1700 Seiten), Pop(p)literatur, Grundsprache, Generative (Transformations-)Grammatik, datsuraku (Alltagssprache der Buddhas), Datsun 240Z, involucrum verborum, Vierfacher Schriftsinn, The medium is the message/ mess age/ massage/ mass age, Ganzes, Das Ganze ist mehr als die Summe seiner Teile (bitte erklären Sie dies genauer!), ganze Zahlen, aufs Ganze gehen, Runden, organisches Ganzes, organische Stereometrie, EINS, Bruchzahlen, Jahreszahlen, Dezimalzahlen, Dez, Fez, (RSS- )feeds, digits, Zahlengläubigkeit /-manie /-paranoia /-analphabetismus, 23 – NICHTS IST SO WIE ES SCHEINT, SHINING, Aber-/ Irrglauben, Glückszahlen, Lottozahlen, Lotterie des Signifikanten, Ziffern, numerisches/magisches Denken, 0, 1, -1, Wurzel aus -1, Wurzelbehandlung, back to the roots, Back to Black, Lacansche Algebra, Boolesche Algebra, jouer aux boules, Zahlennebel, Zahlenwirbel, Zahlentusch, Abgezähltes, Angezähltes, Ausgezähltes, (Selbst-)Zählendes, Auszahlendes, VG-Wort, Schaltendes, (Ver-)Waltendes, (doppelte) Buchführung, Programmiertes, Eingreifendes, Intervenierendes, Steuerndes, Kontrollierendes, Exekutierendes, Manifestierendes, Messendes, Messias, Messianisches, Messdiener, Watt, Ohm, Dezibel, PayPal, ma belle, bel ami, (Art) Miami, Miramar, Myanmar, Manoa, Maori, Midori, SASORI, SCORPIO RISING, Koordinierendes, Symphonisches, Polyphones, Synchronsprechen/ -schwimmen, Simultanübersetzung, Spiel, Sport, Stimmung, Verbindendes, Conneticut – Connect-I-cut, (Pizza-)Connections, HIGH CONTACT, 671 Beziehungen (spielen lassen), Vitamin B, Link, Linkisches, legato, (Il-)Legales, Legasthenie, (Dys- )Kalkulie, Arithmasthenie, Objektivierendes, Exactitudes®, Exaltiertes, uniforme Ungleichartigkeit, Da ihr alle das Gleiche wollt, werden wir es Euch geben, Abfall für alle, Homophones, Homophobes, Homologes, Homo Faber, homo sacer, homo natura, Organisierendes, Oraganon, Orgon, turntables, timetables, Filofax, Faxen, Simsen, Simson, Samsonit, DAS SAMS, (Staats-)Tragendes, Staatsbegräbnis, STAATSANWÄLTE KÜSST MAN NICHT, ROSEN FÜR DEN STAATSANWALT, Zentralperspektive, Euklid, Nuklid, Tafeln, Bundesverband Deutsche Tafel e.V., Tafelsalz/ -silber, Salzsäulen, magische Schalttafeln, Tachos, (Kontroll-)Monitore, Displays, dashboards, Werbebanner, Flyer, Auslagen, Ausblick, Überblick, Totale, Schau ins Land, point-of- view-shot, Zwerge, die auf den Schultern von Riesen hocken, Belvedere, Blickfang, Augentäuschung, Blickzähmung, Panorama, Odorama, FUTURAMA, (gesichertes/situiertes) Wissen, das absolute Wissen, stumm machendes Wissen, Unbewusstes, Wikipedia, edit war, Stupidedia, Wissen, das die Welt (nicht) braucht, Wikileaks, WICKIE UND DIE STARKEN MÄNNER, Wer, wie, was – wieso, weshalb, warum – wer nicht fragt, bleibt dumm!, WAS SIE SCHON IMMER ÜBER SEX WISSEN WOLLTEN, ABER NIE ZU FRAGEN WAGTEN, stille Fragen, Lexika, Enzyklopädien, Virtuelle Realität, Cyberspace, Erfahrung, Praxis, Funktionen, Vorgänge, (work-)flow, Agenden, Agenten, Agent Orange, Absichten, Operatoren, Garanten, Geranien, Gesten, Gestus, Nimbus, Nimrod, Habitus, Vektoren, Traktoren, Traktate, Frittaten, Kantaten, Trends, (Stoß-)Richtungen, (Hotel) Zur Sonne, vers la flamme, roter Faden, rote Karte, Katechismen, Regelndes, fair play, safe, sane and consensual, Regulierendes, Papiere, Passkontrollen, biometrischer Pass, elektronische Fingerabdrücke, Nackt- Scanner, Stasi-Akten, AKTE X, Aktzeichnung, Aufzeichnung, documenta, Notationen, Nachrichten (von gestern/ von morgen/ aus dem Jenseits), Aufschreibesysteme, Schreibmaschinen, Malling Hansen- Schreibkugel, Hermes Baby, Turingmaschine, ENIGMA, ELIZA, (In-)Schriften, Gravuren, (Liebes- )Briefe, Der stibitzte Brief, (Testament auf dem) Küchenblock (vor dem Selbstmord), Küchen-/ Wochenabreißkalender, Karte/ Nummer/ Fäden ziehen, Archive, Speicher, Bits, Bytes, Mikrochips, Wunderkammern, (beleuchtete) Schaukästen (auf dem Ku’damm), content management systeme, in medias res, Hologramme, Monogramme, Anagramme (Du bist von hinten wie von vorn A-N-N-A), An Anna Blume, Anna O., Annas Hustenmaschine, ABBA, Anachronistisches, Anamorphosen, Äquivalenzen, Alternativen, Algorithmen, Hieroglyphen, Hyberbeln, Tautologien, (Raub-)Kopien, Schnellcopirmaschine der Presse, copy-shop, photoshop, (Hochglanz-)Abziehbilder, Samples, Plagiat, Plaque, Plackerei, Inkunabeln, Insignien, Initialen, (Ver-/ Ab-)Kürzungen, Schmalspur, Bologna- Prozess, die Module spielen verrückt, kurzer Prozess, Prozesskunst, kurz und schmerzlos, Kung Fu, Lohnkürzungen, (moderne) Tagelöhner, Kurzarbeit, Kurzfassungen, Kurzwaren, Kurzschluss, SHORT CUTS, Lacans Kurz- bzw. Nichtsitzungen, das Leben ist kurz, seid gut zueinander, in der Kürze liegt die Würze, (Nietzsches) Aphorismen, Julien Tormas Euphorismen, bonmots, (Die niederländischen) Sprichwörter (Pieter Bruegels), Stenografie, Skandierung, Skansion, safeword, Zeitzeichen, Klopfzeichen, Lebenszeichen, Rauchzeichen, Rauchwaren, Schall und Rauch, Schallwellenbrandung, Schalldichtes, Stille nach dem Schuss, Schuss nicht hören, Schnellschuss, Schnappschuss, Aufschnappen, Aufatmen, Ruhe vor dem Sturm, Ruhe im Karton, Laute, Lautmalerei, (Alarm-)Signale, Stimmen aus dem Jenseits/ Spucknapf, the voice inside [the pain inside] is always right, ready for the robotflight, Markierungen, tags, tag-Sammlungen, keywords, (Status-)Symbole, Statisches, Statistisches, Analysanden, SCANNERS – IHRE GEDANKEN KÖNNEN TÖTEN, Decoder, Vocoder, Lügendetektor, Fangfrage, Gretchenfrage, Querulanten, Querdenker, Querschläger, Störenfriede, Spekulanten, Spekulatius, (vaginal) specula, Herausforderungen, Aufgaben, (Bahnhofs- )Missionen, Himmelfahrtskommandos, Selbstmordattentäter, the love from above, Aus den Wolken kommt das Glück, deus ex machina, Rätsel, Fragezeichen, Symptome, Weltwunder, (Massen-)Medien, Medienpolitiker, MAX HEADROOM, (virtuelle) Politikerdarsteller, L’inconscient, c’est la politique, die/der Fetisch(-)Politik, Hokuspokus, Wer’s glaubt, wird selig, Wir wollen nicht alles anders, aber vieles besser machen, Dem Bestehenden den Arsch pudern, Ich bin korrupt, aber tue wengistens was, wir tun alles, damit alles so bleibt, wie es ist, es ist wie es ist, Basta, Alabaster, Status quo, Statut, state of the art, (conditio) sine qua non, Grundgesetz, unbestimmtes Gesetz, Neue Mitte, mitten mang, Klientelpolitik, schwindende Volksparteien, Assessment(-Center), Orakel, Wettervorhersagen (weiße Weihnacht’ schon im Oktober voraussagen), self-fulfilling/ -defeating phrophecy, Komintern, Kompaktes, Kombinierendes, Bildendes, Philosophie, Lebenskunst, Literatur, (Rechner-)Architektur, Theorie-Design, Blumenampeln, mixed tapes, Beete, Rabatten, gießen, sprießen, genießen, (Muster- )Ordnungen (der Dinge und der Medien), Ordnung ist selten, sie ist eine Insel, eine Inselgruppe. Die Unordung ist der Ozean, aus dem diese Inseln aufgetaucht sind, De locutionis significatione, Verteidigung gegen das Chaos, in Reih und Glied, A CHORUS LINE, alles an seinem Platz?, alle an ihrem Platz?, Hast Du sie noch alle?, Rankings, PageRank Algorithm, PISA, Bundesliga, Kreisliga, Kirchenliga, Luderliga, Schwarzlisten, Hitlisten, HITLERS HITPARADE, Bestsellerlisten, Einfluss, 672 (Ohn-)Macht, Alle Macht kommt vom Volke, Keine Macht für Niemand, Konzepte, (Spiel-)Pläne, Dramaturgien, masterplan, business plan, Grabmäler, Wohlstandsmüll, Weltraummüll, Sondermüll, Sperrmüll, Freegans (Abfälle essen liegt im Trend), Elektroschrott, Skelette, Strukturen, (Post- )Strukturalismus, RSI, S.I., Chaosforschung, Fuzzylogik, Unfallforschung, hedonistische Wissenschaft, Glücksforschung, Glücksmessung, Bruttosozialglück (WissenschaftlerInnen haben herausgefunden, dass ab einem Einkommen, das ungefähr 20 000 Dollar pro Jahr beträgt, das persönliche Wohlbefinden nicht mehr steigt), Eudämonie, Aristoteles, Epikur, Arthur Schopenhauer, Alfred Bellebaum, Boom der Glücksliteratur, HAPPY-GO-LUCKY, Glück schätzen, sich glücklich schätzen, Wie viele Menschen waren glücklich, dass du gelebt?, Wenn du ein Menschenleben rettest, rettest du die ganze Welt, Last Night a DJ Saved My Life, Verknotetes, Vertäutes, Vertäfeltes, Verstricktes, Gesticktes, Gestricktes, Geklöppeltes, Gestepptes, Gedrehtes, Gedrechseltes, Gefrästes, Geschnitztes, Gebürstetes, Gegeltes, (Vor-)Gestanztes, Her-/ Eingerichtetes, Illusionistisches, Gaukelwerk, (Tisch-)Feuerwerk, Zierwerk, Blendwerk, Bergwerk, Teufelswerk, Zerstörungswerk, Flickwerk, Flechtwerk, Schnipselwerk, Walzwerk, Vertragswerk, Lebenswerk, Auftragswerk, Meisterwerk, Schlagwerk, E-Werk, Stockwerk, Fahrwerk, Passagenwerk, Wunderwerk, opus (magnum), Unerledigtes, Unfertiges, Unabgeschlossenes, Vollendetes, h-Moll Messe (BWV 232), Beethovens Klaviersonaten (das Neue Testament der Klavierliteratur), das Werk Ingmar Bergmans, Köchelverzeichnis, Werkverzeichnis, Werkschau, Kanon, Canon, The Chicago Manual of Style, styleguide, freestyle, Duden, Gesetze, Verbote, Prüfungen, Zensur(en), (Zehn) Gebote, DEKALOG, Dekadenz, (DIN-)Normen, Mensch-weiß westlich- männlich-erwachsen-vernünftig-heterosexuell-Stadtbewohner-Sprecher einer Standardsprache, Critical Whiteness, Richtlinien, Grundlinien, online, If I step on a line/ Something will happen/ There are rats in a jar/ Something terrible will happen/ And they have such big Eyes/ And they are shining so bright/ All the better to see/ And they have such sharp teeth/ All the better to eat/ And they are looking at me, law and order, le non/nom du père, Tabus, Verneinendes, Verhinderndes, Disqualifizierendes, Unwissenheit schützt vor Strafe nicht, Verblödung, Fashion-Police, Officer, where’s your Brother (Get her!), Ansagen, Durchsagen (vom Band und im schlechten Englisch), (Durchsuchungs-/ Haft-/ Schieß- )Befehle, masters and servants, Anleitungen, Ratgeber(-industrie), Bibeln, (Binsen-)Weisheiten, Ältestenrat, Ethikrat, (Ego-)Orthopädisches, (Para-/ Ich-/ Sozial-)Psychologie, ’Pataphysik, (US- amerikanische/französisch-strukturale) Psychoanalyse, Freudiana, do you want to be somebody/ Freudiana, do you want to change the world, Präpariertes, Zurichtendes, (Akro-)Batik, Anpassendes, digitale Gleichschaltung, bio-adapter, ADAPTATION, WAS NICHT PASST, WIRD PASSEND GEMACHT, DER WIDERSPENSTIGEN ZÄHMUNG, Dressierendes, Heranzüchtendes, Domestizierendes, Pygmalion, (Ver-)Sorgendes, Heilendes, Harmonisierendes, das Bild kommt ins Lot, Integrität, intregale Ungeheuer, (Ver-)Einigendes, Heirat, Hochzeit, Hochsaison, der schönste Tag im Leben, Hochzeitsnacht, die heilige katholische Ehe, Ehedeal, Ehegattensplitting, Homos im Heiratswahn – Dick und Doof auf Butterfahrt, besser: PACS (Pacte civil de solidarité) in Frankreich, Hochzeitsmessen, Geschlechtsverkehr, Konjugation, Kopula, Mündendes, Angermünde, Warnemünde, Peenemünde, Infrastruktur, Infrarot, Leute, die sich ständig über mangelnde Infrastruktur beschweren, wollen stärker kontrolliert werden, (soziale) Einrichtungen/Institutionen, ([nicht] eingetragene) Vereine, Geheimbünde, Vorsicht, Rücksicht, Sorgfalt, Sorge, Verantwortung, Vorsätze, Prophylaxe, Schutzmaßnahmen, Fordern und Fördern, (grausames) Über-Ich, ÜBER-ICH UND DU, Du kannst, denn du sollst, Du musst, Yes, we can, Was wollen wir trinken? (sieben Tage lang), auf Nummer sicher gehen, falsche Nummer, kein Anschluss unter dieser Nummer, Nummernrevue, Fetisch-Sex, Objektsexualität, Safer Sex, (doppelte) Verneinung, minus mal minus gleich plus, Prognosen, Prävention, Präimplantationsdiagnostik (PID), Präservative, Präventivschlag, Parallaxe, Schweinelachse, Paralyse, Analyse, Dialyse, Wohlbefinden, HERR ROSSI SUCHT DAS GLÜCK, WARTESAAL ZUM KLEINEN GLÜCK, daheim, HEIMAT(-Suche), Was man nicht suchen kann, muss man finden, Ich suche nicht, ich finde, das Idyll, Hier bin ich Mensch, hier darf ich’s sein, Herr im eigenen Haus, King of My Castle, Villa Kunterbunt, Wagenburg, Bausparvertrag, Lebensversicherung, (private) Krankenversicherung, Drei-Klassen-Medizin, Wohlergehen, Wellness, Ayurveda, Capoeira, Habanera, Nutella, Stracciatella, (stechende) TARANTULA, Amalgam, Füllmasse, Konkursmasse, Stickstoff, Zunder, Zündstoff, Grillanzünder, Katalysatoren, Genussmittel, boire un petit coup c’est agréable, Wer Sorgen hat, hat auch Likör, Wer Sorgen hat, hat auch Lacan, Lacan oder lieber Likör?, Bitte beides (zugleich und schnell)!, Magenbitter, Edelbrände, Grappas, Whiskey- und Zigarrensammlung (im Herrenzimmer), Mamas Grappa-Sammlung (im antiken und manchmal knarrenden Eichenschrank [immer sehr beliebt]), Drogenverherrlichung /-verharmlosung, explodierende Schnellkochtöpfe, gastrokommerzielle Erlebniswelten, Rave Nation, Dienstleistungsgesellschaft, Servicewüste (Deutschland), die wundersame Welt der Schwerkraft, (Pseudo-)Alltagsdokumentationen auf allen TV-Kanälen, das wahre/pralle Leben, Abenteuer Alltag, Enthüllungs-/ Sensationsjournalismus, Gene im Mensaessen entdeckt!, Der Ball ist (immer noch) rund! 673 – der Kopf ebenfalls, Fußballfachsimpelei, Akademiefußball, au weia, Balla Balla, Bunga Bunga, meschugge, jeck, Esoterisches, Okkultes, Obskures, Geysir-Erlebniszentrum in Andernach, New Age, New Kids on the Block, Sonic Youth, Beastie Boys, Beach Boys, Jugendkulturen (-Archiv retten), Jugend forscht, straight edge, Astrologie, Karten(-legen), gezinkte Karten, Kaffeesatz (lesen), Aktien(- kurse), Fieberkurven, Newsticker, tickende Eieruhren, Tick Tack, Taktik, TIMECODE, Time Warp, time slot, Time will crawl, Echtzeit, primetime, Torsch(l)usspanik, DIE ZEIT, DIE BLEIBT, logische Zeit, Sanduhren, Stechuhren, Spieluhren, Stimmungsbarometer, (persönliche[s] Nach-)Fragen – Haste mal ne Mark (oder nen Euro)?, immer fragen, es gibt keine dummen Fragen (aber wichtigtuerische), Umfragen/ Abstimmungen/ Produkt- und Personenbewertungen im Internet, Zensuren für PolitikerInnen (in Die Welt), Online-Abkotzen, Ted-Abstimmsystem, Hopkins-Televoter, Beschwerdestellen, Ich kann nicht so viel fressen, wie ich kotzen möchte, BILD Dir Deine Meinung, Springers heißes Blatt, Pressjauche, Politiker essen für/in BILD Pferde-Lasagne, Wer mit der Bild- Zeitung im Aufzug nach oben fährt, der fährt auch mit ihr im Aufzug nach unten, im Bilde sein, Mitreden, ICH WEISS VON NICHTS UND SAGE ALLES, lieber mehr als weniger sagen, Dazugehören, Dabeisein (ist nicht alles), Mitbestimmung, Demokratie-Simulationen, Befindlichkeiten, Ressentiments, Ritterschläge, Schicksalsschläge, Stromschläge, Pleiten, Pech, Pannen, Salz auf offene Wunden, Fön in der Wanne, Stricknadel in der Steckdose, new economy, Hypo Real Estate, Segel streichen, Badengehen, Uwe Barschel, floaten, Wassertreten, Thalasso, Hydro Kur, Dr. Ernest Kapp’s Water-cure, Wasserfolter (angeordnet von George W. Bush bei Terrorverdächtigen), Tortur, Rosskur, Kurbäder, WILLKOMMEN IN WELLVILLE, Wildbad Kreuth, Kurschatten, Kurtaxe, Trockengelegtes, Tiefergelegtes, (Ab-)Gefedertes, Stoßgedämpftes, Gerüstetes, Ausstaffiertes, Appliziertes, Ausgekleidetes, Ausgeschmücktes, Aufgeschäumtes, Gemausertes, Gefiedertes, Gepudertes, (Aus-)Gestopftes, Ausgestattetes, Supplementäres, Düfte aus Retorten, Ersatz, Asbest, Antrax, Aspartan, Viagra, Antibaby-Pille (gibt es auch als Spritze für den Mann), Hightechmedizin- Wunder, dagegen ist kein Kraut gewachsen, XTC, LSD, Ketamin, Ritalin, Mescalin, Mescalero, K.O.- Tropfen (vom Weihnachtsmann), rote oder blaue Pille?, viele, viele bunte Smarties, smoothies, Pillenenzyklika von 1968 des Papstes Paul VI; auch Humanae Vitae gennant [Über die rechte Ordnung der Weitergabe des menschlichen Lebens]), pillepalle, Merz Spezial Dragees, Aufgeblähtes, Aufgedonnertes, Aufgeblasenes, Aufgepepptes, Aufgetakeltes, In-Schale-Geschmissenes/ - Geworfenes, in die Waagschale Geworfenes, (Hin-)Geschmissenes, Schmissiges, Gezoomtes, Vergrößertes, BLOW-UP, Blasiertes, Glasiertes, Kristallisiertes, Kristallines, Kristallbild, ALLES AUF ZUCKER!, Salzkristalle, Salinen, Sublimiertes, Sublimes, Vaporisiertes, Frisiertes, Drapiertes, Pompöses, Pastöses, Pittoreskes, Gepimptes, Gekünsteltes, Geimpftes, Gedoptes, Gestrecktes, (Ab- )Gestütztes, (Ab-)Gehärtetes, (Selbst-)Gebranntes, gebrannte Mandeln, Gebranntmarktes, branding, unvergessliche Souvenirs (im Fleische), Kainsmal, Muttermal, Verlängertes, Gemixtes, Gerendertes, Geschreddertes, Geschottertes, Gehäckseltes, Gerädertes, Getuntes, Gestähltes, Gerüstetes, Gekreuzigtes, Gezüchtetes, Gebeamtes, Telematisches, Telegenes, Transgenes, Trangressives, Transgeniales, Genealogisches, Selbst(be)schreibendes, Selbstklebendes, Gepanzertes, Rüstendes, Streitkräfte, Leistungssport, Zupackendes, Draufgängerisches, (Voraus-)Planendes, Taxierendes, Taxonomie, Taxameter, Hexameter, Metaxa (The Greek Spirit), Prägnantnes, Lakonisches, Konzises, Berechnendes, Milchmädchenrechnung, Die Rechnung ohne den/ die WirtIn machen, 2 + 2 = 5, DIE RECHNUNG GING NICHT AUF, Verfehlendes, Treffendes, ins Schwarze, ins Auge, Darts, Bogen-/ Tontaubenschießen, Friedenstaube, Die weißen Tauben sind müde, Geh mer Tauben vergiften im Park!, Versiegeltes, Übermaltes, Durchgestrichenes, Ausradiertes, Ausgerissenes, Ausgekugeltes, Kugellager, Ausgeklügeltes, alle Neune, Brautstrauß fangen, alle Kerzen auf einmal ausblasen, full house, Fünf gerade sein lassen, geknackter Jackpot, nur die Bank gewinnt immer, Va Banque(-Spiel) Schachmatt, mau-mau, miau. Daneben, drüber, dazwischen, drunter Frisch, fromm, fröhlich, frei, Zweifelerregendes, Ambiges, Widersprüchliches, Ambivalentes, Polyvalentes, Groteskes, Wachsendes, Kreuchendes, Fleuchendes, in-between, Interdentalräume, (modische Zahn-)Lücken, sich hässlicher machen als man ist, EINE WOLKE ZWISCHEN DEN ZÄHNEN, mind the gap, Mut zur Lücke /zum Strich, Strichfassungen, zwischendurch, rund um die Uhr, non-stop, the city never sleeps, Es ist spät, ich kann nicht atmen, AUSSER ATEM, Asthma, (Verlegensheits-/ Lebensgefühl-)Rauchen, Raucherrituale, Sportzigarette, ab und zu, ab durch die Mitte, hinten raus, unten raus, vorne weg, Nase vorn, Glanz/ Viereck auf der Nase, Immanentes, Transzendentes, ([Noch-]Nicht-)Ich, über sich selbst erschrecken, wo Ich war, soll es werden (oder war 674 es umgekehrt?), Losing my mind, I am going slightly mad, IDIOTEN, Das Trottelbuch, Wer nicht verrückt wird, der ist nicht normal, oder etwa nicht, oder etwa nicht?, Faux-Pas, Paso Doble, Pas de deux, Patt, Pattex, Pakt, Pasch, Paradoxes, Ohropax (Luxus für die Ohren – soft, classic, color), Pax Humana, Unorthodoxes, Peinliches, Doppeldeutiges, Honi soit qui mal y pense, nichts für ungut, alles schick, Schikanen, Alltagspathologien, Gerichtspathologisches, Total Normal, stand beside or step aside, SIDE EFFECTS, Tra(ns)versalen, Abstand nehmen/halten, Freiwillige vor, Frauen und Kinder zuerst, hinten anstellen, erst aussteigen, dann einsteigen, Schritt zurücktreten, ein Schritt vor, zwei zurück, cha-cha-cha, One Step Beyond, it’s just a jump to the left, trick or treat, trial and error, Wahrheit oder Pflicht, Platzendes, Leckendes, Leckstrom, Urinierendes, pisspower, ein ganz besonderer Saft, Defäkierendes, Fäkalrückstände, (An-)Ziehendes, fesselnder Ekel, felching, Anstinkendes, Bohrendes, Nagendes, Verstopfendes, Blähendes, Dysfunktionales, Desinformierendes, informe, Defizitäres, Dissoziatives, Trennendes, Teilendes (Man könnte die Menschen in zwei Klassen abteilen;1) in solche, die sich auf eine Metapher verstehen und 2) in solche, die sich auf eine Formel verstehen. Deren, die sich auf beides verstehn, sind zu wenige, sie machen keine Klasse aus), Solidarisierendes, Famoses, Infames, Intifada, FAME, Abziehendes, Auflösendes, Ab-/ Untertauchendes, Untergehendes, Unschuldiges, Unschlüssiges, Entziehendes, Entsagendes, Entseuchendes, Entzauberndes, Enttäuschendes, Erziehendes, pädagogischer Eros, Erlebnis-/ Verführungs-/ Reformpädagogik, Schwarze Pädagogik, Messer, Gabel, Schere, Licht, dürfen kleine Kinder nicht, Zuchtreime, Schüttelreime, Struwwelpeter, Belehrendes, Überzeugendes, Mitreißendes, (Miss-)Billigendes, Billiges, Schlichtes, Schlichtendes, Minimales, Einfaches, Das Einfache ist nicht immer das Beste, aber das Beste ist immer einfach, A SIMPLE LIFE, die gute/abstrakte Form, Die Form bestimmt den Inhalt!, Es gibt sie noch die guten Dinge, MY NEXT BEST THING, There are so many things that I don’t understand, Parlament der Dinge, Trost der Dinge, erste und letzte Dinge, DAS BESTE KOMMT ZUM SCHLUSS, Destination Eschaton, Museum der Dinge (Werkbundarchiv), (imaginäres) Museum der Humanwissenschaft, Negierendes, Ausschließendes, Abschließendes, Ausscheidendes, Ab-/ Durchführendes, Verwegenes, Verlebtes, Verliebtes, Verewigendes, Verklärtes, Verquastes, Verbrämtes, Vergrätztes, Vergeltendes, Vergewaltigendes, Gewaltiges, Vernichtendes, Abgeklärtes, Abgeranztes, Schales, Vages, Fehlendes, Halbwahrheiten, Halbwertszeiten, Halbstarke, Halbwüchsige, Halbgötter, Halbwelt, Halbschatten, Halberstadt, (abgelaufene) Haltbarkeitsdaten, HALBE TREPPE, stille Treppe, Treppenwitz, halbe Strecke, halbe Portion, Halver Hahn, halb voll, halb leer, halbseiden, halbnah, halbgar, Voll-/ Halbpension, Kinder-/ Seniorenteller, volles und leeres Sprechen, im Leeren schwimmen, gähnende Leere, vollklimatisiert, hiatus, horror vacui, Fatales, Fehler im (Star-)System, bugs, Bugs Bunny, DeBug, Humbug, (Alp-/ Tag-/ Pastell-/ feuchte) Träume, (Milch-)Schäume (vor dem Mund), perlende Schaumweine (lieblich), 99 Luftballons, Luftnummern, Luftgitarren, Luftschlösser, Lustschlösser, Vorhängeschlösser, Stadtschlossfassaden, Denkmalschutz, Tierschutz, Schufa – Wir schaffen Vertrauen, Verbraucherschutz, Personenschutz, Wachschutz, Schutz des eigenständigen Denkens/ der (noch unbestechlichen Rest-) Imagination, das Unbewusste kennt kein Nein, ein Signifikant erreicht immer seinen Bestimmungsort, DER UNSICHTBARE DRITTE, DER DRITTE MANN, 1, 2 oder 3 (Du musst Dich entscheiden, 3 Felder sind frei), Drittmittel, für alle, die nicht bis drei zählen können, zwischen den Stühlen, zwischen allen Stühlen, Stuhlgang, (Dr. Alex Rothaars selbstentworfener) Proktologischer Stuhl, Klappstühle, Klappen(-texte), Klosprüche, Liegestühle (fix mit Handtuch reservieren), LIEGEN LERNEN, Der Heiße Stuhl, (jemanden einen) Stuhl in der Hölle (wünschen), Feuerstuhl, Lehrstuhl, Thron, Zepter, Zinken, Zinnen, Zacken, Krone, Klappdächer, Toupets, Cabriolets, chapeau claque, Caprihosen, Capricen, capricorn, Kap der Guten Hoffnung, Cap finisterre, Lichtes, Kahles, Pläten, Schollen, Bodden, (Halb-/ Zeit-/ Rettungs-)Inseln, Furt, Archipel, Jadebusen, Long Island (Ice Tea), Three Mile Island, Bikini-Atoll, Mittagstal, Haartolle, Narben, Nischen, Nehrungen, (Schmuddel-)Ecken, bei Hempels unterm Sofa, speakers’ corner, Geheimratsecken, Mein Hut, der hat drei Ecken, Striptease-Dreieck-Slip (mit Diamanten besetzt), Diamonds are a Girl’s Best Friend /ARE FOREVER, (geborstenes) ödipales Dreieck, Bermudadreieck, Autobahndreieck, Eckkneipe, Zum Feuchten Eck, Deutsches Eck, Dreifaltigkeit, Trias, Triangel, Triplizität, Troikas, Pyramiden, runde Tische, Katzentische, Stammtische, Gefängniszellen, Gummizellen, Terrorzellen, Telefonzellen, Solarzellen, Nesselzellen, Nasszellen, Eizellen, Samenzellen, Stammzellen, Fresszellen, Helferzellen, Zelltrauben, Zellhaufen, Zell am See, Pfützen, Lachen, Weier, Weiler, (Sünden-/ Feuer- )Pfuhle, (Schlamm-/ Schlangen-/ Jauche-/ Gold-/ Fund-/ Magen-)Gruben, Tümpel, DER MORAST, Biotope, Totes Meer, Moore, Sümpfe, slums, favelas, Hütten(-zauber), CITY OF GODS, TROPA DE ELITE, SIN CITY, SIN NOMBRE, Sim City, Silicon Valley, DAS GELOBTE LAND, Fernweh, Das Land hinter den Spiegeln, Land unter/ in Sicht!, Lummerland, Vaterland, Schlaraffenland, Kennst du das Land, wo die Zitronen blühn?, Bananenrepublik BRD, LAND OF PLENTY, Eldorado, BRAZIL, 1984, Oh wie schön ist Panama, Brave New World, WAYNE’S WORLD, Komm her, ich weiß ein 675 schönes Spiel im dunklen Tal, im Muschelgrund, Come Into My World, MONDO CANE, Bruchstückwelt, drowned world, Atlantis, WATERWORLD, Nachbars Garten/Kirschen, NEIGHBORING SOUNDS, Der Kirschgarten, Garten der Lüste, Klostergarten, ZDF-Fernsehgarten, Torture Garden, Wintergarten, Olivenhain, Berghain, Eden, Eben-Ezer, Unterwelten, Untertage(- Marathon), undercover, avant la lettre, lettre d’amour, VELVET GOLDMINE, Weltall, Kosmos, (Parallel-)Universen, Hinterzimmer, Sprechzimmer, (abstrakte Kunst im) Chefzimmer, Gefahrenraum (Es hat Gefahr, wenn ich nicht geh’. Gefahr für mich, für Euch, wenn ich nicht schleunig, schleunig geh’), Raum der Wünsche, Tresorraum, Maschinenraum, Herzkammern, Sacré-Cœur, the place to be, Zimmer 101, Imbiss 204, Curry 36, Baumhäuser, Baracken, Schabracken, Wracks, Ruinen, Brachland, Brachwasser, Spülwasser, Wurstwasser, Trübes, im Trüben fischen, Trübsal blasen, Marsch blasen, Schwänze blasen, am Schwanz packen/aufzäumen, Phallus, Phalanx, Phalanstère, Leuchttürme, Bohrinseln, der neuralgische Punkt, der archimedische Punkt, der Kontrapunkt, der Knotenpunkt, Seemannsknoten, Lacans Knoten, Durchschlagung des Gordischen Knoten, der Scheidepunkt, der Gipfelpunkt, Punktionen, Pins, buttons, Broschen, Amulette, You press the button, we do the rest, powerpoint, Pointillismus, (Kiesel-/ Kalk-/ Speck-/ Leck-/ Hinkel-/ Stolper-/ Spül-/ Zahn-/ Schleif-/ Grab-)Steine, SPUR DER STEINE, Externsteine (Erinnerung an spielende Götter), Stein des Weisen, Stein des Anstoßes, Domino-Rallye, Fantasmen, ins Gehirn scheißen, INCEPTION, auf die Kacke hauen, Kacke am Dampfen, Merdre!, Cloaca von Wim Delvoye, Dirty Sánchez, DIRTY DANCING, Dirty Rodriguez, Dukatenscheißer, Goldesel, Goldener Reiter, Goldenes Rössl, goldenes Kalb, goldener Schnitt, Goldkante, Goldfrapp, Golda Meir, Goldberg-Variationen (BWV 988), Goldie, Weißgold, Blattgold, Zahngold, Goldregen, golden shower, Erlebnisdusche, save water – shower with a friend, goldig, goldene Ketten an der Lederjacke, geknotete Perlenketten auf dunklen, eng anliegenden Cashmere-Oberteilen, go for gold, THE GOLD RUSH, nuggets, Goldene Palme, Wedding-Palme, L’AGE D’OR, DER GOLDENE SCHUSS, Gegenschuss, (klassischer) Schuss nach hinten, Schuss in den Ofen, Hexenschuss, Im Leben, im Leben, geht mancher Schuss daneben, es ist nicht alles Gold, was glänzt, Die Goldenen Zitronen, Die Goldene Himbeere, Platin, Plattitüde, la jeunesse dorée, Die Jugend von heute, When you’re young you find inspiration/ In anyone who’s ever gone, Jugendstil, Taschengeldschickeria, Jugend ohne Gott, Crashkid, Clubkid, Child in Time, Christkind, GOSSENKIND, Findelkind, Aktion Sorgenkind, KIDS, Menschenskinder!, THE BROOD, CHILDREN OF MEN, DIE STADT DER VERLORENEN KINDER, SOUTH PARK, Der Kindheit glücklicher Tage, DIE KINDER VON GOLZOW, Wir Kinder vom Bahnhof Zoo, BERLIN – ECKE BUNDESPLATZ, The Peanuts, peanuts, Portokasse, Künstersozialkasse, Reisekasse, Vorkasse, Vereinskasse, Kaffeekasse, Barkasse, Karkasse, Kassensturz, Kassation, Krankenkasse, Reise-/ Hausapotheke, Giftschrank, (getarnte) Hausbars, Hämorriden, Fissuren, Fisteln, Fistelstimme, sonore Stimme, Bassstimme, Abzesse, Thrombosen, Parondontose, Gürtelrose, Gürteltier, Karzinome, Geschwüre, Wunden, Wehen, Spasmen, Neoplasmen, Neologismen, ismen, AntiismenistInnen, LENIN KAM NUR BIS LÜDENSCHEID, Kontraktionen, Relaxionen, Relationen, Durch-/ Verwachsenes, wildes/zuckendes Fleisch, Gammelfleisch, Der Pfahl im Fleische, Fleischbeschau, Dorn/Balken im Auge, eye candy, Dollarblitzen in den Augen, Phallicandy, (Kassen-)Klingeln in den Ohren, Tinitus, Auge um Auge, DER WALD VOR LAUTER BÄUMEN, Geschichten aus dem Wienerwald, Made im Speck, made in Germany/Taiwan, deutsche Wertarbeit, creative cancer, organlose Körper, körperlose Organe, Zusatzorgane, falsche Organe, Organprojektionen, Organspenden, (krimineller) Organhandel, an die Nieren gehen, Körperöffnungen, Projet X, Körperpanzer, Bunker-Ich, Bodies that Matter/splatter, Körperbilder, Vexierbilder, Dreiviertel aller weiblichen Jugendlichen in Deutschland sagen, dass sie mit ihrer Figur nicht zufrieden sind, Magersucht, Erdbeermund, WILDE ERDBEEREN, WILDE NÄCHTE, DIE NÄCHTE DER CABIRIA, BOOGIE NIGHTS, Boogie-Woogie, Arschgrinse- Boogie, 1000 und eine Nacht, anal, oral, vaginal, letal, Geschlechtskrankheiten, Sex ist die Erfindung einer cleveren Geschlechtskrankeit, AIDS(-Kultur/ -Hilfen), Hepatitis (C), hartnäckige und hochpathogene Geschlechterkrankeit namens Heteronormativität (die die moderne Medizin/Wissenschaft bislang noch nicht richtig heilen konnte), He-Ter(r)o(r), Biopolitik/ -design, Synthetische Biologie, Ärsche, die Kirmes haben, Ärsche, die auf Grundeis gehen, sich vom Sozius oder vom Chef in den Arsch vögeln lassen, Arsch versohlen, Arsch verwetten, Arsch vorsichtig abtupfen (nicht unbedacht abwischen – raten Proktologen im Focus), Bidets, MEIN SÜSSER KLEINER ARSCH, Schlammrosen, Arsch mit Ohren, bottoms up!, lech mon cul, (böse/ Engels- )Zungen, Glossare, loses Mundwerk, dritte Zähne, Lippenbekenntnisse, Schmutzlippe, talk is cheap, sprechende Pfannkuchen, hommelette, Humpty Dumpty, plaudernde Nähkästchen, musizierende Nähmaschinen, düster klingende Kathodenstrahlröhren, Wurstschneidemaschinen, La Charcuterie mécanique, Sequenziermaschinen, Reizbare Maschinen, Wunschmaschinen, Partialtriebe, primary love, (wandernde und sich wandelnde) Partialobjekte/ -organe (nach Lacan: vom andern Geschlagenes, Gesaugtes, Defäziertes, Erblicktes), Specific Objects without Specific Form, DIESES OBSKURE 676 OBJEKT DER BEGIERDE, (INSIDE) DEEP THROAT, Das Wesen des Objekts, das ist das Fehlgehen, genital love, Glieder(-puppen /-trophäen), Körperteil-Models, Le Corbusiers Modulor, polymodular, Visible Human Project – VHP (Hingerichtete Kriminelle stehen zu medizinischen Zwecken im Cyberspace auf), Leichen im Keller, schmutzige Hände, Samtpfoten, Wurstfinger, Fingersatz, Quastenschwänze, Teufelskrallen, Eselsohren, Segelohren, Satz heiße Ohren, Spitzbuckel, Lidschatten, Krampfadern, Aderlass, Arterienverkalkung, harte Nippel, skeloritsche Verhärtungen, Bandscheibenvorfälle, body language, bodycheck, Body Options, Quel Corps?, Esprit de Corps, Korps-Geist, corpus delicti, ein gesunder Geist in einem gesunden Körper, Astralkörper, AVATAR, FKK, (Ganzkörper-/ Gesichts-)Tattoos, Torsos, Torsion, Plastiken, Plastische Chirurgie, Implantate, Anabolika, Steroide, Wachstumshormone, Hormozenta, Schlankmacher, Scharfmacher, Aphrodisiaka, Klone, Kloaken, Anomalien, Schizophrenien, Sehen, Schielen, Argusaugen, Die Geschichte des Auges, geistiges Auge, Gottes Auge, Und als ich aufblickte zur unermeßlichen Welt nach dem göttlichen Auge, starrte sie mich mit einer leeren bodenlosen Augenhöhle an; und die Ewigkeit lag auf dem Chaos und zernagte es und widerkäute sich, BMW-Autoscheinwerfer, die wie Raubkatzenaugen aussehen, Ozellen, Fecettenaugen, Porsche-Brillen, Retina-Implantat, tote Augen, glasiger/ leerer/ böser Blick, Dein Blick war Lasso ohne Seil, mit dem Alter richtig bitter gucken, Dackelblick, Fickblick, Schlafzimmerblick, Silberblick, Silberstreif, Nebel, Umnachtung, Zusammenhangsverlust, Stottern, Zittern, Fletschen, Spucken, Grinsen, Schnalzen, Schnippen, jemanden ein Schnippchen schlagen, Schlackern, (obszön) Rappen, Fox-Raps, Tourette-Syndrom, Singen, Summen, Sagen, (sardonisch) Lachen, laut werden, deutlich werden, Schwurbeln, Schwitzen, Schlagen, Topfschlagen, percussions, (Säbel-/ Fuß-)Rasseln, Rasselbande, Zimbeln, (sarkastische) Kastagnetten (in Prokofievs drittem Klavierkonzert, C-Dur op. 26), Geräuschemacher, Geräuschhitparade, Kuh-/ Himmelsglocken, Glockenspiele, der heilige Bimbam/Strohsack, Cherubim, Klimbim (ist unser Leben), Klingeltöne, Klingelton-Abo, an die große Glocke hängen, Glocken läuten, Lokalrunde, Käseglocke, Saugglocke, Tauchglocke, (sich Be-)Schnuppern, Schnipsen, Schnappen, (Herz-)Klopfen, My Heart Goes Bum Bum, Kratzen, scratchen, (Finger) Kreuzen, Klatschen, Lästern, Lecken, Beißen, Blecken, Bellen, Blasen, Lallen, Schwallen, Schwadronieren, Schenkelklopfen, (sich scheckig) Lachen, Lieben, von Liebe erdrückt werden (auf der Loveparade), CLUBBED TO DEATH, FEIERN, Fingern, Fingerhakeln, Stinkefingerzeigen, Daumen oben, Daumenschrauben, Knabbern, Naschen, Zupfen, pizzicato, (Nähmaschinen-/ Maschinengewehr-/ Sprech-)Staccato, Karl Lagerfeld, Pizzicato Five, Zupfkuchen, Zupfgeigenhansel, spannenlanger Hansel, Hansi Mittermeier, Hansi Hinterseer, Hänschen Klein, kleiner Hans, Schmalhans, Hanswurst, wurscht, Zunge rausstrecken, Tasten, Anfassen, Streicheln, Massieren, Kitzeln, Kneifen, Piesaken, (Be-)Greifen, (Zu-)Hören, Zwinkern, Zwicken, (Vogel-)Zwitschern, Zischen, Zaudern, Ziepen, Zögern, Klimpern, Lispeln, Rascheln, Rubbeln, Röcheln, Räuspern, Rotzen, Ächzen, Stöhnen, Stänkern, Sticheln, Murren, Grummeln, Grollen, das Nichts, Cantors Nullmenge, nichts, nicht-mehr, noch-nicht, weder-noch, nie mehr, nie wieder, Was ist denn jetzt schon wieder?!, immer noch, immer schon, für immer, einmal (ist keinmal), nur ein einziges Mal (noch), sowohl-als-auch, als-ob, zuviel, zuwenig, genau, gar nicht, erst recht, überhaupt, doch, To- Do, No-No, !, oops, oh-oh, o-o-o-o, o, Unmögliches, Nichts ist unmöglich, FITZCARRALDO, Berge/Flussdampfer versetzen, Rollberg, Kopfloses, Gesichtsloses, Charakterloses, Sinnloses, Verstandloses, Vernunftloses, Selbstloses, Makelloses, Maßloses, Transzendentalsignifikate, 12 Etudes d’execution transcendante, ein für alle mal, das erste (und/oder letzte) Mal, stop making sense, Sinn rastet nicht ein, DER SINN DES LEBENS, Thema verfehlt – Setzen Sechs, Autostop, Ausgelassenes, Burleskes, Burschikoses, Frivoles, Fideles, Narrenfreiheit, die reine Idiotie/Vernunft, harter Tobak, grober Unfug, Eleganter Unsinn, Quatsch mit Soße, Spaß am Montag, Manic Monday, Ich möchte am Montag mal Sonntag haben, Tagesfreizeit, Kaputtes, Krankes, die Krankheit drückt die Liebe einer anders gearteten Kreatur zum Menschen aus, Kreatives, Verdrehtes, Perverses, Paradoxes, Pansen, Shinkansen, Frau Hansen, Hohles, Leeres, Vakantes, Carte Blanche, Joker, Freizügiges, Mein rechter, rechter Platz ist frei, Platztausch, Schlagabtausch, Stellungswechsel, Neustart, Unkompliziertes, Unbefangenes, Unverfrorenes, Skandalöses, Dreistes, Dumpfes, Obszönes, Vulgäres, Vorgefundenes, Vorgegebenes, Vorgetäuschtes, Vorgesagtes, Vorgekautes, Durchgekautes, Durchexerziertes, Durchgeorgeltes, Druchgenudeltes, Durchgeknalltes, Durchgewalktes, Breiiges, Bircher Müsli, M.A.S.H., MESHES OF THE AFTERNOON, your brains turn to mush, BLOOD SIMPLE, Einheitsbrei, Serviereimer, Serviervorschlag, fastfood, flüssige Tiefkühlpizza, slowfood, man eating machine, Molekularküche, Mundgerechtes, Häppchen, Haps, aufs Maul, Aufgewärmtes, An-/ Aufgetautes, Abgenudeltes, Geschältes, Tranchiertes, Blanchiertes, Panaschiertes, Pochiertes, Frittiertes, Gepökeltes, Eingelegtes, Eingekochtes, Weich-/ Ausgelutschtes, Ausgespucktes, Vorverdautes, Gegerbtes, (Über-)Gefärbtes, Gerupftes, Geräuchtertes, Ver- und Ausgeräuchertes, Ausgebranntes, brûlé, (braun/schwarz) Gebranntes, Gehäutetes, Ausgenommenes, (Des-)Infiziertes, Flambiertes, flamboyant. 677 Spielfelder (Die) Haut (IN DER ICH WOHNE), UNDER THE SKIN, (dämonische) Leinwand, leeres Blatt Papier (und die Angst davor), Relais(-stationen), Experimentalanordnungen, Teilchenbeschleuniger, CERN, (Musik-/ Mess-)Instrumente, Monochord, ARMACORD, Cembalo, Hammerklavier, Konzertflügel, Trautonium, Bontempi-Orgel (mit vollautomatischem Heizgebläse), Clarina, Laptop, Stradivari, Steinway, Bechstein, Yamaha, Technics, Moog, (menschlich-seßhafte/göttlich-nomadische) Spielwiese, Wiesn, Jagdreviere, abgezirkelte Vorgärten, Teichfolie, Planquadrate /-sequenzen, Grundrisse, dancefloors, Und unter den gefahrvollen Bedingungen von Liebe und Tod bildet der Tänzer mit der Tanzfläche eine Maschine …, square dance, action dance, lap dancing, pole-dancing, pole-position, Poller, Pollen, Pollutionen, Polstergarnituren, Herrengedecke, Bierdeckel, Witten/Herdecke, Kuscheldecken, Schnullis, Leck-/ Nuckeltuch, Kosmetiktuch, OP-Tuch, in trockenen Tüchern, olle Lappen, (Operations-)Besteck, Messer wetzen, den Löffel abgeben, Haushaltsgeräte, Einbauküchen (Prototyp wurde von der Wiener Architektin Margarete Schütte-Lihotzky 1926 entworfen und 10 000 mal eingebaut [Frankfurter Küche]), Miele, Bulthaup, Siematic, Teufelsküchen, Turngeräte, tools, Ceranplatten, Spanplatten, die Bretter, die die Welt bedeuten, Die Weltbühne, Designer-Herde (mit Raketenantrieb), Krisenherde, Kegelbahnen, Rennstrecken, Rennsteig, Hexenstieg, Schwarze Pumpe, pumpgun, pipelines, Laubenpieper, Laubengänge, Offener Kanal, Schwarzer Kanal, Ärmelkanal, Analkanal, Annalen, Kanalisation, Grachten, Gullis, Orkus, Hades, Fahrrinne, THE RINK, Rinnsal, Mühsal, Scheusal, rinnender Sinn, Reibach, Pissrinne, Pisten(-säue), Pissoir, (Mythos deutsche) Autobahn, Brenner, Engpässe, Engführung, Tempolimit?, Freie Fahrt für freie Bürger!, It’s given of human existence that you just don’t stop, you never stop, Wir machen den Weg frei, Freifahrtscheine, Billigflugtickets, (verdellte) Leitplanken, Krumme Lanke, Leid/tkulturen, Leitbilder, Leitzinsen, Wegweiser, Fluchtlinien (des Unbewussten), Schilderwald, Pfadfinder, Amors Pfeile, Giftpfeile, (berechnete) Flugbahnen, Fahrtenschreiber, Reisetagebücher, CRUISING, im pick- up durch Manhatten cruisen (auf dem Nummernschild steht New Jersey – The Garden State), Rastplatz-Cruising, cruising missiles, Tomahawk-Marschflugkörper, Start- und Landebahnen, Abschussrampen, Rampensäue, Weltraumbahnhöfe, Sackbahnhöfe, Stuttgart 21 (S21), S1–S2 (Wo zum Teufel ist S2?), Umlaufbahnen, Gleise, Trassen, Lebenswege, Königswege, Jacobsweg, Rechtsweg, Normalbiografie, Holzwege, Zitterpartien, Zitterale, Zitadellen, Zickzackkurse, Serpentinen, beschwerlicher/schwerer Gang, den Gang schwer reinbekommen, Gang nach Canossa, Durchlaufprobe, Laufställe, catwalks, slutwalks, via dolorosa, VIA APPIA, Yello Brick Road, You gotta walk the walk, you gotta talk the talk, the long way home, Prachtstraßen, Krachmacherstraßen, Love Street, Adria-Küstenstraße, Deutsche Weinstraße e.V., Croisette, Route 69, Stay on These Roads, Spießruten, Hurtigruten, Wünschelruten, roadmovies, LA STRADA, offroad, quer Feld ein, Trampelpfade, Fußstapfen, (aufgeblähte) Fußnotenapparate/ Appendices (als Festplatte des Gehirns), Fußnoten der Geschichte, Gänsefüsschen, (Deppen-)Apostrophe, steht’s zu Diensten, Einschnitte, Schieß-/ Hasenscharten, Schneisen, Ränder (unter den Augen), Säume, Bordüren, borderline, La Borde, Wegmarkierungen, Kilometersteine, Klettersteige, Hühnerleitern, Räuberleitern, Strickleitern, Blitzableiter, Samenleiter, Halbleiter, (Esels-/ Zahn-)Brücken, Über sieben Brücken musst Du gehen, Die Brück’ am Tay, DIE BRÜCKE [VON REMAGEN], Brücke-Museum, Ein Lied kann eine Brücke sein, Spagat, Triumphbogen, Hysterischer Bogen, Schwibbogen, Einbahnstraßen, DIE FREUDLOSE GASSE, Sackgassen, one-way(-tickets), Barrikaden, (antifaschistische) Schutzwälle, Jägerzaun, Maschendrahtzaun, Trapez, Grenzüberschreitungen, über den Jordan gehen, über die Klinge springen, BLADE RUNNER, Parcoursläufer, I want to break free, MATCH POINT, ZABRISKIE POINT, DIE LIEBENDEN VOM PONT-NEUF, (den) Checkpoint Charlie (durchbrechen), break-even-point, point of no return, FLUSS OHNE WIEDERKEHR, Stress ohne Ende, Stresstest, Nervenbündel, Nervengeist, Nervenpeitsche, Nervenstimmer, Nervenkrieg, (nervous) breakdown, BREAKING BAD, Unwägbarkeiten, Sollbruchstellen, Tretminen, Pulverfässer/ -teiche/ -schnee, Detonationen, Implosionen, special effects, Autos/Bomben/Film, Denotationen, Konnotationen, Investigationen, Inventionen (BVW 772-786 [zweistimmig] und 787-801 [dreistimmig]), Innovationen (abgegriffenes Wort), (Audio-)Visionen, Paravents, Pantheon, penthouse, Odeon, Gemeinplatz, Platz des Himmlischen Friedens, out of place, OUT OF ROSENHEIM, Place Pigalle, Bahnhofsviertel, Harajuku, Rotlichtviertel, (Skandal im) Sperrbezirk, Sperrflächen, Sperrholz, schraffierte Flächen, Angriffsflächen, Tragflächen, Schwangerschaftsstreifen, Ralleystreifen, Zebrastreifen, Gazastreifen, Cellulitis, Bindegewebe, Bannkreise, Polarkreise, Freundeskreise, 11 Freunde, Die Fünf Freunde, The Jackson Five, true friends are a rare treasure, IM KREISE DER LIEBENDEN, peer group, Clique, Rotte, Böhmische/ Potemkinsche/ Polynesische Dörfer, unser Dorf soll schöner werden, Unsere kleine Stadt/Farm, LITTLE BRITAIN, Trojanische Pferde, TRON, Kombinat Robotron, Gravitationszentren, Epizentren, magische Zirkel, Anziehungspunkte, agora, Tummelplätze, Ballungszentren, Gewusel, 678 Fusel, Wimmelbilder, körnige Gedrängtheit, Ameisenhaufen, das mächtige Häuflein, Fliegenschwarm über dem Kuhfladen, High Density, Motten im Licht, Kreisende Möwen über dem Berliner Alexanderplatz während der Weihnachtsmarkt bei klirrender Kälte abgebaut wird (habe ich wirklich gesehen), (An-/ Ver-)Sammlungen, Sammelsurien, Konglomerate, Gefüge, Zentrifugen, Die Kunst der Fuge (BWV 1080), Trennscheiben, Trennwände, Torwände, Vorwände, Trennstäbe (nennt man dieses Stäbe wirklich so?) an der Supermarktkasse und anderswo, Zauberstäbe, Zäpfchen, Zahnstocher, (Der Wink mit dem) Zaunpfahl, Welthölzer, (Ess-)Stäbchen, Corti’sches Organ (mikoskopisch kleine Stäbchen in der Ohrschnecke), Krückstöcke, Taktstöcke, Teleskopstöcke, Stiele, Spieße (umdrehen), Stützen (des Fantasmas), Wenn der Vorhang fällt, sieh’ hinter die Kulissen/ die Bösen sind oft gut und die Guten sind gerissen/ Geblendet vom Szenario erkennt man nicht/ die wahren Dramen spielen nicht im Rampenlicht, vorne hui, hinten pfui, Sauställe, Schattenkabinette, Kabinettsstücke, Kammerflimmern, Kammertöne, Kammermusik, Drehkreuze, Fadenkreuze, Drehscheiben, Zielscheiben, Kranzabwurfstellen, Schützengräben, Schrebergärten, Schwitzkästen, sweatshops, Adlerwarten, Planetarien, Pavillons, Partyzelte, Beduinenzelte, Prater, Prado, Zoo-Paläste, Palast Orchester, ANIMAL FARM, Beauty Farm, Maria Alm, Limben, Legebatterien, Lebensborne, Lobbys, KanzlerInnenämter, Waschmaschinen, Sozialpaläste, Sozialämter, Tivolis, Pergolas, Gulags, Bungalows, Balustraden, Balkonien, SOMMER VORM BALKON, Vorbau, Verhau, Ghettos, Guantánamo, Orden, Heime, KZs aus Lego von Zbigniew Libera, DAS LEBEN IST SCHÖN, BATTLE ROYALE, THE HUNGER GAMES, TATORT (Die unterhaltsame Aufklärung), Berlin – Ort der Entscheidung, Golden Pudel Club, Rotary Club, Jule Club, COTTEN CLUB, FIGHT CLUB, Mile High Club, Kolonien, casting-couchs, Satelliten(-empfang), die Ortlosigkeit des elektronischen Raums, Jenseitsraum, überall und nirgendwo, Orbit, Sputnik, outsourcing, externe Ejakulationen, Studierzimmer, Studio 54, Piercing-/ Tätowierstudio, play-room, showroom, lockerroom, PANIC ROOM, THE HURT LOCKER, Wach- und Schließgesellschaft, Wohnen in der (aufgehübschten Edel- )Platte, Haus und Hof (verspielen), Das Haus aus den Fenstern werfen (Kastilisches Sprichwort) Patrizierhaus, Kartenhaus, HOUSE OF CARDS, Fertighaus, Freudenhaus, Zeughaus, Elternhaus, grindhouse, Bauhaus, Brauhaus, Blockhütte, Block House, Blockveranstaltung, Block Party, en bloc, Wunderblock, (Küchen-)Wohnbett, Ehebett, Nagelb(r)ett, Nagelstudios, Nägel mit Köpfen (machen), Sonnenstudios, Lunaparks, Irrgärten, Billardsalons, Massagesalons, Indische Callcenter, Raucher- Lounges, VIP-Lounges, Versailles, Verdun, Bushaltestellen, BABEL, Babylon, Baghdad, Islamabad, Abottabad, Bad Rothenfelde, Baden-Baden, Intercity, Interzonen, inner circle, Interkontinentales, DER SIEBENTE KONTINENT, die (verbotene) Zone, Zone 30, dramafreie Zonen, Ruhezonen, Sahelzone, Calzone, Terrorzonen, Kampfzonen, Fanmeilen, Renommiermeilen, Minenfelder, Hoheitsgebiete/ - gewässer, Hobbykeller, Exzellenzcluster (stattdessen: mehr Bildung für alle! – Wie in den 1970ern), Kleister, Kartelle, Scheißhaufen, THE KINGDOM, Landeskrankenhaus, Dramaklinik, Schwarzwaldklinik, Imperien, Bösendorfer Imperial (besitzt den größten Klavier-Resonanzboden der Welt), ödipaler Imperialismus, Imperial Overstretchment, Monopole, Monopoly, MON ONCLE, Monokel, (Elektronen-)Mikroskope, INLAND EMPIRE, Innere Sicherheit, schrumpfende Städte, megacities, Lagos, Cyber Paulista, ALPHAVILLE, NASHVILLE, downtown, Motown, Kalau, Bullerbü, Uhlenbusch, Gera, Bebra, Alhambra, Großraumdiscos /-büros, pleasuredome, Hades und Zirkuskuppel, VIDEODROME, Kondom, FemDom, MaleDom, Malle, Malefiz, Gin Fizz, Kölnarena, (St.) Kolumba, Colosseum, Arena di Verona, O2-World, Centre Pompidou, Pompeji, Kulturpaläste, Neue Flora, Rote Flora, first floor, Trauerflor, Souterrains, Kellerloch, Luftschutzkeller, no-go-areas, bewachte Wohnanlagen, townhouses, carlofts, Drive-In-Chapel, Autobahnkapelle, Tanken & Beten, Autokino, Boxenstop, Boxer(-motor), Boxenluder, dream-boxes, Braun-Design, lunch-boxes, Pralinenschachteln, FORREST GUMP, Aborte, darkrooms, newsrooms, non-places, Weltzeituhr, meeting points, Leitsysteme, Um-/ Standleitung, Abstecher, Feldstecher, Torfstecher, Feldforschung, Breitengrade, Längengrade, Mercator-Projektion, rechte Winkel, tote Winkel, IM TOTEN WINKEL, Kadragen, Quadropoid-Suit, QUADROPHENIA, Schach, Each game of chess/ means there’s one less/ Variation left to be played, E2 – E4 (Ruhige Nervosität, Gemäßigter Aufbruch ... und Mittelspiel, Ansatz, Damen-Eleganza, Ehrenvoller Kampf, Hoheit weicht [nicht ohne Schwung ...] ... und Souveränität, Remis), Das 8. Feld (wo der Bube zur Dame werden kann), Raster, Moiré(-Effekt), Rasterfahndung, Rastalocken, Rorschachtests, Klecksographie, Das ist ein zu weites Feld. 679 Kleine Wahrnehmungen Mikromanie, klein / mini / minder / gering / niedrig / Moll / mollig / mickrig / minoritär / minderwertig / minderjährig / unmündig / schwachsinnig / zweitrangig / Untergebener / Bergarbeiter / Pionier / Minenleger, Minenaufsammler, Todesmutige, lebende Tote, DEAD MAN WALKING, Seelenwanderung, walking the dead, sündhaft teure, tischtennisballgroße Porzellan-Totenköpfe von Nymphenburg, Spiritismus, Spiritus, Esprit, (smells like) teen spirit, Sperenzien, Sprit, Murks, Mors, Marx, Freud, Lacan, Deleuze, Guattari, Foucault, Derrida, Barthes, der Tick, das I-Tüpfelchen, das Streichholz, der Sti(e)l, Stilechtes, das Nudelholz, die (Speer-)Spitze, die Christbaumspitze, die Eisbergspitze, die Cowboystiefelspitze, spitz wie Lumpi, Spitzen(-häubchen), Arsen, I got the poison, I got the remedy, Sahnehäubchen, der Dutt, die Bütt, der Pütt, der (Neger-)Kuss, der (Über-/ Gewissens- )Biss, Sister Bliss, der Überschuss, der Überdruss, der Abrieb, der (An-/ Spiel-)Trieb, Schillers erhabener Spieltrieb, der (Unter-/ Über-)Druck, die Pointe, (beside) the point, der Patzer, der (Schür-/ Enter-)Haken, die Harke (die man jemanden zeigt), der Pferde-/ Krähen-/ Hasen-/ Klumpfuß, sich einen schlanken Fuß machen, auf großem Fuß leben, Bigfoot, die Retention, die Protention, die Okklusion, die Zähne des Malteserwerks, der Anker, das (Reiz-)Klima, der (böse) Reiz, Aufreizendes, Ich sehe was, was Du nicht siehst, Stiche, Hafer-/ Kupferstich, Nach einem Stich von Rembrandt, Spritzen, Irmas Injektion, Sonden, Katheder, (ex) Cathedra, Klistiere, (Strick-)Nadeln, Akupunktur, Stick the Needle into My Brain, Nadelöhr, Nadel im Heuhaufen, Schlinge, Lasche, (Lauf-)Masche, Maschenware, Klaps, tabs, (Geheim-)Tipps, Top(-), Tritop, tipp topp, Kintopp, tiptoe, Tippelei, comicstrips, strip-tease, teaser, Tesafilm, Kreppband, Kletten, Kladden, Kladderadatsch, (Trost- )Pflaster, Piercing, Prinz Albert, Heftzwecke, Kleinscheiß, holy shit, Aus dem undarstellbaren Rest, der sich im Symptom in Handlungen erinnert, die so sinnlos wie Abfall sind, lassen sich Trüffel machen, from rags to riches, aus einer Winzigkeit ein Universum erschaffen, Habseligkeiten, sieben Sachen, Kinkerlitzchen, kink, kitzelige Kritteleien, Der wahre Kitzel des Realen liegt im offensichtlich absichtsvoll Geschaffenen, selbst wenn das Wesen göttlicher Absicht dabei ein Geheimnis bleibt, Kritzeleien, Kleingedrucktes, Kleingeld, Die Dreigroschenoper, Groschenromane, fallender Groschen, Die Wut über den verlorenen Groschen, Notgroschen, A GOOD TIME FOR A DIME, Obolus, Kollekte, Mikrokredite, Kleinvieh macht auch Mist, Kleinkunst, DAS KLEINE FERSEHSPIEL, Kabarett, CABARET, das Detail, der (Wurst-/ Rock-/ Kosaken-)Zipfel, der Minirock (in einem Vergnügungspark in China bekommen Frauen freien Eintritt, wenn sie extrem knappen Mini tragen [Miniröcke sind dort an der Eintrittskasse erhältlich]) die (Re-)Prise, die Brise, die Lappalie, die Hostie, die Oblate, das Opfer, Du Opfer!, Oh mein Gott, sie haben Kenny getötet, Ihr Schweine!, der (Sünden-)Bock, Kutschbock, Bock auf jemanden/etwas haben, die Bockwurst, Böckchen, der Bommel, der Stummel, der Stöpsel, das Kleinod, die Naht, die Nichtigkeit, der Flaum, der (blinde/faule) Fleck, Sportflecken, Knutschflecken, Fleckenmittel, der (Über-)Rest, Überbleibsel, Abfall, Altlast, das Restrisiko, die Nachgeburt, der Schweif, der Siede-/ Gefrierpunkt, der G-Punkt, der Nippel, die Pelle, der (Wurm-)Fortsatz, der Blinddarm, der Appendix, appendix A, HEDWIG AND THE ANGRY INCH, 17 Millimeter (weit von Glück), 8mm – ACHT MILLIMETER, 8 MILE, 21 GRAMM, der kleine Finger, der große Onkel, der rote Knopf, Knopf im Ohr, das rote Tuch, das Odeur, die Duftnote /-kerze /-marke, das (Verwöhn-)Aroma, der Hauch, der Touch, Tadsch Mahal, Touch Me, touchscreen, das kleine Extra, der (faule) Schimmer, die (Maggi-)Würze, die Mehlschwitze, Mehltau, (Riech-/ Bade-/ Text-)Salz, Alka-Seltzer, Erdbeer-Chili, Sambal Oelek, Porsche Cayenne, SPLICE, slice, spice, Funkeln, Flirren, Flattern, Flackern, flicker, Glitter, Glitzern, Wuschel, Puschel, Büschel, Kuschel, Kokon, Tampon, pom-pom, Tamtam, Padam, Wigwam, Tingeltangel, Tineff, Riff, spliff, Anpfiff, Anschiss, Riss, bittere Pille, harte/taube Nuss, hardcore, harte Schale, weicher Kern, Kernschmelze, der (zarte) Schmelz, streichzart, Streichkäse, (Sieben auf einen) Streich, diff’rent strokes for diff’rent folks, der harte Kern des Egos, Herz aus Stein, Herz in der Hose, HERZ AUS GLAS, Atom Heart Mother, des Pudels Kern, kernlose Trauben, core chasing, das Objekt (klein) a, (Sadesche) Fickmoleküle, Higgs-Teilchen, Kineme, Dingsda, Dingsbums, das Ding an sich, Das Ding auf der Schwelle, krumme Dinger (drehn), saure Zipfel, (Susi sag’ mal) saure Sahne, Süß-Saures, saure Gurken(-zeit), Bissgurken, Spreewaldgurken, Seegurken, (Schiller-)Locken, Schuppen, Spalten, (Lach- / Dackel-)Falten, Deleuzes barocke Falte, Falten im Gelenk des Ziehharmonika-Bus’, Grübchen, Dellen, Macken, Mulden, Furchen, Gräten, Rippen, (Eiter-)Beulen, Euter, Zitzen (des Psychoanalytikers), Krusten(-tiere), Die irritierte Auster, Schorf, Kerben (ins Holz machen), Kratzer, Spritzer, Schnitzel(-jagd), Fitzel, Krümel, Brösel, Partikel, Faszikel, (Ein-)Sprengsel, Spähne, Splitter, Bananensplit, Rollsplitt, Dornen, Stachel, spikes, sparks, quarks, Blitzlicht, Telefunken, Scherben, Stuck, Strass, Schuppen, Pailletten, Paletten, Perlen, Perlon, Permutation, Perlmutt, Perwoll, megapearls, viel Bling Bling, Perlentaucher, Muscheln, Korallen, (Feuer-)Quallen, Brandung, Gischt, Sterne, Monde, Sonnen, Gezeiten, futurum exactum, (Geschmacks-)Knospen, Blüten(-lese), mille 680 fleurs, Blumen des Bösen, Brennnesseln, Bio(-tonnen), Extravaganzen, a little something in between, divertimenti, man gönnt sich ja sonst nichts, cunnilingus, cullilan, cucullus, Lukullus, Jukulele, ulcus, Cthulhu-Mythos, Laster, Tugenden, (Riech-/ Sound-)Fetische, Wattebäuschchen, Pläuschchen, Metaphorisches, Metaphergewitter, Metaphermaschinen, Alliterations-Armageddon, Assoziations- Blaster, Rhizome, Gewebe, Gewirke, Texturen, Damast, Brokat, Taft, Gaze, Aspik, Glass Spider, Bunt-/ Weißglas (nicht nach 20 Uhr in die Tonne werfen), gläserne Bläue des Himmels, glasierte Kirschen, Glacéhandschuhe, Glasnost, Glasfaserkabel, Totalreflexionen, Transparentes, Schneewittchensarg, Udo Jürgens gläserner Flügel, Glashütte, Glaspaläste, Gläserner Mensch, Wer im Glashaus sitzt, soll nicht (...), Transparency International, Oberseminare, der kleine (Probier-)Preis, das billige Vergnügen, Denken für lau, Umsonst-Denken, two for one, Nimm 2, double dip, Zwillinge, Two Tribes (Sex und horror), Die Kraft der zwei Herzen, diskrete Zwei, DIE ZWEI (THE PERSUADERS!) Die „Zwei“, die im Widerspruch sich ausschließen, schließen im Unterschiede als „Beide“ sich gegenseitig ein, Nicht zwei bilden eines, sondern eines öffnet sich in zwei, mit dem Zweiten sieht man besser, Zyklop, Zweitaktmotor, Zweiraumwohnung, The best things in life are free/ But you can give them to the birds and bees/ I want money (That’s what I want), Waren und Geld, Stöcke und Steine, mastercard, prepaid card, jetons, (Plastik-)Geld, über Geld spricht man nicht, Der Geldkomplex, Plastiktüten, Plastiktitten, Biertitten, Hängetitten, Titten-Trimmen, Stalaktiten, Atta-Höhle, Mohammed Atta, Atombusen (Guck’ doch hin wo Du willst/ Das ist doch dafür gemacht/ Jetzt schau’s dir einmal gründlich an/ Damit wir dann/ Entspannter reden können), Ein schöner Busen stand auch obenan unter den Reizen, durch welche die Schauspielerin meinen Träumer gefesselt hatte, Du hast sehr hübsche Titten, DER BUSENFREUND, Bierbäuche, Schmerbäuche, Spitzbäuche, Waschbrettbäuche, Sprungbretter, sixpacks, Men’s Health, Pausbäckchen, Rotbäckchen, Rotkäppchen, Haarhelme, Schamhaarfrisuren, Haariges, Hanebüchenes, (Nacken-)Haarsträubendes, Stoppeln, Spliss, perfect hair, big hair, Ich hab’ die Haare schön, (Glücks-)Strähnchen, geglättet, gekräuselt, blond(iert), brünett, rot, Semmelblond, Haarschnitt, Starschnitt, Haarausfall, haarscharf vorbei, Bad Hair Day, HAIRSPRAY, HAIR, Hare Krishna, Haare/Lippenstift auf den Zähnen, Nudel im Gesicht, Queckengesicht, Lipgloss, (Sturm/ Turm-)Frisuren, (Per-)Oxidieren, Kolorieren, Ondulieren, Koloratur-Arie (für die geläufige Gurgel), Lockenwickler, Brennscheren, saure Wellen, Trockenhauben, Drei-Wetter-Taft, Wenn ich das wüßt, warum mein Haar so ist. Ausverkauf Billig (will ich), Akkumulieren, Bunkern, Horten, Raffen, Gaffen, Nahkampf am Wühltisch/bei Ebay, Aufgepasst zugefasst!, alles muss raus, Draußen nur Kännchen!, ALLES ZU VERKAUFEN, nichts zu verschenken, Verramschendes, Verschacherndes, Verarschendes, Ladenhüter, Einzelstücke, Sondereditionen, Maxi-Versionen, XXL, (Ohne) Mitgift, (GEMA-)Gebühren, Aussteuer, Genusssteuer, Mehrwertsteuer, Tobin-Steuer, Prämien, Belohnungssysteme, Anreize, Klassische Konditionierung, Pawlowscher Hund, Leckerlies, Meine Sympathie ist mit den Mäusen, doch ich füttere die Katze, Boni, Boney M., Best of, compilations, (Toscana-/ Jamaika-)Fraktionen, (zukünftige) Koalitionen, Koaltitionspoker, Koalabären, leasen, Zahlen auf Raten, Tod auf Raten, auf Schusters Rappen, barfuß, Barzahlen, cash auf die Kralle, Bargeld bleibt das schönste Kompliment, bezahlt wird nicht, einzeln oder zusammen?, Dutch treat, Zeche prellen, Spendenquittungen schnell vernichten, Draufzahlung, Lehrgeld, Nachzahlung, Vorschuss, Zuschuss, Tantiemen, Lebensmittelmarken, Rabattmarken, Rabatzmarken, Treueherzen, Schokoherzen (von Air Berlin), High Fidelity, credit points, Miles & More, 100 Gummipunkte, Umsonstläden, Flohmärkte, Tauschmärkte, Schwarzmärkte, Christkindlmärkte, Polenmärkte, Edekamärkte, Totalmärkte, Sklavenmärkte, Fickstutenmärkte, Basare, Basales, Versandhäuser, Intershops, Amazon, Ebay, ibäh, au fein, Spätkäufe, Hamsterkäufe, Fehlkäufe, Tante-Emma-Läden, Manufactum, Drecksläden, Discounter, Woolworth (Wolle), Bolle, Lidl, Aldi, Penny, Plus, Norma, Netto, MTV, TIMM, QVC, guerilla-stores, flagshipstores, Eisberg in Sicht, volle Kraft voraus!, Flakscheinwerfer, Klitschen, Absteigen, Waldorf-Astoria, Ritz-Carlton, Sheraton, Radisson, Bates Motel, Hotel Mama, HOTEL DESIRE, Chelsea Hotel, Hotel California, Holiday Inn, Hotel Lux, Pension Garnie, DER MIETER, flatrates, Flatmates, FLATLINERS, Flatulenzen, Spelunken, Kaschemmen, Zwitscherstübchen, Stöberstübchen, LITTLE SHOP OF HORRORS, Etablissements, Spezialitätenrestaurants, Radau-Inder, (horizontales) Gewerbe, seine Haut zu Markte tragen, every body must buy, Kaufzwang, shopaholics, The vast majority must work, Arbeitszwang, sterbende Kaufhäuser, entstehende Malls, eine wie die andere, SOMMER WIE WINTER, Monokulturen, Monotonie, Konsumorgien/ -terror, Kleptomanie, MARNIE, Mundraub ist doch erlaubt, Shoppen und Ficken, (Internet-)Business, Show-Business, mess, messies, Exzess, 681 Bussibussiness, Bussibär, Turbospätkapitalismus, (virales) Marketing, Merchandising, Franchising, crème fraîche, Pfründe (sichern), Schäfchen ins Trockene bringen, Bankkonto (pflegen oder überziehen), Kontor, (Schweizer) Nummernkonten, Mehrwert abschöpfen/abgreifen, Abstauben, Absahnen, doppelte Rahmstufe, sein Fett abbekommen, FÜR EIN PAAR DOLLAR MEHR (an der Bio-Fleischtheke heißt das: Für fünf Euro noch ein bisschen mehr?), abgegriffene Münzen, global players, Völkerball, Crisis? What Crisis?, Mogelpackungen, Sparpakete, Wundertüten, Werbegeschenke, Gastgeschenke, Danaergeschenke, KATZE IM SACK, Lohntüten, (Grund- )Einkommen, Hartz IV(-Regelsätze), Proviant, Kulturbeutel, Kulturtechnik, beautycase, Marschgepäck, Koffer (in Berlin), Kofferwörter, Rollkoffer-Lärm in Berliner Trendbezirken (meist am Sonntag Abend – Billigflieger[-Party]-Touristen müssen heim), Eigentumsferienwohnung in Berlin- Prenzlauer Berg, Gentrifizierung, Geriatrisierung, Einheitspreise, Preisbindungen, Pauschalangebote, all inclusive, all you can eat, Der Preis ist heiß, Fisher Price, Fantasiepreise, Fantasy Pride, Dumpingpreise, dumplings, Glücksrad, O Fortuna, wie der Mond so veränderlich, freie Auswahl, Gewähltwerden (als erster oder letzter beim Schulsport), Rauswählen, Selektion, à la carte, on demand, Qual der Wahl, Ihr habt die Wahl zwischen der Transzendenz und dem Chaos, Ihr wählt doch sonst auch immer das Falsche, wenn ihr die Wahl habt, Nur die dümmsten Kälber wählen ihren Metzger selber, multiple choice, Motiv der Kästchenwahl, Wahlzettel falsch ankreuzen/auszählen (mit fatalen Auswirkungen auf die Weltpolitik/den Weltfrieden), Wahl der Qual, Ablasshandel, Kuhhandel, (giftiger) Schrotthandel (mit der dritten Welt), Die Kinder bringen den Müll raus, win-win-Situation, Hans im Glück, gimme fake, Ceralien, Lactose-frei, Verzicht, auch mal Nein sagen können, Nein sagt sich [nicht] so leicht, Diäten(-erhöhung), Askese, Mimese, Schizogenese, (Güte-)Siegel, Dr. med., Club Med, Ganymed, Dr. Best, DR. NO, DAS KABINETT DES DR. PARNASSUS, THE ABOMINABLE DR. PHIBES, DR. MABUSE, DER SPIELER, DAS TESTAMENT DES DR. MABUSE, Dr. Sommer, Dr. Feelgood, Doktor Sleepless, Dr. Holiday, Doc Holliday, Doc Martens, Doc Schneider, Dr. Müller, Dr. Beam, Dr. phil., DR. SELTSAM ODER WIE ICH LERNTE, DIE BOMBE ZU LIEBEN, IS’ WAS DOC?, Stempel, Prägungen, Prädikate, Auszeichnungen, Preisschilder, Preissenkungen, Schlussverkauf (das ganze Jahr über), Schluss machen (jetzt!), Der Traum ist aus, aus und vorbei, Insolvenzen, Inventuren, Inkassounternehmen, Abwrackprämien, Weltwirtschaft per Mausklick ruinieren, Ruined in a Day, Das Geld haben jetzt andere, welches Geld?, Wuchern, Wucht, Wummen, Wummse, Überbieten, Kaputtsparen, Deutsche Bahn, Berliner S-Bahn (Und selbst im Krieg war die Bahn ja pünktlicher als heute), Abzocke, Aktionäre, PICKPOCKET, Gehirn in die Brieftasche gerutscht, braindrain, Zocken, Daddeln, Dudeln, Almdudler, (Neu-/ Rach- )Gier, Lust auf mehr, Extrabesitz, Nouveau riche, Inspektionen, Bestandsaufnahmen, Manipulationen, Fernsteuerungen, (angemeldete) Ferngespräche, Ferndiagnosen /-heilungen, verdeckte Wirtschaft, Hauswirtschaft, Zettelwirtschaft, sich verzetteln, milles feuilles, Feuilleton, petites feuilles, Feux Follets, Spiele von Flamme und Feuer, Spiele ohne Grenzen, Öl ins Feuer gießen, Briketts (nachlegen), andere ausspielen (lassen), sich im Andern aus-spielen, Idealfall, Regelfall, Ausnahme(dauer)zustände, Selbstmordattentäterbombe kostet 250 US-Dollar, Voyages extraordinaires, Flug ins Weltall kostet 200.000 US-Dollar (für 90 Minuten), Plastikspregstoff, plastic fantastic, PLASTIC PLANET, Willkommen auf dem Planeten Playmobil, Bitte eine Tasse entkoffeinierter Realität oder einen Kaffee Togo, (wie) bestellt und nicht abgeholt, last orders. Es werde Licht Ob ihr wirklich richtig steht, seht ihr wenn das Licht angeht/wenn der Faschismus umgeht – Klospruch im Herren-WC des Medienwissenschaftlichen Seminars der HU zu Berlin (im zweiten Hinterhof an der Sophienstraße), Licht aus – Spot an!, Super Trouper, Wir zeigen’s Ihnen, Ich zeig’s Dir, we want you!, Your Disco Needs You, Tanz für mich!, Now I’m gonna make you dance, Tanzbär, Tanzmaus, Jetzt tanzen alle Puppen, macht auf der Bühne Licht, macht Musik, bis der Schuppen wackelt und zusammenbricht!, LICHTER, DIE LICHTER DER GROSSSTADT, Times Square, Piccadilly Circus, Potsdamer Platz, Mariannenplatz, Zickenplatz, Lichterketten/ -netzwerke/ -rhizome, Lichtverschmutzung, Lichtjahre, Lampions, Japanballons, Aurora, Alpenglühen, Ampelschaltungen, Armleuchter, Wetterleuchten, Leuchtreklame, (rote) Nebelschlussleuchte, Nordlicht, Nebellichter, Positionslichter, Landelichter, Taxilichter, Standlicht, Zwielicht, Teelicht, Kommunionskerze, Candle- Light-Dinner, Au clair de la lune, lunatic(s) of one idea, Illuminaten, Lumen, Lunte (riechen), le siècle des Lumières, cogito ergo sum, 1969 in the sunshine, Sieg über die Sonne, vom Himmel fallende Scheinwerfer/A380-Triebwerke, beleuchtete Autobahnen (wie z. B. in Belgien, Luxemburg, den Vereinigten Arabischen Emiraten oder in der Türkei), allumer une cigarette, kleine Taschenlampe 682 brenn, There’s a light (over at the Frankenstein Place), Cette petite flamme, Ich geh mit meiner Laterne und meine Laterne mit mir, Laternen austreten, à la lanterne!, Funzel, Freilicht, freilich, Feuervögel, Feuertaufen, Feuertopf, DIE FEUERZANGENBOWLE, Feuerräder, Feuersbrunst, Feuer löschen (auspinkeln), FEUER UNTERM ARSCH, con brio, (wundersam verschwindende/vermehrende) Feuerzeuge, Feuerzange, Feuer und Schwert, Feuer und Flamme, Osterfeuer, bengalische/tellurische Feuer, Strohfeuer, Kreuzfeuer, FIRE, ICE AND DYNAMITE, Boschs Zündkerzen, firestarter, Kickstart, Fehlzündung, Feuermelder, künstlerisch tätiges Feuer (ignis artificiosa), die heilige Flamme der Philosophie, Lagerfeuer(-Romantik), Hand ins Feuer legen, lodernde Glut, gludernde Lot, Grillkartoffel in die Glut?, elektrisches Kaminfeuer, Das Feuer der Phantasie muss den Kamin der Sinne entzünden, Hintergrundbeleuchtung, Ethanol-Wandkamine, Pyromanie, Prometheus, Indizien, Aufblitzen, das winzige Fünkchen Zufall, (Stich-)Flammen, Lichtung, Lichtenrade, Lichtenberg, Liechtenstein, Inferno, lichterloh, Gütersloh, explodierende Challenger-Rakete/Atom-Reaktoren (in Live-Übertragung), in the flash, In the Flesh?, FLASHGORDON, FLESH GORDON [SCHANDE DER GALAXIS], JOHNNY FLASH, flashboys, flashcrash, Metaflesh, Ein Blitz fuhr durch mein Inneres, mein Atem stockte, die Pulse schlugen, krampfhaft zuckte das Herz, zerspringen wollte die Brust!, Oh, als ob ich einen elektrischen Schlag ins Herz bekam, sobald ich sie gewahr ward, Herzhitze, Durchpulsen, Dauerbrenner, Redoxreaktionen, Feuerrate, Elmsfeuer, Heiligenscheine, Glühlampen, Stehlampen, Energiesparlampen, Erichs Lampenladen, (Abriss-)Birne, Birne Helene, Molekularglitzern, Sternenstaub, Sprachstaub, Staubwolke, Cloud Gaming, rosa Wolke, Giftgaswolke, shitstorm, Sternschnuppen, Sternstunden, Sternspeiher, Sternenwarte, Sternfahrten, Sternzeichen, (leuchtender und um sich selbst drehender) Mercedesstern (auf dem Dach des Europa-Centers), Oh Lord, won’t you buy me a Mercedes-Benz, Fleißsternchen (ins Oktavheft), Götterfunken (Ode „An die Freude“), Funkenflug, Hallesche Kometen, Hallesches Tor, HAL, Halogen, Halligalli, Halli Hallo, Hello Spaceboy, ZIGGY STARDUST, Space Invadors (are smoking Grass), MARS ATTACKS!, (No) UFOs, Laserkanone, Laika, Juri Gagarin, Sigmund Jähn, APOLLO 13 (erfolgreicher Fehlstart), space race, IN EINEM JAHR MIT 13 MONDEN, Junimond, Lähmung und Mondsucht, Halbmond, MOND ÜBER PARADOR, Blue moon, moon dust (will cover you), MELANCHOLIA, BLUE, Blaue Lagune, Blaue Blume, Blau blüht der Enzian, Blaue Stunde, Blaupausen, Bluetooth, blauer (Zigarren-)Dunst, Lila Pausen, Blue Boy Bar, La Maison Bleue, blau machen, blau anlaufen, Saphirblau, Das Graublau des atmosphärischen Dunstes, Wie war der Himmel blau, die Hoffnung weit!/ – Die Hoffnung floh enttäuscht in Dunkelheit. –, Johnny Blue (An die Zukunft zu glauben im Dunkel des Lebens, er hatte es selber geschafft), der Mann im Mond, Madame de la Luna, the beast in me, Hitler in uns selbst, Die Bestie im Menschen, zweiter Beobacher, Fabelwesen, Zwitterwesen, Feen, Gnome, Golems, L’homme machine, serielle Unmenschen, flüchtig hingemachte Männer, (Bio-)Roboter, (blattlausartige) Parasiten, SHIVERS, Schmarotzer, Blutegel, Engerlinge, Larven, (Bett-/ Abhör-)Wanzen, Nutznießer, Buch-/ Ohr-/ Bandwürmer, Floh im Ohr, Zini, Ungeziefer, Unziemliches, Ungeheuer von Loch Ness, Hybride, Alice, Ellen Allien (BPitch Control), ALIEN I-IV, Fehlerteufel, Springteufel, Feuerteufel, Stimmen im Wind, der Wind, der Wind, das himmlische Kind, DIE ANTWORT KENNT NUR DER WIND, VOM WINDE VERWEHT, apokalyptische Stürme in Wassergläsern, auf mobilen plasma-flatscreens oder beim public viewing (public viewing bedeutet im englischsprachigen Raum das Aufbahren der Toten), 2012, 2046, Die Zeit ist ein Ozean im Sturm, Sturm und Drang, Bildersturm, Bilderstürmer, FACKELN IM STURM, die Fackel des Wissens weitergeben, Und im Wind erlischt die Fackel, Die des Pfades Leuchte war, Pechfackel, die Fackel deines Ichs, abgefackelt, fieser Spuk in Puppenheimen, Vorstadtpanzern und Überraschungseiern (ebenso in gigantischen Wüstenstädten, zyklopischen Unterwassertempeln und unterirdischen Universalbibliotheken). Eier Popeia Ei Ei Ei, was seh ich da?, Kuckucksei, ungelegtes Ei, dickes Ei, Bullenklöten, Die Eier sind Gottvater und Gottsohn, dazwischen ist der heilige Geist, Spiegelei, Rührei, Landei, Bio-Ei, faules Ei, Dioxin-Ei, Fabergé-Ei, sorbisches Osterei, Ei des Kolumbus, Frühstücksei, Eigelb (muss weich bleiben), Holzei, HARD BOILED, Eierkochkenntnisse (erwerben), wie aus dem Ei gepellt, Senfeier (mit Dijon-Senf), Marseiller Eier, Eierwärmer, Eierköpfe, Eierstöcke, zerbrochene Eier, Eisprung, Eierstich, Eier im Glas, (die Freude über) gefundene Ostereier (die man sich manchmal selbst versteckt oder eingemacht hat), Vergackeiern, Was war zuerst da: Ei oder Henne?, Eiertanz, Eierlaufen, prekäre Balancierungen, Windei, windchill, Windschatten, Rückendeckung, Geeiere, Granate, Renate, Penaten, Granatäpfel, Adamsäpfel, ADAMS ÄPFEL, Liebesäpfel, Zankäpfel, Äpfel und Birnen, Apfelbutzen, Bratäpfel, 683 Apple Macintosh, der vergiftete Apfel Alan Turings, Beiß’ nicht gleich in jeden Apfel, Big Apple, rotten to the core, If you can make it there, you'll make it anywhere, New York, New York, The New Yorker, SYNEKDOCHE, NEW YORK, New York, Rio, Tokio, Mc-Donald’s (-Logo: die leuchtenden Gold-Titten der USA), Lollipops, saure Drops, olle Kamellen, Kalauer, Klümpchen, Zoten, Schoten, junges/wildes Gemüse, verdorbene Früchte, Virus-Sprossen, DER ANGRIFF DER KILLERTOMATEN, (naturbelassene) Holland-Tomaten, schwarzer Rettich, Wurzelgemüse, The Smashing Pumpkins, Gurke des Monats, MitarbeiterIn der Woche (im güldenen Plastik- Wechselrahmen), one-hit-wonder, wir sind alle wachsende Vulkane, die ihre Stunde der Eruption haben werden, 15 minutes of fame, Früchte des Zorns, Lorbeeren, Kornelkirschen, Leibesfrüchte, Tollkirschen, Maulbeeren, Williamsbirnen, Dörrpflaumen, Pomeranzen, Sulatinen, Fruchtschnitten, Fallobst, freche Früchtchen, flotte Frauen, Quickies, push-push, husch-husch, schwule Mädchen, Psychofreunde, false friends, Disco-Darlings, Doris Disse (mit der knallroten, abgewetzten und zu kurzen Lederjacke), Aimez-moi!, Aidez-moi!, who’s next?, who-is-who?, Who the fuck is (…)?, Versprechen, Versprecher, objets trouvés, big shots, meat/money shots, espresso-shots, herbal shots, cum shots, big bucks, big tits, big cocks (Evolutionsforscher können im Magazin Stern nicht plausibel erklären, warum das Geschlechtsteil beim Mann – im Vergleich zu anderen Primaten – überdimensioniert ist), big bang, Big Ben, Big Brother, Bohei, heiteitei, (s)exploitation, blaxploitation, Explosion, Entladung, Entgleisung, Escada, Eskadron, Gucci-Muschis, Prada-Meinhof, Gender- Blender, GLEN OR GLENDA, ORLANDO, Hermaphroditen, Metrosex, Sex in der Metro, Cazzo, THE PEOPLE VS. LARRY FLINT, XANADU, Pornostars, Pappenheimer, Geröllheimer, Teufelsberger, Gogo-Dancer, (brennende) Strohpuppen, Dancer-Danger, in effigie, PUPPENMORD, schlechter Umgang, Heulkrämpfe und Miniorgasmen, Lesben und Schwule in der Union (LSU), Du & Ich, das ‚Du’ bzw. ‚You’ in Schlager- und Popsong-Texten, I’ll Be Your Mirror, Ich bin du‚ wenn ich ich bin‚ ‚Wir’ sagen und ‚Ich’ meinen – wie z. B. in wissenschaftlichen Texten, Hanni und Nanni, Dick und Doof, Max und Moritz, Lolek und Bolek, Yin und Yang, Ernie und Bert, Cindy und Bert, Simon and Garfunkel, Ratz und Rübe, Florestan und Eusebius, Tim und Struppi, Sonny und Cher, BONNIE AND CLYDE, Pierre et Gilles, Siegfried und Roy, Severin und Wanda, EIN HERZ UND EINE SEELE, Techtelmechtel, Gspusi, ROMANZE IN MOLL, Laut Statistik lernen sich 80 Prozent aller deutschen Liebespaare bei der Arbeit kennen, Orpheus und Eurydike, Mary und Gordy, AIMEE UND JAGUAR, Eddy und Petsy, Tante Luzi und Rosa von Praunheim, GINGER UND FRED, Rock Hudson und Doris Day, Albano und Romina Power (vgl. „Feliticà“-Persiflage von Margarethe Schreinemakers und Hape Kerkeling aus den 1980ern), Sandra und Michael Cretu, Wim Thoelke und Mireille Mathieu, Joachim Bublath und Ramona Leiß, Iris Berben und Dieter Krebs, DIE SCHÖNE UND DAS BIEST, Lippenstift und Puderdose, Lady Sunshine und Mr. Moon, Der Meister und Margarita, Freddie Mercury und Montserrat Caballé, Mel and Kim, Barbie und Ken, Kain und Abel, Lacacan und Derridada, Alpha und Omega, Guattareuze, Lacan und Dalí (treffen sich in den 1970ern in New York [nach fast 40 Jahren] zufällig wieder und schlendern in schweren Pelzen durch downtown; Lacan glaubt, dass die Aufmerksamkeit und Blicke, die auf Dalí gerichtet sind, ihm gelten), Régis Debray und Che Guevara, Joseph Prudhomme und Homais brutal, Romulus und Remus, Tom und Jerry, Zensursula und Schäublette, BERNARD UND BIANCA, Itchy und Scratchy, Der Hase und der Igel, Erdbeeren und Piccolöchen, COFFEE AND CIGARETTES, Koks und Capuccino, Molle und Korn, Räuber und Gendarm, HASCH MICH, ICH BIN DER MÖRDER, DSDS, DKMS, D/s, S/s, DSK, KSK, BKA (Berliner Kabarett Anstalt), Ich bin ein Star – Holt mich hier raus!, Ich war (nicht mehr) jung und brauchte das Geld (und die mediale Aufmerksamkeit), Nestbeschmutzer, Nestflüchter, Einpacker, Einparker, Backpacker, Barebacker, (Selbst-)Abholer, Selbstversorger, schwarze Schafe, Gesocks, Feinde, viel Feind, viel Ehr’, MEIN LIEBSTER FEIND, ALLE ANDEREN, THE OTHERS, Die Hölle, das sind die anderen, Wir sind die anderen, die diskriminierenden Schimpfwörter und Vorurteile der Andern, die an Dich/Euch adressiert sind, annehmen und als emanzipatorische Waffe benutzen, Wir schlagen Euch mit Euren eigenen Waffen, die (Rechen-)Fehler der Anderen, im Müll der Anderen wühlen, Sokal und Bricmont, Wühlmäuse, mind your own business, (nach mir die) Sintflut, sinthome, Absinth, knisternde Synapsen, gleich passiert’s, gleich geht’s weiter (mit Amicelli), Hermes, Hèrmes, Hermes Phettberg, Hermes I. Kommunikation, Hermesdeckungen, Vorfreude (ist [nicht] die schönste, oder?), suspense, ready for take-off, stand-by, in attack-position, READY TO RUMBLE, Rumpeldipumpel, Nonstop Agropop, Vorboten, Vorhut, the next big thing, Avantgarde, Dämonen(- Dompteure), Maxwellscher Dämon, Maxwell Demon, Verliebt ins Nichts, (Seifen-)Blasen, Dotcom- Blase, Blasebalg, Wechselbalg, schreiendes Balg, Sextanerbläschen, Freuds Reiz-Bläschen, Sloterdijks Blasen, jemanden Blasen für Laternen vormachen (vouloir faire prendre à qn. des vessie pour des lanternes), (Qualm-)Kringel, Nebelschwaden, Nebelflecken, Hauch-/ Dunstkreise, Dunstabzugshauben, (geistige) Masturbation, Autofellatio, Hand anlegen, Hände falten, Handentspannung (mit ca. 1000 Schuss Munition), (goldener Boden des) Handwerk(s), Handarbeiten, 684 Handbücher, handcrafted, arts and crafts movement, World on Warcraft, Beichte, Beichtstuhl, Stunde/Millisekunde der Wahrheit, DEUTSCHLAND, STUNDE NULL, Der Tod ist ein Meister aus Deutschland, Am deutschen Wesen mag die Welt genesen, Ich komme aus Deutschland, aber die Leute sagen, ich sehe jünger aus, Auf deutschem Boden darf nie wieder ein Joint ausgehen, Deutschland ist keine berechenbare Größe mehr, Schlaand, Schloon, Schlund, alles umsonst gewesen, rewind, reset, zurück auf Start, try again, Hello Again, so sieht man sich wieder, Du bist nicht allein, ICH KENN KEINEN – ALLEIN UNTER HETEROS, Your’re on your own, all alone, Deutschland: ein virtuelles Wintermärchen – eine Baumarkt-, eine bedauerliche Geiz-ist-geil-Vision, Spar-/ Reise-/ Exportweltmeister, Ventillieren von Frustration, falsche Bekenntnisse, Einbildung, Schönsein, einen schönen Menschen entstellt nichts, früher war ich eingebildet, heute weiß ich, dass ich schön bin, wahre Schönheit kommt von innen, THEY CAME FROM WITHIN, brains, looks (I’ve got the brains, you’ve got the looks/ Let's make lots of money), Herzensbildung, Bauernschläue, Schnupper-/ Crashkurse, Managerseminare, Kommunikationstraining, Verkaufsgespräche, Selbstgespräche, Kaderfachgespräche, Plapperbuden, Reichstag, Das Wunderwerk oder die RE-Mohammed-TY Show, chitchat, Modern Talking, Talk Talk, Talking Heads, talking cure, Selbsterfahrungstrips /-kurse, Lebst Du noch?, Spürst Du noch/ schon was?, LA MALA EDUCATION, L’ Education sentimentale, pygmaliontische Erziehung, schlechte Gewohnheiten, die guten Sitten, Sittendezernate, Sittengemälde, Knigge, (Selbst-)Mitleid, Empathie, (Hilfe zur) Selbsthilfe, Liebe Dein Symptom wie Dich selbst!, Nächstenliebe, agape, Operation Sankt Martin, Helfersyndrom, Die hilflosen Helfer, I Can’t Help Myself, (weiter) still vor sich hinleiden, Jammern (auf hohem Niveau), Jaulen, Winseln, Wimmern, Betteln, Piepsen, Piepen, PEEPING TOM, Beeper, Quieken, Gekichere, Gezeter, Gezicke, Geschrei, (Kanzler-)Kakophonie, Rumkrakelen, Krakelee, Krakelei, Kraken (Fußball-Orakel), Gekreische, Geheule, Der Horla, Hysterie, (elektronische) Echos, Anrufbeantworter, feed-back, Fingernägel kauen, Daumen lutschen, Maniküre, Pediküre, Sexmaschinen, Sexturbo, Straucheln, Mäandern, (Rum-)Eiern, Tuten, Torkeln, Trudeln, Trödeln, Trällern, Treideln, trippeln, dribbeln, TRIPLE X, Turteln, Tänzeln, Schwenzeltanz (von Bienen abgeschaut), Scharwenzel, Halteprobleme, Wackeldackel, Hupfdohlen, Hüpfburg, Plumpssäcke, Presssäcke, Mästmaschinen, Dickmacher, Schönmacher, Klunker, Flunkern, Flirten, Charme, Mitspielen, LA REGLE DU JEU, Überspielen, Überdeterminieren, Überstrapazieren, Materialüberdehnungen, Kapazitätsüberlastungen, Kaputtspielen, Hängenbleiben, Hochstapeln, Stolzieren, Schwindel(n), Schinden, Schindluder, Schindanger, guilty pleasure, power exchange, VERTIGO, Schwindsucht, Schwächeanfälle, Synkopen, (Brems-)Spuren, Deine Spuren im Sand, Spurensicherung, Heißer Sand und ein verlorenes Land, Treibsand, Treibgut, Saatgut, Salzkammergut, Ostgut. Passagen Hereinspaziert!, Auf geht´s – Pack’ ma’s (gab der Kapitän eines Lufthansa-Airbus’ mit dem Namen Bayreuth durch [in dem ich saß], kurz bevor die Maschine aus dem Erdinger Moos zu einem Transatlantiknachtflug abhob), Where do you want to go today?, How far do you dare to go?, Platznahme, Einnahme, Besetzung öffentlicher Plätze, (Bl)occupy, Wegnahme, Eroberung, Besiedelung, Evakuierung, Räumung, Deportation, De- und Reterritorialisierung, rite de passage, (Ab- )Sprung, ein Sprung ins Nichts, der uns nichts verspricht, Sprung über den Schatten, Übersprungshandlung, nichts passiert!, Noch-einmal-davon-gekommen, mildernde Umstände, Gnade der späten oder frühen Geburt, IMPORT, EXPORT, VALIE EXPORT®, Tapp- und Tastkino, rein, raus, in, out, Stoßzeiten, (Trieb-)Stau, (Nach-)Drängen, Stadtflucht, Häuschen im Grünen, Landflucht, Aus-/ Einwandern, up and away, nichts wie weg, out and about, run!, Ran an den Mann, S.O.S., rette sich wer kann, Mayday (u. a. in der Dortmunder Westfalenhalle), (Auf-/ Ein-/ Durch-)Bruch, (Krawall- )Tourismus, Andenterror in deutschen Fußgängerzonen, Todesmärsche, tour de force, Tour de France, gebt Doping im Leistungssport endlich frei, gebt getestete Drogen endlich frei (sind doch eh alle schon druff: auf Alk, Nikotin, Koffein, Konsum, Schmerzmittel und RTL 2), Rave & Eve e.V. (Drug- Checking), Medikamententests der Pharmaindustrie an gut bezahlten ProbandInnen, DROGENSZENEN, Drogenkriege, Lustingenieure, Lustverteiler, Einkaufspassagen /-parcours, Ikea, Ikebana, Icke, (Potsdamer Platz) Arkaden, arcadia, arcade-games, Arkanum, academia, Rangierbahnhöfe, Überseehäfen /-museen, Radialsysteme, Diaspora, Speditionen, Standesämter, ministry of love, NVA (Nachrichtenverteilanlange), MVA (Müllverbrennungsanlage), Brennweite, Reichweite, Aktionsradius, Vorantreibendes, Dynamisches, Fuhren, Fahrgeschäfte, fahrendes Volk, Der flexible Mensch, Bahre, Barren, Karre(n), Schubkarre, Bollerwagen, Bollerhete, Pflug, Sänfte, Segway, Fahrradrikscha, Droschke, Kalesche, Dschunke, Depesche, Schese, Gocart, Einrad, 685 Steckenpferd, hoch zu Ross, Seifenkisten, Rappelkisten, Rollatoren, elektrische Gehhilfen, Rennpappen, Isettas, (alte) Minis/ Volvos/ Saabs, Fiat 500 (Elefantenrollschuh), Fiat Panda, Fiat Lux, Trabanten, Dräsinen, Trans Europe Express, (Mord im) Orient Express, Bagdadbahn, TRANSAMERICA, Papamobile, Güllepumpen, Jauchewagen, Waggon, Omnibus, Tourbus, Bulli, LITTLE MISS SUNSHINE, SHORTBUS, zuerst spüre den Gedanken, dann steige in den Bus, streetcar, Kettcar, Carhartt, Streitwägen, (WC-)Ente, Käfer, Manta, flute (Citroën DS – la déesse), Ich fahr’ Jeep mit Allradantrieb, Harry, hol schon mal den Wagen, Hejo, spann den Wagen an, Wagenmeister, Edelkarossen, S-Klassen (die neue A-Klasse), Sattelschlepper, Abschlepper, Planierraupen, Stockhausens Helikopter-Streichquartett, Propeller, Tornados, Drohnen, Frisbees, Fall-/ Rettungsschirme, DER REGENSCHIRMMÖRDER, Paraglider, Bungee-Jumping, Jojos, Banjos, Bajonetts, Raketen, Turbinen, Düsen, Drüsen, Kombüsen, YouTube, X Tube, in der Röhre, röhrende Hirsche, Neonröhren (an der Decke türkischer Kulturvereine), kommunizierende Röhren, Roaring Twenties, (Tret-)Boote, (Trauer-)Gondeln, (Heul-)Bojen, Luftkissenboote, Schwanen-Bötchen, Ein (Raum-)Schiff wird kommen, Arche Noah, SCHIFF DER TRÄUME, Die Rückkehr des Narrenschiffs, Le Bateau ivre, Das (Rettungs-/ Flüchtlings-)Boot ist voll, Die (Bullen-)Wanne ist voll, Wir sitzen alle im selben Boot, Bewegungsmelder, Eadweard Muybridges Serienaufnahmen mit Studien des menschlichen und des tierischen Bewegungsablaufs, 3D-Motion Capture, Chronofotografie, LOMO Compact Automat, Einweg-Kamera, Pocketfilm, people turn into objects and in the end, the camera is gonna be your best friend, Lobotomie, Lomi Lomi (traditionelle hawaiianische Massage), Yoni, Vorführeffekt, V-Effekt, Dopplereffekt, double bind, Dublette, Duplett, Duplo, aus zwei mach’ drei, 3D-Effekt, DREI-FARBEN-Trilogie, Tricolor(e), Tricatel, Tripel, Tricorder, Trio Rio, Triplett, Tri Ergon, Dreiklang, Dreikäsehoch, drei Wünsche auf einmal, drei Zinken, Dreifuß, Dreizack, Drei Zinnen, 3-Sterne-Gefrierfach, Wann treffen wir drei wieder zusamm?, Die Drei ???, open end, open stage, open space, sturmfreie Bude, sturmfreier Geist, open mind, open air, open source, no end, dead end, die (un-)endliche Geschichte/Analyse, Fanal, RAUS AUS ÅMÅL, Verästelung, von Höcksken auf Stöcksken, Veränderung, Täuschung, Virtualität, Modelle, Größenwahn, Megalomanie, grands projets, Germania, Prora, Mediaspree, (der freie/der letzte) Wille, wer nicht will, der hat schon, (Besitz- )Anspruch, (geistiges) Vermögen/Eigentum, Abreagieren, Austoben, Ausspielen, Abgehobenes, Meisterschaft, Erlesenes, Handverlesenes, Vornehmes, Elitäres, Aristokratisches, noblesse oblige, noble Blässe (Ihr Teint ist von blendendem Weiß [...], die Augen sind schwarz wie Ebenholz und erfüllt von einer Glut!), Albinismus („Ich bin ein Albino!“), Distinguiertes, Distinktion, Diktion, différance, Schicki-Magazine, (virtuelle) Klassen, Yuppies, Yucca-Palmen, Bobos (Bourgois Bohemians), Bohemian Rhapsody, LA BOHEME, music mix the bourgeoisie und the rebel, DJ BoBo, Sodom und Gomorra, SALO, Saldo, Abtropfgewicht, Gewichts-/ Güteklassen, Klassenfahrten, Klassenziele, Klassenkeile, gangbang, Greacum, Latinum, Basilikum, nothing but the truth, THE TRUMAN SHOW, jetzt isses raus – na endlich, frei von der Leber weg reden, Tacheles reden, Teekesselchen, Menetekel, the borrowed kettle, MacGuffin, muffin, Stille Post, Risiko, Spiel des Lebens, jeu d’esprit, DAS MILLIONENSPIEL, Wer wird Millionär?, das große Los ziehen, Losungen, Hauptgewinne, Die verflixte 7, (ein Gesicht wie) Pik 7 (machen), alles oder nichts, The Winner Takes It All, Schicksal, (höhere) Gewalt, Potsblitz, Fiasko, showdown, Untergang, ich bin’s nicht gewesen, unschuldig!, no excuses, mea culpa, You Know Where You Went Wrong, Leben auf der Überholspur, in slow motion und auf eigene Gefahr, OI! WARNING, auweia, aubacke, ei der daus, (im) Zweifel (für den Angeklagten), Stimme des Gewissens, schlechtes Gewissen, Bammel, Schiss, Schmiss, Muffensausen, ungewiss, ANGST ESSEN SEELE AUF, der Angst ein Gesicht geben, Scheitern, Schuld, Schund, Schande, Scham, Schmach, Ungemach, Schlafgemach, Unbill, Bill Hill, Hillbilly, KILL BILL, (süße) Rache, BILITIES, DIE BETTWURST, Wiege, Quelle(n) (finden/ [nicht] angeben/ aus zweiter Hand übernehmen/ [falsch] zitieren/ kommentieren/ umformulieren/ als eigene ausgeben/ ver[schlimm]bessern/ entstellen), Quellenlage, Freiherr von und zu Googleberg, verbeultes Lächeln, Spiel mit der Beule, Beulen-Spiel /-Pest, PlagDoc (maskierter Held und zuverlässiger Navigator u. a. für die Guttenberg-Galaxis bestehend aus 80 Datenträgern), Schmachten, Schlachten, Schächten, Schaudern, (Erb-/ Tod-/ kleine) Sünde(n), SEVEN, Kann denn Liebe Sünde sein?, (Selbst- )Verleugnung, Pragmatismus, immer auf der richtigen Seite sein, AUF DER ANDEREN SEITE [DER SONNENALLEE], dark side, velvet darkness, We All Feel Better In The Dark, DONNIE DARKO, I USED TO BE DARKER, We all cry in the dark/ Get cut off before we start, Our Darkness, Opakes, The Dark Side of the Moon, Sonnendeck, Ein Platz an der Sonne, Holodeck (Cave2), Holocaust, ein Plätzchen zwischen den (Vernichtungs-)Maschinen finden, black iron prison world, (Grund-/ Ausgangs-)Lagen, (Lower) East Side, East 17, EASTERN PROMISES, Naher Osten, ganz naher Osten, EAST IS EAST, Neue Bundesländer, East Side (Gallery), Polen offen – Solidarność 1980/Wende 1989, Theo, wir fahr’n nach Łódź, LIEBESGRÜSSE AUS MOSKAU, hüben wie drüben, Wilder Westen, West Side (Story), (die alte Tante) West-Berlin, Kaufhaus des Westens, Go west, Key 686 West, the West is Best, Elvira Westwärts, WESTLER, IM WESTEN NICHTS NEUES, Mittlerer Westen, Westentaschen, Schlauschiss, Groß-/ Breitmaul, die Hosen anhaben, Röhrenhosenheinis, shrink to fit, dicke Hose, dickes Ende, lieber ein Ende mit Schrecken, als ein Schrecken ohne Ende, Benutz-mich!, self-service, Hinhaltetaktik, Don’t Touch What You Can’t Afford, DER FEIND IN MEINEM BETT, Weiterklicken, Weiterzappen, (Verbraucher-)Hotline wählen, Liebesgeflüster am Telefon/im Chat, Telefonitis, (Das ABC des) Telefonsex(es), Ruf mich an!, Wolltest Du nicht?, jemanden am Telefon veräppeln, Reaktionsvermögen, Schlagfertigkeit, Schnelligkeit, Kondition, Ausdauer, Durchhaltevermögen, Sucht, agon, Agonie, Melanie (Pröschle), Melanin, Melanom, Melainis, (Gehirn-)Jogging, Lust auf frisches Hirn, fit for fun, Schlafittchen, fit im Schritt, Schritt für Schritt, work in progress, Puzzle(-teile), Kreuzworträtsel, Sudoko, Scrabbel, Grabbeln, Ringelpiez mit Anfassen, Grabschen, Angraben, Ausgraben, nehmen, was einem zusteht, Packen wir’s an, das verbindet, Gunst (des Augenblicks), DAS GROSSE ABC VON GILLES DELEUZE, abécédaire, ABC-Waffen, Waffenhandel, locker sitzende Colts, Stich-/ Stoßwaffen, Ladycolts, Schreckschusspistolen, Netzpistolen, Ladykracher, Ladykiller, (Platz-)Patronen, magische/behexte Kugeln, Der Ritt auf der Kanonenkugel, Bullet Time, Schusslinie, Schüsse, Applaus (vom Band), Claqueure, Beifall, Ovationen, Ovarien, Mitlaufen, Mit(ab)gehangen, mitgefangen, Überhangmandate, hängende Gärten, (soziale) Hängematten, hang-over, CLIFFHANGER, nix verstehen, Nirvana, immer nur Bahnhof verstehen, immer nur sich selbst sehen/verstehen (wollen), BEING JOHN MALKOVICH, (Aus-)Pfeifen, Friedenspfeife, Hundepfeife, Tinnitus, Ohrensausen, STEREO-Sound, Dolby Surround, unisono, Monsieur 100.000 Volt, Hyperbel, Hypertrophes, Geschmacksverstärker, Sendungsbewusstsein, Selbstbeweihräucherungen, selfies, sich selbst googeln, Alles von mir, Google- Hupf, sich (noch etwas) vorstellen (können), Sichtbar-Werden, sich beliebt machen, sich in den Vordergrund spielen, Vorzeige-Schneidigkeit, Lücken im Lebenslauf kaschieren/im Dienstplan füllen, Vorstellungsrunde, Bewerbungsgespräche, face-to-face, SCARFACE, Leatherface, The North Face, (You’re) Always on My Mind, I Can’t See Your Face In My Mind, Spiegelstadium/ -stadion, Schokoladenseite, Schlagoberst, Schlagseite, Schlagzeile, Schlagzeug, Beine entspannt übereinander schlagen, BASIC INSTINCT, Tusch, (Wimpern-)Tusche, Vertuschen, Toast aussprechen, Toast Hawaii, Zuckerbrot und Peitsche, SIE KÜSSTEN UND SIE SCHLUNGEN IHN, Maß finden/halten, Eurythmie, Eurythmics, Ethos, A Model of Decorum and Tranquility, Gleichschritt, pace-setter, Sauseschritt, Pulsieren, am Puls der Zeit, Herzschrittmacher, Metronom, Metrum, Bolero, Beat, Bass(- linie), Donbass, (Drei Chinesen mit dem) Kontrabass, Rhythmus, Tempo, andante cantabile, accelerando, crescendo, glissando, cadenza, attacca, presto furioso, da capo al fine, aufbrausend, beschleunigend, ungestüm, élan vital, La Ola, Paola, Pianistendrill, Erika Kohut, Automatikgetriebe, Todestrieb, Tempomat, Autopilot, Trugbildpilot, Blindflug, Billigflug, Zielort unbekannt, CODE UNCONNU, Zielstrebiges, the only goal is pleasure, your pleasure is my only goal, Navigatoren (Navis), Avis, Alligatoren, GPS, Trance, Schlafwandel, (test-)drive, Man kann erst steuern, wenn man Fahrt hat, Reparaturen am fahrenden Auto, fahren mit angezogener Handbremse, langsam fahrende VerkehrsteilnehmerInnen, (Mut zum) Schneckentempo, Anti-Bummelgesetz, mach endlich hinne!, (vorsichtig) Gas geben, vom Fleck kommen, Beine machen, Extremitäten, Extremadura, airline, starline(r), stratum, Stromlinie, LINIE 1, schlanke Linie, slimfast, Camelia Light, Abdrehen, Gegenlenken, Abdriften, Vollbremsung, Notlandung, break, Stockensmomente, Zeitungsente, Ruckeln, rupture, spasmus nutans, Peripetien, Werbepausen, Zäsuren, Intervalle, Intermezzi, Zwischenschritte, Zwischenrede, Zwischengas, Zwischenschaltung, Zwischenblick, Zwischenspiel, Zwischengeschoss, Interimslösungen, Drehmomente, schwache Momente, Drehteller, Lazy Susan, Durchdrehen, Momentaufnahmen, Nahaufnahmen, freeze-frame, Werd’ ich zum Augenblicke sagen: Verweile doch, du bist so schön, Moment Musical, Scherzo, Nocturne, Bescherungsglöckchen, Pausengong, Wem die Stunde schlägt, retardierendes Moment, ritenuto, Menopause, Ach menno!, Rädchen/Sand im Getriebe (sein), THE HUDSOCKER PROXY, unter die Räder kommen, Stützräder, Ersatzreifen, Drehorgel, Lichtorgel, (Steglitzer) Kreisel, (rasende) Rotoren, Boomerangs, (Dreck-)Schleudern, Schleudertrauma, Schleudergang, Thesenschleuder, Publikationswut, Schleuderball, Handtaschen-Weitwurf, Rodeo, bull- riding, mechanischer Bulle, (Shit-)Katapult, (Maul-/ Wunder-)Trommeln, Megafon, (Nürnberger) Trichter, Zahnräder, Uhrwerke, (Trieb-)Federn, Federboa, boa constrictor, Federn lassen, Füllfederhalter, Griffel, Zapfen, Kolben, Kufen, Kufstein in Tirol, Akufen, Akkus, Karussells, Achterbahnen, Geisterbahnen, Kuckucksuhren, künstliche Tannenzapfen, Pedale, Paddel, perpetuum mobile, Bildschirmschoner, es läuft, Der Lauf der Dinge (von Fischli & Weiss), ja ja – so ist das halt, so oder so, so und so, weder so noch so, einmal so und dann wieder so – so, so!, So, ja, so, und weiter nichts, älter werden, I came across a cache of old photos/ And invitations to teenage parties, coming of age, I never dreamt that I would get to be/ The creature that I always meant to be, DAS LEBEN IST EIN LANGER, RUHIGER FLUSS (oder eine beschleunigende Talfahrt – Von nun an gings bergab), Lawinen, Moränen, Schneeballsystem, screwball-comedy, Das Leben kann hart sein (Plakat der 687 Deutschen AIDS-Hilfe, das eine massive Erektion in Unterhose zeigt), So hard, vita activa, Umschlagen diskreter Zustände, switch, Tempiwechsel, Wechselstrom, Wechselblüter, Wechselbäder, Wechselstube, Wechselkurs, Umschaltstellen, Umspannwerke, Umschlagplätze, u-turn, Segeltörn, WRONG TURN, abgeturnt, ausgetuned, Umkehrschub, Einkehrschwung, (surreale) Umkehrwelt, I said upside down you’re turning me/ You’re giving love instinctively, Berliner Zimmer, Durchgangszimmer, Dienstboteneingang, Depots, Lagerräume, Lascaux, Verner Pantons Visiona, Wohnen im Uterus, (Lust-)Grotten, (Geister-)Krater, Krypten, Kryptomanie, Kreuzgänge, Kassenhäuschen, Führerhäuschen /-bunker, Tunnel, Stollen, Ballen, Labyrinthe, Barbara Bunker, Bunker und Druckbehälter (die Architekturen, Analogmedien und Subjektkonstitutionen des 20. Jahrhunderts), Druck ganz vorsichig ablassen (mit neuen Medien und Selbstreflexion), Wohnmaschinen, Hufeisensiedlungen, Märkisches Viertel, Gropiusstadt, Tenement Symphony, Silos, (Sprecher-/ Umkleide-)Kabinen, begehbare/magische Kleiderschränke, Pilgerstätten, Lourdes, Mekka, Aparecida, Kreisbahn des Triebs, Hexenkreis, Schwingkreis, Feldenkrais, Kaukasischer Kreidekreis, Kreide fressen, Wendekreis, Kreisverkehr, Kreislauf, Kreisleriana (op. 16), Fritz Kreisler, Kreissaal, Kreissparkasse, Kornkreise, Kornkammern, Ein Bett im Kornfeld, Schaltkreise, Stuhlkreisrummel, THE (BLING) RING, Der Kreis/ Le Cercle/ The Circle (Bürgerliche schwule Schweizer Selbsthilfegruppe und internationales literarisches Gay-Magazin mit Weltgeltung/ erfolgslose Vorkämpfer der studentischen Schwulenbewegung in den (post-)faschistischen, repressiven 1940-60er Jahren), Wendehammer, die (geistig-moralische) Wende, Aussitzen, Aufsitzen, Ausbrüten, schneller Brüter, Sitzfleisch, Sitzstreik, Sitzblockaden, Sitzkrieg, drôle de guerre, auf der Leitung sitzen, lange Leitung, Nachsitzen, Festsitzen, Festkleben, Feststecken, auf den/aus dem Leim gehen, Reisen, ohne sich zu bewegen, Sitzkultur, sit-in, sitcom, (Jet-)Set, Setting, trippen, foppen, flippern, tippen, Tipp- Kick, Tipp-Ex, Es fährt ein Zug nach Nirgendwo, Sesselpupsen, im eigenen Saft schmoren, Ich will so bleiben, wie ich bin (Du darfst), Phlegma, Smegma, Leerlauf, Hamsterräder, Tretmühlen, Zwickmühlen, Gebetsmühlen, Rosenkränze, Rosenkriege, Stadtrundfahrten, Butterfahrten, (closed) circuit, Schicksalszyklen, Zirkeltraining/ -schluss, circeln, Schließmuskeltraining, CYCLES OF PORN, loops, Langeweileschleifen, Warteschleifen, Looping-Bahnen, Pirouetten, Rondo (alla turca), Krumping, Schnelltanz, Springtanz, Totentanz, gehupft wie gesprungen/gedupft, Nullrunde, Nullbon, Nullsumme, Nulpen, (gefährlich) Rasender Stillstand, am Rad drehen, Schwungrad, Rückgrad (stärken), spin the wheel!, spinning, Atemschaukel, Affenschaukel, Hollywoodschaukel, Hochschaukelndes, sich Mehrheiten/Vorteile verschaffen, Zuschlagen bevor andere zuschlagen, die Konkurrenz schläft nicht, Spielzwang, If you don’t perform, you’re out, Zugzwang, (Spiel-/ Um-)Zug, Sonderzug (nach Pankow), Prozession, Prozessieren, Protest, Flucht (nach vorn), Reise (nach Jerusalem/ins Jenseits), Reisende soll man nicht aufhalten, bon voyage!, Alexander von Humboldts Reisen, Gullivers Reisen, Die Reise zum Mittelpunkt der Erde/ZUM MOND, CLOUD ATLAS, (blinde) Passagiere, boatpeople, Fluchthelfer, Fahrgäste, Partygäste, steinerner Gast, Diskokugel, Christbaumkugeln, Halloren-Kugeln, Ganglienkugeln, Klabusterkugeln, Kugelblitze, Kugelschreiber, Karlheinz Schreiber, Kugelärsche, Klappärsche, breite Kisten, Hintern lügen jedoch nicht, am Hintern ist die Seele eines Menschen ersichtlich, Glamor, Tremor, Triller(-pfeifen), thriller, Verquickungen, Verwicklungen, [L.A.] CRASH, Börsencrashs und Finanzkrisen in immer kürzeren Abständen seit der Jahrtausendwende, Handgemenge, Gerangel, Tumult, Inzest(gebot), Gemetzel, Schichten, Schalen, Zwiebeln, (Zwiebel-/ Stock-/ Schwert-/ Fliegen-/ Silber-/ Blind-)Fisch, red herring, Fisch sucht Fahrrad, Frühlingsrolle, Prinzenrolle (nur die Schokolade essen), Filmrolle, Rolle rückwärts, inside- out-roll, Quantensprünge, THE MATRIX (I), Dominatrix, Matrizen, Maz ab!, Mäzen, Mieze, Piepmatz, (wilde) Papageien(-Kolonien in Köln und Düsseldorf), Digitalcomputer, Dampfmaschinen, programmierbare Webstühle, Gehirnprothesen, smart devices, Babys, her majesty the baby, Designerbabys, Repro-Medizin, MILLION DOLLAR BABY, EIN SCHWEINCHEN NAMENS BABE, Babe, I’m back again, Baby-Boomer, Babyklappe, glory holes, Lochkarten, Kartografien, Kartoffeldruck, (antistatische und staubabweisende) Oberflächen, what you see is (definitely not) what you get, Palimsest, Palindrom, Palisander, Palisaden, Spaliers, Reliefs, Erhebungen, Ein-/ Ausbuchtungen, Venushügel, Milles Plateaux, mapping, Mittelgebirge, In the Dutch mountains, Summerhill, Beverly Hills, MULHOLLAND DRIVE, Steppen(-wölfe/ -brände), Hinterwäldler, Wüsten, DER WÜSTENPLANET, LAWRENCE OF ARABIA (schwulster Film aller Zeiten), Arabellion, MOROCCO, Operation Wüstensturm, Bleiwüsten, Betonwüsten, (Pflaster-)Strände, Wüste des Reellen, Vamos A La Playa, Strandläufer, Strandkörbe, Strandgut, Copacabana, Paloma Blanca, Beau mot plage (magischer Technotrack), Müllhalden, Brandrodung, Waldbrand, Milzbrand, Flächenbrand, Verödung, Dunkle Welt, wachsende Wüste: eine einsame Maschine dröhnt am Strand, installiert in der Wüste eine Atomfabrik, postnukleares Ödland, On the Beach, strahlende Zukunft, Walachei, Pampa, Provinz (gibt es nur in den Köpfen), Provenienz, j.w.d., a. D., Is there anybody out threre?, das Schweigen im Walde, DAS SCHWEIGEN DER LÄMMER, letzte Ruhe finden, DIE 688 GROSSE STILLE, the rest is silence, rest-rooms, Dixiklos (mit Herzchen als i-Punkt im Schriftlogo), stille Örtchen, Welt-Toilettentag, Kirchentag, (emotionale) Vergletscherung, Wir sahen über 145 Quadratkilometer Eis, die Luft war dünn, kein Handy, Packeis, crushed ice, Softeis, abtauende Gletscher/Kühlschränke, Austrocknen, Durststrecken, Dürre, Wanderdünen, Klimawandel, Klimakanzlerin (unternimmt einen Rundflug über die Eiskappe Grönlands, um sich ein Bild von den großen Abschmelzungsprozessen zu machen), schlechtes/unwirtliches Klima, Kaiserwetter, Mistwetter, Tauwetter, Prager/ Arabischer/ Irischer Frühling, rustle of spring, Appendixrauschen, schmelzende Pole (u. a. in der Actor-Network- und Cyborg-Theorie), Rettet die Eisbärn!, Ich möchte ein Eisbär sein/ (...) Eisbären müssen nie weinen, Knut (ist tot), Eisbären fliehen nach Island (und werden dort erschossen), kleine Eiszeiten, tote Leitungen, Flexibilität, Elastizität, Nachgiebigkeit, Zurückschnallen, backslash, Wiederholungszwänge, gute und schlechte Wiederholungen, Jubiläen, Jahresbücher, Geburtstage, Namenstage, Festschriften, christlich-demokratische Feiertage, red-letter-days, Werktage, Gedenkfeiern, Erntedankfest, Festivals, Konferenzen, (Sub-)Routinen, Skifahren, Heliskiing, steep’n deep, Motor-/ Radfahren, radschlagende Körper, THE ITALIEN MACHINE, tricker, dirt bikes, (frisierte) Vespas, Mokicks, Mountainbikes, Rennbobs, Harzer Roller, (Sommer-)Rodeln, fixed gear, Skaten, Lustwandeln, Gleiten, Gleitgel (auf Silikonbasis), das Gleiten der Signifikanten im Unbewussten, Crisco(-Disco), Durchstarten, Schweinsgalopp, Hoffen auf Stau, WEEK END, Standspur, Stagnierendes, Medien der Stagnation, take off (der Operatoren), (Endlosliste der) geflügelte(n) Worte (bei Wikipedia), Flugblätter, Flügge-Werden, fliegende Besen, Flying Lizards, Flying Circus, FLIEGENDE LIEBENDE, Abheben, Schweben, Ikarus, Otto Lilienthal, Mathias Rust, Flieg nicht so hoch, mein kleiner Freund, Fly Robin Fly, EINER FLOG ÜBER DAS KUCKUCKSNEST, im Cockpit, auf der Walz, auf der Pirsch, auf dem Sozius, auf dem Notsitz, auf dem Schleudersitz, Auf der schwäbschen Eisenbahne, auf der hohen Kante, auf der Hafentreppe von Odessa, auf Zack, Zakopane, upgrading, Hoch auf dem gelben Wagen, Guidomobil, Wohnmobil, mobile homes, (Miet-)Nomaden, Gekommen, um zu bleiben, Haute Volée, Haute Couture (bei H&M), Luxus für alle, Volumes, Volleyball, Aufzüge, Paternoster, Tortenheber, Wedeltreppen, Quententeleportation (Beam me up, Scotty), Doppelhelix, L’esprit de l’escalier, Hochleben (lassen), Staircase to Heaven, Hochsitze, Verstiegenheit, high life, a life of power and wealth, FAHRSTUHL ZUM SCHAFOTT, Fahrstuhlmusik, Flåmsbahn, vollbesetze und schlecht gewartete Tunnelbergbahnen, die während der Fahrt in Flammen aufgehen und deren Türen sich aus Sicherheitgründen nicht öffen lassen, Unser Ofen hat 155 Stück geschafft, In den Alpen, (leckende Untersee-)Bohrlöcher, (brennende) Ölfelder, Atombomben, Atomklos, Atomausstieg, Schlüsselwörter, Reizwörter, Schlagwörter, Atom, (Aller-)Gen, pädophil, Web 2.0, EnBW, Warnungen vor Terroranschlägen (um von der eigenen fantasielosen Politik abzulenken), Farbpalette für Terrorismus- Bedrohlichkeitsstufen in den USA (rot, orange, gelb – in Wahlkampfzeiten zeigt diese immer rot), Einstürzende Neubauten/Stadtarchive, twin towers, DIE ZWEI TÜRME, 9/11, Notrufnummer Amerikas, Porsche 911, 9.11.1989, 11.9.1973, 9.11.1938, Wo warst Du am 11. September/November?, mediale (terroristische) Schauplätze des internationalen Terrorismus (Medien-Eskapismus), Rolltreppen, Fließbänder, Gängelband, Glücksbändchen, (fäkales) Möbiusband, am laufenden Band, Meterware, Förderbänder, Fordismus, Promotion(sverfahren), Gipfel (der Genüsse), (Jacobs) Krönung, peak experience, Hohelied, Hohenschönhausen, hohe Berge, Schöneberg, links berge rechts seen, Eine Nacht auf dem kahlen Berge, Paramount, Toblerone, Joch, Zenit, Wolkenkuckucksheim, Heimweh, Kuckuck an der Haustür, Zum Kuckuck!, Fhloston Paradise, PARADISE NOW, Minarett(-streit), Mansarde, Elfenbeinturm, Dachstube, Dachboden, Dachpappe, Taube auf dem Dach, Spatz in der Hand, Tauberbischofsheim, UNTER DEUTSCHEN DÄCHERN, Dachschaden, Hochplateau, Hochmut, Hohn, Hoch- und Inselbegabung, Schneekoppe, eisige Höhen, Tiefenschwindel, (feuerspeiernder) Kilimandscharo, DIE WEISSE HÖLLE VOM PIZ PALÜ, Dr. Arnold Fanck, Luis Trenker, Reinhold Messner, Franz Anton Mesmer, Klezmer, Metadiskurs /-ebene, In der Halle des Bergkönigs, Zeus, Olymp, gefrierender Atem, schmaler Grat, Gratwanderung, auf Messers Schneide, zweischneidiges Schwert, schnittig, DAS MESSER IM WASSER, Abschmieren, Jürgen Möllemann, Abstürzen, Bruchlanden, Klirren, Krachen, Knacken, Knistern, (Mouse-)Klicken, Hier kommt die Maus, oncomouse, Micky Maus, Minni Maus, MAUS. A Survivor’s Tale, It’s a journey so to say/ but in this desert/ I was only a hazy, lazy mirage anyway/ I’m invisible. 689 In the Mix (once more) Weiter im Text, Konzentration!: Setzkästen, Mosaik(-Steinchen), Versatzstücke, Bauklötze (staunen), Klotzen und Kleckern, Pinnwand, Post-it, Porträt, Pastiche, Patchwork(-Familie), Die Familie Schroffenstein, La Sagrada Família, Cosa Nostra, Familie Hoppenstedt, Leporellos, (Fahr-)Gestelle, Installationen, Assemblagen, Collagen, Moulagen, Camouflage(-Muster und -Archiv von Maharishi), Fischgrätenmuster /-diagramme, Vernissagen, Drainagen, Apanagen, Anketten, Ubu in Ketten, DJANGO UNCHAINED, Verkettungen, Verknotungen, bondage, (Keuschheits-)Gürtel enger schnallen, Leinen los!, Los Ausziehen!, (Care-)Pakete schnüren, Peitschen, Zaumzeug, Knebel, Fesseln, FESSELE MICH!, Handschellen, (Herren-)Handtaschen, Gazellenfell-Notebooktasche von Gucci, Handy-housse (von Dior oder aus Gummi), Stricke, Socken, (Netz-)Strümpfe, Nylons, Strumpfhalter, Strumpfhosen, Stulpen, gehäkelte Spanierinnen als Klopapierrollen-Camouflage (auf der Hutablage im Auto), Dildos, butt-plugs, Plunder(-teilchen), BUTT-Magazin, Toys „R“ US, Joysticks, Ehehygiene-Artikel, Tand (ist das Gebilde von Menschenhand), Tantra, Hohe Tatra, Tetra Pac, Totto, in toto, Toto, Tutti Frutti, Mutti, (Mon) Chi-chi, mon chéri, Tai Chi, Chigong, Chinchilla, Godzilla, Tortilla, Chihuahua, Wii, Ćevapčići, Firlefanz, Elf99, BREAKFAST AT TIFFANY’S, Tiffany Glaskunsthandwerk, Tiffy, Twister, twisted, In Stahlgetwitter, Nippes, Nippon, cross-over, RATATOUILLE, Raclette, Risi Bisi, Serbischer Bohnentopf, Borschtsch, Schaschlik, DJ Paul Brtschitsch, Marmelade (geschützter Markenname), la vie est dure sans confiture, LA/MA VIE EN ROSE, jam-session, jam-jam, Pump Up the Jam, yum-yum, Pumpernickel, Minestrone, Ministranten, Ministerialbeamte, Mischmasch, Maschsee, Schlackermaschü, Betonmischer, Multis, Muckis, Mulis, Multikulti, Multi-Vitamin, Multicolor, Moulinette, Mischpoke, Pokémon, Promenadenmischungen, Boulevard, Bunte, Bastarde, KIR ROYAL, Royal Flush, second flush, flush toilet, Gala, Tombola, charity, Flickenteppiche, Quilts, fliegende Teppiche, Perserteppiche, Gebetsteppiche, Ölteppiche, Plastikflaschenteppiche (im Pazifik), Klangteppiche, Teppich von Bajeux, Wandteppiche, Tapeten(- wechsel), Wallpaper, Walmart, Telefonbücher, Branchenverzeichnisse, Facebook, 900 Millionen FreundInnen, Wir sind überall (und zeigen uns nur von der besten Seite), Gayromeo (wir zeigen unsere tollsten Geschlechsteile), Nasen, Visagen, einen Sack voller Flöhe hüten, Sackratten, THE SOCIAL NETWORK, Verfassungsschutz, Konzerne und Schnüffler freuen sich über soviel öffentliche und persönlich-intime Gratis-Information, Meldeämter, sich beim großen Anderen anmelden, sich in die Karten schauen lassen, Meldepflicht, melting pot, Ruhrpott, Der gute Pott, potlatch, honey pot, Jack Pot, Pol Pot, Pottsäue, Potts Park, GOSFORD PARK, GORKY PARK, Komplotte, Kompotte, Gemengelage, Saufgelage, Lan Party, WLAN, Lebertran, Safran (macht den Kuchen gelb), Melange, Melisma, Picatta Milanese, Melitta Sundström, café au lait, olé!, Letscho, Paella, Sülze, pâté, Potpourris, Bredouille, Brimborium, fatale Mischungen, Fertigbackmischungen, Fisimatenten, Remittenden, Residenzen, Renitenzen, Resilienzen, Resistenzen, Reinkarnationen, (trockenes) Rezitativ, Rezession, Sezession, Schabernack, Küchenschaben, Schwulitäten, DAS LEBEN IST EINE BAUSTELLE, under construction, Lego (leg god heißt spiel gut), Das große Lalula, das kleine Einmaleins, (gnadenloses) Vergleichen, (das alles beherrschende) Konkurrenzprinzip, Krankheit zum Tode, (dümmlicher) Wettbewerb, (nicht-)selbstgewählte Sadomasochismen en masse, jeder machts mit jedem, Raststätte oder Sie machens alle, Alles in Allem, Was es alles gibt!, Authentizität, Genie, Urheberschaft, Patentamt, Patentes, patentierte Gene, copy-rights, cut and paste, passepartouts, ready- mades, makeover, cut and waste, (brutale) castingshows (mit ahnungslosen Jugendlichen und Kindern), Mini Playback Show, Durchlauferhitzer, Liebigkühler, Sektkühler, Chinapfannen, Gluten, Glutamat, Globuli, STROMBOLI, Thunfischfang (Mattanza), sizilianische Thunfisch-Mafia, marokkanische Sand-Mafia, wischiwaschi, Verschwommenes, Waschanlage, Schnellwäsche, CAR WASH, Katzenwäsche, Schonwäsche, Buntwäsche, Kochwäsche, Gehirnwäsche, Dreckwäsche, Geldwäsche, Heißmangel, Flusen(-sieb), (Taschentuch-)Fetzen, (Western-)Fransen, Flausen, Jausen, Larifari, Safari, Atari, Google (Earth), neue Kolonialmacht, Kontrollraum, Schaltzentrale, war room, situation room, Viren, Virilität, Viralität, Röteln, Pocken, Pigmente, Sommersprossen, Pickel, Pixel, mixed pickles, Ausschlag, (maligne) Maser(unge)n, (Molotow-)Cocktails, Cocker Spaniels, Pekinesen, Telekinesen, Gimmicks, Limericks, Yps-Hefte (neu aufgelegt für Erwachsene), Picknick(-körbe), pick-ups, pin-ups, Trümmer, Fragmente (einer Sprache der Liebe), Sperma, spam, Grünspan, Schmutz, Spinnweben, Staub(-milben), Feinstaub, Patina, used-look, vintage-look, second-hand-look, retro-look, soll aussehen wie im Kommunismus 1982, von der Stange, Stängchen Kölsch, Striptease Stange, Fahnenstange, Lenkstange, Stoßstange, Brechstange, (für jemanden eine) Lanze (brechen), auf die Hand, zweite Hand, eiserne Hand (des Ritters Götz von Berlichigen), unsichtbare Hand, Geisterhand, Treuhand, zum Mitnehmen, (Griff zum) Wegwerfen, Logos, lógos, Markenzeichen, Bildsprache für Dreijährige, Ich- AGs, Selbstausbeutung /-beschiss auf dem Arbeitsmarkt, Beschäftigungstherapien (damit man bloß nicht auf dumme Gedanken kommt), (Ab-)Rechnungen, (Todes-)Bilanzen, Stochastik des Realen, 690 Erfolgs-/ Fang-/ Arbeitslosenquoten, Knäuel, Kobel, Wollmäuse, Spinnennetze, Wäschespinnen, Spinnräder, SPIDER, Sphynx, Netz des Signifikanten, (Hamburger) Gitter, Roste, Reusen, Skynet, NETWORK, Spitzenarbeit, Das war Spitze!, Brüsseler Spitzen, Verzierungen, Manierismen, Ziseliertes, Filigranes, Insekten, Schwärme, flashmobs, Meute, mob/ MOB (mobile vulgus, man over board, Make or Buy, mobile object block in Computerspielen, Mobile Regional Airport, Montreux- Berner Oberland-Bahn, movable object block – herumspukendes Objekt in Sprite-Computergrafik, Obdachlose machen mobil e.V.), mobbing, Mops, dicker Klops, Kloß/ Frosch/ Gräte im Hals, Die kleine Raupe Nimmersatt, Pacman, Vielfraß, Rabelaische Gefräßigkeit, Heißhunger, Appetit (holen, aber gegessen wird Zuhause), Der Appetit kommt beim Essen, Verwandlungen, Häutungen, Schattengewächse, Lichtgestalten, Reptilienschuppen, Mehr Licht! (Goethes und Kittlers letzte Worte), Phantome, Silhouetten, Dagobert, Schwarzer Peter, Wer hat Angst vorm schwarzen Mann?, Schornsteinfeger, Glücksbringer, Heilsbringer, Märtyrer, Talismänner, Talmud, Jungfrau Maria Nothelferin („Jungfrau“ ist ein Übersetzungsfehler vom Hebräischen ins Griechische, richtig heißt es einfach „junge Frau“), Wehrmutstropfen, TROPFEN AUF HEISSE STEINE, Lusttropfen, am Tropf hängen, armer Tropf, Glückstränen, Krokodilstränen, Tränen lügen nicht, Tal der Tränen, collecting dust with tears, Tears for Fears, This is no time for tears/ though our hearts are bleeding/ One for all and all for one/ for freedom today, no more tears, Spritzguss, Pneu, demo tracks, hidden tracks, selftracking, (crash-test-)dummies, drama-queens, Divine, Donner Party, Donnerkuppeln, Doppelkuppeln, Doppelklick, Doppelklinge, Doppelblick, Donnerkeil, Donnerbalken, Doppelbett, Donnerwetter, Donnerlippchen, Donnerblitz, Schützenfeste, Schützenkönige, Amokläufe, WARUM LÄUFT HERR R. AMOK?, Scharfschützen, Scharmützel, SCHIESSEN SIE AUF DEN PIANISTEN, in die Menge (in den fleshmob) schießen, Nachbessern, Anämie, Annemie Fußbroich, Dionysie, Sog, (Wonne-)Saugen, Säugen, Saugstutzen, Handstaubsauger, Roomba 530 (US-amerikanischer Staubsauger-Roboter, der nicht in die Ecken kommt, weil er rund ist), Rumba, Kimba, Kataklysmen, (erstarrte) Kaskaden, Katalepsien, Katatonien, Katamarane, Kalamares, Kalamitäten, Karamalz, Karaoke, Karamel, Karate, Karat, Kabale, Kabbala, Kaaba, Kabah, Kaba, Klimakterien, Klimperkohle, Klimperkästen, Botox, blackbox (BRD), Jukebox, Nickelodeon, Schlager, Schnulzen, Gassenhauer, Konfetti, Lametta, humtata, trallala, O là là!, I hear the atoms crackin’, I want it all, I would prefer not to, please protect me from what I want, drop the bomb!, Just Do It, swoosh, swash, mankind is kept alive by bestial acts, wenn schon, denn schon, Mit Schmackes!, Karamaba, Karacho, Karachi, die volle Dröhnung, alle Register, volles Rohr, Rohrstock, Klopstock, große Schwänze, platzende Erektionen, Eskalationen, Too much of anything/ everything is never enough, Enough is enough, Ende der Geduld, klaffende Fotzen, Ektoplasmen, aus/auf dem letzen Loch pfeifen, Intimspray, Geruchsneutralisator für Biotonnen, in die Tonne kloppen, Mundwasser, Zahnseide, Superfloss, Drahtseil(akt)e, Fallhöhen, Füllhöhen, Falltüren, LAST EXIT TO BROOKLYN, BAB-Ausfahrt Vlotho/Exter, LOST [HIGHWAY]), no one here gets out alive, ohne Netz und doppelten Boden, Fass ohne Boden (aufmachen), Bodenloses, Meeresboden, Bodensatz, Sammel-/ Auffang-/ Abklingbecken, Petrischalen, WCs, Wohnklos, (Klo-)Brillen, Intellektuellen-Brillen, Lesebrillen, Porno-Sonnenbrillen, Hornbrillen, SAG NICHT, WER DU BIST!, Filter (auffallend viele dunkle Filter und Farbtöne in Produktionen visueller Medien der Nullerjahre des beginnenden Jahrtausends, auffallend viele düstere Sounds in der elektronischen Musik im gleichen Zeitraum), Weichzeichner, Reinzeichner, (Flügel-)Blenden, Flügelhorn, Flügelschlag, Suchbild, Rebus, (Bild-)Schirme, MIT SCHIRM, CHARME UND MELONE, (Mr.) Zylinder, Schutzschirme, Scheuklappen, Tarnkappen(-bomber), Narrenkappen, TARNATION, Jalousien, Fenster(-läden), Rahmen, Rollos, (Zahn[arzt-])Lamellen, Marshmallows, (Zauber-/ Zerr-/ Konkav-/ Konvex-/ Plan-/ Rück-)Spiegel, Plexiglas, Fiberglas, zerbrochenes Spiegelglas (als abgedroschenes Zeichen für Paranoia), Sogar die größten Stars Entdecken sich selbst im Spiegelglas, Multiplex, Schaufenster, Bei Gefahr Scheibe einschlagen, Scheibe!, Scheibenwischer, Schleier, Schlieren, Girlanden, Luftschlangen, Lianen, Grüne Hölle, Tropenhölzer, Tropenhelme, gepolsterte Tropen (im Wintergarten), Traurige Tropen, Dschungelcamp, Der Dschungel zittert unter mir im wilden Takt, Die Grünen, Grün ist Schick, Grüne Gläser, Grüner Hügel, Grüne Minna, Grünes Gewölbe, Smaragdgrün, grüner Daumen, Suppengrün(-idealismus der Deutschen), Es grünt so grün, wenn Spaniens Blüten blühen! (ja ja, jetzt hat sie’s), hacienda, Havanna, savanna, TROPICAL MALADY, Tropical Islands in Brandenburg, Tropikalismus, weltpolitische Ereignisse in der Sauna beschließen (Jelzin mit Kohl), Revolutionen in der Sauna verschwitzen (Merkel mit Freundin), Steam Sauna Club, schwule Hölle, Spielhölle, Christus am Kreuz, Malteserkreuz, Informationskreuz, une science-carrefour, Kruzifix (noch mal)/ -Streit, das Gewicht der Welt (auf den Schultern tragen), SCHWERKRAFT, Erhöhung der Rundfunkgebühren, aufgezwungene Rundfunkgebühren für alle, Claus Klebers abendlicher Ritt durch die grüne Hölle (Spitzname für das vollvirtuelle ZDF-HEUTE- JOURNAL-Studio, das 30 Millionen Euro gekostet hat), Peterchens Mondfahrt, Orpheus, Morpheus, Kaleidoskope, Resonanz-/ Klangkörper, aus der Tiefe des Raums, Schwaben, schwäbische 691 Ministerpräsidenten, Abteile, Businessclass, Holzklasse, Sardinenbüchsen, die Büchse der Pandorra, Benjamins fotografisch ins Weltall montierte Konservenbüchse, Lacans im Wasser schwimmende und in der Sonne flimmernde Sardinenbüchse, Sparbüchsen, Schuhkartons, Körbchen(-größen), Etui, Futteral, Baseball Handschuh, Lounge Chair, Container, living in a box, Camping, Camp David, Fitness-Center, hot whirl-pools, Wasserkocher, Warmduscher, MANCHE MÖGEN’S HEISS, Gebirgsbäche, Reißerisches, das kühle Nass, Ice Bucket Challenge, nass machen, trocken rubbeln, frottieren, das gepflegte Pils, Scheidenpilz, Fliegenpilz, Heizpilz, Heizdecken, Feigwarzen, Feuchtgebiete, Seuchengebiete, EPIDEMIC, Planschbecken, Bassins, Schwimmbecken, SWIMMING- POOL, Vogeltränken, Vasen, Amphoren, Gefäße, in vitro(-Fertilisation), Töpfchen, Kröpfchen, EIN KESSEL BUNTES, Kesselgulasch, Gulaschkanonen, Grale, Pokale, Becher, Humpen, Krüge, der Krug geht so lange zum Brunnen bis er bricht, DER ZERBROCHENE KRUG, Gießkannen, Dekantierkannen, Zapfanlangen, Sprinkleranlagen, Flakons, Bonbonieren, Montgolfieren, Galeren, Galerien, Galore, Bangalore, Loren, Volieren, Loggias, Lüster, Nüster, Lebkuchenhäuschen, Präsentkörbe, jemanden einen Korb geben, Klingelbeutel, Groschengräber, Maulkörbe, Aschenbecher, Urnen, Altare, Sarkophage, Parkhäuser, Auditorium Maximum, AUDITION, Audi (August Horch ließ seinen Nachnamen ins Lateinische übersetzen), Antiquariate, Aquarien, Apotheken, Hypotheken, Gabentische, Daumenkinos, Puschenkinos, PAM-Kinos, Peep-Shows, Thaumatrop, Automaten- Casinos, Friedhöfe, Dependancen, Filialen, Filiation, Separees, Boudoirs, Samadhi-Tank, think tanks, Gehirn im Tank, Ich bin 2 Öltanks, SUPER SIZE ME, (Sterbe-)Hospize, Sanatorien, Hospitalismus, heftiges Hin- und Herschlagen (mit Kopf und Rumpf), an der kurzen/ langen Leine, Gassi gehen, Nabelschnur, Nabel des Traums, (brennende) Zündschnur, Richtschnur, Reißleine, Reißbrett, Nagelbrett, Stacheldraht, Der heiße Draht, WELT AM DRAHT, am seidenen Faden, Ariadnefaden, am Riemen reißen, Spaghetti-Träger, Sendeschluss, Sendestörung, kein Netz, Feuerpause, einmal kurz Durchatmen/Durchlüften, Lüftungsschlitze, Stoßlüften, frischer Wind, Unfälle, Kollateralschäden, Korallenschäden, humanitäre Katastrophen, Schadensbegrenzungen, Schadenfreude (auch im Englischen), Autoimmunreaktionen, (Super-)GAU, Gauleiter, Oberammergau, Lustbarkeiten, Leidenschaften, Passionen, Patience, Sois prudent!, Schmerz(en), Sprache, Free Speech, Free Cinema, (Spitz-/ Eigen-/ Künstler-)Namen, Pseudonyme, Dialekt, Dialektik, Rhetorik, (Soziologen-/ Psychologen-)Slang, Singsang, Zinédine Zidane, Esperanto, Neusprech, Denglisch, Jiddisch, camp, Kauderwelsch, caution, cushion, (Luft-/ Deko-/ Duft-)Kissen, Kitsch, Kissen mit Knick, (Espresso- )Pads, (i)Pods, Teebeutel, Polster, Speckgürtel, Schwämme, Schwemme, Schwimmringe, Jahresringe, DAS VERFLIXTE 7. JAHR, Eheringe, Fettringe, (coole) Wampen, KUHLE WAMPE ODER WEM GEHÖRT DIE WELT?, Pampe, Plautze, Schneekugeln, Rumkugeln, Mozartkugeln, Mottenkugeln, Schleiflack, Klarlack, Klavierlack, gelackte sneakers, Gelackmeierte, (Gelsenkirchener) Barock, rocaille, coquilles, Rokoko, To Rococo Rot, Mark Rothko, Joseph Roth, Zinnoberrot, Ultramarinrot (Altrosa), Rubinrot, Karminrot, Kaufhauspunk, Cyberpunk, Daft Punk, Schaurig-Schönes, elektrischer Märchenwald (mit Münzeinwurf), Daft Punk’s ELECTROMA, MILCHWALD, Milchschnitte, Kaiserschnitte, Exorzismen, Exotisches, nach orientalischer Art, nach Gutsherrenart, nach Wiener Art, ad libitum, Makramee, Mimikry, Metamorphose, (rationelle) Ornamente, grafische Sadismen, regulierte Ordnungsmuster, Arabesken, Humoresken, Serien(-morde), (vor den eigenen) Reihen, Polonäsen, Chopin-Polonaises, Kettenreaktionen, Markoffsche Ketten, Kettensägen, DAS DEUTSCHE KETTENSÄGENMASSAKER, Paraden, Scharaden, Serenaden, Panaden (ohne Ei), en suite, Suiten, Fontänen, Wasser marsch!, Wasserwerfer, Wassermusik, Zimmerspringbrunnen, Zimmer-/ Bürogymnastik, Minibar, Minipli, Minipille, Minigolf, Minizip, Minotaure, (halluzinative) Fresken, Fragiles, handle with care, Vorsicht heißt die Mutter der Porzellankiste, Porzellan zerdeppern, Polterabend, POLTERGEIST, Elefant im Porzellanladen, Elefanten in Lacan-Seminaren (kleine Figuren, die der maître am Ende seines ersten Seminars im Jahre 1954 verteilen lässt), ELEPHANT, Der menschliche Geist ist eine wild gewordene Elefantenherde, Elefanten-Hochzeiten, Elefant im Kirschbaum, Nilpferd im Café, Freak-Shows, all the freaks make the beauty of the world, science- fiction, double feature, pictureshows, Mitternachtsvorstellung(en), Seancen, Trancen, Tanz der sieben Schleier, Schleier der Maja, wehende Schleier, Rüschen, Negligés, String-Tangas, Strapse, Schlipse, jockstraps, Wonderbras, Reizwäsche für sie und ihn (unisex), getragene Slips (aus dem Automaten, den es in Japan gar nicht gibt), pink slip, Mullbinden, Latex-Burkas, Burkinis, Schwimmhäute, Flossen, Kiemen, Hymen, (leicht entflammbare Film-)Häutchen, INGLOURIOUS BASTERDS, (Samen- )Tierchen, Pläsierchen, Die süßesten Früchte fressen nur die großen Tiere, DELICATESSEN, Maskottchen, Petitessen, Pikantes, Kratzbürsten, Klobürsten, Kratzbäume, Stammbäume, Maibäume, (umkippende) Watschen-Bäume, Bonsai-Bäume, Amethyst-Bäume, Lebensbäume, Schlagbäume, Nie Bedeutungen suchen! Die fallen als Mehrwert vom Baum, Schmonzetten, (unverdauliches Schweine- )Schmalz, Schmierenkomödien, Ohnsorg-Theater, Betablocker, BELLA BLOCK, Eugen Block, Blockbuster, (bürgerliche) Rauschgiftbuden, Privatvorführung, Spezial-/ Sonderbehandlungen, this is 692 only for you, my, MySpace, Mein(s), Dein(s), Unser(es), täglich Brot, Brot für die Welt, smørebrød (røm, pøm, pøm, pøm), Russisch Brot, Bernd das Brot, Weltmeister-Brötchen, Kühlschränke (der Gefühle), Tiefkühltruhen, Moët-Freezer, Privatfernsehen, Werbefernsehen, Parabolantennen, Analysestudios, Labors, lab.oratory, MannSbilder – Schwuler Foto-Club e.V., Schlomographie, Schlemihl, Schwules Museum, Schwuz, snax, basso, Bistros, Kochstudios, Kochduelle, to cook up a storm, DAS WIRTSHAUS IM SPESSART, Die Hütte auf Hühnerfüßen, Die Mühle am rauschenden Bach, MOULIN ROUGE, Bar zum Schmutzigen Hobby (schließt nach ständigem Stress mit spießigen zugezogenen Nachbarn und Ämtern, genauso wie der Knaack-Club trotz seiner über 50-jährigen Geschichte in Berlin-Prenzlauer Berg), Ständige Vertretung, Otto-Muehl-Kommune, Freiräume, Hubräume, Knautschzonen, squat, (Quetsch-)Kommoden, Squash, sasquatch, Melodram, (Andrew- Lloyd-Webber-)Musical (ordentlich kommerziell verwebbert), Melodien für Millionen, (Fashion-)Jazz, Glam Rock, Kuschelrock, (Shanty-)Chor, Oper(-rette), Seifenoper, space opera, EN SOAP, EIKA KATAPPA, Opera buffa, Opera seria, Vaudeville, Music Hall, Dancehall, Easy Listening, Volksmusik, Zoo, (Floh-)Zirkus, Jahrmarkt, Varieté, (Beute-)Kunst, Kunst am Bau, Häuserfluchten, Flucht nach vorn (Fluchtpunkt ist stets der Berliner Fernsehturm), Kino-Fluchten, HBO, Bollywood, Cinecittà, Horror, Gore, Anime, anima, snuff, pink film, pink violence, torture porn, (Italo-/ Spaghetti-)Western, EL TOPO, Eastern, Pinku Eiga, Sommertheater, Sommerloch, Sommermärchen (mit Deutschland- Fähnchen aus chinesischer Billigproduktion am Auto), Ammenmärchen, Action Painting, airbrush, Air Hockey, Venus öffnen, Wagner morphen, Wiener Aktionismus, Schmäh, Rave, Electro, Ambient, Dub, Dubstep, Quickstep, Samba, Kirmestechno, Tecno Brega, Stolper-Techno, (synthetische) Folklore, Soundmatsch, Finnischer Tango, psychedelische Polka, musica lustica, Zukunftsmusik, sound of the future, les voix du réel, les voix humaines, (Euro-/ White) Trash, ANDY WARHOL’S TRASH, Minimal Arts, Martial Arts, Dschingis Khan, Shahrukh Khan, (die [pseudo-]politische Dimension des) Grand Prix d’Eurovsion de la Chanson bzw. (des) Eurovision Song Contest, (Neue) Deutsche Welle, Nouvelle Vague, Nouveau Roman, LETZTES JAHR IN MARIENBAD, Nim-/ Misère-Spiel, Computergames, paintball, play/pain station, ping pong, pong, cocooning, Insekt-Werden, die Fliege machen, der schöne Schein, tabloids, Etudes-Tableaux (op. 33 und 39), Schmetterlinge, Papillons (op. 2), Pfauenräder, Kutschräder (als Deko an der Wand oder als Wohnzimmertisch mit Glasplatte drauf), Fächer, Palmwedel, Palmolive, Ginko, Gringo, Bongo, Popcorn, Perücken, Puperzen, Stolas, Künstlerschals, foulards, fools, Bandanas in allen Farben (codieren in der schwulen Fetisch-Szene Sex- Präferenzen und – je nachdem ob links oder rechts getragen – top oder bottom), Necessaire, Accessoires, Croco Diabolo – Der Tod lauert in der Handtasche, très à la mode, en vogue, PARIS IS BURNING, vougen, Modeopfer, PRET-A-PORTER, DER TEUFEL TRÄGT PRADA, Fusion, (Personal-)Union, Personalkarussell (who’ll be the next?), Glanz, Gloria, Despotie, Fans, Fanzine, Jünger, Untertane, Lakaien, Webcrawler, Vasallen, Vaseline, Knick, Huldigung, Kniefall, Kniebeugen, Knieschoner, Fußvolk, Fußball, Fußmalerei, Malen nach Zahlen. Frauen Ladies first!, Harems, Hennen (RENNEN), Hebammen(-kunst), Grausame Frauen, Eiserne Lady, Maggie Thatcher, If girls go wild, everybody suffers, She’s Lost Control (again), Schwarze Witwen, Witwe Bolte, Die lustige Witwe, Wilmersdorfer Witwen, Ehefrauen, (betrogene, einsame, alkoholisierte Münchner) Millionärsgattinen (im DERRICK oder in DER ALTE), WIE ANGELT MAN SICH EINEN MILLIONÄR?, Sue Ellen, Klageweiber, material girls, She has robes and she has monkeys/ Lazy Diamond studded flunkies, Paris Hilton, Ivana Trump, vamps, femmes fatales, dommes, Dominas, Giftmischerinnen, LUZIE, DER SCHRECKEN DER STRASSE, Lucy van Org, Lucy in the Sky with Diamonds, Vagabundinnen, (Diskurs-)Piratinnen, MADAME X – EINE ABSOLUTE HERRSCHERIN, Cleopatra (dat Patra oder Cleo), Cassandra, Cassiopeia, Erotomaninnen, Aimée, Pique Dame, Dickmadame, MADAME SATA, Madame Bovary, Madame Edwarda, M. BUTTERFLY, Schicksen, Tusneldas, Ischen, Bratzen, Metzen, Grazien, Gradiva, Wäsche-/ Magermodels, heroine look, size-zero-models, Spinnenfrauen, Wespentaillen, Mary Poppins, Bloody Mary, Molly Luft, Linda Lovelace, MY FAIR LADY, The Lady is a Tramp, I’m broke, it’s oke, Gelsomina, GERTRUD, Selma, HELLO DOLLY!, Dolly Parton, Dolly Buster, Klonschaf Dolly, A WOMAN UNDER THE INFLUENCE, Woman in Love, Donnatella Versace, Zsa Zsa Gabor, leichte Mädchen, Fly Girls, Funkenmariechen, Spice Girls (Spice Up Your Life), Girls from Ipanema, Milchmädchen, dolce de leite, Emanzen, emanzipierte Frauen, Frauen, die es jemanden mit einem Umschnalldildo (strap-on) besorgen, Frauen, die wissen, was sie wollen, JACKIE BROWN, ANNIE GET YOUR GUN, FASTER, PUSSYCAT! KILL! KILL! (DIE SATANSWEIBER VON 693 TITTFIELD), Flintenweiber, I SHOT ANDY WARHOL, Valerie Solanas, Adelheid Streidel, Amazonen, Norma Desmond, Norma Jean, Billie Jean (She was more like a beauty queen from a movie scene/ (...) And mother always told me be careful of who you love/ And be careful of what you do ’cause the lie becomes the truth/ Billie Jean is not my lover/ She’s just a girl who claims that I am the one), Hanoi Jane, Jane Russell, Nymphomaninnen, magna mater, NYMPH()MANIAC, Damenbart, Zonengabis, Zuckerpüppies, Zimperlieseln, Schmutzliese, Stricklieseln, Lieschen Müller, Liesl Karlstadt, Fleißiges Lieschen, busy bee, Daisy Dee, ROSANNE, DIE VERKAUFTE BRAUT, The Mechanical Bride, Die Braut haut ins Auge, HILFE, MEINE BRAUT KLAUT, Samenbankräuberinnen /-möderinnen, DIE MÄRCHENBRAUT, Lotte in Weimar, DAS DOPPELTE LOTTCHEN, Lieselotte Pulver, Die kleine Hexe, HÄXAN, SUSPIRIA, The Witch is Dead, Nonnen, Ammen, DIE NANNY, Honey-/ Bunny, Kammerzofen, Hofschranzen, DER BLAUE ENGEL, blauer Umweltengel, BETTY BLUE, Betty Ford, Schutzengel, Pippi Langstrumpf, Rosenreslie, Die rote Zora, die rote Heidi (Heidemarie Wieczorek-Zeul), Prinzessinnen und Königinnen der Herzen, Herzkönigin, Lady Di, Heideköniginnen, Jenny Elvers, die Kindliche Kaiserin, KROKO, Die Prinzessin auf der Erbse, Yvonne, die Burgunderprinzessin, PRINZESSINNENBAD, Bällebad, Bad in der Menge, Champagner-/ Eselsmilchbad, ungekrönte Königinnen, Königin mit Rädern unten dran, ROLLER GIRL, Königin der Nacht, DANCER IN THE DARK, Königin von Saba, Scheherazade, Rapunzel, Salome, Momo, Ronja Räubertochter, Aschenputtel, Uschi Obermeier, Beate Klarsfeld, final girls, Vera Brühne, Ingrid van Bergen, Anneliese Michel, Frauen in technischen Berufen, (berufstätige) Hausfrauen, Klofrauen, Putzfrauen, DOMESTICAS, DER GLANZ VON BERLIN, LES FEMMES DU 6EME ETAGE, Die Göttin im Putzzimmer, Miss Ariel – Klementine, Ovo Maltine, Zimmermädchen, Frauenzimmer, Erika Mustermann, Martha Quadrata, Suzi Quatro, Waltzing Matilda, Rasseweib, Klasseweib, Waschweib, Wunderweib, SUPERVIXENS, Steffi Graf, Heidi Klum (kennen laut Statistik 97 Prozent aller Deutschen – genauso viele wie Jesus), Superpussies, universal pussy, THE ADVENTURES OF IRON PUSSY, Annie Sprinkle, Susie Sexpert, Monika Krause-Fuchs (aus Glücksburg war Castros Chef-Sexaufklärerin auf Kuba), Beate Uhse, Mauerblümchen, Brillenschlangen, EIN FISCH NAMENS WANDA, Hélène Grimaud (die mit den Wölfen tanzt – vgl. ihre Autobiografie Wolfssonate), BLACK SWAN, Black Mamba, BLACK BEAUTY, DIE DIEBISCHE ELSTER, DIE KLEINE DIEBIN, CATWOMAN, Katze mit neun Schwänzen, Die Katze auf dem heißen Blechdach, Monorail Cat, zwei Prozent aller Katzen haben eine Menschenallergie, Biester, BARBARELLA, Wahrsagerinnen, heimliche Herrscherinnen, MIGHTY APHRODITE, mächtige Frauen in der Politik (meist in asexueller Mann-Camouflage und manchmal auch in Presswurst-Harlekin-Kostümen), Grandes Dames, Evita Bezuidenhout, Maria Stuart, María Eva Duarte de Perón, Pechmarie, Hannelore Kohl, The Queen is not amused, la vache qui rit, playmates, FRAU WIRTIN BLÄST AUCH GERN TROMPETE, Frau Merkel, Frau Holle, Frau Antje, Krösa Maja, Biene Maja, Baba Jaga, Katja Riemann, Romy Haag, Romy Schneider, L’ENFER, Hanna Flanders, Poesie-Mannequin, DIE UNBERÜHRBARE, Liz Tayler, Liz Mohn, Liza Fitz, Traumfrauen, Träumsusen, Trullas, Matroschkas, Poupée de cire, poupée de son, Automatenpuppen, Technofrauen, Olimpia, Maria 2000, Lucilectric, die elektrische Gretel, Gundula Gause, Susan Stahnke, Eva Herrman, Hanni Hüsch, Ilona Christen, Ilonka Fisten, Ilona Staller, Marietta Slomka, slam-poetry, Ursula Rucker, Anita Berber, Claire Waldoff, Anita Byrant, Sarah Palin, Oprah Winfrey (herrscht über ihr eigenes Medien-Imperium), Ulla Kock am Brink, Bärbel Schäfer, Charlotte Roche, Brit Hagedorn (Kulturwissenschaftlerin und die letzte TV-Mittags-Talkerin), Maren Gilzer, Mareike Amado, Grit Boettcher, Gala Dalí, Ingrid Superstar, Ingrid Steeger, Ingrid Caven, Marianne Sägebrecht, Désirée Nick, Hannelore Elsner, Kate Moss, Miss Piggy, Miss Marple, Florence Foster Jenkins, Patrona Bavariae, Grace Kelly, Grace Jones, Petra Kelly, landladys, Landfrauen, Lili Marleen, Geschwister Fürchterlich, Baccara, Maria und Margot Hellwig – Mutter und Tochter (wer ist eigentlich wer? – Frage ich mich auch bei Cher und ihrer Tochter), höhere Töchter, Tochter Zion, Sinéad O’Connor, Die kahle Sängerin, Vanessa Paradis, VAMPYROS LESBOS, die lesbisch-sadistische Inès aus Satres Huis clos, Boschs lesbische Enkelin Ise, die sich weltweit für Homosexuellen-Rechte und kulturelle Wiedergutmachung an polnischen Zwangsarbeiterinnen im Dritten Reich einsetzt, Klosterfrauen, BLACK NARCISSUS, Hardcore-SM-Lesbensex unter Nonnen, meine Gymnasialzeit unter Ursulinen- Nonnen, Novizinnen, No Angels, Tic Tac Toe, Trucker-Lesben, THELMA AND LOUISE, Blondie, Biggy van Blond (früher: van Bretten), die Unschuld vom Lande/der Blumen, (alternde/eiserne) Jungfer, DIE JUNGFRAUENMASCHINE, MONDO WEIRDO (VIRGIN ON THE EDGE), GEIERWALLY, die schöne Helena, Avon-Beraterinnen, Helena Rubinstein, Elizabeth Arden, Claudia Schiffer, Chiffre, Chiffon, Luxusweibchen, Tupperfeen, Lottofeen, Lotti Krekel, Rachegöttinnen, Furien, Flittchen, Sirenen, Rummelhuren, pinky girls, Blümchen, Marusha, Mylene Farmer, Lady Ashcroft, Lara Croft, Cora Frost, Meiko Kaji, Beatrix Kiddo, Tank Girl, combat girls, riot girls, Isadora Duncan, Coco Chanel, Kokolores, Coco Lorès, Dolores, Doro Pesch, Dora Ratjen, Mona Lisa, 694 Desdemona, Medusa, Miss Moneypenny, Josefine Mutzenbacher, Leni Riefenstahl, Eva Braun, Mutter Teresa, Naddel, die Dame von Welt, Die Kameliendame, Damenwahl, Dame ohne Unterleib, THE LADY VANISHES, Alice Schwarzer, THE LADY IN THE DARK, GONE GIRL, Frauen in Frauenzeitschriften, Soldatinnen, Krankenschwestern, space waitresses (auch Männer), Hostessen, Politessen, Stewardessen, Sekretärinnen, DREI FRAUEN, 8 FRAUEN, DREI DAMEN [/DRACHEN] VOM GRILL, DIE STADT DER FRAUEN, FRAUEN AM RANDE DES NERVENZUSAMMENBRUCHS, (kesse) Schwestern, Dekofaktoren, Schmuckstücke, Ausstellungsstücke, Beutestücke (auch Männer), Kein Zweifel darüber, daß man ein Auto wie eine Ersatzfrau besitzt, nur zur Zierde, Madame Tussauds, Galionsfiguren, Siegessäulen, Die kleine Meerjungfrau, Lorely (Und so manches Boot zerbrach am schroffen Stein/ weil die Männer sie nur sah’n/ Doch sie schaute bloß weg/ wenn der Strudel sie verschlang/ ihr hat keiner leid getan), starlets, Weltstars, die Duse, Sarah Bernhardt, Maria Callas, Hilde Knef, Sopranistinnen, Soubretten, Sufragetten, Musen(-Herzchen), Maria Montezuma, Medien, Mätressen, Madame de Pompadour, Paloma Picasso, Lola Montez, Mägde, Opfer, die Alte vom Alten (trifft auch auf Schwule zu), Der Nowak lässt mich nicht verkommen, My Heart belongs to Daddy, daddying, Wenn ich groß bin, dann werde ich meinen Papa heiraten!, Ich will nen Cowboy als Mann, Papa meint, ich wär sehr schön, ich hätt Figur von der Loren, Hera, Venus von Milo, Eliza Doolittle, Elvira Klöppelschuh, Conny Froboess, Conny Francis, Alexandra – Stimme der Sehnsucht, Cher, Nicki, Marianne Rosenberg, Mary Roos, Nana Mouskouri (hat einen Wollpulli-Fetisch), Lena Valaitis, Lena Meyer-Landrut, Helga Feddersen, Katja Ebstein, Veronika Fischer, Veronika, der Lenz ist da, Joy Flemming, Hanne Haller, Milva(-rot), Paradiesvögel (in der Mauser – auch Männer), Frauen, die nichts bereuen, Brigitte Bardot, Brigitte Mira, SOLO SUNNY, Renate Krößner, (nerven-)starke Frauen, Natascha Kampusch, 3096 TAGE, gelehrte Frauen, She has wisdom and knows what to do, Hildegard von Bingen, George Sand, Marie Curie, Gertrude Stein, Melanie Klein, Simone de Beauvoir, Hannah Arendt, Margarete Mitscherlich, Frieda Graefe, Gräfin Dönhoff (hoch zu Ross auf der Flucht gen Westen), Susan Sontag, Rita Süssmuth, Angela Davis, Donna Haraway, ZEUGIN DER ANKLAGE, Carla Del Ponte, (einsame) Staatsanwältinnen (ohne Privatleben), männliche Frauen, Madonna, Lady Gaga, Crazy Daisy, (Fetischobjekt) Daisy (aus rotem und stacheligem Silikon von Anke Eilergerhard), Lady Macbeth, bessere (schwule) Männer, Frauen fahren vorsichtiger Auto/verhalten sich in Gefahrensituationen besonnener als Männer, sind heutzutage besser in der Schule und in der Uni als Jungs, Frauen sind besser fürs Schießen gebaut als Männer, Frauenquoten (durchsetzen), WoB-Index (Women on Board), Hab’ mein Wagen voll geladen/ Voll mit alten Weibsen, Hausdamen, Anstandsdamen, Empfangsdamen, Fräulein Rottenmeier, Köchinnen, Julia Child, Omas Hausrezepte (im Internet), Trümmerfrauen, Sanitäterinnen, VERA DRAKE, Vera Lynn, Vera am Mittag, Herren- Ausstatterinnen, Gimme Hope Joanna, Männer-Symptome, Jolene (Jolene, Jolene, Jolene/ I'm begging of you please don't take my man. He talks about you in his sleep./ There’s nothing I can do to keep/ From crying when he calls your name, Jolene), Marleen (eine von uns beiden muss nun gehn/ Marleen drum bitt ich dich geh du Marleen), Maria Magdalena, Souffleusen, Orakel, (Tele-)Prompter, Ruhepole, Kummerkästen, Gebärmaschinen, DIE GESCHICHTE DER DIENERIN, Mütter der Nation, Inge Meisel, Heidi Kabel, Margarethe Schreinemakers, Mutter Beimer, Laisser-Faire-Mütter, Raben- Mütter, MUTTI – DER FILM, alleinerziehende Mütter, Mutter Courage und ihre Kinder, ALLES ÜBER MEINE MUTTER, Like a Mother to Me, eine Mutter aus spiegelndem Eis, Mutti vons Janze, Dunkel in Mutti, Dick ist in dunkler Mutti …, THE ETERNAL MOTHER, Gaia, matrix, Mutterkuchen, aufplatzende Fruchtblasen, eXistenZ, Cyborgs, wollen auch nur ihren Spaß, I’M A CYBORG, BUT THAT’S OK, Tomboys, Dragkings, Dykes, Lederlesben Boys und ihre Daddies, Butch-Kumpels, bayerische Cowgirls, Die Sennerin vom Königssee, DIE SÜNDERIN, BELLE DE JOUR, widerständig, abgehärtet, stutenbissig, fantastisch, Fräuleinwunder, miese Männer-Shows gewohnt, ewige Projektionsfläche, genießen dies manchmal, Mann-Werden? – Nein Danke, nur im Karrierejob, nur wenn es um Macht, Geld und Prestige geht (oder eben im SM-Spiel), Female To Male (FTM), Geschäftsfrauen, Fachverkäuferinnen, Kassiererinnen, DIE BITTEREN TRÄNEN DER PETRA VON KANT, Grete Schickedanz, Heidi Horten, DIE CHRISTEL VON DER POST, Chrystal Waters, Diktatorengattinnen, Dumpfbacken, Drachen, First Ladies (jetzt auch Männer), Ärztefrauen (Frau Doktor), alte Tante, Antigone, Erbtante, TANTE DANIELLE, Schwiegermutter (siegesgewiss klappert ihr Gebiss), horror feminae, Schreckschrauben, SHOWGIRLS, Schönheitsköniginnen, Schuhticks, Imelda Marcos, ROSALIE GOES SHOPPING, sugardolls. 695 Männer SPRICH MIT IHR, Vergiß sie, Sugardaddies, gentlemen, dressmen, Rosenkavaliere, Kavaliersdelikte, Mr. Nice, Mr. Burns, Smooth Operator, WONDER BOYS, Peter Pan, Peter Alexander, Augustinus, Alexander von Humboldt, Alexander-Technik, Ekel Alfred, Alfred E. Neuman, ALF, Alpha- Männchen, Masters of the Universe, He Man, Master of Desaster, Napoleon, Hermann der Cherusker, Herman van Veen, Sokrates, Odysseus, Ulysses, der heilige Sebastian, Herr Kaiser von der Hamburg- Mannheimer, Roland Kaiser, König Lear, Amanda Lear, (Schein-)Heilige, Säulenheilige, Heiland, Schreihals, Plärrer, Töffel, (Dumm-)Schwätzer, Kommentatoren, Peter Urban, Maulhelden, Heldentenor, Heldenplatz, Pantoffelhelden /-tierchen, Päderasten, Pedanten, Philister, Teppich-Tiger, DER TIGER VON ESCHNAPUR, weiße Tiger, Salon-Löwen, Baulöwen, THE LION KING, THE BIG LEBOWSKI, der Dude, der Duce, Otto Normalverbraucher, Der Mann ohne Eigenschaften, der billige Jakob, Der Wahre Jacob, der dumme August, Zappelphilipp, Hans-Guck-in-die-Luft, BEAVES AND BUTT-HEAD, Balduin Bählamm, der verhinderte Dichter, Bauchredner, DER BAUCH DES ARCHITEKTEN, Bauherren, Baupläne, Zementmillionäre, Betonplatten, rational minds, Kopffüßler, Kopfgrillen, Heimlichtuer, Doppelleben-Führer, Doppelkopf, Januskopf, Walter Sedlmayr, Lebenslügner, Tony Soprano, Jörg Haider, Münchhausen, Peer Gynt, Choleriker, Hypochonder, Kurpfuscher, Quacksalber, Scharlatane, Wunderheiler, Vodoo-Master, Medizinmänner, Heimwerker, Jean Pütz, Bob Ross, Arbeiten wie die Profis, Selbst ist der Mann, die Axt im Haus erspart den Zimmermann, Sei ein MANN!, Indianer kennt keinen Schmerz, Panzerknacker, PANZERKREUZER POTEMKIN, Nussknacker(-Suite), Dosenöffner, Dosenbier, PC-Dosen, MS-DOS, Dosenwerfen, Dosenpfand, Sexfallen, LASS JUCKEN, KUMPEL, Modelleisenbahnbauer, Horst Seehofer, Geschäftspartner, Kompagnons, Amigos, Krämerseelen, Trödler, Schrotthändler, Neocons, Tycoons, strategische Planer, Geometer, Geodäter, Ehemänner, Göttergatten, Gebieter, MEIN MANN, DAS WIRTSCHAFTSWUNDER, (schizophrene) Ministerpräsidenten (mit absoluter Mehrheit gewählt), Edmund Stoiber, für meine Muschi nur das Beste, Testikel, Testosteron, Eiermänner, Eierdiebe, Eierwerfer, Eierkocher, Weicheier, Wassermänner, MASTERS OF THE SEA, Manneken Pis, Eis-/ Schneemänner, Väterchen Frost, Chasse neige, cool killer, Frostschutzmittel (im Wein), jemanden reinen Wein einschenken, DER SPION, DER AUS DER KÄLTE KAM, DER MANN, DER VOM HIMMEL FIEL, Der Junge, der über die BAB-Leitplanke sprang, Schöner fremder Mann, Mister Wang, Der alte Mann und das Meer, Vater Rhein, The Man, Who Never Was, The Invisible Man, Invertierte, Milchmänner, Harvey Milk, Malcolm X, (Nazi-)Jäger, CHEYENNE, Entdecker, Eroberer, Fremdgeher, Fremdenführer, STALKER, Fremdenlegionäre, BEAU TRAVAIL, Doppelgänger, Schatten-/ Spiegelfechter, Amphitryon, Der seltsame Fall des Dr. Jekyll und Mr. Hyde, Caligari, Glücksschmiede, Glücksritter, Jedi Ritter, DIE RITTER DER KOKUSNUSS, Kreuzritter, Spiegelritter, arme Ritter, Man of La Mancha, Sancho Panza, Volker Panzer, Schatzsucher, DER SCHATZ IM SILBERSEE, Schlammtaucher /-catcher, Grand Slam, Trophäensammler, Pfandflaschen-Einsammler, Schürzenjäger, Kopfgeldjäger, Notenbankchefs, Ich schreibe Noten in Nöthen, (Scheckkarten- )Betrüger, CATCH ME IF YOU CAN, DER TALENTIERTE MR. RIPLEY, Schlappschwänze, Weichteile, Wichtigtuer, Schaumschläger, Schlawiner, Hallodris, Honks, Hochstapler, Heiratsschwindler, Ein Vogel wollte Hochzeit feiern, Lockvögel, Vogelprediger, (Medien-)Propheten, buenos días Messias!, Tisch-/ Hoheprediger, Mullahs, Muezzins, Helden, Freaks und Superrabbis, Scissor Sisters, EDWARD MIT DEN SCHERENHÄNDEN, Schwanz ab – Hut ab!, (Gefühls- )Eunuchen, Schulschwänzer, Zopfabschneider, Haubentaucher, Duschhauben, Henry Hübchen, (Vorstadt-)Casanovas, DER MANN, DER DIE FRAUEN LIEBTE, der Mann, dem die Frauen vertrauen, MONSIEUR VERDOUX – DER FRAUENMÖRDER VON PARIS, Paschas, (Groß- )Muftis, Mogule, Fürst Mangogul, Tyrannen, Zampanos, Aufmerksamkeitserreger, Schädlinge, Scherzkekse, Pappnasen, Möchtegerns, Hampelmänner, Suppenkaspars, Kaspar Kamäleon, Kaspar Hauser, DER WOLFSJUNGE, Die drei Musketiere, DIE DREI VON DER TANKSTELLE, kleine Strolche, KLEINER SPINNER, Spin-Doktoren, Spanner, Spandex, Ein-/ Mehrspänner, Spacken, Fuzzis, Exhibis, Strauchdiebe, Jahrmarktsdiebe, Räuber Hotzenplotz, The Orchid Thief, Schuhverkäufer, Al Bundy, Aladin, Ali Baba, BARBAPAPA, Meister Eder, Meister Eckhart, Meister Petz, Herr der Fliegen, Herr der Gezeiten, Der Herr der Ringe, Der Fänger im Roggen, Harry Potter, Frank-Walter Steinmeier, Zwei kleine Italiener, Schweinchen Dick, Dickschädel, Schweine im Weltall, Animals in Motion, Tick, Trick und Track, Superman, Spiderman, Anchorman, Chairman, Steuermänner, Steuerfahnder, Kybernetiker, Kapitäne, Seemannsgarn (spinnen), Klabautermänner, Kommander, Simon says ..., Kobolde, Witzbolde, DER UNHOLD, Hauptmänner, Hoffnarren, mad scientists, Homunculus, Frankenstein, Dr. Mengele, (Neo-)Nazis in Nadelstreifen, Horst Mahler, Nieten in Nadelstreifen, Thilo Sarrazin, pokerface, Weltliteraten, Philosophen und Künstler, die mit Diktatoren bzw. Verbrechern sympathisieren: Wyndham Lewis – Hitler, Martin Heidegger – Nazis, 696 Bertold Brecht – Stalin, Peter Handke – Milošević, Nervenkranke, Daniel Paul Schreber, Max Renn, gebrochene Helden, gefallene Engel, James Dean, Jack Torrance, Travis Bickle, Luzifer, Regisseure, die einst Bomberpiloten waren: Jean Renoir, Robert Altman, Howard Hawks, Quax, Krux, Kamikazeflieger, Bruchpiloten, (ABSOLUTE) GIGANTEN, Nihilisten, Rambos, Schlägertypen, Stümper, Wüstlinge, Vierschrötige, DER MANN AUS MARMOR, DER MANN AUS EISEN, Ironman, PUMPING IRON, Arnold Schwarzenegger, Arnold Layne, SCHWERE JUNGS, Schwerenöter, Bolzenschneider /-schussgerät, Rowdys, Hooligans, Folterer, Berserker, ROMPER STOMPER, Emporkömmlinge, Hans und die Kletterbohne, Ellenbogen-User, Institutionen- Durchmarschierer (Den Menschen prägt das Amt mehr, als der Mensch das Amt), Gipfelstürmer, Titanen, Veteranen, Vandalen, Vandalusien, Vulgarien, A CLOCKWORK ORANGE, DER KNOCHENMANN, Bone Chrusher, Koryphäen (auch Frauen), Kosmonauten, Felsen in der Brandung, Irrfelsen, Papa was a rolling stone, Irrschlund, Irrwisch, PAPPA ANTE PORTAS, (politische) Leichtgewichte, Leichtmatrosen, DIE BETÖRUNG DER BLAUEN MATROSEN, Heuschrecken, Fliegende Holländer, Drogenkuriere, fliegende Döner, DER FLIEGENDE FERNDINAND, Franz Ferdinand, Kaiser Franz, Zigeunerbarone /-jungen, SNATCH – SCHWEINE UND DIAMANTEN, Michelinmännchen, Marionetten, Sensenmänner, Schnitter, Gevatter Tod, DER TOTMACHER, Vogelscheuchen, Strohmänner, Strohwitwer, Klapperstörche /-schlangen, Wendehälse, Gottlieb Wendehals, blinde Hühner, arme Schweine, begossene Pudel, Rattenmann, GRIZZLY MAN, DER MIT DEM WOLF TANZT, MATADOR (In der glühend heißen Sonne hat sein letzter Kampf begonnen/ Aug’ in Aug’ mit seinem Schicksal stand er da/ Nur Sekunden vor dem Ende/ lag der Sieg in seinen Händen/ Niemand weiß bis heut’ genau, wie es geschah/ Alle sah’n den Degen blitzen/ und sie sprangen von den Sitzen/ Doch im letzten Augenblick stieß er nicht zu/ Und sein Blick der ging nach oben, und der Degen fiel zu Boden/ Und der weiße Sand war rot von seinem Blut), Lokalmatadoren, Höllenhunde, Teufelskerle, Teufelsbraten, HELLBOY, FROM HELL, Teufelsgeiger, Geigerzähler, Krachmacher, Schlaftabletten, Schläfer, Sandmänner, Macho-Diven, 68er-Machos, Primaballerinas, Mediennutten, Nougat-Scheißer, Dieter Bohlen, (Pseudo-)Macker, Macher, wollen nur das Eine, Alle Männer haben nur zwei Dinge im Sinn: Geld ist das andere, Die Herrn pfeifen auf Liebe gern/ sie wollen einfach Tandaradei, whistleblower, Playboys, Hugh Hefner, Rolf Eden, Berlin-Mitte-Boy (Hackescher Markt statt Broadway), Tyler Brûlé, Tom Ford, Julian Assange, Diego Maradona, Uwe Seeler, Vuvuzela, high performer, Racker, Rabauken, Rüpel, Realos, Leistungsträger, damit sich Leistung wieder lohnt, Leistenbruch, Lüstlinge, Schreibtischtäter, Triebtäter, Sexualverbrecher, Autoabfackler, Ausreißer, Von einem, der auszog, das Fürchten zu lernen, Ich bin dann mal weg/Zigaretten holen, Komm doch heim, Jesus, JESUS CHRIST SUPERSTAR, JESUS, CHRISTUS ERLÖSER (Klaus Kinski), JESUS OF MONTREAL, LA VIE DE JESUS, ANTICHRIST, Wo stehen die drei höchsten Jesus-Statuen der Welt? Platz drei: Rio, Brasilien: 30 m; Platz zwei: Cochabamba, Bolivien 34 m; Platz eins: Swiebodzin, Polen 36 m (eingeweiht im November 2010), Phallomania, Maskulinismus, Krösus, Saulus, Paulus, Frauenversteher, Küchenphilosophen, Psychomülleimer, skandinavische Politiker, die gern Frauen wären, Men Doing Feminism, schleichendes Frau-Werden der Männer, becoming-woman, Male To Female (MTF), weise (Haus-)Männer, Ab in die Kochecke!, Ich sprüh’s auf jede Wand/ neue Männer braucht das Land, singende Herrentorten, Stimmungskanonen, Sprengmeister, wackelnder Dynamit-Zahn (auf der Kutsche von Dr. King Schultz in DJANGO UNCHAINED), Knallchargen /-frösche, Kanonenöfen, Hahn im Korb, Leithammel, Streithähne, Ubu Hahnrei, Vogelfänger, Papageno, Vogelfreie, schlaue Füchse, Profiler, Eduard Zimmermann, Konrad Tönz, (Privat-/ Meister-)Detektive, Nick Knatterton, Horst Schimanski, Inspektor Clouseau, COLUMBO, Detektiv Conan, Schnüffler, Spürhunde, Trüffelschweine, Hünen, Hühnerbrust, Broiler, Boiler, Spoiler, BRUST ODER KEULE, Armbrust, The Great Gatsby, THE GREAT BUCK HOWARD, The Great Blondino, DER GROSSE BLONDE MIT DEM SCHWARZEN SCHUH, Pierre Richard, Heino (und wie Du wieder rumläufst), muscle marys, Formfleisch, Spargeltarzane, Quasimodo, Puck, Mr. Spock, space cowboys, Lasso-Werfer, Stallburschen, Schusterjungen, Laufburschen, Fahrradkuriere, (Bier-)Kutscher, Chauffeure, NIGHT ON EARTH, TAXI ZUM KLO, Ferkeltaxe, flinke Einparker, flinke Flaschen, Leidener/Kleistsche Flasche, Flaschendrehen, Flaschenpost, Flaschenzug, Lustknaben, rentboys, bad boys, (Folter- )Knechte, Knecht Ruprecht, Pelzmärtel, (stumme) Diener, Zuchtmeister, Kriegstreiber, Kriegsverbrecher, Kriegsgewinnler, Kriegskünstler, der Krieg ist der Vater aller Dinge [und zahlreicher Medien], Guernica, Eroica, Schlachtenbummler, Freddy Krueger, Hardy Krüger, Weltenbummler, Würstchen, arme Schlucker, raus bevors kommt, Schwertschlucker, Fakire, Clochards, Penner, Pferdeflüsterer, Einpeitscher, Abwickler, Finger-Umwickler, Wadenwickler, Wadenbeißer, Krautwickler, Kompressoren, Gauner, Ganoven, Mafiosi, Yakuza, Jacucci, Gurken, Schurken, Schinderhannes, HANA-BI, FARGO, PULP FICTION, Al Capone, Mascarpone, Mone la Pone, Panettone, Zabaione, Spirituosen, Virtuosen, Don Juans, tolle Hechte, heiße Feger, schnelle 697 Stecher, Metallstecher, St(r)ahlkraft, hart wie Kruppstahl, Junggesellen, Junggebliebene, (Klein- )Kreditberater, Erbsen-/ Fliegenbeinzähler, Dünnbrettbohrer, Flachmänner, Blaumänner, Saufkumpanen, Schluck-/ Mauerspechte, Bierpinsel, Einfaltspinsel, wahre Freundschaft gibt’s doch nur unter Männern, Liebhaber des Identischen, Die echte Intimität (die einzige) ist die von Mann gegen Mann, Wachsfiguren, Heißwax, Dildo Kings, Rex Dildo, king size, man of the year, Graf Koks, Graf Zahl, Der Graf von Monte Christo, Magnaten, Pornographen, Seismographen, Kalligraphen, Kalifen, DIE BETTLEKTÜRE, Meister Proper, Skins, Saubermänner, Schuhputzer, Brats, Beppo Straßenkehrer, Polierer, DIE TATORTREINIGER, Strahlemänner, Schmutzfinken, Bürohengste, STROMBERG, Hans Dampf in allen Gassen, Hans Rosenthal, Retter in der Not, Bruce Willis, STIRB LANGSAM, Bud Spencer, Slavoj Žižek, der rosarote Panther, Felix the Cat, DROLE DE FELIX, Felix da Housecat, Troubadours, Musikproduzenten, Entertainer, Gunter Emmerlich, Roland Emmerich, Frank Schöbel, Harald Juhnke, Rudi Carrell, Jürgen von der Lippe, Michael Schanze, Frank Elstner, Paul Kuhn, Dieter Thomas Kuhn, Roy Cohn, Jeff Koons, Jeff Stryker, Laokoon, Alleinunterhalter, DINNER FOR ONE, Zuhälter, Anhalter, Sachsen-Anhaltiner, PER ANHALTER DURCH DIE GALAXIS, Anhalterbahnhof, Spaßbremsen, Türstopper, Anzeigenstopper, Sittenwächter, (schlechte) Verlierer, Siegertypen, Spielverderber, Aussteiger, Mimosen, Weichspüler, Zuckerbäcker, Pussies, Damen-Imitatoren, (Trümmer-/ Polit-)Tunten, TUNTEN LÜGEN NICHT, Daddy Cool, Puff Daddy, 50 Cent, Mr. Boombastic, Sturköpfe, stille Beobachter, DER STILLE AMERIKANER, UN- Beobachter, Aufseher, (Nacht-)Wächter, DER NACHTPOITIER, Vertreter im Innen-/ Außendienst, Abteilungsleiter, Dezernenten, Dozenten, PISTOLEROS, einarmige Banditen, Ballermänner, Rummelluden, Cyberluden, Lümmel(-tüten), Bänker, Drücker, Drückeberger, (3D-)Drucker, Drängler, Verdränger, (philosophierender) Holz-/ Vorschlaghammer, Hammer als Stimmgabel, Bring den Vorschlaghammer mit/ Wenn du heute Abend kommst/ Dann hauen wir alles kurz und klein, Hau den Lukas, Haudegen, Rammbock, rammdösig, punchingballs, Popeye, Popanz, Popper(s), Nervensägen, Schnarcher, Schnösel, sniper, Schüttler, Rüttler, Schrankhocker, THE CELLULOID CLOSET, COMING OUT, Feiglinge, Klemmschwestern, Lobbyisten, Bordellbesucher (auf Spesenrechnung), SALON KITTY, Lokalrunde, Spendierhosen, Samenspender (Gib mir Deinen Saft), Gästeliste-Geier, Geier-Meier, Gönner, schlagende Verbindungen, Vetternwirtschaft, Seilschaften, Drahtzieher, Strippenzieher, Quasselstrippen, Korkenzieher, Köhler, Dentisten, Klempner, Schuster (bleib bei Deinem Leisten), Polsterer, Fahrlehrer, Immobilienmakler, Falschparker, Apotheker, Kaulquappen, Fische, Mikrofiche, KLEINE HAIE, BIG FISH, Big Data, Piranhas, Samurais, Schwippschwager, große Brüder, kalte Krieger, Waffenbrüder, warme Brüder, Kegelbrüder, Saufbrüder, brüderlich geteilt, alle Menschen werden Brüder, Taschenspieler, Taschenbillard, Spielbaritone, Hütchenspieler, Salvatore, Inter-Coiffeure, Udo Walz, Réné Koch, Harald Glöckler, (angeklebte/lange) Bärte, Bartschneider, König Drosselbart, Menjou-Bärtchen, lange Nasen, kurze Beine, SEXY BEAST, Luftverpester, Rechtsverdreher, Wortverdreher, Besserwisser, Besserverdienende, Moralapostel, Schlauberger, Helmut Berger, Roland Berger, Alleswisser, Alleskönner, Faktoten, Faktenchecker, Besseresser, Allesesser, Sterneköche, DER KOCH, DER DIEB, SEINE FRAU UND IHR LIEBHABER, Gourmets, MEIN ESSEN MIT ANDRE, Restaurantkritiker, Buffet-Stürmer, DAS GROSSE FRESSEN, Bonzen, Piefkes, Pfennigfuchser, Sparfüchse, Geizhälse, Lumpenkönige, Resteverwerter, Müllschlucker, Oscar aus der Mülltonne, Oskar Matzerath aus Die Blechtrommel, Oskar Niemeyer aus Rio de Janeiro, Oskar Lafontaine aus Saarlouis-Roden, Rudis Resterampe, Connys Container, Rausschmeißer, Bodyguards, (Hilfs-)Sheriffs, bad cops, good cops, Chefs vom Dienst, Schummler, Zauberlehrlinge, DIE UNSCHULDIGEN ZAUBERER, CATWEAZLE, Der Zauberer von Oz, Rumburak, Miraculix, Spatzenhirne, Dackelhirne, masterminds, Mister Mint, Mit Pfefferminz bin ich Dein Prinz, Prinzregenten, Microwave Prince, Versorger, Maulstopfer, Gerichtsvollzieher, Puppenspieler, Spielleiter, Scharf-/ Schiedsrichter, Schiris, Dorfrichter Adam, Richter Gnadenlos (auch Frauen), Der beste Beobachter und der tiefste Denker ist immer der mildeste Richter, Ombudsmann, Ozzy Osbourne, Traumtänzer, Ludwig II. von Bayern, Walzerkönige, Wenn es dem Esel zu wohl ist, geht er aufs Eis tanzen, Schmidtchen Schleicher (mit den elastischen Beinen), ABOUT SCHMIDT, Schleichwerbung, Schmeichler, Erbschleicher, Charmeure, Möhren, Herumtreiber, Flaneure, Revierverteidiger, Platzhalter, Platzhirsche, Platzanweiser, Leisetreter, Unterhändler, Treuhändler, (Tür-)Spione, Baldowerer, OBERST REDL, V-Männer, IMs, DAS LEBEN DER ANDEREN, der Lauscher an der Wand, hört seine eigene Schand, Lauschiges, Flauschiges, Distributeure, Promoter, Petzen, Verräter, Zyniker, Polemiker, Henryk M. Broder, Meinungsmacher, Euphemisten, Überläufer, Überzieher, Bettvorleger, Fußabtreter, (Wärm-)Flaschen, Waschlappen, Saboteure, Animateure, Kontrolleure, Controllers, Mediatoren, Misanthropen, Gladiatoren, RAGING BULL, Bauer Ewald, Red Bull, Bulldozer, Lucha Libre, Cuba Libre, Multiplikatoren, Replikanten, Revisoren, Liquidatoren, Apparatschicks, Blockwarte, Beatniks, Beamtenmikado, Aufklärer, Magnus Hirschfeld, Oswald Kolle, Kurt Starke, unfehlbare (Literatur-)Päpste, Papst Innozenz X., Statisten, Statistik, Staffage, Rumsteher, 698 Vorsteher, Vordermann, Vorwerk-Staubsauger-Vertreter – Darf ich Ihnen mal meinen Kobold vorführen?, DIE BLUME DER HAUSFRAU, Türsteher, Standpauken, Dampfplauderer, Speichellecker, Windowlicker, Heizgebläse, Heißluftballons, Ballonseide, Leisure Suit Larry, Leierkastenmänner, die ewig gleiche Leier, the same procedure as every year, The progam for this evening is not new/ you have seen This entertainment thru and thru, der Sprung in der Schallplatte, Nightmares on Wax, Deutsche Grammophon, (Pausen-)Clowns, mysteryman, AMERICAN GIGOLO, Paparazzi, Michael Graeter, Baby Schimmerlos, Til Schweiger, Till Eulenspiegel, Äpfel in Mäntelchen, Wolf im Schafspelz, Männlein im Walde, Stehaufmännchen, Automatenaufsteller, Schausteller, Schauwerbegestalter, Schauspieler, histrionische Persönlichkeitsstörung (HPS), Schießbudenfiguren, Sonntagsbraten-Anschneider, Aufschneider, Jürgen Schneider, Ausnehmer, Schlitzer, Jack the Ripper, Anzugträger, Tannenbaumkerzen-Anzünder, (diplomierte) Grillmeister, Rumpelstilzchen, Das tapfere Schneiderlein, Zwerg Nase, Rübezahl, Naseweis, nasführen, Pinnochio, Kleines Püppchen, freches Bübchen, die Welt ist groß und du bist klein, du kannst noch nicht alleine sein, sieh’ das doch ein!, Kreuzbube, Pikbube, Herzbube, Lausbube, HB-Männchen, Räuchermännchen, Zieselmännchen, Zwei Herren im Bad, bunte Hunde, PINK FLAMINGOS, Louis de Funès, graue Herren, graue Eminenzen, grau meliert, schwarze Männer, Nebelkrähen, Dornenvögel, Unglücksraben, DER TOLPATSCH MIT DEM SECHSTEN SINN (LA COURSE A L’ECHALOT) /AUF ABWEGEN, Schwalben (beim Fußballspiel oder als Mopeds), eine Schwalbe macht noch keinen Sommer, Schmierfinken, Fliegenfänger, (elektrische) Fliegenklatsche, Spanische Fliege (Anispillen, gefüllt mit Kantharidin, das in verschiedenen Käferarten vorkommt [Richelieu-Bonbons/starkes Reizgift]), Spanische Reiter, Venusfliegenfalle, Fruchtfliege, drosophila melanogaster, Assgeier, Uhu, Trapper, Nepper, Schlepper, Bauernfänger, Rattenfänger, Staubfänger, Populisten, Schweinetreiber, eine Sau durchs Dorf treiben, Schnellsprecher, Dieter-Thomas Heck (versuchte seine erste Ehefrau aufgrund eines Streits im Hotelzimmer zu erwürgen/konnte ein Attentat, das ein Verrückter mit einer im Blumenstrauß versteckten Giftspritze auf ihn verüben wollte, erfolgreich abwehren: Heck schleuderte ihm das Mikro ins Gesicht und moderierte einfach weiter), Heck-Meck, Conferenciers, Mitte-Bediener, Thomas Gottschalk, Günther Jauch, Johannes B. Kerner, Hans Meiser, Harry Wijnvoord, Lou van Burg, Peter Bond, Justin Bond, Heinz Schenk, Ilja Richter, late-night kings, Larry King, Jerry Springer, Harald Schmidt, Diplomaten, Jongleure, Kuppler, (Surfen auf der) Anhängerkupplung, Trittbrettfahrer, Märchenonkel, Traumonkel, Onkel Wanja, schwule Onkels, Berufsschwule, Patenonkels, DER PATE, Uncle Sam, Onkel Dittmeyer, Böhse Onkelz, Buhmann, Butzemann, Kinderschänder, Riesenbabys, Heintje, Vater und Sohn, Nils Holgersson, Muttersöhnchen, ÖDIPUSSI, Bush junior, Bush senior, Familienfluch, JFK – TATORT DALLAS, I wanna be a Kennedy, FAMILIENGRAB, (Bestattungs-)Unternehmer, SIX FEET UNDER, Totengräber, Leichenfledderer, NEKROMANTIK, Hannibal the Cannibal, CANNIBAL HOLOCAUST, Ich zog mit Hannibal, Armin Meiwes, Ed Gein, Fritzl, Kulturfledderer, ED WOOD, Uwe Boll, Michael Moore, Charlton Heston, Saddam, Osama bin Laden, Laden-Schluss (ist er jetzt wirklich tot?), ZERO DARK THIRTY, DER TOD UND DAS MÄDCHEN, Hadschi Halef Omar Ben Hadschi Abul Abbas Ibn Hadschi Dawuhd al Gossarah, Ronald Reagan, Professor Unrat, Konsul Weyer, Donald Rumsfeld, Old Spice, Griesgram, (remember) Bagram, grand seigneur, Grenadier, greinen, Grand Guignol, GRAN TORINO, maître, Bademeister, Badehosenfreundschaft Brandt-Breschnew, Euer Ehren, Hochwürden, Durchlaucht, Yes Sir! (I can boogie), YES MINISTER, praise the lord, aus aller Herren Länder, père- version, Die Herren dieser Welt, sich für nichts zu Schade sein, immer das letzte Wort haben müssen, Statler und Waldorf – die Logen-Opis aus der Muppet-Show, Mumpitz, Ehrenlogen, Ehrenplätze, Ehrenämter, Ehrenrunden, Ehrgefühl /-geiz, Ehrenmorde, Das Wort zum Sonntag, Danke, satt, amen, und dann noch die unerträgliche Weinerlichkeit, wenn Männer leiden: Thron und Altar in Gefahr, Wolfsgeheul, Sirenengeheul, Motorengeheul, Mobilmachung, EIN MANN FÜR JEDE TONART, letzte Heuler, HOLY MOTORS, nach Art der flüchtig hingemachten Männer, Herrenwitz, Laudate omnes gentes. Go hardcore Schweinsöhrchen, Streuselkuchen, Bienenstich, Donauwellen, Fönwellen, Guido Westerwelle, Windbeutel, Topfenstrudel, Charm-Quark, Kaiserschmarren, Malakofftorte, Backwaren, Bhagwan, Back-Wahn, Blogwurst, Sie kamen als Freunde und wurden zu Wurst, Press-/ Brüh-/ Stockwurst, K(n)ackwürste, Krakauer, Saumägen, Bruschetta, Balkanplatten, Nürnberger Butterzeug, Leipziger Allerlei, Götter-/ Zitterspeise, Wackelpeter, Hackepeter, Ziegenpeter, Sacher-Torte, Die Masoch-Torte und der Sacherismus, Schwarzwald cake, space cake, Dessert-Buffet, Salzteiggebäck, auf den Keks 699 gehen, einen an der Waffel haben, Keksologie, Krümelmonster, Dunkelrestaurants, Dönermorde, Henkersmahlzeit, Leichenschmaus, Trauerfüttern, Das Leichenmahl kann man am nächsten Tag noch für die Hochzeit gebrauchen, Mövenpick, Milli Vanilli, Bourbon-Vanille, die Rosinen im Kuchen, Käseigel, Käse-/ Spätzle-/ Gurkenreibe, Rosinenbomber, Kalorien-/ Eis-/ Arsch-/ Schweden-/ Fressbomben, Weight Watchers, LA DOLCE VITA, Füllhörner, Gehörnte, THE GREEN HORNET, Guildo Horn, Cernunnos, Gehörnte Mauerbiene, Mandibeln, abgestoßene Hörner, Arschgeweihe, Arschkrampen, Maurer-Dekolletés, Verballhornung, fröhlicher Hornruf, Hornochsen, Hornzackwamme des Teufels, Moschusochsen, Ochsentouren, Spritztouren, Aperol Spritz, Ein-/ Ab-/ Vollgespritzt, Abgespreizt, Abgespleißt, VIEL LÄRM UM NICHTS, aus einer Mücke einen Elefanten machen, Gedöns, Getose, ABSOLUTELY FABULOUS, Trarar, Tatar, Wirrwarr, tabula rasa, Tabule, Tabasco, Tischkicker, Tischtelefone, Tischgebete, Tischmülleimer, Und die Mutter blickte stumm/ Auf den ganzen Tisch herum, Fasten, Fisten (die einzige neue Sexpraktik im 20. Jahrhundert – in der schwulen SM-Szene Kaliforniens entwickelt; was wird das 21. in dieser Hinsicht bringen?), California Dreamin’, Jetzt wird wieder in die Hände gespuckt, Rama Dama, Ramadan, Pessach, Einladung, Vorladung, Glück ohne Ende, pneumatische Glückseligkeit, DAS GLÜCK LIEGT IN DER WIESE, Hava Nagila, viel Glück!, Glück auf!, Hals und Beinbruch! Hummel, Hummel – Mors, Mors, sonnige Grüße, Glückwunschtelegramme, Telegrammstil, Kondolenzbücher, Geburtsurkunden, Das ich das noch erleben darf/ muss, WOMIT HAB’ ICH DAS VERDIENT, Gott sei Dank, Gott sei mit Dir, Gott sieht Dich, JESUS, DU WEISST, god’s own country, Amerika, du hast es besser, Surfing’ USA, ENDSTATION SEHNSUCHT, AMERICAN PSYCHO, AMERICAN BEAUTY, AMERICAN HISTORY X, This is not America, Pittsburgh, Pennsylvania, USA, DER UNTERGANG DES AMERIKANISCHEN IMPERIUMS, DIE INVASION DER BARBAREN, I’m afraid of Americans, ANGELS IN AMERICA, Thanksgiving-Engel, Würgengel, American promises and prayers, promesse du bonheur, stars und stripes, Stars und Sternchen, Die letzten Sterne, MY LIFE ON THE D-LIST, Du mußt dein Leben ändern, THE SECOND CHANCE, encore (une fois), Second Life, gamification, mein neues Leben, Jouis! Va jouer!, Ihr Einsatz bitte, los jez!, AVANTI (Dilettanti), FEAR AND LOATHING IN LAS VEGAS, CASINO, LEAVING LAS VEAGAS, Never look back, Vorwärts immer, rückwärts nimmer, Geschichte wird gemacht/geklittert, Guido Knopp, Peter Scholl-Latour, Jürgen Todenhöfer, Medien-Terrorismus-Experten, Medien-Terroristen, embedded journalists, terroristische Medien, Pressefreiheit, Infotainment, Dokudramen, Dramedy, Jörg Kachelmann, das Private ist politisch, Minidrama, Dramolett, Florett, her mit dem schönen Leben – bevor beim nächsten Mann alles anders wird, (fatale) Privatisierung (von öffentlichem Eigentum), Ticks, (Theater-)Tricks, Trick 17, Hau, wau-wau, wow!, woll, ne, nu, jau, Magie, Manien, Pantomime, Posthumanes, Cyborgs, Cybernauten, Psychonauten, Allegra Geller, Uri Geller, Uriella, Schamanen, Alchemisten, Aficionados, schwarze Schafe, Drogenköche, Kugelwesen, Trickster, Gaukler, Bastler, Frickler, Nerds, Mods, DJs, Dompteure, Eklektiker, Elektriker, Epileptiker, Epigonen, Technohippies, Groupies, Fans, Homeboys, Bundaboys, Houseboys, Ecopunks, Steampunks, Basilikum-Schlampen, (Power-)Yogis, Fundis, Yetis, Spontis, Hotstepper, Chickies, Pitboys, Preppies, Preppers, Dreads, Bouncers, Rockers, Mohahawks, Moroccies, Supporters, Gendernauten, (Classic) Gays, Gabbers, Game Boys, (Post-)Queers, Urban Aboriginees, Magier an den turntables (from Detroit) – Ich gestehe: so wie diese Magier wollte ich immer sein, groovy, Freigeister, Feingeister, Flaschengeister, (sich verflüchtigende) Geister, freie Radikale, Fraggles, Pferde, Mädchen, Abenteuer, Monster, Mumien, Mutationen, Mama Mumin (im Cadillac geblitzt), disco-dancer, sweet romancer, Neuromancer, Taugenichts, Nichtstuer, Tunichtguts, Wir wollten nichts bedeuten, nichts vertreten, nichts bezwecken, wir wollten ohne Zukunft sein, nichts als bequem auf der Schwelle der Gegenwart hingestreckte Nichtsnutze – und wir waren es auch, Couch-Potatoes, Couch-Surfer, Hacker, Hackfressen, Hackordnung, (unbezahlte) PraktikantInnen, Wir nehmen nur Praktikanten mit Berufserfahrung, You could be aiming for a cool type, Tausendsassas, Tausendfüssler, Wunderwuzzis, Willy Wonka, Slacker, Müßiggänger, I VITELLONI, Vitello Tonnato, Canneloni, Heul-/ Tran-/ Träumsusen, Freunde der Nacht, die Nacht kennt nur ihr eigenes Gesetz, persische Nacht, belgische Nacht, Hegelsche Nacht, monotone[] Nächte des viktorianischen [und heutigen] Bürgertums, Oblomow, Bev Stroganov, Davidoff, Rachmaninoff, anti dandruff, dauerdruff, Major Tom, Fred vom Jupiter, Jim Rakete, Captain Future, EASY RIDER, Black Rider, black humour, Kinski, Kindskopf, Kindfrau, Kinder an die Macht (e.V.), (gothic) LOLITA, Wunderkind, gebranntes Kind, Billy the Kid, Kid 606, Blitzkids, AUF WIEDERSEHEN KINDER, die dicken Kinder von Landau, Surrogat, Soma, Placebo (zu Deutsch: ich werde gefallen), BLUMEN OHNE DUFT, Neues von Blumen, Blumen von der Tanke (Danke, Danke!), Tulpen aus Amsterdam, Biertulpen, Wachsblumen, Eisblumen, MAGNOLIEN AUS STAHL, Sprache der Blumen, Schnitt-Blumen, Blume der Nacht, Prosac (zur späten Stunde), Speed (zum Frühstücksfernsehen), Karten neu mischen, Servus, Grüzi und Hallo, neue Runde, neues Glück, Halli Hallöchen, Probiers mal mit Gemütlichkeit, Turn on, Tune in, Drop out!, Feintuning, thrill me, chill me, fulfil me, creature of the night, Küsschen, Küsschen, 700 hoch die Tassen, Souvenirtassen, Noch alle Tassen im Schrank?, Tanztee, (Boston) Tea-Party, Facebook-Party (zu der man aus Versehen alle bzw. die ganze Nation eingeladen hat), T-Dance, (wet) T-Shirt (contest), T-Bone, T-Rex, Ratz, Fatz, Taz, Faz, (Redaktions-)Razzien, ritzeratze, ratzeputz, ratzekahl, zappzarapp, schwipp-schwapp, clip-clap, schnipp-schnapp, on-off, Muff, (Aus-)Puff, Bluff, Kabuff, uff, piff, paff, riff, raff, baff, DAF, RAF, Spiel 77, Düffeldoffel, die neue Fluffigkeit, Fluffer, Japanese supersonic electronics, Super 8, SUPER-VHS, ROBERT ALTMAN’S LAST RADIO SHOW, Radio Paradiso, radioeins, Radio Gaga, Living on Video, You Tube killed the Videostar, SECAM, Sesam, Polaroid, POLA X, massive luxury overdose, media overkill, sex over and over, hipp hipp hurra, tirallala, Prostata, hopsassa, tatütata, Prost Mahlzeit, Prosit Neujahr, Was mach(s)t (Du) Ihr zu Weihnachten/Sylvester?, Sylvester 2000, Millennium-Bug (auch Y2K-Bug genannt – wurde in den Medien hysterisch angekündigt und fand dann nicht statt), Kein Krieg in Troja, Fuck Royale, Grill Royale, Gelée Royale, Al@@f ihr Hirnverbrannten und dann auf Wiedersehen, aus Jux und Dollerei, SPASS OHNE GRENZEN, Spektakel, Tenktakel, Tabernakel, außer Rand und Band, auf Teufel komm raus, auf Biegen und Brechen, in Bausch und Bogen, in Saus und Braus, im Rausch mit den Sternen ziehen, quasi una fantasia, Fantasialand, honeymoon, MOON, im Himmel ist Jahrmarkt, MUTTER KÜSTERS’ FAHRT ZUM HIMMEL, IM HIMMEL IST DIE HÖLLE LOS, DEM HIMMEL SO FERN, 2001 – ODYSSEE IM WELTRAUM, Space Oddity, Luke Skywalker, Darth Vader, Tanz auf dem (Unterwasser-)Vulkan, Du bist so heiß wie ein Vulkan, Freudentänzchen, Abhotten, Walpurgisnacht, Erster Mai, platzende Maikäfer, Hexensabbath, Hustlaball, Monsterball, Monsterschießen, We Are Monster (und ihr seid wirklich schrecklich, immer wieder), GHOSTBUSTERS, Clubnacht, club rotation, breakbeats, BERLIN CALLING, Nackttänze, NACKTSCHNECKEN, Insel-Hüpfen, Sackhüpfen, Partner-Tausch, Swinging London, Bäumchen Wechsel Dich, Setz’ Dich auf mein Gesicht und gib mir Tiernamen, fucking cool, Yeah!, Den Bären/Hengst machen, Bienenwaben, Starenkästen, Enzensbergers Baukasten zu einer Theorie der Medien, Jacobs Gen-Baukasten, Mamas Setzkasten (den ihre Mutter schrecklich fand), Pervi- Baukästen, Blitzer, Dalliklick, speed-dating, chatroulette, Russischroulette, Kiezbingo, Konferenzbingo, Berlin-Mitte porn-style, Pornutopia, Dazed & Confused, Slave to the Rhythm/to the beat, BERLIN – DIE SYMPHONIE DER GROSSSTADT, Das ist der Rhythmus, wo ich mit muss, DORIAN GRAY IM SPIEGEL DER BOULEVARDPRESSE, Spieglein, Spieglein an der Wand (…), BIN ICH SCHÖN?, Vanity Fair, Leistungsschau und Fegefeuer der Eitelkeiten, PINK NARCISSUS, Kleintierschau, Der Kleine Tierfreund, bohnende Hamster, Eichhörnchen auf XTC, Duracel-/ Playboy- Häschen, Angorakaninchen, aschfahle Karnickel, Streichelzoo, Zipperleins, existenzielle Luxusproblemchen, DER TOD STEHT IHR GUT, Schönheitsreparaturen, Spachtelmasse, Makulatur, Kneipenfarbe mit Nikotinsperre, afterhour, chillen, rien ne va plus, die Würfel sind längst gefallen, SANS SOLEIL, voice-over, LOST IN TRANSLATION, bis zum Morgengrauen, bis in die Puppen, bis auf die Knochen, WINTER’S BONE, director’s cut, final cut, Terminal, Exterminate!, TERMINATOR, ich will eine Maschine sein/ Arme zu greifen Beine zu gehn/ kein Schmerz kein Gedanke, Denken wir nicht mehr, verausgaben wir uns, Nichtdenkungsgedanke, Fluch des Nicht- Vergessen-Könnens, MAGNOLIA, Wir haben mit der Vergangenheit abgeschlossen, aber die Vergangenheit nicht mit uns, Our love ist dead, but the dead are still alive, VERGISS MEIN NICHT!, MEMENTO, JOHNNY MNEMONIC, Delete-Taste drücken, im Digitalen geht nichts verloren, last but not least: Zähneknirschen, großer Zapfenstreich (mit Deep Purples Smoke on the Water, dargeboten von einer Bundeswehrkapelle), die Party ist vorbei, geht endlich nach Haus’, zu Dir oder zu mir?, HUSCH, HUSCH INS KÖRBCHEN, KEHRAUS, Kehrwoche, Kehrwasser, bevor das Reale alles überfegt, vor die Hunde gehen, die Ratten verlassen das sinkende Schiff, DIE LETZTEN BEISSEN DIE HUNDE, der Letzte macht das Licht aus, Stecker ziehen, flöten gehen, Kater, Migräne, Katzenjammer, Unkenrufe, REQUIEM FOR A DREAM, Play Dead, BEFORE THE DEVIL KNOWS YOU’RE DEAD, (no) regrets, Regress, Regredieren, Reklamation, Reclam, Beschwerdestellen, Schadensersatz, Nachlese, Nachspiel, Spätlese, SCHULTZE GETS THE BLUES, better late than never, Manöverkritik /-denken, Auswertung, Fazit, (vernichtendes) Urteil, Testament, Rache der Enterbten, Scherbengerichte, Krawalltalkshows, Gerichtsshows (mit echten RichterInnen), inszenierter Seelen-striptease vor laufender Kamera, aus die Maus, MUXMÄUSCHENSTILL, wake up!, OPEN YOUR EYES (ABRE LOS OJOS), Man wacht nie auf (...) Das Leben ist ein ganz und gar Unmögliches, das von absolutem Erwachen träumen kann, We are such stuff, as dreames are made of,/ And our litte life is rounded,/ With a sleep, Sweet Dreams (Are made of This), Wachkoma, EYES WIDE SHUT, träum’ weiter, Baby, Dösbattel, Abschlaffen, burn-out, (vorgetäuschte) Buße, Rücktritt, Rückzug, Runterkommen, rallentando, diminuendo, Wann fing es an, so aufzuhören?, Minuten-/ Schönheits-/ Dornröschenschlaf, rotsamtene Schlafmasken in der Business-Class von Singapore Airlines, Auszeit, Aufschub, Moratorium, Suspension, Prokrastination (Aufschieberitis – nach einer Studie leiden rund 20 Prozent der Bevölkerung darunter), Prohibition, siesta, sabbatical, Zeit anhalten, 701 stillstehende Uhren, Schäferstündchen, Geisterstunde, verzweifeltes Hoffen auf eine letzte Missionarsstellung (im Dunkeln), Die Stellung des Subjekts, Stellung lösen!, Wenn die Hunde gähnen, ist die beste Jagd vorbei, The Grand Fatigue, Recht auf Faulheit, zum Himmel stinkende Faulheit, Feierabend, Lebensabend, Goldener Oktober, GOLDEN GIRLS, Apathie, Aphasie, Atarxie, dementia praecox, Wortfindungsstörungen, Eines langen Tages Reise in die Nacht, Harmonies du soir, SATURDAY NIGHT FEVER, Praline, Coupé, Soufle, Bravo, GROSSE FREIHEIT NR. 7, DAS GESPENST DER FREIHEIT, hinc et nunc, hü und hott, Hals über Kopf, ex und hopp, holterdipolter, beinhart, CRASH, BOOM, BANG!, schwere Körperverletzung bei Wetten, dass ...? (die Show läuft dennoch weiter), more risk, more fun, rauchende Colts, Schmauchspuren, glühende (Speck-)Schwarten, bis zur Weißglut, Na warte, sagte Schwarte!, Fuck the Pain Away, no pain no gain, Phantomschmerzen, Tantalusqualen (ohne antike Dimension), PROFONDO ROSSO, der das Leben aushauchende ‚Todes’-Bass am Ende von Tschaikowskys Symphonie Pathétique (Nr. 6, h-Moll op. 74), TENEBRE – DER HAUCH DES TODES, Tod ist eine Form der Selbstenteignung, die im Leben geprobt werden muss, um am Ende zu gelingen, Ich bin hartnäckig [...] Ich sterbe, Ende gut – alles gut, im Moment des Sterbens sein ganzes Leben im Zeitraffer vorüberziehen sehen, Sterbefilm, Das Ende vom Lied, all systems down, Network of Blood, la symbolique du sang, BÖSES BLUT, Cancel my subscription to the resurrection, in Hundert Jahren sehen wir alle gleich aus, Schockstarre, Starrkrampf, Angststarre, In was für einer Welt leben wir eigentlich? Zombie Nation, Vampirismus, (billige) Geisterbahneffekte, BUFFY, OTTO; OR, UP WITH DEAD PEOPLE, L.A. ZOMBIE, Der einzige moderne Mythos ist der der Zombies – tödliche Schizos, die wieder zur Vernunft gebracht, gut für die Arbeit sind, Dafür haben wir nicht gekämpft!, ex machina, rage against the machine, BRASSED OFF, Maschinenstürmer, Offline-Fetischisten (Stecker ziehen und schauen was passiert), Liberos, (Möchtegern-)Libertins, ziviler Ungehorsam, Was länge gärt, wird endlich Wut, Wutbürger, Gutbürger, Schildbürger, Gadget-Spießer, Salon-Kommunisten, Kaviar-Linke, Businessclass- Revoluzzer, 39,90, artige Rebellen, kleinlaute Ketzer, Aufstand der Anständigen, Aufstand am Bügelbrett, die Revolution in Taten und Worten (oder in 3 D), Diese Revolution haben wir uns anders vorgestellt, (die Codes) laufen lassen, into the groove, baumelnde Seele, Galgenbaumeln, Galgenhumor, endlich Zeit für die ganz großen Gefühle, IN THE MOOD FOR LOVE, ich liebe Euch doch alle, Love-in, From the back to the middle and around again/ I’m gonna be there till the end/ One hundred percent, pure love, ewige/ unglückliche/ heilige/ käufliche/ schnelle/ erzwungene/ plötzliche/ fatale/ sadomasochistische Liebe, TIERISCHE LIEBE, Verliebt ja wie ein Käfer bist du mir, Love etc., Polyamory, Hassliebe, Liebe, Tod und Teufel, Liebe beim Weichspülen, VANILLA SKY, Liebe im Spinat, die Wa(h)re Liebe, Liebe schmeckt wie Kaviar, Mädchen sind zum Küssen da, Chanson d’amour ra da da da da, Da Da Da (ich lieb dich nicht du liebst mich nicht aha aha aha), Don’t You Want Me, Die Liebe ist ein seltsames Spiel, Love is a battlefield, Liebe kann schön sein, auch wenn sie weh tut, let’s do it, let’s get physical, LET’S GET LOST, Do it like they do on the discovery channel, Du willst es doch auch! – Was? Wir wollen mal nicht die Rollen vertauschen ... oder vielleicht doch?, Jetzt hast du mich schon wieder soweit, The Bad Touch, Die Rolle meines Lebens, weil Du von böser Lust beseelt –, weil andere begehren, DEMON LOVER, den Ball immer schön flach halten, die Kirche im Dorf lassen, Lust-/ Medienkunde (Bitte ganz schnell als Plichtfach/ Modul an Schulen und Bildungsstätten einführen [dies ist ernst gemeint!]), kostenlose Mehr-Lust-Agenturen für alle eröffnen (kommerzielle Seitensprung-Agenturen gibt es schon), welche Droge, welcher Fetisch passt zu mir?, Come in and find out, Wissen, auf welchem (Abenteuer-)Spielplatz/in welchem (Lust-)Strudel man sich gerade befindet, das Runde muss ins Eckige, Quadratur des Kreises, wir können auch anders, the computer says NO, Jetzt rede ich!, wir haben fertig, jetzt haben wir den Salat, Wortsalat, Bandsalat, Kabelsalat, Krautsalat, Gurkensalat, Obstsalat, Caesar Salad, Weihrauch, Trockeneisnebel, Smog, Inside my heart is breaking/ My make-up may be flaking/ But my smile still stays on, Grinsekatze, Winkekatze, Tschüssie, ciaoi, aufs Maul geschaut, blaue Lippen, blasse Wangen, Nabelschau, Schnauze (halten), Schnute (ziehen), Mund (zunähen), dicke Lippe riskieren, Maulsperre, Ausgangssperre, Land des Lächelns, Don’t complain, don’t explain, Don’t ask, don’t tell, terra incognita, land’s end, Terra X, NO MAN’S LAND, NO COUNTRY FOR OLD MEN, in the middle of nowhere, am Arsch der Welt, im/fürn Arsch, mitten drin, knietief (im Dispo), bis zum Hals, Schwellenländer, Schwellkörper, Tigerstaaten, Dritte Welt, zweite Wahl, think global, fear local, Krieg ohne Schlacht, Torten-/ Kissen-/ Wasser-/ Schneeballschlacht, Kreuzberg gegen Friedrichshain, war is over, Imagine a war which everyone won/ Permanent holiday in endless sun, Pyrrhussiege, was it worth it?, GEGEN DIE WAND, game’s over, After Disaster, THE DAY AFTER, Pustekuchen, Pusteblume, Prilblume, ABGESCHMINKT, Ausgetwittert, Techno unplugged, a capella, post-lifestyle, post-traumatic stress disorder (Mein Mann, der träumt noch heute, so oft vom Militär/ Und manchmal, nachts, da steht er auf und salutiert vor mir/ (...) Nicht schon wieder, nicht schon wieder, nicht schon wieder auf und nieder Herr Major), Was nun, …?, I don’t know what you want but I can’t give it 702 anymore, schade eigentlich, hat nicht sollen sein, war doch nicht so gemeint, postmoderne Ironie, jetzt aber mal im Ernst, wo bleibt die Pointe?, Schnittstellenprobleme, Anschlussfehler, auf turkey kommen, SPUN, Tranqualizer, Downer, Valium, Frustfras, Larica (brasilianisches Portugiesisch – zu Deutsch: Heißhunger nach dem Kiffen), Zuckerwatte, Budenzauber, Schadenzauber, der ewige Kick, paranoid android, Suchmaschine Mensch, Krassomat, killer applications, c(r)ash-machines, ego-shooter, Verlorenes Ich, zersprengt von Stratosphären, Opfer des Ion –: Gamma-Strahlen-Lamm –, digitale Auflösung, Schließung der Medien, die totale Selbst-Losigkeit, O, endlich Platz für Neues, ein Herz für Tiere, Verlustieren, Flottieren, Goutieren, Malträtieren, Tourettieren, für Tierversuche ([neue] Selbstversuche) und Sittenverderbnis sein, immer schön versaut bleiben, für fast jede Schandtat bereit, Bremer Stadtmusikanten, Animal Locomotion, Zoopraxiskop, Descriptive Zoopraxography, Zoophile, Zooerasten, Kryptozoologie, kosmozoisch, Kosmokatze, WOLFSZEIT, DER SCHAKAL, Trotz dem alten Drachen (BWV 227), DER ALTE AFFE ANGST, KING KONG, Klammeraffen, @, Klammerblues, PLANET DER AFFEN, Lackaffen, Hundsaffen, Hyänen, Lumpenhunde, Lolcats, Hunde des Aktäon, Schweinehunde, Schweinebacken, Welches Schweinerl hätten’s denn gerne?, Schweine müssen nackt sein, Yummypets (Facebook der Tiere), Persönlichkeitsrechte für Tiere, RESERVOIR DOGS, auf den Hund kommen, molekularer Hund, die wilden Hunde heulen in der Nacht, FÜR DEN UNBEKANNTEN HUND, angebumst und abgeschoben, denn vor dem Bums ist nach dem Bums, Aber Heidschi Bumbeidschi, eia popeia, abrakadabra, simsalabim, kannste knicken, geschenkt!, Spiel’s nochmal, Sam, It’s the same old song/ But (...), We’ll never stop living this way (...), because it’s the greatest show with the best effects since Disco-Tex and the Sexelletes, discord, (DJ Culture) Dance with me/ (DJ Culture) Let’s pretend/ Living in a satellite fantasy/ Waiting for the night to end, P.S. Tanzen heißt, einen Mythos zu erleiden, ihn also durch die Wirklichkeit zu ersetzen. The Show must go on – Credits Namedropping – toll, wen Du alles kennst, telling names, Oskar Niemeyer, Oskar Sala, The Doors, The Who, Can, Emerson, Lake & Palmer, Kraftwerk, Grandmaster Flash, Joy Division, New Order, New Model Army, Manuel Göttsching, Juan Atkins, Model 500, Monolake, Midiot, Scott Matthew, John Hopkins, Herbert Matthew (Doctor Rockit, Radio Boy, Mr. Vertigo, Transformer, Wishmountain), DJ Koze, John Tejada, Julius Steinhoff, Jeff Mills, Underground Resistance, Afrika Bambaataa, Front 242, Anne Clark, Aphex Twin, Autechre, Lackluster, Plaid, Isolée, Lawrence, Nicolas Jaar, Paul Kalkbrenner, Carl Cox, Westbam, Maurizio, Pole, Kit Clayton, Mouse on Mars, Sieg über die Sonne, Barbara Morgenstern, Gudrun Gut, Glitterbug, Miss Kittin & The Hacker, Peaches, Chicks on Speed, Jimmy Tenor, Thomas Fehlmann, Jan Jelinek, Burnt Friedman & The Nu Dub Players, Ritchie Hawtin, Laurent Garnier, Vladislav Delay, Pom Pom, Susumu Yokota, Pantha du Prince, Alex Smoke, James Blake, Jacek Sienkiewicz, Ricardo Villalobos, Boris, Burial, Boards of Canada, Metamatics, Money Mark, Safety Scissors, Lassigue Bendthaus/Señor Coconut, Luke Hess, Girl Talk, Air, SNAP!, Portishead, Radiohead, Funkstörung, Apparat, Rechenzentrum, Mediengruppe Telekommander, Konrad Zuse, Alan Turing, John von Neumann, Joseph Carl Robnett Licklider, Joseph Weizenbaum, Claude Shannon, The Shamen, The Shannon, Kettel, Egoexpress, Abfahrt Hinwil, Bloodhound Gang, The Prodigy, Röyksopp, The Knife, Louise Bourgeois, Hans Bellmer, Maya Deren, Kenneth Anger, Jack Nicholson, Gert Fröbe, Marlon Brando, Edward Kienholz, Francis Bacon, Alfred Hitchcock, Alfred Vohrer, Erich von Strohheim, Douglas Sirk, Martin Scorsese, Robert de Niro, Al Pacino, Jodie Foster, Liv Ullmann, Bibi Andersson, Ingmar Bergmann, Roy Andersson, Andrej Tarkowski, Jean-Luc Godard, Federico Fellini, Luichino Visconti, Pier Paolo Pasolini, Roberto Rossellini, Nanni Moretti, Nino Rota, Henry Mancini, Jerry Bruckheimer, Gorgio Moroder, Harold Faltermeyer, Brian Eno, Frank Farian, Bernard Herrmann, Angelo Bandalamenti, Howard Shore, Cole Porter, Charlie Parker, Peer Raben, Bert Kaempfert, Max Raabe, Hans Zimmer, Michelangelo Antonioni, Nagisa Oshimo, Akira Kurosawa, Wong Kar-Wai, John Woo, Takeshi Kitano, Luis Buñuel, Billy Wilder, John Cassavetes, Abel Ferrara, Michael Mann, Terrence Malick, Robert Altman, Sidney Lumet, Clint Eastwood, Stanley Kubrick, Stan Brakhage, Gebrüder Coen (Roderick Jaynes), Gebrüder Wachowski, Gebrüder Dardenne, Gebrüder Reding, Gebrüder Farrelly, Gilbert & George, Elmgreen und Dragset, Bernd und Hilla Becher, Christo und Jeanne-Claude, Peter Fischli und David Weiss, Ari Verluis & Ellie Uyttenbroek, Quentin Tarantino, Clive Barker, Tim Burton, Matthew Barney, Björk, Muhammad Ali, Todd Haynes, Pedro Almodóvar, Alejandro Amenábar, Alejandro González Iñárritu, Alfonso Cuarón, Alejandro Jodorowsky, Robert Lepage, Denis Côté, David Cronenberg, David Lynch, John Carpenter, Wes Craven, Tobe Hooper, William Friedkin, Robert Demme, Lars von Trier, Michael Haneke, Curtis Hanson, Tony Curtis, Jamie Lee Curtis, John Waters, John Cameron Mitchell, Sofia 703 Coppola, Sally Potter, Kathryn Bigelow, Matt Porterfield, Gus Van Sant, Sam Mendes, Michael Winterbottom, David Fincher, Ken Loach, Mike Leigh, Spike Lee, Ang Lee, Mike Figgis, Jim Jarmusch, John Sayles, Stephen Soderbergh, Hans-Jürgen Syberberg, Alexander Payne, Neil Jordan, Gaspar Noé, Todd Solondz, Lukas Moodysson, Jonas Åkerlund, Aki Kaurismäki, Spike Jonze, Michel Gondry, Daniel Barber, Jonathan Glazer, Chris Cunningham, Charlie Kaufman, Werner Herzog, Werner Schroeter, Chris Marker, Harun Faroki, Otto Sander, August Sander, Jil Sander, Ulrike Ottinger, Elfi Mikesch, Monika Treut, Rainer Werner Fassbinder, Michael Fassbender, Edgar Reitz, Heinrich Broeler, Oskar Roehler, Andreas Dresen, Michael Ballhaus, Edward Lachmann, Hürriyet Lachmann, Fatih Akin, Dario Argento, Derek Jarmen, Jack Smith, Andy Warhol, Paul Morrissey, Keith Harring, Russ Meyer, Tinto Brass, Jess Franco, Liberace, Liza Minelli, Gena Rowlands, Yoko Ono, Barbara Steele, General Idea, AA Bronson, Woody Allen, Jim Henson, John Lennon, Roman Polanski, Apichatpong Weerasethakul, Stephen Daldry, Paul Thomas Anderson, Baz Luhrmann, Phillip Noyce, Christopher Nolan, Werner Nekes, Emir Kustorica, Jan Švankmajer, Joseph Beuys, Neo Rauch, Robert Rauschenberg, Roy Lichtenstein, Richard Hamilton, Daniel Richter, Robert Indiana, Jasper Jones, Ferdinand Kriwet, Peter Hujar, David Wojnarowicz, Attila Richard Lukacs, Henrik Olesen, David Altmejd, Bjørn Melhus, Peter Knoch, Piotr Nathan, Krzysztof Kieślowski, Andrej Wajda, Alexander Sokurov, Miloš Forman, István Szabó, Robert Mapplethorpe, Patti Smith, Guesch Patti, Les Rita Mitsouko, Les Négresses Vertes, David LaChapelle, John Lindell, Cindy Sherman, Nan Goldin, Rosemarie Trockel, Margaret Raspé, Herlinde Koelbl, Bettina Cohnen, Leonard Cohen, Wolfgang Tillmanns, Felix Gonzales-Torres, Jeff Wall, Paul Thek, Cy Twombly, Nam June Paik, Jackson Pollock, Martin Kippenberger, Albert Oehlen, Marc Brandenburg, Lovett/Condagnone, Damien Hirst, Diane Arbus, Del LaGrace Volcano, Ines von Lamsweerde, Zoe Leonard, Monica Bonvicini, Adrian Piper, Yasumasa Morimura, Jürgen Klauke, Thomas Demand, Eberhard Havekost, Ralf Ziervogel, Art Spiegelman, Guido Crepax, John Willie, Gary Larson, Peter Weibel, VALIE EXPORT, Velvet Underground, Supertramp, Depeche Mode, OMD, The Human League, Kajagoogoo, Bronski Beat, The Communards, Frankie goes to Hollywood, Holly Johnson, David Stuart, Annie Lennox, France Gall, Nico, Andrew Niccol, David Bowie, Marc Almond, Jimmy Somerville, Michael Franti, Marianne Faithfull, Nancy Sinatra, Kim Novak, Bette Midler, Bette Davis, Divine (die einzige, die es nach Sade zu echter Libertinage gebracht hat), Bobby Orlando, William Orbit, Leigh Bowery (fast so gut wie Divine), Mark E. Garbs, Frank van Saper, Jennifer Saunders, Joanna Lumley, Cindy Lauper, Kylie Minouge, Kate Bush, Dennis Busch, Grace Jones, Deborah (Debbie) Harry, Barbara Streisand, P.J. Harvey, Irm Herrmann, Gitte Heanning, Judy Winter, Judy Dench, Hildegard Knef, Marlene Dietrich, Edith Piaf, Yma Sumac, Della Reese, Clara Nunes, Gilberto Gil, Maria Bethânia, Karim Aïnouz, Tim Maia, Fernando Meirelles, José Padilha, Alex Pinheiro, Lucrecia Martel, Gilbert Bécaud, Serge Gainsbourg, Charlotte Gainsbourg, Claire Denis, Virginie Despentes, Catherine Breillat, Mia Farrow, Faye Dunaway, M.I.A., Mirwais, Jamiroquai, Janis Joplin, Jane Birkin, Jean Renoir, Louis Malle, Eric Rohmer, Alain Resnais, Henri-Georges Clouzot, Claude Chabrol, Jean Rouch, Jacques Tati, Luc Besson, Robert Bresson, Henri Cartier-Bresson, Oliver Assayas, Leos Carax, Étienne Chatiliez, Jean-Pierre Jeunet, Marc Caro, Cyril Collard, Patrice Chéreau, Bruno Dumont, Barbet Schreoder, Alain Berliner, François Truffaut, Alain Delon, Marcello Mastroianni, Michael Caine, Heinz Ehrhardt, Loriot, Dieter Hildebrandt, Wolfgang Neuss, Harald Schmidt, Kurt Krömer, Hape Kerkeling, Jess Jochimsen, Monty Python, Pink Floyd, Deep Purple, Bob Dylan, Led Zeppelin, Frank Zappa, Freddie Mercury, George Michael, Sparks, Pet Shop Boys, Stakka Bo, Stereo MCs, Rockers Hi-Fi, Massive Attack, Eartha Kitt, The Supremes, The Temptations, Donna Summer, Diana Ross, Dionne Warwick, Aretha Franklin, Millie Jackson, Beoncé, Aimee Mann, Suszanne Vega, Ella Fitzgerald, Erykah Badu, Nina Simone, Nena, Falco, Udo Lindenberg, Jan Delay, Peter Licht, Andreas Dorau, Whirlpool Productions, Fettes Brot, Foyer des Arts, Frl. Menke, Geschwister Humpe, Amy Whinehouse, Missy Eliot, Elfriede Jelinek, Sophie Rois, Sophie Calle, René Pollesch, Christian Petzold, Dominik Graf, Christoph Hochhäusler, Ulrich Köhler, Maren Ade, Aelrun Goette, Valeska Grisebach, Valeska Gert, Doris Dörrie, Margarethe von Trotta, Hans-Christian Schmidt, Alexander Marusch, Ulrich Seidl, Michael Glawogger, François Ozon, Xavier Dolan, Thomas Ostermeier, Armin Petras, Klaus Lemke, Christian Lollike, Christoph Schlingensief, Einar Schleef, Heiner Müller, Robert Wilson, Peter Greenaway, Christoph Waltz, Sasha Waltz, Pina Bausch, Anita Ekberg, Charlotte Rampling, Meryl Streep, Jeanne Moreau, Julianne Moore, Tilda Swinton, Isabelle Huppert, Frances McDormand, Susan Sarandon, Uma Thurman, Holly Hunter, Jeniffer Jason Leigh, Sean Penn, Peter Sellers, Peter Fonda, Jane Fonda, Dennis Hopper, Ewan McGregor, Ruppert Everett, Willem Dafoe, John Malkovich, George Clooney, Ben Kingsley, Christopher Walken, Anthony Hopkins, Philip Seymour Hoffman, Joe Dallesandro, River Phoenix, Keanu Reeves, Mickey Rourke, Udo Kier (fährt einen umwerfenden Mercedes W109 in Havannabraun – sein Traum), Udo Samel, Frank Giering, Julia Jentsch, Birgit Minichmayr, Eva Löbau, Ewa Bem, Elisabeth Volkmann, Elisabeth Flickenschildt, 704 Franka Potente, Billie Zöckler, Katrin Sass, Saralisa Volm, Nina Hoss, Barbara Schöneberger, Franz Xaver Kroetz, Herbert Achternbusch, Max Goldt, Rocko Schamoni, Oliver Polak, Hermes Phettberg, Helge Schneider, Lothar Lambert, Carl Andersen, Ralf Morgenstern, Joachim Lottmann, Ades Zabel, Susanne „Popette“ Betancor, Sissi Perlinger, Gardi Hutter, Nickelodeon, Element of Crime, Klaus Nomi, Rio Reiser, James Bidgood, Tom of Finland, Bruce Weber, Bastille, Jean Daniel Cadinot, Walter Bockmayer, Herbert Tobias, Andreas Fuchs, Stefan Zeh, Ralf König, Egbert Hörmann, Rob Ebstein, Brian Ebstein, Jeffrey Friedman, Jochen Hick, Frank Ripploh, Napoleon Seyfarth, Frank Wagner, Rosa von Praunheim, Dierk Peter Uys, Wieland Speck, Bruce LaBruce, Peter Berlin, Ron Athey, Fakir Musafar, Midori, Jörg Buttgereit, Martin Wuttke, Ulrich Mühe, Klaus Kinski, Iggy Pop, Tom Waits, Thom Yorke, Timothy Leary, Terry Gilliam, Guillermo del Toro, Darren Aronofsky, James Joyce, Eugène Ionesco, H. P. Lovecraft, Thomas Pynchon, James G. Ballard, Allen Ginsberg, William S. Burroughs, Charles Bukowski, Philip K. Dick, Wolfgang Flatz, Vlado Kristl, Verner Panton, Dieter Rams, Charles and Ray Eames, Serge Mouille, Carlo Mollino, Karl Blossfeldt, László Moholy-Nagy, Marcel Breuer, Eero Saarinen, Arne Jacobsen, Zaha Hadid, Peter Zumthor, Peter Eisenman, Daniel Libeskind, Martha Argerich, Friedrich Gulda, Glenn Gould, Sir Simon Rattle, Nigel Kennedy, Keith Jarrett, Philipp Glass, Vivienne Westwood, Vivian Maier, Malcom McLaren, Alexander McQueen, Yves Saint Laurent, Marc Jacobs, Elie Saab, Michel Foucault, Gilles Deleuze, Félix Guattari, Georges Didi-Huberman, Donna Haraway, Linda Williams, Jamake Highwater, Fernando Vallejo, Oswald de Andrade, Enno Patalas, Salman Rushdie, Umberto Eco, Elias Canetti, Pierre Klossowski, Johan Huizinga, Roger Callois, Georges Bataille, Antonin Artaud, Alfred Jarry, Julien Torma, Charles Fort, Roland Barthes, Bruno Latour, Régis Debray, Dietmar Kamper, Martin Dannecker, Volkmar Sigusch, Hans Magnus Enzensberger, Fritz J. Raddatz, Arno Schmidt, Alexander Kluge, Hartmut Böhme, Gernot Böhme, Jan Philipp Reemtsma, Jean Baudrillard, Paul Virilio, Stanisłav Lem, Michel Serres, Vilém Flusser, Jacques Lacan, Ernst Kapp, Sigmund Freud, Marshall McLuhan, Friedrich Kittler, Bernhard Siegert, Slavoj Žižek, Georg Seeßlen, Simon Reynolds, Harald Fricke, Dietrich Diederichsen, Thomas Weber, Amos Vogel, Marcus Stiglegger, Dietrich Kuhlbrodt, Friedrich Küppersbusch, Hans-Christian Dany, Wolf Haas, Plutonia Plarre, Annette Bitsch, Natascha Adamowsky, Marie-Luise Angerer, Laura Mulvey, Edith Seifert, Christina Nord, Katharina Niemeyer, Dietmar Kammerer, Mark Butler, Drehli Robnik, Friedhelm Böpple, Baltazar Castor, Wolf, all superstars and flaming creatures, all perverts, alle, die ihre Lust und ihr Begehren ernstnehmen und (mit-/ ver-)teilen – alle Kindsköpfe, Spielkinder, Fantasten, Revoluzzer, Crash-Poeten, Lust-Ästheten, (Sex-)Maniacs und Menschenfreunde unter den Weisen dieses Planeten (die ich nicht noch alle aufzählen möchte/ kann), alle, die glauben, (nicht) in Sammlungen wie diese zu gehören, Uwes umwerfende Tattoos und kritische Lektorate, merci infiniment, in love, nächtliche Gespräche mit meinem Mitbewohner Alexander (in der Küche oder zu besonderen Anlässen, die es immer gibt, auf dem Edel-Flokati), Matthias’ mitreißende Erlebnisberichte aus der Wunderwelt des schwulen Fetischs, Matthias’ amazing one-man-shows (als Sternekoch, Grotesk-Tänzer und Opernsänger), Jens’ ‚Trüffel’- Nase, akademische Text-Juwele und Anleitung zum Schnitzelbraten, Karls betörende Handypic- und Anrufbeantworter-Nachrichen-Sammlung (zig Tausende digitale Momentaufnahmen, die in eine Galerie gehören), Rodrigos magische Sofa-performances und Haushaltspersiflagen (die auf die große Showbühne gehören), Traut Euch!, Franks und Thomas Privatarchive/Wunderkammern, Galerie Schleifmühlgasse 12-14 in Wien, Denise und Jutta, Detlevs unendliche Flur-Fotowand mit CSD- und Loveparade-Bildern aus den 1990ern, days of hope, früher war alles besser, (N)Ostalgie, Westalgie, Neuralgie, Entre fatasmas, Entre dos tierras, zwischen zwei Toden, das Wunder des Realen, Y TU MAMA TAMBIEN – LUST FOR LIFE, das Leben wird schön sein, die Sterne von Piräus sind uns nah, schön wars, schön wirds sein, life is life, was solls, Unsere Körper können uns verraten und sterben, aber unser Geist wird bestehen, unsere kosmische Immunität wird uns bleiben, von einer Ewigkeit zur nächsten, THE HOURS, From one Other to the other, from disco to disco, am Ende vorbei, that was easy, you want more? Perversion for You – Your Perversion! Der Schauspielregisseur Alexander Marusch inszeniert Ihnen Ihre ganz spezielle(n) Perversion(en). Das, wovon Sie heimlich träumen. Auf einer Bühne. Mit mindestens zwei Personen. Mit oder ohne Publikum. Gegen Vorkasse. Kein Schnäppchen. Kein Scherz. Ohne wenn und aber. Nur für Erwachsene. Tel.: 0176 10144096. 705 Tohuwabohu, Tora Bora, Bora Bora, Schnapsidee, Schnapsnase, Idée fixe, Idefix, Privatscheiß, der Schatz, das Schätzchen, Kill your darling(s), L’art pour l’art, (die Schaukelstuhl-Fickmaschine in) BURN AFTER READING, Stop it, now!, Oh no!, Tja – Das war’s (dann wohl), to be continued ... Simon says: UND JETZT DAS GANZE NOCHMAL VON VORN (Suchspiel: Bitte überprüfen Sie, ob ein Begriff doppelt vorhanden ist!). 706 Quellenangaben Nicolas Abraham, Maria Torok: L’Ecorce et le noyeau, Paris 1987. Natascha Adamowsky: Spielfiguren in virtuellen Welten, Frankfurt a. M. 2000. N. Adamowsky: Body Snatcher Chic – technische Invasionen und Körperphantasien, in: Klaus Peter Dencker (Hrsg.): Interface 5. Die Politik der Maschine, Hans-Bredow- Institut, Hamburg 2002, S. 161-172. N. Adamowsky, Peter Matussek (Hrsg.): Auslassungen. Leerstellen als Movens der Kulturwissenschaft, Würzburg 2004. N. Adamowsky: Das Wunder in der Moderne. Eine andere Kulturgeschichte des Fliegens, München 2010 (a). N. Adamowsky: Medialisierte Umgebungen und Strategien der Kontingenzbewältigung – Digitale Überwachungssysteme im Modus des Spiels in: Herfried Münkler, Matthias Bohlender, Sabine Meurer (Hrsg.): Sicherheit & Risiko. Über den Umgang mit Gefahr im 21. Jahrhundert, Bielefeld 2010 (b), S. 223-238. Parveen Adams: Of Female Bondage in: Between Feminism and Psychoanalysis, Teresa Brennan (Hrsg.), New York 1989, S. 247-265. Theodor W. Adorno: Minima Moralia. Reflexionen aus dem beschädigten Leben in: Gesammelte Schriften, Bd. 4, Frankfurt a. M. 2008. Giorgio Agamben: Ausnahmezustand (Homo sacer II.1), Frankfurt a. M. 2004. Thomas Ahrend: „Die myelogenetischen Arbeiten Paul Flechsigs und seine Ansichten zur Körperfühl-Sphäre als Centralorgan des Characters“ in: Kaleidoskopien 3 (2000) (384. Körperinformation), S. 58-65. 70 7 Akademie der Künste (Hrsg.): Konstruktionen von Natur. Von Blossfeldt zur Virtualität, Dresden 2001. Ian Almond: The New Orientalists. Postmodern Representations of Islam from Foucault to Baudrillard, London and New York 2007. Peter-André Alt: Ästhetik des Bösen, München 2010. Emilie Altenloh: Zur Soziologie des Kinos. Die Kino-Unternehmung und die sozialen Schichten ihrer Besucher, Jena 1914. Hubertus von Amelunxen: „Einbruch in die Transzendenz“ in: Edith Decker, Peter Weibel (Hrsg.): Vom Verschwinden der Ferne. Telekommunikation und Kunst, Köln 1990, S. 307-316. Marie-Luise Angerer: Sexy Machines. Neue Technologien und Feminismus in: Feministische Perspektiven, Chantal Mouffe, Jürgen Trinks (Hrsg.), Wien 2000 (a), S. 211-228. M.-L. Angerer: body options. körper.spuren.medien.bilder, Wien 2000 (b). M.-L. Angerer: Das Begehren nach dem Affekt, Zürich und Berlin 2007. Philippe Ariès: Geschichte des Todes, München 1997. Andreas Arndt: „Arbeit und Leben“ in: Das Leben denken 1. Hegel Jahrbuch 2006, Berlin 2006, S. 312-322. Auch unter: http://books.google.de/books?id=PwxlIeNHb3UC&pg=PA51&dq=Das+Leben+Denk en+Hegel+2006&hl=de&ei=KCFUTtmrH4n2sgbcrq35Dw&sa=X&oi=book_result&c t=result&resnum=1&ved=0CCsQ6AEwAA#v=onepage&q&f=false (24.8.2011). Rudolf Arnheim: Die Seele in der Silberschicht. Medientheoretische Texte. Photographie – Film – Rundfunk, Frankfurt a. M. 2004. 70 8 Christoph Asendorf: Alles fließt, alles berührt sich. Die Moderne und das Problem der Distanz in: (Me’dien)i: Dreizehn Vorträge zur Medienkultur, Claus Pias (Hrsg.), Weimar 1999, S. 71-108. Marc Augé: Non-Places. An Introduction to Supermodernity, London, New York 2006. Armen Avanessian, Björn Quiring (Hrsg.): Abyssus Intellectualis, Spekulativer Horror, Berlin 2013. Isabelle Azoulay: Die süßen Schläge – der andere Schmerz. in: Phantom der Lust. Visionen des Masochismus. Essays und Texte. Band 1, Peter Weibel (Hrsg.), Ausstellung(skatalog) Neue Galerie Graz am Landesmuseum Joanneum 26.4. - 24.8.2003, München 2003, S. 76-86. Bernard Baas: Das reine Begehren, Wien 1995. Norval Baitello junior: Flussers Völlerei. Wie der nulldimensionale Raum die anderen Dimensionen verschlingen kann. Über die Verschlingung der Natur, die Treppe der Abstraktion, die Auflösung des Willens und die Weiblichkeit, International Flusser Lecture, Köln 2007. Béla Balázs: Schriften zum Film, Band I, Der sichtbare Mensch, Kritiken und Aufsätze 1922-1926, Helmut Diederichs, Wolfgang Gersch und Magda Nagy (Hrsg.), Budapest und Berlin 1982. B. Balázs: Schriften zum Film, Band II, Der Geist des Films, Kritiken und Aufsätze 1926-1931, Helmut Diederichs, Wolfgang Gersch (Hrsg.), Budapest und Berlin 1984. B. Balázs: „Zur Kunstphilosophie des Films (1938)“ in: Texte zur Theorie des Films, Franz-Josef Albersmeier (Hrsg.), Stuttgart 1998, S. 201-223. 70 9 Rudolf Balmer: „Tödliches Spiel. Frankreich. Nach dem Selbstmord eines Teilnehmers wird eine Reality-Show abgesetzt“, taz vom 9.7.2010. Karin Bang: Aimez-moi! Eine Studie über Leopold von Sacher-Masochs Masochismus in: Phantom der Lust. Visionen des Masochismus. Essays und Texte. Band 1, Peter Weibel (Hrsg.), Ausstellung(skatalog) Neue Galerie Graz am Landesmuseum Joanneum 26.4. - 24.8.2003, München 2003, S. 58-65. Klaus Bartels: Cyborgs, Servonen, Avatare. Über semiotische Prothetik, Köln 2005. K. Bartels: Die Antiquiertheit der Prothese: McLuhan, das Spiel, die Avatare in: McLuhan neu lesen. Kritische Analysen zu Medien und Kultur im 21. Jahrhundert, Derrick de Kerckhove, Martina Leeker, Kerstin Schmidt (Hrsg.), Bielefeld 2008, S. 409-421. Roland Barthes: Sade, Fourier, Loyola, Frankfurt a. M. 1986. R. Barthes: Fragmente einer Sprache der Liebe, Frankfurt a. M. 1988. Georges Bataille: Erotism. Death and Sensuality, San Francisco 1986. Jean Baudrillard: L’échange symbolique et la mort, Paris 1976. J. Baudrillard: Agonie des Realen, Berlin 1978. J. Baudrillard: Cool memories, Paris 1987. J. Baudrillard: Videowelt und fraktales Subjekt, in: Aisthesis. Wahrnehmung heute oder Perspektiven einer anderen Ästhetik, Karlheinz Barck et al. (Hrsg.), Leipzig 1990, S. 252–264. J. Baudrillard: Der Geist des Terrorismus, Peter Engelmann (Hrsg.), Wien 2003 (a). 71 0 J. Baudrillard: „Die Gewalt am Bild“ in: Jean Baudrillard. Die Abwesenheit der Welt. Fotografien, Ausstellung(skatalog) Kunsthalle Friedericanum Kassel 14.12.2003 - 29.2.2004, Barbara Heinrich (Hrsg.), Kassel 2003 (b), S. 4-9. J. Baudrillard: Die Intelligenz des Bösen, Wien 2006. Jean-Louis Baudry: Ideological Effects of the Basic Cinematographic Apparatus in: Narrative Apparatus, Ideology. A film reader, Philip Rosen (ed.), New York 1986. J.-L. Baudry: Das Dispositiv: Metapsychologische Betrachtungen des Realitätseindrucks in: Kursbuch Medienkultur. Die maßgeblichen Theorien von Brecht bis Baudrillard, Claus Pias, Joseph Vogl, Lorenz Engell, Oliver Fahle und Britta Neitzel (Hrsg.), Stuttgart 2000, 381-404. André Bazin: Ontologie des fotografischen Bildes in: Wolfgang Kemp (Hrsg.): Theorie der Fotografie III, München 1983, S. 61-63. William Beard: The Artist as Monster. The Cinema of David Cronenberg, Toronto, Buffalo and London 2001. Simon de Beauvoir: Soll man Sade verbrennen? Drei Essays zur Moral des Existentialismus, Reinbek bei Hamburg 1983. Walter Benjamin, Gesammelte Schriften, Bd. IV, Frankfurt a. M. 1972. W. Benjamin, Charles Baudelaire, Frankfurt a. M. 1974. W. Benjamin: Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit, Frankfurt a. M. 1977. Claudia Benthien: HAUT. Literaturgeschichte – Körperbilder – Grenzdiskurse, Reinbek bei Hamburg 2001. 71 1 Henri Bergson: Materie und Gedächtnis. Eine Abhandlung über die Beziehung zwischen Körper und Geist, Hamburg 1991. Svenja Bergt: „Schlimmer als Facebook“, taz vom 9.7.2012; auch unter http://www.taz.de/1/archiv/digitaz/artikel/?ressort=a1&dig=2012%2F07%2F09%2Fa 0006&cHash=0867e84160 (10.7.2012). Lauren Berlant und Michael Warner: Sex in der Öffentlichkeit in: Outside. Die Politik queerer Räume, Herausgegeben von Matthias Haase, Marc Siegel und Michaela Wünsch, Berlin 2005, 77-103. Bibliothek der Sexualwissenschaft, Teil 1. DVD, Pascal Pfitzenmaier, Gunter Hille, Hella Reuters (Hrsg.), Projekt Gutenberg-DE, Hamburg 2008. Kathryn Bigelow im Interview zu THE HURT LOCKER in: Ray Filmmagazin, September 2009 („Krieg funktioniert wie eine Fabrik, die existenzielle Erfahrungen produziert“), S. 17-20. Volkmar Billig: Inseln - Geschichte einer Faszination, Berlin 2010. Annette Bitsch: Lacan en vogue in: Kaleidoskopien 3 (2000) (384. Körperinformation), S. 258-260. A. Bitsch: Always Crashing into the Same Car. Jacques Lacans Mathematik des Unbewußten, Weimar 2001. A. Bitsch: Auf Leben und Tod. Das Gesetz bei Hegel und Lacan in: FAKtisch, Peter Berz, Annette Bitsch, Bernhard Siegert (Hrsg.), München 2004, S. 313-330. A. Bitsch: Transfer zwischen McLuhan-Galaxis und Anderem Schauplatz in: McLuhan neu lesen. Kritische Analysen zu Medien und Kultur im 21. Jahrhundert, Derrick de Kerckhove, Martina Leeker, Kerstin Schmidt (Hrsg.), Bielefeld 2008, S. 233-251. 71 2 A Bitsch: Diskrete Gespenster. Die Genealogie des Unbewussten aus der Medientheorie und Philosophie der Zeit, Bielefeld 2009. Maurice Blanchot: Sade, Berlin 1986. Colleen Glenney Boggs: Bestialität und Folter in: Wahrheit und Gewalt. Der Diskurs der Folter in Europa und den USA, Thomas Weitin (Hrsg.), Bielefeld 2010, S. 267- 284. Artur R. Boelderl: AEffekte. Signifikante Einschreibungen in „Soma“, „Nous“ und „Psyche“ in: Übertragung – Übersetzung – Überlieferung. Episteme und Sprache in der Psychoanalyse Lacans. Georg Christoph Tholen, Gerhard Schmitz, Manfred Riepe (Hrsg.), Bielefeld 2001, S. 305-320. Hartmut Böhme: Umgekehrte Vernunft. Dezentrierung des Subjekts bei Marquis de Sade unter: http://www3.culture.hu- berlin.de/hb/static/archiv/volltexte/texte/natsub/sade.html (18.6.2010). Erstmals erschienen in: Ders., Natur und Subjekt, „II. Subjektgeschichte“, Frankfurt am Main 1988, S. 274-307. H. Böhme: Himmel und Hölle als Gefühlsräume in: Emotionalität. Zur Geschichte der Gefühle, Claudia Benthien, Anne Fleig und Ingrid Kasten (Hrsg.), Köln, Weimar und Wien 2000, S. 60-81. H. Böhme: „Global Cities, Terrorismus. Fragile Urbanität in einer vernetzten Welt“, in Lettre International Heft 55, IV/2001, S. 25-27. H. Böhme: Bildung, Vertraglichkeit und Fetischismus in Leopold von Sacher- Masochs Venus im Pelz in: Leopold von Sacher-Masoch, Ingrid Spörk und Alexandra Strohmaier (Hrsg.), Graz 2003, S. 11-41. H. Böhme: Männliche Masken und sexuelle Scharaden in Mythos und Literatur unter: http://www.culture.hu-berlin.de/hb/static/archiv/volltexte/pdf/maskerade.pdf (18.6.2010). Erstmals erschienen in: Claudia Benthien und Inge Stephan (Hrsg.), 71 3 Männlichkeit als Maskerade: kulturelle Inszenierungen vom Mittelalter bis zur Gegenwart, Köln und Weimar 2003, S. 100-127. H. Böhme: Netzwerke. Zur Geschichte und Geschichte einer Konstruktion in: Netzwerke. Eine Kulturtechnik der Moderne, Jürgen Barkhoff, Hartmut Böhme, Jeanne Riou (Hrsg.), Köln 2004, S. 17-36, auch unter: http://www.netzeundnetzwerke.de/files/boehme_netzwerke.pdf (28.01.2012). H. Böhme: Fetischismus und Kultur. Eine andere Theorie der Moderne, Reinbek bei Hamburg 2006. H. Böhme: Ludi Naturae. Transformationen einer Denkfigur in: Ludi Naturae. Spiele der Natur in Kunst und Wissenschaft, Natascha Adamowsky, Hartmut Böhme, Robert Felfe (Hrsg.), München 2010, S. 33-48. H. Böhme: „Wollen wir in einem posthumanen Zeitalter leben? Geschwindigkeit und Verlangsamung in unserer Kultur“ in: Feuilleton des Ausstellungskatalogs Die Kunst der Entschleunigung. Bewegung und Ruhe in der Kunst von Caspar David Friedrich bis Ai Weiwei, Kunstmuseum Wolfsburg 12.11.2011 - 9.4.2012, Ostfildern 2011, S. 2- 8. H. Böhme: Das Archaische und das Soziale. Entgrenzung und Einhegung von Gewalt im gegenwärtigen Film und im Mythos. Michael Haneke – Quentin Tarantino – Sophokles in: IMAGO. Interdisziplinäres Jahrbuch für Psychoanalyse und Ästhetik, Bd. 1, Gießen 2012, S. 9-33. H. Böhme, Peter Matussek, Lothar Müller: Orientierung Kulturwissenschaft, Was sie kann, was sie will, Reinbek bei Hamburg 2000. H. Böhme und Beate Slominski (Hrsg.): Das Orale. Die Mundhöhle in Kulturgeschichte und Zahnmedizin, München 2013. Otto Friedrich Bollnow: Mensch und Raum, Stuttgart 1997. 71 4 Christian Bolte, Klaus Dimmler: Schwarze Witwen und Eiserne Jungfrauen, Geschichte der Mörderinnen, Leipzig 2000. Norbert Bolz: Theorie der Neuen Medien, München 1990. N. Bolz: Geschichte des Scheins, München 1992. Mikkel Borch-Jacobsen: Lacan. Der absolute Herr und Meister, München 1999. Cornelius Borck: „Der industrialisierte Mensch. Fritz Kahns Visualisierungen des Körpers als Interferenzzone von Medizin, Technik und Kultur“ in: WerkstattGeschichte 47, 16. Jahrgang (Dezember), Essen 2007, S. 7-22. Mineke Bosch, Hanna Hacker, Ulrike Krampl (Hrsg.): L’Homme. Europäische Zeitschrift für Feministische Geschichtswissenschaft, Heft 1/2012 (zum Thema Spektakel). Daniel Bougnoux: Demokratische und mediale Repräsentation in: Mediologie als Methode, Birgit Mersmann, Thomas Weber (Hrsg.), Berlin 2008, 102-110. Malcom Bowie: Lacan, Göttingen 1994. Annette Brauerhoch: „A Mother to Me. Auf den Spuren der Mutter – im Kino“ in: Frauen und Film, Februar 1995, Heft 56/57, S. 59-77. A. Brauerhoch: „Die Aussage im großen Wumm“ bei Zeit-online unter: http://www.zeit.de/kultur/film/2010-03/hurt-locker-oscar (Rezension zu Kathryn Bigelows THE HURT LOCKER) (18.6.2010). Christoph Braun: Die Stellung des Subjekts. Lacans Psychoanalyse, Berlin 2008. Kathrin Braun und Elisabeth Kremer: Asketischer Eros und die Rekonstruktion der Natur zur Maschine, Oldenburg 1987. 71 5 K. Braun und E. Kremer: Jungfräulichkeit und Maschine. Zum Zusammenhang von asketischer Erkenntnis und mechanistischem Weltbild in: Zwielicht der Vernunft. Die Dialektik der Aufklärung aus Sicht von Frauen, Christiane Kulke und Elvira Scheich (Hrsg.), Pfaffenweiler 1992, S. 15-24. Christina von Braun: Frauenkörper und medialer Leib in: Inszenierte Imagination. Beiträge zu einer historischen Anthropologie der Medien, Wolfgang Müller-Funk, Hans-Ulrich Reck (Hrsg.), Wien und New York 1996. C. von Braun: Versuch über den Schwindel. Religion, Schrift, Bild, Geschlecht, München und Zürich 2001. Jörg Brauns: Schauplätze. Zur Architektur visueller Medien, Weimar 2007. André Breton, Manifestes du Surréalisme, Paris 1985. Elisabeth Bronfen: Die künstliche Gebärmutter oder Der befremdliche Fall des David Cronenberg in: Das verknotete Subjekt. Hysterie in der Moderne, Berlin 1998, S. 643- 689. E. Bronfen: Erschreckende Bilder vertrauter Art. Freuds Spiel mit einer Denkfigur, in: Die unheimliche Frau. Weiblichkeit im Surrealismus, Angela Lampe (Hrsg.), Ausstellung(skatalog) Kunsthalle Bielefeld 2.9. - 18.11.2001, Heidelberg 2001; S. 113-126. Philipp Brophy: „Horrality: The Textuality of Contemporary Horror films“ in: Screen, 27, 1, 1986, 2-13. Micha Brumlik: Sigmund Freud. Der Denker des 20. Jahrhunderts, Weinheim und Basel 2006. Judith Butler: Gender Trouble. Feminism and the Subversion of Identity, New York and London 2007/2008. 71 6 J. Butler: Körper von Gewicht. Die diskursiven Grenzen des Geschlechts, Frankfurt a. M. 1997. Mark Butler: Would you like to play a game? Die Kultur des Computerspielens, Berlin 2007. M. Butler: Das Spiel mit sich. Populäre Techniken des Selbst zu Beginn des 21. Jahrhunderts, Dissertation am Institut für Kulturwissenschaft der Humboldt- Universität zu Berlin 2011. Noël Burch: Gegen die Sade’sche Ästhetik in: Phantom der Lust. Visionen des Masochismus. Essays und Texte. Band 1, Peter Weibel (Hrsg.), Ausstellung(skatalog) Neue Galerie Graz am Landesmuseum Joanneum 26.4. - 24.8.2003, München 2003, S. 269-324. Martin Burckhardt: Unter Strom. Der Autor und die elektromagnetische Schrift in: Medien, Computer, Realität: Wirklichkeitsvorstellungen und neue Medien, Sybille Krämer, Frankfurt a. M. 1998, S. 27-54. Roberto Calasso: Die geheime Geschichte des Senatspräsidenten Dr. Daniel Paul Schreber, Frankfurt a. M. 1980. Baltazar Castor: „Das arme Arschloch des Mannes. Ein Text, der in der Zeit nicht erscheinen durfte“, taz vom 9.6.2007, auch unter: http://www.taz.de/1/archiv/?id=archiv&dig=2007/06/09/a0006 (20.8.2012). Cornelius Castoriadis: Durchs Labyrinth. Seele, Vernunft, Gesellschaft, Frankfurt a. M. 1983. C. Castoriadis: Gesellschaft als imaginäre Institution, Frankfurt a. M. 1984. Richard Cavell: McLuhans Gespenster: Elf Anmerkungen für ein neues Lesen in: McLuhan neu lesen. Kritische Analysen zu Medien und Kultur im 21. Jahrhundert, 71 7 Derrick de Kerckhove, Martina Leeker, Kerstin Schmidt (Hrsg.), Bielefeld 2008, S. 270-284. Robin Celikates und Simon Rothöhler: Hybridisierung oder Anerkennung? Zwei Politiken des Körpers in den Filmen David Cronenbergs und der Farelly-Brüder in: No Body is perfect. Baumaßnahmen am menschlichen Körper – Bioethische und ästhetische Aufrisse, Johann S. Ach und Arnd Pollmann (Hrsg.), Bielefeld 2006, S. 325-347. James Cleugh: The Marquis and the Chevalier. A Study in the Psychology of Sex as illustrated by the Lives and Personalities of the Marquis de Sade and the Chevalier von Sacher-Masoch, Westport/Connecticut 1972 (zuerst 1951). Drucilla Cornell: Das Feministische Bündnis mit der Dekonstruktion in: Barbara Vinken (Hrsg.): Dekonstruktiver Feminismus. Literaturwissenschaft in Amerika, Frankfurt a. M. 1992, S. 279-318. Andreas Cremonini: Die Nacht der Welt, in: Jacques Lacan – Wege zu seinem Werk, Hans-Dieter Gondek, Roger Hoffmann, Hans-Martin Lohmann (Hrsg.), Stuttgart 2001. S. 164-188. David Cronenberg: I Have To Make The Word Be Flesh, Fernsehdokumentation unter der Regie von André S. Labarthe, arte-Sendung vom 20. Oktober 1999. Das Achte Feld. Geschlechter, Leben und Begehren in der Kunst nach 1960, Ausstellung(skatalog) Museum Ludwig Köln 15.9. - 12.11.2006, Frank Wagner, Julia Friedrich und Museum Ludwig (Hrsg.), Ostfildern 2006. Guy Debord: Die Gesellschaft des Spektakels, Berlin 1996. Régis Debray: Jenseits der Bilder. Eine Geschichte der Bildbetrachtung im Abendland, Rodenbach 1999. 71 8 R. Debray: Für eine Mediologie in: Die maßgeblichen Theorien von Brecht bis Baudrillard, Claus Pias, Joseph Vogl, Lorenz Engell, Oliver Fahle und Britta Neitzel (Hrsg.), Stuttgart 2000, 67-75. R. Debray: Einführung in die Mediologie, Bern, Stuttgart und Wien 2003. Nina Degele: Gender/Queer Studies: eine Einführung, München 2008. Gilles Deleuze: Bergsonism (1966), New York 1988. G. Deleuze: Woran erkannt man den Strukturalismus?, Berlin 1992. G. Deleuze: Das Zeitbild. Kino 2, Frankfurt a. M. 1993 (a). G. Deleuze: Postskriptum über die Kontrollgesellschaften, in: Ders., Unterhandlungen 1972-1990, [1990], Frankfurt a. M. 1993 (b). G. Deleuze: Die Falte. Leibniz und der Barock, Frankfurt a. M. 2000. Gilles Deleuze und Félix Guattari: Kafka – für eine kleine Literatur, Frankfurt a. M 1976. G. Deleuze und F. Guattari: Anti-Ödipus. Kapitalismus und Schizophrenie I, Frankfurt a. M. 1977. G. Deleuze und F. Guattari: 1440 – Das Glatte und Gekerbte in: Tausend Plateaus, Berlin 1992, S. 658-694. G. Deleuze und F. Guattari: HOW TO MAKE YOURSELF A BODY WITHOUT ORGANS in: POLYSEXUALITY [Semiotext(e) # 10], François Peraldi (Hrsg.), New York 1995, S. 265-270. 71 9 G. Deleuze und F. Guattari: Tausend Plateaus. Kapitalismus und Schizophrenie II, Berlin 1997. Michel Delon: Und das Feuer ward Mensch in: Sade/Surreal. Der Marquis de Sade und die erotische Fantasie des Surrealismus in Text und Bild, Ausstellung(skatalog) Kunsthaus Zürich vom 30. November 2001 bis 3. März 2002, Tobia Bezzolla, Michael Pfister, Stefan Zweifel (Hrsg.), Ostfildern-Ruit 2001, S. 67-78. Jacques Derrida: Die Postkarte von Sokrates bis an Freud und jenseits, Berlin 1982/1989. J. Derrida: Die Schrift und die Differenz, Frankfurt a. M. 1994. J. Derrida: Marx’ Gespenster. Der verschuldete Staat, die Trauerarbeit und die neue Internationale, Frankfurt a. M. 1995. J. Derrida: Die différance in: Die différance. Ausgewählte Texte, Peter Engelmann (Hrsg.), Stuttgart 2004, S. 110-149. Astrid Deuber-Mankowsky: Praktiken der Illusion. Kant, Nietzsche, Cohen, Benjamin bis Donna J. Haraway, Berlin 2007. Rosalyn Deutsche: Vernünftiger Urbanismus in: Outside. Die Politik queerer Räume, Herausgegeben von Matthias Haase, Marc Siegel und Michaela Wünsch, Berlin 2005, S. 149-190. Dictionnaire [sic] des sciences médicales, par une société de médecins et de chrirurgiens, Bd. 53, 1821, Art. „Sujet de l’hygiène“ suivi de „Règles de l’hygiène“ (Hallé et Thillaye). Georges Didi-Huberman: „Im Angesicht der Zeit“ – Kaleidoskop und „Kopfzerbrecher“: „Die Zeit schwingt sich wie ein Brezel ...“ in: Konstruktionen von 72 0 Natur. Von Blossfeldt zur Virtualität, Akademie der Künste (Hrsg.), Dresden 2001, S. 67-80. G. Didi-Huberman: Venus öffnen. Nacktheit, Traum, Grausamkeit, Berlin und Zürich 2006. Die Enthüllung, arte-Sendung vom 12.9.2010 (Erstausstrahlung im September 2006) unter der Regie von Rudij Bergmann in der Dokureihe „Nackt ist die Kunst“. „Die RAF im Film – Eine kommentierte Übersicht“, unter http://www.bpb.de/gesellschaft/kultur/filmbildung/43367/kommentierte-filmografie- raf (Webpage der Bundeszentrale für politische Bildung) (7.11.2012). Diedrich Diederichsen: „2009 Leistungsträger, Autoabfackler, Studierende – Die Deutschen haben wieder politische Emotionen. Bornierte Eliten und antiautoritäre Kämpfe“ in: taz vom 24.12.2009 auch unter: www.taz.de/1/archiv/print- archiv/printressorts/digi-artikel/?ressort=ku&dig=2009%2F12%2F24%2Fa0026 (27.11.2012). D. Diederichsen: Pose vs. Exzess, Queere Performance in den US-Subkulturen der Sechziger im Ausstellungskatalog: Das 8. Feld. Geschlechter, Leben und Begehren in der Kunst nach 1960, Frank Wagner, Julia Friedrich und Museum Ludwig (Hrsg.), Ostfildern 2006, S. 163-173. Daniel Diemers: Die virtuelle Triade. Cyberspace, Maschinenmensch und künstliche Intelligenz, Bern Stuttgart, Wien 2002. Marlene Dietrich: My Life, London 1989. Bram Dijkstra: Idols of Perversity, Phantasies of Feminine Evil in Fin-de-Siecle Culture, New York 1986. 72 1 Christoph Dolgan: Poesie des Begehrens. Textkörper und Körpertexte bei Leopold von Sacher-Masoch, Wiesbaden 2009. Klaus-Helge Donath: „Jeder Akt eine Mutprobe“, Interview mit AktivistInnen von Pussy Riot in der taz vom 29./30.9.2012. Thomas J. Dreibrodt: Lang lebe das Neue Fleisch: die Filme von David Cronenberg, Bochum 2000. Philippe Dubois: Plastizität und Film. Die Frage des Figuralen als Störzeichen in: Störzeichen. Das Bild angesichts des Realen (Medien ; 13), Oliver Fahle (Hrsg.) 2003, S. 113-135. John Durham Peters: McLuhans grammatische Theologie in: McLuhan neu lesen. Kritische Analysen zu Medien und Kultur im 21. Jahrhundert, Derrick de Kerckhove, Martina Leeker, Kerstin Schmidt (Hrsg.), Bielefeld 2008, S. 61-75. Angelika Ebrecht: Das individuelle Ganze: Psychologismus in der Lebensphilosophie, Stuttgart 1992. Umberto Eco: Das offene Kunstwerk, Frankfurt a. M. 1977. Josef Maria Eder: Ausführliches Handbuch der Photografie, Mehrere Bände, v. a. Band 1: Geschichte der Photografie, Halle 1905. Norbert Elb: SM-Sexualität. Selbstorganisation einer sexuellen Subkultur, Gießen 2006. Lutz Ellrich: Mediologische Latenz und die Rekursion der Daten in: Mediologie als Methode, Birgit Mersmann, Thomas Weber (Hrsg.), Berlin 2008, S. 61-78. Thomas Elsaesser, Malte Hagener: Filmtheorie zur Einführung, Hamburg 2007. 72 2 Monika Elsner, Thomas Müller: Der angewachsene Fernseher in: Materialität der Kommunikation in: Hans Ulrich Gumbrecht und Karl Ludwig Pfeiffer (Hrsg.), Frankfurt a. M. 1988, 392-415. Johann Jakob Engel: Ideen zu einer Mimik. Zwei Teile, Berlin 1785-86, Reprint Darmstadt 1968. Lorenz Engell: Schwierigkeiten der Fernsehgeschichte in: Ausfahrt nach Babylon. Essais und Vorträge zur Kritik der Medienkultur (Medien ; 2), Weimar 2000 (a), 89- 107. L. Engell: Die Jalousie: Ein Muster der Lichtführung und Aufklärung, in: Essais und Vorträge zur Kritik der Medienkultur (Medien ; 2), Weimar 2000 (b), 325-340. L. Engell, Bernhard Siegert und Joseph Vogl (Hrsg.): Kulturgeschichte als Mediengeschichte (oder vice versa?), Weimar 2006. Hans Magnus Enzensberger: Das Nullmedium oder Warum alle Klagen über das Fernsehen gegenstandslos sind, in: Baukasten zu einer Theorie der Medien. Kritische Diskurse zur Pressefreiheit, Peter Glotz (Hrsg.), München 1997. Erstmals erschienen in: Der Spiegel 20/1988 vom 16.5.1988, auch unter: http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-13529129.html (25.5.2012). Albert Eulenburg: Sadismus und Masochismus (1902/1911) in: Phantom Schmerz. Quellentexte zur Begriffsgeschichte des Masochismus, Michael Farin (Hrsg.), München 2003, 178-260. Lisbeth Exner: Leopold von Sacher-Masoch. Zeittafel in: Phantom der Lust. Visionen des Masochismus. Essays und Texte. Band 1, Peter Weibel (Hrsg.), Ausstellung(skatalog) Neue Galerie Graz am Landesmuseum Joanneum 26.4. - 24.8.2003, München 2003 (a), S. 14-31. 72 3 L. Exner: Tagebuch-Silhouetten. Aus dem Leben eines Masochisten in: Phantom der Lust. Visionen des Masochismus. Essays und Texte. Band 1, Peter Weibel (Hrsg.), Ausstellung(skatalog) Neue Galerie Graz am Landesmuseum Joanneum 26.4. - 24.08.2003, München 2003 (b), S. 32-49. „Facebook – Milliardengeschäft Freundschaft.” Ein Film von Svea Eckert und Anika Giese. ARD-Dokumentation vom 13.2.2012. „Facebook. Polarkreis-Rechenzentrum könnte zur Abhörfalle werden”, Süddeutsche Zeitung vom 7.11.2011, unter: http://www.sueddeutsche.de/digital/facebook- polarkreis-rechenzentrum-koennte-zur-abhoerfalle-werden-1.1179412 (18.6.2012). Oliver Fahle: Störung, Synchronität, Schnitt. Zur Post-Repräsentation des Live- Fernsehens in: Störzeichen. Das Bild angesichts des Realen (Medien ; 13), Oliver Fahle (Hrsg.) 2003, 192-204. O. Fahle: Die Stadt als Spielfeld. Raumästhetik in Film und Computerspiel in: Spielformen im Spielfilm. Zur Medienmorphologie des Kinos nach der Postmoderne, Rainer Leschke, Jochen Venus (Hrsg.), Bielefeld 2007, S. 225-238. Falscher Bekenner (Webpage zu Christoph Hochhäuslers Film): www.falscher- bekenner.de/ (18.6.2012). Michael Farin: Prolog. Schmerzlüsternheit in: Phantom Schmerz. Quellentexte zur Begriffsgeschichte des Masochismus, Michael Farin (Hrsg.), München 2003 (a), 8-9. M. Farin: Nachtseiten der Liebe. – Biografisches Medaillon zu Richard Freiherr von Krafft-Ebing, München 2003 (b), 54-57. Werner Faulstich: „Einführung: Zur Entwicklung der Medienwissenschaft“ in: Werner Faulstich (Hrsg.): Grundwissen Medien, München 1994, S. 9-15. 72 4 Brigitte Felderer: Künstliches Leben in Österreich. Die Automaten und Maschinen des Freiherrn von Kempelen, in: Ohne Spiegel leben: Sichtbarkeiten und posthumane Menschenbilder, Manfred Faßler (Hrsg.), München 2000, S. 213-233. Christian Filk, „Alles ist abgerissen im Inneren und abgerissen im Äußeren“ – Max Picards Geschichtsphilosophie, Medientheorie und Kulturkritik, Avinus Magazin Sonderheft 9/2010, Berlin 2010. Paul Emil Flechsig: „Zur Gynäkologischen Behandlung der Hysterie“ in: Neurologisches Centralblatt, III, Nr. 19 und 20, 1884, S. 433-439 und 457-486. P. E. Flechsig: Gehirn und Seele, Leipzig 1886. P. E. Flechsig: Ueber die Assoziationszentren des menschlichen Gehirns. Dritter internationaler Congress für Psychologie in München vom 4. bis 7. August, München 1896. Vílem Flusser: Kommunikologie, Frankfurt a. M. 1998. Michel Foucault: Die Ordnung der Dinge. Eine Archäologie der Humanwissenschaften, Frankfurt a. M. 1971/74. M. Foucault: Archäologie des Wissens, Frankfurt a. M. 1981. M. Foucault: Der Wille zum Wissen. Sexualität und Wahrheit 1, Frankfurt a. M. 1992. M. Foucault: Überwachen und Strafen. Die Geburt des Gefängnisses, Frankfurt a. M. 1995. M. Foucault: Andere Räume in: Michel Foucault. Shortcuts, Peter Gente, Heidi Paris und Martin Weinmann (Hrsg.), Frankfurt a. M. 2004 (a), S. 20-38. 72 5 M. Foucault: Eine neue Lebenskunst: Einführung in den Anti-Ödipus in: Michel Foucault. Shortcuts, Peter Gente, Heidi Paris und Martin Weinmann (Hrsg.), Frankfurt a. M. 2004 (b), S. 153-159. Jutta Franzen: Spurensuche: Dressed for Succes. Spiegel und Kleidung als Medien der Selbstinszenierung in: Mediologie als Methode, Birgit Mersmann, Thomas Weber (Hrsg.), Berlin 2008, S. 321-334. Lucienne Frappier-Mazur: A Turning Point in the Sadian Novel: The Terror in: The Divine De Sade, Deepak Narang Sawhney (Hrsg.), PLI Warwick Journal of Philosophy, Conventry 1994, S. 51-66. Sigmund Freud: „Notiz über eine Methode zur anatomischen Präparation des Nervensystems“ in: Zentralblatt für die medizinischen Wissenschaften 17 (1879). S. Freud: Die Verdrängung in: Studienausgabe, Bd. III, Frankfurt a. M. 1969-1979, S. 103-119. S. Freud: Der Witz und seine Beziehung zum Unbewußten in: Studienausgabe, Bd. IV, Frankfurt a. M. 1970, S. 9-219 S. Freud: Briefe an Wilhelm Fließ 1887-1904, J. M. Masson (Hrsg.), Frankfurt a. M. 1986. S. Freud und Joseph Breuer: Studien über Hysterie, in. GW, Bd. I, Frankfurt a. M. 1991, 75–312. S. Freud: Psychoanalytische Bemerkungen über einen autobiografischen Fall von Paranoia (Dementia Paranoides) (1911 [1910]) in: Zwang, Paranoia und Perversion, Studienausgabe Band VII, Alexander Mitscherlich, Angela Richards, James Stratchey, Ilse Grubrich-Simites (Hrsg.), Frankfurt a. M. 1994, S. 133-203. S. Freud: Die Traumdeutung, Frankfurt a. M. 1997 (a). 72 6 S. Freud: Das Unbehagen in der Kultur, Frankfurt a. M. 1997 (b). S. Freud: Das Ich und das Es, In: Das Ich und das Es. Metapsychologische Schriften, Frankfurt a. M. 1999 (a), S. 253-295. S. Freud: Jenseits des Lustprinzips in: Das Ich und das Es. Metapsychologische Schriften, Frankfurt a. M. 1999 (b), S. 193-249. S. Freud: Die Verneinung in: Das Ich und das Es. Metapsychologische Schriften, Frankfurt a. M. 1999 (c), S. 319-325. S. Freud: Fetischismus in: Das Ich und das Es. Metapsychologische Schriften, Frankfurt a. M. 1999 (d), S. 329-334. S. Freud: Triebe und Triebschicksale in: Das Ich und das Es. Metapsychologische Schriften, Frankfurt a. M. 1999 (e), S. 81-110. S. Freud: Zur Einführung in den Narzissmus in: Das Ich und das Es. Metapsychologische Schriften, Frankfurt a. M. 1999 (f), S. 51-77. S. Freud: Gesammelte Werke, A. Freud, E. Bibring, W. Hoffer, E. Kris und O. Isakower (Hrsg.), London und Frankfurt a. M. 1999. S. Freud: Notiz über den „Wunderblock“ in: Kursbuch Medienkultur. Die maßgeblichen Theorien von Brecht bis Baudrillard, Claus Pias, Joseph Vogl, Lorenz Engell, Oliver Fahle und Britta Neitzel (Hrsg.), Stuttgart 2000, S. 377-380. S. Freud: Drei Abhandlungen zur Sexualtheorie, Hamburg 2010. Anne Friedberg: The Virtual Window. From Alberti to Microsoft, Cambridge (Massachusetts) 2006. 72 7 Annegret Friedrich: Kritik der Urteilskraft oder: Die Wissenschaft von der weiblichen Schönheit in Kunst, Medizin und Anthropologie der Jahrhundertwende in: Projektionen, Rassismus und Sexismus in der Visuellen Kultur, dies. Et al, Marburg 1997, S. 164-181. Julius Fröbel: Ein Lebenslauf, Bd. 1, Stuttgart 1890. Peter Fuchs: Das Unbewußte in Psychoanalyse und Systemtheorie. Die Herrschaft der Verlautbarung und die Erreichbarkeit des Bewußtseins, Frankfurt a. M. 1998. Michael Fürst: Emersive Bilder. Zum Zuschauer-Bild-Verhältnis in David Cronenbergs Videodrome in: Maßlose Bilder: visuelle Ästhetik der Transgression, Ingeborg Reichle und Steffen Siegel (Hrsg.), München 2009, S. 127-142. M. Fürst, Florian Krautkrämer und Serjoscha Wiemer (Hrsg.): Untot. Zombie Film Theorie, München 2010. Jochen Gaida: Bewußtseinsprothesen. Video als filmisches Motiv, Alfeld/Leine 2002. Hanna Gekle: Tod im Spiegel. Zu Lacans Theorie des Imaginären, Frankfurt a. M. 1996. Gendertronics. Der Körper in der elektronischen Musik, club transmediale und Meike Jansen (Hrsg.) Frankfurt a. M. 2005. Ute Gerhard: Die langen Wellen der Frauenbewegung – Traditionslinien und unerledigte Anliegen in: Das Geschlechterverhältnis als Gegenstand der Sozialwissenschaften, Regina Becker-Schmidt und Gudrun-Axeli Kapp (Hrsg.), Frankfurt am Main 1995, S. 274-278. Gabrielle Goettle: „Rette sich, wer kann. Zu Besuch beim Soziologen Wilhelm Heitmeyer“ in der taz vom 27.2.2012, auch unter: 72 8 http://www.taz.de/1/archiv/digitaz/artikel/?ressort=ku&dig=2012%2F02%2F27%2Fa 0113&cHash=516791c499 (18.6.2012). G. Goettle: „Das Krisenmanagement der Atomindustrie. Frau Hashimoto erzählt ein Lehrstück“ in der taz vom 26.3.2012, auch unter: http://www.taz.de/!90340/ (18.6.2012). Irina Gradinari: Death Proof – Vom Sadismus der Kinoästhetik. Tarantinos Reflexion über cineastische Horror- und Gewaltgenese in und durch Death Proof (2007) in: Dawn of an Evil Millennium, Horror/Kultur im neuen Jahrtausend, Jörg van Bebber (Hrsg.), Darmstadt 2011, 357-363. Michael Gratzke: Liebesschmerz und Textlust. Figuren der Liebe und des Masochismus in der Literatur, Würzburg 2000; auch unter: http://books.google.com/books/about/Liebesschmerz_und_Textlust.html?id=XBTAh2 qvuvsC (18.6.2013). M. Gratzke: Rueckkehr nach Kolomea. Raeume und Grenzen des Masochismus in: Phantom der Lust. Visionen des Masochismus. Essays und Texte. Band 1, Peter Weibel (Hrsg.), Ausstellung(skatalog) Neue Galerie Graz am Landesmuseum Joanneum 26.4. - 24.8.2003, München 2003, S. 89-101. Richard Green und K. Silem Mohammend: Die Untoten und die Philosophie: Schlauer werden mit Zombies, Werwölfen und Vampiren, Stuttgart 2010. Stefan Griessemann: „’Cosmopolis’ im Kino. Irrealwirtschaft: David Cronenberg baut in seinem Film mit Robert Pattinson in der Hauptrolle die Finanzkrise zur Apokalypse aus“ unter: http://www.tip-berlin.de/kino-und-film/cosmopolis-im-kino (9.12.2012). Serge Grünberg: David Cronenberg, Paris 1992. Félix Guattari: BECOMING-WOMAN in: POLYSEXUALITY [Semiotext(e) # 10], François Peraldi (Hrsg.), New York 1995, S. 86-88. 72 9 F. Guattari: Chaosophy. Texts and Interviews 1972-1977 [Semiotext(e)], edited by Sylvère Lotringer, Los Angeles 2009. Georges Th. Guilbaud: „La théorie des jeux, contribution critique à la théorie de la valeur“, Economie appliquée, 1949, p. 275-319. Traduction en anglais dans International Economic Papers, n° 1, London, McMillan, 1951, 37-65. [Reproduit dans Mathématiques et action politique : études d’histoire et de philosophie des mathématiques sociales, sous la direction de Th. Martin, INED, Paris 2000.] G. Th. Guilbaud, La cybernétique, Que sais-je? N°638, Paris 1954. Steven Gundle: Glamour. A History, Oxford, New York 2008. Stephan Günzel: Immanenz. Zum Philosophiebegriff von Gilles Deleuze, Essen 1998. Ulrich Gutmair und Detlef Kuhlbrodt: „In Berlin ist Feiern ein Menschenrecht. Die Golden-Gate-Betreiber Reimund Spitzer und Hubertus von Strachwitz über endlose Partys und ekstatische Touristen“, Interview in der taz vom 17.8.2012. Norbert Haas: „Fort/da als Modell“, Niederschrift eines Vortrages am Psychoanalytischen Seminar Zürich vom 7. Januar 1982, in: ZETA 02, Berlin 1982, S. 29-46. Wolfgang Hagen: Jenseits der Massenmedien, in: Neue Vorträge zur Medienkultur, (Medien ; 3) Claus Pias (Hrsg.), Weimar 2000, S. 81-111. W. Hagen: Radio Schreber. Der ‚moderne Spiritismus’ und die Sprache der Medien, ((’Medien)_1hni ; 8), Weimar 2001. W. Hagen: Das Radio: Theorie und Geschichte des Hörfunks Deutschland – USA, München 2005. 73 0 Michael Haneke und Thomas Assheuer: Nahaufnahme Michael Haneke. Gespräche mit Thomas Assheuer, Berlin 2008. Iris Hanika und Edith Seifert: Die Wette auf das Unbewußte oder Was sie schon immer über Psychoanalyse wissen wollten, Frankfurt a. M. 2006. Donna Haraway: Ein Manifest für Cyborgs. Feminismus im Streit mit den Technowissenschaften, in: Die Neuerfindung der Natur: Primaten, Cyborgs und Frauen, Frankfurt am Main/New York 1995, S. 33-72. Rudolf Harms: Philosophie des Films. Seine ästhetischen und metaphysischen Grundlagen, Hamburg 2009 (1926). Lyndia Hart: Between the Body and the Flesh. Performing Sado-Masochism, New York 1998. Christiaan L. Hart Nibbrig: Ästhetik des Todes, Frankfurt a. M. 1995. Eduard von Hartmann, Philosophie des Unbewussten, Berlin 1869, unter: http://www.zeno.org/Philosophie/M/Hartmann,+Eduard+von/Philosophie+des+Unbe wußten (10.8.2011). Melanie Harmuth: Zur Kommunikation von Obszönität. Der Fall Sade, Taunusstein 2004. Frederick Anthony Hartsen: Grundzüge der Psychologie, Berlin 1874. Wolfgang Fritz Haug: Kritik der Warenästhetik, Frankfurt a. M. 1971. Lydia Haustein: „Bildersturm in Mali. Die Ikonoklasten von Timbuktu“, taz vom 12.7.2012, auch unter: www.taz.de/!97031/ (1.8.2012). Stephen Heath: Notes on Suture in: Screen, Vol. 18, No. 4 (1977/78), S. 49-66. 73 1 Julia Hecht: Der Verlust des Objekts in Lost Highway. Magisterarbeit 2003 am Kulturwissenschaftlichen Seminar der HU Berlin. Georg Wilhelm Friedrich Hegel: Phänomenologie des Geistes, Hamburg 1988. Martin Heidegger: Das Gestell (1949) in: Ders., Gesamtausgabe, Bd. 79, Abt. 3; Unveröffentlichte Abhandlungen, Vorträge, Gedachtes. Bremer und Freiburger Vorträge, Petra Jaeger (Hrsg.), Frankfurt a. M. 1994, S. 24-45. Bernd Heidenreich und Sönke Neitzel (Hrsg.): Medien im Nationalsozialismus, Paderborn 2010. Peter M. Hejl: Biologistische Metaphern in der deutschsprachigen Soziologie der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, in: Menschenbilder. Zur Pluralisierung der Vorstellung von der menschlichen Natur (1850-1914), Achim Barsch, Peter M. Hejl (Hrsg.), Frankfurt a. M. 2000, S. 167-214. Franziska Heller: ‚Video kills the TV-Star’ – Mediale Diskurse in Cronenbergs Videodrome in: Selbst/Reflexionen. Von der Leinwand bis zum Interface, Matthias Steinle, Burkhard Röwekamp (Hrsg.), Marburg 2004, S. 152-165. F. Heller: Filmästhetik des Fluiden. Strömungen des Erzählens von Vigo bis Tarkowskij, von Huston bis Cameron, Paderborn und München 2010. Linda Hentschel: Körpergrenzen – Raumöffnungen: Der Wille zu reinem Sex und der Penetrationskonflikt der Zentralperspektive in: Dies. (Hrsg.), Pornotopische Techniken des Betrachtens. Raumwahrnehmung und Geschlechterordnung in visuellen Apparaten der Moderne, Marburg 2001, S. 18-48. Hans-Christian von Herrmann und Bernhard Siegert: „Belebte Statuen, zuckende Leichen. Medien der Verlebendigung vor und nach Guillaume-Benjamin Duchenne“ in: Körperinformation 384, Barbara Büscher et al, Leipzig 2000, S. 66-99. 73 2 Ralph Hexter: Canonicity in: The Oxford Handbook of Medieval Latin Literature, ed. by Ralph J. Hexter and David Townsend, Oxford and New York 2012, p. 25-44. Jamake Highwater: Freaks. Die Mythologie der Übertretung, Berlin 1998. Bruce Hoffman: Inside Terrorism, New York 2006. Katharina Holas: Transmissionen zwischen Technik und Kultur. Der mediologische Ansatz Régis Debrays im Verhältnis zu Actor-Network-Theorien, Berlin 2010. Ute Holl, Kino Trance und Kybernetik, Berlin 2002. U. Holl: „Wohin man blickt, entsteht ein dunkler Fleck.“ Raum, Licht und Blick in Filmen Josef von Sternbergs in: Blickzähmung und Augentäuschung. Zu Jacques Lacans Bildtheorie, Claudia Blümle und Anne von der Heiden (Hrsg.), Zürich und Berlin 2005, S. 289-316. Stefan Höltgen: „’The Retina of the mind’s Eye.’ Philosophie als Film am Beispiel von David Cronenbergs Videodrome” vom 24.3.2004, in: F.LM Texte zum Film, auch unter: http://www.f-lm.de/2004/03/19/»the-retina-of-the-minds-eye«/ (10.5.2012). Henrike Hölzer: Geblendet. Psychoanalyse und Kino, Wien 2005. Alex Honneth: Verdinglichung – Eine anerkennungstheoretische Studie, Frankfurt am Main 2005. Max Horkheimer und Theodor W. Adorno: Dialektik der Aufklärung, Frankfurt a. M. 1969. Egbert Hörmann: Hurra ein Junge! Ein schriller Streifzug durch schwule Welten, Berlin 1997. 73 3 Eva Horn: War Games. Der Kalte Krieg als Gedankenexperiment in: Science & Fiction. Über Gedankenexperimente in Wissenschaft, Philosophie und Literatur, Thomas Macho und Annette Wunschel (Hrsg.), Frankfurt a. M. 2004, 310-328. Horrorfilme. Von Apokalypsen, Viren und Zombies, arte-Kulturdoku von Luc Lagier, Frankreich 2010. John Lindell im Interview, Kunstforum Bd. 154, Heinz-Norbert Jocks (Hrsg.), April- Mai 2001, S. 141-145. Luce Irigaray: Speculum. Spiegel des anderen Geschlechts, Frankfurt a. M. 1980. Wolfgang Iser: Das Fiktive und das Imaginäre. Perspektiven literarischer Anthropologie, Frankfurt a. M. 1991. Wolfgang Jacobsen, Anton Kaes und Hans Helmut Prinzler (Hrsg.): Geschichte des deutschen Films, Stuttgart und Weimar 1993. Christian Jäger: Deleuze: eine Einführung, München 1997. Karl Jaspers: Einführung in die Philosophie. Zwölf Radiovorträge, München 1953. Henri-Pierre Jeudy: Die Trauer des Bildes in: Störzeichen. Das Bild angesichts des Realen (Medien ; 13), Oliver Fahle (Hrsg.) 2003, 182-189. Benjamin Kacas: Von Wunschmaschinen zu virtuellen Universen, Würzburg 2003. Franz Kafka: Sämtliche Erzählungen, Leipzig 1979. Eleonore Kalisch: Von der Ökonomie der Leidenschaften zur Leidenschaft der Ökonomie. Adam Smith und die Actor-Spectator-Kultur im 18. Jahrhundert, Berlin 2006. 73 4 Franz Kaltenbeck: „Masochismsus bei Freud“ in: Phantom der Lust. Visionen des Masochismus. Essays und Texte. Band 1, Peter Weibel (Hrsg.), Ausstellung(skatalog) Neue Galerie Graz am Landesmuseum Joanneum 26.4. - 24.8.2003, München 2003, S. 102-119. Siegfried Kaltenecker: Spiegelformen. Männlichkeit und Differenz im Kino, Basel, Frankfurt a. M. 1996.S. Kaltenecker: La Promesse du Bonheur: Die Masochismustheorie, Josef von Sternbergs Morocco, der Spiegel und die Zuschauerinnen in: Spiegelformen. Männlichkeit und Differenz im Kino, Basel, Frankfurt a. M. 1996 (a), S. 211-271. S. Kaltenecker: Die Ver-Dichtung der Männlichkeit. Zur hegemonialen Funktion des Erzählkinos in: Spiegelformen. Männlichkeit und Differenz im Kino, Basel, Frankfurt a. M. 1996 (b), S. 273-307. Dietmar Kamper: Die Ästhetik der Abwesenheit. Die Entfernung der Körper, München 1999. D. Kamper: Der Körper, das Wissen, die Stimme und die Spur, in: Quel Corps? Eine Frage der Repräsentation, Hans Belting, Dietmar Kamper, Martin Schulz (Hrsg.), München 2002, S. 167-174. Ernst Kapp: Der constituirte Despotismus und die constitutionelle Freiheit, Hamburg 1849, unter: http://books.google.com/books?id=IRVAAAAAYAAJ&printsec=frontcover&hl=de# v=onepage&q&f=false (11.8.2011). E. Kapp: Grundlinien einer Philosophie der Technik, Düsseldorf 1978 (photomechanischer Nachdruck der ersten Auflage Braunschweig 1877). Lily E. Kay: Wer schrieb das Buch des Lebens. Information und Transformation der Molekularbiologie in: Ansichten der Wissenschaftsgeschichte, Michael Hagener (Hrsg.), Frankfurt a. M. 2001, S. 489-523. 73 5 Daniel Kehlmann: Setz deinen Fuß auf meinen Nacken. Über Leopold von Sacher- Masoch in: Ders., Wo ist Carlos Montúfar? Über Bücher, Reinbek bei Hamburg 2005, S. 45-54. Ursula von Keitz und Thomas Weber (Hrsg.): Mediale Transformationen des Holocausts, Berlin 2013. Angela Keppler: Mediale Gegenwart. Eine Theorie des Fernsehens am Beispiel der Darstellung von Gewalt, Frankfurt a. M. 2006. Mohammed Masud R. Khan: Entfremdung bei Perversionen, Gießen 2002. Martin Kippenberger The problem perpective, The Museum of Contemporary Art, Los Angeles 2009. Friedrich Kittler: „Flechsig/Schreber/Freud: Ein Nachrichtennetzwerk der Jahrhundertwende“ in: Der Wunderblock. Zeitschrift für Psychoanalyse. No. 11/12, 1984, S. 56-68. F. Kittler: Grammophon, Film, Typewriter, Berlin 1986. F. Kittler: Die Welt des Symbolischen – eine Welt der Maschine in: Draculas Vermächtnis. Technische Schriften, Leipzig 1993 (a), S. 58-80. F. Kittler: Romantik – Psychoanalyse – Film: eine Doppelgängergeschichte in: Draculas Vermächtnis. Technische Schriften, Leipzig 1993 (b), S. 81-104. F. Kittler: Protected Mode in: Draculas Vermächtnis. Technische Schriften, Leipzig 1993 (c), S. 208-224. F. Kittler: Wenn die Freiheit wirklich existiert, dann soll sie doch ausbrechen in: Am Ende vorbei, R. Maresch (Hrsg.), Wien 1994, 95-129; auch unter: http://www.rudolf- maresch.de/interview/16.pdf (11.5.2013). 73 6 F. Kittler: Optische Medien, Berliner Vorlesung 1999, Berlin 2002 (a). F. Kittler: Short Cuts, Frankfurt a. M. 2002 (b). F. Kittler, Aufschreibsysteme 1800/1900, München 2003 (a). F. Kittler: „’Technisch ist der Krieg ein Quantensprung.’ Der Medienphilosoph Friedrich Kittler erklärt, warum ein Kampfeinsatz im Irak gute Gründe hat“, Interview in: Welt am Sonntag vom 2.3.2003 (b), auch unter: http://www.welt.de/print- wams/article123307/Technisch_ist_der_Krieg_ein_Quantensprung.html (18.6.2010). F. Kittler: Unsterbliche. Nachrufe, Erinnerungen, Geistergespräche, Stuttgart 2004. Heinrich von Kleist, Amphitryon, ein Lustspiel nach Molière, Stuttgart 2002. Getrud Koch: „Was ich erbeute, sind Bilder“. Zum Diskurs der Geschlechter im Film, Basel und Frankfurt a. M. 1989. G. Koch: A Pain in the Body, a Pleasure in the Eye. Somatische Performativität und filmisches Dispositiv in VALIE EXPORTS ‚Spielfilmen’ in: VALIE EXPORT, Mediale Anagramme, Ausstellungskatalog NGBK (Hrsg.), Berlin 2003. Albrecht Koschorke: Leopold von Sacher-Masoch. Die Inszenierung einer Perversion, München 1988. Siegfried Kracauer: Das Grauen im Film (1940) in: Ders., Kino. Essays, Studien, Glossen zum Film, Karsten Witte (Hrsg.), Frankfurt a. M. 1977. Richard von Krafft-Ebing: Neue Forschungen auf dem Gebiete der Psychopathia Sexualis (1890) in: Phantom Schmerz. Quellentexte zur Begriffsgeschichte des Masochismus, Michael Farin (Hrsg.), München 2003, 12-53. 73 7 R. von Krafft-Ebing: Psychopathia sexualis. Eine medicinisch-psychologische Studie, Stuttgart 1891. R. von Krafft-Ebing: Psychopathia sexualis. Mit besonderer Berücksichtigung der konträren Sexualempfindung. Eine medizinischgerichtliche Studie für Ärzte und Juristen. Bearbeitet [und herausgegeben] von Albert Moll, Stuttgart 1924. Sybille Krämer: Verschwindet der Körper? Ein Kommentar zu computererzeugten Räumen in: Raum – Wissen – Macht, Rudolf Maresch und Niels Werber (Hrsg.), Frankfurt a. M. 2002, S. 49-68. S. Krämer und Horst Bredekamp (Hrsg.): Bild – Schrift – Zahl, München 2003. Arthur und Marieluise Kroker: Hacking the Future & Kalifornischer Epilog, Wien 1996. Daniel Kulle: Ed Wood. Trash & Ironie, Berlin 2012. Werner Kutschmann: Der Naturwissenschaftler und sein Körper. Die Rolle der ‚innern Natur’ in der experimentellen Naturwissenschaft der frühen Neuzeit, Frankfurt a. M. 1986. Joachim Küchenhoff und Peter Warsitz: Sprachkörper und Körpersprache. Psychoanalytische Psychosentheorie nach Lacan, in: Arsenale der Seele, Friedrich Kittler, Georg Christoph Tholen (Hrsg.), München 1989, S. 117-135. Jacques Lacan: „Les formations de l’insconscient“ in: Bulletin de Psychologie XII/4 (1958). J. Lacan: Die Dritte. Vorlesung vor dem Kongreß in Rom (31.10. - 3.11.1974), erschienen in: Lettres de l’École freudienne, Nr. 16, 1975, p. 177-203, auch unter: http://www.valas.fr/Die-Dritte,019 (17.1.2012). 73 8 J. Lacan: Das Begehren zu schlafen, in: Der Wunderblock, Nr. 13, Berlin 1981/85. J. Lacan: Das Seminar über E. A. Poes „Der entwendete Brief“ in: Schriften I, Berlin 1986 (a), S. 7-60. J. Lacan: Das Spiegelstadium als Bildner der Ichfunktion, wie sie uns in der psychoanalytischen Erfahrung erscheint (Bericht für den 16. Internationalen Kongreß für Psychoanalyse in Zürich am 17. Juli 1949) in: Schriften I, Berlin 1986 (a), S. 61- 70. J. Lacan: Funktion und Feld des Sprechens und der Sprache in der Psychoanalyse in: Schriften I, Berlin 1986 (a), S. 71-169. J. Lacan: Das Drängen des Buchstabens im Unbewußten oder die Vernunft seit Freud in: Schriften II, Berlin 1986 (b), 15-59. J. Lacan: Über eine Frage, die jeder möglichen Behandlung der Psychose vorausgeht in: Schriften II, Berlin 1986 (b), S. 61-117. J. Lacan: Die Bedeutung des Phallus in: Schriften II, Berlin 1986 (b), S. 119-132. J. Lacan: Kant mit Sade in: Schriften II, Berlin 1986 (b), S. 133-163. J. Lacan: Subversion des Subjekts und Dialektik des Begehrens im Freudschen Unbewußten in: Schriften II, Berlin 1986 (b), S. 167-204. J. Lacan: Die Stellung des Unbewußten in: Schriften II, Berlin 1986 (b), S. 205-230. J. Lacan: Die Familie in: Schriften III, Berlin 1986 (c), S. 39-100. J. Lacan: Die logische Zeit und die Assertion der antizipierten Gewißheit in: Schriften III, Berlin 1986 (c), S. 101-121. 73 9 J. Lacan: „Hamlet“ in: Wo es war 2, Lublijana 1986 (d). J. Lacan: Seminar XI. Die vier Grundbegriffe der Psychoanalyse, Weinheim, Berlin 1987. J. Lacan: Radiophonie/Television, Weinheim, Berlin 1988. J. Lacan: Seminar I. Freuds technische Schriften, Berlin 1990. J. Lacan: Seminar II. Das Ich in der Theorie Freuds und in der Technik der Psychoanalyse, Berlin 1991 (a). J. Lacan: Seminar XX. Encore, Berlin 1991 (b). J. Lacan: Seminar VII. Die Ethik der Psychoanalyse, Berlin 1996. J. Lacan: Seminar III. Die Psychosen, Berlin 1997. J. Lacan: Psychoanalyse und Kybernetik oder Von der Natur der Sprache in: Kursbuch Medienkultur. Die maßgeblichen Theorien von Brecht bis Baudrillard, Claus Pias, Joseph Vogl, Lorenz Engell, Oliver Fahle und Britta Neitzel (Hrsg.), Stuttgart 2000. J. Lacan: Über die paranoische Psychose in ihren Beziehungen zur Persönlichkeit, Wien 2002 (1932). J. Lacan: Das Seminar IV. Die Objektbeziehung, Wien 2003. J. Lacan: Le séminaire livre X: L’angoisse, Paris 2004. J. Lacan: Le Séminaire XVI: D’un Autre à l’autre, Paris 2006. J. Lacan: Meine Lehre, Wien 2008. 74 0 J. Lacan: Das Seminar, Buch X: Die Angst. Wien 2010. Sybille Lacan: Ein Vater. Puzzle, Frankfurt a. M. 2001. Ernesto Laclau und Chantal Mouffe: Hegemony and Socialist Strategy. Towards a Radical Democratic Politics, London 1985 (Hegemonie und radikale Demokratie. Zur Dekonstruktion des Marxismus, Wien 1991). George Lakoff and Mark Johnson: Metaphors We Live By, Chicago 1980. Angela Lammert: Zwischen Herbarium und Film – das Bilddenken von Karl Blossfeldt in: Konstruktionen von Natur. Von Blossfeldt zur Virtualität, Akademie der Künste (Hrsg.), Dresden 2001, S. 49-66. Carsten Lange: Bioterror und Virusangst. Zur Bebilderung neuester Bedrohungspotentiale im Videospiel Resident Evil 5 (2009) in: Dawn of an Evil Millennium, Horror/Kultur im neuen Jahrtausend, Jörg van Bebber (Hrsg.), Darmstadt 2011, 577-582. Jean Laplanche: Masochismus und allgemeine Verführungstheorie in: Die unvollendete kopernikanische Revolution in der Psychoanalyse, Frankfurt a. M. 1996, S. 202-221. J. Laplanche und Jean-Bertrand Pontalis: Das Vokabular der Psychoanalyse, Frankfurt a. M. 1972. Maurizio Lazzarato: Videophilosophie. Zeitwahrnehmung im Postfordismus, Berlin 2002. Henri Lefèbvre: Le droit à la ville, Paris 1968. David Leheny: Think Global, Fear Local. Sex, Violence and Anxiety in Contemporary Japan, Ithaca/New York 2006. 74 1 Stanisław Lem: Die Technologiefalle. Essays, Frankfurt a. M. 2000. Burkhard Lindner: Das Optisch-Unbewußte. Zur medientheoretischen Analyse der Reproduzierbarkeit in: Übertragung – Übersetzung – Überlieferung. Episteme und Sprache in der Psychoanalyse Lacans, Georg Christoph Tholen, Gerhard Schmitz, Manfred Riepe (Hrsg.), Bielefeld 2001, S. 271-289. Charles Londe: Nouveaux éléments d’hygiène, rédigés suivant les principes de la nouvelle doctrine médicale, 2. Bde., Paris 1827. Zvi Lothane, Seelenmord und Psychiatrie, Zur Rehabilitierung Schrebers, Gießen 2004. Niklas Luhmann: Kultur als historischer Begriff in: Ders., Gesellschaftsstruktur und Semantik. Studien zur Wissenschaftssoziologie der Modernen Gesellschaft. Bd. 4, Frankfurt a. M., S. 31-54. D. Martin Luther, Die ganze heilige Schrift, Altes Testament, Das Buch der Richter, C. XVI. Thomas Macho: „Stifters Dinge“, in: Merkur. Deutsche Zeitschrift für europäisches Denken 676, Heft 2005/8, Stuttgart 2005, S. 735-741; sowie in: Die Rampe. Hefte für Literatur 2/05: „Stifterreden“, Linz 2005, S. 51-57. Klaus Mainzer: Eine Wissenschaft vom Künstlichen und Komplexen: Synthetische Biologie als Technikwissenschaft des 21. Jahrhunderts in: Synthetische Biologie. Die Geburt einer neuen Technikwissenschaft. acatech DISKUSSION, Alfred Pühler, Bernd Müller-Röber, Marc-Denis Weitze (Hrsg.), Berlin 2011, S. 19-35. Thomas Mann: Amphitryon. Eine Wiedereroberung, in: Heinrich von Kleist. Aufsätze und Essays, Walter Müller-Seidel (Hrsg.), Darmstadt 1967. Nick Mansfield: Masochism. The Art of Power, Westport, Connecticut, London 1997. 74 2 N. Mansfield: „Dieser Mann ... in der Gewalt eines Weibes ... im Dunkeln ...“ Der Masochist und die Wahrheit in: Phantom der Lust. Visionen des Masochismus. Essays und Texte. Band 1, Peter Weibel (Hrsg.), Ausstellung(skatalog) Neue Galerie Graz am Landesmuseum Joanneum 26.4. - 24.8.2003, München 2003, S. 432-447. Ernest Mathijs: The cinema of David Cronenberg. From baron of blood to cultural hero, London 2008. Armand Mattelart: Kommunikation ohne Grenzen. Geschichte der Ideen und Strategien globaler Vernetzung, Rodenbach 1999. Jacques Mayer: Sade-Chronik des 20. Jahrhunderts in: Sade/Surreal. Der Marquis de Sade und die erotische Fantasie des Surrealismus in Text und Bild, Ausstellung(skatalog) Kunsthaus Zürich vom 30. November 2001 bis 3. März 2002, Tobia Bezzolla, Michael Pfister, Stefan Zweifel (Hrsg.), Ostfildern-Ruit 2001, S. 172- 175. Marshall McLuhan: Die magischen Kanäle, Dresden und Basel 1995. M. McLuhan: Die mechanische Braut, Amsterdam 1996. Jens Meinrenken: Bullet Time & Co. Steuerungsutopien von Computerspielen und Filmen als raumzeitliche Fiktion in: Spielformen im Spielfilm. Zur Medienmorphologie des Kinos nach der Postmoderne, Rainer Leschke, Jochen Venus (Hrsg.), Bielefeld 2007, S. 239-270. Kolja Mensing: „Pathologie und Pathos“, taz-Artikel vom 17.5.2003, auch unter: http://www.taz.de/1/archiv/archiv/?dig=2003/05/17/a0140 (10.5.2012). Dieter Mersch: Kritik des Medienteleologismus. McLuhan, Flusser und Hegel in: McLuhan neu lesen. Kritische Analysen zu Medien und Kultur im 21. Jahrhundert, Derrick de Kerckhove, Martina Leeker, Kerstin Schmidt (Hrsg.), Bielefeld 2008, S. 196-209. 74 3 Arno Meteling: Monster. Zur Körperlichkeit und Medialität im modernen Horrorfilm, Bielefeld 2006. A. Meteling: Zum ästhetischen Regime der Gewalt in „Marathon Man“, „A Clockwork Orange“ und „Hostel“ in: Wahrheit und Gewalt. Der Diskurs der Folter in Europa und den USA, Thomas Weitin (Hrsg.), Bielefeld 2010. 187-206. Christian Metz: Der imaginäre Signifikant. Psychoanalyse und Kino, Münster 2000. Florian Mildenberger: Richard von Krafft-Ebing und sein Masochismus in: Phantom Schmerz. Quellentexte zur Begriffsgeschichte des Masochismus, Michael Farin (Hrsg.), München 2003, 58-68. Jacques-Alain Miller: Suture (Elements of the logic of the signifier) in: Screen, Vol. 18, No. 4 (1977/78), S. 24-34. J.-A. Miller: „A Reading of the Seminar From an Other to the other“ in: lacanian ink, spring 2007, New York. Martin Mittelmeier: „Es gibt kein richtiges Sich-Ausstrecken in der falschen Badewanne“, in: Recherche – Zeitung für Wissenschaft vom 31.1.2010. Klaus Mladek: Folter und Scham. Anmerkungen zu Guantánamo und Abu Ghraib in: Wahrheit und Gewalt. Der Diskurs der Folter in Europa und den USA, Thomas Weitin (Hrsg.), Bielefeld 2010, S. 243-265. Tania Modleski: Lethal Bodies In: Dies, Feminism without Women. Culture and Criticism in an „Postfeminist“ Age, New York, London 1991. Helge Mooshammer: Cruising. Architektur, Psychoanalyse und Queer Cultures, Wien, Köln und Weimar 2005. Curt Moreck: Die Sittegeschichte des Kinos, Dresden 1926. 74 4 Edgar Morin: Le cinéma ou L’homme imaginaire. Essai d’anthropologie sociologique, Paris 1956. David B. Morris: Geschichte des Schmerzes, Frankfurt a. M. und Leipzig 1994. George L. Mosse: Das Bild des Mannes. Zur Konstruktion der modernen Männlichkeit, Berlin 1996. Laura Mulvey: Visuelle Lust und narratives Kino (1973) in: Texte zur Theorie des Films, Franz-Josef Albersmeier (Hrsg.), Stuttgart 1998, S. 389-408. Michel de M’Uzan: M. in: POLYSEXUALITY [Semiotext(e) # 10], François Peraldi (Hrsg.), New York 1995. 162-166. Heiner Müller: „Zur Lage der Nation“. Heiner Müller im Interview mit Frank M. Raddatz, Berlin 1990. H. Müller: „Jenseits der Nation“. Heiner Müller im Interview mit Frank M. Raddatz, Berlin 1991. Katharina Müller-Roselius: Die metaphorische Konzeptualisierung der Natur am Beispiel der Schutzstation Wattenmeer in: Wolfgang Settekorn und Daniela Garl (Hrsg.): Bilder vom Watt. Ansichten, Einsichten und Einsätze in Alltag, Wissenschaften und Medien, Hamburg 2007, S. 116-139. Hugo Münsterberg: Das Lichtspiel: eine psychologische Studie (1916) und andere Schriften zum Kino, Jörg Schweinitz (Hrsg.), Wien 1996. Nahaufnahme Michael Haneke. Gespräche mit Thomas Assheuer, Berlin 2008. Sabine Nessel: Immersionsgehege. Wie Zoo und Kino die Sinne der Zuschauer ansprechen: Vortrag am 3.10.2009 auf der Jahrestagung der Gesellschaft für Medienwissenschaft 2009 in Wien. 74 5 Gerhard Neumann: Das Stocken der Sprache und das Straucheln des Körpers in: Heinrich von Kleist. Kriegsfall–Rechtsfall–Sündenfall, Ders. (Hrsg.), Freiburg im Breisgau 1994. Kim Newak: Nightmare Movies, London and Bloomsbury 1988. Katharina Niemeyer: Die Mediasphären des Terrorismus. Eine mediologische Betrachtung des 11. September, Berlin 2006. Friedrich Nietzsche: Sämtliche Werke, Kritische Studienausgabe, Giorgio Colli und Mazzino Montinari (Hrsg.), München. Berlin, New York 1980. F. Nietzsche: Die Fröhliche Wissenschaft, Frankfurt a. M. 1982. Christina Nord: „Die Erzählung tröstet“ in der taz vom 19.9.2012 (Rezension zu Michael Hanekes Spielfilm LIEBE [2012]). André Nusselder: Interface Fantasy. A Lacanian Cyborg Ontology, Cambridge (Massachussetts) 2009. Beate Ochsner: Die (Un-)Ordnung der Bilder. Zum Status der Realitäten in Videodrome (1982) und eXistenZ (1998). Zur Konfusion der Bilder in: Störzeichen. Das Bild angesichts des Realen (Medien ; 13), Oliver Fahle (Hrsg.) 2003, S. 157-178. Almut Oetjen und Holger Wacker: Organischer Horror. Die Filme des David Cronenberg, Meitingen 1993. Jean-Pierre Oudart: Cinema and Suture, in: Screen, Vol. 18, No. 4 (1977/78), S. 35- 47. Our bodies, ourselves: pregnancy and birth, The Boston Women’s Health Book Collective, (ed.), New York 2008. 74 6 Gerda Pagel: Lacan zur Einführung, Hamburg 1989. Camille Paglia: Die Masken der Sexualität, Berlin 1992. Michael Palm: See you in Pittsburgh. Das neue Fleisch in Videodrome in: Und das Wort ist Fleisch geworden. Texte über Filme von David Cronenberg, Drehli Robnik und Micheal Palm (Hrsg.), Wien 1992, S. 155-173. Wolfgang Pauser: „Friede! Freude!! Eierkuchen!!!“ in: Die Zeit Nr. 28 vom 7. Juli 1995. W. Pauser: Wunschobjekt Kristall in: Psyche – Körper – Material. Analysen von Menschen und Gegenständen, Institut für Gegenwartskunst, Wien und Neue Wiener Gruppe/Lacan Schule (Hrsg.), Wien 1997, S. 53-65. Karl-Josef Pazzini: Zeige-Stöcke und andere Medien. Zur Aggressivität von Medien in der Bildung in: Konfigurationen zwischen Kunst und Medien, Sigrid Schade, Georg Christoph Tholen (Hrsg.), München 1999, 321-337. Christiane Peitz: „Junkies der Angst“, Zeit-Online vom 12.8.2009, unter: http://www.zeit.de/online/2009/33/film-junkies-der-angst/seite-1 (Rezension zu Kathryn Bigelows Film THE HURT LOCKER) (18.06.2011). Pascal Pfitzenmaier: Die Rolle der technischen Medien für das Kriegserlebnis bei Ernst Jünger. In „Stahlgewittern“ und „Der Kampf als inneres Erlebnis“, Hausarbeit 2004 im HS Literatur des ersten Weltkrieges WS 2003/2004, Institut für Neuere deutsche Literatur der HU zu Berlin. John Phillips: The Marquis de Sade. A Very Short Introduction. Oxford, New York 2005. Philosophie – Maschine. Raphaël Enthoven diskutiert mit Frédéric Vengeon über das Paradox der Maschine, arte-Sendung vom 8. Januar 2011. 74 7 Max Picard: Der letzte Mensch, Leipzig, Wien, Zürich 1921. M. Picard: Die Flucht vor Gott, 4. Aufl., Erlenbach-Zürich, Konstanz 1980. Steven Pinker im taz-Interview vom 30.11.2011: „Das Ende der Gewalt. Kaufen ist billiger als stehlen.“ Interview: David Caspar Boehme, auch unter: http://www.taz.de/Das-Ende-der-Gewalt/!82774/ (1.12.2011). Helmuth Plessner: Die Stufen des Organischen und der Mensch: Einleitung in die philosophische Anthropologie, Berlin, New York 1975. Ines Pohl: „Einigermaßen aufrecht. Abgänge. Christian Wulff hat ihn verpasst, Margot Käßmann hat ihn noch rechzeitig ergriffen – den Moment, wann es Zeit ist, zu gehen.“ taz vom 8.2.2013. René Pollesch im taz-Interview vom 9./10.3.2013: „Meine Texte sind Sehhilfen für die Wirklichkeit“, Interview: Patricia Hecht und Katrin Bettina Müller. Mario Praz: Liebe, Tod und Teufel. Die schwarze Romantik, München 1994 (Erstausgabe Florenz 1930). Beatriz Preciado: Kontrasexuelles Manifest, Berlin 2004. Carl du Prel: Entwicklungsgeschichte des Weltalls. Entwurf einer Philosophie der Astronomie; Leipzig 1882. Alfred Pühler, Bernd Müller-Röber, Marc-Denis Weitze (Hrsg.): Synthetische Biologie. Die Geburt einen neuen Technikwissenschaft. acatec DISKUSSION, Berlin 2011. Simon Pühler: METAFLESH. Cronenberg mit Lacan. Körpertechnologien in SHIVERS und eXistenZ, Berlin 2006. 74 8 S. Pühler: „Wo ist Eins? Kugelwesen, Narziss und Cyborgs“ in: eins, 2 agenten, Agentur für Illustration (Hrsg.), Berlin 2007 (a), S. 33-35. S. Pühler: „SM-Räume“ in: basso magazin 5/2007 (b) (zum Thema out of place). S. Pühler: „Von der Ökonomie der Leidenschaften zur Leidenschaft der Ökonomie. Adam Smith und die Actor-Spectator-Kultur im 18. Jahrhundert“ (Online-Rezension zu Eleonore Kalischs gleichnamigen Buch) unter: http://www.avinus-magazin.eu/2008/09/24/puhler-simon-uber-von-der-okonomie-der- leidenschaften-zur-leidenschaft-der-okonomie-adam-smith-und-die-actor-spectator- kultur-im-18-jahrhundert-von-eleonore-kalisch-24092008/ (30.9.2014) S. Pühler: „Halte ich das noch aus? Gehe ich raus?“ Spielräume des Sadomasochismus in Michael Hanekes Funny Games U.S., Avinus Magazin Sonderheft 12/2010, Berlin. S. Pühler: Spiel ohne Grenzen. Sadistische Gewalt als Ausdruck vager Ängste im Japan der Jahrtausendwende und einer globalisierten Welt. Zu Kinji Fukasakus Battle Royale (2000) in: Dawn of an Evil Millennium, Horror/Kultur im neuen Jahrtausend, Jörg van Bebber (Hrsg.), Darmstadt 2011, S. 39-46. Joachim Radkau im Interview: „’Die Ökos haben unser Bild geprägt.’ Die Grünen haben maßgeblich zur Zivilisierung Deutschlands beigetragen. Ein Grund zur Selbstgefälligkeit ist das nicht“, taz vom 12.04.2012. Ellie Ragland-Sullivan: Jacques Lacan und die Philosophie der Psychoanalyse, Berlin 1989. „Rasterfahndung. Das Raster in der Kunst nach 1945“, Ausstellung am Kunstmuseum Stuttgart 5.5. - 7.10.2012, Ulrike Groos, Simone Schimpf (Hrsg.), Köln 2012. Hans Ulrich Reck: Kunst als Medientheorie, München 2003. 74 9 Wilhelm Reich: Der masochistische Charakter. Eine sexualökonomische Widerlegung des Todestriebes und des Wiederholungszwanges (1932) in: Phantom Schmerz. Quellentexte zur Begriffsgeschichte des Masochismus, Michael Farin (Hrsg.), München 2003, 514-558. Theodor Reik: Aus Freuden Leiden. Masochismus und Gesellschaft, Hamburg 1977. Philippe Reliquet: Ritter, Tod und Teufel. Gilles de Rais: Monster, Märtyrer, Weggefährte Jeanne d’Arcs, München 1990. Birgit Richard: Metrosexual. Schwule Crossovers in den Mainstream in: Kunstforum. Der homoerotische Blick, Norbert Jocks (Hrsg.) Band 154 April, Mai 2001, S. 152- 165. Paul Ricœur: Die Interpretation, Ein Versuch über Freud, Frankfurt a. M. 1993. Stefan Rieger: Organische Konstruktionen. Von der Künstlichkeit des Körpers zur Natürlichkeit der Medien in: McLuhan neu lesen. Kritische Analysen zu Medien und Kultur im 21. Jahrhundert, Derrick de Kerckhove, Martina Leeker, Kerstin Schmidt (Hrsg.), Bielefeld 2008, S. 252-269. Manfred Riepe: „Karzinome der Lust – Körper und Fremdkörper in David Cronenbergs Filmen“, in: Die Zukunft des Körpers II, Kunstforum, Bd. 133, April 1996, 11 Seiten nach einer Kopie. M. Riepe: Bildgeschwüre. Körper und Fremdkörper im Kino David Cronenbergs, Bielefeld 2002 (a). M. Riepe: „Film und Metapher – David Cronenberg“ in: F.LM. Texte zum Film 2/2002 (b), S. 32-44. Axel Roch und Bernhard Siegert: Maschinen, die Maschinen verfolgen. Über Claude E. Shannons und Norbert Wieners Flugabwehrsysteme in: Konfigurationen zwischen 75 0 Kunst und Medien, Sigrid Schade, Georg Christoph Tholen (Hrsg.), München 1999, S. 219-229. Christopher Rodley: Cronenberg on Cronenberg edited by Chris Rodley, London 1997. Miriam Rohde: „Die politische Dimension von Fukasaku Kinjis Spielfilm Battle Royale“, in: Nachrichten der Gesellschaft für Natur- und Völkerkunde Ostasiens, Hamburg: Jg. 77, Nr. 1, S. 49-68. Auch unter: http://www.uni- hamburg.de/oag/noag/noag2007_5.pdf (1.10.2014). Marc Rölli: Ereignis im Stillstand. Betrachtungen zur Wiederholung des Neuen in: Stehende Gewässer. Medien der Stagnation, Butis Butis (Hrsg.), Zürich und Berlin 2007, S. 171-187. Agata Rothermel: Die Konstruktion des Weiblichen und Männlichen im Werk von Leopold von Sacher-Masoch: ‚Die Liebe ist der Krieg der Geschlechter’, München 2008. Karl E. Rothschuh: Geschichte der Physiologie, Berlin 1953. K. E. Rothschuh: Physiologie. Der Wandel ihrer Konzepte, Probleme und Methoden vom 16. bis 19. Jahrhundert, München 1968. Elisabeth Roudinesco: Jacques Lacan. Bericht über ein Leben. Geschichte eines Denksystems, Aus dem Französischen von Hans-Dieter Gondek, Köln 1996. François Roustang: Un destin si funeste, Paris 1976. Holger Rudloff: Pelzdamen. Weiblichkeitsbilder bei Thomas Mann und Leopold von Sacher-Masoch, Frankfurt a. M. 1994. 75 1 Katharina Rutschky (Hrsg.): Schwarze Pädagogik. Quellen zur Naturgeschichte der bürgerlichen Erziehung, Berlin 1997. Leopold von Sacher-Masoch: Venus im Pelz. Mit einer Studie über den Masochismus von Gilles Deleuze, Frankfurt a. M. 1980. L. von Sacher-Masoch: Souvenirs. Autobiografische Prosa, Michael Farin (Hrsg.), München 1985. L. von Sacher-Masoch: Der Kapitulant in: Ders., Venus im Pelz und andere Erzählungen, Köln 1996, S. 209-266. L. von Sacher-Masoch: Venus im Pelz (Ausgabe letzter Hand [1869/1878]), München 2003. Wanda von Sacher-Masoch: Lebensbeichte, Lisbeth Exner und Michael Farin (Hrsg.), München 2003 (a) (1906). W. von Sacher-Masoch: Masochismus und Masochisten, Nachtrag zur Lebensbeichte, in: Lebensbeichte (dies.), Lisbeth Exner und Michael Farin (Hrsg.), München 2003 (b) (1908), 315-348. Rolf Sachsse: Die Liebe und die Reproduktion. Eine Marginalie zur Photographie im Werk von Leopold von Sacher-Masoch in: Phantom der Lust. Visionen des Masochismus. Essays und Texte. Band 1, Peter Weibel (Hrsg.), Ausstellung(skatalog) Neue Galerie Graz am Landesmuseum Joanneum 26.4. - 24.8.2003, München 2003, S. 398-401. Donatien Alphonse François Marquis de Sade: Œuvre complètes du Marquis de Sade, 16 Bde., Gilbert Lely (Hrsg.), Paris 1966/67. D. A. F. de Sade: Die 120 Tage von Sodom in: Ausgewählte Werke, Marion Luckow (Hrsg.), Frankfurt a. M. 1972. 75 2 D. A. F. de Sade: Die Philosophie im Boudoir, München 1975. D. A. F. de Sade: Franzosen, noch eine Anstrengung, wenn Ihr Republikaner sein wollt, Berlin 1984. D. A. F. de Sade: Die Geschichte der Juliette in: Ausgewählte Werke, Marion Luckow (Hrsg.), Hamburg 1989. D. A. F. de Sade: Justine und Juliette, 10 Bde., München 1990 ff. D. A. F. de Sade: Voyage d’Italie, Maurice Lever (ed.), Paris 1995. Elisabeth Samsonow: Der Körper als Passage. Mediation über das Wachsen, in: Quel Corps? Eine Frage der Repräsentation, Hans Belting, Dietmar Kamper, Martin Schulz (Hrsg.), München 2002, S. 175-187. Joel Sanders (ed.): Stud. Architectures of Masculanity, New York 1996. Lara Samuel: „Je vais faire de vous mon jouet“. Das Erotische bei Leopold von Sacher-Masoch und seine Rezeption in Frankreich unter: http://othes.univie.ac.at/2262/1/2008-11-01_0403715.pdf, 2008 (27.11.2012). Philipp Sarasin: Reizbare Maschinen, Eine Geschichte des Körpers 1765-1914, Frankfurt a. M. 2001. P. Sarasin: „Anthrax“. Bioterror als Phantasma, Frankfurt a. M. 2004. Frank Schäfer: „Es gibt kein Blau. Was hat George W. Bush mit Foucault zu tun? In seinen Essays, unter dem Titel ,Orangen! Erdnüsse!’ erschienen, findet Eliot Weinberger überall Exotisches. So lassen sie die Unterschiede zwischen den Gegenständen umso deutlicher hervortreten.“ taz vom 13.11.2011. 75 3 Herrad Schenk: Die feministische Herausforderung. 150 Jahre Frauenbewegung in Deutschland, München 1992, S. 104-186. Carl Felix von Schlichtegroll: Sacher-Masoch, München 2003 (Dresden 1901/1906). Stefanie Schmidt: Film und Erinnerung. Das Kristall-Bild von Gilles Deleuze als Verschränkung von Sagbarem und Sichtbarem oder Psychoanalyse und Zeitphilosophie, Berlin 2005. Herbert Schnädelbach: Philosophie in Deutschland 1831-1933. Frankfurt a. M. 1999. Irmela Schneider: Anthropologische Kränkungen – Zum Zusammenhang von Medialität und Körperlichkeit in Mediendiskursen, in: Was vom Körper übrig bleibt. Körperlichkeit – Identität – Medien, Barbara Becker, Irmela Schneider (Hrsg.), Frankfurt a. M. 2000, S. 13-39. Stuart Schneiderman: Jacques Lacan. The Death of an Intellectual Hero, New York 1983. Daniel Paul Schreber: Denkwürdigkeiten eines Nervenkranken, Berlin 1995 (1903). Markus Schroer: Räume, Orte, Grenzen. Auf dem Weg zu einer Soziologie des Raums, Frankfurt a. M. 2006. Jens Schröter: Von Heiß/Kalt zu Analog/Digital. Die Automation als Grenze von McLuhans Medienanthropologie in: McLuhan neu lesen. Kritische Analysen zu Medien und Kultur im 21. Jahrhundert, Derrick de Kerckhove, Martina Leeker, Kerstin Schmidt (Hrsg.) Bielefeld 2008, 304-320. Gerhard Schulze: Die Erlebnisgesellschaft. Kultursoziologie der Gegenwart, Frankfurt, New York 1996. 75 4 Heidemarie Schumacher: Fernsehen fernsehen: Modelle der Medien- und Fernsehtheorie, Köln 2000. Erhard Schüttpelz: Die medienanthropologische Kehre der Kulturtechniken in: Kulturgeschichte als Mediengeschichte (oder vice versa?), Lorenz Engell, Bernhard Siegert und Joseph Vogl (Hrsg.), Weimar 2006, 87-110. Georg Seeßlen: „Gewalt im populären Film – Gesellschaftliche Realität und Ästhetik der Gewalt“ in: medien praktisch 1/1993, S. 9-15. Edith Seifert: Was will das Weib? Zu Begehren und Lust bei Freud und Lacan, Berlin 1987. E. Seifert: Vom Fluidum zur Libido. Der halluzinatorische Charakter der Libido in: Übertragung – Übersetzung – Überlieferung. Episteme und Sprache in der Psychoanalyse Lacans, Georg Christoph Tholen, Gerhard Schmitz, Manfred Riepe (Hrsg.), Bielefeld 2001, 323-342. Robert T. Self: Robert Altman’s Subliminal Realitiy, Minneapolis 2002. Richard Sennett: Fleisch und Stein. Der Körper und die Stadt in der westlichen Zivilisation, Frankfurt a. M. 1997. Michel Serres: Hermes I. Kommunikation, Berlin 1991. Steven Shaviro: David Cronenberg in: Doom Patrols. Streifzüge durch die Postmoderne, Mannheim 1997, S. 158-173. Bernhard Siegert: Relais: Geschicke der Literatur als Epoche der Post 1751-1913, Berlin 1993. B. Siegert: Passage des Digitalen. Zeichenpraktiken der neuzeitlichen Wissenschaften 1500-1900, Berlin 2003. 75 5 Volkmar Sigusch, Geschichte der Sexualwissenschaft, Frankfurt a. M. 2008. Kaja Silverman: „Masochism and Male Subjectivity“ in: Camera obscura 17 (1988), 31-68. K. Silverman: Male Subjectivity at the margins, New York 1992. Alan Sokal und Jean Bricmont: Eleganter Unsinn. Wie die Denker der Postmoderne die Wissenschaften mißbrauchen, München 1999. Philippe Sollers: Sade Contra The Supreme Being in: The Divine De Sade, Deepak Narang Sawhney (Hrsg.), PLI Warwick Journal of Philosophy, Conventry 1994, S. 67-94. Susan Sontag: „Regarding the Torture of Others“ in: New York Times Magazine 23 (Mai 2004). Ingrid Spörk: Männlich. Präödipal. Kulturtheoretische und psychoanalytische Überlegungen zu Leopold von Sacher-Masoch in: Phantom der Lust. Visionen des Masochismus. Essays und Texte. Band 1, Peter Weibel (Hrsg.), Ausstellung(skatalog) Neue Galerie Graz am Landesmuseum Joanneum 26.4. - 24.8.2003, München 2003, S. 138-148. Allan Stanbrook: „Cronenberg’s Creative Cancers“, in: Sight and Sound 58/1, Winter 1988/89, p. 54-66. Marcus Steinweg: Autofahren mit Lacan, Koblenz 2001. Josef von Sternberg: „Glamor“ (1963) in: Filmkritik 2 (1969), S. 130-132. Karl-Heinz Stierle: Amphytrion in: Interpretationen: Kleists Dramen, Walter Hinderer (Hrsg.), Stuttgart 1997, S. 33-74. 75 6 Marcus Stiglegger: Sadiconazista – Sexualität und Faschismus im Film der siebziger Jahre bis heute, St. Augustin 1999. M. Stiglegger: Terrorkino. Angst/Lust und Körperhorror, Berlin 2010. Bernd Stöver: Der kalte Krieg. Geschichte eines radikalen Zeitalters 1947-1991, München 2007. Bastian Strinz: „Das Obszöne Werk von Georges Bataille. Ästhetisierte Angst(Lust) als Kommunikationsmodell“ vom 31.1.2011 unter: http://www.kritische- ausgabe.de/artikel/das-obszöne-werk-von-georges-bataille (2.12.2012). Gaylyn Studlar: In the Realm of Pleasure. Von Sternberg, Dietrich, and the Masochistic Aesthetic, Urbana, Chicago 1985 (a). G. Studlar: „Schaulust und masochistische Ästhetik“ in: Frauen und Film, Heft 39 1985 (b), S. 15-39. G. Studlar: Schaulust und Masochistische Ästhetik in: Phantom der Lust. Visionen des Masochismus. Essays und Texte. Band 1, Peter Weibel (Hrsg.), Ausstellung(skatalog) Neue Galerie Graz am Landesmuseum Joanneum 26.4. - 24.8.2003, München 2003 (a), S. 326-354. G. Studlar: Die Konstruktion der Femme Fatale des Masochismus in Max Ophüls „Lola Montez“ in: Phantom der Lust. Visionen des Masochismus. Essays und Texte. Band 1, Peter Weibel (Hrsg.), Ausstellung(skatalog) Neue Galerie Graz am Landesmuseum Joanneum 26.4. - 24.8.2003, München 2003 (b), S. 356-366. Klaus Theweleit: Männerphantasien 1. Frauen, Fluten, Körper, Geschichte, Frankfurt a. M. 1980 (a). K. Theweleit: Männerphantasien 2. Männerkörper – zur Psychoanalyse des weißen Terrors, Frankfurt a. M. 1980 (b). 75 7 K. Theweleit: Übertragung und Gegenübertragung. Der dritte Körper: Schwingungsobjekt zwischen Mensch und technischen Medien in: Wort und Fleisch: Kino zwischen Text und Körper, Sabine Nessel, Winfried Pauleit, Christine Rüffert, Karl-Heinz Schmid, Alfred Tews (Hrsg.), Berlin 2008, S. 91-110. Georg Christoph Tholen: Die Zäsur der Medien: Kulturphilosophische Konturen, Frankfurt a. M. 2002. Christian Braad Thomson: Fassbinder und der Terrorismus in: Text & Kontext, hrsg. von Klaus Bohnen und Conny Bauer, Heft 1, Jahrgang 8, München und Kopenhagen 1980, S. 145-164. Tzetvan Todorov: Einführung in die phantastische Literatur, Frankfurt a. M. 1992. Julien Torma: Euphorismen, Mit Illustrationen von Julien Torma, Berlin 2009 (1926). Bodo Traber: Spätes 20. Jahrhundert. Die frühen Jahre von STEREO bis RABID in: Und das Wort ist Fleisch geworden, Drehli Robnik und Michael Palm (Hrsg.), Wien 1992, S. 13-23. Helga M. Treichl: Technik, Medien und Gender. Zum „Paradigmenwechsel“ des Körpers, Wien 2005. Monika Treut: Die grausame Frau: zum Frauenbild bei de Sade und Sacher-Masoch, Basel, Frankfurt a. M. 1990. John Tyndall: Faraday und seine Entdeckungen. Eine Gedenkschrift von John Tyndall. Uebersetzt von Helmholtz, Braunschweig 1870. Jochen Venus: Vitale Maschinen und programmierte Androiden. Zum Automatendiskurs des 18. Jahrhunderts in: Mediale Anatomien, Menschenbilder als Medien-Projektionen, Annette Keck, Nicolas Pethes (Hrsg.), Bielefeld 2001, S. 253- 266. 75 8 Paul Virilio: Fahren, fahren, fahren..., Berlin 1978. P. Virilio: Geschwindigkeit und Politik: ein Essay zur Dromologie, Berlin 1980. P. Virilio: Ästhetik des Verschwindens, Berlin 1986. P. Virilio: Die Eroberung des Körpers. Vom Übermenschen zum überreizten Menschen, München, Wien 1994 (a). P. Virilio: Das Privileg des Auges in: Bildstörung, Jean-Pierre Dubost (Hrsg.), Leipzig 1994 (b), S. 55-71. P. Virilio: New York im Delirium in: Ders., Ereignislandschaft, München, Wien 1998, S. 41-46. P. Virilio: Pure War in: SEMIOTEXT(E), THE GERMAN ISSUE (1982), Sylvère Lotringer (ed.), second edition prepared by Hedi El Kholti, Los Angeles 2009 (a), 306-316. P. Virilio: Der eigentliche Unfall, Wien 2009 (b). Amos Vogel: Film als subversive Kunst. Kino wider die Tabus – von Eisenstein bis Kubrick, St. Andrä-Wördern 1997. Waldemar Vogelsang: Jugendliche Videocliquen, Opladen 1991. Joseph Vogl: „Zur Einführung“ (in das Kapitel „Technologien des Unbewußten“) in: Kursbuch Medienkultur. Die maßgeblichen Theorien von Brecht bis Baudrillard, Claus Pias, Joseph Vogl, Lorenz Engell, Oliver Fahle und Britta Neitzel (Hrsg.), Stuttgart 2000, S. 373-376. J. Vogl: Das Gespenst des Kapitals, Zürich 2010/2011. 75 9 Yvonne Volkarts: Fluide Subjekte. Anpassung und Widerspenstigkeit in der Medienkunst, Bielefeld 2006. Bernhard Waldenfels: Experimente mit der Wirklichkeit in: Medien, Computer, Realität. Wirklichkeitsvorstellungen und Neue Medien, Sybille Krämer (Hrsg.), Frankfurt a. M. 1998, S. 213-234. Matthias Waltz: Ethik der Welt – Ethik des Realen in: Jacques Lacan – Wege zu seinem Werk, Hans-Dieter Gondek, Roger Hoffmann, Hans-Martin Lohmann (Hrsg.), Stuttgart 2001, S. 97-129. Michael Warner, Zones of Privacy in: Judith Butler, John Guillory, Kendall Thomas (Hrsg.), What’s Left of Theory? New York on the Politics of Literary Theory, New York, London 2000. Thomas Weber: Die unterhaltsame Aufklärung. Ideologiekritische Interpretation von Kriminalfernsehen des westdeutschen Fernsehens, Bielefeld 1992. Th. Weber: Medialität als Grenzerfahrung. Futurische Medien im Kino der 80er und 90er Jahre, Bielefeld 2008. Mai Wegener: Neuronen und Neurosen. Der psychische Apparat bei Freud und Lacan. Ein historisch-theoretischer Versuch zu Freuds Entwurf von 1895, München 2004. Peter Weibel: Masochismus als Post-Phallisches Mandat in: Phantom der Lust. Visionen des Masochismus in der Kunst. Band 2, Peter Weibel (Hrsg.), Ausstellung(skatalog) Neue Galerie Graz am Landesmuseum Joanneum 26.4. - 24.8.2003, München 2003, S. 18-47. 76 0 P. Weibel: Masochismus und Maschine. Betrachtungen zu Deleuzes Lektüre von ‚Venus im Pelz’ in: Deleuze und die Künste, Peter Gente, Peter Weibel (Hrsg.), Frankfurt a. M. 2007, S. 224-237. Moira Weigel: Sadomodernism, unter: http://nplusonemag.com/sadomodernism (26.5.2013) (Artikel über Michael Haneke und seine Filme). Herman G. Weinberg: Josef von Sternberg. A critical study of the great film director, New York 1967. David Weinberger: „Netzwerke wissen es besser“, Interview Meike Laaf, taz vom 7.8.2012. Eliot Weinberger: „Orangen! Erdnüsse!“, Berlin 2011. Sabine Wettig: Imagination im Erkenntnisprozess. Chancen und Herausforderungen im Zeitalter der Bildmedien. Eine anthropologische Perspektive, Bielefeld 2009. Michael Wetzel: Verführerische Bilder. Zur Intermedialität von Gender, Fetischismus und Feminismus in: Der Entzug der Bilder. Visuelle Realitäten, M. Wetzel und Herta Wolf (Hrsg.), München 1994, S. 333-354. Peter Widmer: Zwei Schlüsselkonzepte Lacans und ihre Bedeutsamkeit für die Praxis in: Jacques Lacan. Wege zu seinem Werk, Hans Dieter-Gondek, Roger Hofmann, Hans-Martin Lohmann (Hrsg.) Stuttgart 2001, 15-48. P. Widmer: Angst: Erläuterungen zu Lacans Seminar X, Bielefeld 2004. Norbert Wiener: Mathematik – mein Leben, Frankfurt a. M. 1962. Linda Williams: Hard Core. Macht, Lust und die Traditionen des pornographischen Films, Basel und Frankfurt a. M. 1995. 76 1 Hartmut Winkler: Die magischen Kanäle, ihre Magie und ihr Magier. McLuhan zwischen Innis und Teilhard de Chardin, in: McLuhan neu lesen. Kritische Analysen zu Medien und Kultur im 21. Jahrhundert, Derrick de Kerckhove, Martina Leeker, Kerstin Schmidt (Hrsg.), Bielefeld 2008, S. 158-169. Geoffrey Winthrop-Young: Friedrich Kittler zur Einführung, Hamburg 2005. Carl Woese: „An New Biology for a New Century“ in: Microbiology and Molecular Biology Reviews, Juni 2004, 68 (2), S. 173-186. C. Woese und Nigel Goldenfield, „Biology’s Next Revolution“ in: Nature 445, 24. Januar 2007, S. 369. Peter Wollen: Out of the past: Fashion/Orientalism/The body in: Raiding the Icebox. Reflections on Twentieth-Century Culture, London, NewYork 2008. Dominique Wolton: Kommunizieren heißt Zusammenleben. Dominique Wolton im Gespräch mit Stéphane Paoli und Jean Viard, Berlin 2010. Clemens Zimmermann: Medien im Nationalsozialismus: Deutschland, Italien und Spanien in den 1930er und 1940er Jahren, Wien u. a. 2007. Christiane Zimmermann: Der Antigone-Mythos in der antiken Literatur und Kunst, (Classica Monacensia ; Bd. 5), Tübingen 1993. Zeit ohne Raum. Ein Gespräch zwischen Alexander Kluge und Joseph Vogl in: Science & Fiction. Über Gedankenexperimente in Wissenschaft, Philosophie und Literatur, Thomas Macho und Annette Wunschel (Hrsg.), Frankfurt a. M. 2004, 242- 261. Slavoj Žižek: Liebe Dein Symptom wie Dich selbst! Jacques Lacans Psychoanalyse und die Medien, Berlin 1991. 76 2 S. Žižek: Das Unbehagen im Subjekt, Wien 1998. S. Žižek: Die Pest der Phantasmen: Die Effizienz des Phantasmatischen in den neuen Medien, Peter Engelmann (Hrsg.), Wien 1999. S. Žižek: Die Furcht vor echten Tränen. Krzystof Kieslowski und die „Nahtstelle“, Berlin 2001 (a). S. Žižek: Die Tücke des Subjekts, Frankfurt a. M. 2001 (b). S. Žižek: Iraq: The Borowed Kettle, London, New York 2004. S. Žižek: Körperlose Organe. Bausteine für eine Begegnung zwischen Deleuze und Lacan, Frankfurt a. M 2005. S. Žižek: „The Fundamental Perversion: Lacan, Dostoyevsky, Bouyeri“ in: lacanian ink ed. by Josfina Ayerza, New York 2006, S. 114-129. S. Žižeks PERVERT’S GUIDE TO CINEMA GB/D/AU 2007. S. Žižek: Denn sie wissen nicht, was sie tun. Genießen als politischer Faktor, Wien 2008. Stefan Zweifel, Michael Pfister: Im Klub der skripturalen Spermatrinker in: Sade/Surreal. Der Marquis de Sade und die erotische Fantasie des Surrealismus in Text und Bild, Ausstellung(skatalog) Kunsthaus Zürich vom 30. November 2001 bis 3. März 2002, Tobia Bezzolla, Michael Pfister, Stefan Zweifel (Hrsg.), Ostfildern- Ruit 2001, S. 15-38. 76 3   Vortrag der Disputation vom 19.12.2013 DUMMY-Magazin: Sollte man sich […] ein Leben ohne Schmerz überhaupt wünschen? Christian Grüny: Beim Leben ohne Schmerz steht ja immer das Aufhören des Leidens im Hintergrund. Im Fall des körperlichen Schmerzes gibt es zwei Extrempositionen: Die Einen wollen, dass er im ganzen verschwindet. Die anderen wollen den Schmerz auf keinen Fall missen, weil er für sie ein Indikator von Wirklichkeit ist, von Wahrheit und Tiefe. Weil aus Schmerz angeblich die großen Gedanken geboren werden, das Denken überhaupt. Nach dem Motto: Wenn wir den Schmerz eliminieren, dann verarmt die menschliche Erfahrung derart, dass wir am Ende zu anästhesierten, verflachten Kreaturen werden. „Vom gewaltsamen Verhältnis zu sich selbst. Der Philosoph Christian Grüny über die Mär, dass wir uns nicht mehr genügend spüren.” Unter: http://www.dummy-magazin.de/issues/41- schmerz/articles/798; DUMMY 41 (zum Thema Schmerz), erschienen im Dezember 2013. Vielen Dank, dass Sie alle noch so kurz vor Weihnachten Zeit für diesen Termin gefunden haben und gekommen sind, und dass ich heute hier mit Ihnen meine Dissertation zum Thema „FUNNY GAMES – Spielräume des Sadomasochismus in Film und Medien” diskutieren kann. Ich möchte zunächst kurz Struktur und Inhalt dieser sehr umfangreichen Arbeit vorstellen und erläutern, die ich in den letzten Jahren bei Natascha Adamowsky und Hartmut Böhme am Institut für Kulturwissenschaften der Humboldt-Universität zu Berlin verfasst habe.   764   Abb. 1: Richard von Krafft-Ebing. Krafft-Ebing’sches Familienarchiv Mein Prolog beginnt mit einem Blick auf die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts, als man anfing, sexualwissenschaftliche Forschung zu betreiben. Zu diesem Zeitpunkt hieß dies vor allem, zahlreiche Fallbeispiele sexualpathologischen Verhaltens aufzuzeichnen und zu klassifizieren. Einer der Pioniere der Sexualwissenschaft war der Neurologe, Psychiater und Gerichtsgutachter Richard von Krafft-Ebing (1840- 1902), der mit der ersten Auflage der Psychopathia sexualis von 1886 den Grundstein für seine Lehre von den sexuellen Pathologien legte. Das Buch war ein internationaler Erfolg und wurde bis in die 60er Jahre des 20. Jahrhunderts immer wieder neu aufgelegt. Krafft-Ebing sieht in Perversionen eine Fehlentwicklung, eine falsche Richtung des Sexualtriebs: Die perverse Betonung der sexuellen Vorstellungen bewirke, dass Vorstellungen, die sonst mit Unlust- und Ekelgefühlen verbunden seien, Lustgefühle bereiten. Das praktische Resultat dieses Prozesses seien die perversen Handlungen. Alles, was nicht der Fortpflanzung diene, muss laut Krafft-Ebing als pervers gelten. Dazu gehöre auch der Sadismus und Masochismus, die er als klinische Begriffe einführte, erläuterte und polarisierend in Beziehung setzte. Gerade der Masochismus bzw. die damit bezeichneten Perversionen waren in der Wissenschaft des späten 19. Jahrhunderts noch nicht erforscht; Krafft-Ebings Ausführungen waren Neuheiten, an denen auch eine breite Öffentlichkeit und sogar Perverse selbst interessiert waren. Bemerkenswert ist, dass er sich dabei eben nicht nur auf klinische   765   Beobachtungen stützte, sondern auch u. a. die Literatur Leopold von Sacher-Masochs (1836-1895) einbezog. Krafft-Ebing schreibt: „In den Masochschen Romanen handelt es sich um Individuen, die als Gegenstand ihres sexuellen Begehrens Situationen herbeiführen, in welchen sie dem Willen und der Macht eines Weibes schrankenlos unterworfen sind.” (Krafft-Ebing 2003, 25.) Sadismus verhalte sich laut Krafft-Ebing dem Masochismus gegenüber komplementär, er sei ein „vollkommenes Gegenstück zum Masochismus” (vgl. Bang 2003, 63). (Vgl. zu dieser Falschaussage den Prolog, 8 f. und Fußnote 30.) Die Wollust entstehe hier in Akten der Grausamkeit, der erzwungenen Unterwerfung einer anderen Person, des Weibes, was nicht nur Leid und Schmerz für die Opfer bedeute, sondern sogar bis zum aktiven Lustmord führen könne – Selbst- bzw. Endzweck einer perversen vita sexualis. Der Sexualforscher Albert Eulenburg hatte bereits 1902/1911 darauf hingewiesen, dass sich Krafft-Ebings SM-Definitionen zu sehr an einem heterosexuellen – heute würde man sagen heteronormativen – Geschlechterverhältnis orientierten (vgl. Eulenburg 2003, 181 f.). Wie es demgegenüber um die Akte homosexueller Grausamkeit und auch um den weiblichen Sadismus bestellt sei, wurde bei Krafft- Ebing kaum oder gar nicht erörtert. Ebenso kritisch zu sehen ist, dass er seine perversen Patienten per se als minderwertig einstufte. Es bleibt schließlich zu fragen, inwieweit Krafft-Ebing in seiner Forschung womöglich selbst zum psychiatrischen Voyeur geworden ist. Woher kam nun zu diesem Zeitpunkt das gesteigerte Interesse, den perversen Sex wissenschaftlich zu betrachten und möglichst lückenlos zu klassifizieren? Wieso stach gerade das vermeintlich Krankhafte und Abnorme dabei so ins Auge? Laut Linda Williams unterliegt die enstehende Sexualpathologie im späten 19. Jahrhundert einer visuellen Obsession, „das logische Ergebnis einer Vielfalt von Diskursen über Sexualität, die in Techniken der Sichtbarmachung zusammenfließen und sie zugleich weiter zu produzieren helfen”. (Vgl. Williams 1995, 68.) Diese Obsession kann demnach in ihrer speziellen Medialität bzw. unbewussten Wirkmacht analysiert werden. Die Fragen, die mich dabei interessieren, sind die folgenden: Inwiefern   766   spielen moderne Medien eine Rolle bei der Konstitution perversen Begehrens und Handelns? Und was kann darüber gewusst bzw. ausgesagt werden? Friedrich Kittler hat bereits den Begriff der psychopathologischen und mehr noch psychopathischen Medien geprägt (vgl. Kittler 1986, 217), bezieht sich dabei jedoch nicht auf die scientia sexualis, sondern generell auf medial bedingte und krankmachende Störungen des Seelenlebens, wie sie die Psychoanalyse Sigmund Freuds und Jacques Lacans beschreibt – z. B. in Formen der Hysterie, Psychose oder eben Perversion. Kittler meint damit vor allem jene technischen Medien und Neuerungen, die Natur und Sinne erweitern und reproduzierbar machen, also optische Medien wie Fotografie und Film, aber auch Apparate zur Erzeugung und Nutzbarmachung des Wechselstroms. Derartige Entwicklungen begleiteten das gesamte 19. Jahrhundert, um 1880 hatten sich analoge Medien bereits gesellschaftlich durchgesetzt. Bis heute funktionieren die meisten Kommunikationsmedien mit Wechselstrom. Abb. 2: de Sade, aus: Man Ray, Imaginary Portrait of D.A.F. de Sade, 1938; und Sacher-Masoch, aus: von Schlichtegroll, Sacher-Masoch und der Masochismus, 1901 Vor diesem Hintgergund lässt sich fragen, inwieweit technische Dinge die Lust- und Sexpraktiken in der Literatur Sades und Sacher-Masochs strukturieren und antreiben. Donatien-Alphonse-François, Marquis de Sade lebte von 1740 bis 1814. (2014 ist also ein ‚Sade-Jahr’.) Beide Autoren experimentieren ähnlich wie die Wissenschaftler ihrer Zeit mit Natur und Sinnen, wie Krafft-Ebing geht es ihnen um das Wissen der   767   abseitigen Lust. Ihre Beobachtungen sind jedoch viel genauer und auch verlässlicher, da sie auf ihrer eigenen Erfahrung und ihrer reichhaltigen Fantasie aufbauen, auf intimen Wahrnehmungen, die sie offen kommunizieren. Sie schaffen sich spezielle Anordnungen, Dispositive, mit denen sie antesten, wie eigene Lust spürbar und optimierbar wird. Die dabei entstandenen Spielräume habe ich mit Hilfe ihrer Schriften untersucht. Darin stechen u. a. zwei Motive deutlich hervor: der Sadesche Orgien-Apparat, in dem sich einzelne Körper quasi automatisch zusammenschließen, und das Spiel mit der peitschenden Pelz-Domina bei Sacher-Masoch. Was beide verbindet, ist, dass sie Körperlichkeiten, den Körper des Andern, wie in einer performance inszenieren und beschreiben. Man könnte auch von einem acting out reden, das der stetigen Wiederholung unterliegt und ein wichtiges Merkmal perversen Handelns ist. Sade dringt in diesen Körper zumeist brutal ein, er glaubt, das obskure Objekt der Begierde im Fleisch zu finden. Bei Sacher-Masoch projiziert es sich dagegen auf eine sichtbare Oberfläche, eine künstliche zweite Haut, die seine Domina für ihn trägt. Sacher-Masoch muss im Gegensatz zu Sade ein paar Schritte zurück treten, damit er von ihr ausgepeitscht werden kann. Ich sehe im klassischen SM ein Spiel um Nähe und Distanz, Aktivität und Passivität, letztendlich um Macht und Ohnmacht. Während Sade sich sehr wohl bewusst ist, dass die meisten seiner zahlreichen Techniken nicht nur aus ethischen Gründen nicht praktikabel sind, möchte Sacher-Masoch Wolllust und Sinnesfreunden nicht nur imaginieren, sondern offen ausleben. Und während Sade im 18. Jahrhundert eine Vielzahl an Lustpraktiken entwirft, die zusammen fast schon ein enzyklopädisches Wissen im Sinne Denis Diderots und Jean le Rond D’Alemberts ergeben, gibt sich Sacher-Masoch 100 Jahre später mit nur einer einzigen Praktik zufrieden, der Installation seiner wütenden Pelz- Domina. Im zweiten Teil der Arbeit übertrage ich dieses historische Wissen auf ausgewählte Gegenwartsfilme aus den Jahren 2000 bis heute. Ich versuche dabei, Ähnlichkeiten und Differenzen sowie Transformationen im Vergleich zu den klassischen SM- Formen herauszustellen. Die untersuchten Filme schließen unter anderem FALSCHER BEKENNER (2005), THE HURT LOCKER (2008) und SHORTBUS (2006) ein. Der in diesem Zusammenhang bedeutendste Film, der allerdings nicht mehr dem Gegenwartskino zugerechnet werden kann, ist David Cronenbergs VIDEODROME (1983). Dieser steht im Mittelpunkt der Arbeit und liefert gleichsam   768   ihren exemplarischen Musterfall. Wie wohl kaum ein anderer Film bringt VIDEODROME den Zusammenhang zwischen Sadomasochismus und modernen (Bild-)Medien auf den Punkt, gerade indem er die dabei entstehenden, gewaltsam- unbewussten, ja psychopathologischen Effekte illustriert. Das folgende Bildbeispiel verdeutlicht, was ich meine: Abb. 3: David Cronenberg, VIDEODROME, 1983 Der Fernsehproduzent Max Renn gerät hier in eine schizophrene Psychose aus Videobildern, in denen er seine Traumfrau Nicki halluziniert und mit ihr verschmelzen möchte. Wir sehen Nickis rot geschminkten Kussmund und ihre strahlend weißen Zähne, die als Partialobjekte die gesamte Mattscheibe seines Wohnzimmer-Fernsehers einnehmen. Zudem wird er durch ihre verführerische, mütterlich klingende Stimme angelockt. Er streichelt seinen Fernseher, dieser beginnt zu pulsieren und organisch zu werden. Man könnte sagen, dass es sich hier um eine frühe Einübung in touchscreen-Funktionen handelt; dieses Motiv ist aber vielleicht doch nicht so neu, da es schon im klassischen Masochismus um haptische Qualitäten fetischisierter Materialien ging, seien es Pelze oder Bärenfelle, eben die zweite Haut des Masochisten.   769   Abb. 4: Videodrome-Filmplakat Max taucht schließlich mit seinem Kopf in Nickis Partialbild, in die Kathodenstrahlröhre ein, gleichsam eine neue Form des Oralverkehrs. Die Wölbung des Monitors wird dabei größer und verschlingt einen Teil seines Kopfes, sein Gesicht. In dieser fantastischen Konstruktion, einem Spezialeffekt der gerade noch vordigitalen Ära (es wurde in diesem Fall mit echten Fischblasen gearbeitet), zeigt sich der hybride Zusammenschluss bzw. Kurzschluss des Sadeschen und Masochschen Diskurses: Einerseits das Eindringen in die Tiefe des Körpers, den Raum des anderen, wie es bei Sade erfolgt, andererseits das auf der Oberfläche stattfindende virtuelle Spiel mit dem erweiterten Körperbild bzw. einem Ausschnitt oder Teil davon, wie es Sacher-Masoch begehrt. Kurz gesagt: Max’ Körper ist zum Anhängsel seines Fernsehers geworden, er steckt in diesem vorübergehend fest, er verliert sich. Es handelt sich dabei um eine Schnittstellenoptimierung zwischen   770   sinnlichem Körper und technischer Funktion. Marshall McLuhan spricht in diesem Zusammenhang von narzisstischer Narkose und medialer Selbstamputation. (vgl. McLuhan 1995, 74 und Bartels 2008, 411.) Das Besondere an VIDEODROME und auch an klassischem SM ist, dass dabei eine Wiederkehr des Verdrängten erfolgt: Der im technischen Bild verdrängte Körper erhält seine organische bzw. reale Dimension zurück, wobei reichlich Mehr-Lust freigesetzt wird. SM ist das Suchspiel nach der erhofften Wiederkehr dieser Lust. Abb. 5: Werbung für interaktives Fernsehen, 2008 Mit vergleichbaren Bildern arbeitet auch die Werbung, wie diese BlueCom und Media-Markt-Anzeige aus dem Jahr 2008 zeigt, die Michael Fürst in seiner VIDEODROME-Analyse verwendet hat (Fürst 2009, 128). Die dargestellte Situation lässt sich allerdings nicht nur als eine zärtliche Interaktion zwischen den Geschlechtern interpretieren, man könnte auch behaupten, dass sich die beiden vielleicht gleich an die Gurgel gehen. Denn solange intime Kontakte – wie Sie hier sehen können – nur über technische Medien laufen, ist diese Gefahr durchaus gegeben, wie an den monströs werdenden Videobildern Max Renns im weiteren Verlauf von Cronenbergs Film zu beobachten ist. Max bekommt panische Angst. Er setzt sich den zunehmend bedrohlich wirkenden, bereits wuchernden Bildern nicht mehr unbewaffnet aus. So trägt er ab sofort einen handlichen Revolver am Körper, der in fantastischen Transformationen mit seiner Hand verwächst und gleichsam zu   771   einer voll einsatzfähigen fleshgun mutiert. Mit dieser Waffe wird er zum Terroristen und schließlich zum Selbstmordattentäter. In der Schlusssequenz wird ihm dies von Nicki gezeigt. Nicki, die hier wie eine Nachrichtensprecherin inszeniert ist, präsentiert ihm seine Selbsttötung im Fernsehen, die er daraufhin in die Tat umsetzt. Abb. 6: David Cronenberg, VIDEODROME, 1983 Was mich an Szenen bzw. Einstellungen wie diesen in meiner Dissertation interessiert, ist die medial bzw. phallisch gesteuerte Partialobjektebene negativer und positiver Lust, die sich hier in einem mutierten Körperteil, der fleshgun, und deren bläulich-schleimigen Glitzereffekten gleichzeitig offenbaren. Es geht mir also letztendlich um das Verhältnis und die Kommunikation zwischen der Gewalt des Phallus und den Partialobjekten, die dieser produziert und fordert. Diese vornehmlich unbewusst gesteuerte Kommunikation schillernder Fremdkörper reicht in der Geschichte des SMs vom Mythos der grausamen Mutter Natur über medial optimierte Körper- bzw. Geschlechtsteilfunktionen bis hin zum bläulichen Molekularglitzern am Ende von VIDEODROME. Ich habe versucht, medientechnisch im Detail zu rekonstruieren, wie dieses Fantasma bzw. diese Fantastik zwischen Angst, Lust, Sex und Macht im Diskurs des Analogen, des elektro-mechanischen Maschinenkörpers, funktioniert. Die Technikphilosophie Ernst Kapps von 1877 und das Apparate- Denken bei Freud und Lacan sind dabei u. a. signifikant. Was mit diesen imaginären bzw. virtuellen Fremdkörpern moderner Schmerzlust demgegenüber heute im   772   digitalen bzw. posthumanen Zeitalter passiert, kann ich leider noch nicht wirklich befriedigend beantworten. Dass dieses betörende Glitzern zumindest im heutigen Kino noch keineswegs verschwunden ist, sollen nun abschließend einige stills aufzeigen. Abb. 7: Pedro Almodóvar, DIE HAUT, IN DER ICH WOHNE, 2011 Pedro Almodóvar, Abspann von DIE HAUT, IN DER ICH WOHNE. Das Molekularglitzern ist hier ebenfalls deutlich zu sehen, inszeniert als DNS- Doppelhelix, als phallische Skulptur oder auch ein sich langsam drehendes Skelett. – Einer der technischen Fetische unserer Zeit. Hier gläsern, geheimnisvoll, in vielen Farben schillernd, hauptsächlich in edlen Rot- und Blautönen. Eine Untersuchung dieser Farbdramaturgie, die sich auch in VIDEODROME und SHORTBUS findet, könnte ebenfalls lohnend sein.   773   Abb. 8: Wes Anderson, DIE TIEFSEETAUCHER, 2004 Wes Anderson, DIE TIEFSEETAUCHER, eine Forschergruppe um einen älteren Ozeanographen und Dokumentarfilmer (Bill Murray) auf der Jagd nach dem obskuren Objekt: dem gefleckten Jaguar-Hai. Am Schluss des Films gleitet dieser zweimal durchs Bild bzw. ist durch die screen-artigen Sichtfenster des U-Bootes mit dem Namen „Deep Search” deutlich zu sehen. Nach diesem Objekt wurde lange gesucht in diesem Film.   774   Abb. 9: Leos Caras, HOLY MOTORS, 2012 Leos Carax meldet sich nach 13jähriger Pause mit einem Langfilm zurück, der sogar für die Goldene Palme nominiert wurde. HOLY MOTORS ist die Geschichte eines Geschäftsmanns mittleren Alters, des geheimnisvollen Monsieur Oscars (Denis Lavant) – Carax’ Alter Ego, der sich in seiner Stretchlimousine („gelenkt von der fürsorglich strengen Chauffeurin und Betreuerin Céline [Edith Scob]” [vgl. Spiegel online unten]) durch Paris chauffieren lässt, um an verschiedenen Orten seine perversen Spiele und Spielchen zu betreiben. Eines davon ist hier zu sehen, nämlich vollanimierter Cyber-Sex mit echten Körpern (in Lycra-catsuits für 3D-motion capture), in dem die Domina und er plötzlich zu kopulierenden Aliens mutieren. (Spiegel online fragt sich bei HOLY MOTORS: „Hokuspokus oder Meisterwerk?” und übersieht den unerhört-perversen Genuss, den dieser Film in aller Klarheit bietet. [Vgl. http://www.spiegel.de/kultur/kino/holy-motors-was-taugt-leos-carax-neuer- film-wirklich-a-852540.html].)   775   Abb. 10: John Cameron Mitchell, SHORTBUS, 2006 Zum Schluss noch ein Bild aus dem Film, den ich im Epilog meiner Arbeit analysiert habe. John Cameron Mitchells SHORTBUS begleitet die Protagonistin Sofia (Sook- Yin Lee) auf dem Weg zu ihrem ersten Orgasmus durch Selbstbefriedigung. Sie ist schlussendlich erfolgreich und erzeugt damit einen kosmischen Kurzschluss, der in New York alle Lichter ausgehen lässt. Während des Stromausfalls kommen die Sex- gestressten Figuren in diesem Film endlich kurz zur Ruhe und Besinnung, aber nur, damit ihre Lust danach wieder neu durchstarten kann – und sich, mit Foucault gesagt, „ein unübersehbares und flimmerndes Lichtermeer des Sexuellen” (Foucault 1992, 92) im New York nach 9/11 ereignen kann. Man achte auch hier auf die vorwiegend rot-blaue Farbgestaltung des Bildes. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.   776