348 V FOTOGRAFIE UND FILM Udo Benzenhöfer, Wolfgang U. Eckart (Hrsg.): Medizin im Spiel- film des Nationalsozialismus.- Tecklenburg: Burgverlag, 1990 (Hannoversche Abhandlungen zur Ge- schichte der Medizin und Naturwissenschaften, Bd.l), 109 S., DM 20,- Auf den ersten Blick ein abseitiges Thema für ein Filmsymposion. Doch bei näherem Hinschauen entpuppt sich der Untersuchungsgegenstand als Paradigma für die geschickt versteckte Filmpropaganda der Nationalso- zialisten. Gerd Albrecht hielt das Eröffnungsreferat im Kommunalen Kino Hannover (25 ./26.11.1989). Nach seiner Schätzung thematisieren zwar nur 25 bis 30 Spielfilme aus der Nazi-Filmproduktion im engeren Sinne das Thema Medizin (Ärzteschaft, Krankenpflege und -fürsorge), dennoch ist der Einblick in den kleinen Bereich der 'Medizin-Filme' lohnend: aufgrund des besonderen gesellschaftlichen Status des Medizi- ners im Vergleich zu seiner Darstellung im nationalsozialistischen Film, die durchaus im Einklang mit der nationalsozialistischen Medizinpolitik (Euthanasie-Programm etc.) stand. Vier Spielfilme, die im weitesten Sinne als nationalsozialistische Tendenzfilme angesehen werden können (obwohl ein direkter Auftrag durch das Reichspropaganda-Ministerium im einzelnen nicht immer nachgewiesen werden kann), wurden auf dem Symposium vorgestellt und diskutiert. Locker basierend auf Hellmuth Ungers romanhafter und überaus populä- rer Robert-Koch-Biographie (1929), hat Hans Steinhoff in seinem Film Robert Koch (1939) den großen Mediziner zum großen deutschen Hel- den stilisiert. Ulrike Reim weist nach, wie sehr die geschichtlichen Klit- terungen des Films den Stoff für die NS-Rassenideologie verwertbar machten. Das betrifft vor allem die Figur Virchows, jenes liberalen De- mokraten und Gegners Bismarcks, der in Steinhoffs Film als reaktio- närer, engstirniger Wissenschaftler diffamiert wird und die wissen- schaftliche Größe Kochs nicht erkannt habe (was keinesfalls auf den Tat- sachen beruht): ein subtiler propagandistischer Schlag der Nazis gegen die demokratische Tradition in Deutschland. Karl Ludwig Rost legt dar, wie sich Wolfgang Liebeneiners Ich klage an (1941) in das nationalsozialistische Euthanasie-Programm einfügte. Nachdem es einige Dokumentarfilme zum Thema gegeben hatte, gab die Kanzlei des Führers den Spielfilm in Auftrag. Durch einen Vergleich verschiedener Drehbuchfassungen mit dem fertigen Film belegt Rost, mit welcher Vorsicht die Nazi-Propagandisten das Sujet behandelten und dabei versuchten, von einer allzu plakativen Propagierung der Eutha- nasie abzugehen. 349 Georg Wilhelm Pabsts Paracelsus, 1942/43 als nationalsozialistische Auftragsproduktion entstanden, sollte Paracelsus als großen deutschen (sprich: völkischen) Arzt und genialen Führer stilisieren, der sich in anti- kapitalistischem Gestus dem Volk zuwandte. Zudem war es Ziel der Produktion, in Paracelsus einen Vorläufer des nationalsozialistischen Anti-Semitismus darzustellen , der überdies auch für die NS-Werte- und Soziallehre zu reklamieren war. Udo Benzendörfer arbeitet in seiner Analyse heraus, mit welchen Mitteln Paracelsus nationalsozialistische Ideologeme evoziert - wie Deutschtum, Führerideologie, Volksnähe, Antikapitalismus , Fruchtbarkeitsideologie. Dennoch sieht Benzendörfer - entgegen der landläufigen Forschungsmeinung - die Möglichkeit, daß Pabst als Regisseur kein Überzeugungstäter gewesen sei: "Die Trumme} trommelt, trumm, trum, trum, ihr Herren, eure Zeit ist um" - dieses Lied des Paracelsus bezieht Benzendörfer in seiner Doppeldeutigkeit auf die Nazi-Führung . Max W. Kimmichs Germanin. (1943) wird von Wolfgang U. Eckart auf seinen Gehalt als Fiktionalität und Wirklichkeit untersucht. Kimmich , ein Schwager von Goebbels, hat die Umstände der Erprobung des Medika- ments gegen die Schlafkrankheit in den frühen zwanziger Jahren histo- risch grob verfälscht. Damit bewirkte er einerseits eine kolonialrevisio- nistische Propaganda im Sinne der Nazis, die behaupteten , Deutschland sei als Kolonialmacht wesentlich humaner gewesen als England ; die durch den Versailler Vertrag erzwungene Aufgabe der Kolonie sei daher ungerechtfertigt gewesen. Darüber hinaus wird durch die Zeichnung der englischen Kolonialoffiziere die kriegerische Feindschaft gegen England während des Zweiten Weltkriegs legitimiert. Germanin steht so in einer Reihe mit anderen anti-englischen Nazi-Filmen der Zeit , unter denen Ohm Krüger (1941 - Regie: Hans Steinhoft) und Carl Peters (1941 - Regie: Herbert Selpin) die prominentesten sind. Das schmale Bändchen, mit dem die "Hannoverschen Abhandlungen zur Geschichte der Medizin und der Naturwissenschaften" als neue Schrif- tenreihe eröffnet werden, ist ein anregendes Beispiel dafür , wie paradi- gmatische thematische Analysen eine neue Innenperspektive schaffen können. Zwar war der Tendenzcharakter der analysierten Filme bereits bekannt, aber gerade die medizinhistorischen und -ethischen Hinter- gründe, machen Funktion und Stellenwert der narrativen und dramatur- gischen Mittel besonders deutlich, mit denen die Filme ihre propagandi- stischen Wirkungen erzielen konnten . Uli Jung (Nittel) '