Elisa Linseisen High Definition: Medienphilosophisches Image Processing Dieses Buch zoomt in informationsreiche und pixeldichte Welten in HD. Digitalbildliche Hochauflösung ist hier ein Potenzial, das es ermöglicht, mit und an Bildern Wirklich- keit zu erforschen und zu befragen. Dokumentarfilme, Videokunstarbeiten, Galaxiefotografien, Blockbuster, HIGH Pressebilder und Netflix-Serien bestellen diese visuelle Kultur in HD und zeigen auf, dass Bilder und Wirklich- keit nicht in fixierten Rahmen sitzen, sondern im Prozess werden. HD heißt Image Processing. Lässt man sich darauf ein, entfaltet sich das Angebot, mit HD zu denken und sich DEFINITION vom Denken der Bildprozesse mitreißen zu lassen. MEDIENPHILOSOPHISCHES IMAGE PROCESSING LINSEISEN ISBN 978-3-95796-174-7 www.meson.press Elisa Linseisen  High Definition: Medienphilosophisches Image Processing High Definition Elisa Linseisen ist Medienwissenschaftlerin und forscht aus einer medien- und technik- philosophischen Perspektive zu Digitalen Kulturen, Theorien des Formats sowie zu Techniken, Ästhetiken und Politiken des Applizierens. High Definition: Medienphilosophisches Image Processing Elisa Linseisen Bibliographische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Veröffentlichung in der Deutschen Nationalbibliographie; detaillierte bibliographische Informationen sind im Internet unter http://dnb.d-nb.de abrufbar. Veröffentlicht 2020 von meson press, Lüneburg www.meson.press Designkonzept: Torsten Köchlin, Silke Krieg Umschlagbild: New Hubble Image of NGC 2174, NASA/ESA (CC BY 2.0) Korrektorat: Andreas Kirchner ISBN (Print): 978-3-95796-174-7 ISBN (PDF): 978-3-95796-175-4 ISBN (EPUB): 978-3-95796-176-1 DOI: 10.14619/1747 Die Printausgabe dieses Buchs wird gedruckt von Books on Demand, Norderstedt. Die digitale Ausgabe dieses Buchs kann unter www.meson.press kostenlos heruntergeladen werden. Diese Publikation erscheint unter der Creative-Commons-Lizenz CC BY-SA 4.0. Nähere Informationen zu dieser Lizenz finden sich unter: https:// creativecommons.org/licenses/by-sa/4.0/. Inhalt [ 1 ] High Definition 9  El botón de nácar und Nostalgia de la luz | Mit HD/Denken 1.1. Potenziale der Hochauflösung, skalare In/Varianz, Existenzweisen 14 Potenziale der Hochauflösung | Medienphilosophisches Image Processing | High Definition | Skalare In/Varianz | Onto-Epistemologie | Knopf-Mimese | (Mimetische) Existenzweisen | HD jenseits des Hyperrealismus: Post/Produzieren statt Manipulieren | HD jenseits des gouvernementalen Kontrollbilds: Hochauflösung als Abweichungschance | HD jenseits des Anthropozentrismus: die skalare In/Varianz der Menschen 1.2. Post/-ismen, Bewegliche Konzepte, Schrägstriche 51 Post/-ismen | Verlauf der Arbeit (I) | „Post/-“ als Medien/Werden | Bewegliche Konzepte | Schrägstriche | Blow Up | Agentische Schnitte | Verlauf der Arbeit (II) [ 2 ] Post/Produzieren 75   How Not to Be Seen. A Fucking Didactic Educational.mov.file | Post/Produzieren | Too Much World 2.1. Too Much World: Post/digitale Medien/Immanenz 85 HD-Bild-Mimese | Das Außen des Digitalbildes und einer „World Made of Pictures“ | Das Post/Digitale | Medien/Immanenz | Immanenzebene und Nicht-Philosophie | Granulare Gesellschaft, Liquid Modernity, heiße und kalte Mediengesellschaften | Auflösungsschwankungen zwischen HD/LD | Forensic Architecture | Abtrünnige Produktionsstudios 2.2. Too Much Image: RAW/Format und Pixel-Forensik 113 Paul Hansens Gaza-Burial-Fotografie | Indexikalische Verunsicherungen, Post/Fotografie | Pixel- und Digitalbildforensik | RAW/Format | Too Much Image | Digitale Fotografie | Momente des Digitalen | Bild und Code | Die M51-Galaxie-Fotografien des Hubble Space Telescopes | Astronomisches Image Processing | (FITS-)Format | Digitale Indexikalität | Forschungs- und Erkenntnisprozesse als Image Processing [ 3 ] Um/Formatieren 151 Phantom Trades: Sea of People | Film Socialisme | Stockende Ströme übers Mittelmeer | Vom Strömen zum Streaming 3.1. HD Over The Top: Algorithmische Post/Perzeption 159 Sichtbarkeitsökonomie von House of Cards | Algorithmische Post/ Perzeption | Buffernde Anfänge des Streams | Over The Top I: Adaptive Bitrates (ABR) und Perceptual Coding | Over The Top II: Content Delivery Networks (CDNs) und intermediales Retrofitting | David Finchers Locked-Up-Ästhetik | Fernsehgeschichte in (Hoch-) Auflösung | Over The Top III: Serielle Überbietung 3.2. HD Over The Stream: Algorithmische Erschöpfung 186 Potenziale der Hochauflösung erschöpfen: Um/Formatierungen post/produzieren | Havarie, ein Film über Erschöpfung | Poor Images – eine Relektüre | Relocation und dünne Medien | Erschöpfte Intervalle | Medienästhetik hochaufgelöster Digitalbildlichkeit | Glitches und Glitch-Art | A Vernacular of File Formats | Vom Bilder/Denken zum HD-Bilder erschöpfen | Auf Abwege geratene Algorithmen und entladene Bilder in Havarie [ 4 ] Interpolieren 219 The Tree of Life | Das Virtuelle nach Deleuze | Filmphilosophie | HD/Film/Denken | Vom kontinuierlichen HD-Raum zur post/ kinematografischen Tiefenzeit 4.1. Kontinuität/Intensivieren: One-Takes in tiefe Bildflächen 231 One-Takes | Russian Ark | Rodowicks Kritik | In One Breath | Mangoltes Kritik und Wavelength | Victoria | Vor-digitale Scheinbewegungen in Bildtiefen : Bazin und Deleuze | One-Takes als Zeit-Bild | The Revenant | Intensified Continuity, Post-Continuity, Kontinuität/Intensivieren | Timecode | Interpolieren (I) 4.2. Licht/Kristallisieren: Menschen in Tiefenzeit einfügen 263 Interpolieren (II) | Licht/Kristallisieren | Knight of Cups | Filmisches Licht in der Deleuzeschen Kinotheorie | Filmphilosophie in Knight of Cups | Dramatisierung des Lichts, Licht/Werden | Filmphilosophie von Song to Song | Menschen interpolieren in Voyage of Time. Life’s Journey | Den Glauben an eine HD-Welt zurückerstatten | Filmhistoriografische Interpolation, Filmphilosophie als Geo-Philosophie | Tiefenzeit des Films [ 5 ] Epistemologisch/Zoomen 297 3“ – Drei Sekunden | Epistemologisch/Zoomen 5.1. In Weltbildern zoomen 305 Das Planetarische | Clip-/MIP-Mapping | Powers of Ten | Weltbild der (Post-)Moderne | Whole Earth Catalog | Anti-Zoom | In Weltbildern zoomen | Medium Cool | Dokumentarische Zoomings 5.2. Mitten/im/Zooming/Werden 336 Mit Zoomings filmische Achtsamkeit herstellen | Desktop Documentaries, Transformers: The Premake | Mitten/im/Zooming/ Werden | Prezi | Inside.Bruegel | Pale Blue Dot [ 6 ] Hochaufgelöste Ereignis/Horizonte 359 Ergebnisse | HD-Bilder vom Schwarzen Loch | Event Horizon Telescope | Ereignis/Horizonte | Ereignis/Horizonte post/digitaler Medien/Immanenz A N H A N G Literatur 383 Visuelle und audiovisuelle Quellen 403 Dank 407 [ 1 ] High Definition El botón de nácar und Nostalgia de la luz El botón de nácar (2015) ist eine Dokumentation über die Ausrottung der Menschen. Der Film erzählt von den Folterungen und den politischen Morden während des Pinochet-Regimes in Chile zwischen 1973 und 1978. Weiterhin handelt er von den Gräueltaten während der Kolonialisierung Westpatagoniens ab 1883, von der Vernichtung der dort lebenden Wassernomad/innen, den Kawesqar. El botón de nácar fungiert als dokumentarische Denkschrift: Zu trauern, zu erinnern und zu mahnen, so fordern es die historischen Ereignisse der Nationalgeschichte des süd- amerikanischen Staats. Diesem Gebot kommt der chilenische Filmemacher Patricio Guzmán nach, indem er die Geschehnisse in seinem Werk zueinander in Beziehung setzt. Der Film fügt sich mit der Thematik ein in das Œuvre des Regisseurs. Angefangen mit seiner dreiteiligen Chronik La batalla de Chile (1975, 1976, 1979) befragt Guzmán in seinen Arbeiten die zer- rissene Identität und gewaltvolle Historie seines Heimatlandes. Ebenso wie in El botón de nácar macht er sich auch in Nostalgia de la luz (2010) auf die Suche nach den verschwundenen Opfern der Militärdiktatur. In Nostalgia de la luz begleitet Guzmán Frauen in die Atacama-Wüste, in der Hoffnung menschliche Überreste ihrer Männer und Söhne zu finden. In El botón de nácar sucht er den „Friedhof“ (00:58:47) vor den südwestlichen Landes- grenzen, den Pazifischen Ozean, nach Indizien ab, die auf die Ermordeten hinweisen könnten. In den Filmen geht es um das Verborgene und Ver- tuschte, die Spurensuche, das Bewahren der wenigen Überreste, die durch 10 High Definition die staatliche Geschichtsblindheit bedürftig darauf warten, aufgesammelt zu werden. Es geht um die Abgründe und die Marter der Menschen, um die makabren Relikte ihrer Existenz und die Verbrechen, zu denen sie fähig sind. Das alles stellen die beiden Filme aus, in einer anmutigen, sanft dahinfließenden Bildsymphonie. Gestochen scharfe, hyperästhetisch komponierte, intensiv leuchtende, hochaufgelöste Digitalbilder werden eindrucksvoll arrangiert: in Nostalgia de la luz in HDCAM und in El botón de nácar in 2K. El botón de nácar und Nostalgia de la luz sind HD-Filme. Sie setzen mit ihrem politischen Anliegen auf eine digitale Ästhetik, die dem Treiben flirrender Mikrodetails im Bild wie z.B. CGI-Sternen-/Staub Beachtung schenkt (Nostalgia de la luz, 00:05:50). Das HD-Bild inspiziert über hochgradig selektive Un/Schärferegulationen die Lichtbrechung in einem Wasser- tropfen (El botón de nácar, 00:26:09), die Strichelung einer Kohlezeichnung auf angerautem Papier (00:49:21) oder den irisierenden Glanz eines Perlmuttknopfs (00:50:50). In den Filmen werden im computergenerierten Flug die zerklüftete Küstenlinie Westpatagoniens (00:06:00), im Zoom astronomische Nachbarn, z.B. die kraterzerfurchte Mondoberfläche (Nostalgia de la luz, 00:02:37) oder ein Sternencluster (00:10:58) abge- tastet. Naturaufnahmen, Astronomiebilder, extreme Close-ups, lang- same Überblendungen, lichtdurchflutete, farbgesättigte Ansichten – die visuelle Intensität der pixelstarken HD-Bilder, die ihre post/produzierte Beschaffenheit mehr oder weniger stark ausstellen, können als das stil- bildende Element, als die Poetik der Digitalfilme Guzmáns charakterisiert werden. Die Beziehung zur Wirklichkeit basiert auf gut ausgeleuchteten, licht- und farbintensiven Ansichten, nachträglichen Eingriffen in das abge- drehte Bildmaterial, auf der nahtlosen Kombination unterschiedlicher Bildtypen, der Überästhetisierung und der hyperrealen Steigerung von visueller Darstellungskraft. Die in ihrer Drastik und in ihrem Realitätsgrad nicht abzuschwächenden historischen Begebenheiten sowie der Wider- stand gegen einen institutionellen Machtmissbrauch, denen sich Guzmán in seinen Filmen widmet, stehen dabei gerade nicht im Kontrast zur hoch- aufgelösten Darstellung. Nicht nur die Bilder, die El botón de nácar und Nostalgia de la luz zeigen, existieren in HD. Mit ihnen ist die Wirklichkeit selbst, das möchte dieses Buch verdeutlichen, eine hochaufgelöste (siehe Abb. 1.1. und 1.2.). Mit HD/Denken Die folgenden Betrachtungen sind ein Angebot, mit HD zu denken und sich vom Denken der hochaufgelösten, digitalen Bildprozesse, vom Image High Definition 11 Processing, mitreißen zu lassen. Folgen wir diesem Vorschlag und lassen uns auf ihn ein, ist Image Processing nicht nur ein bildbearbeitendes Ver- fahren, sondern ein sich eröffnender Denkraum medienphilosophischer Operationen. Über die Weiter-/Be-/Verarbeitungsschritte von HD stellen sich Verhältnisse ein, werden Relationsprozesse angetrieben, Differenzen ausgespielt, und zwar, so möchte ich argumentieren: der Wirklichkeit wegen. HD geht es um die Wirklichkeit. Die folgenden einleitenden Kapitel (1.1. und 1.2.) sollen zunächst das Intensitäten- und Möglichkeitsfeld meiner HD-Forschung abstecken sowie zentrale Begrifflichkeiten und Kernkonzepte (Potenziale der Hochauflösung, skalare In/Varianz, Existenzweisen) klären (1.1.). Die vorgenommenen Über- legungen lassen sich einer Medientheorie der „Post/-ismen“ (Post/Digital, Post/Cinema, Post/Fotografisch, Post/Fernsehen, Post/Video) zuordnen und begründen sich auf eine Medienphilosophie, die ein Denken über Medien vom Denken mit und Denken der Medien als bewegliche Konzepte abhängig macht (1.2.). Dabei ist meine Forschung besonders von den Über- legungen Gilles Deleuzes zum filmischen, elektronischen und digitalen Bewegtbild informiert, dessen Philosophie die Betrachtungen in diesem Buch als Prozess, als Entwicklung zum Weiter-, Neu-, Immer-Wieder-Anders- Denken antreibt. Wie sich im Verlauf dieser einleitenden Gedanken in Kapitel 1.1. und 1.2. zeigen wird, lässt sich das medienphilosophische Image Processing von HD in vier Formen aufschlüsseln, die die Kapitelstruktur dieses Buches vorgeben: HD fächert sich auf in Post/Produzieren (2.), Um/ Formatieren (3.), Interpolieren (4.) und Epistemologisch/Zoomen (5.). Am Ende (6.) meiner Analyse dieser medienphilosophisch-prozessierenden Operationen flackert High Definition als Ereignis/Horizont auf, mit dem Versprechen, Wirklichkeit – nicht schärfer oder hochaufgelöster –, sondern immer wieder neu und anders wahrzunehmen. Im Fokus meiner Untersuchung stehen HD-Kunstwerke (2.1., 3., 3.2., 5.2.), HD-Fotografien (2.2., 6.), HD-Fernsehen (3.1.), HD-Filme (3.2., 4.1., 4.2.) und HD-Anwendungen (5.1., 5.2.) bzw., wie bereits angedeutet, deren HD-Ope- rationen und HD-Prozesse, deren HD-bildliche Weiter-/Be-/Verarbeitungen und ihr HD-bildlicher Umgang bzw. der Umgang mit HD-Bildern. HD ermöglicht, Bilder über ihr Image Processing zu begreifen und Filme wie El botón de nácar und Nostalgia de la luz, die Vehikel der Exploration von Bild- prozessierungen darstellen, erfassen die medienphilosophischen Verhält- nisbestimmungen zur Wirklichkeit. 12 High Defi nition Abbildung 1.1. (Quelle: Collage aus Filmstills. Guzmán, Patricio. 2010. Nostalgia de la luz) High Defi nition 13 Abbildung 1.2. (Quelle: Collage aus Filmstills. Guzmán, Patricio. 2015. El botón de nácar) 14 High Definition 1.1. Potenziale der Hochauflösung, skalare In/Varianz, Existenzweisen Das Forschungsinteresse dieses Buches liegt mit HD auf dem Nexus von Digitalbildern und Wirklichkeit – ein Verhältnis, das hin auf eine Aus- schließlichkeit zu drängen scheint: HD-Bilder muten an, die Welt über Hochauflösung informationsdicht und restlos zu erfassen und detailgenau zu repräsentieren. Ferner, so weiter in der Annahme, durchdringen und bevölkern HD-Bilder eine von großen und kleinen HD-Screens aus- gekleidete Wirklichkeit. Eine Wirklichkeit in HD wäre infolgedessen nicht nur hyperästhetisch ins Bild gesetzt, sondern übervoll mit HD-Bildern. Diese Verfugung ist durch eine, für dieses Buch zentrale, Hypothese zu präzisieren: HD bekundet das Engagement an der Wirklichkeit über Praktiken und Prozesse des Digitalbildes, als medienphilosophisches Image Processing. So treten HD-Bilder zwar durchaus tendenziös und aus- schlagend auf, legen sich aber nicht auf eine autoritäre oder dominante Ansicht fest. HD und Wirklichkeit über ein sich gegenseitig befragendes Ver- hältnis zusammenzudenken, stellt Digitalbildlichkeit demgemäß nicht von vornherein in den Dienst eines gouvernementalen Diktats, das mit „einer“ hochaufgelösten Repräsentation von Wirklichkeit einhergehen könnte. So lässt es sich im Folgenden über eine überbietende Charakteristik begreifen: HD ist „zu viel“, too much Wirklichkeit wie Bild, Too Much World und Too Much Image. Anhand der beiden Kategorien, die in den nächsten Kapiteln (2.1. und 2.2.) ihre Ausarbeitung erfahren, möchte ich mit HD für die Über- windung „eines“ maßgebenden oder standardisierten Kontexts, für die Ein- dämmung von klassifikatorischen Hierarchisierungen zwischen Bildtypen und ihren Rahmen, zwischen Kunst, Wissenschaft, Populärkultur und Phi- losophie, zwischen Objektivität und Spekulation, zwischen Menschen und Kosmos argumentieren. HD-Bilder stehen transversal zu epistemischen, historischen und normativen Grenzen und erstrecken sich über eine post/ digitale Kultur hinweg, die im Folgenden eine detaillierte Einordnung erfahren soll. Die Arbeit wird angeleitet von den ästhetischen, epistemischen und medien- wie technikphilosophischen Fragen, die sich stellen, wenn Wirklich- keit und digitalbildliche Hochauflösung korrelieren. Welcher onto-mediale Seinsbegriff lässt sich dann verfolgen (1.2.)? Welcher Medienbegriff gilt für eine post/digitale, medien/immanente Wirklichkeit (2.1.)? Welche Materialis- men und Realismen artikulieren sich in datendichten, vermeintlich „rohen“, weil unbearbeiteten und nicht-komprimierten Speicherformaten wie dem RAW/Format (2.2.)? Wie kann über Wahrnehmung nachgedacht werden, High Definition 15 wenn hypervisuelle HD-Bilder post/perzeptuell auf algorithmischer Berechnung beruhen (3.1.)? Wo finden sich Abweichungen von der „algorith- mischen Perzeption“ der Hochauflösung (3.1., 3.2.)? Welcher Subjekt- und „Menschen-“begriff ist mit diesen Zuständen intensiver, hochaufgelöster Bild/Wirklichkeit verbunden (2.1., 3.2., 4.2.)? Welche Räumlichkeit hat eine Welt in HD (4.1.)? Auf welche Zeitlichkeit ist sie zu bringen (4.2.)? Wenn es ein Weltbild einer Welt in Hochauflösung geben würde, wie würde es aussehen (5.1.)? Welcher Erkenntnis- und Wissenschaftsbegriff geht mit HD einher (5.1., 5.2.)? Wie ist das Verhältnis von maschinellem und menschlichem Image Processing zu beschreiben und welchen Stellenwert hat das Bild bei diesem Vergleich (6.)? Zusammenfassend und v.a. lässt sich mit HD fragen: Welche Möglichkeiten zum Denken, Wissen und Erfahren sind in der Beziehung von HD-Bildlichkeit und HD-Wirklichkeit angelegt? Welche HD-Bild-Prozesse wer- den nötig, damit Ideen geschöpft, Gedanken gefasst, Kunst gemacht, experimen- tiert, geforscht, gefühlt, erinnert, investigiert, verkörpert und kritisiert wird? Wie formiert sich High Definition als medienphilosophisches Image Processing? Die schon angesprochenen Filme Patricio Guzmáns, El botón de nácar und Nostalgia de la luz formulieren solche Fragen z.B. über die den Filmen eigene HD-Praktik des Dokumentierens einer schwer zugänglichen Nationalgeschichte: Der Anspruch äußert sich durch die Bezüge zwischen scheinbar nicht zu vereinenden Wirklichkeiten, die Guzmán jedoch in die digitalbildliche „Materie“ der Hochauflösung einfasst. Die Vergangenheit, auf die sich bezogen wird, kann kosmisch genauso wie politisch ver- gegenwärtigt werden. Suchen kann man nach neuen Planeten wie nach den Knochen oder Kleidungsfetzen der Getöteten. Guzmán legt diese verschiedenen Wirklichkeiten und Zeitlichkeiten, die Erfahrungen und Affekte und auch die Medialitäten, die sie anbieten, im Image Processing übereinander. Wirklichkeitsschichten werden wie digitale Bildschichten überblendet, oft ganz gemächlich, sodass dritte Bilder bzw. Versionen der alten Bilder entstehen, aber nicht nach einem Additions- oder Kontrastprinzip avantgardistischer Montagetheorie. Schnitte im Film werden gesetzt wie Schrägstriche im Text, die eher unentschiedene Überblendungen, Verdichtungen und Kongruenzen aushandeln – sie als Differenzen prozessieren. Es geht nicht um Dialektik oder um Brüche, Risse, Fragmentierungen oder absondernde Trennungen. Guzmáns ästhetisches Programm setzt hingegen auf eine Anreicherung der Wirklichkeit durch die kontinuierlichen und glatten Übergänge und Auflösungen. So ent- stehen ontologische Verdichtungen, die das Nicht-Vorhandene nicht ein- fach durch Lücken ausstellen, aber auch nicht füllen, sondern es in einen größeren Maßstab eintragen und im Prozess der Größenveränderung 16 High Definition hochaufgelöster werden lassen. Diese Skalierung ist möglich durch die HD-Ästhetik und ihr Image Processing und bringt auf diese Weise die Gräueltaten des Militärregimes in ihrer Unvorstellbarkeit und der ver- bundenen Trauer der Angehörigen zum Ausdruck. HD-Bilder verbürgen sich für ihre Wirklichkeit. Sie setzen die Beziehung unter das Vorzeichen einer sinnstiftenden Möglichkeit, mit und am Digital- bild etwas zu erkunden, zu affizieren, zu bejahen, zu befragen, etwas zu kritisieren und vielleicht sogar zu ändern. Da es um verschiedene Ver- hältnisbestimmungen zwischen Welt und Digitalbild geht, die variierend Austausch-, Wechsel- oder auch Kongruenz-Beziehungen sind, sollen die Operationen, Prozesse und Diskursivierungen dieser Verhältnisse mit einem Schrägstrich markiert werden. Mit dem Schrägstrich können genealogische und konzeptuelle Bezüge offengelegt werden, z.B. bei der Frage wie das Digitale zum Post/Digitalen steht. Der Schrägstrich kann begrifflich Relationen austarieren und dabei bedeutungsgenerierende Verdichtungen aufzeigen, die auf ästhetische Prinzipien von HD verweisen, z.B. einen hyperästhetischen Niederschlag im Film, der Licht/kristallisiert (4.2.) oder Kontinuität/intensiviert (4.1.). Es kann mit dem Schrägstrich auf Tautologien eingegangen werden, z.B. wenn Wirklichkeit als genuin mediale (Medien/Immanenz, 2.2.) oder eine bewegtbildliche Aufmerksamkeits- steuerung als spezifisch erkenntnisgeleitet (Epistemologisch/Zoomen, 5.) ausgezeichnet werden sollen. V.a. aber hält der Schrägstrich Bedeutungen offen und unterstellt so auch eine von mir vorgenommene Benennung von Phänomenen oder eine Adaption von Konzepten einer Prozessualität. Die Theoretisierung des Einsatzes und die Funktion des Satzzeichens innerhalb dieser Forschung wird im folgenden Unterkapitel (1.2.) ausführlich erläutert. Potenziale der Hochauflösung HD-Bilder erscheinen in diesem Buch nie nur einmal, sondern als Versions- verlauf, Bild und Gegen/Bild, im Prozess. Sie stehen im Sinne einer visuellen Kultur, wie sie u.a. von William J. Mitchell (1995) oder auch Gottfried Boehm (2007) skizziert wird, lateral zu ihren Erscheinungs- und Verwendungskon- texten. Boehm befragt z.B. durch ein Verweissystem an Bildern „eine iko- nische Durchdringung der Realität“ (ebd., 13). Doch treten die Bilder, die ihn interessieren, zwar nebeneinander, aber immer noch „im stabilen Rahmen“ ohne eigene Entwicklung auf. HD-Bilder zeichnen sich dagegen durch ihre inhärente Prozessierbarkeit, durch ihr Image Processing aus, und so werden Bild/Wirklichkeiten der gegenseitigen Durchdringung möglich, denn durch HD verlassen Digitalbilder ihre vermeintlich fixierten Rahmen High Definition 17 und nehmen an Wert zu und wieder ab. Sie sind daher nie fertig- oder einfach hergestellt, sondern als Verlauf von Erscheinungen immer nur der nächste post/produzierte Schritt. Ich werde ausführen, dass das HD-Image- Processing Bilder zum Changieren und Schwanken bringt, zwischen über- blicksschaffenden Draufsichten, hyperästhetischen Oberflächen, wacke- ligen Handkamerablicken, sensorischer Subjektivierung, collagierenden Verdichtungen, informationsgesättigten Rohmaterialien, (atmo)sphärischen Immersionsangeboten, im Stream verweilenden Bildexistenzen. Diese von HD erzeugten bildlichen Differenzen stehen transversal zu Medienspe- zifiken, Bildtypologien, genealogischen Zeitbezügen und kontinuierlichen Raumgefügen. Realitätsdurchdringende und wirklichkeitskonstitutive Dimensionen des HD-Digitalbildes hängen untrennbar an diesen Prozessen, diesen weiter-/be-/verarbeitenden Schritten – HD-Bilder kommen immer anders und mehrfach vor, in differierenden Versionen, mit unterschiedlichen Wirkungen und so reich an Informationswerten, die schwerlich nur für „ein“ Bild gelten können. Im Verlauf meiner Betrachtungen soll die rela- tionale und prozessuale Fülle von HD mit dem Konzept der skalaren In/ Varianz eingeholt und über sie das engagierte Verhältnis zur Wirklichkeit, für das ich argumentieren möchte, seine Begründung finden. Bestellt wird so eine medial ausdifferenzierte HD-Bild/Wirklichkeit – HD-Bilder, die Wirklichkeiten, und Wirklichkeiten, die HD-Bilder werden lassen und diese Bezugnahme möchte ich im Folgenden mit dem Begriff der Potenziale der Hochauflösung überschreiben. HD-Bilder sind dann stets Bilder des Potenzialen, weil ihre Informations- dichte über einen identitätsstabilisierenden Rahmen, eine eindeutige im Sichtbaren hinterlegte, in sich identische Bedeutung und ein fixiertes Dispositiv hinausweisen. Sie halten als datendichte Bildoberflächen einem „Möglichkeitssinn“ im Sinne Robert Musils (2010, 247–257) stand. Dies führt dazu, durch HD-Bilder und durch den materiellen Spielraum, der mit der hohen Auflösung angeboten ist, Perspektiven zu pluralisieren, Materialien aufzufächern und Bild/Wirklichkeits-Verschränkungen herzustellen, zu entwirren und gleichzeitig wieder zu „verkomplexivieren“. Potenziale (lat. potentia, „Stärke, Macht“) stecken Alternativen und Gelegenheiten ab. Sie rufen den ontologischen Konjunktiv einer Sache auf den Plan und öffnen Wirklichkeiten hin zum Unentschiedeneren. Das geschieht, so möchte ich es mit meiner Forschung verdeutlichen, gerade durch post/ produzierende, um/formatierende, interpolierende und zoomende Ver- fahren des HD-Image-Processings, die auf eine erkenntnisgeleitete wie gleichsam ontologische Dimension, eine Onto-Epistemologie, hinauslaufen: 18 High Definition Erkenntnisprozess ist durch HD Image Processing. Der Gehalt einer Wirklich- keit und die Wirkung wie der Wert eines Digitalbildes werden zuallererst im Prozess, in der Weiter-/Be-/Verarbeitung errichtet und explorativ erkundet. Medienphilosophisches Image Processing Dass HD vom Image Processing abhängt, ist zunächst ein Allgemeinplatz bezogen auf die softwarebasierte Existenz von Digitalbildern, denn die auf Algorithmen basierende Prozessierung des Codes sorgt überhaupt erst dafür, dass Informationen als hochaufgelöste Bilder auf unseren Screens erscheinen. Was als funktionale Notwendigkeit scheinbar gesetzt ist und in diesem Buch über eine genaue Analyse der HD-Bild-Techniken explizite Beachtung findet, wird nun von mir des Weiteren – und darin erkenne ich meinen Einsatz in Bezug auf die Frage des Digitalbildes – kurz- geschaltet mit prozessierenden und relationalen Verfahren jenseits der Funktionalität und reinen Operativität. Mit der Übertragung der grund- legenden Medientechnik des Image Processings auf z.B. künstlerische oder populärkulturelle Praktiken und Operationen mit und durch HD soll eine medien- und technikphilosophische Beschreibung einer visuellen Kultur als aktives HD-Bild/Wirklichkeits-Milieu angeboten werden. Ein Anliegen meiner Forschung ist es, die medientechnischen Voraussetzungen des Digitalbildes als Ästhetik und Episteme, als medien- und technikphi- losophischen „Beitrag“ von HD zu erkennen. Image Processing ist dann auch ein ästhetisches und politisches Instrument und HD-Bilder sind nicht nur die Ergebnisse funktionierender Prozessierungen als Repräsentationen der Wirklichkeit, sondern selbst Praktiken und Prozesse der Wirklichkeits- erzeugung, und das nicht nur über autorisierte oder potente Gefüge der Macht. Entgegen des schnell gefällten Urteils, HD als eine unkritische, illusorische oder oberflächliche Ästhetik einzuschätzen, möchte ich für einen Perspektivenwechsel eintreten. Gerade die „Befangenheit“ der HD-Bilder kann als Ursache, Wirkung und Möglichkeit bestimmt werden, um operative Standards, institutionelle Normierungen und abstrakte Zusammenhänge mit einer durch HD-Bildlichkeit ermöglichten Bildpraxis aufzubrechen. Mit HD „mehr“ und „zu viel“ zu denken, überkommt die Vor- stellung, dass etwas augenscheinlich „ist“ oder „funktioniert“, das möchte ich in Kapitel 2.1. mit der Too Much World und in Kapitel 2.2. mit den Too Much Images demonstrieren. HD zeigt, dass etwas immer schon „mehr“ oder „zu viel“ ist für einen funktionierenden Kontext, ein Running System oder „einen“ stabilen Rahmen. Image Processing ist in diesem Sinne zu verstehen als grenzüberwindendes Potenzial, das es erlaubt, ein „Com- mitment“ an die Wirklichkeit mit und durch Bilder und deren Verhältnis High Definition 19 nicht als stimmiges, distanziertes oder operativ-automatisiertes, sondern im Gegenteil als affirmativ, entschieden und v.a. als „[p]olitisch, engagiert, dokumentarisch“ (Lorch 2018, 11) zu registrieren. So beschreibt z.B. die Kunstkritikerin Catrin Lorch das Anliegen der HD- Kunstarbeiten, die 2018 für den Turner-Preis nominiert wurden und die sich laut Lorch alle einem „Video-Realismus“ verschreiben würden, als Arbeiten, die sich zum Ziel setzen, eine „Welt in Hochauflösung“ digital- bildlich zu befragen und zu erforschen (ebd.). Ein künstlerisches Ver- trauen in die hochaufgelösten Bilder lässt sich mit der Übertragung der Charakterisierung Lorchs auf die HD-Filme Guzmáns weiter nachvoll- ziehen: Die hyperreal anmutenden Ansichten, die der Filmemacher in den beschriebenen Dokumentationen komponiert, das Einpflegen von spektakulären Galaxie-Fotografien, der offensichtliche Rückgriff auf com- putergenerierte Bilder und folglich das Image Processing stellen sich in den Dienst der Wirklichkeit und der Aufarbeitung einer drastischen National- geschichte. Die HD-Bilder rufen nicht zur hyperrealen Flucht und zur kontemplativen Unentschiedenheit auf. Sie triggern keine eskapistischen Begehren, auch wenn noch so ferne Planeten im Film eine Rolle spielen. Die Zuversicht in die hochaufgelöste Digitalbildtechnik zeigt sich durch ihren filmischen Einsatz in Bezug auf die brisante Thematik: Mit HD geht es um eine Hingabe an Chile, um die Dokumentation des Unbehagens mit der nationalen Identität, um das Suchen und aktivistische Befragen und die Forderung nach politischer Stellungnahme. HD als künstlerische Praxis hat einen politischen Einsatz, so zeigt es Guzmán und so zeigen es auch die Nominierungen des Turner-Preises 2018: Die Gewinnerin, die schottische Künstlerin Charlotte Prodger, nutzt z.B. ihr iPhone prothetisch, um ihre geschlechtspolitisch marginalisierte, queere Identität mit Hilfe der Kameratechnik ihres Smartphones zu entfalten und als prozessuales Werden in HD auszustellen. Geschlecht als Image Processing – diesen Vorgang bringt sie in dem Film Bridgit (2016) mit langsam dahinfließenden Einstellungen auf die Leinwand. Politisch- aktivistisch treten die HD-Bilder ebenso in den nominierten Portfolios des Künstler/innen-Kollektivs Forensic Architecture (die in Abschnitt 2.1. genauere Betrachtung finden) auf. Die vom Kollektiv getätigten Counter- Investigationen durch die Weiter-/Be-/Verarbeitung von Digitalbildern positionieren sich gegen einen hegemonialen Einsatz von Hochauflösung, um so mit und durch HD und ihr Image Processing einem Informations- ungleichgewicht und dem Bildmonopol, z.B. von staatlichen Akteur/innen, bei Menschenrechtsverletzungen entgegenzuwirken. In diesen Beispielen werden mit den HD-Bildern affirmierende Bild/Wirklichkeits-Bezüge 20 High Definition hergestellt. Die Künstler/innen nutzen HD-Bilder, um die Wirklichkeit zu erforschen. Ihre Arbeiten bringen einen Glauben an den Wahrheitsgehalt von HD sowie an deren realitätsbezeugendes Potenzial zum Ausdruck. High Definition Was ist nun aber benannt mit „HD“ in Bezug auf Digitalbildlichkeit? Das Akronym steht für „High Definition“, differenziert sich aber weiter aus in „High Resolution“, auf Deutsch: „hohe Auflösung“. Ich möchte mich auf den Begriff der „Auflösung“ konzentrieren, der einerseits die Dynamik von HD und eine Modifikationsbereitschaft durch Image Processing verbalisiert. „Auflösung“ eröffnet andererseits auch ein semantisches Spektrum und benennt folgende Mehrdeutigkeiten: Hochaufgelöst ist etwas sowohl medial/bildlich besonders wahrnehmbar als auch ontologisch prekär – etwas hat sich aufgelöst. Aufgelöst ist eine Person in einer starken, emo- tionalen Erregung, sie scheint „außer sich“ zu sein. Auflösung steht zudem aber gegenteilig zu diesem zerstreuten Affekt für analytische Klarheit: Ein Rätsel, ein Geheimnis, eine mathematische Gleichung oder ein Fall können zur Auflösung kommen. Zwischen Figur und Grund, Verdichtung und Entgrenzung, Klarheit und Verwirrung, zwischen Definition und Auflösung changieren die Bedeutungen, auf die sich die zu fokussierende Digital- ästhetik und die Bezüge, die sie zur Wirklichkeit herstellt, beziehen lassen. Mit dem Label „HD“ werden ab Mitte der 2000er-Jahre eine Reihe an medientechnischen Phänomenen versehen: 2004 legt die Digital Cinema Initiative das Motion JPEG-2000 als Videocodec-Standard mit einer HD-Auf- lösung zur Filmprojektion fest (Bordwell 2012, 60). 2006 wurden die ersten HD-Fernseher auf der Internationalen Funkausstellung in Berlin präsentiert (Visser 2014). 2008 setzt sich die Blu-ray Disc als das vorherrschende Speicherformat für HD-Bildlichkeit durch ( Jurran 2008). Ab dem 18.12.2008 können HD-Videos auf YouTube hochgeladen und gestreamt werden (Video-Flash 2008). 2009 kommt James Camerons Avatar in die Kinos, der Film, der mit digitalen 3D-Effekten als „killer app“ für die Umstellung der Filmtheater-Projektionstechnik auf HD-Qualität setzt (Bordwell 2012, 65, 73). 2009 ermöglicht das erste Smartphone mit einer HD-fähigen Kamera seinen Käufer/innen HD-Videos zu drehen und auch gleich im Netz hochzuladen (Eikenberg 2009). In Deutschland senden die ARD und das ZDF ab dem 12.02.2010 in HD (Deutsches Rundfunkarchiv 2010). HD fungiert somit, im Sinne Simon Rothöhlers (2013, 19) und gemäß meinem Überblick, als mediales „Meta-Label“. Unter dem Akronym wird nicht nur eine bestimmte Ästhetik, sondern werden auch digitale Bildformate, High Definition 21 Techniken, Gerätschaften und Standards zusammengefasst. HD bezeichnet die Digitalisierung des Kinos genauso wie von Smartphonekameras generierte Videos und Fernsehtechniken. HD, schreibt Rothöhler, hat für die Filmindustrie so gesehen eine ökonomisch stabilisierende Funktion und führt in das zugehörige Marktsegment eine Unterscheidung ein, die das einst ständig nachbuffernde, aufpixelnde Webvideo von der aufgerüsteten Heimkinowelt kategorial separiert. (Ebd.) Dass mittlerweile auch das Webvideo zur medientechnischen Armierung mit und durch HD gezählt werden kann, macht nicht zuletzt die Pixelaufsto- ckung der streambaren Eigenproduktionen von On-Demand-Diensten wie Netflix ab 2015 in Ultra-HD deutlich (3.1.). Die Unterscheidung, von der Rothöhler spricht, thematisiert, neben den aufgerufenen Jahreszahlen, eine im Akronym angelegte Historisierung des Digitalbildes in der Abgrenzung zur „SD“, zur Standard-Definition. SD wird im Bereich der Fernseh- und Videotechnik als Spezifikation auf- gerufen, wenn sich die digitale Signalübertragung konkretisiert.1 SD legt eine Pixelproportion digitaler Bilder unter dem Spezifikum fest, nicht HD zu sein (Schmidt 2013, 15). Ist für SD das 4:3-Format bezeichnend, zeigt HD Bilder in 16:9 (42:32). Ausgedrückt in digitalen Pixeln heißt das, dass die Auf- lösungen 960 x 720 (im Verhältnis 4:3) und 1280 x 720 (im Verhältnis 16:9) die ausschlaggebenden Zahlenwerte festlegen. Mit SD sind bestehende (Fernseh- und Video-)Standards markiert, allerdings aus einer retronymen Perspektive. Das Label „SD“ und der vermeintliche Standardwert, den es spezifiziert, werden als solche erst ab dem Zeitpunkt benutzt, als HD für eine digitale Bildbezeichnung mit mehr als 720 Pixeln relevant wird. Die Unterscheidung von SD/HD ruft aber v.a. auch eine qualitative Entwick- lung der „Bildumgebung“ von HD auf: die Dynamisierung und Verteilung von hochaufgelöster Digitalbildlichkeit durch bessere Kompressionsalgo- rithmen, die mehr Informationen kostengünstiger und schneller trans- portierbar machen, ohne auf phänomenologisch begründete Ansprüche bei der Bildqualität zu verzichten. Außerdem differenzieren sich die Erscheinungsorte der HD-Bilder über diverse Bildwiedergabegeräte (Smartphone, Tablet, Flachbildfernseher, hochaufgelöster Digitalbeamer) aus, deren Auflösungsvermögen immer besser werden. Die Tatsache, dass 1 Meine Recherchen haben ergeben, dass der Begriff der Standard-Definition (SD, im Gegensatz zu LD, zur Low Definition) nicht schon seit Beginn der Fernsehtechnik die HD-Entwicklung begleitet; zumindest wird der Begriff nicht von einschlägigen Fernsehgeschichtsbüchern aufgegriffen. 22 High Definition Digitalbilder kostengünstiger und schneller übertragen werden und in nicht festgelegten dispositiven Verbindungen den Betrachter/innen nahe- kommen, lässt diese als ubiquitäre und zirkulierende, Mediengrenzen über- schreitende Ansichten denkbar werden. SD steht für Digitalbildlichkeit, die für einen bestimmten medienhisto- rischen Moment, mit dem Aufkommen der digitalen Infrastruktur, bezeichnend ist. Digitalbildlichkeit existiert mit SD eher noch statisch und dispositivfixiert. Der Text The Networked Screen von Haidee Wasson von 2008 gibt hierüber Aufschluss. Wasson spricht von einer infrastrukturellen Abhängigkeit des Digitalbildes. Mit ihrer Beschreibung wird eine sehr kon- trollierte, überschaubare, eingegrenzte Zirkulationsform erkennbar. Das Netzwerk sei „tightly integrated“ (Wasson 2008, 89): [T]he packaging (or compression), distribution, and exhibition of moving images is intimately tied to the material specificities of the networks through which they travel, their particular technological form, and the specific screens on which they appear. (Ebd., 79) Die Digitalbilder, die unter diesen Umständen fassbar werden, sind, so macht Wasson deutlich, explizit von schlechter Qualität, sie sind „grainy, jerky, flat. Colour is washed. Focus is shallow. Background detail is lost and blurred to abstraction; foreground details also frequently appear fuzzy“ (ebd., 80). Dieser bildästhetische Befund wäre, so Wasson, sofortiges Indiz für die einflussnehmende Infrastruktur: „You always know you are watching QuickTime“ (ebd., 82). SD kann daher als eine Form digitaler Bildlichkeit identifiziert werden, die im Kontext eines medienspezifischen Dispositivs oder Netzwerks gedacht werden muss, mit ihren abschätzbaren formativen Vorgaben. Die Grenzen und Orte der Zirkulation erscheinen hier weniger medienübergreifend abgesteckt: Sie manifestieren sich eher in der niedrigen Auflösung des Bildes. Betrachtet man die diskursiven Topoi, die die SD-Digitalbildlich- keit begleiten, wird das Paradox, gegen das Wasson arbeitet und ein- hergehend eine Historisierung des Digitalen voranbringt, deutlich: Wie auch Sy Taffel (2016, 331) zeigt, wird von „Cyberspace“, virtueller Realität, „information superhighway“ und von „virtual communities“ zu einem Zeitpunkt gesprochen, als das Digitale noch für einen stationär geprägten Internetzugang stand, über den Desktop-, manchmal Laptop-Computer am Schreibtisch daheim oder im Büro, physisch gekoppelt über Kabel an ein Modem. Das über diese Dispositive gewanderte, verpixelte SD-Bild hat nichts gemein mit den vermeintlich hyperästhetischen, glatten, ohne Störung übertragenen Digitalbildern, die mit den Topoi von Virtualität und High Definition 23 Cyber-Kultur aufgerufen und über den geschichtsvergessenen Blick den Bildern zugesprochen werden. HD dagegen weist nun aber nicht nur höhere Pixelproportionen auf, sondern mit dem Akronym wird auch ein ganzer Schwung an unterschiedlichen Bildpunktverhältnissen benannt. Full HD setzt z.B. 1920 mit 1080 Pixeln auf LCD-Fernsehbildschirmen ins Verhältnis, HD Ready dagegen entweder 1280 x 720 Pixel, wenn diese als Vollbilder übertragen werden (720p) oder 1920 x 1080 bei einer Halbbilderübertragung (1080i) von Fernsehinhalten. 2K ist eine filmindustrielle Norm, die minimal größer ist, um dem Seitenverhältnis des Kinobreitbildes zu entsprechen. Mit ca. 2000 Pixeln in der Horizontalen sind z.B. das 35mm-Aspect-Ratio von 1.85:1 (1998 x 1080) oder das anamorphe Cinemascope/Panavision- Breitbild-Verhältnis von 2.39:1 (2048 × 858) benannt. Beide Proportionen werden als 2K bezeichnet und 2K wiederum wird über den HD-Diskurs verhandelt (Rothöhler 2013, 17). Mit 4K-Produktionen wird HD ein weiteres Mal potenziert und hierdurch ein Bild mit dem Seitenverhältnis 16:9 und strenggenommen 4096 Pixeln in der Horizontalen definiert; i.d.R. wird aber von 4000 Pixeln gesprochen. Als Ultra-HD-Format (UHD) sind 3840 x 2160 Pixel für das Fernsehen oder Bildinhalte auf Computer- oder Tablet- Screens gemeint. Unter 4K- oder UHD-Auflösungen werden zusätzlich die Bezeichnungen QHD+ (3840 x 1600) und UWQHD (3440 x 1440) gehandelt. HD und ihre verschiedenen Pixelproportionen bestimmen das native Auflösungsvermögen von digitalen Ausgabegeräten (Tablets, Computer- bildschirmen, Fernsehgeräten) genauso wie die Projektionsfähigkeit von Kino- oder Videoprojektoren, die Pixelfläche von CCD-Sensoren und folg- lich das Auflösungsvermögen von (Smartphone- oder Film-)Kameras, den Grafikmodus von digitalen Videoformaten und die Übertragungsrate von Bild- und Ton-Schnittstellen. HD fasst gleichsam eine ganze Bandbreite an Videocodecs zusammen: MPEG-4, WMVHD, Apple ProRes, DNxHD, HDCAM, um nur die bekanntesten zu nennen, kommen auf eine Mindestpixel- proportion von 1920 x 1080 Pixel. Was diese Akkumulation an technologischen Spezifikationen verdeutlichen soll, ist, dass HD nicht auf ein bestimmtes medientechnisches Dis- positiv („HD sieht man nur im Kino“ ) oder eine medienessenzialistische Klassifikation („HD ist nur Fernsehen“ ) gebracht werden kann. HD ist medial unspezifisch. Mit dem Akronym werden Fernsehen (3.1.), Video (3.2.), Film (3.2., 4.1., 4.2.), teilweise auch Fotografie (3.2.) etikettiert. HD steht transversal zu Mediengrenzen genauso wie zu unterschiedlichen Bild(ver- wendungs)kontexten: jenseits von Kunst/Nicht-Kunst, jenseits von Kino/ Nicht-Kino, jenseits von HD und Low Definition. 24 High Definition Trotz dieser medialen Indifferenz scheint HD in den angesprochenen Kon- texten durchgängig für einen qualitativen Mehrwert einzustehen: „HD. Das ist die Abkürzung für High Definition. Steht also für super Qualität … . Man kann alles super gut sehen“, spricht ein altkluges Werbekind der ARD in die Kamera eines Erklärvideos (ARD Technischer Zuschauerservice 2017). „Der Qualitätsunterschied ist enorm. Die Texte sind in der HD-Variante lesbar, womit YouTube nun auch für Screencast tauglich ist“, heißt es auf video- flash.de, nachdem der Streamingdienst auf die höhere Pixelproportion umgestiegen war (Video-Flash 2008). „JPG2000 is king in one area“, schreibt der User „Phil“ auf petapixel.com. Er habe als Film-Projektionist gearbeitet, und könne bestätigen, dass das HD-Format „the best container of dynamic range, quality, and compression“ für die Filmwiedergabe sei (Archambault 2015). „Schärfe, Belichtung und Farben sind klasse, und gefühlt toppt die Qualität das bisherige Optimum um knapp das Doppelte. Damit führt das I8910 HD trotzdem das Feld der Mobiltelefonaufnahmen mit weitem Abstand an“, ist der Befund eines Online-Handyvergleichs, mit eindeutigem Gewinner: dem ersten HD-fähigen Smartphone (Focus Online 2009). Auch wenn HD immer wieder und schnell mit einem Qualitätsvergleich zu korrelieren scheint, d.h. dem perzeptuell „besseren“ oder „schärferen“ Seh- oder Höreindruck, wie dieser Überblick an Zitaten zeigt, kann neben der medialen auch von einer perzeptuellen und phänomenologischen Unentschiedenheit ausgegangen werden. Das macht zum einen die durch die vielen Pixel eingetretene Überholung der menschlichen Wahr- nehmung und zum anderen die Tendenz der informationsgesättigten Bilder, viel eher über maschinelle Apperzeptionen ausgewertet zu werden, deutlich. Weiterhin soll im Verlauf meiner Überlegungen (2.1., 3.1., 3.2.) mit Marshall McLuhans berühmter „high-definition“-Klassifizierung und der Unterscheidung zu einer „low-definition“ (2001, 22) der Zusammenhang von Qualität und HD aufgekündigt werden („ein unscharfes Bild ist nicht HD“). So sehr die zwei Buchstaben nämlich z.B. einen Videocodec in Form einer bestimmten Pixelproportion beschreibbar machen, so wenig ist mit „HD“ gesagt, dass ein Video auch mit dieser Pixelfülle erscheint. Denn – das zeigt weiterhin das Meta-Labeling – HD steht für eine Additionslogik, die z.B. so aussehen könnte: Ein audiovisueller Inhalt, z.B. Guzmáns El botón de nácar im H.264-Codec (Level 3) wird mit dem VLC-Player (Version 2.2.1. Terry Pratchett) von einem Macbook Air (13“, Anfang 2014, Version MacOS Sierra 10.12.6) abgespielt und zur großflächigen Wiedergabe über ein HDMI-Kabel High Speed mit Ethernet an einen HD-Beamer angeschlossen und projiziert. Der Film könnte aber auch über einen Streamingdienst auf einem Flachbildfernseher angezeigt werden oder über ein VGA-Kabel High Definition 25 (und daher über eine SD- und nicht HD-Schnittstelle) an einen Projektor angeschlossen sein. Hier würden sich eine vollständig andere medientech- nische Umgebung und völlig andere Pixelzahlen einstellen. Diese und viele andere Momente des Ansichtigwerdens von El botón de nácar sind aber mit dem Akronym „HD“ überschrieben. So wird deutlich, dass digitale Bewegt- bildlichkeit und ihre hochaufgelöste Ästhetik der relativen Einflussnahme wiedergabetechnischer Quotienten unterstehen. Das HD-Bild existiert in Abhängigkeit zu diesen und beruht auf einem Potenzial, das sich nur unter der Voraussetzung realisiert, dass alle Parameter stimmen, um die aus- gewiesene Hochauflösung als qualitative Ansicht zu erreichen. Die hohe Auflösung muss als medientechnischer Konjunktiv bewertet werden: Unter bestimmten Voraussetzungen ist es möglich, Guzmáns El botón de nácar in unterschiedlichen HD-Ausprägungen zu sehen, es kann aber genauso gut sein, dass der Film schlecht buffert und die Auflösung unter ihrem Potenzial bleibt. Skalare In/Varianz Demgemäß liegt ein Befund vor, um HD und ihr Image Processing näher zu spezifizieren: Potenziale der Hochauflösung zeigen sich als skalare In/ Varianz – der Bilder wie der Wirklichkeit. HD steht weniger für das größere, sondern für das vergrößer- und verkleinerbare Bild und für dessen formative Anpassungsfähigkeit in dynamischen Interaktionen mit ubiquitär vor- handenen Computer-, Fernseh-, Tablet-, Smartphone-, Außenwerbungs-, Anzeige- und mittlerweile auch „Filmleinwand-Bildschirmen“, Projektoren, den dazugehörigen Kabeln oder auch Wireless-Netzwerken (WLAN, WiMax, Bluetooth, 3G, 4G, 5G, usw.) und den lesbaren Formaten. So sehr HD mit Vorliebe mittelgroße Zahlen zueinander ins Pixelverhältnis bringt, so wenig sagt die Bildauflösung, so wurde es gerade skizziert, etwas über die tat- sächliche Größe und einhergehend die Qualität des Digitalbildes oder den Ort der Erscheinung aus, an dem sich die vielen Bildpunkte kristallisieren. So lassen sich eine qualitative Flexibilität und eine Verbesserung der dezen- tralen Distributions- und Zirkulationsfähigkeit des Digitalbildes und nicht der phänomenologisch einschätzbaren Bildbeschaffenheit mit HD fassen. Diese im HD-Bild durch die technische Spezifikation der hohen Auflösung angelegte Eigenschaft, sich instantan zu vergrößern und zu verkleinern, unterscheidet die Beweglichkeit und Verbreitungsfähigkeit des Digitalbildes von anderen (historischen) Arten des Bildumlaufs. Auflösung ist Skalierung, denn wenn 1920 Bildpunkte auf einer Horizontalen von drei Metern, z.B. einer Kinoleinwand, angeordnet werden, macht dies einen visuellen 26 High Definition Unterschied im Gegensatz zu einer Anordnung derselben Anzahl an Pixeln auf 50 oder 15 Zentimetern. Dass HD-Bilder in medientechnischen Umge- bungen nicht die gewünschte Pixelanzahl zeigen und vielleicht sogar nur als SD-Pixelmengen ausgegeben werden, ist eine Spezifik dieser Korrelation aus vermeintlich hochaufgelöstem Bildmaterial und den infiniten „Bild- umgebungen“, in die sich dasselbe fügen soll. Umgekehrt können verpixelte SD-Ansichten auf HD-Bildschirmen wiedergegeben werden. Es lässt sich also nicht mehr von einem geschlossenen, stets als identisch auszuwei- senden „Bildnetz“ sprechen, welches eindeutige Rückschlüsse auf die spe- zifische Infrastruktur und umgekehrt zulässt; stattdessen kann HD wenn, dann nur vom Netzwerk und nicht von der Bildbeschaffenheit aus begriffen werden, z.B. wenn negativ registriert wird, dass die Internetverbindung gerade langsam ist und das HD-Bild deswegen unscharf erscheint (3.1.). Die Potenziale der Hochauflösung als skalare In/Varianz lassen eine Kette an formativen Vorgaben von HD in den Blick kommen, die eine nicht-linear vorbestimmte, verteilte Digitalbildlichkeit und die Voraussetzungen ihres Sichtbarwerdens definieren, was meiner These entspricht, HD-Bildlich- keit eng mit den Formen ihrer Prozessierung zusammenzudenken. HD- Bilder stehen nicht für eine fixierte Qualität, sondern sie spezifizieren ein Potenzial, nämlich sich besonders aufmerksamkeitsstark und hypervisuell in unterschiedliche (digitale) Kontexte einzufügen und einer qualitativen Anforderung nachzukommen. Es ist davon auszugehen, dass ein Bild, das mit Full HD (1920 x 1080) ausgewiesen ist, das Potenzial zugeschrieben bekommen kann, diese Pixel darzustellen, aber nur im Abgleich mit und in Abhängigkeit zur technischen Umgebung. Ist diese mit einer geringeren Auflösung als das Digitalbild selbst ausgestattet, dann ist das Bild „zu groß“ für die vorgegebene Bildumgebung. Es eröffnet sich ein qualitativer Spielraum, ein nicht ausgeschöpftes Potenzial bleibt bestehen. Potenziale der Hochauflösung sind demgemäß auf folgenden medien- technischen, medienästhetischen Befund zu bringen: Was sie auszeichnet, ist die Skalierbarkeit des digitalen Bildes, die skalare In/Varianz der Hochauf- lösung. Gerade hierin soll die Spezifik von HD erkannt werden. HD über- schreibt ein undefiniertes digitales Bildnetz und seine Additionslogik – die Übertragungsgeschwindigkeiten (Kompressionsdaten), Knotenpunkte (Schnittstellen), Erscheinungsorte (native Screenauflösung) und das, was am Ende sichtbar wird. Die verbundenen Zirkulations- und Distributions- charakteristiken des Digitalbildes können mit HD auf die konkrete Eigenschaft gebracht werden, die dasselbe von anderen Bildwirklich- keiten, z.B. den fotografischen Bildfluten um 1900 oder den Bildwelten des Fernsehens Mitte des 20. Jahrhunderts, unterscheidet: HD steht für High Definition 27 das ständige Um/formatieren, Anpassen, Nachjustieren der Digitalbilder. Die Auflösung ist medientechnische Voraussetzung für diese Flexibilität. Skalierung ist dabei kein Ausnahmefall. Skaliert wird jedes Mal, wenn ein digitales Bild zur Anschauung kommt, z.B. bei der Anwendung der Pinch- to-Zoom-Geste: Daumen und Zeigefinder werden in der Mitte des Digital- bildes und des Bildschirms platziert und dann auseinandergespreizt. Der Touchscreen vergrößert das Bild. So besteht die Möglichkeit, in den Kader zu zoomen, am besten ohne qualitative Rückstöße, d.h. ohne einen Verlust an Bildschärfe zu verzeichnen. Wenn es sich z.B. um einen Full-HD-Bild- schirm handelt, dann hat das HD-Bild, so ließe sich weiter argumentieren, nicht mehr nur das Potenzial, sondern die Qualität, HD-hochauflösend zu sein. Das Digitalbild wird mit der Bildumgebung deckungsgleich. Dabei geht sein qualitativer Möglichkeitsspielraum verloren und der angegebene Auflösungswert wird eingelöst. Die konkrete Größe des Bildschirms, auf dem sich das HD-Bild zeigt, fixiert das Auflösungspotenzial. Nicht mehr die Auflösung, sondern die Pixeldichte ist nun von Relevanz. Die Pixeldichte beschreibt das Verhältnis der Pixelmenge zur Größe des Bildes. Die Bild- punkte werden auf eine fixierte Fläche bezogen, z.B. auf einen bestimmten Screen oder die Maße eines fotografischen Abzugs eines digitalen Bildes. Durch das Verhältnis von zwei unterschiedlichen Rastern, den unterschiedlichen Pixel-Proportionen, entsteht eine neue Proportion, man könnte auch sagen ein Maßstab, der sich in die Digitalbildlichkeit einzieht. Die Skalierbarkeit des Digitalbildes verlangt nach einem Vergrößerungs- oder Verkleinerungsverhältnis in Abhängigkeit zur Bildumgebung und manchmal auch umgekehrt. Dass diese Überlagerung von Digitalbild und Bildumgebung in der gegen- wärtigen HD-Bild/Wirklichkeit so gut klappt, ist auf einen weiteren medien- technischen Befund von HD zurückzuführen, der spezifisch ist für das ubiquitäre Skalieren: Geht es mit HD darum, einen störfreien und hoch- aufgelösten Seheindruck zu erzeugen, und das unter den beschriebenen schwer vorhersehbaren Voraussetzungen der Erscheinungskontexte, dann findet bei den Vergrößerungen/Verkleinerungen der Digitalbilder eine Interpolation von Pixeln statt. D.h. aus der vorhandenen Pixelmenge werden neue Bildpunkte generiert, um eine geschmeidige Ansicht, eine Kontinuität, zu erzeugen. Auch deswegen erscheint es sinnvoll, mit HD von der Ambiguität einer skalaren In/Varianz zu sprechen. Einer- seits sind HD-Bilder auf eine skalare Varianz ausgerichtet: Sie sollen sich möglichst flexibel verkleinern und vergrößern. Strategien des HD-Bildes, sich möglichst mühelos in die temporären Bildumgebungen einzufügen, werden in Kapitel 3.1., 4.2. und 5.1. relevant. Gleichzeitig soll trotz der 28 High Definition Vergrößerung und Verkleinerung von einer qualitativen Invarianz des HD- Bildes ausgegangen werden. Das ist zumindest der Anspruch, unter dem die Potenziale der Hochauflösung aus markt- bzw. ökonomielogischer Sicht stehen. Um diesen Anforderungen gerecht zu werden, gibt es bildtech- nische Verfahren wie das Interpolieren, die den Potenzialen der Hoch- auflösung in ihren temporären Erscheinungskontexten „unterstützend zur Hilfe kommen“, um die qualitative Veranlagung des HD-Bildes aus- zuschöpfen. Gleichzeitig soll skalare In/Varianz auf den oben ausgeführten „internen Maßstab“ des Bildes hinweisen: Heruntergebrochen meint sie das Verhältnis von Bild und Bildumgebung. Die im Folgenden nachzuvollziehenden HD-Formen und ihre skalare In/ Varianz bringen, so soll nun deutlich werden, einen besonderen wirk- lichkeitsbefragenden Nachdruck und damit zusammenhängend eine „ontologische Relevanz“ der Größenveränderung mit sich. Was folglich gemeint ist, zeigt ex negativo das Unbehagen aktueller medienökologischer Theoriediskurse und kulturwissenschaftlicher Auseinandersetzungen mit dem Anthropozän gegenüber Vorstellungen skalarer In/Varianz (4.2., 5.1., 5.2.). Diese sollen jetzt exemplarisch mit den Überlegungen von Anna Tsing angerissen werden (die Ausführung erfolgt in 5.1. und 5.2.), um davon ausgehend das onto-mediale Programm von HD abzugrenzen. Für Tsing (2012, 507) ist Skalierung eine auf Phänomene übergestülpte, nachträglich hinzugefügte bzw. eine aus der Struktur heraus gedachte Eigenschaft und nicht ein „ordinary feature of nature“. Die Skalierbarkeit einer Entität ist für Tsing derselben nicht inhärent, sondern künstlich bzw. „unnatürlich“. Demgemäß stehe Skalierung im Zusammenhang mit öko- nomischen Prinzipien der Kolonialisierung, zeitlich einordbar zwischen dem 15. und 17. Jahrhundert (ebd., 510) und benenne folglich einen oktroy- ierenden Gestus, der in der Eindämmung von kultureller wie biologischer Diversität, als Gegenprinzip zur Vielfalt, erkennbar wäre. Heterogenität und Mannigfaltigkeit wären „enemies of progress“, wenn Entwicklung mit (ökonomischer, auf Produktionskraft ausgelegter) Expansion gleichgesetzt würde, die sich in der übergangslosen, anpassbaren Vergrößerung einer Sache zeige (ebd., 506). Tsing plädiert infolgedessen gerade für eine ontologische Bewertung von Größe (aber eben nicht Größenveränderung), die sie in Hinblick auf Ausschließlichkeiten definiert: Werde etwas ver- kleinert oder vergrößert, dann verändere sich das ganze Phänomen in seiner Existenz und diese Metamorphose widerspreche nun der Vor- stellung, dass skalare In/Varianz zu einer Entität (und ihrer Essenz, ihrer Substanz) gehöre. Mit der Vorstellung, eine Sache wäre unkompliziert groß und dann wieder klein zu ziehen, würde skalare In/Varianz die qualitative High Definition 29 Transformationsbereitschaft ausschließen. Tsing plädiert demgemäß für eine „theory of nonscalability“ (ebd., 505, Hervorhebung im Original). Ich möchte daran anschließend verdeutlichen, dass eine skalare In/Varianz, wie ich sie mit HD beschreibe, durchaus ontologisches Potenzial besitzt, und zwar explizit aufgrund der Veränderlichkeit und Prozessualität, die beim Vergrößern und Verkleinern identifizierbar wird. Dazu greife ich auf die prozessphilosophischen Überlegungen von Gilles Deleuze und Henri Bergson und die durch sie vollzogene mediale Anbindung zurück: Das Kleine und das Große verbinden und diese skalierende Verknüpfung, ent- gegen Tsing, unter transformationsintensive Vorzeichen zu setzen – diese Kompetenz kann mit Deleuze gemeinhin dem (analogen) Film zugestanden werden. Der Film bietet ein Format an, das mühelos die Aufnahme eines Phänomens in der Totalen an die größenveränderte Ansicht desselben Phänomens in der Halbnahen und dann im Close-up reiht, ohne dabei auf Vielfalt zu verzichten. Dass die Veränderung einer einzigen Einstellung das gesamte abgebildete Phänomen nicht unberücksichtigt lässt und daran seine Wandelbarkeit manifest wird, macht Deleuze in seiner Kinotheorie im Rückgriff auf Bergson deutlich. Bergson entwickelt ein prozessphi- losophisches Konzept des „offenen Ganzen“ (Deleuze 1997a, 24–26), als im ständigen Wandel und Werden Befindliches. Deleuze spricht mit Bergsons Überlegungen, wenn eine Sache nicht auf die Summe ihrer Teile gebracht werden kann bzw. qualitativ nicht zu segmentieren ist, vom „Dividuellen“: Das kinematografische Bild ist immer dividuell. Letztlich liegt das daran, daß die Leinwand als Bildfeld der Bildfelder allem, was sonst nichts gemein hat, ein gemeinsames Maß vorgibt: Landschaftspano- rama und Gesicht in Großaufnahme, Universum und Wassertropfen – Teile, die hinsichtlich Entfernung, Plastizität und Licht auf keinen gemeinsamen Nenner zu bringen sind. Für alle solche Aspekte gibt das Bildfeld die Gewähr für eine Deterritorialisierung des Bildes. (Ebd., 30) Der für die Deleuzesche Philosophie durchaus als grundlegend ein- zuschätzende Begriff der „Deterritorialisierung“ kommt in seiner Kino- theorie, in Das Bewegungs-Bild (1997a und Das Zeit-Bild 1997b) insgesamt tatsächlich nur zweimal vor. Das andere Mal (1997a, 135) findet er seinen Einsatz, wenn es um die intensivierenden Eigenschaften der Großauf- nahme geht, die einen besonderen Bezug zum offenen, ständig ver- änderlichen Ganzen hat. Gerade die Großaufnahme und die einhergehende filmische Größenveränderung eines wahrnehmbaren Phänomens könne einen Film vollständig in seiner Bedeutung umcodieren. Deleuzes Konzept der „Deterritorialisierung“ legt eine qualitative Skalierbarkeit dar, zwischen 30 High Definition stetig veränderlichen Dingen und ihren Größen, die sonst keinen gemein- samen Nenner haben. Ihre auf Vielgestaltigkeit gründende Bezugnahme führt zu einer deterritorialisierenden Entfremdung, Dynamisierung und Migration des Bewegungs-Bildes und steht für seine Wandelbarkeit. Die „Gewähr“, dass diese Mannigfaltigkeiten zusammenfinden, dass zwischen ihnen skaliert werden kann, bietet der invariante Bildkader, der als Abgrenzung die innerfilmische Varianz zuallererst ermöglicht. Doch gerade diese vermeintliche Invarianz ist wiederum nicht auf eine rigide, unveränderliche Form zu bringen. Der Kader ist, so macht es prominent André Bazin deutlich, nur eine Abdeckung, ein „Kasch“ (2009, 225), welcher sukzessive Perspektiven auf ein filmisches Universum preisgibt und den gen unendlich tendierenden „Rest“, ein Außen des Filmbildes, wie es in Kapitel 2.1. und 4.1. ausgeführt wird, miteinkalkuliert, ohne es explizit sichtbar zu machen. Um vom Kleinen zum Großen, von der einen Ein- stellung zur nächsten zu kommen, setzt der Film auf den Schnitt zwischen diesen expandierenden Kadern, der für Deleuze ein beweglicher ist und kein unbeweglicher Einschnitt in die qualitative Einheit der Bewegung. Kein Schnitt könne, so Deleuze (1997a, 13), rigide, in sich geschlossene Elemente aus diesem stetigen Bewegungsfluss zwischen Größenver- hältnissen herauslösen und segmentieren. So wie Größe für Tsing an einer ontologischen Verfasstheit eines Phänomens hängt, ist das Bild für Deleuze nicht von der Bewegung und einhergehend von den (Einstellungs-) Größenveränderungen zu trennen. Die Bewegung im Bewegungs-Bild ist intrinsisch. Das bedeutet im Übertrag auf einen Skalierungsvorgang, dass auch die Größenveränderung nicht unterteilbar ist in gestaffelte Einzelgrößen, sowenig wie die Bewegung in Einzelbilder. Für Deleuze und Bergson ist es unmöglich, zwei rigide Punkte, unbewegliche Einschnitte, einander anzunähern, um daraus eine Kontinuität herzustellen – „die Bewegung wird sich immer in dem Intervall zwischen ihnen ergeben, also hinter unserem Rücken“ (Deleuze 1997a, 13). Für die Theoretisierung einer skalaren In/Varianz, wie sie vorliegend in Bezug auf hochaufgelöste Digitalbildlichkeit Beachtung finden soll, kann der Rückgriff auf eine filmische Verhältnisbestimmung verschiedener Größen produktiv werden, wenn man beim Skalieren mit Deleuze und Bergson den Blick auf die Intervalle und den Prozess wirft. Dieselben werden in Hinblick auf HD nun gerade nicht im Bruch, Riss oder einer dia- lektischen, konfrontativen Montage greifbar, sondern in den (fließenden) Übergängen eines Bildes zum nächsten. So geben es auch die Filme Guzmáns vor und so wird es weiterhin in Bezug auf die Technik des Digital- bildes thematisiert (3.2.). High Definition 31 Hierzu soll ein Blick auf ein „Experiment der Hochauflösung“ geworfen werden, welches Bergson in Schöpferische Entwicklung (1974) anführt und in dem Auflösung als Prozess des Übergangs auftritt: In Wasser wird Zucker gegeben. Die Zeit, die gewartet wird, bis sich der Zucker im Wasser auflöst, macht einen qualitativen Unterschied aus. Ein Gefühl der Erwartung setzt ein, geht in Un/Geduld über und löst sich in Wohlgefallen auf, sobald das Zuckerwasser „fertig“ ist (Bergson 1974, 20). Der/die Wartende hat diese Veränderung nicht über disjunkte oder diskrete Momente sukzessiv wahr- genommen, sondern „als Auflösung“, d.h. als sich ständig verändernden Prozess, der sich von der Form des Zuckers bis zu seiner aufgelösten, nicht mehr sichtbaren Anwesenheit im Zuckerwasser erstreckt. Auflösung als Veränderung findet im Übergang, im Verlauf statt. Dass dabei gerade die „geistige Realität“ des/der Wartenden, wie Deleuze (1997a, 23) sagt, die Ungeduld, die Erwartung und die Freude über das Zuckerwasser, Teil des Prozesses sind bzw. den Prozess ausmachen, die Auflösung von Zucker in Wasser also nicht ohne diese Empfindungen als qualitative Zustandsänderung denkbar wird, hat mit Bergsons Begriff „des Ganzen“ zu tun. Bergsons Ganzes ist offen und veränderlich, und zwar in Bezug auf eine geistige Realität wie in Bezug auf das Zuckerwasser. Das Ganze definiert sich über die (affektiven) Relationen, die sich zwischen ver- schiedenen Wirklichkeiten und ihren Phänomenen herstellen lassen. Das Ganze kommt bei Bergson nicht in die Verlegenheit des Ein-/Ausschlusses, denn es bezeichnet nicht eine in sich geschlossene und womöglich „alles“ einfassende Entität, sondern sich ständig verändernde Relationen der Wirklichkeit. Übertragen auf die Skalierbarkeit könnte man Tsing daher zustimmen: Ja, die Größenveränderung ist nicht etwas, das zu einem iden- tifizierbaren Phänomen gehört. Es handelt sich bei Skalierung um eine Relation und diese definiert nach Deleuze (ebd., 22) und Bergson nicht das Phänomen, sondern das Ganze. Das bedeutet nicht, dass die ontologische Größe einer Sache durch das Ganze verloren ginge. Die Existenz eines Phänomens wird nur in das Beziehungsgeflecht des Ganzen eingefügt, das Phänomen wird so zur Existenzweise. Onto-Epistemologie So ist ein weiterer Befund für HD und für die Potenziale der Hochauf- lösung benannt: HD bringt skalar in/variant Existenzweisen von Bildern und gleichermaßen Wirklichkeit hervor und widerspricht, so möchte ich argumentieren, dem Verständnis, Ontologie mit Substanz oder Essenz gleichzusetzen. Mit meinen Überlegungen schließe ich an die 32 High Definition Neubefragung eines Basisbegriffs der Philosophie an, wie sie die Medien- wissenschaft aktuell in unterschiedlichen Ausprägungen vorlegt: Am IKKM in Weimar wurde zu „operativen Ontologien“ (Engell und Siegert, 2017) geforscht. Lorenz Engell und Bernhard Siegert deuten mit diesem von ihnen geprägten Begriff auf die Verfertigung und Gemachtheit und dem- entsprechend eine mediale Verfasstheit allen Seins hin (ebd., 6). Sein ist, setzt man es unter operative Vorzeichen, nicht identisch mit sich selbst, sondern plural ausdifferenziert und transformationsbereit: „In den Modi und Operationen der Verfertigung wiederum wird die jeweilige Art dessen, was zu sein in Rede steht, unter Bedingungen gesetzt und gestaltet, und zwar auf je verschiedene Weise“ (ebd.). Diese Überlegungen werden von Lisa Handel (2019) mit ihrer Studie zu aktuellen prozessphilosophischen Ausprägungen in der Medienwissenschaft mit dem Konzept der „Ontome- dialität“ weiterentwickelt. Bei Handel trägt sich eine Materialitätsnähe in die Fragen nach dem Sein ein, die auch Stephan Trinkaus (2013, 184) im Anschluss an den New Materialism als „neue Ontologien“ auszeichnet. Ontologie wird für eine Analyse zu HD relevant, weil über die modifizierten Problemstellungen bei der Frage nach dem Sein zwei aufeinander zu beziehende Tendenzen in der Medienphilosophie zusammengefasst werden können. Einerseits wird von einer Verschiebung vom essenziellen, allesbegründenden Sein zum dynamisch-aktiven, transformationsbereiten Werden übergegangen – eine prozessontologische Dimension, die an die Ansätze von Alfred North Whitehead, Gilbert Simondon, aber auch an das Deleuzesche Projekt, Differenzen zu „ontologisieren“ anschließt, welches im Zentrum meiner Aufarbeitung stehen soll. Die Ausrichtung vom Sein zum Werden kann andererseits die Unterscheidung zwischen Erkenntnis als Imagination/Geist/Bewusstsein und Sein als Körper/Material/Sinn- lichkeit/Phänomen hinter sich lassen. Epistemologie und Ontologie fallen zusammen und verschränken sich – wie mit der relationalen Ontologie von Karen Barad in 1.2. deutlich werden soll. In diesem Buch werden die paradigmatische Neuausrichtung vom Sein zum Werden und die Verschränkung hin zur Onto-Epistemologie über die HD-Formen der Potenziale der Hochauflösung, der skalaren In/ Varianz und der gleich näher zu spezifizierenden Existenzweisen digitaler Bilder nachvollzogen, und zwar konkret am Image Processing, dem Post/ Produzieren, Um/Formatieren, Interpolieren und Epistemologisch/Zoomen. HD und die Spezifik der Skalierbarkeit des Digitalbildes von der Position Tsings abzugrenzen und stattdessen in Zusammenhang zu setzen mit den durch Deleuze und Bergson aufgerufenen Vergrößerungs- und Ver- kleinerungsprozessen, soll meinen Versuch einer medientransformativen High Definition 33 und onto-epistemologischen Einordnung betonen. Vorausgesetzt werden muss also, so möchte ich es noch einmal hervorheben, dass HD sich grund- legend über die medientechnische Praxis des Skalierens auszeichnet, deren onto-epistemologisches Potenzial auf ein weiteres „Experiment der Hochauflösung“ gebracht werden kann, wenn auch im intermedialen Vergleich: Das Kinderbuch Cosmic View. The Universe in 40 Jumps (1957) von Kees Boeke veranschaulicht Größenverhältnisse und beginnt bei einem Mädchen, sitzend, eine Katze auf dem Schoß. In 40 Zeichnungen wird im immer gleichen Abstand zuerst aus dem Bild heraus und dann in das Bild hinein gezoomt (das Zooming als besondere Form der Skalierung wird im 5. Kapitel betrachtet). Analog bedeutet das, dass mit dem Blättern der Buchseiten Größenverhältnisse gestaffelt, austariert und bestimmte Wirklichkeiten miteinander in Beziehung gesetzt werden. V.a. ist dabei die „medientechnische“ (hohe) Auflösung interessant, die das Buch selbst vor- gibt. Darauf verweist Zach Horton (2017, 35) mit seinem Begriff der „scalar collapse“, den ich mit meinem Konzept der skalaren In/Varianz gleichsetzen möchte. Hortons „scalar collapse“ beschreibt die Möglichkeit des medien- technischen Zusammentreffens verschiedener Größenordnungen unter der Vorgabe, dass das Kleine nicht einfach vom Großen „verschluckt“ werden würde, sondern sich in der Begegnung von Groß und Klein eine qualitative Veränderung einstellt (ebd.). Für Horton bietet nun die Auflösung (medien- technisch, optisch, aber auch konzeptuell) eine Möglichkeit zum „scalar collapse“, zur skalaren In/Varianz, ohne hierarchisierend Größen anzu- gleichen (ebd., 53–54). In Boekes Buch ist das Mädchen mit der Katze schon nach dem zweiten Jump nur noch so groß wie ein Bildpunkt, ein Pixel. Die Vergrößerung des Maßstabs verkleinert das Mädchen, das unterhalb des Auflösungsver- mögens der Buchseite bzw. der Bildbeschaffenheit fällt. Nach der sechsten Größenveränderung heißt es: „[T]here is the little girl: we know she must be there, but we cannot see her!“ (Boeke 1957, 14). Das Buch würde, so ist Horton (2017, 53) weiter zu folgen, eine „material scalar relationship between the resolution of the paper and ink droplets, the area of the image’s frame (15 x 15 cm), and the dimensions of the surface that each image describes“ errichten. Das Auflösungsvermögen der Tinte und der Papierfaser könne das Mädchen nicht „auflösen“ („resolve“) und so sei weniger etwas über das Mädchen, als über ihre Position in einem größeren Zusammenhang (die über eine Karte repräsentierten Mittelniederlande), v.a. aber auch etwas über die mediale Kapazität der Darstellung gesagt. Auflösung agiert wie der skalar invariante Kader bei Deleuze, der eine dividuelle, variante Bildbewegung zwischen Diversitäten ermöglicht. Das 34 High Definition Mädchen, das da ist – detailgenau, verkleinert, als Punkt, unsichtbar – wird dividuell zur Existenzweise. D.h. gerade nicht, dass die Existenz des Mädchens mit seiner Katze, die detailreich im Bild zu sehen ist, dieselbe Existenz hat, wie das Pixelmädchen ohne Katze, ohne Detail. Zucker hat als Zuckerwasser eine andere Existenzform. Wie beim Warten auf die Auflösung des kristallinen Stoffs, stellt sich auch in Cosmic View eine prozessuale, affizierende Relation ein: Doch nicht mehr die Imagination oder die Ungeduld der Wartenden, sondern die mediale Auflösung der Buchseite verdeutlicht nun den Prozess. Durch die skalare In/Varianz der Hochauflösung können – so lässt sich der Bogen vom Bilderbuch wieder zu HD schlagen – Größenverhältnisse im Bild und des Bildes austariert werden und einhergehend Formen der Wirklichkeit, wie es auch Guzmán mit der filmischen Überblende, als onto-epistemologische Form von HD-Auflösung, vorgibt. Es werden in den Filmen des chilenischen Regisseurs verschiedene Existenzweisen der Wirklichkeit skalar in/variant zueinander in Beziehung gesetzt, einmal technisch durch die ineinanderfließenden Bilder und weiterhin auch auf der darstellerischen Ebene. HD skaliert in El botón de nácar Menschen zum Universum: Die Selk’nam, eine Untergruppe der Kawesqar, bemalen ihre Körper mit den Sternen, weil sie nach dem Tod zu denselben werden. Durch die Bemalung ihres Körpers verkleinern sie sich von der Erde aus gesehen zu einem Punkt, werden auf einem planetarischen Maßstab aber unendlich viel größer als ihre irdische Existenz. El botón de nácar zeigt eine Schwarz- weißfotografie von Männern, deren Körperbemalungen, so scheint es, den Kosmos kartografieren (siehe Abb. 1.2.). In einer langsamen Überblende lösen sich zunächst die dunklen Teile im Bild in die dunklen Bereiche des Universums auf. Die weißen Punkte auf den Körpern der Menschen sind am längsten zu sehen und überlagern sich mit den weißen Punkten in der Galaxie. Ähnlich wie aus der Auflösung von Zucker in Wasser Zucker- wasser wurde, wird in diesem Fall, mit der überblendenden Auflösung aus den Menschen ein Universum. Guzmán reiht einige Ansichten von Sternenansammlungen, dezent gehalten, in blassen Farben und Schwarz- weiß, aneinander. Die Konstellation von Orion und das Kreuz des Südens kommen ins Bild. Die letzten Ansichten der Sequenz sind besonders dichte Sternenhaufen. Erst im Umschnitt erkennt der/die Zuschauer/in, dass es sich hierbei um die Bemalung der Selk’nam handelt. Die Großaufnahme einer Körperbemalung ist in El botón de nácar gleichbedeutend mit der astronomischen Totalen (00:31:08–00:34:00). Hohe Auflösung bekommt einerseits beide Größen detailgenau in den Blick und stellt durch die lange Überblende, bei der sich Menschen in Galaxien auflösen, eine skalar in/ High Definition 35 variante Beziehung zwischen beiden her. Andererseits verbindet HD die Hochauflösung der digitalen Fotografien des Universums mit der Granularität der analogen Schwarzweißfotografien. Das Rauschen der analogen Fotografie, welches im Film stark ausgestellt wird, korrespondiert in HD mit der Feingliedrigkeit der astronomischen Phänomene. Hier ist die Pixelfülle schon bei der digitalen Ablichtung obligatorisch, da sonst die Beschaffenheit und Struktur der Sternencluster verborgen bleiben würde. So können nicht nur Menschen und Kosmos als Existenzweisen aufeinander bezogen werden, sondern auch die medialen (hochgradig medienspezifischen) Existenzweisen von granularer Analogfotografie und digitalen Pixeln. Bei HD scheinen Größenveränderungen i.d.R. glatt und geschmeidig und ohne die rezeptiven Lücken abzulaufen, die das Umblättern von Buchseiten bei Cosmic View mit sich bringt. Dennoch möchte ich auf die Analogie von HD und der in/varianten Vergrößerung/Verkleinerung und deren Verhält- nisbestimmung beharren. Die Skalierbarkeit durch das digitale HD-Format äußert explizit ihre medientechnische Besonderheit über mal stärker, mal weniger stark nachzuvollziehende Überlagerungen, Überschneidungen, Moiré-Effekte der Größenunterschiede zwischen Bildern. Denn HD, so wurde oben ausgeführt, etabliert ein Bildnetz und eine Additionslogik, sodass Skalierung als ein Anpassungs- und Grenzen-austarierender Prozess des Vergrößerns und Verkleinerns eines Bildes an seine tempo- räre Umgebung und umgekehrt verstanden werden muss. Skalare In/ Varianz ist relational und materiell und kein mathematisches Verfahren, das es ermöglicht, eine Sache ins Unendliche groß- und kleinzurechnen. Dann müsste von Vektorisierung der Digitalbildlichkeit, von Vektorgrafiken und nicht von der Auflösung gesprochen werden. Die Art und Weise, wie Digitalbilder aktuell erscheinen, ist nun aber auf das Maßverhältnis ver- schiedenster Wiedergabegeräte, Screens, diverser Bildformate und ihre unterschiedlichen Auflösungen zu bringen, sodass mit HD von einer univer- sellen in/varianten Skalierung und Dividualisierung gesprochen werden soll, wie Deleuze sie für die varianten Bilder im invarianten Bildkader benennt. Knopf-Mimese Dass das Digitalbild so skalierbar ist, hängt im hohen Maße mit der spe- zifischen Dynamik und Transformationsbereitschaft zusammen, die durch die Auflösung attestiert wird und die die HD-Bilder von auf Kader festgelegten Pixeldichten und mathematisch-unendlich skalierbaren Vektorisierungen abgrenzt. So ist es möglich, dass ein Digitalbild an 36 High Definition verschiedenen Orten, in verschiedenen Bildumgebungen erscheint, und transversal zu Klassifikationsrastern, Wertnormierungen, Raum und Zeit steht. In El botón de nácar macht eine solche Agilität der kleine, titelgebende Knopf vor, der skalar in/variante Zirkulationsbewegungen im Film durch- läuft, eine filmische „Zyklographie“ für sich beansprucht, wie Oliver Fahle (2019) ein filmisches In-Bewegung-Setzen von Dingen nennt.2 Der Knopf gerät in Skalierungszusammenhänge, die es ermöglichen, dass sich seine Größe bzw. Bedeutung ändert. 1830 bezeugt er einen asymmetrischen Handel. Ein junger Mann tauscht den Knopf gegen „sein Land, seine Freiheit, sein Leben“ (01:11:51). Er wird bekannt als Jemmy Button, „Darwins Jim Knopf“ (Voss 2009), „whose name expresses his purchase-money“ (Darwin 1845, 207), denn der junge Mann verlässt zunächst mit Fritz Roy auf der HMS Beagle seine Heimat Patagonien, lebt für ein Jahr in England, um dann wieder zurückzukehren, und dieses Mal ist auch Charles Darwin an Bord des Vermessungsschiffs. Jemmy Button tauscht seine ganze Existenz gegen einen Knopf. Der Metamorphismus, der dadurch einsetzt, zeigt sich im Film durch die Überblendung von Tusche- und Kohlezeichnungen. Zunächst wird der Indigene als Matrose verkleidet und dann zum „Gen- tleman“ erzogen (00:51:28). Die Transformation Jemmy Buttons nimmt dann ausufernde Dimensionen an und kann mit Friedrich Balke (2018a, 23) als „exzessive Mimesis“ bezeichnet werden. Was als kolonialistische, missionarische Umerziehung beginnt, um „einen funktionalen Beitrag zur Stabilität der politischen Ordnung“ in den Kolonien zu leisten, schlägt um in ein Extrem, „insofern die perfekte Nachahmung die Differenz zwischen ihr und dem Modell nicht länger erfahrbar macht“ (ebd., 18). Der/die Nach- ahmende wird originärer als das vermeintliche Original. Denn, so notiert es Darwin in seinem Reisejournal, Jemmy Button scheint der putzsüchtigste an Bord. Der Indigene ist der „wahre“ englische Gentleman: [V]ain of his personal appearance; he used always to wear gloves, his hair was neatly cut, and he was distressed if his well-polished shoes were dirtied. He was fond of admiring himself in a looking-glass. (Darwin 1845, 207) Das Dandy-Sein Jemmy Buttons hält nur nicht lange an. Zurück in Patagonien versucht der junge Mann sich wieder an seine Heimat anzu- passen, doch der Knopf-Tausch ist irreversibel: „[E]r wurde aber nie wieder derselbe Mensch“, heißt es in El botón de nácar (00:51:53). Mit der Rückkehr Jemmy Buttons nach Patagonien ist nicht nur die Dissoziation des jungen 2 Zu einer medienkulturwissenschaftlichen Auseinandersetzung mit Phänomenen des Zyklischen und der Prägung eines Konzepts der „Zyklographie der Dinge” arbeiten Ralf Adelmann et al. (2019). High Definition 37 Mannes beschlossen, sondern auch der Niedergang der indigenen Völker durch die nun einsetzende Kolonialisierung. Jemmy Buttons existenzielle Migrationsgeschichte im Film ist gekoppelt an den Knopf. Auch er taucht wiederholt und differenziert auf, ein weiteres Mal 2014 am Meeresgrund des Pazifiks, festhaftend an einer rostigen, von Meeresgut überzogenen Eisenbahnschiene (01:11:22). Auch hier hat eine exzessive, existenzielle und drastische Metamorphose stattgefunden. Beide Male, so Guzmán im Voiceover, erzählt der Knopf „die Geschichte der Vernichtung“ (01:12:18). Im zweiten Fall ist er das einzige Indiz für Menschenkörper, die, so (re)konstruiert es Guzmán im Film, mit Draht an den schweren Eisenkorpus gebunden und von einem Helikopter aus abge- worfen im Pazifik versenkt wurden. 40 Jahre nach den Massakern Pinochets sind solche Spuren wie der Knopf die einzigen materiellen Überreste, die Menschenexistenzen und ihr grausames Ableben bezeugen. Die Knopf- zirkulation im Film ermöglicht es Guzmán, zwei historische Ereignisse in der Geschichte seines Landes miteinander zu verknüpfen. Für den Vergleich der beiden Knöpfe wählt er einen unsichtbaren, d.h. nicht über Rahmen markierten Split Screen. Zwei Knöpfe, in ihrer dinglichen Marginalität und in ihrem Äußeren ähnlich, ermöglichen es transversal affektive Bezüge in der Geschichte Chiles und des Films herzustellen. Sie stehen gleichermaßen für die exzessiven Abweichungen und dissoziativen Auslöschungen (stabiler) Identitäten. Der Split Screen differenziert „den“ Knopf aus in verschiedene „mimetische Existenzweise[n]“ (Balke 2018a, 39) desselben und stellt diese nebeneinander, ohne die Reihung imaginär zu beenden: Guzmán ist, so teilt er im Voiceover mit, überzeugt, dass am Meeresgrund viele weitere Knöpfe zu finden sind. An den Knöpfen kann das zu verfolgende transformationsontologische Prinzip festgemacht werden, das sich von einer „Idee des Knopfes“ abwendet, einer platonischen Letztinstanz, einem stabilen, wert- normierenden, substanziellen Original. Der Knopf Jemmy Buttons steht nicht für alle Geschichten der Vernichtung und Unterdrückung. Es handelt sich nicht um denselben Knopf, der getauscht und ein Jahrhundert später im Pazifik gefunden wird. Der Knopf am Meeresgrund ist auch nicht eine (schlechte) Kopie von Jemmy Buttons Knopf. Und doch ermöglicht der Knopf in seiner mimetischen Ausdifferenzierung und Ähnlichkeit einen Bezug, der über seinen ursprünglichen Kontext hinausreicht. Die exzessiv-mimetische Wandlung Jemmy Buttons und die Referenz des Knopfs auf das Ableben der Opfer der Militärdiktatur machen die wahr- haft existenzielle Dimension deutlich, die Balke im Rückgriff auf Platon von einer mimetischen „Darstellungsweise“ zur „Existenzweise“ (ebd., 37) 38 High Definition kommen lässt. Das mimetische Verhältnis der beiden Knöpfe lässt Ver- gleichbarkeiten entstehen, zwischen repressiven, sozialen Kontexten, die so schädlich sein können, dass sie „das Sein davontragen“ (ebd.). Im ersten Fall trägt Jemmy Button, „nur“ den Namen der belanglosen Sache, die seine Existenz für immer verändert, im zweiten Fall ist der Knopf die Existenz der Vermissten, die anders nicht zu ermessen wäre. Ähnliche Zirkulations- geschichten, die Subjekte verändern und ihre Identität erschöpfen, werden im Folgenden in Kapitel 3.2. aufgerufen. HD, die hohe Auflösung, differenziert Menschlichkeit wie Bildlichkeit, ähnlich wie der Knopf, skalar in/variant in bildlichen Existenzweisen aus; so soll der mit Jemmy Botton exemplifizierte Begriff der Existenzweise im Weiteren für meine Über- legungen konkret auch für HD-Technik produktiv gemacht werden. (Mimetische) Existenzweisen Das Konzept der „Existenzweisen“ lässt auf einen ontologischen Pluralismus verweisen, wie er von Etienne Souriau in seinen Modi der Existenz (2015) und der Vorstellung der existenziellen Unfertigkeit einer jeden Entität vorgegeben wird. Souriau spricht von „einer Art Dämmerlicht, in einem Halbdunkel, in dem sich Unfertiges abzeichnet, in dem nichts die Fülle der Anwesenheit oder evidente Offenkundigkeit oder totale Erfüllung oder volle Existenz besitzt“ (ebd., 196). Die Frage, „[e]xistiert ein Wesen?“ würde Souriau daher nicht mit „Ja oder Nein“ beantworten, „sondern vielmehr gemäß demjenigen von Mehr oder Weniger“ (ebd.). Souriau skaliert Existenz in Abhängigkeit zu einem Engagement und einer Ver- antwortung, einer „Befragungssituation“, in die sich eingefunden werden muss, um eine Sache in ihrer vollen Existenz zur Entfaltung kommen zu lassen. Sein Ansatz denkt stark von der Ästhetik ausgehend und wendet sich vehement gegen ein hylemorphistisches Prinzip. Souriau geht davon aus, dass „Existenz … ein zu vollbringendes Werk“ sei (ebd., 200). Er spricht vom „Errichten“ (ebd., 109), und das Prinzip kann mit Simondons (2012, 56–60) ontogenetischer „Individuation“ für technische Objekte verglichen werden sowie der Vorstellung, dass Technik nicht spröde und leblos, dem Menschen oder der Kunst diametral gegenüberstehend, sondern als organisches Ensemble gedacht werden muss. Dieser auf Relationen, Operationen, Praktiken ausgelegte Existenzbegriff soll in Bezug auf die zu fokussierenden HD-Projekte im angesprochenen Eifer der Hand- habung von hochaufgelöster Digitalbildlichkeit erkannt werden. HD-Bilder bzw. die Sinnstiftung, die durch sie vermeintlich möglich wird, sind nicht „fertig“ oder „vorliegend“, sondern im Prozess zu erschließen, zu befragen und zu entwickeln. HD lässt die Wirklichkeit, die im Zusammenhang mit High Definition 39 hochaufgelöster Bildlichkeit steht, pluralontologisch als Existenzweisen im Prozess des Weiter-/Be-/Verarbeitens verharren. Zurückkehrend auf das Konzept von Engell und Siegert ließe sich daher sagen, dass die operative Ontologie von HD, die die Existenzweisen skalar in/variant ausdifferenziert, ihr Image Processing ist. Die materialbasierte Modulationsfähigkeit des HD-Bildes, seine Skalierbarkeit und seine „Öffnung“, die es nahelegen, post/produktiv, um/formatierend, interpolierend und zoomend tätig zu werden, deuten auf zu errichtende Existenzweisen hin, denn, mit Souriau gesprochen: Es betrifft uns. Das heißt, dass wir so, wie wir hier sind, von ihm betroffen sind, dass wir durch ein wirkliches Leiden das Tun hinnehmen müssen, das das aktive Verb folgender Formel ausdrückt: Das Werk betrifft uns. (2015, 196) Bruno Latour greift Souriaus Konzept und (eher implizit) Simondons Technikverständnis (Herold 2016, 171–175) auf. Er nutzt diese Referenzen, um die Aspekte seines Projekts einer Anthropologie der Modernen, das sein Schaffen seit längerem bestimmt, zusammenzufassen. In den Existenz- weisen (2014b) geht es Latour um die Entwicklung einer neuen Metaphysik, zur Neuverhandlung unterschiedlicher Seinsmodalitäten. Existenzweisen nach Latour zeichnen sich durch eine Form der Entäußerung, Unter- brechung, der „Alteration“ (Cuntz 2013, 101) aus, und zwar auch, um von „einem Konzept“ des „erhabenen Menschen“ abzukommen. Denn „[u]m zu existieren, muß ein Wesen nicht nur seinen Weg durch ein anderes nehmen [NET], sondern auch auf eine andere Weise [PRÄ], indem es, wenn man so sagen kann, andere Weisen erkundet, sich zu verändern, zu ALTERIEREN“ (Latour 2014b, 111, Hervorhebung im Original). Etwas existiert durch und als Anderes. Mit [NET] und [PRÄ], Interpolationen im Text, die für „Netzwerk“ und „Präposition“ stehen und die es Latour ermöglichen, auf Textebene Verknüpfungen zwischen verschiedenen, divergenten Existenzweisen herzustellen, macht er auf den Netzwerkcharakter aufmerksam, der als Grundlage der Akteur-Netzwerk-Theorie (ANT) gelten kann: Es geht um den Zusammenhalt unterschiedlicher nicht-/menschlicher Akteur/innen, die ein Ensemble, ein Gefüge bilden. Dass ein vernetzter Existenzweisenbegriff, wie ihn Latour skizziert, daher auch seinen Einsatz im Zusammenhang mit der (medien)ökologischen Theoriebildung hat, scheint nicht zu über- raschen, denn in diesem Kontext ermöglicht er, auf einen „ontologischen Realismus der Relationen“ hinzuweisen, wie es Erich Hörl (2016, 39) formuliert. Demgemäß ist eine Einlassung in die schon dargelegten, neuen Aushandlungen des Ontologischen als transformativer und durch sich gegenseitig bedingende Phänomene hervorgerufener Werdensprozess 40 High Definition mit Latour und den Medienökologien ein weiteres Mal aufgerufen. Zurück- kehrend zur Mimesis als Existenzweise kann mit Balke (2018a, 40) nun durch die hemmungslosen Anähnlichungen an alles Existente „jede[r] ontologische... Vorbehalt auf ein ‚autonomes‘ Selbst oder Sein, das sich von allem anderen unterscheidet“, aufgegeben werden. Das Konzept der Existenzweisen steht in unterschiedlichen kulturwissenschaftlichen Ausdifferenzierungen für eine Pluralisierung und Operationalisierung des Ontologischen, eine Ontologie des Relationalen und der Differenzen, wie sie Deleuze mit seinem Begriff des „Virtuellen“, der im Zentrum des 4. Kapitels stehen wird, fordert. In Hinblick auf die Potenziale der Hochauflösung soll mit den Existenzwei- sen und der skalaren In/Varianz von Digitalbildlichkeit, so kann noch einmal zusammengefasst werden, eine prozess- und transformationsontologische Dimension in den Blick geraten. Aus meinen Grundbegriffen und diesen ersten Überlegungen zu HD leiten sich nun drei Prämissen ab, die als Kontrastfolie zu den skalar in/varianten Potenzialen der Hochauflösung in diesem Buch immer wieder aufgerufen werden: Erstens kann mit HD und den Auflösungsschwankungen der Digitalbilder von einer hyperrealen oder manipulativen Auslegung des Digitalen abgekommen werden, zweitens tritt HD dann auch nicht als vorherrschende Ästhetik machtdominanter, panop- tischer Kontrollblicke auf und drittens ist HD nicht der Autorität „eines“ menschlichen Überblicks oder seiner/ihrer Wahrnehmung zuzuordnen, sondern fragt nach einem differenzierten „Menschen“-Begriff. HD jenseits des Hyperrealismus: Post/Produzieren statt Manipulieren Das Verhältnis von Bild und Wirklichkeit, das mit und durch HD artikuliert ist, bedeutet demnach, so die erste Prämisse, sich explizit von de- realisierenden Tendenzen abzuwenden, die v.a. verankert sind in einer Theoriebildung der Postmoderne. Exemplarisch können der, auf einen Slogan degradierte3, Ausruf Paul Feyerabends (1981, 21): „Anything goes“, die hyperreale und vermeintlich wirklichkeitsferne Vorstellung des Simulakrums, z.B. nach Jean Baudrillard (1978a, 1978b), oder die kybernetischen Allmachtsfantasien eines völlig steuer- und kontrollier- baren, immateriellen Cyberspaces aufgerufen werden. HD-Bildlichkeit, ihr Einsatz und die ihr zugestandene Wirkung positionieren sich dagegen post/digital, wie in Kapitel 2.1. genauer ausgearbeitet werden soll, d.h. vehement gegen die Vorstellung, das Digitale würde einhergehen mit 3 Zu einer kritischen Auseinandersetzung mit der vermeintlichen Indifferenz eines postmodernen Theoriediskurses vgl. Yeh (2013). High Definition 41 einer Wirklichkeitsferne, die meist auf die Differenz zu analogen Medien- techniken gegründet wird. Das Analoge steht in diesen Ausführungen für „das Lebendige“, „das Materielle“ und auch „das Unscharfe“, während das Digitale die Topoi „des Kühlen“, „Immateriellen“ und „störfrei Berechneten“ bedient. Ein post/digitaler Ansatz problematisiert dagegen diese als Ent- Ontologisierung identifizierbare Zuschreibung und geht vielmehr von einer Wirklichkeit aus, die nicht mehr vom Digitalen zu trennen ist. Topologisch kann das Digitale nicht eingedämmt werden auf abgegrenzte Orte, Second Worlds, an denen man sich gesondert aufhalten würde. Gleichzeitig ist das Digitale kein substituierendes Simulakrum, das metaphysisch die Welt negiert, durch eine andere ersetzt oder die Wirklichkeit als Manipulation ausweist. Das Digitale durchzieht hingegen die Facetten der Wirklich- keit, mit allen problematischen Ein- und Ausschlüssen: Ein Digital Divide separiert nach der Nicht/Zugänglichkeit zum Digitalen und verweist auf die Orte, die fern von hyperkapitalistischen Digitalisierungsbegehren stehen und dennoch völlig auf diese ausgerichtet sind, z.B. weil es sich um die Bereiche der Wirklichkeit handelt, an denen die Coltan-Förderung zur Herstellung der universal eingesetzten Mikrochips zu Tage tritt (Taffel 2016, 331). Gerade die HD-Ästhetik rauschfreier Pixelkompositionen kann schnell auf die kühlen, störfreien, immateriellen Allgemeinplätze des Digitalen gebracht werden und gegen solche Zuschreibungen soll sich mit meinem Argument, exemplifiziert an Arbeiten wie Guzmáns Filmen, positioniert werden. In Nostalgia de la luz wird z.B. post/produktiv das Ephemere, Vibrierende hinzugefügt, was, aus hyperrealer oder auch post/fotografischer Sicht, seit dem analogen Bildrauschen vermeintlich bei der digitalen Aufnahme von Wirklichkeit abhandengekommen ist: Ein glitzernder, flimmernder CGI-Sternen-/Staubwind fährt von links in das HD-Bild und wischt ein fotografisches Paradigma zur Seite, für das die vorhergehende Sequenz, die vollends der Nostalgie (des Lichts) verschrieben ist, stehen könnte. Die Sequenz beendet Guzmán mit den Worten: „Die Gegenwart war die einzige Zeit, die existierte“ (00:05:50). Diese Gegenwart zeigt sich zuvor in der nostalgischen „Abtastung“ von Radiogeräten, Büchern, Plüschsesseln, bestickten Stoffservietten einer Vergangenheit, nämlich der Kindheit des Regisseurs, die eine Zeit vor der Revolution und der Diktatur ist. Die Zuschauer/innen befinden sich in einem Haus in Santiago de Chile, nun aber in der Gegenwart des Filmdrehs und somit der Zukunft der Gegen- wart, die für Guzmán als einzige Zeit existierte. Brot- oder Kuchenkrumen auf dem Porzellan lassen vermuten, dass hier gerade noch jemand saß. Und doch suggeriert der menschenleere, aber gleichsam über seine 42 High Definition abgegriffenen Dinge auf Bewohner/innen hindeutende Ort eine konser- vierende Stille, sodass nicht klar ist, ob eine Person vor ein paar Minuten oder vor ein paar Jahrzenten vom Tisch aufstand. Die Sonne wirft ein flatterndes Schattenspiel auf die ganze Szenerie. Nun, nachdem Guzmán seinen Satz gesagt hat, weht in einer langen Überblende der Pixelsternen- staub das HD-Bild weg und breitet sich auf schwarzem Grund aus. Mit ihm wird von Salvador Allendes sozialistischer Revolution und den verbundenen Hoffnungen und Wünschen erzählt, die die verschlafene Welt aus den Fugen brachte und an die die brutale Diktatur Pinochets und das Trauma der Nation anschloss. Der Pixelsternenstaub steht im starken Kontrast zu einer Gegenwart, die auf fotografische Mumifizierung, mit Bazin (2009, 39) gesprochen, auf eine „Mumie der Veränderung“ setzt. Der Pixelwirbel deutet den Verlust dieses bildtheoretischen Paradigmas an, das gerade nicht dazu taugt – so paradox diese Behauptung bei den die analoge Foto- grafie betreffenden Topoi der Rückschau und Konservierung erscheinen mag – um eine Erinnerung an bzw. eine Vergegenwärtigung oder bild- liche Aufarbeitung der Revolution und Diktatur zu ermöglichen. Diese Epoche ist für Chile unverkennbar wirklich und um sie einzuholen setzt Guzmán auf das komponierte, digitale Bildflimmern und stellt so zudem eine Verbindung zu einer anderen Wirklichkeit her, zu den vielen digitalen Astronomiebildern im Film. Auch diese sind real, können aber nicht durch eine analog-fotografische Bildgebung registriert werden, zumindest nicht in der Fülle der Lichtpunkte wie sie Nostalgia de la luz den Ansichten zuge- steht. Die Astronomiebilder sind hochkomplexe und extrem nachbear- beitete Zeitmessungen. Jeder Lichtpunkt im HD-Bild, der zur hypervisuellen Ausgestaltung des astronomischen Phänomens beiträgt, steht für die Dauer, die das Licht im Universum zurückgelegt hat. Diese Art der tiefen und unergründlichen Zeitlichkeit und ihre pixelbasierte, post/produzierte Medialität sind nun für Guzmán besser geeignet, um die aufwühlende Geschichte seiner Heimat, die Wirklichkeit, die der Film thematisiert, zu ergründen – nicht abgegrenzt, als Traum- oder Wunschwelt, sondern real und dringlich in HD. Die erste Prämisse einer Re-Realisierung durch HD, der ich folgen möchte, ist auch eine Erwiderung auf die Manipulationsvorwürfe, die gegenüber dem Digitalbild aufgrund seiner Modulationsfähigkeit und folglich den möglich werdenden post/produzierenden Eingriffen immer wieder laut werden. Die HD-Strategien Guzmáns und sein Pixelsternenstaub würden digitalkritischen Stimmen und dem verbundenen dokumentarischen Anspruch bzw. der vermeintlich wirklichkeitsverschleiernden Missbilli- gung diametral gegenüberstehen. So fasst auch Rothöhler die kritischen High Definition 43 Positionen gegenüber HD zusammen. Das HD-Bild, das als „bereinigtes Kontrollbild“ die Darstellung der Welt nach Belieben verändern könne, „vor allem durch spurlose software-technische Interventionen auf der Ebene der Post-Produktion“, wäre vermeintlich nicht geeignet, die Komplexität der Wirklichkeit im selben Maße einzufangen, wie es durch die „aleatorische Zeichengenerierung“ der lichtsensiblen Fotoemulsion analog noch der Fall ist (Rothöhler 2013, 59). Das Flüchtige, Ephemere, Unerwartete und Chaoti- sche verliere in Bildern, die auf der Mikroebene adressierbar sind und die ihre vielen Pixel alle an die richtige Stelle setzen können, vorgeblich ihre realitätsbezeugende Unbestimmbarkeit, auf die eine Wirklichkeit und ihr Detailreichtum immer wieder gebracht werden (Kracauer 1985; Bazin 2009; Geimer 2009, 60–70). Die skizzierte Szene aus Nostalgia de la luz fungiert als evidentes Gegenargument. Gerade die post/produzierenden Eingriffe als Möglichkeiten der digitalen Weiter-/Be-/Verarbeitungen von HD-Bildern sollen in Anschluss an Guzmán und im oben beschriebenen Sinne als erkundende, fragende, neugierige, suchende Beziehungen zwischen Digitalbild und komplexer Wirklichkeit ausgewiesen werden. Post/Produzieren wird weiterhin in den folgenden Kapiteln als Counter-Surveillance-Strategie begriffen, einerseits, um in einer hochaufgelösten Wirklichkeit unsichtbar zu werden und anderer- seits, um das Nicht-Sichtbare wiederum auf die Bildfläche zu bekommen (2.1.). Post/Produzierende Praktiken sollen als investigative und forensische Methoden datendichte und wertdiverse RAW/Formate interpretieren und kontextualisieren (2.2.). Auch bei der zersetzenden Dehnung des Digital- bildes durch Vergrößerung, genauso wie bei seiner Auflösung aufgrund von exzessiver Um/Formatierung und Verkleinerung durch Kompressionsalgo- rithmen (3.2.), handelt es sich um Image Processing jenseits der Unter- stellung eines Täuschungsvorhabens, eines Manipulationsverdachts oder der Abstraktion von Wirklichkeit. HD jenseits des gouvernementalen Kontrollbilds: Hochauflösung als Abweichungschance Die zweite Prämisse der Arbeit möchte das kritische Nachdenken über ein kontrollierendes und berechnetes Verhältnis von Digitalbildlichkeit und Wirklichkeit weiter ausloten. Auch wenn Hochauflösung eine panoptische Affinität mit sich bringt und in machtpolitisch institutionalisierten Kon- texten durchaus ihre Relevanz beansprucht, möchte ich argumentieren, dass sich HD aufgrund der Prozessierbarkeit der Bilder nicht in der Analogie mit dem repressiven, machtpolitischen Kontrollblick erschöpft. 44 High Definition Wie Rothöhler verdeutlicht, steht eine digitalkritische Skepsis gegenüber HD in Zusammenhang mit der Annahme einer Durchdringung der Welt durch das Digitalbild als Vehikel von informations- und kontrollgesell- schaftlichen Ambitionen. HD mache die Wirklichkeit zum hyperrealistischen Bild, das als „permanenter Abbildungsauftrag gouvernementaler Obser- vation“ vermeintlich universal beherrsch- und überwachbar, „per Dauer- stream abgescannt“ und bis auf die „Mikroräume heranzoombar“ sei (Rothöhler 2013, 60). Das Anliegen dieser Forschung ist, mit den kennen- zulernenden HD-Projekten einem skopistischen Begehren zu widerstehen, nämlich der Vorstellung, durch die hypervisuellen Ansichten „alles“ im Blick zu haben und dadurch vermeintlich zu beherrschen. Statt Kontrolle sollen engagierte und affirmative Praktiken Beachtung finden, die auf Über- forderungssituationen in einer Too Much World reagieren (2.1., 3.1, 3.2, 4.2.) oder sich der Erschöpfung hingeben (3.2.). Mit HD lässt sich erkennen, dass hochaufgelöste, bildintensive Zustände die Möglichkeit zum forensischen Vertiefen (2.2.) und nachträglichen Interpolieren anbieten (4.2.) in Zusammenhänge, die durch ihre Informationsdichte nicht unmittelbar greifbar sind. Guzmáns Ambitionen, aber auch die subjektive Kameraperspektive Prodgers und die counter-narrativen Vorgehensweisen von Forensic Architecture, die zu Beginn dieses Kapitels aufgerufen wurden, sind entgegen einer panoptischen Auslegung von HD einzuordnen: Sie alle basieren auf Hochauflösung und diese ist gerade nicht das hegemoniale Bildmonopol. Das möchte ich weiterhin anhand der Prozessierbarkeit ver- deutlichen und nie nur von einem Bild ausgehend untersuchen, welches die Kontrolle oder Vormacht durch Repräsentation über eine Wirklichkeit beanspruchen könnte. Angesprochen sind so auch demokratisierende Tendenzen, auf die u.a. Rothöhler (2013, 63) hinweist: die durch ubiquitäre Zugänglichkeit der HD-Technik ermöglichten, „autonome[n] Produktions- zusammenhänge und alternative[n] filmästhetische[n] Kondensations- prozesse“. Ergänzend hebt er, an Jens Schröter anschließend, das „Counter High-Definition Cinema“ (Schröter 2011, 34) hervor, welches „die HD-Auflösung bildtheoretisch gesehen“ als „erhöhte Abweichungs- chance“ bestimmt (Rothöhler 2013, 64). Viele Pixel brauchen nicht nur komponiert an der richtigen Stelle zu sitzen, sondern können auch inner- bildlich Störungen, Glitches oder Unschärfen hervorrufen. Rothöhler nimmt den Film Leviathan (2012) als Beispiel, der von Lucien Castaing-Taylor und Véréna Paravel am Sensory Ethnography Lab in Harvard produziert wurde. „[I]mmer mehr, immer genauer, immer neues sehen wollen“ (ebd., 69), heißt in diesem Film, mit GoPro-Kameras „ins Feld zu gehen“, um die High Definition 45 Fischfangindustrie New Bedfords zu dokumentieren und zu erforschen. Dieser Einsatz läuft durch die Hochauflösung der Digitalbildlichkeit auf eine „sensorische Ereignishaftigkeit, wirkungsästhetische Zuspitzung, aber auch ein moduliertes Spiel mit anti-repräsentationaler Defiguration“ (ebd., 67) hinaus. Durch eine „hypermobilisierte Kamera“ (ebd., 66) und ein daraus entstehendes „digitalkinetisch entfesselte[s] Flux-Bild“ (ebd., 67) lässt sich das Paradox der extrem unscharfen Bilder in Hochauflösung registrieren, die in ihren vielen Abweichungen gerade keinen imperialen, sondern einen „impartial gaze“ (ebd., 68) und eine „Aushebelung des Prinzips anthropo- morpher Perspektivierung“ (ebd., 66) erzeugen. HD jenseits des Anthropozentrismus: die skalare In/Varianz der Menschen Ein zentraler Aspekt dieses Buches und meine dritte Prämisse zu HD, im Anschluss an die Befragung anthropomorpher Blickwinkel, ist ein skalierbares Konzept „des Menschen“ – die Anführungszeichen finden im Folgenden ihre Erklärung – und ihrer/seiner Wahrnehmung. Auf den ersten Blick scheint sich HD jener Aversion gegen „den Menschen“ anzu- schließen, der die Philosophie in den letzten 40 Jahren und spätestens seit Michel Foucaults (1974, 462) berühmten Diktum, „der Mensch“ würde verschwinden „wie am Meeresufer ein Gesicht im Sand“, einigermaßen konsensual Folge leistet. Dementsprechend löst sich „der Mensch“ in den HD-Bild/Wirklichkeits-Beziehungen auf, verharrt unterhalb der Auflösungs- grenze, das macht nicht nur Guzmáns Einsatz der überästhetischen Digital- bilder auf der Suche nach den verschwundenen Mordopfern deutlich. „Der Mensch“ ist kleiner als ein Pixel (2.1.), wird dissoziativ durch Auflösungs- schwankungen zum Dividuum (3.2.), steht vor der Herausforderung, sich in Zusammenhänge, die ihn längst überholt haben, wieder einzufügen, um einen Bezug zur Wirklichkeit herzustellen (4.2.) oder ihre/seine Wahr- nehmung zu „operationalisieren“ und an das Informationen verarbeitende „Wahrnehmen“ Künstlicher Intelligenz anzupassen (6.). Mit HD ließe sich also für einen „neuen Normalzustand“ plädieren, der „den Menschen“ aus den vorherrschenden Wahrnehmungsrastern heraus- rechnet. HD ist dann wirklich nicht mehr auf überblickte Kontrollbilder zu bringen, auf ein durch Hochauflösung aufgerufenes anthropozentrisches Herrschaftsideal. Im Gegenteil, mit Hito Steyerl gesprochen, gilt für „den Menschen“ das inkommensurable Chaos: „Not seeing anything intelligible is the new normal“ (2017, 47). Steyerl weist das Auflösungsvermögen mensch- licher Perzeption als zu grob aus für die Datendichte des Digitalen: „Seeing 46 High Definition is superseded by calculating probabilities. Vision loses importance and is replaced by filtering, decrypting, and pattern recognition“ (ebd.). Daten- und pixeldichte HD-Bilder wollen also vielmehr posthuman, von Maschinen interpretiert und ausgewertet werden. Es gelten andere medientechnische Maßstäbe und will „der Mensch“ mithalten, muss er, ganz im Sinne eines medientheoretischen „Prothese“-Arguments, aufrüsten: „Schärfer als die Realität“ bringen Werbeslogans diesen Antihumanismus nun auf öko- nomische Absatzstrategien. Hier ist „der Mensch“ nicht verloren, sondern kann dem „schärferen HD-Wahrnehmen“ mit der richtigen technischen Ausstattung nachkommen. Das zeigt z.B. das in den Werbungen für die HD-Übertragung von Fernsehinhalten mit Messerklingen ausstaffierte CGI- anthropomorphe Auge (Krause 2010; dvbfernsehen 2014; Ich liebe Werbung 2013). HD, und das suggeriert weiterhin die ästhetische Aufdringlichkeit, scheint daher durchaus vom „Menschen“ gesehen und als Bilder (und nicht nur informationsbasierte Kalküle) wahrgenommen werden zu wollen. Obwohl die Informationsdichte von HD sich funktional bestens für operative Aus- wertungen durch Maschinen und Künstliche Intelligenz eignet – so werden es in diesem Buch die astronomischen Datenbilder (2.1. und 6.) und das algorithmische Sehen von Netflix (3.1.) verdeutlichen – triggert die Sicht- barkeit und Bildhaftigkeit der visuell auswertbaren Datenmassen „die menschliche“ Wahrnehmung (2.1., 3.1.). Darauf weist nicht zuletzt McLuhans Medientheorie hin (3.1. und 3.2.). Trotz der anti- und posthumanen HD-Vor- gaben an „den Menschen“ und seine Sinne wird also mit HD nicht voll- ständig von „ihm“ abgelassen – nicht nur im Hinblick auf das altbekannte Versprechen einer Medientechnik als sinnerweiterndes Vehikel zur per- zeptuellen Präparation. Mit meiner Forschung möchte ich von dieser Vorstellung abkommen, dass „der Mensch“ durch HD und den „access to tools“ (5.1.) alleinig Herrschafts- ansprüche als homo faber lautwerden lassen kann. Ebenso möchte ich aber gegen einen Antihumanismus argumentieren, und dieser Schritt bedarf einer Konkretisierung, die ich als Skalenproblem definiere: HD überholt durchaus „den Menschen“ in seiner machtdominanten „Einseitigkeit“. Geht es in meiner weiteren Analyse um „ihn“, wird dieser mit Anführungszeichen markiert. Das bedeutet aus posthumaner, gender- und queertheoretischer, postkolonialer und prozessphilosophischer Ausrichtung, folgt man Rosi Braidotti, den bestimmten Artikel vor „Mensch“ und so seinen Univer- salismus zu streichen: High Definition 47 Der universale ‚Mensch‘ wird implizit als männlicher weißer Stadt- bewohner, Sprecher einer Standardsprache, heterosexuelles Glied einer Reproduktionseinheit und vollwertiger Bürger eines anerkannten Gemeinwesens betrachtet … als ‚Anthropos‘ … als Repräsentant einer hierarchischen, herrschaftlichen und gewalttätigen Art. (2014, 70) Diesem „universalen Menschen“, der ausschließlicher nicht sein könnte, wird in Kapitel 4 begegnet, aber nicht in einer potenten, mit der richtigen HD-Medientechnik ausgestatteten Haltung, sondern innerhalb einer anderen Skalierung, die „ihm“ eine Vormachtstellung abzusprechen scheint: der tiefenzeitlichen. Hier deutet sich ein Diskurs an, der produktiv ist für ein Nachdenken über eine Bildlichkeit, die ihre Spezifik im Skalieren, im Pluralismus, in der Datendichte und nicht im klar und vermeintlich ein- deutig (durch Menschenaugen) zu konsumierenden Einzelbild hat: die Über- legungen zum Anthropozän. Das Anthropozän wirft Fragen der Aufdring- lichkeit des „Anthropos“ und seinem gleichzeitigen Verschwinden virulent auf, und zwar aufgrund der unterschiedlichen Maßgaben, die greifen, sobald etwas Menschliches als geologischer Faktor messbar und in die erd- geschichtliche Zeitrechnung eingetragen wird. Die Konzeptualisierungen „des Menschen“ als „operativer, aber eben prekärer Begriff“ (Bajohr 2020, 10) im Hinblick auf das Anthropozän machen die Problematiken der Kategorie noch einmal augenscheinlich, denn „dem Menschen“ scheint aus westlicher Perspektive die Gefahr zum Essenzialismus inhärent. Im Kontext des Anthropozäns wird dieses Risiko durch den Maßstab deutlich, der „den Menschen“ als Kollektivsubjekt oder Spezies plötzlich mit Skalen korreliert, z.B. die des Kosmos oder des Erdplaneten, die „ihn“ empirisch und imaginativ (Hüpkes 2020) bei Weitem überholen. Wie in Kapitel 4.2. auszuführen sein wird, kann die Frage nach „dem Menschen“ und „seiner“ Überholung im Kontext des Anthropozäns einen „pluralen Anthropos“ über verschiedene Existenzweisen hervorbringen, der, so mein Argument, korreliert mit der Differenzier- und Prozessierfähig- keit der visuellen HD-Kultur. Jemmy Button, die Pixellayer-Menschen in El botón de nácar oder auch das Mädchen in Cosmic View bekommen durch ihre Größenveränderungen verschiedene Existenzweisen zugesprochen, und zwar medien-materiell als Auflösungsschwankungen. Demgemäß sollen die mit HD im Fokus stehenden (epistemisch, politisch, ästhetisch) vergrößer- und verkleinerbaren Menschen, den Potenzialen der Hoch- auflösung entsprechend, als skalar in/variant gedacht werden. Wie Julia Eckel in ihrer Forschung zum Audioviduum (2018) argumentiert, ist das, was als „Mensch“ verstanden wird, nämlich nicht zu erklären ohne eine Analyse der Art und Weise, wie gleichsam über Medien nachgedacht wird. 48 High Definition Bestimmte Medienbegriffe ziehen also bestimmte Menschen-Begriffe, mit all ihren problematischen Ein- und Ausschlüssen, nach sich, die sich gut nachvollziehen lassen, wenn die Materialität der Medien in den Blick gerät, z.B. wenn Bildtechniken Geschlecht definieren (Peters 2010) oder Farbfilmemulsionen Hautfarbe festlegen (Roth 2009). Von der Theorie zum Gegenstand kann „der Mensch“ dann mit HD als onto-epistemologischer Niederschlag, als eine Auflösungsschwankung durch Image Processing registriert werden – nicht weil die Menschen als homo faber über Hand- lungsmacht oder eine prothetische Sinnerweiterung verfügen, sondern weil mit den HD-Projekten nicht-/menschliche Verschaltungen deutlich werden, die eine komplexe Wirklichkeit und ein medientechnisches Fassungsver- mögen korrelieren und so Bilder entstehen lassen, die nicht mehr für die Menschen gemacht sind und trotzdem von ihnen gesehen werden. Als im April 2018 von Sharp der erste 8K-Fernseher in Deutschland auf den Markt gebracht wird (Fischer 2018), mit einem 33 Millionen starken Pixelbild, wurde mit der Frage, was eigentlich für wen sichtbar wird, von der skalar in/varianten Korrelation verschiedener Größenordnungen und damit einhergehend von verschiedenen Wirklichkeiten, u.a. der Menschen, ausgegangen. Die Menschen materialisieren sich in einem Wahrnehmungsgefüge (Bee 2018) einhergehend mit der hochaufgelösten Ansicht, der medientechnischen Umgebung, den Lichtverhältnissen, wie sie auch Guzmán vorgibt mit seiner filmischen Trauerarbeit, und zwar durch skalierendes Image Processing. Die hochaufgelöste Ästhetik ermöglicht es dem Filmemacher nicht nur HD-Bilder zu vergrößern, sondern auch die politischen und kolonialgeschichtlichen Morde und Vertreibungen der nicht mehr existierenden Menschen zu erhöhen, ja regelrecht zu transzendieren: Guzmán gibt den Kawesqar in El botón de nácar filmisch ihren geraubten Lebensraum auf dem 2007 von den chilenischen Observatorien aus ent- deckten Planeten Gliese 581 c zurück. Diesen „stellt er her“, indem er ein Digitalbild des freischwebenden Erdglobus überblendet, zuerst mit einer digitalen Simulation von Gliese und dann mit einer kaderfüllenden Ansicht der rauschenden Meeresoberfläche. Der Übergang vom Erdplaneten zu Gliese, der die Erde um ein fünffaches an Größe übersteigt, ist ein skalierendes Image Processing, das schließlich ganz langsam transparente Menschen in einem Kanu sichtbar werden lässt, die ephemer über die Wellen im HD-Bild driften. In der nächsten Szene sieht man das Kanu und die Menschen als Schattenriss auf einer spiegelglatten Wasseroberfläche dahingleiten, im Hintergrund eine Bergkette. Die ganze Ansicht ist in vio- lett gehalten und wird von einer außerterrestrischen Himmelsstimmung, von zwei großen Planeten und einer Sonne, überschrieben. „Sich so etwas High Definition 49 vorzustellen ist irreal. Aber ich erlaube es mir, weil ich mir wünsche, dass diese Wasservölker nicht verschwunden wären“ (00:40:00). Mit diesen Worten beendet Guzmán im Voiceover die Szene. Das Irreale, der Wunsch der Auferstehung der Toten, erlangt seine realitätsnahe Wirkmächtigkeit im Zusammenhang mit der übergeordneten ästhetischen Strategie des Films. Es geht nicht darum, einen filmischen Allgemeinplatz zu bedienen, nämlich Dahingeschiedene filmisch wieder lebendig zu machen. Die vermeintlich irreale Szene wird eingeholt im Image Processing, wird zum Verlauf von Realität und Irrealität, von Leben und Tod, wie die nächste Einstellung zeigt: Es ist wieder eine spiegelglatte Wasseroberfläche zu sehen, mit einer Bergkette im Hintergrund. Dieses Mal ist alles in Gold getaucht. Was fehlt, ist die Überblendung, der Bildlayer mit den Menschen und ihrem Kanu und die besondere Himmelsstimmung, denn der Film ist zurückgekehrt auf die Erde nach Chile. Aber Gliese und die Erde sind nur zwei Versionen hochauf- gelöster Bildwirklichkeit; beide hängen über den langsam überblendenden Bilderverlauf im Image Processing zusammen. Die Szenerien und ihre Bedeutung – Irrealität und Wirklichkeit, Menschen und ihr Verschwinden – gehen in der Anmut der Darstellung fließend ineinander über. Der Wunsch Guzmáns, der sich im Bildlayer, der die Menschen einfügt, kondensiert, ver- liert so seinen utopischen Charakter. Im Vergleich der glänzenden Natur- szenerien ist der ferne Planet Gliese genauso menschenfern und deswegen wirklich wie die Erde. Beide sind auf dieselbe hochaufgelöste Bildlichkeit zu bringen, in der die Menschen nur eine dünne Schicht an Pixeln sind, die vom Filmemacher eingezogen wird, um ihn/sie (wieder) sichtbar zu machen. Der Bildlayer verdichtet den Bezug zwischen Imagination, Wirklichkeit und Trauer. Er gibt, mit Deleuze (1997b, 236) gesprochen, durch die Hochauf- lösung „den Glauben an die Welt zurück“. Welche ästhetischen Folgen es hat, wenn der Bezug zu den Menschen über HD-Bilder zu einer übersättigten Too Much World wiederhergestellt, der „Glaube an sie“ zurückerstattet wird, welche post/perzeptuellen Angebote HD gerade durch seine Prozessierbarkeit macht, das soll in den folgenden Kapiteln mit dem Begriff des Too Much Image beschrieben werden. „Zu viel“ sind die Digitalbilder und ihr Informationsspektrum für ein univer- salistisches Konzept „des Menschen“, ganz im posthumanen Sinne: Geht es um den erhabenen Überblick, haben die Maschinen bessere Chancen. Ermöglicht wird aber mit der Informationsdichte von HD, so wird zu zeigen sein, ein ausdifferenziertes, skalierbares Menschen-Bild, das sein/ ihr Prekariat genauso umspannt wie seine/ihre Autorität. Gerade eine onto-epistemologische Ausrichtung meiner Forschung soll in den nächsten Kapiteln zeigen, dass die Adressierung verschiedener Skalierungen von 50 High Definition Wirklichkeit mit HD eine Verortung und ein Commitment an dieselbe implizieren. Der in diesem Buch gewählte Fokus interessiert sich für die engagierten HD-Bild/Wirklichkeits-Bezüge, die als vielfältige Kontaktzonen zwischen Menschen, Nicht-Menschen, Techniken, Naturen und Kulturen als Potenziale der Hochauflösung auftreten, eine datendurchzogene, post/ digitale Medien/Wirklichkeit herstellen und bejahen, festgemacht an den medialen Vorgaben der hochaufgelösten Digitalbilder (2.1., 2.2., 3.1., 3.2., 4.2.). Nicht Hyperrealität oder Manipulation, keine Repression und Kon- trolle und kein bemächtigender oder überlegener Blick „des Menschen“, sondern eine Hingabe an die Wirklichkeit durch die Potenziale der Hoch- auflösung, die sich skalar in/variant über Image Processing mitteilen, z.B. die Galaxie-Mensch-analog-digital-Bild-Überblendungen als Strategie im Umgang mit Völkermorden in El botón de nácar – darum soll es, so können die drei Prämissen zu HD noch einmal zusammengefasst werden, im Folgenden gehen. Die skalare In/Varianz im HD-Bild und des HD-Bildes, die Zirkulationsdynamiken und die sich ausdifferenzierenden digitalbildlichen Existenzweisen fordern ein „rahmen“-, dispositiv- und klassifikations- überwindendes Verständnis von digitalbildlicher Medialität, wie es die Theoriebildung um die „Post/-ismen“ vorgeben. Darauf soll im nächsten Unterkapitel mit einer Fokussierung auf die Theorie und der medienphi- losophischen Methode, die in dieser Arbeit ihren Einsatz findet, ein- gegangen werden. High Definition 51 1.2. Post/-ismen, Bewegliche Konzepte, Schrägstriche Mit HD können Dynamisierungen als skalar in/variante Aus- differenzierungen digitalbildlicher Phänomene in ihre verschiedenen Existenzweisen bestimmt werden. Diese Prozesse der hohen Auflösung schreiben sich ein in eine Medientheoriebildung, welche die oben kennengelernten, medienontologischen Fragen problematisiert. Sie wurde bereits angesprochen: Es handelt sich um das Diskursfeld der Post/-ismen. HD, so soll im Folgenden deutlich werden, steht wie die Präposition „Post“ transversal zur Diskursivierung von einzelnen Medienspezifiken. Meine Forschung lässt sich daher über die medientheoretischen Auseinander- setzungen der jeweiligen Post/-Diskurse gliedern. Ausgehend vom Post/ Digitalen (2.1.) wird mit HD das Post/Fotografische (2.2.), Post/Fernsehen (3.1.), Post/Video (3.2.) und das Post/Kinematografische (4.) problematisiert. Die in Kapitel 2.1. kennenzulernende post/digitale Wirklichkeit konstituiert sich als Apriori für die daran anschließenden Kapitel: Alle anderen post/ medialen Diskussionen stehen scheinbar unter dem post/digitalen Paradigma, wenn eine medienessenzialistische Verunsicherung darüber herrscht, was nun unter Film, Fernsehen, Fotografie etc. zu verstehen sei, sobald diese Medien nunmehr auf digitalen Techniken, Para-/Kon-/Texten und Wirkungszusammenhängen basieren. Post/-ismen Eine erste Vermutung soll den folgenden Überlegungen vorangestellt werden: Je stärker die medienontologische Basis, umso exzessiver der medienwissenschaftliche Post/-Diskurs. Dies zeigt sich am augen- scheinlichsten für das Post/Cinema (Gotto und Lederle 2020; Morsch 2019; Denson und Leyda 2016; Linseisen 2018). Film gründet seine Existenz auf Wandel und Transformationsbereitschaft, wie es Fahle (2005; 2015) mit seiner Forschung zu den Entwicklungsschüben des Filmischen zeigt. Diese Wandelbarkeit ist, im oben dargelegten Sinne, transformations- ontologische Basis des Films und wird als solche auch so verteidigt. Daher fragt die Filmtheorie grundsätzlich danach, was Film ist/war/sein wird (Gaudreault und Marion, 2015). Diese Problemstellung gerät, so scheint es, durch die Digitalisierung aus den Fugen. Ein dialogischer Text zwischen Miriam de Rosa und Vinzenz Hediger (2016) fasst den Diskurs luzide zusammen. Die Autor/innen bestimmen ihren Gegenstand genauso wie ihre Disziplin retrospektiv immer schon als dynamisch, variabel und nicht 52 High Definition auf „eine“ ontologische Fixierung festgefahren, sondern transformations- ontologisch ausgerichtet (ebd., 10). „Post“ stünde dann für eine metho- dische Neukonfiguration des Verhältnisses von Untersuchungsobjekt und Theoriediskurs. Im Sinne der aufgerufenen Existenzweisen möchte de Rosa filmwissenschaftliche Gegenstände als relationale und vernetzte Gefüge verstehen und daher für deren Betrachtung Komplexitätstheo- rien fruchtbar machen. Hediger koppelt die Post/-Debatte explizit an den Existenzweisen-Diskurs. Er argumentiert mit Latour, dass der Film noch nie modern war, wenn Medienspezifik eine Erfindung der Moderne darstellt (ebd., 11). Hediger kontextualisiert sein Argument unter Berücksichtigung der spätestens in den 1950er Jahren greifenden, fachdisziplinären Not- wendigkeit, einen Gegenstand „Film“ zu fixieren, um darauf eine Wissen- schaft begründen zu können. Die Formel „canon + index + apparatus/ dispositif“ (ebd., 13) wäre leitgebend gewesen und hätte bis vor Kurzem Bestand gehabt, sieht sich nun aber durch das Digitale herausgefordert. Den Film im Sinne seiner Existenzweisen als instabile, „lebendige Multi- plizität“ wahrzunehmen („living multiplicity“, ebd., 16), wie Hediger und de Rosa es formulieren, schließt an ein vitales Verständnis an, wie es oben mit Simondons Individuationsthese zum technischen Objekt kurz ange- sprochen wurde, und verdeutlicht eine prozess- und transformations- ontologische Auslegung des Filmischen. Das Kino wäre so als lebendiger Organismus identifizierbar und Begriffe wie „Remediatisierung“ und „Intermedialität“ sind nach Hediger und de Rosa kontraproduktiv, da sie eine „substantiality trap“ auslegen und gerade auf die ontologische Abge- schlossenheit medialer Phänomene beharren würden (ebd., 17). Im Vergleich zum Film und bei der Frage nach dem Zusammenhang von Medienontologie und dem Grad des „Post/-Diskurses“ verhält sich eine Dis- kussion um Post/Video nun z.B. ganz anders. Video wird im kunstwissen- schaftlichen Kontext als audiovisuelle Form wahrgenommen, die sich gerade gegen eine von Clement Greenberg (1989b) aufgerufene mediale Spezifizierung wendet. So machen es die Schriften von Rosalind Krauss (2000) zur post/medialen Kondition deutlich (hierauf wird in Kapitel 3.2. noch gesondert eingegangen). Post/Video wäre dann unter digitalen Vor- zeichen nichts Neues bzw. eine Medienspezifik von Video ist im Digitalen weniger „gefährdet“ und vielmehr naturalisiert. Es ließe sich daher argumentieren, dass die Art und Weise, wie über die „Post/“-Verfassung eines Mediums nachgedacht und was mit der Problematisierung auf- gerufen wird, gleichsam wiederum Rückschlüsse auf die jeweilige Medien- ontologie erlaubt. Ich möchte daher die Präposition „Post/“ mit einem Schrägstrich an die jeweiligen Medien knüpfen: „Post/-“ und „Fotografie“, High Definition 53 „Fernsehen“, „Video“, „Kino“. Post/Cinema, als Beispiel, ist, so das Argument, nicht auf einen Bindestrich, d.h. auf eine Spezialisierung oder eine ergänzende, vervollständigende Weiterentwicklung zu bringen, wie es z.B. die Bindestrich-Wissenschaften vorgeben. Es handelt sich bei den Post/-Diskursen auch nicht um eine neue Klassifizierung, eine Typologie, sondern es geht um eine Revision, um das gegenseitige Befragen von Post/ Cinema und/oder/auch Cinema, um den Nachvollzug einer prozessualen Aushandlung. Der Post/-Diskurs ist daher auch einer der medien- ontologischen, digitalen Nachbilder. So macht es z.B. André Wendler deutlich, wenn er sich darüber wundert, dass die Geister, die man im neunzehnten Jahrhundert so zahlreich foto- grafieren wollte, ... nun in Form digitaler Bilder alle auf einmal zurück[kehren]: Auf wundersame Weise erscheint, substanzlos und beliebig manipulierbar, eine unbeschränkte Welt, die keine Verbindung zur physischen Realität aufweist, die reine Abstraktion und Mathe- matik ist. (2013, 171) Die, mit Jacques Derridas Neologismus gesprochen, medientheoretische „Hantologie“ (1996, 27, Hervorhebung im Original), kann mit Wendler daher in Hinblick auf die wissenschaftliche Problemstellung und weniger auf die Verfasstheit des digitalen Bildes ausgelegt werden: Die Geister sind die Theorien, die vermeintlich schon längst hinter sich gelassen wurden, und nun als reine geistige Fragestellungen, immateriell und weltfern und durchaus auch kalkuliert und berechnet das digitale Bild hantologisch ein- holen. Eine solche Medientheorie sagt wenig über das Digitalbild aus, das, so wurde es oben mit Wasson beschrieben, zum Zeitpunkt des Diskurses vermeintlich noch auf den sich materiell aufdrängenden Computerbild- schirmen und nicht sehr exzessiv, über langsame Internetverbindungen zirkulierte. Was mit dem Zitat von Wendler weiterhin angesprochen ist, ist eine ent-substantialisierende Innovationsdynamik, die digitale Medien schlichtweg in „Neue Medien“ verwandelt und mit dieser verheißenden Benennung wie Normierung alles, was nicht digital ist, automatisch einer veraltenden Obsoleszenz unterstellt (Linseisen 2018, 203). Verlauf der Arbeit (I) So lässt sich eine inhaltliche Übersicht dieses Buches wie folgt entlang der Post/-ismen skizzieren: Wie schon angesprochen, wird in Kapitel 2.1. der Diskurs um das Post/Digitale zusammengefasst und mit ihm die kritische Positionierung gegen und die Abwendung von einer Theoriebildung um die sogenannten „Neuen Medien“. Das Digitale soll als wirklichkeitsimmanent 54 High Definition und nicht weltfern, als materiell und nicht substanzlos, als aktivistisches Milieu und nicht rein repressiv-kontrollierendes Panopticon verstanden werden. Post/Produzierende Einsätze von HD werden anhand von Steyerls Videokunstarbeit How Not to Be Seen. A Fucking Didactic Educational.mov.file (2013a) und der Arbeiten von Forensic Architecture erläutert. In Kapitel 2.2. soll auf die Materialität digitaler Bildlichkeit und anhand dieser auf die wirklichkeitsbekundenden Kompetenzen eingegangen werden. Ein post/fotografischer Blick mit HD befragt Indexikalität und Rohmaterialität in Bezug auf den Manipulationsvorwurf, der gemeinhin post/produktiven Verfahren immer wieder entgegengebracht wird. Dass sich die „Wahrhaftigkeit“ eines informationsgesättigten, hochaufgelösten Bildes gerade in Weiter-/Be-/Verarbeitungsschritten dokumentiert, soll anhand der forensischen Analysen der Gaza-Burial-Fotografie (2013) von Paul Hansen in Abgleich zu und im Vergleich mit (populär-)wissen- schaftlichen, digitalen Astronomie-Fotografien und ihrer dezidierten Abhängigkeit von der Bildbearbeitung argumentiert werden. In 3.1. wendet sich das Interesse von post/produzierenden Interventionen in und mit Digitalbildlichkeit hin zu den um/formatierenden Fragen, die HD-Existenzweisen im Netz erscheinen lassen. Hier wird anhand einer Post/Fernsehen-Perspektive auf die dezentrale Verbreitung von audiovisuellen Inhalten, die Metadaten-basierte Kanalisierung und die algorithmischen On-Demand-Strukturen sowie auf eine Überbietungs- und „Entbildlichungs“-Logik des Fernsehens eingegangen. Anhand von Netflix und House of Cards (2013 und 2016) werden um/formatierende Strategien aufgezeigt, die das Bild im Stream stabilisieren und ausdrucksstark an unterschiedlichen Orten ansichtig werden lassen. Gleichzeitig werden die nichtkalkulierbaren Abweichungen thematisiert. Im Anschluss an die algorithmisch gefestigten Bildinfrastrukturen des Plattformkapitalismus in Abschnitt 3.1. richtet sich Kapitel 3.2. an die mit Steyerl (2009) bezeichneten, aus Um/formatierungs-Exzessen entstehenden „Poor Images“ im Netz. Aus einer Post/Video-Perspektive, die mit dem oben besprochenen kunsttheo- retischen Background aufgerufen ist, geht es mit Philip Scheffners Havarie (2016) und Rosa Menkmans A Vernacular of File Formats (2010–2016) um digitalbildliche Auflösungsschwankungen und die dort hinterlegte Medien- ästhetik. HD soll daher in 3.2. in Hinblick auf seine künstlerischen und reflexiven Potenziale befragt werden. Das 4. Kapitel widmet sich einer Post/Cinema-Auseinandersetzung, ange- fangen in Kapitel 4.1. mit der Problematisierung der Frage, inwiefern sich digitale und kinematografische Zeitlichkeit widersprechen, und zwar High Definition 55 anhand der filmischen Sonderform des One-Takes, argumentiert an Russian Ark (2002), Victoria (2015) und The Revenant (2015). In 4.2. soll mit den digitalen Filmen Terrence Malicks, The Tree of Life (2011), Knight of Cups (2015), Song to Song (2017) und Voyage of Time. Life’s Journey (2016), der Versuch gestartet werden, über eine spezifisch digitale Zeitlichkeit nachzudenken, unter den transformationsbejahenden Vorgaben des Filmischen, die über die Deleuzesche Kinotheorie eingeholt werden. Dabei wird deutlich, dass ein filmphilosophisches Denken unter HD-Vorzeichen auf eine Tiefenzeit setzt, die eine Interpolation der Menschen, festgemacht am Anthropozän, in den Maßstab einer überbordenden Zeitrechnung einzieht. „Post/-“ als Medien/Werden Mit „Post/“ ist zusammenfassend dreierlei gesagt: „Post/“ kann, im Anschluss an die Überlegungen von de Rosa und Hediger, erstens als medientheoretisches Existenzweisen-Projekt ausgewiesen werden. Die Präposition verschiebt den wissenschaftlichen Fokus von der medien- ontologischen Spezifik hin zu den seinsmodalen Ausdifferenzierungen eines Mediums. Zweitens muss problematisiert werden, dass der Diskurs bei seiner Methodik häufig gerade auf die vermeintlich identitätsstiftenden Charakteristiken des Medialen verweist und sie bestärkt, indem er sie für (doch nicht) überwunden, gefährdet oder überholt hält. Drittens, so scheint es, stellt „Post/“ v.a. die Position dar, von der ausgehend die Theoretisierung einsetzt. „Post/“ markiert den Beobachtungsstandpunkt und die Distanz/Nähe zum betrachteten Phänomen unter denselben Vorzeichen, die die HD-Bilder vorgeben: Der Beobachtungsstandpunkt ist nicht überlegen oder kontrollierend in Bezug auf seinen Gegenstand, sondern blickt suchend und fragend aus einer Überforderungssituation unter ausdifferenzierten Bedingungen. Damit ist nicht gesagt, dass eine medienkulturwissenschaftliche Situation jenseits oder vor den Post/-ismen nicht genauso auf instabile Korpora, unklare ontologische Bestimmungen oder schwindelerregende Divergenzen und Abweichungen stößt. Ganz im Gegenteil: Dieser Impetus verortet die Post/-ismen tief im Kontext der medienwissenschaftlichen Selbstbefragung und Theoriebildungen, wie sie im deutschen Forschungsfeld v.a. durch Lorenz Engell (2010), Claus Pias (2010; 2020), Ulrike Bergermann (2015) und Kathrin Peters (2020) vorgelegt wurden. Medienwissenschaft, so kann an die Überlegungen angeschlossen werden, produziert laufend „epistemische Dinge“, wie Hans-Jörg Rheinberger (2006) vorwiegend naturwissenschaftliche Forschungsgegenstände bezeichnet. 56 High Definition Epistemische Dinge setzen die Wissensproduktion in Gang und für die Medienwissenschaft bedeutet dies, so geben es die genannten Autor/ innen vor, auch den Selbstbezug auf die fachdisziplinäre Konstitution, ihre Methodik und ihre Gegenstände unter immer neu befragende, episte- mische Vorzeichen zu setzen (Pias 2010). Die fachliche Erdung durch die schlichte Frage „Was sind Medien?“ unterliegt dabei einem Prozess des Un/ Sichtbarmachens, so argumentiert Engell (2010, 104): Indem nach Medien gefragt wird, wird ihr intelligibler Gehalt getrübt. Mit der Frage „Was sind Medien?“ erscheinen dieselben nur auf der „wissenschaftlichen Bühne“, um im Erscheinen ein „epistemologisches Vakuum“ zu erzeugen und sie als klar definierte Gegenstände zum Verschwinden zu bringen. Ihre An/Abwesenheit erläutert nun gerade eine Prozessualität des Medien/ Werdens, wie sie prominent auch Joseph Vogl (2001) exploriert. Wären Medien bekannt und unverschleiert vorliegend, müssten sie nicht erforscht werden. Dementsprechend liefe, so Pias, die Medienwissenschaft als Dis- ziplin auf das Paradox hinaus, gerade in der Multiplikation ihrer Fragen, entgegengesetzt zu einer Bestandssicherung auf Seiten der Methode oder des Gegenstands, ihr Bestehen zu garantieren. Umgekehrt formuliert: „In dem Moment, in dem Medienwissenschaft … sich Grundlagen verschafft, verliert sie in gewisser Hinsicht ihre Grundlage“ (Pias 2010, 20). Medienwissenschaft ist, so ließe sich ableiten, die Disziplin, die die Ontologien ihres Gegenstands – Medien – jenseits von Essenz und Substanz denkt. Dass Medienwissenschaften weiterhin die Annahme stärken, dass Wirklichkeit überhaupt nur über und durch Medien denk- und erlebbar ist, lässt die Frage „Was sind Medien?“ nicht obsolet oder philosophisch ver- staubt, sondern dringlich werden. Diese Frage setzt den Prozess und die Transformation des Medien/Werdens in Gang, wie im Laufe dieses Buches durch eine Auseinandersetzung mit den Post/-ismen in Bezug auf das onto-epistemologische Programm von HD deutlich werden soll. Das ver- lorene Fundament der Medienwissenschaft erzeugt also eine produktive Drift, einen mitreißenden „Strom“ des Medien/Werdens. Bergermann wählt eher das Bild des Soges oder des Vakuums, wenn sie ihrer Fachdisziplin eine „Leere“ attestiert, die, so dürftig sie daherkommt, eine Self-Fulfilling Prophecy impliziere: „Wo es Leere gibt, gibt es ein Begehren, die Leere auf- zufüllen“ (2015, 68). Neben dem gewissen Grad an „Risiko“, „ein Medium, ein Mittleres, eine Übersetzungsleistung, einen blinden Fleck, ein leeres Zen- trum in den Mittelpunkt einer Disziplin zu stellen“ (ebd., 20), kann die Leere auch als hochproduktive Dynamik erkannt werden. Medienwissenschaft als Horror Vacui lässt Dinge, Objekte, Phänomene, Praktiken nomadisch High Definition 57 abwandern und anders, verfremdet, vielleicht auch „verfälscht“, aber v.a. mannigfaltig und in einer Vielzahl zurückkehren – und zwar als Medien. „Wer sein Vertrautes nicht befremden kann, wird nicht wirklich etwas erfahren“ (ebd., 26), schreibt Bergermann und argumentiert entlang Birgit Grieseckes Konzept der „Fremde[n] Wissenschaft“ (2014), welches inter- disziplinäre Zusammenarbeit von epistemisch ähnlichen Fächern als besonders produktiv erachtet, weil die Nähe des Anderen eine gewisse Unheimlichkeit auslöse: Das Fremde im Eigenen würde so selbstreflexiv substanzielle Muster offenlegen und entlarven (Bergermann 2015, 443). In ähnlicher Weise können die Post/-ismen verstanden werden. Sie suchen im Bekannten nach der Entfremdung, im Eigenen nach dem Anderen. Dabei spielen sie eine disziplinäre und epistemische Verunsicherung klar aus und kennzeichnen mit der Präposition die Instabilität ihres Gegenstand- bereichs und ihrer Fragen, die nicht mehr einfach mit Generalismen wie „Film“, „Fernsehen“, „Fotografie“ oder „Video“ zu fassen sind. Das Zuge- ständnis einer medienwissenschaftlichen Orientierungslosigkeit wird manifest. Ich möchte im Anschluss an die Post/-ismen argumentieren, dass mit HD eine solche „epistemische Verunsicherung“ produktiv in medialen Konstellationen nachvollzogen werden kann. HD entfremdet mediale Phänomene im Ähnlichen und löst so Prozesse des Medien/Werdens aus. Gerade der Schrägstrich soll helfen, der Befragungssituation, die durch HD in Gang gesetzt wird, innertextuell und begrifflich gerecht zu werden. Analog zu den in diesem Buch besprochenen HD-Projekten möchte ich argumentieren, dass medientheoretische Auseinandersetzungen unter dem Vorzeichen der Post/-ismen und in der Konfrontation mit einer Welt in HD von einem Fremdwerden der eigenen Untersuchung ausgehen muss. Bewegliche Konzepte Dieses Detachement provoziert, so scheint es, neue Verantwortungen gegenüber dem Material und gleichzeitig eine theoretische Unzulänglich- keit, die medientheoretische Gedankenbildung post/produktiv hinter ein „mediales Denken“ anstellt. Medientheorie kommt, so eine medienphiloso- phische Grundannahme dieses Buches, nach dem Medien/Denken. D.h., so formuliert es Fahle, dass Bildmedien ein Denken ausbilden können, das sich aller- dings nicht im gewohnten Medium des Denkens, der Sprache und der Begriffe äußert, sondern im sinnlichen Material der Bilder (und Töne). Denken findet demnach bereits in den Beziehungen und Ver- zweigungen der Bilder statt und Theorie eines Mediums beschreibt 58 High Definition damit gleichsam Konstruktionen der Welt, wie sie nur in diesem Medium gedacht werden können. Theorie übersetzt das sinnliche Denken in Begriffe, ohne dass die beiden Praktiken ineinander auf- gehen. (2001, 76) Die Post/-ismen, so ließe sich dann argumentieren, sind in ihrer medien- theoretischen Instabilität eine Reaktion auf ein Bilder/Denken in HD und der angebotenen Vorstellung von Wirklichkeit. Wie bei den im Folgenden auszuführenden HD-Projekten stellen sich medientheoretische Befragungssituationen ein, die durch das hochaufgelöste Bildmaterial zuallererst provoziert werden. „Inwiefern“, fragt Fahle, „schafft ein im Bild formuliertes Denken erst die Möglichkeit, zu bestimmten sprachlich formulierbaren Theoriekonzepten zu gelangen?“ (ebd., 77). Dieser Frage folgeleistend, muss sich die vorliegende Medientheorie also an die HD-Vor- gaben, an das Image Processing, die skalaren In/Varianzen und Existenz- weisen halten. Das Verhältnis von Theorie und Gegenstand gründe dabei, so beschreibt es Fahle weiter, auf einem inkommensurablen Entzug des Sinnlichen: „Es bleibt immer ein Abstand zwischen sinnlichem und begriff- lichem Denken“ (ebd., 76). So entsteht eine onto-epistemologische Beziehung, die Fahle als „beweg- liche Konzepte“ oder „Konzeptgeschichte“ benennt, exemplifiziert an der Tiefenschärfe (ebd.). Dieser Begriff und die Theoretisierung des bild- lichen Phänomens seien nur sinnvoll, so Fahle, in Bezug auf ästhetische Prinzipien, die nicht nur bildlich einlösen, was sprachlich benannt wird, sondern weiterentwickeln – das Phänomen, so ließe sich sagen, zur Existenzweise „metamorphorisieren“. Dennoch haben die Begriffe am Medien/Denken teil, sie „stehen also in einer doppelten Beziehung zum sinnlichen Material“. Fahle macht deutlich, dass sie einerseits dem Gegen- stand nahestehen, den sie „sprachlich nachvollziehen müssen“. Anderer- seits sind sie „weit entfernt, weil eine irreduzible Distanz die Begriffe immer von den Bildern trennen wird“ (ebd., 77). Schrägstriche Fahle erkennt eine besondere „Beschreibungsqualität medialer Vorgänge“ (ebd.). Unter den skalar in/varianten und seinsmodalen Bedingungen, die HD für diese Forschung vorgibt, soll diese „Qualität“ über den Schräg- strich eine textuelle Aushandlung finden, darauf wurde oben schon kurz verwiesen. Der Schrägstrich ist medientheoretisches Kondensat eines medien- philosophischen HD/Denkens. Das Satzzeichen indexikalisiert das Verhältnis von Theorie und Gegenstand innerhalb der aufgerufenen Befragung, die High Definition 59 als Text vorliegt. Es stellt die Denkprozesse, die HD fordert, aus und hält die Begriffsarbeit gegenüber HD als Gegenstand offen. Der Schrägstrich beschreibt eine skalare In/Varianz des medientheoretischen Denkens und seiner Existenzweisen. Das Zeichen „plädiert“, so könnte man sagen, für eine prozessuale Auseinandersetzung mit der zu untersuchenden Digital- bildlichkeit: HD fordert auch bei der Begriffsarbeit offengelegte Weiter-/ Be-/Verarbeitungsschritte. Wenn durch digitalbildliche Hochauflösung Erkenntnisprozesse zu Image Processing werden, dann muss sich auch die begriffliche Arbeit, im Sinne einer Konzeptgeschichte nach Fahle, nach den medienphilosophischen Vorgaben von HD richten. Der Schrägstrich soll diese bearbeitenden Prozessierungen des HD-Bildes durch Eingriffe, Instabilitäten, Aushandlungen im Text ausweisen. Daher wird im Folgenden der Schrägstrich als medienphilosophisches Denk-Vehikel von HD etabliert. Ich möchte eine kurze kulturgeschichtliche Einordnung des Schrägstrichs anbieten. Daran anschließend soll sein Stellenwert für eine „denkende Pra- xis“, für ein Denken im medialen Prozess, erläutert werden. Hier wird einer- seits der poststrukturalistische Einsatz Roland Barthes‘ des Satzzeichens und andererseits seine Beliebtheit in aktuellen wissenschaftstheoretischen Forschungen zur Materialität des Denkens und einer Onto-Epistemologie (Latour, Barad) in den Blick geraten. Der Schrägstrich verschwindet abrupt aus dem Schriftbild deutscher Texte des 18. Jahrhunderts. Als Virgel ist er davor das „meistvorkom- mende Satzzeichen zur Binnengliederung der Sätze von Gutenberg bis zum Ende des 17. Jahrhunderts“ (Rössler 2000, 520). Einsetzend mit der Grammatikalisierung der Interpunktion und dem damit verbundenen Über- gang vom auf Mündlichkeit, Sprachrhythmus und Intonation eingestellten Gebrauch der Satzzeichen hin zu einem syntaktischen Prinzip, schrumpft der Schrägstrich in den Setzkästen deutscher Druckereien zum Komma (ebd.). Die parallel zum Buchdruck laufende Alphabetisierung der Gesell- schaft und die einhergehende Grammatikalisierung und Normierung der Sprache machen das Komma zur unaufdringlicheren Binnendifferenzierung des Fließtextes. Dem Schrägstrich als Virgel, dessen Aufgabe die Trennung, Kopplung und Reihung unvollständiger Sinneinheiten und einzelner Wörter war, kommt nach seiner Ablöse keine genormte syntaktische Funktion mehr zu. Er tritt meist ideogrammatisch als Ersatz für die Partikelwörter „und“, „oder“ sowie „beziehungsweise“ auf, kann als Reihungssymbol gelten oder bezeugt die Um/Formatierung eines wie einem Gedicht in Verszeilen gegliederten Texts, welcher im Fließtext wiedergegeben wird (Gallmann 1985, 296). Neben dem Heraustreten der Schrift „aus dem Schatten der Sprache“ (Meynen 2017, 145) und der Mündlichkeit emanzipiert 60 High Definition sich dieselbe v.a. auch von ihrer Bildlichkeit. Hier büßt der Schrägstrich ebenfalls seinen Stellenwert ein. Seine gestalterische Funktion zeigt sich z.B. im um 1222 von Caesarius von Heisterbach vorgelegten Dialogus miraculorum, der die Passionsgeschichte Christi zum Buch werden lässt und die Virgel als „Einstiche der Dornenkrone“ (Heisterbach 1219–1223, 1583) in den Körper des Wundenmanns im Text als „Schnitte“ inskribiert. Das Schriftbild drängt sich durch den Schrägstrich visuell und sinnlich auf, es zieht sich nicht bescheiden hinter den linear präsentierten Inhalt des Textes zurück. Die ästhetische Kompetenz des Schrägstriches lässt sich über gebräuchliche Hervorhebungsmaßnahmen im i.d.R. senkrecht aus- gerichteten Fließtext veranschaulichen: Soll ein Wort akzentuiert werden, kann es kursiv gesetzt und in jene diagonale Richtung, in die der Schräg- strich (/) zeigt, gekippt werden. Dass die Benutzung des Schrägstrichs dabei als „lästig“ oder „sperrig“ erscheint, kann augenscheinlich in seiner Umschiffung durch gender- neutrale Schreibweisen nachvollzogen werden. Im Splitting aber auch durch das Binnen-I wird Sprache gebrochen, der Redefluss stockt und die Konstruiertheit und Naturalisierung eines vorherrschenden sprachlichen Habitus wird so evident. Der Schrägstrich hat als Symbol der „sprach- lichen Emanzipation der Frau“, wie es Peter Gallmann (1985, 296) schreibt, zu diesem Zeitpunkt subversives Potenzial, das sich, wie es dem Inter- punktionszeichen eigen zu sein scheint, mittlerweile hin zum Asterisk oder sogar zum Punkt eindämmen lässt.4 Das Verschwinden des Schrägstrichs ist symptomatisch für seine Wirkungs- weise. Als „subordiniertes Satzzeichen ..., welches ... vom Setzer entbehrt werden konnte, ohne daß gleich die Welt der Syntax untergegangen wäre“ (Rössler 2000, 520), verschwindet der Schrägstrich aus der Schrift und, so zeichnet es Gloria Meynen eindrucksvoll nach, kann seinen Status auch 4 Ich möchte trotz der auf eine Binarität der Geschlechter verweisenden Funktion und Geschichte des Schrägstrichs den Versuch starten, denselben für die gendergerechte und non-binäre Schreibweise in diesem Buch zu nutzen. Auch wenn der Schräg- strich auf den ersten Blick die Unterrepräsentation von queerer, Trans-, A- und Intergeschlechtlichkeit nicht zu thematisieren scheint, wird im Folgenden auf das differenzierende Potenzial des Satzzeichens eingegangen und es soll versucht werden, dasselbe für die Frage nach der Aushandlung von Geschlecht produktiv zu machen. Mir soll es in der vorliegenden Forschung um eine Theoretisierung von audiovisuellen Differenzierungsprozessen und deren sprachlichen Verhandlung im Text gehen. Geschlecht und Intersektionalität sind stets nicht zu hintergehende Teile der Problemstellung. Auch weil diese Fragen oft im Buch weniger prominent auf- treten, soll ihre Aushandlung zumindest auf der sprachlichen Ebene gleichwertig zu den Untersuchungen stehen, die ich zu HD durchführe und die nun gerade über den Schrägstrich markiert werden. High Definition 61 unter den algebraischen Operationszeichen schwer behaupten. Rechen- vorhaben fanden, so lässt es sich über den einfachen Rechenschieber, den Abakus, skizzieren, in untereinanderliegenden Zeilen (meist mit zehn Einheiten) statt. Diese Zeilen und ihre Teile können zueinander ins Ver- hältnis gesetzt werden – die Grundoperation der Multiplikation oder Division. Eine optische „Kompression“ der zwei übereinanderstehenden Zeilen in eine bringt den Schrägstrich als Geteiltzeichen zurück auf die Rechenfläche: ,a/b“, „½“, „%“ oder reduzierter: ÷ (Meynen 2017, 146).5 Doch so sehr sich der Weg von der Zeile zum waagrechten Strich aufdrängt, so nimmt er in der Geschichte der mathematischen Zeichen semantische Umwege auf sich: Mal bedeutet der Schrägstrich die Multiplikation und der waagrechte Strich steht für das Dividieren, dann verdrängt der Punkt das diagonale Zeichen aus den Operationssymbolen und so lässt sich sagen, dass erst der Computer mit seiner für die Compiler lesbaren Methode der Fließkommaarithmetik dem Schrägstrich eine feste und notwendige Funk- tion zugesteht (ebd., 147). Der Schrägstrich kommt als Double-, Back- und normaler Slash in den formalen Programmiersprachen, also Quelltexten, an der Schnittstelle von Computern und Menschen universal zum Einsatz, er trennt den funktionalen vom semantischen Text ab. Alles, was nach einem Slash geschrieben wird, ist an Menschen und nicht an den Computer gerichtet. Der Schrägstrich behauptet seinen Platz im Digitalen, wie es der Doubleslash des Hypertransferprotokolls („https//:“) weiterhin prominent zeigt, gerade in Bezug auf die Kommunikationssituation mit Menschen: Das Hypertransferprotokoll ist für das „Erscheinen“ der Benutzer/innenober- fläche einer jeden Homepage im Webbrowser zuständig und der Schräg- strich wird so zum festen Bestandteil der audiovisuellen Schnittstelle von Benutzer/in und Berechnung. Aber nicht nur in dezentralen Netzwerken gibt der Schrägstrich die Richtung an. Auch herkömmliche Betriebssysteme des Personal Computing etablieren über den Schrägstrich die Pfade und setzen so hierarchische Ordnerstrukturen in Reihen um. Der Schräg- strich lässt daher den digitalen Ort einer Datei nicht losgelöst lokalisiert erscheinen, sondern immer in Verbindung zu den über- oder untergeord- neten Ebenen. Das Satzzeichen markiert ein performatives und ästhetisches Heraus- brechen aus der Schrift und steht im Mathematischen für Proportions- verhältnisse und Beziehungen. In der funktionalen Sprache kommt 5 Meynen weist darauf hin, dass der Schrägstrich 1202 bei Leonardo Fibonacci in seinem Werk Liber Abbaci noch als Operationszeichen der Multiplikation und der waagrechte Strich, so wie er in dieser Form: „÷“ erhalten ist, als Geteiltzeichen ein- gesetzt wurde. Für die Multiplikation wurde der Schrägstrich dann ab dem 15. Jahr- hundert und standardisiert seit Gottfried Wilhelm Leibniz als Punkt dargestellt. 62 High Definition ihm eine Prozesshaftigkeit und Richtungsangabe, aber auch eine Ver- mittlungsinstanz, ein Interface-Charakter zwischen Berechnung und (menschlicher) Wahrnehmung zu. Insgesamt beschließt oder fixiert der Schrägstrich nichts, sondern stellt Relationen her und bildet Reihen aus. Er öffnet dadurch systematische Einheiten, fällt aber nicht völlig aus der (semantischen/funktionalen) Schrift heraus. Er macht vielmehr ihr immanentes Potenzial deutlich und agiert innerhalb von ihr/durch sie, indem er sie prozessual zu einem Außen hin öffnet. Der Schrägstrich gibt die Möglichkeit im Text auf den Text zu blicken. Er changiert zwischen Universalität, Betonung und Unentschiedenheit und ist nicht semantisch dramatisiert oder theoretisch anspruchsvoll wie z.B. der immaterielle, die Schrift negierende Gedankenstrich, der reflexive Spiegelstrich oder der rekursive Backslash, aber auch nicht so integrativ und affirmativ wie der Bindestrich. Der Schrägstrich markiert keine blinden Flecken wie der Unter- strich, der auf das Fehlende im Konstrukt hinweist. Es ließe sich sagen, dass das theoretische Potenzial des Schrägstrichs auf seine eigene Un/ Entschiedenheit und Un/Aufdringlichkeit verweist: Das Zeichen produziert immanente Differenzen und faltet dieselben in das Bezugssystem ein. Der Schrägstrich soll daher als differenzierendes Zeichen verstanden werden. Er kann trennen, was scheinbar oder ungefragt zusammengehört, setzt zusammen, was zuvor getrennt war. Er relativiert, koppelt lose, bildet Serien, ist unentschieden, öffnet vermeintlich eindeutige Begriffe hin zu einer innerbegrifflichen Verhandlung und macht die Arbeit im und am Text deutlich. Der Schrägstrich formatiert textuell um, er hält einen Denkvor- gang post/produzierend in der Schwebe. Dies zeigt sich sehr eindrücklich in der poststrukturalistisch-dekon- struktivistischen Textpraxis von Barthes, in seinem schreibend/lesenden Primär/Sekundär/Zitations-/Reflexions-Gefüge S/Z (1976), das eine sezierende Lesart der Novelle Sarrasine (2001) von Honoré de Balzac offeriert. Indem Barthes den Text Balzacs liest, schreibt er ihn um und verfugt so Rezeption und Produktion bzw. Beobachtung und Beob- achtungsgegenstand miteinander: S/Z ist ein Produkt der rezeptiven Post/Produktion. Barthes nutzt zur Beschreibung seiner Praxis eine filmische Metapher. Er würde versuchen, „die Lektüre von Sarrasine in der Zeitlupe zu filmen“ (Barthes 2015a, 29, Hervorhebung im Original). Barthes korreliert die zeitliche Dehnung mit der Zerteilung des Textes: Wie die Chronofotografien möchte er vorgehen und die Novelle wie mit der vorfilmischen Technik die registrierte Bewegung eines Pferdes in einzelne Sequenzen zerlegen und der Literatur so Lebendigkeit einhauchen (ebd.). Barthes versteht das aus der Lektüre von Sarrasine entstehende High Definition 63 Konglomerat S/Z nicht als wissenschaftliche/philosophische Arbeit, dazu würde S/Z der analytische Anspruch fehlen. Das Schriftstück ist eher ein imaginärer Abbildungsprozess des Lesens – ein Image Processing der in den Text projizierten Lektürehaltung. Sich selbst befragend, fasst Barthes zusammen: „Was ist S/Z folglich? Bloß ein Text, jener Text, den wir in unserem Kopf schreiben, wenn wir aufblicken“ (ebd., 30). So ist ein onto- epistemologisches Programm benannt: Dieses „im Aufblicken Schreiben“ führt bei S/Z zu einer komplexen Strukturierung von 561 Leseeinheiten der Balzacschen Novelle und 93 eingefügten „Mikrotexte[n]“ (Ette 2013, 101) – Interpolationen, die das kleine literarische Werk immens aufblasen. Analog zur von Barthes genannten Zeitlupe und der Chronofotografie könnte die Lektürehaltung mit einem weiteren filmischen Verfahren benannt werden: dem Blow-up, das nach einem kleinen Exkurs verlangt. Blow Up Der erkenntnistheoretische – medienphilosophische – Horizont6, den dieses Verfahren der optischen Vergrößerung eröffnet, zeigt sich nirgendswo so wirkungsvoll wie in Michelangelo Antonionis Film Blow Up (1966). Sein Protagonist, der Fotograf Thomas, ist Vertreter eines indexikalischen Realismus und glaubt, dass ihm die Kamera eine unverstellte Beziehung zur Wirklichkeit ermöglicht. Eine Fotografie, die nichts zu sehen gibt, steht in Blow Up daher sofort unter Generalverdacht der Verschleierung oder Geheimhaltung einer Wahrheit. Bei der Befragung einer solchen Foto- grafie stellt Thomas nun seinen Voyeurismus über die Regeln des Mediums. Blow Up verdeutlicht, wie die Latenz des Medialen zu einer rezeptions- ästhetischen Bedeutungsüberproduktion und so zur Auflösung jeglichen Sinnzusammenhangs führt. Am Ende des Films versteht Thomas, dass umgekehrt die Medien die Art und Weise seiner Wahrnehmung vor- geben und nicht er über diese erhaben ist: Das Wahrheitsverständnis des Fotografen ist dem Medien/Denken des Films und der Fotografie unter- stellt, was im Falle von Blow Up bedeutet, Tennis zu spielen, im Wissen um den fehlenden Schläger und den fehlenden Ball, wie es die Rag-Day- Pantomimen in der Schlusssequenz vormachen. Im und als Film macht dieser Schlagabtausch nämlich durchaus „Sinn“. Auch wenn für Thomas und die Zuschauer/innen kein Ball sichtbar wird, so ist das „falsche Spiel“ 6 Eine aktuelle Referenz auf Blow Up ist Shumon Basars Text LoL History, in dem der Autor und Künstler das rezeptive Eintragen in Digitalbilder exzessiv unter post/ digitalen Vorzeichen ausstellt. Dass dieser Exzess übergreift und nicht an Textstellen halt macht, zeigt der Sammelband Re-/Dissolving Mimesis (2020), dessen Beiträge sich mit Basars Text post/produzierend auseinandersetzen und ihn weiterschreiben. 64 High Definition in visueller Hinsicht post/perzeptuell vorhanden – einerseits durch den Ton und andererseits durch die Affekte und die soziale Akklamation der Spielgemeinschaft. Um sich auf die vermeintlich „unsinnig“ wirkenden Regeln des Medialen einzulassen, muss in Blow Up die semantische Auf- ladung eines Beobachtungsobjekts durch ihren Beobachter und seiner Obsession zunächst ad absurdum geführt werden. In paranoider Hingabe Thomas‘ an ein Wahrheitsversprechen der Bilder führt sein Image Processing einer analogen Fotografie zur bedeutungszersetzenden Auf- lösung ihres figuralen Inhalts und der analytischen Überlegenheit. Mit Hilfe eines optischen Printers vergrößert und vervielfacht Thomas den Abzug, versucht mit aller Macht ein narratives Verhältnis durch Einzelbild- reihungen – Continuity – herzustellen, nur um beim reinen Bildrauschen zu enden: „Not seeing anything intelligible is the new normal“ (Steyerl 2017, 47). Die intelligible Unschärfe des Blow-ups ist Produkt von Thomas‘ epistemologischer Aufdringlichkeit. Den Analyseprozess verfolgt der/die Zuschauer/in aus einer epistemisch interessanten Position: Die Kamera befindet sich hinter der Fotografie, der das Erkenntnisinteresse Thomas‘ gilt. Ihr Inhalt schimmert spiegelverkehrt durch das leicht transparente Fotopapier. Sobald sich der Betrachter dem Bild nähert, verdunkelt er die Sicht und stört die Rückprojektion der Darstellung. Dort, wo sein Umriss zu sehen ist, wird das Bild taub. Wie eine Negativfolie kann diese Einstellung im Film die Interventionsthese manifestieren: Je mehr Thomas sich mit seinen Vorstellungen „ins Bild begibt“, um nach der „Wahrheit“ zu suchen, desto dunkler fallen die subjektiven Schatten auf die Fotografie und beein- trächtigen ihren sinnstiftenden Gehalt, verstellen das, was dort zu sehen ist (00:58:43). Nicht verwechselt werden darf also, so ist Balke (2015, 56) zu folgen, die „Intentionalität des Mediums mit einer psychopathologischen Dimension“ ihres Betrachters. Entgegen einer Bemächtigung des Erkenntnisobjekts durch den/die Betrachter/in kann von Blow-Up zu Barthes S/Z zurückgekehrt werden, und zwar mit dem Wissen um die Bejahung und Hingabe an die nicht über intel- ligible Verfahren zu lösende Unschärfe, die auftritt, sobald das Medium den medienphilosophischen Erkenntnisprozess anleitet. Der Schrägstrich steht bei Barthes für diese sinn(liche) Indifferenz ein. Dem Satzzeichen, das so prominent im Titel von S/Z vertreten ist, wird „eine panische Funk- tion“ zugestanden. Barthes macht den „Querstrich“ zur Initiale seines Arguments: Er koppelt die Protagonist/innen der Novelle, Sarrasine und Zambinella, die schon „im Verhältnis graphischer Umkehrung“ von S und Z eine verque(e)re Beziehung haben, aneinander. Der „Querstrich (/), der das S von SarraSine und das Z von Zambinella gegenübersetzt“ tritt High Definition 65 als „Diskurssymbol“ für das Lesend/Schreiben auf: „[D]as ist der Quer- strich der Zensur, die schimmernd blättrige Oberfläche, die Mauer der Halluzination, die Schneide der Antithese, die Abstraktion der Grenze, die Schrägstellung des Signifikanten, der Index des Paradigmas, also Sinn“ (Barthes 1976, 110). Der Schrägstrich verdeutlicht den „Sinn“, indem er denselben paradigmatisch öffnet, als Anti-These auftreten lässt, ihn zensiert, Grenzen ziehen lässt und ihm eine halluzinatorische Dimension zugesteht. „Sinn“ ist folglich alles andere als eindeutig oder objektiv. Der Schrägstrich indiziert ein poststrukturalistisches Paradigma nach Barthes, nämlich, dass keine Sprache „unschuldig“ ist: homogen im medienontologischen Sinne, heterogen in ihren Konkretisierungen als Literatur-, Wissenschafts-, semantische oder funktionale Sprache, die keinen Code privilegiert, sondern die „Beziehung der ‚fluktuierenden Hierarchie‘“ (2015b, 15) her- stelle. Das Schreiben ist für Barthes alles – erklärend, dokumentierend, erzählend, subversiv, zerstörerisch, vermischend und in dieser Vielfalt der sprachlichen Existenzweisen nur in der Literatur vertreten: „Die Literatur trägt somit heute als einzige die gesamte Verantwortung für die Sprache“ (ebd., 11). Hier wird ein medienphilosophisches Denken der Literatur dem anderen Denken (der Schrift) vorangestellt und der Fokus auf den materiellen Ausdruck und die lesende/schreibende Praxis der Text-Post/ Produktion gelegt. S/Z materialisiert im Einklang mit einem Medien/Denken – eine Haltung, die Thomas durch das Blow-up erst lernen muss – wiederum begriffliche Denk- prozesse im Text, die das Schreiben von Balzac und Barthes verbinden, jedoch ohne diese ineinander zerfließen und indifferent werden zu lassen. Was entsteht, ist keine Lektürevorgabe oder eine Lesart, sondern vielmehr ein Text über eine Interpretationserfahrung, über ein Lektüreerlebnis. Das Geschriebene folgt keiner linearen Konsumlogik, sondern die Erzählung ist gleichzeitig Produkt und Produktion, Akt und Objekt des Erzählens, wie es in S/Z heißt: „[W]as erzählt wird, ist das ‚Erzählen‘. Schließlich gibt es kein Objekt der Erzählung: die Erzählung handelt nur von sich selbst: die Erzählung erzählt sich“ (1976, 211, Hervorhebung im Original). Mit und am Schrägstrich wird die objekthafte Identität des Textes, sein Werkcharakter poststrukturalistisch gebrochen – „man wird ihn kaum in einem Buchladen finden“ (ebd., 9) – und derselbe zu einem „Möglichkeitsraum“ geöffnet, der zum Weiterschreiben anregt. Hier wird ein medienphilosophisches Eigenleben im Prozess, im Werden deutlich, welches eine teleologische Idee, den Text rezeptiv zu vollenden oder zu verbessern, vehement ver- neint. Hingegen geht es um das lustvolle Verhältnis zwischen Text und 66 High Definition Leser/innen(leben), der/die sich fragt: „[V]on welchen Texten würde ich akzeptieren, daß sie geschrieben (neu geschrieben) und begehrt werden, als Kraft in meine Welt Eingang finden?“ (ebd., 8). S/Z und die vorgemachte Verschränkung von Lesen/Schreiben, von Rezeption/Produktion, etabliert den Schrägstrich als onto- epistemologisches Medien/Werden; nicht nur, weil das Zeichen die Ein- deutigkeit eines Begriffs in der Un/Entschiedenheit offenhält, sondern auch, weil aus demselben Denkvorgänge in der medienmateriellen Veränderung gefolgert werden können. Der Schrägstrich legt die Praxis des Rezipierens als Post/Produzieren, Um/Formatieren, Interpolieren der Leseerfahrung und als Blow-up offen, und zwar nicht heraus aus einer Logik des Bemächtigens oder der voyeuristischen bzw. paranoiden Sinn- suche, sondern in der Hingabe an die Regeln des Medialen. Als „einzigartige Grenze“, wie Derrida ihn bezeichnet, changiert der Schrägstrich „zwischen dem und/oder, sowohl-als auch, oder/und, entweder/oder“ (1998, 47). Er ist selbst als eine der Aporien zu verstehen, die Derrida anspricht, wenn es um den immanenten Widerspruch „schlechthin“ geht: das Undenkbare, den (eigenen) Tod als ultimative, unüberwindbare Demarkationslinie zu denken. Die Aporie bedeutet für Derrida in der Befragung und Relektüre des §50 aus Martin Heideggers Sein und Zeit (1979) diese Grenze nun gerade zu überschreiten, zu passieren, eine hantologische Dimension aufzurufen, indem man den Tod, obwohl er nicht erfahrbar, im wahrsten Sinne nicht durchlebbar ist, dennoch als das identifiziert, was die eigene Existenz ausmacht, sie ausrichtet, sie heimsucht. Das Leben sei durchzogen vom Tod, und was sich einstellt, ist ein „gefaßt sein“, wie es im Titel der Schrift Derridas heißt: Es geht darum, den Aporien als „Grenzen der Wahrheit“ standzuhalten, ihrer Un-Logik zu widerstehen und sie anzunehmen. Der Schrägstrich indexikalisiert dieses Standhalten und das entsprechende Unbehagen, wenn das Sein im Konjunktiv verharrt. Hier angeschlossen werden kann mit Deleuzes und Félix Guattaris „dis- junktive[n] Synthesen“, die besagen, dass „alles [sich] dividiert ..., aber in sich selbst“ (2008, 98, Hervorhebung im Original). Für Deleuze und Guattari geht es auch um die Affirmation einer Distanz, die zwar unverkennbar da, aber nicht unüberbrückbar ist. Deleuze und Guattari spielen diese Möglichkeit am Geschlecht durch. Sie sprechen von einer Transsexualität, die „quer durch Lebendig- und Tot-sein, Eltern- und Kind-sein“ läuft, und erkennen hierin eine „Öffnung“, die alle Differenzen freisetze (ebd.). Die disjunktive Synthese bringt nicht etwas lösend zusammen, sondern verharrt im „und/ aber/auch“, das von Deleuze und Guattari als „Werden“, als eine Produktion an Differenzserien bezeichnet wird (Brunner 2011, 129). Das bedeutet, High Definition 67 dass diese indifferente Differenziertheit nicht unbedingt auf einen Bruch, einen Riss hinauslaufen muss, bzw. v.a. nicht auf einen Abbruch; denn die (synthetische) Disjunktion ist ein produktives Verfahren. Für Deleuze und Guattari zeichnet sich die Wirklichkeit dadurch aus, Serien zu produzieren. Ein Begehren kann sich an das, das und das richten. Licht kann als das, das und das bezeichnet werden. Im selben Sinne muss der Schrägstrich als Index der lesenden/schreibenden Lektüre bei Barthes wahrgenommen werden: Es geht nicht um einen zerstörenden, unproduktiven Schnitt in einen sinnkonstitutiven Zusammenhang. Vielmehr löst der Schrägstrich eindeutige Sinnzusammenhänge im Text durch rezeptive Einlagerungen anderer aus der Lektüre entstandener Textteile auf, lässt Bezeichnungen für das, das und das gelten und füllt das entstehende Bedeutungsintervall post/produktiv lesend/schreibend. Es handelt sich um Interpolationen in den Text, die nicht losgelöst als einzelne Teile Bestand haben, sondern es entsteht eine neue, vergrößerte, verlangsamte Existenzweise der Novelle als qualitative Einheit mit dem Leseerlebnis. Wie beim Zuckerwasser lagert sich Barthes Durchlaufen des Textes als produktive Neuerung in denselben ein. Während und weil Barthes liest, ist aus Sarrasine S/Z geworden, wie aus Zucker und Wasser Zuckerwasser. Dass S/Z genauso wenig wie das Zuckerwasser den erfolgreichen, sinnstiftenden Endpunkt einer Analyse oder Auflösung bilden, soll in Abgrenzung zu Thomas‘ Image Processing aus Blow Up hervorgehoben werden. Die Interventionen in die Fotografie in Blow Up haben ihre Funktion darin, scheinbar eindeutigen Sinn (die Iden- tifikation eines/einer Mörder/in) zu extrahieren. Die Ungeduld Thomas‘ ist daher zunächst zielgerichtet. Erst ab dem Zeitpunkt, wo er die Entfremdung der vermeintlich vertrauten Wirklichkeit hinnimmt und Unklarheiten nicht lösen will, sondern dem Sein im Konjunktiv (das virtuelle Tennisspiel) standhält, kann von einem Erkenntnisprozess im Sinne des medienphi- losophischen HD/Denkens gesprochen werden. Agentische Schnitte Der Schrägstrich hat aktuell Konjunktur in Theoriebildungskontexten, denen es darum geht, binäre Prinzipien zu überwinden und ihre Gesetzt- heit zu entlarven. So werden z.B. Subjekt/Objekt, Natur/Kultur, Fakt/ Fiktion, Epistemologie/Ontologie durch den Schrägstrich aufeinander bezogen und als Hybride gekoppelt. Latour reflektiert diesen Einsatz am gendergerechten Schreiben: Wenn Sie sich an den Scharfsinn erinnern, der aufgeboten wurde, um dem sexistischen Sprachgebrauch abzuhelfen, wird es Ihnen 68 High Definition einleuchten, daß es recht praktisch wäre, etwas Äquivalentes für die Verbindung zwischen Natur und Kultur zu finden. Da es in diesem Fall aber leider keinen eingeführten Begriff gibt, der die Rolle des Wortes ‚humain‘ übernehmen könnte, möchte ich Ihnen den typographischen Behelf NATUR/KULTUR vorschlagen, um so die entsprechende Umstellung der Aufmerksamkeit zu erreichen. Damit vermeiden wir nämlich, die Natur als etwas universell Selbstverständliches zu behandeln, von dem die kodierte Kategorie Kultur sich abhebt, ganz wie der Einsatz von ‚er/sie‘ vermeiden hilft, daß das männliche Geschlecht als universelles aufgefaßt wird. (2017b, 36, Hervorhebung im Original) Latour ist auf der Suche nach einem Begriff, der die Abhängigkeit verdeut- licht, aber den relationalen Bedeutungsspielraum nicht schließt. An dieser Stelle kommt der Schrägstrich zum Einsatz. Es geht um die Gegenüber- stellung von Binärismen und Dualismen, die einerseits ihre differenziel- len Identitäten bekunden, andererseits aber auch in ihrer Konstruktion durch das Andere entlarvt und so non-binär geöffnet werden. So koppeln Schrägstrich-Verbindungen auch scheinbar disjunkte Gegensätze miteinan- der und heben die Hybridität derselben hervor. In jener Funktion kommt der Schrägstrich sehr augenscheinlich in den Schriften von Barad zum Einsatz. Aus einem wissenschaftsphilosophischen und queer/feministischen Interesse heraus bringt Barad das Verhältnis von Beobachtung und Beobachtungsgegenstand, z.B. wenn physikalisch etwas gemessen wird, auf einen „agentischen Schnitt “ (2015b, 131, Hervor- hebung im Original). Für Barad ist eine Messung eine Interaktion zwischen Laborsetting, Messenden und zu messendem Phänomen. So ereignet sich ein qualitativ-dividueller Zustand, der nach Barad keine Subjekt/ Objekt-Differenz mehr zulässt, genauso wenig wie die Unterscheidung von Epistemologie und Ontologie: „[E]s existiert kein inhärenter/natürlich vorkom- mender/starrer/universeller/Cartesianischer Schnitt “ (2015a, 25, Hervorhebung im Original). Der „agentische Schnitt“ steht dem „Cartesianischen Schnitt“, der Trennung von Subjekt und Objekt, von Denken und Materialität, ent- gegen und teilt sich die Kompetenz zur Differenzverschiebung mit dem Schrägstrich. Gleichsam wie Schieberegler agierend, ziehen agentische Schnitte keine unumgänglichen Furchen in erkenntnisgeleitete Felder, sondern stellen die hybride Agency bei der Entstehung von Wissen und Denken in den Vordergrund. Der agentische Schnitt setzt zwar eine Differenz, macht aber gleichzeitig deutlich, dass diese „gezogenen Linien ... machtgeladene, epistemologische Entscheidungen“ sind (ebd., 58). Der Schnitt verkörpert und materialisiert die Gesetztheit, die Grenzziehung, High Definition 69 die Dualismen, die durch ihn und seine Sichtbarwerdung aber wiederum aufgebrochen und verschoben werden können. Wie Handel verdeutlicht, ist Barads Konzept des „agentischen Schnitts“ wie ein Slash verfasst, der Unbestimmtheit niemals vollständig auflöst, sondern Un/Bestimmtheiten rekonfiguriert. Diese mediale, nichtbinäre Verfasstheit des Slashs ... ermöglicht es somit den medialen Schnitt gerade nicht als unterscheidende Grenze, nicht als ein fixierendes Bestimmtwerden zu konzipieren, sondern als einen selbstdifferenten Schnitt, der Unbestimmtheit niemals einfach auflöst, sondern immer nur weitere Verschiebungen erzeugt bzw. Un/Bestimmtheiten rekonfiguriert d.h. eine Differenz ausmacht. (2019, 248, Hervorhebung im Original) Festgemacht an der Quantenphysik und konkret an der Kopenhagener Deutung, der Auseinandersetzung zwischen Niels Bohr und Werner Heisenberg um die „Welle-Teilchen-Dualität“ (Barad 2015a, 40), zeigt sich in Barads Texten, z.B. Dem Universum auf halben Weg begegnen (2015a) und Quantenverschränkungen und hantologische Erbschaftsbeziehungen (2015c), die zu überholende binäre Ausschließlichkeit von Dualismen, die in der Frage nach der „Materialität“ von Licht diskutiert wird. Das quantenphysika- lische Problem mit Photonen ist ihre Letztbeschaffenheit, denn je nach unterschiedlichem apparativem Kontext besteht Licht aus Wellen oder aus Teilchen, zwei Formen, die sich eigentlich konsequent ausschließen: Wellen und Teilchen sind ontologisch distinkt: Wellen sind ausge- breitete Störungen, die sich überlagern und durcheinander hindurch bewegen können; Teilchen sind lokalisierte Entitäten, die einzig einen gegebenen Ort zu einem Zeitpunkt einnehmen können. Licht kann nicht einfach eine Welle und ein Teilchen sein, ausgebreitet und lokali- siert. (Barad 2015c, 90, Hervorhebung im Original) Bohr folgend entlarvt Barad eine vermeintliche, „felsenfeste ... Kon- sistenz“ (ebd.) naturwissenschaftlichen Wissens, indem sie den voll- zogenen Perspektivenwechsel auf der Suche nach der Lösung für das Welle-Teilchen-Problem nachzeichnet. Bohr hinterfrage dabei, so Barad, nicht die vermeintliche „Unrichtigkeit“ der Messungen, sondern den Sinn der Worte: Was bedeute es, wenn wir von Teilchen oder von Wellen sprechen? Bohr ermöglicht durch seine Frage eine „intime Beziehung zwischen Diskurs und Materialität“ (ebd., 91), die im entwickelten Sinne als medienphilosophisches Programm, als bewegliche Konzeptgeschichte identifiziert werden kann. Entitäten sind so nicht mit eindeutig gebundenen Eigenschaften, mit einer „Essenz“, versehen, sondern ihre Existenz ist als Existenzweise an „Intraaktionen“ gebunden, die das „Bestimmt-Werden 70 High Definition (und Unbestimmt-Werden) von Materie und Bedeutung“ (ebd., 92, Hervor- hebung im Original) zuallererst materialisieren. Hierzu gehören auch die bezeichnenden Begriffe. Was über diese naturwissenschaftliche Erkennt- nisbildung greifbar wird, ist ein Medien/Denken im umgekehrten Sinne zu den behandelten medienkulturwissenschaftlichen Fragen. Ähnlich wie Thomas in Blow Up muss Bohr zunächst verstehen, dass seine Intervention die zu beobachtende Wirklichkeit beeinflusst. Der apparative Aufbau der Messungen und auch die konzeptuellen Modelle und Beschreibungen, wie die Teilchen oder Wellen, werden dabei Teil des zu untersuchenden Phänomens. Sie liegen nicht einem empirisch/positivistischen Standard genügend als Beobachtungen zweiter Ordnung teilnahmslos in einem losgelösten Außen, sondern sind untrennbar eingelassen als „Grenzen“ im Phänomen selbst. Konzepte sind auch bei Barad im beschriebenen medienphilosophischen Sinne „materielle Arrangements experimenteller Apparaturen“ (ebd., 91, Hervorhebung im Original). D.h., dass „Teilchen“ oder „Wellen“ eben nur unter spezifisch medialen Voraussetzungen als dieselben verstanden werden können und als bewegliche Konzepte auf- treten. Wissen von Wirklichkeit sei immer nur im Kontext entstehende Differenz, ein Werden, und daher „gibt [es] keine starre Essenz oder Sub- stanz, die zum Messen da ist“ (ebd., 92). D.h., so macht es Barad explizit, dass Forschungsergebnisse nicht ohne den Prozess der Forschung denkbar sind. Methode und Darstellung materialisieren und konstituieren das onto- epistemologische Ergebnis, das nur so und nicht anders, durch andere Methoden oder Darstellungen, zu haben wäre. Der agentische Schnitt bei Barad, im Text ermittelbar über den Schrägstrich, macht diese Ver- schränkungen deutlich. Er bildet Intraaktionen, die „Dinge zusammen-aus- einander [schneiden] (als eine Bewegung)“ (Barad 2015b, 131, Hervorhebung im Original): Agentische Schnitte markieren keine absolute Trennung, sondern ein zusammen-auseinander-Schneiden ..., sie betreiben agentische Trenn- barkeit – differenzierend und verschränkend (das ist eine Bewegung, nicht aufeinander folgende Prozesse). Agentische Schnitte überarbei- ten radikal die Beziehung des Verbindens und Trennens. (Ebd., 160–161, Hervorhebung im Original) So kann eine „Identität“ als „in sich multipel ... durch sie selbst diffraktiert“ wahrgenommen werden: „Identität ist Diffraktion/Différance/differieren/ver- schieben/differenzieren“ (ebd., 131, Hervorhebung im Original). Verbinden/ Teilen ist für Barad eine Bewegung, ein Übergang, wie das Auflösen von Zucker in Wasser. Das Zusammen-auseinander-Schneiden kann im Hin- blick auf die oben aufgerufene skalare In/Varianz und die dividuellen High Definition 71 Existenzweisen als qualitative Einheit betrachtet werden, die nicht über die Summe ihrer zu trennenden Teile einholbar ist. Dementsprechend stellt sich bei Barad im Schnitt auch nicht ein Bruch oder eine Ausschließlichkeit ein, sondern ein getrenntes Ganzes. Der Schrägstrich ermöglicht es Barad wie Barthes, das Programm einer dis/kontinuierlichen Wissensproduktion in den Text zu übertragen, und beide scheinen sich dabei nach einem Medien/Denken zu richten. Wie lassen sich nun die erwähnten Positionen um den Schrägstrich auf meine Forschung mit und zu HD beziehen? Die durch das Satzzeichen markierte Verschränkung von medienwissenschaftlicher Objektbetrach- tung (durch Sprache) und einem medienphilosophischen Denken des im Fokus stehenden hochaufgelösten Digitalbildes soll über die semantische Öffnung der im Folgenden zu erarbeitenden beweglichen Konzepte einge- holt werden. Evoziert wird mit einer solchen Methode des Schrägstrichs das Fremdwerden der eigenen Untersuchung, ganz im Sinne einer Theo- riebildung der „Post/-ismen“. Die Befremdung des Betrachtungsobjektes stellt sich demnach in der Schwierigkeit dar, eindeutige Begriffe für sie auszuweisen. Die mit dem Satzzeichen aufgerufene Indifferenz der Worte soll produktiv mit dem HD inhärenten Image Processing, den skalaren In/ Varianzen und Existenzweisen von hochaufgelöster Bildlichkeit als Medien/ Werden verfugt werden und als eine Medienphilosophie durch HD zum Ausdruck kommen. Verlauf der Arbeit (II) Konkrete Ausprägungen des HD-Image-Processings, namentlich die technischen und funktionalen Bildpraktiken des Postproduzierens, Umformatierens, Interpolierens und Zoomens, werden im Folgenden durch den Schrägstrich als bewegliche Konzepte indiziert. Die medien- philosophischen Vorgaben, die diese Praktiken machen, nämlich Digital- bilder über Skalierungsvorgänge in verschiedene bildliche Existenzweisen auszudifferenzieren, werden über die begrifflichen Aushandlungen durch die Schrägstriche im Text weiter prozessiert. Nicht nur die HD-Bilder drängen auf diese Weise auf ihre Post/Produktion und Um/Formatierung, sondern auch die mit ihnen benannten Begriffe. Mit und durch HD soll eine Medienphilosophie vertreten werden – entgegen der Verlockung, sie textuell auf Eindeutigkeiten einzudämmen. Der Schrägstrich soll meine Arbeit am Begriff verdeutlichen und die Textproduktion als ein Feld von „Berührungspunkten und Konfliktzonen“ etablieren. Das Satzzeichen tritt dabei als „Index für das Unsaubere“, als Un/Schärferegulator auf, 72 High Definition der auf Ausschlüsse, Messfehler, Überhänge, Verschleiße, blinde Fle- cken meines medienwissenschaftlichen Denkens hinweist. So entstehen onto-epistemologische Denkprozesse des Post/Produzierens (2.), des Um/Formatierens (3.), des Epistemologisch/Zoomens (5.), des HD/Bilder/ Denkens und Medien/Werdens. Medienphilosophische Intensivierungen und Affizierungen werden über hochauflösende und hochaufgelöste Prozessualitäten behandelt, die Kontinuität/intensivieren (4.1.) und Licht/ kristallisieren (4.2.). Onto-epistemologische Aushandlungen, Paradoxien, Aporien und Tautologien halten RAW/Formate, Post/Perzeptionen und Medien/Immanenz am Laufen. In einer Welt in Hochauflösung sind auch die medienwissenschaftliche Praxis und ihre Textproduktion unter die Vorgaben des HD/Bilder/Denkens gestellt, wie mit dem Schrägstrich im Folgenden post/produzierend und um/formatierend deutlich werden soll. [ 2 ] Post/Produzieren How Not to Be Seen. A Fucking Didactic Educational.mov.file „This is a resolution target. It measures the visibility of a picture. This is a resolution target. It measures the resolution of the world as a picture. Resolution determines visibility. Whatever is not captured by resolution is not visible“. Dieses totalitäre Sichtbarkeitspostulat, gemessen am Auf- lösungsvermögen, stammt aus Hito Steyerls Videoarbeit How Not to Be Seen. A Fucking Didactic Educational.mov.file (2013a, 00:01:30). Steyerls Kunst- arbeit soll den Auftakt leisten, für die im Folgenden im Zentrum stehende Frage nach der Verbindung von hochaufgelöster Digitalbildlichkeit und Wirklichkeit durch Post/Produktion. Während eine computergenerierte Stimme im Voiceover die Verbindung von Welt und Auflösung proklamiert, setzt in How Not to Be Seen. A Fucking Didactic Educational.mov.file ein Google-Earth-Zoom-Out ein. Beginnend bei der virtuell simulierten Draufsicht auf sogenannte Resolution Targets, überdimensionale, auf den Erdboden der kalifornischen Wüste gezeichnete Auflösungstafeln (35°15‘28.16“N 117°28‘52.03“W), die zur Kalibrierung von Luftbildaufnahmetechnik eingesetzt werden (USAF 1951), fährt die Zoom- fahrt weiter über die westamerikanische Küste und den Kontinent hinaus, bis der Planet als runde, formvollendete Kugel vor schwarzem Grund da liegt. Doch diese Bildbewegung wird nicht kaderfüllend wiedergegeben. Nur einen kleinen Bereich der maximal zu erreichenden Bildschirmgröße einnehmend, läuft die Google-Earth-Zoomfahrt als digital hinzugefügtes Bild im Bild ab, platziert vor einem die restliche Fläche ausfüllenden Green 76 High Definition Screen. Der mittig im grünen Bild arrangierte quadratische Rahmen für die Zoomfahrt ist, so konnte es in der vorherigen Szene nachvollzogen werden, selbst ein Auflösungstestbild, nämlich das gleiche USAF-1951-Resolution- Target aus der Mojave-Wüste, dieses Mal nur in einer viel handlicheren Dimensionierung (siehe Abb. 2.1.). Die USAF-1951-Tafel hat ihre Funktion nämlich auch bei Bildproduktionen im Studio und zur allgemeineren Kalibrierung des Auflösungsvermögens von optischen Gerätschaften – nicht nur von Luftbildkameras. Als buch- große, schwarze Tafel mit kontrastreicher, weißer Bemalung, zweckmäßig angebracht auf einem Stativ, ist sie auch bei Steyerl im HD-Bild zu sehen und wird dann überblendet von der Existenzweise des Resolution Targets als verpixelte, digitale Google-Earth-Ansicht der 23 Meter langen und 15 Meter breiten Betonfläche in der Wüste. Das Zoom-Out steigert die kom- plexe Bezugnahme der verschiedenen Auflösungstafeln und ihrer Größen- unterschiede, denn während das Kalibrierungs-Pattern in Kalifornien mit der Bildbewegung immer kleiner wird, bis es sich völlig in den Falten, Schichten und Maserungen der Lithosphäre auflöst, passt der die Beton- fläche aus dem Sichtfeld verdrängende Erdplanet immer noch in die kleine Auflösungstafel vor dem Green Screen, die diese Bewegung einfasst. Skalar in/variant verändern und staffeln sich in How Not to Be Seen Bilder, Objekte und auf dem digitalen Globus markierbare Orte, die begleitet werden von einem Computer-Voiceover, welches die Welt selbst als Bild identifiziert und unter die materiellen Vorgaben des Auflösungsvermögens stellt: „It measures the resolution of the world as a picture“ (00:01:30). Lässt sich das Auflösungsvermögen der Welt messen, dann stehen nach der beschriebenen Szene aus Steyerls 16-minütiger Videoarbeit Sichtbarkeits- regime im Zusammenhang mit der Modulationsfähigkeit von Digitalbildern. Dieses Verhältnis ist kondensiert in der Erscheinung der Auflösungstafel, die, als operatives Bild, vorgibt, was sichtbar wird oder unsichtbar bleibt, was ein gutes und was ein schlechtes Bild ist. Der skopische Anspruch, der mit der Kalibrierung laut wird, bekommt einen totalitären Charakter durch die in How Not to Be Seen präsentierten verschiedenen Existenzweisen der Auflösungstafel. Das Resolution Target erscheint gleichzeitig planetengroß und handlich-klein. Es ist im Produktionsstudio zu finden, genauso wie in der abgelegenen, menschenleeren Wüste. Einer exzessiven Mimesis nach Friedrich Balke (2018a, 23) entsprechend, verdoppeln sich die Auflösungs- tafeln, sind ineinander montiert und übereinander geblendet, so, als ob es keine (bildliche) Existenz außerhalb von ihnen geben würde. Genau hierauf verweist auch die Computerstimme im Video: „Whatever is not captured by resolution is not visible” (00:01:30). Post/Produzieren 77 In den beiden folgenden Unterkapiteln soll ausgeführt werden, wie sich solche mit How Not to Be Seen benannten Potenziale der Hochauflösung und demgemäß ihre (problematischen) Sichtbarkeitspostulate in Bezug auf die Praxis und die Ästhetik des Post/Produzierens verhalten. Weiterhin möchte ich darlegen, welches Verhältnis Digitalbildlichkeit und Wirklich- keit zueinander einnehmen, wenn die skalar in/varianten Ansichten, über Auflösungsschwankungen zu identifizierende digitale Bildhybride, den Ver- fahren der Post/Produktion zugesprochen werden können. Post/Produzieren Post/Produktion ist ein industrie- und ökonomielogischer Begriff, der für einen Abschnitt eines Arbeitsprozesses im Umgang mit (Digital-) Bildlichkeit (aber auch mit auditiven oder räumlichen Formaten) steht. Florian Krautkrämer teilt einen solchen Produktionsablauf bei der film- industriellen Herstellung eines Bewegtbildes in drei Phasen: erstens die Vorbereitung oder „Preproduction“ eines zweitens Drehs oder Shootings und drittens die „Postproduktion“, bei der das abgedrehte Material nach- bearbeitet wird, konkret „die Montage, Toneffekte, die Synchronisation, Lichtbestimmung, Schrifteneinblendung wie für den Vor- und Abspann sowie der Negativschnitt“ (2017, 2). Dieser Dreischritt stellt heraus, dass Post/Produktion ein besonderes Verhältnis zur Medialisierung der Wirk- lichkeit mit sich bringt, das scheinbar in Frage gestellt werden kann, sobald die post/produktiven Techniken eine Digitalisierung erfahren.1 Eine solche Verunsicherung lässt sich auf einen problematischen Realismus digitaler Bilder, wie er in Abschnitt 1.1. schon angesprochen wurde, deren ver- meintliche Manipulationsaffinität und die Möglichkeit, „reine“ Bilder aus dem Computer (Flückiger 2008) herzustellen, zurückführen. Zusammen mit dem abgefilmten Bildmaterial erscheinen die post/produzierenden „Ein- griffe“ dann als Visual Effects und computergrafisch hinzugefügte Elemente im Digitalbild, die vermeintlich die vor der Kamera existierende und nicht durch den Computer berechnete Wirklichkeit verfremden oder von ihr abstrahieren. Der Kontakt von Digitalkamera und Wirklichkeit kann mit HD nun auf die Informationsdichte des Bildes bezogen werden, die, neben der „Angst“ vor einer suggestiven und verschleiernden Darstellung und Veränderung 1 Natürlich wurden Bilder schon immer nachbearbeitet. Für eine historische Abwick- lung siehe Kapitel 2.2. Durch die Digitalität nehmen diese Formen aber zu bzw. sind nicht mehr zu trennen von den vermeintlich nicht-bearbeiteten, aber dennoch digital entstandenen Bildern. Sie haben somit einen anderen ontologischen Status, der mit der vorliegenden Arbeit fokussiert und herausgearbeitet werden soll. 78 High Definition der verbildlichten Wirklichkeit, v.a. auf die Verschränkung der genannten Herstellungsschritte verweist, so macht es der filmindustrielle Diskurs deutlich (Cioni 2018). Eine Bildakquise in HD sorgt dafür, dass informations- gesättigtes Material vorliegt, auf das post/produktiv ein- und zugegriffen werden kann. Post/Produktion und HD werden in der Filmindustrie daher häufig in einem Atemzug mit „Workflow“ genannt, denn die hohe Auf- lösung ermöglicht den reibungslosen und häufig nur in rein digitalisierten „Umgebungen“ erfolgenden Arbeitsablauf (Cioni 2012). Die Post/Produktion schreibt sich, sobald die Herstellung und Bearbeitung der Bilder auf HD beruht, in die anderen Phasen der digitalen Bildherstellung ein (Kraut- krämer 2017, 4) und auch die Prä-/Produktionsschritte können dann unter die Vorgaben des Post/Produzierens gestellt werden. Das hat zwei Konsequenzen: Einerseits verändert sich das Verhältnis der „Wirklichkeitsaufnahme“ durch das HD-Bild und andererseits sind im Bild mehr informationsbezogene Spielräume als skalare In/Varianzen ästhetisch zu verzeichnen. Darauf soll in den Unterkapiteln mit den Konzepten Too Much World (2.1.) – ein kennenzulernender Begriff von Steyerl – und dem damit zu korrelierenden Too Much Image (2.2.) eingegangen werden: Post/ Produzieren übersetzt „zu viel Wirklichkeit“ (Too Much World) skalar in/ variant als überbordende, hyperreale HD-Ästhetik in ein „zu viel an Bild“ (Too Much Image). In diesem Zusammenhang steht auch die Frage nach der sensiblen, lichtempfänglichen Materialität von hochaufgelöster Digitalbild- lichkeit, die mit der Analyse des RAW/Formats berücksichtigt werden soll (2.2.). Dass post/produktiv mediales Material geordnet und selektiert wird, ist nichts Neues. Gemeinhin wurde am Schneidetisch schon immer ent- schieden, was aus Kilometern an Film Einzug in den Final Cut fand. Produktionssituationen, die auf hochaufgelöste Digitalbildlichkeit setzen, scheinen sich nun profilmisch noch unentschiedener zu geben. D.h. film- ästhetische Absichten – „Einstellungen“ –, die als bedeutungstragende Einheiten produktionstechnische Prozesse der Bildentstehung stilistisch z.B. im Aspect Ratio kondensieren, sind beim Dreh noch nicht festgelegt. Das in Filmproduktionskontexten geflügelte Wort „Fix it in Post!“, steht für, so macht es Krautkrämer deutlich, einen gewissen Grad an Unbedachtheit beim Dreh (ebd., 3). Ein unentschiedener Umgang bei der Post/Produktion wird durch eine Bildakquise in HD nun befeuert, wo eine hochaufgelöste Szene gleichzeitig in einer Nahaufnahme wie in einer Totalen resultieren kann. Wie unter 2.2. mit dem Begriff des RAW/Formats zu argumentieren sein wird, geht es mit HD darum, möglichst viele Daten zu erfassen, deren Interpretation und ästhetische Auswertung aber dann erst nach Post/Produzieren 79 der Bildakquise erfolgt (Vishnevetsky 2013) und demgemäß bei der Auf- zeichnung die Nachbearbeitung schon zwingend ins Bildformat integriert. Für einen solchen Produktionsmodus der Datenabschöpfung und post/ produktiven Informationsverarbeitung argumentiert z.B. der Filmregisseur Christoph Hochhäusler. Er spricht sich für die von ihm so benannte „Mastershot Coverage Technique“ aus, bei der eine Filmszene in maximal zwei hochaufgelösten Mastershots aufgenommen werden würde. In der Post/Produktion kann dann ein möglichst hohes Spektrum an gewünschten Einstellungen aus dem datendichten Bildmaterial herausgelöst werden. Der Möglichkeitscharakter eines „Bildes als Rohstoff“ (als RAW/Format) soll vorzugsweise lange bestehen bleiben, was für Hochhäusler bedeutet, bei diesen Pixelakkumulationen noch nicht von Bildern zu sprechen: „Diese Mastershots wären noch keine Bilder, eher Blickfelder, die die wesentlichen Aktionen einer Szene erfassen“ (2011). Dass es sich bei diesen komplexen Daten/Bild-Verschränkungen und den skalaren In/Varianzen gerade um HD-Bilder handelt, wird in Abschnitt 2.1. anhand von How Not to Be Seen über das Potenzial von HD nachzuvollziehen sein. Als collagenartige innerbildliche Montagen werden in Steyerls Videoarbeit mit der Kamera aufgenommene, computergenerierte und animierte Ansichten synthetisch über variierende Auflösungen und Pixelschwankungen in Bildkadern zusammengefasst. Das Video weist so explizit darauf hin, dass es einen Schritt bei seiner Entstehung gab, der die verschiedenen Bildarten post/produktiv miteinander verfugt und ver- dichtet hat. Dabei treten nicht nur neue Techniken in den Vordergrund, sondern auch die Bewertung und der Einsatz verschiedenster bildlicher Verfahren. So soll mit dieser Arbeit danach gefragt werden, ob, wie schon angesprochen, die Einstellung, aber v.a. auch die durch den Schnitt ausgeführte Montage, die in der Filmwissenschaft eine immense Theo- retisierung erfahren hat, durch Digitaltechniken anders bedacht werden müssen. Formen des Layerings, (unsichtbare) Split Screens, (virtuelle) Rekadrierungen und innerbildliche Bewegungen, die in Kapitel 4.1. als „Mise en images“ zusammengefasst sind, setzen Einstellungsgrößen und Montageprinzipien im Anschluss an die Continuity unter neue Vorzeichen. In How Not to Be Seen verweist der veränderte Bild/Kamera/Wirklich- keits-Bezug durch HD auf die Schwierigkeit, die Linearität verschiedener aufeinanderfolgender Produktionsschritte, aber auch die Abgeschlos- senheit oder Fertigstellung eines Bildes zu behaupten, am prägnantesten verdeutlicht durch die Mise-en-abyme-Struktur der „Auflösungstafel in der Auflösungstafel“ und dem im HD-Bild immer wieder erscheinenden Green Screen. Die Auflösungscharts und Green Screens sind gleichzeitig 80 High Definition Teil der Produktion, der Post/Produktion und des hergestellten Bildend- produkts. Sie befinden sich in Steyerls Video neben der Kamera und anderem produktionstechnischem Equipment, sind aber gleichzeitig im HD-Bild als Requisite oder „Protagonist/innen“ vor der Kamera zu sehen und scheinen auch hinter der Kamera von How Not to Be Seen ihren Einsatz zu behaupten; immerhin legt Steyerls hyperästhetisch anmutende, hybride und gestochen-scharfe Videoarbeit nahe, dass die eingesetzte Technik richtig kalibriert und manche Darstellungen im Digitalbild nachträglich hin- zugefügt wurden. Die Auflösungstafeln und Green Screens sind nicht nur in Hinblick auf ihren Einsatz flexibel, dabei manchmal auch unterschiedlich groß in How Not to Be Seen zu sehen, sondern selbst – ganz im Sinne der post/produzierenden Vorgaben – größenverändernde Rahmenbedingung für Digitalbilder. Sie sind ästhetisch wie funktional, Bildfläche wie Produktionsstätte, etwa wenn das überdimensionale Resolution Target in der Mojave-Wüste zum Filmset wird. Ein Green Screen, ein Kamerateam, ein Kamerakran und natürlich auch die kleine, auf dem Stativ angebrachte Auflösungstafel sind dort stationiert. Und auch die kleine Auflösungstafel kann, wie einleitend beschrieben, zur „Leinwand“ bzw. zum „Bildgrund“ für die Bewegtbilder – dem Google-Earth-Zoom-Out – werden. Der Green Screen verkompliziert das Verhältnis von Produktion, Post/ Produktion und HD-Bild gleichermaßen: Green Screens und Chroma Keying sorgen dafür, dass vor der farbigen Leinwand abgefilmte Figuren, Objekte, etc. unsichtbar und umgekehrt (bewegt)bildliche Versatzstücke, die nicht innerhalb der profilmischen Situation auftreten, post/produktiv sichtbar werden können. Der Green Screen ist normalerweise ein „Platzhalter“, der im HD-Bildendprodukt für die substituierenden Elemente verschwindet. Nicht so bei Steyerl. Hier ist er immer wieder scharf und zentriert im Digital- bild zu sehen, während sich Personen, häufig geisterhaft, als ephemere Visual Effects, vor demselben auflösen und folglich seine Funktionalität beglaubigen. Steyerl lässt semitransparente, computeranimierte Figuren (Stellvertreter/innen für Menschen in architektonischen 3D-Animationen) in die abgefilmten Abbildungen der Resolution Targets am Cuddeback Lake spazieren. Gleichzeitig sind „echte“ Menschen durchsichtig, weil sie ihren Körper in grüne Morphsuits oder in „green screen burka[s]“ (Lütticken 2015, 50) hüllen, die sie beim Chroma Keying vor der grünen Leinwand semitrans- parent verschwinden lassen. Wie eine solche Schwierigkeit von kohärenten Repräsentationsbeziehungen zwischen einer vermeintlich außerbildlichen Wirklichkeit, einer Digitalbilder Post/Produzieren 81 herstellenden Produktionsrealität und ihrer Abgrenzung zu nachbear- beitenden Schritten sowie einem hochaufgelösten Bildendprodukt zum ideenmimetischen Bildstreit um die „Wahrhaftigkeit der Darstellung“ eskalieren kann, soll in Abschnitt 2.2. anhand des Skandals um die Gaza- Burial-Fotografie (2013) des schwedischen Fotojournalisten Paul Hansen illustriert werden. Mit dem Fokus auf post/fotografische Debatten kann dann noch einmal den Manipulationsvorwürfen gegen digitale HD-Bildlich- keit und ihre Post/Produktion begegnet werden, also der Annahme, dass kaschierende Filter, un/sichtbarmachende Masken und überblendende Bildebenen2 von einer vermeintlich „ursprünglichen“ und „authentischen“ Form des Mediums wie der Wirklichkeit abstrahieren würden. Dabei steht vorwiegend die Problematik im Zentrum der Befragung, was eine in sich geschlossene Bildentität ist und wann von „einem“ oder „dem“ Digital- bild gesprochen werden kann. Andererseits soll deutlich werden, dass die Filter, Masken und Bildebenen nun gleichsam als bildforensisches Handwerkszeug, als „Tool“ im Umgang bei der Suche nach (manipulativen) Veränderungen im HD-Bild ihren erkenntnisgeleiteten Einsatz finden. Im Anschluss daran kann eine epistemologische Dimension des Post/ Produzierens in Bezug auf datendichte Bildlichkeit erkannt werden, wie sich im Zusammenhang mit wissenschaftlicher Bildbearbeitung z.B. von astronomischen Digitalfotografien zeigt. Too Much World Im post/produktiven Umgang mit HD-Bildern kann Wirklichkeit immer wieder neu, immer wieder anders ausgehandelt werden, das zeigen nicht zuletzt die Bildhybride aus How Not to Be Seen. Die künstlerische Befragung digitalbildlicher Einsätze lässt Hochauflösung nicht zur Voraussetzung für den gelungenen Visual Effect werden, der durch Post/Produktion schillernd ins vermeintliche Trugbild gesetzt wurde. Post/Produktion verstellt nicht die Wirklichkeit, sondern handelt forensisch, politisch und im vorliegenden Kontext v.a. künstlerisch Schwellen von Sichtbarkeit und Unsichtbarkeit aus. Damit einher gehen counter-überwachende und subversive Potenziale der Subjektivierung und der Befragung von Existenz, wie in Kapitel 2.1. die Arbeiten von Forensic Architecture darlegen. Aber auch in How Not to Be Seen gilt die Forderung nach Counter-Surveillance, die schon im Titel der Videoarbeit angelegt ist. Steyerl zeigt im Video, wie es möglich wird, über Hochauflösung in einer voll sichtbaren Wirklichkeit unsichtbar zu werden. 2 Um nur drei der vielen Bildbearbeitungsmöglichkeiten von Adobe Photoshop aufzuzählen. 82 High Definition Sie greift dabei explizit auf post/produzierende Techniken zurück, die ent- gegen der Manipulationsvorwürfe erkenntnisspendende und subjektkon- stitutive Verfahren darstellen, wie Steyerl auch mit ihrem Begriff der Too Much World im gleichnamigen Text deutlich macht: The tools of postproduction: editing, color correction, filtering, cutting, and so on are not aimed at achieving representation. They have become means of creation, not only of images but also of the world in their wake. One possible reason: with digital proliferation of all sorts of imagery, suddenly too much world became available. (2013) Die Medienkünstlerin geht so weit zu sagen, dass Wirklichkeit ohne die Berücksichtigung und Anwendung kinematografischer und fotografischer Techniken, 3D-Grafiken, Animation usw. überhaupt nicht verstehbar sei (ebd.). Steyerls Too Much World, die mit Hilfe dieser bildgebenden Mittel verfügbar wird, soll in Abschnitt 2.1. als eine Konzeption von Wirklichkeit ausgelegt werden, die ihre Theoretisierung einerseits im Diskurs um das Post/Digitale und andererseits im Diskurs um das Post/Kinematografische erfährt. Die Wortführer/innen der post/digitalen Fragen, die im Folgenden aufgerufen werden, betonen allesamt, dass das Digitale nicht die weltferne Second World, der wirklichkeitsverschleiernde Hyperrealismus ist (Taffel 2016). Post/digital ist eine völlig von digitalen Medien durchdrungene Wirk- lichkeit und das Digitale zeichnet sich jenseits falscher Mythen durch eine hochgradige Materialität und eine Aktualisierung virtueller Phänomene aus – materielle Verdichtungen, wie sie eine Too Much World in HD prägen. Weiterhin soll dieses „Zuviel“ an Welt in Zusammenhang gestellt werden mit dem, was Malte Hagener (2011) und Krautkrämer (2013) als (post/ kinematografische) „Medienimmanenz“ bezeichnen, das „Zeitalter des Kamerabewusstseins ..., in dem unsere Vorstellungen vom Selbst und der Welt durch Rahmen bestimmt sind, die der Film und die Medien mit vorgeben“ (Hagener 2011, 52). Bei Hageners Vorschlag ist von einer „audiovisuellen Welt“ auszugehen, „die in unserer Umgebung am Anfang des 21. Jahrhunderts so durchdringend und allgegenwärtig geworden ist, dass dazu keine Position des Außerhalb mehr existiert, kein Ort, wo man den medialen Bildern entkommen könnte“ (ebd.). Post/Produzieren bildet, so möchte ich es in Kapitel 2.1. darlegen, den kondensierten Moment einer Medien/Immanenz, denn in der Praktik laufen medialisierte Wirklichkeit, ihre Bildwerdung, ihre Weiterverarbeitung als Bild und die Ästhetik der skalaren In/Varianz als Potenziale der Hochauflösung zusammen. Der Schrägstrich hat in Bezug auf das Post/Produzieren daher drei Auf- gaben. Erstens soll mit ihm deutlich werden, dass eine Verbindung aufrecht Post/Produzieren 83 erhalten bleibt zu einer medialisierten Wirklichkeit, die mit dem Begriff der Prä-/Produktion bzw. (der Vorbereitung) des Drehs oder der Aufnahme und einer dem Post/Produzieren vorausgehenden Beziehung zwischen Wirklichkeit und Digitalbild angesprochen ist. Post/Produzieren geht nicht von einer kybernetischen oder postmodernen, hyperreal berechneten Her- stellung von Bildlichkeit aus, sondern steht im Abgleich zu einer Aufnahme derselben. Zweitens soll der Schrägstrich und die einhergehende Her- vorhebung des Präfixes einen Bezug zu den Post/-ismen herstellen. Post/ Produzieren ist Teil dieser Theoretisierung, die in Abschnitt 2.1. über das Post/Digitale und die (post/kinematografische) Medien/Immanenz und in Abschnitt 2.2. über das Post/Fotografische ihre Ausarbeitung erfahren soll. Drittens ist mit dem Schrägstrich ein symbolischer Bruch markiert. Post/ Produzieren und HD werden v.a. im Kontext einer neoliberalen, hyper- kapitalistischen Produktionslogik zusammengebracht: Die hohe Auflösung des Bildes steht für Schnelligkeit, glatte Workflows und perfekte, fehlerfreie Bildendprodukte. Post/Produzieren soll aber mit Steyerls Video-Tutorial, dem Aufruf zur Counter-Surveillance (2.1.) und über den bildforensischen und wissenschaftlichen Einsatz der Technik (2.2.) gleichsam auch als eine entgegnende, kritische Praktik identifiziert werden. Zentrales Argument der folgenden Kapitel ist, dass in einer post/digitalen Medien/Immanenz, einer Too Much World, Kritik, Umdenken und Aufbegehren gegenüber den vermeintlich unkritischen, manipulativen HD-Bildeinsätzen folglich auf denselben post/produzierenden Praktiken beruhen. Demgemäß sollen Potenziale der Hochauflösung identifiziert werden. 84 High Defi nition Abbildung 2.1. (Quelle: Collage aus Screenshots. Steyerl, Hito. 2013a. How Not to Be Seen. A Fucking Didactic Educational.mov.fi le) Abbildung 2.2. (Quelle: Collage aus Screenshots. Steyerl, Hito. 2013a. How Not to Be Seen. A Fucking Didactic Educational.mov.fi le) Post/Produzieren 85 2.1. Too Much World: Post/digitale Medien/Immanenz How Not to Be Seen. A Fucking Didactic Educational.mov.file ist konzipiert als Video-Tutorial. In fünf Lektionen werden den Rezipient/innen Strategien des Unsichtbarwerdens in einer hochaufgelösten, bilddominierten Wirk- lichkeit nähergebracht: „Lesson I: How to Make Something Invisible for a Camera“ (00:00:14–00:01:56), „Lesson II: How to Become Invisible in Plain Sight“ (00:01:56–00:04:29), „Lesson III: How to Become Invisible by Becoming a Picture“ (00:04:29–00:07:14), „Lesson IV: How to Be Invisible by Dis- appearing“ ( 00:07:14–00:10:35) und „Lesson V: How to Become Invisible by Merging into a World Made of Pictures“ (00:10:35–00:15:50). Die einzelnen Lektionen zeigen, wie ein Umgang mit hochaufgelöster Digitalbildlichkeit aussehen könnte, um etwas einer ubiquitären Sichtbarkeit („the world as a picture“, 00:01:30–00:01:47) entgegenzuhalten. Zur Medienkritik wird das Fucking Didactic Educational.mov.file, weil es auf die Notwendigkeit ver- weist, sich in dieser HD-Bild/Wirklichkeit zu verstecken, (sich) zu löschen, vom Bildschirm ins Off zu verschwinden (00:00:30–00:00:50). Oszillierend zwischen fotorealistischen und hyperrealen Digitalbildern wird ver- schleiert, ausradiert, camoufliert und so veranschaulicht, dass Hochauf- lösung darüber entscheiden kann, was un/sichtbar, und, so könnte man hinzufügen, nicht/existent ist und bleibt. Wie bei der zuvor beschriebenen Google-Earth-Zoomfahrt spielt sich die Korrelation aus Sichtbarkeit und Existenz in How Not to Be Seen auf planetarischer Ebene (Bergermann 2012; Bergermann, Otto und Schabacher 2010a und b; Kapitel 5.1.) ab: Die ganze Erde wird zum hochaufgelösten Bild, ermöglicht durch die Kalibrierung mit Hilfe von Resolution Targets, die der Planet enthält und durch die er zugleich wieder über Satellitenansichten ausgestellt wird. Steyerl tritt im Video selbst als Testimonial auf. Sie zeigt einfache Hand- griffe, um für eine Kamera unsichtbar zu werden. Das Tutorial beginnt mit einer zentriert gesetzten Auflösungstafel auf einem Stativ vor grünem Hin- tergrund. Eine Hand kommt von rechts ins Bild, nahe der Kameralinse. Der Fokus stellt auf den Vordergrund scharf und lässt die Auflösungstafel im Hintergrund verschwimmen. Unsichtbar wird diese aber in erster Linie, weil die Handfläche sie verdeckt (siehe Abb. 2.1.). Steyerls Video erinnert nicht nur in dieser Szene an Harun Farockis bekannten Essayfilm Bilder der Welt und Inschrift des Krieges (1989). Farocki legt seine Hand auf die Fotografien exponierter Gesichter von Frauen aus Algerien der 1960er-Jahre (00:11:17). Die Fotografien fixieren Momente der Enthüllung: Zuvor blieben die Gesichter hinter Schleiern verborgen, deren tarnende Dimension Farockis 86 High Definition Hand wiederum mimt. Er legt sie über die dargebotenen Frauengesichter, als Abschirmung, so scheint es, vor dem „fremden Blick“ (00:11:01).3 In Farockis Essayfilm werden zwischen die Fotografien der schutzlosen Frauengesichter Szenen von Verfahren elektronischer Bildbearbeitung geschnitten, die zur polizeilichen Identifizierung und Gesichtserkennung von Personen eingesetzt wurden. Die „Remontage“, wie Georges Didi- Huberman (2014, 108–126) die collagierende Bildpraxis Farockis nennt4, zeigt, dass die Hand nicht nur die Verschleierung der Frauen, sondern auch medientechnische Masken nachahmt, die ein Gesicht als „Träger stabiler und eindeutig lesbarer Information“ elektronisch durchsuchbar und auto- matisiert erkennbar zum „operativen Porträt“ werden lassen (Meyer 2019, 21). Auf einem abgefilmten Bildschirm sind verschwommen solche Porträts zu sehen, die synthetisch zusammengesetzt werden (00:10:34). Faziale Teile, Augenpartien mit Brille oder ohne, Mund und Nase werden ver- größert und verkleinert. Ineinander montiert soll der kohärente Eindruck eines wiederzuerkennenden Gesichts entstehen. Unschärfemaskierungen ermöglichen die Abblende und den geschmeidigen Übergang der Bildteile ineinander; simulierte Maskierungen – Brillen, Hüte, falsche Nasen – sollen Verkleidungen nachstellen (00:10:20–00:10:40). Die Technik, darauf weist Nora Alter (1996) in ihrer Analyse des Essayfilms hin, steht im Zusammen- hang mit dem Deutschen Herbst und ihrem Einsatz bei der Rasterfahndung nach Terrorist/innen. Post/produzierende Strategien haben in Bilder der Welt und Inschrift des Krieges also ihren Einsatz, um einerseits zu entblößen, zu identifizieren und hegemonial alles zu sehen, und andererseits, um zu verschleiern und zu verbergen – beides durch die Montage unter politisch uneindeutigen Vorzeichen. Die Entschleierung der Frauengesichter kann als Emanzipation, der freilegende Blick auf sie als Repression verstanden werden, genauso wie Farockis Hand, die einerseits Schutz spendet, gleich- zeitig aber auch die Identität der Frauen unter der Handfläche verbirgt. Post/produzierende Techniken, wie gestisches oder technisch-auto- matisches Abdecken oder Freistellen von Bildteilen, lassen Bildlichkeit zwischen ihrer Un/Sichtbarkeit hin und her oszillieren, wirken macht- politisch dominant, aber auch analytisch-entschlüsselnd oder kritisch- reflektierend. Der Bildumgang ist beides, so zeigen es Farockis Bilder 3 Für eine Lacansche Lesart der Szene und Farockis Essayfilm, siehe Silverman (1993). Silverman weist auch auf die Gender-Implikationen in Farockis Arbeit hin: Die Täterinnen-Rollen sind im Film durchgängig weiblich konnotiert. 4 Didi-Huberman beschreibt mit dem Begriff der „Remontage“ Farockis appropriative Montagepraxis, bei der Bilder in der Relation zu anderen Bildern umcodiert und überinterpretiert und so mit neuer Bedeutung versehen werden. Darin erkennt Didi- Huberman eine essayistische Praxis, auf die auch in Kapitel 3.2. eingegangen werden soll. Post/Produzieren 87 der Welt und Inschrift des Krieges und die simple Geste: Die Handhabung von Bildern und ihre Weiter-/Be-/Verarbeitung können machtdominant unterdrücken oder beherrschen, gleichzeitig aber auch reflektieren und kritisieren. Farockis Essayfilm liefert so gekonnt eine Metareflexion zur eigenen filmischen Praxis, die in ihrer intellektuellen Montage durchaus auch bemächtigende oder intervenierende Züge im Umgang mit und im Eingreifen auf das Bildmaterial einkalkuliert. HD-Bild-Mimese Steyerls How Not to Be Seen kann als digitaler Kommentar zu Farockis Essay- film gelten. Im Tutorial werden ähnliche Umgangsformen mit Bildern, der Schutz vor einer Skopophilie und post/produzierende Manipulationen auf digitale Weise reflektierend und bemächtigend zusammengebracht. Durch digitale Verschleierung und Camouflage versteckt Steyerl ihres und andere Gesichter und nutzt hierfür v.a. Green Screens und die post/produzierende Praktik des Chroma Keyings. Das Chroma Keying setzt auf gleiche Farb- werte. Um eine Person vor einem Hintergrund post/produzierend im Digitalbild verschwinden zu lassen, hüllt sich diese am besten in die Far- bigkeit des Screens, z.B. in eine grüne Burka (00:10:28). So tauchen Figuren immer wieder in der Videoarbeit sichtbar, semitransparent und kurz vor dem Unsichtbarwerden auf. In „Lesson III: How to Become Invisible by Becoming a Picture“ (00:04:19–00:07:14) sieht der/die Betrachtende Steyerls Gesicht vor einer Bildfolge an Auflösungstafeln und Testbildern, die wohl nachträglich über einen Green Screen ins Bild gesetzt wurden. Umschnitt. Steyerls Gesicht leicht von der Seite gefilmt. Die Filmemacherin wird geschminkt und das Make-up empfindet auf Stirn und Wangen dieselbe Musterung nach, die die Auflösungstafeln vorgeben. Das Voiceover zählt währenddessen weitere Möglichkeiten des Unsichtbarwerdens auf: „to camouflage, to conceal, to cloak, to mask, to be painted, to disguise, to mimicry, to key“ (00:04:46–00:05:10). Mit jedem Pinselstrich bekommt Steyerls Gesicht mehr Farbe, aber nicht, um kompositorisch etwas hinzuzu- fügen. Die Farbe ist die des Hintergrunds und der Farbauftrag führt dazu, dass sich Steyerls Gesicht vor der Auflösungstafel auflöst. Das funktionale Kalibrierungsbild hat dann auf einmal ornamentale Züge und je mehr Steyerls mit Farbe gefülltes Gesicht eine Art von Bildlichkeit mimt, umso mehr Bildhaftigkeit der Auflösungstafel kommt durch das transparente Antlitz zum Vorschein (siehe Abb. 2.2.). Am Ende sind ihre Züge durch das Chroma Keying fast vollständig verschwunden und überblenden in eine nun aufblitzende Google Earth, die nicht lange als Planet das Bild füllt. Sofort beginnt eine Zoomfahrt, die wieder in der Mojave-Wüste endet, 88 High Definition bei Auflösungstafeln, die dieses Mal zur Kalibrierung von pixelbasierten Kameras dienen. Im Anschluss an die Zoomfahrt sind als Pixel verkleidete Personen zu sehen, die eine weitere Möglichkeit inszenieren, um im HD- Kontext unsichtbar zu werden. Das Voiceover schlägt vor, sich als Pixel zu verkleiden, oder, wie Steyerl es mit ihrer Testbild-Mimese vormacht, ein Bild zu werden.5 So ist es möglich in der Masse an Pixeln und Bildern zu ver- schwinden oder sogar kleiner als der Minimalwert der Bildwiedergabe zu sein. Unterhalb der Pixelgrenze existiert nichts, so suggeriert es das Video. Unsichtbarwerden ist möglich, wenn man diese Schwelle umspielt und gleich oder kleiner als dieselbe wird. Über die skizzierte Szene sind post/produktive Verfahren aufgerufen, wie sie auch schon in Farockis Essayfilm kritisch und über eine Bilderpolitik behandelt wurden. In beiden Fällen, bei Farocki wie bei Steyerl, kann der bildbearbeitende Eingriff nicht ausschließlich als manipulativ bewertet werden (Seibel 2015, 82). Wenn von einer völlig medialisierten, bildgewor- denen Wirklichkeit auszugehen ist, die sich über verschiedenste Größen- ordnungen und Auflösungsstadien manifestiert und kein Außen mehr zulässt, dann finden die post/produzierenden Verfahren bildinhärent auch ihren Einsatz, um sich gerade gegen ein „skopisches Regime“6 zu wehren. Post/Produzieren hat bei Steyerl demgemäß eine subversive Komponente: Über die digitalen Verfahren der Bildbearbeitung und mit hochaufgelösten Digitalbildern werden Formen des Unsichtbarwerdens in der hochaufgelös- ten HD-Welt erprobt. Mit Steyerl lässt sich also danach fragen, welche post/ produktiven Spielräume auch erst durch digitalbildliche Hochauflösung entstehen können, um medien/immanent unsichtbar zu werden/bleiben. Über die so von mir benannten Potenziale der Hochauflösung, so macht es How Not to Be Seen vor, lassen sich die Aushandlungen und Befragungen einer von vermeintlich unumgänglichen Medienstandards determinierten („Resolution determines visibility“, 00:01:30) Wirklichkeit demonstrieren. Steyerl widmet sich Techniken, die medien/immanent wirken, und lässt beim Explorieren des kritischen Potenzials der Hochauflösung auch die generischen Praktiken wie das Wischen, Scrollen und Skalieren der Screen- ansichten nicht außen vor. Im Folgenden soll weiter ausgeführt werden, wie sich eine solche digitalbilddominierte Medien/Immanenz näher spezifizie- ren lässt. Ich möchte weiter befragen, welche Rolle das Post/Produzieren 5 Ein Konzept der „Digitalen Mimese“ arbeitet Sebastian Althoff aus, dem ich viele Dis- kussionen über diese Szene aus Steyerls Video verdanke. 6 Der Begriff wird von Christian Metz (2000, 64–70) eingebracht. Martin Jay (1992 und 1994) spürt dem skopischen Regime der eurozentristischen, modernen Philosophie in seinem Buch nach. Post/Produzieren 89 in dieser bildgesättigten Too Much World hat und dabei auf post/digitale Theorien zurückgreifen. Das Außen des Digitalbildes und einer „World Made of Pictures“ In der als HD-Bild kalibrierten Welt von How Not to Be Seen (00:04:22) können camouflierte Gesichter auf die Größe von digitalen Planeten und Menschen auf die Größe von Pixeln skaliert werden. Ein Gesicht ist dabei genauso hochaufgelöst wie die Weltkugel, Menschen genauso marginal wie kleinste digitale Bildelemente. Ganze computergenerierte Welten (00:07:27) füllen in Steyerls Kunstarbeit Mac-Displays von 13 oder 15 Zoll. Die Ansichten schmiegen sich kaderfüllend an den Desktop. Der „Schreibtisch“ eines Computers, auf dem das ein oder andere Dokument liegt, scheint genügend „Platz“ zu bieten für die digital hergestellten, glänzenden Wirk- lichkeiten, in der jeder Pixel an der richtigen Stelle sitzt. Sie bestehen in How Not to Be Seen aus berechneten Hochhäusern, 3D-visualisierten Palmen und Büschen, gephotoshopten Designershops, mit After-Effects animierten Springbrunnen, Einkaufshallen, Glasaufzügen, Pools und Sonnendecks. Eine digitale Kamerafahrt gleitet durch digital hergestellte hängende Gärten und gerenderte Luxusapartments, gibt Einblick in 3D-visualisierte Kinosäle und schwebt vorbei an berechneten Teichen mit Seerosen. In einer solchen Wirklichkeit spendet Shadow Mapping Schatten unter der digital modulierten Pergola. Das Ray Tracing lässt atmosphärisch sattgelbe RGB-Lichtstrahlen einer tiefstehenden digitalen Sonne auf cremefar- bene Leder-Shader der modulierten Couchmöbel fallen, das kristallklare Wasser in den brutalistisch anmutenden Wasserbecken glitzert aufgrund des Perlin-Noise-Algorithmus (siehe Abb. 2.2.). Eine solche Wirklichkeit, die irgendwo zwischen Computerspiel oder der digitalen Modellplanung einer Hotelanlage, einer Einkaufsmall oder, wie es im Video heißt, einer „gated community“ (00:07:30) liegt, löst sich plötzlich in einer Pixelwolke auf und klappt als zweidimensionales Bild nach hinten, um nun die Sicht auf den Computerbildschirm freizugeben. Hinter der digitalen, hochauf- gelösten Wirklichkeit scheint eine zweite zu liegen. Das Hintergrundbild des Desktops ist die schon kennengelernte verpixelte Horizontalansicht der Mojave-Wüste aus Google Earth. Diese bleibt nun nicht an den ver- meintlichen Rändern eines Computerbildschirms stehen, sondern läuft nach vorne über den Kader hinaus. Bei genauerer Betrachtung zeigt sich, dass es sich bei dieser Ansicht gar nicht um einen Computerbildschirm handelt, auch wenn die abgebildete Taskleiste, das WLAN-Symbol und der Hinweis auf den Akkustand am oberen Bildrand sowie die auf dem Desktop abgelegten Ordner dies vermuten lassen. Vielmehr sieht der/ 90 High Definition die Betrachter/in die Leinwand eines Green Screens, auf die eine Mac- Desktop-Ansicht als Screen Mirror eingepflegt zu sein scheint und die nicht nur vertikal aufgespannt ist, sondern auch horizontal den Boden eines vermeintlichen Filmsets bekleidet. Die digitale Wirklichkeit ragt in den Produktionskontext, der durch das Chroma-Keying-Equipment angedeutet ist. Plötzlich erscheinen semitransparente, nachbearbeitete Figuren vor dem Green Screen in grünen Burkas und beginnen zu tanzen (00:09:50–00:10.30). Räumliche und zeitliche Kohärenz sind bei dieser post/produzierten Ver- schachtelung an Bildwelten und ihren verschiedenen Auflösungen schwer zu ermessen, genauso wie eine Orientierung in ihnen. Sie werden in Verhältnisse jenseits einer skalaren Einordnung gebracht: Liegt die com- putergenerierte, hochaufgelöste Digitalwelt innerhalb bzw. zeitlich oder ontologisch vor der verpixelten Google-Earth-Welt und diese wiederum innerhalb bzw. zeitlich oder ontologisch vor einer post/produzierenden, vermeintlich außer-medialen Wirklichkeit, die wiederum von schon nachbearbeiteten Visual-Effects-Figuren bevölkert wird? Wie sind die Repräsentationsverhältnisse zwischen diesen Wirklichkeiten? Wie ver- hält sich das „reale“ Resolution Target, die Betonfläche in der Wüste, zu den ornamentalen Überblendungen im Video und der virtuell simulierten Ansicht auf Google Earth? Nachdem die Figuren in den Green-Screen- Burkas zu Ende getanzt haben, beginnt die letzte Lektion in Steyerls Tutorial: „Lesson V: How to Become Invisible by Merging into a World Made of Pictures“ (00:10:35–00:15:50). Zusammenfassend werden in derselben Möglichkeiten des Unsichtbarwerdens noch einmal wiederholt und modifiziert. Lesson V soll nun helfen, die durch die Post/Produktion ins Ver- hältnis gesetzten verschiedenen Wirklichkeitsschichten einzuordnen. Bei Steyerl werden Inhalte immer wieder anders sichtbar und immer wieder neu gerahmt, so als vollziehe How Not to Be Seen einen Zoom-Out, der den bildlichen Rahmen immer weiter nach außen schiebt, gleichzeitig aber über die entstehende Informationsfülle nach Innen einfaltet. Dadurch kommt ein filmanalytisches Vokabular, das ein Außen und ein Innen eines Bildes befragt, an seine Grenzen und das, obwohl das Bewegungs-Bild an sich schon eine Befragung von starren Rahmen darstellt. So macht es prominent der Begriff „Kasch“ deutlich, den André Bazin (2009, 224–230) bei der Betrachtung von bewegtbildlichen Raumkonstruktionen im Ver- gleich von Malerei und Film einführt. Eine klare Abgrenzung des Bildes gibt es, so Bazin, im Film nicht. Der „Kasch, eine Abdeckung, die nur einen Teil der Realität freilegen kann“, sei „Hinweis“ des Films auf seine unendliche Expansion nach außen: „[A]lles, was die Leinwand uns zeigt, [ist] darauf Post/Produzieren 91 angelegt, sich unbegrenzt ins Universum [über den Bildrand hinweg] fort- zusetzen“ (ebd., 225). Wie Oliver Fahle (2015, 131) mit einer Fokussierung auf das Außen des Films verdeutlicht, „verfügt der Film durch seine Bewegtheit über inhärente mediale Mittel der Selbstüberschreitung, vor allem in den Formen des Sichtbaren und Nicht-Sichtbaren“. Der Fokus auf das Nicht- Sichtbare ist beim Film dabei so groß, dass sogar verschiedene Arten des Außens unterschieden werden können. Fahle fasst die filmtheoretischen Positionen zusammen: „Hors-champ bezeichnet das Außerhalb des Bildes, das aber jederzeit sichtbar werden kann. Hors-cadre hingegen bezeichnet das Unsichtbare, das nicht sichtbar werden kann“ (ebd.). In How Not to Be Seen wird das Verhältnis von Innen und Außen zu den ver- schiedenen Un/Sichtbarkeiten z.B. über folgenden Szenenbezug befragt: Zu Beginn des Videos, in Lesson I, ist die Künstlerin selbst im Bild, vor einem den Kader ausfüllenden grünen Hintergrund. Steyerl nimmt ein vor ihr zen- triert platziertes Stativ mit einer Auflösungstafel und geht mit ihm ins hors- champ, also über den Bildrand hinaus, der, so lässt es das kaderfüllende Grün des Hintergrunds vermuten, dort nicht endet. In Lesson V wird die Szene noch einmal gezeigt. In einem Umschnitt sehen wir Steyerl nicht nur aus, sondern in ein nächstes Bild laufen, wiederum eines, das schon im Video zu sehen war: Der grüne Hintergrund verwandelt sich in einen Green Screen, der auf der bemalten Betonfläche des Resolution Targets am Cuddeback Lake steht. Steyerl stellt die Auflösungstafel an den Rand des Resolution Targets. Das zuvor identifizierte intradiegetische Außen einer audiovisuellen Wirklichkeit, das hors-champ, wird nun selbst inner- halb eines Kaschs platziert. Der Green Screen, der zuvor als Bildhinter- grund fungierte und den Rahmen flächendeckend füllte, ist mittig gesetzt, umgeben von der Wüstenszenerie. Gleichzeitig ist er als identifizierbarer Green Screen aber kein „einfaches“ Objekt im Bild. Der Green Screen setzt einen profilmischen Produktionskontext in den Kader und verweist gleich- zeitig über das stellvertretende Grün auf die Nachbearbeitung des Bildes. Demgemäß wird eine Szene beschreibbar, die Krautkrämer in Bezug auf Handyvideos als „Bebilderung des hors-cadre“ (2013, 114, Hervorhebung im Original) bezeichnet und die er anhand der Installation Pixelated Revolution (2012) von Rabih Mroué sowie Steyerls Performancelecture Is the Museum a Battlefield? (2013b) exemplifiziert. Krautkrämer macht deutlich, dass es mediale Konstellationen gibt, die ihre Rahmen und Grenzen zur Wirklichkeit instabil ausstellen. Der Dokumentar- film z.B., so Krautkrämer, tue sich schwer in der Unterscheidung, was als genuiner Teil einer (diegetisch) medialisierten Wirklichkeit angehört und was nicht (2013, 119 und 124). Handyvideos, die nicht nur als „apparative 92 High Definition Beschreibung“ (ebd., 115) verstanden werden dürfen, sondern einen ganzen Medienverbund formieren, würden die Frage nach einem extra/ intradiegetischen Off weiterhin zuspitzen. Denn das spezielle Format der Handyvideos, welches sich für Krautkrämer dadurch auszeichnet, dass es eine Verbindung zu seiner Verbreitung im Internet aufweist (ebd., 116), stellt die Frage nach seinem Gebrauch. Dieser sei strenggenommen, so Krautkrämer, bei Handyvideos nicht final festgelegt. Dadurch kann auch nicht von einem eindeutigen hors-cadre ausgegangen werden, welches einer in sich geschlossenen medialisierten Wirklichkeit kontaktlos gegen- überliege. Das hors-cadre würde häufig mit dem Ort des Rezipierens der Bilder gleichgesetzt, der nicht in denselben verzeichnet ist und diese zu einem geschlossenen, „fertigen“ Werk macht. Der Kinoraum sei z.B. voll- ständig abgegrenzt vom filmischen Raum, er kann, egal wie sehr sich der Kasch im Film verschiebt, bei dessen Projektion nicht bzw. nur als medien- reflexive Referenz im filmischen Universum sichtbar werden. Krautkrämer schlägt nun in Bezug auf das Handyvideodispositiv vor, das hors-cadre nicht mehr im Rezeptionsraum anzusiedeln, denn dieser würde unter digitalen Vorzeichen hin zum Filmraum geöffnet werden. Die Rezeption ist Teil des Digitalbildes, so Krautkrämer, denn das Smartphone zeige Videos auf dieselbe Art und Weise, wie es Bilder zuallererst produziere. So ließe es sich an einer Szene aus Is the Museum a Battlefield? verdeutlichen, die Steyerl mit vorgehaltener Handykamera zeigt und die zunächst so wirkt, als ob die Medienkünstlerin ein Video dreht. Ein Gegenschuss und „Blick hinter die Kamera“ ist aber ein Schritt vor das Display: Es wird deutlich, dass Steyerl nicht filmt, sondern ein Video rezipiert. Krautkrämer nutzt dieses Beispiel, um das hors-cadre nun nicht mehr für die Rezeption, die ins Bild eingegangen ist, sondern für den Bereich der Weiterverarbeitung, das Post/Produzieren der Bilder zu reklamieren: „Der Raum des hors-cadre hat sich verlagert, er befindet sich nicht mehr in dem Raum des Bildes, sondern findet jetzt sozusagen hinter den Bildern (nicht wie bisher hinter der Bild- aufzeichnung) statt, bei der Weiterverarbeitung“ (ebd., 125–126, Hervor- hebung im Original). Für Krautkrämer gibt es keinen eindeutigen Bereich vor einer Leinwand mehr, der zur Rezeption der Bilder herhalten würde: „Erst mit der Weiterverarbeitung, die mehr ist als nur ein Abrufen, ist es sinnvoll, von einem hors-cadre zu sprechen. Es ist die Arbeit mit dem und am Bild in einem Raum, der in diesen Bildern selbst nicht mehr enthalten ist“ (ebd., 126, Hervorhebung im Original). Was damit auch impliziert ist, ist eine Weiterentwicklung der Rezeptions- zu einer Post/Produktions-Haltung. Bilder werden, wenn man Krautkrämer in seiner Expansion des hors-cadre Post/Produzieren 93 folgt, nicht mehr „nur“7 gesehen, sondern im Rezipieren verteilt, bearbeitet und so vor einer werkimmanenten Schließung bewahrt. Die geschilderte Szene aus How Not to Be Seen scheint jener von Kraut- krämer aufgerufenen Verlagerung eines hors-cadre in den Bereich der Weiterverarbeitung der Bilder zu entsprechen: Was zunächst als der vermeintliche Bildschirm, der eine Wirklichkeit ansichtig werden lässt, iden- tifiziert wurde, entpuppt sich nicht als reflektierende Leinwand oder selbst- leuchtender Screen, die/der etwas wiedergeben, sondern als Green Screen und folglich als ein post/produzierendes Umfeld der Bildlichkeit, eine Fläche, die auf die Weiterverarbeitung von Bildern pocht. Die Befragung der Beziehung eines Bildraums und eines von ihm unabhängig existierenden nicht-filmischen Raums wird jedoch in How Not to Be Seen negiert. Auch das Post/Produzieren, so soll mit Steyerl argumentiert werden, ist gebunden an das Digitalbild, ist in ihm sichtbar, in der Verschachtelung der Wirklich- keitsebenen, der skalaren In/Varianz der Ansichten. Steyerl geht mit ihrer Medien/Wirklichkeitskonzeption daher einen Schritt weiter. In ihrem Text Too Much World (2013) beschreibt sie, analog zur Handyvideoanalyse nach Krautkrämer, die überbordende Expansion des Internets. Digitale Media- lität sei nicht mehr auf einen bestimmten Rahmen oder ein Dispositiv fest- gelegt, sondern breite sich in der Wirklichkeit aus: Data, sounds, and images are now routinely transitioning beyond screens into a different state of matter ... . They incarnate as riots or products, as lens flares, high-rises, or pixelated tanks. Images become unplugged and unhinged and start crowding off-screen space. They invade cities, transforming spaces into sites, and reality into reality. (Steyerl 2013) „Transforming ... reality into reality“ – das Zitat korreliert mit einer Aus- sage Bazins, mit der Krautkrämer seine Ausführungen zum medialisierten Außen eröffnet: „Man wird der Wirklichkeit immer einen Teil der Wirklich- keit opfern müssen“ (Bazin 2009, 312). Mit dieser Vorstellung geht Bazin anhand von Citizen Kane (1941) und Farrebique (1947) auf das Verhältnis von technischen Mitteln, der Realität des Produktionskontexts und einem ent- stehenden Realismus im Bild ein – immer den Mythos des „totalen Kinos“ im Hinterkopf. Denn so lange sich das „totale Kino“ nicht technisch einlöst, gibt es für Bazin einen blinden Fleck der realistischen Kunst. Entweder 7 Dass Sehen immer schon eine Praxis ist, macht Eva Schürmann (2008) für die Phi- losophiegeschichte im Oszillieren zwischen Epistemologie und Ontologie deutlich. Ihr Buch fokussiert die Überwindung einer Subjekt/Objekt-Differenz in der Betrachtung von phänomenologischen, ethischen oder existenziellen Ansätzen. 94 High Definition verstelle ein gekonnter technischer Einsatz einen anderen und folglich auch die totalitäre Aufnahme der Realität oder die Realität entziehe sich der gekonnten oder fehlerhaften Aufnahmetechnik: „[E]in Zipfel entwischt ihr immer“ (ebd., 311). Steyerls Vorstellung einer überbordenden Media- lität, die Wirklichkeit in Wirklichkeit transformiert, zeugt dagegen von einer unaufhaltsamen digitalen Vervielfältigung aller Arten von Bildern und Wirklichkeiten. Wirklichkeit wird durch die post/produzierende Media- lisierung, durch das angelegte Verhältnis von Wirklichkeit und Digitalbild nicht geopfert, sondern vielmehr potenziert. In diese Richtung lässt sich auch mit der von Krautkrämer identifizierten Verschiebung von Rezeption zur Post/Produktion argumentieren. Wenn Digitalbilder nicht mehr als intakte Entitäten wahrgenommen, sondern immer gleich zu neuen Bildern gemacht, als neue Bilder verteilt werden, dann häuft sich Medialität immer weiter an. Ein „Zuviel“ an Wirklichkeit zeigt sich als skalare In/Varianz z.B. über die Verschachtelung von großen und kleinen Wirklichkeiten: der gerenderten, detailgenau ausgestalteten Computerwelt, der verpixelten Google Earth, dem Raum des Computerbildschirms, dem reflektierenden oder zu füllenden (Green) Screen. Der im Video hergestellte Bezug dieser Wirklichkeiten zueinander lässt eine Too Much World entstehen, über- voll mit Wirklichkeit als/in Digitalbild/ern. Steyerl bezieht sich bei ihren Erläuterungen auf die Kurzgeschichte Von der Strenge der Wissenschaft (2006) von Jorges Luis Borges, in der eine Karte vorkommt, die im Maß- stab 1:1 das gesamte Gebiet überschattet, das sie abbildet.8 Steyerl (2013) bleibt nicht bei diesem Größenverhältnis stehen: „The map ... has not only become equal to the world, but exceeds it by far. A vast quantity of images covers the surface of the world“. John Durham Peters spielt in Anschluss an Borges das Gedankenexperiment im selben Maße wie Steyerl weiter. Er entwirft ein Szenario, das mit der Vorstellung eines „Zuviel“ an Wirk- lichkeit einhergeht. Was wäre, so Durham Peters (2008, 17), wenn eine Landkarte ihr Gebiet im Maßstab 2:1 abbilden würde? Diese Karte sei „like a microscope whose zoom function has run amok: descending the ladder of magnification it will burrow until all it maps is the fractal graininess of the null point at the intersection of the X and the Y axis“ . Durham Peters 8 Auch Jean Baudrillard nutzt, gleich zu Beginn von Agonie des Realen (1978a, 1–2), Borges’ Geschichte, um sie als ein veraltetes Konzept des „Simulacrums“ auf der ersten Seite seiner Ausführungen zu verwerfen. Baudrillard stört sich an der Differenz zwischen Karte und Territorium, die er mit seinem Simulationsbegriff vollständig negiert und damit auch jeglicher metaphysischen Kategorie absagt. Gegen ein solches hyperreales Konzept wendet sich das vorliegende HD-Bild/ Wirklichkeitsverständnis. Post/Produzieren 95 beschreibt einen Vorgang, bei dem die Vergrößerung der Wirklichkeit zu einem „Nullraum der Repräsentation“, einem abstrakten Punkt, hintendiere (ebd., 16). Lässt man die Mathematik beiseite und ersetzt sie durch die materielle Medialität, die die Wirklichkeit überbordet, dann, so schlägt es Durham Peters weiter vor, wird Wirklichkeit von dem „Zuviel“ an Medialität ihrer Vervielfältigung schon bei der ersten Potenzierung durch dieselbe ersetzt. Dieses „Zuviel an medialer Materialität“ wird als fraktale Körnigkeit der Abbildung sichtbar. Die Auflösung tilgt somit ein Repräsentationsver- hältnis; eine Skalierung der Karte der Wirklichkeit führt zu einer Erübrigung derselben im Auflösungsvermögen der Darstellung – „Resolution determines visibility“ (How Not to Be Seen, 00:01:30). Das Post/Digitale Die potenzierte Wirklichkeit kann weder als eine geglückte Form von Reali- tätsnähe, d.h. Realismus, noch als eine Second World, als realitätsferner Cyberspace oder Hyperrealismus verstanden werden. Als Too Much World ordnet sich das „Zuviel an Wirklichkeit“ ein in einen Diskurs um das Post/ Digitale, der auf die Untrennbarkeit von Digitalität und Wirklichkeit besteht. Post/digitale Fragestellungen positionieren sich, wie Florian Cramer (2015, 20) deutlich macht, gegen die Vorstellung, dass das Digitale von Weltferne und Immaterialität gekennzeichnet wäre, wie es v.a. eine Theoretisierung um die „Neuen Medien“ vorgibt. Eine materielle Unentschiedenheit und Geschmeidigkeit des Digitalen, in Kombination mit innovationsdyna- mischen Verheißungen der „Neuen Medien“, führte v.a. in den 1990er- Jahren zu der Skizzierung solcher oder ähnlicher (außer)lebensweltlicher Szenarien: Nachdem der Computer und die damit verbundene operationale Rationalität alle Disziplinen und das Alltagsleben mehr und mehr durchdringt und die Welt auf dem Bildschirm zur zweiten Natur wurde, womit auch das Denken in Simulationen und virtuellen Realitäten überall durchschlägt, gilt es, sich in einem Multiversum einzurichten, in dem die Selbstverständlichkeiten ebenso wie elaborierten Sonder- welten als Akrobatik auf dem Trapez, als sich selbst organisierende Systeme zu verstehen sind, die im Blindflug sich in einer unbekannten Welt anhand von an sich bedeutungsindifferenten Daten orientieren. Der Mensch wird zu einem informationsverarbeitenden System und seine Umwelt, gleich ob es sich um die erste oder zweite Natur handelt, zu einem Raum, dessen Daten verarbeitet werden können. (Rötzer 1991a, 9) 96 High Definition Dieses Narrativ, mit all seinen technorhetorischen Verzierungen, ini- tiiert die Vorstellung vom Digitalen, theoretisiert als „Neue Medien“, als Bedingung eines „Zeitalter[s] der Immaterialen“ (Rötzer 1991b, 15), der irrealen Welten und Wirklichkeiten des stofflichen Entbehrens und wird zudem gleichgesetzt mit „Abstraktion“, „Denken“ und daher auch mit Epistemologie (Schröter 2004, 14). Eine solche Vorstellung des Digitalen verschiebt Wirklichkeit hin zu abstrakten Zahlenreihen und steht für einen „Derealisierungsschub“ (Rötzer 1991b, 17; Vaihinger 2000). Trotz der unterschiedlichen disziplinären Kontexte (Architektur, Kunst, Medien, Musik, Politik und Technik), in welchen das Post/Digitale mit durchaus kontradiktorischen Implikationen zum Einsatz kommt (Taffel 2016, 324), legen alle Ansätze einen restaurativen und demaskierenden Gestus an den Tag, der sich an den ausgewiesenen Topoi des Digitalen als „Neue Medien“ abarbeitet. Ihr gemeinsames Ziel ist es, auf das unspektakuläre Vorhandensein des Digitalen, dessen reale Existenz als Digitales und auf seine Onto-Epistemologie aufmerksam zu machen. Das Digitale formiere sich ubiquitär als Normalfall, es sei „im Leben angekommen“. David M. Berry und Michael Dieter beschreiben dies folgendermaßen: Computation becomes something which operates while one walks around, is touched and touchable, manipulated and manipulable and interactive and operable through a number of entry-points, surfaces and veneers. (2015, 3) Post/digitale Fragestellungen widmen sich zudem den ausgemachten Riss- spuren eines vorgeblich rückstandsfreien, weil immateriellen Digitalen. Die Vorstellung einer rausch- und störfreien, cleanen Berechenbarkeit von Wirklichkeit wird aufgegeben zu Gunsten einer Verschränkung von Digitalität und Wirklichkeit.9 Bei einer post/digitalen Theorie setzt Steyerls Konzept der Too Much World an. Mit der Verschränkung von Wirklichkeit und Medialität geht es aus post/digitaler Sicht nicht darum, das Digitale zu glorifizieren, sondern als normal, dreckig, langweilig, als repressiv, hegemonial und v.a. auch als eine Möglichkeit zu erkennen, gegen vorherrschende Strukturen zu rebellieren und aktivistisch vorzugehen. Post/Produzieren wird zum notwendigen Erkenntnismodus in einer solchen Too Much World: „The tools of post- production: editing, color correction, filtering, cutting, and so on are not 9 Unter diesem Vorzeichen wurde der Begriff des „Postdigitalen“ zunächst verwendet. Kim Cascone (2000) benutzt ihn, um digitale Musik zu beschreiben, die gerade auf Fehler der Prozessierung, auf Glitches, setzt und Digital Noise als ihre Charakteristik ausweist. Post/Produzieren 97 aimed at achieving representation. They have become means of creation, not only of images but also of the world in their wake“ (Steyerl 2013). Um sich in einem „Zuviel an Wirklichkeit“ zurechtzufinden, muss diese selbst als post/produzierte, als zu post/produzierende verstanden werden: „Reality itself is postproduced and scripted, affect rendered as after-effect“ (ebd.). Die von Krautkrämer etablierte „Bebilderung des hors-cadre“ basiert folg- lich mit Steyerl auf Verfahren der Post/Produktion, die daher nicht aus einer HD-Bilder/Wirklichkeit ausgeschlossen und als eine letzte Instanz eines uneinholbaren Außen begreifbar werden würden. In dieser Too Much World werden HD-Bilder und ihre Potenziale der Hoch- auflösung als ein „Zuviel“ an Wirklichkeit einerseits im Digitalbild sichtbar, das dann dazu tendiert, weiterverarbeitet zu werden, wie in Kapitel 2.2. weiter ausgeführt wird. Im Sinne von How Not to Be Seen drängt HD-Bild- lichkeit aber auch auf die Möglichkeiten, mit Post/Produktion Un/Sicht- barkeitsgrenzen zu umspielen und die filmtheoretische Frage nach dem Außen der Bilder zu stellen. Daran anschließen möchte ich die These, dass das Verhältnis von post/digitalem Außen und Digitalbild nicht mehr auf die Analysekategorien des Rahmens und seiner Verschiebung zu bringen, sondern über Auflösungsschwankungen, skalare In/Varianzen im HD-Bild und des HD-Bildes durch Post/Produktion dokumentiert ist. Dabei kann eine Relevanz dieser Potenziale der Hochauflösung für eine post/digitale Wirklichkeit festgestellt werden, wie nun weiterhin deutlich werden soll. Medien/Immanenz Post/digitale Grundannahme ist bei Krautkrämer wie bei Steyerl, dass Medialität nicht an festgefahrenen und abgegrenzten Orten oder Rahmen hängt. Eine nicht mehr an statische Dispositive gebundene Digitalbildlich- keit unterliege indes einem „circulationism“ (Steyerl 2013). Medialität, die aus vorgegebenen Kontexten migriert, verschwindet bei Steyerl weniger als blinder Fleck, sondern erleidet vielmehr „blaue Flecken“. Geschundene „Poor Images“ (Steyerl 2009), analysiert in Kapitel 3.2., seien dann in der Lage, unvorhergesehene Potenziale freizusetzen, indem sie von intendierten Distributionsvorgaben abweichen, ihre Ziele verfehlen und von vorgegebenen Wegen abkommen. Angesprochen ist so, was Kraut- krämer in Bezug auf die Handydispositive und die Verschiebung des hors- cadre als „[p]ostkinematografische Medienimmanenz“ bezeichnet – ein HD-Bild/Wirklichkeits-Verhältnis, das sich nicht nur dadurch auszeichnet, „dass man unterschiedlichstes Bildmaterial auf den verschiedensten Bild- schirmen anschauen kann, sondern auch, dass bestimmte Erfahrungen in 98 High Definition oder mit Mediengattungen auf andere Orte oder Zusammenhänge über- tragen werden“ (2013, 124). In Anschluss an das von Francesco Casetti (2015, 17–42) entworfene Konzept der „Relocation“, welches auf die Migration einer Kinorezeption, z.B. auf Tablet-Screens oder Smartphone-Displays eingeht, kann Medialität, z.B. Film, in Bezug auf ihren Erfahrungswert gerade an unvorhergesehenen Orten emergieren. Krautkrämers Argument basiert auf dem von Hagener vorgeschlagenen Konzept der „Medienimmanenz“, mit dem Hagener das Verhältnis von Realität und Film unter post/digitalen Voraussetzungen neu bestimmen will. Ähnlich wie Steyerl geht auch Hagener nicht mehr davon aus, dass es auf der einen Seite eine Realität gibt, die authentisch von den Medien unberührt ist, während auf der anderen Seite ‚die Medien‘ existieren, die diese Welt abbilden oder repräsentieren. Wir leben im Zeitalter der Medienimmanenz, in dem es keinen transzendentalen Horizont mehr gibt, von dem aus wir Urteile über die allgegenwärtigen medialisierten Erfahrungen abgeben können. (2011, 52) In einer Medien/Immanenz existiere „kein Ort, wo man den medialen Bildern entkommen könnte. Im heutigen Medienuniversum sind selbst unsere Wahrnehmung und unser Denken kinematografisch geworden“ (ebd.). Hagener verweist auf den theoretischen Einsatz Patricia Pisters, die in Anschluss an das von Gilles Deleuze (1997a, 107) entwickelte Kon- zept des „Kamerabewusstseins“, das in Kapitel 4.1. näher besprochen wird, menschliche Wahrnehmung und Imagination ausschließlich unter die Vorgaben dieser vertechnisierten Perzeption stellt: „Images surround us; we live in images and images live in us“ (Pisters 2003, 218–219). Im selben Maße wie Steyerl es mit der Too Much World verdeutlicht, fordert ein Kamerabewusstsein nach Pisters eine Anpassung und Ausrichtung an Medientechniken, die anbieten, dass man mit ihnen hantiert und denkt, um in und mit einer völlig medialisierten Wirklichkeit fertig zu werden: „To understand contemporary culture and its pasts and futures, it is therefore necessary to develop a camera consciousness“ (ebd., 2). Immanenzebene und Nicht-Philosophie Für Hagener (2011) ist die Immanenz als Konzept für die Beschreibung einer Medienwirklichkeit so produktiv, weil der Begriff eine Trennung von Ontologie und Epistemologie aufhebt. Es ginge um Post/Produzieren 99 die Immanenz der mediatisierten Bilder und Töne in uns und der Immanenz von uns in diesen Bildern und Tönen. Die klare Unterscheidung zwischen einem Akt der Wahrnehmung und dem wahrnehmenden Subjekt zerfällt. (Ebd., 52–53) Es soll nun genauer auf den philosophischen Begriff eingegangen werden, auf den Hageners Konzept verweist: die Immanenz nach Deleuze und Félix Guattari und deren Vorstellung, dass die Eindämmung einer Differenz zwischen Subjekt und Objekt für die gesamte Philosophie wirksam werden muss. Damit dies geschehen kann, muss sich mit dem Konzept der Immanenz laut Deleuze und Guattari einer allesbegründeten, selbstgenüg- samen Letztinstanz – einer Erstheit des Denkens – verweigert werden. Weder der aristotelische unbewegte Beweger noch Gott noch das Bewusst- sein eines reflektierenden oder wahrnehmenden Subjekts können einen überblickenden, transzendenten Punkt einnehmen, um auf die Wirklich- keit als eine in sich geschlossene Einheit zu schauen und sie mit einer einzigen Vokabel zusammenzufassen (ganz im Sinne des Schrägstrichs als textprozessierendes Satzzeichen). Das Konzept der Immanenz verbindet bei Deleuze das Anliegen, Philosophie selbst als ein offenes Werden zu beschreiben, ein Denken, das auf ein Außen angewiesen ist und mit seinen fixierten Begriffen nicht geschlossen immer nur auf sich selbst verweist. Identität wird in der sich differenzierenden Auseinandersetzung mit dem, was sie nicht ist, denkbar. Für die Philosophie von Deleuze bedeutet das, wie Balke und Marc Rölli (2011) verdeutlichen, die „Nicht-Philosophie“. Diese gliedert ihr Äußerstes „nach Innen“: Man möchte sagen, DIE Immanenzebene sei zugleich das, was gedacht werden muß, und das, was nicht gedacht werden kann. Sie wäre es, das Nicht-Gedachte im Denken. Sie ist der Sockel aller Ebenen, jeder denkbaren Ebene immanent, der es nicht gelingt, jene zu denken. Sie ist das Innerste im Denken und doch das absolute Außen. Ein noch ferneres Außen als alle äußere Welt, weil sie ein tieferes Innen als alle innere Welt ist: Das ist die Immanenz ... . Das unablässige Hin und Her der Ebene, die unendliche Bewegung ... . Sie auf jene Weise denken, als das Außen und Innen des Denkens, das nicht-äußere Außen oder nicht-innere Innen. (Deleuze und Guattari 2000, 68–69, Hervorhebung im Original) Das Nicht-Philosophische ist in einem Philosophie/Werden eingelagert und diese Prozessualität konstituiert die Immanenzebene, die für Deleuze und Guattari übervoll mit Differenzen ist und auf den für Deleuze zentralen Begriff der Virtualität gebracht werden kann, wie im 4. Kapitel ausgeführt 100 High Definition wird. Deleuze (1993d, 79) erkennt einerseits in der Kunst, in Literatur, Film, Malerei, Fernsehen und Musik die Möglichkeit, Immanenzebenen zu erzeugen, die die Philosophie zum Neuen und zum Denken zwingen. Umge- kehrt versteht er die Sinnlichkeit und Materialität, z.B. des Films oder der Literatur, als Aushandlungsprozesse mit ihrem jeweiligen audiovisuellen oder sprachlichen Außen und darin nun wieder eine philosophische Kom- petenz des Films oder der Literatur. Für den Film macht nun Fahle (2015, 118) deutlich, dass diese Vorgänge eines immanenten Austarierens zwischen Innen und Außen als Entwicklungsschübe begriffen werden können. Ein „ständiges Herausrücken des Films aus seinen eigenen audiovisuellen Bestimmungen“ (ebd.) ist dann weniger ein reiner Modus der Selbst- reflexion und vielmehr eine Konfrontation, die der Film in der Auseinander- setzung mit anderen, nicht-filmischen Medien eingeht. Dabei essenziell sind eine Entwicklung und Historisierung dessen, was als Außen und als Bedingung des Seins aufgefasst wird. Eine Medien/Immanenz des Films ist nicht einfach über ein mediales Außen, z.B. das Fernsehen, für immer festgelegt. Dass bestimmte mediale Konstellationen ihr Außen zunächst „finden“ müssen, macht neben Hagener, der den Begriff der Medien/ Immanenz gerade in der Auseinandersetzung des Films mit digitalen Medien aufwirft, die ganze Diskussion um das Post/Cinema und v.a., wie ich weiter ausführen möchte, Deleuze selbst deutlich. In der Gegenüberstellung von filmischen mit elektronischen und digitalen Bildern scheint eine konstitutive Bedingung des Außen für Deleuze nicht (mehr oder noch nicht) möglich. Digitale Bilder sind folglich gerade nicht im Zusammenhang mit einer Medien/Immanenz des Films denkbar, denn für Deleuze haben sie kein Außen: Die neuen Bilder haben nichts Äußeres (kein hors-champ) mehr und gehen in kein Ganzes mehr ein; vielmehr haben sie eine Vorderseite und eine Rückseite, die sich umkehren, aber nicht übereinander legen lassen; sie verfügen gleichsam über die Fähigkeit, sich um sich selbst zu drehen. Sie sind Gegenstand einer fortlaufenden Reorganisation, bei der ein neues Bild aus einem beliebigen Punkt des vorhergehenden Bildes entstehen kann. Die Raumorganisation verliert damit ihre privilegierten Richtungen – allen voran das Privileg der Vertikalen, von dem nach wie vor die Position der Leinwand zeugt – zugunsten eines ungerichteten (omnidirectionnel) Raums, der unaufhörlich seine Winkel und Koordinaten verändert, seine Vertikalen und Horizontalen ver- tauscht. Und selbst die Leinwand, auch wenn sie immer noch vertikal aufgehängt ist, scheint nicht mehr auf die Position des Betrachters zu verweisen, wie dies bei einem Fenster oder auch bei einem Bild der Fall Post/Produzieren 101 ist, sondern stellt eher eine Informationstafel dar, eine undurchsichtige Oberfläche, auf der die ‚Daten‘ verzeichnet sind. Information tritt an die Stelle der Natur, und die Überwachungszentrale, das dritte Auge, ersetzt das Auge der Natur. (1997b, 339–40, Hervorhebung im Original) Es scheint, als würden mit dieser medienpessimistischen Einschätzung all jene Verhältnisse zwischen Digitalbild und Wirklichkeit problematisiert, die in How Not to Be Seen durchgespielt wurden. Wenn mit Steyerl nun aber eine post/digitale (bzw. bei Krautkrämer post/kinematografische) Medien/ Immanenz in Rede gestellt wird, wie steht diese dann im Zusammen- hang mit Deleuzes Vorbehalten gegenüber den digitalen und elektro- nischen Bildern und dem Absprechen eines Außen zur Konstitution von Immanenz? Begegnet man der Deleuzeschen Einsicht, dass digitale Bilder transformierbar sind, mit den Beobachtungen Krautkrämers zum Handy- video und Steyerls Vorstellung einer Too Much World, so könnte man den Versuch starten, durch das Post/Produzieren und die Potenziale der Hoch- auflösung den digitalen Bildern ihr Außen zuzugestehen. Dieses Außen muss jedoch jenseits der Kategorien von Kader/Kasch, hors-champ und hors-cadre gedacht werden und ist wohl am besten über den mit Steyerl kennengelernten Green Screen identifiziert. Der Green Screen ist im Deleuzeschen Sinne das Gegenbild zur Leinwand, die „undurchsichtige“, datendichte Oberfläche, die nicht wie ein Fenster den Betrachter/innen eine Position und dem Raum eine eindeutige Aufgliederung zuschreibt. In How Not to Be Seen etabliert der Green Screen nun aber, so habe ich versucht zu verdeutlichen, produktive Aushandlungen bei der Frage, was es heißt, in einer Too Much World zu existieren. Darauf aufbauend soll der Vorschlag gemacht werden, das post/digitale Außen einer Medien/ Immanenz nicht auf die bekannten Konzepte des Rahmens oder des Fens- ters zu bringen, sondern dasselbe über die ineinanderlaufenden Bild- räume, die durch Post/Produktion entstehen, greifbar zu machen. Granulare Gesellschaft, Liquid Modernity, heiße und kalte Mediengesellschaften Das Verständnis eines post/digitalen Außen lässt sich sogar bei Deleuze selbst verankern, wenn man die soeben zitierte Passage aus Das Zeit-Bild im Zusammenhang mit einer gesellschaftspolitischen Implikation liest, die Deleuze in Postskriptum über die Kontrollgesellschaften (1993c) ausführt. Deleuze beschreibt in seinem Text durch Kontrollmechanismen vor- gegebene soziale Formationen, die er als „Modulation“ versteht: „[S]ie gleichen einer sich selbst verformenden Gußform, die sich von 102 High Definition einem Moment zum anderen verändert“ (ebd., 256, Hervorhebung im Original). Der angerissene soziale Kontext scheint den informations- gesättigten, opaken, modulationsfähigen (HD-)Bildern zu entsprechen und für eine Too Much World zu gelten, die so als Auflösungsphänomen beschreibbar wird. Das lässt sich auch an anderer Stelle zeigen: Christoph Kucklick (2015, 10) spricht von der „granularen Gesellschaft“. Diese, so der Soziologe, kann definiert werden über eine „[n]eue Auflösung“, die „eine ganz neue Welt“ sichtbar mache, ähnlich, so könnte man hinzufügen, wie wenn man bei einer Ansicht den Maßstab ändert, hineinzoomt und plötzlich von der Detailgenauigkeit der Wirklichkeit überrascht wird (ebd.). Durch digitale Verdatung werden der Körper, die Politik, die Arbeit, der Konsum, die Pädagogik und Emotionen nach Kucklick hochaufgelöster und so zeigt sich eine andere Perspektive auf bekannte Phänomene. Zygmunt Bauman und David Lyon (2013, 6) sprechen im selben Sinne von einer „liquid modernity“10, deren soziale Strukturen, so die Autoren, „ver- dampfen“ , weil gesellschaftlicher Wandel derart schnell passiere, dass die Gesellschaft keinen verlässlichen Bezugsrahmen für Handeln und Leben darstelle: „Das Gebundene, Strukturierte und Stabile wird also verflüssigt bzw. verdampft“ (2018, 13). Wirklichkeit nimmt unter den Vor- gaben des Digitalen ephemere Aggregatzustände in Auflösung ein – soziale Formationen schmelzen ab, Machtgefüge zersplittern, private Beziehungen verflüssigen sich, Mächte fließen frei, enge Bindungen lösen sich auf (ebd., 17). Eine solche Wirklichkeit ist modular, granular oder flüchtig, genau wie ihre hochaufgelösten Digitalbilder. Um eine dynamische Gesellschaft über die Auflösung ihrer Medien zu beschreiben, kann auf einen Klassiker der Medientheorie zurückgegriffen werden. Marshall McLuhan differenziert zunächst verschiedene Medien in verschiedene Zustände der Auflösung aus und koppelt diese dann an die Medien/Immanenzen zurück, in denen sie wirken. McLuhan schreibt in Understanding Media: A hot medium is one that extends one single sense in ‚high definition‘. High definition is the state of being well filled with data. A photograph is, visually, ‚high definition‘. A cartoon is ‚low definition‘, simply because very little visual information is provided. (2001, 22) Häufig wird die hier zitierte Terminologie McLuhans mit der er z.B. die hochaufgelöste Bildlichkeit („full image as a package deal“) des Kinos als „heißes Medium“ von der „low definition“ des „kalten“ „TV mosaic“ (ebd., 10 Im Deutschen wird „liquid modernity“ übersetzt mit dem Begriff der „flüchtigen Moderne“ (Bauman und Lyon 2018, 13). Post/Produzieren 103 313) unterscheidet, eingesetzt, um eine ontologische Klassifizierung von Medientypen zu erstellen. Doch McLuhans Begriffe eignen sich gerade, um medien/immanente Aushandlungsprozesse und über diese intermediale Auflösungsschwankungen der Gesellschaft näher zu beschreiben. Schon das thermodynamische Vokabular, das McLuhan der „high“ und „low defi- nition“ an die Seite stellt, nämlich die „heiße[n] Medien und kalte[n]“ (1992, 35–47), zeigt die Fluktuation der Differenz: Heiß ist eine relationale wie instabile Eigenschaft. Was heiß ist, kann abkühlen, genauso wie Kaltes auf- wärmbar ist. Heiß und kalt sind Affekte, die spürbar einen Einfluss haben, eine Abwärme in ihre Umgebung ausstrahlen und nicht ultimativ an einer Sache hängen. Denn Temperatur ist ein ökologischer Zustand, der nicht ohne Wechselwirkung zu denken ist. Genauso versteht McLuhan Medien: eher ontologisch skalier-, als fixierbar, im Abgleich mit der medialen „Umgebungstemperatur“. Das Klassifikationsraster der heißen/high-defi- nition- und kalten/low-definition-Medien muss auf den jeweiligen medialen Kontext, mit dem Einfluss anderer Medien (die als mediales Außen gedacht werden können), abgestimmt werden. McLuhan schreibt z.B. für den Cartoon und das Fernsehen: ‚Could we alter a cartoon by adding details of perspective and light and shade?’ The answer is ‚Yes‘, only it would then no longer be a cartoon. Nor would ‚improved‘ TV be television. The TV image is now a mosaic mesh of light and dark spots which a movie shot never is, even when the quality of the movie image is very poor. (2001, 313, Hervorhebung im Original) Explizit schreibt McLuhan „The TV image is now a mosaic mesh“; die his- torische Einordnung der Aussage – innerhalb der amerikanischen Kultur der 1960er-Jahre (ebd., 314)11 und der dort vorherrschenden Medien – wird durch das Kursivsetzen von ihm hervorgehoben.12 Die ontologische Ver- änderung, so zeigt das Zitat, ist historisch gebunden und unterliegt „Ent- wicklungsschüben“, wie sie oben mit Fahle schon angesprochen wurden. Das Fernsehen oder der Cartoon als kalte Medien können nur als solche identifiziert werden im Abgleich mit einem konkreten thermodynamischen Umfeld, innerhalb einer spezifischen Medien/Immanenz und ihrem Außen (z.B. dem Medium Film). Paul Levinson betont einen regulativen und korrelierenden Charakter der „hot coals and cool winds“, die Energie 11 McLuhan grenzt die amerikanische Kultur immer wieder von der europäischen ab und macht dies explizit am Radio deutlich, das in Europa zur Abkühlung beitragen konnte, in den USA, aufgrund der vorangeschrittenen Industrialisierung, dagegen diese Dynamik nicht entwickelt. 12 Die Hervorhebung geht in der deutschen Übersetzung verloren. 104 High Definition zu- und abführend auf Medien und die spezifischen soziohistorischen Umgebungen wirken: The 1930s, running on radio and motion pictures, were a hot age. Vivid colors, sharp hairdos, keen wit and articulation were in. By the 1960s, television had cooled down the culture to the point that worn jeans, unkempt hair, and an inchoate getting in touch with one’s feelings were de rigueur for the leading edge of style. (1999, 106) Transformationsontologisch kann die HD/LD-Differenz verstanden werden, wenn man die Auflösungsschwankungen zwischen „heiß/kalt“, zwischen „high/low“ ins Zentrum der Analyse stellt. Als medienessenzialistisches und stabiles Klassifikationsschema ist sie meines Erachtens missverständlich. Das betont auch Levinson: But neither should we conclude from this that television or any given medium has some sort of eternal, unchanging, metaphysical claim on coolness (or hotness). To the contrary, media constantly undergo evolution under pressure of human usage and invention, and this can at any time register a profound change of temperature. (Ebd., 108) LD ist das amerikanische Fernsehen der 1960er-Jahre im Vergleich zum Radio und Film in der damaligen für McLuhan vorherrschenden schrift- basierten HD-Kultur. Die Komplexitätssteigerung, die in dieser Ver- schränkung, dem Abgleich und der Überlagerung der verschiedenen Medien – alle wandlungsfähig, mit eigener Entwicklungsgeschichte – anklingt, kann durchaus einer ernstgemeinten thermodynamischen Zustandsanalyse gerecht werden und hat wenig mit einem auflösungs- stabilen Klassifikationsraster zu tun. Die HD/LD-Differenz ist vielmehr als ein transformationsontologisches Auflösungsschwanken von Medialität unter den jeweilig veränderlichen medienhistorischen Kontexten anzu- sehen. Ein Blick mit McLuhan auf die post/digitale Medien/Immanenz soll dabei helfen, die verschiedenen Bezugsebenen, die Verschachtelungen und Größenordnungen von aufgelöster Wirklichkeit zueinander in Beziehung zu setzen. Auflösungsschwankungen zwischen HD/LD Wie sich HD/LD-Auflösungsschwankungen post/digital verhalten, zeigt Schröter anhand der Transformation der Kategorien „Film“ und „Fernsehen“. HD-Fernsehen, das farbbrillant und hochaufgelöst nur noch wenig mit dem aufgepixelten TV-Mosaik des NTSC-Standards der 1960er- Jahre zu tun hat, kann nach einem starren Klassifikationsraster nicht mehr Post/Produzieren 105 dem Film entgegengesetzt werden.13 Umgekehrt argumentiert Casetti (2015, 118), der eine Anpassung des Kinos an die von LD-Digitalbildern durchdrungene, kalte Medienwirklichkeit erkennt. So wird mit diesen Unterscheidungen McLuhans Differenzierung wiederholt und gleichzeitig unterlaufen. V.a. bei Casetti wird deutlich, dass der Film in der Lage ist, LD zu exponieren, gerade weil er selbst nicht zu diesen niedrigaufgelösten Ansichten zählt.14 Dass aber z.B. die Einschätzung Casettis, eine post/ digitale Medien/Immanenz als „kalte Medienwirklichkeit“ zu identifizieren, selbst unter „Auflösungs“schwankungen steht und genauso das Gegenteil behauptet werden kann, zeigt ein weiterer Text von Casetti und Antonio Somaini (2018). In diesem gehen die Autoren nun von einer hochauf- gelösten HD-Welt aus und befragen die HD/LD-Differenz wiederum in Hin- blick auf die „heißen Gefilde“ und wie sich in diesen jetzt niedrigaufgelöste, kalte Medien „halten würden“: „How to explain the survival of the pixelated and the blurred in a visual world that seems to become sharper and sharper?“ (ebd., 89). Was sich mit diesem Zitat und der Unentschiedenheit nachvollziehen lässt, ist die Problematik einer rigiden Klassifizierung von Medien(wirklichkeiten) in HD/LD. Wie Casetti und Somaini in ihrem Text weiter unterstreichen, geht es in einer post/digitalen Medien/Immanenz nämlich gerade um die Durchdringung der unterschiedlichen Auflösungen, um ein gegenseitiges „kommentieren“ und „befragen“ der hoch/niedrig- aufgelösten Bildlichkeiten und somit um Auflösungsschwankungen und skalare In/Varianzen – nicht um HD als eindeutige Definition, sondern um die Potenziale der Hochauflösung. Durch die HD/LD-Differenz gerät somit ein medien/immanentes Aus- tarieren und die Transformationsbereitschaft und Skalierbarkeit von Medien in Kontakt mit anderen Medien in den Blick. Medien als 13 Schröter (2011, 29) überträgt die phänomenologische Un/Entschiedenheit, die sich durch HD gegenüber Film und Fernsehen einstellt, auf einen „feinen Unterschied“ im Sinne Pierre Bourdieus. Den HD-Zuschauer/innen kann ein soziales Kapital zuge- sprochen werden, da sie durch das Ansichtigwerden der detailreichen Bilder zum/ zur technophilen „Connaisseur“/Connaisseuse werden. Das wirkt sich wertsteigernd in Bezug auf das Fernsehen aus. Im Sinne einer Technik des/der Betrachter/in legen an Schröter anschließend Michael Newman und Elana Levine (2012) mit ihrer Ana- lyse von Werbeanzeigen einen Hightech-Diskurs zu HD offen und identifizieren eine Umkehrung der gender- und klassenspezifischen Codierung des vormals weiblichen Fernsehens bzw. des Fernsehens der Unterschicht. HD-Fernsehen dagegen stünde nun für weiße, wohlhabende Männlichkeit. 14 Dass hierbei ein ganzer Strang der Filmgeschichte und ihrer ersten Digitalisierungs- versuche negiert wird, mache ich gemeinsam mit Oliver Fahle an anderer Stelle deutlich (Fahle und Linseisen 2020). Für eine Auseinandersetzung mit der DV- Ästhetik vgl. die Studie von Andreas Kirchner (2012). 106 High Definition Immanenzebenen, die sich über ihr Außen denken und befragen lassen, verweigern ein Denken außerhalb des Medialen. Jedoch tun sie das nicht im Sinne einer Letztinstanz, sondern gleichsam im ständigen Konflikt mit anderen Medien und mit sich selbst, z.B. durch unvorhergesehene Wirkungen und dispositivübergreifende Migrationsbewegungen. Das Digitale scheint in Bezug auf diese Aushandlungsprozesse neue Energien freigesetzt und eine neue Transformationsbereitschaft initiiert zu haben, das sollte über eine Auseinandersetzung mit den Post/-ismen, wie sie im vorherigen Kapitel erfolgte, herausgestellt werden. Versteht man Medien grundsätzlich als ontologische Auflösungsschwankungen, in graduellen Übergängen zu- und nicht typologisch abgegrenzt voneinander, dann sind sie im Prozess und der Verschiebung/Einlagerung von einem Außen und Innen immanent. Ich möchte daher im Folgenden von post/digitaler Medien/Immanenz sprechen und mit dem Schrägstrich den Aushand- lungsprozess einer medialen Konstitution als mögliche Immanenzebene verdeutlichen. Post/digitale Medien ziehen Immanenzebenen auf, und post/digitale Immanenzebenen befragen Medien über ein transformations- ontologisches Spiel der Auflösungsschwankungen. Die post/digitale Medien/Immanenz einer Too Much World nach Steyerl zeichnet sich also, so können die aufgerufenen Theoriepositionen nochmal am Gegenstand zusammengefasst werden, durch eine immense Ver- vielfältigung und Potenzierung unterschiedlicher medialer Phänomene aus. Diese Expansion des Digitalen geschieht, wie mit How Not to Be Seen festgestellt, über die Verfahren der Post/Produktion. In diesen soll ein Denken des Außen nach Deleuze und Guattari identifiziert werden, welches zum medien/immanenten Neuen zwingen kann, wie in How Not to Be Seen die sich gegen eine post/panoptische Surveillance15 wehrenden Bildbear- beitungsschritte. Steyerls Tutorial nutzt solche Handgriffe und Techniken, um in einer granularen, liquiden, sich auflösenden, bildgewordenen Wirk- lichkeit unsichtbar zu werden. Die bedingte Modulationsfähigkeit, die für das HD-Bild, die Wirklichkeit und ihre Weiterverarbeitung gleichermaßen gilt, sollte auch als Gegen- Strategie gegen Macht- und Kontrollmechanismen und Überwachungs- dispositive identifiziert werden. Post/digitale Medien/Immanenz, die sich durch Auflösungsschwankungen auszeichnet, muss sich gleichsam über die Auflösung ihre nonkonformistischen Freiräume schaffen. Die Strategien des Unsichtbarwerdens, die Steyerl in How Not to Be Seen durch den Einsatz 15 Einen Überblick über die Diskussionen gibt der Sammelband herausgegeben von Lyon (2011). Auch Bauman und Lyon (2013, 56–75) verstehen die Liquid Surveillance als post/panoptisch. Post/Produzieren 107 von manipulativem, vermeintlich wirklichkeitsverschleierndem Equipment (z.B. Green Screens) oder durch machtpolitisch repressive Instrumente (z.B. Burkas) anbietet, werten counter-narrativ das Vorhandene um. Bei Steyerl geht es also auch darum, mit hoher Auflösung gegen die Macht- strukturen durch hohe Auflösung zu rebellieren. Die HD-Bilder des Videos sind im gleichen Maße glossy wie trashig, sie sind im Sinne McLuhans LD wie HD, denn die rezeptive Auflösung ist niedrig und lädt zur Teilhabe ein. Die technische Auflösung, das Format der Bilder, darauf soll im Folgenden v.a. in Kapitel 3.2. dezidiert eingegangen werden, ist dagegen immer hoch- aufgelöst, zur Schau gestellt über die opake, farbintensive und scharfe Bildoberfläche. Die Digitalbilder sind übervoll mit Daten, aber nicht, um Rezeption an diesen versiegelten Oberflächen abgleiten zu lassen. An HD- Bildern, so zeigt es Steyerl, wird hantiert, sie werden post/produzierend neu bewertet, in andere Auflösungsstadien gebracht und sind nicht nur Adressaten einer Kritik an opaken Bildoberflächen, sondern auch Instru- ment dieser kritischen Reflexion. In einer granularen oder flüssigen Gesellschaft scheint daher der vor- herrschende Modus im Umgang mit Medialität unter dem Vorzeichen des DIY- (Do It Yourself) und des User-Generated-Content zu stehen. So wird es aus post/digitaler Perspektive ausgeführt (Davies 2011; Ludovico 2012; Berry 2015; Contreras-Koterbay und Mirocha 2016). Cramer verweist kritisch auf die Mentalität einer DIY-Kultur, die er als ein „desire for“ bzw. eine „fiction of agency“ identifiziert, die sich jenseits von „mainstream Silicon Valley utopias“ (2015, 25) formiere und versuche, Zugriffe auf oder Überblicke in hyperkapitalistisch wie machtpolitisch in sich geschlossene Systeme zu erlangen. Dennoch ist der explizite Versuch, sich gegen einen Corporate Capitalism und staatliche Restriktionen zu wenden, für ein post/ digitales Verständnis grundlegend. Dabei geht es darum, die aus einer (problematischen) Markt- oder Staatslogik heraus entstandenen medialen Phänomene nicht „einfach so“ rezeptiv hinzunehmen, wie im Folgenden mit den Arbeiten des Künstler/innen-, Journalist/innen- und Aktivist/ innenkollektivs Forensic Architecture weiter demonstriert wird. Forensic Architecture Steyerls How Not to Be Seen und die Frage danach, was aufgrund von bild- lichen Auflösungsschwankungen un/sichtbar bleibt, wird von Forensic Architecture politisch ernstgenommen. Über bildbearbeitende und com- putergrafische Analysen befragt die Research Agency digitales Material, v.a. Videos und Fotografien, auf seine machtpolitischen Restriktionen 108 High Definition explizit in Hinblick auf ihre (Hoch)Auflösung (Weizman und Franke 2014, 51). Roland Meyer (2017) versteht die Auflösungsschwellen sogar als konstitutiv für das Selbstverständnis der Arbeit von Forensic Architecture und so stellt es auch das Postulat von Eyal Weizman (2015) aus, nämlich mit ihren Recherchen „Violence at the Threshold of Detectability“ zu inspizieren. Mit seiner Forschung bemüht sich das Kollektiv menschenrechtliche Desaster, strukturell-staatliche Gewalt und humanitäre Katastrophen aufzudecken, zu rekonstruieren, Gegenbeweise zu finden und diese Verbrechen nicht nur zu dokumentieren, sondern gleichsam mit der medialen Aufbereitung eine rechtliche Basis zu errichten. In Zusammenarbeit mit NGOs, aber auch mit (zwischen)staatlichen Organisationen versuchen Forensic Architecture gegen strukturelle Gewalt durch mediale Auflösungsgrenzen mit post/ produzierenden Verfahren vorzugehen. Das Kollektiv wurde z.B. von den UN Special Rapporteurs zur Investigation von Drohnenangriffen in Pakistan engagiert. Hier wird How Not to Be Seen – „Resolution determines visibility. Whatever is not captured by resolution is not visible“ (00:01:30) – zur existenzbedrohenden Demarkationslinie. Die Auflösung der Satelliten- bilder, z.B. von Google Earth, so führt es Weizman (2015) aus, ist nämlich nicht einfach medientechnisch bedingt, sondern machtpolitisch intendiert und lag 2014 bei einem halben Meter.16 Die Grenze, bei der ein Pixel einer Fläche von 50 x 50 Zentimetern entspricht, ist nicht arbiträr gesetzt, sondern dem menschlichen Körper angeglichen, und zwar, wenn man ihn von oben aus der Vogelperspektive betrachtet. Dieser Wert könne einer- seits zum Schutz der Privatsphäre und der Persönlichkeitsrechte dienen – ein Argument, das Google Earth immer wieder vorbringt. Andererseits ist die Auflösungsschwelle ein regelrechtes letztes Gericht, wenn man sich vergegenwärtigt, so Weizman, was sonst noch kleiner als ein Pixel unter ihr verborgen bleibt. Sind Menschen auf den Satellitenansichten unsichtbar, so ist es auch ihre Hinrichtung. Die Spuren von Drohnenangriffen erscheinen auf den Digitalbildern als „nothing more than a slight color variation, a single darker pixel, perhaps“ (ebd.). Und diese Auflösungsgrenze bekommt ihr bedrohliches Potenzial v.a. im Zusammenhang mit der Drohnen- technik, die mit ihrer Kalibrierung gerade darauf ausgerichtet ist, einzelne menschliche Körper zu identifizieren und zu eliminieren und z.B. nicht Infrastrukturen oder kriegsstrategisch wichtige Punkte zu zerstören, deren Trümmer über die Satellitenbilder sichtbar wären. Meyer bezieht den Aktivismus von Forensic Architecture in seinem gleichnamigen Text auf Asymmetrien der Auflösung (2017), denen mit post/ 16 Mittlerweile gibt es Auflösungsschwellen im niedrigen Zentimeterbereich (Rocchio 2006; Hancher 2013). Post/Produzieren 109 produzierenden Verfahren ausgleichend begegnet wird. Als counter- forensische Strategie setzen Forensic Architecture nun auf eine Too Much World. Konflikte und Gewaltausübungen finden aktuell in „dicht besiedelten, urbanen Räumen statt“ (ebd., 72). Es kann daher davon ausgegangen werden, so Meyer, dass ein „Ereignis von einer Vielzahl von Sensoren registriert wird: Architektur kann, als Einschreibefläche materieller Spuren, so ein Sensor sein, ebenso wie die Masse digitaler Auf- zeichnungsgeräte, Kameras und Smartphones, die den städtischen Alltag begleiten“ (ebd.). Selbst wenn die Mobilgerätedichte nicht sehr hoch ist, in weniger „mediengesättigten Umwelten“ (ebd., wie z.B. in den Stammes- gebieten im nordwestlichen Pakistan, einer ländlichen Provinz, die aber zum Hauptziel der Drohnenangriffe der CIA wurde), können, wenn auch nur wenige, mediale Niederschläge verzeichnet und dann verbreitet und so post/produzierend potenziert werden (Forensic Architecture 2014). Beispiele wie der Drohnenangriff in Datta Khel in Nordwasiristan zeigen folglich, dass auch Bereiche, die vermeintlich jenseits der Auflösungsgrenze einer Welt als HD-Bild liegen, durchaus zur Too Much World zählen. Die wenigen digitalen Bilder, die von diesem Angriff existieren, werden von Forensic Architecture aufgesammelt und über Bildbearbeitung in ihrer Aussagekraft ausgewertet. Auch wenn zunächst nichts oder nur wenig zu sehen ist, so kann über die hergestellten „Beweisassemblagen“ eine post/produzierende Potenzierung ihres Sinngehalts erzeugt werden und diese gegen die hochaufgelöste Vormachtstellung der machtpolitisch erhabeneren Bildgeber/innen, wie dem Staat und dessen Medienorgane, antreten. Die Forensiker/innen akquirieren „riesige ... Mengen von Spuren, die ein Ereignis in physischen wie digitalen Räumen hinterlässt“ und bilden so einen „gemeinsamen Referenzrahmen“, in dem unterschiedlichstes Quellmaterial verankert und als Beweismittel konstruiert wird: „An die Stelle des Einzelbildes, bei dem die Schwelle der Erkennbarkeit mit den Grenzen der Auflösung zusammenfällt, treten so umfangreiche Bildarchive und Datensammlungen“ (Meyer 2017, 72). Wie Meyer feststellt, steht in den post/produzierten Counter-Strategien von Forensic Architecture fotogra- fisches neben computergrafischem, aufgenommenes neben nachbear- beitetem Material: Positionen virtueller Kameras und errechnete Flugbahnen von Geschossen werden mit den fotografisch aufgezeichneten Bewegungen von Körpern im Raum synchronisiert, virtuelle Modelle von Lichtverhältnissen und Wolkenformationen mit den verfügbaren visuellen Bildinformationen abgeglichen. (Ebd., 73) 110 High Definition Trotz der vermeintlich niedrigen Auflösung eines jeden einzelnen Beweismittels finden informationsdichte Intensivierungen und Evidenz- steigerungen durch skalare In/Varianzen unter Berücksichtigung der Auflösungsschwankungen zwischen den Digitalbildern statt. Neben der hochpolitischen Agenda von Forensic Architecture kann ihre post/ produzierende Bildpraxis daher außerdem auf die Frage gebracht werden, „wie sich der potentielle Informationsgehalt technischer Bilder [als Potenziale der Hochauflösung] maximal ausschöpfen lässt“ (ebd., 71). Forensic Architecture führt mit diesem Verfahren explizit aus, dass Wahr- nehmung – Sehen – in der post/digitalen Medien/Immanenz auf Hand- habung und Konstruktion, auf Post/Produktion, basiert (Weizman 2018, 100). Abtrünnige Produktionsstudios Neben dem künstlerischen und politischen Einsatz kann das Post/ Produzieren aber durchaus auch als eine universelle Form im Umgang mit hochaufgelöster Digitalbildlichkeit erkannt werden. Wenn auch nicht immer unter den illustrierten kritischen Vorzeichen, werden Bilder nicht nur gesehen, sondern gefiltert, beschrieben, getagt, komprimiert, geschnitten, neu eingefärbt. Mit Michel de Certeau (1988) könnten diese post/ produzierenden Potenziale im generischen Umgang mit Digitalbildlichkeit als eine Form der „andere[n] Produktion, die als ‚Konsum‘ bezeichnet wird“ verstanden und daher explizit auf die Alltagswelt übertragen werden. Sie sei, so de Certeau, „listenreich und verstreut“, „lautlos und fast unsichtbar, denn sie äußert sich nicht durch eigene Produkte, sondern in der Umgangs- weise mit den Produkten, die von einer herrschenden ökonomischen Ordnung aufgezwungen wurden“ (ebd., 13, Hervorhebung im Original). De Certeaus Konzept befragt klassische Produktion, genauso wie einen Rezeptions- oder Konsumbegriff, der nicht ausreicht, um eine Auseinander- setzung, eine Bearbeitung mit produzierten Phänomenen zu beschreiben: „So muß zum Beispiel die Analyse der vom Fernsehen verbreiteten Bilder (Vorstellungen) und der vor dem Fernseher verbrachten Zeit (ein Ver- halten) durch eine Untersuchung dessen ergänzt werden, was der Kultur- konsument während dieser Stunden und mit diesen Bildern ‚fabriziert ‘“ (ebd., Hervorhebung im Original). Diese Fabrikationen sind „stille Produktion[en]“, die sich an engmaschige Produktraster anschmiegen, ihre Gestalt wechseln und, da sie „die Farbe ihres Hintergrundes annehmen, ... in den kolonisierenden Organisationen, deren Produkte keinen Platz mehr übrig lassen“ (ebd., 80), am Ende doch verschwinden. Auch Steyerl (2013) widmet sich dem Vorschlag post/produktive Praktiken als „Werkzeuge der Post/Produzieren 111 Masse“ einzuschätzen: „[I]mage production moves way beyond the confines of specialised fields. It becomes mass postproduction in an age of crowd creativity“. Der Charakter von Steyerls Tutorial, die Trash-Ästhetik und die eingesetzten Mittel in How Not to Be Seen stehen nicht mehr im Zusammen- hang mit einer High-End-Produktionslogik, in der Post/Produzieren aus- schließlich zur Erstellung von Special Effects oder Digital Intermediates bei großen Filmproduktionen in autorisierten Kontexten zum Einsatz kommt. V.a. kann mit Steyerls Tutorial verdeutlicht werden, dass post/digitale Bild- produktionen der Massen, die der erwähnten DIY-Kultur entsprechen, ent- gegen de Certeau gerade nicht „still“ sind. Insofern kann das HD-Format, als demokratisierende, medientechnische Voraussetzung erkannt werden, um die post/produzierende Auseinandersetzung mit Digitalbildlichkeit (in) einer Too Much World zu ermöglichen. So ist es z.B. auch aus dem Statut des 2017 akkreditierten gestalterischen Masterstudiengangs „Shadow Channel“ des Sandberg Instituts der Gerrit Rietveld Academie in Ams- terdam herauszulesen: In recent years, high-definition video has democratised as a medium. Online platforms have lowered the cost of uploading and distributing films to zero. Social media are dominated by streaming video. Today, anyone with a smartphone has a movie camera at their disposal. It is now completely natural to think, sketch, and communicate in video. HD is the new A4. (Sandberg Institute 2017)17 HD wird im Vergleich mit der DIN-A-Norm als neue Art der Standardkom- munikation identifiziert, und zwar gerade als skalar in/variante Auflö- sungsschwankung, d.h. in den Worten Marek Jancovics „as a proxy for a power transfer between media whose intricate gradations cannot be fully articulated with the totalizing term medium“ (2020, 213, Hervorhebung im Original). Mit diesem Befund einer Omnipräsenz audiovisueller, hochauf- gelöster Digitalbildlichkeit sieht sich der Studiengang für „film, design and propaganda“ in der Verantwortung Counter-Narrative zu beauftragen, zu streamen und zu distribuieren, um ein Gegengewicht zum Plattform-Kapi- talismus, einer Post-Truth-Politik und dem aufkommenden Neo-Faschis- mus zu errichten. Wenn die Studierenden des „Shadow Channel“ sich als „abtrünniges Produktionsstudio“ verstehen, Filme herstellen und Designs entwerfen, benutzen sie für ihre Kritik und Reflexion dasselbe „Material“ der digital bewegtbildlichen Phänomene, denen ihre Reflexion gilt – HD. HD ist Resonanzraum und Kritikfläche zugleich.18 Als Formatvorgabe, die 17 Den Verweis auf das Zitat verdanke ich Marek Jancovic. 18 Ausgehend von diesem onto-epistemologischen und praxeologischen Verständnis von HD ließen sich die angerissenen Designfragen auf das Selbstverständnis einer 112 High Definition vergleichbar zu sein scheint mit einem weißen A4-Blatt, changiert HD in dieser Konnotation zwischen der Möglichkeit, einerseits Platz für Neues zu bieten, leer, vermeintlich neutral und unbeschrieben zu sein und anderer- seits dennoch eine Fülle an Standardisierungsregistern aufzuweisen, die verhindern, dass ein Inhalt über „Ränder“ bzw. Auflösungsgrenzen hinaus- reicht, außer/unterhalb derselben, kleiner als ein Pixel verborgen bleibt und post/produzierend freigelegt werden muss. HD verweist in einer Too Much World auf die erkenntnisgeleitete Not- wendigkeit der Post/Produktion von Digitalbildern und kann als die tech- nische Bedingung der Möglichkeit erkannt werden, mit Hilfe des Post/ Produzierens informationsdichte HD-Bilder wiederum zu „öffnen“. Dazu darf HD nicht als (medien)fixierte Ästhetik im Sinne eines fertigen Bild- produkts verstanden, sondern muss über Auflösungsschwankungen adressiert werden. Eine Repräsentationslogik steht dabei, folgt man Steyerl, nicht an erster Stelle, sondern Post/Produzieren ist ein tatsäch- liches „Tool“, um sich in einer anstrengenden, chaotischen, hyper- medialisierten Wirklichkeit, einer Too Much World, zu orientieren: „The point is that no one can deal with this“, sagt Steyerl (2013). Ohne post/ produzierende Eingriffe, so ließe sich mit einem lakonischen Zitat der Künstlerin schließen, entzieht sich eine post/digitale Medien/Immanenz perzeptiv und epistemologisch der Erfahrung: „Not seeing anything intel- ligible is the new normal“ (Steyerl 2017, 47). Medienkulturwissenschaft beziehen, das entgegen einer reinen Verwendung des Digitalen als „Tool”, wie es häufig den Digital Humanities unterstellt wird, die produktiven Verschränkungen von „Denken über“ und „Denken mit“ Medien betont (Drucker und Haas 2017). HD als Methode denkt mit hochaufgelöster Digitalbild- lichkeit über hochaufgelöste Digitalbildlichkeit nach. Diese anwendungsorientierte Perspektive auf Medien müsste jedoch zunächst eine fachdisziplinäre Legitimation als Methode erfahren. Post/Produzieren 113 2.2. Too Much Image: RAW/Format und Pixel-Forensik In Zeiten post/digitaler Medien/Immanenz offeriert ein post/ produzierender Umgang mit digitalen HD-Bildern erkenntnisgewinnende und aktivistische Möglichkeiten, so sollte es im vorherigen Kapitel mit Steyerls Videoarbeit How Not to Be Seen und der dort vorgeschlagenen künstlerischen Praxis sowie über die Gegen-Investigationen von Forensic Architecture demonstriert werden. Die über die Arbeiten kennengelernte Handhabung von HD-Digitalbildern sollte auf ein gegenseitig hervor- bringendes Verhältnis von Digitalbildern und Wirklichkeit verweisen – einer post/digitalen Medien/Immanenz, die mit Steyerl als Too Much World kennengelernt wurde. Potenziale der Hochauflösung können in der Too Much World und ihren Digitalbild/Wirklichkeits-Relationen identifiziert werden, wenn, wie im vorherigen Kapitel besprochen, die informations- dichten HD-Ansichten nicht als in sich geschlossen wahrgenommen, sondern in Auflösungsschwankungen versetzt werden. So geschieht es, wie in diesem Kapitel weiterhin verfolgt werden soll, durch Praktiken des Post/ Produzierens. Im Folgenden wird es um die informationsdichte Materialität von hoch- aufgelösten Digitalbildern in Bezug auf ihr RAW/Format gehen. Dabei soll herausgearbeitet werden, dass post/produzierende Praktiken, die einerseits in Form von hyperästhetischen, andererseits aber durch forensische, investigative, wissenschaftliche und forschende Bildbear- beitungen vorgestellt werden, nicht allein auf die schon angesprochene Manipulationsaffinität digitaler Bilder gebracht werden können. Unge- stellte Wirklichkeit als „Rohmaterial“, wie Siegfried Kracauer (1985, 43) sie beschreibt, und Post/Produzieren schließen sich, so die These, in einer post/digitalen Medien/Immanenz nicht aus. Sind HD-Bilder als Too Much Image zu identifizieren, wie es im Folgenden die Gaza-Burial-Fotografie und die M51-Galaxie-Fotografie exemplifizieren, dann gilt Post/Produktion als interpretationsnotwendige Taktik, um eine indexikalische Beziehung dieser Digitalbilder zur Wirklichkeit offenzulegen und einer post/fotogra- fischen Voreingenommenheit zu widersprechen. Die Gaza-Burial-Fotografie wurde 2013 zum Gewinnerbild des World-Press-Photo-Foundation-Wett- bewerbs gekürt (siehe Abb. 2.3). Im Anschluss an die Auszeichnung wurde dem Bild aufgrund seiner hyperästhetischen Anmutung vorgeworfen, eine Fälschung, eine Manipulation zu sein. Der entbrannte Bilderstreit exerziert die Frage, nach welchen Kriterien sich ein Wirklichkeitswert von digitaler Bildlichkeit und Bildbearbeitung bemisst, ostentativ durch. Für 114 High Definition meine Analyse möchte ich auf das Image Processing in der Astrophysik Bezug nehmen, da dieser Vergleich zeigt, dass nicht nur Pressefotografien, sondern gerade auch wissenschaftliche Bilder mit einer indexikalischen Skepsis konfrontiert sind. Gleichzeitig wird bei den astronomischen Foto- grafien im Umkehrschluss offenkundig, dass ein Referenzwert der Galaxie- Bilder nicht ohne Bildbearbeitung auskommt. Daran anschließend soll argumentiert werden, dass hochaufgelöstes, digitales Bildmaterial einen indexikalischen Wert hat, der auf interbildlichen Verweisen basiert, die nur manipulativ wirken, wenn sie hyperästhetisch auf „ein“ HD-Bild und „einen“ Rahmen – ein Too Much Image – eingedämmt sind. Denn Indexikalität unter digitalen Vorzeichen ist, so die These, nicht von Verfahren des Post/ Produzierens und den daraus entstehenden, skalar in/varianten Existenz- weisen der Bilder zu trennen. Paul Hansens Gaza-Burial-Fotografie Fotografiegeschichte kann über die unterschiedlichen Verfahren der Post/ Produktion geschrieben werden (Fineman 2012), denn post/produzierte Bildlichkeit ist mit Nichten ein Phänomen post/digitaler Medien/Immanenz. Das Bronx Documentary Center macht einen medienhistoriogra- fischen Vorschlag mit einer ausstellungsbegleitenden Homepage (www. alteredimagesbdc.org), die 150 Jahre Fotojournalismus-Geschichte anhand von nachbearbeiteten Bildern darlegt. Die erlesene Kompilation an Foto- grafien zeigt, dass ein Großteil der Bilder, die sich in ein westliches kul- turelles Gedächtnis eingetragen haben, post/produzierte Fotografien sind oder genauer solche „that have been faked, posed, or manipulated“ (Bronx Documentary Center 2015). Zusammengetragen sind auf der Homepage einerseits sehr bekannte Bildmanipulationen wie Auf dem Berliner Reichstag (1945), The Falling Soldier (1936) oder die Pyramids of Giza in Egypt (1982), aber auch unbekanntere Exemplare wie General Grant at City Point (1902), das den 18. Präsidenten der Vereinigten Staaten während des Bürgerkriegs ver- meintlich vor seinen Truppen in City Point West Virginia zeigt, oder die erste bekannte Kriegsfotografie The Valley of the Shadow of Death (1855), die ein Schlachtfeld im Krimkrieg nahe Sewastopol abbildet, das scheinbar übersät ist mit Kanonenkugeln. Die dargelegten Fotografien sind unterschiedlich nachbearbeitet und ihr abgelichtetes Motiv ist so verändert worden. Auf alteredimagesbdc.org können bei manchen von ihnen „Breakdowns“ vor- genommen werden: Eine Dekonstruktion des intakten Bildes, ähnlich wie man es von VFX-Breakdown-Videos auf YouTube oder Vimeo kennt, die besonders pfiffige Special Effects aus Blockbusterfilmen minutiös rekon- struieren und Schichten der Bildlayer abtragen, um das handwerkliche Post/Produzieren 115 Sein hinter dem inszenatorischen Schein offenzulegen. Die Homepage des Bronx Documentary Center fasst mit einem medienethischen Anspruch mögliche Bildmanipulationen in drei Bereiche zusammen: „Staging“ spielt sich vor der Kamera ab und beeinflusst die abzulichtende Wirklichkeit für ein besseres Motiv. „Captions“, also die Untertitelungen eines Bildes, beziehen sich auf den Kontext und die Möglichkeit irreführende Verweise zu etablieren. „Post-Production“, die Nachbearbeitung in der Dunkel- kammer oder durch Photoshop, kann ganze Elemente ins Bild hinzufügen oder von dort entfernen (Bronx Documentary Center 2015). Einen ähnlichen Regelkatalog legt auch das Supervisory Board der World Press Photo Foundation (WPPF) vor. Die gemeinnützige Organisation steht für ein journalistisches Ethos bei der Repräsentation von Wirklichkeit. Für den jährlich stattfindenden renommierten Wettbewerb, der das Pressefoto des Jahres prämiert, laut Wikipedia die „weltweit höchste Auszeichnung“ (Wikipedia o.J. a) unter Fotojournalist/innen, gibt es genaue Vorgaben, die festlegen, welche Bilder als „authentische“ Repräsentationen gelten und welche nicht. Post/Produzierende Bildbearbeitung, so heißt es im Statut, „by itself is not manipulation“ (World Press Photo Foundation o.J. a). Jedoch dürfen keine Digitalfotografien eingereicht werden, die mehrfach belichtet oder aus mehreren Aufnahmen zusammengesetzt wurden: „Only single exposure and single frame pictures will be accepted“ (World Press Photo Foundation o.J. b). „Stitched panoramas, either produced in-camera or with image editing software“ unterliegen dagegen dem Manipulationsvor- wurf (ebd.). So kann der in der Presse getätigte Aufschrei (British Journal of Photography 2013; Plosker 2013; Niggemeier 2013) nachvollzogen werden, als 2013 das Preisträgerbild des schwedischen Fotojournalisten Hansen der Bildfälschung bezichtigt wurde: This year’s ‚World Press Photo Award’ wasn’t given for a photograph. It was awarded to a digital composite that was significantly reworked. ... [T]he modifications made by Hansen fail to adhere to the acceptable journalism standards used by Reuters, Associated Press, Getty Images, National Press Photographer’s Association, and other media outlets. (Krawetz 2013a) Hansens Fotografie zeigt einen palästinensischen Trauerzug für zwei getötete Kinder, die bei einem Angriff auf den Gazastreifen durch israe- lische Bomben am 19. November 2012 ums Leben kamen. Auf den Trauernden, v.a. den Männern im Vordergrund, liegt ein magischer, mystischer Lichtschimmer, der die hoch emotionale Szene in ihrer vollen Tragik illuminiert. Doch nicht nur die scharf umrissenen Gesichtszüge im 116 High Definition Vordergrund sind für den/die Betrachter/in detailreich ausgeleuchtet. Ein zentralperspektivischer Sog zieht den Blick weit in die Häuserschlucht hinein, die tiefenscharf dargeboten wird. Der Zweifel am HD-Bild bezog sich in den Diskussionen nicht auf Fragen des Stagings und auch nicht auf Fragen der Untertitelung. Ob der Trauerzug so wirklich stattgefunden hatte, im Sinne von „Es-ist-so-gewesen“ (Barthes 1989, 87), interessierte die Kritiker/innen nicht. Die Anschuldigungen basierten nicht auf der Dramatik einer vermeintlich inszenierten Bild- komposition, sondern der post/produzierten Darstellung der Szene als eine dramatische: „[I]t looked like the drama had been done in post“ (Steadman 2013). Hansen wurde, wie es oben schon anklang, beschuldigt, die Fotografie kompositorisch aus mehreren Digitalbildern zusammen- gesetzt zu haben. Was auf diesen Vorwurf folgte, ist ein Beispiel für zeitgenössischen Ikonoklasmus. Hansens Fotografie wurde zum Symbol für einen ideenmimetischen Konflikt und die Frage nach einem Bild- glauben unter post/digitalen Vorzeichen. Noch zwei Jahre nach dem Skandal, als sich die WPPF dazu entschied, bis zu 20 Prozent der Finalist/ innen aufgrund von drastischen Eingriffen während der Post/Produktion zu disqualifizieren (Ming und Laurent 2015; The New York Times 2015), wurde auf Hansens Fotografie Bezug genommen. Auch sie ist zu finden auf alteredimagesbdc.org und der Platz in dieser Reihe manipulierter Fotografien ist ein eindeutiges Statement, das nun mit einem Blick auf die Diskussionen und das Engagement der wortführenden Protagonist/innen seine Kontextualisierung erfahren soll. Indexikalische Verunsicherungen, Post/Fotografie Manipulationsvorwürfe, wie sie gegenüber Hansens post/produzierter Fotografie laut werden, basieren auf einem Wirklichkeitsverständnis, das in einer Theoretisierung um das Fotografische auf den Begriff der „Indexikalität“ des Semiotikers Charles S. Peirce (1998, 65) zurückgeführt wird. Was Peirce (2002, 191–201) mit „Index“, „Indikatoren“ oder „Indizes“ in seinen Schriften benennt, ist zunächst nicht auf die Fotografie beschränkt, hat im Zusammenhang mit ihr aber eine steile Karriere zu verzeichnen. Indexikalität stellt die Fotografie in eine physische Relation zu den Phänomenen, auf die sie hindeutet. Der deiktische Verweiszusammen- hang entsteht, weil die Fotografie von den Phänomenen hervorgerufen wurde, die sie zeigt, so wie der Rauch, der durch ein Feuer entsteht, oder der Wetterhahn, der in die Richtung deutet, in die der Wind ihn dreht (ebd.). Damit bezeugen Indikatoren, und so auch eine indexikalische Fotografie, Post/Produzieren 117 die „reale“ Existenz der bezeichneten Wirklichkeit. Will man demgemäß einen Teil der diversen realismusgläubigen, fototheoretischen Debatten auf einen gemeinsamen Nenner bringen, so könnte dieser, das stellt Peter Geimer (2009, 18, 23, 59) in seinen Theorien der Fotografie heraus, darin bestehen, dass die Fotografie stets „aus den materiellen Bedingungen ihrer Herstellung“ abgeleitet wird. Eine Fotografie, so Geimer, würde unter indexikalischen Vorzeichen noch nichts über die Qualität der Abbildung aussagen, sondern einzig darauf hindeuten, „auf welche Weise sie zustande gekommen ist“ (ebd., 23). Mit Geimer sei auch gesagt, dass Indexikalität nicht automatisch Realismus bedeute: „Dass Fotografien notwendigerweise auf reale Objekte verweisen, besagt noch nichts über die Wirklichkeitstreue der dabei entstandenen Artefakte“ (ebd., 24). Dem in seinen Grundzügen angerissenen Prinzip fotografischer Indexikalität widersprechen post/produzierende Eingriffe nach der Motiv- aufnahme in zweierlei Hinsicht: Erstens kommt für die Kritiker/innen das Postproduzieren vermeintlich nach dem Produzieren, d.h., die physische Verbindung zwischen Wirklichkeit und Bild würde um eine weitere Media- lisierungsstufe verschoben werden. Darin ist eine Hierarchie impliziert, die die Produktion vor die Postproduktion stellt.19 Auf diese Weise scheint der Bezug der Fotografie zur materiellen Herstellungsbedingung überholt und die indexikalische Verunsicherung vorprogrammiert. Zweitens wird einem post/produzierenden Verfahren ein intentionaler, künstlerischer Eingriff in das Bild unterstellt. Eine automatisch-technische Inskription der Wirklich- keit in ein lichtempfindliches Material, ohne das (gestalterische) Mitwirken des/der Fotografierenden, wie sie mit dem Talbotschen Pencil of Nature (1844) in der Fotografiegeschichte initiiert zu sein scheint, würde durch das Post/Produzieren also problematisch werden und wäre für Fototheo- retiker/innen wie Rosalind Krauss (2000) oder Kracauer als unfotografisch abzulehnen. Man möchte daher meinen, Kracauer richtet sich gegen einen Begriff des „Digitalen“, wie ihn Theoretiker/innen der „Neuen Medien“ mit ihren kybernetischen Universalfantasien, den einhergehenden Immaterialismen und unkomplizierten Möglichkeiten zur Post/Produktion der Wirklichkeit darlegen. Denn Kracauer beklagt sich über die „Situation des modernen Menschen“ unter wissenschaftlich-technologischen Vorzeichen: „Er [der 19 Hier habe ich bewusst auf den Schrägstrich verzichtet, da es bei den post/foto- grafischen Positionen gerade um diese rigide Abgrenzung und Hierarchie von der Produktion, die eine wahrhaftigere Beziehung zur Wirklichkeit aufweise, und der Postproduktion, die immer schon eine Verfälschung dieser Beziehung darstelle, geht. 118 High Definition moderne Mensch] berührt die Realität nur mit den Fingerspitzen“ (1985, 382). Die Fiktionen um das Digitale als eine simulierte Hyperrealität ohne materielle „Bodenhaftung“ und ohne „Erfahrung von Dingen in ihrer Konkretheit“ (ebd., 385), gegen die sich der Begriff des Post/Digitalen positioniert, scheinen dem „zwanghafte…n Schwelgen in Abstraktionen“ (ebd., 384) zu entsprechen, das Kracauer für die moderne Gesellschaft identifiziert. Einzig die Fotografie und der Film können als die rettende Instanz im Umgang mit dieser Wirklichkeit helfen: Wenn wir uns aber der herrschenden Abstraktheit entledigen wollen, müssen wir vor allem diese materielle Dimension ins Auge fassen, die von der Wissenschaft erfolgreich vom Rest der Welt abgelöst ist ... . Indem der Film die physische Realität wiedergibt und durchforscht, legt er eine Welt frei, die niemals zuvor zu sehen war, eine Welt, die sich dem Blick so entzieht wie Poes gestohlener Brief, der nicht gefunden werden kann, weil er in jedermanns Reichweite liegt. (Ebd., 387–388) Als „Rohmaterial“ wird die physische Realität durch den Film und die Foto- grafie wahrnehmbar wie durch ein besonderes Mikroskop, das für das Nahe und Unmittelbare sensibilisiert und sich nicht dem künstlerischen Formwillen, geleitet von der subjektiven Intention des/der Künstler/in, unterwirft. Kunstschaffen dürfe nicht bedeuten, sich den „inneren Bildern“ hinzugeben, die man möglicherweise von der Wirklichkeit hat, die der/die Künstler/in „virtuell schon gefunden hatte, bevor er[/sie] seine Kamera auf die Außenwelt richtete“ (ebd., 44). Die Künstler/innen „benutzen sie [die Wirklichkeit] vielmehr als Rohmaterial für Werke, die den Anspruch auf Autonomie stellen“ (ebd., 382). Der Begriff des „Rohmaterials“, so macht es Balke deutlich, legt bei Kracauer ein „Verhältnis von Einfachheit und Kom- plexität“ offen, welches „die ‚rohe‘ und insofern ‚unreduzierte‘ Komplexität der realistischen Tendenz“ und die „spezifische Einfachheit oder Selbst- beschränkung in der Handhabung“ filmtechnischer Mittel zusammen- denkt: „Das Realistische ist für Kracauer das technisch Frugale“ (2017, 486, Hervorhebung im Original). Künstlerische Komplexitätsreduktionen wie ein fiktionalisierendes Story Telling, so Balke, würden bei Kracauer dieser realistischen Tendenz entgegenstehen, sie würden nicht der „Einfachheit“ entsprechen (ebd., 490). Kracauers „Rohmaterial“ ist ungleich einem nuanciert komponierten Kunstwert, auch im Sinne einer (technischen) Kunstfertigkeit: „Im Kunstwerk bleibt vom Rohmaterial selbst nichts übrig“ (Kracauer 1985, 389). Der Film und die Fotografie registrieren die Wirk- lichkeit vielmehr als ein „Refugium“ an komplexen Informationen, das zur Vertiefung einlädt, ohne die Inhalte formgebend resolut zu bannen. Zur Freisetzung der dort hinterlegten Bedeutungen sei eine forschende Post/Produzieren 119 „Fähigkeit“ an den Tag gelegt, die dazu anleitet, in der Wirklichkeit wie „im Buch der Natur“ zu lesen (ebd., 42). Diese Rezeptionsanforderung basiert auf einer überbordenden Situation (einer Too Much World), da Wirklichkeit im Rohzustand für Kracauer den Menschen sich entziehende „Natur in ihrer Undurchdringlichkeit“ (ebd., 47) ist, die nicht wie vermeintlich das kunsthaft gestaltete Werk Sinn fixiert, sondern „vielfältige... Bedeutungen“ und Wirk- lichkeitsdimensionen mit „vagem Sinngehalt“ anzubieten habe (ebd.). Nur in der ungestellten Natur lasse sich Wirklichkeit als „unerschöpfliches Uni- versum“ ergründen, „dessen Ganzheit sich ... für immer entzieht“ (ebd., 46). V.a. bei Bildkompositionen und Bildmontagen sieht Kracauer jene künst- lerische Intention eingelassen, die abgebildete Wirklichkeit so umbaut, bis sie der schöpferischen Vision des/der Künstler/in entspricht. Für ihn stellen die „so beschaffenen Bildkompositionen ... eine besondere Spielart der graphischen Künste, nicht aber als Fotografie“ dar (ebd., 44). Werden modulierte Fotocollagen digital hergestellt, so läuten sie für einige Fotografietheoretiker/innen, prominent v.a. William J. Mitchell (1992), eine post/fotografische Zeit ein. Schon gleich zu Beginn der aufkommenden Digitalfotografie, die er in Anführungsstriche setzt, ist für Mitchell auf- grund der skizzierten Eigenschaften der Index und in einer absoluten Gleichsetzung auch das Fotografische verloren: Dafür spricht für Mitchell zunächst die diskret-disjunkte Übersetzung eines Photonen-Material- Kontakts in elektronische Signale. Ein zweiter Grund ist die schon ange- sprochene Möglichkeit, mit post/produzierenden Praktiken nachträglich in die Fotografie einzugreifen. Die Veränderungsoptionen seien digital viel stärker gegeben, als es noch bei der analogen Fotografie der Fall war (ebd., 6–8). Mitchell zu Folge ist jede digitale Fotografie daher nur ein Kon- glomerat an unterschiedlichsten Techniken, Verfahren und Autor/innen (ebd., 30; Batchen 2012), eine Ansammlung diverser Bildfragmente von herangezogenen Quellen, deren Herkunft durch die nahtlose Einspeisung in das Digitalbild nicht mehr nachvollziehbar sei. Somit könne, so Mitchell (1992, 30), auch nicht mehr zwischen Kausalität und Intentionalität bei der Herstellung der digitalen Fotografie unterschieden werden. Mit und entgegen Barthes’ berühmtem Diktum erkennt Mitchell: „[T]he referent has come unstuck“ (ebd.). Peter Lunenfeld (1999, xiv–xxi, xvi) geht mit der These, digitale Fotografie sei unendlich modulierbar, noch einen Schritt weiter, indem er sie als „photo-graphic“, als Grafik versteht und in eine „digitale… Computersuppe aus Buchstaben, Zahlen, Bewegungsgrafik und Sounddateien“ (2002, 164) wirft. Einen ähnlichen Argumentationsschritt für das Kino vollzieht Lev Manovich (2002, 255), wenn er eine alternative Entstehungsgeschichte des Kinematografischen vorschlägt und das digitale 120 High Definition Kino in einen übergeordneten Status des animierten und grafischen Bildes zurückkehren sieht. Eine solche indexikalische Verunsicherung tritt nun auch bei der hoch- aufgelösten, detaildichten, farbbrillanten Digitalfotografie von Hansen ein. „Why Do Photo Contest Winners Look Like Movie Posters?“ – mit dieser Überschrift seines Blogartikels auf petapixel.com fasst Allen Murabayashi (2013), Blogger und Unternehmer, die Vorwürfe gegen die Ästhetik von Hansens Gaza-Burial-Fotografie zusammen: Sie wirke einer- seits wie eine Illustration einer andererseits fiktionalisierten Wirklichkeit. Obwohl Murabayashi viel reist, wie er schreibt, habe er auf der Welt noch nie Licht in dieser Ausleuchtung und ein so volles Farbspektrum gesehen (ebd.) – zu viel Licht in einer hochaufgelösten Too Much World. Vielleicht hat Murabayashi bei seinen Reisen einen ähnlich verifizierenden Blick auf die Wirklichkeit, wie ihn Deleuze (1993a) Serge Daney zugesteht, in dem Brief über seine ambivalente Einstellung zum Fernsehen und den digitalen Bildern. Reisen gehen, so Deleuze, heißt nachsehen, in welchem Film man sich an diesem oder jenem Ort auf der Erde befinden würde. Schon durch das Fernsehen und auch durch die digitalen Bilder, die Deleuze im Text kurz anspricht, scheinen aber andere Ansichten von der Wirklichkeit zu zirkulieren, die der Welt als Film entgegenstehen. Der „Instagram-y“ (Steadman 2013) Look des Bildes, der Hansens Fotografie trotz seines tragischen Inhalts sogar von seinen Unterstützer/innen zugesprochen wird und der so eine Kultur der Snapchat-Filter-Ästhetik, der Sonnenuntergang- Reise-Blog-Posts und der perfekten Bildinszenierung aufruft, wäre gewiss unvereinbar mit einer Deleuzeschen Verifikation, „nämlich daß die Welt wirklich Film macht“ (Deleuze 1993a, 116). Pixel- und Digitalbildforensik Die Vorwürfe einer „unangemessenen Schönheit“ (Krug und Niggemeier 2013) der Gaza-Burial-Fotografie rufen nun den Digitalforensiker Neal Krawetz auf die Bildfläche, der dem Gewinnerfoto mit einer Praxis begegnet, die unter dem Überbegriff der Pixel- oder digitalen Bildforensik läuft. Eine traditionelle Fotografie als vermeintlich unmittelbarer Abdruck einer Wirklichkeit, so schreibt Mitchell (1992, 24), wäre vergleichbar mit am Tatort auffindbaren Fingerabdrücken. Digitalforensiker/innen bringen minutiöse Details wie Pixel, versteckte Spuren wie Kompressionsartefakte oder digitale Fingerabdrücke wie Metadaten gleichsam zum Vorschein, nur ist ihr Tatort das digitale Bild und seine Materialität selbst. Die Investigation erfolgt über Versionsverläufe, Bearbeitungsstufen, formatierte Post/Produzieren 121 Konvertierungen und Datenschichten des Digitalbildes. Die Tools der Pixel- Forensiker/innen, um immer tiefer in das digitale Material einzudringen, sind dabei fast dieselben wie die der zu entlarvenden Bildmanipulation. Lehr- oder Handbücher des Berufszweigs sind gleichsam zu lesen als Tutorials für Photoshop (Reis 2007), Einführungen in die Beschaffenheit und den Aufbau des digitalen Bildes (Sencar und Memon 2013) oder in digitale Virtualisierungsverfahren (Barrett und Kipper 2010) und als Vergleichs- studien von Betriebssystemen (Casey 2010). Neben dem ersten Befund, dass die Größe des Digitalbildes nicht mit nativen Formaten von digitalen Kameras übereinstimmen würde (im Abgleich mit den Metadaten, die angeben, dass das Bild von einer Canon EOS 5D Mark III stammt und eine Modifikation über Adobe Photoshop CS6 erfahren hat), ein Indiz für die Skalierung des Bildes, untersucht der Bildkritiker die Pixelverteilung der von der WPPF ausgezeichneten und im Internet zugänglichen hochaufgelösten JPEG-Datei. Die Analyse lasse, so Krawetz, erkennen, ob das Digitalbild verlustreich komprimiert wurde. Variiert der Grad an Pixelkompressionen in Teilen des Bildes, kann das für die stellenweise Modifikation oder sogar die Zusammensetzung der Foto- grafie aus unterschiedlichen Bildern mit unterschiedlichen Kompressions- graden stehen. Die sogenannte Error Level Analysis (ELA, Krawetz o.J.) setzt die vermeintliche Heterogenität der Pixel durch unterschiedliche Kompressionseinflüsse ins Bild und macht daher retuschierte Bildteile sichtbar (siehe Abb. 2.3.). Krawetz kommt zu dem Schluss, dass eine Serie an aufgenommenen Fotos nach bestem Lichtwert ineinander montiert wurde. Auf diesen Vorwurf reagieren die WPPF und der von ihr engagierte Bildforensiker Hany Farid, unterstellen Krawetz unlauteres Verhalten und verifizieren, trotz einer über das geschilderte Verfahren festgestellten Abweichung, die „Echtheit“ des Bildes. Die Jury führt in einer Presse- mitteilung aus: „[W]e find no evidence of significant photo manipulation or compositing“ (World Press Photo Foundation 2013). RAW/Format Der in Ansätzen skizzierte, bildforensische Disput manifestiert jenseits der gegenseitigen Vorwürfe die materielle Besonderheit digitaler Bildlichkeit, die sich, wie nun gezeigt werden soll, auf eine Unterscheidung von Bild und Format herunterbrechen lässt. Auch wenn die WPPF nicht von einer Bildcollage sprechen will, so ist die Integrität der Fotografie nicht bewiesen. Der Unterschied zeigt sich im Analysegegenstand: Während Krawetz die JPG-Datei forensisch untersucht, liegt der WPPF das Rohdatenformat, das 122 High Definition RAW/Format20 und folglich eine völlig andere Bewertungsgrundlage des Bildes vor. Bei RAW handelt es sich um die am wenigsten prozessierten und folglich post/produzierten Informationen, die Daten, die von der Kamera zu einem bestimmten Zeitpunkt an einem bestimmten Ort aufgenommen wurden. In RAW werden alle auf dem Kamerasensor auftreffenden Luminanzwerte und ihre Informationen mit mehr Bits pro Pixel (bei der verwendeten Canon 14 statt acht) in einer „höheren“ Bit-Tiefe gespei- chert.21 Kompressionsformate wie das JPEG oder der MPEG-Codec, die eine völlig andere Funktion (nicht zu speichern, sondern zu zirkulieren) haben, rechnen die Bildinformation klein (acht statt 14 Bits), um besser verteilbar zu sein, und stehen daher für einen Daten- und Qualitätsverlust. Zum Vergleich: Ein JPEG kann Farben mit ungefähr 256 Helligkeitsabstufungen zeigen, eine RAW-Datei hat Belichtungswerte hochaufgelöster mit einer Skala von mindestens 1.024 Stufen hinterlegt. RAW beinhaltet also die best- mögliche Bildqualität, d.h. die höchste Auflösung eines digitalen Bildes; sie ist sozusagen HD-Format „in Reinform“. Sobald das RAW/Format nun z.B. in Photoshop geöffnet wird, findet eine Konvertierung in ein anderes Format (TIFF, JPEG, das Photoshop-Format PSD) statt, und so vollzieht sich bereits eine post/produzierte bzw. um/ formatierte Modifikation des Digitalbildes, das nicht mehr als RAW – roh – bezeichnet werden und auf den ursprünglichen Zustand der Aufnahme zurückgeführt werden kann. Gleichzeitig hängt das RAW/Format – soll es die gespeicherten Daten als für das menschliche Auge sichtbare Foto- grafie wahrnehmbar machen – von der softwarenahen Konvertierung und der Um/Formatierung in ein bearbeit- und verschickbares Format ab. Ein RAW/Format drängt hin auf seine Weiterbearbeitung und der Schräg- strich soll daher das Abhängigkeitsverhältnis von rohen Datenmengen und ihrer Formatierung verdeutlichen. Der Schrägstrich steht weniger für ein „entweder/oder“ und vielmehr für ein „sowohl/als auch“: RAW hat seinen informationsdichten Wert nur in Hinblick auf die Um/Formatierungen des Formats, und die möglichwerdenden (vielen) Formate verweisen wiederum 20 „Das“ RAW-Format gibt es nicht. Jede Kamera hat ihre eigenen formativen Vorgaben, um aufgenommene Daten nicht-prozessiert und unkomprimiert zu speichern. Da aber all die verschiedenen Formate die höchste Auflösung des Digitalbildes bereithalten, können sie mit dem Begriff im vorliegenden Kontext meiner Frage zusammengefasst werden. 21 Die höhere Auflösung des Digitalbildes hängt mit der Farbintensität der Aufnahme zusammen, die i.d.R. über den Bayer-Sensor gewährleistet ist. Da ein Pixel immer nur eine Farbe – rot, blau, grün (mit einem erhöhten Anteil an grünen Pixeln) – abbildet, entsteht ein RGB-Farbwert durch Pixelüberlagerungen. Die Pixelzahl muss also im Grunde dezimiert werden. Aber je mehr Pixel existieren, umso mehr Farbwerte können am Ende fusioniert werden. Post/Produzieren 123 auf diese informationsdichte Basis von RAW. RAW und Format stehen daher auch nicht in einem ausschließlichen Verhältnis, sondern in einer ständigen Befragungssituation zueinander. Mit dem Statement, „all of them [die Pixel] are exactly in the same place“ (World Press Photo Foundation 2013), wurde von der WPPF daher nicht die Integrität des Bildes, sondern des RAW/Formats bewiesen. Gerade das RAW/ Format zeigt nun aber, dass die der Öffentlichkeit zugänglich gemachte JPG-Datei des Bildes kompiliert wurde, so demonstriert es Krawetz im Nachgang an die Anschuldigungen und Verifizierungsversuche noch einmal.22 Seine Ergebnisse werden von der Digital Community nicht nur durch die Nennung der Gaza-Burial-Fotografie unter all den anderen Bild- manipulationen auf alteredimagesbdc.org bestätigt. Auch der Fotograf selbst, Hansen, legt im Interview offen, dass es mehrere Versionen waren, die in einer Fotografie ineinander montiert wurden: „I developed the raw file with different density ... . To put it simply, it ’s the same file – developed over itself“ (Sharwood 2013). Die Fotografie ist zusammengesetzt, aber nicht, wie zuerst vermutet, aus einer Serie an unterschiedlichen am Ort des Geschehens aufgenommenen Digitalbildern, sondern aus verschiedenen Versionen derselben auf dem RAW/Format basierenden am 19. November 2012 geschossenen Aufnahme. Diesen Befund kann Krawetz (2013b) über die „digitalen Ahnen“, die Ancestors auf Photoshop, nachweisen, die rückverfolgbar machen, dass das Foto auf vier verschiedenen Bilddateien basiert. Wie oben aus- geführt, ist das RAW/Format, wenn es um einen visuellen Output geht, von der Bildprozessierung abhängig, die sogar schon eintritt, wenn man das Format in einem Bildbearbeitungsprogramm öffnet. Wie häufig dies mit derselben RAW/Datei passiert, deren Informationsgehalt „angezapft“ und in einem neuen eigenständigen Bildformat gespeichert wird, ist über die Ancestors zählbar. Die Document Ancestors werden, kopiert man sie wiederum in einem Digitalbild zusammen, als unterschiedliche Dateien identifiziert, auch wenn die Informationen, die sie enthalten, auf dasselbe Rohformat zurückzuführen sind. Mit dem mehrmaligen Öffnen des RAW/ Formats und durch die Ausgabe der dort hinterlegten Bildinformation in 22 Die WPPF und der von der Stiftung engagierte Bildforensiker Hany Farid werfen Krawetz vor, er würde Datei-Versionen nicht von ungleichen Dateien unterscheiden können. Krawetz kontert: Er beziehe sich bei seiner Analyse nicht auf die bei jeder Speicherung einer Datei aktualisierten Metadaten, sondern explizit auf die in den Metadaten des JPEGs verzeichneten vier Document Ancestors, die auf im Bild zu verzeichnende Spuren von vier divergierenden Dateien hinweisen (Steadman 2013; Krawetz 2013b; Krawetz 2013c). 124 High Definition unterschiedliche Versionen, können die vielen, bei der Aufnahme gespei- cherten Werte in mehreren „Bildern“ als Bilddateien „abgeschöpft“ werden. Setzt man sie wiederum zusammen, dann kommen HD-Bilder zustande, so kristallisiert es sich im Fall der Gaza-Burial-Fotografie heraus, die als Too Much Image auftreten, als zu viel Bildlichkeit für eine integre Ansicht. So lässt sich mit dem RAW/Format die eigentümliche Beziehung zwischen der Informationsdichte einer abfotografierten Wirklichkeit, einer konkreten, digitalbildlichen Existenzweise (z.B. der JPG-Datei der Gaza-Burial-Foto- grafie) und der Bildästhetik, dem, was als Too Much Image soviel Unbe- hagen im Falle von Hansens Fotografie erzeugt, herstellen. Too Much Image Im Folgenden wird es weiterhin darum gehen, die Notwendigkeit des Post/Produzierens für diese Beziehung zu verdeutlichen und hieran fest- machend den ontologischen Status digitaler Bildformate als indexika- lisch zu charakterisieren – entgegen der post/fotografischen Zweifel. Noch einmal sei wiederholt, wie abhängig das RAW/Format vom Post/ Produzieren ist: Es hat als Format selbst keine sinnlich erfahrbare Existenz und benötigt über verschiedene Formate ( JPG, TIFF, PNG, usw.) die Aus- differenzierung in unterschiedliche Existenzweisen des HD-Bildes. Dennoch hat RAW einen ontologischen Wert. Das zeigt nicht zuletzt im Bildstreit um die Gaza-Burial-Fotografie sein Status als „indexikalischer Prüfstein“. Das RAW/Format enthält all die Lichtinformationen, die am 19. November 2012 auf den CMOS-Chip auftrafen und auf der Speicherkarte der Digitalkamera hinterlegt wurden. Nur scheint die „Form“, in der die Photonen gesammelt und verarbeitet wurden, einerseits nicht sinnlich und andererseits nicht auf die Einheit eines Bildes reduzierbar zu sein. Wird der Versuch gestartet, alle aufgenommenen Daten in einem Bildkader zu bannen, entstehen im Zweifel stehende Too Much Images, so das Argument. Was hieran im Folgenden unterstrichen werden soll, ist die Infragestellung konven- tionalisierter „Minimaleinheiten“ von Bild und Wirklichkeit, die, so scheint es, hochgradige Deutungshoheit haben bei der Frage nach deren Verweis- zusammenhang. Das Digitalbild scheint Konzepten wie dem Belichtungs- moment bzw. der Momentaufnahme genauso zu widersprechen wie dem Bildkader, dem „einen“ Bild und seiner Integrität. Mit dem RAW/Format und dem Post/Produzieren soll im Folgenden daher entgegen der Theo- retisierung der „Neuen Medien“ und dem post/fotografischen Misstrauen, dem Digitalbild seine Existenz zugesprochen werden. Dem geäußerten Postulat: „[D]as digitale Bild gibt es nicht“ (Pias 2003; Hagen 2004) soll erwidert werden: Berücksichtigt man das RAW/Format und seine post/ Post/Produzieren 125 produzierten Existenzweisen, die aus dem Potenzial der Hochauflösung abgeleiteten und herausgelösten Bildversionen und die verschiedenen Formate, dann gibt es nicht nur kein digitales Bild, sondern ein „Zuviel“ davon – im Falle der Gaza-Burial-Fotografie als Too Much Image. Digitale Fotografie In seiner Forschung zum digitalen Licht stellt Sean Cubitt anhand des Vergleichs von analoger und digitaler Umwandlung der Licht- in visuelle Informationswerte eine Gemeinsamkeit fest: Beide Bildgebungsverfahren basieren auf Latenz, einem Intervall bildlicher „Unentschiedenheit“ und dieser Befund müsste nun entweder dem digitalen Bild Indexikalität zu- oder der analogen Fotografie absprechen, so die Schussfolgerung Cubitts (2014, 246). Denn in beiden Fällen findet kein „direkter“ Kontakt von Wirk- lichkeit und Bild statt, sondern immer schon ein Verarbeitungs- und Kon- vertierungsprozess der Photonenwerte. Zum Vergleich sei der digitale Bildwerdungsprozess kurz skizziert: Was im RAW/Format als viele Bildinformationen gespeichert wird, trifft zunächst als Photonenwert auf einen CCD- oder CMOS-Sensor23, welche Licht mit Hilfe von Ioden in Strom (Elektronen) umwandeln und so Ladung erzeugen. Die eintreffenden Photonen werden beim CCD-Chip auf die von den Erfindern William Boyle und George Smith als „Potenzialbrunnen“ („potential wells“, 1970, 587) bezeichneten Lichtsammelstätten in „Strom- portionen“, dem Pixelraster entsprechend, aufgeteilt.24 Die Autoren sprechen von einer „Kette an Wassereimern“, die, wie Wolfgang Hagen (2004) es übersetzt, „in Reih und Glied auf einem Fließband stehen“. Hagen beschreibt weiter: „In diese ‚Eimer‘ fällt das Licht wie Schneeflocken des Sichtbaren hinein. In winzigen ‚Eimerchen‘ werden sie zu Wasser, sprich in Elektronen verwandelt. Das Wassereimerfließband befördert sie an den 23 Die Gaza-Burial-Fotografie wurde mit einem CMOS-Sensor aufgenommen. Der Hauptunterschied zwischen CMOS und CCD liegt darin, dass ersterer jeden einzelnen Pixel individuell durch einen korrespondierenden Verstärker pro Bildeinheit ausgibt, während der CCD-Chip die Pixel durch den „Abtransport“ zunächst reiht und dann gesammelt auswertet. Das fotoelektrische Prinzip ist in beiden Fällen dasselbe: Eine physikalisch materielle Lichtaufnahme (die als „analog“ bezeichnet werden kann) wird durch anschließende Umwandlungsprozesse zum digitalen Signal transformiert. 24 Digitale Belichtungssituationen zeichnen sich also durch „enzyklopädische Qualitäten“ aus, wie Rothöhler (2013, 34) es formuliert. Eine HD-Kamera „sammelt als „hyperfotografisch“ erweiterter Lichtspeicher multiple Formen und Farben syn- thetischer Illumination“ (ebd.). 126 High Definition Rand“ (ebd.). Erst jetzt wird das Bild digital: Die seriell erzeugte elektrische Ladung wird in ein diskret-disjunktes Signal umgewandelt. Der Vorgang kann wie folgt zusammengefasst werden: Licht wird geordnet (als Pixel) zwischengespeichert, dann in separaten und getakteten Serien „abtransportiert“ (das „Wassereimerfließband“) und schließlich in ein digitales Signal umgewandelt und ausgegeben. Der mikrosekündliche Zeitraum, der benötigt wird, um einen gemessenen Lichtwert vom Chip zur Speicherkarte zu transportieren und umzuwandeln (die „Effizienz der Wassereimerkette“ sozusagen), ist nun für Cubitt (2011, 31) der ent- scheidende Anhaltspunkt, um die Differenz von Analog/Digital im Hin- blick auf ihren Indexikalitätswert zu hinterfragen. Während dieses Zeit- intervalls ist das digitale Bild ein latentes, verharrend zwischen der Un/ Sinnlichkeit des aufgenommenen, aber noch nicht zur Bildinformation prozessierten Reizes und kann mit dem belichteten, aber noch nicht ent- wickelten Negativformat der analogen Fotografie verglichen werden (Cubitt 2014, 246). Der Zeitraum zwischen Reiz und Informationsverarbeitung, Belichtung und Entwicklung ist für die Bildentstehung in beiden Fällen konstitutiv und lässt einen weiteren Vergleich mit der analogen Bildtechnik zu, wie Cubitt ausführt: Während des Latenzzeitraums ist die Technik mit der Verarbeitung der registrierten Informationen beschäftigt und kann daher mit den vorhandenen Mitteln kein weiteres Bild produzieren. Wie der optische Blendenverschluss, der dafür sorgt, dass Licht nicht entropisch auf das fotosensible Material trifft, braucht auch das digitale Bild die zeitliche Taktung, eine Struktur, die (diskrete und disjunkte) Informations- werte entstehen und nicht „chaotically, as noise or more specifically as heat“ (ebd., 101) indifferent bleiben lässt. Gerade der letzte Vergleich Cubitts birgt, bei allen Gemeinsamkeiten, einen signifikanten Unterschied zwischen analoger und digitaler Bildwerdung: der Maßstab der latenzzeitlichen Umwandlung von Daten in Information, die kleinste Bild- und Zeiteinheit. Die Latenzzeit des Digitalen bemisst sich auf die mikrosekündliche Verarbeitung von Pixeln, während die analoge Latenz- zeit auf das Einzelbild und die zeitliche Minimaleinheit „eines“ Moments zu bringen ist. Was in Bezug auf den Indexikalitätswert digitaler Fotografien nun zu befragen wäre, ist ein Zusammenhang dieses Konzepts mit den analogen Größen des „Einzelbilds“ und des „Moments“, wie im Folgenden weiter ausgeführt werden soll. Post/Produzieren 127 Momente des Digitalen Die „mikrologischen Grundelemente (wie Moment, Bildkader oder Pixel) in Verbindung mit den Verfahren und Technologien ihrer Verarbeitung“ (Volmar 2009, 140, Hervorhebung im Original) stellen Ansatzphänomene zur Analyse medienspezifischer Materialität und Ästhetik dar und demons- trieren eine indexikalische Problematik anhand der Übersetzung von der operativen Entstehung in die sinnliche Erscheinung eines Bildes oder eines Tons – das führt Axel Volmar für die analogen Medien des 19. Jahr- hunderts aus. Versuche einer Naturalisierung dieser kulturell geprägten Kleinsteinheiten des Medialen kann z.B. anhand der Momentforschung des russischen Mediziners und Naturforschers Karl Ernst von Baer nach- vollzogen werden, wie Volmar verdeutlicht. Baer „erklärt den Moment ... zum kritischen Maß der Zeitwahrnehmung“ (ebd., 120, Hervorhebung im Original), und zwar aufgrund einer spezifischen Latenzzeit – ähnlich wie bei der kennengelernten digital/analogen Fototechnik. Nur gilt für Baer nicht die Geschwindigkeit der elektrischen oder chemischen Reizverarbeitung, sondern die „Prozessorgeschwindigkeit“ des menschlichen Bewusstseins, also wie schnell ein perzeptueller Eindruck wahrgenommen wird und für die Menschen auf diese Weise die Wirklichkeit (radikal konstruktivistisch) um sie herum entsteht. Für Baer greift ein Kriterium, das, ähnlich wie McLuhans Medientheorie, das perzeptuelle Auflösungsvermögen der Menschen an eine Informationssättigung der Wirklichkeit koppelt: „Je mehr Momente ein Organismus zu verarbeiten in der Lage sei, desto detaillierter werde der Fluss der Zeit erlebt“ (ebd.). Dass dieser Organismus nun durchaus nicht menschlich sein muss und die einfachsten Medientechniken ein für Menschen a-mediales Gespür von Zeit überholen – daraus lässt sich zweierlei ableiten: Erstens, dass ein Wirklichkeitsgehalt proportional zur Zeitwahrnehmung als hoch- gradig relativ einzuschätzen ist (ebd., 122) und zweitens, dass die medialen Kleinsteinheiten, die Taktungen, Frequenzen und Intervalle von der medialen Skala abhängen, durch die sie festgelegt werden: „Die Variation des ‚zeitlichen Maßstabs‘ weist mit Nachdruck auf die Eingebundenheit eines Organismus in ein spezifisches aisthetisches Chronotop hin“ (ebd., 121, Hervorhebung im Original). Es ist diesem „Chronotop“ geschuldet, zu entscheiden, was als „Mikroebene des Medialen“ zu verstehen sei und das ließe sich am besten, so Volmar, über die Manipulation der kleinsten Zeiteinheiten nachvollziehen (ebd., 139). Wo die Kinematografie Zeitlupe und -raffer durch die schnellere oder langsamere Taktung der Einzelbild- kader ermöglicht, würden digitale Techniken über ein algorithmisches Eingreifen auf die Pixelprozessierung die Überholung der „temporale[n] 128 High Definition Konvention des Einzelbildes als ‚Zeitpunkt‘“ verdeutlichen (ebd.). Was für das Chronotop technischer Medien die „Mikroebene“ darstellt, ist folg- lich für das digitale Chronotop die „Mesodimension“. Wo beim analogen Film von der homogenen Emulsion bei der Belichtung – und nicht z.B. von einzelnen, diskreten Silberbromidkristallen – ausgegangen wurde, stehen nun beim Digitalbild eine Summe an Mikro-Belichtungen der diskreten Pixel zur Disposition. Pixel gelten als digitale Kleinsteinheit und, so ließe sich in der Entsprechung zur Belichtung eines Einzelbildes hinzufügen, daher als „Momente des Digitalen“. Welche Schwierigkeiten dieser Vergleich mit sich bringt, weil bei der Pixelfülle nicht von einem Belichtungsmoment gesprochen werden kann, zeigt eine digitalspezifische Technik durch die ästhetischen „Kom- plikationen“, die auftreten, wenn skalar in/variante Lichtwerte in einem Bild als Too Much Image zur Ansicht kommen. Die Bildwerdung der Gaza- Burial-Fotografie differenziert aus, was durchaus als „kamerainterner“ Automatismus möglich ist: Mit der HDR-Technik (High Dynamic Range)25 werden in einer mikrosekündlichen Belichtung drei unterschiedliche Aufnahmen mit unvereinbaren Lichtwerten – eine Überbelichtung, eine Unterbelichtung und die Aufzeichnung der Mitteltöne – registriert, um diese dann in einem Einzelbild auszugeben (Canon Inc. 2012, 2 und 12). Die HDR-Fotografie lebt „nicht aus dem Augenblick heraus, sondern in ihn hinein“, ließe sich mit Walter Benjamin (1991b, 373) sagen, der dies aber nun gerade nicht in Bezug auf einen instantanen Schnappschuss, sondern auf die Langzeitbelichtungen seiner Zeit, die Porträtaufnahmen des frühen 20. Jahrhunderts vermerkt. Die HDR-Aufnahme erfasst das Paradox einer kurzen Dauer als digitalbildlichen Moment, der die Phänomene „ins Bild hineinwachsen“ lässt. Was aufgenommen wird, steht in einem informationsdichten Ungleichgewicht zu einem aus der fotografischen Theoriebildung entstandenem Verhältnis von Datenspeicher und Zeit und im Hinblick darauf, was als ein Bild und als ein Moment ausgegeben werden kann. Denn diese sind immer schon viele – Reihen an Bildern, nur nicht in sukzessiver, sondern geschichteter und datentiefer Hinsicht. Diese Instabilität der Integrität des digitalen Bildes durch die Granularität der Pixel und die mikrosekündliche Messung von Lichtwerten lassen Hagen (2004) und z.B. auch Claus Pias (2003) zu dem Schluss kommen, dass das digitale Bild gar nicht existieren würde. Nicht mehr als eine „Chance auf ein Bild“ (Hagen 2004) könnten die Potenziale der (hochaufgelösten) 25 Auch die Canon EOS 5D Mark III, mit der Hansen seine Fotografie aufnahm, ist in der Lage HDR-Bilder anzufertigen und wurde sogar stark mit diesem Feature beworben (Canon Inc. 2012, 2). Post/Produzieren 129 Bildtechniken anbieten und das ist für die Autoren Grund genug, dem digitalen Bild seine ontologische Grundlage abzusprechen. Hagen etabliert sein Argument in Rückgriff auf die Theoreme der Quantenmechanik, auf die in diesem Buch in Abschnitt 1.1. eingegangen wurde. Mit Barad wurde ausgeführt, dass jede (physikalische) Messung, wie auch die Registrierung der Photonen mit dem CCD-Chip, als ein Eingriff in eine vermeintlich unberührte „Natur“ und ein Messergebnis immer unter Berücksichtigung der Messbedingungen und -prozesse als ein onto-epistemologisches Gefüge verstanden werden müssen. Eine quantenmechanische Messung gibt keinen eindeutigen Wert der Sache wieder, sondern liefert vielmehr Befunde über den messenden Vorgang selbst, als, mit Barad (2015a, 30) gesprochen, eine „Verschränkung“ von Messgerät, Messvorgang und zu messender Entität. Alle technischen Standards und Vorgaben, die bei der Konvertierung der Lichtwerte in digitale Signale greifen, haben als medien- technische „Entscheidungen“ beeinflussend und verändernd Anteil am Bild. Das Bild entsteht über Entscheidungsprozesse und dass diese nun eben pixelbasiert auf der Mikroebene und ohne menschliches Zutun ablaufen, stellt für Hagen quantenmechanisch eine Existenz des Bildes aufgrund seines Möglichkeitscharakters in Abrede. Meines Erachtens hakt diese Argumentation an zwei Punkten: Ers- tens hängen analoge Bildgebungsverfahren (die gemeinhin meistens als Negativ- bzw. „Positivfolie“ für einen materielleren und ontologisch stabileren Bildwerdungsprozess aufgerufen werden) gleichermaßen von intervenierenden, medientechnischen „Entscheidungen“ ab – seien es die Emulsionen eines Farbfilms, die Perforierung des Filmstreifens, die Chemikalien, die zur Umkehrung, Entwicklung und Fixierung des Films führen, usw. Auch hier handelt es sich, mit Hagen (2004) gesprochen, um „vorentschiedene Chancen“, die in die Entstehung der analogen Foto- grafie eingreifen und diese verändernd beeinflussen (man denke an die „fatalen“ Auswirkungen des Solarisationseffekts). Auch wenn die fotogra- fische Belichtung und fotochemische Entwicklung eines Bildes nicht auf quantenmechanischer Ebene ansetzt, wie es bei der Sensortechnik der Fall ist, so können sie doch quantenmechanisch ausgelegt werden, da es sich dabei nunmehr um ein physikalisches Beschreibungssystem handelt und nicht etwa um eine spezifische digitale Medientechnik. Eine Skepsis, wie sie Hagen gegenüber der Quantenmechanik formuliert, kann daher auch dem analogen Bild entgegengebracht werden. Zweitens, und damit kehren wir zurück zur Argumentation dieses Kapitels und der Frage nach dem onto-epistemologischen Wert post/ produzierender Handhabungen des Digitalbilds, müssen messende 130 High Definition Eingriffe genau wie alle anderen modulierenden und prozessierenden Verfahren im Umgang mit digitaler Bildlichkeit nicht automatisch eine „Reduktion von Sein“ – normativer gewertet: eine Manipulation, Abs- traktion oder Negation der Wirklichkeit – darstellen. Im Folgenden soll mit Hilfe der Einsichten der materiellen Wissenschaftsforschung und der Akteur-Netzwerk-Theorie (ANT) eine umgekehrte Perspektive auf wirklich- keitsabbildende Prozesse geworfen werden, und zwar, wenn nicht etwa von der „Chance auf ein Bild“, sondern einer Too Much World entsprechend nur von der „Chance auf Wirklichkeit“ ausgegangen werden muss. Dann beanspruchen gerade das Eingreifen in einen vermeintlich „reinen“ oder „rohen“ Wirklichkeitsabdruck und die daraus entstehenden vielen Bilder, bzw. die Referenzbeziehungen zwischen ihnen, onto-epistemologische Notwendigkeit. Unter solchen Bedingungen, deren quantenmechanische Komplexität den Normalfall festlegt, können Potenziale des Medialen auf ihre Existenz und Wirklichkeit beharren. Dazu muss aber der essenzialistische Zuspruch an integre mediale Kleinsteinheiten bzw. Letztinstanzen – wie „der Moment“ und „das Bild“ – überholt werden. Indexikalität ist dann vielmehr rela- tional als Spur zwischen vielen Bildern nachzuverfolgen. Indexikalität als evidenter oder „authentischer“ Übersetzungsprozess – dieser Konnex gilt z.B. bei der Repräsentation wissenschaftlicher Daten. Im Folgenden soll mit der Referenz auf Verfahren der astrophysikalischen Bildgebung auf einen weiteren Allgemeinplatz eingegangen werden, der dem Digitalbild seine Existenz abspricht: das Verhältnis von Bild und Code. Bild und Code Neben der quantenmechanischen Chance auf die vielen digitalbildlichen Existenzweisen ist die algorithmische Prozessierung von Daten zu Bildern durch die Verfahren des Post/Produzierens und Um/Formatierens eine not- wendige Übersetzungsleistung, die einen „rohen“ Wirklichkeitsgehalt der sinnlichen Erscheinung des Bildes aber zusätzlich dementierend belastet. Till Heilmann führt pointiert aus: Bits als Bits, d.h. als Elemente formaler Materialität gehören nicht der Ordnung des sinnlich Wahrnehmbaren an und müssen nach ihren übersetzenden Umschaltungen erst für menschliche Augen und Ohren (oder andere Sinne) transformiert werden. Digital kodierte Information kann nie ‚an sich‘, ‚als solche‘ oder als ‚sie selbst‘ erscheinen, sondern immer nur in Übersetzung. (2010, 109) Post/Produzieren 131 Wie Birgit Schneider (2007, 10) es formuliert, „zwingt [der Bildcode] zur Beantwortung der Frage, wie der Zwischenraum zwischen dem Sicht- baren und dem Unsichtbaren im Fall von Bild und Codierung theoretisch gefasst werden kann“. Ich möchte diese Problematik in Zusammenhang stellen mit wissenschaftlichen Datenerhebungen und der verbundenen Repräsentationsschwierigkeit sogenannter „Rohdaten“. Im Anschluss soll die Kategorie des „Formats“ helfen, das Verhältnis von „rohen“ Daten als vermeintliche (wahrheitsversprechende) Kleinst- oder Letztinstanz eines „digitalen Chronotops“ und den Potenzialen digitalbildlicher Hochauflösung näher zu spezifizieren. „Raw data is both an oxymoron and a bad idea; to the contrary, data should be cooked with care“, findet Geoffrey Bowker (2005, 184) und plädiert mit seiner Aussage für die Rückführung abstrakter Daten auf ihre materiellen bzw. medialen Bedingungen. Bowker fordert einen onto-epistemologischen Turn im kennengelernten Sinne: Wissenschaftliche Erkenntnisbildung basiere weder auf immaterieller Abstraktion durch menschliches Denken noch auf neutralen Techniken, sondern, so macht es der wissenschaftshis- torische Diskurs deutlich, steht vor ähnlichen wirklichkeitsbezeugenden Problemen wie die Digitalbildlichkeit: Daten müssen post/produziert und um/formatiert – „gekocht“ – werden und das „Kochrezept“ ist weder ein naturalistisch vorgegebenes noch eine „reine“ Kreativ- oder Reflexionsleis- tung seiner Anwender/innen. Daten, darauf beharren Lisa Gitelman und Victoria Jackson (2013, 3) in der Einleitung ihres Sammelbands, der acht Jahre nach Bowkers Postulat tief im Big-Data-Zeitalter steckt, existieren nicht selbstevident, sind nicht natürlich gegeben oder präfaktisch, sondern vielmehr „‚collected‘, ‚entered‘, ‚compiled‘, ‚stored‘, ‚processed‘, ‚mined‘, and ‚interpreted‘“. Aus einer Science-and-Technologies-Studies-Perspektive argumentieren die Autorinnen für eine konstruktivistische wie diskur- sive Gemachtheit und kulturelle Prägung bei der Herstellung von Daten und wenden sich gegen die Vorstellung, wissenschaftliches Wissen wäre „unschuldig“, „neutral“ und „einfach so“ in der Natur aufzufinden (ebd., 4). Es verwundert nicht, dass, aufgrund der Ähnlichkeit der prozessierten Bedingtheit von wissenschaftlichen und digitalen Daten, die Dis- kussionen um das „Rohmaterial“ naturwissenschaftlicher Messungen oder ethnologischer Feldforschungen, die sich immer wieder auf die von Claude Lévi-Strauss (1997) geprägte Terminologie des Rohen, Gekochten und Verrotteten berufen (Boellstorff 2014) mit der post/digitalen Medien- immanenz eine Zuspitzung erfahren. Die Forderung, Daten zu formatieren und zu interpretieren steht nun unter den Vorzeichen der überbordenden Datendichte einer Too Much World: „[N]ow that every click, every move has 132 High Definition the potential to count for something, for someone somewhere somehow“ (Gitelman und Jackson 2013, 2), wird Datenerhebung zum universalen Modus, wie er im vorherigen Kapitel mit der granularen Gesellschaft oder der flüchtigen Moderne schon angesprochen wurde. David Joselit beschreibt aus einer kunstwissenschaftlichen Perspektive ein ähnliches Szenario, und zwar im Rückgriff auf die, auch im Erkenntnisinteresse dieser Forschung stehenden, Kategorie des „Formats“: [D]ata exists in unwieldy and ever-increasing quantities – it is harvested with every credit-card transaction, click of a cursor, and phone call we make. This reservoir of tiny, inconsequential facts, which is sublime in its ungraspable enormity, is meaningless in its dis- organized state. Since such data is both superabundant and ostensibly trivial, what gives it value are the kinds of formats it can assume, which may be as wide-ranging as marketing profiles and intelligence on terrorism. (2011, 82) Das „Capturing“ der immensen Datenmengen, so lässt sich mit Philip Agre (1994, 105) an Joselit anschließen, hängt inkommensurabel von der Informierung, der In-Form-Bringung, der Formatierung der registrierten Daten ab. Im Gegensatz zu einem (post/)fotografischen Wirklichkeitsverständnis wird für eine kritische Wissenschaftsforschung wie Gitelman, Bowker und natürlich auch Bruno Latour und die ANT sie vertreten, ein Realitäts- gehalt durch die materiell begründeten Übersetzungsketten bzw. Um/ Formatierungen und Post/Produktionen einer Datenbasis überhaupt erst spruchreif. Einer anhaltenden Grunddebatte (Lynch und Woolgar 1990; Daston und Galison 2009) geht es um die Negation einer ver- meintlich objektiven Repräsentation von Wissen, um eine situative und kulturgebundene Rahmung von Forschungsergebnissen sowie um die Materialisierung des wissenschaftlichen Denkens. V.a. der letzte Punkt korreliert mit den Argumenten der Theoriebildung um das Post/Digitale, die sich um die „Re-Materialisierung“ (von Digitalität, oft auch gleichgesetzt mit dem Denken) bemühen. Was in einer Befragung des ontologischen Status’ der Materialien der Wissenschaft und des Denkens weiterhin fest- gestellt wird, ist eine Verschiebung von Wirklichkeit hin zu ihrer Media- lisierung im Sinne einer Medien/Immanenz, die nichts außerhalb von Medien, bzw. wie im Folgenden anhand von Astronomiefotografien aus- geführt, nichts außerhalb von HD-Bildern denkbar werden lässt. Post/Produzieren 133 Die M51-Galaxie-Fotografien des Hubble Space Telescopes Vermeintlich rohe Daten über Himmelskörper werden seit dem 24. April 1990 zu einem Großteil in HD ausgegeben. Denn seit diesem Zeitpunkt sendet ein Flagship früher Digitalbildtechnik Informationen aus dem All im hochaufgelösten Bildformat: das Hubble Space Telescope.26 Als eine der ersten Techniken, die auf einen CCD-Chip setzten, warb Hubble für den Anreiz der neuen Bildtechnik (Hagen 2004; Schröter 2004, 343–345) und das mit Erfolg: Hubble gilt, folgt man den Pressetexten der NASA aber auch den h- und m-Indizes aufgrund seiner Bildproduktion als eines der lohnenswertesten wissenschaftlichen Instrumente aller Zeiten (NASA Goddard Space Flight Center and Space Telescope Science Institute 2015). Zahlreiche Publikationen beruhen auf den Digitalbildern, die im Welt- raum von Hubbels unterschiedlichen Kameratechniken aufgenommen werden. Was die Besonderheit der Astronomiebilder in Hinblick auf die Verschränkung von Bildauflösung und Empirie dokumentiert – nämlich die Frage, wie die „Chance auf eine Wirklichkeit“ der Himmelskörper außerhalb dieser HD-Bilder aussehen könnte („Resolution determines visibility“) – soll im Folgenden bei der Erforschung der post/produzierenden Beziehung von Daten/Information, Digitalbild und Wirklichkeit als Negativfolie fungieren. Die M51-Galaxie, deren Fotografie nun genauer untersucht werden soll, ist 23.160.000 Lichtjahre von der Erde entfernt. Sie dokumentiert ihre Existenz ausschließlich über die eintreffenden Photonen auf der menschlichen Retina (über zwischengeschaltete Teleskope) oder auf den CCD-Sensoren. Die Teleskoplinse wird so, wie die Kunsthistorikerin Elizabeth Kessler (2012, 70) schreibt, zu einem Device, das mit den Photonen nicht mehr nur Bilder auf-, sondern eine Kartografierung der Energien im Kosmos vornimmt. Alles, was über diese kosmologischen Objekte aus astronomischer Sicht gesagt werden kann, gründet in einer visuellen, weil optisch-fotogra- fischen Speicherung und Auswertung der Photonenregistrierung. Je mehr Daten über ein stellares Objekt als Lichtwerte eintreffen, desto mehr Pixel existieren von ihm, desto höher ist seine Auflösung. Hohe Auflösung führt zu detailreichen und informationsdichten Bildern, über die die astrono- mischen Körper in ihrer Struktur und Beschaffenheit gut zu erkennen sind. So herrscht ein Zusammenhang von codierter Information und phänomenologischer Abbildung, und zwar über HD. 26 Die immense Auflösungsverbesserung basiert nicht allein auf der digitalen Bild- technik, sondern hängt auch an der Positionierung des Space Telescopes außerhalb der Erdatmosphäre, die zu Bilddiffraktionen führt und natürlich auch Sichtver- sperrungen durch den bedeckten Himmel mit sich bringt, wenn von der Erde aus „fotografiert“ wird. 134 High Definition Wie sieht nun ein solches Bild aus (siehe Abb. 2.4.)? Auf hubblesite.org und auf www.spacetelescope.org (dem Internetauftritt des Hubble European Space Agency Information Center) erscheint die Digitalfotografie aus dem All in verschiedenen Auflösungen, als eine Zoomansicht und in Lehrvideos, die sich mit der Struktur der Galaxie beschäftigen. In allen Ausprägungen wird dieselbe HD-Ansicht (auf die hohe Auflösung wird permanent ver- wiesen) der M51 verwendet, die zwei nach links gedrehte Spiralarme zeigt, die in einem hellgelb-erleuchteten Zentrum enden. Die Arme der Galaxie haben eine ausgefranste Beschaffenheit, die gut als feingliedrige Zusammensetzung von größeren und kleineren roten Lichtkörpern und dunkelroten Nebeln erkennbar ist und sich von einem bläulich- schimmernden, manchmal beinahe opak-wirkenden, ockerfarbenen Schleier absetzt. Die Galaxie liegt vor einem schwarzen Hintergrund, der dezent von blass leuchtenden Sternen überzogen ist. Das Bild ist nach links hin angeschnitten, sodass der in diese Richtung expandierende Spiralarm über den Bildrand hinausreicht. Der andere Arm der Galaxie endet oben rechts im Bild in einer „Companion Galaxy“, wie es auf spacetelescope.org heißt (ESA 2005), welche von Blutrot in einen orange-rötlichen Rauch diffundiert. Das HD-Bild der M51-Galaxie ist ein Too Much Image, das gleichzeitig expressiv und immersiv „zuviel“ Informationen über den Himmelskörper in verschiedenen bildlichen Existenzweisen und in einem Bildkader über die skalare In/Varianz durch Zoomings ausdifferenziert. Das Bild setzt sich hypervisuell aus transparenten und opaken Dichten und Farbigkeiten, fili- granen Objekten und übergeordneten Strukturen zusammen. Es teilt sich als geschlossene, expressive Oberfläche mit und lädt gleichzeitig dazu ein, sich in dieselbe zu vertiefen und das Bild in Ausschnitten und seinen klein- gliedrigen Elementen in den Blick zu bekommen. Solche Too Much Images – und aus rezeptionsästhetischer Perspektive steht Hansens Gaza-Burial- der M51-Galaxie-Fotografie in nichts nach – lassen das ontologische Prekariat („Das digitale Bild gibt es nicht“) der Digitalbilder und den Zweifel am indexikalischen Bezug derselben zur Wirk- lichkeit ein weiteres Mal laut werden. Die fotogene M51-Galaxie-HD-Ansicht wird zwar nicht als manipulierte Fälschung auf alteredimagesbdc.org geführt, dafür aber als „pretty picture“ (Kessler 2012, 72; Adelmann 2015) von der Wissenschaftscommunity abgetan und ihr ein verfälschender Charakter zum Vorwurf gemacht, der sich auf die hyperästhetische Differenz bezieht, die zwischen der beschriebenen Ansicht und den weniger prozessierten Dateien liegt, die Hubble aus dem All sendet. Post/Produzieren 135 Astronomisches Image Processing Wie eine schnelle Recherche unverschleiert und wenig überraschend offenlegt, ist das hypervisuelle HD-Bild Produkt exzessiver Post/Produktion – daraus machen auch die NASA und die ESA keinen Hehl. Der Bild- werdungsprozess der M51-Galaxie-Fotografie beginnt bei den WFC-27 und den ACS-Kamerasystemen28 über die Hubble 2005 einen ganzen Schwung an unscheinbaren, verpixelten Schwarzweißfotografien aufnimmt (siehe Abb. 2.5.). Diese digitalbildlichen Existenzweisen werden nach Baltimore, Maryland ans Goddard Space Flight Center gesendet und dort in das uni- versal eingesetzte Bildbearbeitungsprogramm geladen, das auch Hansen genauso wie die Pixelforensiker/innen nutzen: Adobe Photoshop (NASA o.J. b). Die Standardsoftware zur digitalen Bildbearbeitung, die fast zeit- gleich mit Hubble, im Februar 1990 (Schewe 2000), auf den Markt kommt, verdankt ihre Erfolgsgeschichte, folgt man Kessler (2012, 143), zu einem nicht unwesentlichen Teil der Verwendung durch die Astrophysik. Das Bild- bearbeitungsprogramm könne als unmittelbarer Nachkomme der frühen Softwares gelten, die eingesetzt wurden, um astronomische Daten zu analysieren. In Photoshop werden die Schwarzweißfotografien zusammen- gesetzt, überblendet, verschiedene Ausbelichtungen werden ineinander montiert und über Kontrastregler findet eine Hervorhebung der für das astronomische Erkenntnisinteresse wichtigen Strukturen im Bild statt (ebd., 127–174). Weiterhin wird das schwarzweiße Bildmaterial mit einer Farb- gebung versehen, es wird über RGB-Layer eingefärbt. Wieder einmal, so zeigt es das Image Processing der M51-Galaxie-Ansicht, handelt es sich um eine Pixel-Collage und viele digitalbildliche Existenzweisen, welche Vor- würfe der Bildmanipulation provozieren, sobald sie als „ein“ aufdringliches Endprodukt, als Too Much Image dieser Bildbearbeitungskette erscheinen. Die M51-Galaxie-Bilder fügen sich in die benannte wissenschaftsgeschicht- liche Debatte ein (Lynch und Woolgar 1990), bei der die vermeintlich objektive Repräsentation von Sachverhalten durch Sprache und Daten im Gegensatz zu den respektive „sinnlicheren“ und daher unwissen- schaftlicheren Bildern diskutiert wird (Daston und Galison 2009). Die Basis des Diskurses ist ein weiteres Übersetzungsproblem, das mit Latours Ausführungen zu den „Übersetzungsketten“ auch explizit als solches benannt wird. Wie Latour in seinem Text Drawing Things Together (2006a) mit Hilfe des Begriffs der „immutable mobiles“ argumentiert, liegt der Wahrheitsgehalt einer Sache in mobilen, unveränderlichen, vorzeigbaren, 27 Die WFC-Kamera ist auf Weitwinkelaufnahmen spezialisiert. 28 Mit der ACS-Kamera können infrarote Lichtwerte gemessen werden. 136 High Definition kombinierten und optisch konsistenten Repräsentationen, die Wissen von einer Entität zum Papier und zurück transportierbar machen. So wird sinn- liche Evidenz von z.B. sperrigen Versuchsanordnungen wie „Ratten und Chemikalien in Papier“ (ebd., 262) und Galaxienebel in Pixel verwandelt. Mit diesen Übersetzungsketten gelangen komplexe, inkommensurable, für menschliche Sinne per se unwahrnehmbare Phänomene in der Wissen- schaft als Bilder, Diagramme, Visualisierungen und als Sprache zu ihrer Sinnlichkeit. Das Endprodukt einer wissenschaftlichen Reflexion – der Text, die Zahl, das Bild – darf nun aber nicht, so geben es die kritischen Stimmen vor, als „die Wirklichkeit“, sondern als hergestellte Abstraktion von einer konkreten Sache eingeschätzt werden. Eine materialistisch orientierte Wissenschaftstheorie fordert sozusagen einen Breakdown der vermeintlichen „Special Effects“, wie er oben im Kontext der Foto- manipulationen aufgezeigt wurde: Die Übersetzungsketten sollen nachver- folgt bzw. unter kritischer Reflexion von der Sache bis zur Repräsentation verknüpft und als Prozess wahrgenommen werden. Gerade in der Referenzbeziehung zwischen den verschiedenen Stadien der Übersetzung lässt sich dann im besten Fall Indexikalität begründen (Latour 2002, 36–95). Die Diskussion der Wissenschaftstheorie zum Verhältnis von Sinnlich-Wahr- nehmbarem und Unsinnlich-Abstraktem möchte ich explizit als digitalbild- liche Problemstellung ausflaggen und über die astronomischen HD-Bilder befragen, die wissenschafts- und medientheoretische Kontexte vereinen. So gesehen kann das Verhältnis von Daten und Bildlichkeit im Digitalen dann immer auch unter onto-epistemologische Vorzeichen gestellt werden, wie schon in Abschnitt 1.1. in Hinblick auf ein Konzept der Menschen im Anthropozän und in Abschnitt 1.2. mit Barad und der Frage nach wissen- schaftlicher Objektivität anklang. V.a. aber lässt sich mit der Perspektive der materiellen Wissenschaftstheorie und der ANT auf die Fokussierung eines Erkenntnisprozesses und nicht des fertigen Wissensprodukts eine Notwendigkeit des Image Processings, des Post/Produzierens, Um/ Formatierens, Interpolierens und Zoomens betonen. Auch das Bild ist ein Prozess und v.a. das interpretationsbedürftige Digitalbild mit seinen spe- zifischen auf Zirkulation und Distribution basierenden Übersetzungsketten. (FITS-)Format Mit dem Konzept des „Formats“ soll nun ein solcher, in der Wissenschafts- theorie begründeter Übersetzungsprozess für Digitalbildlichkeit nachvoll- zogen werden und dabei helfen, über die entgegengebrachten indexika- lischen Verunsicherungen hinauszukommen. Wie Schneider (2007, 305, Post/Produzieren 137 Hervorhebung im Original) unterstreicht, existieren Digitalbilder aufgrund ihrer Dateiformate: „In der Praxis wird von Bilddateien, JPGs, und TIFFs gesprochen, man fragt ‚Kann ich das Bild als GIF bekommen?‘ oder sagt ‚das Bild liegt als Datei vor‘“. Diese sprachlichen Konventionen, „die Bilder als etwas anzusprechen“, würden auf ihre Dynamik und Modulationsfähigkeit verweisen: „Sie erscheinen ein ums andere Mal als etwas anderes“ (ebd.). In Abgrenzung und im Vergleich zur Musik und ihrem interpretations- bedürftigen Notationssystem führt Schneider weiter aus, dass gerade das Bild aus seiner Tradition heraus als in sich geschlossenes, originäres Objekt verstanden werden will. Die Einheit des Bildes im Code zu vermuten, sei allerdings, so ist Schneider zu folgen, genauso unsinnig wie „die Musik in den Noten zu suchen“ (ebd.) und die sinnliche Einheit der M51-Galaxie in den Daten, so ließe sich hinzufügen. Über Formate wie RAW und das nun auszuführende in der Astronomie gängige FITS-Format, in dem Photonen- werte der M51-Galaxie gesammelt zur Erde geschickt wurden, lässt sich die Notwendigkeit zur Überholung dieses Verständnisses und die Abhängigkeit digitaler Bilder von ihren Weiter-/Be-/Verarbeitungen erneut ermessen. Das FITS-Format, eine „Informationsverpackung“, die die Anpassungsfähig- keit schon im Namen trägt, geht dabei soweit, die empirische Messung des astronomischen Objekts in verschiedensten digitalen Existenzweisen ausgebbar zu machen. FITS ist als Daten, Listen, Tabellen, dreidimensionale Datenwürfel, mehrdimensionale Spektren und letztlich auch als hoch- aufgelöstes Too Much Image von Softwares interpretierbar. Als Bild kann FITS wiederum in unterschiedlichen Auflösungen oder Ausbelichtungen, z.B. als UV-Licht- oder Infrarot-Licht-Messung vorliegen. Das FITS-Format ist formatierte skalare In/Varianz. Um nun „die“ M51-Galaxie aus ihm herauszulösen, müssen die im Format hinterlegten Informationen post/ produziert in verschiedene Mikroansichten je nach Erkenntnisinteresse ausdifferenziert werden. D.h. dem ontologisch-prekären Status des Betrachtungsobjekts wird mit einer Flexibilität des Bildes durch die hohe Auflösung begegnet, nebenbei eine durch HD ermöglichte Neuheit in der Geschichte astronomischer Bildgebung, die als Prototyp für komplizierte Abbildungsprozesse i.d.R. eher auf zu wenig als auf zu viel Informationen über ihr Erkenntnisobjekt angewiesen ist (Kessler 2007, 489). Hubble nimmt also erstmalig zu viel Bildinformationen über einen astronomischen Körper aus dem All auf – zumindest im Abgleich mit der Integrität eines Bildes. Im Hinblick auf das behandelte Too Much Image kann daher die Unsicherheit gegenüber der hypervisuellen Anmutung – ähnlich wie bei Hansens Gaza-Burial-Fotografie – noch einmal wiederholt werden. Das gemessene Auflösungsvermögen des astronomischen Körpers überbordet 138 High Definition die Kapazitäten des Darstellungskontexts, d.h. des Auflösungsvermögens des Bildes oder des ausgebenden Bildschirms und erzeugt, trotz der vor- liegenden Informationen einen den Wirklichkeitsstatus der Abbildung hinterfragenden Backlash. Der Rahmen des Bildes wird zwar über Zooms und Detailansichten erweitert. Jedoch ermisst sich der Wert der hohen Auf- lösung durch sein Format: FITS untergräbt mit seinem Um/Formatierungs- angebot von vornherein die Fixierung einer geschlossenen Datenmenge über ein astronomisches Phänomen und weist mit der inhärenten Möglich- keit der Modulierbarkeit der Informationsmenge auf die Komplexität des abgelichteten Objekts hin. Formate, so kann aus der Bildgebung der M51-Galaxie abgeleitet werden, materialisieren den wissenschaftlichen wie digitalen Bildwerdungs- prozess. Sie stehen transversal zur Hardware (der Kamera, dem Sensor, der Speicherkarte), der Software (Photoshop und den Datenspeicherungs- vorgängen, der Übertragung, aber auch den Tools der Bildforensik), dem Code und zu den Bildern als ästhetischer „Output“. Sie vermitteln zwischen der Abstraktion des Codes, dessen medientechnischer Interpretation durch die Software, den sich daraus ergebenden Praktiken des Post/ Produzierens und der hypervisuellen Sinnlichkeit. Die Rolle des Formats ist daher nicht, so könnte es der Bezug zur Notation in der Musik vermeintlich suggerieren, auf eine syntagmatisch/systematisch-Unterscheidung à la Barthes (1981, 49–74) zu bringen29, denn über das Format ist das eine nicht durch das andere zu ersetzen. Die Differenz zwischen einem unkon- notierten und einem konnotierten Bereich siedelt das digitale Bildformat als Materialisierung dieser Unterscheidung genau dazwischen, in der Ver- handlung zwischen dem Unbestimmten und dem Sinnlichen, an. Das exemplifiziert Michael Niehaus (2017, 30), wenn er das Format als „die differenzierende Grenze“ schlechthin identifiziert: „Das Format ist die Unterscheidung zwischen einem marked space und einem unmarked space“. Niehaus bringt Formate in den Zusammenhang mit der system- theoretischen Medien/Form-Differenz nach Niklas Luhmann, die anhand des Auflösungsvermögens von Medien und ihrer Fähigkeit zur Gestalts- rigidität festgemacht werden kann: Medien unterscheiden sich von anderen Materialitäten dadurch, daß sie ein sehr hohes Maß an Auflösung gewährleisten. Der ursprüngliche Begriff der Materie – im Unterschied zu Form – hatte genau diesen 29 Manovich (2002, 199) denkt die Barthesche Unterscheidung mit dem Begriff der „Database“ weiter. Formate sollen nun aber gerade nicht als unentschiedene Daten- banken gelten, sondern sind gleichzeitig ausdifferenziert wie konkret, mit Deleuze lässt sich sagen: virtuell wie aktuell (vgl. 4.1. und 4.2.). Post/Produzieren 139 Sinn: das von sich aus Unbestimmte und daher für Form Empfängliche, auf Form Angewiesene zu bezeichnen. (Luhmann 2011, 198) Nach dieser Unterscheidung sind Medien von ihren Formen abhängig und nur durch sie erkennbar. Das Verhältnis von Medium und Form definiert sich über lose und rigide Kopplungen, die anzeigen, wie stark sich eine Form in ein bestimmtes Medium eingeschrieben hat. Wie Niehaus (2017, 43) darlegt, kann das Format weder als das Medium noch als die Form iden- tifiziert werden. Es bereitet vielmehr die losen/rigiden Kopplungen vor und entscheidet, welche Formen mit welchen Medien auf welche Art und Weise zusammengeraten, welche Formelemente sich ins Medium einschreiben: „Das Format steht in dieser Hinsicht an der ‚Schnittstelle‘ zwischen Medium und Form, indem es für bestimmte Medien die Frage beantwortet, was überhaupt ein ‚Element‘ sein soll“ (ebd.). Dabei kommt dem Format eine wichtige Rolle zu, denn [e]s macht dann das Medium zum Medium, indem es die Elemente so anordnet, dass es ‚aufnahmefähig‘ wird ... . Die Elemente werden so formatiert, dass sich die Art ihrer Kopplung als lose für andere Formen erweist. Das Format präpariert ein Medium, macht es kompatibel. (Ebd.) Im kennengelernten Kontext einer post/digitalen Medien/Immanenz findet ein solches Kompatibel-Machen der Medien durch Formate nun über post/produzierende und um/formatierende Verfahren statt. Mit ihnen geht es weniger um die Differenz zwischen einer konkreten Form und einem unbestimmten Medium, sondern um das Differenzieren, den Prozess und die ständige Aushandlung zwischen rigiden und losen Kopplungen, die eine transformationsontologische Medialität wie digitale Bildlichkeit aus- zeichnen. Mit Joachim Paech, der anhand von Paradoxien der Auflösung und Intermedialität (1997) zwar nicht vom Format, sondern von der „Form“ spricht, kann diese Differenzierung über intermediale Bezüge dennoch offengelegt und nochmal auf das Konzept der Auflösung gebracht werden. Paech geht es um die Formwerdung des Prozesses, während dem sich ein Medium in ein anderes verwandelt. Gerade diese Auflösung macht nun das Paradox des Differenzierungsmechanismus deutlich, denn es ent- steht eine Beobachtungssituation des eigentlich Unbeobachtbaren (ein Verhältnis des Un/Sinnlichen): „Indem sie [die Differenzierung] sichtbar wird, entzieht sie sich der Beobachtung“. Sie gelingt, „wenn die Auflösung als Form der Differenz die Unterscheidung von Medium und Form ver- zeitlicht, indem sie das Verschwinden aufschiebt und sich als Spur dem Medium als Form einschreibt“ (ebd., 338). Paech konzentriert sich in seiner 140 High Definition Analyse zwar auf filmische Figurationen und ästhetische Niederschläge der Malerei im Film. Diese können aber mit den an der Schnittstelle von Ästhetik/Technik stehenden Formaten zusammengebracht werden, denn ihr „formatives Potenzial“ ist über Rahmen, Raster, Netze und Gitter nachvollziehbar. Diese operativen Ästhetiken gestehen dem „Paradox der Auflösung“ die gewünschte sinnliche Verfasstheit zu, sie machen den Veränderungsprozess der Figuren und den Übergang von Film und Malerei – ihre Auflösung – messbar. Die ästhetischen Befunde der Registrierung eines Prozesses, die Paech zusammenträgt, gelten, wie das Format, als „Figurationen der ‚kalkulierbaren‘ Unterscheidung zwischen Medium und Form“ (ebd., 361). Die Auseinandersetzung mit der Kategorie des „Formats“ dokumentiert daher eine Abwendung von den (figuralen) Repräsentationen und eine Forderung nach der Sichtbarmachung der Prozesse, die zu oder weg von diesen Repräsentationen führen. Joselit (2011, 82) spricht sich, so kann dieser Aspekt noch einmal zusammengefasst werden, mit der Kategorie des „Formats“ und v.a. der Praxis des Um/Formatierens dezidiert gegen sinnstiftende wie materielle Einheiten von, in seinem Fall, künstlerischen Werken aus, die er nun mit dem Begriff des „Mediums“ überschreibt. Um/ Formatieren ist zu verstehen als ‚epistemology of search’ where knowledge is produced by discovering and/or constructing meaningful patterns – formats – from vast reserves of raw data ... . Under these conditions, any quantum of data might lend itself to several, possibly contradictory, formats. (Ebd.) Wie finalisierend in diesem Kapitel an eine „Epistemologie des Suchens“ nach Joselit, an die wissenschaftliche Bildbearbeitung in der Astronomie und die bildforensische Praxis, mit der der Gaza-Burial-Fotografie begegnet wurde, angeschlossen werden soll, gibt es auch beim digitalen Bild und seinen Formaten Indexe, Spuren und Referenzen. Diese werden sichtbar, wenn man der skizzierten Tendenz folgt und nicht das Bild, sondern den Bildprozess adressiert, wie mit dem Begriff des „Formats“ deutlich werden sollte. Indexikalität, so soll die These noch einmal wiederholt werden, wird über post/produzierende Praktiken zwischen verschiedenen Stadien digitaler Materialität, den Existenzweisen des Digitalbildes, hergestellt. Das zeigt nicht zuletzt eine kritische Relektüre der semiotischen Ausführungen Peirces, wie sie Martin Doll unter Vorzeichen des Digitalen anbietet. Post/Produzieren 141 Digitale Indexikalität Das Indexikalische bei Peirce basiert, so kann mit Doll (2012) ausgeführt werden, immer schon auf einer bildgebenden „Weiterverarbeitung“. Als Zeichen steht es nicht für sich selbst und auch, wenn er „unabhängig von seiner Interpretation bzw. unabhängig von Zeichenkonventionen“ (ebd., 68) zustande kommen kann, ist der Index „merkwürdig leer“ (ebd., 74) und entwickelt seine sinnstiftende Kompetenz erst vor einem „bestehenden Wissenshintergrund“ (ebd., 69). Diese Interpretationsbedürftigkeit steht in direkter Abhängigkeit mit seiner Bildwerdung, denn der Index beruht erstens auf der Überzeugung, dass es das Objekt, auf das er verweist, tatsächlich gibt: „Die Zeichenfunktion des Indexikalischen kann sich somit nur entfalten, wenn angenommen wird, dass das Objekt des Index existiert“ (ebd., 70, Hervorhebung im Original). Der Verweiszusammenhang kann zweitens nur eintreten, so führt Doll weiter aus, wenn die Indexikalität auf Identifikation oder Ähnlichkeit beruht, denn die Referenz ist ein Zeigen im Erkennen: „[E]in in einer Fotografie oder in einem Film gezeigtes Objekt [kann man] nur wiedererkennen – also erkennen, weil man es schon kennt“ (ebd., 73, Hervorhebung im Original). Der Erkenntnisprozess beläuft sich nach der Leitformel dieses Buches aufs Image Processing, auf die Bild- werdung, die den entscheidenden Hinweis in einem auf Wiedererkennung basierenden Referenzzusammenhang bietet: „[Die] Verbindung dieser Daten, ihre Synthese gehören indes zum Ikonischen des Bildes“ (ebd., 72). Die Fotografie als indexikalisches Zeichen par excellence ist daher „eine Kombination aus dem Indexikalischen und dem Ikonischen“ (ebd.), basierend auf aus der Interpretationsnotwendigkeit heraus resultierenden Übersetzungsketten. Doll zieht daraus den Schluss, dass gerade digitale Signale als reine Indizes charakterisiert werden können (ebd., 84–85). Auch Tom Gunning (2004, 40) sieht keine Problematik in der Verbindung von numerischen Werten und Index, denn Messinstrumente gelten für ihn als genuin indexikalische Medien. Und so kann in Hinblick auf die im Zen- trum stehenden Formate gesagt werden, dass auch sie – das RAW/- oder FITS-Format – für das Potenzial des Index im Prozess der Bildwerdung einstehen. Forschungs- und Erkenntnisprozesse als Image Processing Post/Produktion als Interpretationsnotwendigkeit, Epistemologie des Suchens oder Forschens als unbedingtes Ausdifferenzieren verschiedener bildlicher Existenzweisen – bindet man dieses Auslegungsspektrum, auf das die Bildbearbeitung und Formatierung gebracht werden kann, an die 142 High Definition zu Beginn des Kapitels aufgerufenen Ansprüche Kracauers im fotografisch- filmischen Umgang mit Wirklichkeit zurück, lässt sich dreierlei feststellen: Erstens ist die Praxis des Post/Produzierens nicht dem „forschenden“, „befragenden“ Umgang mit einer überbordenden Wirklichkeit, oder wie ich sage, einer Too Much World abtrünnig, solange zweitens nicht versucht wird, sie über kunsthafte und kunstfertige Techniken resolut in „einem“ integren Bild, einem Werk mit Originalitätsanspruch zu fixieren. Über den Zusammenhang von Format und Post/Produzieren sollte festgestellt werden, wie eine Too Much World als Too Much Image, als „Registratur“ an scheinbar unerschöpflichen Informationswerten, offen und flexibel bleibt. Die hohen Pixelwerte werden als Informationsüberschuss nur problematisch, wenn das ästhetische „Zuviel“ in Korrelation steht mit dem Versuch, eine eindeutige Sinnzuweisung bindend zu fixieren. Die Gefahr, die drittens durch den beschriebenen Übersetzungsweg von unsinnlichen Daten zu sinnlichen Bildern bei einer digitalen Fotografie entsteht, ist, dass dieser Vorgang, v.a. im Vergleich zu einer analogen Bilderstellung, nicht als „einfach“, sondern als jene negative Komplexität verstanden werden kann, die Balke bei Kracauer in den Special Effects, dem Story Telling oder in einer kunstfertigen Kameraführung erkennt. Ich möchte nicht behaupten, dass z.B. Hansens Bildpraxis oder die M51-Galaxie-Fotografie nicht genau unter den Vorwurf dieser kunstfertigen und effekthascherischen Ein- griffe fällt. Gerade aber der Zweifel an der „Echtheit“ der Darstellung der Bilder verweist viel grundsätzlicher auf die Befragung eines Anspruchs nach originärer Repräsentation und authentischer Wirklichkeitswieder- gabe durch Digitalbildlichkeit und wird durch die Skepsis hervorrufende Ästhetik gebrochen. Ich möchte daher einen besonderen „Existenz- weisen-Status“ des Too Much Image identifizieren. Das hyperästhetische Digitalbild scheint sich einer essenzialistischen Interpretation hingeben zu wollen. Die zu vielen Daten im HD-Bild drängen auf eine integre Existenz und provozieren nun aber genau das Gegenteil: die Ausdifferenzierung und Fragmentierung der dichten Oberfläche in verschiedene Existenz- weisen, basierend auf den RAW-Informationswerten. Bleibt eine medien- wissenschaftliche Untersuchung der post/produzierenden Praktiken bei den „Standardvorwürfen“ der wirklichkeitsverschleiernden Retusche, der grellen Farben, der kaschierenden Weichzeichner stehen und nimmt somit die Too Much Images nur als Trugbilder wahr, würde das dem prozess- und transformationsontologischen Wert der Existenzweisen des Digitalbildes, Post/Produzieren 143 die ich versucht habe als Potenziale der Hochauflösung zu skizzieren, aber nicht gerecht werden.30 Das zeigen noch einmal exemplarisch die astronomischen Digital- bilder, denn bei ihnen ergibt sich eine Besonderheit: Die Übersetzungs- problematik basiert auf einer noch weiteren ontologischen Prekarisierung, denn bei den Phänomenen steht nicht nur die Frage von Bild und Datum, sondern die nach dem Verhältnis zur abgebildeten Wirklichkeit auf dem Spiel. Es gibt keine Ähnlichkeitsbeziehungen oder Momente des Wieder- erkennens außerhalb der Bilder, die überprüfend den Verweiszusammen- hang stabilisieren. Die M51-Galaxie ist Teil einer Wirklichkeit, die nicht auf die Reiseempfehlung von Deleuze gebracht werden kann, da sie jenseits filmischer Verifizierungen existiert. Diese Wirklichkeit wird nur sichtbar über die hochaufgelösten Digitalansichten. Die Astronomie steht in Bezug zu ihren bildlichen Repräsentationen vor einer besonderen Heraus- forderung: Die Übersetzungsketten sind das Konkreteste und nicht das Abstrakteste, was die Wissenschaft zu greifen bekommt. Am Ende derselben steht kein sinnlicher Gegenstand. Natürlich können Kamera- systeme, Übertragungsnetze und auch die Anwendungen von Photoshop als Materialisierungen des Forschungsprozesses untersucht werden, was mit meiner Perspektive auf das Post/Produzieren auch deutlich werden sollte. Dennoch existiert die M51 nur durch diese Medientechniken und somit stets unter erkenntnisgeleiteten, bildbearbeitenden Vorzeichen. Eine materialistischere Auseinandersetzung mit dem kosmischen Objekt, das, um die Zahl noch einmal zu wiederholen, unvorstellbare 23.160.000 Lichtjahre entfernt ist, ist nicht möglich. Das Bild der M51 wird zur onto- epistemologischen Existenzform des astronomischen Körpers. Nicht zufällig stehen sich daher bildgebende Techniken und Astronomie so nahe und bedingen eine gegenseitige Entwicklung. Im Kontext von HD und dem Hubble Space Telescope ist die hohe Auflösung das verbindende Moment: Sie ist für die Datengenerierung und wissenschaftliche Konstituierung einer Sache (M51), deren Abbildung und der dafür notwendigen Entwicklung der Digitalbildtechnik auch außerhalb der Astronomie ausschlaggebend. 30 Besser gerecht wird nämlich z.B. ein höherer Dynamikumfang an Lichtwerten der facettenreichen und mannigfaltigen Repräsentation von menschlichen Hauttönen, was lange in der Technikgeschichte ein „Problem“ darstellte, da die Standardein- stellungen weiße Haut als normativen Wert und jeden anderen Hautton als (negative) Abweichung festlegte (Roth 2009). Produktionsberichte zu dem Film Moonlight (Barry Jenkins, 2016), mit einem ausschließlich afroamerikanischen Cast, betonen daher die Möglichkeiten der Post/Produktion, gesättigte Bildkompositionen anfertigen zu können, die in ihrer hyperästhetischen Anmutung gerade der Hervorhebung der ver- schiedenen Hauttonfarben zu Nutze kam. 144 High Definition Mit einem „diskursiven ... Zirkel der Evident-Machung des Bildes“ (Scholz 2006, 161) werden Wirklichkeit und Bild im Kontext der Astronomie weder allein induktiv noch deduktiv aufeinander bezogen, sondern, so stellt es Sebastian Scholz mit Horst Bredekamp (2005) und seinem Konzept eines „Disjunktionsprinzip[s] technisch produzierter Bilder“ heraus, erst durch Medien bestimmt. Die „Natur“ oder „Objektivität“ eines Phänomens basiert auf den medialen Konstruktionsbedingungen und, so ließe sich negativ formulieren, auf einer hochgradigen „Künstlichkeit“. Die Kritik an einer falschen Farbgebung der post/produzierten M51-Galaxie-Foto- grafien, wie sie den „pretty pictures“ häufig entgegengebracht wird, scheint unter diesen Vorzeichen völlig kontingent (Adelmann 2015, 170). Was sich herauskristallisiert, ist, dass sich ein indexikalischer oder, im Sinne der Wissenschaftlichkeit, objektiver Bezug, nicht über die „authentische Repräsentation“ eines Phänomens klären lässt, sondern dass v.a. in den Anschuldigungen der Bildmanipulation und der Wirklichkeitsverschleierung vielmehr etwas über die objektive Wirkung innerhalb eines Diskursum- felds gesagt werden kann. So führen es Lorraine Daston und Peter Galison (2009) mit ihrer wissenschaftshistorischen Analyse zum jungen Begriff der „Objektivität“ aus. Evidenz stellt sich, den Autor/innen zu folge, nicht zwischen Bild und Wirklichkeit ein, sondern vielmehr über Sammlungen an Bildern – in Dastons und Galisons Fall: Bildatlanten – und den inter- bildlichen Referenzen, die zwischen den Serien entstehen. Diese würden wissenschaftliche Sichtbarkeit zuallererst kreieren und das, indem, im Sinne der Peirce-Lektüre nach Doll, Wiedererkennen über ein Sichtbarkeits- spektrum anerzogen wird (ebd.). In Bezug auf das digitale Bild kann das Bezugssystem nicht nur zwischen Bildern, sondern v.a. auch intrabildlich zwischen Bildschichten bzw. ver- schiedenen um/formatierten, post/produzierten Existenzweisen einer Aufnahme gefunden werden. In der Astrophysik wird die Bildbearbeitung zur indexikalischen und objektivitätsherstellenden Notwendigkeit, wenn Datendichte nach einer Selektionsleistung verlangt. Die Selektion wird bei der Pixel-Forensik wie bei der astronomischen Bildbearbeitung über Photoshop vorgenommen. Noch einmal kann so das geltende Argument bei der Auseinandersetzung mit Digitalbildlichkeit wiederholt und zusammen- gefasst werden: Nicht die Frage nach einer „klassisch“-ontologischen (im Sinne von Substanz und Essenz), sondern nach einer operativen Hand- habung und transformations-/prozessontologischen Dimension ist zu stellen, und diese wird über die technische Bearbeitbarkeit der Bilder ersichtlich. Da sich Digitalbilder durch eine Übersetzungsproblematik von Code und Bild auszeichnen, stellt sich eine ähnliche Bezugsschwierigkeit Post/Produzieren 145 ein wie bei abstrakten, kosmischen Objekten: Es gibt Indexe, Spuren und Referenzen und diese müssen mit einer prozessierenden Praxis ausfindig gemacht werden. Erkenntnis durch und über Digitalbildlichkeit zeigt ihren Status als Image Processing. Der Vergleich eines Forschungsprozesses mit Image Processing liegt nahe und lohnt sich, weil Bild/Wirklichkeits-Verhältnisse, wie sie z.B. durch die Indexikalität beschrieben werden, so nicht als in einer bildlichen Oberfläche statisch-fixiert und einmalig materialisiert wahrgenommen werden. Die Spur als Prozess, wie sie Latour mit den „Übersetzungsketten“ beschreibt, denkt Verweiszusammenhänge über kleine Verknüpfungen, kleine Differenzierungen, die die große Kluft von Gegenstand und Theorie durchlaufen. Ebenso wie bei den behandelten Formaten findet eine Ver- handlung zwischen Abstraktion und Sinnlichkeit statt und es kann von einem post/produzierten Werk zu einem Prozess des Post/Produzierens und Um/Formatierens gelangt werden, in dem sich die Stabilisierung einer Referenz erst unterwegs, inter- und intrabildlich, entscheidet. Post/Produzieren wird zu einem erkenntnisgebenden Vehikel, wenn Wirklichkeit nicht außerhalb des Digitalbildes und nur mit dem Bild und mit dessen Bearbeitung in allen Facetten zum Vorschein kommt. Was für die M51-Galaxie-Fotografie in ihrer Besonderheit gilt, möchte ich in einer Begegnung mit hochaufgelöster Digitalbildlichkeit unter Vorzeichen der post/digitalen Medien/Immanenz als Too Much World ausweiten. Das digitale (HD-)Bild gibt es also. Was auf dem Spiel steht, ist vielmehr der Überblick in einer hochkomplexen Wirklichkeit, die nicht über „eine“ Momentaufnahme und „eine“ in sich geschlossene Ansicht darstellbar ist. Wie der mit Gitelman und Jackson aufgerufene Datenbegriff heraus- stellt, sind granulare Gesellschaften und eine flüchtige Moderne unter Vorzeichen des Daten-Capturings auf eine mindestens genauso über- bordende Informationsbasis zu bringen wie die Photonenmessungen eines astronomischen Objekts. Das Verhältnis von Daten/Information, einer post/digitalen Medien/Immanenz und hochaufgelöstem Digitalbild kann daher in gewisser Weise so wahrgenommen werden wie die hoch- aufgelöste Abbildung eines kosmologischen Himmelskörpers. D.h. eine Komplexität und Informationsdichte der Wirklichkeit im Sinne Kracauers korreliert mit der Komplexität und Informationsdichte der Digitalbilder. Beiden muss mit einem epistemologischen Anspruch begegnet werden, dem Joselitschen „Suchen“, dem „Forschen“ nach Kracauer, einer wissen- schaftlichen Bildbearbeitung oder einem bildforensischen Interesse. In das hochaufgelöste Digitalbild lässt es sich vertiefen wie in die Kracauerische Wirklichkeit. Diese entzieht sich nämlich über ihre Komplexität genauso 146 High Definition wie die M51-Galaxie und vielleicht so mancher digitaler Kompressions- algorithmus. Die Astronomiebilder, die Hubble liefert, können daher exemplarisch für eine HD-Digitalbildlichkeit stehen, aus drei zusammen- fassenden Gründen: Sie basieren auf pixelstarken Datenregistrierungen einer Too Much World, zirkulieren über flexible und modulationsfähige Formate und verweisen über Too Much Images auf die epistemologische Notwendigkeit des Post/Produzierens. Post/Produzieren 147 Abbildung 2.3. (Quelle: Hansen, Paul. 2013. Gaza Burial über foto.forensic.com) 148 High Defi nition Abbildung 2.4. (Quelle: ESA. 2005. The Whirlpool Galaxy (M51) and Companion Galaxy) Abbildung 2.5. (Quelle: Screenshot der Hubble Legacy Archive Homepage. 2019) [ 3 ] Um/Formatieren Phantom Trades: Sea of People „[A] dot in the ocean“. Ein Wort nach dem anderen erscheint verzerrt auf einem mittelgrauen, monochromen Bildgrund. Die Bild-Wort-Reihung setzt sich stockend fort: i live with somebody whose country no longer exists full stop the country is no longer on the map full stop an ocean comma tents and portable shelters comma anything from a washing machine to a bridal dress full stop a dot in the ocean stop ocean stop. (Phantom Trades: Sea of People) Das HD-Video der kroatischen Künstlerin Tina Gverović ruft mit diesem verdichteten Text nomadische Zustände und migrierende Existenzen in der Drift auf den Plan. Das Video ist Teil der Installation Phantom Trades: Sea of People (2017, siehe Abb. 3.1.) und wird ergänzt von großflächigen Malereien. Zwei davon stehen vertikal freigestellt im Ausstellungsraum, dem Pavillon der 57. Biennale in Venedig, einige mehr, mit unterschiedlichen Größen, sind horizontal am Boden übereinandergeschichtet. Gerade der Bild- stapel macht einen soliden Eindruck. Die Leinwände, deren Keilrahmen mitbemalt sind, sehen aus wie Gesteinsplatten, nicht zuletzt auch wegen ihrer sedimentartig anmutenden, stratigrafischen Musterung. In Graublau und Weiß zeigt sich die Struktur je nach Distanz der Betrachter/in anders: Mal sieht die Maserung aus wie das verzerrte Satellitenbild eines kargen Gebirgsreliefs, dann wie schimmerndes, zusammengeknülltes Zellophan, 152 High Definition an manchen Stellen wie ein faltenwerfender Seidenstoff und v.a. wie die lichtbeschienene, aufgewühlte Wasseroberfläche. Bei genauerer Betrachtung lassen sich figurale Elemente erkennen: Arme, Torsos, Kör- persilhouetten. Die Künstlerin erklärt, dass die Malereien ihre Strukturen durch das Auflegen von Kleidungsstücken auf die Nasspigmentierung und den zurückbleibenden Abdrücken bekommen. Die Pigmente werden von Gverović (2017, 00:00:34) als „trading materials, colours of trade. Indigo, lapis lazuli“ identifiziert. Die Oberflächenstrukturen stellen so verschiedene Zirkulationsdynamiken in einen Zusammenhang: Geologische, öko- nomische und körperliche Bewegungen schreiben sich in die Farbschichten und Musterungen ein. Man müsste wahrscheinlich nicht einmal hinzufügen, dass Gverović mit ihren Arbeiten ihre Herkunft, den Mittelmeerraum, mitreflektiert, so sehr wird mit diesen drei Maßgaben – der Geologie, der Ökonomie und dem menschlichen Körper – ein raumzeitliches Gefüge aufgerufen, wie es der Historiker Fernand Braudel (1998) in seiner historie totale oder globale am Mittelmeerraum festmacht, welche Sozialgeschichte mit Erdgeschichte und die Menschen mit dem Meer korreliert. Drei Zeitschichten: Die rigid- geologische longue dureé, die strukturell-prozesshaft angelegte moyenne durée und die ereignishafte histoire événementielle fließen in den Mee- resbewegungen zusammen. Das Mittelmeer stellt die environmentale Ausgangslage, reguliert Handelsströme und politische Vergesellschaftung und ist Schauplatz historischer Ereignisse, die „bloßer Schaum auf den Wellen der [totalen] Geschichte“ (Sewell 2001, 46) zu sein scheinen. Braudel schreibt mit dem Mittelmeer eine „Geo-Geschichte“, die Gilles Deleuze und Félix Guattari (2000, 109) als Vorbild dient für eine „Geo-Philosophie“, eine Verräumlichung des Denkens als Geografie, die „mental, wie eine Landschaft“ ist. Griechenland als Milieu lässt über den Mittelmeerraum Philosophie strömen, in der Aktualisierung eines „demokratischen Imperialismus, ... [einer] kolonisatorischen Demokratie“ (ebd., 112), die „die unendliche Bewegung des Denkens ... in Verbindung treten [lässt,] mit der großen relativen Bewegung des Kapitals, die sich unablässig deterritorialisiert, um damit die Macht Europas über alle anderen Völker und deren Reterritorialisierung an Europa zu sichern“ (ebd., 113). Film Socialisme Auf konkrete Verbindlichkeiten bringt Jean-Luc Godard solche imperialistischen Cruise-Bewegungen des demokratischen Gedankenguts übers Mittelmeer in seinem Film Socialisme (2010). Jedes Mal, wenn man sich Um/Formatieren 153 der griechischen Logik oder der arabischen Null bediene, müssten Tan- tiemen an diese Nationen gezahlt werden, heißt es im Film (00:17:30). Auch wenn Film Socialisme dann mit den Sätzen „Geld ist ein öffentliches Gut. Wie Wasser also“ (00:00:59) beginnt und im Hintergrund schwarzblaues Mee- resrauschen zu sehen ist, macht die filmisch unternommene Kreuzfahrt gerade deutlich, dass sich natürlich nicht einmal das Wasser, das Strömen und Fließen des Mittelmeers (und schon gar nicht Geld) durch allgemeine Zugänglichkeit auszeichnen. Kontemplative Blicke aufs Meer, die, so scheint es, für „jeden“ da sind, entziehen sich und werden im Film anstrengend und unangenehm, weil der Atmo-Sound, die durch das Mikrofon eingefangene Böe auf Deck und das dröhnende Meeresrauschen die Erhabenheit der eingenommenen Perspektive stören. Egalität herrscht im Film also höchs- tens formal über die Montage, über die Blicke aufs Meer locker mit Bildern aus dem „Alltag“ auf dem Luxusdampfer Costa Concordia gereiht werden. Wie Klaus Theweleit (2012, 16) erkennt, setzt sich der Film aus unbewegten Einstellungen zusammen. Keine Plansequenzen, Kameraschwenks und v.a. keine Gegenschüsse, höchstens zögernde Zoomings reihen in Film Socialisme unterschiedlichste Bildarten, HD-Aufnahmen, Handyvideos, Found Footage, dokumentarisches Material und filmhistorische Beispiele aneinander und kreieren aus diesem „Bildatlas“ in Warburgscher Manier Bewegungen über den Mittelmeerraum. Die Bilder fließen in Godards Film alle in eine Richtung, der durch den fehlenden Gegenschuss eine Augen- höhe verweigert, auch nicht zwischen Bild und Zuschauer/in: Es gibt hier nichts Dialogisches oder Zwischenmenschliches, denn auch die Personen im Film treten nicht als Charaktere mit psychologischer Tiefe, sondern als sich entziehende Bildoberflächen auf (ebd.,16). Das ist, koppelt man die filmästhetische Entscheidung und das Fließen der Digitalbilder wieder rück an die Geldströme, laut der Logik des Films auch gar nicht nötig, denn „[d]as Geld wurde erfunden, um den Menschen nicht in die Augen sehen zu müssen“ (00:17:16), sagt ein gesichtsloser Mann, der dunkel im Vordergrund vor einem Spielautomaten sitzt. Das Zentrum dieser Einstellung ist das lichtblaue Meer, das tiefenscharf im Hintergrund durch die Glasfront in die schummrige Casinohalle des Kreuzfahrtschiffs strahlt. Die Vorstellung, dass das Fließen von Geld und Meer Menschen zu schemenhaften, gesichtslosen Geistern und beziehungslosen Körperfragmenten werden lässt, zeigt sich in einer Einstellung einige Momente später holzschnittartig: Unscharfe Schattenrisse von Armen und Torsos beim, so lässt es v.a. der klimpernde Jingle-Sound der Spielautomaten vermuten, Geldspiel; im Hintergrund die sonnenbeschienene, sich kräuselnde Meeresoberfläche vor dem Horizont, alles in den selben Farbtönen gehalten wie Gverovićs Malereien und ihr Video (00:18:23, siehe Abb. 3.2.). 154 High Definition Eine Analogie von Film Socialisme zu der Arbeit der Künstlerin lässt sich nicht nur über das graue Farbschema herstellen. Auf die von Godard beschriebenen geologischen, historischen, politischen und ökonomischen Verstrickungen übers Meer kann mit Gverovićs Arbeit Bezug genommen werden, wenn die Künstlerin menschliche Körper(teile) in Bewegung als geografische Verschiebungen darstellt (2017, 00:01:16). Um diese wahr- nehmen zu können, gibt die Künstlerin eine Rezeptionsanleitung vor, die gleichsam nicht auf Augenhöhe angesiedelt ist: „[T]hink of being able to watch positions of continents from afar“ (ebd., 00:01:34). Aus dieser Satelliten-Perspektive werden die kulturellen und ökonomischen Körper- spuren der Menschen, die Kleidungsabdrücke auf der Bildoberfläche, skaliert zu makrologischen Mustern und Bewegungen: „Bodies are seen as geographical locations ... . People groups are moving, they are moving as shifting tectonic plates“ (ebd., 00:02:00). Gverović spricht von einer „Stein- Mimese“ der Menschen und deutet nicht nur mit dieser Anähnlichung ans leblose Objekt auf eine gefährdete Existenzweise hin, die sich in ihre Bild- flächen einschreibt. Die migrierenden Bewegungen der Menschengruppen werden außerdem zum kleinsten Punkt an der „Threshold of Detectability” gerendert, wie es der Text im Video vorgibt: „[A] dot in the ocean“. Der Satz lässt sofort an Hito Steyerls Camouflage-Vorlage und die Bemühungen von Forensic Architecture denken und der Problematisierung von politischer Repräsentation unterhalb einer Darstellungsgrenze. Stockende Ströme übers Mittelmeer Film Socialisme und Phantom Trades: Sea of People skizzieren das Fließen und Strömen im Mittelmeer als ein prekäres, ein stockendes und v.a. ein hierarchisch und politisch hoch reguliertes. Das machen der Sprachfluss von Gverovićs Video, die Verzerrungen in Film Socialisme und tatsächlich aber auch die Realgeschichte der Costa Concordia vor, die nicht sicher oder glatt in einem Hafen einläuft, sondern mit ihrer Havarie endet. Die Bildbrüche, die Verzerrungen, die Überpegelungen, die das Bildmaterial in Film Socialisme malträtieren und das Gleiten des Luxusdampfers auf audiovisuelle Art und Weise stören, realisieren sich zwei Jahre nach der Filmproduktion im tragischen Schiffsunglück der Costa Concordia, bei dem 32 Menschen zu Tode kamen. Auch die stockende Wortreihung und das Mikronarrativ in Gverovićs Video thematisieren die Prekarisierung und Gefährdung menschlicher Existenz. Die Wortreihung im Bewegtbild erscheint nicht so fließend wie am Anfang dieses Kapitels abgedruckt, ohne Majuskeln oder Satzzeichen (bzw. denselben ausformuliert als Text) und als Blockzitat in einer syntaktischen Einheit. Im Video ist jedes Wort optisch Um/Formatieren 155 verzerrt, sitzt einzeln im Kader und der Textfluss stockt, genauso wie die Bildbewegung, bis er und die Syntaktik völlig haken: Am Ende des Satzes steht ein Glitch. Die Unterbrechung einer operativen oder algorithmischen Übertragung verspinnt sich in der arretierenden Wiederholung: „ocean stop ocean stop“. Grenzen im Ozean stoppen den Fluss und die Migrations- bewegungen und diese Störungen, das Anhalten und Stagnieren können auf die skalaren In/Varianzen hochaufgelöster Digitalbildlichkeit gebracht werden, wenn das Meeresströmen zum Stream und die Vehikel und Körper in ihm zum Bild werden. Vom Strömen zum Streaming Im folgenden Teil der Arbeit soll die digitale, webbasierte Bildübertragung – das Streaming in HD – fokussiert werden. Streaming ist die vorherr- schende Form der Bewegtbildrezeption über Computernetzwerke. Die Besonderheit liegt in der beinahe instantanen Übertragung und Wieder- gabe von Inhalten, ohne dass die Rezipient/innen dieselben zwischen- speichern müssen. D.h., dass gleichzeitig Digitalbilder gezeigt und andere Digitalbilder empfangen werden, um einen störungsfreien Gesamtein- druck eines Bilderflusses zu ermöglichen. So ist die Wiedergabesoftware der Empfänger/innen-Seite über die streamingfähigen Endgeräte mit dem ständigen Austausch von datenbasierten Bildinformationen beschäftigt: „[Z]u keinem Zeitpunkt [existiert] eine vollständige Kopie des bezogenen Datensatzes ... . Er strömt aus und fließt wieder ab“, wie Simon Rothöhler (2018, 22) verdeutlicht. Die im Vorhergehenden eingenommene Perspektive auf HD-Bilder, die diese als post/produzierte Bilder und einhergehend ihre ästhetische wie datenbasierte Überdeterminierung als skalare In/ Varianzen im Bild identifizierte, muss um die Dimension und den Ein- fluss des Streamings ergänzt werden: Sie sind andererseits nämlich auch, mit Rothöhler gesprochen, verteilte Bilder in dezentralen Netzwerken. Im Fokus der folgenden Analysen steht das Verhältnis der HD-Bilder zu ihrer digitalen „Bildumgebung“, den Wiedergabe- und Zirkulationskontexten, die gleichsam zu skalaren In/Varianzen, nun aber des Bildes führen. Hier möchte ich von Um/Formatieren sprechen. Ziel des vorliegenden Kapitels ist es, im post/digitalen Sinne, Digitalbildlichkeit an infrastrukturelle und medientechnisch formative Vorgaben rückzukoppeln. Ich möchte über eine Materialisierung des Streams nachdenken und über die Anforderungen, die ein HD-Bild mitbringen muss, um überhaupt „ablegen“ und sich im Fluss agil verhalten zu können. 156 High Definition Diese Fokusverlagerung auf die Umgebung eines vermeintlich intakten medialen Phänomens, z.B. eines Bildes, findet seit einigen Jahren über die produktive Theoretisierung von Formaten statt, die v.a. durch Jonathan Sternes Arbeit zum MP3-Format für die Medienwissenschaft von Belang wurde. Sternes (2012, 11) Leitspruch lautet „[t]o focus on the stuff beneath, beyond, and behind the boxes our media come in“. Rothöhler (2018, 1) schließt an diese Umgebungsfokussierung und den Formatbegriff in Bezug auf das Digitalbild mit logistischen Fragestellungen an. Was als digitales Bildformat zu verstehen ist, ließe sich über die konstitutive Notwendig- keit eines Transportkalküls beschreiben: „Ohne Transportplan, ohne Umschlagspunkte und Lieferprotokolle entstünden aus unanschaulichen numerischen Gemengelagen keine bildförmigen Materialisierungen“ (ebd.). Übertragen auf die Medientechnik heißt das: Um als bewegliche, zu Orts- und Zustandsveränderungen tendierende Bildelemente sichtbar gemacht zu werden, müssen Daten in geeignete Containerformate verpackt, adaptiv durch Netzwerke geschleust, zur Visualisierung spezifisch codiert und verarbeitet werden. (Ebd.) Genauer benannt werden können demgemäß Rechenzentren, Kabel- netzwerke, die Netzwerk- bzw. Kabelbeschaffenheit und die hiervon abhängigen Übertragungsraten, Schnittstellen, Ausgabegeräte, Container- formate, Kompressionsnormen, Netzwerk- und Streamingprotokolle, Codecs, Softwarevorgaben, Zwischenspeicher usw., die eine Digitalbild- existenz im Fluss und ihr Erscheinen regulieren. In diesem logistischen Zusammenhang tritt HD als ein „Metalabel“ auf für die verschiedenen Videodateien, Übertragungsraten, Streaming- Geschwindigkeiten und die optische Kapazität der Ausgabegeräte, auf denen das audiovisuelle Material abgespielt wird. Die Verknüpfung der mit HD ausgewiesenen Knotenpunkte, die das Erscheinen eines HD-Bildes innerhalb einer post/digitalen Medien/Immanenz im Stream konstituiert, ist eine Rechenleistung, die Bilder, so die vorzulegende These, über ihre Informationsbeschaffenheit, die vielen Pixel, mit dem zu erreichenden Potenzial ausstattet. Dieses, so führt Rothöhler aus, ist nicht etwas, das dem Digitalbild nachträglich oktroyiert wird – im Sinne eines „fertigen“ Bildobjekts, das dann zur Versendung bereitsteht –, sondern die Verteilung und das hieraus ableitbare Potenzial seien dem Digitalbild von vorne herein immanent: „Bilder sind … fluide Prozesse – und Verteilung ist gerade keine Kategorie nachgeordneter, nachträglicher Mobilisierung“ (ebd.). Im Stream stehen HD-Bilder, so demonstrieren es die vielen einflussnehmenden, medientechnischen Parameter, unter Auflösungsschwankungen. Ihre Um/Formatieren 157 „Veranlagung“ zur Flexibilität soll im Folgenden als um/formatierendes Potenzial der Hochauflösung identifiziert und im Zusammenhang mit distributiven Dynamiken gedacht werden. HD-Bilder werden demgemäß auf ihre Zirkulations- und Anpassungsfähigkeit, ihre Reichweite und Beschleunigungskompetenz hin befragt. Die folgenden zwei Kapitel widmen sich den digitalen Bildexistenzen im Stream aus zwei unterschiedlichen Perspektiven. Mit HD Over The Top ist eine kennenzulernende medientechnische Regulierung des Digital- bildes benannt, die es ermöglichen soll, das hochaufgelöste Bild aufmerk- samkeitsstark und im ruckelfreien Bilderfluss bei den Betrachter/innen ankommen zu lassen. Über Netflix sollen die Vorgaben einer ökonomischen Kanalisierung in dezentralen Netzwerken und an der von dem Streaming- Unternehmen produzierten und vertriebenen Serie House of Cards (Netflix, 2013–2018), dem ersten Streaming-Content, der mit seiner Hochauflösung beworben wurde, ästhetische Bildstrategien der Zirkulation registriert werden. In Kapitel 3.2. – HD Over The Stream – finden die Digitalbilder Berücksichtigung, die in der Drift auf Abwege geraten. Hierbei möchte ich auf Auflösungs- und verbundene Wertschwankungen, im ökonomischen wie auch ästhetischen Sinne, eingehen. Anhand von Havarie (Scheffner, 2016) und A Vernacular of File Formats (Menkman, 2010–2016) sollen algorith- mische Abweichungen der Bildbewegung als „Poor Images“ nach Steyerl und als Glitch-Art Betrachtung finden. Die beiden den Kapiteln vorangestellten Beispiele Film Socialisme und Phantom Trades: Sea of People geben in der Analogiebildung von Meer und Stream und den in beiden Arbeiten aufgerufenen skalaren In/Varianzen zwischen Bildmaterialien, den geologischen/ökonomischen/menschlichen Maßstäben und den vermeintlich einhergehenden Störungen, Unter- brechungen und Prekariaten eine Perspektive vor, die auch in den nächsten Kapiteln tragend sein wird. Es soll einerseits darum gehen, post/per- zeptuelle Zustände nachzuvollziehen, die menschliche Wahrnehmung weit hinter sich lassen, wenn Bilderflüsse von mikrotemporaler, unsinnlicher Algorithmisierung abhängen. Andererseits soll die „Abstraktion“ von den Menschen, das Hintendieren auf seine Nulldimension, als Punkt, als Geist, als ephemere Überblendung zum Thema werden. 158 High Defi nition Abbildung 3.1. (Quelle: Collage aus Videostills und digitalen Abbildungen der Malereien von Gverović, Tina. 2017. Phantom Trades: Sea of People) Abbildung 3.2. (Quelle: Filmstill. Godard, Jean Luc. 2010. Film Socialisme) Um/Formatieren 159 3.1. HD Over The Top: Algorithmische Post/Perzeption Neujahr 2013. Der New-Year’s-Eve-Countdown am Time Square, das Feuer- werk und die jubelnden Feiernden werden während einer Silvesterparty über zwei große Flachbildfernseher, platziert in den Ecken eines Fest- saals, übertragen. 20 Tage später, 20. Januar 2013, 12:00 Uhr mittags. Die Inauguration des nun amtierenden Präsidenten der Vereinigten Staaten vor dem Kapitol in Washington ist in Hochauflösung über CNN zu sehen. Die realhistorische Unregelmäßigkeit – im Jahr 2013 beginnt Barack Obama seine zweite Amtszeit und die feierliche Einführung wird im Oval Office und nicht vor dem Kapitol vollzogen – liegt begründet in einer medien- ontologischen Verschiebung: Die Zeremonie sowie die New-Year’s-Eve-Gala finden nicht „in Wirklichkeit“, sondern in der ersten Folge der von David Fincher produzierten Netflix-Serie House of Cards statt (Kapitel 1, 00:02:00). Hierin kann ein weiterer inaugurierender Moment erkannt werden. Mit der Eigenproduktion des Medienunternehmens, die im Februar 2013 online geht, setzt der Streamingdienst einen neuen Standard bezüglich zu über- tragendem audiovisuellen Content: House of Cards ist hochaufgelöstes, streambares Bildmaterial und verschreibt sich einerseits einer Sichtung über genau jene großen HD-fähigen Flachbildfernseher, über die auch in der Serie sich wiederholende Fernsehereignisse wie das Neujahrsfeuer- werk oder die Amtseinführung des/der nächsten amerikanischen Prä- sident/in übertragen werden. Andererseits werden diese Dispositive durch die Streambarkeit von House of Cards überholt, denn die Serie ist über das Internet, ein dezentral ausgebreitetes Netzwerk, beziehbar und daher nicht mehr auf die Broadcast-Struktur des Fernsehens angewiesen. Gleichsam erscheinen die Bilder aber dort auch in HD. Im vorherigen Kapitel konnte die so spezifizierte HD-Ästhetik einer skalaren In/Varianz im Zusammenhang mit Praktiken des Post/Produzierens dargelegt werden. Im Folgenden soll nun ausgeführt werden, dass Too Much Images in einer post/digitalen, medien/immanenten Too Much World unter Berücksichtigung ihrer Verbreitung gedacht werden müssen. Rothöhler versteht Digitalbildlichkeit daher unter dem Vorzeichen von „Transportkalkülen“: Bilder sind hier weniger sessile Objekte, verbindliche feststehende Entitäten, als fluide Prozesse – und Verteilung ist gerade keine Kategorie nachgeordneter, nachträglicher Mobilisierung. Denn: Produziert werden digitale Bilder in vielerlei Hinsicht, sofern und 160 High Definition weil sie unmittelbar distribuierbar sind. Damit ursächlich verbunden ist eine vielgliedrige Medienlogistik des Bildes, über deren Akteure gleichfalls gesagt werden kann, dass sie verteilen, wie sie verteilen, weil sie verteilt sind. (2018, 1) Im Folgenden soll das Digitalbild über seine Charakteristik der Hochauf- lösung unter diesen distributiven Vorgaben weitere Erläuterung finden. Neben einer skalaren In/Varianz, die durch Potenziale der Hochauflösung im Bild zu verzeichnen ist, gilt es an dieser Stelle die skalare In/Varianz des HD-Bildes zu betrachten. Hierbei geraten neben post/produzierenden v.a. um/formatierende Einflüsse in den Blick. Wie Michael Niehaus (2017, 7) deutlich macht, kann durch die Frage des Um/Formatierens ein Phänomen in Bezug auf seine „Passung“ oder „Eingepasstheit“ bzw. sein Nicht-Passen in einer medialen oder infrastrukturellen Umgebung – einem Rahmen, einem Ordner, einem Bücherregal oder eben auch einem digitalen Netz- werk – offengelegt werden. Unter Vorgaben des Um/Formatierens erscheinen Potenziale der Hochauflösung, so soll im Folgenden demons- triert werden, als Too Much Image v.a. Over The Top, wie ich mit den folgenden drei Punkten ausführen möchte: Erstens: Als sogenannter Over-The-Top-Content (OTT) kommen die HD- Bilder aus House of Cards bei den Zuschauer/innen an ( Jenner 2018, 2; Lotz 2014, 157–158). D.h., dass für die Verbreitung eines Inhalts nicht ein eigens dafür errichtetes Netzwerk oder Dispositiv wie z.B. eine unidirektionale Sendestruktur des Fernsehens genutzt wird. Das Distributionsinteresse des Medienunternehmens Netflix wird den Verbreitungswegen des Internets, die nicht auf die Verteilung „eines“ bestimmten Inhalts spezialisiert sind, vielmehr einfach „übergestülpt“ (auf Englisch: „over the top“). Die Serie House of Cards muss sich im Ansichtigwerden nach sehr offenen Vorgaben richten, die hochaufgelösten Digitalbilder müssen sich an ihre Umgebung „anschmiegen“, indem sie um/formatiert werden. Hochaufgelöste Digital- bildlichkeit steht in Bezug zu einem heterogenen Netzwerk, das es verteilt, und im Folgenden sollen gerade die zu verzeichnenden um/formatierenden Wechselbeziehungen zwischen HD-Bild und Netz in den Blick geraten. Zweitens: Over The Top soll medientheoretisch weitergedacht als Remedia- tisierungsprozess zwischen Internet, Fernsehen und einem qualitativ hoch- wertigen, weil hochaufgelösten Bild, das medienontologisch gemeinhin für das Kino im Gegensatz zum Fernsehen steht, erkannt werden. HD Over The Top fragt danach, wie sich über die mediale Beschaffenheit der Digitalbilder Formen des Ineinanderfügens und Überstülpens zwischen Medien ereignen. Christian Sandvigs (2015, 231) Überlegungen machen Um/Formatieren 161 nachvollziehbar, dass es sich bei der Verbreitung um ein „Retrofitting“ des Internets in eine Medienlogik des Fernsehens handelt. An solchen medialen Schnittstellen und ihren Kompromissen sollen Stadien post/digitaler Medien/Immanenz als Over The Top beschrieben werden. Drittens: Over The Top kann soviel bedeuten wie „übertrieben“, „aus- schweifend“ oder „übersteigert“. Mit HD Over The Top wird daher nicht zuletzt eine medienästhetische Spezifik aufgerufen, die gemeinhin mit der „exponierten Steigerung eine[r] medialen Grundfigur“ korreliert, „die das Dispositiv des Fernsehens prägt“ (Fahle 2017, xi): Diese Medienspezifik wird von der (Fernseh-)Serie aufgegriffen, wie Andreas Sudmann erklärt, der „Überbietung als serielle Form, genauer als Form der Serialisierung“ begreift und „Serialität als eine Struktur auffasst ..., die die Form der eigenen Genese sichtbar und produktiv macht“ (2017, 1). HD Over The Top, als medienästhetische Überbietung, soll im Zusammenhang mit Über- tragungssituationen von informationsdichten Datenstreams exploriert werden: technisch durch das HD-Format, narrativ durch die Serie und genealogisch durch die Fernsehgeschichte. Ein Drang zur immer höheren Auflösung und einem Too Much Image kann in allen drei Bereichen, so soll es House of Cards exemplifizieren, ersichtlich werden. Sichtbarkeitsökonomie von House of Cards Anfänge stellen problematische, weil transgressive Situationen dar. Der Anfang von House of Cards ist prekär und instabil in mehrfacher Hinsicht: Der Protagonist Frank Underwood (Kevin Spacey) wird in den ersten Minuten dabei gezeigt, wie er, zwar Off-Screen, aber doch eindeutig, einen Hund tötet (Kapitel 1, 00:00:50). Auch wenn Fincher auf die Besorgnis seines Produktionsteams in Bezug auf die Einschaltquoten („You can’t kill a dog. You’ll lose half your viewership in the first 30 seconds“) mit „I don’t give a shit“ (Seward 2014) reagiert und sich der vermeintlich anstößige Serienbeginn im Nachhinein als Erfolg verzeichnen lässt, so ist es nicht der getötete Hund, der die Fragilität des Anfangs ausstellt. Es handelt sich vielmehr um ein „Prekariat“ des Bildes selbst. Aus dem Schwarz des Bildschirms begibt sich der/die Zuschauer/in in das Schwarz des Serien- universums. Zentral ins HD-Bild gesetzt, öffnet sich eine massive eben- holzfarbene Tür, die sich kaum von der durch Baumschatten getrübten, in dunklem Rot gehaltenen Backsteinmauer des Gebäudes unterscheidet. Das matte Licht, das aus dem Hausinneren auf das Dunkel der Straße dringt, wird durch Milchgläser einer Zwischentür gebrochen. Der Protagonist, der sich der Kamera nähert, wird mit dieser Bewegung nicht etwa schärfer oder 162 High Definition besser ausgeleuchtet den Zuschauer/innen präsentiert. Sein Gesicht und sein weißes Hemd werden von Schatten umspielend verdeckt und das Bild bleibt schummrig (siehe Abb. 3.3.). Wie Lisa Gotto (2007, 32) ausführt, evoziert das Schwarzbild „einen traum- gleichen Zustand, der nicht eigenmächtig zu durchbrechen oder abzu- stellen ist. Es verschluckt Möglichkeiten und Mechanismen der Sichtbar- keit (Distanz, Licht, Orientierung)“. Der Einstieg in die Serie wird dem/der Betrachter/in perzeptuell erschwert und die Dunkelheit als ästhetischer Rezeptionsstandard vorgegeben. Die „rigorose Lichtdiät“, eine „Noir- Ästhetik spärlich beleuchteter Räume und verschatteter Gesichter“, kann, wie Tom Holert (2014, 38) betont, als die zentrale Stilistik der Netflix-Serie erkannt werden. Der Low-Key-Look stellt House of Cards in einen Neo-Noir- Kontext und hüllt seine Charaktere ins Zwielicht. Die Figuren werden dabei häufig nur von im Bild vorkommenden Lichtquellen und immer wieder von der kühlen Rückbeleuchtung ihrer Smartphone-, Tablet- oder Laptop- Screens sanft angestrahlt. Häufig werden die dunklen Bilder, darauf ver- weist Holert, in Verbindung gebracht mit den moralisch-psychologischen Abgründen der Serienerzählung. Schwarz wie das Bild sind auch die politischen Machenschaften von House of Cards, sodass der Kameramann der zweiten Staffel der Netflix-Produktion, Igor Martinovic, Ästhetik und Inhalt korreliert, mit dem Anspruch, „to keep characters [visuell wie psycho- logisch] on the edge“ (Grouchnikov 2014). Holert (2014, 38) denkt die „Ökonomie des Dunkels“ im Zusammenhang mit einer Sichtbarkeitspolitik von Netflix, die im Folgenden auch ihre Ausbuchstabierung findet. Dabei möchte ich v.a. die von Ed Finn (2017, 87) beschriebene „Aesthetics of Abstraction“ in House of Cards berück- sichtigen. Holert wie Finn gestehen der Serie eine Visualität zu, die auf Quantifizierbarkeit basiert und ihre Abhängigkeit vom Distributionsnetz- werk ausstellt. Das Dunkel steht, so Holert, dieser kalkulierten Ästhetik von House of Cards eigentlich entgegen. Denn die Serie wurde auf Grundlage des Netflix-User/innen-Verhaltens und den aus dem Stream ableitbaren Sichtungspräferenzen konzipiert ( Jenner 2018, 131; Baldwin 2012). Diese Daten sind vergleichbar mit Einschaltquoten – nur mit einem nicht zu ver- nachlässigenden Unterschied: Nicht die tatsächliche Rezeption entschied über den Erfolg der Serie, sondern eine antizipative Kalkulation, die sich stark dafür interessierte, „was und wie etwas zu sehen ist – und von wie vielen, und wie lange (ohne wegzuklicken)“ (Holert 2014, 38; Finn 2017, 91). Auf diese Sichtbarkeitskalkulation vertraute der Streaming-Dienst, sodass auf den üblichen Testlauf einer Serie, die Pilotfolge, verzichtet wurde. Net- flix verpflichtete sich schon vor dem ersten Drehtag, bevor überhaupt das Um/Formatieren 163 erste HD-Bild von House of Cards von einer Person gesichtet wurde, für die millionenschwere Produktion zweier kompletter Staffeln (Sudmann 2017, 81). Algorithmische Post/Perzeption Die Sinneswahrnehmungen von Menschen kommen bei House of Cards an zweiter Stelle und werden, so kann es mit Shane Denson (2016, 22) und seinem Konzept der „post-perceptual mediation“ beschrieben werden, ersetzt von „minutest calculation, ‚premediation‘, or algorithmic pre- processing at a microtemporal level“. Eine phänomenologische, sinn- liche Ebene würde durch diese post/perzeptuellen Konfigurationen der Berechnung radikal in Frage gestellt. Sehen wird dagegen von Algorithmen antizipiert: „[I]t [die algorithmisch generierten Daten] is the primary data, while our sense data has become secondary or supplemental for ... the production of sense data to come“ (ebd., 30, Hervorhebung im Original). Die Metadaten, die aussagen, welche Filme und Serien gestreamt werden, gehen der tatsächlichen Sichtung eines audiovisuellen Inhalts, die Denson als „sense data“ bezeichnet, voraus. Netflix, das, wie Rothöhler (2018, 64) schreibt, „bislang umfangreichste ... Big-Data-Projekt der Bewegtbild- geschichte“, koppelt den Inhalt der Serie vielmehr an die „sense data to come“ durch den registrierten User/innen-Traffic: Übertragung und Dar- stellung scheinen über die datenbasierten Feedbackmechanismen in eins zu fallen. Die Metadaten, die registriert wurden, als Netflix-Zuschauer/ innen Finchers Se7en (1995) streamten, sind also für die Sichtbarkeit von House of Cards viel zentraler, als das tatsächliche Rezipieren der Serie. Das, was über die Plattform gesichtet wurde, wird ausgewertet und wiederum mit Eigenproduktionen wie House of Cards ins eigene Datenarchiv zurück- gespielt, nur um weitere Zuschauer/innen-Daten zu generieren. Netflix als „a culture machine“ (Finn 2017, 90) und die „sense data to come“ würden, so ist Holert (2014, 38) weiter zu folgen, nun v.a. auf einem „geschmeidige[n] Streaming- und Download-Verhalten der Dateien, die Netflix seinen Kunden anbietet“, basieren. Die stabile und hochaufgelöste Bildübertragung sei essenziell bei der besonderen Verknüpfung von Bild, Netz und Zuschauer/innen. Diese, so stellt es Finn heraus, oszilliert zwischen einer durch die Auswertung der Sichtungspräferenzen berech- neten „Nahsicht“, einer personalisierten Intimität und einer durch die Algorithmen garantierten Bildübertragung einer netzwerkbasierten „Fernsicht“ (2017, 97). Über die Post/Perzeption kann daher ein weiteres Mal auf die prekäre Verbindung von Bildlichkeit und codierten Daten verwiesen werden, die schon im vorherigen Kapitel diskutiert wurde. Die 164 High Definition „microtemporal intervals“, die Digitalbildlichkeit konstituieren, sind, so Denson (2016, 22), für das „macrotemporally constituted self of subjective perception“ unzugänglich, was sich auch auf die algorithmische Aus- wertung der Metadaten beziehen lässt. Das als Serie sichtbare HD-Digital- bild wäre folglich nur ein minimaler Ausschnitt aus einer nicht-mensch- lichen, datenbezogenen Sensorik, die über- und unterhalb des optischen Auflösungsvermögens ansetzt. Im Folgenden möchte ich in Anlehnung an Denson und Finn von algo- rithmischer Post/Perzeption sprechen. Der Schrägstrich markiert die Ambivalenz, die Mark B. Hansen (2015, 27–31) mit seinem Konzept des „Feed Forward“ beschreibt, auf das sich Denson explizit bezieht und das digitale Medien als „resolutely non-prosthetic technical mediation[s]“ (ebd., 30, Hervorhebung im Original) ausweist. Hansen stellt (auch an anderer Stelle) die Frage, wie „die Wirkung der Medien auf das Empfindungsver- mögen“ aus medientheoretischer Perspektive überhaupt abschätzbar sein kann, wenn diese auf Vorgängen basiert, die sich „vorwiegend in Größen- ordnungen [vollziehen], die für makroskopische und wahrnehmende Empfindung nicht nachweisbar sind“ (2011, 373). Eine Auseinandersetzung mit vermeintlich post/perzeptuellen Vorgängen unterliegt somit einer doppelten Medialisierung, weil sie wiederum über bestimmte sinnliche und damit beschreibbare Niederschläge zu thematisieren ist. Post/Perzeption ist durch Medien für die Menschen ermöglichte Wahrnehmung einer Überholung ihrer/seiner Wahrnehmung, sie ist Perzeption und Post/Per- zeption gleichermaßen und genau darauf soll der Schrägstrich hinweisen. Für Denson sind es Störfälle und Glitches, Fehler bei der Übertragung der Bildlichkeit, die Menschen bestenfalls für den Bruchteil einer Sekunde erahnen oder spekulieren lassen, was die generative Prozessualität des Algorithmischen und die Herstellung der Digitalbildlichkeit ausmacht. Sie sind für Denson genuin post/perzeptuelle Niederschläge. Über Kom- pressionsfehler kann demonstriert werden, dass datenbasierte Qualität nicht automatisch fixierte „Vorprogrammierung“ bedeutet. Folglich ist das, was als digitales Bild wahrgenommen wird, auch bei Denson nicht auf eine (fotografische) Einheit der Ansicht zu bringen, wie sie im vorherigen Kapitel ihre Thematisierung fand. Vielmehr ist von modulierten und modulier- baren Variablen des Wahrnehmens auszugehen, einer perzeptuellen „infi- nitesimally divisible quantity“ (Denson 2016, 30). Diese Modulationsfähig- keit des Digitalbildes lässt Sichtbarkeiten vor allen Dingen abhängig werden von „codec settings, available processing power, bandwidth limitations, and buffering“ (ebd.), jenen Einflüssen auf die Potenziale der Hochauflösung, die HD-Bilder Over The Top auch im Folgenden spezifizieren sollen. Wie mit Um/Formatieren 165 Holert angesprochen, geht es nun aber bei der Distribution, zumindest von HD-Bildern wie denen aus House of Cards, gerade darum, Glitches und Kom- pressionsfehler zu vermeiden und einen glatten Stream zu garantieren. Dass sich hier dennoch post/perzeptuelle Niederschläge verzeichnen lassen, darauf soll die Argumentation dieses Kapitels hinauslaufen. Buffernde Anfänge des Streams Die Zeit, die der/die Zuschauer/in wartet, bis sich ein Datenstream stabilisiert und ein übertragenes Digitalbild buffert, ist für Urs Stäheli (2018, 136) die Inkubationszeit für sich ausbreitende Krankmacher. Nicht nur ist das buffernde Intervall, das einen Stream unterbricht, ein Einfallstor für Computerviren, sondern durch das Ausbleiben des Bildes können auch bei den Menschen Krankheitssymptome als erhöhte Stresswerte ver- zeichnet werden. Was sich durch den „Riss im Kontinuitätsstrom, der im höchsten Maße affiziert“ (ebd.), ableiten lässt, ist, wie es scheint, einer- seits die Funktionalität eines „gesunden“ Netzwerks und andererseits die Intimität der Bild/Betracher/in-Beziehung, die sogar infizierenden Cha- rakter hat. Dabei stellt sich eine ambivalente Situation ein, die mit der oben angesprochenen „Aesthetic of Abstraction“ nach Finn (2017, 102) und der algorithmischen Post/Perzeption nachzuvollziehen ist. Die magere Lichtsituation in House of Cards spielt dabei eine entscheidende Rolle. Im Gegensatz zu einer massenmedialen Verteilung von Inhalten, wie durch das Fernsehen, zeichnet Finn die intimen Distributionsgefüge von Net- flix nach. Diese manifestieren sich über den schwachen Lichtschein ihrer ausgebenden Endgeräte: „These screens and apps are far more intimate than the televisions they are replacing. They are moving closer to our faces and bodies, from across the room to pockets, laps, and hands“ (ebd.). Folgt man Gotto (2007, 41), dann „tappt [das Fernsehen] nicht im Dunkeln, es tastet im Hellen“. Weitergedacht über pixelbasierte Bildschirme können so Screens als „Boten einer lichten Zukunft, die das Dunkel weder zu brauchen noch zu bewahren schein[en]“ und im Zusammenhang mit einer kon- trollierenden, verfügenden, potenziellen Sichtbarkeit verstanden werden (ebd.). Die Frage unter Vorzeichen algorithmischer Post/Perzeption, die sich im Anschluss daran stellt, ist: Wer oder was sieht dann durch diese Helligkeit der Bildschirme? Denn der schwache Lichtschimmer der körper- nahen Geräte in der Tasche, auf dem Schoß, in der Hand schärft nicht so sehr eine Wahrnehmung von Menschen, so möchte ich argumentieren. Die berechnete Basis der Inhalte beleuchtet vielmehr die „algorithmic selves“, wie mit Finn (2017, 102) weiter ausgeführt werden kann. Das matte Licht der Screens im Bild entwickelt seine Strahlkraft post/perzeptuell und zeigt sich 166 High Definition im Serienbild als flackerndes Stand-By-Signal, das angibt, dass die Server „servierbereit“ ihre Datenströme im Stream zur Verfügung stellen. Jenseits eines Anthropozentrismus beschreibt Finn daher diese Ästhetik von House of Cards wie folgt anhand der Titelsequenz: It presents an austere, stately vision of the capitol, but also an algo- rithmic view of it, where human beings are visible only through their physical and cultural traces. This is a kind of visual poem to implementation, a finely wrought piece of digital art that shows us what an abstracted material universe looks like. The empty plazas and parks render the gap between computation and culture hyper- realistically, using HDR techniques to more faithfully represent their emptiness. We can read the credits in the context of cybernetics, with the city as an information system where car lights remind us that atoms flow like bits. It is also a celebration of symbolic magic, high- lighting the eternal solidity of political and social structures as waves of invisible humanity wash over them. (Ebd., 105) Die Titelsequenz, so ist Finn zu folgen, leite daher in eine Serie ein, in der es vermeintlich weniger um Menschen und mehr um eine kulturelle Maschinerie gehe, verkörpert durch das politische System in Washington D.C., „a story about the struggle between life and structure“ (ebd., 106). Mit dieser „algorithmischen Interpretation“ der abstrakten Ästhetik der Serie macht Finn, und daran möchte ich anschließen, deutlich, dass dem Netz- werk selbst, den datenbasierten Feedbackschleifen, der Bildumgebung eine Form von bildgebender, post/perzeptueller Autorschaft an House of Cards zugestanden werden kann. So soll es nun anhand der Over-The-Top-Dis- tribution der Serie nachvollzogen werden. Over The Top I: Adaptive Bitrates (ABR) und Perceptual Coding Als um/formatierender Eingriff des Netzwerks zeigt sich v.a. die Fähig- keit der Digitalbildbasis, sich situationsunabhängig und umgebungs- stabilisierend an den Wiedergabekontext anzupassen. Hier werden sogenannte Adaptive Bitrates (ABR) relevant, die für die dynamische Um/ Formatierung digitaler Bilder sorgen, indem sie die Auflösung des Bildes je nach Kapazität der Bildumgebung verändern. Die skalare In/Varianz des HD-Bildes wird ersichtlich über die Sichtbarkeitsökonomie des Bild- netzes: „Verteilt wird, was der bespielte Kanal, die Gebührenlage hergibt“ (Rothöhler 2018, 153). Mit der ABR lässt sich von einer instantanen Reaktion der Bildbeschaffenheit auf die Übertragungssituation sprechen, um ein Streaming ohne Buffering und vermeintlich infizierende, krankmachende Um/Formatieren 167 Folgen zu ermöglichen. Die Bitrate bestimmt die Geschwindigkeit der Übertragung eines Inhaltes, sie setzt Zeit und Datenmenge ins Verhältnis zueinander. Bilddateien mit einer höheren Auflösung sind i.d.R. größer, d.h. ihre Datenverarbeitung benötigt entweder mehr Zeit oder eine höhere Kanalkapazität zur Übertragung. Als Reaktion auf dieses Ungleichgewicht kann das 2011 als Standard verabschiedete, 2012 freigegebene DASH Protokoll gelten, das von der MPEG Group entwickelt wurde und das Abspielen der mit den ABR zusammenhängenden, adaptiven oder durch- schnittlichen Bitrates von audiovisuellen Inhalten ermöglicht. Das Protokoll interpretiert das HD-Videoformat so, als ob es in mehreren Auflösungen vorliegen würde, es formatiert situationsbedingt um und setzt Digitalbild- lichkeit unter die Voraussetzungen skalarer In/Varianz. So ist eine technische Modulationsfähigkeit und -notwendigkeit des HD- Bildes auf um/formatierende Weise angesprochen, die hochaufgelöste Sichtbarkeit von De- und Encodierungen, Bandbreiten und Buffer-Kapazität abhängig macht. Besonders das „Einstellen“ des Netzwerks zeigt die Instabilität dieser Übertragungssituation und manifestiert den prekären Anfang eines jeden Streamings. Hier wird überprüft, ob das HD-Video- format, die Bandbreite, das Ausgabegerät und die Schnittstelle zusammen- passen. Dies dauert eine Weile und die Bitrate steigert sich langsam auf ihr Maximum, um an den höchstmöglichen Wiedergabestandard heran- zukommen. Daher sieht man oft am Anfang eines Streams langsam schärfer werdende Ansichten (Harry 2017). Starre Kadrierungen, aber v.a. Bilder mit niedrigem Kontrastumfang, also wenig sichtbaren Details, erleichtern einen Stream, weil weniger Informationen bei der Bildwieder- gabe prozessiert werden müssen. Ist ein Digitalbild monochrom und statisch, gibt es weniger Probleme bei der Datenübertragung. Wie die Digitalbildübertragung mit phänomenologischen und damit post/ perzeptuellen Resten in House of Cards korrelieren, demonstriert daher gerade die Schwärze des Serienanfangs, denn dunkle Bilder können einem stockenden Serienbeginn entgegenwirken. So beschreibt es auch Holert (2014, 38) im Rückgriff auf einen Onlineforumskommentar: „Denn expansive Schwärze im Bild führe zu Dateien, die bei guter Qualität deutlich kleiner seien als bei einem vergleichbaren Bild mit vielen Mitteltönen“. Schummrige Anfänge, wie der von House of Cards, erleichtern medien- technisch die instabile, stockende Übertragung von datendichtem Video- material. Gleichsam hüllen sie post/perzeptuelle Vorgänge des Bilder- prozessierens und d.h. ihren Funktionsapparat ins Dunkel, in der Tradition illusorischer Medien, angefangen bei der Laterna Magica. 168 High Definition Post/perzeptuell kann das Schwarzbild weiterhin verstanden werden, wenn man es und die ABR in Zusammenhang mit einer Kompressionsgeschichte denkt, wie sie Sterne (2012, 2) paradigmatisch in der Auseinandersetzung mit Formaten erkennt. Mit der Kompression wird zwischen einer ver- lustfreien und einer verlustreichen Datenübertragung unterschieden, basierend auf der Tilgung von vermeintlich redundanten und überflüssigen Informationen. Die „Streichmasse“ wird, so macht es Sterne am MP3- Format fest, unter anderem nach perzeptuellen Idealmodellen festgelegt und dabei registriert, welche Werte für „eine menschliche Wahrnehmung“ obsolet werden können, weil sie außerhalb einer perzeptuellen Skala und daher post/perzeptuell zu verzeichnen sind. Für das MP3-Format wurde sich auf psychoakustische Modelle bezogen, die schon in den 1910er-Jahren „das menschliche Hören“1 erfassen sollten. So steht das MP3-Format in einer Verbindungslinie mit der Informationsübertragung der Telefonie: Denn die American Telephone and Telegraph Company griff auf Messungen „der menschlichen“ Hörfähigkeit zurück, um wiederum den auditiven Informationsfluss möglichst effizient in Bezug auf die Bandbreiten des Telefonnetzes zu halten (ebd., 32–60). Die Schwarzbilder am Anfang von House of Cards können aus dieser Logik des „perceptual coding“ (ebd., 17) heraus als bildinterne Kompressionsalgorithmen interpretiert werden. Sie organisieren Wahrnehmung, konstruieren Sichtbarkeiten und entscheiden, was sich dem Blick entzieht. Die Radikalität, die dem schwarzen Bild als Kippfigur zwischen Nicht/Sehen zukommt, stellt die Bias und politisch-kul- turellen Implikationen unverstellt aus, in die Idealmodelle und Standard- formate des „perceptual codings“ von vornherein verstrickt sind. Die Schwarzbilder von House of Cards in die Tradition von Kompressions- formaten zu stellen, soll weiterhin verdeutlichen, dass die Streaming- Umgebung der Serie nicht auf einem in sich geschlossenen Mediennetz- werk basiert, sondern das Resultat von Verhandlungsprozessen zwischen bestehenden, standardisierenden und neuen Medienvorgaben darstellt (Sterne 2012, 22). Über Kompressionsfragen können Formatierungs- prozesse als Over The Top gedacht werden: als das Einfinden, Überstülpen und Verschränken medialer Befunde ineinander. Sterne hebt dies plakativ am 4:3-Fernsehformat hervor, das zunächst als Anpassung an das dama- lige Kinobild implementiert wurde, um die Filme von der Leinwand unter 1 Hier handelt es sich explizit nicht um einen „pluralen Anthropos“: Sterne verpasst in Bezug auf das MP3-Format die diskriminierenden Prägungen der perzeptuellen Codes zu thematisieren, dafür aber nicht für das amerikanische Farbfernsehen (Sterne und Mulvin 2014). Für eine postkoloniale und genderwissenschaftliche Per- spektive auf die Ästhetik von Schwarz/Weiß (im Kino) können Richard Dyers (1997) und Gottos (2006) Analysen konsultiert werden. Um/Formatieren 169 kompressionsfreien Ambitionen in den Röhrenbildschirm einzupflegen. In Abgrenzung und im Nachgang zu diesem Überstülpungsprozess setzte das Kino dann aber auf das Breitbild. Der einstige Aspect Ratio blieb mit dem Fernsehen als kinematografische Spur bestehen (ebd., 8). Genauso sind im MP3-Format durch die perzeptuellen Codecs Spuren der Öko- nomisierung von Telefonnetzen hinterlegt, ebenso wie die Vorgaben einer längst überholten ISDN-Kapazität. Diese Überbleibsel oder Momentauf- nahmen infrastruktureller Begebenheiten, die nicht mehr gelten, aber in die Medienformate eingeschrieben bleiben, legt Sterne eindrücklich in seiner Formatgeschichte offen: All formats presuppose particular formations of infrastructure with their own codes, protocols, limits, and affordances. Although those models may not remain constant, aspects of the old infrastructural context may persist in the shape and stylization of the format long after they are needed. Some will be the result of defaults chosen at one moment and left unexamined; others will become core parts of the user’s experience and therefore noticeable in their absence. (Ebd., 15) Over The Top II: Content Delivery Networks (CDNs) und intermediales Retrofitting Mit der Kompression und dem Um/Formatieren stehen Kulturtech- niken im Fokus, die transversal zu Medienspezifiken und -entwicklungen gedacht werden können. Over The Top soll nun zeigen, wie die vorhandene Struktur des dezentralen Internets mit Übertragungsvorstellungen des Fernsehens und qualitativen Vorgaben, die medienontologisch und medientheoretisch auf das Kino bezogen wurden, korrelieren. „Trans- forming the Internet medium to make television fit inside“, wie es Sandvig (2015, 239) darlegt, habe daher immense Auswirkungen auf bestehende mediale Konstellationen, aber in transformativ umgekehrter Richtung. Nicht das Fernsehen muss sich den Vorgaben des Internets, sondern das Internet auf die Einpassung des Fernsehens einstellen: „The Internet is being ‚re-massified‘“ (ebd.). Die „Umstülpungs“- und Einpassungsvorgänge seien daher vielmehr als „Retrofitting“ zu verstehen (ebd., 231). Sandvig beschreibt, wie eine inhaltsunabhängige Übertragung, die in Zeiten einer aufgehobenen Netzneutralität (Lobato 2019) als vergangene, bessere Welt daherkommt, durch ein massenmediales Zuschauer/innen-Verhalten nicht mehr geleistet werden konnte: 170 High Definition [T]he Internet is now, for the first time, centrally organized around serving video. And this does not refer to video as a mode of communication in general, but specifically to serving a particular kind of video from a very small number of providers to large numbers of consumers. (Sandvig 2015, 237) Netflix, so legen es die Statistiken immer wieder offen, ist für einen immensen Anteil des Internet Traffics verantwortlich (Rothöhler 2018, 32 und 2020; Sandvig 2015, 237). So entsteht ein Nachfrage-Überhang, der bei gleichzeitigem Zugriff der User/innen auf einen Inhalt den Server überlastet und sogar lahmlegen kann (sogenanntes „SlashDotting“; Sandvig 2015, 230) und dessen geringstes Übel aus ökonomischer Perspektive die buffernden Digitalbilder und die krankende Psyche der Zuschauer/innen wären. ABR stellen eine am prozessierenden Bild vorgenommene Möglichkeit dar, einen Datenstrom stabil zu halten; sogenannte CDNs, Content Delivery Networks, tarieren andererseits Datenschwankungen auf der Netzebene aus. Dabei handelt es sich, wie Rothöhler schreibt, um proprietäre Distributionsnetzwerke, die Nutzeranfragen über ein Request-Routing-System auf lokal verteilte Replica-Server umleiten, um insbesondere datenintensiven und zeitsensitiven Content mit Multimedia-Charakteristika auf der Basis identifizierter und geogra- fisch zugeordneter IP-Adressen einer signifikanten Performance- Optimierung zu unterziehen. (2018, 29) D.h., dass ein global-dezentrales Netzwerk die Übertragung des Inhaltes lokal umverteilt. Nicht mehr ein zentrales Rechenzentrum wird von jedem Ort der Welt adressiert, sondern örtlich günstig gelegene Server spiegeln die Inhalte und übernehmen die Distribution. So werden die Daten- informationen geografisch näher zu den Zuschauer/innen gebracht und leichter und schneller abrufbar. Das bedeutet auch, dass die Zuschauer/ innen wiederum aus diesen lokalen Vorgaben spezifiziert werden können. Um die Formulierung Paul Nipkows zu paraphrasieren: Ort A will nicht unbedingt von einem beliebigen, sondern einem kulturell bestimmbaren (Lobato 2019) Ort B aus gesehen werden. Netflix nutzt sein eigenes CDN, Open Connect (Netflix 2019; Rothöhler 2020), um den Dezentralismus auf die örtlich zu beschränkenden Rezeptionspräferenzen einer gar nicht so unähnlichen Zuschauerschaft herunterzubrechen. Ersichtlich wird so auch, dass kulturelle Präferenzen nicht so einfach wie digitale Bildinhalte auf Systemumgebungen „übergestülpt“ werden können – ein Aspekt den Ramon Lobato in seinem Buch Netflix Nations ausführt: Um/Formatieren 171 Digital distribution does not come ‚over the top‘ of culture … . AUDIENCE STILL SKEW LOCAL IN THEIR TASTE … . THE GLOBAL DOES NOT REPLACE THE LOCAL, BUT THE TWO CAN HAPPILY COEXIST. (2019, 181–183, Hervorhebung im Original) Der Vorteil von CDNs für ein Medienunternehmen wie Netflix liegt weiterhin auch darin, dass sie bei der Versendung von Dateninformationen im dezentralen Netz bevorzugt werden. Wie Rothöhler (2018, 30) aus- führt, „produzieren und vermarkten [sie] Verteilungshierarchien“. Durch CDNs tritt eine Differenzierung „nach zirkulativen Reichweiten, nach abgestuften Signallaufzeiten“ ein, die herausstellt, dass „längst buch- bare Überholspuren und Expressversandoptionen“ jenseits der Utopie eines demokratisch-wertneutralen Internets existieren: „Es fließen also verschiedene Flows, je nachdem, welche Infrastrukturen ihn [den Bild- flow] operationalisieren“ (ebd.). Die CDNs sind weniger von Auflösungs- schwankungen gekennzeichnet, liefern ihren HD-Bildinhalt stabil und farb- brillant und tarieren gleichsam skalare In/Varianz aus, wie es schon über die erwähnten ABRs nachzuvollziehen war. Mit CDNs und ABRs zeigt sich, dass hochaufgelöstes Bildmaterial, das online zu sehen ist, ein dezentrales Netzwerk verändert, indem es auf eine Stabilisierung der Verteilungssituationen pocht. Die Potenziale der Hochauflösung, die Too Much Images, sind ein „Zuviel“ für die bestehende Infrastruktur, zumindest wenn dabei der Netflix-Traffic gemeint ist. Skalare In/Varianzen werden unter diesen Vorgaben über Strategien auf- lösungsschwankender Too Much Images, wie die dunklen Bilder in House of Cards post/perzeptuell zeigen sollten, oder über wertökonomische Differenzierungen verschiedener Digitalbildflows registrierbar. Aus einer medientheoretischen Perspektive sollte mit Sandvig daran anschließend gezeigt werden, dass eine dezentrale Over-The-Top-Verteilung der Bilder zu einem Retrofitting führt, das wie Rothöhler sagt, „das Internet in gewisser Hinsicht auch als Distributionsstruktur wieder jenem Medium angleicht, dessen Formatgeschichte auf den Content-Oberflächen ohnehin permanent remediatisiert wird: dem Fernsehen“ (ebd., 31). Was sich einhergehend für das Rezeptionsverhalten zeigt, ist, dass die Sichtungs- präferenzen scannenden Algorithmen zwar auf post/perzeptuelle Intimität bzw. auf ein On-Demand-Angebot ausgerichtet sind, die Rezipient/innen aber weiterhin nach massenmedialer Adressierung suchen: Sie alle2 wollen Fincher, und zwar in HD. 2 In China ist die Serie z.B. rezipierbar, ihre Wirkung zeigt sich aber v.a. über die Kon- zeption einer „chinesischen Gegenerzählung“ (Gansen et al. 2018, 328). 172 High Definition David Finchers Locked-Up-Ästhetik Nach der Überwindung des prekären Anfangs feiert House of Cards seinen (Fernseh-)serienstart und eröffnet mit der Silvesterparty des Regierungs- stabs in Washington das diegetische Universum. Underwood bewegt sich auf dem politischen Parkett und führt dabei die aufmerksamen Zuschauer/ innen in die personellen Verstrickungen ein, indem er seine Kolleg/innen, also den Cast der ersten Staffel, vorstellt. Underwood nennt einen Namen und in einem Umschnitt wird die Person im Trubel der Gala, jedoch immer zentriert und aus einer distanzwahrenden, beobachtenden Perspektive gezeigt. Die Kamera befindet sich in diesen Momenten mit den im Bild zu sehenden Charakteren auf Augenhöhe. Nur der President Elected (Garrett Walker/Michel Gill) steht leicht erhöht auf einer Bühne. Die Kamera muss minimal nach oben zu ihm aufschauen. Bei dessen Inaugurationsfeier am Ende des ersten Kapitels vergleicht Underwood Macht mit „real estate“: „[I]t is all about location, location, location“ (Kapitel 1, 00:48:45). Die Position der Figuren gibt, so Underwood, ihre Nähe zur Macht und Kon- trolle preis. Das gilt gleichsam für die Kamera. Dass sich diese Einschätzung auf die Platzierung des Protagonisten selbst, auf seine Stellung im Bild beziehen lässt, zeigt sie in einem Schwenk: Während Underwood zunächst im Voiceover spricht, öffnet die Bewegung das Bild nach links, gibt den Blick auf den Protagonisten frei und macht auf den minimalen Abstand zwischen ihm und dem gerade den Schwur leistenden Präsidenten aufmerksam. Das politische Parkett bestimmt nicht nur auf der Silvesterparty die Settings, in denen sich die Handlung der Netflix-Serie abspielt. Lange Korridoreinstellungen und Personen in der Mitte des Bildes hinter Schreibtischen, Redner/innenpulten oder Mikrofonen sind Standard- einstellungen in House of Cards. Die Kamera bleibt statisch und nur eine geschmeidige Zoomfahrt tastet sich bildintern an die zentral platzierten, häufig aus einem Plenum herausstechenden Figuren heran, die so passend zu ihrem „Verhältnis zur Macht“ im Raum wachsen und schrumpfen. Aus dieser Struktur ausbrechen können sie jedoch nicht. Die Serie scheint sich gegen mögliche skalare In/Varianzen durch starre Kader und klar definierte Kamerapositionen zu wappnen. Ein vorgegebener, gesetzter Rahmen, „the eternal solidity of political and social structures“, um das Zitat von Finn noch einmal zu wiederholen, übt Druck aus und scheint indifferent gegen- über personellen Abweichungsbegehren: „as waves of invisible humanity wash over them“ (Finn 2017, 105). Eine Szene wird gesetzt und alles, was in ihr auftritt, kann nicht mehr als im vorgegebenen Raster reagieren. Per- sonengefüge, ihre Gespräche, ihre Körperhaltungen und ihre Bewegungen zueinander sind daher Auswirkungen der vorprogrammierten Direktive. Um/Formatieren 173 Diese Art der Inszenierung verleiht in House of Cards einem politischen System und dem vorherrschenden Machtvakuum, aber auch einer Bildlich- keit unter Vorgaben algorithmischer Post/Perzeption, Ausdruck. V.a. den Eskalationen, den gewaltvollen Aktionen der Personen, die unter der Last dieser strengen Anordnung stehen, widmet sich die Serie. Die rigide Ästhetik plant Fincher ganz genau. Jedes Detail befindet sich an der exakt dafür vorgesehenen Stelle. Die erzählerische Attitüde des Regisseurs und sein Perfektionswahn können als eine strikte Form der Informationsvermittlung bezeichnet werden. Finchers Narrationen, die vom Filmkritiker Ignatiy Vishnevetsky als eine „bam-bam-bam construction“ (2011a, Hervorhebung im Original) beschrieben werden, leben von der kalkulierten Prozessierung der narrativen Informations-Bits. Weniger gehe es bei der diegetischen Exploration um ein „Warum“, als vielmehr um die Reihenfolge von Handlungsabläufen, die sukzessive Weitergabe von Informationen. Aus diesem Grund sind wenige/keine Hervorhebungen, unmotivierte oder aufgeladene Kamerabewegungen in Finchers Arbeiten zu sehen. Es gehe, und hier kann Tony Szhou und seinem Videoessay David Fincher: And the Other Way is Wrong (2014) gefolgt werden, um „a simple proscenium way“ (00:03:45), eine im Vordergrund angesiedelte, im Weitwinkel gedrehte Darlegung eines dramatischen Zusammenhangs: „[T]his is what’s going on, this is what this guy sees“ (00:03:52). Dafür greift der Regisseur stark auf post/produktive Mittel und Praktiken zurück. Er arbeitet mit Green und Split Screens und mit CGI-Bildeinsätzen, verlässt sich auf Motion Capturing und nutzt ein Übermaß an Bildauf- lösung, die es ermöglicht, jeden Pixel an die richtige Stelle zu schieben (Linseisen 2017). Um die Stabilisierung der Inhalte im HD-Bild weiter zu unterstreichen, wurde in House of Cards vollständig auf den Einsatz von Handkameras verzichtet. Bewegtbilder, die nur durch kalkulierte Bewegungen und sehr mechanisch bewegte Vehikel entstehen – Finchers Bilder sind ästhetisch völlig kontrolliert. Am besten lässt sich dies über die Autofahrtszenen in der Serie zeigen. Auch diese wurden „stillgelegt“. Autos werden unbeweglich vor Green Screens gefilmt. Das ist erst einmal nichts Neues in der Produktionsgeschichte von Bewegtbildern. Interessant wird das Produktionssetting aber, wenn die über der Limousine angebrachten Full-HD-Flachbildfernseher eine vorbeiziehende Landschaft abspielen – eben jene, an der die Karosserie in der fertigen Episode schließlich vorbei- fährt. Die auf den Screens gezeigten, passierenden Bilder einer Außenwelt, die beim Post/Produzieren die Stellen füllen werden, die der Green Screen einnimmt, spiegeln sich in der blank-polierten, glänzenden Oberfläche der Motorhaube. Es geht um die Reflexion, nicht etwa einer Bewegung, 174 High Definition sondern eines Bewegungs-Bildes, das als indirekte Beleuchtung eines HD-Bildschirms den Spiegeleffekt hervorruft. Hochaufgelöstes Bild wird mit hochaufgelöstem Bild und nicht etwa Bewegung mit Spiegelung syn- chronisiert. Sogar eine solch komplexe Visualität wie diese Reflexion wird dabei zu kalkulierbarer Pixel-Information und ist auf das post/perzeptuelle Leuchten der reflektierenden Screens und folglich auf prozessierte Daten zurückzuführen. Post/Produzieren ist bei Fincher explizit mit einem auf den Output aus- gerichteten und am ungehinderten Workflow orientierten Arbeitsload verbunden. All die Making-ofs der Fincher Produktionen zeigen hoch- ambitionierte Produktionsgefüge, bis ans Ultimo belastete Arbeitskraft, Tight Schedules und v.a. verbissene Perfektion, um fieberhaft an der Fertigstellung eines hyperkapitalistischen Produkts mitzuwirken (Hediger 2009). Unter digitalen Vorzeichen sind dabei Medien-Management-Systeme, die z.B. die Übertragung und Speicherung der digitalen Dailies garantieren, essenziell. Eine immense Datenmenge legt sich über die zeitorientierten Fertigstellungsprozesse, sodass bei der Produktion von House of Cards von einer Relation der Zeit zur Datenmenge im selben Maße wie bei der geschmeidigen Übertragung der gestreamten Inhalte später auf Net- flix gesprochen werden kann. In beiden Fällen soll am Ende der typische Fincher-Look stehen: Die UHD-Oberflächen der Serie sind „locked-up“ (Szhou 2014). Fernsehgeschichte in (Hoch-)Auflösung Dass das Begehren nach einer solchen geschlossenen Bildlichkeit mit einer Umstrukturierung dezentraler Verbreitung von digitalen Bildinhalten hin zu einer massenmedialen Fernsehlogik führt und sich demselben auf dis- tributiver Ebene wieder annähert, konnte mit Sandvig gezeigt werden. Dass dies gerade über hochaufgelöste und qualitativ hochwertige Bildlichkeit, wie sie mit Finchers House of Cards benannt ist, geschieht, ist aus fernseh- theoretischer Sicht jedoch hochgradig ambivalent: „Wie sehr darf sich das Fernsehen verändern“, fragt Sudmann (2017, 98), „etwa durch Prozesse der technischen Optimierung, damit es noch als Fernsehen gelten kann?“. Mit der Problemstellung ist eine Post/TV-, Post/Broadcast-Diskussion zusammengefasst, die sich über die Diskurse zum Quality-TV (ebd., 71–78), zur cineastischen Fernsehästhetik (ebd., 89–92) und den angeschnittenen Fragen zum Internet-TV (ebd., 81–86) in kulturnormative, ästhetische, dis- tributive und rezeptionsästhetische Themenbereiche auffächert. Angelegt scheint sie schon in der behandelten HD/LD-Differenz nach Marshall Um/Formatieren 175 McLuhan, die unter digitalen Vorzeichen konkret auf das zu besprechende digitale HD-Format bezogen werden kann. Wie in Kapitel 2.1. aufgezeigt, fragt McLuhan danach, was passiert, wenn das Fernsehen seine, an eine am nordamerikanischen Übertragungsstandard der 1960er-Jahre aus- gerichtete, mosaikartige Bildlichkeit aufgibt und nicht mehr als die unzu- sammenhängenden Punkte, die durch die Zuschauer/innen perzeptuell und kognitiv zu einem Bild aufgefüllt werden müssen, wahrnehmbar sind. Jens Schröter macht in seinem Essay zum Diskurs des ‚High Definition‘-Bildes (2011) deutlich, dass sich McLuhans Argument mit seiner Frage und bei der Beziehung von phänomenologischem Output und medientechnischer Basis in einen Widerspruch verstrickt: Wenn ein Fernsehbild eine Art Mosaik ist, dann ist es das auch bei stark gesteigerter Auflösung, selbst wenn dies nicht mehr wahr- nehmbar sein sollte. Dann bliebe Fernsehen aber auch bei gesteigerter Auflösung Fernsehen. Wenn umgekehrt aber die Steigerung der Auflösung dazu führen soll, dass Fernsehen kein Fernsehen mehr ist, dann geht es offenbar nicht um die mosaikartige Struktur, sondern um deren Wahrnehmung, die Anmutung, den ‚Look‘ des Bildes. (Ebd., 22) Die Unterscheidung zwischen dem Aufbau und der Erscheinung eines Bildes, so Schröter, lasse ein Erkenntnisinteresse McLuhans offenkundig werden, dem es v.a. mit seiner heiß/kalt-Differenz um die Perzeption und einhergehend die phänomenologische Dimension und weniger um die medientechnische Beschaffenheit gehe. Welche Rezeptionshaltung nun ein HD-Fernsehbild ermöglichen könnte, macht Schröter in Anschluss an und in Abgrenzung zu McLuhans Medien- differenzierung mit einer diskursgeschichtlichen Beobachtung deutlich, die auf die Formel algorithmischer Post/Perzeption zurückzuführen ist: HD stehe für das „technophile“ (ebd., 26, Hervorhebung im Original) Sub- jekt, das durchaus eine perzeptuelle und kognitive Aktivierung durch das Bild erfährt. Die aalglatten Oberflächen stellen aus, dass „das zu Repräsentierende scheinbar durch die Vermittlung ungetrübt (kein Rauschen etc.), also eigentlich unvermittelt, erscheint“. Gleichzeitig aber, so ist Schröter zu folgen, „soll dieses Zurücktreten und Unsichtbarwerden des Mediums selbst beobachtet und bewundert werden“ (ebd.). Eine post/ perzeptuelle Bildästhetik als medienreflexive Selbstreferenz ist, zwar unter umgekehrten qualitativen Vorzeichen – vom störfreien Unsicht- barwerden zur programmunterbrechenden Störung –, für Oliver Fahle und Lorenz Engell (2006, 12) paradigmatisch für die Medialität des Fernsehens. Sie argumentieren anhand des Testbildes, „ein Bild, das nichts anderes 176 High Definition zeigt als eben die rein materiellen Möglichkeiten des Wahrnehmens“: „Im Fernsehbild wird die Wahrnehmung des Fernsehens ihrerseits wahr- nehmbar“ (ebd.). Die Performanz einer reinen „Möglichkeit des Sehens“ (ebd.) kann, wie Schröter (2011, 26) ausführt, auch auf die HD-Bilder bezogen werden: „Das technophile Subjekt soll die Erscheinung der Nicht- Erscheinung des Mediums beobachten“. Post/Perzeptuell können die HD- Bilder daher einerseits positiv(istisch) bewertet werden, wenn sie in den rauschfreien Oberflächen die geglückte Bildübertragung demonstrieren: Sieht man HD, passt die Internetverbindung. Post/Perzeptuell kann in Densons Sinne andererseits von „sense data to come“ gesprochen werden, nur dieses Mal nicht unter Vorzeichen der Metadaten, sondern in Bezug auf die nächsthöhere Auflösung, wie Schröter darlegt: „Das Entsetzen vor dieser Blindheit ... mag das Begehren nach immer höherer Auflösung – von HD zu UHD ... befeuern“ (ebd., 29). Das matte Licht aus House of Cards mag in den auf Details ausgelegten Bildern Finchers als medienreflexiver Verweis auf diese post/perzeptuelle Bildambivalenz gelten. Unter den für die Wahrnehmung erschwerten Bedingungen algorithmischer Bildkonstitution sind die schwach aus- geleuchteten und dennoch detailreichen Ansichten ein Trigger, die Augen zusammenzukneifen und scharf zu stellen. Schließlich fordern Finchers informationsdichte Bilder genauso wie die HD-Ästhetik geradezu dazu auf, auch den kleinsten Pixel und das unscheinbarste Detail nicht aus den Augen zu verlieren. In der Post/Perzeptionshaltung einer Fokussierung auf „minuziöse ... Details“ (ebd., 32) deutet alles auf ein Perfect Match hin: Fincher will HD und HD Fincher, aber v.a. will Netflix beides. Alle 73 Epi- soden von House of Cards, die im November 2018 zu einem Ende kommen, wurden mit einer RED Kamera und auf Basis prozessierter HD-Bildlichkeit gedreht, in der ersten Staffel mit einem beinahe völlig kabellosen Set (Blair 2013). Die zweite Staffel wurde mit dem Marketingclou angekündigt, die politischen Machenschaften aus Washington sogar in 4K über bestimmte Playbackgeräte streambar zu machen (Holert 2014, 38). Die dritte Staffel sollte über die Produktion mit einem 6K-Sensor der RED Dragon einen noch stabileren Bildoutput in 4K ermöglichen und den Einzug von UHD ins Streaming-Segment weiter befördern (Giardina 2015). Die mit HD implizierte Steigerungslogik, so lässt es sich über einen Blick in die Fernsehgeschichte, den Schröter anleitet, dokumentieren, ist aber keine, die von Netflix erfunden wurde. Vielmehr handelt es sich um das generelle Problem, zu garantieren, dass übertragene Informationen besonders rauschfrei bei den Empfänger/innen ankommen. Das Fernsehen stellt diese Frage explizit unter die Vorzeichen des Akronyms: Auch das Um/Formatieren 177 Massenmedium „will“ HD und dies wird ziemlich genau so seit seinem Anbeginn geäußert. Eine kleine Rekapitulation des Zusammenhangs von Fernsehen und HD beginnt dabei an derselben Stelle, an der auch House of Cards ihren Ursprung hat: bei der BBC. 1990 strahlt die britische Fernsehanstalt die gleichnamige Vorlage von House of Cards im PAL-Format aus; 1935 legt sie das Marconi-EMI Bild mit 405 Zeilen (Abramson 1987, 185) als Übertragungsstandard für ihr damaliges Fernsehprogramm fest und kommt so dem Anspruch an ein HD-Fernsehen nach. Dieser wird von der London Times schon am 13. Oktober 1933 beanstandet, mit einer „Auflösung größer als 30 Zeilen“, in Abgrenzung zu einer „low-definition“, die unterhalb dieser qualitativen Schwelle bleibt (Schröter 2011, 22). 1933, so macht es Schröter deutlich, wird also das erste Mal von HD in Bezug auf zu übertragenden, audiovisuellen Content im Fernsehen gesprochen. Am 2. November 1936 sendet der britische Fernsehsender dann aus dem Alexandra Palace in der gewünschten hohen Auflösung. Eine dort angebrachte Gedenktafel erinnert an das Ereignis (London Remembers o.J.). Von dort nun lässt sich der Ausgang bestimmen für ein in der Technikgeschichte des Fernsehens verankertes Streben nach immer höherer Auflösung der Bildübertragung. Wie der Medienwissenschaftler Ulrich Schmidt (2013, 11) argumentiert, würden sich die technischen Entwicklungen ab 1933, also ab dem Zeit- punkt als das technische Setting der Signalübertragung des Fernsehens standardisiert ist, vornehmlich auf die Verbesserung des Auflösungsver- mögens beziehen. Die Benennung fernsehtechnischer Entwicklungen mit dem Akronym HD setzt dann in den 1980er-Jahren wieder ein: Auch der zunächst gescheiterte Versuch der Implementierung des Digitalfernsehens läuft unter der Abkürzung HDTV (Bischoff 1993). Die oben angesprochenen Flachbildfernsehgeräte oder die Wiedergabe der Fernsehinhalte über hochauflösende Videoprojektoren zeigen die technische Weiterentwick- lung auch auf der Dispositivebene. Wie Sudmann exemplifiziert, kann eine Kathodenstrahlröhre einen Durchmesser von maximal 100 Zentimeter nicht überschreiten: „Insofern kommt Größe beim Fernsehen als distinktions- fähige Kategorie kulturellen und ökonomischen Kapitals erst im Zeitalter von Plasma-Flachbildschirmen zur Entfaltung“ (2017, 101, Hervorhebung im Original). Plasma-Technologie, die in der Unterhaltungsindustrie ab den 1990er-Jahren ihren Anfang nimmt (ebd.), eignet sich besonders für eine Wiedergabe von digitalen Inhalten, da die „Portionierung“ der Licht- sendung in kleinen pixel-ähnlichen Kammern erfolgt. Mit dieser Technik ist einer Steigerung der Bildschirmgröße als expandierendem Rahmen für immer größere HD-Pixelproportionen zunächst keine Grenze gesetzt. Ab 178 High Definition den 2000er-Jahren wird dann eben diese digitale Signalübertragung wieder mit dem Akronym „HD“ überschrieben. Dennoch stellt Sudmann fest, dass, trotz der Tendenz zum immer größeren Fernsehgerät und der einhergehenden kulturellen Revalorisierung der Medialität des Fernsehens, auf die auch Schröter (2011, 21–36) sowie Michael Newman und Elana Levine (2012) hinweisen, immer noch von einem „Nah-Sehen“ ausgegangen werden kann (Sudmann 2017, 107). Die Inhalte, so Sudmann, werden vornehmlich über die kleinen digitalen Bildschirme gesichtet, die auch das House-of-Cards-Bild schwach ausleuchten. Dass die von Netflix produzierten UHD-Bilder dabei von den meisten Wiedergabe- geräten überhaupt nicht abgespielt werden können, soll als ein Potenzial der Hochauflösung im Sinne skalarer In/Varianz und post/perzeptueller Bildlichkeit verstanden werden. Die detaildichten Ansichten in UHD und 8K erzeugen zudem Wahrnehmungsgefüge, die Menschen auf ihre Auf- lösungsschwellen aufmerksam machen. Dass mit der datendichten Format- vorgabe aber gar nichts über den phänomenologischen Seheindruck gesagt ist, haben medientechnische Drosselungen wie die ABR gezeigt. Gerade das digitale HD-Format macht deutlich, dass mit den bezeichneten Pixelproportionen dezidiert nicht spezifiziert wird, wo und wie die Bilder erscheinen. Dadurch sind auch die (riesigen) Punktmengen in Bezug auf den qualitativen Eindruck eines Bildes nicht besonders aussagekräftig. Wenn z.B. 1920 Bildpunkte auf einer Horizontalen von drei Metern ange- ordnet werden, macht dies einen phänomenologischen Unterschied im Ver- gleich zu einer Anordnung derselben Anzahl an Pixeln auf 50 oder 15 Zenti- metern, darauf wurde schon in Kapitel 1.1. hingewiesen. Weder steht daher mit der durch das Akronym bezeichneten Pixelproportion fest, wie weit die Bildpunkte auseinanderliegen, noch in welcher Entfernung sich der/ die Betrachter/in idealerweise zu ihnen einfinden sollte. Gerade bei dieser Unbestimmtheit möchte ich von Potenzialen der Hochauflösung durch das Um/Formatieren sprechen. Mit der Verbesserung einer Auflösung des Fernsehbildes ist demgemäß weder ein qualitativ-stabiler Seheindruck garantiert noch eine lineare Fernsehtechnikgeschichte geschrieben, die teleologisch im digitalen HD-Auflösungsstandard enden würde. HD zeigt vielmehr, und das nicht zuletzt über die jüngsten Kompatibilitätsprobleme zwischen Ausgabegerät und Auflösungsvorgaben, aber auch durch die unspezifische Übertragungssituation, die von Home-Entertainment bis zum Tablet-Screen reicht, dass Um/Formatierungsprozesse die Potenziale der Hochauflösung ausschließlich im Abgleich zur medientechnischen Umge- bung definieren. Diese ist weiterhin auch konkret-historisch verankert. Mit dem digitalen HD-Format wird eine qualitative Flexibilität und eine Um/Formatieren 179 Verbesserung der dezentralen Distributions- und Zirkulationsfähigkeit des Digitalbildes und nicht die eindeutig phänomenologisch fixierte Bild- beschaffenheit fassbar. HD-Bilder funktionieren, so kristallisiert sich ein weiteres Mal heraus, post/perzeptuell. Setzt man den Datenstream mit dem Fluss der Mediengeschichte gleich, dann ist die Korrelation von HD und Fernsehen produktiv, wenn man sie jenseits der innovationsgläubigen Steigerungslogik als skalar in/variante Entwicklung mit all ihren Abweichungen denkt. So wäre dann nicht nur HD unter den im Zentrum stehenden digitalen Um/Formatierungsvor- gaben näher bezeichnet, sondern auch die medieninhärente Logik der Weiterentwicklung des Fernsehens selbst. Diese, so führen es eine ganze Reihe von Fernsehtheoretiker/innen aus, bestehe nämlich gerade darin, die eigene Genese und den eigenen Wandel selbstreferenziell einzuholen, auszustellen und als instabil auszuweisen. Fernsehgeschichte ist eine verzweigte Entwicklung, die nicht teleologisch auf eine Vollendung hin- arbeitet, sondern, im Sinne der Potenziale der Hochauflösung, trans- formationsontologisch gedacht wird. Fernsehen wird von Forscher/innen als „Experiment“ (Keilbach und Stauff 2011; Jahn-Sudmann und Starre 2013; Grisko, Münker und Engell 2009), als „Agent ... des Wandels“ (Beil et. al. 2012; Beil et. al. 2016; Maeder und Wentz 2013) oder als „komplexe Welt“ (Rothemund 2012) beschrieben. Als reflektorisches Vehikel des Fernsehens, so beschreibt es Sudmann (2017, 5), stehen nun gerade die Serie und das Serielle zur Verfügung, die im „Schema von Wiederholung und Variation“ Prozessdenken durch ästhetische Ausgestaltungen darlegen. Mit dem Konzept der „seriellen Überbietung“ möchte Sudmann ein prozessuales Gefüge beschreiben, das im Sinne eines Akteur/innen-Netzwerks nach Latour durch Feedback- und Reaktionsmechanismen eine agentielle Komplizenschaft zwischen Serie und Zuschauer/in integrativ zusammen- fasst (ebd., 306). Dabei, so scheint es, entsteht ein durchaus ambivalentes und vermeintlich instabiles Setting, welches einen bestehenden Daten- fluss einerseits nicht abbrechen lassen will, in der ständigen Bemühung, einen Prozess über Wiederholung, Antizipation und Reflektion am Laufen zu halten. Andererseits, so macht es Sudmanns Konzept der Über- bietung deutlich, wird gerade durch überbordende, überstrapaziöse Konstellationen der „Stream“ (der Serienerzählung, der Datenübertragung, der eigenen Genese) vermeintlich riskiert und ein Selbsteinholen der Serie durch ihre Überholung und Negation erkennbar. 180 High Definition Over The Top III: Serielle Überbietung Der dargelegte in/stabile Datenfluss korreliert Medienästhetik mit Mediengeschichte und Serie mit der Genese des Fernsehens. Wie kann, spielt man die Analogiebildung weiter durch, dann die im Kapitel aus- geführte Übertragungssituation, HD Over The Top, auf die historischen und ästhetisch-narrativen Entwicklungen des Fernsehens und der Serie Einfluss haben? Hochaufgelöste Bilder können nicht nur aufgrund der zu verarbeitenden Informationen als Gefährdung der Datenübertragung durch Buffering gedacht werden, sondern stellen auch eine Existenz des Fernsehens in Frage. Der absprechende Gestus einer „Not-TV“-Theorie und der Claim, „[d]as Fernsehen gibt es nicht!“ (Thompson 1996; Engell 1996; Engell 2006; Münker 2007) hängen zusammen mit den pixelstarken und farbbrillanten Ansichten, die scheinbar einer Fernsehästhetik wieder- sprechen, so wurde es oben mit McLuhan und Schröter dargelegt. Im Moment der (selbstreferenziellen) Überholung findet hingegen aber post/ perzeptuell die medienontologische Stabilisierung des Fernsehens statt. Dass daraus unbescheidene Werbe-Taglines wie „It’s HBO not TV!“ ent- stehen, zeigt nur, wie eng das Fernsehen mit der Vorstellung einhergeht, etwas zu zeigen, was davor im Fernsehen noch nie so zu sehen war (Sudmann 2017, 64) und so nicht weniger beschreibt als die post/per- zeptuelle Situation selbst. Wie wären eine solche Selbstüberholung und vermeintliche Stabilisierung nun im Zusammenhang von Serie und HD zu verstehen? Denkt die Serie ihre distributive Informationsweitergabe und die post/perzeptuellen Schwierigkeiten narrativ in House of Cards mit? Wie findet der (in/stabile) Datenfluss in House of Cards statt? Wie kann es anders sein: durch einen Moment (diegetischer) Überschreitung – Over The Top. Underwood richtet sich in der Parabase an das Publikum, bricht so mit der vierten Wand und lässt eine intime Kopplung zwischen Zuschauer/in und Serienuniversum entstehen. Das lässt sich über die zu Beginn des Kapitels beschriebene Silvesterparty-Szene nachvollziehen. Die vom Protagonisten in Stellver- tretung der Zuschauer/innen adressierte Kamera schreitet als Walk-and- Talk-Gesprächspartnerin mit Underwood durch den Festsaal. Die Kamera stoppt, wenn Underwood stoppt, und bahnt sich weiter ihren Weg durch die Menge, wenn der Protagonist anfängt zu laufen, blickt in die Richtung, in die er zeigt, und weicht nicht von seinen Lippen (siehe Abb. 3.3). Diese rezeptionsästhetische Komplizenschaft kippt in eine verhängnisvolle Bezeugung, wenn die Serienrezipient/innen machtforcierten Intrigen inner- halb des Politikbetriebs beiwohnen, die häufig tödlich enden. Rezeption heißt im Sinne der von Sudmann aufgerufenen prozessontologischen Um/Formatieren 181 Verstrickungen Partizipation im Netz an Machenschaften. Der metaleptische Blick Underwoods, die Zugänglichkeit zu Informationen, das Suggerieren von Wissensvorsprung und Kontrolle, errichtet insofern keine freundschaftliche Gemeinsamkeit, sondern perfide und kalkulierte Abhängigkeit. Wie passt nun diese Form der Informationsvergabe zu einer Ästhetik, die ihre Hermetik permanent durchexerziert? Sind Finchers Locked-Up- Bilder nun durch diesen metaleptischen Bruch gefährdet oder gebrochen? In diesem Fall wäre eine Inkonsistenz zwischen House of Cards und einer Fernseh-/Serien-Logik zu verzeichnen, denn für Thomas Morsch (2012, 160) ist die Adressierung der Zuschauer/innen durch Serien-Protagonist/ innen absoluter Allgemeinplatz: „Die Hauptfigur der Serie herrscht über einen autonomen audiovisuellen Diskurs, der gemeinsam mit ihr die vierte Wand der Fiktion durchbricht“. Bei Morsch zeigt sich eine Unterwerfung und Lenkung der Zuschauer/innen durch die Seriendiegese gerade in dem Moment, wenn diese sich selbst überholt. Dahingehend soll die Parabase aus House of Cards gedeutet werden und sich wieder einfinden in die über- bietende/stabilisierende Logik der Fernsehserie, und zwar in Bezug auf die mit Denson angesprochenen algorithmischen „sense data to come“. Denn wie Finn beschreibt, kann die Anrede durch Underwood und die verbundene „illusion of intimacy“ mit der kalkulierten Adressierung der Big-Data-Analyse von Netflix verglichen werden, einem „steady gaze of the algorithm looking back through our glowing screens“ (2017, 107). Durch den Bruch mit der vierten Wand wird der „Rahmen“ der Bilder überwunden, nur um die Bildumgebung in das Serienuniversum zu integrieren. Die Parabase ist ein weiterer, narrativer Over-The-Top-Mechanismus, der die kausale Weitergabe von Informationen und die Stabilisierung eines Serienuniver- sums durch seine diegetische Überwindung garantiert. Locked-Up sind die Bilder und Informationen nämlich nur, wenn sie, wie Netflix es mit den CDNs und die Serie über ihre ABRs und Schwarzbilder zu kontrollieren versucht, richtig passen. Führt man diese Frage noch einmal zurück auf die Übertragungslogik der HD-Bilder unter den instabilen, post/perzeptuellen Sichtungsvoraussetzungen, dann zeigt sich, dass nicht nur auf der Stream- Ebene eine immense Kontingenzakkumulation auftritt, sondern sich diese wiederum in einem kleinen technischen Device verdichten lässt: dem Adapter. Auch wenn Digitalbild und Übertragungssituation zusammen- passen, so ist der hochaufgelöste Stream erst garantiert, wenn die Schnittstelle übereinstimmt. Underwood und die Parabase, so ließe sich argumentieren, sind eine solche narrative Schnittstelle, ein diegetischer 182 High Definition Adapter, der dafür sorgt, dass der Datenstream im Sinne der Serie über- tragen wird. Dass Adapter nicht die dezentralisierende Logik des Internets kontrollieren können und es Digitalbilder geben wird, die von einer Direktive abweichen, zeigt gleichwohl die Serie selbst: Während Underwood auf der Silvester- party mit der kalkulierten Informationsweitergabe beschäftigt ist, ent- stehen an anderer Stelle Bilder, die gegen eine überbietend/stabilisierende Over-The-Top-Struktur rebellieren. Die Szene in Kapitel 1 beginnt mit dem Ende des Neujahrs-Countdowns. Gerade noch erhaschen Kamera und Publikum einen Blick auf den Zwölf-Uhr-Kuss der Underwoods. Unmittelbar davor geleitet Underwood statt dem/der Zuschauer/in ein anderes Plus One durch den Saal – doch davon erfährt man erst in der vierten Staffel, Kapitel 46, drei Jahre später. Dieses Mal sind auch die Netflix-User/innen nicht das einzige Publikum, das die Neujahrsparty zu sehen bekommt. In ihrem Rezeptionsverhalten jedoch vermeintlich gespiegelt, zeigt House of Cards Frank und Claire Underwood, wie jeder im eigenen (getrennten) Bett, das MacBook auf dem Schoß, den selben Videostream aufrufen und vom flackernden Licht der Screens sich selbst im Bild auf der Gala begegnen. Narrativ wird deutlich, dass Underwood Will Conway ( Joel Kinnaman), dem erst in der vierten Staffel eingeführten republikanischen Präsidentschafts- kandidaten und folglich Rivalen Underwoods, der mittlerweile selbst im Oval Office angekommen ist, bereits zu Beginn der Serienerzählung begegnet ist. Der Festsaal wird nun aus einer völlig anderen Perspektive in einen völlig anderen Rahmen gesetzt: verwackelte Handkamera, zu nahe Close-ups, schiefe Kadrierung, unmotivierte Schwenks, pixelige Bildqualität – absolute Fincher No-Gos. Dies liegt daran, dass die gezeigte Szene als Smartphone- Footage markiert ist, aufgenommen von Conway, der in der Serie als Social-Media-Addict auftritt und selbstdokumentarisch sein Leben in Form von streambaren Videos inszenatorisch und werbewirksam verbreitet. So werden die Underwoods stellvertretend für das Publikum von House of Cards unter dem matten Licht der post/perzeptuellen Algorithmen mit der Überwindung, den Abweichungen und Peripherien einer Over-The- Top-Logik konfrontiert (siehe Abb. 3.4., Kapitel 46, 00:45:00). Sie können über den Stream rückblickend nachvollziehen, dass mit der Figur Conways auch das aufgenommene Videomaterial schon 2013 in der Seriendiegese präsent war. Das ist für eine komplex aufgebaute, serielle Exploration einer Geschichte keine Besonderheit. Für die vorliegende Argumentation ist die durch die Rückschau eintretende Komplexitätssteigerung bezüglich der Um/Formatieren 183 behandelten Schnittstellenlogik und der Instabilität des Datenstreams von Bedeutung. So sehr die Silvesterparty im ersten Kapitel der Serie ein Proszenium im klassischen Sinne aufbaut, an dessen Schwelle zum Zuschauer/innenraum die erzählende Figur Underwood in die Geschichte einführt und die per- sonae dramatis aufzählt, so sehr wird diese diegetische Kanalisierung durch das Voranschreiten des Seriellen selbst gebrochen. Mit dem Rück- blick stellt sich heraus, dass zu einem Zeitpunkt, als die Informations-Dis- tributionsrichtung eindeutig erscheint, schon eine „Counter-Bildlichkeit“ präsent, potenziell vorhanden, wenn auch nicht sichtbar, ist. Egal wie stark die Bemühungen sind, Locked-Up-Bilder über eindeutige Adressierungen, Berechnungen und Schnittstellen zu überliefern, irgendwo entstehen andere Bilder, die irgendwann zum Vorschein kommen. Dies ist ein Befund einer nicht-linearen Over-The-Top-Verbreitung im Kontext post/digitaler Medien/Immanenz. Im dezentralen Netzwerk werden Inhalte und ihre Erscheinung, Sichtbarkeit und Sichtbarmachung nicht deckungsgleich gehandhabt. Die modifizierbaren ABR-Dateien, die CDNs, die Schwarz- bilder, der narrative Adapter Underwood sind qualitätsstabilisierende medientechnische und medienästhetische Kontrollversuche, um auf diese schwer zu kalkulierenden Wiedergabesituationen von audiovisuellem Inhalt zu reagieren. Zwischen den Enden dieses Spektrums, zwischen Kontrolle und Abweichung, siedeln sich die Potenziale der Hochauflösung an. Als solche können die „anderen“ Bilder, die Underwoods Funktion der Schnittstelle und Finchers Locked-Up-Bilder kommentieren und zu einem gewissen Grad auch boykottieren, unter den Vorzeichen von HD erkannt werden, auch wenn sie mit geringer Auflösung und so eindeutig counter- ästhetisch markiert sind. Die unscharfen und verwackelten Smartphone- Aufnahmen in House of Cards sind nicht nur intradiegetisch HD-Bilder, denn sie wurden mit der iSight-Kamera des iPhone 5 von Conway aufgenommen, die formattechnisch den Full-HD-Vorgaben entsprechen. V.a. aber iden- tifiziere ich diese Bilder als Potenziale der Hochauflösung, weil sie für jenes dezentral organisierte Bildnetzwerk stehen, das keine eindeutigen Kopp- lungen zwischen Bild und seiner Bildwiedergabe vornimmt. Oben wurde mit der Pinch-to-Zoom-Geste die Möglichkeit des HD-Bildes beschrieben, durch Verfahren des Upscalings in einen zu großen Rahmen zu passen. Im Gegensatz also zu den kennengelernten komprimierenden Verfahren, zeichnet sich eine HD-Bildlichkeit auch dadurch aus, dass kleine Digital- bilder groß werden können. Ein banaler Befund ist, dass die verwackelten Bilder auf HD-fähigen MacBook-Retinadisplays und anderen HD-fähigen Bildschirmen drei Jahre später im Serienuniversum aber auch durch die 184 High Definition Rezeption der Serie selbst ansichtig werden. So ist der Maßstab zwischen Bildauflösung und Auflösungsvermögen des Wiedergabekontexts benannt, der auch bei noch so kalkulierten Ansichten einen Möglichkeitsspielraum einräumt. Die Potenziale der Hochauflösung sollen im Folgenden gerade in diese Richtung bis an ihr Äußerstes strapaziert und erschöpft werden, z.B. wenn im Stream große Boote auf kleine Boote treffen. Um/Formatieren 185 Abbildung 3.3. (Quelle: Collage aus Serienstills. Fincher, David. 2013. House of Cards. Kapitel 1) Abbildung 3.4. (Quelle: Collage aus Serienstills. Gates, Tucker. 2016. House of Cards. Kapitel 40) 186 High Definition 3.2. HD Over The Stream: Algorithmische Erschöpfung Ein Videobild, an seine Grenzen gebracht. Zu sehen ist blaues Meer vor hellblauem Himmel, die Horizontlinie verblaut. Im Blau befindet sich ein dunkler Fleck. Er spiegelt sich in der schimmernden Farbe, verschwimmt darin, produziert geisterhafte Überblendungen, erscheint vergrößert und verkleinert, wankt im Bild, bewegt sich hin und her, scheinbar mit der Angst, den Bildrand zu berühren, den Kader gar zu überschreiten. Der Fleck gibt schematisierte Umrisse preis: von Menschen auf einem der Wasserlinie nahen Grund. Dann wird der Fleck ganz Punkt und verschwindet beinahe in den fließenden Übergängen des von der Sonne gebrochenen Meeresblau. Der Fleck ist ein Materialtest, er ist Epizentrum eines Bildes, das von ihm ausgehend seine Möglichkeiten durchläuft. Er gibt an, wie weit in das Bild hineingegangen werden kann und wie weit auch wieder aus ihm heraus. Der Fleck veranlasst Zooms, Kamerawackeln und -schwenks, nur um vom Bild eingefangen und stabilisiert zu werden. Er zieht das Bild immer wieder an sich heran. Dann verändert sich die Sicht: Der Fleck gerät aus dem Blick und in diesem Moment scheint das Bild seiner Grenze zu begegnen, ein Farbleuchten aus Weiß, Schwarz, Rosa, Violett und stechendem Grün zerrt an ihm, zermürbt und traktiert es. Mit diesen Ansichten aus Havarie (2016) zeigt Philip Scheffner, wie sich hochaufgelöste Digitalbildlichkeit in ihren Potenzialen erschöpft und auflöst (siehe Abb. 3.5.). Erschöpft sind Bilder für Deleuze, wenn sie keine Möglichkeiten mehr bereithalten. In diesen Zustand gelangen sie, wenn alle Möglichkeiten zuvor durchgespielt wurden, ohne jedoch ein Ziel zu verfolgen. Intentions- und präferenzlos werden alle Variablen getestet, alle Kombinationen geprüft, ohne jedoch etwas damit anzufangen, auf eine Lösung hinzuarbeiten oder eine der Möglichkeiten zu verwirklichen: „[M]an tut etwas, aber zu nichts“ (Deleuze 2008, 7). Vollständig erschöpft heißt, alle Möglichkeiten auf einer gleichwertigen Ebene anzuordnen und jegliche Form von subjektiver Präferenz bei dieser Reihung außen vor zu lassen: Aber nur der Erschöpfte kann das Mögliche erschöpfen, weil er auf alle Bedürfnisse, Vorlieben, Ziele oder Sinngebungen verzichtet hat. Nur der Erschöpfte ist so interesselos, so skrupulös. Er muß nämlich wohl oder übel die Projekte durch sinnlose Tabellen und Programme ersetzen. Für ihn zählt allein, in welcher Reihenfolge er tun muß, was er zu tun hat, und mit welchen Kombinationen zwei Dinge auf einmal, wenn auch das sein muß, für nichts. (Ebd., 8) Um/Formatieren 187 Was Deleuze als erschöpften Zustand ausweist, klingt nach einem algo- rithmischen Alptraum: Eine Aktionsabfolge („in welcher Reihenfolge er tun muß“), die immer weiter zählt – das wäre noch nicht so schlimm. Doch dass diese ziel- und sinnlos, indifferent („für nichts“), zu keinem Ende kommt, steht einer pragmatischen Algorithmus-Definition zuwider, die sich auf die vom Informatiker Robert A. Kowalski vorgegebene Minimaldefinition „Algorithm = Logic + Control“ (1979) bringen lässt. Algorithmen benennen die Schritte, die benötigt werden, um etwas zu berechnen. Sie bringen jedes Digitalbild zur Ansicht, indem sie den zugrunde liegenden Code inter- pretieren und die (vielen) Pixel an die richtige Stelle setzen. Universal finden sie ihren Einsatz beim digitalen Datensammeln, denn hier produzieren sie Blickschneisen, Abkürzungen, also Selektionsmuster, um eine Too Much (Data) World auf eine bestimmte Richtung festzulegen. Diese vor- genommenen Rahmungen werden unter Computeringenieur/innen, so machen es z.B. Andrew Goffey (2008) oder auch Finn (2017, 17) deutlich, als vorgefertigte „Lösung“ eines vermeintlichen „Problems“ bezeichnet: „‚[A]lgorithm’ came to describe any set of mathematical instructions for manipulating data or reasoning through a problem“. Wird auf diese Art eine Wirklichkeit mit einer Problemvorgabe gefiltert, dann steht am Ende keine Lösung, sondern eine verwertbare, passende Form des Problems selbst. Umgekehrt formuliert: Das Problem ist keine echte Frage, sondern eine mit einem Fragezeichen versehene Antwort. So erkennt Finn, dass jedem Algorithmus eine Abstraktion zugrunde liegt, nämlich „the abstraction of the desire for an answer“ (ebd., 25, Hervorhebung im Original). Erschöpfung bei Deleuze zeigt hingegen, wie algorithmisches Denken zu einer echten Frage werden kann, indem sie vollständig auf eine Antwort verzichtet. Das Deleuzesche Konzept der Erschöpfung möchte ich mithin in den Zusammenhang mit post/digitalen Ambitionen bringen und, auch im Sinne der Critical Code Studies, als das Gegenkonzept zum kybernetischen Phantasma herausstellen, nämlich der Vorstellung, in allem würde eine abstrakte Lösung liegen und Wirklichkeit wäre vollständig erschließbar, nur weil sie berechenbar sei. Im post/digitalen Sinne zeigt überdies Havarie, wie Erschöpfung als essayistisch-dokumentarische Praxis Digitalbildlichkeit von einer algorithmischen Gerichtetheit abbringen kann, wenn ein befragendes Interesse das Material bis auf sein Äußerstes hin testet. Dies passiert, so soll im Folgenden dargelegt werden, über das Hinzufügen von Pixeln, durch ein medientechnisches Upscaling. Gerade Hochauflösung macht die digitalen Materialeigenschaften des Bildes in seiner Erschöpfung sichtbar, bringt es ab von einer algorithmischen Direktion und soll aufgrund dieser 188 High Definition Eigenschaften im Folgenden mit dem von Schröter (2013) aufgerufenen Konzept der „Medienästhetik“ benannt werden. Seine Gedanken zur Erschöpfung macht Deleuze sich in Bezug auf die Fernsehspiele von Samuel Beckett, die der Künstler zwischen 1977 und 1982 für den Süddeutschen Rundfunk produziert. Anhand von Becketts Schaffen entwickelt Deleuze ausdrücklich am elektronischen Bild („Es gibt da eine Spezifität des Fernseh-Œuvres“, 2008, 18) die schon beschriebene Übersetzungskette vom Code zur Ansicht. Die Problematik der Un/Sinnlich- keit der Materialbasis lässt sich daran ein weiteres Mal erfassen und soll im Folgenden auch unter Zuhilfenahme von Engells (2000, 183–206) Intervall- These weiter ausgeführt werden. Bei Deleuze zeichnet sich nun der Weg vom Code zum Bild durch die Erschöpfung aller vorhandenen Möglich- keiten aus: Die Erschöpfung basiert nachgerade auf dem Übersetzungs- prozess von codierter Unsinnlichkeit zu bildlicher Sinnlichkeit. Dieser kon- stituiere sich bei Beckett, so Deleuze, durch drei aufeinander aufbauende, syntaktisch-semantische Ebenen: Sprache I, II und III. Sprache I stellt eine intentionslose Reihung, einen Code dar, Sprache II eine strömende, fließende Aktualisierung des Codes durch Stimmen, und Sprache III die alle Möglichkeiten aufgreifenden und zur Erschöpfung gedrängten Bilder. Mit Havarie soll dieser Übersetzungsweg an sein Ende gebracht werden und mit ihm auch ein durch die Medialisierung ermöglichter Blick, eine Perzeptions- aber auch Produktionshaltung, denn für Deleuze erschöpft sich nicht nur das Bild, sondern mit ihm auch sein Subjekt. Subjektive Perspektiven eines künstlerischen, essayistischen oder dokumentarischen Schaffens sollen durch ebendiese dissoziative Charakteristik befragt werden. Die entleerten Bilder und die aufgebrauchten Möglichkeiten tendieren im Folgenden daher hin zur Erschöpfung der Potenziale der Hochauflösung selbst – argumentativ im Rahmen dieses Buchs, da ihre erwähnten Formen (Post/ Produzieren und Um/Formatieren als skalare In/Varianz im und des Bildes) an dieser Stelle zusammenlaufen, wie ich im Folgenden zeigen werde. Potenziale der Hochauflösung erschöpfen: Um/Formatierungen post/produzieren Hochaufgelöste Digitalbildlichkeit und ihre Potenziale sind auszuschöpfen, wenn erstens Praktiken des Post/Produzierens Bilder und Wirklichkeit gleichermaßen als RAW/Format immer wieder adressieren, wie im Falle der Gaza-Burial-Fotografie geschehen und bei einer Too Much World in How Not to Be Seen, einer post/digitalen Medien/Immanenz, die kein Außen zulässt. Sie sind zweitens auszuschöpfen, wenn sie als um/formatierte Um/Formatieren 189 Existenzweisen flexibel und dennoch hochaufgelöst unter Vorgaben algo- rithmischer Post/Perzeption im Datenstream zirkulieren. Erschöpft sind die Potenziale der Hochauflösung, so soll an das Gedachte angeschlossen werden, wenn den um/formatierten Bildern mit post/produzierendem Agens begegnet und ihnen so Hochauflösung hinzugefügt wird. Mit dem Hinzufügen von Hochauflösung, dem Upscaling, geht, das soll im Folgenden mit Havarie ausgeführt werden, die Anreicherung von Zeit einher. Im Stream werden Digitalbilder post/perzeptuell prozessiert und hierbei wird das Material unter Zeitdruck gestellt. ABRs und CDNs haben das in Bezug auf House of Cards gezeigt. Die materielle Veranlagung, sich flexibel der Bildumgebung anzuschmiegen, wurde mit der Skalierbarkeit des HD-Formats erörtert. Im Folgenden soll es nun darum gehen, die aus diesem Zeitdruck resultierende, materielle Verausgabung um/formatierter Digitalbildlichkeit im Stream künstlerisch zu greifen zu bekommen. Es stehen die künstlerischen und essayistischen Auseinandersetzungen mit diesen Abnutzungserscheinungen der Bild-Netz-Beziehungen im Fokus. Diese werden gemeinhin auf den von Steyerl (2009) geprägten Begriff des „Poor Image“ gebracht, der im Folgenden einer Relektüre unterzogen wird. Dem durch den Datenstream lädierten Bildmaterial kann, wie Havarie es zeigt, nun mit post/produzierenden Verfahren begegnet werden. Hier kommen Potenziale der Hochauflösung zu ihrer Erschöpfung, wenn man um/formatierten Digitalbildern post/produzierend Dauer und Hochauflösung hinzufügt. Genau das geschieht in Scheffners Film: Der Dokumentarfilmer „fischt“ ein um/formatiertes Video aus dem Stream und setzt es post/produzierend unter die Vorgaben verstreichender Zeit. Der Clip, der ursprünglich nicht einmal vier Minuten lang ist, wird auf Spielfilmlänge gedehnt. Dadurch wird das Material weiter strapaziert, aber nicht, wie man meinen könnte, durch die Reduktion der aus seiner Zirkulationsexistenz heraus schon geschundenen Auflösung des Digital- bildes. Im Gegenteil: Scheffner reichert durch das Post/Produzieren den Clip gleichermaßen mit Pixeln und Zeit an. Er erhöht dessen Auflösung, fügt Dauer hinzu und statuiert erschöpfte Potenziale der Hochauflösung an der ambivalenten Grenze von niedriger ästhetischer Qualität und pixeldichter Formatvorgabe. Havarie, ein Film über Erschöpfung Über Erschöpfung lässt sich in Zusammenhang mit Havarie mehrfach sprechen. Zunächst erschöpft sich ein Thema in den Too Much Images der post/digitalen Medien/Immanenz, an dessen Anfang eine skalare In/ Varianz steht: Am 14. September 2012 um 14:56 Uhr lässt ein Defekt am 190 High Definition Schlauchboot havarierte Personen, die auf der Flucht sind, im Mittelmeer auf das Kreuzfahrtschiff Adventures of the Sea treffen – Sichtkontakt zwischen einem kleinen, marginalisierten und dem zweitgrößten Passagier- boot der Welt. Dieses Ereignis wird von einem Reisenden vom Luxusdamp- fer aus mit seiner Digitalkamera in einem dreieinhalbminütigen Clip fest- gehalten. Terry Diamond, der Urheber des Bildmaterials, lädt dasselbe auf YouTube hoch. Der Filmemacher Scheffner sieht den Upload, ist von ihm inspiriert, beantragt Filmförderung, fährt nach Algerien, Spanien, Frank- reich und dreht mit Personen autobiografische Versatzstücke über ihre Fluchterfahrung, die er essayistisch montieren will. Als es zum Post/Produ- zieren des aufgenommenen Materials kommen soll, ist das, was als mediale „Flüchtlingskrise“ in Europa gehandelt wird, an ihrem Höhepunkt, und die steigenden Zahlen der vielen Havarierten im Mittelmeer werden mit Affekt- bildern in den Medien kommentiert. In Reaktion auf diese Ausschlachtung der Thematik durch Bilder, die nicht nur, aber auch auf YouTube existieren, stellt Scheffner sein gedrehtes Filmmaterial in Frage (Scheffner und Kröger 2015). Das Thema scheint durch die universale Bebilderung und deren mediale Verbreitung erschöpft. Als Konsequenz verwirft der Dokumentar- filmer die visuelle Ebene seines produzierten Materials und sucht post/ produktiv einen radikaleren Ausdruck. Das vorhandene dreieinhalbminütige YouTube-Video, das Scheffner inspirierte, wird von ihm gedownloadet, in das Schnittprogramm kopiert und auf 90 Minuten, eine „kleine ... Ewigkeit“, wie Friedrich Balke (2018b, 306) es formuliert, gedehnt. Das Maß ist hierbei die Tonspur des Funk- verkehrs zwischen dem Kreuzfahrtschiff und der Seerettung, die das dramatische Grundgerüst der Szene liefert, nämlich die Sichtung und das Warten auf die Rettung der Havarierten. Das Eintreffen der Helfenden wird im Film nicht gezeigt, denn der YouTube-Clip liefert nur einen kurzen Ausschnitt dieser verstreichenden Zeit. Vielleicht erschöpft sich nach ein paar Minuten die Spannung des Sujets für den Filmenden? Scheffners Film dagegen stellt sich auf der Bildebene völlig in die Abhängigkeit dieser kurzen Sequenz und zeigt so eine appropriative Verantwortlichkeit gegen- über den Too Much Images einer post/digitalen Medien/Immanenz. Dass der kleine Clip stellvertretend für die vielen anderen Bilder – die gedrehten und verworfenen, die sensationsgeladene Bilderflut der Medien – einsteht, erschöpft ihn ästhetisch. Die künstlerisch-dokumentarische Dehnung, die ihn auf Spielfilmlänge und auf die Kinoleinwände bringt, strapaziert das Material, beteuert aber die „Ernsthaftigkeit seines Mandats“ für Too Much Images in einer Too Much World. Denn der kleine Clip entfaltet in der Um/Formatieren 191 Erschöpfung eine immense visuelle Wirkung und hält eindrücklich der Fülle an Bildern, für die er bürgt, stand. Neben dem Funkverkehr, der immer wieder im Film zu hören ist und zeitliche Einschnitte vom Notruf bis zur Rettung markiert, verwendet Scheffner den gedrehten Ton seiner ursprünglich geplanten Produktion. Die Schicksale, die in autobiografischen Schnipseln von den Interviewten geteilt, die Geistergeschichten, die erzählt, die melancholischen Lieder, die gesungen und die Reflexionen, die über die Existenzen der Migrierenden und Havarierten auf dem Meer gemacht werden, – sie alle zeugen von Formen existenzieller Erschöpfung. Nicht zuletzt handelt Havarie von der psychischen und körperlichen Anstrengung, von den Strapazen, den Gefahren und Ängsten, denen sich die Migrierenden aussetzen müssen. Diese werden durch die Stimmen der Erzählenden präsent und stehen im Gegensatz zur visuellen Ebene des Films. Die extreme Verlang- samung des Materials bringt eine Trägheit ins Bild, das selbst wiederum unspektakulärer und friedlicher nicht sein könnte. Das Meer ist ruhig, das Wasser sanft gekräuselt und die Sonne bricht sich strahlend glitzernd in der sich kaum bewegenden blauen Oberfläche, in deren Mitte sich die Erschöpften befinden. Durch das post/produzierende Hinzufügen von Dauer und Hochauflösung in Havarie wird der dreieinhalbminütige YouTube-Clip zu einer bild- rauschenden, stockenden Reihung von Einzelkadern und die Bewegung zu Buffering. Obwohl so viel Meer im Bild zu sehen ist, fließt hier nichts. Die Digitalbilder setzen auf schlechte Qualität, die in Zusammenhang steht mit jener Smartphone-Footage-Ästhetik, wie sie in Kapitel 2.1. mit Florian Krautkrämer angesprochen wurde. Krautkrämer trägt im Rückgriff auf John Fiskes (2009, 389) „videolow“-Konzept die visuellen Merkmale dieser Ästhetik zusammen: verschwommener Fokus, schnelle Kameraschwenks, maßlose Bildbewegungen (eine Kamera, die fällt) und v.a. die „geringe Auf- lösung“ des Bildmaterials (Krautkrämer 2013, 115). Die Reihe kann ergänzt werden um ein stetiges Kamerazittern, exzessive Zooms, das Filmen gegen die Sonne und klirrenden Ton. Viele dieser skizzierten, auf den Begriff des „Amateur/innenmaterials“ gebrachten Spezifika, sind im Video über das Schlauchboot mit den Geflüchteten nachzuvollziehen – nur nicht alle in Havarie. Denn die Verlangsamung des YouTube-Clips löst v.a. die schnellen, ruckeligen, schwankenden Kamerabewegungen im gemächlich zuckenden Voranschreiten der sich prozessierenden Keyframes auf. Die post/produzierenden Eingriffe Scheffners bringen andere qualitative Einbußen mit sich als diejenigen, die die Videolow-Ästhetik zunächst 192 High Definition anbietet. Die schlechte Qualität hängt nicht an der geringen Auflösung von Scheffners Havarie. Der Dokumentarfilm ist für die Kinoleinwand gemacht und wird im DCP-Format vertrieben. D.h. die verrauschten Bilder basieren auf dem verlustfreien JPG2000-Format mit einem Minimum an 2000 Pixeln in der Horizontalen und sind auf Basis der Formatqualität vergleichbar mit manchen Blockbusterproduktionen. Der online abrufbare Clip, der im für YouTube gängigen VP9-Codec zu sichten ist, offeriert dagegen nur eine Bildauflösung von 640 x 480 Pixeln. In der Zunahme der technischen Pixel, im Upscaling durch Scheffners post/produzierende Eingriffe, verringert sich dennoch die sichtbare Qualität des digitalen Bildes durch die zeitliche Dehnung. Diese schlechte Qualität kann als ästhetisches Blow-up iden- tifiziert werden. In avantgardistischer Manier lässt sich die Beanspruchung des Materials über die stilistischen Eingriffe als ein reflektierendes Interesse am Bild verstehen, wie in 1.1. anhand von Michelangelo Antonionis Blow Up dargelegt. Die Zersetzung der wenigen Pixel des YouTube-Clips in Havarie steht im Zusammenhang mit einem experimentellen Malträtieren von Bildober- flächen durch Künstler/innen über die Bewegtbildgeschichte hinweg, in der Filmmaterial beschrieben, zerkratzt, verbrannt, zerrissen oder exzessiv überblendet wurde.3 Gerade auch über das elektronische Bild im Rahmen der Videokunst äußert sich ein Interesse von Künstler/innen für die Manipulation der Bilder, durch das reflexive Eintragen ihrer eigenen Schaffensposition ins Material (Kirchner, Prümm und Richling 2008). So argumentiert z.B. Yvonne Spielmann (2005, 19), wenn sie eine Charakteristik der Videokunst darin erkennt, „die ästhetische Formensprache von Video in ihren vielfältigen Ausdrucksmodalitäten und syntaktischen Ver- knüpfungen zur Anschauung zu bringen“. Das selbstbezügliche Ausstellen eines Sichtbarmachens und Sichtbarwerdens verschaltet Betrachter/in und Bild, ausgestellt z.B. über Feedback- und Closed-Circuit-Experimente, die Serjoscha Wiemer (2014) als medienästhetisches Spezifikum des Video- bildes identifiziert. Video, auch im herkömmlichen Gebrauch des Video- rekorders, der Videothek und der Homevideos (Schneider 2019), steht für eine Subjektivierung und Privatisierung des Blicks (video – „ich sehe“) durch possessive Handhabung und die rezeptive Beeinflussung und Strukturierung des Bildes, niedrigschwellig nachvollziehbar über die durch die Videotechnik gegebenen Möglichkeiten des Vor- und Zurückspulens und des Anhaltens des Bildes (Zielinski 1986, 323 und 328). Der künstlerische Eingriff der Dehnung im Falle von Havarie zeigt nun eine Besonderheit 3 Am prominentesten sind wohl die Materialexperimente von Paul Sharits, Stan Brakhage, Bill Morrison und Robert Breer (Curtis 1971). Um/Formatieren 193 in der materialbezogenen Verbesserung, dem formativen Upscaling des Videos. Es wird nicht zersetzt oder zerstört, sondern formativ angereichert, um Repräsentationsschwellen zwischen YouTube und Kunstkontext auszutarieren. HD kann so als eine Materialität des Digitalbildes wahr- genommen werden, die Potenziale zur (künstlerischen) Reflexion bietet und im Falle Scheffners explizit als dokumentarische Bildkritik auftritt. Poor Images – eine Relektüre Im Diskurs werden strapazierte Digitalbilder häufig auf Steyerls Konzept der „poor images“ bezogen: The poor image is a copy in motion. Its quality is bad, its resolution substandard. As it accelerates, it deteriorates. It is a ghost of an image, a preview, a thumbnail, an errant idea, an itinerant image distributed for free, squeezed through slow digital connections, compressed, reproduced, ripped, remixed, as well as copied and pasted into other channels of distribution. (2009) Poor Images sind Digitalbilder ohne topologischen Ballast: „[T]hey are heavily compressed and travel quickly“ (ebd.). In der „Klassengesellschaft der Auflösung“ gelten sie als das „Lumpenproletariat“ (ebd.). Sie sind mehr Kompressionsverlust als sichergestellte Datendichte. Die Digitalbilder sind „uploaded, downloaded, shared, reformatted, and reedited“ (ebd.). Sie stehen in Abhängigkeit von infrastrukturellen Vorgaben und ihre Liberation tendiert hin zu einer „digital uncertainty“. Poor Images existieren durch das ständige Um/Formatieren im ontologischen Konjunktiv: „[I]t is a visual idea in its very becoming“ (ebd.). Sie sind Auswürfe ihrer infrastrukturellen Bedingungen, wie sie im vorherigen Kapitel beschrieben wurden, nur in wertumgekehrter Manier: Poor Images sind „the trash that washes up on the digital economies’ shores“ (ebd.) und werden nicht übergestülpt oder passend gemacht. Wenn sie sich kurz in einen Wiedergabekontext einfügen, dann sitzen sie schlecht. I.d.R. befinden sich Poor Images aber im unendlichen Fluss: Sie verbreiten sich nicht Over The Top, sondern Over The Stream. Poor Images erlauben es Steyerl, eine Reflexion über die Zugänglichkeit und Verteilung von Bildern in Bezug auf ihre bildliche Qualität, deren Auflösung, zu starten. Es geht der Künstlerin um eine Kritik an der (kapitalistischen) Distribution von Bildmaterial in einer Too Much World. Dabei steht die Privatisierung digitaler Netzwerke, wie sie mit den CDNs aufgezeigt wurde, genauso im Zentrum wie ein 35mm- Materialfetisch, der Sichtbarkeiten verweigert, weil Kunstwerke nur im Originalformat gezeigt werden sollen. 194 High Definition Auch Erika Balsom problematisiert die von Steyerl aufgeworfene Frage nach dem Zusammenhang von Kunst und Zugänglichkeit, die sich besonders zuspitzt, wenn avantgardistische Werke, die sich gegen einen systeminhärenten Kunstbegriff wenden, in ihrer Verbreitung und Sicht- barkeit von einem geschlossenen, restriktiven Kunstmarkt abhängen. Sie geht mit ihrer detailreichen Studie After Uniqueness (2017) zur Zirkulation von audiovisuellen Kunstwerken auf digitale „Détournements“ (Debord 1956) ein, die, ganz im Sinne eines situationistischen Verständnisses, Kunst als universal vorhandenes Allgemeingut verstehen, das man ent- wenden, kapern und weiterverwenden darf. Balsom (2017, 1–24, 81–105) zeigt z.B. anhand von ubuweb.com, wie sich dieses Verhältnis durch Möglichkeiten digitaler Zirkulation verändert und gleichsam von der Kunst wiederum selbstreflexiv aufgegriffen werden kann. Eine künstlerische, materialbezogene Reflexion, wie sie mit der Videokunst angesprochen wurde, wird durch die Befragung von Kunst in Hinblick auf ihre digitale Zirkulationsfähigkeit, ihre Bereitschaft zum nicht-autorisierten Um/ Formatieren demgemäß erweitert. Genau bei diesen informellen Formen der Distribution, mit und entgegen avantgardistischer Tendenzen, die sich in ihrer Tradition immer schon außerhalb des Kinosaals oder des Museums abgespielt haben, setzt Steyerls Fürsprechen für die armen Bilder ein. Sie verteidigt die schlechten digitalen Kopien gegen einen vermeintlichen Originalitätsbegriff: One could of course argue that this is not the real thing, but then – please, anybody – show me this real thing. The poor image is no longer about the real thing – the originary original. Instead, it is about its own real conditions of existence: about swarm circulation, digital disper- sion, fractured and flexible temporalities. It is about defiance and appropriation just as it is about conformism and exploitation. In short: it is about reality. (Steyerl 2009) Poor Images stehen für eine post/digitale Medien/Immanenz, die Wirk- lichkeit einer dezentralen Zirkulation digitaler Bilder. Sie sind Produkt und Reaktion auf die Too Much Images in einer Too Much World, ähnlich wie Scheffners Hingabe an den kleinen YouTube-Clip von Terry Diamond. Die angelegte Prozessualität der audiovisuellen Existenzweisen abstrahiert von einem vermeintlich originären Status und dieser ist auch nicht auto- matisch auf eine bestimmte Qualität, eine hohe oder niedrige Auflösung zu bringen: Original ≠ HD und Kopie ≠ LD. Dennoch lässt sich eine Spezifikation hinsichtlich der Qualitätsunterschiede wagen. Ich möchte argumentieren, dass Poor Images nicht ohne ihre Verteilung denkbar sind. Die Verpixelung steht im Zusammenhang mit diesen „real conditions of existence“ des Um/Formatieren 195 Digitalbildes. Wenn diese schlechte Qualität nun wiederum Einzug findet in wohlhabendere, weil abgestecktere Pixelumgebungen, größere Rahmen und autorisierte Distributionsformen wie das Kino, dann ist, so möchte ich verdeutlichen, das Poor Image kein Poor Image mehr, sondern eine Reflexion über diese Existenzform. Umgekehrt ist schlechte, digitale Qualität nicht gleich Poor Image. Den Bezug zu einer Migrationsgeschichte möchte ich als konstitutiv für die niedrige Auflösung des „armen“ Bildtyps verstehen. Wie Francesco Casetti mit seiner umfangreichen Auseinandersetzung zum Post/Cinema in The Lumière Galaxy (2015) herausstellt, können autorisierte „größere Rahmen“ und besonders das Kino als ein Resonanzraum für Poor Images und für andere bildliche Ausprägungen einer post/digitalen Medien/Immanenz gelten. Der Film im Kino biete mit dem qualitativen Anspruch der Projektion die Möglichkeit einer „critique of the political economy of signs“ (ebd., 121) durch die Exposition von Auflösungs- schwankungen, von Potenzialen der Hochauflösung, wie auch schon in Kapitel 2.1. festgestellt wurde. Eine geringe Anzahl an Pixel würde dann in hochaufgelöste Bildproduktionen eingebettet, z.B. CCTV-Bilder, Video- oder Smartphone-Material, Nachtsichtgerätaufnahmen in Filmen wie Brian De Palmas Redacted (2007) oder Kathryn Bigelows Zero Dark Thirty (2012). Casetti greift bei seiner Analyse auf McLuhans wohlbekannte Differenz zurück: Poor Images sind für ihn Low Definition und positionieren sich gegen eine High Definition des Kinos. Die auf einen phänomenologischen Bildeindruck beschränkte HD/LD-Differenz zeigt hier ein weiteres Mal das Problem klassifikatorischer Rigidität – dieses Mal explizit in Bezug auf die zirkulative Dynamik des Bildes: HD und Poor Image stehen einander nicht medienontologisch ausschließend über die HD/LD-Differenz gegen- über, wenn man berücksichtigt, dass jedes HD-Bild durch ein Eintreten in dezentrale, abwegige – nicht Over The Top, aber Over The Stream – Dis- tributionskontexte unter komprimierender Qualitätsabnahme zum Poor Image werden kann. Darauf weist auch Steyerl (2009) hin, wenn sie davon ausgeht, dass Kulturgüter, die im Qualitätsraster wohl traditionell auf der HD-Seite stehen, gleichsam verpixelt im Stream auftauchen können: „The poor image embodies the afterlife of many former masterpieces of cinema and video art“. HD und Poor Image stellen daher vielmehr Existenzweisen von Digitalbildlichkeit dar, die ineinander übergehen können, wie ich es auch im Fall von Havarie nachweisen möchte. Havarie ist daher genauso wenig reines Poor Image wie reines HD-Bild. Der Dokumentarfilm existiert in Hochauflösung im Kino und ist möglicherweise schon längst Poor Image, als niedrigaufgelöste, urheberrechtlich prekäre Datei im Netz. Über solche 196 High Definition im Stream befindlichen Existenzweisen informiert Havarie medienreflexiv bereits über seinen Bildinhalt: in der Erschöpfung des digitalen Materials des YouTube-Clips von Terry Diamond. Relocation und dünne Medien Casetti geht mehrfach auf solche Überwindungen der medialen Spezifika durch die auflösungsschwankende Zirkulationsfähigkeit der Digitalbilder und den von mir bezeichneten Potenzialen der Hochauflösung ein (Casetti und Somaini 2013, 418), um am Ende doch wieder auf eine mediendefi- nitorische Abgrenzung zu kommen, nämlich dahingehend, mit den Poor Images deutlich zu machen, was Kino und Film gerade nicht sind. Ein- hergehend mit diesem medienontologischen Vorhaben, zeichnet sich Casettis Buch aber v.a. durch das folgende, starke Argument aus: Das post/kinematografische Kino würde dann, so Casetti, zu sich finden, wenn es am weitesten von sich selbst entfernt ist. Dafür braucht Casetti die Poor Images und LD-Bilder als Negativfolie zur HD des Kinos – nur um bei dieser Gegenüberstellung nicht stehenzubleiben, sondern mit McLuhan auf jene medialen Veränderungserscheinungen zu verweisen, die in Bezug auf post/digitale Medien/Immanenz und post/perzeptuelle Gefüge schon angesprochen wurden. Durch das Abkühlen und Erhitzen, die qualitativen und medienontologischen Auflösungsschwankungen, schreibt Casetti mit McLuhan migrierenden Medien eine energetische Kraft zu, die über die Wirkung einer identitär stabilen Medienkonzeption hinausgehen. Eine Typologie wird aber von Casetti zur Abgrenzung benötigt, gerade um die Transformationserscheinungen und Grenzüberwindungen sichtbar werden zu lassen. Casetti spricht von „Relocation“ und erkennt produktive Fluchtbewegungen, wenn Film in anderen Kontexten, z.B. als schlechte, verpixelte Kopie, unter den „real conditions of existence“ einer post/ digitalen Medien/Immanenz erscheint. Hier wäre durchaus von einer post/ kinematografischen Existenz als Poor Image auszugehen. Doch Casetti benutzt an dieser Stelle ein anderes Konzept, das mit der räumlichen und medialen Entgrenzung des Films auch eine historische Entwicklung anregt. In Rückgriff auf Walter Benjamin (1991a, 127) spricht er von „dünnen Medien“. Mit Benjamins Begriff beschreibt Casetti mediale Verflüchtigungs- erscheinungen, die durch eine temporale Distanz zu ihrem (vermeintlich originären) Entstehungskontext gekennzeichnet sind. Benjamin spricht von einer Zunahme an Wirkmächtigkeit proportional zur Abnahme der materiellen Dichte des Mediums: Verflüchtigung bedeutet Schichtabtrag – ein dünner Film emanzipiert sich von dem ursprünglichen Werk, das so den Um/Formatieren 197 „spätem heller zutage liegt als den Zeitgenossen“ (ebd.). Die Transparenz des „dünnen Mediums“ ermögliche, dass es „easier und more direct“ (Casetti 2015, 207) sei, als es eine normierte Regelhaftigkeit, z.B. die des klassischen Kinos, gebunden an ein fixiertes Dispositiv, vorgebe. Casetti kommt zu der schon in Kapitel 1.2. mit den Post/-ismen aufgerufenen Annahme, dass sich gerade über post/kinematografische Modifikationen und Transformationen ein fundierteres Verständnis darüber entwickeln lässt, was Kino eigentlich ist: „[W]e can finally understand it“ (ebd., 208). Dünne Medien und Poor Images zeichnen sich beide durch ein After- math, einen After Effect aus, der durch die Potenziale der Hochauf- lösung zustande kommen kann. Ich möchte an diese Begriffe meine Unterscheidung von post/produzierenden und um/formatierenden Auf- lösungsschwankungen anschließen und auf eine Differenz von reflektorisch hervorgerufener und kontingent-medientechnisch bedingter Qualitäts- änderung im Bild/des Bildes beharren. So möchte ich versuchen, wert- normativen Zuschreibungen, wie sie häufig mit Hilfe von McLuhans HD/ LD-Differenz gemacht werden und entsprechend hochaufgelöste, heiße Medien rasch als verfälschend und niedrigaufgelöste, kalte Medien auto- matisch als wahrhaftiger klassifizieren, entgegenzuwirken. Wie Havarie es zeigt und auch Casetti ausführt, können qualitative Aufwertungen über HD durchaus medienkritisch agieren. Gleichzeitig muss eine Bildlichkeit wie die der Poor Images, die sich durch Rauschen und Unschärfe auszeichnet, nicht gleich kritikfähig sein. Erschöpfte Intervalle Die schon bekannte Übersetzungsproblematik von materieller Bildbasis und ästhetischer Erscheinung tritt durch das Beschriebene noch einmal zu Tage: Dass Digitalbilder, egal ob Poor Image oder HD-Bild, als zerleg- bare Pixel vorliegen, die als (störende) Ästhetik sichtbar werden können, demonstriert, dass sie eine Veranlagung zum Poor Image in sich tragen. Denn Pixel, die als niedrige Auflösung erscheinen und als hohe Auflösung verschwinden, sind medientechnische Notwendigkeit einer Bildüber- tragungssituation – die Segmentierbarkeit des Bildes: „Das Bild wird aufgeteilt, um verteilbar zu werden“ (Rothöhler 2018, 148). Diese darf nun aber nicht zum phänomenologischen Kurzschluss führen, z.B. weil sicht- bare Pixel mit der Materialbasis gleichgesetzt werden. Darauf macht Engell (2009, 244) in Bezug auf die Übertragungsidentität von Fernseh- inhalten aufmerksam. Würde die Zerlegung der Bildlichkeit korrelieren mit einer perzeptuellen Fragmentierung in „Wahrnehmungsatome“, dann 198 High Definition entstehe eine „unlösbare Verbindung ... zwischen Dekomposition und Rekomposition“. Ein „vorgeordnetes Wahrnehmungs-Rohmaterial“ müsste durch die Betrachter/in zu einem wahrzunehmenden intakten Bildganzen zusammengesetzt werden. Das ist, so ist Engell zu folgen, nur möglich, wenn die Darstellung schon vorliegt und nicht konstitutiv durch eine Punkt- addition hergestellt werden muss: Die „Fragmentierung des Gegenstands in Punkte kann ich nur erkennen, wenn ich zugleich auch den bildlich erzeugten Gegenstand erkenne, wenn ich also das, was ich in meiner Wahr- nehmung hervorbringe, schon habe“ (ebd.). Das Verhältnis von Materialbasis und Sichtbarkeit wird komplexer, wenn die Punkte überhaupt nicht im Abgleich zu einem wahrnehmbaren Sinn- ganzen, einer Figur stehen, sondern vielmehr im Verhältnis zueinander in den Blick geraten müssen, wenn „Bilder... zu komputieren heiße, ... Differenzen zwischen Punkten zu berechnen“ (ebd., 249). Das wird unter digitalen Voraussetzungen noch deutlicher, denn neben einzelnen Pixeln geht es bei der Prozessierung von Bildlichkeit darum, Bildeinheiten zu iden- tifizieren, die sich verändern (oder nicht). Sehr statische Bildinhalte oder die in Bezug auf House of Cards aufgerufenen Schwarzbilder bleiben über einen Zeitraum hinweg gleich und werden daher nicht neu als Differenz zu den anderen Pixeln aufgebaut. Der Datenwert ist insofern eingefroren in der Bildbewegung. Intervalle bilden sich also einmal zwischen den sich bewegenden, veränderten Teilen und diese wiederum im Verhältnis zu den statischen Pixeln im Digitalbild. Hier wird unterschieden zwischen Bildern, deren vollständige Bildinformation vorliegt, den Keyframes, und Zwischen- bildern, die nur auf die veränderten Bildbereiche zu bringen sind, den B-Frames. Im Ansichtigwerden von Digitalbildern handelt es sich also nicht um eine auf eine Pixelmenge zu bringende Materialität, sondern um ein auf Übertragungssituationen fußendes Differenzphänomen: „[E]s gibt keine Substanz mehr, aus der die Bilder bestünden“ (ebd., 250). Als Ausgangs- punkt für die Bestimmung eines Punktbildes könne, so Engell, mit Vilém Flusser die „Raffung“ der Punkte gelten (ebd.), oder, will man diese dyna- mische Konsistenz in ein digital-medientechnisches Jargon übersetzen: dessen Kompression. Demgemäß wird auch offenkundig, dass der Schnitt zwischen Digitalbildern seinen Stellenwert als strukturierende Einheit ver- liert. Die Einstellungen gehen vielmehr Over The Stream über Differenzver- schiebungen fließend ineinander über. Engell spricht von einer „Liquidation des Intervalls“ (2000, 183–184), der „bildförmigen Organisation von Zwischenraum und Zwischenzeit in visuellen Datengefügen“. Das Intervall ist die in Zeitlichkeit ausgedrückte Form des ständigen Um/Formatierens Um/Formatieren 199 und Modifizierens eines Digitalbildes Over The Stream. Genau diese Trans- formationsbereitschaft wird in Havarie sichtbar, aber nicht aufgrund einer instabilen Übertragungssituation, sondern weil sich über das HD-Blow-up Pixel in das Intervall einlagern. Das Intervall wird gestoppt, angereichert, ausgefüllt und erschöpft. Die Sichtbarkeit der Materialität kommt, so ist Engell im Umkehrschluss zu folgen, gerade nicht wegen der Übertragungs- situation zu Stande, sondern durch ein ästhetisches, post/produzierendes Interesse am Bild. Medienästhetik hochaufgelöster Digitalbildlichkeit Die Problematik einer sich doppelt entziehenden Digitalbildbasis – unsinn- licher Code und prozessierte Bildeinheiten als Differenzverschiebungen – verdichtet sich, so wird es mit Havarie und so macht es Schröter in seinem Text Medienästhetik, Simulation und ,Neue Medien ‘ (2013) deutlich, ästhetisch. Mit dem Begriff der „Medienästhetik“, der sich im Rahmen der schon aufgerufenen Theoretisierung um die „Neuen Medien“ kon- stituiert, setze, so Schröter, eine solche Verdichtung in der Verwerfung der Differenz zwischen künstlerisch geleiteter und funktionaler Wahrnehmung ein: Medialität und Ästhetik werden schlicht gleichgesetzt. Übertragen auf den hiesigen Kontext und HD würde so keine Unterscheidung mehr zwischen der Sichtbarwerdung von ästhetischen und technischen Pixeln getroffen werden. Begründet auf einem Kunstverständnis der Moderne definiert Schröter Ästhetik indes als sinnliche Erfahrung einer selbst- reflexiven Sichtbarwerdung und künstlerischen Sichtbarmachung der medialen Materialität und das meist als Störfall. Gestörte Bildlichkeit hätte ihren ästhetischen Wert nur durch einen selbstreflexiven Bezug der Erscheinung: „Wo Medialität ausgestellt werden soll, um eine Medien- ästhetik zu ermöglichen (z.B. im Kunstsystem), sind intendierte Störungen willkommen“ (ebd., 94). Diese Form selbstbezüglicher Erscheinung wird in Bezug auf das Digitalbild prekär, da der immaterielle Code „an sich selbst ‚nicht wahrnehmbar‘“ ist, und daher, so Schröter, „keine genuine Ästhetik“ bereithält (ebd., 91). Schröter will daher einen Ästhetikbegriff weiterentwickelt wissen, der „nicht mehr im Sinne des Modernismus als Ausstellung des zugrundeliegenden Mediums verstanden werden kann“ (ebd., Hervorhebung im Original). Angesprochen sind die kunst- wissenschaftlichen Diskussionen um ein Konzept des „Post/Medialen“, das Rosalind Krauss (2000) als Gegenargument zu Clement Greenbergs (1998a) Medienverständnis der Moderne etabliert. Der Kunstkritiker wies in den 1940er-Jahren die Sichtbarwerdung einer materiellen Spezifität als genuinen Kunstwert aus, z.B. die formalistische Flächigkeit der Malerei, 200 High Definition die die Oberflächenbeschaffenheit der Leinwand ausstellt. Krauss (2000, 31) plädiert hingegen in den 1980er-Jahren anhand der Videokunst für eine „post medium condition“, denn Video stünde im konvergenten, trans- formativen Sinne jenseits von ontologischen Klassifikationen, die, über eine Materialreflexion, eine Ästhetik nicht mehr auf ein spezifisches Medium rückführbar machen (ebd., 41). Video ist, so wurde es in Kapitel 1.2. schon angesprochen, in den Auseinandersetzungen immer schon als Post/Video und daher als Prototyp der Post/-ismen identifizierbar (Fahle und Linseisen 2020, 245). Schröter löst nun das Problem der Medienspezifik des Digitalen über eine „Zwischenstufe“, nämlich der „Simulation ... bisheriger Medien, die damit zu ,Neuen Medien‘ werden“ (2013, 91). Durch digitale Medienästhetik, so Schröter, zeige sich eine „Aisthetik der vor-digitalen Medien“ (ebd.). Eine „Transmaterialisierung“ (ebd., 94, Hervorhebung im Original) verweise mit Hilfe digitaler Formen auf z.B. die explizite Materialität der Fotografie, „aber in einem anderen medialen Zusammenhang“ (ebd., Hervorhebung im Original). Die im Fokus dieses Buches stehenden Potenziale der Hochauf- lösung können, so möchte ich weiter argumentieren, als genuin medien- ästhetischer Niederschlag digitaler Bildlichkeit identifiziert werden – als Ästhetik, die nicht auf die Simulation vor-digitaler Medien und nicht mehr, im Sinne Schröters, „transmateriell“ beschränkt ist, sondern sich genuin aus den Vorgaben post/digitaler Medien/Immanenz speist, und zwar durch die skalar in/varianten Auflösungsschwankungen, konkret vom Poor Image zu HD und umgekehrt. Die Existenzformen des Digitalbildes gelten nicht als rigide Typologien, sondern können durch Um/Formatierung und Post/Produktion medienästhetisch zueinander in Beziehung treten und von einem Zustand in den anderen übergehen. Schröter ist dabei zu folgen, wenn er sagt, dass das Digitale „nichts daran [ändert], dass es ver- schiedene (z.B. funktionale vs. ästhetische) Formen von Erfahrungen oder Wahrnehmungen gibt“ (ebd., 100). Hieran schließen meine Überlegungen zu den ästhetischen und technischen Pixeln an. Mit den Potenzialen der Hoch- auflösung werden diese Kategorien aber durch Post/Produzieren und Um/ Formatieren gleichsam in Schwankungen versetzt. Denn Digitalbildlichkeit, so möchte ich weiter verdeutlichen, changiert nicht nur zwischen Auf- lösungen, sondern auch zwischen epistemischen Perzeptionszuständen: Da unter den Vorzeichen post/digitaler Medien/Immanenz Too Much Images immer schon unter Voraussetzung anderer Bilder gedacht werden müssen, sie, im Anschluss an Casetti, auch historisierend als dünne Medien zur Entwicklungsbereitschaft gedrängt und Over The Stream geschickt werden, haben HD-Digitalbilder das Potenzial auf Abwege zu geraten. Auch Um/Formatieren 201 wenn über algorithmische Vorgaben eine abstrakte Antwort, eine genaue Richtung und eine Entscheidung festgelegt sein soll, wie und wo sich ein Digitalbild zu berechnen hat, so ermöglicht eine Existenz Over The Stream nicht absehbare Dynamiken, die ein medienästhetisches Potenzial hervor- bringen können. Mein Argument soll v.a. auch demonstrieren, warum verpixelte Ansichten als Potenziale der Hochauflösung, als HD, zu bezeichnen sind. Einerseits, so sollte mit dem Vorhergehenden deutlich werden, geht es darum, so kann noch einmal zusammengefasst werden, dass Digitalbildlichkeit unter Voraussetzung von Auflösungsschwankungen und skalaren In/ Varianzen gedacht werden muss. Das bedeutet auch, dass hohe oder niedrige Auflösung nicht für die ontologische Fixierung einer bestimmten Bildlichkeit oder eines bestimmten Mediums herhalten. Die Serie House of Cards, die auf hochaufgelöste Bildlichkeit setzt, existiert dennoch in verschiedenen Existenzweisen gleichermaßen als Poor Image, z.B. als illegal zu streamende, schlecht gescreencastete Version im Netz. Mit den Potenzialen der Hochauflösung möchte ich zunächst diese Trans- formationserscheinungen fassen. Andererseits, und hier gerät nun der Zusammenhang von Bildmaterialität und Kunstwert in den Blick, kann mit HD eine Unterscheidung von funktionaler und ästhetischer Wahrnehmung verzeichnet werden, im Hinblick auf die mit Schröter erwähnte (störende) Selbstmitteilung medialer Materialität. Hochaufgelöste Digitalbildlichkeit kann weniger als „transmaterielle Kategorie“ identifiziert werden, also, dass die Verpixelung, wie Schröter schreibt, für eine andere Medialität ein- stehen würde. Vielmehr wird durch HD ein Reflexionsprozess markiert, der Auflösungsschwankungen einfasst und ausstellt. So macht es Casetti für das Kino und seine High Definition vor und so kann auch Havarie als Blow- up des YouTube-Clips bewertet werden. HD fängt die Fluchtbewegungen und skalaren In/Varianzen des Digitalbildes über seine Plastizität und Aufnahmebereitschaft ein und stellt sie qualitativ ausdrucksstark aber durchaus auch manchmal verpixelt – nun nur auf ästhetischer Ebene – wieder aus. Die Betonung liegt auf dem Potenzial der Hochauflösung, das über seine medienreflexive „Empfänglichkeit“ als Medienästhetik des Digitalbildes Störungen jenseits einer Dysfunktion sichtbar macht. Ich möchte mit meinen Begriffen auf folgende Differenzierung in Bezug auf verpixelte Digitalansichten kommen: Post/produzierte Digitalbilder stellen strapaziertes Material als ästhetische Reflexion aus und machen sie „dicker“, blasen sie auf und reichern sie mit Pixeln an, während um/ formatierte Digitalbilder aufgrund ihrer zirkulativen und distributiven Einflüsse Pixel verringern und Bildinformation komprimieren. Poor Images 202 High Definition sind nach dieser Definition um/formatierte Bilder. Post/Produzieren kann für eine bildpraktische Reflexion, Um/Formatieren für eine bildtechnische Zirkulation stehen. So sei gesagt, dass die niedrige Auflösung der Poor Images kein genuines Indiz ästhetischer Reflexion ist, sondern die Existenz- weisen eines unendlich kopierbaren Digitalbildes Over The Stream. Bei den Beispielen, die Casetti aufruft, und auch in Havarie, ist die Dynamik eine umgekehrte: Hier werden verpixelte Nicht-Kino-Ansichten in die hochauf- gelösten Rahmen des Films gesetzt und Pixel so von ihrer technischen Basis gelöst und durch post/produzierende Praktiken ästhetisch angereichert. Der Clip wird vergrößert und ist kein Poor Image mehr. Dieser Unterschied ist meines Erachtens ein dringlicher, denn Pixel, die eine bestimmte Ästhetik auf der Kinoleinwand nachempfinden, sind etwas völlig anderes als eine verpixelte Ansicht, die zu einer solchen als digitalisierte (Raub-)kopie wird, die vermeintlich unter rechtlich unsicheren Vorausset- zungen in Grauzonen des Internets zirkuliert. Werden verpixelte Ansichten aus dem Stream „gefischt“, wie es bei dem niedrigaufgelösten YouTube-Clip von Terry Diamond mit Havarie post/produzierend der Fall ist, dann handelt es sich nicht mehr um ein Poor Image, sondern um medienästhetische Pixel in HD. Die Medienästhetik des Digitalbildes als Potenzial der Hochauflösung zeigt niedrige (nicht HD-)Auflösung unter Anreicherung von Pixeln – und das auch aus einem strukturellen Grund: Mit der künstlerisch intendierten Reflexion wird das „arme Bild“ für andere „Rahmen“, Kontexte und Wert- zuschreibungen präpariert, es wird zur Kunst, die durch ihre distributiven Gefüge – Filmfestivals, Ausstellungen, Vertrieb und Verleih – einen Anspruch an das Material stellt, dem das Poor Image eben gerade nicht gerecht werden will. Auch wenn künstlerisch und politisch auf niedrige Auflösung zur Kritik an Repräsentationsverhältnissen gesetzt wird, so ist das Format der Kritik hochaufgelöste Digitalbildlichkeit. Ich möchte daher auf einen gewissen dokumentarischen Anspruch von HD verweisen, der für die automatisierte Zirkulation von Digitalbildlichkeit gerade nicht gilt. Medienreflexiv ist eine Verschränkung aus hoher und niedriger Auflösung über Auflösungsschwankungen skalarer In/Varianz im Bild oder zwischen den Existenzweisen – Dokumentarfilm, YouTube-Clip – scheinbar nur in HD nachvollziehbar. Glitches und Glitch-Art Auf die zirkulierende und unkoordiniert verbreitete Existenz der Poor Images als Transportgüter Over The Stream zu beharren, ermöglicht es, diese in einen Zusammenhang zu stellen mit Glitches, elektronischen Um/Formatieren 203 Schaltfehlern unbekannten Ursprungs, die zu Wertabweichungen bei der Signalübertragung führen und so einen für die Benutzer/innen unvor- hersehbaren visuellen oder auditiven Output erzeugen (Goriunova und Shulgin 2008; Levin 2011). Glitches boykottieren mit ihrer defektiven Kon- tingenz den Mythos von einer lupenreinen Übertragung, indem sie die ihr inhärenten Kompressionsmechanismen der Datenverarbeitung aufzeigen: „Flow cannot be understood without interruption, nor function without glitching“ (Menkman 2011, 11). In ihrem Glitch Studies Manifesto (2011) löst die Künstlerin und Medienwissenschaftlerin Rosa Menkman anhand von Glitches die Verquickung von einer qualitativen Bewertung eines Mediums und seinem Transparentwerden auf, indem sie auf die Priorisierung der Schnelligkeit von Datenübertragung hinweist. Diese nimmt Störungen und Rauschen erst einmal in Kauf (ebd., 15) und kreiert so eine Bildwährung, basierend auf Geschwindigkeit, Intensität und Verbreitung, die teilweise als Gegenmodell zu dem im vorherigen Kapitel besprochenen Datenzirkulieren Over The Top wahrgenommen werden kann. Glitches, die nativ Over The Stream auftreten, ähneln Videoartefakten, sie stehen als Bildspezifik für eine Low-Tech ein, die abhängig ist von Prozessoren-Geschwindigkeiten, Screen-Auflösungen, zu geringen Bandbreiten, stockenden Render- zeiten und verschachtelten Kompressionscodes (Goriunova und Shulgin 2008, 113). Glitches sind keine Fehler, die man finden und die Störung so beheben kann. Sie sind als inkorporierter Bestandteil einer Prozessualität immer schon Over The Stream (Menkman 2011, 65). Die Schwierigkeit ihrer Erfassung macht Glitches, finden sie einen phänomenologischen Nieder- schlag, zu hochreflexiven „complex post-procedural phenomenon[a]“ (ebd., 27). Hier einsetzend lassen sie eine theoriedurchtränkte Lesart zu, da ein reflektierendes Potenzial gerade in der Möglichkeit ihrer Bildwerdung hin- terlegt ist. Sie verlassen also, mit Schröter gesprochen, die Domäne funk- tionaler Wahrnehmung und werden medienästhetischer Output in dem Moment, in dem sie nicht mehr im Stream sind, sondern künstlerisch „ein- gefangen“ wurden. Gerade diese dokumentierende Fixierung der Störung, so Martin Schlesinger, konstituiert die Störbilder: „The documentation of noise such as image noise produces images of noise“ (2013, 93, meine Her- vorhebung). Glitches eignen sich daher, in ihrer Störfalllogik, für medien- ästhetische Reflexionen in Hinblick auf eine genuine Materialität des Digitalen und stehen folglich in der Tradition der Videokunst. A Vernacular of File Formats Die Glitch-Art registriert und fixiert nun die funktionalen Übertragungsstörungen als Bilder der Störung und wertet sie folglich 204 High Definition medienästhetisch auf. Künstlerisch werden um/formatierende Über- tragungsprozesse und künstlerisches Post/Produzieren zusammen- gebracht, in der ambivalenten Absicht unvorhersehbare Fehler zu produzieren, post/produzierend um/zu/formatieren oder wie Gregory Zinman es formuliert: „The challenge with glitch art is how to limit error, producing a desired effect without sacrificing the functionality of the program. In other words, the computer needs to malfunction properly“ (2015, 108, Hervorhebung im Original). Es lässt sich mit der von Schröter skizzierten Unterscheidung von funktionaler und ästhetischer Wahr- nehmung zeigen, dass Glitches medienästhetisch erst im Zusammenhang mit einer künstlerischen Ambition, Algorithmen auf Abwege zu bringen, wirksam werden. Dieses Engagement legt Menkman an den Tag, wenn sie absichtlich algorithmische Fehler macht, in ihrem A Vernacular of File Formats, in welchem verschiedenste Dateiformate, RAW, TIFF, PSD, JPG unter Ankündigung falsch formatiert und so post/produzierend zu Glitches werden. Auch Menkman beruft sich auf McLuhan, um die im Vernacular zusammengetragenen künstlerisch intendierten Störfälle als „cool“ zu bezeichnen, im Gegensatz zu „hot“ Glitches, die als angesagter Look oder als Design jegliche Reflexionsgabe und auch ihre prozessuale Spezifik verloren haben. Cool Glitches „are the glitches that do not just focus on a static end product, but (also) on a process, a personal exploration or a narrative element (that often reflects critically on a medium)“ (A Vernacular of File Formats, 1). Der Glitch-Künstler Benjamin Berg geht noch einen Schritt weiter und korreliert die Prozessualität der Datenübertragung mit dem künstlerischen Schaffensprozess und seiner Identität als Künstler und erkennt in einem Interview mit Monty Cantsin (2013) in der eigenen Praxis Momente des Glitchings, wenn das Endprodukt mehr Überraschung als schöpferische Planung darstellt: „[Y]ou don’t really know what the end result will look or sound like ..., it ’s a way of creating things that you wouldn’t have thought of yourself“. Die konstitutive Prozessualität und die damit verbundenen rezeptiven, post/perzeptuellen Überraschungsmomente, die die Glitch-Art eben auch für die Künstler/innen bereithält, zeigen sich im Fall von Menkmans A Ver- nacular of File Formats nun aber gerade in Kontexten, gegen die sich die störende Ästhetik explizit positioniert. Die post/produzierenden Potenziale werden wiederum um/formatierend erschöpft, wenn man die Zirkulations- geschichte der Digitalbilder weiterverfolgt. Die geglitchten Ansichten aus dem Vernacular zeigen ein schemenhaftes Gesicht der Künstlerin in Schwarzweiß. Die Betrachter/in-Blick-Relation, die, so wurde es oben in Bezug auf die Videokunst beschrieben, durch die materialstrapazierende Um/Formatieren 205 Reflexion ins Bild eingeschrieben sind („ich sehe“), wird selbst zum Sujet: Das geglitchte Gesicht ist ein ausdrucksloser Gegenschuss zur beschädigten Digitalbildlichkeit. Der subjektive Blick der Künstlerin ist völlig entsättigt und erinnert an den von Deleuze und Guattari (1992, 230, Hervorhebung im Original) in Bezug auf Gesichter geprägten Begriff „Weiße Wand-Schwarzes Loch“. Durch die Glitches wird das umrisshafte Antlitz noch weiter zu einem dividuellen (Deleuze 1997a, 129) „Indeterminations- zentrum“ (ebd., 94–95) entfremdet, wie Deleuze die Großaufnahme eines Gesichts in seiner Kinotheorie beschreibt. Es wird zur Spielfläche für die auf ihm angewendeten Störfälle, zum Nährboden für die medienreflektorische Entgrenzung der Kompressionsalgorithmen, die sich als bunte Pixelwolken, Schlieren und Verzerrungen über dem Gesicht ausbreiten. Menkmans Gesichts-Glitches sind online frei zugänglich, sie können dort angesehen, abgerufen und auch weiter verteilt, kopiert, um/formatiert und post/produziert werden. Konform dieser medientechnischen Basis geraten die Bilder Menkmans nun tatsächlich auf Abwege – nur in-kon- form zur künstlerischen Intention. Sie werden nämlich nicht, wie es das Glitching vermeintlich provoziert, zum weiteren Störfall oder einer counter-distributiven Existenzweise: Menkmans Glitches (2017) unterliegen einer Wertsteigerung im ökonomischen Sinne, sie werden hot und die Auf- lösungsschwankung gerät aus künstlerischer Perspektive außer Kontrolle. Zunächst noch gemächlich: „Once in a while, I found my face as a profile picture on someone else’s medial account“, erzählt die Künstlerin. Doch dann zieren die geglitchten Gesichter nach einer Weile Buchumschläge, Magazine, Plattencover, Festivalposter, Sweatshirts und Kaffeetassen. Sie werden sogar eingesetzt als Application-Icon zweier Glitch-Softwares, zum Entsetzen der Glitch-Künstlerin, denn hier wird das schöpferische Potenzial auf Abwege geführter Algorithmen selbst wieder zu einer „zielführenden“ Berechnung, die es leicht und schnell ermöglicht, Digitalbilder mit einer ästhetisch unreflektierten Störung zu versehen (ebd., siehe Abb. 3.6.). Menkmans Störungen haben nun nichts mehr mit einer reflektierenden Prozessualität gemein. Eine Ästhetik, die sich explizit gegen Objektifizierung wehrt, ist selbst zu einem konsumierbaren Endprodukt geworden, ein unkritisches RAW/Format, das unendlich interpretierbar und folglich nicht nur in Bezug auf seine Auflösung auf- oder abwertbar zu sein scheint. Vom coolen zum „hotten“ Glitch wird Menkmans Gesicht schließlich vollständig, wenn es für eine/n Betrachter/in die Künstlerin darstellt, „in the act of brushing her hair, with an almost „come hither‘ expression, as if caught by surprise, having an intimate moment in a Playboy erotic fiction“ (ebd.). Die Erotifizierung des Frauengesichtes geht einher mit der Objektifizierung der 206 High Definition Störfallästhetik und diese Wirkung differiert völlig von dem Gefühl, das Menkman gegenüber ihrem Porträt hat: [F]or me, the image contained a painful and eerie vibe (it is a documentation of me losing my vision for a certain amount of time) ... . The image, exploited by artists and creators alike, started to lose its connection to the source – to me – and instead became the portrait of no one in particular. (Ebd.) Menkman bringt ihr zirkulierendes Gesicht in Zusammenhang mit all jenen Ansichten von Frauen, die durch den operativen Einsatz dieser Bilder ihrer Individualität beraubt wurden. Es ließe sich nämlich problemlos eine Mediengeschichte der Testbilder schreiben, welche die Kalibrierung technischer Gerätschaften und die Standardisierung von Medien an die sexistische und rassistische Appropriation des weiblichen Gesichts und des (nackten) weiblichen Körpers koppelt. Shirleys Porträt und die sogenannten „Shirley Cards“ (Roth 2009, 111–136) stellten z.B. für Kodak die „richtige“ und hoch rassistische, nämlich auf eine weiße Hautfarbe ausgerichtete, Emulsion ein. Lena, die 1973 den Playboy zierte, zu dem Zeitpunkt, als der Kompressionsalgorithmus für das JPEG entwickelt wurde, ist für die ver- lustreiche Datenreduktion zirkulierender Bildlichkeit „verantwortlich“, weil an ihrem Bild derselbe entwickelt wurde. Mit „Jennifer in Paradise“, dem Urlaubsfoto, auf dem eine gesichtslose Frau ohne Bikinioberteil von hinten am Strand abgelichtet ist, lernten Anwender/innen in den 1990er-Jahren, wie Bildbearbeitung bei Photoshop funktioniert (Menkman 2017). Steyerl, die, wie in Kapitel 2.1. aufgezeigt, Testbild-Mimese in How Not to be Seen betreibt, fällt ebenso in diesen Zusammenhang „erregender Dokumente“ wie Leonie Zilch (2020) mediengeschichtliche Artefakte benennt, deren (funktionale oder operative) Autorität über machtdominante Körperiden- titäten konstituiert wird. Sie sind, handelt es sich wie im Falle Menkmans um Porträts, nach Deleuze und Guattari (1992, 231) als „Horrorgeschichte, das Gesicht ist eine Horrorgeschichte“ zu beschreiben. Der „Horror“ tritt auf, wenn sich das Gesicht im Ansichtigwerden erschöpft, wenn es „Angesicht (la face) und seine Auslöschung (effacement) zugleich“ ist (Deleuze 1997a, 140, Hervorhebung im Original). Deleuze und Guattari erkennen dann im Gesicht keine Rückführung mehr auf eine kom- munizierende Mimik und wenden sich so explizit gegen die Blicktheorien von Jacques Lacan und Jean-Paul Sartre: „Aber der Blick ist im Verhältnis zu den blicklosen Augen, zum schwarzen Loch der Gesichtshaftigkeit nur zweitrangig“ (1992, 235, Hervorhebung im Original). Um/Formatieren 207 Mit der Auslöschung des Blickes ist der Verlust der Identifikations- möglichkeit einer Person über ihr Gesicht benannt, deren Porträt zu einer rein funktionalen, bzw. mit Meyer (2018) gesprochen, „operativen“ Angelegenheit wird. Bei Menkman stellt sich dieser Gesichtsverlust über die „Verlaufsgeschichte“ der migrierenden Glitches ein, und zwar anhand der falschen bzw. unverhältnismäßigen Blicke, die ihrem blicklosen Antlitz entgegengebracht werden. Hier läuft Medienästhetik aus dem Ruder, und zwar in umgekehrter Hinsicht zu den Problemen, die Schröter schildert: Nicht alles ist ästhetische Wahrnehmung, sondern umgekehrt kann dieselbe sich auch in ihrer Funktionalität oder in einem kapitalistischen Marktwert erschöpfen. Menkmans Beispiel zeigt, dass durch die Zirkulation der Bilder ihr Gesicht zur „falschen Kontaktaufnahme“ aufruft, die eine ästhetische Reflexionsgabe im selben Maße eliminiert wie einen ein- deutigen mimischen Kommunikationsgehalt (bzw. dessen Verweigerung). Wo Glitches selbst auf Abwege geraten, von cool zu hot, von der Ästhetik zur Funktion oder zum konsumierbaren Endprodukt, und so an künst- lerischem Wert verlieren, da werden Gesichter zur dividuellen Einschreibe- fläche mit uneindeutigem Sinngehalt und die Potenziale der Hochauflösung als Auflösungsschwankungen ein weiteres Mal virulent. Vom Bilder/Denken zum HD-Bilder erschöpfen Durch die skizzierten mit HD möglichen Auflösungsschwankungen kommen andere Bild-Künstler/innen-Verhältnisse zustande, als sie im experimentellen Materialtest oder einem subjektiven Video-Blick hin- terlegt sind. Denn erschöpfte Potenziale der Hochauflösung wenden sich gegen schöpferische Vorstellungen. Sie entscheiden über ihre Sinn- haftigkeit „unterwegs“, „After Uniqueness“ (Balsom) und um/formatiert als Effekt. Auch eine künstlerische Praxis, die sich gerade den Abwegen des Digitalbildes von vorgesehenen Bahnen widmet, kann gleichsam von der Dynamik der Auflösungsschwankung, dem Potenzial zur wert- normativen, medientechnischen, ästhetischen In/Varianz mitgerissen und sogar von ihr überholt werden. Wie schon in Bezug auf filmessayistische und dokumentarische Praktiken eines Auteur/innen-Kinos deutlich wird, namentlich z.B. festmachbar an Chantal Akerman, Agnès Varda, Chris Marker, Harun Farocki oder Godard, kann eine bildkritische Praxis als ein „sich dem Material aussetzen“ verstanden werden. Am Schnitttisch wird der/die Regisseur/in von der „Theorie des Films“ bzw. dem „Film als Theorie“ (Pantenburg 2006) dirigiert: „[B]ei aller produktiven Präsenz in seinen[/ihren] Filmen [wird er/sie] über Techniken der Zitation und der Dissoziierung immer stärker vom Produzenten zum Rezipienten“ (ebd., 49). 208 High Definition Theoriearbeit im Sinne eines Verhältnisses von Beobachtungsobjekt und den Arten und Weisen der Beobachtung, wie sie Volker Pantenburg auch in Rückbesinnung auf ein frühromantisches Kunstverständnis definiert, leisten Filmessayist/innen, indem sie sich mit der „mentalen Ordnung des Films“ auseinandersetzen, diese offenlegen und ästhetisch wieder ins Bild einpflegen. Bei diesen Reflexionen, die gemeinsam mit den Bildern statt- finden, sind das elektronische oder digitale Bild häufig genutztes Mittel, wie es prominent Godards Videoarbeiten veranschaulichen. Im Sinne eines „video – ich sehe“ wird mit den Bildtechniken von den Filmemacher/ innen ein Bilder/Denken nachvollzogen, sei es durch die über Video ermöglichte Aneignung und Ausstellung von Found Footage, durch die oft stark konzeptuelle und abstrahierende Montage oder im Auftreten der Filmemacher/innen selbst, ins Bild gesetzt am Schneideplatz oder vor dem Videobildschirm. Auch wenn Filmemacher wie Farocki und Godard, an denen Pantenburg seine „Theorie des Films“ exemplifiziert, am Schnitttisch von neuen oder unsichtbaren (dritten) Bildern überrascht werden, so sind ihre Arbeiten weniger als Erschöpfung und weiterhin als (schöpferische) „Rettungsver- suche“ zu verstehen, als „Widerstand, den die Bilder gegen ihre Verein- nahmung“ (ebd., 56) durch eine unkritische Bilderflut leisten. In „kritischer und offensiver Auseinandersetzung“ mit Fernseh- oder funktionalen (bei Farocki „operativen“) Bildern oder „Nicht-Bildern“ (ebd., 44) sollen kritische Gegenrealitäten entworfen werden. Bilder sind daher in der Lage, Kritik an anderen Bildern zu üben und gleichzeitig „einen alternativen Bildraum zu entwerfen“ (ebd., 44–45). Dadurch entstehe eine andere Form von Realismus, so Pantenburg, durch den „das Filmemachen als politische Handlung lesbar wird“ (ebd.). Entgegen einer ikonoklastischen Verdammung wird dem Bild bei Godard und Farocki Vertrauen entgegen- gebracht, wirksam zu werden und ein differenziertes Denken anzustoßen (ebd., 58). Ohne ein solches Vertrauen an die Bilder zurückzuweisen, lassen Menkmans Gesichts-Glitches, aber auch Steyerls Video-Tutorial (vgl. Kapitel 2.1.) den mit Pantenburg geschilderten Kontext des Film/- oder Bilder/Denkens hinter sich. Die Arbeiten kommen von der Schöpfung zur Erschöpfung. Denn in How Not to Be Seen und in A Vernacular of File Formats werden Prozesse subjektiven Unsichtbarwerdens durch das Ein- fügen und Aufgehen im Bildraum zur Bildkritik und nicht die Eröffnung reflektorischer Nebenräume. In einer post/digitalen Medien/Immanenz gibt es kein Außen der Bilder. Um in dieser Too Much World voll Too Much Images Gegenpositionen zu äußern, muss man sich indes in ihr auflösen: Um/Formatieren 209 So löscht Steyerl ihr Gesicht durch eine Bild-Mimese und verschwindet in der Bildumgebung. Menkman verschickt ihr Gesicht Over The Stream und ist mit den Konsequenzen dieser a-künstlerischen Zirkulations- geschichte, ihrem „effacement“ konfrontiert. Beide Künstlerinnen werden Teil der post/digitalen Medien/Immanenz, die es zu kritisieren gilt. In beiden Fällen gibt es kein unvoreingenommenes, reflektierendes Außen wie den Schnittplatz, von dem aus sie ihre Bildkritik äußern können. Im post/digital medien/immanenten Sinne wäre ein solcher „Denkraum“ und die dort produzierten Bilder nicht von den zu kritisierenden Bildern zu trennen. Der Denkraum entsteht vielmehr über Auflösungsschwankungen zwischen ihnen. Potenziale der Hochauflösung setzen mit ihren medien- ästhetischen Counter-Strategien, so soll es nun abschließend anhand einer Szene aus Havarie und mit dem Deleuzeschen Erschöpfungs-Algorithmus zusammengefasst werden, nicht auf Gegenräume, sondern post/digital medien/immanent auf skalare In/Varianzen der Digitalbildlichkeit durch ihr Image Processing. Auflösungsschwankungen – ein Up- wie Downscaling – machen medienästhetische Reflexionen auch jenseits einer Störungs- oder Simulationsästhetik möglich, durch die transversal zu Wertkontexten stehenden Zirkulationen der Digitalbilder. Zunächst soll jedoch Menkmans Bildergeschichte zu einem vorläufigen Ende kommen. Auch den Gesichts-Glitches wird, wie Terry Diamonds YouTube-Video mit Havarie, Dauer hinzugefügt. Die Streamingexistenzen ziehen 2016 ins Archiv. Sechs Jahre nach der Anfertigung von A Vernacular of File Formats nimmt das Stedelijk Museum Amsterdam die verpixelten Bilder, die durch ihre tatsächliche Verbreitung wahrscheinlich immer noch auf gewünschte und ungewünschte Abwege geraten, aus dem Stream und in ihren Bestand auf. Kulturell „fixiert“ werden dabei nicht nur die „originalen“ durch falsches Um/Formatieren entstandenen Bildformate, sondern auch eine Kollektion der geschilderten Appropriationen. Trotzdem existiert eine Kopie von A Vernacular of File Formats weiterhin online, auf weitere un/ange- messene Um/Formatierungen wartend. Ein Verständnis für die Materialität im Fluss ergibt sich gerade in der Fluchtlinie zwischen diesen divergenten Existenzformen des Digitalbildes, zwischen Archiv und YouTube, die so zu ihrer Erschöpfung hintendieren. Auf Abwege geratene Algorithmen und entladene Bilder in Havarie Sichtbar auf Abwege geratene Algorithmen, Glitches, finden sich in Havarie in jedem Bildzucken. Hier sind alle Intervalle offen, um es mit Wiemer (2014) zu formulieren, und gleichzeitig vollständig erschöpft. 210 High Definition Die Pixelverschiebungen, die durch die zitternde Handkamera und die ständige Bewegung des Ozeans reichlich im Bild vorhanden sind und die daraus resultierenden Intervalle werden durch die post/produzierend hinzugefügte Dauer in einzelne Frames gebannt und ihrem Charakter als Zwischenbilder beraubt. Durch die Dehnung löst sich eine fließende Prozesszeit wahrnehmbar auf und zurück bleiben die Veränderungen als stotternde Bildsprünge. Die ineinander übergehenden Zeiträume, die Digitalbildlichkeit als kontinuierlichen Prozess denkbar werden lassen, sind nun gerade als diskrete, sequenzierende Taktung, als solche offenen Intervalle, ins Bild gesetzt. Der Film beginnt auditiv mit dem Sekundentakt einer Uhr, zu dessen Rhythmus synchron die Prozessierung der Bilder voranschreitet. Der digitale Bilderfluss wird zur codierten Reihung, jeder Zwischenschritt der Berechnung zum eigens ausgestellten Shot. Havarie kann in dieser Hinsicht als ein 90-minütiges Glitch verstanden werden und die dokumentarische Praxis Scheffners, die diese fehlgeleitete Prozessierung ästhetisch einfängt, als Glitch-Art. Was passiert nun aber, wenn der intendiert künstlerische Eingriff durch Post/Produktion auf tatsächliche Fehler der Bildberechnung, die Ästhetik auf die Funktion trifft? In der Mitte des Films zieht sich der Kamerablick über ein die maximale Vergrößerungskapazität ausgeschöpftes Zooming immer weiter aus dem Bild zurück. Das Schlauchboot und die Menschen, die davor klein und schemenhaft im Bild saßen, werden durch die sich auftuende Distanz zum Pixel degradiert. Es wird still im Film. Nur das Meeresrauschen ist zu hören, gemischt mit einer blassen, blechernen weiblichen Stimme, die durch ein Mikrofon in irgendeinem Hintergrund dröhnt. Der Ton fährt, so meint man, mit einem Aufzug hinauf oder herab. Die Ankunft auf „Deck 12“ wird über einen hellen Gong und durch eine weibliche Computerstimme angekündigt. Mit ansteigender Lautstärke umschließt eine Soundscape schließlich die Rezipient/innen mit Klängen eines melancholischen Pinoy-Pop-Songs, der von einem auf moralische Abwege geratenen Sohn und der Sorge der Eltern erzählt. Nun werden die Rezipient/innen von der Kamera in einem Schwenk nach rechts mitgenommen. Dort offenbart sich ihnen, von welch über- legener Position die erste Hälfe des Films überblickt wurde. Die meterhohe, kolossale Außenwand des Kreuzfahrtschiffrumpfs zieht eine vertikal unüberwindbare Achse ins Bild. Die singenden Stimmen werden von einer melodischen Durchsage zum Rauchverbot auf dem Cruiser abgelöst und verstummen schließlich vollständig. Dann schwenkt die Kamera gemächlich und gleichgültig von rechts nach links, vorbei am kleinen schwarzen Punkt, so als ob ihm nie ein Funken Interesse gegolten hätte (00:38:20–00:48:32). Um/Formatieren 211 Langsam tastet sich Havarie an seine Erschöpfung heran. Zunächst waren da die getakteten, diskreten, disjunkten Einzelbilder, die Zeitsprünge, die Bildzuckung. Im Schaffen Becketts, welches sich für Deleuze (2008, 9) durch die Kombination einer „allergrößte[n] Genauigkeit und höchst- gradige[n] Auflösung; de…[n] endlose[n] Austausch von mathematischen Formulierungen und die Verfolgung des Formlosen oder Unformulierten“ auszeichnet, manifestiert sich eine semantisch-syntaktische Struktur: Sprache I, die ich in der mit Havarie dargelegten Einzelbildreihung erkennen möchte. Sprache I, so ließe sich sagen, funktioniert wie ein Code: „[D]iese atomhafte, disjunkte, zerschnittene, zerhackte ... Sprache der Nomen …, die ... mit kombinierbaren Atomen arbeitet“ (ebd., 12). „Wenn man das Mögliche“, so Deleuze, mit Sprache I erschöpfen will, „zerschneidet oder zerhackt man Atome“ (ebd.), man codiert Wirklichkeit in diskret-disjunkte Einheiten. Will man nun aber diese Codierung selbst erschöpfen, muss man sie „zum Laufen bringen“, man muss den Code prozessieren. Die Sprache der Nomen aktualisiert sich für Deleuze als Fluss, wenn diskrete Schrift in schwingende Stimmen übersetzt wird: „Die Stimmen sind die Wellen und Ströme, die die linguistischen Korpuskeln steuern und verteilen“ (ebd.). In Havarie wird die stockende Bildästhetik von einer Kakophonie an Stimmen, die visuelle von der akustischen Ebene des Films, mitgerissen und angereichert. Die Stimmen, die im Film die offenen Intervalle des Bildzuckens füllen, müssen sich „aussenden, absondern, je nach den Strömen, die sich bald ver- mischen, bald voneinander getrennt sind“ (ebd., 13). Über das Mittelmeer ertönen sie, abstrahiert von den Sprechenden, gesichtslos, manchmal als Geistergeschichten oder als traurige Lieder von verlorenen Söhnen. Die Stimmen dokumentieren die prekären Zustände der Havarierten, Geflüchteten, Heimatlosen, deren Geschichten ihre einzigen Existenzen im Film darstellen: „Die anderen, das heißt die möglichen Welten mit ihren Objekten, ihren Stimmen, die ihnen die einzige Realität verleihen, die sie erhoffen können, sind ‚Geschichten‘. Die anderen haben keine andere Realität als die, die ihnen ihre Stimme in ihrer jeweiligen Welt verleiht“ (ebd.). Sprache II erschöpft sich, wenn auch diese „Ströme zum Versiegen“ gebracht werden (ebd., 12). Der Algorithmus muss nun vollständig auf Abwege kommen, indem er auf „immanente Grenzen“ stößt, „Spalten, Löcher oder Risse, die man nicht wahrnähme, sie einer einfachen Müdig- keit zuschriebe, wenn sie nicht plötzlich größer würden, so daß sie etwas aufnehmen, was von außen oder anderswo kommt“ (ebd., 14–15). Sprache III ist die Sprache des Bildes, denn das Bild überkommt für Deleuze eine „kombinatorische, ‚vernunftbefleckte‘ Imagination“ der Sprache I und eine 212 High Definition „gedächtnisbefleckte Imagination“ der Sprache II, den Stimmen, die dazu da sind, „Geschichten zu erfinden oder Erinnerungen zu inventarisieren“ (ebd., 15). „[I]n dem Moment, wo die Stimmen scheinbar zum Schweigen gekommen sind“ (ebd., 17), entlädt sich nun das Bild. Dasselbe hat für Deleuze ein „enormes Energiepotential“, „das es bei seiner Auflösung zur Explosion bringt“ (ebd., 19). Begleitet von einem akustischen Zittern, das wie eine latente Feedback- störung klingt, und den Ambientklängen eines Pianos, trifft in Havarie die Kameralinse nun frontal auf die Sonne. In Konfrontation mit den ver- sammelten Lichtinformationen, die den ISO-Wert der Panasonic Lumix DMC-TZ4 bei Weitem übersteigen, setzt geglitchtes Wetterleuchten ein, ein „Schock“ (Scheffner, Rothöhler und Dell 2016), wie Scheffner sagt, ein „mediales Feuerwerk“ (ebd.), wie Rothöhler es beschreibt. Das Glitch zertrennt den Pixelstrom nun völlig in diskrete Einheiten. Was in Terry Diamonds Video als Flickerbild aus Schwarz, Grün, Violett noch durch die Schnelligkeit der Bildfolge in einem Fluss auf die Rezipient/innen ein- prasselt, wird in Havarie zu einer zusammenhangslosen Montage hyper- visueller, monochromer und greller Einzelbilder. In der durch die zeitliche Dehnung eingesetzten ästhetischen Aufladung der technischen Störung wird jeder Frame wie ein Close-up exponiert und das Potenzial der Hoch- auflösung so scheinbar zum Bersten gebracht. Jetzt ist keine Auflösungs- schwankung mehr möglich, denn die Einzelbilder stehen hyperästhetisch für sich. Aus einem Datenfluss ist eine Reihung an Too Much Images geworden. Wo der Glitch der Prozessualität von Digitalbildlichkeit einen ästhetischen Ausdruck verleiht, scheint er durch die hinzugefügte Dauer versiegt, in der Dokumentation und Fixierung der Modulationsfähigkeit des Bildes vollends zum Ausbruch bzw. Ausdruck gebracht (Havarie, 00:48:32– 00:52:40; Abb. 3.5). Deleuze setzt solche Bilder an ein Ende. Als Fernsehbilder identifiziert er sie gerade aufgrund ihrer flüchtigen Existenz, als „wahnsinnige Energie, die eingefangen wurde und jederzeit explodieren kann, so daß die Bilder nie lange andauern“. „Als letzte Partikel bleiben sie nie lange bestehen ..., weil sie nur eine ephemere Existenz haben“ (Deleuze 2008, 19). Das elektronische Bild ist mit seinem Erscheinen zur Auflösung verdammt, es „löst sich auf, weil es selbst das Mittel ist zu enden“ (ebd., 20). Einerseits ist daher mit Deleuze das elektronische Bild und im Anschluss daran das Digitalbild am Ende, weil es sich durch die eigene Modulationsfähigkeit zur Auflösung bringt. Andererseits steht das Digitalbild am Ende, weil es im Sinne einer Medienästhetik über die Potenziale der Hochauflösung als „ein- fangender“ und reflektierender Resonanzraum gedacht werden kann, der Um/Formatieren 213 das Ephemere und sich ständig weiter ausdifferenzierende Bild gleichsam stoppt: Das Bild ist erschöpft, so Deleuze, denn es „fängt alle Möglichkeiten ein, um sie dann zu sprengen“ (ebd.). Das Einfangen, Sammeln, Einbetten, Speichern und Reflektieren durch Medialität, die selbst wiederum auf ihre ephemere Existenz verweist – diese Potenziale der Hochauflösung bringen Digitalbilder zu einem expressiven Ende. Erschöpfung nach Deleuze zeichnet sich also durch eine bestimmte Plastizität des medialen Materials aus, das in der Lage ist, etwas aufzunehmen. Diese Geschmeidigkeit wird in Kombination mit einer expressiven, explodierenden Gewalt gedacht. Wenn ein solches Bild erscheint, nachdem es alle Möglichkeiten gesammelt hat und hyperästhetisch zur Ansicht bringt, „dann bedeutet es, daß es diesmal zu Ende ist, es gibt nichts Mögliches mehr“ (ebd., Hervorhebung im Original). Dass diese Entladung der bildlichen Möglichkeiten, die Erschöpfung der Potenziale, dennoch auf eine künstlerische, ästhetisch-reflektierende, eine post/produzierende Praxis zurückgeht, macht Deleuze in seinem Text explizit. Erschöpfen hat also doch zu einem gewissen Grad mit Schöpfen zu tun. Das von allen Möglichkeiten entladende Bild ist das Ende eines post/produzierenden Schaffensprozesses bzw. umgekehrt der Schaffens- prozess, der alle Möglichkeiten des Bildes durchläuft, bringt es an sein Ende: „Also ist es eher das Ende, das Ende jeder Möglichkeit, das uns lehrt, daß wir das Bild geschaffen haben, es soeben geschaffen haben“ (ebd.). Scheffner stellt solche erschöpften Digitalbilder in der Korrelation von infiniter Modulationsfähigkeit und im Arretieren in HD mit Havarie aus, indem er über Praktiken des Post/Produzierens dem sich ständig um/ formatierenden Bilderfluss Dauer hinzufügt. Wie Deleuze in seinen Ausführungen herausstellt, ist die Erschöpfung nicht ohne die Erschöpften zu denken: „Die Kombinatorik erschöpft ihr Objekt, aber deshalb, weil auch ihr Subjekt erschöpft ist. Der/Das Exhaustive und der/das Exhaustierte (exhausted)“ (ebd., 8, Hervorhebung im Original). Nicht nur ein Prozess vom Code zum Bild kollabiert, sondern in dieser Anstrengung des Schaffensprozesses gleichsam auch, posthuman gedacht, das Subjekt, denn „[e]s ist schwer, ein reines, unbeflecktes Bild zu schaffen“ (ebd., 15). Die Prozessualität der Herstellung, das Einschreiten ins offene Intervall, produziert also weniger einen Agitationszuspruch. Partizipieren am Digitalbild bedeutet stattdessen eine künstlerische Selbstaufgabe. Wie bei Menkmans fazialer Glitch-Art versagt Subjektivität, sobald Auf- lösungsschwankungen Over The Stream zum Bild gerinnen. Das lässt sich auch mit Havarie zeigen: Um den Bilderfluss, der die sogenannte „Flücht- lingskrise“ begleitet, zu stoppen, muss Scheffner seine eigenen, von ihm hergestellten Bilder verwerfen. Sobald er ein Bild, nämlich die gedehnte 214 High Definition und ausgeschöpfte Version von Terry Diamonds YouTube-Clip, (imaginär) vor sich hat und folglich schon ein Bild entstanden ist, verschwindet das Künstler-Subjekt. Durch diese subjektive Entsättigung kann das medienästhetische Potenzial hochaufgelöster Digitalbilder aufgerufen werden, und zwar in produktiver wie rezeptiver Hinsicht. Wie mit Menkmans Gesichts-Glitches und auch Godards Film Socialisme, der am Anfang des Kapitels aufgeführt wurde, werden in Havarie durch die sich langsam prozessierenden Bilder keine konstitutiven Blickrelationen etabliert, sondern Perzeptionen lediglich erschöpft. Auch die Wahrnehmung der Bilder wird dann dividuell oder post/perzeptuell. Das macht der Film v.a. deutlich, wenn er Rezeption und Bildproduktion nicht in einem reflektorischen Sinne kurzschaltet, wie es mit den filmessayistischen Projekten von Godard und Farocki ange- sprochen wurde. Der erschöpfte Blick hinter der Kamera ist gleichzusetzen mit dem erschöpften Blick auf den Monitor. An beiden Orten befindet sich nämlich Terry Diamond, der Urheber des Clips, der, wenn er nicht auf einem Luxusdampfer unterwegs ist, seine Arbeitszeit damit verbringt, auf die ästhetisch unspektakulären Bilder von Überwachungsmonitoren zu blicken, auf denen sich gleichsam meist nicht mehr zeigt als die Pixel- verschiebungen in Havarie. Die Tonspur, die zu Beginn des Films den Takt angibt – der zu hörende Sekundenzeiger – wird später im Film als Atmo- Sound einer Gesprächssequenz identifizierbar, in der Terry Diamond von seinem Arbeitsalltag als Sicherheitsmann erzählt und von der Anspannung und Anstrengung berichtet, diesen Bildern nächtelang gegenüberzustehen (Havarie, 01:04:03). Er verbringt Stunden, die mit dem Zeigerticken ihren zermürbenden Sound bekommen, mit Warten darauf, dass etwas im Bild passiert, selbstvergessen, während die Wirklichkeit um ihn herum ein- schläft und wieder aufwacht. Die nicht enden wollende Prozessierung, der Algorithmus ohne Ziel, erschöpft das wartende Subjekt, das versucht der unspektakulären Bildoberfläche standzuhalten. Mit Havarie wird dieser Rezeptionsmodus Terry Diamonds für die Zuschauer/innen vor und hinter der Kamera nachvollziehbar. Dabei sind die entleerte Oberfläche, ein in diese hineintastendes Zooming, das Starren auf minimale Pixel- verschiebungen auf Monitoren und die kollabierte künstlerische Praxis im Standhalten eines kleinen Clips und dessen Vergrößerung auf einen Nenner – nämlich der Erschöpfung der Potenziale der Hochauflösung – zu bringen. Ausgehend von Havarie soll den hochaufgelösten Bildern weiter standgehalten werden. Ihnen dabei Dauer hinzuzufügen scheint notwendig und benennt eine spezifische Zeitlichkeit des Digitalen. Wie diese in Bezug steht zu einem HD-Bilder/Denken und damit einer Virtualität des Digital- bildes, soll im weiteren Verlauf dieses Buches festgestellt werden. „Kein Blau mehr das Blau ist zu Ende.“ (Deleuze 2008, 19) Um/Formatieren 215 Abbildung 3.5. (Quelle: Collage aus Filmstills. Scheff ner, Philip. 2016. Havarie) 216 High Defi nition Abbildung 3.6. (Quelle: Collage aus Screenshots. Menkman, Rosa. 2010–. A Vernacular of File Formats über beyondresolution.info) [ 4 ] Interpolieren The Tree of Life Ein Frauengesicht, ihre Züge elegisch in Nahaufnahme. Die Person hat Trauer erlitten. Die geröteten Augen blicken entseelt nach oben. Das Gesicht hat den Schmerz gespeichert, bringt ihn aber nicht zum exzessiven Ausdruck. Die Frau blinzelt. Fast unmerklich tastet sich ihr Blick von rechts nach links, dann schließt sie die Augen. Mit den fallenden Lidern entspannt sich das Gesicht und das Bild erlischt. Ein atmosphärisch-rauschender Sound bricht aus dem Schwarzbild, das für ein paar Sekunden den Kader füllt. Eine dröhnende Akustik begleitend, taucht aus der Mitte des Dunkels schwach flackernd eine fließende, quellende Struktur auf, ein Glanz, so als hätte jemand mit Aquarellfarben impressionistisch versucht Licht- bewegungen zu zeichnen. Gesättigtes Rot, Blau und Orange, aber auch ein pastelliger Erdton blenden auf und ab, um dann vom Sog des Dunkels mit einem letzten strahlenden Aufbäumen wieder aufgenommen zu werden. Das Schwarzbild wird nach einigen Sekunden von einem organischen, langsam das Bild bevölkernden, rauchschwadenartigen, weißgrauen Muster überzogen. Dann brechen warme, rötlich orange Strahlen herein, wie durch eine Wasseroberfläche. Das Bild changiert zwischen liquiden, milchigen, trüben und nebligen Strukturen. Diese ephemeren Ansichten werden abgelöst von einer weißleuchtenden Spiralgalaxie, zunächst zu sehen als schmaler Streifen, dann „von oben“ als flacher Diskus. Die visuellen Kompositionen verdichten sich in galaktischen Bildern und werden in eine Montage mit Aufnahmen von Lava und Feuerherden 220 High Definition gebracht. Die undurchsichtigen, dichten Rauchschwaden, die von der glühend-heißen Materie ausgehen, lichten sich und zum ersten Mal geht die Sonne über dem filmischen Universum auf (00:19:28–00:26:02, siehe Abb. 4.1.). Vom menschlichen Gesicht zur Entstehung der Welt, vom introvertierten Gefühl eines Individuums zum expressiven Drama des Universums – Terrence Malicks The Tree of Life (2011) ist verfilmte skalare In/Varianz: Ein Kammerspiel „on a cosmic scale“, wie es Ignatiy Vishnevetsky (2011b) ausdrückt, das „extra-large, with plesiosaurs, molecular clouds, New Agey desktop background kitsch and Biblical verses“ ein Familiendrama erzählt. Zwischen klein/groß, Wimpernschlag/Tiefenzeit, Menschen/Universum fließt es in The Tree of Life hin und her. Im Fluss, so Adrian Ivakhiv, kon- stituiere sich der Film: If anything, the film is about that flow: of images, fragments, glimpses, memories, feelings, and dreams; the flow of emotionality in its thickness and its tensility; the flow of thought in its many voices and in the questions that punctuate its quest for sense …; the flow of connections, felt and probed but never rendered exact, between past and present, cause and complex effect, moments of loss and the haunting abysses they leave behind; and the flow of cinematic light and sound, of music …, and of the camera eye (under Emmanuel Lubezki’s deft direction), which is almost ceaseless in its elliptical motion in and around, toward and away from, the people and things that populate this unsettled world. (2013, 317, Hervorhebung im Original) Der Flow ist ein unendlicher „process of asking questions“ (ebd., 318) – existenzielle Fragen, auf die im Film mit Stille und v.a. weiteren Bildern und Tönen reagiert wird: das Gegenteil einer algorithmischen Prozessualität, wie sie im vorherigen Kapitel besprochen wurde. Dadurch entsteht in The Tree of Life aber keine Gleichgültigkeit, sondern eine Hyperaffektivität, ein staunendes, sehendes Fragen, eine audiovisuelle Achtsamkeit, die kleine Details auf derselben Skala ansiedelt wie astronomische Phänomene. Ein unmerkliches Augenblinzeln wird parallel montiert mit mikro- und makro- temporalen Veränderungen, die zur Weltentstehung führen. Narrative Bindeglieder, zwischenmenschliche Momente, Dialogszenen, so beschreibt es Vishnevetsky (2011b), spart der Film dagegen großzügig aus: „[T]he absence of major details“ bringe die Zuschauer/innen dazu, eine „subcons- cious detective-work“ an den Tag legen zu müssen, selbst fragend, ohne Antworten, vom audiovisuellen Fluss mitgerissen. Interpolieren 221 Narrative Sprünge, disjunktive Montagen, affektive Bildbezüge, Situationen fragender oder visionärer Wahrnehmung, auf die keine Handlungen oder Antworten folgen – es scheint, als ob Malick mit The Tree of Life einen Film vorlege, der Mittel nutzt, die Gilles Deleuze identifiziert, um mit kinemato- grafischen Bewegungs-Bildern das Virtuelle durch Zeit zu beschreiben. Diese scheinen in The Tree of Life wiederum auf Formen der skalaren In/ Varianz, und zwar zwischen den Menschen und ihrer (planetarischen) Überholung und den dabei geltenden temporalen Regimen übertragbar zu sein. Dass die filmische Art und Weise diese (zeitlichen) Maßstäbe dar- zulegen gleichsam auf HD-Praktiken beruht, wie sie in den vorhergehenden Kapiteln mit den Potenzialen der Hochauflösung als Too Much World, Too Much Image, mit post/perzeptuellen, um/formatierenden und erschöpften Zuständen benannt wurden, soll im Folgenden ausgeführt werden. The Tree of Life ist einer der jüngeren Filme Malicks, mit dem sich der Regisseur das erste Mal an das Digitalbild herantastet, der Technik, die fortan sein Schaffen bestimmt. Die strahlenden, hyperästhetischen Ansichten basieren auf post/produzierenden Eingriffen. Die 20-minütige Sequenz, die die Entstehung der Welt visualisiert und in einem kurzen Aus- schnitt oben wiedergegeben wurde, setzt in hohem Maße auf CGI-Effekte. Filmszenen wurden mit Digitalkameras (Dalsa Evolution, Phantom HD Gold, Red One) aufgenommen, die Negative zum Teil im RAW/Format aus- gegeben. Das Masterformat der Produktion war ein 4K Digital Intermediate (International Movie Database o.J.). Malicks The Tree of Life im Konkreten und digitalbildliche Formen des Films im Allgemeinen führten und führen im filmwissenschaftlichen Diskurs zu einer exzessiven Theoretisierung, kreisend um den vermeintlich prekären medienontologischen Status des Films: Aufgrund der besprochenen Über- setzungsproblematik von Code zu Bild, der berechneten Prozessualität des Bildes durch Intervallverschiebungen, der fehlenden Einzelkader und dem verbundenen Verzicht auf einen Shutter-Effekt, der dispositivüber- windenden Existenz von Filmbildlichkeit in verschiedenen Auflösungs- stadien, ganz zu schweigen vom Verlust des Zelluloidmaterials, wäre das Digitalbild, so z.B. Babette Mangolte (2003) und David Norman Rodowick (2007), nicht als virtuelles Bild im auszuführenden Deleuzeschen Sinne zu beschreiben. Denn der große Unterschied zwischen Digital- und Filmbild- lichkeit liege im Bezug zur jeweiligen Zeitlichkeit. Das Digitalbild setze auf instantane Informationsverarbeitung und einen konstanten Bilderfluss und wäre gemäß den Autor/innen, daher nicht in der Lage Dauer zu erzeugen. Und auf die Dauer, die Deleuze in Rückgriff auf Henri Bergsons Philosophie 222 High Definition ausarbeitet, gründe sich aber gerade die durch den Film mögliche Zeit- erfahrung als Erfahrung der Virtualität. Ich möchte dieser Verunsicherung in Bezug auf die „Virtualitätsfähigkeit“ des digitalen Bildes genauere Aufmerksamkeit schenken, da sie erstens von Deleuze selbst, darauf wurde in Kapitel 2.1. eingegangen, geäußert wird. Deleuze ist der Annahme, dass das Digitalbild aufgrund seiner exzessiven Modulationsfähigkeit keine ästhetischen Widerstände produzieren kann, die philosophisches Potenzial und demgemäß Virtualität bergen. Zweitens wurde in umgekehrter Hinsicht dem von Deleuze, Rodowick und Mangolte geäußerten Problem mit Havarie in Kapitel 3.2. zu einem gewissen Grad schon begegnet: Sich ständig um/formatierende Bilder, so sollte es in Bezug auf Scheffners Dokumentarfilm dargelegt werden, brauchen eine post/produzierende Arretierung, die im Upscaling durch das HD-Format erkannt wurde, um eine reflektorisch-ästhetische Ebene einzunehmen. Drittens wurde dieses Denken des Bildes mit Deleuze als das Erschöpfen der (hochaufgelösten) Potenziale, d.h. als ein Hintendieren zur ästhetischen Nulldimension des Bildes wie des bildgebenden Subjekts ausgearbeitet. Weitergedacht werden können diese Formen der bildlichen und bild- gebenden Erschöpfung bzw. Fixierung des Bilderflusses im Folgenden nun mit dem Begriff der Virtualität und der Frage ob, und wenn ja wie, HD filmisches Denken interpoliert. Das Virtuelle nach Deleuze Das Virtuelle ist bei Deleuze die offene Frage (2003, 146 und 148), die ungedachte Idee (ebd., 147), die reiche Mannigfaltigkeit (1997c, 268), die kontinuierliche Variable (Deleuze und Guattari 1992, 138), das unerschöpf- liche Potenzial (1997a, 149), das Imaginäre (1993e), die Erinnerung (1997d, 95–108), die Dauer (ebd., 59), das Chaos (Deleuze und Guattari 2000, 178–179, 182, 188), das Ganze (1997d, 118–119, 132), ein immanentes Leben (1996, 29–33) und die reine Differenz (1997c, 264–270). Darum geht es Deleuze bei seinem Begriff des „Virtuellen“ v.a.: um eine prozessuale und transformative Ontologie der Differenz und des Differenzierens. Das Virtuelle steht nicht für die andere Existenzform einer womöglich ontologisch schwächer ausgebildeten Wirklichkeit, z.B. festgemacht an der Erinnerung, dem Traum, der Imagination oder dem Glauben. Das Virtuelle ist aber nunmehr als Erinnerung, Traum, Imagination, Glaube, etc. ontologisch gleichwertig wie eine aktuelle, vermeintlich ontischere Wirklichkeit. Das Virtuelle ist Wirklichkeit im kontinuierlichen Werden, im Wandel, der Veränderung, sich ständig neu ausdifferenzierend – Deleuze Interpolieren 223 spricht von „Aktualisierung“ (ebd., 271). Es handelt sich also nicht um einen Zustand, der noch nicht verwirklicht irgendwo darauf wartet, irgendwann zur Existenz zu kommen. Das Virtuelle ist eher zu viel, zu breit, zu chao- tisch, übervoll mit gleichwertigen Differenzen, sich ständig verändernd und neu ausformulierend und daher zu different, um auf „eine“ aktuelle Form, „einen“ aktuellen Zustand der Wirklichkeit gebracht zu werden. Aber dennoch ist es da, existent und damit immanent. Deleuze gründet sein Konzept des „Virtuellen“ auf die Zeitphilosophie von Henri Bergson, denn Bergsons „Dauer“ ist in ihrem ständigen Wandel nicht lineare, teilbare oder getaktete Zeitlichkeit. Sie ist Fluss, genauso wie die Bilder in The Tree of Life, die nicht chronologisch aufeinander bezogen werden können, sondern eher qualitative Übergänge bilden, zwischen divergenten Raumzeiten. In Schöpferische Evolution schreibt Bergson (1974, 11): „[W]enn ein Seelenzustand aufhörte, sich zu wandeln, würde seine Dauer aufhören zu fließen“. Von diesem Seelenzustand ausgehend, wird Dauer zur universalen Existenz („Das Universum dauert“, ebd., 21) und Zeit zur alles, auch menschliche Subjekte („daß gerade die Zeit der Stoff ist, aus dem es [das Subjekt] besteht“, ebd., 14) durchdringenden transformations- ontologischen Substanz. Durch Dauer, als „kontinuierliches Fortschreiten der Vergangenheit, die an der Zukunft nagt und im Vorrücken anschwillt“ (ebd.), bleibt nichts, wie es ist. Eine „kontinuierliche Bildung von absolut Neuem“ (ebd.) führe dazu, dass alles, was in der Zeit existiert, in sich und im Vergleich zu allem anderen hochgradig unterschieden, mannigfaltig und different wird. Diese überbordende, angereicherte Wirklichkeit, voller Potenzial, Ver- änderung und Wandel erkennt Deleuze im Kino wieder. Virtualität ist für ihn daher v.a. auch Film, weil der Film in der Lage ist, Zeit als Dauer nicht nur im filmästhetischen Ausstellen koexistenter Zeit- und Wirklichkeitsschichten wahrnehmbar zu machen, sondern seinen Ausdruck auf Basis der medien- technischen Ausprägung dieser Zeitlichkeit installiert. Deleuze entwickelt mit der Analogie zum Film Bergsons Konzept weiter, indem er es zu einem gewissen Grad verkehrt, oder, wie Mirjam Schaub (2003, 90) es formuliert „liest [Deleuze] Bergson gegen Bergson, wenn er sich die Frage vorlegt, was ‚echte‘ Bewegung sei“. Für Bergson ist der Film nämlich gerade nicht Ausdruck von Dauer und „echter Bewegung“, denn die Einzelbildreihung, die medientechnische Kleinsteinheit der fließenden Bildentstehung, würde eine qualitative Einheit einer Bildbewegung segmentieren und daher unterlaufen. Deleuze baut indes auf diesen Zweifel seine Kinotheorie. Wenn Bergson nun argumentiert, dass das Kino im Gegensatz zu außer- medialen „bloß falsche oder illusionäre Bewegungen“ (ebd., Hervorhebung 224 High Definition im Original) darstellen würde, dann dreht Deleuze, so ist Schaub weiter zu folgen, das Argument um: „[ J]edwede Bewegung [beruht] auf ‚beweg- lichen‘ Schnitten, und jede Wahrnehmung derselben auf ‚Montage‘ dieser Schnitte“ (ebd.). Schaub spricht von einer „natürlichen Falschheit“ (ebd., 91), in der sich Deleuzes Zeitphilosophie kondensiere: „Zeitlichkeit bedeutet indes für Deleuze nichts anderes als die Möglichkeit, unterschiedliche Schnitte auf verschiedenen Ebenen auszuführen und Neuverkettungen zwischen den verschiedenen Ebenen zu initiieren“ (ebd., 88). Diese „not- wendigen Intervalle“, das Stocken und der Bruch konstituieren ein Bild im Werden – das Bewegungs-Bild erscheint kontinuierlich, gerade weil es auf Fragmentierungen, Schnitten, Unterbrechungen, Lücken und Schwarz- bildern basiert. So versammelt der Film perzeptuelle und affektive Angebote unterschiedlichster intensiver Ausprägung und bringt sie synthetisierend und im Bewegtbildfluss zusammen, ohne sie chronologisch zu ordnen oder in einen strukturierten Handlungskomplex einzulassen. In Abschnitt 1.1. wurde diese filmische Kompetenz der Differenz in der Einheit auf das im hiesigen Kontext zentrale Konzept der skalaren In/Varianz durch HD und die Potenziale der Hochauflösung bezogen. Wie in Kapitel 2.1. aufgezeigt, gehen für Deleuze das „Paradox der Bewegung“ und die elektronischen und digitalen Bilder nun aber, aufgrund dieser Skalierbarkeit und einher- gehenden Modulierbarkeit, gerade nicht zusammen und dass, obwohl doch gerade post/produzierte, um/formatierte, im Fluss befindliche Digitalbild- lichkeit und ihre Mikrotemporalität als eine „Reinform des Virtuellen“ gelten könnten, wie es z.B. auch Lorenz Engell im Rahmen seiner Intervalltheorie vorbringt (2000, 199–200; 2009, 250–251). Doch diese digitalen Mikro- Differenzierungen machen für Deleuze noch keine Virtualität aus, und zwar in Hinblick auf das philosophische Potenzial des Films. Filmphilosophie Für eine Filmphilosophie muss die funktionale Dimension der Medien- technik auf eine ästhetische (im Sinne einer Medienästhetik) Strategie des Films gebracht werden. Beim analogen Film geschieht das, sobald die „natürliche Falschheit“ der Bewegung, z.B. über hakende Anschlüsse, dis- junkte Schnitte, das Spiel von Bewegung und Stillstand, durch die Asyn- chronität von Ton und Bild im Film sichtbar wird. Dann stellt der Film nicht nur seine Virtualität als Dauer (Einzelbildkaderreihung/kontinuierliche Bewegung) aus, sondern entwickelt ein filmphilosophisches Potenzial: „Einerseits wird das kinematografische Bild … zu einer direkten Darstellung Interpolieren 225 der Zeit. Andererseits bringt dieses Zeit-Bild das Denken in Bezug zu einem Ungedachten: zum Unevozierbaren, Unerklärbaren, Unentscheidbaren und Inkommensurablen“ (Deleuze 1997b, 276). Die „natürliche Falschheit“ der Bewegung kann über den Film hinaus auf Unbestimmtheitsstellen in der Wirklichkeit angewendet werden, wird für Brüche und Störungen in der Welt sinngebend, wie Deleuze es z.B. anhand der neorealistischen Filme während/nach dem Zweiten Weltkrieg erläutert (ebd., 11–32). Dieser sinnstiftende Bezug zur Welt ist notwendig, um Virtualität als film- philosophisches Potenzial zu etablieren und muss für das digitale Bild, so Deleuze, zunächst noch entschieden werden. Ist das Virtuelle in den rein technisch angelegten vielen Differenzen der Digitalbildtechnik vermeintlich aktualisiert, muss sie sich, um künstlerisch und philosophisch produktiv zu werden, auf eine neue, zu große, ungedachte, unevozierbare, chaotische, mannigfaltig differente Form der Wirklichkeit berufen – eine „Virtualität der Virtualität“ sozusagen, die für Deleuze den Unterschied zwischen elek- tronischer bzw. digitaler Informationslogik und Kunst markieren würde. Das Digitalbild müsse erst zur Kunst werden und sich über die Ästhetik in sinnstiftender Relation zur Wirklichkeit, als Filmphilosophie bewahrheiten (ebd., 340). Die philosophische Kompetenz des hochaufgelösten Digitalbildes, so soll an Deleuze angeschlossen und weitergedacht werden, findet sich nun gerade in der Arretierung der Modulationsbereitschaft des Digitalbildes, z.B. über den kennengelernten Modus der Erschöpfung. Die post/produzierte Dehnung in Havarie gesteht dann dem Digitalbild Virtualität zu, weil ihm zuallererst medienästhetisch Dauer hinzugefügt wird. Und das geschieht, so das Argument des vorherigen Kapitels, durch HD und das betriebene Upscaling. Ähnlich wie ein falscher Anschluss im Film als medienreflexiver Ausdruck für das „Paradox der Bewegung“ kann mit HD und dem Blow-up des kleinen YouTube-Clips in Havarie medienreflexiv auf die Materialität der prozess- und transformationsontologischen Existenzweisen des Digital- bildes Bezug genommen werden. Was bei Havarie noch zu einem Bruch der Oberfläche führt, soll im Folgenden an hyperästhetischen, glatten und kontinuierlichen Bildflächen ausgeführt werden, die als genuine HD-Bild- lichkeit identifizierbar sind und die ihre Intaktheit, so wurde es in Kapitel 1.1. kurz angesprochen, auf die Medientechnik der Interpolation, also dem Zwischenrechnen von (fehlenden) Pixeln, gründen. 226 High Definition HD/Film/Denken Mit HD findet sich das Virtuelle des Digitalbildes in auf Interpolation beruhenden ästhetischen und auch zeitlichen Anreicherungen, Ver- dichtungen und Steigerungen der audiovisuellen Informationsdichte, so wird es im folgenden Kapitel ausgeführt. Die filmphilosophische Über- setzung der funktionalen, medientechnischen Interpolation soll in den ästhetischen Strategien des Kontinuität/Intensivierens und Licht/Kris- tallisierens erkannt werden. HD ist eine Ästhetik, so die These, die jeglichen Bildinhalt durch Interpolation intensivierend vergrößert. In Havarie führte das zeitliche Blow-up des Bildmaterials zu seiner Erschöpfung, in The Tree of Life könnte man sagen, dass skalare In/Varianzen – Kleinfamilie und Urknall – durch das Kontinuität/Intensivieren zu hypervisuellen Ansichten gesteigert werden. Das elegische Frauengesicht ist hier genauso eindring- liches, hochaufgelöstes Affektbild wie die sphärischen Galaxieansichten. Es soll im Folgenden argumentiert werden, dass HD über Interpolation Maßstäbe expandiert und skalare In/Varianzen in einem Ausmaß zum Ausdruck bringt, der nun aber bestimmte Mitteltöne verloren gehen lässt, z.B. verbindend narrative, soziale, dialogische Elemente oder Figurenzeichnungen – kurz eine Ebene der Menschen. Gerade Malicks jüngere Filme, die sich vollständig der digitalen Technik verschreiben, exerzieren solche extremen Menschen/Natur-Skalierungen durch. Malick setzt zwar schon mit seinem (analogen) Frühwerk auf kreationistische Verschaltungen, die Menschen in ihren Umgebungen transzendieren und als „narrative Mitteltöne“ im New-Hollywoodschen Sinne auflösen. Doch gerade die Digitaltechnik, die durch die Post/Produktion ermöglichte Flexibilität und das Spiel mit unterschiedlichsten lichtsensiblen Materialien, ermöglichen es nun, das filmische Programm Malicks in neue Größen- ordnungen zu überführen. Die lange Schaffenspause, die das Wirken des Regisseurs kennzeichnet und durchaus auch mystifiziert, scheint fast wie das Ersehnen nach post/kinematografischer Technik, nach den Potenzialen der Hochauflösung. Denn in umgekehrter Manier zu Scheffner, der mit dem Digitalen und Havarie zur Erschöpfung der Herstellung von eigenen Bildern gelangt, regen bei Malick die durch HD offerierten skalaren In/Varianzen die Post/Produktion exzessiv an. Die analoge Schaffensphase Malicks zeichnet sich durch eine produktionsökonomische Besonnenheit, wenig Filme und lange Pausen zwischen ihnen aus. Seit der Etablierung digitaler Filmtechniken post/produziert der Filmemacher nun am laufenden Band. Die digitalen Filme Malicks zeigen, wie einem modulierenden, intensi- vierenden Bilderfluss standgehalten werden muss, und zwar über Interpolieren 227 ästhetische und rezeptive Strategien der Interpolation. Das Interpolieren soll als ein filmphilosophisches Sinnangebot durch HD erkannt werden, in raumzeitlichen Bedingungen, die die Menschen bei Weitem überholen. So wie Deleuze dem Film durch die Brüche und falschen Anschlüsse eine sinn- stiftende Kompetenz, z.B. für die Welt nach dem Zweiten Weltkrieg oder dem Postkolonialismus, zugestand, soll nun mit der Interpolation ein post/ kinematografischer Kontakt zwischen post/digitaler Medien/Immanenz und Digitalbild hergestellt werden. In Malicks Filmen scheinen die Menschen über die Kontinuität skalarer In/Varianz der Darstellung „herausgerechnet“. Im Folgenden soll daran anschließend, nach dem Post/Produzieren und Um/Formatieren, im Kontinuität/Intensivieren und Licht/Kristallisieren Aus- prägungen von HD erkannt werden, die das Virtuelle des Post/Kinemato- grafischen fassbar machen, indem sie die Menschen wieder ins Digitalbild interpolieren. Wie in Kapitel 2.2. aufgezeigt, verschiebt sich bei einer auf HD basierenden Bildgebung der Maßstab im Hinblick auf das Verhältnis von Teil und Ganzem. Nicht Einzelbild und Bildbewegung, sondern jede mikrotempo- rale Aktualisierung der Prozessierung, jede Pixelverschiebung, kann in Zusammenhang gestellt werden mit der temporalen Einheit des Bewegt- bildes. Hochaufgelöst ist das digitale Bild übervoll mit mikroskopischen Teilen, die mit der qualitativen Gesamtheit des Bewegungsflusses korrelieren. Diese können sich filmästhetisch durch eine Detailfülle oder Strukturdichte des Bildes, durch Mikrobewegungen, durch intensive Farb- und Lichtsättigungen der Aufnahmen als Too Much Image mitteilen. HD scheint u.a. über die Technik der Interpolation vorzugeben, Differenzierungen nicht zwischen den Bildern, sondern in der Bildfläche und Bildtiefe zu suchen. Demgemäß sind filmästhetische Formen benannt, die im post/digital, medien/immanenten Sinne nach „analytischen Begegnungen“ mit dem Digitalbild jenseits der Differenzierung in ein champ, hors-champ oder hors-cadre fragen. Das HD-bildliche Außen ist, so wurde schon in Kapitel 2.1. argumentiert, nicht auf eine Rahmenhaftig- keit zu bringen. Einher geht eine Verschiebung der filmanalytischen Per- spektive, die im Kapitel 4.1. von der Mise en scène hin zu einer, mit Karl Prümm (2006) zu benennenden, „Mise en images“ kommen will. Vom kontinuierlichen HD-Raum zur post/kinematografischen Tiefenzeit Die folgenden beiden Kapitel beziehen sich aufeinander und stellen zwei Schritte des Vorhabens dar, Interpolation als filmphilosophische Strategie 228 High Definition von HD zu etablieren. Dabei ist Kapitel 4.1. eher diskursabbildend und hinleitend angelegt und führt zur These, die dann in Kapitel 4.2. final entfaltet und an Deleuzes Kinotheorie rückgekoppelt werden soll. Grund- annahme meiner Überlegungen ist, dass die HD-Technik die filmische Exploration von Bewegungen im Raum und die filmische Zeitlichkeit ver- ändert. Ein filmphilosophisches Potenzial, die Virtualität des Digitalbildes, muss durch diese Veränderung nicht mehr zwischen den Bildern, sondern in ihnen, in der Auflösung und nicht im Schnitt gesucht werden. Das soll über die filmische Sonderform der One-Takes1, die überhaupt erst durch Digitaltechnik möglich wurde, analysiert werden. Dass es sich bei den One-Takes um einen Prototyp filmischer Digitaltechnik handelt, zeigt sich auch darin, dass Argumente gegen das Digitale an ihm festgemacht werden: Konkret an Russian Ark (2002) setzt Rodowick mit seiner Kritik am Digitalbild an. Sein Bedenken und der Film stehen im Zen- trum des folgenden Kapitels. Auch Mangolte baut ihre Kritik am digitalen Film auf ein One-Take, nur im umgekehrten Sinne: Mit Michael Snows Wavelength (1967), einer analogen 45-minütigen Zoomfahrt, argumentiert sie gegen die Möglichkeit, mit digitalen Mitteln filmische Dauer zu erzeugen. Im Folgenden möchte ich demonstrieren, dass die Autor/innen an einer kinematografischen Raumzeitlichkeit der Mise en scène hängen. Mit einem post/digitalen HD-Zeitverständnis soll sich nun eher auf das Hervortreten der Mise en images konzentriert werden. Mein zentrales Argument in 4.1. ist, dass die Etablierung eines filmischen Raums unter Vorzeichen von HD als datendichte, hochaufgelöste Bild- fläche verstanden werden muss. Kontinuität im Raum wird nicht mehr über ein Continuity Editing zwischen den Bildern, sondern kontinuität/ intensiviert durch Hochauflösung in einer tiefen Bildfläche etabliert. Am One-Take möchte ich argumentieren, dass die Kamerabewegung dann als eine bildinterne Bewegung identifiziert werden kann, ähnlich dem Zooming oder dem Schärfeziehen. D.h., dass die Kamerabewegung, die einen pro- filmischen Raum durchläuft, mit a-räumlichen Bildbewegungen verglichen werden soll. An diese Überlegung anschließen möchte ich die These, dass sich der profilmische Raum wie ein datendichtes HD-Bild verhält. Schon 1 Ich orientiere mich an der Definition des Lexikons der Filmbegriffe (hrsg. v. Hans J. Wulff, o.J.), die mit „One-Take“, oder auch „Eine-Einstellung-Film“, „Cut Cut“ oder „Single-Shot“, einen Film beschreibt, der aus einer einzigen Einstellung besteht, also nicht geschnitten wurde. One-Take bezieht sich auf die filmästhetische Einstellung. Im Englischen wird unterschieden zwischen Take und Shot, darauf soll später mit Rodowick eingegangen werden. Nicht gemeint mit One-Take ist eine Filmproduktion, die nur einen Abdreh benötigte. Die geschilderten Beispiele wurden alle mehrmals gedreht. Ich danke Felix Hasebrink für den Hinweis auf diesen Unterschied. Interpolieren 229 in Kapitel 4.1. soll mit diesem Versuch, HD-Filmräume als tiefe, hochauf- gelöste Bildflächen zu bestimmen, eine filmphilosophische Tendenz des Digitalbildes angestoßen werden, und zwar durch den Übergang von einer kontinuität/intensivierenden Raumkonstitution zu einer für HD spe- zifischen Zeitlichkeit. HD-Zeit ist so ausdifferenziert und mannigfaltig, so das Argument, dass sie Interpolationen benötigt, um greifbar zu werden. Genau das stellen die HD-Filme Malicks mit ihrer filmphilosophischen Kom- petenz aus. Innerbildliche skalare In/Varianz im Film und eine differenzreiche Bild- tiefe werden, unabhängig vom Digitalen, in der Theorie schon mit André Bazin (2009, 225) als geologische entfaltet. Die zu untersuchenden Differenzierungen und Verdichtungen der HD-Zeit sollen in Kapitel 4.2. auf ein geologisches Zeit- und Raumverständnis und auf ein geologisches Denken nach Deleuze und Félix Guattari gebracht werden. So soll auf das komplexe temporale Geflecht eingegangen werden, das Deleuze in seiner Kinotheorie in der Beziehung verschiedener Zeitschichten, zuge- spitzt auf den Wechsel vom Bewegungs- zum Zeit-Bild und der Korrelation von Realhistorie (Zweiter Weltkrieg, Schoah, Postkolonialismus), Medien- ästhetik (Zeit-Bild) und medialer Mikrotemporalität (24 Bilder pro Sekunde) anlegt. Eine Relektüre der Deleuzeschen Kinotheorie als Geo-Philosophie soll deutlich machen, dass eine HD-Zeit (Medienästhetik) sinnspendende Bezüge in Zeiten post/digitaler Medien/Immanenz (Realhistorie) über medientechnische Interpolationen in skalare In/Varianzen (mediale Mikro- temporalität) ermöglicht. Über diese Verschränkung der verschiedenen Zeiten, so das Argument, kann der digitale Film den Menschen einen Glauben an die spezifisch post/digital medien/immanente Wirklichkeit zurückerstatten, wie es die Filme Malicks zeigen sollen. Die eindringlichen informationsdichten Filmbilder Malicks sind als HD-Ästhetik zu iden- tifizieren, die nun, so die These, über interpolierende Möglichkeiten ein filmphilosophisches Potenzial des Digitalbildes aufzeigt. Daraus lässt sich weiter auf ein geo-philosophisches Konzept der Kinotheorie schließen. Denn über das Prinzip der Interpolation, das sich gegen Abbrüche wendet und für eine (komplexe und nicht lineare) Kontinuität ausspricht, kann Film- geschichte weniger als Genealogie und vielmehr als geologische Tiefenzeit identifiziert werden. Filmgeschichte findet dann nicht als lineare Entwick- lung, sondern als Intensivierung statt. 230 High Defi nition Abbildung 4.1. (Quelle: Collage aus Filmstills. Malick, Terrence. 2011. The Tree of Life) Interpolieren 231 4.1. Kontinuität/Intensivieren: One-Takes in tiefe Bildflächen Auf dem Weg hin zu einer filmphilosophischen Kategorie der Interpolation soll im Folgenden zunächst das problematische Verhältnis von digitaler und kinematografischer Zeitlichkeit in den Blick geraten. Dasselbe ist fester Bestandteil der Diskussionen um das Post/Cinema, die die Filmwissen- schaft unter dem von Steven Shaviro (2010) aufgeworfenen Begriff seit mehr als zehn Jahren beschäftigt (Denson und Leyda 2016; Linseisen 2018). Als kritische Stimmen sprechen, ohne explizit den Begriff „Post/Cinema“ zu prägen, schon Rodowick (2007) und Mangolte (2003) dem Digitalbild ein Potenzial zur kinematografischen Dauer ab. Ich möchte nun die geäußerte Kritik nachvollziehen und mich zugleich von den genannten Positionen abgrenzen, mit meinem Argument, dass HD einen Perspektivenwechsel in Hinblick auf filmische Raumzeit notwendig macht. Die Etablierung von räumlicher und zeitlicher Kontinuität, die ein filmästhetisches Regel-Set birgt, u.a. auf den Begriff des „Continuity Editings“ gebracht, wird mit HD befragt, weil filmische Bewegung, so die These, nicht über die räumliche Anordnung durch den montierten Zusammenschnitt von Einzelkadern, sondern innerhalb einer hochaufgelösten räumlichen Bildfläche, über datenreiche Bildtiefen gedacht werden muss. Post/kinematografische Kontinuität kann dann auf Basis der vielen Differenzen (Pixel) im Bild entstehen und nicht über das kinematogra- fische Verhältnis von Raum und Bewegung, basierend auf Schnitt, Einzel- bildreihung und der dadurch entstehenden Simulation von Echtzeit. Im Anschluss an Prümm (2006) soll im Folgenden der Blick weg von der Mise en scène hin zur „Mise en images“ gerichtet und auf filmästhetische Formen der inneren Montage, des Zoomings, der Schärfentiefe und der Plansequenz in Bezug zu den tiefen HD-Bildflächen eingegangen werden. Die Verschiebung der Etablierung des filmischen Raums durch Schnitt hin zu einer differenzgeladenen Fläche negiert tatsächlich eine Form von kinematografischer Dauer, im Abgleich mit einer spezifischen Form von Echt- oder Jetztzeit, die nicht mehr mit dem skalar in/varianten Zeitemp- finden einer post/digitalen Medien/Immanenz zusammenzubringen ist, wie im Laufe des Kapitels ausgeführt werden soll. Dennoch, so möchte ich argumentieren, kann mit HD von einem Konzept der Virtualität im Deleuzeschen und Bergsonschen Sinne ausgegangen werden. 232 High Definition One-Takes Meine Überlegungen zur post/kinematografischen Virtualität setzen bei der Mise en images von One-Takes an, weil gerade die schnittlose Film- ästhetik, wie sie durch Bazin aber auch durch Deleuze ihre Theoretisierung erfährt, den Ausdruck einer „dichten Wirklichkeit“ (Bazin) und einer filmischen Dauer par excellence exploriert. Deleuze (1997a, 107) spricht in dem Zusammenhang von „Kamerabewusstsein“, das Bewegungen nicht mehr zwischen subjektiven und objektiven Standpunkten unternimmt, die dadurch räumlich zu überwinden wären, sondern über eine Imagination der Kameraperspektive, d.h. rein optisch ausführt. Hieran möchte ich mit der filmischen Sonderform des One-Takes anschließen, die erst durch die Digitaltechnik als solche möglich wurde. Die digitalen One-Takes sollen im Folgenden nicht mehr als Kamerabewegungen, die Räume im Sinne einer durch Montage entstehenden Continuity durchlaufen, zu verstehen sein, sondern als „sonderbare Bewegungen“ in die Bildfläche, als „Scheinbewegungen“, ein Begriff, den Tereza Smid (2008, 227) für das Schärfeziehen prägt. Ein One-Take ist ein Film, der aus nur einer möglichst langen, unge- schnittenen Einstellung besteht. Eine Spielfilmlänge ist dabei erst zu erreichen, wenn sich die Produktionssituation des Filmdrehs von der Länge des Filmstreifens emanzipiert, der eine automatische Taktung des Drehs durch den Rollenwechsel vorgibt. Diese kontinuierliche Bildherstellung kommt mit der HD-Aufnahmetechnik auf ein neues Level, da es nun möglich ist, hoch unterschiedliche profilmische Situationen, verschiedenste Lichtverhältnisse und räumliche Anordnungen mit demselben licht- sensiblen, „empfangsbereiten“ Material bei der Bildakquise einzufangen. Filmen ohne Schnitt bedeutet nämlich auch, wenn der Anspruch besteht, dynamische und vielseitige Bilder zu produzieren, dass die Zeit zwischen den Bildern zur Umstellung des Lichts, der Konstruktion des Bildraums oder zum Wechsel der Objektive wegfällt. Die örtlichen Bedingungen müssen stark auf den sensiblen HD-Digitalsensor eingestellt sein und umgekehrt. Der Dreh schachtelt dann Einstellung hinter Einstellung und der zu filmende Wirklichkeitsausschnitt wird an den Erfordernissen der Kamera zentripetal aus- und entsprechend eingerichtet. So lässt sich sagen, dass eine filmische Raumspezifik nach Bazin, die sich im Gegensatz zur Malerei und deren fixierten Rahmen durch eine über den Kader hinaus- laufende, auf Kontinuität angelegte Bewegung auszeichnet, nun selbst auf ein Proportionsverhältnis zu bringen ist, zwischen „gemalte[m] [bzw. Interpolieren 233 gefilmtem] Mikrokosmos“ und „natürliche[m] Makrokosmos, in den das Gemälde [bzw. der Film] sich einfügt“ (2009, 225). Das zentripetal filmische Bild des digitalen One-Takes überholt nun aber die von der Malerei vor- gegebene skalare In/Varianz zwischen Bild und Wirklichkeit, „Mikro-“ und „Makrokosmos“: Es zieht die Wirklichkeit in die Tiefe des Bildes und verschiebt so den Rahmen immer weiter nach außen, sodass inmitten des Bildes keine Differenz mehr zwischen „Mikro“- und „Makrokosmos“, zwischen Bild und Wirklichkeit ausfindig gemacht werden kann. Der Tiefensog saugt den/die Betrachter/in förmlich in ein „virtuelle[s]… Bild- universum“ (ebd., 226) – man ist am Ende völlig umgeben von Bild. Was dann passiert, macht Bazin in Reaktion auf eine Bildkritik an Kunstfilmen, wie z.B. Alain Resnais’ Van Gogh (1948), deutlich: Der Film lässt „ein einzig großes Gemälde [entstehen], in dem die Kamera sich mit ebenso viel Freiheit bewegt wie in einem beliebigen Dokumentarfilm“ (ebd., 226). Aus ästhetischer, demokratisierender wie kunstpädagogischer Perspektive argumentiert nun Bazin für das „gefundene Sesam-öffne-dich“, den „Zugang“, den der Film ins Gemälde für ein breites Publikum ermögliche (ebd.). Denn was davor den/die „ungebildete Betrachter/in“ zum „Opfer“ platonischer Trugbilder werden ließ, da Wirklichkeit mit Bild verwechselt wurde, sei nun, so Bazin, durch den Film überholt, dem es gelungen ist, das gemalte Werk sozusagen in der natürlichen Wahr- nehmung ‚aufzulösen‘, so daß es wirklich genügt, Augen zu haben, um zu sehen und weder Bildung noch Initiation länger nötig sind, um die Malerei, die sich dem Geist aufgrund der Struktur des Filmbildes wie ein natürliches Phänomen einprägt, unmittelbar, man könnte sogar sagen: zwangsweise zu genießen. (Ebd., 227) Die Malerei wird durch den Film lasiert mit einer Schicht an Realismus, „eine…[m] Realismus zweiten Grades“, der auf einer „mineralischen Wirklichkeit“ (ebd., 228) fußt, die sich in der Bildtiefe über geologische Schichtungen mitteilt und durch die bildinterne Kamerafahrt freigelegt werden kann (ebd., 225). Der Film macht das Bild zu einem Ort des Dokumentarischen, der medienästhetisch aufgeladen auch die „natürliche Wahrnehmung“ affiziert, weil sich die Kamera in der Bildfläche bewegt, als ginge es ihr um die Wirklichkeit. Russian Ark Die filmische Arbeit, mit der sich ihre Macher/innen rühmen, den ersten digitalen One-Take produziert zu haben und die als Meilenstein früher digi- taler Filmtechnik gilt, kann holzschnittartig auf die von Bazin vorgegebene 234 High Definition zentripetale Verschaltung von Film und Malerei bezogen werden: Russian Ark lässt filmische Räume voll mit Gemälden durch einen One-Take zu einem digitalen Filmgemälde werden. 100 Minuten durchläuft der Kameramann Tilman Büttner mit einer Steadicam eine artifizielle Wirklich- keit aus Bildern und stellt Wahrnehmungssituationen in der Konfrontation mit Kunst aus. Der Film navigiert seine Kamera durch ästhetische Settings: Er zeigt Situationen des Gemäldebetrachtens, des Skulpturenumkreisens, wohnt einer Theateraufführung bei, zeigt, wie Maskierungen und Kostüme bewundert und Architekturen abgeschritten werden und wie die Kamera zuletzt vom choreografierten Tanz und den Orchesterklängen mitgerissen wird. Der Film gleitet durch die Eremitage in Sankt Petersburg und lässt den Museumsbesuch zur Zeitreise werden. Jeder Raum offenbart ein epochales Reenactment und die Begegnung mit historischen Figuren der russischen Geschichte. Dabei visualisiert Russian Ark den Traum eines/ einer jeden Kulturbeauftragten, nämlich die Visite einer Kunststätte in ein verlebendigtes Beiwohnen am historischen Zeitgeschehen zu ver- wandeln und es mit der Bazinschen Schicht an Realismus zu überziehen. Wie im Museum üblich, werden also von Raum zu Raum Epoche um Epoche durchlaufen und die dort aufzufindenden Kulturschätze bewundert. Die profilmische Wirklichkeit von Russian Ark ist eine kuratierte, das Flanieren in ihr genau geplant; sie ist in ihrer Selektion mit Bedeutung aufgeladen, hochästhetisiert, artifiziell und scheint mit den Kulturgütern, die der Film ins Bild setzt, filmästhetisch selbst zu einem zu werden. Russian Ark ist, so möchte ich argumentieren, eine Bild/Wirklichkeit im Sinne einer post/digitalen Medien/Immanenz, die Bild und Wirklichkeit so korreliert, dass sie kein Außen zulässt. Die Too Much World ist Too Much Image. Es entsteht ein Filmraum, der sich auf eine zentripetale Bewegung in die Tiefe des Bildes und nicht auf die Bewegung zwischen Einzelbildern, ihrer gerahmten Raumkonstitution und dahingehend auf eine zentrifugale Überwindung einzelner Kadergrenzen konzentriert. Gerade hierin, in dieser speziellen Filmräumlichkeit und den Vergegenwärtigungsversuchen einer historischen Vergangenheit durch den digitalen Bilderfluss und die unge- brochene Kontinuität der Aufnahme, liegt für Rodowick das Problem in Bezug auf eine kinematografische Zeitlichkeit. So sehr nämlich Alexander Sokurovs Film versuche, geschichtliche Linearität durch das kontinuierliche Digitalbild einzufangen, so wenig gelinge es Russian Ark durch die mit dem One-Take suggerierte Echtzeit filmische Dauer und eine Vergegenwärtigung der Vergangenheit zu erzeugen. Interpolieren 235 Rodowicks Kritik Rodowick baut seine Kritik auf das mit Deleuze geschilderte Paradox kinematografischer Bewegung, der Erzeugung von raumzeitlicher Kon- tinuität durch medientechnische Fragmentierung und den Schnitt. Filmische Dauer basiere, so kann noch einmal wiederholt werden, auf den notwendigen, defizitären Lücken zwischen den Kadern. Diese Lückenhaftig- keit kann auch auf das Wirklichkeitsverständnis übertragen werden, das der Film vorgibt: Nicht nur die kontinuierliche Bewegung basiert auf dem materiellen Entzug ihrer Entstehung, sondern auch die dargestellte Wirklichkeit ist (weil abgefilmt und geschnitten) eine vergangene bzw. fragmentarische und korreliert mit der Präsenz ihrer Wiedergabe (durch den segmentierenden Shutter) als Film. Die erlebte Dauer ist dabei auf eine Rezeptionserfahrung zu bringen, die mit Mary Ann Doane (2002, 172) als eine in Echtzeit durchlebte Utopie verstanden werden kann. Denn der empfundene Einklang der präsentischen Rezeptionserfahrung während der Filmprojektion, der innerfilmischen Raumzeit als Continuity und einer außerfilmischen gleichsam kontinuierlichen Echtzeitwahr- nehmung sei reine Fiktion und gründe eigentlich auf post/perzeptuellem Entzug: „The cinema presents us with a simulacrum of time“ (ebd.). Die „kinematografische Echtzeit als Nahtlosigkeit wird von dem verfolgt, was sie auszuschließen versucht“, so formuliert es Isabell Otto (2012, 93, Hervorhebung im Original), denn die perzeptuell sichtbare und als Echt- zeit identifizierte Continuity kommt nicht über die medientechnische Segmentierung und die verzögerte, sprunghafte Zeitlichkeit des Filmtrans- ports hinweg. Digitale Bilder scheinen nun in der Lage, dieses Echtzeit- und Kontinuitätsproblem zu umgehen, indem sie im stetigen Fluss Bilder wiedergeben und zumindest bei Russian Ark auch bei der Aufnahme nicht auf die sezierenden Einschnitte des Filmrollenwechsels angewiesen sind. Gerade das ruft nun bei Rodowick die extreme Skepsis gegenüber der Digitaltechnik hervor. Seine Position ist eindeutig. In The Virtual Life of Film fragt er: Have computational processes changed the nature of the image as we ordinarily characterize it? Have the components of the image changed along with the possibilities of their combination in time? Can digital cinema express duration and past-relatedness with the same force as film, or does it even want to? (Rodowick 2007, 100) Er schließt an eine von Mangolte (2003, 263) hervorgebrachte Problem- stellung an, nämlich „[w]hy is it so difficult for a digital image to communicate duration?“. Rodowick geht medienontologisch in die Vollen: 236 High Definition „This difficult problem cuts to the heart of whether digital cinema may or may not be characterized as film“ (2007, 100 Hervorhebung im Original). Der filmischen Dauer sei, so Rodowick, vielmehr ein „Digital Event“ (ebd., 163–174) gegenübergestellt, welches Echtzeit an die instantane, mikro- sekündliche Informationsverarbeitung des Digitalen koppeln würde. Digitalbilder wären aus dieser Perspektive reine Datenakkumulationen, die es zu kontrollieren gelte: „In a world defined by the heavy accumulation of information, the will to access and control this world from behind inter- active screens defines the desire of the new ontology“ (ebd., 175). Digitaler Film widerspreche einer filmischen Dauer aufgrund dieses Kontrollzwangs und ziele weniger auf die den Film auszeichnende Vergegenwärtigung einer Vergangenheit und mehr auf eine erhöhte, präsentische Aufmerksamkeit (ebd., 166). Das Digital Event konstituiere ein filmfremdes Zeitregime, das Zeit kontrolliere und variiere und sich von der Arbeitsspeicherkapazität des Computers und der algorithmischen Prozessierung von Daten abhängig mache. Eine Zeit, die durch algorithmische Prozessualität zustande komme, könne, so Rodowick, keine Vergangenheit speichern, sondern bleibe in der Gegenwart verhaftet und wäre daher unfilmisch. Die Tatsache, dass ein Bild berechnet werden muss, um zu erscheinen, stellt für Rodowick also eine schwierige Ausgangslage dar, um der filmischen Kompetenz gerecht zu werden, Vergangenheit, Erinnerung und Dauer aufzurufen. Seine Kritik setzt dabei abgrenzend bei der Analogie von Filmherstellung und Filmwiedergabe im Kino an, nämlich der Blenden- bzw. Shutterschließung, die den Zeit-, Aufnahme- und Projektionsfluss strukturiere. Hier laufen aufgenommene Zeitlichkeit, wiedergegebener Zeitfluss und perzeptuelles Zeitempfinden zusammen und alle würden auf Fragmentierung und Absenz basieren. Rodowick spricht im Anschluss an Stanley Cavells „Automatismen“ (1979) von einer „automatic analogical causation“ (Rodowick 2007, 49, Hervorhebung im Original). Er argumentiert im post/fotografischen Sinne: Indexikalische Zeitlichkeit bringe eine Auf- nahme in unmittelbaren Kontakt mit einem profilmischen Ereignis. Dem „adventure of photography“, das Belichtungszeit direkt proportional zur zeitlichen Transformation des fotosensiblen Materials setzt ( je länger belichtet wird, desto stärker verändert sich die fotochemische Emulsion), fügt der Film nun die Proportionalität von Bewegung im Bild (durch Schnitt und Montage) und einen sukzessiven Bewegungsablauf individueller Einzelkader bei der Projektion hinzu (ebd., 32). In beiden Fällen, bei der Belichtung und der Projektion, erfährt der/die Betrachtende im Moment der Wahrnehmung, so Rodowick mit Cavell, eine Entfremdung von der Interpolieren 237 Wirklichkeit: „[W]e are present to a world from which we are absent“ (ebd., 54). Die Zeugenschaft der Kamera und ihre Registrierung eines profilmischen Moments wird als kontinuierliche zeitliche Spur über die Ausbelichtung im Bild sichtbar. Diese erscheint wiederum durch die Projektion, jedoch nur, um auf die Abwesenheit der aufgenommenen Wirklichkeit hinzudeuten: „[F]ilmed images present a mode of existence split by qualities of presence and absence, present and past, now and then, a here before us now encompassing a there displaced in time“ (ebd., 56). Phänomene, die zeitlich abwesend sind, können durch die Filmbewegung räumlich präsent werden, die sich als eine anwesende Wirklichkeit zeigt, von der die Betrachter/ innen wiederum abwesend sind – hierauf läuft Rodowicks analoger Kausal- zusammenhang filmischer Dauer hinaus. Bildliche Inskription korreliert mit Perzeption und manifestiert sich filmästhetisch im Schnitt und der Montage. In der vom Film aufgegebenen Ontologie, „as a self divided from the world by the window of perception“ (ebd., 66), wird die gekappte Ver- bindung zur Wirklichkeit offen ausgestellt, durch den Film wahrnehmbar und bietet ein sinnstiftendes Gefüge an, das mit Deleuze (1997b, 236) auf die Frage gebracht werden kann: „Wie gibt uns das Kino den Glauben an die Welt zurück?“. Der Film und das Kino versiegeln also den Abstand zur Wirklichkeit über ein filmästhetisches Nachempfinden desselben, und zwar durch eine Absenzerfahrung, eine Leerstelle, einen Bruch. Die digitale Aufnahme würde nach Rodowick (2007, 166) zwar Bewegung ins Bild setzen und in einer präsentischen Perzeptionssituation manifest machen, doch diese sei nicht mehr auf die besondere temporale Ver- zögerung, auf die Sichtbarkeit einer vergangenen, nicht-präsenten Wirk- lichkeit, basierend auf Sequenzialisierung, Einzelbildreihung, Schnitt und Montage, zu bringen. Durch die Gegenwartsbezogenheit des Digitalbildes wäre keine „temporal alienation from the past“ spürbar (ebd.). Da die Digitalbilder in Echtzeit synchron zu ihrer Erscheinung berechnet werden müssen, liegen sie auf derselben Zeitebene wie ihre Rezeption. Die Real Time von Fernsehbildern, Überwachungsbildschirmen und Computer- monitoren würde gerade nicht für eine Abwesenheit der Wirklichkeit stehen, sondern für deren universale Verfügbar- und Veränderbarkeit (ebd., 164). In One Breath Genau hier, bei der Kontrolle und Verfügbarkeit des Bildes, scheitert für Rodowick Russian Ark. Er macht seine Bedenken an einem Bildvergleich fest, 238 High Definition den er aus dem Making-of der Filmproduktion mit dem selbstredenden Titel In One Breath (2003) zieht. Hier wird eine Szene vor und nach dem post/produzierenden Eingriffen gezeigt, eine Szene, die sich durch ihre besondere Belichtungssituation, nämlich einer „gloomy appearance“ und „deep shadows“ auszeichnet (00:24:17). Wir befinden uns im Film und in der Geschichte Russlands an einem düsteren Punkt, der die Gräueltaten des Zweiten Weltkriegs behandelt. Ein Gebäudeflügel ist vollgestellt mit leeren Rahmen und abgezogenen Leinwänden – ein Kuratorium der obsolet gewordenen Einzelkader unter post/kinematografischen Vorzeichen? Hier sind die Bilder auf jeden Fall nicht, wie sonst im Museum, akkurat aufgereiht, dafür aber umso mehr die post/produzierte Lichtsituation im Digitalbild. Die Farbpalette beschränkt sich auf graubläuliche Töne, ein tiefes Schwarz und ein eiskaltes, nur pointiert Highlights setzendes, gleißend weißes Licht, das durch die Fensterfront eintritt und die Szene seherisch illuminiert. Das Making-of zeigt den Unterschied (00:23:00). Vor der Post/Produktion ist der Raum viel besser ausgeleuchtet, als er im Film erscheint. Die Fenster spenden zwar grünlich helles Licht, aber sie treten nicht hervor. Die Gegenstände im Raum zeichnen sich eher durch bräunliche, gelbe und ockerfarbene Töne aus. Die Szene hat nichts Winterliches und wirkt viel freundlicher, als sie es im Film soll (siehe Abb. 4.2.). Ich würde zu Rodowicks Beispiel einen meines Erachtens noch viel offensichtlicheren Eingriff der Post/Produktion ins Bild hinzuziehen, der auch ohne einen Vergleich mit dem Making-of auskommt: In den letzten Minuten des Films folgt die Kamera der aus der Eremitage hinaus- strömenden aristokratischen Festgemeinschaft. In der Menge der Statist/ innen werden mit dem Kamerablick die prachtvollen Kostüme und sorgsam gesteckten Perücken abgetastet. Mit Rothöhler (2013, 81) gesprochen, zeigen sich in solchen Szenen „kontingenzästhetische… Optionen des Films“, die besonders für HD-Historienfilme wie Russian Ark gelten, der so „seine Affinität zur Speicherung zufällig ins Bild gelangter Details“ (ebd.) preisgibt. Geschickt intendiert durch einen Mann der Masse, der sich von der linearen Bewegungsdynamik abwendet und dem die Kamera folgt, dreht sich der Kader um und die Kamera läuft nun vor der Menge her, die sie spalierartig vorbeischreiten lässt und nach ihr die Gasse wieder schließt, sodass sich eine Wand an prunkvollen Kostümen, pastellfarbenen Ballkleidern und Uniformen in Primärfarben vor der Linse aufreihen. Die floralen Stoffe, Federn, Diamanten, die verspielten Rüschen, die sorgfältig gelegten Schärpen, die blankpolierten Knöpfe fügen sich ornamental als „period details“ (ebd., 82, Hervorhebung im Original) in das aufwändige, Interpolieren 239 goldglänzende Dekor der marmorweißen Jordantreppe des Winterpalastes ein. Dann durchschreitet die Menge eine Tür und die sattroten Uniformen vergrauen blitzartig. Das Farbspektrum, das die Videoauflösung hergibt, taucht nun in ein schattenhaftes Dunkel. Der Lichtwechsel ist eindeutig stilistisch intendiert und post/produzierend hervorgerufen, das offen- bart der nun vorgenommene Kameraschwenk. Die ergraute Menge rechts liegen lassend, steuert die Kamera auf ein Fenster zu, das eine voll aus- gestellte CGI-Winterszene darbietet. Von dieser scheint die Lichtstimmung auszugehen. Kaltes Schneegestöber dringt in den Raum und bricht die atmosphärische Optik in einem Flimmern. Alles ist entsättigt und in ein weißgraues Licht getaucht. Das One-Take endet mit der Fahrt aus dem Fenster, das zu einem (Zeit)Portal wird: Das letzte Bild ist das brodelnde, dampfende, graue Meer, scheinbar im unendlichen Fluss, und die Erzähl- stimme endet mit „Wir werden ewig getrieben und ewig leben“ (01:29:20; siehe Abb. 4.3.). Diese post/produzierten Szenen, das Nachjustieren der Lichtwerte sowie Eingriffe in die Perspektive und CGI-Bildteile bringen Rodowick (2007, 167) nun dazu, dem digitalen Film seine räumliche Konsistenz, eine im Film- material gespeicherte Vergangenheit und die Möglichkeit der kinemato- grafischen Dauer abzusprechen: „One sees clearly in comparison the addition and subtraction of a number of discrete elements: a color filter has been applied; implied lighting elements have been changed“. Das post/ produzierte Digitalbild führe daher zu folgendem Befund: „[T]here may be ‚takes‘ in digital cinema, but there are no shots“ (ebd., 166), festgemacht am bekannten post/fotografischen Vorwurf, nach dem das digitale Bild keinen indexikalischen Bezug zur profilmischen Wirklichkeit herstellen könne. Bei Russian Ark fand kein „fotografisches Abenteuer“ statt, denn die Bilder seien manipulative Arrangements und die Eingriffe, die post/ produzierend vorgenommen wurden, Fragmente oder Schichten des Bildes, die unkompliziert weggenommen und hinzugefügt werden können. Was aufgenommen wurde, ist damit nicht durch die Einstellung fixiert, eine Eigenschaft des Digitalbildes, die im 2. Kapitel positiver schon mit Christoph Hochhäuslers „Master-Shot-Coverage-Technique“ benannt wurde. Dass es sich auch für Rodowick bei der digitalen Bildaufnahme mehr um unbe- sehene Blickfelder und weniger um stilistische Entscheidungen handelt, macht die von ihm vorgenommene Differenzierung zwischen Shot und Take deutlich. Steht Shot für die ästhetische Konzeption einer gestalteten, integren Einstellung, so sind die Takes Unterformen, unentschiedene Teile der Szenen. Ein Take kann bei der Filmproduktion beliebig oft wiederholt werden, zielt auf Verbesserungsfähigkeit und ist daher ästhetisch nicht 240 High Definition festgefahren wie die aus den Takes kondensierte Einstellung, die dann in die Montage über den Schnitt eingepflegt werden kann. Für Rodowick gibt es beim Digitalbild keine Einstellungen mehr, denn die Lichtwerte sitzen lose im filmischen Material, sind als Pixel nach Belieben verschiebbar und wurden vom Digitalsensor lediglich empfangen, um verändert zu werden. So lässt sich filmische Dauer nicht speichern und kann auch nicht das besondere existenzielle Wahrnehmungsgefüge durch die Montage und bei der Projektion reproduzieren, bei dem sich der/die Betrachtende durch den Film einer entfremdeten Wirklichkeit gegenüberstehen sieht, die auf dem ontologisch zarten Verbindungsglied des Glaubens fußt. Mangoltes Kritik und Wavelength Die Gegenprobe zu Rodowicks Bedenken liefert Mangolte (2003), indem sie gleichsam die besondere filmische Einstellung des Long-Takes in Form eines kontinuierlichen Zoomings nutzt, um darüber zu reflektieren, warum digitale Filme keine Dauer produzieren können. Bei ihr verläuft jedoch das Argumentieren am Material in umgekehrter Richtung anhand einer analogen Plansequenz, die nun gerade als Prototyp filmischer Dauer deklariert wird: Michael Snows Wavelength. Snows strukturalistisch- avantgardistischer Experimentalfilm zeigt die gemächlich tastende, 45 Minuten andauernde und seine Bewegung ins Bild sehr zurückhaltend ausstellende Zoomfahrt durch einen Atelierraum. Der Film ist für Annette Michelson (1976, 38–44) Dauer par excellence und Michael Walsh (2016, 59) erklärt ihn zum Gründungsdokument eines „durational cinema“. Wavelength stellt durch das langsame Zooming Zeitlichkeit aus, indem der Film die bildinterne Bewegung gerade auf das Verhältnis von Kontinuität und Fragmentierung und die Frage der Echtzeit trimmt. Die gemächlich voranschreitende Zeit wird im rezeptiven Akt, als aktives Sehen zwischen Langeweile und Aufmerksamkeit, erfahrbar gemacht. Die kontinuierlich voranschreitende Zoomfahrt ist trotz der ausgestellten Kontinuität eine konstante Veränderung, die der Film durch den Wechsel verschiedener Filmmaterialien, Belichtungsmomente und Farbfilter ausstellt, immer ein- gebettet in der langsam und unspektakulär dahingleitenden Bewegung im Bild. Einerseits passiert also nichts im Film bzw. keine räumliche Veränderung, denn nur die Zoomfahrt (und hypothetisch nicht die Kamera – Snow muss diese einmal neu im Raum platzieren) durchschreitet optisch den Raum von einem Ende zum anderen. Andererseits passiert ständig etwas, denn das Filmmaterial ist verlebendigte Differenz, was Snow durch die verschiedensten Manipulationen am Material exemplifiziert. Innerhalb der kontinuierlich sich ins Bild tastenden Bewegung findet sogar Interpolieren 241 ein Mord statt, dem das Zooming aber keine Zeit gibt, sodass der kurze Augenblick vom Voranschreiten des Films einfach übergangen wird. Für Mangolte (2003, 263) ermöglicht er eine Erfahrung, die Zeit als Bewegung und Zeit als Raum ineinander kollabieren lässt. Wavelength stellt seine materielle Basis medienreflexiv und medienästhetisch zur Disposition: Time is both progressive and made of stop motion, like the motion picture film that is made of successive photograms. The separation of each photogram during projection is enabled by the closing of the shutter. (Ebd.) Auch Mangolte koppelt folglich die Herstellung und die Rezeption filmischer Dauer aneinander und sieht sie mit Wavelength paradigmatisch ins Bild gesetzt. Dauer stellt sich ein, weil Kontinuität durch Veränderung möglich ist. Im Gegensatz zum Digitalbild, das nur die Teile im Bild berechnet und verändert, die sich wirklich bewegen, verändere sich im filmischen Bild durch die Projektion und die Bewegungserzeugung aufeinanderfolgender Einzelkader pro Sekunde 24 mal immer alles: That which is the same in the shot stays the same in the digital image, in contrast to the constantly changing emulsion grain from one frame to the next in the film image. The inscription of the decaying body in Wavelength is therefore not possible in digital, even in HD DIGI. Time is not transformation anymore, the essence of film in which there is a change twenty-four times a second. (Ebd., 264) Der Mord ist für Mangolte in HD nicht möglich, da die kurze Szene, die nur für Sekunden zu sehen ist, keine signifikante Bewegung im Digitalbild ver- zeichnen würde, in filmischer Hinsicht dagegen exzessiv passiert, nämlich, mit Laura Mulvey (2006) gesprochen, Death 24x a Second. In HD wäre er, da sich im Bild wenig bewegt, nicht auf eine so starke Veränderung zu bringen und schon gar nicht als digitales One-Take, denn der Schnitt ist für Mangolte (2003, 262) der Kristallisationspunkt der Kontinuität durch Ver- änderung, in dem sich alle filmischen Zeiten kondensieren: „[F]ilmmakers speak of running time, screen time, performance time, shooting time, real time, and a sense of time. All those times converge ‚as a construction‘ through editing“. Der Shutter-Effekt bei der Projektion des Filmbildes bringt diese Kontinuität durch Veränderung wiederum rezeptiv hervor, mimt den Schnitt bzw. spart diesen für Digitalbilder aus. Hiermit ist ein Zeitverlust und damit eine letzte zeitliche Analogie zur Frequenz der Bildreihung auf- gerufen: „No more flicker. No more heartbeat“ (ebd., 264). 242 High Definition Victoria Vielleicht wären Rodowick und Mangolte mit einem digitalen One-Take einverstanden, das weniger auf einer kontrollierten, artifiziellen und stärker auf einer (wenn auch fiktional eingebetteten) dokumentarischen Produktionsweise fußt, um, wenn schon nicht den Herzschlag des Shutters, so doch wenigstens das Pulsieren einer Großstadt einzufangen. Was in Russian Ark die Eremitage ist, ist in Victoria (2015) Berlin. Ganz im Gegen- satz zur kennengelernten, kuratierten Bildwelt im Museum geht Sebas- tian Schippers One-Take „hinaus in die Welt“ und diese dokumentarische Filmpraxis, nämlich die losgelöste Kamera, die sich frei im urbanen Raum zu bewegen scheint, wurde vielfach positiv von der Filmkritik herausgear- beitet. Vanessa Aab (2015, 31) stellt die These auf, dass der Film durch das One-Take versuche, an das „Signum der Wahrhaftigkeit“ anzuschließen, welches der Plansequenz von Filmtheoretiker/innen, u.a. von Bazin oder Siegfried Kracauer, zugeschrieben wird. Diese Positionen zum Realismus in Bezug auf ihre Digitalbildkritik zu bemühen, darauf verzichten Rodowick und Mangolte. Das One-Take wird von beiden nicht im Zusammenhang mit dem ästhetischen Realismus der Schärfentiefe oder der Plansequenz gedacht. Der „Manipulierbarkeit des digitalen Bildes, das eine für Ver- änderungen potentiell offene Struktur besitzt“, so formuliert es dagegen nun aber Aab, könne gerade das One-Take, das als eine „Form, die geschlos- sene und authentische Bewegung“ reproduziere, entgegengehalten werden (ebd.). Diese stilistische Einhegung bekommt nun einen dokumentarischen Reiz, wenn die Wirklichkeit, in der sich so kohärent bewegt wird, chaotisch und unübersichtlich auftritt. Victoria setzt zumindest diegetisch nicht auf einen vorgegebenen Parcours wie dem in Russian Ark vorgenommenen Gang durchs Museum. Auch im Bild scheinen die Pixel nicht perfekt aufgereiht oder nachträglich hin- zugefügt. Das One-Take gilt vielmehr als Belichtungs- und Kameratest „im freien Feld“. Victoria ist eine 140-minütige Einstellung, die tief in der Nacht beginnt und ihr Ende in den Morgenstunden findet. Der Film nimmt seinen Anfang im Dunkel, das in Berlin scheinbar v.a. dazu da ist, vom Stroboskoplicht der Clubs und einer progressiven Bassdrum zerrissen zu werden – so zeigt es die erste Szene. Von dort aus nimmt Victoria zunächst gemächlich Fahrt auf. Etwas ziellos dahindümpelnd, dem trunkenen und unbesonnenen Gemüt der Protagonist/innen entsprechend, kippt der Film dann plötzlich in eine Heist-Story, prescht vorwärts und endet mit dem pastellfarbigen Himmel über der St. Hedwigs-Kathedrale. Dazwischen durchläuft die Protagonistin Victoria (Laia Costa) 22 Drehorte, mit ihnen dramaturgische Höhen und Tiefen und belichtungstechnisch Low und Interpolieren 243 High Keys. Im Club, auf der Straße, in der Tiefgarage, im Auto, im Café, im Aufzug, auf dem Häuserdach – bei Victoria muss sich die Kamera- arbeit nach der profilmischen Wirklichkeit richten. Denn der Film ver- schreibe sich einem „fly on the wall“-Stil, wie der Kameramann Sturla Brandth Grøvlen seine Arbeit filmhistorisch einordnet (Canon Inc. 2015). Die Schauplätze variieren stark und die Szenen stellen sich auf die vor- gegebene Dynamik und Geschwindigkeit ein. Erzählt wird von der zufäl- ligen Begegnung zwischen Victoria, die in Berlin als Kellnerin arbeitet, und einer Gruppe junger Männer, allen voran Sonne (Frederick Lau). Das ungeplante Aufeinandertreffen während einer Clubnacht entwickelt sich zu einer verhängnisvollen Komplizenschaft, da sich die Personen in krimi- nelle Machenschaften verstricken. Das Team raubt eine Bank aus, ein Kind wird gekidnappt, die Gruppe von der Polizei verfolgt und hingestreckt, bis auf Victoria, die, als einzige übriggeblieben, in den anbrechenden Tag verschwindet. Victoria setzt (sich) unter komplizierte Produktionsbedingungen und die Canon EOS C300 PL dabei auf hochgradige Flexibilität. Die Sets sind oft bedrängend eng, wie im Auto oder im Aufzug. Aber auch sonst ist der Fokus der Kamera beinahe immer auf 360 Grad ausgerichtet, sodass der Regisseur auf so wenig Beleuchtungsequipment, Reflektoren oder Bounce Boards wie möglich setzte, um der Gefahr zu entgehen, dass diese in die Aufnahme ragen (Thomson 2015, 22). Eine Entscheidung für die spezifische Kamera, das betonen die Macher/innen immer wieder, war daher die hohe Lichtsensibilität, die bei der Bildakquise nur durch wenige produktionstech- nische Hilfsmittel unterstützt werden musste (Canon Inc. 2015; Aab 2015, 35). Die Möglichkeit der kontinuierlichen Aufnahme ohne Schnitt basiert bei Victoria insofern auf dem HD-Auflösungsvermögen. Wie Rothöhler (2013, 34) für Michael Manns Collateral (2004) beschreibt, offeriert das „lichtempfindliche, d.h. -empfängliche HD-Bild“ die Kapazität über aus- schließlich „vorgefundene, profilmische Lichtquellen, … den Bildraum [zu] strukturieren“. Zwar kann Victorias Berlin nicht mit der plastischen Illuminanz von Collaterals Los Angeles mithalten. Dennoch zeichnen sich die Nachtaufnahmen der Stadt, v.a. aus dem Auto gefilmt, durch eine facettenreiche, farbintensive Brillanz aus: Im Schärfeziehen erscheint das Stadtbild einmal völlig verschwommen als bunte, ineinanderfließende Lichtflecken und dann wieder tiefenscharf als vom Licht gesäumte Straßen- schluchten. Dazwischen geraten die beschlagenen Autoscheiben in den Blick, die das Bild der Stadt zudem mit einer ephemeren, milchigen Schicht überziehen (01:14:41–01:15:55; 01:18:30–01:21:31; 01:24:34–01:26:35). 244 High Definition Anders als Russian Ark basiert Victoria mit den verbesserten technischen Möglichkeiten auf einem facettenreicheren HD-Bild. Die Kamera ist wild und dynamisch, geht vom Close-up in die Totale, kommt ganz nah an die Charaktere heran, nimmt gleichzeitig aber auch Leuchtreklame und Laternenlicht im Hintergrund in den Fokus. Die Kamera lässt sich mit- reißen und produziert verwackelte und unscharfe Bilder. Trotz dieses agitatorischen Versuchs, das Pulsieren einer Nacht und eine präsentische Sensorik in den Film zu übersetzen, wäre Rodowick am Ende wohl auch von Victoria enttäuscht, zumal Kameramann und Regisseur in den Interviews verraten, dass auch dieses One-Take, ungeachtet des dokumentarischen Anspruchs, auf post/produzierenden Eingriffen fußt (auch wenn Schipper und Grøvlen eher von Korrekturen sprechen). Wieder einmal ist es die Lichtstimmung, die nach der Bildakquise angepasst werden muss. Der Himmel über einer Dachterrassenszene, eine gräuliche, dunkle Wolken- decke, die durch einige lichte Stellen den zu erahnenden Sonnenaufgang andeutet (00:24:50), wurde nachträglich eingesetzt und durch CGI atmosphärisch angereichert. Der Kolorist des Films Pana Argueta berichtet, wie er Stunden darauf verwendete, die Übergänge zwischen den ver- schiedenen Sets und den vorherrschenden Beleuchtungssituationen aus- zutarieren, um jeder Situation im Film die richtige Stimmung zu verleihen (Thomson 2015, 24). Das zeigt sich v.a. in einer Sequenz kurz vor dem für den Film zentralen Banküberfall, die stark gesättigt eine Straßenszenerie in Violett, Magenta und Lichtblau verpackt und dem nahenden Morgen so eine spektakuläre Farbpalette zugesteht (01:17:30–01:18:30). Wo in Russian Ark die post/produzierenden Eingriffe und die CGI-Ästhetik unbeholfen auffallen, schmiegt sich in Victoria die Nachjustierung und Pixelmodulation geschmeidig bzw. virtuos ins hochaufgelöste Digitalbild. Die Übergänge zwischen Drehorten und ihren atmosphärischen Differenzen sind nicht harsch, sondern fließend. Die komplexe Aufnahmesituation erfährt durch den post/produzierenden Ausgleich eine Kontinuität/Intensität in der Darstellung. Nichtsdestotrotz wäre Victoria für Rodowick gleichsam kein Film, sondern ein Digital Event. Denn was in der Rekapitulation seiner Position und den genannten Beispielen deutlich wurde, ist, dass sein Unbehagen mit der digitalen Zeitlichkeit auf das Post/Produzieren filmischer Bilder herunter- brechbar ist. Hieran macht Rodowick die Entzweiung von Produktion und Rezeption fest. Er greift bei seiner Argumentation auf Lev Manovichs (2002, 322) Konzept der „spatial montage“ zurück, mit der das Bild von palimpsest- artigen Kombinationen an Datenschichten strukturiert ist, auf die beliebig eingegriffen werden kann. Eine profilmische Wirklichkeit, also z.B. die Interpolieren 245 Morgenstunden über Berlin und ihre Atmosphäre, wäre indes für Rodowick (2007, 166) nicht im Film ästhetisch „hinterlegt“. Die Post/Produktion entgrenzt das Bild vom Raum und der darin vollzogenen Bewegung. Die Möglichkeit eine Einstellung als „a highly variable element open to inter- active manipulation at the most discrete levels“ (ebd.) auszuweisen, gefährde, so möchte ich Rodowicks Position noch einmal wiederholen, filmische Dauer. Vor-digitale Scheinbewegungen in Bildtiefen: Bazin und Deleuze Im Folgenden möchte ich post/produzierte, digitale One-Takes jen- seits der Vorwürfe der Bildmanipulation und der durch sie eintretenden Negation kinematografischer Dauer bewerten. Der Kritik, dass dieselben als Digital Event keine filmische Zeitlichkeit anbieten würden, steht eine andere filmästhetische Tradition entgegen, die mit der Referenz auf Bazin und der Einordnung Aabs schon anklang: Das One-Take soll in Beziehung gesetzt werden zu dichten Filmbildoberflächen, inneren Montagen, der Plansequenz und der Tiefenschärfe. One-Takes sind, wie die Gemälde- Film-Verschaltungen bei Bazin, Bild/Wirklichkeiten, Too Much Worlds in Too Much Images. Trotz fehlendem Schnitt, so werde ich darlegen, können Bildfragmentierungen und -differenzierungen in ihnen identifiziert werden, die eine besondere post/fotografische Form des Realismus, eine Referenz zur „dichten Wirklichkeit“ aufweisen. Weiterhin berücksichtigt Deleuzes Zeit-Philosophie explizit filmische Bilder, die ohne Schnitt aus- kommen. Daran anschließend kann das digitale One-Take als eine Form verstanden werden, die post/kinematografisch Kontinuität/intensiviert und anschließt an Konzepte der „Intensified Continuity“ nach David Bordwell und Kristin Thompson und der „Post-Continuity“ nach Shaviro. Das einher- gehende post/kinematografische Zeitgefüge, so werde ich abschließend argumentieren, lässt sich gerade über die post/produzierenden Eingriffe und eine Verschaltung von Produktion, Rezeption und Post/Produktion im post/digitalen, medien/immanenten Sinne (besprochen in Kapitel 2.1.) beschreiben. Rodowick und Mangolte scheinen bei ihren Einschätzungen zum One- Take ausschließlich die Mise en scène zu fokussieren und nicht das, was mit Prümm (2006) als „Mise en images“ bezeichnet werden kann. Mit der Mise en images plädiert Prümm unter den Vorzeichen des Visual Turns für eine „fotografische… Filmanalyse“ (ebd., 19) und einen Perspektiven- wechsel weg von der narrativen und dramaturgischen Inszenierung im Film hin zu einem, man könnte schlicht sagen, medienästhetischen Blick 246 High Definition auf den fotochemischen und kameratechnischen Entstehungsprozess des Filmbildes (ebd., 15). Diese Fokussierung der im Kader verzeichneten Spielräume vereint kinematografische Formen der „szenische[n] Auf- lösung“, wie Aab (2015, 29) sich ausdrückt. Sie machen Veränderungen im Filmbild möglich, ohne sie auf den Raum zurückzuführen. Innere Montagen stellen „Einstellungswechsel nicht durch Schnitte, sondern durch Kamera- und Objektbewegung, Lichtführung, Schärfenverlagerung“ her (ebd.). Wie es Smid in ihrer ausführlichen Studie zu einer Poetik der Schärfenverlagerung im Film unterstreicht, übernimmt die Veränderung des Fokus im Bild dabei dieselben Funktionen „wie echte Kamerabewegungen“: Sie [die Schärfenverlagerung] beschreibt Objekteigenschaften, defi- niert Objektbeziehungen, etabliert Strukturen des Blickfelds; ihr Verhalten läßt sich als optisch-räumliches Interaktionsverhalten ver- stehen, und schließlich steuert sie über die Informationsvorgabe die Rezeption. (2008, 227) Auch schon vor dem Spezialfall des digitalen One-Takes gibt es, so demons- trieren es diese Verfahren, kinematografische Standpunkte, die eine bild- interne Bewegung jenseits der Montage präferieren. Am prominentesten äußert das wohl Bazin (2009, 75–87) mit seinem „Schneiden verboten“- Postulat. Bazin spricht sich für eine filmästhetische Varianz aus, die er in Abkehr von der Montage durch die ungeschnittenen Sequenzen ermöglicht sieht. In manchen Fällen verlange es die Szene, dem Kader standzuhalten, z.B. wenn es darum gehe, Gegensätze im Bild auszustellen bzw. die Einheit des Ortes einer Erzählung zu erhalten (ebd., 84). Für Bazin ausschlaggebend ist dabei ein bestimmtes Verhältnis von profilmischer Wirklichkeit und deren Niederschlag in einer filmischen Fiktion – ein filmischer Realismus. Bazin widerstrebt zwar auch ein post/produzierender Eingriff ins Filmbild, denn diesen erkennt er gerade im Schnitt und der Montage, doch basiert sein Plädoyer für eine schnittlose Sequenz nicht auf post/fotografischer, indexikalischer Verunsicherung. Veränderungen am Filmbild oder Tricks wären durchaus erlaubt, um eine Szene realistisch als Ganzes erscheinen zu lassen: Um die ganze ästhetische Fülle zu erreichen, ist es nötig, daß wir an die Realität der Ereignisse glauben können, obwohl wir wissen, daß sie gestellt sind … . Wichtig ist nur, daß er [der/die Zuschauer/in] den Stoff des Films als authentisch erkennt, während er sich zur gleichen Zeit sagen kann, daß es doch ‚Kino‘ ist. Dann reproduziert die Leinwand das Hin- und Herfluten unserer Phantasie, die sich von der Realität nährt, an deren Stelle sie sich zu setzen plant; die Fabel entsteht aus der Interpolieren 247 Erfahrung, die sie transzendiert. Doch umgekehrt muß das Imaginäre auf der Leinwand die räumliche Dichte der Wirklichkeit haben. (Ebd., 82–84, Hervorhebung im Original) Von dieser „räumlichen Dichte der Wirklichkeit“ würde die Montage nun abstrahieren, so Bazin. Die schnittlose Einstellung sei deswegen nicht mehr oder weniger „wahrhaftig“ als eine montierte Szene. Das Kriterium bei der Entscheidung, ob geschnitten wird oder nicht, hängt für Bazin, so bekräftigt es Thomas Elsaesser (2009, 23), daran, ob „Realismus von räumlicher Homogenität abhängt“. Neben Bazins Position zum filmischen Realismus und explizit an diese Überlegungen zur „dichten Wirklichkeit“ anschließend, thematisiert nun Deleuze (1997b) in seinem zweiten Kinobuch Das Zeit-Bild die Affinität innerer Montagen für die Exploration „reiner Zeitlichkeit“ im Film. Deleuze spricht bei solchen filmischen Formen von Kristallbildern; Bildern, die wie Kristalle in ihrer rigiden Struktur Fragmentierungen einfassen und diese in „einer“ Ansicht expressiv werden lassen. Mit den Kristallbildern, die Differenzierungen innerbildlich vornehmen, kann die „Umkehrung der Unterordnung der Zeit unter die Bewegung“ ermöglicht werden und damit „das Herausstellen der Zeit als solcher“ (ebd., 146). Die Unterordnung der Zeit unter räumliche Gefüge und eine über das diegetische Universum des Films legitimierte Kontinuität erkennt Deleuze in den Bewegungs- Bildern, genauer den Aktionsbildern, die auf eine lineare Reiz-Reaktions- Folge abzielen. Das Paradox filmischer Bewegung, Kontinuität durch Fragmentierung zu erreichen, ist bei den Bewegungs-Bildern ausgerichtet auf narrative Vorgaben, zu erreichende Ziele, Wahrnehmungen, auf die mit Handlungen eingegangen werden muss und die filmästhetisch auf Continuity basieren. Deleuze spricht in Anschluss an Bergson von „senso- motorischen Verbindungen“ (ebd., 211) und macht diese in einem Dreischritt an Bildtypen, gekoppelt an drei filmische Einstellungen, deutlich (1997a, 91–102): Das Wahrnehmungsbild zeigt in der Totalen eine vorliegende Situation, z.B. eine/n Held/in in einem Milieu. Die Person sieht etwas. Eine affektive Bindung findet statt, die im Affektbild in der Großaufnahme des Gesichts der/des Held/in eingeschrieben ist. Im Umschnitt ist in einer Halbtotalen der Auslöser zu sehen: ein/e Antagonist/in, der/die letztlich zu einer Handlung, einem Aktionsausbruch, führt. Das sensomotorische Band spannt sich zwischen Wahrnehmungsbild, Affektbild und Aktions- bild. Die Zeitlichkeit steht eindeutig in den Diensten der Narration, die sich als kohärente Bewegung im Raum über die unterschiedlichen Bildkader hinweg entfaltet. Auch zeitliche Inkonsistenzen, wie Rück- oder Vorblenden, Träume oder Imaginationen, weichen von dieser Stringenz nicht ab (ebd.). 248 High Definition Entgegen der Vorstellung einer vermeintlich „natürlichen“ Wahrnehmung von Echtzeit und Bewegung, wie Rodowick sie über das Kontinuum von filmischer Produktion/Projektion/Rezeption bestimmt, geht es Deleuze nun gerade darum, über filmische Mittel das vermeintlich „Natürliche“ zu entlarven und offenzulegen. Bewegung – inner- oder außerfilmisch – ist in beiden Fällen auf das Paradox der Kontinuität durch Fragmentierung zu bringen und das Kino ist mit dem Zeit-Bild und konkreter noch dem Kristallbild für Deleuze in der Lage, diese Komplexität auszustellen, und zwar über die Eliminierung einer auf Kontinuität ausgelegten Bewegung. Deleuze (1997a, 30) kommt auf den schon aufgerufenen Begriff des „Dividuellen“; ein Ensemble, das sich nicht teilt, „ohne sich jedesmal in seiner Beschaffenheit zu ändern“. Das Zeit-Bild befreit die Bewegung aus der eben geschilderten über Narration und Raum stattfindenden Ein- hegung, es macht die Fragmentierung als paradoxen Zeitfluss im Bild sichtbar. Gerade innere Montagen und innerbildliche Bewegungen oder statische Ästhetiken wie die Schärfentiefe unterscheiden im Bild nicht zwischen Gegenwart und Vergangenheit, zwischen Erinnerung und Wahr- nehmung, zwischen Aktuellem und Virtuellem, sondern bringen das sich Ausschließende in einem Kader zusammen. Das Ganze kommt als Fragmentiertes dividuell zum Ausdruck. Das Zeit-Bild emanzipiert nicht nur die Zeit vom Raum, sondern gleichsam auch das filmische Bild von der Prä- misse einer Repräsentation räumlicher Kontinuität: In dieser Befreiung der Bildtiefe, die sich nun alle anderen Dimensionen unterordnet, muß man nicht nur die Eroberung eines Kontinuums, sondern die zeitliche Eigenschaft dieses Kontinuums sehen: es handelt sich um eine Kontinuität der Dauer, die bewirkt, daß die entfesselte Bildtiefe der Zeit und nicht mehr länger dem Raum zugeordnet ist. Sie ist nicht auf die Dimensionen des Raums zurückführbar. Solange die Bildtiefe in der einfachen Sukzession der parallelen Bildebenen befangen war, repräsentierte sie zwar schon die Zeit, jedoch auf eine indirekte Weise, nämlich so, daß sie gegen- über Raum und Zeit untergeordnet war. Die neue Bildtiefe macht statt dessen unmittelbar eine Zeitregion, eine Region der Vergangenheit aus, die sich durch die optischen Aspekte und Elemente bestimmt, die den verschiedenen, miteinander in Wechselwirkung stehenden Bildebenen entlehnt sind. Es handelt sich um ein Ensemble von nicht- lokalisierbaren Verbindungen stets von einer Bildebene zur nächsten, das die Region der Vergangenheit oder das Kontinuum der Dauer aus- macht. (Deleuze 1997b, 145, Hervorhebung im Original) Interpolieren 249 One-Takes als Zeit-Bilder Die Bildtiefe als Form einer inneren Montage, die sich durch die „optischen Aspekte und Elemente“ auszeichnet, steht für Deleuze explizit im Zeichen der Dauer. Setzt man die digitalen One-Takes und die post/produzierenden Eingriffe in Zusammenhang mit diesen Formen bildinterner Wechsel- wirkungen, dann ist eine post/kinematografische Form dieser komplexen Zeitlichkeit schon ein wenig wahrscheinlicher. Mit Deleuze wird weiterhin offenkundig, dass die Synchronisation aus Bildaufnahme, Bildprojektion und Schnitt durch eine reine Form der kinematografischen Dauer nicht nur befragt, sondern an ihre ultimativen Grenzen getrieben wird. Räumliche Kontinuität und Echtzeit sollen über diese besonderen Ästhetiken als filmphilosophisches Potenzial des Zeit-Bildes überwunden werden. Den Glauben an die Welt, seine filmphilosophische Kompetenz als Erfahrung für die Rezipient/innen, spendet der Film daher vielmehr durch filmästhetische Brüche, die eine Zeitspaltung ausstellen. Natürlich können synthetische Verfahren und die post/produzierende Aufbereitung der Lichtwerte in den genannten One-Take-Beispielen nicht automatisch auf die Innovationskraft der Bilder gebracht werden, die für Deleuze die Emanzipation der Zeit vom Raum ermöglichen. Dennoch ist ein bildästhetischer Bezug vorhanden. So stellt sich die Frage, auf welche Art und Weise nun digitale One-Takes in der aufgemachten Traditionslinie als Zeit-Bilder identifiziert werden können bzw. unter welchen post/kinemato- grafischen Voraussetzungen. Hierzu möchte ich eine Umkehrung des Arguments anbringen, die im Perspektivenwechsel von Mise en scène zur Mise en images angelegt ist: Gerade wenn der Bezug zu filmbildnerischen Verfahren wie der Schärfentiefe hergestellt und an die Konzeptionen kinematografischer Zeitlichkeit nach Deleuze angeschlossen ist, kann über eine post/kinematografische Ausprägung derselben nachgedacht werden. Damit ließe sich sagen, dass die One-Takes gleichermaßen die Bewegung vom Raum emanzipieren müssen und folglich die vermisste Kontinuität, auf die Rodowick verweist, gar nicht der springende Punkt ist. Die One-Takes dürfen nicht im Zusammenhang mit einer raumzeitlichen Continuity, auch jenseits des Schnitts, gedacht werden. Sie sind explizit keine Bewegungs-, sondern immer schon Zeit-Bilder. Filmen ohne Schnitt verlagert post/ kinematografische Bewegung in die Bildtiefe und diese muss, überein- stimmend mit dem Deleuzeschen Zeit-Bild als eine enträumlichte wahr- genommen werden. Denkt man die Kamerabewegungen der One-Takes radikal in diesem Sinne, dann wären die filmischen Beispiele, die auf Echtzeit und die vermeintlich nahtlose Erkundung eines profilmischen Kontinuums pochen, in Vergleich zu setzen mit Zoomings oder dem 250 High Definition Schärfeziehen, als optische Bildbewegungen in die Fläche. Der 360-Grad- Raum, der sich schnittlos präsentiert, ist dann datendichte Bildtiefe. Rodowick argumentiert in dieselbe Richtung, aber weiterhin unter negativen Vorzeichen: [M]ovement in the digital image is best characterized by a single continuous trajectory through an apparently three-dimensional space … . Indeed nothing moves, nothing endures in a digitally composed world. The impression of movement is really just an impression – the numerical rotation and transformation of geometrical elements. (2007, 171, Hervorhebung im Original) Positiver formuliert identifiziert Smid solche „single continous trajectories“ der Schärfenverlagerung als eine „autonome, freie Kamerabewegung“, die „weder vom Bildobjekt noch vom Subjekt – einer bewegten Kamera – aus- geführt wird. Die Bewegung wirkt verselbstständigt“ und kann als „Scheinbewegung“ identifiziert werden (2008, 227). Aab (2015, 47) stellt zudem heraus, dass post/produzierenden Verfahren, neben der Bild- akquise durch die Kamera, gleichermaßen sinnstiftendes Potenzial zuge- sprochen werden muss: „Die virtuelle Kamera kann heute ebenso als Bild- schöpfer fungieren wie die physische Kamera“, wie sich konkret an einem weiteren One-Take der jüngeren Filmgeschichte festmachen lässt: Birdman (2014) von Alejandro González Iñárritu. Das Besondere an diesem Film ist, dass er ein One-Take darstellt, das keines ist, sondern die Auflösung einer Einstellung in die nächste. Das betont der Kolorist des Films Steve Scott in einem Interview. Er spricht von „dissolves“ (Variety 2014) und erklärt wie Einstellungen gerade dann ineinanderfließen, wenn starke Bewegung im Bild stattfindet, wenn also niemand einen Schnitt erwarten würde – z.B. während eines (Reiß) Schwenks: „[S]o let’s go in the middle of a pan and cut there, so by the time we get settled, we are in the midst of the shot“ (ebd., 00:01:48). Durch die Kamerabewegung, so schreibt Aab (2015, 41) weiter, können in Birdman Beleuchtungswechsel plausibilisiert und leichter angepasst werden. Digitale Bildeingriffe sind dabei weder als „Korrektur des gedrehten Bildes“ noch als „Visual Effect“ zu identifizieren (ebd.). Das One-Take als Scheinbewegung und die digitalen Dissolves der Ein- stellungen richten Bewegungen weder zwischen den Einzelbildern noch in einer ungeschnittenen, raumzeitlichen Kontinuität ein. Sie offerieren auch keine Echtzeitszenarien, sondern emanzipieren filmische Bewegung von im Raum angesiedelten Subjekt/Objekt-Aufmerksamkeitslenkungen und bieten eigene zeitliche Gefüge, die grundsätzliche temporale Kategorien Interpolieren 251 hinterfragbar machen, genauso wie die Konzepte, die Rodowick dazu bringen, dem Digital Event das Zeitgefühl von Vergegenwärtigung, Ver- gangenheit und Dauer abzusprechen. Was sich weiter andeutet und im nächsten Kapitel mit Hilfe der Geo-Philosophie nach Deleuze und Guattari ausgearbeitet werden soll, ist die grundsätzliche Neuausrichtung des Begriffs der Dauer. Dieser, so die These im Sinne einer Nicht-Philosophie nach Deleuze, kann nicht auf „ein“ universales, immer gleiches Zeitgefühl gebracht werden, genauso wenig wie „der Moment“, wie es in Kapitel 2.2. über die HDR-Technik schon ausgeführt wurde. Zeitvorstellungen hängen an medialen Konstellationen, das ist Rodowick durchaus bewusst. Nur, so möchte ich argumentieren, ist dieses Verhältnis kein stabiles. So ist „der“ Film in seiner Geschichte auch nicht auf die Wiedergabe der 24 Einzelbilder pro Sekunde festgefahren. Unterschiedliche Filmformate und Projektoren führen zu Abweichungen, zu höheren und niedrigeren Bildfrequenzen bei der Wiedergabe und damit zu unterschiedlichen Empfindungen von Zeit. Auch das „fotografische Abenteuer“ zeichnet sich bei der analogen Filmproduktion durch Spielräume bei der Belichtungszeit, durch schnel- lere Blendenverschlüsse bei Double Exposure usw. aus. Ist dieses Ver- hältnis von Einzelbildfragmentierung und Bewegtbildkontinuität dann noch auf den „einen“ Begriff der filmischen Dauer zu bringen, von dem nun eine digitale Zeitlichkeit so vehement abgegrenzt werden kann? Es ließe sich argumentieren, dass sich Dauer innerhalb eines sich ständig neu konfigurierenden Zeitgefüges im und durch den Film einrichtet, das sich zusammensetzt aus medientechnischer, historischer und ästhetisch vermittelter Zeit. Genau dieses sich wandelnde Zeitgefüge wird vom Film selbst immer wieder befragt. Die kinematografische Form der Dauer wäre dann eine stetige Veränderung im Sinne eines Film/Werdens. Auf welche filmphilosophische Art und Weise ein Zeitgefüge der Dauer und Virtualität post/digital und medien/immanent errichtet werden kann, soll nun in Bezug auf eine weitere Bewegung in die Bildtiefe des zentripetal aus- gerichteten 360-Grad-Kaders, dieses Mal eines post/kinematografischen Long-Takes, beschrieben werden. The Revenant Es handelt sich um eine Szene aus The Revenant (2015) von Iñárritu. In der Mitte des Films muss sich der Protagonist, Hugh Glass (Leonardo DiCaprio), ein Trapper in Nordamerika Anfang des 19. Jahrhunderts, aus einer der unzähligen lebensbedrohlichen Situationen in der Wildnis retten. Die Kamera ist in einer Halbtotalen Hugh zugewendet, der vor seinem Unter- schlupf nahe einem Flussbett kauert. Sein alarmierter Gesichtsausdruck 252 High Definition bringt die Kamera in Bewegung, die sich ihm langsam nähert. Hugh sieht Gefahr, sein starrer Blick über die Linse hinweg macht dies deutlich. Er bewegt sich nach links, näher zu einem Steilhang und die Kamera mit ihm, die zunächst schnell auf den Protagonisten zufährt, dann von ihm „abprallt“, um nach einer Linksdrehung in dieselbe Richtung wie Hugh zu blicken, den Feind fokussierend. Hugh bleibt in einer Halbtotalen links im Bild. Die Kamera tastet sich näher an ihn heran, zeigt seinen angestrengten Gesichtsausdruck und dreht sich wieder zurück in eine ihm zugewendete Position, während der Protagonist versucht, sich von den nahen Ver- folgern zurückzuziehen. Die Kamera schwenkt erneut nach vorne und bringt für geraume Zeit den Felsvorsprung ins Bild, an den sich Hugh zuvor gepresst hat. Dann schwenkt sie weiter, kurz den Feind im Blick, über das Flussbett, das gleichsam länger im Bild ist, zurück zum kauernden Pro- tagonisten (01:10:07–01:11:28, siehe Abb. 4.4.). Bei dem Setting handelt es sich um ein Bewegungs-Bild nach Deleuze, wie ich es oben skizziert habe. Part und Gegenpart stehen sich gegenüber, links und rechts eingegrenzt von Felswand und reißendem Strom und in der Mitte zwischen ihnen ist die Kamera. Eine Schuss-Gegenschuss-Montage würde nun Deleuzes Bewegungs-Bild-Reihung durchexerzieren: Hugh sieht etwas (Wahr- nehmungsbild), sein Gesicht zeigt einen intensiven Ausdruck (Affektbild) und es kommt zur Reaktion auf das Wahrgenommene (Aktionsbild). Doch das Long-Take richtet sich nicht nach diesem Aktionsschema: Die Kamerabewegung füllt dagegen die Bereiche zwischen Reiz und Reaktion mit Schwenks auf Stein und Wasser auf. Dadurch wird ein filmischer Raum über einen 360-Grad-Kader etabliert. Die audiovisuelle Exploration ist engmaschig: keine Brüche, keine Lücken oder disjunkten Anschlüsse. Die Dramatik der Szene, die als räumlich kontinuierliche offengelegt ist, verliert aber durch diese Dehnung an Kohärenz. Es entsteht ein post/per- zeptuelles Vakuum: Weder die Perspektive des Protagonisten noch die der Feinde wird im Film eingenommen. Es scheint, also ob sich die filmische Exploration der Handlung, das sensomotorische Band, überspannt und das Verhältnis von Subjekt/Objekt oder Reiz/Reaktion kollabiert. Das Band ist gedehnt und lenkt den Blick auf eine „volle“ Mitte. So intensi- viert sich die Szene und unterläuft dabei durch gesteigerte Kontinuität die Continuity. Im Anreichern des zielgerichteten Bewegungsflusses kommt es zu einer bildlichen wie zeitlichen „Einlagerung“ bzw. zu einem filmischen und zeitlichen Überhang und nicht dem Gefühl von vermeintlich mensch- licher Echtzeit. Der Schwenk hat auch nichts mit einer Suspense, die ein Reiz-Reaktions-Schema auskosten würde, gemeinsam. Die narrative Spannung wird durch die schnittlose Einstellung nicht gesteigert. Der Interpolieren 253 Kamerablick auf die Natur verzögert nichts. Wenn die Kamera auf Fluss und Stein hält, streckt sich die Instantaneität von Reiz und Reaktion, sie überholt das menschliche Zeitempfinden und setzt die „wahren“ Protago- nist/innen bzw. Antagonist/innen in The Revenant ins Zentrum: die Natur und die Wildnis. Diese Bildkomponenten sind losgelöst von der Handlung und doch kontinuierlich eingeflochten in die filmisch explorierte Kon- tinuität des Raumzeitgefüges. Sie rahmen das Setting, stehen aber in ihrer eigenen (dichten) Existenz über ihm, und das machen die Kamera und das schnittlose Bild offenkundig. „Schneiden verboten!“ richtet sich hier, im Sinne Bazins, an eine dichte Wirklichkeit, nur ist diese nicht auf die Spannung der Handlungsfolge zu bringen, sondern auf eine geologische „Narration“ von Stein und Wasser. Die Intensivierungsstrategie ist auf die aufdringliche Kamera zurückzuführen, die die Narration mit einer Bild- lichkeit jenseits eines menschlichen Handlungszusammenhangs aufbläst: Die Aufladung des Reiz-Reaktions-Schemas mit Naturansichten und das panoramatische Abtasten der filmischen Wirklichkeit scheint einzig und allein der Kamerawahrnehmung zuzuschreiben zu sein und die Bewegung im Raum konstituiert sich zentripetal um sie. In einer brenzligen Situation zeigt The Revenant keinen rapiden Schnitt und nicht die subjektive Per- spektive des Protagonisten, sondern stellt sich mitten in die Szene. Die vollzogene Kamerabewegung wird zu einer Scheinbewegung in Bezug auf narrative Kontinuität. Eine Continuity ist durch die geschilderte 360-Grad- Austarierung zwar gegeben, etabliert durch die geschilderte Intensivierung aber keine raumzeitliche oder narrative Kohärenz im filmischen Sinne. Intensified Continuity, Post-Continuity, Kontinuität/Intensivieren Der Überhang an Bild kann als medienästhetischer Störfall ausgelegt werden, wenn in einer spannungsgeladenen Situation die filmische Ästhetik, in diesem Fall die dynamische Kamera, in den Vordergrund rückt. Der/die Zuschauer/in befindet sich nicht mehr in der Narration, sondern im Bild, wie es inneren Montagen und den Mise en images eigen zu sein scheint. So kommt zumindest Smid für die Schärfenverlagerung zu der These, dieselbe als „selbstreflexive, auf der Filmoberfläche materialisierte Geste“ zu verstehen, die „innerhalb einer Einstellung das Medium selbst und dessen Konstruktions- und Erzählmechanismen zu enthüllen vermag“ (2012, 19, Hervorhebung im Original). Hier kann eine Beziehung hergestellt werden, zu einem Spezifikum der Hollywoodfilme der 1990er-Jahre, das Bordwell und Thompson (2008, 246–251) herausarbeiten. Was als postmodernes Kino gehandelt wird, sind medienästhetische Exzesse, wie extreme Schärfenver- lagerungen oder Schnittkaskaden – aber, und hier muss mit Bordwell und 254 High Definition Thompson entgegen Smid argumentiert werden, gerade unter Vorzeichen der narrativen „Naturalisierung“. Innere Montagen, die für Deleuze nun gerade die Befragung einer filmästhetischen Kontinuität initiieren und als Störung der Konventionen vom Bewegungs- zum Zeit-Bild übergehen lassen, haben sich gewissermaßen als Stilmittel etabliert und der medien- ästhetische Bruch verebbt. Schon bei Bordwell und Thompson lässt sich eine Tendenz erkennen, die von der genuinen Vorstellung einer stabilen, filmischen Dauer und dem verbundenen Zeitempfinden abstrahiert. Bordwell und Thompson sprechen von „intensified continuity“ (ebd.). Kon- tinuität im postmodernen Filmbild müsse auf Intensivierungsstrategien setzen, so die Autor/innen, um mit Sehgewohnheiten, die den Zuschauer/ innen z.B. durch das Fernsehen anerzogen wurden, mitzuhalten. Was sich einstellt, ist eine ästhetische und auch aufmerksamkeitsleitende Aufladung des Bildes, durch die Verschränkung von Bildstrategien, die im klassischen Hollywoodfilm und in der Abgrenzung zu ihm noch genau codiert waren. Bordwell beschreibt diese verdichtende Entwicklung der filmischen Sprache wie folgt: Techniques that 1940s directors reserved for moments of shock and suspense are the stuff of normal scenes today. Close-ups and singles make the shots very legible. Rapid editing obliges the viewer to assemble many discrete pieces of information, and it sets a commanding pace: look away, and you might miss a key point. In the alternating close views, the racking focus, and the edgily drifting camera, the viewer is promised something significant, or at least new, at each instant. Television-friendly, the style tries to rivet the viewer to the screen. Here is another reason to call it intensified continuity: even ordinary scenes are heightened to compel attention and to sharpen emotional resonance. (2006, 180) Bordwell und Thompson erkennen zwar eine Intensivierung der filmischen Stilmittel, doch keinen wirklich vollzogenen Bruch oder eine Weiterent- wicklung der Ästhetik. Für sie findet der Film trotz Intensified Continuity zurück in narrative Konventionen. Dagegen positioniert sich vehement Shaviro mit seinem Konzept der „Post-Continuity“ und der Annahme, dass „continuity itself has been fractured, devalued, fragmented, and reduced to incoherence“ (2016, 55). Shaviro konzentriert sich in seinen Analysen v.a. auf Blockbusterfilme, verpasst aber nicht, die Anschlussfähigkeit seines Konzepts für aktions- arme Long-Takes und dokumentarische Formen zu betonen (ebd.). Er argumentiert, dass filmische Formen, wie z.B. ein Schnitt-Stakkato oder Interpolieren 255 stark collagierte Schockbild-Reihungen in aktuellen Filmen nicht mehr auf eine raumzeitliche Kontinuität zu bringen sind. Filme würden sich ihren Trailern anähnlichen und eine intensive Szene an die nächste koppeln: „The sequence becomes a jagged collage of fragments of explosions, crashes, physical lunges, and violently accelerated motions. There is no sense of spatiotemporal continuity; all that matters is delivering a continual series of shocks to the audience” (ebd., 51). Mit Post-Continuity möchte Shaviro verdeutlichen, dass das filmische Kontinuitätsprinzip so stark intensiviert wurde, dass es am Ende zu einer unterlaufenden Wirkung führt. Shaviro argumentiert für die subversive Steigerung, die eine neue filmästhetische Ordnung hervorrufe (ebd., 55). Diese impliziere aber nicht die unwiderruf- liche Absage an die Continuity, sondern eine Wertverschiebung und Aus- differenzierung ihres Einsatzes: [It] is not that continuity rules are always being violated or ignored; nor are the films made in their absence simply chaotic. Rather, we are in a ‚post-continuity‘ situation when continuity has ceased to be important – or at least has ceased to be as important as it used to be. (Ebd., 56, Hervorhebung im Original) Ich möchte an die Intensified Continuity nach Bordwell und Thompson und an das kritische Gegenkonzept der Post-Continuity nach Shaviro mit der HD-Praxis des Kontinuität/Intensivierens anschließen und eine Vereinbar- keit der beiden Positionen gerade in den demonstrierten One-Takes exem- plifiziert sehen. Die One-Takes verschreiben sich hochgradig der filmischen Konstitution einer raumzeitlichen Kontinuität. Sie tun dies aber, so sollte gezeigt werden, im Widerspruch zu einer klassischen Continuity, ohne jedoch auf einen medienreflexiven Bruch zu setzen. Damit schließen sie an die Intensified Continuity an. Gleichzeitig fügt sich ein Kontinuität/Intensi- vieren aber nicht in klassische Narrationszusammenhänge und unterläuft als Post/Continuity nach Shaviro subversiv eine geltende Struktur. Dies geschieht in The Revenant durch ein neues Zeitregime, das sich als intensive Mitte in das Reiz-Reaktions-Schema über die Naturbilder einlagert und so, wie ich argumentieren möchte, eine post/kinematografische Dauer ver- handelbar macht. In einem letzten Schritt und in der Überleitung zum nächsten Kapitel soll nun eine post/kinematografische Zeitlichkeit ermittelt werden, und zwar im Hinblick auf eine Grundkonstellation der post/digitalen Medien/Immanenz. Wie mit Krautkrämer in Kapitel 2.1. argumentiert, verlagern sich Bild- grenzen unter digitalen Vorzeichen zentripetal nach innen, weil Rezeption mit Produktion gleichgesetzt wird. Ein ähnliches Szenario beschreibt, 256 High Definition darauf wurde ausführlich hingewiesen, Rodowick mit der Spezifikation des digitalen Kinos als ein post/produziertes. Wenn auch nicht explizit gesteht Rodowick so nicht nur der filmischen Dauer eine Kontinuitätsbeziehung zwischen Bildherstellung und Bildrezeption zu. Auch das Digital Event von Russian Ark korreliert die beiden Ebenen, zwar nicht in der durch den Schnitt angelegten Zeit, sondern in einer ästhetischen Latenz des auf den Bildschirm gebannten Bildes, die die Möglichkeit zur Modulation offenhält. Schon beim Filmen befindet sich das Bild sozusagen auf dem Monitor: While marketed as a heroic feat of recording in a physical location, the movie [Russian Ark] is better characterized, like most digital cinema, as an aesthetic of postproduction, highly subject to computational processes and the imaginative intentions of its authors. Indeed the recording strategy of the movie and its accomplishment are almost unthinkable without the corrections and additions of setting, lighting, perspective, and other compositional elements made possible through techniques of digital postproduction. (Rodowick 2007, 173–174) Timecode Post/Produzieren und Scheinbewegungen in tiefe Digitalbildflächen korrelieren im post/kinematografischen Kontinuität/Intensivieren. Das scheint nun ein letztes One-Take exemplarisch vorzumachen: Time- code (2000) von Mike Figgis. Der Film steht nicht nur im Zeichen einer Visualisierung von Echtzeit (Otto 2012), sondern potenziert und ver- kompliziert raumzeitliche Kontinuität durch einen Split Screen und vier ununterbrochen parallel laufenden Handlungssträngen. Schon wird eine erste bildinterne Fragmentierung deutlich, die ihre besondere Prägnanz entwickelt, wenn in allen vier Bildern ähnliche Settings oder Szenen- anordnungen zu verzeichnen sind und die innere Montage eine Intensi- vierung im Sinne Bordwells erfährt. Der fehlende Schnitt bedeutet also, so kann noch einmal wiederholt werden, nicht, dass Fragmentierung ausbleibt, sondern verlagert den Fokus auf eine innere Montage – weg von den Bildzwischenräumen hin zur tiefen Bildfläche. Die Kamerabewegung im Film ist aufdringlich und stellt sich als autonomes Kamerabewusstsein zur Schau, das die filmischen Räume zu Bildflächen und die Bewegung in ihnen zu Scheinbewegungen transformiert. Nun ruft Timecode durch sein Bild- splitting eine mit Anne Friedberg (2006) bezeichnete „multiple Montage“ auf den Plan. Das Adjektiv „multiple“ deutet an, dass „klassische“ Formen des visuellen Ein- und Ausschließens (Fenster, Rahmen, Bild-, Schirm) und die einhergehenden Kontinuitäts- und Fragmentierungsmöglichkeiten Interpolieren 257 überholt wurden. Die Split Screens rufen vielmehr ein post/produzierendes Setting der Bildbearbeitung auf und so sind die Bedenken Rodowicks schnell auch auf Timecode bezogen, wie sie an die Reflexion zum Titel des Films von Otto angeschlossen werden können: Die Codierung des Films Timecode als Echtzeitfilm bezieht sich auf umfassende Möglichkeiten des Eingreifens und der Kontrolle über einen vorgeblich ‚kontinuierlichen Fluss‘ von nahtlosen bewegten Bildern, die einen ‚tatsächlichen‘ Zeitverlauf simulieren. (2012, 103) Das „kontrollierende Eingreifen“, so bringt Otto das Paradox der Bewegung in Bezug auf das Digital Event auf den Punkt, ist nur möglich, „weil wir es nicht mit Kontinuität, sondern mit diskreten digitalen Signalen zu tun haben. Diskretheit ist Voraussetzung für Echtzeit als Nahtlosigkeit und Unmittelbarkeit“ (ebd.). Folglich ist das Digitalbild die fragmentierteste aller (inneren) Montagen. Am Ende seines Buches kommt auch Rodowick (2007, 173) in Bezug auf Russian Ark zu dieser Einsicht: „What the digital event signifies here is that, ironically, Russian Ark is a ‚montage‘ film as are all expressions of digital cinema“ – aber für Rodowick eben nicht als Aus- druck der kinematografischen Dauer. Das Digital Event kondensiere sich im Subjekt, seiner präsentischen Zeitwahrnehmung und der vermeintlichen Kontrolle über das Bild, vergleichbar mit einer „real-time interactivity of first-person games“ (ebd., 171). Vor dem Monitor bedeutet in einer post/digitalen Medien/Immanenz hinter der Kamera zu sein, das konnte schon mit Hito Steyerl in Kapitel 2.1. und im letzten Kapitel mit Terry Diamond und Havarie festgestellt werden. Mit Otto (2012, 103) kann fugenlos an Terry Diamonds Bildrezeption/ produktion angeschlossen werden, denn wie sie schreibt, „betrifft [die Rezeptionssituation ] nicht nur den Wachmann vor seinen Monitoren ..., sondern auch die Rezipienten, die mittels Fernbedienung den Timecode eines diskreten Bewegtbildes aufrufen“. Bei Timecode handelt es sich um ein Gimmick auf der DVD des Films, das die Zuschauerschaft dazu animiert über die Fernbedienung auf die Audiospur einzugreifen. Otto stellt fest, dass die Rolle eines „überforderte…[n] Editor[s] an einem Schnittplatz“ eingenommen werden kann, „der aus unterschiedlichen Sichtweisen aus- wählen kann und muss“ (ebd., 102). Hier aktualisiert sich, darauf weist Otto hin, eine Rezeptionshaltung, die schon Bazin in Bezug auf die Schärfentiefe erkannte: „Der Zuschauer soll den Film für sich selbst zusammen- schneiden“ (ebd.). Man könnte von einem emanzipatorischen Aufbegehren gegenüber dem dominanten Kamerabewusstsein sprechen, das von den One-Takes provoziert wird: „‚No edits‘ auf Seiten der Produktion ist die 258 High Definition Voraussetzung für die ‚edits‘ des Zuschauers, genauer: des Users. Denn Timecode ist in dieser Fokussierung einer individualisierten Rezeption auf den User des Computers bezogen“ (ebd.). Der/die User/in ist Post/ Produzierende, entweder indem er/sie schon zerstückelte Filmfragmente über das Zusatzmenü neu ordnen darf, oder weil der One- oder Long-Take als zu aufdringlich empfunden wird, was einen Zuschauer von The Revenant dazu bringt, die oben erläuterte Szene einfach nach seinem Belieben mit Schnitt/Gegenschnitt zu versehen und in ein klassisches Bewegungs-Bild- Schema um/zu/formatieren (Flight 2016). Der Umschnitt kann mit Rodowick als eine Form der absoluten Kon- trolle gewertet werden. Wie aber die post/perzeptuellen Gefüge in den vorherigen Kapiteln schon demonstrierten, basiert diese Kontrollierbarkeit und die für Rodowick damit zusammenhängende Gegenwart der Menschen auf einer sich entziehenden medientechnischen Zeitlichkeit. Keineswegs ist die Gegenwart der Technik daher mit der Gegenwart der Menschen vergleichbar. Rodowick schreibt, dass im Film eine Wirklichkeit durch das „Fenster der Perzeption“ in ihrer Sichtbarmachung als absente erfahren wird. Das Changieren zwischen An/Abwesenheit und eine Unfassbarkeit der Wirklichkeit können in Bezug auf das Digital Event nun gerade durch die post/produzierende Offenlegung der Zeitsedimente in Schichten und die Intensivierung der Bilder durch ein Bewegen in ihnen hervorgerufen werden. Der Fokus muss, so scheint es, auf dem Adjektiv liegen, das Otto der post/produzierenden Existenz der Zuschauer/innen an die Seite stellt: überfordernd. Das zeigt nicht zuletzt die Vervierfachung der One-Takes in Timecode. Was vermeintlich über die einzelne Einstellung suggeriert werden soll, nämlich die Einheit von Ort und Zeit, wird durch die Gleichzeitigkeit von vier verschiedenen Handlungssträngen zu einer unüberblickbaren Kon- tinuität, die aber bezeichnend ist für eine medialisierte Wirklichkeit, als die die post/digitale Medien/Immanenz sich gibt. Nicht ein One-Take reicht aus, um diese Too Much World einzufassen, die post/perzeptuell als eine der Menschen überlegene auftritt. Gleichermaßen können auch die anderen in diesem Kapitel besprochenen One-Take-Produktionen interpretiert werden. Bei allen Beispielen handelt es sich um Filmherstellungskontexte, die auf Überforderung, Erschöpfung und die Restriktionen des Settings zielen. Diese Korrelation von Kamera und maßloser Wirklichkeit führt zur Notwendigkeit post/produzierend auf das gefilmte Material einzugreifen, um rezeptiv in der hohen Auflösung, im Bild eine Kontinuität zu erzeugen. Interpolieren 259 Interpolieren (I) Der Eingriff ins intensiv/kontinuierliche Datenbild soll nun in einem letzten Schritt und im Übergang zum nächsten Unterkapitel auf ein bestimmtes Verständnis von tiefer und informationsdichter Wirklichkeit gebracht werden: Schon Bazin identifiziert zentripetal angelegte Bild/Wirklichkeiten als mineralische und geologische. Ebenso stellt Mangolte den Bezug von Geologie und Digitalbild explizit her: Now time is geography and is inscribed in layers on a set screen with bit-size slots. When you dig into these bit-size slots to see what is there, you find bits of time memory one on top of the other without chronology. You travel through time now by traveling through layers of pixels. And the space is totally in front of you without shadow. (2003, 264) Doane (2002) betont, dass kinematografisch erzeugte Echtzeit, die segmentierte Taktung und der kontinuierliche Fluss auf den raumzeitlichen Bedingungen der Industrialisierung und Modernisierung um 1900 basieren. Post/kinematografische Zeitlichkeit, so könnte daran anschließend und im Hinblick auf die von Mangolte angebotene Rhetorik argumentiert werden, ersetzt nun diese mechanische „Real Time“ der Moderne durch die geologische „Deep Time“ des Anthropozäns. Im Sinne Rodowicks kann abschließend also vom Verlust einer bestimmten Dauer und Vergangenheit gesprochen werden – nur um diese durch eine andere Verlusterfahrung und eine neue vergangene Zeitlichkeit zu ersetzen. Denn weder geo- logische Tiefenzeit noch die Pixelschichten, durch die Mangolte sich gräbt, zeichnen sich durch skopistische Überblickshaftigkeit, universale Kon- trollierbarkeit oder eine zugängliche Gegenwart aus, wie es die benannten schattenlosen Reisen („a space totally in front of you without shadow“) vermeintlich suggerieren. Für eine geologische Tiefenzeit ist Fragmentierung nicht der aufrüttelnde Stör-, sondern universaler Normalfall. Geologische Dauer basiert von vornherein auf immensen Zeitsprüngen und Zeitraffern. Um diese onto- epistemologisch denk- und sichtbar zu machen, greift die Geologie auf zwischengerechnete Werte zurück, um Bezüge zwischen den Zeitspannen herzustellen. Eine mediale Historiografie der Geologie ist daher auf die schon angesprochene Praxis des Interpolierens zu bringen. Als ein Ver- fahren der „Glättung“ kann das Hinzurechnen nichtvorhandener Werte bestimmt werden, um Beziehungen zwischen Teilen, Zeiten und Räumen herzustellen, die weit auseinander liegen. Die Interpolation macht aus einer 260 High Definition diskreten, disjunkten, intervalldurchzogenen, fragmentierten Situation eine Kontinuität – sie „analogisiert“ sozusagen das Digitale. Wie in Abschnitt 1.1. schon angerissen, ist das Interpolieren zudem und v.a. eine post/produzierende und um/formatierende Grundbedingung bei der Verarbeitung digitaler Bildlichkeit. Als Schritt bei der Signalverarbeitung, der das Verhältnis der Pixel und den dort hinterlegten Informationen reguliert, kann durch Interpolation die Anpassung einer digitalen Bild- datei an differierende Erscheinungskontexte garantiert werden, weil Pixel aus einer vorhandenen Menge nachträglich hinzugerechnet werden. Die Interpolation ist die medientechnische Basis der skalaren In/Varianz des HD-Bildes, und zwar als intensive/Kontinuität. Hieraus lässt sich ableiten, dass das Digitalbild genauso eine „eigene“ Paradoxie der Bewegung für sich beansprucht: Es basiert gleichsam auf Lücken, Brüchen und Fragmentierungen, die eine Kontinuität des Bildflusses herstellen, nur ist, so kann eine zentrale These des Buches noch einmal wiederholt werden, der Maßstab und das Ausmaß der Differenzierung ein völlig anderer, als die der 24 Bilder pro Sekunde. Dieses andere Zeitraummaß möchte ich mit dem folgenden Vergleich näher bestimmen: Interpoliert wird in Digitalbilder wie in geologische Zeiträume. Geologie und Digitalbild greifen, zumindest auf konzeptueller und begriff- licher Ebene, auf dasselbe Verdichtungsverfahren, auf dieselbe Praxis zum Kontinuität/Intensivieren zurück, was mich dazu bringt, post/digitale, medien/immanente Wirklichkeiten als datendichte Bildtiefen mit einer Tiefenzeit im geologischen Sinne zusammenzudenken. Diese erscheint für die Menschen zunächst unzugänglich, bietet aber post/produzierende Rezeptionsmodalitäten an, um sich in die intensive Kontinuität des Bilderflusses skalar in/variant einzufügen. Über diese Verschaltung von Menschen und Bildern, die im nächsten Kapitel über Interpolation möglich werden soll, kann ein Glaube an eine und ein Bezug zur hochaufgelösten, datendichten, komplexen Too Much World hervorgerufen werden, so das filmphilosophische Argument, das an Deleuzes Zeit-Denken anschließt. Zusammenfassend lässt sich daher feststellen: Der Zugriff auf das HD- Bild hat nicht so sehr mit Kontrolle zu tun, sondern mit unüberblick- barer Fülle. Eine Szene wie aus The Revenant, die Zuschauer/innen dazu bringt, das Long-Take wieder in die narrative Form des Bewegungs- Bildes einzudämmen und in eine bekannte raumzeitliche Kohärenz zu überführen, kann als interpolierende Reaktion auf diese audiovisuelle Überdetermination, die ästhetische Strategie des Kontinuität/ Intensivierens, identifiziert werden. Die behandelte Auslotung einer Interpolieren 261 Wirklichkeit durch das Kamerabewusstsein, die vermeintliche Dehnung des Reiz-Reaktions-Schemas durch die panoramatische Abtastung der Natur, scheint eine skalare In/Varianz kontinuierlich einzufassen, wie sie oben mit The Tree of Life diskutiert wurde: Die Menschen sind Mitteltöne, die, fokussiert man Wirklichkeit über einen anderen Maßstab, verloren gehen. So könnte man in The Revenant auch den menschlichen Versuch erkennen, sich unter Qualen wie sie der Protagonist im Film durchlebt in eine menschenferne Too Much World einzuschreiben, in einen Verbund aus Kamerabewusstsein und dichter Wirklichkeit. Diese Kopplung „hat die Zeit“ nicht-menschliche Entitäten, wie Stein und Wasser, in den Blick zu bekommen, wenn Menschen gerade am Höhepunkt ihres Dramas stehen. Bazin (2009, 87) macht deutlich, dass eine schnittlose Montage v.a. geeignet wäre, um den Dingen eine Bühne zu geben und die Menschen in den Hin- tergrund zu drängen. Weitergedacht könnten dann datendichte HD-Bilder neben den Dingen auch der Natur, dem Universum, den astronomischen Phänomenen, Photonenreisen und anderen Vorkommnissen, die auf menschenfernen Maßstäben beruhen, ihr Drama zugestehen. Kontinuität/ Intensivieren macht auf die prekäre Situation der Menschen in einer Too Much World aufmerksam. Der Schrägstrich ist eine tatsächliche Inter- polation, die eine rezeptive Eintragung mimen soll, in den Fluss skalarer In/ Varianzen. 262 High Defi nition Abbildung 4.2. (Quelle: Collage aus Filmstills. Elstermann, Knut. 2003. In One Breath) Abbildung 4.3. (Quelle: Collage aus Filmstills. Sokurov, Alexander. 2002. Russian Ark) Abbildung 4.4. (Quelle: Collage aus Filmstills. Iñárritu, Alejandro. 2015. The Revenant) Interpolieren 263 4.2. Licht/Kristallisieren: Menschen in Tiefenzeit einfügen Terrence Malick richtet seine Filme nach der Sonne aus. Days of Heaven (1978) wurde nur während der goldenen Stunden, kurz nach Sonnen- aufgang und kurz vor Sonnenuntergang gedreht (Maher 2017, 80; Kamalzadeh und Pekler 2013, 166). Anhand von The New World (2005) ent- wickelten Malick und Emmanuel Lubezki auch für die kommenden gemein- samen Projekte einen Regelkatalog, an dessen erster Stelle das Filmen bei natürlichem Licht verzeichnet ist, gefolgt von dem Verbot, Aufnahmen unterzubelichten (B., Benjamin 2011). Bei der Produktion von The Tree of Life wechselten sich drei in unterschiedliche Himmelsrichtungen stehende Häuser, die als ein einziger diegetischer Ort im Film erscheinen, je nach Sonnenstand als Set ab (Buffery o.J.). „Every photon is precious“, könnte man folglich mit Sean Cubitt (2015, 45) in Bezug auf die Malick/Lubezki- Produktionen konstatieren und einen filmhistorischen Verweis wagen, denn Filmemachen bedeutet von jeher die Suche nach dem besten Licht (Baxter 1975). Schon Thomas Edisons Filmstudio, die Black Maria, konnte sich auf einer Drehscheibe nach dem Lichteinfall ausrichten (Bozak 2012, 30–31; Jacobson 2015). Was für Edison eine aus dem Defizit gespeiste Not- wendigkeit darstellte, da sich die Filmtechnik noch in den Kinderschuhen befand, ist für Malick ein stilistisches Mittel. Gerade seine jüngeren, digitalen Produktionen The Tree of Life (2011), To The Wonder (2012), Knight of Cups (2015), Song to Song (2017) und Voyage of Time. Life‘s Journey (2016) geben sich durch die Flexibilität der digitalen Produktionsmöglichkeiten den Instabilitäten und der Kontingenz hin, die einen Dreh bei natürlichem Licht auszeichnen. Filmische Einstellungen sind für Malick in Bezug auf ihre narrative Konsistenz eher Zufallsfunde, die auf unstetige Lichtbedingungen in „Echtzeit“ reagieren (B., Benjamin 2011). Wie die nach Antworten suchenden Charaktere in seinen Filmen müssen sich auch die Produktions- teams den Interferenzen der Wirklichkeit beugen: „We couldn’t really ‚set up‘ shots; we had to ‚find‘ them“ (ebd.), rekapituliert Lubezki. Im Anschluss an das vorherige Kapitel soll sich nun auf die lichtsuchenden Kamerabewegungen in den digitalen Filmen Malicks, zunächst in Knight of Cups und dann in Song to Song und Voyage of Time. Life’s Journey konzen- triert werden. Schon mit den digitalen One-Takes, habe ich im vorherigen Kapitel versucht zu zeigen, dass filmische Räume als hochaufgelöste Bildtiefen bestimmt werden können, wenn die expansiven Dimensionen der aufgenommenen Wirklichkeit in der Informationsdichte des digitalen Bildes gespeichert liegen. Die von den HD-Sensoren aufgenommenen 264 High Definition facettenreichen Luminanzwerte, die über den flexiblen Dynamikumfang der HD-Kameras registriert werden, erschließen sich dann zunächst v.a. post/produktiv. Dass die vielen Lichtwerte durch Image Processing aus- gelotet werden müssen, um ihr volles Spektrum ästhetisch wie epistemisch zu entfalten, zeigten neben den One-Takes aus dem letzten Kapitel auch die HDRs der Gaza-Burial- und der M51-Galaxie-Fotografie in Kapitel 2.2. Die in diesen Fällen zu verzeichnenden Potenziale der Hochauflösung setzen auf skalare In/Varianzen der Luminanz, eine Spannbreite der Lichtakquirierung sowie der Lichtsensibilität der Sensoren, die dazu führen, so möchte ich den Befund aus den Kapiteln noch einmal zusammenfassen, die Integrität eines HD-Bildes zu übertreffen. Das Informationsspektrum ist nicht in „einem“ Bild registrierbar, bzw. dann nur als Too Much Image und muss in jedem Fall post/produzierend durchdrungen werden. Erst die Nachbear- beitung bringt die Intensität der Lichtmessung hervor. Malicks HD-Filme, so möchte ich daran anschließen, verschreiben sich solchen digital akquirierten und post/produzierend ausgeschöpften Licht- werten, die in ihrer skalar in/varianten Hypervisualität den Bildkader zu überwinden scheinen. Kontinuität/intensivierend stellen sich bei seinen Produktionen nun gerade profilmische Situationen zwischen einer Too Much World und der so viel Licht wie möglich registrierenden Kamera ein. Von ihr vorgenommene Bewegungen sind scheinbar hauptsächlich dazu da, dasselbe zu beugen; in Knight of Cups z.B. dienen Kamerabewegungen im Raum dazu, möglichst viel Licht filmisch zu akquirieren. Das Licht löst die filmische Bewegung aus, leitet sie an und justiert sie nach. Das, was im Bild zu sehen ist, ist dort offenbar nur, um optische Vergrößerungs- und Reflexionsmomente und so noch größeres Strahlen und Glänzen zu erzeugen. Im vorherigen Kapitel wurden die post/produzierenden Eingriffe in das Bild zum Anlass genommen, eine filmisch hergestellte, räumliche Kon- tinuität als ein Bildflächenphänomen zu bestimmen. Im Folgenden soll der hyperästhetisch im Bild zu verzeichnende Kontakt von digitaler Kamera und Licht fokussiert werden, der bei Malick gleichsam, so das Argument, Scheinbewegungen innerhalb der Bildflächen hervorruft. Der Moment der Aufnahme und die Bewegung der Kamera in der profilmischen Wirklichkeit sind bei Malick nicht auf die Etablierung einer Mise en scène ausgerichtet, sondern kontinuitäts/intensivierend stets dazu da, in hochaufgelösten Mise en images Licht/zu/kristallisieren. Im vorherigen Kapitel sollte argumentiert werden, dass solche Scheinbewegungen in hochaufgelöste Digitalbild- flächen Kontinuität/intensivieren, unter der Verwerfung von „Mittel- tönen“ – einer Mesoebene, die auf die Menschen zu bringen ist. Mit den Interpolieren 265 Belichtungssituationen in Knight of Cups, Song to Song und Voyage of Time. Life’s Journey möchte ich die „Verwerfung der Menschen“ als ästhetisches Prinzip des Films weiter kultivieren, mit einer filmphilosophischen, von Deleuze gestellten und von mir in Bezug auf HD paraphrasierten Frage: Wie kann der Film unter diesen kontinuität/intensivierenden Bedingungen einer post/digitalen Medien/Immanenz für Menschen weiterhin einen Bezug zur Bild/Wirklichkeit herstellen, einer Wirklichkeit, die sie schon längst überholt hat? Die Antwort auf die Frage und These dieses Kapitels lautet: mit film- ästhetischer Interpolation! Interpolieren (II) Dieses Kapitel setzt sich zum Ziel, die filmphilosophische Kompetenz von HD zu analysieren, mit der These, dass ein Bezug der Menschen zur post/digital, medien/immanenten Wirklichkeit über ästhetische Inter- polation hergestellt werden muss. Im vorherigen Kapitel wurde mit post/ produzierenden Eingriffen der Rezipient/innen in post/perzeptuelle Zusammenhänge auf das Verfahren des Interpolierens eingegangen. Interpolieren ist eine Methode, so lässt sich daran anschließend weiter ausführen, die ihre Anwendung in fragmentierten, disjunkten Situationen hat, wenn es darum geht, divergente, weit auseinanderliegende oder sperrige Werte in einer glatten Form in Beziehung zueinander treten zu lassen. Die Interpolation schiebt Zwischenwerte oder Sinneinheiten ein, um einen Zusammenhang herzustellen. Am einfachsten lässt sich die Methode über ein „Malen nach Zahlen“-Spiel erklären, bei dem einzelne Punkte miteinander verbunden werden, um eine Figur zur Erscheinung zu bringen. Interpolierte Daten lassen computergenerierte Bewegungs- abläufe geschmeidiger, gestreamte Bilder flüssiger, skalierte Ansichten varianter, Messergebnisse kontinuierlicher und Textquellen in einem bestimmten Zusammenhang kohärenter erscheinen. Gleichzeitig, so stellt es v.a. die (alt-)philologische Praxis der Textinterpolation heraus, können nachträgliche Eintragungen – im Zeichen einer Originalitätsgläubigkeit ver- standen als verfälschende, manipulative Interventionen – wahrgenommen werden. Durch die interpolierten Einschaltungen sind also Rückschlüsse auf die Interpolierenden, die Betrachter/innen und Analysierenden gezogen und daraus kann eine Skala abgeleitet werden, die angibt, was aus deren Perspektive wichtig erscheint. In Zusammenhang mit dem Digitalen ist das Interpolieren eine Analog- Mimesis, denn es geht darum, aus diskreten Werten stufenlose, unterbrechungsfreie Kurven und glatte Funktionen herzustellen. 266 High Definition Medientechnisch kann ein Kontinuität/Intensivieren durch hochauf- gelöste Bilder auf Interpolationsvorgänge zurückgeführt werden, die dafür sorgen, dass ein HD-Bild geschmeidig und nahtlos, skalar in/variant, in unterschiedlichen Kontexten auftritt. Das geschieht gestalterisch intendiert durch post/produzierende Bearbeitungen oder medientechnisch auto- matisch durch Um/Formatierungen. Eine Too Much World, bevölkert von Too Much Images, basiert, so lässt sich daher noch einmal festhalten, maß- geblich auf kontinuität/intensivierenden Interpolationen. Über Malicks digitale Filme, die medientechnisch gleichsam auf dem stän- digen Hinzurechnen von Pixeln beruhen, soll das Interpolieren in Anschluss an die Filmphilosophie nach Deleuze gedacht werden, welche Medien- technik, Ästhetik und ein spezifisches Zeit-Bild als Virtualität des Films zusammenbringt. Die Filmphilosophie bei Malick liegt, so das Argument, dann in der Kristallisation einer interpolierenden Medientechnik, einer interpolierenden Filmästhetik und einer interpolierenden Zeitlichkeit. Diese korrelieren in der filmphilosophischen Konsequenz, Menschen-Wirk- lichkeits-Relationen unter post/digital medien/immanenten Vorzeichen gleichsam auf Verfahren der Einschreibung zurückzuführen. Malicks Filme verdeutlichen, dass Menschen nicht mehr im Zentrum, auch nicht „nur“ in ihrer post/perzeptuellen Überholung, sondern explizit als artifiziell und nachträglich hinzugefügte, skalar in/variante Einschübe in Kontexten mit größerem Maßstab stehen. Knight of Cups, Song to Song und Voyage of Time. Life’s Journey stellen „den Menschen“, v.a. der westlichen Kultur, als skalar in/varianten Zwischenwert dar. Die Verwerfung „eines menschlichen Maß- stabs“ bedeutet daher zunächst auch, auf dessen „Standardnormierung“ anzuspielen und einen imperialen, erhabenen, heterosexuell-männlichen „Menschen“ posthuman zu negieren – einen solchen, wie „er“ in den Pro- tagonisten aus Malicks Filmen durchaus verkörpert ist. Skalar in/variant kann „dieser“ gerade durch das kennenzulernende interpolierende Ver- fahren ausdifferenziert werden, um das Facettenreichtum eines pluralen Anthropos filmisch zu denken. Wie in Kapitel 1.1. dargelegt, steht mit diesen Skalierungsfragen als Marginalisierung der Menschen weiterhin eine Dis- kursbildung um das Anthropozän zur Disposition, an die ich im Folgenden mit einer geo-philosophischen Interpretation des Zeitbegriffs der Deleuze- schen Kinotheorie anschließen möchte: Das Zeit-Bild ist unter den Vor- zeichen von HD interpolierte Zeitlichkeit der vielen, differenten Menschen und ihren mannigfaltigen Wahrnehmungen in eine geologische Tiefen- zeit. So soll die in der Deleuzeschen Kinotheorie zentral gestellte filmphi- losophische Frage: „Wie gibt uns das Kino den Glauben an die Welt zurück?“ (Deleuze 1997b, 236) wiederholt und neu ausgerichtet werden. Interpolieren 267 Licht/Kristallisieren Das Kapitel entfaltet seine Argumentation über zwei Sinneinheiten: Zunächst soll auf kontinuität/intensivierende, interpolierende Ästhetiken in Knight of Cups, Song to Song und Voyage of Time. Life’s Journey eingegangen werden. In einem zweiten Schritt soll die Filmphilosophie nach Deleuze auf ihre spezifische historiografische Zeitlichkeit hin untersucht werden. Dabei werde ich eine Relektüre der Kinotheorie anbieten, die die Deleuzesche Filmgeschichte als Geo-Philosophie und Virtualität als Tiefenzeit auslegbar macht, gleichsam basierend auf einer strukturellen Logik der Interpolation. Beide filmphilosophischen Szenen, die Filme Malicks und die Kinotheorie nach Deleuze, basieren auf einer interpolierenden (ästhetischen und begrifflichen) Kontinuität durch Licht/Kristallisieren.2 Licht/Kristallisieren zeigt erstens eine materialbezogene Abhängigkeit von Licht und kristallinen Strukturen: Wenn Licht auf einen Kristall fällt, dann wird es in all seine Farben gebrochen – Licht/kristallisiert. Gleichzeitig präsentiert die Brechung den Kristall in seiner ureigenen Organisation: Der kristalline Aufbau, das Gitter erscheint in den Regenbogenstrahlen – Licht/Kristallisiert. Der Kristall verweist auf die Materialität des Lichts und das Licht auf die Materialität des Kristalls. Der Schrägstrich markiert die Brechung wie die ästhetische Intensivierung, die auch im filmästhetischen Prinzip von Knight of Cups, Song to Song und Voyage of Time. Life’s Journey über exzessives Lichtsammeln expressiv werden. Brechung wie Intensi- vierung können zweitens auf Begriffe aus der Deleuzeschen Kinotheorie übertragen werden: Licht ist für Deleuze eine primäre Qualität der Immanenzebene und gleichzeitig eine „Potenzqualität“ des Affektbildes, ein dem Bewegungs-Bild zuzuordnender Bildtyp (1997a, 128–131, 143). Der Kristall ist Emblem, wie im vorherigen Kapitel besprochen, für die ureigene 2 Hier soll kurz auf die Arbeit von James Batcho eingegangen werden, der ebenfalls das Kristalline nach Deleuze in Bezug auf Malicks Filme bemüht, aber in einer expliziten Abwendung von dessen Kinotheorie, die meines Erachtens auf einer falschen Lektüre beruht. Batcho trimmt Deleuzes Filmbildtypologie auf eine Oberflächen-/ Sichtbarkeitstheorie, die nicht über eine Subjekt/Objekt-Differenz hinausgeht: „For whom is the crystal-image, the affection-image or the recollection-image? For him [Deleuze] it is given for the audience, not lived by the inhabitants of the film world“ (2018, 10). Mit einer völlig gerechtfertigten und interessanten Fokussierung auf den Ton will Batcho das „Innere“ der Bilder, das was „hinter“ den Bildern liegt, erkunden und verkennt damit aber Deleuzes anti-hermeneutisches, anti-idealistisches „Lob der Oberfläche“, wie es v.a. in Logik des Sinns (1993b) deutlich wird. Außerdem spricht Batcho dem Deleuzeschen Bildbegriff mit diesem Verhaften an der Repräsentation seine Immanenz ab. In falscher Abgrenzung will der Autor Malicks Filme als Welt wahrnehmen, und vergisst dabei, dass für Deleuze der Film gleichsam nicht mehr oder weniger als eine ganze Welt ist (Batcho 2018, 10 und 68–75). 268 High Definition Form des Zeit-Bildes, dem Kristallbild als Zeitspaltung. Licht/Kristallisieren stellt über den Schrägstrich den Zusammenhang zwischen den ver- schiedenen Bildkonzepten und ihren filmhistorischen Kontextualisierungen in der Deleuzeschen Filmgeschichte kontinuität/intensivierend her und macht, so mein Argument, eine filmgeschichtliche Entwicklung nicht als lineare Genealogie mit möglichem Abbruch, sondern als geschichtete Geo- Philosophie über verschiedene tiefenzeitliche Sedimente und komplexe Bezüge lesbar. Knight of Cups Malicks HD-Produktionen wurden stark für ihre fehlende narrative Stringenz kritisiert (McKim 2018; Koehler 2013). Digitale Post/Produktions- verfahren und die verbundene Offenheit beim Dreh und bei der Nachbear- beitung hätten seine Kompositionen verwässert. Die digitale Flexibilität würde bei Malick zu einer chaotischen Entgrenzung führen, so z.B. der Befund des Filmkritikers Robert Koehler (2013, 6): „Malick, once an artist with a disciplined sensibility for scale and sensation, has gone goofy with the devices, surprisingly much like the first Sixties-era directors who senselessly toyed with newfangled zoom lenses“. Der Anschluss an die (fehlgeleiteten) Ästhetiken und Praktiken New Hollywoods, der Epoche der Malick mit seinem Frühwerk zuzurechnen ist, ist so benannt. Was für Koehler auch in diesem filmhistorischen Zusammenhang ein Problem dar- stellt – der aufdringliche, narrativ unmotivierte Einsatz bestimmter Film- techniken – wird nun mit dem HD-Bild Malicks potenziert: Narration würde genauso phantomgleich in den Filmen herumgeistern (ebd., 7) wie die Pro- tagonist/innen, „floating spirits, more chimeras than human beings“ (ebd., 8). Die Sujets bieten wenig dramaturgische Tiefe, die Figuren bleiben, trotz dominantem Voiceover oberflächlich, geben kaum Einblick in ihre Psyche und durchlaufen wenig Veränderung. Dafür zelebrieren die Filme eine vermeintlich unmotivierte Überästhetisierung, die jedes Detail vollends illuminiert ins Bild setzt. Malicks Filme scheinen der Konzeption Prümms zu entsprechen: Eine Mise en scène tritt spürbar hinter die Mise en images. Bedeutung im Film wird auf der reflektierenden Bildfläche zersplitterter Filmfragmente und nicht über narrative Exploration und raumzeitliche Continuity generiert. Im Zentrum der Filme steht stets das Licht. In den ersten Minuten von Knight of Cups werden Einstellungen kompiliert, die Licht, digitales und fotografisches Material in unterschiedlichsten Atmosphären zusammenbringen. Zunächst streift eine in sich gekehrte Person (Christian Bale als Rick) ziellos durch eine steinige, von Interpolieren 269 Wasserlöchern durchzogene wüstenartige Landschaft. Es ist kurz vor Sonnenaufgang. Gleich bricht sich das strahlende Licht über einer Berg- kuppe. Die Kamera umkreist den Umherstreifenden so, dass er die Sonne verstellt, durch seine Bewegungen aber immer wieder das Licht bricht und hinter seiner Silhouette hervorscheinen lässt. In der Diffraktion durch den Körper bekommt das Sonnenlicht einen kristallinen Ausdruck. Die nächste Einstellung ist ein Ausschnitt eines NASA-Time-Lapse-Videos, das den mystisch fluoreszierenden Lichtschimmer der Aurora borealis über der Nordhalbkugel einfängt, während im Kontrast dazu der restliche Erd- planet bei Nacht von einem Lichtpunktteppich überzogen ist. Dann folgt ein schneller Phantom Ride durch einen Autobahntunnel, der sich beim Ver- lassen in gleißendem Weiß auflöst und mit ihm das Bild. Die nächste Szene ist die verpixelte und kontrastreiche Videoaufnahme eines Sonnenunter- gangs. Der Himmel ist feuerrot gefärbt und spiegelt sich im Azurblau des Meeres. Ein GoPro-Fisheye folgt dann herumtollenden Kindern im Garten und fährt immer wieder, z.B. eine Schaukelbewegung nachahmend, zum Himmel auf, gegen das sich als Regenbogenspektrum brechende Hell. Eine Unterwasserszene zeigt Licht gebrochen, trüb, aufgewühlt; eine andere Einstellung beobachtet den Protagonisten, wie er in der kühlen Umgebung eines Skyscraper Districts kurz nach Sonnenuntergang die verblauenden Lichtspiegelungen auf den metallenen Oberflächen der Wolkenkratzer beschaut. In der nächsten Szene wird Rick von unten gefilmt. So kommen ein LED-Lichtteppich und dessen Neonpalette in den Blick. Eine Stop- Motion-Animation zeigt im Anschluss abgelichtete Schwarzweißfotografien, auf denen extrem kontrastreich ein weibliches Model zu sehen ist. Ihr weißes Gesicht ist schwarz bemalt, die Augen strahlen weiß. Im Blitzlicht kippt die Ansicht in ihr Negativ. Die Reihung endet mit leeren Panoramaauf- nahmen einer Bergkette und eines Meereshorizonts zur blauen Stunde (00:00:00–00:05:24, siehe Abb. 4.5.). Diese Einstellungsfolge zu Beginn von Knight of Cups erinnert an Belichtungstests, Demoaufnahmen, die die kameratechnischen Kapazitäten, die Aufnahmefähigkeit und die Lichtsensibilität des Sensors in verzwickten Belichtungskontexten austarieren. Die Bewegungen, die die Kamera macht, die Settings, in denen sie filmt, sind bei solchen Gebrauchsfilmen ausschließlich dazu da, Licht zu akkumulieren, um die Technik zu testen. Es handelt sich um Scheinbewegungen, die keiner Mise en scène, sondern der Mise en images geschuldet sind. Der Vergleich mit dem Demovideo ist bei Malick nicht weit hergeholt: Der Regisseur zeigt sich verantwortlich für den Werbefilm eines Google Smartphones, der die Brillanz der integrierten Kamera bewirbt (Filmed on Pixel 3, 2018). Der 270 High Definition eineinhalbminütige Clip beginnt mit einem Regenbogen und endet mit mindestens genauso vielen Spektralfarben: einem rosawolkigen Himmel, beschienen vom goldenen Glanz der untergehenden Sonne. Im Gegensatz zu der mannigfaltigen Regenbogenpalette lassen sich die wenigen erzählerischen Versatzstücke in Knight of Cups schnell zusammen- fassen: Rick, der paratextuell als Hollywood-Drehbuchautor ausgewiesen wird, was man über den Film selbst schwer nachvollziehen kann, wandelt durch Los Angeles, mit unterschiedlichen Geliebten (Cate Blanchett, Natalie Portman, Freida Pinto, Isabel Lucas, Teresa Palmer, Imogen Poots) an seiner Seite. Es gibt eine familiäre Backstory Wound. Der Vater wird als Patriarch charakterisiert, die Mutter ist im Film nur einmal kurz zu sehen, der Bruder lebte auf der Straße, ist aber zurückgekehrt in geregelte Bahnen. Alle leiden unter dem Verlust eines Familienmitglieds, eines Bruders/Sohns, der nur als Chimäre in den Gesprächen Erwähnung findet. Rick wird auf dekadenten Hollywood-Partys, auf den Ausfahrtsstraßen der Metro- pole – zu Fuß oder im Auto –, in unpersönlichen (Hotel-)Räumen, Park- häusern, in Hochhausschluchten, in klimatisierten Büroräumen, Aufzügen, der Wüste, am Meer, an Sets für Filmdrehs oder Shootings, im Museum gezeigt. Er läuft dabei nie zielgerichtet, sondern streift umher, taumelt, tänzelt unsicher und blickt vor sich hin: auf tropfende Wasserhähne, seine Geliebte, Straßen, Antonio Banderas und andere Figuren des Showbiz, die ihm etwas von Selbstfindung erzählen, Tarotkarten, seine Füße, den Himmel, Einbrecher, Eisskulpturen, Obdachlose und natürlich in die Sonne, aber so als würde er darin nichts wiedererkennen und alles zum ersten Mal sehen. Er blickt, so scheint es, um die Wirklichkeit in eine optische Relation einzubinden, doch ohne auf sie handelnd zu reagieren. Die oben entfalteten ersten Minuten von Knight of Cups sind ein Spiegel- kristall an narrativen Splittern, die jeweils Licht auf eine andere Weise reflektieren. Sie werden eingeleitet durch ein Voiceover, das noch das Schwarzbild mit der Direktive des Films ausstattet: Ben Kingsley, der nur auditiv als Erzählerstimme vorkommt, spricht von einer Pilgerreise, die aus „dieser Welt“ hintendiert „zur seligen Ewigkeit“. Die Reise werde erzählt „nach dem Ebenbild eines Traums“ (00:00:47). Mit diesem transzendentalen Überbau, der von Kingsleys Stimme und Klarinettenklängen etabliert wird, stilisiert sich das im Film Folgende hin zur Odyssee eines Königssohns, der seine ehrenvollen Ziele aus den Augen verloren hat. Die lichteinfangenden Splitter werden von der Tonebene bedeutungsschwanger vernäht und bilden den Auftakt für ein zweistündiges audiovisuelles Fließen. Rick ist über die erläuterten Szenen von Anfang an als ein gebrochenes Subjekt, über seine „White Fragility“ (diAngelo 2018) inszeniert, die ihn eindeutig der Interpolieren 271 selektiven Gruppe „des Menschen“ mit bestimmtem Artikel zurechenbar macht (vgl. Kapitel 1.1.). Die lichtgetränkten Sequenzen könnten unter dieser Fokussierung auf seine Identität als auf ihn ausgerichtete Rückblenden, als instantane Momentaufnahmen, als transzendentales Bewusstsein, als Imagination, als Traum, als Zukunft gewertet werden. Auf Rick und seine gebrochene Existenz beziehbare Filmszenen, z.B. solche, in denen er zu sehen ist, werden in Knight of Cups von Bildern begleitet, die scheinbar nicht mehr eindeutig subjektgebunden aufzuschlüsseln sind: Ein Kamerabewusstsein fährt als Phantom Ride die Infrastrukturen von Los Angeles ab, gerne auch bei Nacht, um die Stadt als „hochaufgelöste kinematografische Lichtskulptur“, um die Formulierung Rothöhlers (2013, 36) in Bezug auf Collateral noch einmal zu bemühen, auszustellen. Die Kamera gleitet außerdem durch kühle, minimalistisch gestylte, über- ästhetisierte „Locations“ – Cafés, Spas, Villen, Apartments, Museen – und immer wieder durch die karge, menschenleere, Wüstenlandschaft, die die Megametropole einschließt. Die Bewegungen der Kamera sind genauso ziellos wie die Reise Ricks und intentional viel maßgeblicher auf das Ein- fangen des Lichts ausgerichtet. In seinen HD-Filmen greift Malick immer wieder auf eine ähnliche Ein- stellung zurück, die dieses ästhetische Prinzip des Lichteinfangens zu kon- densieren scheint: Durch die Beschleunigung eines Autos, eines Zugs oder eines Phantom Rides wird Wirklichkeit in vorbeiziehende Lichtschlieren verwandelt oder die Kamera bewegt sich schnell aus dem Dunkel auf einen gleißenden, hell ausströmenden Lichthort zu. Das Alternieren zwischen den stark variierenden Lichtwerten stellt bei schneller Bewegung eine belichtungstechnische Herausforderung dar, der mit einer fotosensiblen Bandbreite und einem flexiblen Umgang mit den ISO-Werten begegnet werden kann, wie sie durch das hochaufgelöste Digitalbild gegeben sind – ein minimalistischer, digitaler One-Take, eine Scheinbewegung zur exzessiven Lichtakquise sozusagen. Diese Bilder, die an das Ende eines Tunnels das gleißende Licht setzen, können hochgradig spirituell interpretiert werden, wie es in Bezug auf Malicks Filme auch immer wieder geschieht (Mottram 2012; McKim 2018, 71; Morrison und Schur 2003, 99–100). Malicks Œuvre zieht eine phi- losophisch/kreationistische Lesart an, so stellt es auch der breite Dis- kurs um die Filme aus.3 In seinem Text There’s Something about Malick unterteilt Martin Rossouw (2016) die zahlreichen filmphilosophischen 3 Bei Batcho (2018) im Zusammenhang mit Deleuze und Søren Kierkegaard; bei Cavell (1979, xiv–xvi) mit Martin Heidegger; im von Stuart Kendall und Thomas Tucker (2011) 272 High Definition Auseinandersetzungen in zwei divergente Lager: Die narrativ-abgespeckten Bilder und der „typische Malick-Style“ würden einerseits für Kontemplation, Selbstreflexion, ein „patent motive of personal transformation“ (ebd., 3, Hervorhebung im Original) gehalten, als poetischer, lyrischer, romantischer und visionärer Ausdruck des Filmbildes (ebd., 4). Das Licht am Ende des Tunnels, so könnte man an Rossouws zusammenfassende Diskursanalyse anschließen, ist dann eines der Transzendenz, eines denkenden Bewusst- seins im Kantschen oder kartesianischen Sinne. Rick und sein Voiceover stünden im Zentrum dieser Auslegungen. Das andere Lager interessiert sich andererseits mehr für die subjektlosen Kamerabewegungen und die inszenierte Wirklichkeit, die, so Rossouw, Subjektivität überholt (ebd.). Licht wäre in diesem Sinne weniger eine idealistische als eine materialistische, vielleicht pansophische Mitteilung der Wirklichkeit, der Natur. Ich möchte den Lichteinsatz in Knight of Cups weder als idealistisches Leuchten eines erkenntnisgeleiteten Bewusstseins einer Filmfigur ver- stehen noch im materialistischen Strahlen einer im Bild repräsentierten Natur. Im Sinne einer Filmphilosophie nach Deleuze soll das spirituelle Licht in Knight of Cups als medialisierter Ausdruck eines „Geistes und eines Körpers des HD-Films“, eines (onto-epistemologischen) HD/Film/Denkens über drei Einsätze in der Deleuzeschen Kinotheorie identifiziert werden. Wie oben schon angesprochen, lässt sich mit der Frage nach dem Licht eine Verknüpfung von „Immanenzebene“, „Affektbild“ und „Kristallbild“ herstellen. Über diese kontinuität/intensivierende Korrelation der drei Bildtypen soll mit dem „Licht/Kristallisieren“ ein neuer, spezifisch post/ kinematografischer Bildtyp in Anschluss an Deleuze und Malick entwickelt werden. Filmisches Licht in der Deleuzeschen Kinotheorie Erstens ist filmisches Licht bei Deleuze, in Rückgriff auf Bergson, Basis, um die Wirklichkeit als veränderliches, Dauer hervorbringendes Bewegungs- Bild zu bestimmen: „Die Identität von Bild und Bewegung hat ihren Grund in der Identität von Materie und Licht. Das Bild ist Bewegung, wie die Materie Licht ist“ (1997a, 89), heißt es zu Beginn der Kinotheorie über Bergsons materielles Universum, die für Deleuze so benannte „Immanenzebene“. Sie stellt die Grundlage der kinematografischen Bild- lichkeit dar und lässt keine Unterscheidung zu, zwischen Imagination und Phänomen, zwischen (menschlichem) Bewusstsein und Körper, zwischen herausgegebenen Sammelband mit Deleuze, Heidegger, Schiller, Kant, Aristoteles, Derrida, Merleau-Ponty, Lacan, Heraklit, Marx, Hegel, Adorno und Wittgenstein. Interpolieren 273 Innen und Außen. Keine idealistischen Bilder erschaffen für Bergson ihre Realität konstruktivistisch oder phänomenologisch: „[D]as Auge ist in den Dingen, in den Licht-Bildern selbst. Die Fotografie, wenn es überhaupt eine Fotografie ist, ist für alle Punkte des Raums im Inneren der Dinge schon aufgenommen und entwickelt “ (ebd., 89–90, Hervorhebung im Original). Die Abkehr von einer philosophischen Tradition, die das Licht dem Geist oder der Transzendenz zuordnet, wird von Deleuze registriert, wenn er schreibt: „[N]icht das Bewußtsein ist Licht, sondern die Menge der Bilder – oder das Licht, das der Materie immanent ist – ist Bewußtsein“. Die Wirklichkeit scheint „aus sich selbst [zu] leuchten, ohne daß irgendetwas sie beleuchten würde: alles Bewußtsein ist etwas, es fällt mit der Sache zusammen, das heißt mit dem Bild des Lichts“ (ebd., Hervorhebung im Ori- ginal). Mit einer solchen Materialisierung von Licht geht es um die Zurück- weisung einer idealistischen Vorstellung von (menschlichem) Bewusstsein und erkenntnisgeleiteter Subjektivität genauso wie einer außerwirklichen, metaphysischen Transzendenz. Die Wirklichkeit ist für Deleuze ein aus sich heraus strahlendes Bild, eine onto-epistemologische Medien/Immanenz, die nicht etwas repräsentiert oder nur wahrgenommen existiert, weder von einem erhellenden Bewusstsein noch weil eine andere Lichtquelle sie beleuchtet. Eine solche Wirklichkeit erkennt Deleuze im Film und gesteht ihm deswegen ein filmphilosophisches Denken zu. Licht ist mithin die medien/immanente, materielle Basis für Deleuzes weitere Überlegungen im Rahmen der Kinotheorie. Zweitens findet das Licht in Deleuzes Kinotheorie einen Niederschlag als eine spezifische filmästhetische Qualität. Es ist die Ausprägung des Affektbildes – eine der drei Hauptformen des auf Handlungsorientierung und Continuity fokussierten Bewegungs-Bildes. In Bezug auf die Licht- zeichnungen der Filme von Josef von Sternberg, Carl Theodor Dreyer, Éric Rohmer und Robert Bresson spricht Deleuze von „poetische[r] Abstraktion“ (ebd., 156), die sich über ein „reines immanentes oder spirituelles Licht jenseits von Weiß, Schwarz und Grau“ (ebd., 162) charakterisieren lässt. An die poetische Abstraktion und die verbundene Spiritualität koppelt Deleuze eine bestimmte Figurenbeschreibung. Alternierende Belichtungswerte und starke Kontraste stünden für den „Geist“ einer Figur, die „nicht in einen Kampf verwickelt ist, sondern dem Alternieren einer Alternative aus- gesetzt ist“ (ebd., 157). Das lichtgetränkte Affektbild entwirft Subjekte, die sich im ständigen Abwägen von Möglichkeiten wiederfinden, im latenten Zustand einer nicht enden wollenden Wahl. Das Subjekt denkt nicht und es handelt auch nicht, so Deleuze, sondern es wählt um des Wählens willen und befindet sich mitten im erschöpfenden Algorithmus, ohne Ziel, alle 274 High Definition Möglichkeiten durchspielend, wie in Kapitel 3.2. erörtert. Deleuze spricht davon, dass die Protagonist/innen „ebensoviele konkrete Existenzweisen sind“ (ebd., 159, Hervorhebung im Original). Als solche halten sie dem Zustand des Wählens stand, der sich einstellt, wenn der/die Wählende eigentlich keine Wahl hat (ebd.). Drittens kann das Licht in der Deleuzeschen Kinotheorie in Zusammen- hang gebracht werden mit der kristallinen Ununterscheidbarkeit von virtuell/aktuell, die Deleuze um das Gegensatzpaar rein/undurchsichtig und Wissen/Glauben erweitert und zur „Keimform“ seines Zeit-Bildes werden lässt (1997b, 99). Nicht zufällig verweist Deleuze auf aufklärerisches Denken, dem er aber die „Illumination“ des Glaubens als philosophisches Potenzial entgegensetzt (ebd., 98). Der Glaube birgt für Deleuze die Möglichkeit der Nicht-Philosophie, die zum Denken zwingt. In den Passagen des Zeit-Bilds, die sich den kristallinen Zeitspaltungen jenseits narrativer Handlungszusammenhänge widmen, verharren Figuren in „rein optisch- akustischen Situationen“, die nicht in der Reaktion auf einen Reiz münden (ebd., 33). In solchen Szenen, die Deleuze v.a. mit der filmgeschichtlichen Epoche des italienischen Neorealismus verbindet und an die Schrecken des Zweiten Weltkrieges, aber auch der Schoah und des Postkolonialismus rückkoppelt, scheinen nicht einmal mehr die offengehaltenen Möglich- keiten zur Wahl gegeben. Deleuze spricht vom „Visionär-Werden“ (ebd.) und erkennt darin eine Befreiung der Wahrnehmung von einer Intention, die sich meist in Form des Wiedererkennens mitteilt: Ein Subjekt sieht, erkennt und handelt. Visionäres Sehen ruft dagegen über die Perzeption eine Mutation des Gesehenen hervor: Es wird zu etwas anderem. Unter zwanghaften Bedingungen, wie „das Reich des Elends“ des Zweiten Welt- kriegs (ebd.), verändert sich die Wirklichkeit wie deren Wahrnehmung und macht es unmöglich, in einen perzeptuellen „Normalzustand“ zurück- zukehren (ebd., 35). Dies schlägt sich auch in einer Entwicklung der Filmsprache nieder. Es kommen keine Aktionsbilder mehr zustande, denn der Reiz-Reaktions- Mechanismus des Bewegungs-Bildes verebbt. So kann sich die Bewegung im Film vom Raum emanzipieren und als Zeitlichkeit hervortreten. Film- bilder wie die tiefenscharfen Mises en images bei Orson Welles, die Virtualität/Aktualität kristallin im dividuellen Filmkader anreichern, brechen mit dem aktionsgeleiteten Handlungszusammenhang. Solche Kristallbilder leuchten nun aus sich selbst heraus, ohne „mehr“ sichtbar zu machen oder eine Sache/Person sinnstiftend, wiedererkennend ins (gute) Licht zu setzen: Interpolieren 275 Die Bildtiefe von Welles ... bezieht sich nicht auf Hindernisse oder verborgene Dinge, sondern auf ein Licht, das uns die Personen und Gegenstände entsprechend ihrer eigenen Undurchsichtigkeit sehen läßt. Ebenso wie die Sichtbarkeit den Blick ersetzt, tritt lux an die Stelle von lumen. (Ebd., 230, Hervorhebung im Original) Die Leuchtkraft einer Lichtquelle, lux, beleuchtet nicht, bringt „kein Hell ins Dunkel“. Das Bild selbst ist die Helligkeit der bestrahlten Fläche, lumen, die aus sich heraus leuchtet und dennoch undurchsichtig bleibt, denn sie ist nicht etwas, das wiedererkennbar wäre, sondern etwas anderes. Filmphilosophie in Knight of Cups Die drei Einsätze des Lichts in der Deleuzeschen Kinotheorie, die eine Entwicklung der verschiedenen Bildtypen nachzeichnen, verdichten sich nun, so die These, licht/kristallisierend durch die Sensibilität der hoch- aufgelösten Digitalbildlichkeit in Knight of Cups. Im Film kondensieren sich Licht als Immanenzebene, Licht als Affektbild und Licht als Kristallbild zum HD-spezifischen Licht/Kristallisieren. Erstens lassen Malicks Lichtsammel- exzesse, wie sie mit der Anfangsmontage von Knight of Cups aufgerufen sind, Licht in vermeintlich materialisierter Reinform, als Immanenz ohne narrativen Wert erscheinen. Eine raumzeitliche Kontinuität wird negiert, zeitlich wie räumlich wird hin- und hergesprungen, sogar auf planetarische Ebene. Die Sonne als universale Lichtquelle ist bei Malick Protagonistin und alle anderen Bildinhalte werden neben ihr zu überästhetisierten Fragmenten einer Too Much World. Sie stellen digitale Materialisierungen der Photonenbrechungen dar, die sich HD-ästhetisch in satten Farben, in scharfen Konturen und ausdifferenzierten Kontrasten mitteilen. Die Wirk- lichkeit ist hier ganz im Sinne der Immanenzebene zu einem Bewegungs- Bild geworden, dessen Materialität das Licht darstellt. Über das skizzierte Voiceover und im Fortgang des Films können die Bilder zweitens auf rudimentäre, erzählerische Versatzstücke gebracht werden, wie sie die mit dem Affektbild aufgerufenen Existenzweisen der Wählenden aus Deleuzes Kinotheorie vorgeben: Möglichkeiten erkennen, sie nutzen, endlich etwas spüren, anfangen zu leben, zu leben, wie noch nie jemand zuvor gelebt hat, sich nutzlos fühlen, Momente ausschöpfen – das sind die Existenzformen, die in Knight of Cups aufgerufen, aber narrativ nicht eingelöst werden. Sie werden im Voiceover benannt, in Dialogen zwischen den Figuren angesprochen und v.a. durch den Protagonisten des Films und seine wechselnden Geliebten, die als Indizes für die Existenzweisen Ricks gelten können, sichtbar. Rick steht immer wieder Obdachlosen gegenüber, 276 High Definition die Los Angeles genauso bevölkern wie die eitlen Personen des Showbiz. Rick kann den Menschen in ihrer hilfsbedürftigen Existenzform nichts ent- gegnen, er ist ihnen nicht überlegen und kann auch nicht auf sie reagieren. Er nennt sich selbst im Voiceover Schlafwandler, Fremder seines eigenen Lebens. Der Film zeigt die Existenzformen eines Wählenden, der nicht fähig ist, zu handeln oder eine Entscheidung zu treffen, der Dinge und Menschen sieht, ohne auf sie oder ihre Existenzweise zu reagieren. Kein Wunder also, dass der Film, der eine Pilgerreise vom Dunklen ins Helle ankündigt, so endet wie er beginnt: Phantom Rides durch Geröllschluchten in der Wüste, die Rick in der nächsten Szene erklimmt. Im Zeitraffer ziehen Wolken vorbei, die die strahlende Sonne umspielen. Die untergehende Sonne bricht sich in zentralperspektivischen Strahlen über der steinigen, kargen Wüstenlandschaft und färbt den Himmel in Pastell. Rick wird unter Wasser gefilmt. Mit ihm taucht die Kamera der glitzernden Helligkeit über dem Wasserspiegel entgegen. Es folgt das Erahnen einer Einstellung von Füßen am Strand, die von brechenden Wellen umspielt werden. Die Kamera schwenkt dann sofort nach oben, um Vögel am Himmel in den Blick zu bekommen. Rick ist kurz im Bild, wie er den Vögeln nachsieht. War davor nur das atmosphärische Rauschen von Wind und Wasser zu hören, setzen mit der nächsten Szene, einer geisternden Kamerafahrt durch die leere Wohnung Ricks, Klarinettentöne ein. Ricks Stimme beschließt den Film mit: „Begin“ (Knight of Cups, 01:50:32). Ein schneller Phantom Ride fährt aus einem Tunnel, der am Ende das Licht hereinströmen lässt. Die nächste Szene ist eine Fahrt in der Wüstenlandschaft hinzu auf einen Sonnen- untergang am Horizont. Das Licht am Ende des Tunnels ist am Anfang und am Ende des Films dasselbe. Es steht nicht für eine Verheißung, denn die Pilgerreise Ricks ist die eines Gläubigen, dem Deleuze die Existenzform der nicht enden wollenden Wahl und daher der dritten Etappe in seiner Kinotheorie – dem Zeit-Bild – zugeschrieben hat. Durch diese ist es dann drittens möglich, die narrativ-kausalen Vorgaben, unter denen das Affekt- bild als Bewegungs-Bild steht, die Continuity, zu brechen. Mit dem Licht/ Kristallisieren wird der kohärente Raum für einen Moment hin zu einer „reinen Immanenz“ geöffnet (Deleuze 1997a, 163). Die HD-Wirklichkeit in Knight of Cups, gesättigt und durch Wohlstand und Luxus angereichert, ist mitnichten die Welt des italienischen Neorealismus und dennoch macht sie Malicks Protagonisten als Sehenden zum Visionär. Deleuze (1997b, 32) führt nämlich auch aus, dass es z.B. etwas untragbar Schönes sein kann, das die Figur zur Sehenden werden lässt. In Knight of Cups wird Los Angeles durch den Blick von Rick zu einer rein ästhetischen Wirklichkeit. Die Stadt, durch die er spaziert, ist eine HD-Bild/Wirklichkeit, Interpolieren 277 ähnlich der Eremitage in Russian Ark, Berlin in Victoria oder der Bild- welt Steyerls in How Not to Be Seen. Die Orte in Knight of Cups verlieren nie ihren Wert als „Set“, als Kulisse. Sie gleichen den gerenderten CGI- Welten in Steyerls Videoarbeit und haben ihre Entsprechung in den Gated Communities, den Luxusapartments und den blankpolierten, urbanen Infrastrukturen, in denen Rick sich bewegt. Auch die Natur ist, so wie Rick auf sie blickt, gleichsam ästhetisiert. Die post/digitale Medien/Immanenz, in der sich der Protagonist aufhält, ist ein Ort voller hypervisueller Über- bordung, ein Too Much Image. Rick schlendert in dieser HD-Wirklichkeit umher wie durch ein Museum, wenn auch nicht auf so vorgegebenen Pfaden wie Russian Ark sie anbietet. Dennoch ist Rick nie vollständig ver- loren und wird geleitet von dem, was er sieht, beschauend, angezogen und in gleichzeitiger, unverfänglicher Distanz. Durch seinen Blick wird die Wirklichkeit zu etwas anderem. Los Angeles ist im Film Ausstellungs- stück, wenn Rick das L.A. Country Museum besucht und die Installation Metropolis II (2011) von Chris Burden betrachtet. Diese scheint als Miniatur mit in sich verschlungenen Fahrbahnen, auf denen kleine Plastikautos herumrasen, die skizzierten Phantom Rides in der Metropole monadisch zu mimen. Durch die Kamerafahrten werden die Stadt, ihre Hochhäuser, die Billboards, die Schaufensterauslagen gleichsam zum lichtmodulierten Kunstobjekt. Die post/digitale Medien/Immanenz ist bei Malick eine HD- Installation, die aus sich heraus expressiv wird. Diese Welt ist aber keine hyperreale, wirklichkeitsferne. Sie existiert, aber in einer Intensität, die Menschen agitationsarm werden lässt. Dramatisierung des Lichts, Licht/Werden In Knight of Cups kristallisiert Licht zu einer intensiven Illuminanz, beschrieben über das In-Eins-Fallen der drei Bildtypen „Immanenzebene“, „Affektbild“ und „Zeit-Bild“. Diese intensivierte Kontinuität führt zu einer dissoziativen Zersetzung ihrer Subjekte. Mit Lisa Åkervall könnte von „Zer- splitterung“ gesprochen werden, in ein von ihr entwickeltes post/kinemato- grafisches „Fraktalbild“ (2018), welches die Beziehung von Menschen und post/digitaler Medien/Immanenz als „Aufsplitterung und ... Multiplikation“ versteht. Keine gerissenen, sondern „zersplitterte ... Bänder“, so Åkervall in Bezug auf Bergsons und Deleuzes sensomotorisches Band, würden „multi- perspektivische ... Anordnungen“ zwischen Menschen und post/digitaler Wirklichkeit charakterisieren (ebd., 180). Rick und die schon angesprochene White Fragility, die er verkörpert, stilisieren ihn zu einem fraktalen, zer- splitterten Subjekt, das tausend multiperspektivische Existenzweisen reflektiert und sich in ihnen bricht, wenn Licht/kristallisiert. Seine 278 High Definition Geschichte, die keiner Progression unterliegt, schreibt sich dabei einerseits in die glänzende post/digitale Medien/Immanenz von Los Angeles ein. Andererseits aber wird Ricks Wirklichkeit in einen überdimensionalen Zusammenhang der kosmologischen Zeit gestellt, der ein weiterer Aus- druck des kontinuität/intensivierenden Licht/Kristallisierens ist: Der Planet ist zu Beginn des Films in das überweltliche Licht der Aurora borealis gehüllt, das ein „Schauspiel“ auf einer ganz anderen Ebene indexikalisiert: Polarlichter treten auf, wenn die Sonne aktiv ist. Es sei an die Montage der Weltentstehungssequenz aus The Tree of Life erinnert, die das ver- meintlich größte Drama eines Menschenlebens, die Trauer um den Tod des eigenen Kindes, neben die Genese des Universums stellt. Menschliche und kosmische Zeit stehen skalar in/variant im Zusammenhang. Ricks Selbst- findung wird gleichsam gekoppelt an die kosmische Aktivität. Entwicklungs- und Differenzierungsprozesse werden daher in den Filmen hochskaliert und das unter der Voraussetzung der lichtsensiblen HD-Bildlichkeit, die in der Lage ist, beiden Maßstäben gerecht zu werden. Mit Deleuze lässt sich bei diesem „Upscaling“ von einer „Dramatisierung“ (1997c, 271–280) sprechen, die abstrahiert von individuellen Schicksalen, menschlicher Tragik und verlorenen (Königs-)söhnen. Ricks Geschichte ist eingebettet in einen komplexen Vorgang, der im Film HD-ästhetisch markiert ist und der den Protagonisten hypervisuell zu übersteigen scheint. Ein weiteres Mal kann so auf den Verlust an sinnstiftender Relevanz ein- gegangen werden, die Ricks Entwicklungsgeschichte auszeichnet. Denn bei Deleuzes Konzept der „Dramatisierung“ handelt es sich um „mor- phogenetische ... Bewegungen“, „regelrechte Kinematik“ (ebd., 271), die für die Entstehung eines Embryos in einem Ei genauso gelten, wie für die gesamte Welt (ebd., 273). Divergente Entstehungsprozesse sind spezifisch durchlebte Erfahrungen, die sich nicht erschließen lassen, im Falle des Embryos z.B. für „einen erwachsenen Beobachter, der sie von außen betrachtet“ (ebd., 271). Dramatisierungen haben ihr eigenes, immer anderes Gewicht und können nicht miteinander, mit anderen Momenten der Differenzierung, des Werdens verglichen oder in einen evolutionären Zusammenhang gebracht werden: „Die Großtaten und das Schicksal des Embryos liegen darin, das Unerträgliche als solches zu leben, das Ausmaß von erzwungenen Bewegungen, die jedes Skelett zerbrechen oder die Gelenkbänder zerreißen würden“ (ebd., 272). Die Weltentstehungssequenz aus The Tree of Life lässt sich daher mit Deleuze nicht in einer Genese des oder zum menschlichen Subjekt denken, vom Universum zur Geburt oder dem Tod der Menschen. Die Pilgerreise Ricks in Knight of Cups ist weiterhin nicht vergleich- oder metaphorisch auslegbar als die Aufladung und Interpolieren 279 Entladung des Sonnenwinds an der Erdatmosphäre. Es geht um singuläre, intensivierende Individuationsprozesse verschiedener Existenzweisen der Welt. Julia Bee beschreibt diese wie folgt: Hier ereignet sich ein nicht-/menschliches Theater, in welchem die Welt sich im Werden ausdrückt, das heißt verändert und differenzierend wiederholt. Es verselbstständigen sich in der Aufführung Prozesse und gewinnen eine eigene Qualität als Dynamik der Entfaltung eines Prozesses. Dramatisierung beschreibt also, dass die Welt ereignis- haft entsteht und nicht als Realisierung eines bereits vorhandenen Blueprints fungiert. (2018, 113, Hervorhebung im Original) Dramatisierungen, die Bee als „wirkliche Schöpfungen“ und nicht Verwirk- lichungen bezeichnet, finden auf geologischer, anatomischer, biologischer, imaginärer, medialer Ebene statt, als ökologischer Prozess „eines Milieus als Denken“ (ebd., 114). So wirken „Emergenz und Prozess der Formation aus dem energetischen Exzess eines präindividuellen Feldes“ (ebd.), nach Deleuze zu verstehen als „Indi-Drama-Differentiation/zierung“ (1997c, 311, Hervorhebung im Original). Das Milieu oder Feld der Dramatisierung in Knight of Cups setzt sich zusammen aus menschlichen Krisen, kosmischen Phänomenen, geologischen und urbanen Strukturen, die alle selbstständig und für sich wirken. Und doch bilden sie einen skalar in/varianten Kom- plex eines Differenzierungsprozesses im digitalen Licht/Kristallisieren. Eine Wirklichkeit im Werden kommt über unterschiedliche Maßstäbe im Film durch eine bildintensive, strahlende HD-Ästhetik gemeinsam zum Ausdruck. Die digitalfilmische Fixierung von Licht als hochaufgelöstes Spektrum ermöglicht es bei Malick die menschliche, die kosmische und die mediale Ebene zu einer skalenübergreifenden Individuation zu verschalten – nicht der Menschen und auch nicht des Kosmos. Egal ob Rick sich vor der Kamera befindet oder der Polarlichtschimmer – Knight of Cups setzt in beiden Fällen eine andere Dramatisierung ins Bild: mit Cubitt gesprochen die Geschichte des Lichts, Differenzierungsprozesse des Lichts, Licht im Werden: Pure light is as blinding as darkness. What we see is light’s history of reflections and refractions, of bouncing through dust and moisture and the cacophony of things. The sensation of seeing is conditional on the being-light of light, but the pure light that that seems to refer to is never visible. What we witness is instead the becoming-visible of light. So what then are we looking at when we look at recordings which fix into stability the becoming-visible of invisible light? (2011, 28, Hervor- hebung im Original) 280 High Definition Die lakonisch anmutende Frage Cubitts schließt unmittelbar an die intensive Kontinuität eines Licht/Kristallisierens und ihrer Dramatisierung in den Filmen Malicks an; an Licht, das sich brechen muss, um sichtbar zu werden, mit der Intensität aber die sich reflektierenden menschlichen Existenzweisen befragt. Durch die Sonne entwickelt sich auf der Erde alles Chemische und Biologische, basierend auf Photosynthese und Stoff- wechsel. Gerade menschliches Leben erscheint in der Helle des Films aber über die Exploration Malicks besonders unbelebt, lethargisch, reglos und entseelt. Wenn sich das Licht an Ricks Silhouette bricht, dann findet sein menschliches Drama zwar unter derselben Sonne statt, jedoch scheint sich die Dramatisierung seines Milieus, der post/digitalen Medien/Immanenz auf einer anderen Skala zu ereignen, die Rick verloren in den HD-Bildern zurücklässt. Filmphilosophie von Song to Song Dieser im Licht des übergeordneten Dramas marginalisierte Zustand der Menschen, mit dem ich die skalare In/Varianz des HD-spezifischen licht/ kristallisierenden Bildtypen zu fassen versuche, soll mit einem anderen Film Malicks, einer Szene aus Song to Song, weiter verdeutlicht werden. Mitten in die Dreiecksbeziehung von Faye (Rooney Mara), BV (Ryan Gosling) und Cook (Michael Fassbender) ist, angesiedelt in der post/ digitalen Medien/Immanenz der Musikbranche in Texas, die gewaltsame Anfangssequenz aus Dimitri Kirsanoffs Ménilmontant (1926) geschnitten. Die Szene zeichnet sich durch eine hastige Montage an Close-ups aus, die den Kampf und die brutale Ermordung einer Frau und eines Mannes mit einer Axt zeigen. Dieses Beispiel aus der Filmgeschichte wird gerahmt von anderen schwarzweißen, granularen Bewegtbildern. Was zunächst anmutet wie Formexperimente des Early Cinema – flackernde, rotierende, sich beugende Linien – nimmt die Gestalt eines Planeten an, untermalt von viszeralen, blubbernden Tönen. Animationsartig flattern weiße Sterne über einen schwarzen Grund (Song to Song, 01:10:58–01:11:40, siehe Abb. 4.6.). Wie Gabriella Blasi (2019, 33) herausgearbeitet hat, handelt es sich bei den Tönen und Bildern nicht etwa um frühe Filmavantgarde, wie der Zusammenschnitt mit Kirsanoffs Bildern vielleicht vermuten lässt. Es sind hingegen digitale Ansichten, die auf der Cassini-Huygens Mission, der Erkundung der Saturnmonde durch zwei Raumsonden von 2004 bis 2017, digital akquiriert wurden. Die Einbindung der drastischen Szene aus Ménilmontant im Kontrast zu den astronomischen Bildern bindet ein weiteres Mal Fragen menschlichen (Über)lebens an skalar übergeordnete Interpolieren 281 Größenordnungen. Gerade Ménilmontant ist ein Film, der seine Erzählung, das Schicksal zweier junger Frauen, nicht ohne die intensivierende Bild- gewalt des frühen französischen Films denkbar werden lässt. Die Körper, Gesichter und Gesten der Protagonistinnen sind eingelassen in die reißende Dynamik ihres Milieus. Diese Geschwindigkeit wird visualisiert durch kühne Überblendungen von Maschinen und nackte Körper, durch impressionistische Anmutungen wie zufällig ins Bild gelangte Details und gefühlsdurchdrungene Großaufnahmen (Fahle 2000, 81–89). Die Intensität und Brutalität eines Lebens in Paris um 1920 wird über die Montage zuallererst hervorgebracht, sie dramatisiert das Schicksal der Frauen filmisch. Zwischen Ménilmontant und dem hyperästhetischen HD-Licht/Kris- tallisieren in Song to Song und Knight of Cups lässt sich ein Vergleich ziehen, der gleichsam ihre Protagonist/innen in die filmische Dramatisierung ein- fasst. Was in Ménilmontant die Überblendungen und frappanten Montagen sind, sind in Song to Song und Knight of Cups die lichtintensiven HD-Bilder, die Menschen in eine Diffraktion überführen. Andererseits bricht die Filmszene aus Ménilmontant gerade durch ihren expressiven und gewalt- samen Inhalt – Szenen, die so keinen Eingang in die digitalen Filme Malicks finden würden – in den Bilderfluss von Song to Song, der sich durch ähnlich wandelnde, ziellose Figurenbewegungen in urbanen Milieus und der Wüste auszeichnet wie Knight of Cups, herein. Der Filmausschnitt aus Ménilmontant stellt eine Interpolation des Menschlichen dar, das brutale, anti/humane Aufeinanderprallen, also jener Mitteltöne, die in den digitalen Malick- Filmen nicht (mehr) zu sehen sind, bzw. eben nur als interpolierte filmhis- torische Zwischensequenz. Die Szene aus Song to Song zeigt, wie vom Licht/Kristallisieren zur sinn- stiftenden Notwendigkeit der Interpolation gekommen werden muss, wenn es darum geht, die Menschen in Malicks Filmen und innerhalb der Dramen des Lichts einen Ort zu geben. Gewissermaßen können auch die Bewegungen Ricks als interpolierende betrachtet werden, wenn er sich immer wieder ins Licht stellt und dessen Dramatisierung und gleichsam auch seine Subjektkonstitution diffrakt beugt. Licht/Kris- tallisieren zersplittert das Subjekt nicht nur, sondern, so möchte ich weiter argumentieren, erfordert seine Interpolation. Der Konnex aus Licht/ Kristallisieren und Interpolieren soll anhand einer weiteren Szene aus dem digitalen Œuvre Malicks und dann zuletzt als Konsequenz für die Deleuzesche Filmphilosophie, die dort verhandelte Zeitlichkeit und die Skepsis gegenüber dem Digitalbild dargelegt werden. 282 High Definition Menschen interpolieren in Voyage of Time. Life’s Journey Das Prinzip des Interpolierens lässt sich mit Malicks Dokumentarfilm Voyage of Time. Life’s Journey weiter ausführen und die skalare In/Varianz des Licht/Kristallisierens – so macht es der Titel des Films schon deutlich – im Hinblick auf Zeitlichkeit weiterdenken. Voyage of Time. Life’s Journey handelt von der Entstehung des Planeten und dem v.a. nicht-menschlichen Leben auf ihm. Neuste wissenschaftliche Erkenntnisse der Evolutions- biologie, der Paläontologie und der Astrophysik werden im Film in ein bild- intensives und lichtgetränktes Spektakel aus Naturfotografie, Visual Effects, den hymnenhaften Klängen von Beethovens 9. Symphonie und weis- sagerischem Voiceover verwebt. Der Film wurde in zwei unterschiedlichen Formaten und Längen veröffentlicht: Die pädagogische, kürzere IMAX-Ver- sion Voyage of Time. The IMAX Experience (2016) fließt von Visualisierungen des Urknalls über die Entstehung ersten Lebens hin zu überästhetisierten „Instagram-Urmenschen“. Von ihnen springt die Zeitleiste in einem Kubrick- schen Jump Cut von zeitlosen Gerstengräsern, die mit ihren goldenen Spitzen in den blauen Himmel ragen, zur in den Himmel ragenden Spitze des höchsten Gebäudes der Welt, dem Burj Khalifa, dem sich die Kamera in einem Drohnenflug bei einbrechender Nacht hinweg über die glitzernde Infrastruktur Dubais nähert. Die zweite, längere Version, von der hier im Weiteren die Rede sein soll, enthält dieselben Bilder (Voyage of Time. Life’s Journey, 01:14:21), nur ist ihr Narrativ ein anderes, nicht nur weil an die Stelle der von Brad Pitt im Voiceover aufgearbeiteten Fakten nun Cate Blanchetts philosophische Fragen treten. Es handelt sich zudem um einen gänzlich anderen Film, weil der hochaufgelöst digitale, wie monumental analoge (35, 65, 70mm) Bilderfluss von verpixelten Digitalbildern kleiner Harine- zumi-Kameras gebrochen wird. Gerade die Existenz zweier Versionen des Films und das Aussparen der verpixelten Szenen in einer von ihnen heben den Interpolationswert der Szenen hervor (siehe Abb. 4.7.). Die ästhetische skalare In/Varianz steht unverholen am Anfang der zweiten Version von Voyage of Time. Life’s Journey. Der Film beginnt auf der Bild- ebene (Blanchett spricht im Voiceover schon über das Schwarzbild) mit der Sonne, die sich strahlendweiß in einer tauben- bis lichtblauen Wolken- stimmung bricht. Die nächsten Szenen fangen dagegen über weniger anmutige Pixelwolken, gebrochene Farbsättigungen und Silhouetten, die eher dem Treppenstufeneffekt als scharfen Konturen gleichen, Menschen ein. Die abgefilmten Personen sind verloren, obdachlos, verwirrt, aggressiv, hilfesuchend. Sie liegen auf der Straße, wühlen in Abfalleimern, schauen auf ihre brennenden Häuser. Blanchetts Kommentar lässt keinen Zweifel an der Tragik des exponierten Zustands: „Where have you gone?“ (00:03:04); „I Interpolieren 283 fear“ (00:03:40); „Full of trouble“ (00:03:55). Die verpixelten Existenzformen der Menschen unterbrechen in den weiteren 90 Minuten immer wieder die sich ästhetisch überschlagende Entstehung des Planeten, die eine Langver- sion der Schöpfungsszene aus The Tree of Life darstellt. Aneinandergereiht werden dann im Kontrast in den verpixelten Zwischensequenzen Szenen aus einem Oxfam-Geflüchtetenlager in Tansania, Szenen von Gottes- weihen im hinduistischen Indien, von traditionell russischen Tänzen, von alten Frauen in Italien und Frankreich, chinesischen Schulmädchen, einer hebräischen Hochzeit, von buddhistischen Mönchen, tibetischen Gebets- mühlen und Opfertierschlachtungen in Nepal (Blasi 2019, 30). Für Blasi bietet die Montage der unterschiedlichen Auflösungen, die in ihrer skalaren In/Varianz als Potenziale der Hochauflösung beschrieben werden können, eine anti-teleologische Haltung zur dargestellten evolutionsdynamischen Entstehungsgeschichte der Erde in 4K: Malick’s ‚mobile-phone‘ aesthetic techniques interrupt this teleology with incursions of contemporary human life on the planet, effectively undermining the chronological ordering and notion of gradual successions that so scrupulously details the evolution of biological life on Earth ... . The story of contemporary human life on the planet effectively counters the very notion of progress informing the rest of the 4K simulations. (Ebd., 30–31) Die Interpolationen, die einen instabilen Status der Menschen offenlegen, können, so ist Blasi zu folgen, eine Geschichte der Welt in ihrer ver- meintlichen Teleologie und Chronologie unterlaufen. Das interpolierende Zwischenschalten des schlecht aufgelösten Anthropos lässt denselben nicht am Ende einer geradlinigen Evolution stehen. Geschichte ist in Voyage of Time. Life’s Journey vielmehr Auflösungsschwankung zwischen Harine- zumi-Videos und 4K, zwischen Menschen und Universum, die keine Ent- wicklungsstufen voneinander, aber auch keine Analogien oder Gegensätze darstellen. Die kontrastreichen Bilder produzieren daher keine Brüche oder Sprünge, sondern Kombinationen aus Singularitäten mit unterschiedlichen Maßstäben, die über die skalare In/Varianz der Hochauflösung und die skalare In/Varianz einer Dramatisierung des Lichts, unter der sich auch die Vorkommnisse in Voyage of Time. Life’s Journey vollziehen, zueinander in Beziehung treten können. Als anthropogene Ebenen stehen die inter- polierten Pixelbilder in einem größenverändernden Verhältnis zu einem geo- und kosmologischen Chronotop, welches Menschen, wie in Kapitel 1.1. schon angesprochen, vor die Herausforderung ihrer eigenen Skalier- barkeit stellt. Aufgerufen sind folglich ein weiteres Mal die Debatten um das Anthropozän, die die eigentümliche Sonderstellung der Menschen im 284 High Definition Moment ihrer raumzeitlichen Überholung als geologische Zeiteinheit schon im Namen trägt. Aber nicht nur die die Menschen zersplitternde schlechte Auflösung, im Kontrast zur kosmischen, exponiert deren marginalisierten Status – es ist v.a. die Interpolation der Szenen, die andeutet, dass mensch- liche Existenz nur über ein artifizielles, vorsätzliches Eintragen gedacht werden kann, in Ordnungen, die sie schon längst überholt haben. Gleichzeitig führen die Interpolationen der Menschen in Voyage of Time. Life’s Journey zu einem verflochtenen Zeitgefüge, das sich der Linearität oder chronologischen Kohärenz verweigert. Komplexe Zeitlichkeit, so soll nun im Folgenden in Abgleich mit dem Deleuzeschen Zeit-Bild argumentiert werden, kommt aber nicht aufgrund von Brüchen oder Rissen, sondern über durch Interpolation ermöglichte intensivierte/Kontinuität zustande. Die Geschichte, die in Voyage of Time. Life’s Journey erzählt wird, liefert mit den Auflösungsschwankungen die Dekonstruktion der sinnhaften Konsistenz des Gezeigten gleich mit und so kann auch das von Blanchett gesprochene Voiceover als sinn-destabilisierende Instanz wahrgenommen werden, die wie der Filmkritiker Eric Hyns (2017, 14) bemerkt, das visuelle Spektakel einer großen Hinterfragung unterzieht: „It [das Voiceover] questions everything Malick has painstakingly captured, and conjectured“. Was zusammengesetzt und in eine Ordnung gebracht wurde, steht auf instabilem Grund. Hyns erkennt eine Unsicherheit in der Darstellung der übergroßen, tiefenzeitlichen HD-Wirklichkeit und stellt Voyage of Time. Life’s Journey Jacques-Yves Cousteaus Projekte, die Naturdokumentationen der 1960er- und 1970er-Jahre und die von Carl Sagan ins Leben gerufene Serie Cosmos (1980) an die Seite. Sie würden alle über den Einsatz der Technik – die Unterwasserfotografie, die Zoomlinsen, die Zeitraffer und Zeitlupen und eben auch die digitale Hochauflösung – einerseits Neugierde, anderer- seits einen Versuch der Habhaftwerdung einer überbordenden Wirklich- keit, einer kontinuitäts/intensivierenden Too Much World, ausstellen: „Curiosity draws us in, but so does our need to grasp and tame ... . The terms are set for our sakes, not for that of the beyond“ (ebd.). Den Glauben an eine HD-Welt zurückerstatten Mit der Ausrichtung auf die Menschen („the terms are set for our sakes, not for that of the beyond“) ist das filmphilosophische Programm benannt und gleichsam die am Beginn dieses Kapitels gestellte Frage wiederholt, inwiefern Film post/kinematografisch einen sinnstiftenden Bezug zur Too Much World (wieder) herstellen kann. Die aufgeführten Beispiele beant- worten diese, so möchte ich zusammenfassend noch einmal betonen, Interpolieren 285 mit dem filmästhetischen Verfahren der Interpolation, das Menschen in kontinuität/intensivierte und licht/kristallisierende Zustände überführt und als Einfügungen manifest macht. So überhöht und abstrakt die mit Malick kennengelernte post/digitale Medien/Immanenz auch sein mag – die Interpolation stellt einen affirmativen Bezug zu ihr her. In Reaktion auf einen Maßstab, der Menschen zu einem hochgerechneten Zwischenwert in einer hochaufgelösten HD-Bild/Wirklichkeit macht, setzt Malick gerade auf die Interpolation derselben – es geht explizit darum, eine Beziehung wiederherzustellen. Allein die Tatsache, dass es zwei, die Interpolation offenlegende, Versionen von Voyage of Time (Life’s Journey und The IMAX Experience) gibt, unterstreicht diesen Aspekt. Die filmästhetische Inter- polation, so ließe sich dann sagen, ist die sinnspendende Möglichkeit des digitalen Films innerhalb raumzeitlicher Konditionen, die auf nicht-mensch- liche Maßstäbe gebracht werden. Dass überbordende Zusammenhänge auch im Hinblick auf die Zeitlichkeit den Menschen den Rang ablaufen, wurde in den vorherigen Kapiteln an der Mikrotemporalität der Digitalbilder, z.B. über die Erschöpfung des Bildes und des bildgebenden Subjekts mit Havarie und A Vernacular of File Formats, genauso wie über ein post/perzeptuelles Feed Forward (Hansen 2015) der algorithmischen und sich flexibel um/formatierenden Bilder von House of Cards (Kapitel 3.1.) exemplifiziert. Entgegen der Einwände Rodowicks wurde im vorherigen Kapitel diese Mikrotemporalität digitaler Bildlichkeit zum Anlass genommen, um eine filmphilosophische Kompetenz als Tiefenzeit zu bestimmen. Eine solche filmische Tiefenzeit scheint offenkundig auch in Voyage of Time. Life’s Journey gegeben, der schon mit seinem Titel auf die Wirklichkeiten durchquerenden – skalar in/varianten – raumzeitlichen Dimensionen hinweist. In Voyage of Time. Life’s Journey und auch in den anderen Filmen Malicks, die hier im Zentrum standen, ist die vorherr- schende Zeit, die der Dramatisierung des Lichts – eine Lichtzeit oder, wenn man davon ausgeht, dass die Entstehung des Planeten und seine geologische Formierung dem Drama des Lichts zugeschrieben werden können – eine Tiefenzeit. Deren Dauer übersteigt die Menschen, rechnet sie als Mitteltöne hinaus, nur um wiederum auf die Notwendigkeit der Interpolation hinzudeuten, wenn es filmphilosophisch darum gehen soll, für die Menschen einen Bezug zur Wirklichkeit herzustellen. Wie mit Voyage of Time. Life’s Journey ausgeführt, stellt die Interpolation der Menschen ein neuartiges komplexes Zeitgefüge her, das nicht auf Abbrüchen oder Rissen, sondern auf kontinuität/intensivierenden wie skalar in/varianten Relationen basiert. Gerade diese sollen nun ihre filmphilosophische Einord- nung erfahren. 286 High Definition Filmhistoriografische Interpolation, Filmphilosophie als Geo-Philosophie Wie ich oben anhand von Knight of Cups versucht habe auszuführen, kann die Ästhetik des Licht/Kristallisierens, die zu Interpolationen führt, an einer Superposition der Deleuzeschen Bildtypen – des Zeit-, Affektbildes und der Immanenzebene – ausgerichtet werden. Die kontinuität/intensi- vierende Ästhetik der Filme Malicks korreliert dann im Umkehrschluss mit einer kontinuität/intensivierenden Struktur der Deleuzeschen Kinotheorie. Diesem Argument soll nun am Ende dieses Kapitels mit Hilfe einer geo- philosophischen Relektüre nachgegangen werden. Ich möchte im Inter- polieren nicht nur eine filmphilosophische Möglichkeit von HD erkennen, den Menschen „den Glauben an die Welt“ zurückzuerstatten. Gleichsam soll mit der Interpolation ein tiefenzeitliches als historiografisches Prinzip aufgerufen sein, wie es schon in Voyage of Time. Life’s Journey und der anti-teleologischen Welt-Geschichte kennengelernt wurde. Filmgeschichte nach Deleuze kann als Tiefenzeit beschrieben werden, wenn die in der Kinotheorie geäußerte Skepsis gegenüber dem Digitalbild nicht als film- philosophisches Ende und daher teleologisch gewertet, sondern intensi- vierend über Interpolationen und zeitliche Schichtungen gedacht wird. Deleuze etabliert in seiner Kinotheorie Filmgeschichte als komplexes temporales Geflecht verschiedener in Beziehung zueinander tretender Zeitschichten: eine Realhistorie (z.B. der Zweite Weltkrieg), eine medien- technisch basierte Zeit (z.B. 24 Einzelbilder pro Sekunde) und eine film- ästhetische Zeit (z.B. das Kristallbild als Zeitspaltung). All diese Tempo- ralitäten haben ihre eigene Dauer, d.h. ihre eigene Entwicklung und Veränderung in der Zeit, die nun aber ein filmphilosophisches Konzentrat ergeben, wenn sie sinnstiftend zu einem bestimmten Zeitpunkt, an einem bestimmten Ort zusammenfallen. Dann beginnt der Film nach Deleuze zu denken, wie es in der Kinotheorie durch den Übergang der Bildtypen vom Bewegungs- zum Zeit-Bild geschieht. Dieser Übergang wird als Bruch auch durch die zwei Bücher inszeniert, in die sich Deleuzes Kinotheorie gliedert: Während in Das Bewegungs-Bild: Kino 1 eine sich konventionalisierende, auf Kontinuität ausgerichtete Filmästhetik im Zentrum steht, widmet sich Das Zeit-Bild: Kino 2 der paradigmatischen Überwindung dieser vorgefahrenen Ästhetik, die, so wurde es oben schon ausgeführt, auf der durch Zeit- sprünge exponierten Paradoxie der Bewegung beruht. Im Zeit-Bild können neue Bildformen mit einer solchen Vehemenz identifiziert werden, dass sich das Kino scheinbar noch einmal ganz von vorne denken und neu erfinden lässt. Dabei „behauptet sich“ der Film gegen vorhandene Bild- klischees. Der Riss zwischen Bewegungs- und Zeit-Bild ist ein Bollwerk Interpolieren 287 gegen einen (Bild-)Dogmatismus, die Entwicklung der Filmsprache als einsetzender „Kampf“ gegen denselben zu verstehen. Die mit dem Zeit-Bild aufkommende Filmphilosophie ist auf diesen Riss zu bringen, der nicht nur im Übergang vom Bewegungs- zum Zeit-Bild, sondern auch medial im Paradox der Bewegung und gleichsam in der soziokulturellen Entfremdung der Menschen (z.B. in der Nachkriegszeit) zu ihrer Wirklichkeit angelegt ist. Marie-Claire Ropars-Wuilleumier (1999, 259–260) stellt die einleuchtende These auf, dass sich die Kinobücher und die darin angelegte Filmsprachen- entwicklung mit Deleuzes Proust-Analyse vergleichen lassen. In Proust und die Zeichen (Deleuze 1993d) befindet sich ein zweiter Anfang des Textes in der Mitte des Buches, passend zu einem Philosophen, der Anfänge und Enden meidet und ein Denken der Mitte fordert. Deleuze formuliert nach seiner ersten Begegnung mit Guattari die Gedanken, die er gerade in einem Buch zu Ende gebracht hatte, noch einmal um, sodass sich diese besondere Form als „wiedergutmachende Auseinandersetzung mit dem Vorhandenen“ lesen lässt, wie es Ropars-Wuilleumier dann in Bezug auf die Kinobücher ausarbeitet. Das Zeit-Bild würde rückwirkend die „nackte ‚Wahrheit‘ des Kino-Bildes offenlegen, während der erste Teil die Klassifizierung der Variablen durchgeführt hatte“ (Ropars-Wuilleumier 1999, 259). Ropars- Wuilleumier spricht von einer „Überblendung“: „eine rückblickende Ent- hüllung“ (ebd., 258), die den Erkenntnisprozess braucht, um grundlegende Wahrheiten zu Tage zu fördern. Das Affektbild in seiner Ähnlichkeit zum Zeit-Bild kann so z.B. als eine Vorahnung oder eine retronyme Iden- tifikation bestimmt werden, die etwas andeutet, was aber ihre Relevanz und filmphilosophische Erkennbarkeit erst unter bestimmten historischen Bedingungen oder nur in Konfrontation mit etwas oder jemanden, das/der/ die zum Denken zwingt, ablesbar werden lässt. An dieser Stelle setzt eine Kritik an der Deleuzeschen Kinotheorie ein, die am prominentesten wohl von Jacques Rancière geäußert wurde. Für ihn sind die ontologische Naturgeschichte der Bildtypen und die sozio- historische Bedingung, die das Zeit-Bild als einen filmhistorischen Ent- wicklungsschritt hervorbringt, nicht zusammenzudenken (2006, 109). Rancière nimmt die Immanenzebene zum Anlass, Deleuze die Intention abzusprechen, eine Filmgeschichte schreiben zu wollen (ebd., 112). Die filmästhetische Entwicklung hätte vielmehr einen kosmologischen Wert (ebd., 109), der schwerlich auf einen konkreten zeitgeschichtlichen Moment herunterzubrechen sei. V.a. wehrt sich Rancière gegen eine für ihn teleologisch anmutende Entwicklung des Films vom Bewegungs- zum Zeit-Bild, die er in der nicht eindeutigen Zuordnung der gleichen Filmbei- spiele zu beiden Bildtypen als entlarvt betrachtet (ebd., 112). Anhand eines 288 High Definition romantischen Kunstverständnisses argumentiert er, dass der Film immer schon und nicht erst mit dem Zeit-Bild Filmphilosophie sei, weil er seine eigene Konstitution permanent über ästhetische Formationen, das von Rancière (2008) bezeichnete „ästhetische Regime“ der Kunst, hinterfragt (2006, 112). Wie Augustín Zarzosa (2001) in seiner fundierten Studie einer transver- salen Schichtung der Kino-Bildtypen bei Deleuze verdeutlicht, sind die ontologischen Bedingungen für das Aufkommen des Zeit-Bildes durch die Immanenzebene schon angelegt, darin liegt kein Zweifel. Jedoch müssen bestimmte Verdichtungen auftreten, um das filmphilosophische Potenzial freizusetzen (ebd., 46). Nicht jedes Stück Film ist folglich automatisch zum selben Grad medienreflexiv intendiert. Mit Rancières Vorwurf, ein spe- zifischer Film sei in der Deleuzeschen Filmgeschichte mehr als „einer“ Bildklassifizierung zugeschrieben, würde, so Zarzosa, zudem ein Deleuze- typisches Denken von „Teil und Ganzem“, Partikularität und Klassifikation übergangen (ebd., 47). Denn das Partikulare wie ein bestimmter Film und ein größerer Zusammenhang wie die Filmgeschichte gehen für Deleuze nicht einfach so ineinander auf oder lassen sich eindeutig aufeinander beziehen. Film und Filmgeschichte bedingen und entfremden sich hin- gegen gegenseitig, nähern sich einander an und sind nur graduell zu unterscheiden. Ich möchte nun Ropars-Wuilleumiers „rückblickende Enthüllung“, Rancières Unbehagen und Zarzosas Schichtenanalyse als in der Deleuzeschen Kino- theorie angelegtes hochkomplexes Zeitgefüge produktiv umwerten, und zwar in Bezug auf ihr vermeintliches Ende. Dazu muss eine konzeptionelle Substitution stattfinden: Die zeitlichen Risse, Brüche und Intervalle sind vielmehr als Möglichkeiten zur Interpolation zu verstehen, die kon- tinuierliche Bezüge zwischen verschiedenen Bildtypen, gleichen Film- beispielen, singulären Momenten in der Geschichte herstellbar machen und zu einer zeitlichen Intensivierung und Schichtung führen. Der über das Licht/Kristallisieren und an den Filmen Malicks exemplifizierte Bezug zwischen Immanenzebene, Affektbild und Zeit-Bild wäre als eine solche Verdichtung auslegbar. So ist die Kinotheorie Deleuzes dann auch nicht als filmgeschichtliche Teleologie zu lesen, die sich evolutionär immer weiter aufbaut oder mit dem Digitalbild vermeintlich zu einem Abbruch kommt. Die von Deleuze (1997b, 340) prognostizierte Wegschere in Bezug auf die elektronischen und digitalen Medien, die eine Entwicklung des Kinos vor die Entscheidung zwischen Tod oder Veränderung stellt, ist zudem ein- deutig vergleichbar mit der Umbruchsituation zwischen Bewegungs- und Interpolieren 289 Zeit-Bild: Im elektronischen/digitalen Bild müsste gleichsam ein gegen die ästhetische Konvention antretender „Wille zur Kunst“ manifest werden, den „wir bereits in dem Wandel erkannt [hatten], der die intelligible Materie des Kinos selbst betrifft: die Ersetzung des Bewegungs-Bildes durch das Zeit-Bild“ (ebd.). An diesem Anspruch, so gibt es der Vergleich von Deleuze vor, müsste sich das elektronisch/digitale Bild messen bzw. bewähren, um filmphilosophische Qualitäten zu entwickeln. Mit seiner Skepsis gegen die neue Bildtechnik provoziert Deleuze eine weitere Befragung vorhandener Dogmatismen (in diesem Fall: des Zeit-Bildes). Diese erneute Befragung kann nun, unter den hier vorgeschlagenen Vor- zeichen, als ein weiterer „Faltenwurf“, eine weitere Sedimentschicht im komplexen Zeitgeflecht der Deleuzeschen Kinotheorie verstanden werden, um im Sinne einer „rückblickenden Enthüllung“ ein weiteres Mal Film- geschichte in ihren Grundpfeilern zu erschüttern. Dieses Potenzial legt Deleuze mit dem Vergleich zum Übergang vom Bewegungs- zum Zeit-Bild in seiner Kinotheorie zumindest an. Die Skepsis, die er den neuen Medien- techniken entgegenbringt, ist dann vielmehr eine Aufforderung, den Film ein weiteres Mal „zum Denken zu zwingen“ und weniger die häufig auf- gegriffene Absage an die neuen Bildformen und der heraufbeschworene Tod des Kinos. Die neuen Techniken müssen sich nur erst formieren, und zwar unter dem nicht niedrig gesteckten Anspruch, die gesamte Film- geschichte und die Filmästhetik ein weiteres Mal und aufs Neue auf- zurütteln. Die exzessiven Diskussionen um das Post/Cinema, die sich der Aufarbeitung einer Instabilität des Filmischen zelebrierend hingeben, könnten als Indiz für eine solche Fortsetzung der Deleuzeschen Kinotheorie gelten. Versteht man das Ende der Filmphilosophie also vielmehr als neuen Übergang, aufgerufen durch die Konditionen einer post/digitalen Medien/ Immanenz und die Möglichkeit rückblickende und vorausschauende Bezüge zwischen verschiedenen Zeitlichkeiten zu etablieren, dann verhalten sich nicht nur die HD-Bilder Malicks kontinuität/intensivierend, sondern auch die Deleuzesche Filmgeschichte. Auch hier verdichten sich Bildtypen, wie das kennengelernte Licht/Kristallisieren, und offerieren ein analytisches wie filmphilosophisches Gerüst für die digitalbildlichen Ausprägungen des Films. Eine solche Umwertung hin zu einer kontinuität/intensivierenden Filmhistoriografie möchte ich nun weiterdenken als eine von Deleuze und Guattari (2000, 97–131) aufgerufene und oben schon angerissene „Geo-Philosophie“. 290 High Definition Tiefenzeit des Films Mit der Geo-Philosophie koppeln Deleuze und Guattari Denken einerseits an einen soziohistorischen, andererseits aber auch einen geologischen Raum, im Hinblick auf das in Kapitel 3 schon dargelegte Geschichtsver- ständnis nach Fernand Braudel, und beharren dabei auf eine explizite Ver- räumlichung von Begriffen, Erkenntnis und Gedanken (ebd., 97). Deleuze und Guattari fragen, wie die „fraktale Struktur“ (ebd., 99) Griechenlands Einfluss auf die Philosophie nimmt, die sich dort als „Immanenzmilieu“ (ebd., Hervorhebung im Original) verfestigt. In gleichem Maße kann in Bezug auf die Kinotheorie gefragt werden: „Warum entsteht die [Film-]Philosophie in genau diesem Augenblick … an diesen bestimmten Orten?“ (ebd., 109). Aus demselben philosophiegeschichtlichen Grund: Der italienische Neo- realismus, der Zweite Weltkrieg, das Dritte Kino, der Postkolonialismus und die Neuen Wellen sind das „Griechenland“ der Filmphilosophie. Die Geo-Philosophie koppelt Denken an eine Erdung und positioniert sich gegen eine Philosophiegeschichte, die auf eine Ursprungsfiktion setzt, von der aus sich das Denken linear und kontinuierlich fortschreiben würde. Deleuze und Guattari widerstrebt die Vorstellung, es gebe einen keimhaften Hort, der jegliche Form des Denkens berge. Denken ist mannigfaltig und die Beziehungen der philosophischen Ströme und Richtungen sind keine linearen, kontinuierlichen. Sie basieren auf Rissen, Brüchen und Intervallen. Die Fokussierung auf den Raum bringt Abstände, Differenzen – Zwischenräume – hervor und führt, so Friedrich Balke (1998, 91), „eine gewisse Leere in einen Diskurs ein, der all seinen Ehr- geiz daran setzt, sein Denken als ein fugenloses zu präsentieren“. Mit der Geo-Philosophie wird also im selben Maße wie in der Kinotheorie auf den Bruch gesetzt, um sich gegen eine Continuity zu positionieren. In beiden Fällen geht es weiterhin darum, ein soziokulturelles Milieu nicht als kon- stitutive Basis eines spezifischen Denkens auszuweisen und dennoch zu problematisieren, warum ein bestimmter Zeitraum bestimmte Fragen, Erfahrungen und Gedanken hervorbringt. Die kontingenten Einflüsse, die dann vorherrschen, sind konstitutiv und zwingen zum Denken. Für Deleuze und Guattari (2000, 99–101) ist Griechenland nicht der Ursprung der Philosophie, sondern ein hochkomplexes, materielles Setting, geprägt von einem Netz an sich befragenden, verstärkenden und widersprechenden Einflüssen. Griechenland ist die Dramatisierung eines Denkens als Milieu. Daran anschließend können der Zweite Weltkrieg, die Schoah, der Postkolonialismus und seine Auswirkungen nicht als Ursprung oder die Basis, sondern als ein Netz, ein Milieu eines filmphilosophischen Interpolieren 291 Denkens als Zeit-Bild wahrgenommen werden. Dazu kreieren Deleuze und Guattari ein, in diesem Buch schon gewürdigtes (Kapitel 2.1.), trans- zendentalontologisches Fundament, das aber dennoch keinen Ursprung darstellt: die Immanenzebene. Für den Film ist sie, wie oben mit Bergson beschrieben, das materialisierte Licht als Bildbewegung, in der Philosophie siedeln sich auf ihr verschiedenste Denkformationen an, sie wird von Begriffen und Figuren bevölkert und von diesen affiziert. So können sich in unterschiedlichen soziohistorischen Kontexten verschiedene chinesische, hinduistische, jüdische oder islamische Philosophien ausprägen und auf ihren Differenzen beharren und zugleich graduell wie über Risse, Brüche und Intervalle aufeinander bezogen werden (ebd., 106). Die Entwicklung der Philosophiegeschichte besteht aus situierten Dramatisierungen, aus dem Denken verschiedener Milieus, die genauso wenig evolutionär aneinander- gekoppelt werden können, wie menschliche Trauer an den Urknall oder das Bewegungs- an das Zeit-Bild. Dennoch basieren die Philosophie wie die Bildtypen der Filmgeschichte auf derselben Immanenzebene des Denkens, der Erde und dem Licht, nur finden sie zu unterschiedlichen Zeitpunkten unterschiedliche Ausprägungen und Wirkungen. Die Geo-Philosophie gibt „nicht bloß der historischen Form einen Stoff und variable Orte. Sie ist nicht nur physisch und human, sondern mental, wie die Landschaft“ (ebd., 109). Wie das materialisierte Licht des Films kein transzendentales oder idealistisches Licht des Bewusstseins eines Subjekts oder einer metaphysischen Letztinstanz, sondern das Film/Denken selbst verkörpert, ist die Erde verkörpertes Denken und die Philosophiegeschichte als eine „Sedimentierung von Gedanken“ zu verstehen, wie Michaela Ott (2005, 10) es formuliert. Was weiterhin mit der Geo-Philosophie und dem Bezug zur Erde, zu „Gaia“ (Flaxman 2012, 84) benannt ist, darauf machen v.a. Mark Bonta und John Protevi (2006, 3–45) und Gregory Flaxman (2012, 72–114) aufmerksam, ist eine geologische und archäologische Tiefenzeit und folglich ein Denken in tektonischen Verschiebungen, Ablagerungen und Sedimenten, wie es von Deleuze und Guattari in Tausend Plateaus (1992) durch die Buchstruktur und ein Denken in Gefügen vorgemacht wird. Nicht nur muss daher von vielen soziokulturellen Milieus ausgegangen und sich von einer fugenlosen Philosophiegeschichte abgekehrt werden. Zudem hat die Verräumlichung des Denkens eine eigene komplexe Erdgeschichte, die, so wurde oben schon ausgeführt, so skalar in/variant ist, dass sie unter bestimmten (geologischen) Vorzeichen einzufügende Zwischenwerte benötigt, um sich (für die Menschen) mitzuteilen. Auch darauf referiert eine Geo-Philosophie, die einerseits nicht fugenlos Zeitlichkeiten aufeinander bezieht, andererseits aber Differenzen verfugt und so Verdichtungen 292 High Definition und Intensivierungen zwischen verschiedenen Milieus und Zeitebenen segmentierend und eben auch interpolierend herstellt. Liest man nun gerade aus post/digitaler, medien/immanenter Per- spektive Filmphilosophie als Geo-Philosophie unter Voraussetzung solcher Interpolationen, dann lässt sich von einer Tiefenzeit des Filmischen sprechen. So klang es im Abschnitt 1.1. und den Filmen Malicks schon an: Das Anthropozän ist sinnstiftender Chronotopos, die soziohistorische Bedingung, die ein digitales Kino zum Denken zwingt. Im Rahmen dieser spezifischen Raumzeit (auf einer Linie mit dem antiken Griechenland oder der Nachkriegszeit, dem Postkolonialismus, den Neuen Wellen) muss sich die Filmphilosophie mit ihren Differenzphänomenen bewähren – und das, will sie den Menschen den Glauben an die Welt zurückgeben, über Inter- polation, nicht nur in den Filmen Malicks. Denn die geologische Tiefenzeit von 4,6 Milliarden Jahren ist so skalar in/variant, dass der Zeitraum, in dem Menschen als geologischer Faktor registrierbar werden, nicht mehr als ein zwischengerechneter Wert ist, der bei der kleinsten Maßstabsänderung verschwindet. Dennoch, und demgemäß zeigt sich die film- wie geo-phi- losophische Kompetenz des Interpolierens, ist das Einfügen von Menschen von höchster Relevanz für eine Dramatisierung seines/ihres post/digitalen medien/immanenten Milieus. Denn die Menschen als Wimpernschlag dieser Zeitrechnung haben eine Auswirkung auf den Planeten und seinen überdimensionalen Chronotopos, und zwar mit existenziellen Kon- sequenzen; nicht für den Planeten, sondern für sich selbst. Für sie/ihn ist diese Mikro-Etappe der Menschen auf der Tiefenzeitskala die einzige nachvollziehbare Zeit, die gerade in Bezug auf ihre geologische Vernach- lässigung zum Aktivismus aufruft. Denn was hier außerdem deutlich wird, ist, dass die Interpolation eine notwendige „Überbrückungsstrategie“ der Menschen darstellt, sich in Kontinuitäten wiederzufinden, die auf eine post- humane Diskontinuität, nämlich eine menschenferne Zukunft verweisen. Im interpolierenden Denken der Diskontinuität der eigenen Geschichte kann intensive/Kontinuität zu einer Tiefenzeit und so der Glaube an diese Wirklichkeit hergestellt werden. Ähnlich wie zum Glauben an eine Wirklichkeit durch den modernen Film über Risse und Brüche animiert wurde, ist der Bezug zur Wirklichkeit der post/digitalen Medien/Immanenz durch die filmische Eintragung der Men- schen in HD-Bilder, gleichsam wie in die erdzeitgeschichtliche Tiefenzeit, möglich. Glaube äußert sich daher in einer post/digitalen Medien/Imma- nenz auch durch HD-Formen und -Praktiken der Interpolation in hyper- ästhetische Zusammenhänge, wie es Knight of Cups, Song to Song, Voyage of Time. Life’s Journey und The Tree of Life herausstellten. Filmphilosophie Interpolieren 293 unter diesen Bedingungen kann auf interpolierende Verfahren verweisen, diese über kontinuität/intensivierende und licht/kristallisierende HD-Bilder anbieten, aber auch selbst dieser zeitlichen Logik entsprechen: Dann ist Filmgeschichte filmphilosophisch weder als Entwicklungsgeschichte noch über Abbrüche oder Paradigmenwechsel zu werten, sondern als Geo-Phi- losophie und demgemäß als filmgeschichtliche Tiefenzeit, die verschiedene Ausprägungen oder Dramatisierungen – Bewegungs-Bild, Affektbild, Zeit- Bild, … – wie Sedimente zueinander in Beziehung bringt und zwischen ihnen interpolierend Intensivierungen und Kontinuitäten herstellt. 294 High Defi nition Abbildung 4.5. (Quelle: Collage aus Filmstills. Malick, Terrence. 2015. Knight of Cups) Abbildung 4.6. (Quelle: Collage aus Filmstills. Malick, Terrence. 2017. Song to Song) Interpolieren 295 Abbildung 4.7. (Quelle: Collage aus Filmstills. Malick, Terrence. 2016. Voyage of Time. Life’s Journey) [ 5 ] Epistemologisch/Zoomen Die Neurobiologie und Psychologie gehen davon aus, dass das mensch- liche Empfinden von Jetztzeit in Drei-Sekunden-Intervalle getaktet werden kann. Drei Sekunden dauert für die Menschen „ein Moment“ und in dieser Zeitspanne werden Reize integrativ, d.h. als eine Sinneinheit, verarbeitet (Pöppel 1987). Ein Satz, eine Bewegung, ein Gefühl würden sich über diese Sequenz als qualitativ Ganzes fassen lassen. Evident ist, dass eine solche Maßeinheit, v.a. durch das Aufkommen der technischen Medien und der einhergehenden Mikrozeiten, in ihrer Stabilität befragt werden kann – ein Prozess, der in diesem Buch mit dem Konzept der Post/Perzeption begriffen wird. 3“ – Drei Sekunden Verarbeitet die menschliche Kognition z.B. gerade die Bedeutung dieses Halbsatzes, so kann im selben Zeitraum eine Naturkonstante wie das Licht eine Distanz von 900.000 Kilometern zurücklegen. In drei Sekunden könnte das Licht dabei kriminelle Verstrickungen – z.B. Wettmanipulation, Mord und Kunstschmuggel –, die sich über extreme räumliche Distanzen erstre- cken und verspinnen – z.B. vom Stadtapartment zum Fußballstadion, zum Flugzeug, zum Mond und zurück –, „beobachten“ bzw. belichten. Genau das passiert in drei Sekunden – 3“ (2012) – in einer digitalen Animation des Cartoonisten Marc-Antoine Mathieu. 3“ folgt einem Photonenflug, der den genannten und weiteren Phänomenen beiwohnt. Doch werden diese nicht nachvollziehbar, in einer narrativen Einheit, sie werden nicht 298 High Definition in einer argumentativen Reihung präsentiert. Die Animation, die selbst- redend nur drei Sekunden lang dauert, ist ein schnelles Zooming, das über einen visuellen Sog den/die Betrachter/in in die Mitte des Bildes zieht. „Zu sehen“ sind 602 vorbeirasende, aufflackernde schwarzweiße Standbilder. In drei Sekunden lässt sich deren Inhalt nur erahnen, schwerlich kognitiv verarbeiten, geschweige denn die kriminellen Machenschaften auflösen. Darum scheint es nun aber mit 3“ zu gehen: um die Auflösung eines Krimi- nalfalls. Doch die Geschwindigkeit der Bildwiedergabe, die die Schnelligkeit des Lichts in Form des Zoomings visualisiert, übersteigt das Auflösungsver- mögen seiner Rezipient/innen. 3“ bietet selbst eine Lösung für diese überbordende, post/perzeptuelle Situation an. Das Zooming ist, so macht es die Selbstbeschreibung der Animation deutlich, konzipiert als ein Spiel. 3“ will den/die Betrachter/ in verstricken, gewährt Eintritt in die synthetische Ansicht und fordert auf, sich frei in der Scheinbewegung aufzuhalten. Tools wie Maßstäbe oder Zeitpfeile helfen, die Zoombewegung zu verlangsamen, sogar zu stoppen, vor und zurück zu navigieren. Durch das Eingreifen in das Zoo- ming vollzieht sich eine epistemologische Streckung der drei Sekunden. Es wird ein Interesse, eine Aufmerksamkeit, ein investigativer Blick in die Scheinbewegung interpoliert, ähnlich wie beim filmischen Prototyp einer sich ins Bild vertiefenden Investigation: dem schon aufgeführten Blow Up (Kapitel 1.1.). Im letzten Kapitel wurde versucht, über filmästhetische Formen eine HD-Bildoperation der Interpolation zu beschreiben. Im Sinne einer Filmphilosophie sollte das filmästhetische Interpolieren eine Möglichkeit aufzeigen, Menschen in einer Too Much World, einer post/ digitalen Medien/Immanenz, eine sinnspendende Beziehung zur Wirklich- keit zu ermöglichen. Auch im Falle von 3“ hat die Interpolation sinnkon- stitutive Relevanz. Indem das Zooming gestoppt wird, integriert sich der/ die Betrachter/in mit seinem/ihrem Erkenntnisinteresse in die Bilder und fördert so womöglich die Aufklärung des Mordfalls zu Tage. Verlangsamt man also die Bilder, so lässt sich erkennen, dass das Zooming skalar invariant (und nicht in/variant) Distanzen überwindet, aber nie an eine Bildgrenze gelangt: Alles, was zu sehen ist, ist gestochen scharf, gut im Schwarzweiß-Kontrast hervorgehoben und figural als Menschen, Dinge, Räume erkennbar. Das Zooming scheint bei konstanter Auflösung infinit in die Bildtiefe möglich. Auch durch die zeitliche Dehnung geht die Schärfe der Ansicht nicht verloren. Was jedoch entzogen wird, ist Bewegung; ein- hergeht eine Konvertierung der Scheinbewegung in aufeinanderfolgende Standbilder, die noch mehr Überblick über die verzweigte Narration bieten, wenn man sie in ein Raster an separierten Einzelansichten auffächert: Epistemologisch/Zoomen 299 Das digital animierte Zooming gibt es auch als Comic1, oder vielleicht ließe sich auch von einer Chronofotografie des Zoomings sprechen, d.h. der Reihung einer Bewegung zerlegt in Einzelbilder. Dem Zooming weiter ins Bild gefolgt, stößt der/die Betracher/in plötzlich an visuelle Grenzen – keine Pixel, sondern figurierte Reflexionsflächen im Bild wie Spiegel, Fenster, Linsen, metallische Objekte wie Siegerpokale, verspiegelte Sonnenbrillen- gläser und Goldzähne. Diese stoppen die Zoombewegung, beugen sie und lenken sie in eine andere Richtung weiter (siehe Abb. 5.1.). An der Kreuzung zweier hoch visueller Phänomene, dem Zooming und der Reflexion, kann die Konsistenz des Auflösungsvermögens „entlarvt“ werden. Sobald das Zooming reflektiert wird, setzt sich nicht die vorherige Bewegung fort, sondern eine neue Scheinbewegung ein. Die Reflexions- bilder reihen Zooming an Zooming und verhindern, dass eine unaufhalt- same Scheinbewegung an die materiellen Grenzen des Bildes gelangen würde. Dadurch entsteht der informationsdichte Eindruck einer kon- sistenten Bewegung in die Bildtiefe, die ohne Unschärfe das Dargestellte visuell eindeutig, aber durch die Schnelligkeit der Darstellung trotzdem unzugänglich präsentiert. 3“ verschaltet das Zooming als Photonenflug mit der Diffraktion von Licht auf Spiegelflächen und bietet eine Form der Intensivierung an, wie sie im vorherigen Kapitel entfaltet wurde: Ein Licht/ Kristallisieren, das einen „Strauß“ an unterschiedlichen Zoombewegungen mit der skalaren In/Varianz der Hochauflösung kontinuierlich (d.h. in diesem Fall skalar invariant) ausstellt. Jedes Zooming ist auf eine Reihe an Einzelbildern zu bringen, die als Cluster zusammengefasst und durch die „besonderen“ Reflexionsbilder voneinander getrennt werden können. Vielleicht könnte man diese auch als Keyframes identifizieren – die Ansichten, die alle Informationen einer Bewegung bei der Prozessierung enthalten und als die integersten Formen im Digitalbilderfluss verstanden werden. Die reflexiven Keyframes und das Zooming machen in 3“ zwei unter- schiedliche, zunächst konträr wirkende, sinnstiftende Angebote, die ich im Folgenden auf den Begriff des Epistemologisch/Zoomens bringen möchte: Konträr sind die Sinnstiftungen von 3“ erstens, weil der/die Betrachter/in durch die schnelle Scheinbewegung in das informationsdichte Bildinnere gezogen wird. Das Zooming lässt dabei weniger ein Gefühl des Überblicks entstehen als eines der post/perzeptuellen Überforderung. Es ließe sich von Schwindel und einem Vertigo-Effekt sprechen und an einen Zustand 1 Das Zooming existierte zunächst als Animation, wurde auch als solche konzipiert und dann im Anschluss als Comicbuch aufgelegt (Demets 2011). 300 High Definition anschließen, der auch im vorherigen Kapitel mit den Filmen von Terrence Malick erörtert und als ein genuin post/digital medien/immanenter aus- gewiesen wurde. Das narrative Setting der Kriminalgeschichte und die dem Zooming an die Seite gestellten Tools zur Bildbearbeitung offerieren nun aber zweitens die Möglichkeit des Standhaltens gegenüber dieser post/perzeptuellen Überforderung. Die Animation scheint zu verlangen, dass man dem Flow der Bilder begegnet und nicht bei der immersiven Scheinbewegung stehen bleibt. Nicht nur mit Hilfe des digitalen Hand- werkszeuges, sondern auch mit außerbildlichen, analogen Hilfsmitteln wie Lupe und Spiegel soll auf das Zooming zugetreten werden, um den/ die Mörder/in aufzuspüren. Der intermediale Bezug zwischen digitaler Ani- mation und Comic verdeutlicht die Aufforderung zur Sequenzialisierung. Jedes Keyframe könnte so als Ermahnung gelten, eine eigene Bewegung ins Bild zu starten, eine Vertiefung in die stillgelegten Zeitpunkte des 3“-Zoomings. Die Potenziale der Hochauflösung – in 3“ die skalar in/variante, kon- tinuierliche Auflösung unterschiedlicher Scheinbewegungen –, lassen sich als Angebot zur erkenntnisgeleiteten Auflösung – des Mordfalls – beschreiben. Die stabil wirkende Auflösung fungiert sozusagen als epistemologischer Anker oder Aufruf, sich in die Bilder mit investigativem Interesse einzufügen und den immersiven Bilderfluss des zoomenden Too Much Image zu stoppen. Die Arretierung der Bewegung macht jedes Einzelbild zu einem neuen informationsdichten Too Much Image, mit der Aufforderung sich weiter in das Bildangebot zu vertiefen und die nächste Scheinbewegung zu starten. Vom Effekt der schnellen Bildbewegung lässt sich zu einem erkenntnisgeleiteten „In-Bewegung-Setzen“ des Bildes kommen: Image Processing als Erkenntnisprozess. Epistemologisch/Zoomen 3“ ist eine digitale Animation und fungiert in ihrem Konstruktivismus und in ihrer Fiktionalität als Modell für ein medienphilosophisches Image Processing, das ich im Folgenden ausführen will: das Epistemologisch/ Zoomen. Was in 3“ auf die zwei Bildformen – Reflexion und Zooming – gebracht werden kann, wird im Folgenden konzeptuell mit dem Begriff ein- gefasst. Zooming, so soll mit der Theorie von Vivian Sobchack argumentiert werden, steht für eine aufmerksamkeitsgeleitete Beziehung zu einer bildlichen Wirklichkeit. Hier markiert der Schrägstrich eine Tautologie oder Bestärkung: Das Zooming ist erkenntnisgeleitet. Eine erhöhte Achtsam- keit kann umgekehrt im Film auf Zoomings gebracht werden. Gleichzeitig Epistemologisch/Zoomen 301 kann mit Epistemologisch/Zoomen von einer Effekthaftigkeit, wie sie der Scheinbewegung v.a. im Kontrast zur Kamerafahrt immer wieder von der Filmtheorie nachgesagt wird, abgekommen und jenseits dieser Zuschreibung als Bildpraxis verstanden werden. Diese, so soll im Folgenden ausgeführt werden, tritt nicht im Sinne einer hegemonialen, skopistischen Blickführung auf. Epistemologisch/Zoomen ist kein Teleskopblick, der alles sieht bzw. voyeuristisch in das zu Betrachtende eindringt und es einem bemächtigenden Begehren unterstellt. Durch das Epistemologisch/Zoomen soll eine Bildästhetik als Bildpraxis beschrieben werden, die nicht mehr als einen Versuch darstellt, eine hochgradig chaotische, expandierende, diffraktionale, beschleunigende Wirklichkeit überhaupt erst einmal zu „betreten“, diese zu befragen und zu erforschen. Der Schrägstrich steht für ein gegenseitiges onto-epistemologisches Kommentieren und Spezifizieren post/digitaler medien/immanenter Möglichkeiten, Erkenntnis in Bild/Wirk- lichkeiten zu gewinnen. Eine Annäherung an das Epistemologisch/Zoomen soll zunächst über den bekannten Digitalzoom, der Bildbewegung auf Google Earth, statt- finden. Nicht nur Google, sondern das Zooming als Visualisierungsform für Bewegungen über den Planeten ist Anlass für vehemente Kritik, z.B. von Bruno Latour. Die Hauptargumente der Latourschen „Anti-Zoom-Kam- pagne“ sind eine generelle Abneigung gegen Darstellungsversuche der Ganzheitlichkeit, des Großen und, nun speziell auf das Zooming bezogen, die Problematik einer vermeintlichen Invarianz von Größenordnungen. Das Zooming suggeriere den absoluten Überblick und eine universale Kon- tinuität zwischen den Dingen und könne in einen kulturwissenschaftlichen Kontext des Planetarismus gestellt werden. Im ersten Unterkapitel 5.1. sollen anhand der Google Earth, dem ikonischen, von Charles und Ray Eames ins Leben gerufenen Zooming Powers of Ten (1977) und der Kritik Latours die Bedenken gegenüber dieser Bildlichkeit eingeschätzt werden. Dabei soll die These formuliert werden, dass das digitale Zooming als das Weltbild der post/digitalen Medien/Immanenz gelten kann, welches seine Spezifik nun gerade darin hat, Zooming und interpolierende Bildeingriffe zu kombinieren, so wie sie auch in 3“ offengelegt wurde. Ich möchte im folgenden Abschnitt ein Epistemologisch/Zoomen durch HD weiterhin mit einer Genealogie an Weltbildern aus dem soziohistorischen Kontext der 1960er-Jahre zusammenbringen. Erstens mit dem Whole Earth Catalog (1968), einem Independent-Magazin, das gleichsam einen ver- meintlichen Skopismus mit weltveränderndem und weltverstehendem Aktivismus, einem „Eingriff in diese Welt“, verbindet. Zweitens möchte ich das Epistemologisch/Zoomen an die medienästhetisch/-geschichtliche 302 High Definition Verortung der Scheinbewegung im Kontext von Film und Fernsehen anschließen. Anhand von Haskell Wexlers Film Medium Cool (1969) und der Fernsehberichterstattung während der amerikanischen Präsidentschafts- wahlen 1952 kann auf eine dokumentarische und journalistische Kom- petenz des Zoomings als Bildpraxis und seinen starken Wirklichkeitsbezug eingegangen werden. Zooming hat dann weniger etwas mit Überblick zu tun als mit einer Verortung innerhalb einer überfordernden Medien/ Immanenz. In einem Dreischritt über die Kapitelgrenze hinweg möchte ich mich mit dem letzten Befund an einer Revalorisierung der Zoomästhetik als Epistemologisch/Zoomen versuchen. Im Anschluss an die Kritik Latours und mit der Bezugnahme auf einen dokumentarischen Einsatz von Zoomlinsen kann die Scheinbewegung erstens als eine Bildpraxis (und nicht nur als illusorische Ästhetik) erkannt werden, mit der versucht wird, in einem unübersichtlichen Milieu on Location überhaupt irgend- etwas zu sehen. Zooming ist dazu da, Blickschneisen freizukämpfen und das durchaus im politisch-aktivistischen Sinne. Dieser Befund soll zweitens in Kapitel 5.2. ins „digitale Milieu“ übertragen werden, genauso wie der dokumentarische Anspruch des Zoomings. Nun stehen Desktop Documentaries im Zentrum der Analyse, exemplifiziert durch Kevin B. Lees Transformers: The Premake (2014), in dem Lee überfordert umherzoomt, um Erkenntnis zu erlangen und Counter-Images zu produzieren. Drittens soll die Art und Weise, wie mit Wissen und Information in der Desktop Documentary umgegangen wird, exemplarisch für eine Schnittstelle der digitalen Wirklichkeit stehen. Was Transformers: The Premake methodisch reflektiert, ist ein generischer Umgang, der sich einstellt, sobald man sich gegenüber den ubiquitär vorhandenen, skalierbaren Benutzer/innenober- flächen in der post/digitalen Medien/Immanenz befindet. Hier soll gezeigt werden, dass diese Benutzer/innenoberflächen gerade nicht auf eine über- blickshafte Perspektive und eine Zusammenhänge aufdröselnde Einsicht zu bringen sind. Mit Transformers: The Premake, dem Visualisierungs- und Präsentationsprogramm Prezi und kunstwissenschaftlichen Anwendungen, wie Inside.Bruegel, findet das Too Much Image als informationsdichte „Lein- wand“ seine Theoretisierung, in die sich über Zoomings vertieft werden kann. Die Erkenntnis, die aus diesen Beispielen erlangt werden soll, ist, dass die Ansicht des vermeintlichen „Ganzen“, wie sie mit einer planetarischen Blickposition des Zoomings aufgerufen ist, unter Bedingungen der Hoch- auflösung keinen hegemonialen Überblick anbietet. Die Datendichte ist zu überbordend, um sie beherrschend fassen zu können. Daher Epistemologisch/Zoomen 303 ergeben sich Potenziale der Hochauflösung gerade im Prozess und in der Relationalität der vielen Differenzen und Teile, die nicht in einer Bild- bewegung zusammengefasst, sondern als viele Scheinbewegungen iden- tifiziert werden können, so wie es 3“ vorgibt. Das post/digitale, medien/ immanente Weltbild ist dann ein Zooming, aber ein in Abschnitt 5.2. kennenzulernendes kosmisches Zoom-Out, welches stabile Blickpunkte zu marginalisierten Pixeln rendert, vermeintlich handhabbare Details im Auflösungsspektrum verschwinden lässt und so einen Zustand erzeugt, der als ein Mitten/im/Zooming/Werden zu spezifizieren sein wird. Mitten/im/ Zooming/Werden bedeutet, sich auf einen forschenden aber subjektlosen Blick einzustellen, der das Verhältnis von Theorie und Gegenstand nicht hierarchisch abbildet und repräsentiert, sondern sich und dieses Verhältnis zuallererst hervorbringt und damit eine epistemologische Interpolation deutlich macht. 304 High Defi nition Abbildung 5.1. (Quelle: Screenshots. Mathieu, Marc-Antoine. 2012. 3” ) Epistemologisch/Zoomen 305 5.1. In Weltbildern zoomen Gäbe es ein Weltbild der post/digitalen Medien/Immanenz, einer Too Much World, wie würde es aussehen? Vielleicht so: Seit dem 28. Juni 2005 zeigt sich ein freigestellter, drehender, digital animierter Globus vor schwarzem Hintergrund beim Öffnen der Google-Earth-Anwendung.2 Der Erdrotation in einem Schwenk folgend liegt der digitale Planet als diese formvollendete, gut ausgeleuchtete Kugel inmitten des Browserfensters. Ein sphärischer Schimmer setzt ihre Kontur noch stärker von der dunklen Fläche ab. Das Bild des digitalen Globus vor schwarzem Grund ist gerahmt von einer wissenschaftlich anmutenden „Infrastruktur“, die an etwas altmodische PC-Dateimanagerprogramme erinnert. Auf der linken Seite säumt grauweiß abgesetzt eine Taskleiste das Fenster, mit Suchfeld und einer Verzeich- nisstruktur, die gespeicherte Orte und Sucheingaben thematisch ablegt. Genauso organisiert sind Ebenen, die den digitalen Globus mit „kulturellen Rastern“, wie Ländergrenzen oder Siedlungsgebieten, mit „medialen Rastern“, wie 360-Grad-Ansichten und Google-Maps-Fotos, oder mit „politischen Rastern“, sogenannten „Global Awareness Layers“, mit einem Klick überziehen. Eine Symbolleiste am oberen Rand des Browserfens- ters gibt die Möglichkeit in die Vollansicht zu gehen, Ortsmarkierungen hinzuzufügen, Polygone zu erstellen, Pfade und Touren einzutragen und individuelle Erkundungen der digitalen Erde als Screencast mit der com- puterinternen Bildschirmkamera abzufilmen und zu speichern. Weiterhin kann mit einem Zeitpfeil bis in die 1930er-Jahre zurückgegangen und so historisches Satellitenbildmaterial von verschiedenen Orten auf der Erde gesichtet werden. Karten können als PDF, JPEG, CSV oder im in der Geo- grafie gängigen GPX-Format mit eigenen Legenden versehen, erstellt, gespeichert und geteilt werden. Durchaus auf eine professionelle, in kartografischer Hinsicht sogar wissenschaftliche Art und Weise, wird dem digitalen Planeten auf Google Earth mit den genannten Tools begegnet (siehe Abb. 5.2.). Doch was die Google Earth vielleicht sogar zu einer Ikone der post/ digitalen Medien/Immanenz macht, ist die Zoomfahrt, die die Betrachter/ innen von der Draufsicht zu bestimmten Orten auf dem Planeten trägt. Mit beschleunigender Geschwindigkeit wird vom kosmischen Standpunkt aus losgefahren und durch eine Abbremsung beim zu lokalisierendem 2 Die folgenden Beschreibungen beziehen sich auf die 7.3.2. Version von Google Earth. Die erste Version von 2005 (Google Earth 3.0) unterscheidet sich in der planetari- schen Ansicht kaum, jedoch aber in ihren Features und Funktionen. Um die Frage nach digitaler Praxis im Umgang mit Bildlichkeit zu besprechen, fiel daher die Ent- scheidung auf die aktuellste Variante. 306 High Definition Detail auf der Erde gestoppt. So gelangt man von der sphärischen Kugel zu einem kartografischen Überblick. Im Flug ziehen blaue, grüne, braune und manchmal weiße Pixelcluster vorbei, bis der gesuchte Punkt in einer hochaufgelösten Luftbildaufnahme durch das rote Google-Fähnchen markiert erscheint. Muss dabei von der nördlichen in die südliche Hemi- sphäre übergegangen werden, dann findet die Bewegung nicht ver- tikal im Lot statt, sondern in der Drift des Planeten. Der Blickpunkt der Scheinbewegung wird zum Trabanten und dockt sich an die Erddrehung. Genauso geschieht es, wenn sich schon auf der digitalen Erde verortet wurde und z.B. von New York City, USA nach Pelling in Sikkim gezoomt wird. Es wird mit rasanter Geschwindigkeit abgehoben, die Erde zieht in einer parabelhaften Trajektorie vorbei und dann stürzt der Blickpunkt wiederum auf den Zielort hinab. Je nach „Granularität“ der Eingabe endet das Zooming bei einer überblickenden Distanz zur Lokalisierung. Man endet nicht in, sondern über der Suchanfrage. Bei einem Zoom auf Tibet ist der relative Maßstab3 größer, als wenn das Grand Café am Boulevard des Capucines in Paris anvisiert wird. 3D- und Detailaufnahmen von Sehens- würdigkeiten, privates Zusatzbildmaterial von User/innen, 360-Grad- Fahrten und Spaziergänge reichern mit zunehmender Versionengeschichte die Aufsichten und die durch das Google-Earth-Zooming unternommenen „Raumfahrten“ auf der Mikroebene an und ermöglichen es, dieselben mit teilhabenden Einblicken vermeintlich zu komplementieren, indem sie kon- kretisiert und personalisiert werden. So verschalten sich ein kosmologischer und ein persönlicher Blick in einer „Global Intimacy“, wie Vittoria di Palma (2009, 263) die Google Earth beschreibt. Das Kleine und das Große, das Private und das Globale, das Abstrakte und das Konkrete würden über die Kontinuität der skalaren In/Varianz des Zoomings miteinander vernäht werden. Die extreme Popularität des Programms gründe auf dieser Scheinbewegung, so di Palma, die ihren Reiz im Rausch und im Schwindel hat, wenn der/die Betrachter/in im virtuellen Flug über den digitalen Planeten saust (ebd.). Im vorherigen Kapitel sollte aus einer filmphilosophischen Perspektive dargelegt werden, dass der Status der Menschen in einer post/digitalen Medien/Immanenz ein prekärer ist. Ihre instabile weil skalar in/variante 3 Das Programm gibt die Möglichkeit, Standardvideoformate – PAL, NTSC, HDTV – als Ansichtsgröße einzustellen, die aber bei flexiblen Programmfenstern der Bildschirm- ansicht nicht wirklich Sinn machen. Erst wenn eine Zoomfahrt und eine Bewegung auf dem Globus als digitale Animation gespeichert werden, werden diese Formate relevant. Auch bei der Standbildausgabe kann nochmals eingestellt werden, in welcher Auflösung das JPG gespeichert werden soll. Epistemologisch/Zoomen 307 Position ist von einer Verbindung zur Wirklichkeit gekennzeichnet, die nicht mehr auf Schnitten oder Brüchen beruht, sondern auf ästhetischer Inter- polation, dem medialen Einschreiben in datendichte Vorgänge, die ihn/sie längst überholt haben. Das sollte über die HD-Bilder der jüngeren Filme Malicks deutlich werden. Wie es Thomas Morsch in seinem Überblick zu den post/kinematografischen Positionen entfaltet, laufen filmästhetische Begebenheiten, wie ich sie mit den HD-Formen des Kontinuität/Intensi- vierens, Licht/Kristallisierens und Interpolieren versucht habe zu iden- tifizieren, „in letzter Konsequenz auf die Frage nach einem neuen Welt- verhältnis, nach einem neuen Weltbild zu …, welches durch das Digitale hervorgebracht und verkörpert wird“ (2019, 13, Hervorhebung im Original). In diesem Kapitel soll es daher darum gehen, ein Weltbild für die post/ digitale, medien/immanente Situation der Überbordung zu identifizieren und dabei zu argumentieren, dass die digitalen Bewegungen auf Google Earth entsprechend ausgelegt werden können: Das Weltbild der post/ digitalen Medien/Immanenz ist ein digitales Zooming. Das Kapitel ist wie folgt aufgebaut: Zunächst soll die Frage nach dem Weltbild im kulturgeschichtlichen Kontext des Planetarischen nach Ulrike Bergermann verortet werden. Eine planetarische Weltsicht zeigt sich mit dem Digitalzoom über die skalare In/Varianz der Hochauflösung. Das soll medientechnisch über das Clip-/MIP-Mapping-Verfahren zur Herstellung digitalbildlicher Größenunterschiede gezeigt werden. Diese Technik wurde universal für frühe Computergrafiken verwendet und hatte zunächst nichts mit einer Visualisierung oder einer geospatialen, digital-kartografischen Adressierung des Erdplaneten zu tun, wie Jerry Brotton argumentiert. Die Entwickler/innen der digitalen Bildtechnik orientierten sich bei der Ausarbeitung aber am animierten Zoom Powers of Ten der Eames‘, der die skalare In/Varianz der digitalen Hochauflösung schon auf analogem Wege exploriert. Mit dieser Referenz bekommt nun der Digitalzoom und das Clip-/MIP-Mapping einen Weltbildcharakter zugestanden, der über Martin Heideggers Ausführungen zum Weltbild referiert werden soll. Über die Attribute der vollständigen Kontrollier-, Berechenbarkeit und der beherr- schenden Handhabung des digitalen Erdplaneten soll dann eine Traditions- linie zu einer planetarischen Weltsicht der 1960er-Jahre gezogen und vom digitalen Zooming zu einem anderen, nicht audiovisuellen Phänomen gekommen werden: Dem Whole Earth Catalog, einem Independent-Magazin, erstmalig erschienen 1968, das als mediales Kondensat eine amerikanische Gegenkultur auf ein kybernetisches Gedankengut bringt. Die kennen- zulernende „Imperialstellung“ des namentlich westlichen „Menschen“, der den Globus vermeintlich nach Belieben steuern, verändern und 308 High Definition handhaben kann, macht trotz der medialen und zeitlichen Differenz einen Vergleich zum Digitalzoom und der dort identifizierten skalaren In/Varianz möglich. Weiterhin sind diese Phänomene zusammenzubringen durch ihren großen Kritiker: Latour degradiert das Zooming als Visualisierung von Wissen. Im Nachvollzug seiner Bedenken soll die Zoomästhetik einer Prüfung in Bezug auf ihre Kritikfähigkeit unterzogen werden, unter Berück- sichtigung des Verhältnisses von Zooming und Räumlichkeit/Distanz. In der historischen Genealogie des Zoomlinseneinsatzes, v.a. innerhalb einer Medien/Immanenz der Fernsehkultur und dem Kino New Hollywoods der 1960er- und 1970er-Jahre, kann festgestellt werden, dass das Zooming die Welt gerade nicht aus der Position des Überblicks einfasst, sondern eine Bildtechnik ist, die Anwendung findet, wenn man sich in Mitten eines unüberblickbaren Geschehens befindet. Wexlers Film Medium Cool korreliert Zoomings mit einem Dreh on Location und zeigt, wie sich eine überbordende Wirklichkeit in der Filmästhetik als Kompromiss mitteilt. Dieser Befund soll die Ausgangslage für die Fragestellung des nächsten Kapitels bilden. Von den kennenzulernenden Phänomenen aus den 1960er- Jahren und der Genealogie einer Zoomästhetik soll die Brücke geschlagen werden zum Digitalzoom. Im nächsten Kapitel (5.2.) wird versucht, die zu erarbeitende Situation des „in Mitten des Geschehens“ auf die Mise en images, die Scheinbewegung und auf tiefe, digitale Bild/Wirklichkeiten zu übertragen, wie sie im vorherigen Kapitel Thema waren. Das digitale Zoo- ming findet in informationsdichten Bild/Wirklichkeiten genauso statt wie die dokumentarischen Zooms on Location, in Mitten des (Bild)Milieus. Das Planetarische Als Weltbild würde das digitale Zooming an eine Kulturgeschichte des Planetarischen anschließen. „Der Begriff das Planetarische taucht dort auf, wo es um die ganze Welt geht“, schreibt Bergermann (2010, 17, Her- vorhebung im Original). Folgt man Bergermanns Ausführungen weiter, ist man schnell an die Scheinbewegung der Google-Earth-Zoomfahrt erinnert: Etymologisch hergeleitet, ist das Planetarische etwas „Umher- schweifendes“ (ebd., 18), das „die größtdenkbaren Vernetzungen auf der Welt mit dem Einzelnen und seinem Selbstbild“ (ebd.), das Große und das Kleine, das Globale und das Private zusammenbringt. Das Planetarische, so artikuliert es Bergermann im Rückgriff auf Kostas Axelos’ Vorstellung eines planetarischen Zeitalters, „betrifft das Ganze und das Verhältnis vom Ganzen und seinen Teilen, und es dient gleichzeitig und untrennbar dazu, ein Denken zu bezeichnen, das einer bestimmten räumlichen Logik folgt: Es ist ‚irrend‘“ (ebd., 26). Die mühelos gleitenden Zoomings von Groß Epistemologisch/Zoomen 309 zu Klein werden mit diesem Verständnis des Planetarischen komplexer. Die Verknüpfung von Draufsicht und Lokalisierung verliert so eine zielge- richtete Intention bzw. das Gefühl einer orientierenden Verortung, auch wenn die Lokalisierung am Ende und die wissenschaftlich-anmutende Struktur des Programms genau das Gegenteil suggerieren. Es scheint, als würde eine gestochen scharfe Oberfläche den Schwebeflug erschweren oder verhindern; vielleicht weil man sich in klaren Ansichten verhaken, hängenbleiben und nicht nur die vom Programm genutzte Prozessorleis- tung, sondern auch der Überblick ins Stocken geraten würde. Eine bildliche Unentschiedenheit, ein verwirrender Pixelstrudel setzt scheinbar nicht auf orientierende Übersicht. Um sich auf dem digitalen Globus nicht zu ver- irren, unterliegt man der schweifenden Bewegung der Zoomfahrt, die Teil und Ganzes, Lokalität und Globus kontinuierlich vernäht. Mit dem Zooming streift der/die Betrachter/in umher, schiebt mit dem Cursor den Globus nach links und rechts und blickt von einem „Ort A“ auf einen anderen „Ort B“. Damit ist noch einmal die Minimaldefinition des Fernsehens angerissen, die Nipkow 1884 gab. Diese planetarische Logik des Fernsehens, das Streifen und Umherschweifen, befragt die topologische Funktionalität einer Karte, also die Möglichkeit, sich mit ihr an einem Ort möglichst genau zu lokalisieren – eine Operation, mit der das Programm Google Earth zunächst identifiziert wird. Beim Planetarischen geht es, so veranschaulicht es Bergermann weiterhin, nicht um das „Andere der Globalisierung“ und folglich eine Form der aus westlicher (oder anti-kolonial selbstbemächtigender) Sicht Nicht-Zuge- hörigkeit, der nicht-einholbaren Differenz oder einem desintegrativen Außen: Planetarisch bedeute eine hegemoniale Situation, die sich in einer holistischen Form von „Ganzheitlichkeit“ zuspitze. Diese unterliege dem das Erhabene stabilisierenden Paradox, das als distanziert und fern Aus- gewiesene als Nahes wahrnehmbar werden zu lassen und das auf irrende Art und Weise. Bergermann spricht vom „Schrumpfen des Raums“. Politisch gewendet eindeutig imperialistisch, aus Sicht der Cultural und Postcolonial Studies verstanden als Wissen der westlichen Welt über die Welt, ließe sich also sagen, dass es sich beim „Ganzen“ um das „maximal Beschreibbare“, als das Kartografier- oder Messbare handele (Bergermann 2012, 215). Welten in ihrer vermeintlichen Ganzheitlichkeit abbilden, den Raum auf eine bestimmte Größe herunterbrechen, wie es mit Globen, Karten, Welt- ausstellungen, Televisionen, Satelliten- und Digitalnetzen, aber eben auch der kennengelernten Zoomfahrt in hochaufgelösten Bildumgebungen geschieht, bedeute dabei v.a. „ein ‚Wissen von der Welt‘ hervorbringen“ (Bergermann, Otto und Schabacher 2010b, 9) und den „unterschiedlichen 310 High Definition Versuchen, die Welt als Ganzes sichtbar zu machen“ (ebd., 10). Die Medien, die die Welt ins Bild setzen, sind dabei konstitutiv: „‚[D]as Bild der Welt‘ wird von Bildtechniken bestimmt“ (Bergermann 2010, 18). Clip-/MIP-Mapping Wird die Welt als Ganzes über die zoomende Scheinbewegung aus- tariert, dann passiert das durch die skalar in/variante, kontinuierliche Reihung verschiedener Auflösungsvermögen und zeigt dabei noch einmal die imperialistische Tendenz, die dieser Medientechnik durchaus zuge- schrieben werden kann. Als ästhetische Ausprägung der geospatialen Anwendung der Google Earth wird globale Bewegung und Räumlichkeit zur Frage der Hochauflösung, und zwar als Zooming, welches die skalare In/ Varianz im Bild (Kapitel 2) und die skalare In/Varianz des Bildes (Kapitel 3) zusammenfasst. Aus dieser Perspektive sind die Zoomings mehr als „nur“ die Ikonen von Google Earth und stehen für ein allgemeineres Konzept digitaler Bildlichkeit. Das lässt sich in der Medientechnikgeschichte der Anwendung nachvollziehen. Die Zoomfahrt von Google Earth basiert auf einer Digitalbildtechnik, die in den 1980er-Jahren von aufstrebenden Com- putergrafik-Unternehmen im Silicon Valley entwickelt wurde. Diese hatten zunächst alles andere im Sinn als ein digitales Geoinformationssystem, die Entwicklung einer Karte des digitalen Planeten, als die die Google Earth gehandelt wird. Wie der Historiker Jerry Brotton (2014, 612) herausstellt, basiert Google Earth medientechnisch erst einmal auf dem Anliegen von Unternehmen wie Intrinsic Graphics, später Silicon Graphics, „nutzer- freundliche Grafikprogramme zu erstellen“ und Benutzer/innenoberflächen zu programmieren. Die Herausforderung lag in der Prozessierung hoch- aufgelöster Digitalbilder, die sich durch die Kombination unterschiedlicher Quellenmaterialien (computergeneriert und fotografisch-digitalisiert) egal welchen Inhalts auszeichneten. Was bei der Konzeption von Interfaces von Anfang an mitgedacht wurde, so zeigt es der Blick in die Computergrafik- geschichte, war die skalare In/Varianz der digitalen Bildlichkeit. Die Technik, die heute als „Gamechanger“ bezeichnet werden kann, ist das sogenannte Clip- bzw. MIP-Mapping, wobei Clip für „abzwicken“ und MIP für multum in parvo: „viel für wenig“ steht (ebd., 613). Dabei handelt es sich um Verfahren bei der Oberflächenberechnung von sogenannten Textures digital-grafischer 3D-Modelle (Tanner, Migdal und Jones 1998). Das Texture ist eine Bildebene, die über eine grafisch hergestellte 3D-Animation gelegt wird. Ein Körper wird mit einer Oberfläche überzogen. Texturen oder Musterungen von digitalen Körpern wurden dabei mit einer besonderen Epistemologisch/Zoomen 311 Eigenschaft ausgestattet: Das Clip-/MIP-Mapping denkt das Verhältnis von Textur und Körper in Bezug auf dessen Größenveränderung, auf dessen skalare In/Varianz. Die Oberflächenbeschaffenheit soll von Nahem wie aus der Ferne die jeweils relevanten Informationen des 3D-Modells visualisieren. Liegt ein Objekt ganz nah am Betrachtungspunkt, dann muss auch die Textur stark vergrößert und detailgenau erscheinen. Ist das Objekt weit entfernt, dann kann die Musterung schrumpfen und ihre differenzierte Maserung verlieren, im Extremfall, weil sie nicht größer ist als ein Pixel. Damit die Skalierung nicht zu viel Rechenzeit kostet, setzen Clip-/MIP- Maps, und das ist ihre Spezifikation, auf präprozessierte Auflösungs- grade. Vorgerechnete Detailansichten, informationsdichte Duplikate der groß angelegten Textur, sind in der Datei schon hinterlegt (Brotton 2014, 613–614). Die verschiedenen Auflösungen des Bildes sind pyramidenartig übereinandergestapelt, von der detailreichsten Textur, die ganz oben liegt, zur detailärmsten auf einen Pixelpunkt zusammengefassten Oberflächen- information, die die Spitze der Pyramide bildet. Das Clip-/MIP-Mapping ist mit den Adaptive Bitrates aus Kapitel 3.1. vergleichbar. Wie Brotton unterstreicht, ist an die Technik eine spezifische Datenauslese gekoppelt: Die auswertende Software „braucht … lediglich zu wissen, wo man sich in der Welt befindet. Sie wird dann die erforderlichen spezifischen Daten aus der größeren virtuellen ‚Textur‘ … extrahieren und die Bits, die man nicht braucht ‚abzwacken‘“ (ebd., 614). Was Brotton beschreibt, sind in der Datei integrierte Auflösungsschwankungen des Digitalbildes, um auf die skalaren In/Varianzen der Ausgabekontexte (der nativen Screenauflösung wie der „Granularität“ der Suchanfrage) einerseits und der Größenvariabilität der dargestellten Objekte, ihrem Auflösungsvermögen, andererseits reagieren zu können. Begegnet man einem berechneten Objekt im Digitalbild (solange es sich nicht um eine Vektorgrafik handelt) und nähert sich ihm über eine gezoomte Scheinbewegung, dann verändert sich die Wahrnehmung der Oberflächeneigenschaften über die Technik des Clip-/MIP-Mappings, über die pyramidenartige Staffelung von einer Textur des Überblicks zu einer Textur des Details. Jede Annäherung und jedes Distanzieren im digitalen Bild ist so vergleichbar mit den Google-Earth-Zoomings, die den kosmischen Überblick mit kartografischen Visualisierungen eines bestimmten Standorts als „Detail“ der Erde koordinieren. Folglich ist Clip-/ MIP-Mapping Zooming in dreifacher Hinsicht: erstens in Bezug auf das Bild im Verhältnis zu seinem variablen Erscheinungskontext, zweitens als die Zoom-Bewegung im Bild und drittens als die Auflösungsstaffelungen von 312 High Definition Überblick/Detail und umgekehrt, die in der Auflösungspyramide und den verschiedenen Detailansichten in der Bilddatei hinterlegt sind. Powers of Ten Wie Brotton zeigt, suchten die Grafikunternehmen nach einer „killer demo“ (ebd., 614–615, Hervorhebung im Original; Aubibn 2007), um diese neuste Technik dem Markt zu präsentieren. Das Bild der Erde, aber v.a. die Zoomfahrt auf ihr, erwies sich als perfekt geeignet, um die Bewegung im hochaufgelösten Bild über geschmeidige Übergänge zu verdeutlichen. Die Inspiration zur Visualisierung der skalaren In/Varianz von hochaufgelöster Digitalbildlichkeit kam, so erzählt es Brotton, stets von derselben stil- bildenden Referenz: die von den Eames 1977 für IBM produzierte Zoom- fahrt Powers of Ten (ebd.). Auf diese bezogen sich die Informatiker/innen, um herauszustellen, wie (hoch)aufgelöste Digitalbildlichkeit über skalare In/Varianz gedacht werden kann. Denn bei Powers of Ten wird das Prinzip der größenveränderbaren Bildtexturen und die geschmeidige Verschaltung verschiedener Bildtypen analog schon vorgemacht. Die dokumentarische Animation der Eames zeigt einen Zoom-Out ins Weltall, ausgehend von zwei sich in Chicago befindlichen Personen bis zu einem kritischen Punkt, bei dem die Zoomfahrt umkehrt und in einem Zeitrafferflug zurück auf die Erde und dann in einem Zoom-In auf die molekulare Ebene von Zell- strukturen blickt. Powers of Ten stellt seine Affinität zur Struktur, die im Titel schon anklingt, unverstellt aus: Alle zehn Sekunden legt die Zoom- fahrt eine räumliche Distanz aus der Potenz aus zehn in Relation zum Ausgangspunkt zurück. Dabei überschreitet die Kamera vielfach episte- mische Grenzen und bringt, skalar in/variant, verschiedenste Wirklichkeits- schichten und die Wissenschaften, die sich für diese interessieren, in einer ruckelfreien Zoomfahrt zusammen: Von der experimentell anmutenden, gemalten Zelldarstellung, zur Live Capturing Filmaufnahme der Personen auf einer Picknickdecke, weiter zu Satellitenbildern der Chicago Bay, bis zu animierten Modellansichten unseres Sonnensystems. Anders als noch bei 3“ wird die Veränderung des Auflösungsvermögens ästhetisch markiert. Das kontinuierliche Gleiten durch diametrale Größenordnungen – von der ultimativen Distanz zur intimen Nähe – manifestiert dabei eine Bemächtigungsfantasie im planetarischen wie ökologischen Sinne: Alles ist mit allem verbunden und diese Verbindungen sind vermeintlich von einem gottesähnlichen bzw. „menschlichen“ Blick, den der/die Betrachter/in inne hat, einsehbar (siehe Abb. 5.3.). Epistemologisch/Zoomen 313 Mit dem Verweis auf Powers of Ten befinden sich die Clip-/MIP-Maps und die ermöglichten skalaren In/Varianzen im Digitalbild nun plötzlich im kulturgeschichtlichen Kontext des Planetarischen. Die Möglichkeit der bildnerischen Welterzeugung durch digitale Berechnung und die Erstellung ganzer Wirklichkeiten mit Hilfe von Computergrafiken „aus dem Nichts“ finden im Zooming von Powers of Ten einen ideologischen Überbau, der sich mit Google Earth und der Vision, eine Welt als Ganzes zu beherr- schen, aktualisiert.4 Die Clip-/MIP-Maps und das Zooming setzen ihr volles Potenzial, so scheint es, frei, wenn sie in Zusammenhang mit dem kosmischen Blick auf die Erdkugel gebracht werden. Die Entstehung der Clip-/MIP-Maps zeigt umgekehrt, dass die auf Google Earth erkennbare Visualisierung der skalaren In/Varianz und die Scheinbewegung des Bildes eine Frage nach der Räumlichkeit, die eine geospatiale Anwendung stellt, über die Potenziale der Hochauflösung beantwortet. Google Earth ist einer- seits digitales Geoinformationssystem und steht in der kulturgeschicht- lichen Traditionslinie der Kartografie. Das Zooming zeigt andererseits, dass die Art und Weise, wie Google Earth die Welt als Ganzes medial beschreibt, auf eine Grundkonstitution von Digitalbildlichkeit, dem Bedürfnis nach Hochauflösung im Sinne einer skalaren In/Varianz verweist. Google Earth ist damit auch ein Bildbearbeitungsprogramm, das, so kann im Umkehr- schluss argumentiert werden, zeigt, dass jedes digitale Image Processing im Zusammenhang mit dem Versuch gestellt werden kann, die Welt als Ganzes zum HD-Bild zu rendern. Weltbild der (Post-)Moderne Die Korrelation von bildtechnischer Auflösung und Welthaftigkeit erinnert an die Beobachtungen Paul Virilios zum televisuellen Bild. Virilio geht davon aus, dass die „Eroberung des Raums“ nicht mehr durch ein „Obser- vationsgerät“, wie z.B. ein Fernrohr oder eine Karte, eine „Vorrichtung zur physischen Ortsveränderung … der Beobachter[/in]“ (2009, 147), vorgenommen wird. Auch kein Transportmittel, Automobil, Schiff oder ähnliches sei es, das Distanzen überwindet, sondern das televisuelle Bild selbst. „Vehikel“ könnten nicht mit der „Videoleistung“ mithalten (ebd., Hervorhebung im Original), deren „zeitliche Tiefe“ eine „Schärfentiefe der 4 Die Software des Clip-/MIP-Mappings wurde 2001 für Personal Computer bezieh- bar. Einher ging dieser Entwicklungsschritt vom professionellen zum individuellen Alltagsgebrauch mit einer Umfirmierung von Silicon Graphics in Keyhole Inc., die im selben Jahr den Earthviewer 1.0 auf den Markt bringen. Der Weg ab hier ist Geschichte: Keyhole wird 2004 von Google aufgekauft und ab Juni 2005 ist die Google Earth als Open Source Programm abrufbar (Brotton 2014, 614–623). 314 High Definition Topologie“ überholen würde (ebd., 146, Hervorhebung im Original). Mit „Schärfentiefe der Topologie“ meint Virilio weniger eine Scheinbewegung des Schärfeziehens innerhalb der Mise en images, sondern die Sichtbarkeit der dimensionalen Wirklichkeit, die räumlich erkundet werden kann, ein Raum, der sich granular darlegt und nicht ein tiefenscharfes Bild, das so Räumlichkeit durch innerbildliche Bewegung suggeriert. An die Stelle eines solchen Raums tritt nun eine „Ferneroberung der Erscheinungen“ (ebd., 147), eine Medialisierung der Wirklichkeit, deren Übertragungsschnellig- keit (mediale Mikrotemporalität) im Verhältnis zur räumlichen Distanz das entscheidende Maß ausmacht. Virilio bezieht die Auflösung der Darstellung auf ihre Sendung, so wie es in Kapitel 3.1. in Bezug auf die Adaptive Bitrates und eine skalare In/Varianz des HD-Bildes aufgezeigt wurde: „[S]chlussend- lich zählen einzig die Schärfe der digitalisierten Bilder und ihre punktgenaue Übertragung … Die Linie, die Fläche und der Raumkörper sind hier nur mehr Folgeprodukte der Projektivität des Punktes und der Unverzüglich- keit der Übertragung“ (ebd., 149, Hervorhebung im Original). Räumliche Dimension und Geometrie weichen einer „Projektion in ein KONTINUUM, in dem die einförmige und dimensionslose [Schein]Bewegung“ vorherrscht (ebd., Hervorhebung im Original). In der Kontinuität des Bildes, nicht des Raumes, ist die Möglichkeit angelegt, „unverzüglich und nahtlos von der Wahrnehmung des unendlich Kleinen zum unendlich Großen“ zu wechseln (ebd., 147, Hervorhebung im Original). Mit Virilio kann noch einmal betont werden, dass es sich bei der Zoomfahrt von Google Earth, von der sphärischen Kugel zur Lokalität, um ein explizites Bildphänomen handelt. Auch di Palma schließt an die Beobachtungen Virilios an und beschreibt die Welt auf Google Earth als eine virtuelle Ansammlung an Bildern, where variables of transmission time, pixels, and image resolution have replaced questions of space and distance. This conversion of an embodied world into a virtual realm, where our life ‚in private‘ and ‚in public‘ is conflated by the equalizing tendency of a computer screen, means that our experience comes to be mediated by the logic of images. (2009, 264) Daraus zieht di Palma eine ähnliche Konsequenz wie Morsch, wenn sie das digitale Weltbild in Anschluss an Heidegger (1980) als „reine Verfügungs- masse für ästhetische Zugriffe“ denkt, wie Morsch (2019, 14) es formuliert. Für di Palma im Hinblick auf den Google-Earth-Zoom, für Morsch in Bezug auf Digitalbildlichkeit unter post/kinematografischen Voraussetzungen, basiert das digitale Weltbild nun also auf post/produzierenden und um/ Epistemologisch/Zoomen 315 formatierenden Interpolationen. Beide sind daher in den Zusammenhang mit meinen Überlegungen zur Wirklichkeit als RAW/Format und zur post/ digitalen Medien/Immanenz zu stellen. Nur ist der possessive Unterton, von dem ich mich mit meinen Überlegungen zu HD abgrenze, bei beiden nicht zu überhören: Di Palma wie Morsch sprechen von einer vollständigen Kontrolle über die Welt als Ganzes: „Das implizite Weltbild des Digitalen ist das Bild einer vollkommen beherrschbaren Welt, das Menschenbild dasjenige eines vollkommen beherrschbaren Menschen“ (Morsch 2019, 14). Was mit der Referenz auf Heidegger zusätzlich zur Kontrollierbarkeit der Wirklichkeit und ihrer Menschen in den Blick gerät, ist der Zusammenhang von institutionalisierter Wissenschaftlichkeit und einer planetarischen Bemächtigung. Als solche kann auch die technische Umgebung, in die Google Earth das Weltbild des digitalen Planeten setzt, die oben beschriebenen Layer, das Suchverzeichnis, die kartografischen Tools, verstanden werden. Die Objektivität, die so suggeriert wird, stellt den Anspruch, die Google Earth als ganze Welt zu erkunden, unter autorisierte und wissenskonstitutive Begehren. Für Heidegger (1980, 92) ist das „Weltbild“ eine „Eroberung der Welt als Bild“, denn die Welt wird als Bild zum verfügbaren Objekt, und zwar epistemologisch kontextualisiert als Untersuchungsgegenstand für die Wissenschaft. Im selben Maße konstituiert sich ein untersuchendes (Wissenschafts-)Subjekt: „Daß die Welt zum Bild wird, ist ein und derselbe Vorgang mit dem, daß der Mensch innerhalb des Seienden zum Subjectum wird“ (ebd.). In der Bildwerdung wird eine Differenz von Subjekt und Objekt gezogen, die sich bei Heidegger über das äußert, was er als „Forschung“ beschreibt: Das zur Rechenschaft ziehen einer Wirklichkeit und die ein- hergehende Frage, „wieweit es [das Seiende als Wirklichkeit] dem Vor- stellen verfügbar zu machen ist“ (ebd., 86). Wissenschaft als Forschung meine „eine unentbehrliche Form dieses Sicheinrichtens in der Welt“ und demgemäß ist ein (kybernetisches) Ideal der „uneingeschränkte[n] Gewalt der Berechnung, der Planung und der Züchtung aller Dinge“ (ebd., 94) angesprochen. Das Verhältnis von der Welt als Ganzes und Wissen- schaft auf Basis der „Forschung“ ist systematisch angelegt und genießt Autorität. Es hat keinen experimentellen, körperlichen oder spielerischen Charakter, sondern zielt auf Verantwortlichkeiten und Machtverteilungen. Ein verbindliches und einflussnehmendes Vorstelligwerden der Welt als Bild entsteht durch „Entwurf und Strenge“ des wissenschaftlichen Ver- fahrens (ebd., 86), welches die Welt als Wissenschaftsobjekt „in der ganzen Mannigfaltigkeit seiner Schichten und Verflechtungen zur Begegnung“ mit dem Subjekt bringt (ebd., 80). 316 High Definition Forschung konstituiere sich im Vorstelligwerden der Welt als Bild, die ihre Ganzheitlichkeit jedoch erst dann erreicht, wenn das Bild eine eigene, sich entziehende, Qualität entwickelt, die von Heidegger als „Unberechenbares“ und als „Schatten“ bezeichnet wird. Durch diesen nebulösen, unauflös- baren Rest wird das Verhältnis von Subjekt und Objekt auf eine neue Erkenntnisstufe gehoben, mit der „sich die neuzeitliche Welt selbst in einen der Vorstellung entzogenen Raum hinaus [setzt] und … so jenem Unbe- rechenbaren die ihm eigene Bestimmtheit und das geschichtlich Einzig- artige [verleiht]. Dieser Schatten deutet auf ein anderes, das zu wissen uns Heutigen verweigert ist“ (ebd., 95). Der „der Vorstellung entzogene Raum“ demonstriert, dass neuzeitliche, wissenschaftliche Erkenntnis ein (im planetarischen Sinne, aus westlicher Perspektive definiertes) Außerhalb, eine Metaebene benötigt, um erlangt werden zu können. Das angedachte Außen ist ein metaphysisches, welches die systeminhärenten Vorgänge des Forschens zwischen Subjekt und Objekt zur reinen Erkenntnis und zum Wesen der Sache werden lässt – retrospektiv erklärbar mit dem „nächsten“, am epistemologischen Horizont schon aufflackernden Weltbild als beob- achtende Metaebene. Diese erhabene Struktur, die nicht mehr als die Kompetenz des denkenden, neuzeitlichen „Menschen“ suggeriert, ist aber keine Überholung, die die Zeit des Weltbildes ideengeschichtlich beenden würde, sondern beschreibt eine Binnenchronologie, die ein Begehren in Gang setzt, mit jeder weiteren Öffnung zum Wesen und zum ultimativen metaphysischen Kern des Seins zu gelangen. Überträgt man diese Vor- stellung auf die innerhalb der Zeit des Weltbildes angelegte Konstellation zur Wissensherstellung, zeigt sich, dass hier eindeutig ein teleologischer Erkenntniszuwachs angelegt ist, der mit dem Schatten ein „Mehr“ an Wahr- heit, Erkenntnis und Fortschritt zu garantieren scheint. Im Moment der Überholung, im Paradigmenwechsel könnte man mit Thomas Kuhn (2014) sagen, wird das Weltbild zu einem hermetischen Ganzen, das, wie der blaue Planet von Google Earth, in der schattenhaften Schwärze des Äthers platziert ist. Von dieser körperlosen Perspektive reiner Erkenntnis wird die Welt als Ganzes beobachtbar und konstituiert einen kosmischen, gottes- ähnlichen Blickpunkt gleich mit. Ein solches modernes Weltbild, das von Morsch und di Palma und der von mir ausgeführten Referenz auf Heidegger auf die kontrollierenden und modulierenden Fähigkeiten der Digitalbildlichkeit verweist, steht im direkten Zusammenhang mit dem kritischen Informationsgesell- schaftsbegriff nach Gilles Deleuze und dem hochumstrittenen Daten- kapitalismus von Google, der „Firma, die das Wissen der Welt verwalten will“ (Bergermann 2010, 38). Außerdem kann mit dem aufgerufenen Epistemologisch/Zoomen 317 Planetarismus auf eine „Restlosigkeit“ verwiesen werden, wie Markus Krajewski (2006) sie wiederum für die Moderne beschreibt. Die Modernen um 1900 wollen im ähnlichen Sinne wie Google Earth „den Weg vom Lokalen zum Globalen“ bestreiten, indem sie sich „die Welt im Projekt“ denken (ebd., 19). Standardisierungsmaßnahmen sollen über den Weltverkehr, die Weltsprache, die Weltzeit und das Weltformat ein globales Ganzes und das Ferne im Nahen konstruieren (ebd.). Utopien der weltweiten Verschaltung, der „allumfassenden Reichweite“, der „weltweite[n] Maßstäbe“ basieren, so führt es Krajewski aus, ähnlich wie das digitale Zooming der Google Earth, auf Kontinuität: „im nahezu unmerklichen Wechsel“ zwischen den einzelnen Ebenen (hier: Verkehrsmitteln, ebd., 29). Das Bestreben nach vollkom- mener, restloser Kontinuität treibt die Projektmacher/innen um 1900 an, denn jeder indeterminierte Zwischenraum von Lokal zu Global soll gefüllt werden: „Es sind die Verlockungen der Leere, in die der Weltprojektmacher seine Vorhaben zu bringen versucht, um damit die letzten Reste des Nichts zum Verschwinden zu bringen“ (ebd., 55). Nicht nur das Nichts ver- schwindet, sondern auch die Entfernung und der Raum, die getilgt werden, wenn „die Welt an jedem Punkt ihrer Oberfläche adressierbar“ ist (ebd., 58). Die beschriebenen Positionen (Bergermann, di Palma, Morsch, Heidegger, Krajewski) und der Bezug der Medientechnik zu Powers of Ten, der über die Entstehungsgeschichte von Google Earth durch die Clip-/MIP-Maps hergestellt werden sollte, setzt das digitale Zooming in einen eindeutigen Zusammenhang mit einem planetarischen und imperialen Weltbild. Im Folgenden soll nun mit einer weiteren historischen Rückblende ein Vor- gängermodell der Google Earth im Hinblick auf eine „Praxis des Zoomings“ näher erläutert werden. Dazu muss das Medium vom Bewegtbild zum Journal gewechselt und zum Whole Earth Catalog gekommen werden. Whole Earth Catalog Neben den Projektmacher/innen um 1900 und Powers of Ten wird der Whole Earth Catalog in Bezug auf die planetarischen Allmachtsfantasien von Google Earth und eine Digitalkultur häufig (Meynen 2010; Diederichsen und Franke 2013) als weitere Referenz genannt, sehr prominent von Steve Jobs (2005) bei seiner berühmten „Stay Hungry, Stay Foolish“-Rede an die Absolvent/innen der Standford University. Der Whole Earth Catalog ist ein Independent-Magazin, das erstmals 1968 über alternative Distributions- kanäle bei Aussteiger/innen jenseits des amerikanischen Mittelstands Verbreitung findet. Der Katalog fusioniert als Produktverzeichnis und Lebensratgeber Technodeterminismus und Hippiekultur und stattet seine 318 High Definition Leser/innen unter dem Symbol des blauen Planeten mit dem systemtheo- retischen Verständnis von Ganzheitlichkeit und Verbundenheit aus. Inhalt, Adressierung, Distribution und ideologisch/theoretisches Fundament gründen dabei auf der Kybernetik und dem Prinzip der Feedbackschleife. Es wird explizit in ein solches Denken eingeführt, über Buchbesprechungen zur Thematik und Theorie, wie Buckminster Fullers At Home in the Universe (1974, in der Kategorie: „Understanding Whole Systems“5) oder das schon in Kapitel 1.2. besprochene Kinderbuch von Kees Boeke Cosmic View. Weiterhin konstituiert sich das Verständnis für die Welt als systemisches Ganzes durch Berichte über die Kunststoffforschung, Informationen und Tipps zum ökologischen Gartenanbau, Produktbewertungen, z.B. ein Erfahrungs- bericht über das mobile Alaska-Sägewerk, und Anleitungen, wie man Honig selbst macht oder Solarpanels installiert. Dinge, Bedienungsanleitungen und Do-It-Yourself-Ideen spannen ein ideologisches Netz basierend auf dem theoretischen Fundament: „At both of these levels, system theory became a contact language and a structuring principle. It organized the Catalog ’s contents and shaped the reader’s role in regard to those con- tents“ (Turner 2008, 79, Hervorhebung im Original). Die Leser/innen des Whole Earth Catalog werden nicht nur mit den Inhalten adressiert, sondern zur Teilhabe und Interaktion aufgefordert. Die Vernetzung findet v.a. statt, weil Feedback und Erfahrungsberichte laterale Kontaktzonen nicht nur zwischen der „ganzen Welt“ und ihren einzelnen Anwender/innen, sondern auch zwischen den Abonnent/innen unter sich herstellen. Fred Turner, der in einer umfangreichen Studie den Weg von der Counter Culture zur Cyber Culture mit dem Whole Earth Catalog nachzeichnet, spricht von ihm als prä- digitalem „network forum“ (ebd., 5–7, 72–73). Der Whole Earth Catalog erreicht in bestimmten Kreisen immense Popularität und kann als medialer Kristallisationspunkt der amerikanischen Gegenkultur der 1960er- und 1970er-Jahre und der in diesem Zeitraum anzusiedelnden ersten Umweltbewegung verstanden werden. Er ver- schreibt sich dezidiert einem ökologischen Verständnis. Die Traditionslinie, in die ich mit dieser Referenz die Google Earth und ihre Ganzheitlichkeits- fantasien stelle, soll nun neben dem planetarischen Anspruch umgekehrt demonstrieren, dass sich dieselben in ihrer ideologischen Basis auf die Liberalität einer Gegenkultur stützen, sodass Stewart Brand, „Offizier, Hippie, Biologe und Designer“ (Meynen 2010, 79) und v.a. Herausgeber des 5 Der Katalog unterteilt seine Inhalte in sieben Kategorien: 1/ Understanding Whole Systems 2/ Shelter and Land Use 3/ Industry and Craft 4/ Communications 5/ Community 6/ Nomadics 7/ Learning. Epistemologisch/Zoomen 319 Whole Earth Catalog, 1995 im Time Magazine ein „Welcome to Cyberspace“ mit dem Ausruf „We owe it all to the Hippies“ (Brand 1995) kommentiert. Es ließe sich ausholen, denn der Whole Earth Catalog steht im Kontext eines planetarischen Zeitgeists der 1960er-Jahre, der ein kooperatives, vernetztes Verhältnis zwischen Erdplanet und seinen Bewohner/innen formuliert. Die Raumfahrt, die Apollo-Weltraummissionen und der ab 1957 den Erd- planeten umkreisende Satellit Sputnik 1 können weiterhin einer system- theoretischen, kybernetischen Ideologie zugeschrieben werden. Marshall McLuhan reflektiert über diese soziohistorische Situation wie folgt: „[T]he planet became a global theater in which there are no spectators but only actors. On Spaceship Earth there are no passengers; everybody is a member of the crew“ (1974, 50). Das Raumschiff Erde, das im Weltraum umhergleitet, erscheint am 25.12.1968 dann das erste Mal tatsächlich auf der Bildfläche. Vom NASA-Astronauten William Anders auf der Apollo- 8-Weltraummission aufgenommen, ist Earthrise das erste Foto des Erd- planeten. Earthrise lässt die Erde am Firmament erscheinen und nimmt einen kosmischen Standpunkt ein. Am Zenit steht diese gottesähnliche Perspektive mit der Fotografie Blue Marble, die 1972 auf der letzten bemannten NASA-Mission zum Mond, Apollo 17, von Eugene Cernan, Ronald Evans und Harrison Schmitt geschossen wurde und die als eine der weitverbreitetsten Fotografien aller Zeiten gilt (Hartwell 2007; Wikipedia o.J.b). Dieser erhabene Blick, der die Erde zu einer blauen Murmel, einem „Handschmeichler“ werden lässt, demonstriert den Bemächtigungs- gestus des modernen Subjekts ganz im Sinne Heideggers: Die Erdkugel ist ein kleiner Schatz, wie man ihn als Kind aufbewahrt, tauscht und betrachtet. Ihre glatte Oberfläche ist griffig und suggeriert „Handlichkeit“. Das Weltbild wird durch den gegebenen Titel klein. Eine Murmel ist nichts Überbordendes, nicht etwas, das „zu groß“ ist oder seine Ganzheitlich- keit in einem Überbietungsgestus ausstellt. Vielmehr ist die Blue Marble Planetarismus für die Hosentasche bzw., als Magazincover, für den Coffee Table. Mit den Erdfotografien scheint die NASA einer Forderung Brands nach- zukommen, der schon 1966 nach dem ganzheitlichen Blick verlangt: „Why Haven’t We Seen A Photograph Of The Whole Earth Yet?“, fragt er (Scherer 2013) und platziert dieselben, sobald sie die Erde erreichen, ab 1968 auf die Titelseiten des Whole Earth Catalogs (Franke 2013, 16, siehe Abb. 5.4.). Prangt auf dem Cover die Erde als freischwebende, ganzheitliche sphärische Kugel, so stellt schon der Untertitel des Magazinnamens heraus, dass es sich beim Umblättern der ersten Seite um einen epistemologischen „Turn“ handelt: Der Whole Earth Catalog verspricht „Access to Tools“. Im 320 High Definition Aufschlagen des Magazins, im Blättern von Seite zu Seite, kommt man vom planetarischen Überblick zum partizipatorischen Aufruf, die ange- botenen Handwerkzeuge zu benutzen und mit ihnen regional die Welt (zu einer besseren) zu verändern. Der Whole Earth Catalog legt den Erd- planeten als kleine Murmel in die Hände der Macher/innen, die durch das Magazin nun ausgestattet sind, um ihn nach ihrem Belieben zu bestellen. Die Dimension dieser Bemächtigungsfantasie wird auf den ersten Seiten des Whole Earth Catalogs klar: „We are as gods and might as well get used to it“, heißt es in der Ausgabe von 1968 und ein Jahr später: „We are as gods and might as well get good at it“ (Fall 1968, Spring 1969, Hervorhebung im Original). Guter Gott wird man, wenn man sich gegen die Regierung, Großkonzerne, formalisierte Bildung und die Kirche wendet und eine „intimate, personal power“ entwickelt, eigene Umwelten entstehen lässt und die Erfahrungen, die dabei gemacht werden, über einen Feedback- mechanismus in das ganzheitliche System zurückspeist (ebd.). So zeigt der Whole Earth Catalog die Traditionslinie auf, in der die Google Earth mit ihren Anleihen der Habhaftwerdung steht, wenn der Planet, so Bergermann, als „Allgemeingut“ (2010, 37), als „customized globe“ (ebd., 38, Hervorhebung im Original) angeboten wird. Seit Earthrise ist der Globus also medial verfüg-, gestalt- und bearbeitbar und seit 2010 als App(lication) für Smartphones universal griffbereit. So alternativ, lokal und antikapitalistisch sich der Whole Earth Catalog mit seiner „Frontier“-Rhetorik, die ihre Leser/innen als Indianer/innen- Ingenieur/innen oder Techno-Hippies adressiert, gibt, so wenig bedeutet das eine Absage an planetarische Totalitarismen, an den moralisch über- legenen Blick des „weißen Mannes“6. Gerade die Aussteiger/innenfantasie hält die Perspektive eines planetarischen und imperialistischen Stand- punkts auf den blauen Planeten aufrecht. Aussteigen, so suggeriert es die kybernetische Ideologie, wird zu einem überlegenen „Re-Entry“, das zu einer innigeren Verbindung mit der Welt führe, die dem Mainstream vor- enthalten bleibe. Der Whole Earth Catalog verlangt von seinen Leser/innen einen Perspektivenwechsel im oszillierenden Scharfstellen von Nähe und lokaler Handlungsbereitschaft zur Weite und dem überblickenden Ver- ständnis für ganze Systeme. So bietet der Whole Earth Catalog unter dem Vorzeichen der Verbundenheit und Einheit mit dem blauen Planeten eine Zoomfahrt zwischen den Katalogseiten an. Der „ganzen Welt“ scheint „der Mensch“, der den Whole Earth Catalog in den Händen hält, nicht devot, 6 Turner macht an mehreren Stellen darauf aufmerksam, dass der Whole Earth Catalog explizit männliche Leser adressiert. „There are no women in sight“ (Turner 2008, 35 und 87). Ich werde trotzdem von den Leser/innen sprechen. Epistemologisch/Zoomen 321 sondern potent gegenüberzustehen. Zunächst hat „er“ den Überblick auf den blauen Planeten. Das Aufschlagen der Seiten gewehrt „ihm“ Zugang zur Erde als Ganzes, die „er“ mit den richtigen Tools nun bearbeiten kann. Von einer zentralperspektivischen Sichtachse kristallisiert sich die planetarische Hegemonialstellung heraus durch Handlungsmacht, die im Lokalen ihre Anwendung findet, um global Wirkungen zu erzielen. Das hat der Katalog mit Google Earth gemein und so können die beiden unterschiedlichen Gegenstände durch einen Planetarismus, der vom Überblick zur Hand- habung kommt und auf Kontrolle und Verfügbarkeit, auf Tools und Skills beruht, zusammengebracht werden. Außerdem werden beide Gegen- stände zum Ziel von vehementer Kritik, wie nun nachvollzogen werden soll. Anti-Zoom Gegen planetarische Weltbilder der Ganzheitlichkeit und des Globalen im Allgemeinen und gegen die Zoomfahrten von Google Earth, Powers of Ten, dem Whole Earth Catalog und die Erdfotografien im Konkreten, hegt Latour einen immensen epistemologischen Argwohn. Mit einem regelrechten „Anti-Zoom“-Programm geht er der Frage nach, wie das Zooming als „dis- astrous metaphor“ (Latour 2017a, 98) „das Denken nachhaltig vergiftet“ hat (Latour 2017b, 235). Für Latour bringt das Zooming nicht nur das Verhältnis von Menschen und Welt bzw. von Nicht-/Menschen, sondern auch aus öko- logischer Perspektive von Natur/Kultur, aus soziologischer Perspektive von Individuum/Gesellschaft und aus wissenschaftstheoretischer Perspektive von Phänomen/Wissen in eine völlig verzerrte Beziehung zueinander. Das Zooming taucht in Latours Theoriebildung als Repräsentationskritik bei der Frage nach soziologischer „Ganzheitlichkeit“ oder einem indifferenten Wissenschaftspluralismus auf (2014a; 2011). Kunstwerke, die auf das Zoo- ming setzen, werden kritisiert, andere, die sich explizit dagegen wenden, gelobt (Latour und Leclercq 2016; Latour 2017a). Nicht zuletzt wird mit dem Zooming jegliches Bild für „das Globale“ oder „Ganze“ von Latour (2017b; 2018) vehement verworfen. Soziologie, Wissenschaftstheorie, Kunst und Ökologie seien nicht in einer Zoomfahrt greifbar. Latours Abneigung gegen die Scheinbewegung ist für sein Denken so charakteristisch, dass ich über sie die zentralen Positionen der Akteur-Netzwerk-Theorie (ANT) in den folgenden sechs Punkten zusammenfassen möchte: Erstens ist die Welt oder die Gesellschaft, erschließt man sich diese über das Zooming, „von der Dimension her etwas Großes“ (Latour 2014a, 316). Als Vertreter der ANT geht es Latour dagegen um „flache“ Ontologien (ebd., 36). Dabei werden die oben aufgerufenen Verhältnisse von Nicht-/ 322 High Definition Menschen lateral und nicht hierarchisch gedacht. Die Voreingenommenheit gegenüber großen Größenordnungen, die Latour als die zentralste aller Positionen der ANT erkennt, formuliert einen Widerstand gegen die vor- herrschende Meinung, „uns die Größenordnung – Makro, Meso, Mikro – als ein wohlgeordnetes Zoom vorzustellen“ (ebd., 319, Hervorhebung im Ori- ginal). Damit einher gehe, dass „der imperiale Mensch“ am überblickenden Scheitelpunkt dieser Ordnung stehen würde. Demgemäß ist für Latour die globale Einheit, wie sie konkret der Whole Earth Catalog suggeriert, hoch- gradig problematisch, weil sich in der Verantwortung, die Erde zu etwas Besserem zu machen, die „Bürde des weißen Mannes“ dokumentiere und einhergehend eine moralische und technische Überlegenheit, die es erlauben würde, „verfrüht auf eine höhere Stufe zu springen und dabei die Figuren der Konnexion mit denen der Totalität zu verwechseln“ (2017b, 224, Hervorhebung im Original). Zweitens ist die Staffelung, in die der Zoom Phänomene bringt, eine hie- rarchische: Regelrecht „besessen“ wären die Menschen „‚die Dinge in ihren größeren Rahmen‘ ein[zu]ordnen“ (Latour 2014a, 321). Latour führt die für ihn problematische Ansicht auf die Optik, die Fotografie und den teleskopischen Blick zurück, die skalar in/variante Bilder in der kulturellen Imagination fest verankert hätten, und zwar als unkritischen Effekt, „an assemblage as artificial as a fake perspective in a stage set“ (2017a, 94). Für Latour handelt es sich um eine dezidiert falsche Vorstellung, das Kleine/ Kurze/Partikulare/Lokale/Private im Großen/Langen/Ganzheitlichen/ Globalen/Gesellschaftlichen einzulagern, nur mit weniger Information: „[A] change equated to the one from a grid of sensors in a high-resolution telescope to a grid at a lower resolution but at a wider angle“ (ebd.). Es ginge nun darum, sich gegen die Idee zu wehren, dass Bereiche der Wirk- lichkeit mit unterschiedlichen Maßstäben skalierbar wären und ineinander gestaffelt werden könnten wie Matrojschka-Puppen (Latour 2014a, 321; 2017a, 94). Drittens verschleiern das Große, die skalar in/variante Staffelung der Zoombewegung und der gottesähnliche Überblick auf „das Ganze“, in das sich das Kleine und Partikulare einfügt, all die Differenzen, Diversitäten und Heterogenitäten, die die Wirklichkeit ausmachen. All die unterschiedlichen Ebenen von Wirklichkeit würden durch die Zoomfahrt effekthascherisch und populistisch zu einer Oberfläche zusammengenäht. Bei dieser Kritik am Zooming kommt Latour (2017a, 94) von der Beschaffenheit der Wirk- lichkeit zu ihrer wissenschaftlichen Erschließung. Im Zentrum seiner Aus- einandersetzung steht Powers of Ten. Die Frage, wie sich ein Phänomen in der wissenschaftlichen Bearbeitung verändert und als repräsentierbares Epistemologisch/Zoomen 323 und kommunizierbares Forschungsergebnis am Ende mitteilt, bespricht Latour mit Hilfe des Begriffs der „Übersetzung“ und der „Übersetzungs- ketten“, wie sie in Kapitel 2.2. schon kennenzulernen waren. Die „Über- setzungsketten“ schaffen Übergänge von der konkreten Sache zu einer allgemeinen, vom Gegenstand abstrahierten Theorie durch „Inskriptionen“ (Latour 2002, 36–95), die den Forschungsprozess und nicht die Ergebnisse in den Vordergrund treten lassen. Die Zoomfahrt der Eames würde im Gegenteil nun den wissenschaftlichen Entstehungskontext der Bilder, die verschiedenen, unterschiedlich großen Wirklichkeiten und den Prozess der Forschung gleichermaßen verschleiern. Bei einem Film wie Powers of Ten würden die verschiedenen Linsen, die ausdifferenzierenden optischen Verfahren, die Fotografien, die Entwickler/innen, die Daten, Büros, Institutionen, „in short, all those tiny places in which totalities are made, set up, composed“ (Latour und Hermant 2006, 40) in der Homogenität des Zoomings7 verschwiegen werden. Die zentralistische Position, die das Zooming nutzt, um von der einen Ebene zur nächsten zu kommen und so ein hochgradig interdisziplinäres Verfahren startet, wäre eine Ausrichtung, die als vollkommen „unglaubwürdig“ daherkomme (Latour 2017a, 98). Latour verdammt das Zooming wegen der Kontinuität, die die animierte Scheinbewegung illusioniert. Wo würden wir stehen, fragt er in Bezug auf Powers of Ten, um von einer anderen Galaxie aus die Erde zu beobachten? Welches Labor müssten wir besuchen, um die Hautzellen auf Nanoebene zu sehen? (Ebd.). Latour entlarvt die Ansicht als ein „Hirn- gespinst der Imagination“ („figment of the imagination“, ebd.) aufgrund der In/Varianz der Skalierung der abgebildeten Daten. Das so bezeichnete wissenschaftliche Bild von der Erde als Welt bzw., so müsste man wohl hin- zufügen, des Wissenschaftspluralismus visualisiert als Zoomfahrt, wäre ein Betrug. So lässt sich ein vierter Kritikpunkt herausstellen: Jene „Standardein- stellung“ (Latour 2014a, 8, 317), die die Ganzheitlichkeit und das Große ins Bild setzt, ist jedoch „in Wirklichkeit“ weniger eine Panoramaansicht, ein 360-Grad-Schwenk oder eine Totale, sondern nicht einmal eine Halbtotale. Die Größenordnung, die Wissenschaftler/innen wählen, wenn sie über Ganzheitlichkeit und große Phänomene wie „‚de… [n] Spätkapitalismus‘, ‚de…[n] Aufstieg der Zivilisation‘, ‚de…[n] Westen‘, ‚die Moderne‘, ‚die menschliche Geschichte‘, ‚de…[n] Postkolonialismus‘ oder ‚die 7 Hier scheint Latours Scharfsinn der Attraktivität seines Arguments zu unterliegen. Denn die Betrachtung von Powers of Ten zeigt sehr genau, wie sich das Zoo- ming wackelig und mit vielen Überblendungen aus hoch heterogenem Material zusammensetzt. 324 High Definition Globalisierung‘“ sprechen, ist „in der Regel eine Kugel, die nicht viel größer ist als der Umfang eines Kürbisses“ (ebd., 322). Latour will Zoomings, die er als panoptische, unpolitische Visualisierungen versteht, ersetzen durch verschiedene „Oligoptiken“, von denen aus man „[s]ehr viel und sehr wenig“ sieht, denn es handelt sich um „die engen Fenster, die es erlauben, sich durch eine bestimmte Anzahl von engen Übertragungswegen mit den Wesen (menschlichen und nicht-menschlichen) zu verbinden“ (2011, 52). Die „Oligoptiken“ sind singulär situierte, lokale Einblicke, die aber nicht miteinander verbunden ein großes Ganzes ergeben: „Sie hängen nicht zusammen. Sie sind inkommensurabel“ (ebd.). Latour ermisst „die grund- sätzliche Unsichtbarkeit aller Oligoptiken“ und fordert – ähnlich wie es 3“ vormacht – das Zooming zu unterbrechen, die Kontinuität zu hinterfragen, „die Puppen zu öffnen“ (ebd., 53). Nur schließen bei Latour nicht wie in 3“ Zoomings an Zoomings an. Vielmehr solle es darum gehen, die Anschlüsse zwischen den Bereichen zu vervielfachen. Das Ganze muss für Latour erst noch zusammengesetzt werden und der/diejenige, der/die sich dazu bereit erklärt, sollte nicht definieren, „was größer und was kleiner ist als sie selbst“ (ebd.). Es müsste vehement der planetarischen Bemächtigungsfan- tasie widersprochen werden, die „Menschen“ einfach dazu bringt, „[to] talk blandly about, for instance, ‚everything‘, or about the ‚fate of the planet‘, without realizing what they call ‚everything‘“ (Latour 2017a, 96). Folge man jedoch dem Entstehungsprozess dieser großen Begriffe, dann ließe sich schnell feststellen, dass es sich bei „everything“ meist um nicht mehr als ein „tiny model in a research bureau or lab“ (ebd.) handle. Fünftens widerspricht das Zooming vehement der Vorstellung eines Akteur/innen-Netzwerks, denn mit der kontinuierlichen Scheinbewegung würden Verbindungen simuliert, durch die man das Ganze erkennen könne, ohne sich den Details widmen zu müssen. Der „Vermittlungscha- rakter aller Aktanten“ (Latour 2006b, 489) ginge so verloren. In der Los- sagung von der hierarchischen Differenz zwischen Subjekt und Objekt und der Hinwendung zu den flachen Ontologien liegt die Handlungsmacht für die ANT nun in der lateralen Vernetzung von nicht/menschlichen Akteur/ innen. So beschreibt es Latour (2002, 137–174) prominent in Bezug auf das Forschungsnetzwerk aus Pasteur und Milchsäureferment. Forschen ist in dieser Konstellation ein ontogenetischer Prozess zwischen mensch- lichen Akteur/innen und nicht-menschlichen Aktanten, der auf das Kon- zept der Proposition nach Alfred North Whitehead gebracht werden kann: „Pasteur, das Milchsäureferment, das Labor sind allesamt Propositionen“ (ebd., 171) und indes Teil eines Forschungsprozesses, wobei nicht klar wird, wer von ihnen stumm und wer redselig ist. Propositionen sind Epistemologisch/Zoomen 325 Kontaktmöglichkeiten, „Gelegenheiten zur Interaktion“ und sie ändern ihren ontologischen Status im Verlauf der Forschung (ebd., 172). So ent- stehen asymmetrische Menschen-Ding-Relationen, wie Latour (2006b, 487) es weiterhin zeigt anhand der „Bürger-Waffe“, dem „Waffen-Bürger“ und der Frage, wer eigentlich tötet, wenn die Betätigung einer Schusswaffe und Menschen aufeinandertreffen. Latour setzt auf eine Handlungsintention, die weder der Waffe noch dem Menschen zugeordnet werden kann, jener „Übersetzung“, die menschliche und materialistische Zielführungen auf Umwege bringt. Es handelt sich „um Verschiebung, Driften, Erfindung, Ver- mittlung, die Erschaffung eines Bindeglieds, das zuvor nicht existiert hatte“ (ebd.). Akteur/in ist, so demonstriert es Latour, „[j]emand anderer“ (ebd., Hervorhebung im Original) und eine intentionale Handlung dabei eine „neue, verteilte und verschachtelte Serie von Praktiken“ (ebd., 489). Damit das Akteur/innen-Netzwerk Bestand hat, müssen die agierenden Dinge, Medien, Menschen als „voll anerkannte soziale Akteure“ (ebd., 526) wahr- genommen und nicht in einer zentralistischen Zoombewegung zusammen- gefasst und phänomenologisch getilgt werden. Sie so zusammenzubringen würde Datenvariabilität mit Daten-„Versöhnbarkeit“ („reconcilability“) verwechseln. So würden Abbildungen von Galaxien, Absatzmärkten und Neuronen alle im gleichen (A4-)Format, „a surface area of between 35 x 20 cm and 24 x 26 cm – with a few extravagant and expensive exceptions of around 56 x 150 cm“ (Latour und Hermant 2006, 40) erscheinen. Falls diese Versöhnung gelänge, dann nur als absolut zufälliger Umstand und unter einem extremen Aufwand durch das Um/Formatieren von Daten, der, so Latour (2017a, 97), zum Glück so viele Ressourcen kosten würde, dass sich meistens die Daten-Kakophonie gegenüber dem Zooming als kritische Form behaupte. Sechstens erkennt Latour – und hier ist er mit seiner Ansicht nicht allein – den neuzeitlichen, imperialen, kolonialen Blick des Zoomings durch den Zeitgeist des Anthropozäns, wie er auch im vorherigen Kapitel behandelt wurde, als erodiert. Das Zooming als Form skalarer In/Varianz passe nicht mehr auf eine Situation, die komplexe Relationen und Prozesse zwischen konträren, heterogenen und doch zusammenhängenden Akteur/innen dringlich werden lässt. Latour erklärt das Zooming in seinen Texten zur regelrechten „Umweltsünde“: „Schädlich …[,] unerträglich, nicht atembar“ wäre die Atmosphäre einer skalar in/varianten Welt, „denn alles ist okkupiert durch den bruchlosen Übergang zwischen den verschiedenen Maßstäben … . Alles ist mit Füllwerk vollgestopft. Man erstickt“ (2011, 53). An eine solche „ökologische Verdammung“ des Zoomings schließt Derek Woods (2014, 133–143) an. Er spricht in Bezug auf das Verhältnis 326 High Definition von Menschen und geologischer Tiefenzeit, von der Notwendigkeit einer „Scale Critique“. Auch in Bezug auf Powers of Ten führt Woods aus, dass von skalarer Diskontinuität, inkommensurabler Variabilität und unüberbrück- baren Differenzen ausgegangen werden muss, deren ästhetisches Gegen- teil der „smooth zoom effect“ sei, eine „meticulously constructed, pre-CGI simulation that imagines an impossible perspective on the universe“ (ebd., 134). Für Woods zeichnet sich das Anthropozän nun gerade durch eine verteilte Agency über verschiedenste Größenordnungen hinweg aus, die „nonsmooth, nonrepresentational“ zueinander in Beziehung gesetzt werden müssen (ebd., 137). Auch Zach Horton ist gegenüber einer Invarianz von Größenordnungen skeptisch. Seine Position wurde schon in Kapitel 1.1. beschrieben (und so sei an dieser Stelle ein erster Hinweis auf mein Gegenargument zu Latour gemacht). Horton (2013; 2017, 36) spricht von „Scalar Collapse“ und plädiert für eine Einschreibung der „fundamentally discontinuous nature of scale into the emblematic medial representation of the universal overview“ (2017, 58). Anna Tsing (2012), auf deren These auch schon in Kapitel 1.1. eingegangen wurde, will eine „Nonscalability“ denken, um die Aufmerksamkeit auf die „wild diversity of life on earth“ zu richten, die durch einen „effortless zoom“ verloren ginge und „its power to make the great tiny and the tiny great“ (ebd., 505). Die Qualität der „scalability …, the ability to expand – and expand, and expand“ (ebd., Hervorhebung im Original), hätte, so Tsing, die Fähigkeit verstellt, Heterogenität in der Welt wahrzunehmen. In Weltbildern zoomen Was wäre, wenn das Zooming nicht von einem kosmischen Blickpunkt aus starten würde, sondern inmitten eines Geschehens, inmitten der Hetero- genität und Diversität der Wirklichkeit? Was wäre, wenn das Zooming vor- gegebenen Bedingungen unterläge, z.B. den prä-prozessierten Auflösungs- graden dieser Wirklichkeit? Was wäre, wenn das Zooming nicht mehr als ein Kompromiss ist, ein (kläglicher) Versuch den Überblick zu bewahren, in einer überfordernden Situation, einer Too Much World? Im Folgenden möchte ich mich an einer Revalorisierung der Zoomästhetik versuchen. Mir geht es dabei explizit nicht um die Zurückweisung der Positionen der ANT, die ich sehr befürworte, aber ich möchte argumentieren, dass Latour im Zooming die falsche Metapher gewählt hat. Das Zooming ist gar nicht so desaströs, wenn man die Scheinbewegung nicht als Visualisierung, sondern als Praxis, als Image Processing einordnet. Das digitale Zooming ist Weltbild einer post/digitalen Medien/Immanenz, einer Too Much World, nicht, weil so die Welt als Ganzes vermeintlich kontrollier- und handhabbar vorstellig Epistemologisch/Zoomen 327 wird. Das digitale Zooming demonstriert post/perzeptuelle Überforderung und der daraus resultierende Bildumgang lässt die Kontinuität der Bild- bewegung zu nicht mehr als einem Indiz für die Interpolation der Menschen in eine Wirklichkeit schrumpfen, die sie längst überholt hat. Für mein Argument muss eine Vorentscheidung getroffen werden, die sich auch schon in Kapitel 4.1. über die One-Takes angekündigt hat: Ich möchte die Scheinbewegung an den Raum, an eine Verortung rückkoppeln, die ich aber in der Bildfläche erkenne. Die mit Virilio und di Palma oben ausgeführten Thesen, Distanz und Raum als bildinterne Auflösungsver- lagerungen, als reine Bildbewegungen der Mise en images zu verstehen, müssen dennoch auf ein (durchaus bildinternes) Milieu gebracht werden. Wie in Kapitel 4.1. mit Bazin aufgerufen, geht es um Bildwelten, in denen sich virtuell frei bewegt werden kann, wie in einem Dokumentarfilm. Bewegungen innerhalb der hochaufgelösten Bildfläche und Räumlich- keit widersprechen sich hier nicht. Mit meiner Kopplung von Zooming und Milieu soll eine Genealogie der Bewegtbildästhetik in den Blick geraten, die im selben aufgeheizten soziopolitischen Milieu ihren Anfang nimmt, wie die planetarische Ganzheitlichkeit der Google Earth als blauer, murmelhafter, handhabbarer Planet: In den 1960er-Jahren finden Zoomlinsen ihren Einsatz unter dokumentarischen und journalistischen Vorzeichen einer Medien/Immanenz des Fernsehens, die gleichsam auf Ganzheitlichkeit setzt: „The Whole Earth Is Watching“ (Gitlin 1980) heißt es hier. Anhand von Wexlers Film Medium Cool soll gezeigt werden, wie das Zooming in (dokumentarischen) Produktionssituationen der Überforderung eingesetzt wird, durchaus im Sinne eines politischen „Kampfes“ um Einblicke ringt und sich weniger auf einem skopistischen Aussichtspunkt zurücklehnen kann. Mit dem Zooming ging es zunächst einmal darum, überhaupt irgendetwas zu sehen. Die Scheinbewegung stellt ein perzeptuelles Ungenügen aus. In Medium Cool kann das Zooming nicht als perzeptuelle Bemächtigung ver- standen werden, sondern als ein Austarieren der Möglichkeiten in einer Fülle von Uneindeutigkeiten, ausgehend von unsicheren Standpunkten. Zooming ist eine Bildpraxis, die fest an das Milieu gekoppelt ist, in dem sie ihren Einsatz findet. Was zunächst anhand von Medium Cool nachvollzogen werden soll, wird in einem weiteren Schritt dann auf digitales Zoomen als (dokumentarische) Praxis in digitalen Milieus übertragen. Medium Cool In filmischer Form dreht der Kameramann und Regisseur Wexler Fiktionen über Fernsehreportagen und zeichnet dabei deren Entstehungskontexte 328 High Definition auf. Medium Cool lässt seine Protagonistin Eileen (Verna Bloom) auf der Suche nach ihrem Filmkind inmitten der „tatsächlich“ stattfindenden Anti-Kriegsdemos während der 1968 tagenden Democratic National Convention in Chicago herumirren, lässt den fiktiven Kameramann John (Robert Forster) auf dem „echten“ Parteitag neben „echten“ TV-Reporter/ innen die Wahlergebnisse dokumentieren. Der Film zeigt John bei „echten“ Übungseinsätzen, bei denen „echte“ Polizist/innen Straßenkämpfe mit ver- kleideten Demonstrant/innen „echt“ simulieren und nachspielen. „Echtes Tränengas“ wird für den „echten“ Kameramann Wexler gefährlich und im Film fiktiv nachsynchronisiert als Bruch mit der vierten Wand („Look out Haskell, it ’s real!“8). Die komplexe Verschachtelung von Fiktion und Wirklich- keit in Medium Cool versucht Hito Steyerl in ihrem Text Look Out, It ’s Real! (2015) aufzudröseln. Steyerl erörtert, ob in einer medialisierten Wirklich- keit politische Ereignisse, wie der Tränengaseinsatz, als strukturelle Gewalt gegen Demonstrant/innen noch in medial nachvollziehbare Erfahrungen zu übersetzen seien. Damit schließt sie an eine Frage an, die in Medium Cool omnipräsent gestellt wird und das Weltbild hervorhebt, welches der Film befragt: Nämlich auf welche Art und Weise die Medialisierung einer Wirklichkeit einen wirklichen Impact hat. Wann und wie kommt etwas bei den Zuschauer/innen an? Wann und wie wird eine Erfahrung medial möglich? Steyerl gesteht dem medienreflexiven Spiel von Medium Cool keine moralische Unentschiedenheit gegenüber diesen Fragen zu. Gerade die Verschaltung von Fiktion und Wirklichkeit würde darauf hindeuten, dass für den Film ein Außen des Medialen existiert, welches in das Mediale ein- brechen und als „ein großer Knall alles verändern“ kann (ebd., 49). Medium Cool platziert seine filmische Wirklichkeit und ihren Entstehungskontext in Abhängigkeit von einem profilmischen Raum und Bedingungen, die das Filmemachen vorbestimmen. Medium Cool ist nicht nur mit seinem Titel ein Tribut an die Theorie McLuhans und sein Konzept der in Kapitel 2.1. und 3.1. behandelten High Definition/Low Definition (Look out Haskell, it ’s real!, 00:09:35). Der Film begleitet den TV-Kameramann John und problematisiert die Frage nach journalistischem Ethos, wenn dieser Verkehrsunfalltote, Gewalt gegen demonstrierende Studierende oder rassistische Ausschreitungen für die Fernsehnachrichten filmt. Handbuchartig dekliniert Medium Cool mit seiner Story zentrale Thesen McLuhans zur Fernsehkultur der 1960er-Jahre in den USA durch. Die im Film sichtbare Eclair NPR wird zur technischen Verlängerung der unaufgeregten Wahrnehmung des Cool Guy hinter der 8 So erzählt es das Making-of des Films Look out Haskell, it ’s real! (2001) und Medium Cool, 01:39:22. Epistemologisch/Zoomen 329 Kamera. Der Tonmeister spricht davon, dass er „kind of an elongation of a tape recorder“ (00:05:00) sei. Es herrscht Skepsis des „literate man“ gegenüber der „TV violence“ (McLuhan 2001, 314), die von der Bevölkerung als zu effekthascherisch und vom FBI als zu politisch brisant eingestuft wird. Dabei weiß der/die medienkompetente McLuhan-Leser/in doch, dass ein solcher zensierender Gestus bei einem „schüchternen Riesen“ („timid giant“, ebd., 308) wie dem Fernsehen gar nicht nötig ist. Hier würden Infor- mationen schon allein aufgrund der medienästhetischen Vorgabe des LD- Bildmosaiks „abgekühlt“ präsentiert werden. Die Programmkritiker/innen würden nicht erkennen, so McLuhan, dass drastische Inhalte im Fernsehen immer schon so portioniert werden, dass die Zuschauer/innen nicht auf- grund informationsintensiver Inhalte in Schockstarre verharren müssen oder als „nervous wrecks“ keinen rechten Gedanken mehr fassen können (ebd., 24). Die im Film mit diesen Anschuldigungen unter Beschuss geratenen Medienmacher/innen und die These McLuhans formulieren Gegenteiliges: „It is the extraordinary degree of audience participation in the TV medium that explains its failure to tackle hot issues“ (ebd., 309) – oder, wie der wütende Fernsehboss in Medium Cool ins Telefon schreit: „Just tell her we cover the news. We do not manufacture violence“ (00:44:23). Medium Cool ist aktivistisch, der Film ist Teil einer Gegenkultur, schwimmt mit auf den filmhistorisch „Neuen Wellen“ (00:35:51)9 und wurde selbst zum Opfer der Zensur (Look Out Haskell, it ’s real!, 00:50:13–00:52:12). Die vorgenommene mediale Rahmung offeriert eine eigene Dringlichkeit. Sie ist gleichsam Akteurin im politischen Milieu. In selbstreflexiver Manier stellt der Film sein eigenes Involviert-Sein, sein „Angegriffen-Sein“ aus. Ein Hauptthema von Medium Cool ist die Problematik, als Kamerakörper in der Wirklichkeit Bilder zu produzieren und so weniger einen Überblick zu haben, als „Teil der Sache“ zu sein. Es geht darum, so stellt es auch Adam O’Brien (2014, 227–237) heraus, zu fragen, welche Kamerapositionen in einer Wirklichkeit ethisch und moralisch problematisch werden: Ist die Kamera zu nah am Geschehen, z.B. wenn sie vor Ankunft der Rettungs- kräfte Unfalltote sensationsgeleitet abfilmt? Oder ist sie zu distanziert, z.B. wenn die Fernsehberichterstattung nicht auf die Parole der Demons- trierenden hört und die „The Whole Earth is Watching“-Rufe in ein „Come 9 Wexler wollte mit Medium Cool eine explizite Hommage an Jean-Luc Godard liefern, wie er in Interviews immer wieder betont. Im Film wird dies nirgendswo poetischer deutlich, als in der Szene, in der der Protagonist John sich mit schiefer Kopfhaltung die im Mundwinkel hängende Zigarette anzündet und damit die Pose einnimmt, die hinter ihm, im Großformat, Jean-Paul Belmondo in selbiger Haltung auf einem Poster zeigt. 330 High Definition back“ und „Stay with us“ kippen, wenn sich die Kameras vom Geschehen abwenden? Genau zwischen dieser unentschiedenen Einstellung, changierend zwischen Distanz und Nähe, kommt das filmische Zooming zum Einsatz. V.a. im letzten Teil des Films, als Eileen auf der Suche nach ihrem Sohn im aufständischen Trubel Chicagos herumirrt, macht das Zooming die Schwierigkeit einer Einpassung der Kamera in erhitzte mediale Wirklich- keiten deutlich. Die Kamera kann nicht so einfach der Protagonistin durch die Menschenmengen, durch die Barrikaden folgen, durch ein Chaos, bevölkert von Verletzten und Militär. Das Zooming lässt nun aber sein Bildobjekt Eileen, und hier ist O’Brien zu folgen (ebd.), trotz schwieriger Produktionsbedingungen nicht aus den Augen. Dass dieses Drehen on Location ein gefährliches, dringliches ist, zeigt gleich zu Beginn des Films eine ins Bild gehaltene zerbrochene Kameralinse. O’Brien macht in seinem Buch Transactions with the World explizit auf die mit der zerstörten Technik ausgestellten „limitations of the camera“ (2016, 190, Hervorhebung im Ori- ginal) in Medium Cool aufmerksam. Immer wieder gerät das filmende Dis- positiv unter Beschuss, muss sich rechtfertigen und wird adressiert. Dokumentarische Zoomings Demgemäß ist ein Zoomeinsatz aus dokumentarischer Perspektive angesprochen, auf den auch Nick Hall (2018) besteht, wenn er in seinem fundierten historischen Abriss zur Bewegtbildästhetik das Zooming jen- seits einer Effekthaftigkeit einordnet. Zwar benutzte man nach dem Ersten Weltkrieg „Zoom“ und „Zooming” als Sensationsvokabel, um onomatopoet- isch eine schnelle, fliegende Bewegung zu beschreiben: „To zoom was to do just about the most exhilarating thing a pilot could do with an aircraft: open the throttle, point the nose toward the sky, and surge away from the ground“ (ebd., 24). Dennoch kann das Zooming schon vor seiner ersten Registrierung 1927 als eine Bildästhetik identifiziert werden, die nicht nur auf einen „frivolous ‚trick‘“ (ebd., 36) zu bringen ist, sondern differenziert, wenn auch nicht konventionalisiert, gehandhabt wurde (ebd., 49–72, 65). V.a. aber kommt das Zooming durch die 1949 einsetzende Standardisierung und Serialisierung der Zoomar-Zoomlinsen jenseits der Effekthaftigkeit in den Fernsehberichterstattungen zum Einsatz. Ab diesem Zeitpunkt sind Zoomobjektive unabhängig von der Kamera beziehbar und auch kleinere 16mm-Kameras können nun mit variablen Brennweiten durch ein Objektiv filmen, das aus bis zu sechzig verschiedenen Glasteilen besteht (ebd., 133). Die Objektive mit variablen Brennweiten beanspruchen schnell höchste Epistemologisch/Zoomen 331 Relevanz für die Produktion und Kommunikation von Nachrichten, so ist Hall weiter in seiner Zoom-Geschichte zu folgen. Zooms werden eingesetzt, wenn on Location gedreht wird und keine Zeit bleibt, einen Objektivwechsel vorzunehmen, wie bei Sportereignissen oder bei Live-Berichterstattungen. Statt der etwas spröden Handhabung eines Objektivrevolvers können Kameras nun dynamischer und fließender das Blickfeld verengen und erweitern (ebd., 51). Unter restriktiven Vorgaben oder in überraschenden und unvorhersehbaren Momenten während der Drehsituation stellte sich Zooming als hoch praktikabel heraus. Hall zeichnet diese produktionstechnischen Vorteile anhand der in der Geschichte der Massenmedien maßgebenden Berichterstattung während der amerikanischen Präsidentschaftswahlen 1952 nach. Trotz der großen politischen Erwartungen in die journalistische und dokumentarische Praxis des Fernsehens, die sich aus den zeitgenössischen Pressestimmen heraus- lesen lässt (ebd., 65), mussten die Sendeanstalten, die das erste Mal stark in den Wahlkampf involviert waren, um jede Kamera in den Convention Halls kämpfen (ebd., 67). In letzter Minute wurden portable Aufnahme- geräte von den Parteitagen ausgeschlossen, sodass die acht eingesetzten Kameras der Fernsehanstalten schließlich auf ihre Zoomar-Zoomlinsen angewiesen waren, um das Geschehen im Parkett von den Balkonen aus abzubilden: „Faced with a limited number of camera positions and no clear opportunities to place cameras on the floors among the speakers and delegates, the networks turned to their zoom lenses to ensure that cove- rage felt as ‚close up‘ as possible” (ebd.). Aus dieser kurzen Rekapitulation eines frühen effektfernen Einsatzes der Zoomlinsen lässt sich eine Ortsgebundenheit der Aufnahme von Wirklich- keit ableiten, wie sie auch schon mit Medium Cool diskutiert wurde. Wird unter erschwerten, unklaren oder sogar konfusen Produktionsbedingungen gefilmt, ist Zooming der Versuch, sich eine Blickschneise zu erkämpfen, um überhaupt irgendetwas zu sehen. Die Eingeschränktheit eines Bewegungs- spielraums des visuellen Blickfeldes steht aus dokumentierender Per- spektive für eine Überdeterminierung von Wirklichkeit. Hier sorgt die Scheinbewegung weniger für erhabene Überblicksszenarien, sie muss den vorgegebenen Anforderungen gerecht werden. Blickachsen müssen sich über die Zoomings einen Weg durch dichte Wirklichkeiten schlagen, um am Ende wenig effekthafte Aufnahmen zu liefern. Kein Kamerapunkt erlaubt es den Betrachter/innen eine konsistente oder kohärente Einstellung zur Wirk- lichkeit einzunehmen, um von dort aus „loszuzoomen“. 332 High Definition Neben der Verortung der Ästhetik in der Fernsehgeschichte wird das Zooming in einer Reihe mit entsättigten Farben und „improbable leading males“ in der Filmgeschichte als New-Hollywood-Look beschrieben genauso wie das Drehen on Location, wie O’Brien (2016, 179) weiter fest- stellt. Die Verbindung von Zoomeinsatz und Location würde nun in Filmen wie Medium Cool eine (medien)ökologische Reflexion im Sinne eines „Ecocriticism“ in Gang bringen. Auf filmästhetische Weise würde das Ver- hältnis von erzählter, filmischer Welt und Umwelt austariert (ebd., 162). Dabei stelle sich die Frage, wann ein Drehort seinen Status als Hintergrund aufgebe und sich als „active player“ (ebd., 87) mitteile. Als profilmischer Aktant beeinflusse die Wirklichkeit den Dreh, setze die Bildproduktion unter materielle Zwänge und gerade das Zooming verdeutliche die zu ver- zeichnenden Kompromisse. Denn mit dem Zooming, so O’Brien, würde ein Begehren ausgedrückt, an etwas näher heranzukommen, das durch nicht verhandelbare Bedingungen unzugänglich gemacht wurde oder immer noch ist (ebd., 184). O’Brien macht auf die unzähligen Verwendungsregeln im Hinblick auf das Zooming aufmerksam, die sich im Diskurs um das New- Hollywood-Kino konstituieren (ebd.). Auch Hall (2018, 6) beschreibt in seiner Zoom-Geschichte den normativen Blick auf die Scheinbewegung. Zwischen „use and abuse“, wie es 1957 erstmals Joseph V. Mascelli formuliert, gibt es filmstilistische Restriktionen, die den Einsatz des Zoomings rechtfertigen. Im Zentrum steht dabei die Abgrenzung zur Kamerafahrt und die Frage, wie und wann der Einsatz des Zoomings statt der Kamerabewegung unan- gebracht und einfallslos sei. O’Brien verweist nun gerade mit dieser Aus- handlung der Möglichkeiten oder Notwendigkeiten, die Kamerabewegung durch Zooming zu ersetzen, auf eine Befragung der Beziehung von Film und Wirklichkeit: [E]ven if the priorities at play in choosing zoom over another technique seem relatively straightforward …, to make such priorities visible is to point towards the effort that has gone into creating a fiction somewhere. This, I believe, has a significant effect on some quite far- reaching ecocritical and ontological issues. What are the implications for questions regarding world creation, for example? If cinema creates worlds, why does it need to compromise? (2016, 184–185, Hervor- hebung im Original) Das Zooming als Kompromiss bei der Kreation eines filmischen Univer- sums könne, so O’Brien weiter, sogar als Demut gegenüber der auf den Film Einfluss nehmenden Umwelt verstanden werden. In Medium Cool macht O’Brien diese Ergebenheit des Filmblicks gegenüber den Vorgaben der Wirklichkeit an einer Szene fest, in der das Zooming einem davonfliegenden Epistemologisch/Zoomen 333 Vogel „nachblickt“ und so auf die Restriktionen des eigenen Bewegungs- radius verweist (ebd., 194). Auch Hartmut Bitomsky beschreibt in seinen Ausführungen zur Kinorealität und Produktionswirklichkeit mit dem Zoo- ming eine gewisse Intensionslosigkeit gegenüber der dokumentierten Wirklichkeit. Die Kamera, so Bitomsky, sei dabei selbst „unbedeutend; die Bedeutung wird der Kamera vom Geschehen diktiert“ (1972, 12). Der Überhang der Wirklichkeit lässt das Zooming zu einem Kompromiss werden, der auf Verschränkungen, man könnte auch sagen, Akteur/innen- Netzwerken zwischen Filmproduktion, Umwelt und Film hinweist und diese in der Scheinbewegung dokumentiert. Wie lässt sich dieser Befund nun auf eine Bild/Wirklichkeit, eine post/digitale Medien/Immanenz übertragen und den weltbildgebenden Digitalzoom in HD? Es scheint, als ob Medium Cool mit dem Ende des Films einen Hinweis gibt: Die letzte Szene zeigt das verunglückte Fahrzeug von John und Eileen brennend, am Baum zerschellt. Der Unfall ist ein kritischer, beinahe dromologischer Fingerzeig auf die Schnelligkeit und die Sensationsgeleitetheit des sozio- politischen Milieus der 1960er-Jahre. Hält John am Anfang des Films mit seiner Kamera starr auf Unfallopfer, so wird er nun selbst zur Nachricht. Sein Unglück wird in vorauseilender Manier der Berichterstattung im Film über eine Radiostimme im Voiceover bekanntgegeben. Sekunden später erst sehen die Zuschauer/innen die Kollision. Dann fährt ein Auto mit Menschen an der brennenden Karosserie vorbei, nur um ein Foto von der Szene zu machen. Ein Schnitt lässt die Kamera der geradlinigen Fahr- spur der Allee, von der der Wagen abkam, folgend, lange aus dem Bild zoomen, um mit einem Schwenk nach rechts die Eclair Camerette, hinter der Wexler steht, in den Blick zu bekommen. Wexler hat den Unfall gefilmt, nun dreht er sich zur Betrachter/in. Hier setzt ein zweites Zooming ein, zwischen Kamera und Kamera. Der Blickpunkt der Zuschauer/innen zoomt nun auf die Eclair Camerette und verschwindet im Blendenverschluss. Die beiden Zoomings werden vom Chor und dem Mantra des Films begleitet: The Whole Earth is Watching! Das Zooming verbindet das intradiegetische Kameraauge mit dem Sichtfeld des Films. Es scheint, als ob es sich um ein reflexives, überlegenes Zooming und nicht das situierte Blickachsen- freikämpfen handelt, das der Film zuvor zeigte. Der zentralperspektivische Rückzug aus dem Geschehen, das starre Kameraauge beruhigt den Film, wirkt statisch im Verhältnis zu den gehetzten Handkameraaufnahmen im Trubel der Demonstrationen. Doch ist gerade die Verschaltung der letzten Zoomings ein Indiz für den überforderten Kamerablick als Kom- promiss in einer überbordenden Medien/Wirklichkeit. Die vermeintlich überlegene Scheinbewegung, die das reflexive Außen der Filmherstellung 334 High Definition und Wexler hinter der Kamera zeigt, wird durch den zoomenden Blick- punkt der Betrachter/in wieder innerhalb einer anderen Scheinbewegung und damit in ein Bild integriert. Wexlers Zooming ist nicht überlegen, es muss sich gleichsam nach dem Geschehen, nach seiner medialen Umwelt richten. Diese ist eine Bild/Wirklichkeit, eine Mise en images, so demons- triert es die allerletzte Scheinbewegung der Betrachter/innen, die sich an Wexlers Kamera ansaugt. Die Produktion einer filmischen Wirklich- keit, ein vermeintliches Außen, ist, entgegen der Annahme Steyerls, bei Medium Cool nicht absolut. Sie speist sich in den Bildraum ein, der von einer nächsten Scheinbewegung austariert wird. Handelt es sich nun beim Blick der Betrachter/innen um eine gottesähnliche Perspektive, die Latour so kritisiert, die aber auch auf die Heideggersche Metaebene zu bringe wäre, die den letzten Schatten des Unwissens durch den kos- mischen Blick lichtet? Für Medium Cool und die 1960er-Jahre vielleicht. Mit der Zoomstaffelung, der Kamera hinter der Kamera hinter der Kamera, der Scheinbewegung in der Scheinbewegung in der Scheinbewegung ect., wird dann etwas angedeutet, was sich v.a. erst durch das Digitalbild und in einer post/digitalen Medien/Immanenz verdichtet, die über post/ produktive Mittel kein Außen des Bildes mehr ermöglicht. Ich möchte mich auf die geschilderte, analoge Traditionslinie der Zoomästhetik berufen, wenn ich im nächsten Kapitel den in der Scheinbewegung angelegten post/ perzeptuellen Zustand der Überforderung im Raum, on Location, in die Mise en images des hochaufgelösten Digitalbildes übertrage. Hier wird das HD-Bild zum Milieu und das digitale Zooming soll im nächsten Kapitel als dürftig und strapaziert, den vorherrschenden Vorgaben entsprechend, identifiziert werden. Epistemologisch/Zoomen 335 Abbildung 5.2. (Quelle: Screenshots. Google Earth Pro. 2019) Abbildung 5.3. (Quelle: Filmstills. Eames, Charles und Ray. 1977. Powers of Ten) Abbildung 5.4. (Quelle: Magazincover. Whole Earth Catalog. 1968–69) 336 High Definition 5.2. Mitten/im/Zooming/Werden Angestrengt und ratlos blicken Personen auf einen Bildschirm. Was dort zu sehen ist, steht im Zusammenhang mit einem Kriminalfall, den es zu lösen gilt. Das Bild hilft nicht weiter. Oder doch? Plötzlich lichtet sich die Mimik einer Person. „Hold“, „go back“, „freeze that“, „full screen“, „zoom in“ sagt sie zur anderen, die vor dem Computer sitzt. Diese tippt (hektisch) auf eine Tastatur ein. Kaderfüllend vergrößert sich daraufhin das Bild. Was zunächst nichts weiter als eine Pixelwolke darstellt, wird mit dem Befehl „Enhance“ plötzlich konturenscharf – wenn nicht beim ersten Mal, dann beim nächsten „Zoom and Enhance“. Das Bild wird immer weiter vergrößert und verliert damit nicht, sondern gewinnt an Schärfe. So können sogar Reflexionen auf der Retina der abgelichteten Tatverdächtigen als Beweis- mittel herhalten. „Zoom and Enhance“ ist eine sogenannte TV-Trope, ein Meme, das zurückzuführen ist auf Kriminalserien und -filme, die Com- putertechnik nutzen, um im zweifelhaften Maße ein Bild zu vergrößern und nachzuschärfen (Know Your Meme 2016; TvTropes 2013). Neben z.B. Szenen aus den CSI-Serien ist mit Ridley Scotts Blade Runner (1982) ein prominentes Beispiel aus der Filmgeschichte vertreten. Per Sprachbefehl fordert Deckard (Harrison Ford) einen Computer immer wieder auf, ein Bild auf einem Monitor zu vergrößern. Er gibt die Anweisungen: „Enhance, stop. Move in, stop. Pull out, track right, stop. Center in, pull back. Stop. Track 45 right. Stop. Center and stop. Enhance 34 to 36. Pan right and pull back. Stop“ (00:42:51–00:45:30). Ein Fadenkreuz fährt über ein gerastertes Bild auf einem kleinen Bildschirm, der zentriert und locker im großen Filmkader sitzt. Auf Deckards Befehl hin wird das Bild rekadriert, von links nach rechts abgetastet, an unterschiedlichen Stellen vergrößert und wieder verkleinert. Im Umschnitt zeigt sich die gesteigerte Aufmerksam- keit Deckards, der immer näher an den Bildschirm heranrückt, genauso wie die Kamera, die mit jeder Vergrößerung den Monitor näherkommen lässt (ebd.). Der Videoessayist Duncan Robson hat Szenen wie diese in seinem Supercut Let’s Enhance (2009, 2013)10 zusammengetragen, darunter auch einige Parodien, denn, folgt man der Homepage Know Your Meme, so erlangten Zoom-and-Enhance-Szenen ihre Popularität v.a. durch den übertriebenen, unglaubwürdigen Technikeinsatz (Know Your Meme 2016). Dass die entgegengebrachte Skepsis jedoch auch einen gewissen Grad an Faszination auslöst, zeigt der regelmäßige, (populär-)wissenschaftliche (Hollister 2017; Jenkins und Kerr 2013) Abgleich der Trope mit technischen 10 Robson (2013) wurde ironischerweise vom Museum of the Moving Image sechs Jahre nach der Erstellung seines Supercuts gebeten, den knapp zweiminütigen Clip nachzuschärfen. Epistemologisch/Zoomen 337 Errungenschaften und der Frage was „nur“ im Film, der Literatur und in Serien und was „schon“ in „Real Life“ (TvTropes 2013) heranzoombar sei. Ohne materielle Rückschläge, ohne Auflösungsverlust in Bilder auf Monitoren zu zoomen, um Indizien und Identitäten zu verfolgen – diese Vorstellung steht im direkten Zusammenhang mit panoptischer Überwachung und birgt daher eindeutig skopistisch-hierarchische Implikationen, wie sie im vorherigen Kapitel durch die Kritik Latours am Zooming ausgeführt wurden. Mit Medium Cool sollte ein konträrer Zoom-Einsatz aufgezeigt werden, der nicht auf Überblick, sondern auf Überforderung und einen unmittelbaren Milieu-Bezug zurückzuführen ist. Als Fernsehästhetik und -technik etablierte sich das Zooming, um bei Liveberichterstattungen und unvorhergesehenen Ereignissen mit einem dokumentarischen Anspruch trotzdem etwas im Bild festzuhalten. Im Folgenden soll es nun darum gehen, die im vorherigen Kapitel dargelegten profilmischen Milieubezüge ins digitale Bild zu übersetzen. Digitale Zoo- mings stellen mit ihren Blickschneisen Konnexionen zur informations- dichten, überfordernden HD-Bild/Wirklichkeit, der Too Much World als Too Much Image, im selben Maße heraus wie wackelige Zoomings on Location, so die zu etablierende These. Auch Deckards navigierende Instruktionen können als das Durchstreifen, ein Surfen im Zuviel an Bild und weniger als ein erhabener Überblick iden- tifiziert werden. Der Cursor bewegt sich in den Screen hinein und wieder aus ihm heraus und die datendichte Fläche gibt am Ende in der Tiefe das Frauengesicht preis, das zuvor post/perzeptuell unsichtbar, kleiner als ein Bildpunkt war. Versunken im Detail, mitgerissen von innerbild- lichen Schwenks und Zooms ist dabei oft nicht klar, wo und wie weit sich im Bild befunden wird. Auch wenn das Zooming in Blade Runner am Ende zielführend etwas sichtbar werden lässt, was zuvor unsichtbar war, so kann die Bildbewegung selbst nicht auf eine epistemologische Überlegenheit Deckards zurückgeführt werden. Das Bild ist übervoll mit Informationen, es offeriert seine eigene komplexe Wirklichkeit, die zunächst unzugäng- lich und überfordernd ist. Das Zooming richtet sich an dieselbe und stellt keine Repräsentation einer überblickshaften Eindämmung, einen Blick vom „epistemologischen Feldherrenhügel“ aus dar, sondern eine Methode oder Praxis, um sich im Zuviel an Bild zu bewegen. Die Annahme, dass alles, was über das Zooming sichtbar werden kann, schon bildlich vorliegt, der Bewegungsumfang daher eingeschränkt und die Intentionalität vorgegeben ist – ein Vorwurf, der dem Zooming im Gegensatz zur Kamerafahrt immer wieder entgegengebracht wird (Belton 1980-81, 21; Hall 2018, 17) –, relativiert sich durch die Materialvoraussetzung hochaufgelöster Digitalbildlichkeit. 338 High Definition Ihre skalare In/Varianz bietet den Spielraum, sich in der Hochauflösung zu vertiefen wie in einer rohmateriellen Wirklichkeit, sie als dieselbe, als RAW/ Format zu erforschen und zu befragen, wie in Kapitel 2.2. argumentiert. Im Folgenden soll das digitale Zooming als Möglichkeit erkannt werden, sich erkenntnisgeleitet in HD-Bild-Welten innerbildlich zu bewegen „wie in einem beliebigen Dokumentarfilm“, um die Formulierung Bazins (2009, 226) noch einmal aufzurufen. Digitale Zoomings in sogenannten „Desktop Documentaries“ und digitalen Präsentations- und Visualisierungs- programmen auf Basis von skalierbaren Benutzer/innenoberflächen stehen dabei im Zentrum der Analyse zur Annäherung an das digitale Epistemologisch/Zoomen. Mit Zoomings filmische Achtsamkeit herstellen In der Filmtheorie wird das Zooming aufgrund der A-Räumlichkeit und Effekthaftigkeit seiner Scheinbewegung häufig als eine ideelle, reflexive, epistemologische Ästhetik bewertet und deswegen in Zusammenhang mit dem Bewusstsein eines (menschlichen) Subjekts gebracht. So führt es z.B. John Belton (1980–81, 21) aus, der das Zooming selbstreflexiv in Autor/innen-Filmen der Neuen Wellen eingesetzt sieht und die optische Bewegung versteht als „epistemological statement, contemplating man’s relationship not with the world itself but with his idea or consciousness of it“. Eine epistemologische Auslegung der Zoom-Ästhetik soll weiterverfolgt werden, nur um dieselbe weniger als Visualisierung eines menschlichen Bewusstseins und vielmehr als die onto-epistemologische Materialisierung einer Medienphilosophie mit und von HD zu identifizieren. Hier erweist sich Sobchacks Konzept des „Viewing Views“ (2009) als nützlich. Sobchack unter- streicht, dass es sich beim Zooming um einen Ausdruck des filmischen und nicht menschlichen Bewusstseins handelt. Das Zooming stellt ein „dyna- misches Kommunikationssystem“ her, zwischen Wahrnehmung und Aus- druck, zwischen „visual“ und „visible“. Für Sobchack ist „vision“ (das Sehen, die Schau) eine konstituierende Handlung, die jenseits von bewegter Physis Bedeutung herstellt und zum Ausdruck bringt (ebd., 21–22). Hier spricht Sobchack von einem „Viewing View“ des Films, der die Welt durch- laufe, ohne dass jemand oder etwas seine/ihre Position zu jemandem oder etwas aufgeben müsse. Raum zwischen vermeintlich sehendem Subjekt und gesehenem Objekt würde im buchstäblichen Sinne trans- zendiert (überschritten), weil eine Annäherung stattfindet, obwohl sich ihre Positionierung im Raum nicht durch die Seh-Bewegung ändert, beide „hold their ground“ (ebd., 25). Durch jene virtuelle Ausrichtung würde eine kör- pergebundene Form von Distanz und Räumlichkeit kollabieren (ebd., 26). Epistemologisch/Zoomen 339 Sobchack greift bei ihren Ausführungen auf das Aufmerksamkeitskonzept von Maurice Merleau-Ponty zurück. Merleau-Ponty würde Aufmerksam- keit als eine existenziell-leibliche Bewegung verstehen, die jedoch nicht auf einem Körper beruht. Vielmehr sei Aufmerksamkeit ein lernender Akt des Bewusstseins, der sich als geistige Transformationsbereitschaft äußert und bei dem sich die Beziehung eines Subjekts zu seiner Welt verändert. Dieser keimende Kontakt zwischen Subjekt und Welt kann als aktive Befragung der Wirklichkeit begriffen werden, die aber noch nichts Determiniertes, Definiertes zum Inhalt hat, sondern ein intentionsloses Potenzial darstellt. Aufmerksamkeit nach Merleau-Ponty sei dementsprechend, so Sobchack, nicht einfach der Nachvollzug des schon Existenten, sondern die aktive Konstitution von etwas qualitativ Neuem, das in der Entstehung hervor- hebt, was bisher als perzeptiv in/determiniert empfunden wurde und es gleichzeitig übertrumpft bzw. erst zum Distinguierten erkläre (ebd., 27). Aufmerksamkeit macht folglich Fernes groß und bedeutungsvoll, ohne seine wirkliche Größe zu ändern. Mit dem Zooming würde sich dieses Ver- ständnis einer achtsamen Beziehung zur Welt darlegen lassen: Nicht das Objekt schrumpft oder schwillt an beim Zooming, nicht seine Größe ändert sich und auch nicht die Distanz, sondern die Intensität der Beziehung zwischen Betrachter/innen und betrachtetem Objekt (ebd., 28). Zoo- ming stelle diese qualitative Veränderung zur Welt nicht nur aus, sondern gleichsam auch her und funktioniere als eine „visible performance of attention“ (ebd., Hervorhebung im Original). Dies bedeute auch, dass eine Aktivität entstehe, die sich, wie oben mit Latour kennengelernt, zwischen Subjekt und Objekt aufbaut und bei der gerade nicht entschieden werden kann, wer eigentlich gegenüber wem aufmerksam ist. Es ließe sich sagen: Es ist ein/e andere/r, die/der wahrnimmt. Mit Sobchack kann das Zooming genau auf die hybride Relation zwischen Subjekt/Objekt gebracht werden, die Latour der Scheinbewegung vehement abspricht. Das Zooming bei Sobchack, so möchte ich zusammenfassen, reagiert als eine aufmerksamkeitsgeleitete Bewegung auf die Phänomene der Welt, schreibt aber ihre Bedeutung nicht von einem hegemonialen Blickpunkt aus fest. Gleichsam kommt diese Bewegung erst zustande, weil sie durch etwas im Betrachtungsobjekt Vorhandenes, aber wiederum in ihm nicht Fest- legbares, ausgelöst wurde und als Reaktion ein Intensitätenverhältnis als qualitatives Hybrid zwischen Subjekt und Objekt aufbaut (ebd., 28–29). An die Überlegungen von Sobchack soll angeschlossen werden und Zoomings als ein Produkt eines epistemischen Bezugs erkannt werden: Das Zooming ist audiovisuelle Materialisierung einer intra/subjektiven Aufmerksam- keit, ist bewegtbildliche Onto-Epistemologie. Im weiteren Verlauf dieses 340 High Definition Kapitels soll das Zooming, mit den theoretischen Anleihen Sobchacks, als Praxis oder Methode im Sinne einer hergestellten Aufmerksamkeit gelten, die es ermöglicht, in post/digitalen, medien/immanenten Bild/Wirklich- keiten zu agieren. Neben post/produzierenden, um/formatierenden und interpolierenden Handgriffen als medienphilosophisches Image Processing von HD gilt Zooming als epistemologische Basis im Umgang mit hoch- aufgelöster Digitalbildlichkeit. Zooming bestellt, anders formuliert, das Intensitätenfeld der Too Much World als Too Much Image. Desktop Documentaries, Transformers: The Premake Wie sich ein solches post/digitales, medien/immanentes Intensitäten- feld gestaltet, sollen im Folgenden sogenannte Desktop Documentaries demonstrieren. Tiago Baptista (2016, 210) zeichnet nach, dass der Begriff „Desktop Documentary“ seit Mitte der 2000er-Jahre im schulpädagogischen Bereich kursiert. Mit Hilfe digitaler Software würden Schüler/innen forschend lernen (v.a. im Geschichtsunterricht und in der Auseinanderset- zung mit historischen Methoden), indem sie in der Rekombination, dem Collagieren und der anschließenden Präsentation ihrer audiovisuellen Ergebnisse die Historizität und Materialität von Dokumenten und Quellen analytisch explorieren und vergleichen können (ebd.; Schul 2014). Baptista (2016, 210) folgend lässt sich sagen, dass der Begriff „Desktop Documentary“ mittlerweile stark verbreitet ist und mit einer audiovisuellen DIY-Kultur in Zusammenhang steht, wie sie auch in Kapitel 2.1. beschrieben wurde. Jedoch wäre mit dem Begriff meist, so Baptista, ausschließlich der Produktions- und Distributionsmodus – nämlich ohne institutionelle Anbindung über den eigenen Laptop oder Personal Computer Dokumentationen herstellen und verbreiten – benannt und keine „self- conscious formal methodology“ (ebd.). Ganz anders bei dem Modellfall einer videoessayistischen Desktop Documentary Transformers: the Premake (2014) von Kevin B. Lee. Auf seiner Homepage definiert Lee „Desktop Doc- umentary“ wie folgt: This form of filmmaking treats the computer screen as both a camera lens and a canvas, tapping into its potential as an artistic medium. If the documentary genre is meant to capture life’s reality, then desktop recording acknowledges that computer screens and the internet are now a primary experience of our daily lives, as well as a primary repository of information. Desktop documentary seeks to both depict and question the ways we explore the world through the computer screen. (2014) Epistemologisch/Zoomen 341 Baptista (2016, 209) versteht Lees Definition als Methode. Er erkennt den Computerbildschirm als strukturbildendes Prinzip zur formalen Organisation der audiovisuellen Information und den Computer als forschendes wie filmendes Tool, welches diese beiden Praktiken in die audiovisuelle Komposition des Endprodukts integriert: Forschen und Filmen fallen auf dem Desktop zusammen. Transformers: the Premake befragt, kritisiert, untersucht post/digitale Medien/Immanenz dement- sprechend bildintern: vom Screen aus über Zoomings zwischen Detroit, Chicago, Hongkong und Festlandchina, über das Vertiefen, Collagieren und Assemblieren von auflösungsschwankendem, digitalem Bildmaterial. Das 25-minütige Video arrangiert Hochglanztrailer mit Amateur/innenhandy- videos, Twitter-Kommentar-Screenshots mit eigens gedrehtem Smart- phone-Footage, Fernsehinterviews mit PR-Material und Onlineartikeln. Auf ein Voiceover wird verzichtet, Schrift ist nur als Bild im Bild zu sehen. Dabei beleuchtet die Arbeit Lees die Produktionsbedingungen von Michael Bays Hollywood-Blockbuster Transformers: Age of Extinction (2014). Lee reflektiert über einen der, während der Entstehung dieses Buchs, Box-Office- stärksten Filme (1,104 Milliarden US-Dollar) anhand der paratextuellen Bildflut, die die post/digitale Medien/Immanenz zu bieten hat. Er nutzt von unautorisierten, an den Drehorten entstandenen Amateur/innenvideos bis hin zum offiziellen Werbematerial alles Beziehbare, um Aspekte wie Fan Labour und User Generated Content als Marketingstrategie (Marques 2013), die Einbindung von China als neuen Absatzmarkt für die amerikanische Filmindustrie oder Copyrightfragen bei Webuploads vom Screen aus zu beleuchten. Transformers: The Premake zeigt, dass das Dokumentieren einer post/ digitalen Medien/Immanenz über den Desktop und die skalierbare Benutzer/innenoberfläche des Laptops nicht nur möglich, sondern sogar unumgänglich ist. Lee geht hier „ins Feld“ und muss digital „vor Ort“ Strategien finden, um Wirklichkeit zu befragen, so macht es sein Produktionstagebuch deutlich. Etwas lakonisch berichtet der Video- essayist von der „solitude under the pretense of company“ (Lee 2016, 212), die seine Arbeit vor dem Bildschirm generell auszeichne, und die ihn bei der Anfertigung und Planung von Transformers: The Premake dazu brachte, das Zentrum seiner sozialen und beruflichen Aktivitäten, „this space of plastic, metal, and digital light occupying less than half a square meter“ (ebd.), zunächst zu verlassen: „I started to seek a more direct and tactile engagement with people and spaces“, mit der Frage, „how the pursuit of moving images might take me into the physical world instead of further away from it“ (ebd., 213). Er macht sich auf den Weg, um hunderte an 342 High Definition Stunden On-Location-Footage an den Drehorten von Transformers: Age of Extinction in Chicago über fünf Wochen hinweg aufzunehmen. Doch nach einer Weile merkt Lee, dass es vor Ort nichts zu sehen gibt. Frus- tration und Enttäuschung stellen sich ein, „in seeking a production that was largely kept out of view“ (ebd.). Obwohl die Produktion von Trans- formers: Age of Extinction die Infrastruktur der Großstadt verändere und sogar lahmlege und eindeutig auf den Ort eingreife, sei on Location nichts wahrzunehmen, geschweige denn die Möglichkeit ein „tactile engagement“ herzustellen: „Dozens of hours of footage in which there is nothing to see“ (ebd.). Räumliche Grenzen sind für Lee nicht überschreitbar, selbst mit der Zoomlinse nicht. Und so kehrt er wieder an den Laptop zurück, um zu dokumentieren und die Bild/Wirklichkeit von Transformers: Age of Extinction und die Medien/Immanenz, in der er und die Filmproduktion sich befinden, von dort aus zu befragen. Denn was Lee während seiner Feldarbeit bemerkt, ist, dass seine dokumentarische Produktion sich technisch wie auch von der Aufmerksamkeitslenkung her nicht von der Bildherstellung all der anderen Filmenden unterscheidet, die als Fans, Schaulustige, Amateur/ innen oder einfach nur zufällig Vorbeilaufende den Dreh des Blockbusters begleiten. Es stellt sich ein Szenario ein, das in Kapitel 2.1. schon mit Steyerl aufgezeigt wurde, nämlich dass Rezeption und Produktion bzw. Bildkonsum in einer post/digitalen Medien/Immanenz in eins fallen. Lee formuliert es wie folgt: „All production is the excretory phase of consumption“ (ebd., 214). Diese Erkenntnis lässt Lee an dieselbe Stelle kommen, die schon mit Philipp Scheffners Havarie in Kapitel 3.2. erörtert wurde: Lee erklärt sein selbstgedrehtes Material für nicht aussagekräftig genug und verlässt sich auf die Bilder, die schon existieren, all die Videos, die um ihn herum per- manent produziert werden. Counter-Images, die Lee eigentlich mit seinem dokumentarischen Anspruch einfangen wollte, sind für ihn auf YouTube zu finden, auch wenn sie noch nicht mit der kritischen Intention versehen sind, was Lee zu der Frage bringt: „[I]f my attempted ‚counter-images‘ looked the same as the images taken by those around me, what could possibly turn an image into a ‚counter-image‘?“ (ebd., 215). Die Antwort zeigt wiederum das Endprodukt an der Schnittstelle von Produktion und Rezeption, denn was Lee in Transformers: The Premake letztendlich exemplifiziert, ist ein dokumentarischer Blick auf und inner- halb der post/digitalen Medien/Immanenz und die Art und Weise, wie in diesem Kontext Bilder hergestellt, weiterverarbeitet, verteilt und rezipiert werden. Lee demonstriert dies nicht nur über den Inhalt seiner Desktop Documentary, sondern über die Methode der Inszenierung des Materials. Zunächst stellt er reflektierend seinen Einfluss auf dasselbe fest, er gesteht Epistemologisch/Zoomen 343 sich sozusagen seine Post/Produktionen, Um/Formatierungen und Inter- polationen ein, die für ihn „new forms of looking“ ermöglichen: „[T]he form may have less to reveal about the material it regards than its own act of looking upon the material“ (ebd., 212). Verwiesen wird demgemäß auf die videoessayistische Praxis im Allgemeinen, und zwar konkret aus film- wissenschaftlicher Perspektive. Lee schließt mit seinen Überlegungen an einen Post/Cinema-Diskurs an und an die zu Beginn der Arbeit angestellte Vermutung, dass die Schnittstelle zwischen Cinema und Post/Cinema das (unsichere, subjektive, überforderte) Urteilen über das Phänomen (Kino) preisgebe und damit weniger etwas über die Sache an sich als vielmehr über die Perspektive auf die Sache aussage. Transformers: The Premake zeigt nicht nur den Blick in jedem digital gemachten Click, sondern ver- weist als mediale Existenzweise selbst auf eine Politik der Bildzirkulation, setzt sie nicht nur als Thema ins Bild, sondern setzt sich ihr als Bild aus. Transformers: The Premake ist als Reflexion Teil der post/digitalen Medien/ Immanenz, über die nachgedacht wird. Die Desktop Documentary ist aus demselben hochaufgelösten Material gemacht wie ihr Objekt: dem RAW/ Format einer Too Much World als Too Much Image, und fügt sich daher in das Milieu, das sie zuallererst hervorbringt – Resultat, Entstehungs- und Rezeptionsprozess fallen am Desktop in eins. Folglich zeigt sich ein medien- ökologisches Verständnis des digitalen Milieus, welches, so scheint es, im post/digital medien/immanenten Sinne kein Außerhalb der Betrachtung zulässt. Das „entanglement“, das Lee mit dieser Too Much World eingehen will, eine „intimacy with this environment“, basiert daher nicht auf einer Begegnung der Welt jenseits des Computerbildschirms. Die Form, die Lee letztendlich wählt, manifestiert nicht nur seinen Bezug zum Bildmaterial rund um Transformers: Age of Extinction, sondern wie er selbst sagt, zur ganzen Welt (ebd., 220). Diese Welt zeigt sich im Video als Mise en images, über den sukzessiven Aufbau von Friedbergschen Multiplen, inneren und weichen Montagen, wie sie in Kapitel 4.1. beschrieben wurden, durch innerbildliche Schwenks und v.a. ein exzessives Hinein- und Hinauszoomen in verschiedene Bildkon- texte. Das Zooming „vernäht“ sozusagen im kontinuität/intensivierenden Sinne Wirklichkeitsbereiche miteinander, ohne sie in eine überblickende Ordnung zu bringen. Wie Deckard aus Blade Runner wird mit der Desktop Documentary und ihren Zoomings im Zuviel der Bild/Wirklichkeit navigiert. Der bildschirminterne Kamerablick verliert sich im Detail, muss zurück zum vermeintlichen Zentrum, beschleunigt und verlangsamt die innerbildliche Bewegung. So sei auch gesagt, dass die durch den Desktop ermöglichten Streifzüge nicht mehr auf eine kontrollierende Monitoransicht zu bringen 344 High Definition sind, wie es noch die vermeintlichen Zoom-and-Enhance-Beispiele vor- gegeben haben. Das Zooming schachtelt nicht die Details in einen gleichsam überblickbaren, großen Zusammenhang – die Ordnung von Wissen, die Latour so kritisiert. Vielmehr breiten viele verschiedene Zooms, so wie sie auch in 3“ manifest wurden, das Intensitäten-Feld im post/ digitalen medien/immanenten Milieu aus, stellen Bezüge her und brechen diese wiederum ab, vertiefen sich im Detail und ziehen sich im Zoom-Out wieder zurück. Mitten/im/Zooming/Werden Lees Desktop Documentary stellt Phänomene weder gut sichtbar noch geordnet nebeneinander dar. Transformers: The Premake bringt seine Reflexion nicht in eine nachvollziehbare Reihung, sondern setzt, jenseits von Deixis und stringenter Argumentationsführung, auf ein audiovisuelles Überangebot bzw. assoziative Bezüge, akkumulierende, teilweise auch hyper-quantifizierte Lesarten einer digitalen Bild/Wirklichkeit. Wie die in Medium Cool stattfindenden Zoomings können auch die vorgenommenen digitalen Scheinbewegungen auf eine post/digitale Wirklichkeit verweisen, die in ihrer Komplexität nicht einfach so greifbar ist, sondern vermeintlich kontingent mal das oder das oder dann das sichtbar werden lässt. Die Bilder stellen ein sich ständig veränderndes, ökologisch verbundenes, kommentierendes und sich gegenseitig hervorbringendes „Denken im digitalen Milieu“ dar, wie es mit Deleuzes Begriff der Dramatisierung in Kapitel 4.2. skizziert wurde und welches ich nun auf ein Konzept des Mitten/im/Zooming/Werden bringen möchte. Die Schrägstriche lassen das „Inmitten“, „Zooming“ und „Werden“ bedeutungsbezogen zusammen- fallen und verweisen auf eine topologische Relationalität des Prozesses und der aufmerksamkeitsgelenkten Bildbewegung. Beide finden inmitten statt und eine Vergrößerung und Verkleinerung ist demgemäß skalar in/ variant und ein stetiger Prozess, der nicht auf einen erhabenen Blick- oder gar einen klar vorgesehenen Zielpunkt bzw. auf eine lineare Bewegung zwischen den beiden zu bringen ist. Ich möchte mich auf das von Shane Denson etablierte Wirklichkeitsverständnis, „the reality of being-in-the- middle“ (2016, 26), berufen, „part of what it feels like to be in the midst of this change“ (ebd.). Die Mitte als Zustand ist für Denson übervoll mit all den mikrotemporalen Prozessierungen digitaler Informationen, die „right ,in the middle‘“ (ebd., 28) einer medialisierten Erfahrung passieren, aber post/perzeptuell an Menschen vorbeiziehen. Dass sich dennoch eine Ver- bindung einstellt, ist für Denson derselben flach-ontologischen Agency eines medialisierten „Layer[s]“, zwischen Subjekt und Objekt zu verdanken, Epistemologisch/Zoomen 345 die für Latour Handlungshybride und für Sobchack das Zooming definieren: Die Mitte als sensible, mediale Aufmerksamkeit, die ein Akteur/innen-Netz- werk als Intensitätenfeld mit nicht eindeutig verteilter Handlungsintention herstellt. Skalar in/variant ergibt sich, wie schon in Kapitel 1.1. erörtert, eine relationale Qualität zwischen Entitäten, die nicht auf „eine“ Größe „eines“ Phänomens zu bringen ist. Dieses Konzept soll nun weiterentwickelt werden. Nicht nur wird mit dem Zooming ein aufmerksamkeitsstarkes Feld zwischen Subjekt und Objekt in ihrer Relation zueinander errichtet, sondern dieser Bezug ist selbst wiederum eingelagert inmitten eines Zoo- mings bzw. greift das „Inmitten“ über: Es befindet sich nicht zwischen Sub- jekt und Objekt, sondern umgekehrt befinden sich dieselben in ihm. Ähn- lich wie in 3“ und wie am Ende von Medium Cool kann eine Zoombewegung an die nächste angeschlossen werden und so ist nicht klar, ob man sich gerade in einem Zoom-Out oder einem Zoom-In befindet – es handelt sich stets um Mitten/im/Zooming/Werden. Transformers: The Premake und seine Desktop-Ansichten machen dahin- gehend einen Vorschlag für ein solches Mitten/im/Zooming/Werden: Nachdem in einem kaderfüllenden Editor-Dokument der Titel der Desktop Documentary eingegeben wurde und die bildschirminterne Kamera der Buchstabenreihe im Schwenk nach rechts folgt, schließt sich das Text- programm und der Blick auf den Desktop liegt frei. Dort zu sehen ist als Hintergrundbild eine Transformers-Zeichentrickfigur. Von dieser wird über „Dock“ an der rechten Seitenleiste des Desktops Google Chrome und dann YouTube aufgerufen. Ein Zooming setzt das nun geöffnete Browserfenster größer in den Kader. Ein darauffolgendes Zoom-Out listet die Videos auf, die bei dem Suchbegriff „Transformers 4“ erscheinen. Zwei Browserfenster werden nebeneinander auf dem Desktop angeordnet. Um sie gut ins Bild zu bekommen, zoomt die bildschirminterne Kamera ein weiteres Mal nach außen. Ein gemächliches Zooming zieht den Blick dann langsam in das rechte Browserfenster, das den Originaltrailer zu Transformers: Age of Extinction zeigt. Nur für einen Augenblick setzt das Zooming diesen kad- erfüllend ins Bild. Ein Schwenk nach links zeigt einen anderen Clip, nämlich von der Produktion in Chicago, genauer: vom Columbus Drive. Das Video vergrößert sich über das Zooming, füllt kurz den ganzen Desktop und wird von einem Schwenk nach rechts oben auf das Suchfeld von YouTube aus dem Blickfeld gedrängt. Die Suchanfrage „Transformers 4 filming in Chicago“ bringt eine Reihe anderer Videos über Zoomings ins Bild und platziert sie, nachdem sie vergrößert zur Ansicht kamen, als kleine Bewegt- bild-Icons auf einer Google-Earth-Karte von Chicago, die nun den Desktop ausfüllt und den Hintergrund der weiteren Bildbewegungen darstellt. Das 346 High Definition digitale Chicago wird mit den Clips, die an verschiedenen Orten der Stadt aufgenommen wurden, angereichert, während die bildschirminterne Kamera über die Straßen, Plätze und Sehenswürdigkeiten der Metropole navigiert. Ein schnelles Zoom-Out zeigt, dass diese Verortungen innerhalb der Visualisierungsanwendung Prezi, der, neben PowerPoint und Keynote, bekanntesten Präsentationssoftware, stattfinden. Die Anwendung wird geschlossen und der/die Betrachter/in ist zurückgekehrt auf den Desktop (00:00:00–00:02:12, siehe Abb. 5.5.). Das Eintauchen in die vielen Bildkontexte und ihre gegenseitige Über- lagerung, die Zoomings zwischen ihnen, lassen während der 25 Minuten von Transformers: The Premake immer wieder vergessen, dass sich all diese Bezüge vor dem Hintergrund eines Desktops abspielen. Dieser Hintergrund ist in seiner Größe nicht festgelegt, so scheint es, denn auf ihn passen verschiedene mediale Existenzweisen, die über bildinterne Bewegungen ein digitales Milieu errichten. Der Desktop ist sozusagen der Nährboden, auf dem die Erkundungen und Verhältnisbestimmungen Lees stattfinden, der das Intensitäten-Feld zuallererst auslegt. Ein Innen, welches von der vermeintlichen Rahmung des Computerbildschirms abgesteckt wird, ist, im Hinblick auf Lees Interessenfokus: die Blockbusterproduktion, viel ergiebiger als sein Außen, die post/digitale Medien/Immanenz, so ließe sich sagen und dabei an die Verschachtelungen der Bilder und Bild/Wirklich- keiten aus How Not to Be Seen erinnern. All die vielen Einzelansichten fügen sich mit den Zoomings in einen großen Zusammenhang, der nicht auf eine stabile Überblicksposition zu bringen ist, sondern vielmehr die Erfahrung vermittelt, mitten/im/Zooming/zu/Werden. Prezi Wie erwähnt, greift Lee für die Darstellung auf das als Basisversion online frei zugängliche (d.h., dass die erstellten Präsentationen Open Access vorliegen) Präsentations- und Visualisierungsprogramm Prezi zurück (Lee 2016, 218). Prezi strukturiert Wissen nicht linear-sukzessiv, sondern bild- lich-topologisch. Auf einer großen Fläche, oder, wie es im Programm heißt: der „Canvas“ (Perron und Stearns 2011, 376), werden Inhalte angeordnet und auf einer (Mind)Map zueinander in Beziehung gesetzt. Die Canvas ermöglicht bei der Erstellung den Überblick und bei der Präsentation selbst werden Inhalte dann nicht in Reihung nacheinander über Slides aufgerufen, sondern im Zooming auf derselben erfasst und über sogenannte Pfade miteinander verbunden, die auf Wikipedia explizit mit den Google-Earth- Zoomfahrten verglichen werden (Wikipedia o.J.c). Empirischen Studien, die Epistemologisch/Zoomen 347 sich für die Wirkung von Prezi und die durch das Visualisierungsprogramm vermeintlich verbesserte Memorabilität, Zugänglichkeit und Verständlich- keit bei der Wissenskommunikation interessieren, stellen das Programm einer auf Bullet Points basierenden Inhaltsvermittlung gegenüber. Prezi würde dagegen dynamischer und lebendiger Wissen präsentieren und im Kontext verorten. Die Verlässlichkeit und das Ergebnis dieser Studien seien dahingestellt. Was sich aus ihnen jedoch entnehmen lässt, ist, dass die Argumentation für eine vielversprechendere Methode bei der Wissenskom- munikation auf verwobene Beziehungen von Details und Informationen und nicht auf hierarchisch oder geschachtelte Zusammenhänge setzt und diese nun gerade im Zooming ihre Umsetzung finden. Dabei scheint es nicht um Überblickshaftigkeit und Kontrolle zu gehen, um etwas intensi- viert und vermeintlich (ökonomisch) zielführender zu vermitteln. Denn ein besonderer Effekt wird in einigen der Studien erwähnt: Prezi würde durch seine dynamische Ordnung zu Motion Sickness, hier bezeichnet als „Prezi Sickness“ (Potter 2014; Apostel 2017), führen. Ein Schwindel und leichte Übelkeit, wie nach einer Achterbahnfahrt oder zu exzessivem Gaming, würden sich durch den Einsatz der Zoomfahrten beim Publikum einstellen. Informationen kommunizieren, Wissen präsentieren, Argumente schärfen durch innerbildliche Bewegung und Geschwindigkeit, auf die Gefahr hin, bei den Adressat/innen einen viszeralen Vertigo-Effekt hervorzurufen – mit Prezi zeigt sich ein weiteres Mal, dass Zoomings in der post/digitalen Medien/Immanenz mit Überforderung und sogar körperlich überspannten Reaktionen einhergehen. Prezi und auch Lees Desktop Documentary können als selbstreflexive, expressiv gewordene Formen einer Technik verstanden werden, die ubiquitär über die skalar in/varianten Existenzweisen hochaufgelöster Digitalbildlichkeit ihren Einsatz findet: Sie zeigen, wie skalierbare Benutzer/ innenoberflächen, auf Englisch: Zoomable User Interfaces (ZUI), funk- tionieren. Diese werden bei den verschiedenen Bildschirmgrößen, auf denen sich digitale Phänomene von handflächengroß bis meterlang zeigen, notwendig (Butz und Krüger 2014, 95–97; Bederson 2011, 853–855). Diese Interfaces ermöglichen es, entsprechend der Desktop Documentaries und Prezi, über Schwenks und Zoomings eine räumliche 2D-Welt, die auch in Entwickler/innenkontexten der ZUIs als Canvas bezeichnet werden, in die Tiefe wie in der Breite zu durchlaufen. Responsive Webdesings, Textver- arbeitungsanwendungen wie Microsoft Word, Bildbearbeitungsprogramme und all die ubiquitären anderen Softwares, die Möglichkeiten des Zoomens anbieten, setzen auf solche grafischen Benutzer/innenoberflächen. Ein Mitten/im/Zooming/Werden teilt sich bei diesen Beispielen zwar i.d.R. nicht 348 High Definition durch Schwindel mit. Aber dennoch zeigt sich im universalen Einsatz der skalierbaren Benutzer/innenoberflächen gleichsam das Prinzip des skalar in/varianten Umgangs mit Phänomenen einer digitalen Wirklichkeit. Inside.Bruegel Lees Desktop Documentary, Prezi und generell ZUIs verstehen die Schnitt- stelle von Wirklichkeit und Betrachter/in als Canvas, als Leinwand, in der sich mit eindeutig filmischen Bewegungen, mit Pans und Zooms, auf- gehalten wird. In der Arbeit wurde schon häufiger auf die Position Bazins verwiesen, genauer ausgeführt in Kapitel 4.1.; nämlich die Beobachtung, dass, wenn Filme Malerei abtasten, ein Bild dokumentarisch nicht nur als Bild, sondern wie eine Wirklichkeit erfasst ist. Diese Vorstellung scheint sich in den demonstrierten Beispielen zu aktualisieren, sobald eine Software über einen Bildschirm geöffnet und (mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit) über filmisch anmutende Schwenks und Zooms in ihr navigiert wird. Es verwundert daher nicht, dass gerade eine (populär-)kunstwissenschaftliche Auseinandersetzung mit Malerei auch über ZUIs stattfindet. Die 2018/2019 stattfindende Retrospektive über den niederländischen Renaissance-Maler Pieter Bruegel den Älteren im Kunsthistorischen Museum Wien setzte neben der kuratorischen Praxis z.B. auf ein Online-Tool bei der Vermitt- lung und Zugänglichmachung der Gemälde. Inside.Bruegel.net ist eine von der Getty Foundation finanzierte und entwickelte Online-Application (Underwood 2018). Hier handelt es sich um ein Bildprogramm, welches es ermöglicht, in hochaufgelöste Scans der Bruegel-Gemälde zu zoomen und die dort enthaltenen, minutiösen Details aufzuspüren. Die Fotografien entstanden in einer langjährigen Restaurationsarbeit der Getty Foundation in deren Rahmen Infrarotfotografie- und Infrarotreflektografietechniken zum Einsatz kamen, um die Schichten der Malereien zu ergründen, nach Unterzeichnungen zu suchen, die Materialität des Bildträgers und der Farb- pigmente zu spezifizieren. 3D-Kadrierungen wurden vorgenommen, um die Gemälde bildpunktgenau abzutasten, zu vermessen und sie dadurch darstellen zu können. Denn all die Untersuchungen am Bild wurden wiederum in hochaufgelöste Ansichten des Gemäldes übersetzt, auch als Infrarot- oder Röntgen-Visualisierungen, und als solche für die Öffentlich- keit zugänglich gemacht. Inside.Bruegel.net reiht sich in die digitalen Kollektionen z.B. des Metropolitan Museum of Art (The Met o.J.) aber auch der Google-Arts- and-Culture-Anwendung (Google Arts & Culture o.J.) ein. Diese bieten Zoomfahrten in Kulturgüter an und lassen dieselben über die digitale Epistemologisch/Zoomen 349 Aufbereitung ihrer Materialität und den figuralen oder ornamentalen Facettenreichtum erfahrbar werden. Die Gemälde Bruegels scheinen sich für eine solche digitale Erkundung besonders anzubieten. Das Meisterwerk Jäger im Schnee bzw. Heimkehr der Jäger (1565) enthält minutiöse Einzel- heiten, die nicht größer als ein Zentimeter sind, z.B. einen Jäger im Hinter- grund des Bildes, der einen Schuss auf aufgescheuchte Vögel abfeuert. Über eine digitale Zoomfahrt in das Gemälde lässt sich diese Mikro-Szene und die akribische Pinselführung nachvollziehen. Neben den Bewegungen ins digital abgetastete Gemälde besteht gleichsam die Möglichkeit, Infrarot- und Röntgen-Filter auf das Bild anzuwenden. Diese zeigen bei Jäger im Schnee z.B., dass die Figuren im Vordergrund der Bildkomposition später hinzugefügt wurden (Underwood 2018). Mit dem Onlinetool lässt sich eine Rezeptionslenkung analysieren, die der Kunstkritiker Jürgen Müller (2018) als einen „panoramatische…[n] Effekt“ bestimmt: „Wir befinden uns nun im Bild“ erkennt Müller. Dieses würde sich durch die Verschachtelung und Ausstellung verschiedenster Zeitschichten mitteilen: „Zeit verräumlicht sich in immer anderer Form“ in Jäger im Schnee (ebd.). Die Instantaneität des Flintenschusses würde dem müden Schritt der Jäger, einem eingefrorenen Mühlrad und der „Ewigkeit der Berglandschaft“ im Bild gegenüberstehen. Die narrative Lenkung beschreibt Müller als ein Eingreifen ins post/ kinematografische Zeit-Bild, „so als könnte man den Film anhalten und dann wieder weiterlaufen lassen“ (ebd.). Neben dieser sich auf der (digitalen) Leinwand entfaltenden narrativen Prozessualität, die sich über Zoomings dokumentiert und so aufmerk- samkeitsgeleitete Pfade zwischen den vielen Szenen im Bild erstellt, gibt die Digitaltechnik auch die Möglichkeit, den Entstehungsprozess der Malerei nachzuvollziehen. Die Bildschichten, die übereinander gela- gert und verglichen werden können, stellen die Malerei nicht aus einem Guss dar, sondern als Produktionsprozess, als Image Processing. Zudem wird die Rezeption des Bildes selbst zu einem bildgeleiteten Erkenntnis- prozess. Inside.Bruegel liefert keine kontemplative Ansicht des Meister- werks, sondern fordert auf, sich im Bildmaterial zu vertiefen und einen forschenden und befragenden Blick an den Tag zu legen. Auch bei Inside. Bruegel fallen insofern Produktion, Rezeption und Werk zusammen. Demgemäß wird das Aufmerksamkeitsprinzip, das oben mit Sobchack diskutiert wurde, noch einmal virulent. Gerade im Prozess des Zoomings entsteht etwas Neues, sogar in Bildern, die, so die Kuratorin der Aus- stellung Sabine Pénot, dermaßen universalen Bekanntheitsgrad haben, dass die Malerei sogar schon als Standardmotiv auf Kaffeetassen und „Keksdosen“ zu finden sei (Verenkotte 2018). Das Neue ist nicht rein im 350 High Definition Motiv hinterlegt, sondern in der besonderen Adressierung, die das digitale Intensitätenfeld zuallererst errichtet. Die hervorgerufene Rezeptions- haltung hat folglich weniger mit passivem Konsumieren zu tun bzw. würde sich dann kein Image Processing und keine daraus ableitbare Sinnkon- stitution einstellen. D.h., dass auch in der Laien-Wahrnehmung des digitalen Bildes ein gewisser Grad an Expert/innen-Ambition angelegt sein muss, so liest es sich zumindest auf der Inside.Breugel-Homepage. Dort wird jeder Person die Möglichkeit gegeben, „ihre eigenen Forschungen anzustellen“ (Kunsthistorisches Museum Wien 2018). Auch wenn natürlich durchaus Erkenntnisgrade bei der Betrachtungshaltung von Expert/innen und Laien unterschieden werden können, lässt sich doch sagen, dass ein Epistemologisch/Zoomen an beider Stelle eine Erfahrung im aktiven Bildumgang anbietet, auch wenn es sich dabei um „nicht mehr“ als das Betrachten von Bruegels Jäger im Schnee handelt. Natürlich lässt sich argumentieren, dass die digitale Leinwand, die Canvas, all die Informationen, die es im Detail zu erkunden gilt, schon enthält. Damit würde wieder zum Vorwurf an das Zooming, der zu Beginn des Kapitels geäußert wurde, zurückgekehrt werden, mit der Annahme, dass sich bei einer bildinternen Bewegung nichts Neues zeigt und die Intention der Scheinbewegung zielgerichtet schon vorgegeben ist. Dennoch ver- deutlichen alle Beispiele, dass es gar nicht so sehr um das Gemälde in einem Guss, die rausgezoomte Prezi-Mind-Map oder den Desktop im Überblick geht. Auch wenn alle Informationen vermeintlich schon vor- liegen, sind es hingegen die Pfade, Relationen und die Zusammenhänge zwischen ihnen, welche die durchaus schwindelerregende Bedeutungstiefe offenlegen und gerade hierin Erfahrungen anbieten, die sich nicht so ein- fach in der Draufsicht aus dem großen Zusammenhang erschließen lassen. So entsteht das oben entfaltete onto-epistemologische Setting, welches das Innen ergiebiger als das Außen werden lässt bzw. all die Teile nicht auf einen einfassenden Rahmen bringt, sondern in die Hochauflösung ein- faltet. Das Zooming steht für eine Bewegung, die sich durchaus zwischen den Teilen und Falten verliert. Auch bei den Zoomfahrten in Bruegels Gemälde stellt sich das Gefühl ein, nicht genau zu wissen, wo man sich im Bild befindet. Besonders intensiv ist diese Erfahrung, wenn man vom minuziösen Detail zurückkehrt zur Gesamtansicht und dabei ein Zoom-Out vollzieht, das scheinbar nicht an sein Ende gerät: ein stetiges Mitten/im/ Zooming/Werden. Eine post/digitale Medien/Immanenz ist mit ihrem Weltbild demgemäß nicht so sehr auf Zoomings zu bringen, die vorgeben, unendlich in die Bildtiefe eindringen zu können, ohne an Auflösung zu verlieren und an Epistemologisch/Zoomen 351 Materialgrenzen zu stoßen, wie es die Zoom-and-Enhance-Szenen zu Beginn des Kapitels getan haben. Vielmehr, so soll noch einmal zusammen- gefasst werden, bieten die Zoomings in hochaufgelöste Digitalbildwelten die Möglichkeit an, sich in den dort vorhandenen Details zu vertiefen, zwischen denselben zu navigieren und innerbildliche Bezüge herzustellen. Außerdem deutet dieses „sich Aufhalten“ im hochaufgelösten Bild auf ein Mitten/im/Zooming/Werden hin, das eine überblickende, steuernde, zen- trierte Blicklenkung unterbindet. Das zeigt sich, so soll nun abschließend argumentiert werden, gerade im Zoom-Out, welches das Gefühl vermittelt, viel tiefer im Bild gewesen zu sein als gedacht und welches gleichsam die Mikroanalysen wiederum in einen größeren Kontext einfasst. Doch dabei entsteht keine stabilisierende Kontur, kein erhabener Überblick, in die das Detail geschmeidig einfügbar und durch eine exakte Lokalisierung schnell auch wieder herauslösbar wäre. Das Zoom-Out bietet aus der Ferne keinen Weitblick, denn das Inmitten/des/Zooms ist „zu breit“, „zu tief“ und „zu voll“ mit facettenreichen HD-Differenzen. Das Detail geht schnell in der Hoch- auflösung verloren, wird kleiner als ein Pixel, wie das Bild eines Mädchens, das im Kinderbuch Cosmic View (Kapitel 1.1.) schon nach der zweiten Ver- größerung in der Dichte der dargestellten Wirklichkeit verschwunden war. Die erkundeten Details, denen gerade noch die Aufmerksamkeit galt, werden daher häufig, so z.B. auch in Powers of Ten, aber genauso bei den meisten Galaxie-Zoomings, die die NASA oder ESA zur Visualisierung von astronomischen Zusammenhängen anbieten, mit einem „Hilfs-Kader“ markiert und im großen Ganzen verortet. Der Kader lenkt den Blick weiter auf das Detail im Zuviel an Bild, das im großen Zusammenhang, im Zoom- Out schon längst verschwunden ist. Das Zoom-Out zeigt so besser als das vermeintlich entdeckende, kontrollierende, eindringende Zoom-In die schwindelerregende Dimension des Intensitätenfeldes, in dem die Auf- merksamkeit der Menschen nur einem winzigen Bereich gilt. Kommt man mit diesen Befunden zurück zur Google Earth und stellt diese in Zusammenhang mit einem Mitten/im/Zooming/Werden, dann ist eine Perspektivenverschiebung bzw. ein Richtungswechsel notwendig, um das im vorherigen Kapitel angedachte Vorhaben umzusetzen, nämlich das Weltbild einer post/digitalen Medien/Immanenz zu identifizieren. Das Weltbild ist ein Zooming, aber nicht hin zum Erdglobus, sondern weg von ihm – ein Zoom-Out, welches durch den erweiternden Kader das stetig wachsende Innen der Bild/Wirklichkeit durch die entstehenden neuen Bezüge vielfältiger als ihr Außen erscheinen lässt. Im Zoom-Out vergrößert sich das Intensitäten-Feld zwischen den Details proportional zur Ver- kleinerung eines in ihm verankerten Blickpunkts. Die Welt, die ansichtig 352 High Definition wird, sobald man das Programm Google Earth öffnet, und der Blickpunkt, von dem aus sich vermeintlich dieselbe in ihrer Detailgenauigkeit durch ein Zoom-In erschließen lässt, verlieren ihre kritisierte Überblickshaftigkeit, kehrt man die Zoombewegung in die umgekehrte Richtung und bewegt sich von der Google Earth weg. Dies geht im Programm selbst nur bedingt und wird auch in Powers of Ten nicht zuletzt wegen des dem Fokus stand- haltenden Hilfs-Kaders nur ohne den gewünschten Überblicksverlust vollzogen. Deutlicher zeigt sich das Zoom-Out an anderer Stelle, nämlich dann, wenn man einen nicht-menschlichen, terrestrischen Standpunkt ein- nimmt. Dann gerät ein Bild der Welt in den Blick, eines das am 14. Februar 1990 von der NASA Raumsonde Voyager 1 aus 6,4 Milliarden Kilometern Entfernung aufgenommen wurde. Das Bild dokumentiert einen letzten technisch möglichen Blick zurück zur Erde, bevor sich die Raumsonde von der Welt abwendet und als das am weitesten in den interstellaren Raum eingetretene von Menschen gebaute Objekt in deren Geschichte eingeht (NASA o.J. a). Pale Blue Dot Die Voyager-Aufnahme und mit ihr ein kosmisches Zoom-Out machen die Welt zu einem winzigen Punkt. Als Pixel ist sie sichtbar am Rande einer von Bildartefakten gefüllten Fotografie. Die Zugänglichkeit, die die gut aus- geleuchtete Google Earth vermeintlich anbietet, ist durch diesen Blick auf die Erde überholt. Sie demonstriert, dass mitten/im/Zooming/Werden nur zu einem minimalen Anteil auf das Bekannte und Handhabbare bezogen werden kann. Das Zoom-Out vermittelt keinen sicheren Überblick und auch keine stabile Einsicht durch die Bezüge und Zusammenhänge, die im vollends ausgebreiteten Canvas der Bild/Wirklichkeit mit ihrem „extrater- restrischen Maßstab“ (Goesl 2009, 227, Hervorhebung im Original) möglich werden. Diese Ansicht, die von Carl Sagan den Namen Pale Blue Dot bekommen hat, setzt die handhabbare Welt an die Bild- und Auflösungs- grenze. Die nächste Vergrößerung, so das Argument der Fotografie, würde den Erdplaneten vollends im Bildrauschen verschwinden lassen. Das Zoom-Out rendert die menschliche Wirklichkeit zu einer Belanglosigkeit. Das suggeriert auch der Titel der Fotografie. Sagan, der sich dafür ein- setzte, dass die Voyager 1 eine epistemologische 180-Grad-Wendung bzw. einen „iconic u-turn“ (ebd.) vollzog, obwohl schon von Beginn der Mission an klar war, dass das Bild aufgrund der niedrigen Auflösung der Erde (und nicht des Bildes) keinen wissenschaftlichen Wert haben würde, setzt auf den ethischen Maßstab, der die „Größe“ des kleinen Weltbilds ausmache. In Epistemologisch/Zoomen 353 seinem 1994 erschienenen Buch Pale Blue Dot: A Vision of the Human Future in Space schreibt er: Look again at that dot. That’s here. That’s home. That’s us. On it everyone you love, everyone you know, everyone you ever heard of, every human being who ever was, lived out their lives. The aggregate of our joy and suffering, thousands of confident religions, ideologies, and economic doctrines, every hunter and forager, every hero and coward, every creator and destroyer of civilization, every king and peasant, every young couple in love, every mother and father, hopeful child, inventor and explorer, every teacher of morals, every corrupt politician, every ‚superstar‘, every ‚supreme leader‘, every saint and sinner in the history of our species lived there – on a mote of dust sus- pended in a sunbeam. (Sagan 1994, 12) Der Punkt kann einerseits als kondensierte Erhabenheit verstanden werden, die Menschen in all ihren Facetten angesichts der über- wältigenden, expandierenden, raumzeitlichen Dimensionen schrumpfen zu lassen. Er eignet sich dadurch bestens zur Visualisierung anthropozen- trischer Argumente. Sinnbildlich steht der Punkt für „die Überwindung parzellierten Denkens“, „die Erschöpfung globaler Ressourcen“ und die für Menschen existenziell-relevanten und selbstverschuldeten „Grenzen des Wachstums“ (Goesl 2009, 227, Hervorhebung im Original). Der Punkt, der laut Boris Goesl auch als ein grammatikalischer gelten kann, beschließt eine Aussage: Ein finales Signum der Endlichkeit, das mit der Pointe des Minimums an Gezeigtem an die Kardinaltugend der Mäßigung im globalen Handeln appelliert, indem es in maximaler Verdichtung das terminierende und definitive Symbol des Punktes als Darstellungsform der ganzen Welt wählt. (Ebd., 243) Doch diese symbolische Auslegung des Punktes basiert andererseits auf einem Prinzip, das schon in Kapitel 4.2. diskutiert wurde: Denn eigentlich zeigt der Pale Blue Dot, dass die Welt, wie das Mädchen in Boekes Cosmic View, schon längst von der Bildfläche verschwunden ist. Um überhaupt ein moralisches Statement mit ihm machen zu können, mussten sich die Menschen in das Zoom-Out und in die terrestrische Perspektive inter- polieren. Der Punkt ist Produkt einer Bildbearbeitung, eines Image Proces- sings, der Nachberechnung von Bildwerten, die so nicht aufgenommen wurden: Die Voyager 1 schoss am 14. Februar 1990 60 Aufnahmen. Drei davon enthielten Luminanzwerte der Erde, die alle mit einem anderen Farbfilter und unterschiedlichen Belichtungszeiten (um andere Lichtwellen 354 High Definition zu erfassen) aufgenommen und digital gespeichert wurden. Nach der langwierigen Verschickung der Daten (jeder der 640.000 Pixel brauchte ca. fünfeinhalb Stunden, um übertragen zu werden) wurden eine blaue, eine grüne und eine violette Ansicht übereinandergelegt, um sich dem Bild des Weltpunktes zu nähern (NASA 1990). Zum Zeitpunkt der Aufnahme und von der Position der Kameralinse aus hatte die Erde eine sichelförmige Gestalt. Da dieser Umriss unterhalb des Auflösungsvermögens lag und das Licht von der Erde durch Polarisation und Streuung abgelenkt und diffus auf die Vidicon-Bildröhre des Imaging Science Subsystems der Raumsonde traf, sind die durch die Photonen übertragenen Informationen über die Erde formlos, „ein amorphes beziehungsweise durch die Pixelmaterialisation erst überformtes Licht-Zeichen der Erde, mit den einzigen ableitbaren Informationen der Position, des Helligkeits- und des Farbwerts“ (Goesl 2009, 234). Was also auf dem Bild tatsächlich nicht zu sehen ist, ist die Erde. Denn der minimale Platz, den dieselbe nicht einmal im Bild, sondern nur im Bildpunkt einnimmt – laut NASA nur 12% des abgebildeten Pixels (NASA o.J. a) – musste interpoliert werden, um als semantisches, symbolisches und ideologisches Blow-up herzuhalten. Der Weltpunkt ist also nicht mehr als die kleinste formale Vorgabe einer Bildherstellung, die notwendig wird, wenn die Welt mitten/im/kosmischen/Zooming/wird. Vielleicht könnte man sich die Astronom/innen vor Computerbildschirmen vorstellen, wie sie zu Beginn des Kapitels beschrieben wurden: Über Zoom-and-Enhance versuchen sie, etwas aus der komplexen, kosmischen Wirklichkeit zu extrahieren.11 Was nun gerade die Astronomie und das kosmische Zoom-Out zeigen, ist, dass die dargestellte Wirklichkeit aber nicht anders als in dieser überfordernden Fülle existiert, und zwar als Bild. Eine Aufmerksamkeit kann derselben nur über das Zoom-and-Enhance, das Interpolieren, das Post/Produzieren und Um/Formatieren entgegen- gebracht werden. Aus medientechnischer und bildtheoretischer Sicht ist die Erde als Punkt, wie so oft seit der Abwendung von einem geozen- trischen Weltbild, in der Geschichte ihrer kosmischen Darstellung ein Stern unter vielen. Und, so könnte man sagen, genauso muss ihr begegnet werden. Sterne haben einen besonderen bildlichen Stellenwert. Sie machen die Astronomie zu einer Wissenschaft, die sich mit dem hochaufgelöstesten Intensitätenfeld schlechthin beschäftigt. Sie stehen für eine Wirklichkeit ein, die auf reinen Viewing Views nach Sobchack beruht. Sterne, bis auf 11 30 Jahre nach dem Erscheinen der ikonischen Fotografie veröffentlichte das Jet Propulsion Laboratory der NASA in Pasadena, Kalifornien eine hochaufgelöstere Ansicht des Pale Blue Dots, die mit neuerer Bildbearbeitungssoftware nun immer noch die Erde als einzelnen, aber schärferen Punkt ins Bild setzt (NASA 2020). Epistemologisch/Zoomen 355 die Sonne und zwei Supernovae, sind für technische Geräte nur als Punkte sichtbar, genau wie die Erde nach dem kosmischen Zoom-Out. D.h. nicht, dass sie nicht existieren und gleichsam auch nicht, dass es keine Bilder von ihnen gibt. Sie können sogar vergrößert werden, aber eben nur als Pixel und nicht als Objekt. Hier zeigt sich holzschnittartig die Prozessualität und Relationalität skalarer In/Varianz des Zoomings, denn die Sterne ändern nie ihre Größe und auch die Distanz ist unüberbrückbar, sodass ihre Vergrößer- und Verkleinerung immer nur eine bildliche Auflösungsschwankung, ein Potenzial der Hochauflösung ist. Genau wie bei Lees Investigationen durch seine Desktop Documentary ist diese Bild/Wirklichkeit, die Too Much World als Too Much Image, nur über die Pixel innerbildlich erschließbar. „Ins Feld gehen“ bedeutet für die Astronomie „ins Bild gehen“; Feldforschung ist Bildforschung. Der Kosmos ist ein riesiges Canvas, in dem unendlich viele Zoomfahrten unternommen werden können. Er existiert beinahe nur visuell, denn alles, was außerhalb der Milchstraße liegt, ist nur als Licht erfahrbar und was auf der Erde von diesen Phänomenen ankommt, sind gemessene Photonenwerte, die durchaus als Bild, als Too Much Image, ausgegeben und charakterisiert werden können. Alle astronomischen Pixel stehen dabei für eine raumzeitliche Distanz, für den Raum, der überbrückt wurde, und die Zeit, die es gebraucht hat, um die Lichtjahre an Entfernung zu überwinden, ähnlich der Photonenreise in 3“. So stellt sich im Punkt ein Zooming ein: Die kondensierte Form an der Bildgrenze enthält Weite und Ferne – im Pixel ist das durchlaufene Universum enthalten. Vielleicht lassen sich die Astronomie und die Astronom/innen vor den Monitoren daher zum Vorbild nehmen, um das Verhältnis von Digitalbildern und Wirklichkeit durch Hochauflösung zu spezifizieren. Setzt man die Erde wie die Sterne als Pixel an die Grenze des Bildes, sodass gleichsam nur ein innerbildliches und kein Phänomen-bezogenes Blow-up von ihr möglich ist, dann kann das Intensitätenfeld zwischen Blickpunkt und Wirklichkeit auch beim Earth Zoom zu einem kosmischen Zoom-Out werden. Durch Hoch- auflösung wird die Wirklichkeit fern wie ein fremder Planet, der sich nur als minimale Spur im Bild dokumentiert. Dann ist auch Chicago plötzlich so weit entfernt wie eine Galaxie und zwischen der Aufnahmeperspektive und dieser Bild/Wirklichkeit lagert sich ein Mitten/im/Zooming/Werden ein, das übervoll ist mit Details, Differenzen und Abweichungen durch die Hochauflösung des Digitalbildes. Ein Punkt ist nah und bleibt trotzdem auf Distanz. Wenn man die Erschließung der Wirklichkeit über diese Paradoxie wahrnimmt, stellt sich auch kein Ermächtigungsverhältnis ihr gegenüber ein. Vielmehr kann jede Annäherung an die Wirklichkeit als ein Mitten/ im/Zooming/Werden, als eine Bewegung in der hochaufgelösten, dichten 356 High Definition und tiefen Bild/Wirklichkeit verstanden werden. Die Raumzeitlichkeit einer Welt in HD zu durchdringen, bedeutet kosmisch Bilder zu durchlaufen, zu befragen und darin zu zoomen – Bilder des Universums, Bilder vom Desktop aus, Bilder von Jägern im Schnee. Epistemologisch/Zoomen 357 Abbildung 5.5. (Quelle: Screenshots. Lee, Kevin B. 2014. Transformers: The Premake) Abbildung 5.6. (Quelle: Screenshots. Kunsthistorisches Museum Wien. 2018. Inside.Bruegel.net) [ 6 ] Hochaufgelöste Ereignis/Horizonte Ergebnisse Das vorliegende Buch startete den medienphilosophischen Versuch, eine visuelle Kultur über hochaufgelöste Digitalbildtechnik – HD – näher zu spezifizieren, unter der Vorgabe, dass „Hochauflösung“ sich weder in einem panoptischen Blick der Macht und Kontrolle noch in der Autorität eines (imperialen, westlichen, kolonialen) Überblicks „des Menschen“ („mehr und alles sehen“) oder in der hyperrealistischen Abwendung von bzw. einer manipulativen Simulation der Wirklichkeit erübrigt. Mein Interesse an HD unterliegt der Bemühung eine vermeintlich unkritische, institutionell verhaftete und hyperästhetisch anmutende Bildlichkeit auf ihr kritisches, befragendes und counter-narratives „Commitment“ an einer vom Digitalen geprägten Wirklichkeit zu erproben. Leitgebend war dabei das Argument, dass HD sich durch eine dem Bild inhärente skalare In/ Varianz auszeichnet, die Bildlichkeit durchaus als tendenziös – und daher durchaus auch disponiert für Kontexte des Machtmissbrauchs – signiert. Gerade aber die „Befangenheit“ der Bilder kann als Ursache und Auslöser für die Auseinandersetzung und Hinterfragung des Gesehenen gelten, sodass sich „Potenziale der Hochauflösung“ ergeben, die in dieser Arbeit über künstlerisches, dokumentarisches, forensisches, philosophisches und auch politisch motiviertes Image Processing entfesselt werden. Was HD also inhärent ist, so sollte es über die dargelegten epistemischen Felder (Kunst, Wissenschaft, Philosophie, Massenmedien) hinweg diskutiert werden, ist die Be-/Weiter-/Verarbeitung der Bilder, die Resistenz der Hochauflösung, diese auf integre Einheiten zu reduzieren und die genuine 360 High Definition Prozesshaftigkeit, die ich mit Post/Produzieren, Um/Formatieren, Inter- polieren und Epistemologisch/Zoomen als spezifisches Image Processing von HD herausstelle. HD hängt untrennbar an diesen Praktiken und Operationen und offeriert demgemäß eine ausschlagende, sich aufspannende Ästhetik der Auf- lösungsschwankungen. Denn spezifisch für hochaufgelöste Digitalbild- lichkeit ist nicht, dass die Bilder bearbeitbar oder zirkulierend nicht auf ein einziges, mediales Dispositiv oder einen institutionalisierten Kontext eindämmbar sind – auch analogtechnische Medien zeugen von einer über- bordenden Reproduktionsdynamik und weiterzubearbeitenden Existenz- weisen. Was jedoch hochaufgelöste Digitalbildlichkeit über die spezifischen Formen des Image Processings kennzeichnet und folglich HD durchaus von anderen wirklichkeitsdurchdringenden Bildern unterscheidet, ist der schiere Möglichkeitsspielraum, ein Überschuss und das Potenzial, die Enden einer medialen Skala weiter auseinanderzutreiben. Ich habe diesen überbordenden Antrieb mit der qualitativen Einschätzung des „zu viel“ überschrieben: HD, das sind die Too Much Images, die High Dynamic Ranges, die Übersättigungen, die sich schnell auf eine hyperreale wie innovationsgläubige Hybris bringen lassen. Setzt man mit solchen Dar- stellungen auf repräsentative Kontraste, dann geraten wiederum nur Totalitarismen durch Medien in den Blick, die seit jeher und nicht erst in Bezug auf HD Repräsentationsverhältnisse repressiv regulieren. Meine Überlegungen zu HD und zu den Too Much Images verschreiben sich nun aber dem Projekt, nicht auf die (binären, polaren) Grenzpunkte zu setzen, sondern den Fokus auf die breite Mitte, die feinen wie gröberen Auf- lösungsschwankungen und all die Differenzen innerhalb der Skala zu legen, die sich ergeben, wenn etwas scheinbar „zu viel“ für „einen“ bestimmten Kontext, „einen“ Rahmen, „einen“ Standard ist. Ergo soll mit „zu viel“ die gängige Verbindung von HD und einem autorisierten, hegemonialen, Ton angebenden Bereich aufgekündigt werden. Die Überforderung ist in antiautoritärer Hinsicht eine positive, bemächtigende und den Fokus ver- schiebende, denn der Spielraum von HD bringt praktisch und operativ aus- lotbare Gelegenheiten des Bildes mit sich, aus denen post/produzierende, um/formatierende, interpolierende und epistemologisch/zoomende Beziehungen zwischen einer von hochaufgelöster Digitalbildlichkeit durch- drungenen Wirklichkeit gedeihen. Auch so unterscheidet sich HD von früheren visuellen Kulturen: Die Optionen, skalare In/Varianzen des HD- Bildes auszutarieren, erfahren ihre Demokratisierung, sobald das Bild nicht zumindest kurzzeitig auf „einen“ Rahmen oder auf „eine“ Größe fixiert ist, als Abzug, Film, Kassette, etc. existiert oder als unidirektionale Übertragung Hochaufgelöste Ereignis/Horizonte 361 stattfindet, sondern ausschließlich über ein sich skalierendes Format und dezentral zirkulierend innerhalb eines digitalen Netzwerks gedacht werden kann. Diese digitaltechnische Voraussetzung setzt das Bild zuallererst unter Schwankungen, weil das Format „Auflösung“, und dieser Befund soll noch einmal herausgestellt werden, die Arithmetik an Pixeln (Zahl x Zahl) kein Ergebnis, sondern eine Proportion benennt und Auflösung daher dezidiert keinen eindeutigen Wert, sondern stets eine Skalierung zwischen vielen digitalbildlichen Existenzweisen und ihre Verhältnisse zueinander bestimmt, die die Chance auf Abweichungen und Neubewertungen möglicher macht. In welche Richtung HD tendiert – High/Low, Kunst/Konsum, Kritik/Lob, Oberfläche/Bildtiefe, Scheinbewegung/Erkenntnisprozess, etc. – ist nicht etwa durch die medientechnische Disposition der Auflösung festgelegt. HD steht nicht automatisch oder naturalisiert für „die Institution“, „die Auto- rität“, „das Panopticon“ und „den Hyperrealismus“, auch wenn digitalbild- liche Hochauflösung eine nicht abzusprechende Affinität für diese Kon- texte aufweist. Um die genuine Skalierbarkeit des HD-Formats neben der medientechnischen Vorgabe zu untersuchen, interessierten mich konkret Arbeiten, die eine kritische, befragende Dringlichkeit in der Auseinander- setzung mit Wirklichkeit und auch einen „gegen\dokumentarischen“ (Canpalat et al., 2020) Anspruch durch Auflösungsschwankungen medien- ästhetisch laut werden ließen. Aus einer post/digitalen Perspektive konnte festgestellt werden, dass hochaufgelöste Digitalbildlichkeit für ihre Wirklichkeit einsteht und auf einen realitätsbekundenden Wert pocht. HD produziert durch Image Processing wirklichkeitsbefragende Ausschläge und zeigt so, dass nicht eine hochaufgelöste Welt (und etwas das unterhalb oder oberhalb ihrer Auflösungsgrenze liegt) fixiert, sondern unterschiedlich aufgelöste – „zu viele“ – Facetten der Wirklichkeit, eine überbordende Too Much World, möglich wird. In einer Hinsicht konnte folglich das in diesem Buch thematisierte „Zu viel“ von HD dezidierte „Rückschläge“ verzeichnen, und zwar in Hinblick auf die Vorstellung, dass es „eine“ Wirklichkeit, „ein“ Bild von ihr und ein mit dieser Wirklichkeit zusammenhängendes „eindeutiges Menschenbild“ gebe. Die Ambivalenz, die HD einerseits hochgradig anthropozentrisch und gleich- zeitig post/perzeptuell – eine vorgefertigte Wahrnehmung erschöpfend – als „zu viel“ aufschlüsselt, sollte als Chance gewertet werden, eine, v.a. vorgegebene Idee „des Menschen“ explizit zu verwerfen. Die HD-Skala der Bildwerte ist so breit, dass ein solches Konzept als artifizieller, gesondert integrierter und dadurch hervorgehobener Wert identifizierbar wird. Das zeigt der Umfang und die Expansion von HD, die ich über die größeren 362 High Definition raumzeitlichen Wertsysteme der Erdgeschichte und des Kosmos versucht habe einzuholen. Dass diese ökologische Perspektive einem „Zeitgeist“ ent- spricht, verdeutlicht die Korrelation einer „Idee des Menschseins“ im Ver- gleich zum „menschlichen Maßstab“ der Erdgeschichte: dem Anthropozän, das sich durch dieselben Idealismen auszeichnet, sich namentlich auf „den Menschen“ der Industrialisierung, des Kolonialismus und Imperialismus bezieht, aber nunmehr verdeutlicht, dass „dieser Mensch“ ein konstruierter, verzerrender Wert ist, der unsichtbar wird, sobald sich der Schieberegler der Skala nur minimal verändert. Die Idee „des Menschen“ als Inter- polationen, die mit HD in diesem Buch film- und medienphilosophisch diskutiert wurden, kann als Bekräftigung gelten, unterschiedliches Denken, Wissen, Erfahren, Fühlen, Wahrnehmen und damit einhergehend die Menschen als skalierbare Größen in die Auflösungsschwankungen der HD- Bilder einzuziehen und viele unterschiedliche Zwischenwerte in dieselben über Image Processing zu interpolieren. Medienphilosophisches Image Processing, das ist einmal das Post/ Produzieren als politisches Statement einer HD-Kunst, wie es in Kapitel 2.1. Hito Steyerls Video-Tutorial How Not to Be Seen und die Beweisassem- blagen von Forensic Architecture vormachen. Nachmachen soll der/die Zuschauer/in Techniken, die es ermöglichen, in einer panoptisch gut aus- geleuchteten, hochaufgelösten Wirklichkeit unsichtbar zu werden. Diese Welt in Hochauflösung habe ich als post/digitale Medien/Immanenz und mit den in diesem Begriff aufgerufenen Konzepten einer Theoretisierung unterzogen, die widerständische Freiräume innerhalb der hochaufgelösten Wirklichkeit und nicht außerhalb von HD denkbar machen. Ein counter- sinnstiftender Impetus basiert genauso auf HD wie der imperiale Blick, vor dem sich versteckt oder gegen den aufbegehrt werden soll. Nicht nur sind HD-Bilder daher die versiegelten Bildoberflächen, an denen kritische Blicke abprallen, sondern stets auch der Trigger, ihre Rezeption in eine Form der Post/Produktion umzucodieren. Den datendichten HD-Bildern, auf die eine Too Much World zu bringen ist, so die Conclusio aus Kapitel 2.1., kann kollektiv post/produzierend begegnet werden, um counter-sinnstiftende Erfahrungen und Wirkungen aus ihnen abzuleiten. In Kapitel 2.2. bin ich von der post/digitalen Medien/Immanenz zur Materialität der HD-Bilder übergegangen, um weiterhin mit dem Fokus auf das bildbearbeitende Verfahren der Post/Produktion nicht nur eine HD-Bild/Wirklichkeit, sondern eine Wirklichkeit der HD-Bilder näher zu spezifizieren. Der auf eine ideenmimetische Theoriebildung zurück- zuführende Manipulationsvorwurf an die hyperästhetisch anmutende HD-Pressefotografie Gaza Burial konnte im Vergleich mit hochaufgelösten Hochaufgelöste Ereignis/Horizonte 363 astronomischen Galaxie-Bildern auf den epistemologischen „Unterdruck“ verweisen, der auftritt, wenn skalar in/variante Informationen auf einen Bildkader gebannt werden. Die so von mir bezeichneten Too Much Images, die schnell als hyperreal eingestuft werden können, weil sie Resultate post/produzierender Verfahren darstellen, legitimieren nun in umge- kehrter Manier Post/Produktion durch einen auf journalistischem Ethos und wissenschaftlicher Autorität basierenden Wirklichkeitsbegriff. Post/ Produzieren ist dann objektivitätsgarantierende Methode, die herauskris- tallisiert, dass es kein „Rohmaterial“ der Wirklichkeit, kein RAW/Format ohne seine materialbezogene Auswertung und demgemäß ein Image Processing der vielen Datenwerte gibt. Das zeigt sich v.a. im Zusammen- hang von Big Data oder einer HD-Spektralität, deren Skala neben der Integrität einer Bildidentität die zeitliche Einheit eines (fotografischen) „Moments“ und indexikalische Bezüge zur Wirklichkeit gleichermaßen aufs Spiel setzt. Skalar in/variante Eigenschaften des HD-Bildes lassen sich über post/ produzierende Verfahren ästhetisch ins Bild setzen, verweisen aber gleichzeitig auf die dezentralen Zirkulationsbewegungen der hochauf- gelösten Digitalbilder, ihre Auflösungsschwankungen im Stream. Ich habe zwischen der skalaren In/Varianz im Bild und der skalaren In/Varianz des Bildes und in Analogie dazu zwischen Post/Produzieren und Um/ Formatieren unterschieden. Ständiges Um/Formatieren im dezentralen Netzwerk, als ein zweites HD-spezifisches Image Processing, stand im Zentrum des 3. Kapitels. Während in Abschnitt 3.1. auf die stabilisierenden und ausbalancierenden Maßgaben an HD-Bilder durch Adaptive Bitrate Streaming, Content Delivery Networks und serienästhetische Strategien mit House of Cards und Netflix eingegangen wurde, waren in Kapitel 3.2. die audiovisuellen Abnutzungserscheinungen, die mit Steyerl benannten „Poor Images“, eingeholt durch Philip Scheffners Havarie und Rosa Menkmans A Vernacular of File Formats, von Interesse. Um/Formatierte HD-Bilder basieren auf mikrotemporaler Prozessualität und auf Algorithmen, die die Perzeption wie die durch eine Künstler/innen-Intention geleitete Her- stellung der Bilder durch Menschen befragen und ein wahrnehmendes wie schöpfendes Ideal gleich mit. Post/Perzeption und kreative Erschöpfung sind die abschließenden Befunde aus Kapitel 3.1. und 3.2., die sich aus einer exzessiven Transformationsbereitschaft des Digitalbildes ableiten lassen, die die Potenziale der Hochauflösung manifestiert. Selbst nach Quali- tätskonstanz ringende HD-Bilder wie die von House of Cards unterliegen dieser Dynamik im selben Maße wie künstlerische Ambitionen, die ver- pixelt Bildkritik üben wollen. Können die einen über um/formatierende 364 High Definition Prozesse an Auflösung abnehmen, so nehmen die anderen an Pixelwerten zu. Eine hohe bzw. eine niedrige Auflösung eignet sich folglich weder für medienontologische noch für wertnormative (Kunst/Nicht-Kunst, Ästhetik/ Funktionalität) Klassifikationen, da sich im Stream Wirkungen und Werte sinndiffundiert und auf Abwegen bilden. Am oberen Ende des ästhetischen Auflösungsspektrums von HD stehen Filmbeispiele, wie sie mich im 4. Kapitel mit dem Anspruch, post/kinemato- grafisch digital(bildliche) Zeitlichkeit zu revalorisieren, interessierten. Als dritte Form des medienphilosophischen Image Processings etablierte ich ein filmästhetisches Konzept des Interpolierens, das sich auf die medien- technische Voraussetzung für die brillante Erscheinung der HD-Bilder bezieht. Um Wertkontinuität und einen qualitativen Anspruch der HD- Bilder in verschiedenen Wiedergabekontexten zu wahren, werden Pixel nachträglich und situationsabhängig hinzugerechnet – und entsprechend sollten die Subjektkonstellationen in den Filmen von Terrence Malick in Kapitel 4.2. wahrgenommen werden. Interpolation fügt sinnstiftend etwas – Pixel oder idealtypische „Menschen“ – in datendichte Zusammenhänge oder setzt auf differenzüberwindende Glättung, um komplexe Bezüge und extreme Formen skalarer In/Varianz für Menschen begreifbar zu machen. Interpolation ist eine rezeptive Selbstmitteilung und wurde in diesem Buch als Reaktion auf eine post/digitale Medien/Immanenz verstanden, wie sie auch in den Bild/Wirklichkeiten des digitalen Kinos sichtbar wird. Denn diese zeichnen sich durch Intensitäten und Kontinuitäten aus, die eine bestimmte Subjektform zum unbedeutenden Mittelton rendern und film- philosophisch die Interpolation provozieren, die diesen Mittelwert wieder (nachträglich) ins Bild einzieht. Daraus ist die Befragung von filmana- lytischem Vokabular ableitbar, v.a. der Standardvorgabe der „Einstellung“ und ihrer schnittbasierten Montage zur raumzeitlichen Continuity. Statt einer Kamerabewegung, die zwischen den verschiedenen Einstellungen über den Schnitt sinnstiftende Kohärenz durch die Mise en scène etab- liert oder sie über Brüche unterläuft, tendiert HD zu Scheinbewegungen in einer intensivierenden, bildtiefen Mise en images, wie ich sie in Abschnitt 4.1. mit den One- und Long-Takes in Sebastian Schippers Victoria sowie Alejandro González Iñárritus The Revenant und Birdman exemplifiziert sehe. Post/kinematografische Zeitlichkeit liegt in den in diesen Filmen nachvoll- ziehbaren tiefen Datenschichten und der Spektralität an Lichtwerten, die mich dazu gebracht haben, mit Gilles Deleuze und Félix Guattari von einer Filmphilosophie zu einer Geo-Philosophie zu kommen, und einer mit den Maßgaben einer Erdgeschichte und dem kosmischen Licht verbundenen Zeitlichkeit, die nicht sukzessive voranschreitet – d.h. mit der Temporalität, Hochaufgelöste Ereignis/Horizonte 365 die in der Filmtheorie immer wieder mit dem Abspielen eines analogen Filmstreifens bestimmt wurde. Post/kinematografische Zeitlichkeit habe ich als geologische Tiefenzeit beschrieben, im Rückgriff auf eine Zeitmessung des Anthropozäns, die vielmehr Zeit über die Relation unterschiedlicher Skalen durch Schichtungen lückenüberwindendes Zwischenrechnen, Intensivierungen und Verdichtungen denkbar macht. Wie ein Weltbild einer Too Much World durch und in HD aussehen könnte, diese Frage leitete Kapitel 5.1. an und beantwortete dieselbe mit der vierten Form des medienphilosophischen Image Processings von HD: dem Epistemologisch/Zoomen, zunächst festgemacht an den planetarischen Zoomfahrten auf der datendichten und hochaufgelösten Google Earth. Im intermedialen und mediengeschichtlichen Vergleich mit der Animation Powers of Ten, dem Whole Earth Catalog, der amerikanischen Fernseh- berichterstattung der 1950er-Jahre und dem dem New Hollywood Genre zugerechneten Film Medium Cool konnte das Zooming, das von Kritiker/ innen wie Bruno Latour als skalar invariante (nicht in/variante), imperiale und hegemoniale Ästhetik abgetan wird, die wider einer (medien-) ökologischen, netzwerkbasierten, flachen Ontologie steht, als kompro- missbehaftete Bildpraxis identifiziert werden. Denn das Zooming als ästhetischer Mittelweg verweist auf das überfordernde Milieu der Bild- produktion – nicht Hintergrund, sondern Akteurin – und die Blickschneisen, die es dort freizulegen gilt. Ausgehend von der Conclusio aus Kapitel 5.1., nämlich Zooming als Manifestation eines Kamerakörpers „inmitten“ einer chaotischen Wirklichkeit zu verstehen, wurde dieser Befund in 5.2. ins digitale Milieu übertragen. Desktop Documentaries wie Kevin B. Lees Transformers: The Premake bewegen sich in überfordernden Settings genauso überwältigt wie Fernsehjournalist/innen in Medium Cool zwischen Polizeiabsperrungen, verletzten Demonstrant/innen und Tränengas. Digitale Zoomings spenden auf den Zoomable User Interfaces der Benutzer/innen selten Überblick über das datendichte „Ganze“, sondern machen Wissen und Information zugänglich über durchaus viszerale, der Überbordung entsprechende Formen. In Transformers: The Premake, mit dem Präsentationsprogramm Prezi und bei Anwendungen wie der kennengelernten Inside.Bruegel-Homepage liegt Wirklichkeit als daten- dichtes Too Much Image vor, als ein Intensitätenfeld, in dem sich Aufmerk- samkeit über Zoomings verlagert, verknotet und verdichtet. Zoomings sind Prozesse, die Relationen zwischen den vielen Bilddifferenzen austarieren und so Bedeutungen schaffen. Diese vielen Beziehungen sind nie auf ein zu überblickendes Ganzes, einen in Detail und Überblick gleichermaßen sich erschließenden Konnex zu bringen, sie sind stets mehr als dies 366 High Definition und ein abgezirkeltes bildliches Innen ist daher, durch die zoomenden Erkundungen, epistemologisch ergiebiger als sein Außen, so die Erkenntnis aus Kapitel 5.2. Die Vergegenwärtigung dieser komplexen Relationalität zeigt sich, so wurde abschließend festgestellt, durchaus im Weltbild des Zoomings, aber nicht in einem vermeintlich habhaftwerdenden Zoom-In, sondern in einem destabilisierenden Zoom-Out. Zurückkommend auf die Google Earth bedeutet dies, den Erdplaneten nicht als kompakt-zugäng- lich wahrzunehmen, sondern von einem kosmischen Standpunkt aus zu perspektivieren: als marginalen Punkt, wie schon die Pale-Blue-Dot-Foto- grafie die Erde ins Bild setzt. Zoomen bedeutet stets mitten/im/Zooming/ Werden, und nicht von einer unbeteiligten Überblicksposition ausgehend die Wirklichkeit auszutarieren. Das Verhältnis von Bild und Wirklichkeit in und durch HD, das diese Arbeit interessierte, kann daher auf die Ansicht der Erde als Punkt gebracht werden. Durch die digitale Hochauflösung wird eine bekannte Wirklich- keit zum Bild eines fernen, fremden Sterns und nur durch eine intensive Auseinandersetzung mit der visuellen Signatur zugänglich. Die eingenom- mene Perspektive ist gleichsam instabil wie der dürftige Niederschlag im hochaufgelösten Bild, der bei der kleinsten Auflösungsschwankung zu verschwinden scheint. Mit dieser Einsicht ist das medientheoretische Programm der vorliegenden Arbeit zusammengefasst. Unter den Vor- gaben von HD sind auch die vollzogenen Analysen ein Mitten/im/Zoo- ming/Werden. Wie zu Beginn der Arbeit beschrieben, markiert eine Post/ Medien-Theoriebildung den unsicheren Beobachtungsstandpunkt, die Distanz/Nähe zum betrachteten Phänomen und manifestiert eine medien- wissenschaftliche Orientierungslosigkeit. Meine Forschung sollte demons- trieren, dass diese Befragungs- und Entfremdungsprozesse durch HD, durch Potenziale der Hochauflösung, einsetzen, da die vielen Differenzen nicht bedeuten müssen, etwas schärfer oder definierter wahrzunehmen. HD ist mein Auslöser, der medientheoretische Auseinandersetzungen unter Vorgaben der post/digitalen Medien/Immanenz dramatisiert. Wie mit Deleuze herausgestellt und wie zu Beginn der Arbeit über ein forschendes Setting der Wissenschaft (welches sich medienphilosophisch ausrichtet) mit Karen Barad argumentiert, muss sich die Untersuchung selbst fremd werden. Auf textueller Ebene und bei der Begriffsbildung wurde dies durch das trennende/integrierende Vermögen des Schrägstrichs umgesetzt. Der Schrägstrich soll Gegenstand und Theorie verbindend trennen, einen Niederschlag des medienphilosophischen Image Processings bilden und HD und mein Denken über die Potenziale der Hochauflösung gleichermaßen prozessierend hervorbringen, ohne in konsistenten Begriffen zu enden. Hochaufgelöste Ereignis/Horizonte 367 HD-Bilder vom Schwarzen Loch Während der Entstehung, man könnte auch sagen, zur Dramatisierung dieser Arbeit trug ein HD-Bild bei, das, so scheint es, dem Gebot des durch Hochauflösung getriggerten exzessiven Image Processings übererfüllend Folge leistete und sich in Gefilde der Wirklichkeit vorwagte, in Too Much Worlds, die so extrem sind, dass sie sich vermeintlich nicht auf (irgend) „einen“ Bildbezug und „ein“ einhergehendes Menschenbild eindämmen lassen. Das Besondere an diesem HD-Bild ist, dass es durch Hochauflösung etwas sichtbar macht, ein Bild von einem Phänomen liefert, das definitions- gemäß nicht abbildbar ist; seine Wirklichkeit ist vollends von dieser Bild- gebung abhängig oder, auf meine Reformulierung des bekannten Postulats nach Jacques Derrida (1967, 227) gebracht: „il n’y a pas d’hors-image“ – für das Phänomen gibt es kein Außerhalb des HD-Bildes. Seine Ablichtung, die dann durch HD doch möglich wird, verweigert es zunächst nicht, weil es zu klein, zu groß, zu marginalisiert, zu wichtig, zu vergangen, zu zukünftig aber auch nicht zu virtuell, imaginär, fiktiv oder traumhaft ist – all diese Eigenschaften gelten zwar für das Phänomen, aber es lässt sich v.a. nicht abbilden, weil es eine maßlose Existenzweise des Nicht-Existenten innehat; es ist grundsätzlich unbeobachtbar. Am 10. April 2019 um 15:00 Uhr mitteleuropäischer Zeit boten das Joint ALMA Observatory in Santiago de Chile, die Academia Sinica in Taipeh, das National Astronomical Observatory of Japan in Tokyo, die US National Science Foundation in Washington und die Europäische Kommission in Brüssel zeitgleich ein Bild der interessierten Öffentlichkeit dar. Dasselbe wurde am 5., 6., 10. und 11. April 2017 von sechs unterschiedlichen Stand- orten mit acht Teleskopen „aufgenommen“, d.h. Lichtwerte, Photonen, als Radiowellen gemessen (Akiyama et al. 2019, 3). Was zwei Jahre nach dieser Messung im April global präsentiert wird, kann als das erste Bild eines Schwarzen Lochs identifiziert werden. Ein Schwarzes Loch ist eine onto-epistemologische Wunderkammer. Es handelt sich hierbei um kosmisch gedrängte Materie, dicht, kompakt, übervoll – und gerade deswegen unbeboachtbar und nicht-existent, weil durch seine Masse die Raumzeit derart beeinflusst und von ihm angezogen wird, dass nichts seinem Wirkungsradius entkommt; nicht einmal Licht, die Grundvoraussetzung für Sichtbarkeit und direkte Beobachtung. Noch problematischer wird das Bild, wenn man sich vergegenwärtigt, dass das abgebildete Schwarze Loch in der Messier-87-Galaxie verortet werden kann, einer Galaxie, die 55 Millionen Lichtjahre von der Erde entfernt ist. Auch wenn es sich nicht um ein Schwarzes Loch handeln würde, mit 368 High Definition all seinen komplexen materiellen Eigenschaften, sondern z.B. um eine materiell viel weniger komplexe Raumsonde, scheint die empirische Existenz bei dieser Entfernung höchst problematisch bzw. gleichsam nicht außerhalb extremer medialer Bedingungen nachvollziehbar. Die erschwerten Abbildungsbedingungen visualisieren die Raumstationen bei der Präsentation ihrer Forschungsergebnisse über ein simuliertes Zoom- In/Out von der Atacama-Wüste in das Sternenbild, das sich durch die Bewegung auflöst und begleitet von mehreren Lichtblenden beim Bild von Interesse endet. Schwarze Löcher umspielen, werden sie beobachtbar, die Grenze einer Materialisierung der Unendlichkeit. Sie verweisen auf eine ultimative skalare In/Varianz. Ihr Maßstab strebt gen unendlich, der Maßstab eines Bildes jedoch nicht. Unendlichkeit ist daher schwer zu materialisieren, schwer zu visualisieren, auch in HD. So werden Formatfragen laut, wie z.B. welche Bit-Tiefe Unendlichkeit hat. Welche High Dynamic Range bräuchte sie zur Abbildung? Wie viele Pixel würden benötigt, um das Unbeobacht- bare sichtbar und damit für Menschen beobachtbar zu machen? Event Horizon Telescope Das hochaufgelöste Bild ist unscharf, gleichmäßig verschwommen, aber nicht verpixelt. Vor schwarzem Grund ist mittig eine oval-runde, rötlich- gelbe Fläche zu sehen, die an ihren Grenzen weichgezeichnet ausläuft. Im unteren Bereich scheint sie opaker: Es strahlt ein weißgelblicher Schimmer. Mitten in dieser gesättigten Fläche sitzt ein Schwarzes Loch, das dieselbe zum Ring werden lässt. Der gerade geschilderte, unüberwindbare Widerspruch des Bildes des Schwarzen Lochs kann in den Worten der Astrophysikerin und Philosophin Sibylle Anderl wiederholt werden: „Wie will man etwas abbilden, das alles Licht unwiederbringlich schluckt? Sind Schwarze Löcher nicht die ultimativen Vertreter dessen, was nicht direkt beobachtbar ist?“, fragt Anderl (2019) und hat die Antwort im nächsten Satz parat: „Wenn von einem Bild eines Schwarzen Lochs die Rede ist, kann es tatsächlich nur darum gehen, das Schwarze Loch im Kontrast zu seiner sichtbaren Umgebung abzubilden“ (ebd.). Das Milieu, das nicht vom Loch verschluckt wird, die Abgrenzung von dessen Gravitationsfeld, erlaube es, den „empirischen Reifeprozess“, anders ausgedrückt: das Bild/Werden des Schwarzen Lochs, auf feuerrotem Grund nachzuverfolgen. Hierbei handelt es sich, so erklärt es Anderl, um einen Gasstrudel, der vom Schwarzen Loch angezogen wird und sich in dasselbe hineinbewegt. Die Strudelbewegung erzeugt Energie, Hochaufgelöste Ereignis/Horizonte 369 heizt das Gas auf und dieser Vorgang ist als Licht messbar. Die Redakteurin Julia Merlot spricht von „Materie, die um das Schwarze Loch tanzt“ (Seidler und Merlot 2019). Anderl (2019) fasst zusammen: „Die definitorische Grenze eines Schwarzen Lochs ist sein Ereignishorizont“ und sichtbar ist auf dem Bild daher „nur“ der „Schatten“ des Phänomens vor demselben (ebd.). Die Figur/Grund-Differenz ist auf die Silhouette des Unabbildbaren zu bringen: Das, was tatsächlich sichtbar ist, ist der Hintergrund, das astronomische Phänomen des Ereignishorizonts, der auch der Bildgebung ihren Namen erteilt: Event Horizon Telescope. Der Ereignishorizont markiert also, wo etwas noch sichtbar ist und wo nicht mehr, er markiert eine Grenze, und zwar von wahrnehmbarer Existenz und einem Nicht-Sein, materialisiert im Verhältnis von Bild und astronomischer Wirklichkeit. Es ließe sich sagen, dass dieser Horizont die ultimative Grenze zur Transzendenz markiert. Hinter ihm, in den Tiefen des Schwarzen Lochs, gerät Raumzeit aus den Fugen. Wird diese Grenze von Licht und Materie passiert, können diese nicht mehr zurück. Der Ereignishorizont ist das Portal zur Unendlichkeit als Differenz von Bild und Nicht-Bild. Ereignis/Horizonte Für Deleuze und Guattari ist der Ereignis/Horizont die Philosophie: Die Begriffe sind Ereignisse, die [Immanenz]Ebene aber ist der Horizont der Ereignisse, der Speicher oder der Vorrat der rein begrifflichen Ereignisse: nicht der relative Horizont, der als eine Grenze fungiert, sich mit dem Beobachter verändert und die beobachtbaren Sach- verhalte umschließt, sondern der absolute Horizont, der von jedem Beobachter unabhängig ist und das Ereignis als Begriff von jedem sichtbaren Sachverhalt unabhängig macht, in dem es sich verwirk- lichte. (2000, 43) Philosophisches Denken dynamisiert und erschafft Begriffe im Werden, die sich vor einem Horizont, in einem „unteilbare[n] Milieu“ abspielen, das von einer Beobachtungssituation unabhängig ist (ebd.). Mit Deleuze und Guattari sind Ereignis/Horizonte also nicht transzendente, letzte Grenzen, sondern übervolle Immanenzebenen als Speicher für Denkpotenziale. Der Schrägstrich soll die Dramatisierung registrieren, die sich auf ihr voll- zieht, wenn sich Begriffe philosophisch verteilen, sie besetzen und sie dennoch nicht allumfassend, lückenlos überziehen: „Die Ebene ist es, die den Zusammenschluss der Begriffe mit stets anwachsenden Verbindungen garantiert, und es sind die Begriffe, die die Besiedelung der Ebene in einer stets neuen, stets variablen Krümmung gewährleisten“ (ebd., 44). Ereignis/ 370 High Definition Horizonte sind als Begriff/Immanenzebenen „das Bild des Denkens, das Bild, das das Denken sich davon gibt, was denken, vom Denken Gebrauch machen, sich im Denken orientieren … bedeutet“ (ebd.). Event Horizon kann als Ereignis/Horizont, als Immanenzebene des Denkens erkannt werden, wenn es nicht darum geht, mit dem Bild vom Schwarzen Loch eine restlose Kartografie der astronomischen Wirklichkeit für sich zu beanspruchen. Event Horizon erschließt nicht die letzten blinden Flecken des Universums. Es gibt nichts außerhalb des Bildes – diese Formel ist schon mit der Referenz zum dekonstruktivistischen Poststrukturalismus nicht auf eine übersichtgewährende, stabile Ansicht zu bringen, auch wenn eine Wahrnehmungsutopie der Hochauflösung vielleicht zu versprechen scheint, über medientechnische Innovationen immer mehr und immer weiter zu sehen und Auflösungsvermögen zu generieren, die sogar das genuin Unsichtbare darstellbar machen. Es geht nicht um „Das letzte Bild“ an der Grenze von Wirklichkeit und Nicht-Wirklichkeit, genauso wenig wie um eine hyperreale Simulation derselben. Dass es nichts außerhalb des HD-Bildes gibt, bedeutet im Kontext des immanenten Ereignis/Horizonts, dass hinter dem einen Digitalbild das nächste kommt. Ereignis/Horizonte sind unendliche Differenzver- schiebungen, die, im Falle von Event Horizon, Digitalbilder über/unter/mit/ gegen Bilder/Werden lassen und so Widersprüche, Intervalle, Intensitäten produzieren. Solche Vorgänge standen in der vorliegenden Forschung im Zentrum des Interesses und so ließen sich eine Wirklichkeit als HD-Bild und das HD-Bild als Wirklichkeit kurzschließen. Ereignis/Horizonte erzeugen, so lässt sich mit Deleuze und Guattari erkennen, immer neue letzte begriff- liche, philosophische Grenzen des Denkens, neue Horizonte zu ständig aus- zutarierenden Differenzverschiebungen und diesen Prozess bestimme ich in einer post/digitalen Medien/Immanenz als Image Processing, als HD-Bild des Denkens bzw. als HD/Bilder/Denken. Genauso beim HD-Bild vom Schwarzen Loch: Dasselbe ist nicht sichtbar, aber sein Ereignis/Horizont durch die Bildgebung, als Dramatisierung, in seinem Werden: Das ist der „empirische Reifeprozess“, die sicht- barwerdende Zone des Un/Beobachtbaren, die wie ein Schieberegler austariert, was erscheint und was nicht. Das HD-Bild vom Schwarzen Loch setzt also einmal über den Ereignis/Horizont Differenzver- schiebungen ins Bild. Das zeigt v.a. die hochaufgelöste Unschärfe, die als ästhetischer Marker (sinnbildlich, wie gleich noch deutlich werden soll) klare Grenzen aufkündigt und ein Verhältnis von Sichtbarkeit und Unsicht- barkeit ambivalent hält, als Möglichkeitsfeld, das es zu erkunden gilt. Die Hochaufgelöste Ereignis/Horizonte 371 Unschärfe entzieht sich einer Überblick suggerierenden Repräsentation von Wirklichkeit, der genauen Definition des zu erkennenden Objekts und visualisiert vielmehr die Frage selbst, den Prozess der Forschung, nämlich die Auflösungsschwankung zwischen Un/Sichtbarkeiten. Gleichzeitig ist aber die Entstehung des HD-Bildes vom Schwarzen Loch und seinem Ereignishorizont, die Bildwerdung als Forschungszusammen- hang „Event Horizon“, selbst eine unendliche Produktion von Differenzen als Image Processing und somit Ereignis/Horizont: Um das Bild vom Schwarzen Loch der Öffentlichkeit zu präsentieren, wurde zwei Jahre lang Image Processing betrieben. Zwei Jahre lang wurde post/produziert, um/formatiert, interpoliert, post/perzeptuell berechnet, gezoomt, etc. (Bouman 2019). Das RAW/Format der Bilder des Schwarzen Lochs entstand durch die oben beschriebene Messung mit einem Teleskop, welches das bisher größte Auflösungsvermögen eines astronomischen Gerätes anbieten konnte. Ein menschliches Auge mit diesem Auflösungsvermögen könnte von Berlin aus die New York Times lesen – wenn diese auf einem Café-Tisch in Manhattan läge (Seidler und Merlot 2019). Radioteleskope steigern ihre Auflösung proportional zum Durchmesser der Antennenschüssel, ähn- lich der optischen Blenden, die mehr Licht aufnehmen können, je offener sie sind: Je größer die Radioantennenschüssel, desto differenzierter und granularer die Details, die es in der Ferne registriert. Das Event Horizon Telescope hat einen Durchmesser von 11.000 km, der benötigt wird, um etwas abzulichten, das 55. Millionen Lichtjahre ent- fernt ist – und dieser Durchmesser umspannt beinahe die gesamte Erde. Um das Schwarze Loch abzubilden, wurde also der Erdplanet zum bild- gebenden Instrument umfunktioniert. Die Erde selbst „schoss“ das Bild vom Schwarzen Loch. Natürlich gibt es keine Teleskopschüssel, die so groß ist wie die Erde. Dennoch, und nun gehen wir von der Metaphorik über zur Medienökologie, wurde die hochaufgelöste Ansicht durch ein bild- gebendes Netzwerk aus Teleskopen erzeugt, das sich über den Planeten erstreckt: von Hawaii über die Antarktis bis nach Spanien, Chile, Mexiko und Arizona. Die dort stationierten Teleskope sind die Eckpfeiler eines nun entstehenden virtuellen Teleskops mit dem notwendigen Durchmesser von 11.000 km. Die Erde hat jetzt tatsächlich in ihren geografischen und geologischen Eigenschaften an der Entstehung des Bildes teil. Das Netz muss sich über möglichst weite Distanzen ausbreiten, daher ist die Strecke von der Antarktis nach Spanien besonders wichtig für die Messung, da sie das Winkelmaß des Auflösungsvermögens vorgibt (Temming 2019). Sie bestimmt sozusagen, was kleiner/gleich einem Pixel, also dem kleinsten festgelegten Bildpunkt, ist bzw. was aufgelöst werden kann und was nicht. 372 High Definition Und das ist, bei der Distanz zwischen Spanien und der Antarktis ein nicht zu vernachlässigender Teil des Atlantiks (Wunderlich-Pfeiffer 2019). Auch das Klima der Erde ist ein Faktor, der sich in die Bildgebung einschreibt. Gerade die Atacama-Wüste in Chile und die dort aufgenommenen Messwerte sind von besonderer Qualität, weil es sich bei ihr um einen der trockensten Orte des Planeten handelt und die zu messenden Mikrowellen sofort diffrakte Abweichungen aufweisen würden, wenn die Atmosphäre von Wasser durchzogen wäre (Temming 2019). Die Erde als Kamera „schärft ihren Blick“ aber v.a. durch ihre Rotation: Acht Standpunkte sind ein sehr durchlässiges Pixelgitter, mit großen Lücken. Durch die Erddrehung verschieben sich aber die Punkte während der Messung permanent. Katie Bouman (2016), Informatikerin, die für die Programmierung der Bildalgorithmen im Event Horizon Projekt zuständig war, wählt den Vergleich mit einer Diskokugel. Ist diese statisch im Raum, wird Licht nur in eine Richtung reflektiert. Beginnt sie sich zu drehen, können Lichtreflexe plural erzeugt werden. Durch die permanente Neujustierung des Kamerablicks wird die „Netzhaut“ der Erde engmaschiger. Dennoch sind die Bildwerte, die die Erde bei ihrer Aufnahme vom Schwarzen Loch liefert, nicht eindeutig, sondern überlagern, wider- sprechen oder intensivieren sich und sind lückenhaft und einzeln völlig unbrauchbar (Wunderlich-Pfeiffer 2019). Die Messung, die auf fünf Peta- bytes an Daten kommt, verlangt nach ihrer Auswertung, denn, so lässt sich der programmatische Satz von Geoffrey Bowker und Lisa Gitelman noch einmal wiederholen: „RAW Data is an Oxymoron“ (Bowker 2005, 184; Gitelman 2013). Aus einer unüberblickbaren und, trotz der Fülle, dennoch fragmentierten Datenbasis muss abgeleitet werden, wie das Phänomen aussehen könnte, das diese Messdaten lieferte. Das Image Processing, das sich, so könnte man mit Barad sagen, dem Interferenzmuster, dieser Fülle an uneindeutigen Werten nun widmet, ist epistemologisch not- wendig und macht u.a. zwei Dinge: Mit einem ersten Algorithmus, der den bezeichnenden Namen CLEAN (Akiyama et al. 2019, 4–5) trägt, werden Werte interpoliert, um aus den Messdaten intelligible Informationen zu ziehen, die am Ende auf ein Bild zu bringen sind. Das Malen-nach-Zahlen- Verfahren der Interpolation ist hochkomplex, da die Lücken zwischen den Messwerten sehr groß sind wie die Kleinsteinheit des Bildes, die Distanz zwischen Spanien und der Antarktis, schnell demonstriert. Es gibt also unendlich viele Möglichkeiten der Interpolation, unendlich viele Möglich- keiten, wie zwei Punkte miteinander verbunden werden, wie sich Zwischen- werte in die Rohdatenmenge einfügen lassen. So wurde errechnet, dass die auf dieser Datenbasis gründende Anzahl möglicher Bilder vom Hochaufgelöste Ereignis/Horizonte 373 Schwarzen Loch wiederum gen unendlich strebt (Wunderlich-Pfeiffer 2019). Um diese schlecht als Forschungsergebnis zu verkaufende Einsicht etwas einzudämmen und kommunizierbarere Werte und eine plausible Bebilderung des Schwarzen Lochs anzubieten, entwickelte Bouman (2017) in ihrer Doktorarbeit einen Algorithmus, der diese Wahrscheinlichkeiten funktionalisiert und plausibilisiert, indem eine Gewichtung der Daten stattfindet. So lässt sich sagen, dass das Bild vom Schwarzen Loch nicht auf unend- lich, aber auf sehr vielen Möglichkeiten, die sich durch das Interpolieren ergeben, basiert. Das Bild, das um die Welt ging, ist nur eines von vielen, die sich auf die gemessenen Daten beziehen lassen können. In einem zweiten Produktionsschritt, der zu dieser möglichen Anzahl an Bildern vom Schwarzen Loch führte, post/produzierten vier verschiedene Teams unab- hängig voneinander vier verschiedene Ansichten, um aus der RAW/Data der Messung zwischen den Teams vergleichbare Werte zu kondensieren. Die uneindeutige Datenbasis ließ jedoch auch die Ableitung „falscher“ d.h. unwahrscheinlicher genauso wie „zu richtiger“, d.h. „zu erkennen wollender“ Bilder zu und so wurden die Forscher/innen vor der Auswertung durch sogenannte „Image Challenges“ (Akiyama et al. 2019, 9) trainiert. Bilder, die aus synthetischen Daten generiert wurden, mussten von den Astrophysiker/innen durch Algorithmen rekonstruiert, sozusagen „nach- gebaut“ werden. Die „Challenge“ implizierte, mit den vorhandenen Bild- daten möglichst nahe an ein aus den mathematischen Berechnungen kon- struiertes „Original“ oder Idealbild heranzukommen (Bouman 2017). Durch die Rekonstruktionen sollten sich die eingesetzten Methoden bewähren und über ihre Funktionalität in Bezug auf unbekannte Datenmengen fest- gestellt und auch festgelegt werden, welche Bilder als vermeintlich richtige und welche als falsche identifiziert werden können. Das Bildersehen lernten die Wissenschaftler/innen also durch Bildbear- beitung und unter der Anwendung bzw. der algorithmischen Auswertung von mathematischen Regeln, zusammengefasst mit dem sprechenden Titel „Regularized Maximum Likelihood“ (RML), um auszuwerten, was die maximale oder minimale Helligkeit eines Bildpunktes (als weißer oder schwarzer Pixel) sein kann oder wie wahrscheinlich es ist, dass benachbarte Pixel ähnliche Lichtwerte (und daher den gleichen Farbwert) enthalten (Temming 2019). Den Abgleich mit diesen Formeln nahmen nun Künst- liche Intelligenzen (KI) vor, die, genau wie die Forscher/innen, zunächst auch auf ihre Bildkompetenz trainiert wurden. Die KIs rekonstruierten aus einer riesigen Datenbank Ansichten, die dann mit den aufgenom- menen Daten und den daraus abgeleiteten Bildern abgeglichen wurden. 374 High Definition Diese mustererkennende Vorgehensweise ist für KIs nichts Besonderes – interessant ist, dass die Forscher/innen post/perzeptuell ihr menschliches Wahrnehmen, trotz der Sensibilität für vorherrschende Befangenheiten, ablegten bzw. skalierten und algorithmisch zu sehen anfingen, wie es bei einer Too Much World post/produzierend die Vorgabe zu sein scheint. Sowohl menschliches Wahrnehmen als auch das der Künstlichen Intelligenz sind demzufolge als Image Processing zu verstehen. Das Image Processing von Event Horizon stellt nun heraus, dass viele digitale Bildwerte nicht bedeuten, auf ein geschlossenes, selbst- evidentes, scharfes HD-Bild zu kommen, sondern dass die vielen Daten auch viele Abweichungen, Fragen und Möglichkeiten produzieren. Auch die spektakulär präsentierte Ansicht, die einen ikonischen Anspruch suggeriert, ist nur eines von vielen HD-Bildern vom Schwarzen Loch, ein Mittelwert, der auf die uneindeutige Datenbasis zurückzuführen ist. Die ins Digitalbild gesetzte Unschärfe, die nicht Resultat der Bildgebung, sondern stilistisch intendiert ist, kann als ein kultureller Fingerzeig gelesen werden, der die Instabilität der Ansicht verdeutlicht, die aber – und auch hier könnte eine kulturelle Normierung abgeleitet werden – immer noch als ein Bild präsentiert wird. Dennoch lässt sich unter den Vorgaben der in diesem Buch eingenommenen Perspektive auf HD mit dem Möglichkeitssinn digitaler Bildlichkeit sagen, dass alles, was im HD-Bild vom Schwarzen Loch zu sehen ist, ein Spektrum an Potenzialen darstellt, das aus der Differenz- verschiebung und dem ständigen Differenzabgleich zwischen vielen Digitalbildern entstanden ist. Was alle Datenvisualisierungen als Komposita lieferten, ist ein ziemlich unscharfer Lichtring mit einem Durchmesser von ungefähr 40 Mikrometern – der Ereignis/Horizont des Schwarzen Lochs, der nichts anderes sagt, als wo unter hochaufgelösten Vorzeichen etwas un/ sichtbar wird. Das „eine“ digitale Bild gibt es nicht, sondern nur die schieren Mengen an digitalbildlichen Existenzweisen, die bei der Skalierung, die Event Horizon vornimmt, die ganze Erde als Forschungsverbund aus gemessenen Daten, Medientechniken, geografischen Distanzen, menschlichen Wünschen, Begehren und Kompetenzen, Klimabedingungen, Algorithmen usw. ins Image Processing miteinbeziehen – und zwar tatsächlich „nur“, um die Grenze des Un/Sichtbaren zu dramatisieren. Wie mit Latour oben beschrieben, sind Bilder in naturwissenschaftlichen Zusammenhängen häufig rein kommunikatorische Mittel, um Daten und Formeln besser darstell- und nachvollziehbar zu machen. Bei Event Horizon ging es aber gerade darum, die Formeln mit einem Bild zu belegen, den Wert der Formel Hochaufgelöste Ereignis/Horizonte 375 über das Bild zu legitimieren: Die Bildgebung ist folglich dezidiertes For- schungsziel und kein (populär-)wissenschaftliches Nebenprodukt. Ereignis/Horizonte post/digitaler Medien/Immanenz Doch nicht nur in diesen hochspeziellen Settings kann Hochauflösung als eine Affordanz gelten, die für komplexe Wirklichkeiten sensibilisiert, und zwar mit der Aufforderung zum Image Processing. Die zentrale These des Buches ist, eine post/digitale Medien/Immanenz gleichermaßen als Ereignis/Horizont, als Wirklichkeit in Hochauflösung, zu verstehen und von vermeintlichen Wahrnehmungsutopien der Schärfung und Sichtbarmachung zu den Potenzialen der Hochauflösung zu kommen. Vermeintlich unkomplizierte Digitalbilder können folglich mit einem gewissen Grad an Unschärfe ausgestattet und über Image Processing befragbar werden. Jedes HD-Bild hat demgemäß die Anmutung einer Sichtbarwerdung des Schwarzen Lochs. Das würde implizieren, auch nicht-wissenschaftliche oder durch eine starke Intention entstandene Digitalbilder unter die oben schon aufgerufene Direktive der Entfernung und Entfremdung zu stellen. Digitalbildern in einer post/digitalen Medien/Immanenz zu begegnen, bedeutet eine Auseinandersetzung mit kosmologischen Himmelskörpern als Vorgabe zu nehmen und sie genauso auf eine Distanz zu bringen, wie Phänomene, die 55 Millionen Lichtjahre entfernt sind. Dass Aufmerksamkeitsverteilung in beiden Fällen als Zoo- ming bestimmt werden kann, wurde im vorangehenden Kapitel ausgeführt. Die Einsicht, dass HD durch Image Processing nicht auf einen vorgegebenen Kontext eindämmbar scheint, auch wenn die hochaufgelöste Ästhetik häufig einen autorisierten Status vorgibt, zeigt weiterhin die Bildbear- beitung der Ansicht vom Schwarzen Loch, denn diese kommt nicht mit ihrer ikonischen Sichtbarmachung durch die Institutionen am 10. April 2019 an ein Ende. Ab diesem Moment setzt eine Rezeptionsgeschichte des Bildes ein, die vielmehr als Post/Produktions- oder Um/Formatierungsgeschichte entfaltet werden kann, mit den einhergehenden und im Zentrum dieses Buches stehenden Auflösungsschwankungen. Das Bild wird appropriiert, verteilt sich als Meme und schreibt sich in eine Populärkultur ein, die sich am anderen Ende des epistemischen Spektrums ansiedelt als international finanzierte Forschungszusammenhänge. Das Schwarze Loch und sein Ereig- nishorizont werden z.B. zum Cat Content, zum Mittagssnack von Homer Simpson, dem glimmenden Joint von Snoop Dogg usw. Diese Instagram- Auswahl an Memes, die unter dem Hashtag „#blackhole“ zu finden ist, 376 High Definition macht jenseits von wissenschaftlichen Ansprüchen das visuelle Möglich- keitsfeld von Event Horizon auf. Eine künstlerische Reaktion auf das Bild vom Schwarzen Loch ist die mit Realness (2019, siehe Abb. 6.2.) überschriebene Internetarbeit des australischen Foto-Künstlers Wesley Downing. Er nutzt die Ansicht, um Wirklichkeitsrepräsentation post/fotografisch, wie er in der Beschreibung seiner Arbeit offenlegt, zu queeren (Downing 2019). Das unscharfe Schwarze Loch verwandelt sich per Mausklick in eine grobe Pixelwolke, die durch die Bewegung eines Cursors oder die Berührung eines Touch- screens das Bild fragmentiert, die Pixelakkumulation zerstäubt. Die vor- handenen Pixel interagieren miteinander, intensivieren sich oder lösen sich auf, und zwar, so weiter aus der Beschreibung der Onlinearbeit ableitbar, auf Basis der algorithmischen Simulation von Gravitations- und Fluidzug- kräften – eben jenen, die das Verhalten des Ereignishorizonts in Reaktion auf die Anziehungskräfte des Schwarzen Lochs bestimmen (ebd.). Downing stellt mit seiner Arbeit das Verhältnis aus Zuschauer/innen-Interaktion und generativen, algorithmischen Regeln und den daraus resultierenden Spielräumen aus. Er nutzt, so ließe sich sagen, Potenziale der Hochauf- lösung, um Möglichkeitsfelder des Bildes auszutarieren, und zwar weil Sehen zu Image Processing wird. Realness, so macht es Downing über die Kontextualisierung des Begriffs in einer queeren Ballroom-Culture deutlich (ebd.), ist eine appropriative und partizipative Befragung vermeintlicher Wahrhaftigkeit, die durchaus simulativ erreicht, aber gleichsam auch iro- nisch gebrochen wird. Von einer objektivierenden, Autorität beanspruchenden Präsentation eines astrophysikalischen Forschungsergebnisses über queere Kunst zum unkritischen Meme – eine solche Zirkulations- und Skalierungsgeschichte gilt nicht nur für die hochaufgelösten Bilder des Schwarzen Lochs. Gerade aber die „Fallhöhe“ von High zu Low demonstriert die Potenziale der Hochauflösung, die weiter-/be-/verarbeitend durch Post/Produzieren, Um/Formatieren, Interpolieren und Epistemologisch/Zoomen im Prozess entscheiden, welche verschiedenen Bedeutungen Digitalbildern zuge- schrieben und abgesprochen werden können und welche Wirklichkeiten – astronomische, queer-subversive, popkulturelle – durch sie entstehen. Es gibt nichts außerhalb des HD-Bildes – gerade der Ansteckungsprozess von Memes zeigt, dass auf ein Digitalbild ein nächstes, leicht oder stark variiertes folgt. Auch hier werden Potenziale der Sichtbarkeit immer weiter nach außen gedrängt, immer komplexere Bereiche der Wirklichkeit in den Bildwerdungsradius miteinbezogen. Auch hier handelt es sich also um einen verschiebbaren Ereignis/Horizont – nicht den des Schwarzen Lochs, Hochaufgelöste Ereignis/Horizonte 377 sondern schlicht um den Ereignis/Horizont der post/digitalen Medien/ Immanenz und der Potenziale der Hochauflösung, die nicht ein letztes Mal, sondern immer wieder neu/verschoben/anders, post/produzierend, um/ formatierend, interpolierend, mitten/im/Zooming Wirklichkeit werden. 378 High Defi nition Abbildung 6.1. (Quelle: Event Horizon Telescope. 2019) Abbildung 6.2. (Quelle: Screenshot. Downling. Wesley. 2019. Realness) A N H A N G Literatur Aab, Vanessa. 2015. 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Scott, Ridley. 1982. Blade Runner. USA. 35mm, 70mm (Blow-up), 117 Min. Snow, Michael. 1967. Wavelength. CAN, USA. 16mm, 45 Min. Sokurov, Alexander. 2002. Russian Ark. RUS, DEU, FIN, DNK, JPN, CAN. HDTV, 99 Min. Steyerl, Hito. 2013a. How Not to Be Seen. HD-Video. Singel Channel, 16 Min. ——— . 2013b. Is the Museum a Battlefield? Lecture Performance und HD-Video. Welles, Orson. 1941. Citizen Kane. USA. 35mm, 119 Min. Wexler, Haskell. 1969. Medium Cool. USA. 35mm, 111 Min. Dank Dieses Buch wurde im August 2019 in einer ersten Fassung von der Fakultät für Philologie der Ruhr-Universität Bochum als Dissertation angenommen. Seine Entstehung ist, wie sein Inhalt, ein Entwicklungsprozess als Image Processing – eine Studie und der Versuch, mit und in Bildern zu denken. Der vorliegende zum Text geronnene Prozess ist dabei nur ein kleiner Aus- schnitt eines noch hochaufgelösteren Tableaus, welches es mir zuallererst ermöglichte, ein solches Projekt zu starten: Viele Personen haben mich beim Bilder/Denken begleitet, mich zum Schrägstriche-Ziehen ermuntert, die Post/Produktionen meiner Gedanken hinterfragt und kritisiert, mich vom ins Leere laufenden Um/Formatieren abgehalten und an die Potenziale der Hochauflösung geglaubt. Bei ihnen möchte ich mich aus- drücklich bedanken! Für die Bekräftigung und die Anleitung zu einem Bilder/Denken gilt mein außerordentlicher Dank Oliver Fahle, genauso wie für seine Förderung, den motivierenden Zuspruch gegenüber meinem Vorhaben und das Vertrauen in meine Person. Viele Denkanstöße von der Mimesis bis zum Dokumentarischen verdanke ich Friedrich Balke. Mein Dank gilt neben dem inspirierenden Austausch, seiner Offenheit gegenüber meinem Projekt und den vielen Möglichkeiten und Räumen, die er mir eröffnet hat, um mich zu bewähren. Neben der Unterstützung durch meine Betreuer wurde mein Dissertations- projekt von den intensiven Gesprächen mit und von der Bestärkung durch Julia Bee und Rupert Gaderer getragen. Julia Bee danke ich für das Fürsprechen, die uneingeschränkte Zuwendung bei all meinen Anliegen und für ihr Buch Gefüge des Zuschauens, das meinen Horizont gesprengt hat. Rupert Gaderer danke ich für all die Hilfestellungen bei der Sozialisation im Wissenschaftsbetrieb, das vorbehaltslose Wohl- wollen, die vielen ermöglichten Chancen und v.a. auch für die theoretische Sensibilisierung hin zur eigenen Methodenreflexion durch seine Forschung zur Medienphilologie. Eine Reihe von Kolleg/innen, deren Beteiligung an meinen Gedanken besonderer Hervorhebung bedarf, haben Bochum für mich zu einem inspirierenden und zugetanen Ort der Wissenschaft gemacht. Ich danke ausdrücklich Julia Eckel und ihrer Expertise zur Bildforschung, Felix Hasebrink und seiner filmwissenschaftlichen Kompetenz sowie Leonie Zilch und ihrer Sensibilität für queer- und gendertheoretische Fragen. Dieses Buch ist Resultat dieses kollaborativen Denkzusammenhangs und 408 High Definition beruht maßgeblich auf den gemeinsamen Reflexionsschleifen, Lesekreisen, Gesprächsrunden und dem uneingeschränkten Commitment gegenüber meinen Schrägstrichen, Zooms und Pixeln. Den Mitarbeiter/innen des Instituts für Medienwissenschaft der Ruhr-Universität Bochum, und v.a. dem Mittelbau, bin ich zu großem Dank verpflichtet für das häufige Rückenfreihalten und das politische Engagement. Den Kollegiat/innen des Bochumer Graduiertenkollegs „Das Dokumentarische. Exzess und Entzug“ danke ich für das uneingeschränkte Interesse, die vielen schlauen Gespräche und die integrative Art, die mir immer vermittelte, ein in/offizieller Teil der Gruppe zu sein. Ein expliziter Dank geht auch an die Student/innen des IfM, v.a. an Max Neumann, David Kippscholl und Felicitas Simon, und die sich überschlagenden Diskussionen im Seminar, die mich stets motivierten. Immens bereichert wurde meine Forschung durch die Möglichkeit, Teil der Forschungsgruppe „Medien und Mimesis“ zu sein. Ganz herzlich danke ich den Kolleg/innen aus Weimar, München, Bielefeld, Basel und Zürich dafür, dass ich an der hochgradig inspirierenden Art ihres Denkens teilhaben durfte, die mich immer wieder aufs Neue beeindruckt, ebenso wie für die nicht schwinden wollende Begeisterung am gemeinsamen Forschen (zur Mimesis und darüber hinaus). Maria Muhle und Helga Lutz möchte ich explizit für ihre Unterstützung, die wichtigen Anmerkungen zu meinem Projekt und die Chance danken, auch über den Forschungsgruppenzusammenhang der Mimesis hinaus, in Kollo- quien an der Akademie der Bildenden Künste München und am Arbeits- bereich Historische Bildwissenschaft/Kunstgeschichte der Universität Bielefeld an den dort geführten Diskussionen teilhaben zu dürfen. Sebastian Althoff, Maja-Lisa Müller und Franziska Winter danke ich für ihre theoretische Genauigkeit im politischen und ästhetischen Nachdenken über die Mimesis und den daraus resultierenden produktiven Diskussionen über methodische Fragen der Appropriation und Alterität. Ein weiterer Forschungszusammenhang, der mich stark geprägt und geför- dert hat, ist das Habil.kolloquium „Medienkulturwissenschaft“ und hier besonders das Engagement von Martin Doll und Wim Peters, die mich bis zur Disputation hin unterstützt und mein Projekt mit ihren wichtigen Nach- fragen grundlegend vorangebracht haben. Die Teilnahme an zwei Princeton-Weimar Summer Schools und die Organisation der Summer Academy Media Philology gemeinsam mit der Rutgers University waren weitere bereichernde Arbeitskontexte während Dank 409 meiner Disputationszeit. Den Faculties – in Princeton/Weimar v.a. Bernhard Siegert und an Rutgers Nicola Behrmann und Fatima Naqvi – und allen Teil- nehmer/innen dieser Veranstaltungen, v.a. Esra Canpalat, Nina Janz, Niklas Kammermeier, Fynn-Adrian Richter und Robin Schrade, gebührt mein Dank. Alexandra Schneider, Wendelin Brühwiler, Marek Jancovic und Axel Volmar verdanke ich einen bereichernden Austausch zum Formatbegriff. Sehr profitieren durfte ich von den inspirierenden Gesprächen zu meiner Arbeit mit Robert Dörre, Samira El Ouassil, Janou Feikens, Katja Grashöfer, Maren Haffke, Sarah Horn, Sonja Kirschall, Syliva Kokot, Cecilia Preiß, Tanja Prokić und Martin Schlesinger. Für die Unterstützung bei der Vorbereitung auf die Disputation und fürs Mitfiebern danke ich Ralf Adelmann und meinen Kolleg/innen des Instituts für Medienwissenschaften der Universität Paderborn. Ein großer Dank gilt auch Andreas Kirchner und dem damit verbundenen Luxus, ein Lektorat dieses Buches nicht nur von einem medienwissen- schaftlichen Kollegen, sondern einem HD-Forscher ermöglicht zu bekommen. Für die vielen wichtigen Anmerkungen und die niedrigschwel- lige und konstruktive Zusammenarbeit mit meson press bedanke ich mich ganz herzlich! An Charlotte Lenhard, Alissa Krusch und Jana Wiechers geht ein großer Dank für die akribische und blitzschnelle Lektüre des Dissertationsmanuskripts. Tobias Lins danke ich für die geduldigen Antworten auf meine quanten- mechanischen und (astro)physikalischen Nachfragen. Meinen Eltern Susanne und Harald Linseisen, meiner Schwester Eva Lins und meinen Freunden danke ich für ihre uneingeschränkte Bestätigung, ihre Geduld, ihr Einfühlungsvermögen und für das mir entgegengebrachte Gefühl, etwas extrem Wichtiges zu machen. Meinem Partner Stefan Gehring gebührt mein ganzer und besonderer Dank. Seine Klugheit, seine Pragmatik, sein Feminismus, sein Witz und seine Fürsorge sind in jede Seite dieses Buches eingeschrieben. Elisa Linseisen High Definition: Medienphilosophisches Image Processing Dieses Buch zoomt in informationsreiche und pixeldichte Welten in HD. Digitalbildliche Hochauflösung ist hier ein Potenzial, das es ermöglicht, mit und an Bildern Wirklich- keit zu erforschen und zu befragen. Dokumentarfilme, Videokunstarbeiten, Galaxiefotografien, Blockbuster, HIGH Pressebilder und Netflix-Serien bestellen diese visuelle Kultur in HD und zeigen auf, dass Bilder und Wirklich- keit nicht in fixierten Rahmen sitzen, sondern im Prozess werden. HD heißt Image Processing. Lässt man sich darauf ein, entfaltet sich das Angebot, mit HD zu denken und sich DEFINITION vom Denken der Bildprozesse mitreißen zu lassen. MEDIENPHILOSOPHISCHES IMAGE PROCESSING LINSEISEN ISBN 978-3-95796-174-7 www.meson.press Elisa Linseisen  High Definition: Medienphilosophisches Image Processing