Ludwig Hoffmann, Karl Siebig: Ernst Busch. Eine Biographie in Texten, Bildern und Dokumenten.- Berlin (DDR): Henschel 1987, 387 S., DM 85,- "Nicht ohne weiteres nennt ihn jeder einen großen Schauspieler - wie ja auch das Mittelalter, gewohnt an die Alchimisten, die Chemiker nicht ohne weiteres große Gelehrte nannte", schrieb Brecht 1951 (Theaterarbeit, S. 152) über Ernst Busch, ihn als einen ganz neuen 4 10 Typus des Schauspielers charakterisierend. Solche Hochschätzung galt keineswegs nur dem Spezialisten für Arbeiterrollen, auf den die Theater- und Filmgeschichtsschreibung Ernst Busch allzu leicht re- duziert, sondern vor allem einer Spielweise, die aus dem Ensemble aller gesellschaftlichen Typen die 'Werkzeichnung' einer Figur, wie Brecht es nannte, zu synthetisieren vermochte. In sehr anschaulicher Weise wird die Besonderheit dieser Spielweise in der vorliegenden Biographie vermittelt. Das reiche, zu einem großen Teil aus Privat- archiven stammende und erstmals zugänglich gemachte Bild- und Textmaterial (Briefe, Interviews, Kritiken, Berichte von Zeitgenossen etc.), zusammengefügt zu einer Art Collage, dokumentiert den politisch-künstlerischen Werdegang Ernst Buschs: die schauspieleri- schen Anfänge des gelernten Maschinenschlossers am Kieler Theater, das Zusammentreffen dort mit Gründgens, Söhnker und Zuckmayer; die Zusammenarbeit mit Piscator, Brecht und Eisler in Berlin; seine Auftritte als Sänger und Rezitator in Kabaretts und bei politischen Großveranstaltungen; die Filmarb,eit vor dem Krieg ('Dreigroschen- oper', 'Kameradschaft', 'Kuhle Wampe' u.a.); der politische Kampf als 'Sänger der Revolution' während des Exils in Holland, der Sowjetunion und im Spanischen Bürgerkrieg; schließlich seine Arbeit in der DDR als Theater- und Filmschauspieler, als Sänger und Produzent der von ihm edierten 'Roten Reihe' (eines Schallplattenzykluses mit Liedern aus der Arbeiterbewegung). Das von den Autoren in ihrer chronolo- gisch vorgehenden Darstellung benutzte Bildmaterial hat - und darin unterscheidet sich diese Biographie wohltuend von ähnlichen Bild- bänden - nur selten bloß illustrativen Charakter. Häufig erzählen Bildfolgen einen Vorgang, der einer Kommentierung durch Text nicht mehr bedarf, oder es werden Rollenfotos so montiert, daß für den Leser/Betrachter der besondere Gestus des Schauspielers Busch deutlich wird, und immer wieder sind Fotosequenzen von Aufführungen abgebildet, verknüpft mit den entsprechenden dramatischen Texten, wodurch sich die Spielweise erschließen läßt. Die künstlerische Vielfalt Ernst Buschs wird in diesem Band durch- gehend im zeitgeschichtlichen Kontext dargestellt, so daß gewisser- maßen eine deutsche Chronik des 20. Jahrhunderts entsteht, die Jahre 1900 bis 1980 umfassend. Nicht immer werden die politischen Zusammenhänge allerdings ganz deutlich. Insbesondere im Umgang mit dem Stalinismus, das zeigt sich in der einen oder anderen Passage, haben die Autoren so ihre Schwierigkeiten. Daß z.B. Busch aus dem Spanischen Bürgerkrieg nicht wieder ins sowjetische Exil zurück konnte, sondern sich zunächst in Belgien, Frankreich und Holland aufhielt, wo er schließlich interniert wurde, wird nur unpräzise kommentiert. Lakonisch heißt es im Text: "Im Juli 1938 verließ Busch Spanien (... ) Etwa Mitte Juli erreichte Busch Belgien (... ) Dort notierte er die Stationen seiner Emigration. Möglicherweise war ein solches Papier. notwendig, um in Frankreich arbeiten zu können bzw. um in die USA reisen zu können, was Busch seit langem plante." (S. 2010 Genauere. Hinweise finden sich nur in den faksimilierten - handschriftlichen - Briefen Buschs. Immer wieder bittet er dort seinen Freund Grigori Schneerson in Moskau um ein Einreisevisum für die Sowjetunion. Noch 1940 schreibt er aus dem Lager St-Cyprien: "So far I am o.k. but I need your help - Immediately!!! Ten times I have 411 written to you and Maria - but never heard from you - or is it ask too much of the union to get me a visa?" (S. 218) Von einem lang gehegten Plan, in die USA zu exilieren, also keine Rede. Nur ein einziges Mal erwähnt Busch Amerika, und zwar ganz offensichtlich aus Enttäuschung darüber, von der Sowjetunion nicht eingeladen und stattdessen zum 'Feind' erklärt worden zu sein, zugleich aber auch wissend, daß ihm der Weg in die Staaten aufgrund seines langen Moskau-Aufenthalts ebenso verschlossen bleiben würde. Von den Au- toren wird weder auf die stalinschen Säuberungen unter den deutschen Emigranten oder das Verhältnis der Sowjetunion zu den Spanien- Kämpfern verwiesen noch auf die amerikanische Exilpolitik. Für den Leser muß so, zieht er nicht andere Quellen zu Rate, doch etliches aus diesem Lebensabschnitt Ernst Buschs ungereimt bleiben. Solche Unschärfen sind jedoch die Ausnahme in diesem Band und es wäre unangemessen, ihn daran zu bewerten. Denn alles in allem ist er den meisten Künstlerbiographien, die in den letzten Jahren bei uns auf den Markt gekommen sind, weit überlegen, sowohl was die akribischen Recherchen anbelangt als auch die Präsentation der Dokumente, die nicht hinter Interpretationen zum Verschwinden gebracht, sondern für den Gebrauch ausgestellt werden. Richard Weber