" + B Hein: Dokumente 1967 - 1985. Fotos, Briefe, Texte.- Frank- furt: Deutsches Filmmuseum 1985, 109 S., DM 10,- Die Geschichte des Neuen deutschen Films ist noch nicht geschrieben. Es gibt Ansätze (vor allem in den USA), mehr nicht. Diese Geschichte mUßte, um dem Reichtum des deutschen Films in den späten sechziger und frUhen siebziger Jahren gerecht zu werden, auch den Dokumentar- film und Experimentalfilm miteinbeziehen, und die Querverbindungen und Schranken zwischen diesen Gattungen darstellen. Die Quellenlage beim Dokumentar- und Experimentalfilm ist aber noch schlechter als beim Spielfilm. Dokumentarfilme (Wildenhahn, Nestler) sammelt vor allem die Stiftung Deutsche Kinemathek, bei Experimentalfilmen muß man sich meist an die Filmemacher selbst wenden. Auch um schriftliches Quellenmaterial steht es nicht gut. Da kann das Buch, das das Kölner Filmemacherpaar Wilhelm und Birgit Hein anläßlich einer Retrospektive seines Werks im Deutschen Filmmuseum Frankfurt veröffentlicht hat, eine LUcke schließen helfen. Der Band mit Fotos, Briefen und Texten aus den Jahren 1967 bis 1985 ist vor allem ein Quellenwerk zur Rezeptionsgeschichte des Experi- mentalfilms, weniger eine Asthetik dieser Gattung, auch wenn es Hinweise dazu gibt. Das Buch setzt ein mit dem Festival von Knokke Weihnachten/Neujahr 1967/68, der Hamburger Filmschau FrUhjahr 68 und der GrUndung von XSCREEN, einer Kölner Initiative, vor allem der Heins, um Experimentalfilme öffentlich zugänglich machen zu können. Die deutschen Experimentalfilmer waren sich, obwohl sie gemeinsam gegen eine bornierte Öffentlichkeit auftreten mußten, untereinander Uberhaupt nicht einig. Es gab heftige Richtungs- und FIUgelkämpfe, die auch international Wellen schlugen. Die deutschen Filmemacher standen zwischen den Amerikanern, etwa Markopoulos und Brakhage, und den Wiener Aktionisten mit Otto Muhl und Kurt Kren. Die Heins mit ihren Materialfilmen, oft aus Filmresten hergestellt ('s/w', 1967, 'Rohfilm', 1968), fUhlten sich den Amerikanern wie den Wienern verbunden, sie hatten eher Krach mit ihren deutschen Kollegen, dem spielerischen Lutz Mommartz aus DUsseldorf, Werner Nekes und Dore O. aus Hamburg, die mathematisch ausgezirkelte, optisch ausgefeilte, sehr schöne Filme drehten. Diese FrUh- und Glanzzeit des Experimentalfilms in der Bundesre- publik wird in dem Buch der Heins sehr anschaulich, vor allem auch dadurch, daß viele Dokumente, Briefe, Veranstaltungsprogramme, Zeitungsausschnitte faksimiliert sind. Die heftigen Auseinandersetzun- gen jener Jahre (Filmemacher untereinander; Behörden gegen Filme- macher wg. "Verbreitung unzUchtiger Schriften") rollen fast wie in einem Film vor uns ab. Die Heins, Hauptautorin ist Birgit, nahmen damals in ihren Briefen und Texten, die unverändert nachgedruckt werden, kein Blatt vor den Mund, sie scheuen auch vor Beschimpfun- gen nicht zurUck, die dennoch immer etwas Spielerisches behalten. Es ist eine Ehre, von Wilhelm und Birgit Hein beleidigt zu werden. Die alten Texte werden durch heute geschriebene in einen historischen Zusammenhang gerUckt, auch interpretiert, gelegentlich korrigiert, etwa, wenn die Heins Uber Ulrich Gregor, den Leiter des Berliner 'Arsenals' und des 'Internationalen Forums des jungen Films' anmer- ken: "Er hat in den ganzen Jahren den Avantgardefilm konsequenter vertreten, als wir damals erwartet haben." In den siebziger Jahren haben die Heins weit weniger Texte geschrie- ben. Der Experimentalfilm schwand in der Bundesrepublik aus dem öffentlichen Bewußtsein. Daß dieses Buch aber nun Mitte der 457 achtziger Jahre erschienen ist, macht Mut, ist ein positives Symptom. Der Experimentalfilm hat sich wieder bemerkbar gemacht, vor allem durch den Osnabrücker Workshop, der 1987 schon zum siebten Male stattfand. Zu den eingangs genannten Namen sind neue gekommen: Christoph Janetzko, Klaus Telscher, Stephan Sachs, Christine Noll Brinckmann und manche andere. Die mittlere Generation, Klaus Wyborny und Heinz Emigholz, nicht zu vergessen. Der Experimental- film lebt wieder. Da kommt das Buch der Heins zur rechten Zeit, um an eine Tradition zu erinnern, die heute weitergeführt wird. Und stärker noch als vor zwanzig Jahren bestimmen der Experimentalfilm {und der Dokumentarfilm} heute die Qualität des bundesdeutschen Films. Wilhe1m Roth