M AT T H I A S T H I E L E die AMBulAnte AufzeichnunGSSzene — Die folgenden, am Schreibtisch entstandenen Aufzeichnungen sind Vorarbei­ ten. Das heißt, sie haben die Phase des haltlosen Akkumulierens von Gelese­ nem, Gehörtem, Beobachtetem, Zugefallenem, Gedachtem und Reflektiertem zwar bereits überschritten, den Status des Kompletten, Systematisierten und Feststehenden allerdings noch nicht erreicht – Glück des Unfertigen, des Kom­ binierens, Vermischens und des Werdens. Sie sind schwebendes Resultat, der Zwischenstand eines fortlaufenden Prozesses des Abschreibens und Umschrei­ bens, des Wiederholens und Verwerfens, des Hinzufügens und Weglassens, des Umstellens und Entwerfens. Ihr Gegenstand wiederum ist dem Stadium des Erschreibens durch Umschrift und Abschrift vorgelagert, wird der Beitrag doch vorzugsweise um die alltägliche Praxis des notierens beziehungsweise den me­ dialen Akt des Aufzeichnens unterwegs – als Außenaktivität – kreisen. i. Eine gewichtige Grundlage massenmedialer Produktion bildet die «notatio», der «Aufzeichnungsakt», dem es Roland Barthes zufolge um das Auflesen und Festhalten von höchst flüchtigen Realitätspartikeln, einem «Span des Gegen­ wärtigen»1 geht. Diese Möglichkeitsbedingung der Medien drängt durch das etablierte Bildmotiv des Massenkristalls Pressekonferenz – durch den obliga­ torischen Blick auf die jagdmeuteartige Bereitschaft der Journalisten, O­Töne, Schlagworte, bekräftigende oder entlarvende Mimik sowie Gesten aufzuschnap­ 1 Roland Barthes, Die Vorbereitung des Romans. Vorlesung am Collège de pen und einzufangen – zumindest im nachrichtensektor täglich zum Sichtba­ France 1978–1979 und 1979–1980, ren.2 Ein eindrückliches Beispiel hierfür stellt das am 7. August 2009 in der Frankfurt / M. (Suhrkamp) 2008, 152. 2 Vgl. zu Massenkristall und New York Times abgedruckte Foto von Jim Lo Scalzo dar, das eine Aufsicht auf (Jagd-)Meute Elias Canetti, Masse ein von demokratischen Senatoren initiiertes Pressegespräch zu den von right­ und Macht, Frankfurt / M. (Fischer) 1980, 79–81, 106–108. wing­Gruppierungen provozierten Tumulten gegen die health care­Vorschläge 84 ZfM 3, 2/2010 ZfM3_RL_25.indd 84 14.09.2010 9:20:46 Uhr der Obama­Administration darbietet (Abb. 1). Zum erhöhten Standpunkt wie zur redaktionellen Auswahl der Fotografie haben gewiss die zahlrei­ chen, verstreut auf dem Beistelltisch liegenden, di­ gitalen Tonaufnahmegräte entscheidend beigetra­ gen. Darüber hinaus führt das Bild verschiedene Aufzeichnungsmedien und ­praktiken der Repor­ ter vor Augen: Unter den Minirecordern mit ein­ gebauten Mikrofonen befinden sich zwei größere, tragbare Aufnahmegeräte mit externen Richtmi­ krofonen. Eines der beiden Geräte befindet sich auf dem Tisch, das andere liegt auf den Schenkeln einer Journalistin, die mittels Kopfhörer die Ton­ aufzeichnung kontrolliert und aussteuert. Hin­ zu kommen die auf die Politiker gerichteten Fotoapparate samt pirschender, Abb. 1 Jim Lo Scalzo, new York sprunghafter und schnappender Fotogeste ihrer Operatoren.3 Da Camcorder times, 7. August 2009 fehlen, kann vermutet werden, dass Videokameras zu dieser Pressekonferenz nicht zugelassen waren, wofür auch das Sitzarrangement spricht, das telegenen Ansprüchen kaum genügt. Die mit Stift und Blatt ausgeübte Praxis handschrift­ lichen notierens, die links und rechts im Bildvordergrund zu sehen ist, dient schließlich der fotografischen Aufzeichnung als Rahmung beziehungsweise vi­ suelle Klammer. Die hervorgehobenen Details verdeutlichen, dass die medio­ politische Aufzeichnungsszene auf portablen Medien basiert, dass Lo Scalzos Fotografie selbst und ihre interne Gegenständlichkeit die Portabilität von Me­ dientechnik fraglos zur Voraussetzung hat. Jenseits dieses gängigen, fest in den nachrichtenmedien verankerten Bild­ motivs vollzieht sich die Mehrzahl der elementaren, grundlegenden Aufzeich­ nungsakte der massenmedialen Produktion in der Regel aber ungesehen und unbemerkt. So ist im Bereich der Film­ und Fernsehserienproduktion zum Bei­ spiel die Funktion des location scouts für die Logistik und den ästhetischen Look zwar von entscheidender Bedeutung, das Dokumentations­ und Aufzeich­ nungsverfahren der Drehortsuche mit Kompaktkamera, Stift, notizblock, Uhr, Kompass und inzwischen sicherlich auch mit Smartphone und Google Earth rückt allerdings äußerst selten ins Licht medialer Aufmerksamkeit. Der porta­ ble Medienverbund des location scouts ermöglicht zugleich, die räumlichen Ge­ gebenheiten fotografisch zu erfassen, die Himmelsrichtung zu bestimmen und die Uhrzeit des Schnappschusses zu notieren, so dass sich für die Planung ein Datensatz ergibt, der Rückschlüsse auf die sich verändernden Lichtverhältnisse zulässt. Protokolliert werden zudem die technische und soziale Infrastruktur, 3 Vgl. zur Geste des Fotogra- die Besonderheiten sowie die potenziellen Stör­ und Widerstandsquellen vor fierens Vilém Flusser, Für eine Philosophie der Fotografie, Göttingen Ort, um später ein reibungsloses Drehen zu gewährleisten.4 (European Photography) 1989, 31–37. 4 Vgl. David C. Denison, As Seen on TV, New York (Fireside) 1992, 92–98. 85 ZfM3_RL_25.indd 85 14.09.2010 9:20:47 Uhr MATTHIAS THIELE ii. Was die beiden Beispiele ausleuchten, ist das ambulante Moment im Prozess der Mobilmachung von Aufzeichnungen, den Bruno Latour als «generelle Mobilisierung der Welt»5 bezeichnet und zu deren Effekten gerade auch die Massenmedien und die spannungsvollen und friktionsreichen Medienkultur­ formationen der «mobile privatisation»6 und «privatised mobility»7 zu zählen wären. Während sich Latour mit dem Konzept der immutable mobiles jedoch im Hinblick auf die «großen Effekte von Wissenschaft und Technik»8 vorran­ gig für die Intensivierung der Konstanz, Mobilität, Zirkulation, Akkumulation und Kombination von Zeichen beziehungsweise Inskriptionen interessiert, soll hier alleine die «Mikrotechnik der notation»,9 der mobile, ephemere Aufzeich­ nungsakt selbst betrachtet werden. Ein Aspekt der bei Latour durchaus präsent ist, wenn er den Weltumsegler und Geografen Jean­François de La Pérouse mit notizbuch und Stift am Strand eines unbekannten Landgebiets im Ostpazifik unter Chinesen imaginiert, den kartografischen Akt szenografisch als zweifa­ che Transformation (von einer Zeichnung in Sand zu einer Karte auf Papier) detailliert ausmalt und die mobile Schreib­ beziehungsweise Aufzeichnungs­ szene sogar mit einer fotografischen Abbildung eines Reisezeichenetuis von 1778 versieht.10 Dennoch bleibt das ambulante Moment innerhalb seiner For­ 5 Bruno Latour, Die Logistik der schungsstrategie der «Deflation», die sich der «Handwerkskunst des Schrei­ immutable mobiles, in: Jörg Döring, bens und der Visualisierung» zuwendet, um «aus dem Wenigsten das Meiste Tristan Thielmann (Hg.), Mediengeo- graphie. Theorie – Analyse – Diskussion, zu machen»11, sonderbar randständig, was möglicherweise mit auf die komple­ Bielefeld (transcript) 2009, 111–144. xe, höchst flüchtige und eben kaum konstante Medienpraxis zurückzuführen 6 Raymond Williams, Television. Technology and Cultural Form, London, ist, die als Aktivität und im Vollzug – «Bild einer einzigen, fließenden Ges­ New York (Routledge) 2003, 19–21. te»12 – nur schwer festzuhalten und zu rekonstruieren ist. 7 Lynn Spigel, Portable TV: studies in domestic space travels, in: John Fullerton, Jan Olsson (Hg.), Allegories of Communication: Intermedial concerns from cinema to the digital, Rom (John iii. Libbey Publishing) 2004, 55–80. Die Mannigfaltigkeit der medialen Realisierungsformen des Ambulanten soll 8 Bruno Latour, Drawing Things Together. Die Macht der unveränder- im Folgenden durch ein allgemeines Modell mobilen Aufzeichnens der Analy­ lich mobilen Elemente, in: Andrea se zugeführt werden. Hierbei wird es vorrangig um das Verbindende der ver­ Belliger, David J. Krieger (Hg.), ANThology. Ein einführendes Handbuch schiedenen ambulanten Medienpraktiken gehen, um eine Basis für Vergleiche zur Akteur-Netzwerk-Theorie, Bielefeld zu gewinnen, durch die dann später, an anderem Ort, das Trennende in den (transcript) 2006, 259–307, 261. 9 Barthes, Die Vorbereitung des Blick genommen werden kann – das spezifisch Mediale, historisch Variable und Romans, 153. prozessual Singuläre des Hand­ und Ortzeichnens, des handschriftlichen no­ 10 Latour, Die Logistik, 111–118. 11 Latour, Drawing Things tierens fern vom Schreibtisch, der Momentfotografie, des mobilen Filmens und Together, 261. videografischen Aufzeichnens und der Schallaufnahme unterwegs. Ausgangs­ 12 Barthes, Die Vorbereitung des Romans, 153. punkt der Modellierung ist das Konzept der Schreibszene, mit dem die Litera­ 13 Vgl. Gerhard Neumann, Schrei- turwissenschaft die Aktivität des Schreibens jenseits der klassischen Instanzen ben und Edieren, in: Heinrich Bosse, Ursula Renner (Hg.), Literaturwissen- ‹Text›, ‹Autor› und ‹Werk› zu bestimmen sucht.13 Als Akt und Prozess wird das schaft. Einführung in ein Sprachspiel, Schreiben von Rüdiger Campe und im Anschluss an diesen von Martin Stinge­ Freiburg im Breisgau (Rombach Verlag) 1999, 401–426, 421. lin als ein entschieden heterogenes, nicht­stabiles Ensemble aus den Faktoren 86 ZfM 3, 2/2010 ZfM3_RL_25.indd 86 14.09.2010 9:20:47 Uhr diE aMBulantE auFZEichnungSSZEnE Sprache (Semantik), Instrumentalität (Technologie) und Geste (Körperlichkeit) aufgefasst.14 Im konkreten Schreibvorgang verschränken sich diese drei Fakto­ ren unauflösbar ineinander, wobei sich ihr generatives Zusammenspiel in Szene setzt und als eine mehr oder weniger komplexe Inszenierung wahrgenommen wird. Dies kann sehr gut das «Schreibstunden»­Kapitel in den Traurigen Tropen von Claude Lévi­Strauss veranschaulichen,15 in dem eine Komödie um «Schrift und Betrug»16 in drei Akten erzählt wird. Im ersten ahmen die nambikwara mit Papier und Bleistiften, die sie als Geschenke erhalten haben, das Schreiben im Feld nach: «[S]ie schrieben, oder genauer, sie versuchten, ihren Bleistift in 14 Vgl. Rüdiger Campe, Die derselben Weise zu benutzen wie ich, also der einzigen, die sie sich vorstellen Schreibszene, Schreiben, in: Hans-Ulrich Gumbrecht, K. Ludwig konnten».17 Im zweiten Akt imitiert der Häuptling den Gebrauch des ethno­ Pfeiffer (Hg.), Paradoxien, Dissonan- graphischen Schreibgeräts, indem er als Informant mit Bleistift in einen notiz­ zen, Zusammenbrüche. Situationen offener Epistemologie, Frankfurt / M. block Wellenlinien zeichnet, die er dem Erzähler zum Entziffern weiterreicht, (Suhrkamp) 1991, 759–772; Martin als besäßen seine «Kritzeleien einen Sinn»,18 der durch mündliche Kommentie­ Stingelin, ‹Schreiben›. Einleitung, in: ders. (Hg.), «Mir ekelt vor diesem tin- rung auch prompt nachgeliefert wird. Der dritte Akt schließlich schildert einen tenklecksenden Säkulum». Schreibszenen Tausch zwischen nambikwara und dem Ethnologen, der vom Häuptling durch im Zeitalter der Manuskripte, München (Fink) 2004, 7–21, 15. ein mit verschnörkelten Linien beschriftetes Papier kontrolliert wird, indem er 15 Vgl. Claude Lévi-Strauss, vorgibt, dem Schriftstück entnehmen zu können, welche Gegenstände jeweils Traurige Tropen, Frankfurt / M. ( Suhrkamp) 1978, 288–300. auszutauschen seien.19 Die Mimikry der Schriftbeherrschung, der Kulturtech­ 16 Ebd., 295. niken des Schreibens und Lesens, sowie der Zeichenoperation des Auflistens20 17 Ebd., 290. 18 Ebd., 291. verdeutlicht die theatrale Rahmung, die mit der Praxis des Schreibens bezie­ 19 Die Komödie des Häuptlings hungsweise dem Akt des Aufzeichnens stets einhergeht und die sowohl das ist allerdings nur das Vorspiel zu einer weiteren Komödie, in der Lévi- nachspielen als auch (Vor­)Bilder und Rekonstruktionen alltäglichen, literari­ Strauss zeigt, wie Reiseliteratur den schen und wissenschaftlichen Schreibens ermöglicht und deshalb zu dem spezi­ belesenen, auf die Schrift vertrau- enden Ethnologen der Täuschung fischeren Begriff der Schreibszene einlädt. aussetzt und zum Narren hält. In genealogischer Perspektive werden die drei Faktoren – Technologie, Ges­ Vgl. hierzu Erhard Schüttpelz, Hei- schebräuche. Der ‹supplementäre te und Semantik – darüber hinaus auch in dem Sinne zu konstitutiven Elemen­ symbolische Inhalt› der Schreibstunde ten, dass sie als Quellen von Widerständen betrachtet werden, die sich gegen von Claude Lévi-Strauss, in: Jürgen Fohrmann (Hg.), Rhetorik. Figuration die technischen, körperlich­handwerklichen und geistigen Handgreiflichkeiten und Performanz, Stuttgart, Weimar der Schrift sträuben und im Schreiben fortgesetzt überwunden und überwäl­ (Metzler) 2004, 361–396, 363–365. 20 Vgl. zum dritten Schreibakt als tigt werden müssen. Die Betonung des Widerstands, die Friedrich nietzsches Zeichenoperation der Liste Cornelia historischer Methode der Genealogie verpflichtet ist,21 zielt dabei auf zweierlei: Vismann, Akten. Medientechnik und Recht, Frankfurt / M. (Fischer) 2001, Zum einen geht es darum, die Medientechnik, den Körper und die Semantik 15–22. auf eine ganz bestimmte Weise als unabdingbare Voraussetzungen des Schrei­ 21 Vgl. Stingelin, ‹Schreiben›, 11; Friedrich Nietzsche, Zur Genealogie bens aufzufassen. Durch ihre Sperrigkeit und Widerständigkeit lassen sie sich der Moral. Eine Streitschrift, in: nämlich nicht ohne weiteres in Subjekt­Objekt­ oder Zweck­Mittel­Relationen ders., Sämtliche Werke. Kritische Studienausgabe, Bd. 5, München (dtv) des Handlungsinstrumentalismus übersetzen. Statt dessen können sie als ei­ 1999, 245–412, 313–316. genständige Kräfte wahrgenommen und begriffen werden, die als «mehr oder 22 Andreas Mauz, Göttliches Schreiben. Zur Genealogie des minder aufsässige Mitarbeiter»22 am Schreibprozess beteiligt sind, über das En­ Schreibens und ihrer Nützlichkeit für gagement eines Individuums als schreibendes Subjekt mit entscheiden und die eine Poetik des ‹heiligen Textes›, in: Philipp Stoellger (Hg.), Sprachen der Leichtigkeit, Beweglichkeit und Schnelligkeit des Aufzeichnens und Denkens Macht. Gesten der Er- und Entmächti- mit bestimmen. Zum anderen werden die Widerständigkeiten als Erkennt­ gung in Text und Interpretation, Würz- burg (Könighausen & Neumann) nismittel ausgewiesen, da diese das Schreiben nicht einfach stoppen, sondern 2008, 225–261, 236. 87 ZfM3_RL_25.indd 87 14.09.2010 9:20:47 Uhr MATTHIAS THIELE vielmehr zur (Auto­)Reflexion anhalten. Als Störung befreien diese Faktoren die Schreibprozeduren vom Automatismus und je nach Problemlage rücken da­ durch entweder die Technik und der Körper in ihrer Materialität, Dinglichkeit und Dynamik oder die Sprache in ihren Regel­ und Gesetzmäßigkeiten sowie (Sinn­)Beschränkungen und Offenheiten aus dem Hintergrund in die Sicht­ barkeit. Indem hierdurch das Schreiben seine Heterogenität und Instabilität reflektiert und thematisiert, entsteht eine besondere Schreibszene, die Cam­ pe und Stingelin mit Bindestrich schreiben, um so zu verdeutlichen, dass diese Schreib­Szene als Problematisierung des Schreibens aus der Sperrigkeit ihrer wechselseitig beteiligten Faktoren resultiert.23 Wenn Lévi­Strauss unmittelbar vor dem «Schreibstunden»­Kapitel Einblick in seine Schreibumstände im Feld gibt, indem er beschreibt, wie er nachts beim Schein seiner Taschenlampe in sein notizbuch kritzelt, aus dem er dann direkt im Anschluss das ausformulierte narrative Bild eines nachtlagers der nambik­ wara in Reinschrift zitiert,24 dann liegt eine Schreibszene – gerade auch im Sinne einer Selbstinszenierung des Schreibers – vor. Dagegen bietet zum Beispiel die FAZ­Redakteurin Verena Lueken im Mai 2010 in einem ihrer Cannes­Berichte eine Schreib­Szene, insofern sie dort eine Produktionsbedingung der Filmkri­ tik, die Schwierigkeit nämlich im Dunkeln des Kinosaals etwas geordnet auf­ zuzeichnen, thematisiert – was vorzüglich zu einem Film von Jean­Luc Godard und seiner Relationen destabilisierenden UnD­Montage passt:25 23 Vgl. Campe, Die Schreibszene, Vielleicht ist es kein Zufall, dass man später, beim Blättern in den eigenen, im Dun­ 760; Stingelin, ‹Schreiben›, 15. keln hastig geschriebenen notizen feststellt, dass man sich in den Seiten vertan und 24 Vgl. Lévi-Strauss, Traurige nicht nebeneinander, sondern übereinander gekritzelt hat. So lässt sich aus ihnen Tropen, 287 f. 25 Zur Konjunktion UND als anti- nach dem ersten Sehen dieses Films nicht mehr feststellen, was das Lama eigent­ dialektischem Verfahren Godards lich mit der Tankstelle zu tun hat und ob uns zum leitmotivischen Rot – von Au­ vgl. Gilles Deleuze, Drei Fragen zu six tos, Zaumzeug, T­Shirts, Schals – etwas anderes als das Offensichtliche, nämlich der fois deux (Godard), in: ders., Unter- T itel «Film Socialism», eingefallen war.26 handlungen 1972–1990, Frankfurt / M. (Suhrkamp) 1993, 57–69, 67 f. 26 Verena Lueken, Redet nicht Aber nicht nur die Dunkelheit von Kinosaal oder nacht, auch das Medium über das Unsichtbare. Altersweishei- ten: Cannes zeigt Filme von Godard, der Aufklärung kann sich als problematisch erweisen, wie Friedrich Kittler le­ Tavernier, Kitano und Kiarostami, in: send vor Augen führt. Die Szene, die ihrer angespielten Rekursivitäten wegen Frankfurt Allgemeine Zeitung, Nr. 114, 19.5.2010. von Ludwig Jäger wohl als Sprach­Szene gekennzeichnet würde,27 beginnt in 27 Vgl. Ludwig Jäger, Rekursive einem Flugzeug bei nachtflug, in dem der Schreiber unter einem Punktstrah­ Transkription. Selbstlektüren dies- seits der Schrift, in: Davide Giuriato, ler in Ecce homo blättert, um tags darauf in der Mittagssonne am Strand die Lek­ Martin Stingelin, Sandro Zanetti türe fortzusetzen: (Hg.), «Schreiben heißt: sich selber lesen». Schreibszenen als Selbstlektüren, München (Fink) 2008, 283–300, nietzsche erzählte von seinen kranken Augen, und wie er froh war, nichts mehr le­ 283 f. 28 Friedrich Kittler, Wie man sen zu können. In seltsamen nächten ohne Lampe hatte ich Zettel vollgeschrieben, abschafft, wovon man spricht. Der ohne sie wiederlesen zu können, und als ich es merkte, auch gleich aufgeschrieben, Autor von ‹Ecce homo›, in: Jacques daß Lesen Licht voraussetzt. Aber es war ein mitteleuropäischer Kurzschluß gewe­ Derrida, Friedrich Kittler, Nietzsche – sen. Unter der senkrechten Sonne beim «morgenländischen Überblick über Euro­ Politik des Eigennamens. Wie man abschafft, wovon man spricht, Berlin pa» flimmerten Meer und Buchstaben – an jenem Tag las ich nicht weiter. Wie die (Merve) 2000, 65–99, 65. Sonne abschafft, was so als Diskurs läuft, ist also ganz einfach.28 88 ZfM 3, 2/2010 ZfM3_RL_25.indd 88 14.09.2010 9:20:47 Uhr diE aMBulantE auFZEichnungSSZEnE Was für das Lesen gilt, trifft nicht minder stark das Schreiben und allemal mobile Aufzeichnungspraktiken wie die Videografie, die digitale Fotografie und Handy­ grafie, die medientechnisch mit Kontrollmonitor operieren. nicht von ungefähr empfiehlt ein Blog für angehende Schriftsteller als «Schreibtipp» für unterwegs die Mitnahme einer Sonnenbrille gegen die starke Lichtreflexion auf weißem Pa­ pier29 und beklagen (Geräte­)nutzer zu Recht immer wieder die Batterie scho­ nende Lichtschwäche von Sucherbildschirmen in ihrer Kundenbewertung: Eigentlich eine gute Kamera dank live­view und klappbarem Display – ABER das Display ist viel zu lichtschwach im Freien! Bei Tageslicht lässt sich nicht viel erken­ nen, vom Sonnenlicht ganz zu schweigen. Wer hat schon seine Kamera nur zu Hause im Zimmer im Einsatz?30 iV. Behelligt von der Sonne, zeigt sich das Konzept der Schreibszene für die am­ bulante Aufzeichnung als nicht hinreichend. Die aufgeführten Szenen mobilen Schreibens und Aufzeichnens verdeutlichen vielmehr, dass das Ensemble aus Medientechnik, Körperlichkeit und Semantik um mindestens zwei konstitutive Faktoren erweitert werden muss. An erster Stelle ist gewiss der Operations­ raum zu nennen, der sich für die mobile Aufzeichnungsszene eben weder auf das autonome Blatt Papier oder die «flache Oberfläche»31 noch auf die Exten­ sionen dieses eigenen und abgetrennten Herrschaftsraums32 der handschrift­ lichen und technischen Grafien – den Schreibtisch, das Schreibzimmer, das Büro, das Labor, die Akademie, das Kunst­ und Fotoatelier oder das Film­ und Tonstudio – reduzieren lässt. Während die institutionell definierten Räume die Trennung und Isolation der Schreib­ und Aufzeichnungspraktiken von der Welt und ihren gesellschaftlichen Aktivitätsbereichen strategisch verstärken, um noch effektiver «auf die Umgebung einzuwirken und sie umzugestalten»,33 zielt das mobile Schreiben und ambulante Aufzeichnen – auch als Teilstrategie und Anenteignungsdispositiv der aufgeführten Schrift­, Bild­, Ton­ und Daten­ Laboratorien – umgekehrt gerade auf die Überwindung dieser Einschnitte und Zurückgezogenheit, um sich mit der Welt als Fülle des Merkwürdigen und no­ tablen zu verbinden und re­portierend zu verknüpfen. Dabei gewinnt die Auf­ zeichnung ihre Produktivität weniger aus der Autonomie des leeren Blattes, als 29 Vgl. http://www.schriftsteller- werden.de/schreibtipps/13-dinge-zum- vielmehr aus der Heteronomie, der Abhängigkeit von den zahlreichen Außen­ geschichten-schreiben-in-der-sonne, einflüssen. Entsprechend betont Barthes die Gerichtetheit auf die Außenwelt gesehen am 26.6.2010. 30 http://www.idealo.de/preis- der alltäglichen Praxis des notierens: «Die notatio ist also eine Außenaktivität: vergleich/Meinungen/941989.html, nicht an meinem Schreibtisch, sondern auf der Straße, im Café, mit Freunden gesehen am 25.5.2010. 31 Latour, Drawing Things usw.»34 Seine Feststellung führt zu dem zweiten zu ergänzenden Faktor, der di­ Together, 285. rekt aus der Exteriorität der ambulanten Aufzeichnung folgt und als Kopräsenz 32 Vgl. Michel de Certeau, Kunst des Handelns, Berlin (Merve) 1988, der Anderen bezeichnet werden kann. Diese umfasst die Begleitung des Auf­ 246. zeichnenden, die als Gefährten, Mitproduzentinnen und Assistenten wirken, die 33 Ebd., 247. 34 Barthes, Die Vorbereitung des Beobachteten, die als Anreiz, Inspirierende und Informanten fungieren, und die Romans, 152. 89 ZfM3_RL_25.indd 89 14.09.2010 9:20:47 Uhr MATTHIAS THIELE Beobachtenden, die als neugieriges Publikum dem Aufzeichnungsakt beiwohnen oder als Intervenierende auftreten. Mit in die Kopräsenz einzurechnen ist auch der Abwesende beziehungsweise Fernbleibende, der als antizipierter Andere den Aufzeichnenden in Bereitschaft versetzt und ausharren lässt. Zusammenfassend lässt sich unter der ambulanten Aufzeichnungsszene – der medialen Praxis mobilen Aufzeichnens – also ein variables Gefüge aus den zu­ sammenwirkenden Faktoren Medientechnik, Körper, Operationsraum, Koprä­ senz und Semantik verstehen, wobei alle fünf Dimensionen als unabdingbare, materielle Voraussetzungen zugleich Quellen von Widerständen darstellen, die es im Akt und Vollzug des Aufzeichnens stets zu überwinden gilt. V. Für die Medientechnik bedeutet dies, dass sie weder auf ihre Instrumentalität reduziert noch zur absoluten Determinante erhoben werden kann. Zudem bil­ det sie aufgrund der Mobilität einen apparativen Medienverbund aus, dessen portable Elemente sowohl zur Miniaturisierung als auch zur Vermehrung ten­ dieren. So schreibt Lévi­Strauss im Feld eben nicht nur mit Bleistift und notiz­ buch, sondern auch mit Taschenlampe, die ohne Batterien jedoch gewiss nicht ihren Dienst verrichten würde. Einen weit umfangreicheren Medienverbund stellt im Vergleich dazu die technische Grundausstattung von professionellen VideojournalistInnen dar, die für ihre Aufzeichnungen vor Ort auf eine kleine, leicht tragbare DV­Kamera, ein an der Kamera anzubringendes Richtmikrofon, ein Ansteckfunkmikrofon, einen Kopfhörer, ein Laptop mit Schnittsoftware, ge­ ladene Akkus und Ersatzakkus, Datenspeicher, ein Drei­ oder Einbeinstativ, ein Kamera­ oder Kopflicht, Verbindungskabel, einen Kameraregenschutz und auf Taschen zum Transport des gesamten Equipments angewiesen sind. Die Zusam­ menschau der Ausrüstung verdeutlicht, dass sich durch das ambulante Moment allein schon auf Seiten der Technik die Widerstände bedeutend vervielfältigen. Vi. Der Raum kann als Faktor der mobilen Aufzeichnungsszene nicht länger le­ diglich als dekorative Bühne oder passiver Ort für Praktiken angesehen wer­ den. Stattdessen ist er als eine dynamische und produktive Größe, eine lokal je spezifische Konstellation aus physikalischen Gegebenheiten, materiellen Raumpraktiken, Repräsentationen des Raums und Räumen der Repräsentati­ on zu begreifen,35 die der Praxis des ambulanten Aufzeichnens zuarbeiten oder 35 Vgl. zum Raum als Produkt und Produktivkraft Henri Lefebvre, entgegenwirken. Die Wirkmächtigkeit des Operationsraums veranschaulichen The Production of Space, Oxford (Cam- eindrücklich die Schreibstörungen, die sich auf den Gipfeln der Alpen unter bridge) 1991. 36 Vgl. Philipp Felsch, Laborland- Höhentouristen einstellen und sich in den Reise­ und notizbüchern neben schaften. Physiologische Alpenreisen im Fehlleistungen vor allem in der Verwandlung der Schriftzeichen in unlesbares, 19. Jahrhundert, Göttingen (Wallstein) 2007. sprachloses Gekritzel dokumentieren.36 Unter positivem Vorzeichen lässt sich 90 ZfM 3, 2/2010 ZfM3_RL_25.indd 90 14.09.2010 9:20:47 Uhr diE aMBulantE auFZEichnungSSZEnE dagegen an das Caféhaus als stimulierendem Schreibort denken – ein Topos in der Literatur, Philosophiegeschichte und Smartphone­Wer­ bung (Abb. 2). Mit Bezug auf den Film kann die Politik des Original­ schauplatzes angeführt werden, wie sie für den neorealismus bestim­ mend ist, zu dessen produktionsästhetischen Regeln das Gebot zählt, die filmische Aufzeichnung den materiellen, räumlichen Gegebenheiten improvisierend anzupassen: «Die Wirklichkeit ist es, die diese Schemata zerbricht. Denn es gibt unendlich viele Möglichkeiten der Begegnung mit der Wirklichkeit für den Mann [sic] des Films (man braucht nur mit der Kamera durch die Gegend zu laufen).»37 Anschaulichkeit bieten aber auch Praxishandbücher zur Steadicam­Aufzeichnung, in denen un­ ter den Schlagworten «navigation» und «movement techniques» den Potenzialen und Widerständigkeiten des vorfilmischen Raums (Trep­ pen, Gänge, Enge, Weite, Rolltreppen, Böden, Unebenheiten, Glätte, Möbel, Mauern, Hindernisse, Horizonte, Durchgänge und Türen) gan­ ze Lehreinheiten gewidmet werden.38 Abb. 2 Windows Mobile- Werbung, connect, Juli 2004 Vii. Die ambulante Aufzeichnungsszene zielt in der Regel nicht, und hiermit ist der Faktor der Semantik angesprochen, auf ein Resultat im Sinne eines ausgearbei­ teten und geschliffenen Endprodukts. Die Aufzeichnung steht vielmehr unter dem «Vorzeichen des Vorläufigen»;39 sie ist Stichwort, bruchstückhafte S kizze, provisorischer Merkposten, lose notiz und Ideenfragment, weshalb Barthes mit Blick auf das Potenzial auch vom «Keim eines Satzes»40 spricht. Sie ist, um sich vom Paradigma der Schrift zu lösen, vor allem «Rohmaterial»41, wie Alexander 37 Cesare Zavattini, Einige Gedan- ken zum Film, in: Theodor Kotulla Kluge mit Karl Marx formuliert, der im Kapital zudem die Begriffe «Halbfabri­ (Hg.), Der Film. Manifeste, Gespräche, kat» und «Stufenfabrikat»42 empfiehlt, um die Funktion eines weiterzuverarbei­ Dokumente, Band 2, 1945 bis heute, München (Piper) 1964, 11–27, 23 f. tenden Produkts in einem gestaffelten Arbeitsprozess zu bezeichnen. Der Status 38 Vgl. Jerry Holway, Laurie als Halbfabrikat erzwingt dabei nur zum Teil eine Ausrichtung auf oder Einhal­ Hayball, The Steadicam® Operator’s Handbook, Burlington, Oxford (Focal tung von Vorgaben und Standards, zugleich eröffnen sich hierdurch in Kopplung Press) 2009. mit der (Hin­)Wendung auf das Außen nämlich für die ambulante Aufzeichnung 39 Christoph Hoffmann, Schrei- ben, um zu lesen. Listen, Klammern gerade auch Spiel­ und Experimentalräume. So übersteigt die Zahl der notizen und Striche in Ernst Machs Notiz- zumeist bei Weitem die der ausgearbeiteten Texte, gehen einer veröffentlich­ büchern, in: Giuriato u. a. (Hg.), «Schreiben heißt: sich selber lesen», 199. ten Pressefotografie Serien von Schnappschüssen voraus und erhöhen mobile 40 Barthes, Die Vorbereitung des Film­ und Videokameras oftmals das Drehverhältnis. Darüber hinaus gehört die Romans, 153. 41 Alexander Kluge, Gelegenheits- Ungeordnetheit der notizen der Filmkritikerin Lueken eher zur Regel der Auf­ arbeit einer Sklavin. Zur realistischen zeichnung, zu deren Prinzipien das nebeneinander und die Sprung haftigkeit ge­ Methode, Frankfurt / M. (Suhrkamp) 1975, 208. hören,43 was zu einem produktiven Durcheinander beziehungsweise unerwarteten 42 Karl Marx, Das Kapital. Kritik Miteinander führen kann. Dies gilt gleichermaßen für die Seiten eines notizhefts der politischen Ökonomie. Erster Band, Berlin (Dietz) 1993, 197. wie für das zur Bearbeitung versammelte Film­, Video­ und Audio­Rohmaterial 43 Vgl. Thomas Lappe, Die Auf- im Schnittraum oder auf dem Massenspeicher von Schnittsoftware. zeichnung. Typologie einer literarischen Kurzform im 20. Jahrhundert, Aachen (Alano/Rader-Publ.) 1991, 148–154. 91 ZfM3_RL_25.indd 91 14.09.2010 9:20:47 Uhr MATTHIAS THIELE Viii. Das ambulante Aufzeichnen orientiert sich als Außenaktivität am Gegenwärti­ gen, an der Aktualität, am Plötzlichen, an der Fülle von Einzelheiten und flüch­ tigen Details. Die «Fokussierung des Augen­Blicks»44 geht mit einer Haltung gleichschwebender Aufmerksamkeit sowie der Bereitschaft für den richtigen Zeitpunkt einher, um jedes mögliche Vorkommnis visuell und/oder auditiv di­ rekt aufnehmen beziehungsweise ohne größeren zeitlichen Verzug schriftlich notieren zu können. Diese Art der körperlichen Aufnahmebereitschaft ist an eine spezifische Subjektivität gebunden, die von dem metaphorisch­symboli­ schen Komplex der Jagd getragen wird. Entsprechend übersetzt Barthes gleich zum Auftakt seiner Überlegungen den Aufzeichnungsakt unter anderem als ‹Er­ greifung›, ‹Erbeutung›, ‹Fischzug› und ‹Fang›.45 Wie gängig diese symbolische Kodierung für mobile Aufzeichnungsszenen ist, zeigt ein Trainingsprogramm für VideojournalistInnen, das die Camcorderführung der Aufzeichnungspraxis durch das imaginäre, fantasiebezogene Szenario der Jagd instruiert: Es gehe, so der VJ­Pionier und VJ­Trainer Michael Rosenblum, um ‹Instinkt›­Bewegung, um den ‹Akt des Einfangens›, um die ‹Sinne des Jägers›, um die ‹Berührung mit der Jagdumgebung›, um die Bilder als ‹Wild›, um das ‹Einswerden mit dem Raum›, das ‹Fühlen, Beobachten und Studieren des Orts›, um die ‹Geduld› und das ‹Belauern› und schließlich um die ‹Verwandlung in einen jagenden Adler, der seine Beute ausmache›.46 Diese Subjektivierungslinie reicht gewiss zurück bis zur technischen Ermöglichung der fotografischen Momentaufnahme um 1900, wenn nicht bis zur Idee der Vor­Ort­Mitschrift beziehungsweise des Si­ multanprotokolls im 18. Jahrhundert.47 ix. Ausgehend von dem vorgestellten Modell und einiger seiner Aspekte müsste es nun im Weiteren um die Rekonstruktion konkreter mobiler Aufzeichnungssze­ nen in ihrer Spezifik, Variabilität und Differenz zueinander gehen. Unabhängig davon, ob man sich dabei für das handschriftliche notieren, die Schnappschuss­ fotografie, die Paparazzo­Aufzeichnungsszene, die Schulter­ und Handkame­ raszene, die videojournalistische Praxis oder die mobile Aufzeichnungsszene 44 Ebd., 193. ‹Steadicam› interessiert, würde das Unterfangen selbst ambulante Aufzeich­ 45 Vgl. Barthes, Die Vorbereitung nungsverfahren erfordern, um die fließenden Bewegungen, die komplexen Dy­ des Romans, 152. 46 Vgl. Andre Zalbertus, Michael namiken, die Rhythmen und die Muster der ambulanten Momente einfangen Rosenblum, Videojournalismus. Die di- zu können. Auch wenn hier die Subjektivität des Jägers anklingt, wird diese auf gitale Revolution, Berlin (uni-edition) 2003, 69–71. keinen Fall für die Unternehmung hinreichen. Welche affektiven Energien und 47 Vgl. Andreas Hartmann, Reisen Investitionen sich allerdings über die betont maskuline Subjektivierung des Jä­ und Aufschreiben, in: Hermann Bausinger, Klaus Beyrer, Gottfried gers hinaus als produktiv erweisen werden, bleibt zu erforschen. So wird bei­ Korff (Hg.), Reisekultur. Von der spielsweise zur Übungsanleitung die Operation der Steadicam­Aufzeichnung in Pilgerfahrt zum modernen Tourismus, München (Beck) 1999, 152–159. den metaphorisch­symbolischen Komplex des Paartanzes übertragen: 92 ZfM 3, 2/2010 ZfM3_RL_25.indd 92 14.09.2010 9:20:47 Uhr diE aMBulantE auFZEichnungSSZEnE Steadicam operating has often been compared to dancing. Learning to work with the Steadicam as if it were your dance partner leads to good operating. Employing some dance techniques to maneuver the camera along its path is much more productive than muscling the rig about as if it were a ball and chain that you must drag from one place to the next. Operating a Steadicam is very similar to dancing – ballroom dancing.48 x. Der Analyse ambulanter Aufzeichnungsszenen kommt die theatrale Rahmung, die Fotografier­ und Filmbarkeit des Aufzeichnungsakts entgegen. Die Prak­ tiken mobiler Aufzeichnungsmedien stehen, anders formuliert, bereits unter vielfältiger, institutionalisierter Beobachtung: Pressefotos, wie das von Lo Scal­ zo, das Fotogesten und andere Aufzeichnungsakte zwar kontingent, doch mit Gespür für den Augenblick festhält, und die Fotografien aus Foto­, Film­ und Video­Praxishandbüchern, die als Vorbilder die schriftlichen Instruktionen zur Kamerahandhabung modellhaft in Szene setzen, machen die Konstellationen und die Formierung ambulanten Aufzeichnens sichtbar und beobachtbar. Dies gilt in besonderer Weise selbstverständlich auch für Film und Video, weil sie mit Bewegungen aller Art aufzeichnen, und das Optisch­Unbewußte, gerings­ te und flüchtigste Bewegungen, der Wahrnehmung zuführen.49 In Spielfilmen und Fernsehserien finden sich insofern zahlreiche Szenen mobilen Aufzeich­ nens, vom handschriftlichen notieren bis zur Handygrafie, die erlauben, das dynamische und agile Gefüge aus Medientechnik, Geste, Raum, Kopräsenz und Semantik im Detail zu beobachten und zu befragen. Der dokumentarische Blick hinter die Kulisse, wie er in Making­Ofs regelmäßig dargeboten wird, stellt eine weitere Beobachtungsinstanz dar, die zudem zwei Vorzüge aufweist: Erstens bietet sie oftmals eine direkte Kopplung von filmischer Aufzeichnungs­ szene und Resultat der Aufzeichnung, was eine Reflexion von Bewegungsüber­ setzungen – vom ambulanten Moment der Aufzeichnung zum Bewegungs­ bild – ermöglicht. Zweitens liefert sie gängige operationale Diskursivierungen der Produktionspraxis, also metaphorische Übertragungen handwerklicher wie filmischer Bewegungen in Sprache und damit Einblick in Konzepte ambulanten Aufzeichnens innerhalb der Produktionssphäre von Film und Fernsehen. An­ zuführen sind schließlich auch die Gerätebesprechungen von Special­Interest­ 48 Holway, Hayball, The Steadi- Magazinen und Fachzeitschriften, die Fotoapparate, Film­ und Videokameras, cam®, 142. 49 Vgl. zum Optisch-Unbewussten Tonaufnahmegeräte und mobile Gadgets aller Art unter Praxisbedingungen der Aufnahmeapparatur des Films vergleichen und testen. Für all diese Beobachtungsinstanzen gilt, dass ihre Walter Benjamin, Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Repro- Szenen ambulanten Aufzeichnens sich oftmals an Widerständigkeiten aufhal­ duzierbarkeit (Erste Fassung), in: ten und damit Reflexionen vorlegen, die mit Hilfe des Modells der ambulanten ders., Gesammelte Schriften, Bd. I, 2, Frankfurt / M. (Suhrkamp) 1991, Aufzeichnungsszene systematisch entfaltet werden können. 431–469, 461. — 93 ZfM3_RL_25.indd 93 14.09.2010 9:20:47 Uhr