Ludwig J. Issing, Heidemarie D. Mickasch und Johannes Haack (Hrsg.): Blickbewegung und Bildverarbeitung.- Frankfurt, Bem, New York: Peter Lang 1986, 223 S.; sFr 49,- Im Juli 1984 fand an der Freien Universität Berlin eine Tagung zum Thema 'Bildverarbeitung und Bildgestaltung' statt, deren übergeordne- tes Ziel es war, die kognitive Verarbeitung visueller Informationen zu diskutieren. In dem vorliegenden Sammelband werden die dort gehal- tenen Vorträge abgedruckt, wobei die Neuformulierung des Titels in 'Blickbewegung und Bildverarbeitung' programmatisch ist: Allen elf Beiträgen ist gemein, daß sie sich mit einem bestimmten Aspekt der Blickbewegungsforschung befassen. Dabei sind 'reine' Grundlagenfor- schung (etwa im Sinne von Testtheorien, Methodenbildung u.ä.) und stärker anwendungsbezogene Bereiche (wie hier: Werbung, Sport) recht unterschiedlich vertreten, denn nur in drei Beiträgen werden Methoden und Ergebnisse der Blickbewegungsforschung in der praktischen An- wendung vorgestellt. Die apparative Messung und Registrierung von Blicken erscheint dank ausgeklügelter Technik und Auswertung durch Computer kaum als Problem, das dominierende Interesse der Grundlagenforschung bean- sprucht vielmehr der Zusammenhang von Blickbewegungen und kogniti- ven Prozessen (weitgehend unter Ausschaltung verbaler Methoden). Zentraler Begriff für alle Fragen der Blickbewegungsforschung - und entsprechend in den Einzelbeiträgen berücksichtigt - ist die Fixation, eine beim Betrachten von Bildern oder beim Lesen zu beobachtende kurz andauernde stabile Position des Auges, die abgelöst wird durch eine schnelle Bewegung (Sakkade). Solche und andere Basisbegriffe sowie der Stand der Forschung werden im einleitenden Aufsatz der Herausgeber kompakt und klar vorgestellt. Einzelne Ausführungen des Grundsatzproblems werden dann in den übrigen Beiträgen vertieft abgehandelt, wie z.B. eine generell gültige Definition von Fixationen, die Interpretation von Fixationsdauer und -häufigkeit oder die Fixationsreihenfolge einzelner Elemente als Indi- 21 kator für Informationsaufnahme und -verarbeitung, aber auch die Frage nach der Steuerung von Fixationspfaden (so im Beitrag von Menz und Groner). Welchen Schwierigkeiten die empirische Erforschung dieser Problem- felder begegnet, wird indirekt erkennbar, wenn sich bereits das bloße Wahrnehmen von Geschehen als äußerst komplexes Geschehen darstellt (Groner und Groner). Daß ein großes Forschungsinteresse nicht be- triebsblind machen muß, zeigt der Beitrag von Schroiff, der Möglich- keiten und Grenzen der Methode kritisch mustert; eine gewisse Skep- sis erklärt sich durch das Fehlen einer flankierenden Theorie des Ab- laufs kognitiver Prozesse. Auch andere Autoren fragen sich, ob - trotz günstiger Laborbedingungen und einfacher Aufgabenstellung (z.B.: nur statische Bilder/bloßes Wiedererkennen) - Blickbewegungen ein "Kö- nigsweg zur Erforschung von Kognitionen sind" (Brosius). Angesichts möglicher Störfaktoren, z.B. dem unterschiedlichen Auf- merksamkeitsniveau der Probanden, deren Alter und Vorerfahrungen sowie den jeweiligen Aufgabenstellungen, ist verständlich, daß nur punktuell eindeutige Aussagen gemacht werden, komplexere Systeme wie etwa die Analyse von bewegten Bildern (unter natürlichen Be- dingungen) aber ausgespart bleiben - was freilich auch die Zielsetzung des Bandes überstiege. Im Vorwort wird nicht nur einem Sponsor gedankt, sondern auch der Wunsch geäußert, ein "größerer Interessentenkreis" möge erschlossen werden. Dies wird in einigen Beiträgen durch die extrem komplexe Diktion aber eher erschwert. Nur ein Beispiel: "Hierunter (unter Kon- zeptualisierungsvorgängen) sind hierarchisch übergeordnete neuronale Operationen zu verstehen, die aufgrund von Isomorphismen zwischen Eindrücken aus der Primärwahrnehmung sensorisch etikettierter Infor- mationsaggregate sekundäre Wahrnehmungen ableiten" (S. 175). An- dererseits leisten zahlreiche Graphiken und Bilder Verständnishilfen. Für die sorgfältige Gestaltung des Bandes spricht auch die geringe Zahl der Druckfehler. Ingesamt bietet die Summe der Beiträge (mit jeweils ausführlichem Literaturverzeichnis) einen guten Einblick in einen Bereich, der ange- sichts einer immer stärker bildorientierten Welt weiter zu erforschen ist, in letzter Konsequenz wohl auch mit dem Risiko, einer totalen Manipulation durch Bilder den Weg geebnet zu haben. Gottfried Schröder