Der Preis der Wissenschaft. Kulturwissenschaftliche Perspektiven auf die Ökonomisierung akademischer Wissensproduktion – zur Einleitung Alexa Färber, Gabriele Dietze, Beate Binder und Kathrin Audehm Es ist den unterschiedlichen Wissenschaftsdisziplinen gleichermaßen zu eigen, For- men der Zulassung und der Qualitätskontrolle etabliert zu haben; die Alma Mater wird durch informelle wie formelle, meist peer-basierte Evaluierungsverfahren und damit verbundene Prozeduren der Auslese zu einem exklusiven Raum gemacht. Das ist nicht neu. Aber die Verfahren und ihre Legitimationshorizonte haben sich im Laufe der Zeit in dichter Auseinandersetzung mit politischen wie gesellschaftlichen Anforderungen stets verändert. Dabei lagen Dispositive wissenschaftlicher Differenzierung nie gänzlich jenseits des Ökonomischen. Die Prestige- und Wertsteigerung der Natur- und Technik- wissenschaften im 19. Jahrhundert korrespondierte beispielsweise mit Erfordernissen der forcierten Industrialisierung, und die staatliche Verwaltung und sozio-ökonomi- sche Daseinsfürsorge der Bevölkerung mussten auf »verlässliche« Daten und damit auf empirische Sozial- und Humanwissenschaften zugreifen. Doch in der gegenwärtig zu beobachtenden Diskussion um die Qualität der Wis- sensproduktion und ihre gesellschaftliche Verwertbarkeit wird das Ökonomische auf neue Weise explizit und thematisch. Es betrifft jetzt nicht mehr nur die Korrespondenz und Interaktion zwischen Wissensproduktion und privat- bzw. staatswirtschaftlichen Sphären, sondern die Art und Weise wie Wissenschaft organisiert werden soll selbst. Die Einführung von New Public Management-Systemen in Universitätsverwaltungen verweist darauf, dass der wissenschaftliche Ertrag und die Nützlichkeit akademischer Institutionen im Sinne wirtschaftlich zu führender Unternehmen bewertet werden. Als Elemente jener Dispositive der gegenwärtigen Ökonomisierung werden Prinzipien der gewinnorientierten Privatwirtschaft benennbar wie quantifizierende Messverfahren für Leistung und Output sowie evaluierende Rankingprozeduren. Dies hat Folgen in verschiedenerlei Hinsicht. So spricht Katharina Liebsch in An- lehnung an Eva Illouz von einem neuen »emotionalen Stil« (2011: 216), der mit die- sen Veränderungen einhergehe: Die Art der Messung produziere Differenzen, die als »handfeste Unterschiede« artikuliert werden und die dann mit einer neuen Qualität an »Geringschätzung und Abwertung« verbunden werden (Liebsch 2011: 215). Innerhalb der Organisation wird vermittelt, dass dies die Entwicklung der Universität »kalkulier- ZfK – Zeitschrift für Kulturwissenschaften 1|2015 © transcript 2015 urn:nbn:de:hbz:6:3-2015051212 Alexa Färber, Gabriele Dietze, Beate Binder und Kathrin Audehm barer« mache. Nach außen hätten sich die Mitarbeiter_innen nicht mehr für den Son- derstatus ihres Arbeitsorts Universität zu legitimieren, weil diese nun eine Organisation wie jede andere geworden sei. Wertschätzung schließlich verspreche dieser Stil denje- nigen, die sich erfolgreich in diesem neuen Diskurs zu präsentieren wüssten (Liebsch 2011: 216). Wenn wir vor diesem Hintergrund aus kulturwissenschaftlicher Perspektive nach dem »Preis der Wissenschaft« fragen, dann nicht, um eine Gegenrechnung aufzuma- chen. Vielmehr wollen wir das Unbehagen an dieser »Gefühlskultur« und ihren Opti- mierungsphantasien zum Ausgangspunkt aktueller wie historischer kulturwissenschaft- licher Sondierungen machen und die Instrumente der Inwertsetzung im Hinblick auf ihre praktischen Effekte und ihre diskursiven Wahrheitsproduktionen befragen. Wir möchten diese Untersuchungsperspektive an zwei Beispielen erläutern. Sie stammen aus den Naturwissenschaften und zeigen, wie die neue Qualität des Ökonomischen als Bedeutungshorizont auch in extremen und zudem schon längst quantifizierenden Mess- verfahren unterworfenen Fällen aus den Naturwissenschaften wirksam ist. Im September 2014 setzte der renommierte Molekularbiologe und Pharmakologe Stefan Grimm seinem Leben ein Ende. Er kapitulierte, nach eigener Aussage, unter dem Druck, erfolgreich Drittmittel einwerben zu müssen. In seiner letzten E-Mail schrieb er: »Das hier ist keine Universität mehr, sondern ein ›Business‹ mit ganz wenigen hoch oben in der Hierarchie […], die den Profit einfahren, während der Rest von uns gemol- ken wird für Geld« (zititert nach Spelsberg/Burchardt 2015: 108). Nach seiner Auffas- sung werden im Ausland erfolgreiche Kollegen, deren Arbeiten für das Ranking der englischen Universitäten verwertbar seien, jedoch unter ganz anderen Bedingungen entstanden sind, angeworben und dann allein gelassen, »entweder um Drittmittel zu be- schaffen oder andernfalls hinausgeworfen zu werden« (Spelsberg/Burchardt 2015: 108). Etwas anders gelagert ist der Fall des ebenfalls in seinem Fach anerkannten Bon- ner Physikprofessors Pavel Kroupa: Er gehört zu einer Minderheit von Astrophysikern, die das dominante Modell der Entstehung des Universums aus ›Dunkler Energie‹ und ›Dunkler Materie‹ ablehnt und stattdessen das MOND-Modell (»modifizierte Newton- sche Dynamik«) favorisiert. Beide Modelle sind Hypothesen, die sich im strengen Sinn nicht beweisen lassen. Doch trotz erfolgreicher Arbeit erhält Professor Kroupa – wie auch ähnlich erfolgreiche Kollegen in den USA – gegenwärtig keine Fördermittel mehr (Parsch 2015). Beide Vorfälle könnten zufällig sein oder als individuelle Schicksale betrachtet wer- den. Beruflich begründete Selbstmorde kommen in allen Berufsgruppen mit hohem Anforderungsprofil immer wieder vor; die Ablehnung von Forschungsförderungsan- trägen ist angesichts steigender Antragsvolumen, die weit über dem der zu vergebenden Mittel liegen, nicht ungewöhnlich. Beide Beispiele stehen hier jedoch dafür, wie der »Preis der Wissenschaft« im gegenwärtigen akademischen System verhandelt wird: In beiden Fällen wird die Bedeutung des Ökonomischen in der universitären Wissenspro- duktion als durchgreifende, den in diesen Fällen gewohnten Forschungsalltag existen- tiell in Frage stellende selbstverständlich gewordene ›Tatsache‹ thematisiert. Im ersten Beispiel überschreitet dieser Preis den Wert des eigenen Lebens und im zweiten Beispiel scheint der Preis der Wissenschaft an der Konformität – und der damit assoziierten 12 | Der Preis der Wissenschaft marktgerechten Verwertbarkeit – von Erkenntnissen zu hängen. Angesprochen werden damit zwei Eckpunkte der Thematisierung des Ökonomischen in Relation zur wissen- schaftlichen Praxis: Erstens die Verwandlung der Erkenntnissuchenden in Unterneh- mer_innen, die am finanziellen Erfolg ihrer Unternehmungen gemessen werden und zweitens die Abhängigkeit der wissenschaftlichen Wertbestimmung von der Marktgän- gigkeit der Produkte wissenschaftlicher Arbeit. Wir haben mit Bedacht zwei Beispiele aus den hard sciences gewählt, in denen es auf den ersten Blick um Objektivität und überprüfbare Wahrheiten zu gehen scheint. Von soft sciences wie den Kulturwissenschaften wird Systemkritik gewissermaßen er- wartet, nicht zuletzt, weil hier auch über das soziale wie ökonomische Funktionieren von Gesellschaften unter kapitalistischen Bedingungen nachgedacht wird. Gegenwär- tig gewinnt die Fronde gegen Rankings von Universitäten, Studiengängen und wissen- schaftlichen Zeitschriften entlang vermeintlich messbarer Kennzahlen Zulauf aus allen Fakultäten (vgl. auch Spelsberg/Burchardt 2015). Lehrende wie Studierende fühlen sich umstellt von impact-Faktoren, peer review-Gläubigkeit, Leistungsmessung in Hinblick auf Publikationen, von strategisch darauf ausgerichteten Zitierkartellen, aufwendigen Akkreditierungsprozeduren von Studiengängen und sonstigen Evaluierungen aller Art. In dieser Diskussion und ihrem zentralen Topos des Ökonomischen im Modus des Unternehmerischen werden Bilder und Empfindungen miteinander verbunden, die den Verlust der akademischen Freiheit und das Verschwinden der Universität als Treibhaus für Originalität und Gesellschaftsveränderung beklagen. Diese sind besonders dann schmerzlich, wenn wissenschaftlichen Akteur_innen bewusst wird, dass sie zur Öko- nomisierung ihrer Arbeitswelt selbst entscheidend beigetragen haben und immer noch beitragen, also Agent_innen ihrer eigenen Subjektivierung sind. So wird beispielsweise im SOZBLOG, betrieben von der Deutschen Gesellschaft für Soziologie, immer wieder gegen das von den Kollegen selbst geforderte Messen von impact-Faktoren argumen- tiert, indem auf deren leichte Manipulation durch organisierte Zitierkartelle hingewie- sen wird. Der Blog-Autor Clemens Albrecht resümiert: »Die Zunahme strategischen Handelns in einem System erhöht nicht unbedingt seine Effektivität im Hinblick auf das Systemziel, etwa Erkenntnisse zu generieren. Sie erhöht aber den Herdentrieb. Manche meinen, man verblödet dann eben kollektiv (wie die Ökonomen in der Finanzkrise)« (Albrecht 2014). Ein für uns naheliegendes Beispiel, an dem sich die Topoi dieses ambivalenten An- eignungsprozesses und das sich damit verändernde Selbstverhältnis ablesen lassen, ist nicht zuletzt die vorliegende Zeitschrift für Kulturwissenschaften selbst: Vor nunmehr acht Jahren als disziplinenübergreifendes Publikationsorgan gegründet, will sie, wie die frühen Protokolle betonen, den verschiedenen kulturwissenschaftlichen Disziplinen und vor allem deren Nachwuchswissenschaftler_innen einen öffentlichkeitswirksamen Ort des Publizierens eröffnen. Die Zeitschrift als Möglichkeitsraum für Nachwuchswis- senschaftler_innen wird in einer ebenfalls recht früh, aber kontrovers geführten De- batte um die Einführung eines (double-blind-)peer review-Verfahrens mit dem Topos der Sorge um die Karrieremöglichkeiten von Nachwuchswissenschaftler_innen gekop- pelt. Bewerbungsverfahren, vor allem auch internationale, forderten zunehmend den Nachweis entsprechender Publikationen in Zeitschriften mit hohen internationalen | 13 Alexa Färber, Gabriele Dietze, Beate Binder und Kathrin Audehm Ranking-Indices. Der sinnstiftende Rahmen der Qualitätssicherung und Hierarchisie- rung von Wissen wird in diesem Fall um den einer Verantwortungskultur von Seiten etablierter(er) Wissenschaftler_innen gegenüber weniger etablierten erweitert. Durch die spätere Einführung eines (freiwilligen) double-blind-peer review-Verfahrens wären Aufsätze in der ZfK im biographischen Zusammenhang einer Wissenschaftskarriere leichter platzierbar, abgesehen davon, dass sie durch kollegiales Feedback an Qualität gewinnen würden. Das peer review-Verfahren erhält so einen zusätzlichen, vorher nicht vorhandenen moralischen Wert, gegen den zu argumentieren kaum möglich ist. Wir wollen damit – das sei hier ausdrücklich festgehalten – den qualitativen Zugewinn für einen Aufsatz durch das feedback mehrerer kongenialer Leser_innen nicht bestreiten. Im konkreten Fall dieser Zeitschrift ist er allerdings bereits durch ein Kollektiv von Re- dakteur_innen gewährleistet, die sich, meist vor dem Hintergrund unterschiedlicher disziplinärer Expertisen, über die Beiträge austauschen. Der anonymisierte und (möglicherweise deshalb) nicht selten kontraproduktive Stil derzeitiger peer review-Verfahren scheint jedoch oft nicht geeignet, wissenschaftliche Originalität und Innovativität zu befördern. Ohne eine gründliche Reform des peer review-Systems ist dieses Instrument häufig nur eine gatekeeping-Agentur, um wissen- schaftliche Leistung im Sinne einer Quantifizierung zu kanalisieren und dabei gleichzei- tig die ›Objektivität‹ der qualitativen Evaluation als messbare Größe zu behaupten (vgl. Osterloh/Frey in diesem Heft; Hirschauer 2004). Doch trotz der sich langsam formie- renden Kritik quer durch die Disziplinen ist die Erzählung von der quantifizierenden Messbarkeit wissenschaftlicher Leistung so machtvoll, dass sie auch in den Kulturwis- senschaften immer mehr zur self fulfilling prophecy wird. Diese unterschiedlichen Facetten der aktuellen Auseinandersetzung um den Um- bau der Alma Mater haben uns als Herausgeberinnen bei der Auswahl von Artikeln zu diesem Heft motiviert. Die hier versammelten Beiträge konzentrieren sich mehrheitlich auf Alltagspraktiken und Selbstverständnisse, auf Narrative und Diskursformationen – klassisch kulturwissenschaftliche Zugriffe also. Eine solche Perspektive fragt nach den durchaus ambivalenten und widersprüchlichen Auswirkungen der Steuerungs- und Regulierungspraktiken, die zunehmend die Prozesse des Inwertsetzens wissenschaftli- cher Arbeit auch in den Kulturwissenschaften bestimmen. In welcher Weise verändern die Praktiken der Ökonomisierung und Kommodifizierung die kulturwissenschaftliche Forschung und Lehre und wie wirken sie sich auf deren Akteur_innen aus? Wie wird die Sprache des Ökonomischen integriert, und wo fangen selbst Kritiker_innen dieses Prozesses an, mit diesen Kategorien zu argumentieren? Dabei zeigen Aline Oloff und Anja Rozwandowicz, dass die Gender Studies bei aller Kritik am Bologna-Prozess durchaus auch in ambivalenter Weise von gegenwärtigen Umstrukturierungskämpfen profitieren konnten. Asta Vonderau führt vor, wie ein On- line-Managementsystem die Kommunikation mit Studierenden neu gestaltet. Inwiefern darüber hinaus Universitätsrankings diskursiv in wissenschaftliche Selbstverständnisse eingearbeitet werden, beleuchtet Markus Tauschek. Einen historischen Kontrapunkt setzt zum Einstieg der Beitrag von Nina Verheyen, der auf die Wandelbarkeit der To- poi verweist, in denen Qualität von und Zugang zu universitärer Wissensproduktion 14 | Der Preis der Wissenschaft verhandelt wird, wie am Beispiel von ›akademischen‹ Frauenbildern in der populären Kultur verdeutlicht wird. »Adapter«, die neue, andere wissenschaftliche und künstlerische Zugänge einschlie- ßende Rubrik der Zeitschrift für Kulturwissenschaften, wird mit einem Beitrag von Sibylle Peters und Esther Pilkington eröffnet: Der transnationale Kongress The Art of Being Many, dessen Vorbereitung und Umsetzung im September 2014 in Hamburg die beiden Kulturwissenschaftlerinnen und Performerinnen nachzeichnen, demonstrierte Verfahren des Visionären im Schnittfeld von Wissenschaft, Theater und sozialer Bewe- gung. Auch der Debattenteil greift diesmal ein aktuelles Politikum auf: Eingeleitet und moderiert von Friedrich von Bose und Larissa Förster diskutieren die Autor_innen mit Christian Kravagna vor dem Hintergrund post- bzw. dekolonialer Kritiken die zeitge- nössische ethnologische Ausstellungspraxis und fragen nach zukunftsfähigen kuratori- schen Alternativen. Literatur Albrecht, Clemens (2014): »Impact Factor. Ein offener Brief«. http://soziologie.de/ blog/?p=3243#print (20.8.2014). Hirschauer, Stefan (2004): »Peer Review Verfahren auf dem Prüfstand. Zum Soziologie- defizit der Wissenschaftsevaluation«. In: Zeitschrift für Soziologie 33: 1, 62-83. Liebsch, Katharina (2011): »Von langer Hand vorbereitet? Neue Organisationslogiken und die Bewältigung der universitären Zukunft«. In: Jenseits des Individuums – Emotion und Organisation, hg. von Timo Hoyer et al., Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, 203-218. Parsch, Stefan: »Krieg um Sterne«. In: Süddeutsche Zeitung, 19.01.2015, 14. Spelsberg, Angela/Burchardt, Matthias (2015): »Unter dem Joch des Drittmittelfetischs«. In: Forschung & Lehre, 2/2015 108-109; zuerst erschienen in: Frankfurter Allgemeine Zei- tung, 15.01.2015, 8. | 15