240 MEDIENwissenschaft 03/2022 Johanna Dorer, Roman Horak, Matthias Marschik (Hg.): Cultural Studies revisited: Nordlicht/Revontulet – Aufbruch in Österreich und internationale Entwicklung Wiesbaden: Springer 2021, 342 S., ISBN 9783658320829, EUR 49,99 Cultural Studies sind keine Disziplin at the Crossroads again“ der Wiener oder gar Methode, schrieb Andreas Kulturforscher_innen Johanna Dorer, Hepp in seiner viel beachteten Ein- Roman Horak und Matthias Mar- führung Cultural Studies und Medien­ schik liest. Denn die versammelten analyse: Eine Einführung (Köln: 26 Beiträge sind nicht nur analytische Westdeutscher Verlag, 2. Aufl., 2004), Einlassungen über Erträge, Erkennt- sondern ein „Diskurs“ oder ein „Pro- nisse und Perspektiven, über Theorien jekt“, das darauf abzielt, „die komple- und Methoden der Cultural Studies in xen Bedeutungen des Lebens in einer Österreich und international, sondern Gesellschaft zu artikulieren“ (S.11ff.). auch vielfach persönliche Erinnerungen Diese Charakterisierung fällt einem und Erfahrungen zu den Kongressen in ein, wenn man den Sammelband Cul­ Tampere (1996 und 1998) und Birming- tural Studies revisited zur Hand nimmt ham (2000) bis hin zu dokumentierten und die Einleitung „Cultural Studies Fotografien – getreu den Einladungen Medien / Kultur 241 der drei Herausgeber_innen an „alle Die Beiträge im Einzelnen, die Forscherinnen und Forscher mit Öster- alphabetisch nach Autor_in und nicht reich-Bezug, die [besagte] Kongresse thematisch angeordnet sind, vorzustel- besucht haben“ (S.5), sowie an bedeu- len und einzuordnen, würde den vor- tende internationale Vertreter_innen, gegebenen Rahmen sprengen. Daher zunächst auf diese wichtigen Kon- muss eine klassifizierende Übersicht gresse zurückzuschauen und von da genügen. Zunächst seien die Erinne- aus Neues, Überraschendes und Wei- rungen und Schlussfolgerungen an und terführendes zu artikulieren. Zweitens aus besagten Tagungen genannt: Der sollten sie persönliche wie sachliche finnische Organisator von Tampere Veränderungen seither benennen und Pertti Alasuutari räsoniert anregend begründen und schließlich thematische und ideenreich über die Zeitläufte seit wie methodische Erwartungen an damals, die Wiener Literaturwissen- künftige Entwicklungen der Cultural schaftlerin Anne Babka erzählt eher Studies formulieren. Herausgekom- anekdotisch vom Kongress in Bir- men ist ein überaus breit gefächertes, mingham, und der südafrikanische differenziertes, auch sprachlich buntes Kulturwissenschaftler John Higgins Kaleidoskop über mindestens 25 Jahre ordnet die Erkenntnisse und Thesen persönliche und wissenschaftliche von Tampere ungleich profunder und Beschäftigungen mit Cultural Studies, ausführlicher. Sodann finden sich wei- das vorliegende Einführungen und tere renommierte, internationale Ver- Handbücher wunderbar ergänzt, bio- treterinnen: Ien Ang berichtet über die grafisch bereichert und vor allem dem Cultural Studies in Australien, Law- Anspruch der Cultural Studies, nicht rence Grossberg plädiert just für dichte, nur ein trockenes akademisches Metier auch selbst praktizierte Kombinationen zu sein, sondern eine Brücke zwischen von Forschen, Lehren und Leben als universitas und Leben zu schlagen, Kontingenzen der Cultural Studies wie anschaulich verkörpert. ebenso der Amsterdamer Medien- und Umso bedauerlicher ist es – auch Kulturwissenschaftler Joke Hermes von den Herausgeber_innen apostro- alte Kontroversen überwinden will phiert –, dass die Cultural Studies im und vermittelnde Wege der internatio- deutschsprachigen Raum nicht die aka- nalen, konstruktiven Zusammenarbeit demische Anerkennung und Veranke- anstrebt. Etliche länder- und konti- rung erfahren haben, die sie eigentlich nentbezogene Sachstandsberichte über verdienen, sondern im gegenwärtigen Cultural Studies sind zu finden: natür- Wissenschaftsbetrieb mit dem Vorrang lich österreichische Forschungen, sogar der quantitativen, zweckorientierten speziell in Graz, aber auch von Kanada und verwertbaren Forschung, der aus betrachtet, britische, deutsche und lizensierenden Drittmitteljagd und des am Ende sogar afrikanische Studien, persönlichen Karrieregerangels an den sie dürften sich jeweils ergänzen und Rand oder in die szientifischen Nischen fortschreiben lassen. Noch anregender gedrängt wurden und werden. und analytisch weiterführender dürf- 242 MEDIENwissenschaft 03/2022 ten thematische Zugänge sein: Für die Cultural Studies üben: Etwa interes- Fernsehforschung werden ethnogra- siert Christian Lutter, inwieweit nach fische, alltagsnahe Rezeptionsstudien einer gut 50-jährigen Tradition der Cul- vorgeschlagen, die allerdings schon tural Studies Nostalgie überwiegt oder seit den 1970er Jahren vorgenommen Verfahren und Methoden routiniert werden. Eine feministische Medienfor- oder gar konserviert werden oder ob schung unter den Vorzeichen der Cul- sich standardisierte Schulen entwickelt tural Studies will wiederum ähnlich die haben. Offenbar entgehen selbst sich als Perspektive zugleich weiten wie zuspit- stets offen und veränderlich verstehende zen, scheint aber in österreichischen analytische Bemühungen nicht gewis- Kontexten nicht gehört zu werden; über sen Verkrustungen und Abnutzungsdy- „Spektakuläre Schönheit und profane namiken, die eigentlich nicht entstehen Erotik“, gewissermaßen als Extreme können, wenn die eingangs attribuierte der anhaltenden Sexualisierung von Diskursivität oberste Maxime bleibt. Gesellschaft, denkt Otto Penz nach. Aber immerhin trägt dazu dieser ori- Und am Ende lassen sich Beiträge ginelle, unkonventionelle Reader bei. erwähnen, die disziplinäre, metho- dische wie subjektive Kritik an den Hans­Dieter Kübler (Werther)