www.medienobservationen.lmu.de 1 Oliver Jahraus Der Tod des Ruinenbaumeisters. Zum Tode von Herbert Rosendorfer Der Nachruf erinnert an das vielfältige literarische Schaffen von Herbert Rosendorfer und geht vor allem auf die Art und Weise ein, wie Literaturbetrieb und Literaturkritik ihm die letzte Anerkennung verweigert haben und wie er dies selbst reflektiert hat. Am 20. September 2012 starb Herbert Rosendorfer in Bozen, wo er auch 78 Jahre zuvor, am 19. Februar 1934, geboren wurde. Lange lebte Rosendorfer in München, wo er studierte und später auch als Amtsrichter fungierte; von 1993 bis 1997 war er Richter in Naumburg. Seit dem Ruhestand wohnte er wieder in Bozen. Herbert Rosendorfer war auch lange Zeit Lehrbeauftragter am Institut für bayerische Literaturgeschichte der Universität München, wo er 1990 auch Honorarprofessor wurde. Und wenn dieses Institut in Zeiten komparatistischer Erweiterungen und Verzahnungen der Literaturwissenschaft überhaupt je einen Sinn gehabt haben mag, dann den, Herbert Rosendorfer auch eine literarisch-akademische Heimat zu bieten. 2009 hielt Herbert Rosendorfer den Festvortrag bei der Feier zur Zusammenarbeit zwischen Ludwig-Maximilians- Universität München und Monacensia, die wohl auch seinen Nachlass beherbergen wird. Um 1990 hatte ich das Glück, bei ihm ein Seminar besuchen zu dürfen zu Thomas Bernhard. Und dieses Kompliment muss ich Rosendorfer machen, denn so gut ich Bernhard zu jener Zeit schon zu kennen glaubte, bei Rosendorfer las man einen ganz anderen Bernhard, der viel witziger und böser war, viel lustiger und spitzfindiger, als man ihn aus den germanistischen Seminaren bis dato kannte. Man merkte gleich – da sprach ein Österreicher über www.medienobservationen.lmu.de 2 einen anderen; Österreicher – nunja, Österreicher im Sinne des Habsburger-Mythos von Claudio Magris. Mit Herbert Rosendorfer verliert die deutsche Literatur einen ihrer prominentesten Erzähler und bedeutendsten Autoren! Das schriftstellerische Werk von Herbert Rosendorfer ist kaum mehr zu überblicken, und dennoch gibt es eine große Fangemeinde, die sein Schreiben treu von Buch zu Buch verfolgt hat. Es waren vor allem die Romane und Erzählungen, die ihm sein unverwechselbares Profil verliehen haben. Das Adjektiv ‚unzählig‘ hätte hier einige Berechtigung, obschon seine Bücher gezählt und in einer beeindruckenden Werkliste dokumentiert wurden. Sein bekanntester Roman dürfte wohl Briefe in die chinesische Vergangenheit aus dem Jahr 1983 sein. Er zeichnet sich durch eine unbändige Lust am Erzählen, eine bis dahin kaum gekannte und kaum respektierte Fabulierlust aus. Und dafür lassen sich auch viele andere Romane anführen, Der Ruinenbaumeister, Großes Solo für Anton, Das Messingherz zum Beispiel. Doch auch als Drehbuchautor, als Hörbuchautor und selbst als Komponist ist er hervorgetreten. Eine ganz besondere Sparte ist die Reiseschriftstellerei, und man darf wohl sagen, dass es keine schöneren Bücher über Italien (gemeint sind die Rom- und Venedig-Reiseführer oder der Kirchenführer für Rom) gibt als diejenigen Rosendorfers. In Bozen geboren, war er geradezu prädestiniert, einen neuen Brückenschlag zwischen Süd und Nord, zwischen Italien und Deutschland zu wagen, der für die deutsche Literaturgeschichte einst geradezu konstitutiv war. Rosendorfer hat aber gezeigt, dass man auch heute noch auf die ewige Stadt, Rom, Blicke ganz anderer Art werfen kann. Und nicht zu vergessen sind seine historischen Arbeiten, seine „Versuche“, wie er es selbst bescheiden nannte, zur deutschen Geschichte. Es handelt sich tatsächlich um einen Versuch, die deutsche Geschichte von ihren Anfängen an kontinuierlich zu erzählen; bis zu Friedrich dem Großen war wohl dieses Werk gediehen. Und gerade mit diesen Büchern hat er so wunderbar unzeitgemäß den Beweis erbracht, dass Clio und Calliope sich jederzeit wieder zusammentun können, jeder Ausdifferenzierung www.medienobservationen.lmu.de 3 der Disziplinen zum Trotz, dass der Singular und der Plural, dass Geschichte und Geschichten, sub specie aeternitatis, eben doch zusammengehören. Thomas Bernhard gehörte sicherlich zu seinen literarischen Vorbildern oder Mentoren, ebenso Karl Kraus, Heimito von Doderer oder natürlich Fritz von Herzmanovsky-Orlando, allesamt Österreicher im obigen Sinne, um nur einige zu nennen. Bei all diesen Autoren wie auch bei Herbert Rosendorfer konnte man lernen, dass Literatur Humor haben muss, und der Humor eine große Bandbreite zwischen absurder Komik und beißender Ironie haben kann. Aber wie kann man Herbert Rosendorfers literarisches Werk einschätzen? Welche Bedeutung wird es in Zukunft haben? Spätestens mit dem Tod eines Autors ist ein Umschlagspunkt zwischen Leben und Geschichte, zwischen Präsenz und Kanon gekommen. Es mag sein, dass man Herbert Rosendorfer als durchaus respektablen Unterhaltungsschriftsteller abtun wird. Hätte man ihn zu Lebzeiten als Unterhaltungsschriftsteller bezeichnet, er wäre dem, was der Begriff meint, wohl gar nicht abgeneigt gewesen. Allerdings ist dieser Begriff immer noch ein Begriff aus dem unmenschlichen Wörterbuch der Literaturkritik und bedeutet soviel wie das literarische Todesurteil. Nicht satisfaktionsfähig. Es ist hier sicherlich nicht der Ort, Herbert Rosendorfer gegen die Literaturkritik verteidigen zu müssen, obwohl es mich schon in den Fingern juckt. Es ist auch nicht so, dass Herbert Rosendorfer in den letzten Jahren nicht die Anerkennung gefunden hätte, die ihm auch zusteht. Und dennoch, ein letzter Rest von Anerkennung blieb ihm – ganz und gar ungerechtfertigterweise – verwehrt. Und das wirft ein bezeichnendes Licht auf die Abgründe des deutschen Literaturbetriebs und der deutschen Literaturkritik. Aber all das könnte man ruhen lassen, wenn es Herbert Rosendorfer doch nicht auch selbst umgetrieben hätte. Man mag sich einmal überlegen, wieviele Schriftstellerfiguren in seinem Werk vorkommen. Da Herbert Rosendorfer auch Jurist war, kommen in seinem Werk auch sehr viele Juristenfiguren vor, und es sind Juristen, die immer www.medienobservationen.lmu.de 4 wieder Erzählgegenstand oder aber selbst Erzähler sind, wenn man donnerstags dem Oberstaatsanwalt lauscht. Und insofern muss man sich nicht wundern, dass es auch viele schreibende Juristen gibt. Entscheidend ist dabei, dass all diese schreibenden Figuren nicht nur Autofigurationen des Autors Rosendorfer sind, sie sind auch ein Instrument, mit dem Rosendorfer sein eigenes Schreiben be- und erschrieben, sich selbst gespiegelt und vorgestellt hat. Und dort, wo diese Schriftsteller dem Literaturbetrieb und der Literaturkritik begegnen, stoßen sie auf Ablehnung, Zurückweisung, jedenfalls wird ihnen eben diese letzte Anerkennung verwehrt, was sie allesamt überhaupt nicht verbittert aufnehmen, sondern was sie mit untilgbarem Humor quittieren. Ich erinnere in diesem Zusammenhang an eine wunderbare Geschichte aus dem Jahr 1985, erschienen in dem Erzählband Die Frau seines Lebens. Dort findet sich eine Geschichte mit dem Titel Die weiße Nadel, in der zwei Schriftstellerfiguren aufeinandertreffen. Es sind Karikaturen, es sind Typen, sie verkörpern keine realen Vorbilder, wohl aber Tendenzen des Literaturbetriebs. Insofern kann man den einen, Sergio Kreisler, mit einiger Vorsicht als alter ego des Autors deuten, der nichts gilt, wie es im Text heißt, der andere, Walther Berengar, ist der typische deutsche Großschriftsteller mit schwierigen Büchern, die keiner liest, die jeder preist, der alles gilt und der selbst von seinem Narzissmus zerfressen ist. Beide Autoren treffen sich auf einer Veranstaltung des Goethe-Instituts mit einer chinesischen Delegation. Aus einer lustigen Bemerkung Kreislers zu den Falkland-Inseln (die Geschichte spielt kurz nach dem Falkland-Krieg zwischen Großbritanien und Argentinien), aus dem Spiel mit einer Nadel vor der Weltkarte, die alle Goethe-Institute auf der Welt zeigt, erwächst eine irrwitzige Situation, die ich hier nicht verraten will. Nur so viel sei gesagt: Diese Geschichte lässt sich auch als eine Abrechnung mit dem Literaturbetrieb lesen. In ihr werden auf furchtbar komische Weise auch solche Phänomene aufgedeckt, die man auch heute noch in einschlägigen Zirkeln kennt, Preisverklumpungen, Stipendientourismus, Unverständlichkeitsverstehenswahn usw. Und gleichzeitig ist diese Geschichte – man würde heute sagen – eine www.medienobservationen.lmu.de 5 autoperformative Selbstpositionierung. Denn aus der Art und Weise, wie Kreisler (und die Anspielung auf Hoffmann ist ja nicht zu überlesen) mit den Zumutungen umgeht, lässt sich wiederum ein poetologisches Programm ableiten, das aus den Lächerlichkeiten des Betriebs sein poetisches Material gewinnt, das in irrwitzigen Fabulae erzählerische Gestalt annimmt. Nein, nein, Rosendorfer war alles andere als ein traumatisierter Autor. Und als das Gegenüber in typischer Pose klagt, er könne keine Nacht schlafen, weil er schreiben müsse, obschon er nicht schreiben könne, fragt das alter ego Rosendorfers, Kreisler, kurzerhand und absolut entwaffnend, warum er es dann nicht lieber sein lasse, das Schreiben. Aber Rosendorfer hat es dennoch nicht unberührt gelassen, dass man ihn wie Kreisler behandelt hat, nicht wie Berengar, er hat es wahrgenommen und er hat es reflektiert, über sein gesamtes Werk hinweg (auch wenn das später nicht mehr so war). Vielleicht hatte er eine Ahnung, dass sein Werk unter Wert verkauft wird. Will man diesem Umstand begegnen, so muss sich die erste Frage darauf richten, welchen Ideologemen man unterliegt, welche Prozesse der Kanonisierung ablaufen, welche Diskussionen geführt werden. Auf der anderen Seite gilt es jetzt, dieses Werk neu zu entdecken. Denn das ist das Mindeste, was man sagen kann: Das Bild der jüngeren deutschen Literatur ist ein ganz anderes, wenn man in ihm Rosendorfer den Platz zuweist, den er verdient hat, nämlich den Platz als einer der größten Erzähler dieser Literatur.