452 flvfrdi,,1111'i.1·se11sl'iu1/i .J/()8 Bernd Pütter: Politische Zeitschriften in Deutschland. Medienökonomie und Redaktionsforschung Leverkusen: Deutscher UnivcrsitätsVcrlag 1997. 312 S„ ISBN 3-8244-4265-5. DM 66.- Ihre Bandhreite reicht von Auflagenmillionären wie Stern und Spieiet, die ein noch vielfach größeres Puhlikum erreichen, his hin zu den vielen Nischen- und Spezial- hlättchen. die sich mit einigen hundert Exemplaren hegnügen und teilweise sogar noch - mindestens his 1995. dem Jahr der Erhehung - auf der Schreihmaschinc hergestellt werden: unprofessionell. randständig his esoterisch. aher von ihren Ur- hehern als nicht weniger wichtig erachtet. Hervorgegangen aus einem Projekt üher rechtsradikale und/oder rechtsextremistische Puhlizistik. inshesondere des Münch- ner Verlegers Frey, am Münsteraner Institut für Puhlizistik- und Kommunikations- wissenschaft - und diese Ausrichtung spürt man noch streckenweise -. versucht diese zunächst als Dissertation heim verstorhenen Mentor Lerg geschriehene Ar- heil eine Bestandsaufnahme „politischer Zeitschriften in Deutschland" erstmals wieder seit fünf1.ig Jahren und leistet für diese Recherche Beachtliches: 246 Zeit- schriften erfaßt sie insgesamt und annotiert sie im Anhang. ühcr 360 weitere Zeit- schriften werden aus der engeren Untersuchung aufgrund ausgewiesener Kriterien (S. 92ff.) ausgeschlossen, sind aher ehenfalls im Anhang vertreten, so daß der Band eine profunde Ühcrsicht ühcr bundesdeutsche politische Periodika enthüll. 145 der Zeitschriften konnten mit einer schriftlichen Befragung nach relevanten Dimen- sionen - Entstehungsgeschichte. inhaltliche Gestaltungsmerkmale. betriebswirt- schaftliche Situation, Druck und Vertrieb. technische Ausstattung. Verhreitung. Leserschaft, personelle Ressourcen. journalistische und politische Leitlinien, Ein- schätzung zum Stellenwert und zur Zukunft der Zeitschrift - untersucht werden. sofern die jeweils Verantwortlichen darüber Auskunft gaben. und die meisten der III /111,·h. l're.u,' 1111d ,111d1•n• I>md.medi,'11 453 erfaßten Zeitschriften wurden mindestens in einem Exemplar unmittt:lhar - in Aut- opsie - gesichtet. Natürlich Hißt sich fragen. was Stern, Spiegel. Focus oder auch Die Zeit und Dit• Wt1ch1• mit - hcispielsweise - den F11chshriefe11, den „aktuellen Informationen aus Wirtschaft und Politik" (Aull. 1.()()()), oder mit der „freiheitlichen Illustrier- ten" Molli aus Bochum (Aull. 7(X)) gemein hahen. Ahcr just diese Fragen der De- finition. Typisierung und nicht wlet1.t der praktischen Recherche und Erfassung diskutiert der Autor zu Beginn eingehend und füllt damit eine Lücke der nach wie vor vernachhissigtcn Zeitschriftcnforschung. so daß seine Arhcit auch ühcr die ak- tuellen Daten hinaus - die sich in1.wischen schon wieder geändert hahen dürften - analytisd1cn Bestand hahen dürfte, auch wenn diese empirische Fleißarhcit den größten Aufwand verlangt und ühcr sechs ( !) Jahre gedauert hat. Troll früherer penihler Bestrehungen in der Puhlizistikwissenschaft. die 'Zeitschrift' phiinornenologisch. gattungsspezi fisch oder gar normativ zu hestimmcn, sind sol- che eindimensionalen. statischen Versuche zum Scheitern verurteilt, wie Pütter noch einmal kritisch rekapituliert. Angemessen dürften heute allein noch mehrdimen- sionale Zugänge sein. die den vielfältigen Aspekten des Kommunikationssystems 'Zeitschrift' in Journalismus. Politik und Wissenschaft Rechnung tragen und da- her funktionale wie systhemtheorctische Aspekte aufgreifen: Püttcrs Typologisierung herücksichtigt in einer Matrix funktionaler. organisatorischer und puhlizistischer Merkmale (und entsprechender Typen) die genannten Konstituenten und Relatio- nen. muß sich aher zugleich eingestehen, daß in der puhlizistischen Praxis durch- aus selhstverständliche und enge Vorstellungen ühcr 'die' Zeitschrift existieren und kursieren. Und für das Attrihut ·politisch' stellt sich die Ahgrenzung nicht einfa- cher dar: sie gelingt nur pragmatisch insofern. als es um . .Zeitschriften [geht]. die einen Schwerpunkt auf Politikhcrichterstattung setzen und die allgemein verhrei- tet werden·· (S.99). Mit der Unschärfe der Begriffe - oder vice versa: mit ihrer Selhstverständlich- keit - wurde der Autor hesondcrs nachdrücklich konfrontiert. als er die eingeführ- ten zwan,ig Zeitschriften\'t'rzeichnisse nach ihren Kategorien und entsprechend nach ihren Auswahlkriterien durchforstete - eine in dieser Form hislang einmalige und lohenswertc Evaluation sonst unkritisch genutzter Instrumentarien: vom .. Stamm" ühcr IVW, MA und AWA his hin zu den hihliothckarischen Datenhan- kcn DNB. ZBD und den jüngsten Online-Diensten .Jason" und „IBZ" sowie eini- gen singulären Autlisrungen. Dahei zeigt sich. daß keines der Instrumente einem auch nur vagen Anspruch an Vollständigkeit. Eindeutigkeit und Genauigkeit genü- gen kann. nicht nur weil sie unterschiedliche Interessen verfolgen. sondern weil sie allzu grohkiirnig. wenn nicht nachlässig ruhriziercn. So ordnet etwa der renom- mierte „Stamm" die Tierpostille Rimbo. Der kleine Tierfre1111d u. a. der Politik- Untergruppe .. Ökologie und Umweltschutz" rn. vennutlich weil Tiere zur Umweh gchiiren und einige politischi: Zeitschriften auch üht'r die Umwell hcrichten (S.111 ). Oder: Unter „Zeitsd1ritkn und jährliche Veröffentlichungen" führt der „Stamm" 4.54 Mediem,·isseJJSclU!fi 4198 rund 18.000 Titel auf, die aber auf Selbstzuschreibungen der Redaktionen hin auf- genommen und ruhriziert werden. Die Auflagenlisten der „Informations- gemeinschaft zur Feststellung und Verhreitung von Werbeträgern e.V. (IVW)" ver- zeichnet hingegen nur 632 Publikums- und 945 Fachzeitschriften, die jedoch über- prüft sind. Allerdings ist auch deren Klassifizierung der Zeitschriften nicht konse- quent und mißverständlich, wenn etwa Wochenzeitungen ortsalphabetisch und Fach- zeitschriften nach Sachgruppen aufgeführt werden (S.81 ). So dürfte Pütters Wunsch nach einem transparenten, systematischen, standardisierten Verzeichnis, das publizistikwissenschaftlichen Ansprüchen genügt, noch lange Desiderat hkiben - zumal in die kuranten Nutzungsregistraturen AWA und MA nur neun der hier be- achteten 246 politischen Zeitschriften, im wesentlichen die hochaullagigen Publi- kumszeitschriften und Zeitungen, aufgenommen sind. Auch die anderen Forschungspostulate Püttcrs dürften wohl nur sporadisch auf- gegriffen werden: nämlich kontinuierliche inhaltsanalytische Beobachtungen - was einen ungeheuren methodischen Aufwand bedeuten würde-, Untersuchungen zur Nutzung politischer Zeitschriften und zur Arbeitsweise in den Redaktionen und - schließlich, aber ganz kompliziert - zum politischen Stellenwert und Einfluß der Zeitschriften auf Öffentlichkeit und politische Meinungsbildung. Aber weitere fünf- zig Jahre zur nächsten vergleichbar gründlichen Studie müßte es nicht unbedingt dauern! Hans-Dieter Kübler (Werther/Hamburg)