348 MEDIENwissenschaft 03/2015 Medien/Kultur Birgit Schneider, Thomas Nocke (Hg.): Image Politics of Climate Change: Visualizations, Imaginations, Documentations Bielefeld: transcript 2014 (Image, Bd.55), 388 S., ISBN 978-3-8376-2610-0, EUR 39,99 Der Klimawandel ist nicht ausschließ- angemessen beizukommen ist. Image lich ein Problem der Naturwissen- Politics of Climate Change versucht aus schaft und der Ökologie, sondern er dieser Perspektive heraus, die Bildkul- besitzt auch politische, kulturelle und turen des Klimawandels interdiszipli- medientheoretische Dimensionen. Im när und differenziert zu untersuchen. Versuch, der Komplexität des Themas Aufgrund der Vielfalt der Ansätze, gerecht zu werden, skizzieren die die gehört werden sollen, wurde der Herausgeb er_innen einleitend die Publikation eine Art Gebrauchsan- episte mologischen Eigenschaften des weisung („How to read this book“ Phänomens, aus denen dessen vielfältige [S.21]) – systematisch gegliedert nach Verortungen hervorgehen. Da Klima- Fachdisziplinen – an den Anfang wandel hauptsächlich durch Messun- gestellt. Die Gliederung entspricht gen beschreibbar und zudem ein in der dem weitgefächerten Anspruch des Zukunft liegendes Ereignis ist, ist seine Buches, Klimawissenschaftler_innen, Repräsentation auf Bilder angewiesen, Kunst- und Bildhistoriker_innen, die die Messwerte in visuelle Darstel- Medien- und Kommunikationswissen- lungen transformieren. Klimawandel schaftler_innen, STS-Scholars wie auch kann nur erfolgreich visualisiert, aber Politolog_innen und Politiker_innen nicht imaginiert werden (vgl. S.13). sollten sich wiederfinden können, Darüber hinaus erfordert er einen poli- indem das erste Kapitel auf die epi- tischen Handlungsbedarf, um abge- stemischen Aspekte der Klimawis- wendet zu werden; Ergebnisse der senschaften eingeht, im zweiten Forschung müssen (massen)medial wie Kapitel die kommunikationstheoreti- allgemeinverständlich kommuniziert schen Bedingungen kartiert werden, und in politische Entscheidungspro- sich das dritte Kapitel den Medienbil- zesse überführt werden. Diese Ausfüh- dern in Print und Internet widmet, das rungen tragen zu einem Verständnis vierte den durch Fotografie und Kunst des Klimawandels als ein differenziertes forcierten Handlungsbedarf fokussiert und in vielschichtigen Diskursen ver- und sich das fünfte Kapitel den Bildern ortetes Phänomen bei, dem in der wis- der Klimakontrolle zuwendet. senschaftlichen Analyse nur aus einer Dem ersten Kapitel zugeordnet sind interdisziplinären Perspektive heraus die Beiträge von Sebastian Grevsmühl Medien / Kultur 349 zu den Darstellungskonventionen von Das zweite Kapitel führt in die Bild- Ozonwerten und von Thomas Nocke politik des Intergovernmental Panel on zur Rolle der Visualisierung in der Climate Change (IPCC) ein. Lynda Klimaforschung. Grevsmühl skizziert Walsh präsentiert die Auseinanderset- zwei gegensätzliche Strategien der zungen um die Graphiken des IPCC Visualisierung von Ozonwerten, die und adressiert die außerwissenschaft- unterschiedliche Begrifflichkeiten und lichen Dimensionen wissenschaftlicher Konzepte mit sich bringen und damit Darstellungen. Auch an diesem detail- das Problem oppositionell konturieren, lierten Beispiel wird eindrücklich die bevor sich das Konzept des ‚Ozonlochs‘ Komplexität und vor allem Zeichen- in der wissenschaftlichen Community haftigkeit wissenschaftlicher Visuali- und der Öffentlichkeit durchsetzte. sierungsstrategien vorgeführt, die weit Die British Antarctic Survey bestand entfernt von ‚authentischem‘ bezie- aus zuverlässig erhobenen Daten, die hungsweise selbst evidentem Wissen in Isomorphen dargestellt das Schwin- passieren (vgl. S.130f.). den (‚depletion‘) der Ozonschicht ver- Im Anschluss daran erläutern maßen. Demgegenüber operierte die Martin Mahony und Mike Hulme das NASA mit Satellitenfotografien, die Entstehen und die diskursive Verwen- weniger Daten aber deutlichere Bilder dung des ‚burning embers‘ Diagramms, enthielten. Aufgrund dieser visuellen das sich inzwischen zur Ikone des Kli- Ausgangslage entstand die Metapher mawandels entwickelt hat, indem es des ‚Ozonlochs‘, die zwar nicht der den rasanten Temperaturanstieg der Atmosphäre kartiert. Es werden dabei Datenlage entsprach, denn schwache die unterschiedlichen diskursiven Ver- Ozonwerte waren immer vermessen wendungen des Diagramms und dessen und ‚Ozonlöcher‘ können deswegen Abstrahierungen in den Vordergrund nicht existieren, sich aber in ihrer gestellt. Insgesamt führen die beiden Metaphorik als überaus trag- und bela- ersten Kapitel kenntnisreich und stungsfähig erwies. Grevsmühl stellt detailliert in eine wissenschaftstheo- diesen Vorgang als symptomatisch für retische Diskussion ein, die sich am die Forschung über den Klimawandel Rande der Medienwissenschaft befin- dar, die komplexe Daten visualisieren det und die der zunehmenden Allianz und griffige Metaphern für die Kom- von Medienwissenschaft und Science munikation der Inhalte schaffen muss. and Technology Studies (STS) kreativ Deutlich wird zudem, dass es sich bei Rechnung trägt. wissenschaftlichen Daten und deren Das dritte Kapitel mit dem Schwer- Repräsentation niemals um authenti- punkt der medialen Verwertung von sche, objektive Informationen, sondern Klimabildern in Print und Internet durchaus um ‚Inskriptionen‘ von Reali- fokussiert medienw issenschaftliche tät handelt. B et racht ungen mit einer Analyse der 350 MEDIENwissenschaft 03/2015 Visualisierungen der Klimakonferenz fien, die Kontrolle über klimatische in Kopenhagen 2009, der visuellen Veränderungen signalisieren sollen. So Negationsstrategien sowie der experi- diskutiert Gisela Parak die Luftbild- mentellen interaktiven Anwendungen aufnahmen zwischen 1930 bis in die zur Visualisierung. Das vierte Kapitel späten 1960er Jahre und stellt einen mit Beiträgen zur visuellen Kommu- erheblichen Bedeutungswandel fest, nikationspolitik von Greenpeace, der der sich zugunsten einer warnend Ikone des Eisbären, der Bedeutungs- didaktischen Funktion von den frühe- produktion in Fotobänden und nicht- ren ästhetischen Positionen abwendet. illustrativen Bildern im politischen Ähnlich warnend hat James Rodger Diskurs, widmet sich dem Klimawan- Fleming seinen Beitrag angelegt, del in Kunst und Fotografie. Einlei- indem der auf die historischen und tend steht Julie Doyles ausführliche aktuellen Versuche der Sichtbarma- Analyse der Bildpolitik von Green- chung des Nicht-Sichtbaren eingeht. peace, die über die Jahre eine erheb- Hatte Doyle vorhergehend die Diskre- liche Wendung erfuhr. Problematisch panz zwischen Symptom und Ereig- daran sei einerseits das Festhalten an nis zu einem markanten Kennzeichen der fotografischen Aufklärung, wel- des Klimawandels erklärt, so versucht ches dazu führe, dass zwar Symptome dieser Beitrag die Lücke zu schließen, gezeigt werden, der Klimawandel als in dem er das Zukünftige imaginiert. zukünftiges Problem jedoch aus dem Insgesamt betrachtend liegt eine Blick geriete. Theoretisch versiert han- Publikation vor, die mit informierten delt Doyle, die problematische medi- und detaillierten Beiträgen der Kom- ale Verortung von Langzeiteffekten plexität des Themas bestens Rechnung in zeitbasierten und an der Gegen- trägt. Die Beiträge zeichnen sich alle wart interessierten Medien ab. Auch durch ihre hohe Qualität und trotz der Eisbär hat sein Verfallsdatum, wie des Detailreichtums durch ein hohes Vera Tollmann in ihrem amüsanten Theorieniveau aus. Auch die Heraus- Überblick über dessen visuelle Bio- geber_innen haben mit einleitenden grafie darlegt. Nachdem er zum Ikon Abstracts, Zusammenfassungen und für den Klimawandel geworden war, sorgfältig dokumentierten Literatur- konnte er ironisiert, paraphrasiert und nachweisen erheblich zur Lesbarkeit dekontextualisiert werden (vgl. S.310). und guten Konzeption des Bandes bei- Das letzte Kapitel „Images of Climate getragen. Control“ verschiebt den Betrachtungs- schwerpunkt auf funktionale Fotogra- Angela Krewani (Marburg)