Heinz-Helmut Lüger: Pressesprache.- Tübingen: Max Niemeyer Verlag 1983 (Germanistische Arbeitshefte 28), II2 S., DM 15,80 H.-H. Lüger wendet sich mit seinem Arbeitsheft "Pressesprache" vorwiegend an Germanistikstudenten. Ziel seines Buches ist die Be- schreibung und Bewertung des journalistischen Sprachgebrauchs, vor allem aus publizistischer und (text)linguistischer Sicht. Dabei geht Lüger davon aus, "daß es eine einheitliche Pressesprache nicht gibt" (S. 103), es jedoch auf der Ebene von Textsorten eine Reihe relativ konsistenter Stilformen gebe, die für den "journalistischen Sprachgebrauch allgemein gelten" (S. 109). Untersucht werden - mit Ausnahme eines Interviewausschnitts - nur schriftliche Texte aus Zeitungen. Lüger gliedert sein Arbeitsheft in drei große Teile: In einem ersten Kapitel referiert er verschiedenartige Fragestellungen und Un- tersuchungsansätze, unter denen das Problem "Pressesprache" bislang behandelt wurde. Dabei gibt er zunächst die Positionen der normativ-sprachpfJegerischen Kritik und der ideologiekritischen Be- trachtung am Sprachgebrauch der Presse wieder. Er kritisiert ihre normenabhängigen Zielsetzungen und ihre Sprachlenkungsversuche, die sich vor allem auf den Gebrauch von Einzelbegriffen (Bande/Gruppe) oder auf "Sprachverhunzungen" allgemeiner Art (mit offenem Visier kämpfen) beziehen. Daran schließt sich an eine Auflistung von Rezeptionsproblemen, in der Verstehensschwierigkeiten unter wort- semantischen und vor allem unter syntaktischen Gesichtspunkten diskutiert werden. Eine knappe Darstellung der Differenzierungen von Pressetexten aus der Sicht der Publizistik in tatsac.~en-, meinungs- und phantasiebetonte Darstellungsformen sowie ein Uberblick über ver- schiedene linguistische Ansätze zur Analyse journalistischer Texte aus den Bereichen Syntax, Wortschatz, Rhetorik, Stilistik und Textlinguistik schließen das erste Kapitel ab. Das zweite Kapitel enthält Lügers eigenen Ansatz zur kategorialen Beschreibung und Differenzierung von Pressetexten. Er kritisiert die im ersten Kapitel referierten Ansätze insgesamt als zu kurz gegriffen, da sie "die Sprachkomponente getrennt von ihren Produktions- und Rezeptionsbedingungen betrachten" (S. 46). Im folgenden will Lüger stärker die "sozio-kommunikative Funktion" (S. 47) sowie die Abhängigkeit von textexternen Faktoren herausarbeiten und für Beschreibungszwecke heranziehen. Hierzu zählen spezifische Bedingungsfaktoren: journalistische Texte sind durch die Merkmale "öffentlich", "indirekt" und "einseitig" gekennzeichnet. Lüger präzisiert und illustriert den Einfluß dieser Mermale an ausgewählten Zeitungstexten. Als ZentralbegriH der Textkonstitution muß dabei die Komponente "Textintention" angesehen werden. Unter "Intentionalität" versteht Lüger eine "grundsätzliche Zielgerichtetheit" (S. 5d; sie läßt sich an sprachlichen und nichtsprachlichen Merkmalen festmachen. "Intentionalität" scheint Lüger aufgrund ihrer "fundamentalen Be- deutung für die Textbildung" denn auch am ehesten dazu geeignet, journalistische Textvorkommen zu differenzieren (S. 53). Daher führt Lüger die Vielfalt der in Pressetexten realisierten Textintentionen auf fünf elementare Typen zurück: informationsbetonte Texte, mei- nungsbetont-persuasive Texte, instruierend-anweisende Texte, bi zen- trierte Texte, kontaktherstellende Texte. Das dritte Hauptkapitel enthält eine Beschreibung und eine weitere Differenzierung der im vorangegangenen Kapitel unterschiedenen fünf journalistischen Textsortentypen. Diese Beschreibung basiert auf der Annahme, daß Textsorten als Sprachhandlungsschemata aufzufassen sind. Die einzelnen Texttypen werden in weitere Textsorten differenziert und beschrieben: Informationsbetonte Texte zerfallen in hard news, soft news, Meldung, Bericht, Reportage, Problemdar- stellung, Wetterbericht; meinungsbetont-persuasive Texte in Kom- mentar, Glosse und Kritik; instruierend-anweisende in Handlungsan- leitungen und Ratgebungen; bizentrierte Texte in Interview und Kon- sultation. Lügers Arbeitsheft vermittelt einen gut lesbaren Einblick in die Be- schreibungs- und Differenzierungsprobleme von Pressetexten. Zudem enthält das Buch einen interessanten Ansatz, Pressetexte aufgrund sprachpragmatischer und textlinguistischer Kriterien zu differenzieren. Dabei ist jedoch festzustellen, daß Lüger bei der praktischen 39 Differenzierung und Beschreibung von Pressetexten seine theoretischen Prämissen nicht einläsen kann. So ähnelt seine Typisierung im Kern der klassisch-jounalistischen Zweiteilung in informations- und meinungs- betonte Texte, die weitere Differenzierung in Textsorten entspricht letztlich den Unterscheidungen, die in Publizistik und Journalistik üblich sind. Daß Lüger besonders publizistischen und journalistischen Grundlagen verpflichtet ist, zeigt sich besonders an der Feststellung und Beschreibung der einzelnen Textsorten: Zwar fordert Lüger im theoretischen Teil, Textsorten als Sprachhandlungsschemata mit "ln- tentionsabfolgen" zu beschreiben (S. 55), seine Beschreibungen der einzelnen Textsorten beschränken sich jedoch meist auf traditionell journalistische und publizistische Gliederungsschemata und bestimmte sprachliche Besonderheiten: so besteht z.B. der Aufbau von Nach- richten nach Lüger in einer "Spezifikationshierarchie", einer "Ent- wicklung vom Allgemeinen zum Speziellen" (S. 68); Reportagen ent- halten "eindeutige Stimmungs- und Emotionskundgaben" (S. 77). von einer sprachpragmatischen Beschreibung der journalistischen Textsorten kann daher nur in Ansätzen gesprochen werden. Dies liegt nicht zuletzt an dem sehr vagen Handlungsbegriff, den Lüger in seinem theoreti- schen Teil zugrundelegt. Die Begriffserklärung zum Intentionsbegriff ist verwirrend: Einmal wird Intention in der Bedeutung 'Absicht' gebraucht, Lüger spricht dabei auch von "Handlungsintentionen" (S. 57), ein andermal in der Bedeutung 'Handlung' (S. 58), hier spricht er u.a. auch von "illokutionärer Intention" im Gegensatz zu einer "perloku- tionären" (S. 58). Zudem ist eine Handlung nicht allein durch das Merkmal "Intentionalität" im Sinne einer Zielgerichtetheit bestimmt, da man zum Erreichen eines bestimmten Ziels verschiedene Handlungen durchführen kann: Ich kann werben, indem ich informiere und/oder beschreibe und/oder anpreise usw. ~~prach)handeln erfolgt nach sozialen Regeln. Die Bestimmung einer Außerung als Sprachhandlung X ist gewissermaßen identisch mit der Rekonstruktion dieser Regeln. Daß dabei die medienspezifischen Bedingungen und Interessen eine besondere Rolle spielen, ist offensichtlich. Aus diesem Grunde ist es nur folgerichtig, daß Lüger grundsätzlich versucht, journalistische Texte hinsichtlich ihrer besonderen Produktions- und Rezeptionsbe- dingungen zu untersuchen. Lügers "Pressesprache" kann daher als Einführung empfohlen werden. Peter Kühn