Karlheinz Jakob: Maschine, Mentales Modell, Metapher. Studien zur Semantik und Geschichte der Techniksprache Tübingen: Niemeyer 1991, 376 S., DM 148,- Für den Geisteswissenschaftler, der seinen Arbeitsplatz mit dem Automobil erreichen will, ist ein umfassendes soziotechnisches Systemwissen entbehr- lich. Im allgemeinen reicht es hin, die Reaktionsregelmäßigkeiten dieser Maschine zu kennen: Anlassen, Gas geben, Schalten, Lenken, Bremsen. "Funktionales Regelwissen" nennt dies Günter Ropohl in seiner Sy- stemtheorie der Technik (München 1979). Hat der Fahrer jedoch gewisse rezeptartige Einblicke in die strukturellen Zusammenhänge seines techni- schen Vehikels, so ist von "strukturalem Regelwissen" zu sprechen. Un- entbehrlich sollten dem Sprachgeschichtsforscher wenigstens diese beiden Dimensionen des Wissens sein, soweit er sich der Fachsprache der Technik widmet. Anders als mancher seiner Fachkollegen weist sich der Verfasser der vorliegenden Freiburger Habilitationsschrift in dieser Beziehung als unbedingt kompetent aus, indem er im zweiten Teil seiner_U ntersuchung (S.105-329) anhand vier synchroner Schnitte mitunter minutiös die Tech- nik- und Wissensentwicklungen vom 18. bis zum frühen 20. Jahrhundert und ihren sprachlichen Niederschlag darstellt. Wegen seiner grundsätzlichen methodologischen Anregungen lohnt eine Konzentration auf den ersten Teil (S .1-103), in dem das Verhältnis von Technik und Sprache unter Berücksichtigung anthropologischer, wissens- psychologischer, technikhistorischer und varietätenlinguistischer (Alltagssprache vs. Fachsprachen) Aspekte erörtert wird. Es handelt sich um einen notwendig umfassenden Zugriff, um der gestellten Aufgabe ge- recht werden zu können: "die Auswirkungen der technischen Entwicklun- gen auf die Ausdruckssysteme und die Semantik der Alltagssprache und der technischen Fachsprachen" (S .XII) zu erfassen. Die bisherige Fachsprachenforschung muß sich dabei zu Recht vorhalten lassen, völlig untaugliche Modelle zur Abgrenzung alltäglicher Rede über Technik von fachsprachlichen Äußerungen angeboten zu haben, indem sie stilistische und semantische Kriterien vermischte. Jakob argumentiert hin- gegen überzeugend für das Primat der Semantik und dafür, "erst nachran- gig weitere stilistische, also text-, situations- und medienspezifische Sub- gliederungen vorzunehmen" (S.96). Zuweilen offenbare sich zudem in der Fachsprachenforschung eine romantisierende Technik-Nostalgie, wenn etwa die vorindustriellen Werkstattsprachen aufgrund ihrer bildhaften Ele- 185 mente als besonders "lebendig" charakterisiert werden. Anders die indu- striellen, "nüchternen" Fachsprachen, die gerade deshalb als besonders 'exakt' gelten, weil sie sich der Metaphorik enthielten. In ihren histori- schen Analysen verifiziert die Studie die Gegenthese: "Bild- und meta- phernreiche Sprache ist mitnichten eine Domäne der einfachen, handwerk- lichen und vorindustriellen Technik. Jetzt kann eher behauptet werden: je hochentwickelter und damit 'verkapselter' die technischen Produkte sind, desto dringender und wichtiger sind die naiven Modelle und ihre sprachli- chen Mittel" (S.87). Als konzeptionelle Grundlage der vorliegenden Auseinandersetzung mit dem Sprachwandel unter den Bedingungen des Industriezeitalters ergibt sich daraus: Es sind sowohl die kulturellen als auch die politischen und so- zialen Leitideen und -begriffe der jeweiligen Epoche in den Blick zu be- kommen, denn anders ist das Phänomen der "Technisierung der Welt" nicht adäquat zu beschreiben. Es bedarf zudem des Rückgriffs auf die Technikgeschichte und die philosophische Anthropologie, um deutlich zu machen, daß menschliche Existenz von Anbeginn an Technik (im Sinne von technischen Werkzeugen) gebunden war, die das Überleben in einer für den Menschen 'unnatürlichen' Umgebung ermöglichte. Technik muß demzufolge als anthropologische Konstante gelten. Für das Reden über Technik gilt dann entsprechendes: Notwendig für das Überleben, ist Techniksprache Bestandteil von Alltagssprache, unterscheidet sich also von anderen Fachsprachen dadurch, daß das in ihr gespeicherte Wissen auf praktischen und alltäglichen Erfahrungen und nicht auf theoriegeleiteten Prinzipien beruht. Erst die revolutionären Entwicklungen in der Maschi- nentechnik führten im Laufe des 19. Jahrhunderts zur Ausbildung von Technikdiskursen wirklich gravierend unterschiedlichen Niveaus. Jakob trägt dieser medienspezifischen Ausdifferenzierung in seinen Analysen Rechnung, auch auf dem Hintergrund einer notwendigen strengen Schei- dung des Technikbegriffs in die Kommunikationsbereiche Alltag, Techni- kerliteratur und techniktheoretische Schriften. Metaphorische Konzepte prägen, wie dargelegt, eben nicht nur Vermitt- lungstexte mit unspezifischen Publika (wie z.B. die Konversationslexika), sondern auch die für den Fachmann verfaßten Theorie-, Techniker- und Anwender-Fachtexte. Es läßt sich dafür wiederum eine anthropologische Erklärung finden: Das technische Handeln des Menschen stellt sich dar als Organersatz (z.B. Messer), Organverstärkung (z.B. Faustkeil) und Organ- entlastung (z.B. Automobil), was aus technikgeschichtlicher Perspektive zugleich als fortschreitende 'Entkörperlichung' des menschlichen Handelns interpretiert werden kann. In jedem Fall ist das Maß der Dinge der Mensch und seine Wahrnehmungs- und Handlungsmöglichkeiten . .H ierin ist die Existenz zahlloser "Universalmetaphern" (S.20) in den natürlichen Spra- chen begründet, also identische Signifikanten, die zwischen Mensch, Natur 186 und Technik vermitteln (z.B. Fuß). Die anthropomorphisierende Rede- weise weist auf das seit Gehlen so bezeichnete "Resonanzphänomen" (S.21) hin, was Jakob so deutet, daß natürlich-artifizielle Isomorphien keine Stilmittel sind, sondern "Ausdruck von elementaren Deu- tungsmustern der Welt" (S.21), ohne daß es sich um substantielle Gleich- setzungen handeln muß. Von Interesse ist jedoch nicht die isolierte Metapher, sondern die Struktur und die Funktion - um den Terminus Harald Weinrichs zu verwenden - "komplexer Bildfelder". Zur Explikation solcher metaphorischen Kon- zepte, die dem Muster "Maschine ist Mensch", "Maschine ist Körper" usw. folgen, offeriert die Studie den Einbau neuerer wissenspsy- chologischer Arbeiten, insbesondere solche zur Theorie der "mental mo- dels". In solchen mentalen Modellen ist alltägliches Technikwissen gespei- chert, das in den besonderen metaphorischen Konzepten der Alltagsrede realisiert wird. Technikfachwissen hingegen hat Zugriff auf "conceptual models", aus denen die besonderen metaphorischen Konzepte der Fach- sprache hervorgehen. Diese Unterscheidung veranlaßt Jakob, für eine ge- trennte Behandlung von 'literarischer' und fachsprachlicher Metaphorik einzutreten, könnten sich doch hinter demselben Signifikanten semantische Differenzen verbergen, die nicht unterschlagen werden dürfen. Ferner ent- scheidet er sich für eine begriffliche Gleichsetzung von metaphorischem Konzept und mentalem Modell, womit der sprachwissenschaftliche Schluß von den manifesten Realisationen auf die zugrundeliegenden kognitiven Muster möglich wird. Vier mentale Modelle wären demnach zu unterscheiden: Körper, Mensch, Handlung und Mechanik, von denen das erste 'naturgemäß' das grundle- gende Sprach- und Denkmodell darstellt, nämlich die sprachliche Gleich- setzung von Mensch und Maschine, Organmetaphorik sowie animistische Vorstellungen von den Funktionsprinzipien eines Artefakts. Anders als manche sozial-, kultur- oder sprachgeschichtliche Untersuchung seiner Vorgänger, die in solchen Produktionsprozessen für Metaphorik zumeist mythische, in jedem Fall aber 'unangemessene' oder gar 'falsche' Rede- weisen monierten, plädiert Jakob dafür, sie zu verstehen als "typische Aus- drucksmittel für technische Gegenstände, über die nur ein einfaches An- wenderwissen besteht: das LEBEWESEN wird nicht 'geglaubt', sondern es dient der 'Erklärung'" (S.83). Fazit: Das naive Wissen über neue techni- sche Artefakte läßt sich auf wenige zentrale mentale Modelle zurückführen, die der notwendigen Komplexitätsreduktion zum Zwecke der Verständnissicherung und Veranschaulichung dienen. Selbst 'falsche' Analogiebildungen führten bekanntlich in der Technik- und Naturge- schichte zu erfolgreichen Innovationen bzw. Deutungen. 187 Für die während des letzten Jahrzehnts verstärkten sprach- und literatur- wissenschaftlichen Bemühungen um ein differenziertes Bild von der litera- rischen Integration und Diffusion neuen Technikwissens bietet der vorlie- gende Band eine Vielzahl von Anregungen und Korrekturen. Er demon- striert, wie komplex Forschungen im Schnittfeld von Kultur-, Sozial-, Technik- und Sprachgeschichte angelegt sein müssen, um den Prozeß von Wissenserwerb und Sprachwandel angemessen beschreiben zu können. Doch selbst dann können nicht alle Fragen beantwortet werden. So be- friedigt immer noch nicht die Deutung der Mensch/Maschine-Analogie, die primär anthropologisch begründet wird. Vielleicht wäre beispielsweise bei der Tendenz zur 'Entkörperlichung' von Handlungen durch Technisierung eine psychoanalytische Deutung zu Rate zu ziehen, mit der stets virulente Ohnmachts- und Wunschphantasien in den Vordergrund gerückt werden könnten. Und eine andere Frage drängt sich im Anschluß an das folgende Zitat auf: "Es gibt Zeiten, in denen, der jeweiligen aktuellen technischen Sensation angepaßt, bestimmte sprachliche Bildungen dominieren. Im 19. Jahrhundert ist es überdeutlich eine Eisenbahn- und Dampf- maschinenmetaphorik, um die Jahrhundertwende wirkt das Automobil, in der Gegenwart sind herausragend Bilder der elektronischen Datenverarbei- tung prägend. Alltägliches menschliches Handeln und Denken kann dann 'modeabhängig' metaphorisiert werden" (S.88). Wäre es dann nicht beson- ders lohnenswert, mentale Modelle, die das Wissen über Technik prägen bzw. technische Bildlichkeit auch in anderen Praxisbereichen als denen der Technik zu untersuchen und damit einen spezifischen Beitrag zur "Technisierung des Alltags" (Höming) zu leisten? Einige ernstzunehmende Hinweise gibt Jakob immerhin auch darauf, vor allem auch übt er berech- tigte Kritik an der von ihm ansonsten hochgeschätzten Techniklehre Günter Ropohls, der bei seiner Kritik an der "Maschinenmetapher" in anderen als technischen Kontexten (noch einmal pointiert vorgetragen in Technikge- schichte, Bd.58, H.1 (1991)) einen nicht einlösbaren, ja wohl auch gar nicht wünschenswerten Sprachpurismus an den Tag legt. Siegfried Reinecke (Berlin)