Medien / Kultur 365 Hajnalka Halász, Csongor Lörincz (Hg.): Sprachmedialität: Verfl echtungen von Sprach- und Medienbegriffen Bielefeld: transcript 2019 (Edition Kulturwissenschaft), 461 S., ISBN 9783837647457, EUR 49,99 Grundlage dieses Sammelbandes sind tet wurden. Die Herausgeber_innen zwei Tagungen an der Humboldt-Uni- behaupten in ihrem knappen Vorwort, versität zu Berlin in den Jahren 2015 dass Sprache und Medien gerade auch und 2016 zu Fragen der Sprachme- wegen der von ihnen apostrophierten dialität, die vom dortigen Institut für „medialen Wende“ als divergierende Slawistik und Hungarologie ausgerich- Pole gesehen würden, was ihrer Mei- 366 MEDIENwissenschaft 04/2020 nung nach an „einer gegenseitigen hier Gerald Posselts Ausführungen ‚Vergessenheit‘ der Sprach- und der zu „Textualität und Diskursivität“, der Medientheorie“ sowie an einem „unge- wenigstens in einer Fußnote die Namen schichtlichen Verständnis der Wis- Habermas, Brandom und Searle fallen senstradition“ liege (S.7). Dies wird lässt (vgl. S.42) – dies allerdings völlig wiederum als Grund ausgegeben, sinnentstellend, wenn er behauptet, die weswegen die Mehrheit der Beiträge Genannten seien „[p]rominente Bei- ihre theoretische Basis bei „Denkern spiele für die Ausblendung der Frage (vor allem der Hermeneutik und der der Subjektkonstitution“ (ebd.). Hier Dekonstruktion)“ fi nde, die angeblich darf wohl angemerkt werden, dass eher im „Korpus der medienwissenschaft- das glatte Gegenteil der Fall ist. lichen Werke und Handbücher in der Csongor Lörincz stellt in sei- Regel weniger vertreten“ seien (ebd.). nem Artikel über „Sprachverstehen Diese ‚Denker‘ sind vor allem die – M edialität – Iterabilität“ die durch- modernen Klassiker Heidegger, dessen aus interessante und lohnende Frage, Adept Gadamer sowie Jacques Derrida, inwiefern „das Verstehen selbst in der denen in vielen der hier versammel- Sprache schon von Anfang an medial ten Beiträge Referenz erwiesen wird, verfasst“ (S.115) sei. Auch hier dient um den „Chiasmus von immaterieller vor allem Wilhelm von H umboldt Materialität“ (S.9) … ja, was eigent- als Gewährsmann, während als lich? Aufzuklären? Zu erledigen? Zu Typus eines angeblich „modernen verfestigen? Fragen bleiben; nicht nur Sprachtheoretiker[s]“ der 1941 im wegen der Auswahl dieser Referenzau- Krieg gefallene Hans Lipps gewählt toren entsteht der Eindruck, dass hier wird (S.145). Lörincz erwähnt zwar die # eoriediskussionen der 1970er und noch, dass Lipps seine Anregungen 80er Jahre wiederbelebt werden sollen. bei Heidegger geholt hat (nicht gerade Philosophische Schützenhilfe besorgt ein ‚Modernist‘ unter den Sprach- man sich bei Klassikern von Platon bis philosophen), was er hingegen nicht Humboldt. Letzterer wird vor allem erwähnt, ist, dass Lipps wie H eidegger im Aufsatz von Susanne Strätling ein Nazi war. Dies ist vielleicht auch über „Sprachenergie/Medienenergie“ nicht erwähnenswert, Löringcz sollte durchdekliniert, einem der wenigen dann aber nicht auf ein angeblich lesenswerten und instruktiven Beiträge „ungeschichtliches Verständnis der dieses Bands. Eine auff ällige Leerstelle Wissenstradition“ (S.7) bei anderen in diesem Band ist, dass auf aktuelle pochen. Leider gibt der Autor dann Positionen der Medienwissenschaft, der auch keine eindeutige Antwort auf Kommunikationsforschung, der Sozi- seine Anfangsfrage. Stattdessen wird alwissenschaft oder der analytischen in einem „Statt eines Fazits“ über- oder Sprachphilosophie praktisch kein schriebenen Abschnitt eine „Biopoe- Bezug genommen wird, was in Anbe- tik der Lyrik“ (S.151) entworfen und tracht des selbstgesteckten Ziels schon dabei werden (endlich!?) auch Lacan verwegen ist. Eine Ausnahme bilden und McLuhan ins Spiel gebracht, was Medien / Kultur 367 zeigt, dass ein Autor historisierend und Wirklich originell in diesem Sam- geschichtsvergessen gleichzeitig sein melband ist eigentlich nur der Bei- kann. trag von Christian Meyer und Erhard Durchaus lesbar ist Zoltán Kulcsár- Schüttpelz, die in einer Verballhor- Szabós Beitrag über „Austin und nung des berühmten Leibniz-Zitats Hippolytos“ (S.295-336), in dem die fragen: „Warum gibt es überhaupt allerdings auch nicht mehr ganz tau- Medien, und nicht vielmehr nicht?“ frische Frage nach dem Status fi ktio- (S.359) Achtung Spoiler: Auch diese naler Äußerungen im Kontext der Autoren fi nden nicht wirklich eine Sprechakttheorie erörtert wird – die Antwort. Aber ihre Ausführungen zu Diskussion geht auf eine Auseinander- Ethnomethodologie und Konversati- setzung zurück, die Derrida mit John onsanalyse bieten einige überraschende Searle Mitte der 1970er Jahre geführt Fundstücke zur Interaktion mit Apha- hat. Aber immerhin bietet dieser Text sikern, zu Zeugenaussagen in polizei- eine Art close reading von John Austins lichen Befragungen und schließlich zu sprechakttheoretischem Hauptwerk Zitierbarkeit und Kommentierbarkeit, How to do things with words (Oxford: wobei plausibel auf Harold Garfi nkels Clarendon Press 1962) mit so interes- Accountability-Begriff rekurriert wird. santen Einsichten wie die in die „kaum erträgliche gute Laune des ' eoreti- kers der Sprechakte“ (S.298). Hektor Haarkötter (Köln)