Hans Dama [rezens.tfm] 2008/2 Rezension zu Horst Fassel, Bühnen-Welten vom 18.-20. Jahrhundert. Deutsches Theater in den Provinzen des heutigen Rumänien / Mapamondul scenic din sec. al 18-lea până în sec. al 20-lea. Teatrul de limbă germană în provinciile României de azi. Cluj-Napoca: Presa Universitară Clujeană 2007. (Karl-Kurt-Klein-Reihe 3). ISBN 978-973-610-617-0. 422 S. Preis: € 19,-. von Hans Dama Die Aufarbeitung historischer Desiderata erfolgt für manche Regionen zögerlich, wenn überhaupt. Dazu 1918-1945 zu Rumänien gehörenden Gebieten zu bie‐ gehören auch die Länder Südosteuropas, die bis ten. Es handelt sich um Aufsätze, die in den letzten 1918 im Großen und Ganzen innerhalb oder am Ran‐ zehn Jahren entstanden sind und in unterschiedli‐ de der k.u.k.-Monarchie Teile eines funktionieren‐ chen Sammelbänden und Periodika publiziert wur‐ den Theatersystems gewesen waren, dessen Ent‐ den. Da bislang eine Geschichte des deutschsprachi‐ wicklungen und Wandlungen nach und nach ins Be‐ gen Theaters in Rumänien aussteht, kann man den wusstsein treten. Für Südosteuropa gilt meist, dass vier Abteilungen dieser neuen Publikation einiges man dort noch immer Monographien der einzelnen entnehmen, was in späteren Überblicksdarstellun‐ Theaterstandorte anstrebt, die von den sogenannten gen bestätigt und vertieft werden wird. Anfängen bis zur Gegenwart reichen.   Die Theaterreihe der Österreichischen Akademie der Wissenschaften hat solche Beispiele für Budapest Neu ist auf jeden Fall, dass die einzelnen Stadtthea‐ (zuletzt für Lemberg) vorgelegt. Auf weniger Fakten ter und die Bedeutung der einzelnen Städte für die beziehen sich Theatermonographien über einzelne Theaterentwicklung der Gebiete mit deutschen Min‐ Standorte des deutschsprachigen Theaters in ex-ju‐ derheitengruppen zwar beachtet werden, dass aber die Verbindungen zwischen diesen Theaterstädten goslawischen, ungarischen und rumänischen Städ‐ ten. Die vorliegenden Untersuchungen von Horst ebenso Anerkennung finden wie der regional wichti‐ Fassel erheben nicht den Anspruch, eine Geschichte ge Umstand, dass in einzelnen Städten außer den des deutschen Theaters in den heute bzw. von deutschsprachigen auch anderssprachige Theater Diese Rezension ist erschienen in [rezens.tfm] 2008/2 | Veröffentlicht: 2008-09-15 URL: https://rezenstfm.univie.ac.at/index.php/tfm/article/view/r30 Hans Dama [rezens.tfm] 2008/2 bestanden (ungarische, rumänische, serbische, jüdi‐ kultur einen Kulturtransfer und eine Homogenisie‐ sche). Dadurch können lokale Besonderheiten, eben‐ rung erfuhren, wird an den Beispielen der sieben‐ so aber auch überregionale und transnationale Ge‐ bürgischen und Banater Wechselbeziehungen erläu‐ meinsamkeiten herausgearbeitet werden. Der Verfas‐ tert. Wie sich Kriege auf die Theatersituation aus‐ ser versucht, auch in diesen – wie in anderen Arbei‐ wirkten, zeigen zwei Beispiele: das schon erwähnte ten –, die Rolle der am Theaterleben Beteiligten zu Fronttheater Bukarest im Ersten Weltkrieg und das berücksichtigen. In dieser Sammlung werden, nach‐ Theater der Banater Deportierten im ukrainischen dem die allgemeine, überregionale Theaterentwick‐ Makeevka nach 1945 (es ist die erste ausführliche lung festgehalten (Teil 1) und auf einzelne Stadtthea‐ Untersuchung über ein solches Lagertheater im ter und deren Bedeutung eingegangen wurde (Teil Donbas-Gebiet). Wie sich ein deutsches Staatstheater 2), einzelne Theaterdirektoren, SchauspielerInnen in einer Stadt, die Theaterangebote in vier Sprachen (Teil 3) und Bühnenautoren (Teil 4) präsentiert. aufweist, in Szene setzte, wird anhand des Beispiels Temeswar (1953-2003) präsentiert. Schließlich wird   auch auf die Chancen deutscher Minderheitenthea‐ ter in Rumänien eingegangen. Damit ergibt sich ein Entwicklungsgeschichtlich ist Teil 1 am ergiebigsten. Prozess, der die unterschiedlichen Theaterformen In zwei Überblicksdarstellungen ("Deutsche Theater‐ im Laufe von drei Jahrhunderten analysiert und an landschaften in Siebenbürgen und im Banat" und Einzelbeispielen die Kooperation zwischen Städten "Deutsches Theater auf dem Gebiet des heutigen Ru‐ und Ensembles festhält. Dass auch auf die Ideologie‐ mänien") werden die besonders engen Beziehungen geschichte eingegangen wird, auf den Status von der deutschen Theater in Siebenbürgen und im Ba‐ deutschen (und anderen) Minderheitentheatern, fä‐ nat behandelt, während Bukarest, Jassy und später chert die Betrachterperspektive erfreulich auf. Czernowitz zwar stellenweise in das System einbezo‐ gen wurden, sonst aber getrennte Wege gingen, die   mit der Lage der jeweiligen deutschen Minderhei‐ tengruppe in Zusammenhang stand. In Bukarest Teil 2 ist den Stadttheatern gewidmet und beginnt konnte sich nie ein bemerkenswertes deutsches The‐ mit dem ersten Versuch der Etablierung eines Stadt‐ ater entwickeln, weil es – ähnlich wie die jüdischen theaters durch Christoph Ludwig Seipp in Her‐ Theater – keine öffentliche Unterstützung erhielt, mannstadt (1788-90). Dass damit gleichzeitig auch sieht man von 1917-1918 ab, als die deutsche und ös‐ die Beziehungen Seipps zu Pressburg und Temes‐ terreichische Besatzung beide Theater, das deutsche war, ebenso zum gesamten deutschen Sprachraum wie das jüdische, auffallend förderten (Fassel ist der und seine Lageberichte über die Theaterentwicklung erste, der sich mit dem deutschen Fronttheater in im Königreich Ungarn (zwei Reisebeschreibungen) Bukarest, ebenso mit den kleinen jüdischen Theatern eingehend untersucht werden, lässt seine Bedeu‐ von vor 1920 beschäftigt hat). Die Theaterunionen tung und Tragik erkennen: Hermannstadt wurde, zwischen siebenbürgischen und Banater Städten als die siebenbürgische Hauptstadt (1790) nach Klau‐ müssten gründlicher untersucht werden. Die allge‐ senburg verlegt wurde, kulturell entmachtet. Von meinen Entwicklungslinien sind aber in den Beiträ‐ besonderer Bedeutung sind die monographischen gen dieses Bandes schon entschlüsselt worden (u. a. Darstellungen deutscher Stadttheater in einer mittel‐ in: "Die Theaterunion zwischen Temeswar und Her‐ großen Stadt (Czernowitz) und zweier Kleinstädte mannstadt"). Dass sich – meist auf den traditionellen (Orawitza und Lugosch). Im Falle von Czernowitz Verkehrswegen (zum Beispiel: Pressburg-Pest/Ofen- und Orawitza geht die Untersuchung weit über das Arad-Temeswar/Hermannstadt) – seit dem 18. Jahr‐ hinaus, was Vorarbeiten versucht hatten (Georg von hundert Wechselbeziehungen zwischen den einzel‐ Drozdowski, Simeon Samuel Moldovan), für Lu‐ nen Städten ergaben, dass dabei die jeweilige Stadt‐ gosch ist es der erste Versuch überhaupt, die städti‐ sche Theatertätigkeit zu erfassen. Es handelt sich Diese Rezension ist erschienen in [rezens.tfm] 2008/2 | Veröffentlicht: 2008-09-15 URL: https://rezenstfm.univie.ac.at/index.php/tfm/article/view/r30 Hans Dama [rezens.tfm] 2008/2 hier um tatsächliche Darstellungen der Theaterent‐ men. Von den vier Direktoren und den sechs Schau‐ wicklungen in den jeweiligen Städten. Im Falle von spielernInnen kann man sicher nicht auf die gesam‐ Czernowitz wird die lange Vorgeschichte von 1797 te Vielfalt des regionalen Theaterlebens schließen. bis 1907 aufgrund neuer Quellen erschlossen, da‐ Wichtig erscheint auch hier die Konstatierung von nach der Höhepunkt des angesehenen Provinzthea‐ Entwicklungstendenzen: Bis 1848 war die Bewegung ters in der k.u.k.-Universitätsstadt dargestellt. Auch der Prinzipale/Direktoren meist von West nach Ost. die Parallelentwicklungen des rumänischen und jid‐ Nach Erfolgen an namhaften Bühnen des deutschen dischen Theaters werden beachtet. Nach 1920 wer‐ Sprachraums erfolgten die Verpflichtungen in Süd‐ den die Schwierigkeiten von Minderheitentheatern osteuropa, die nicht selten an Spielorten endeten, in den neuen Staaten verdeutlicht, die sich trotz ih‐ von wo aus deutsches Theater nicht mehr beliebig rer Vielvölkerstruktur als Nationalstaaten begriffen. weiter verlegbar war: Czernowitz, Odessa, Bukarest. Die Theaterskandale von 1921 und 1922 in Czerno‐ Nach 1848 findet – bevorzugt bei den Theatern in witz, die Ausweisung des Direktors Wilhelm Popp, mittelgroßen Städten – ein Ost-West-Trend statt. Vor der nach Mährisch-Ostrau zurückkehrte, die Tätig‐ allem von Temeswar aus gelangten Theaterleiter keit des halbprofessionellen Ensembles der Kammer‐ nach Wien oder nach Deutschland (die bekanntesten bühne anstelle des Stadttheaters und nach 1933 die Beispiele sind Friedrich Strampfer und Max Steiner, seltenen Gastspiele des Deutschen Landestheaters die beide aus dem Banat kommend die Leitung des Hermannstadt im nicht gleichgeschalteten Czerno‐ Theaters an der Wien übernahmen). Die gleiche ‐ Richtung galt auch bei den SchauspielernInnen,witz, das und die Entwicklung des jiddischen Thea doch hatte es in deren Fall auch frühe Beispiele einer ters, das bis in die späten dreißiger Jahre aktiv blieb solchen Trendentwicklung westwärts gegeben. (seine Tätigkeit ist bislang im Einzelnen nicht unter‐ sucht worden): das alles wird bei Fassel analysiert.   Ähnlich ist es mit dem kleinen Banater Bergbau‐ städtchen Orawitza, dessen Theatergebäude 1817 Eine Neuentdeckung ist in Teil 4 der siebenbürgi‐ vorgeblich nach dem Modell des alten Burgtheaters sche Autor Franz Rheter, dessen dramatisches Werk errichtet wurde. In Orawitza gab es neben dem hier ausführlich und vor dem Hintergrund des bis‐ deutschen ein bis 1918 aktives ungarisches, ebenso lang nicht erforschten deutschen Barocktheaters in ein rumänisches Theater, und die Besonderheit drei‐ Siebenbürgen präsentiert wird. Außerdem wird auf sprachiger Theaterabende wird dokumentiert, ihre die Werke Adam Müller-Guttenbrunns aus dem Ba‐ kulturpolitische Bedeutung kritisch begutachtet. Für nat und Franz K. Franchys aus Siebenbürgen einge‐ Lugosch, das ebenso wie Orawitza meist mit ande‐ gangen, sowie auf die Exildramatik von Franz Theo‐ ren Stadttheatern kooperierte (in Lugosch gab es im dor Csokor in Polen und Rumänien. Diese Einzelau‐ 20. Jahrhundert zusätzlich jüdisches und franzö‐ toren ergänzen den Gesamteindruck um weitere Fa‐ sischsprachiges Schultheater), wird eine Kontinuität cetten. des deutschen Theaters von 1797 bis 1944 festgestellt, wobei der Schwerpunkt, wie bei anderen Theatern   des Banats, Siebenbürgens und der Bukowina in der Für die regionale Theatergeschichte der deutschen Zeit nach 1848 lag. Siedlungsgebiete im heutigen Rumänien wird man‐   che Neuentdeckung gemacht, es werden neue Quel‐ len erschlossen und es wird der Rahmen abgesteckt, Bei den SchauspielerInnen und Theaterdirektoren in dem sich eine spätere Theatergeschichte bewegen (Teil 3) ist die Auswahl nur ein bescheidener Hin‐ kann. Der gesellschaftliche Stellenwert des deut‐ weis auf die Fülle von unterschiedlichen Persönlich‐ schen Theaters, dessen kulturpolitische und ideolo‐ keiten und – damit im Zusammenhang – Program‐ gische Funktion, immer wieder erkennbare Entwick‐ Diese Rezension ist erschienen in [rezens.tfm] 2008/2 | Veröffentlicht: 2008-09-15 URL: https://rezenstfm.univie.ac.at/index.php/tfm/article/view/r30 Hans Dama [rezens.tfm] 2008/2 lungszusammenhänge werden aufgezeigt. Allerdings verfolgen kann, gehört zu den Verdiensten dieser wird auf Einzelereignisse, auf deren Wirkungsge‐ Untersuchungen. Sie könnten durch einen weiteren schichte, nicht eingegangen, auch der theatralische Sammelband ergänzt werden, der andere in Periodi‐ Diskurs wird auf Repertoire- und Kulturpolitik be‐ ka publizierte Arbeiten Fassels zur Theaterkritik, zu schränkt, weil die Vorarbeiten zusätzliche Akzentuie‐ einzelnen SchauspielerInnen, zu unterschiedlichen rungen nicht zuließen. Dass man nun diesen Materi‐ Entwicklungsperioden in Südosteuropa zusammen‐ enbereich auf der erschlossenen Grundlage weiter fasst. Autor/innen-Biografie Hans Dama Geb. in Großsanktnikolaus/Banat, Rumänien. Studium der Germanistik, Rumänistik, Pädagogik, Geographie und Wirtschaftskunde in Temeswar, Bukarest und Wien. Rumänist am Institut für Romanistik der Universität Wien. Publikationen: In zahlreichen deutschen, österreichischen, ungarischen, rumänischen, spanischen und mexikanischen Zeit‐ schriften sowie in Anthologien veröffentlichte Dama Lyrik, Kurzprosa und Essays sowie Übersetzungen aus der rumänischen Lyrik (Lucian Blaga, George Bacovia, Nichita Stãnescu, Anghel Dumbrãveanu u. a.). In den USA wurden zwei seiner Gedichte vertont. Diese Rezension ist erschienen in [rezens.tfm] 2008/2 | Veröffentlicht: 2008-09-15 URL: https://rezenstfm.univie.ac.at/index.php/tfm/article/view/r30