Minimale Abweichung – Maximale Angleichung: Bedeutungskonstituierung in den ‚Planet der Affen’-Texten Peter Klimczak Den Gegenstand dieses Aufsatzes bilden die drei Texte1 mit dem jeweils gleich lautenden Titel Planet der Affen: der aus dem Jahre 1963 stammende Roman2 sowie dessen Verfilmungen3 von 1968 und 2001. Was eine Betrachtung insbesondere dieser Texte interessant macht, ist die Tatsache, dass es den beiden Verfilmungen gelingt, eine eigene zueinander als auch zum Prätext oppositionelle Textaussage zu generieren und das trotz der Übernahme des Modells4 der narrativen Makrostrukturen vom Roman. Interessant ist dies deshalb, weil diese abstrahierbaren erzählsemantischen Makrostrukturen der histoire-Ebene als die zentralen Elemente der textim- manenten Bedeutungskonstituierung gelten,5 das adaptierte Modell, abgese- hen von drei Stellen an denen sich tatsächlich Abweichungen finden lassen, jedoch nicht verändert wird. Anzunehmen ist daher, dass der Grund für die jeweilige Umsemantisierung allein in den Veränderungen an diesen drei Stel- len liegen muss, es sich also bei diesen um die Zentren der jeweiligen konkre- ten Bedeutungskonstituierung handelt. Dieser Sachverhalt von an sich rein texttheoretischem Interesse soll jedoch durch die Rekonstruktion der jeweiligen Textaussagen anhand dieser drei Stellen nachgewiesen werden, was zum Vorteil hat, dass damit auch eine ver- gleichende Deutung von Roman, Verfilmung und Neuverfilmung möglich wird. Da Texte Produkte ihrer Zeit und Kultur sind und als solche nicht vom jeweiligen Denksystem6 losgelöst betrachtet werden sollten, wird darüber hinaus zu zeigen versucht, dass die hier behandelten Texte bezüglich ihrer Ideologie7 zwar zueinander in Opposition, aber zum jeweiligen Denken der außertextuellen Wirklichkeit durchaus in Korrelation stehen. Das Ziel dieses Aufsatzes ist damit exemplarisch nachzuweisen, dass auch mit nur minimaler narrativer Abweichung eine maximale ideologische Angleichung an die sich wandelnden außertextuellen Denkvorstellungen möglich ist. Dazu ist es aber zunächst notwendig, das allen drei Werken gemeinsame nar- rative Grundmodell zu abstrahieren. In einem zweiten Schritt sollen darin die drei bedeutungskonstituierenden Stellen verortet werden, anhand dieser dann die unterschiedlichen textuellen Aussagen rekonstruiert werden kön- nen. Abschließend werden diese in Dependenz zum jeweiligen Denksystem gestellt. 241 1. Das gemeinsame narrative Grundmodell Die elementare Grundordnung der dargestellten Welt manifestiert sich in der Existenz von zwei zueinander oppositionellen semantisierten topografischen Räumen: zum einen der titelgebende Planet der Affen, zum anderen der Pla- net Erde. Der semantische Unterschied zwischen beiden Räumen liegt im je- weiligen unterschiedlichen hierarchischen Verhältnis von Affe und Mensch. Während sich der Planet der Affen durch eine Überordnung des Affen über den Menschen auszeichnet, wird die Erde durch eine Überordnung des Men- schen über den Affen definiert. Die Ereignisinitiierung der dargestellten Handlung erfolgt dabei durch den Raumwechsel einer Figurengruppe von der Erde zum Affenplaneten.8 Da es sich bei diesen Figuren allesamt um Elemente des Raumes Erde handelt, ih- nen daher das konstitutive semantische Merkmal dieses Ursprungsraumes inhärent ist, erzeugt ihr Aufenthalt auf dem Affenplaneten einen Konflikt mit der dortigen konstitutiven Ordnung. Das angestrebte Ziel der folgenden Handlung ist es daher, wie in den meisten traditionellen Erzähltexten auch, diesen inkonsistenten Zustand in einen konsistenten zu überführen. Die Art der Konfliktlösung stellt aber gleichzeitig auch eine Aussage über die generelle Beschaffenheit der Ordnungen dar. Kehren nämlich die konfliktverursachenden Figuren in ihren Ursprungsraum zurück und bleibt die Ordnung des Aufenthaltsraumes bestehen, so kann der Status Quo der verschiedenen Ordnungen als gewahrt angesehen werden. Erfolgt die Lösung des Konflikts durch ein Aufgehen der konfliktverursa- chenden Figuren im Aufenthaltsraum bei gleichzeitiger Bewahrung der Ord- nung des Ursprungsraumes, so muss der konstitutiven Ordnung des Aufent- haltsraumes eine relative bzw. latente ideologische Dominanz attestiert wer- den. Wenn die Übernahme der oppositionellen Ordnung nicht nur durch die konfliktverursachenden Figuren, sondern auch durch deren Ursprungsraum erfolgt, muss sogar von einem absoluten bzw. manifesten Übergewicht der betreffenden Ordnung ausgegangen werden. Dieses als Metatilgung fungie- rende Metaereignis, das damit die Ordnung der dargestellten Welt an sich verändert, kann aber auch umgekehrt zugunsten des Ursprungsraumes aus- fallen und zwar dann, wenn die konfliktverursachenden Figuren weder in ih- ren Ursprungsraum zurückkehren noch in der Ordnung des Aufenthaltsrau- mes aufgehen, sondern sich die Ordnung des Aufenthaltsraumes an die Ord- nung der konfliktverursachenden Figuren angleicht. Obwohl die Art der Konfliktlösung damit schon per se bedeutungstragend ist, erhöht sich ihr ideologisches Potenzial bei den Planet der Affen-Texten noch 242 zusätzlich dadurch, dass die Ordnung des Affenplaneten als Abweichung von der kulturell als ‚normal’ und ‚natürlich’ gesetzten Ordnung allein durch ihre Existenz die real existierende bereits hinterfragt. Dieser Sachverhalt wird zudem durch ein die drei Texte geradezu konstituie- rendes Kennzeichen potenziert: Erst durch ein Metaereignis wurde auf dem Affen-Planeten die zur Erde abweichende Ordnung hergestellt; zuvor exis- tierte auch hier ein zur Erde analoges Verhältnis von Affe und Mensch. Damit stellt jedoch die Existenz der Überordnung des Affen über den Menschen auf dem Affenplaneten nicht ‚nur’ eine Abweichung, sondern die Ablösung der Menschheit durch den Affen dar, was wiederum eine ideologische Aufwer- tung der im Erzählfokus liegenden Konflikttilgung bedingt: Die Frage, die sich nämlich stellt, ist nicht mehr nur eine nach der Negierung einer abwei- chenden Ordnung, sondern auch die nach der Wiederherstellung der ur- sprünglichen ‚natürlichen’ Verhältnisse. Darüber hinaus wird der ohnehin schon starke lebensweltliche Bezug durch die Aufhebung der topographi- schen Grenze nochmals erhöht. Dadurch nämlich, dass gegen Ende der Er- zählzeit der ideologische Komplex von Ablösung und möglicher Wiederher- stellung der menschlichen Dominanz eine Extension auf die ‚heimische’ Erde erfährt, wird das auf dem Affenplaneten bereits Dargestellte auch ganz expli- zit als auf die Erde übertragbar postuliert. 2. Rekonstruktion der textuellen Ideologie anhand der drei bedeu- tungskonstituierenden Stellen Als Stellen mit bedeutungskonstituierendem Potenzial haben sich erwiesen: (1) der Grund für die Transformation der ursprünglichen Ordnung, d.h. die Ursachen für die Ablösung des Menschen durch den Affen; (2) das konkrete Aussehen dieses neuen Hierarchieverhältnisses, sprich die jeweilige konkrete politische, kulturelle und biologische Determiniertheit von Affe und Mensch und (3) die Art der gewählten Konfliktlösung und hier insbesondere die Frage nach dem Metametaereignis, d.h. die Möglichkeit der Reinstallierung der menschlichen Zivilisation. Im Folgenden sollen Roman, Verfilmung und Neuverfilmung hinsichtlich dieser drei Stellen analysiert werden. 2.1 Der Roman Ad 1) Die eigentliche Ursache für die Ablösung der Menschen stellt deren immer stärker zunehmende psychische als auch physische Trägheit dar, die mit einem abnehmenden Willen zur Wehrhaftigkeit einhergeht. Die Trans- formation der Ordnung vollzieht sich dann durch eine demgemäß auf keinen 243 Widerstand stoßende Revolution der Affen, die teils durch Nachahmung des Menschen, teils durch gegenseitigen Selbstunterricht die Stufe des tierischen Daseins bereits überwunden haben. Ad 2) Die Menschen haben sich aber – einmal ihrer machtpolitischen Stel- lung beraubt – im Folgezeitraum nicht nur kulturell und gesellschaftlich, sondern auch evolutionär zurückentwickelt. Während der Mensch damit in den tierischen Urzustand abgesunken ist, hat der Affe nun deren zivilisatori- schen und evolutionären Platz eingenommen. War jedoch technischer und intellektueller Fortschritt bei den Menschen mit zivilisatorischem und evolu- tionärem Untergang korreliert,9 ist dieser bei den Affen mit zivilisatorischer und evolutionärer Emanzipation verbunden. Ad 3) Gerade die Frage nach der Fähigkeit des Affen zur autogenen zivilisato- rischen Leistung ist aufs engste mit der Frage nach der Möglichkeit der Wie- derherstellung der menschlichen Zivilisation verknüpft. Die parallele Thema- tisierung beider Fragenkomplexe führt letztlich zum Ergebnis, dass keine Metatilgung möglich ist. Zwar wäre eine Reinstallierung einer menschlichen Zivilisation und damit – so zumindest gesetzt – ein gleichzeitiger Verfall der äffischen theoretisch möglich, doch fehlt dem Protagonisten der Wille, als Katalysator einer derartigen Entwicklung zu fungieren. Gleichzeitig wird er- sichtlich, dass die Affen zu autogenem Fortschritt fähig sind und das durch- aus ohne Verlust von Wehrhaftigkeit. Beides verdeutlicht, dass die stattge- fundene Ablösung des Menschen durch den Affen im Sinne der Evolution gewesen ist: Nur mit den Affen ist eine wünschenswerte Synthese von zivili- satorischem und evolutionärem Fortschritt möglich. Verifiziert wird dies ge- rade durch die Rahmengeschichte: Während der Mensch sich im gesamten Weltall auf die Stufe von Tieren zurück entwickelt hat, sind die Affen die do- minante Art nicht nur auch auf der Erde, sondern im ganzen Universum ge- worden und haben gleichzeitig einen technologischen Entwicklungsstand er- reicht, der weit über die Leistungen der früheren menschlichen Zivilisation hinausgeht. 2.2 Die Verfilmung von 1968 Ad 1) Sechs Jahre nach dem Erscheinen des Romans ist es in der Verfilmung nun das stets kriegerische und zerstörerische Wesen der Menschheit, das in Kombination mit einer fortgeschrittenen Technologie zu einer atomaren A- pokalypse führt. Zwar nehmen die Affen die Stelle der früheren menschlichen Zivilisation ein, doch ist der Untergang der menschlichen und der Aufstieg der äffischen Zivilisation voneinander weitgehend unabhängig. 244 Ad 2) Die Menschen überleben zwar, doch ihr Fall ist ähnlich wie im Roman nicht nur machtpolitischer und kultureller, sondern auch biologisch- evolutionärer Art. Nur eines haben sie mit ihren Vorfahren noch gemeinsam: Ihnen ist auch als tierische Wesen derselbe zerstörerische Wesenszug zu Ei- gen, weshalb weiterhin ein latentes zerstörerisches Potenzial von ihnen aus- geht. Doch ist gerade ein solches auch den Affen, den neuen Herrschern über diese Welt, nicht fremd. Allen eigenen ‚humanen’ Beteuerungsformeln zum Trotz unterscheiden sich die Affen in diesem Punkt nicht von ihren zivilisato- rischen Vorgängern. Ad 3) Aber dennoch hat ihre Zivilisation Bestand; die Metatilgung der abwei- chenden Ordnung kommt dabei vor allem deshalb nicht zustande, weil die Affen sich durch eine religiös institutionalisierte technische Selbstbeschrän- kung vor einer möglichen Selbstvernichtung zu bewahren wissen: Wenn das konstante zerstörerische Potenzial nicht unterbunden werden kann, dann müssen die Möglichkeiten dieses zu entfalten verhindert werden.10 Dem Menschen ist dies jedoch nicht gelungen und gerade durch das Fehlen jegli- cher Thematisierung einer vielleicht nur theoretischen Reinstallierung der menschlichen Zivilisation wird verdeutlicht, dass es kein Zurück mehr gibt, wenn einmal der entscheidende Punkt erreicht ist. Der apodiktische Charak- ter der apokalyptischen, atomaren Ordnungstransformation findet seinen kulminativen Ausdruck zeichenhaft in der Schlussszene des Films: Durch die weitere Existenz des nicht angepassten Protagonisten im Aufenthaltsraum wird zumindest auf eine formale Behebung des inkonsistenten Zustands ver- zichtet, was aber deutlich macht, dass von der eigentlich konfliktverursa- chenden Figur keine Gefahr mehr für die Transformation der Raumordnung ausgeht: Dem Protagonisten bleibt nur noch die hilflose und durch die Been- digung der Erzählung an dieser Stelle auch notwendigerweise folgenlose Er- kenntnis, dass es sich beim transformierten ‚fremden’ Raum um die heimi- sche Erde handelt. 2.3 Die Neuverfilmung von 2001 Ad 1) Ebenso wie im Roman erfolgt die Ablösung der Menschheit hier durch einen revolutionären Akt und wieder liegt der Grund am mangelnden Willen des Menschen zur Wehrhaftigkeit, die mit einer zunehmenden Tendenz zur Bequemlichkeit einhergeht. Doch haben diesmal die für niedere Arbeiten be- nutzten Affen den Sprung nicht durch Nachahmung bzw. gegenseitigen Un- terricht und damit tendenziell aus eigener Kraft geschafft; ein gentechnischer Eingriff seitens der Menschen war dazu notwendig. Die dadurch erst möglich 245 gewordene Transformation der Ordnung ist damit aus Perspektive der Menschheit nicht nur durch die eigene Trägheit selbst verschuldet, sondern durch die getätigte genetische Manipulation auch selbst verursacht. Ad 2) Dennoch zeichnet sich die neue Ordnung – und das zum ersten Mal – nicht durch in jeder Hinsicht unterlegene Menschen aus. Nur machtpolitisch sind ihnen die Affen überlegen, aber keineswegs zivilisatorisch oder evolutio- när.11 Wird zudem bedacht, dass die Affenzivilisation selbst ein Produkt der Menschheit darstellt, dann ist der neuen Ordnung von vornherein die ideolo- gische Berechtigungsgrundlage entzogen. Ad 3) Demgemäß liegt auch die erfolgreiche Reinstallierung der alten Ord- nung, die ja ohnehin als ideologisch präjudiziert angesehen werden muss, im Fokus des Dargestellten. Beides umso mehr, weil die Menschheit die Phase der Unterdrückung durch die Affen zum ‚Gesund-Wildern’ genutzt hat und sich im konfliktverursachenden Protagonisten ein integrer Anführer gefun- den hat. Die Metatilgung erfolgt dann auch ideologiekohärent durch eine zum Freiheitskampf stilisierte, offene Feldschlacht von Volk gegen Volk und Führer gegen Führer. Das Sujet des Kampfes für die natürliche und richtige Ordnung wird zudem durch die Schlusssequenzen perpetuiert. Obwohl bzw. gerade weil durch die gelungene Konflikttilgung kein inkonsistenter Zustand zwischen Raum und Protagonist mehr besteht, verlässt dieser dennoch den fremden Planeten um auf die heimische Erde zurückzugelangen. Was jedoch ähnlich wie schon bei der ersten Verfilmung aus Sicht des Konsistenzprinzips eigentlich keinen Sinn ergibt, ist umso mehr aus ideologischer Perspektive sinnvoll. Da zeitversetzt auch auf der Erde die Transformation von der ‚rich- tigen’ zur ‚falschen’ Ordnung stattgefunden hat, steht der Held wieder im Konflikt mit der dortigen Ordnung, sodass ein weiterer Kampf beginnen kann, beginnen muss. 3. Dependenzen zum zeitgenössischen Denksystem 3.1 Referenzialität Wenn den drei Texten wirklich eine Referenzialität auf die jeweils zeitgenös- sische außertextuelle Wirklichkeit zugesprochen werden soll, so sind andere als nur die eigentlichen Lesarten von Affe und Mensch nötig. Auch wenn durch das narrative Grundmodell allein das semantische Merkmalspaar ‚fremd’ vs. ‚eigen’ gesetzt wird, ist dennoch eine willkürliche Substitution nicht statthaft. Der jeweils konkrete textinterne Kontext legt nämlich in allen drei Texten eine relativ strikte Lesart fest: Im Roman erscheint nur eine gleichzeitige Substitution der Affen-Zivilisation durch die Sowjetunion und 246 die der Menschheit durch die ‚westliche Welt’ als sinnvoll.12 Dagegen ist in der Neuverfilmung die Substitution der Menschheit durch die USA explizit vorgegeben, wohingegen der Affe prinzipiell für alles Nicht-amerikanische offen gehalten wird. Nur die erste Verfilmung verzichtet auf eine einschrän- kende Substitution der Menschen, was aber zur vollen Entfaltung des ideolo- gischen Potenzials nötig ist, da eine konkrete Referenzzuweisung dem uni- versellen Charakter der atomaren Katastrophe zuwiderlaufen würde. 3.2 Dependenzen zum kulturellen Hintergrund Mögen sich Roman als auch erste Verfilmung in den Gründen des Scheiterns der jeweiligen Ordnung auch diametral unterscheiden, im Hinblick auf die elementare Aussage zeichnen sich jedoch beide durch den gleichen Pessi- mismus aus und spiegeln zwar unterschiedliche, aber dennoch substanzielle Ängste der 60er Jahre wider: die Angst des Westens vor einer übermächtigen Sowjetunion sowie die weltweite Angst vor einer allgemeinen atomaren Ka- tastrophe. Die Neuverfilmung dagegen vollzieht mehr als 30 Jahre später einen eindeu- tigen Paradigmenwechsel. Zwar sieht sie die Ursachen einer Ordnungstrans- formation tendenziell ähnlich wie der Roman, doch unterscheidet sie sich von beiden Prätexten darin, dass sowohl Ursache als auch Erscheinung er- folgreich bewältigt werden können. Sie müssen es geradezu, da es sich bei der eigenen Ordnung, beim eigenen politischen und gesellschaftlichen System eo ipso um das einzig richtige handelt. Nur aufgrund selbst verschuldeter Un- vorsichtigkeit kann es überhaupt zu einem Systemwechsel kommen, weshalb – und das ist ein argumentatives Paradoxon – sich Volk und politische Füh- rer in einem steten existenziellen Kampf um die eigene, richtige Ordnung be- finden. Die mit den drei Jahrzehnten einhergegangen weltpolitischen und damit auch mentalen Veränderungen sind an der letzten Verfilmung gut er- kennbar, spiegelt sich darin doch das ambivalente Selbstbildnis der US- Amerikaner nach dem Zerfall der Sowjetunion wider: einerseits der uneinge- schränkte Glaube an sich selbst und das über den Kommunismus siegreiche System und andererseits die gleichzeitige Angst vor möglichen, aber nicht definierbaren Feinden in einer nunmehr multipolaren Welt. 1 ‚Text’ wird hier immer im Sinne des weiten Textbegriffs, der auch Filme mit einschließt, verstanden; soll hingegen nur vom Roman von Pierre Boulle die Rede sein, so wird der Beg- riff ‚Roman’ verwendet. 2 Boulle, Pierre: Planet der Affen. München: Heyne 2001 [1963]. 3 Planet of the Apes (Planet der Affen, USA 1968, Franklin J. Schaffner); Planet of the Apes (Planet der Affen, USA 2001, Tim Burton). 247 4 Beim hier verwendeten Modellbildungssystem handelt es sich um eine Adaption der Grenzüberschreitungstheorie von J.M. Lotman und K.N. Renner. Auf einführende Bemer- kungen musste leider verzichtet werden, doch sei an dieser Stelle zumindest auf den Beitrag von Hans Krah (Krah, Hans: Räume, Grenzen, Grenzüberschreitungen. Einführende Überle- gungen. In: Ders. (Hg.): Räume, Grenzen, Grenzüberschreitungen. Bedeutungs-Welten in Literatur, Film und Fernsehen. Tübingen: Narr 1999, S.3-12.) verwiesen, der als guter Aus- gangspunkt für eine Vertiefung dienen kann. 5 Vgl. Grimm, Petra: Filmnarratologie. Eine Einführung in die Praxis der Interpretation am Beispiel des Werbespots. München: diskurs film 1996, S.155ff. 6 Vgl. dazu Titzmann, Michael: Kulturelles Wissen – Diskurs – Denksystem. Zu einigen Grundbegriffen der Literaturgeschichtsschreibung. In: Zeitschrift für französische Sprache und Literatur 94, 1989, S.47-61. 7 ‚Ideologie’ wird hier stets in einem neutralen Sinne als die kohärente Gesamtheit der jewei- ligen Werte- und Normenvorstellungen verstanden. 8 Dass in der ersten Verfilmung nicht wirklich ein zweiter Planet existiert, hat für die Modell- bildung keinerlei Folgen, da der erforderliche oppositionelle Raum durch die temporale Ver- schiebung konstituiert/konstruiert wird. Nur in semantisch-ideologischer Hinsicht hat die Tatsache, dass der ‚fremde’ Raum nur illusioniert wird und eine echte Doppelung damit nicht vorhanden ist, Konsequenzen; siehe dazu weiter unten. 9 Diese Analogie manifestiert sich kulminativ im Expeditionsleiter der Gruppe Prof. Antelle: Gerade weil er als genialster Wissenschaftler seiner Zeit gilt, vollzieht er den Übergang zum tierischen Dasein im Zeitraffer. 10 Gerade dies ist die Aufgabe von Zaius, dem obersten Glaubenshüter und zugleich Wissen- schaftsminister der Affen-Zivilisation: Sein Wissen um die erst technisch möglich gewordene Apokalypse und seine Machtbefugnisse dienen ihm zu einer sakral legitimierten Unterbin- dung von Forschung mit möglichem apokalyptischem Potenzial (vgl. Papierflugzeugszene). Positive Absichten können ihm dabei im Verlauf der Handlung immer weniger abgesprochen werden und die Kontrastierung von äffischer Fortschrittsunterbindung und menschlichem Fortschrittsstreben in den Schlussszenen des Films zeigt eindeutig die Folgen der jeweiligen Einstellung zur Technik: hier Ordnungsbewahrung, dort absolute Ordnungszerstörung. 11 Abgesehen davon, dass den Affen weiterhin tierische Attribute zugeschrieben werden, muss selbst deren oberster militärischer Führer zugestehen, dass der Mensch gerade im Hinblick auf sein technisch-wissenschaftliches Potenzial dem Affen stets weit überlegen blei- ben wird. 12 Den deutlichsten Indikator dafür stellt der technische Forschungsstand der Affen in der Raumfahrt dar: erst der Abschuss eines unbemannten Satelliten; dann der erste tierisch be- mannte Raketenstart. 248