160 MEDIENwissenschafi 2/2007 Steffen Burkhardt: Medienskandale. Zur moralischen Sprengkraft öffentlicher Diskurse Köln: Herbert von Halem Verlag 2006, 485 S., ISBN 978-3-938258-27-9, € 34,- Skandale in den öffentlichen Medien gibt es, so Steffen Burkhardt, seit der Erfindung des Buchdrucks und von Anfang an wurden sie politisch genutzt und moralisch bewertet. In seiner umfangreichen Untersuchung geht der Autor den Funktionen und den Mechanismen von Skandalen nach, wobei er Beispiele (ausführlich wird der Fall Friedman analysiert) und allgemeine Aussagen auf überzeugende Weise miteinander verknüpft. Minutiös kreist er den Begriff des Skandals ein, um danach seine Geschichte zu skizzieren. Medienskandale defi- niert Burkhardt als „spezifische Konstrukte des Mediensystems" (S.43). Die wie- derholte Berufung auf den Konstruktivismus (das Literaturverzeichnis nennt allerdings weder Ernst von Glasersfeld noch Heinz von Foerster) kann jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Prämissen dieser Welt-Anschauung in der Argumentation gelegentlich durchbrochen werden. Immer wieder betont Burk- hardt die Konstruktion des Medienskandals, seine narrative Struktur. Zwischen dem Medienskandal und dem nichtmedialen Skandal erkennt er grundsätzliche Unterschiede, die er im Einzelnen benennt. Der Autor zeigt, wie Skandalereig- nisse politisiert werden, wie ihnen eine politische Relevanz zugeschrieben wird, die politisches Handeln erfordert. ,,Medienskandale sind, funktional betrachtet, Märchenfiir Erwachsene.' (S.326) Bei der Beschreibung narrativer Strukturen und gängiger Mechanismen von Medienskandalen stellt Burkhardt mehrfach Analogien zu literarischen Gattungen her. Anders aber als die Belletristik, haben Skandale unter anderem die Funk- tion, Machtstrukturen in sozialen Systemen zu aktualisieren (vgl. S.342). Im Medienskandal erkennt Burkhardt ein „Frühwarnsystem der Gesellschaft" (S.360) - und darin besteht nach seiner Einschätzung die soziale Relevanz von Skanda- len. Es liegt im Wesen solch einer Untersuchung, dass sie ihren Gegenstand auf- Medien/ Kultur 161 wertet. Der Verfasser neigt dazu, die Konstruktion von Skandalen mit Bedeutung zu befrachten, die sie gewiss in vielen Fällen tatsächlich hat. Es fällt aber nicht schwer, Belege dafür zu finden, dass sich Skandale verselbständigen, dass sie der kurzfristigen Auflagen- oder Quotensteigerung dienen sollen und ebenso schnell vergessen werden, wie sie in Szene gesetzt wurden. Der Fall Friedman eignet sich hervorragend zur Plausibilisierung von Burkhardts Befunden. Es wäre eine Überprüfung wert, ob sich diese beispielsweise auch am Medienskandal um Thomas Bernhards Heldenplatz ( 1988) oder an jenem um Josef Ackermann und die Deutsche Bank verifizieren ließen. Auch diese wissenschaftliche Arbeit hat ihre narrative Struktur. Dem ungedul- digen Leser wollen wir verraten, dass der Autor in Kapitel 19.1 mit dem vielver- sprechenden Titel „Zusammenfassung und Fazit" auf elf Seiten so ziemlich alles auf den Punkt bringt, was er auf den übrigen 400 Seiten, nicht ohne Redundanzen, versteht sich, ausführt. Aber elf Seiten reichen wohl nicht für die Promotion. Thomas Rothschild (Stuttgart)