Siegfried Weischenberg: Nachrichtenschreiben. Journalistische Praxis zum Studium und Selbststudium.- Opladen: Westdeutscher Verlag 1988, 252 S., DM 29,80 Es spricht sich herum: Journalismus hat mehr mit Handwerk als mit der Gnade der frühen Begabung zu tun. Die Autoren der zahlreichen journalistischen Handbücher, die in den vergangenen Jahren erschienen sind, haben diese Erkenntnis jedoch nur bedingt berücksichtigt. An einem systematischen Lehrbuch mit Übungen fehlte es nach wie vor. Diese Lücke versucht nun der Münsteraner Kommunikationswissen- schaftler Siegfried Weischenberg zu schließen. Sein Buch "Nach- richtenschreiben" faßt langjährige Erfahrungen in der Hochschulausbil- dung von Journalisten zusammen. Es zeigt sich zugleich stark beeinflußt von didaktischen ethoden wie sie in den USA praktiziert werden. Die Stärke des Buches liegt vor allem in der Entmythologisierung journalistischen Schreibens und im klaren, systematischen Aufbau. In 20 Kapiteln vermittelt Weischenberg die Bauprinzipien der achricht als der zentralen journalistischen Darstellungsform, zitiert eine Fülle Itnn _ authentischer Beispiele und bietet zu jeder Lerneinheit einen Test mit praktischen Übungen an. Ein Anhang enthält die Lösungen. Nach einem konzentrierten Überblick über Nachrichtenfaktoren und journa- listische Darstellungsformen behandelt der Verfasser im einzelnen verschiedene Formen des Berichts, Regeln des Nachrichtenaufbaus und vor allem des Vorspannes. Er erläutert dann, wie sich das Schreiben einer Nachricht sinnvoll organisieren läßt, geht auf sprachlich-stilisti- sche Grundregeln (Tempus, direkte und indirekte Rede, Bindewörter, Satzbau und Wortwahl) sowie den Umgang mit Quellen, Zitaten und Personennamen ein. Großen Raum nimmt, vor abschließenden Hin- weisen auf journalistische 'Standards' wie Objektivität und Nachprüf- barkeit, das 'Featureschreiben ' ein. Vor allem die zentralen Kapitel, in denen Weischenberg geduldig und gründlich sprachliche Hilfestellungen und Konstruktionsregeln vermit- telt, sind für die Ausbildung ohne Zweifel hilfreich. Dem apodikti- schen Gehabe und dem damit verbundenen Wirrwarr bei der Definition journalistischer Darstellungsformen, auf den sich viele Handbücher kaprizieren, versucht Weischenberg zu entgehen; nach amerikanischem Verständnis verwendet er beispielsweise "für Unterhaltungsdarstel- lungsformen, die der Ergänzung der Nachricht, der Darstellung von Hintergründen und der Analyse von Ereignissen und Zuständen dienen, (... ) 'Feature' als Oberbegriff" (S. 30). Hierunter kann der Verfasser dann auch die Reportage subsumieren, eine Abgrenzung erübrigt sich (vg!. auch S. 14). Verwirrendes und Apodiktisches kehrt dann aber hier und da erneut ein. So verlangt Weischenberg im ersten Test doch wieder eine Abgrenzung von Feature und Reportage: Er gibt als Antwort vor, bei der Reportage stehe die "Aktualität", beim Feature das "Grundsätzliche" im Vordergrund (vg!. S. 224), eine zweifelhafte Defi- nition, zu der der Textteil mitnichten hingeführt hat. Verwirrend ist es auch, wenn es heißt "Das Feature ist also weder eine Meinungs- noch eine Nachrichtendarstellungsform" (s. 161), wenig später aber vom "Nachrichten-Feature" die Rede ist, zu denen Weischenberg auch "weiche Nachrichten" (soft news) zählt (vg!. S. 177ff). Von der Glosse heißt es richtig und im Gegensatz zu vielen Handbüchern, sie müsse "keineswegs immer leicht oder lustig sein" (S. 28). Was dem Begriff hier an apodiktischer Starre genommen wird, wird aber schnell ersetzt: "Auch die Glosse enthält eine Nachricht", heißt es an gleicher Stelle. Darüber ließe sich streiten, es wirft jedoch zumindest die crage auf, warum Weischenberg dann nicht auch die Kritik als Darstellungsform wenigstens erwähnt. Daß ein geschriebener Satz nicht mehr als 15 Wörter enthalten sollte (vg!. S. 142), ist als Faustregel für Verständlichkeit nur bedingt gültig, weil es die Satzkonstruktion außer Acht läßt. Diskussionswürdig ist auch die Ansicht, "guter Stil" verlange den "Nachweis eines großen Wortschatzes", Nachrichten hingegen verlangten "Direktheit, :Cürze, Prägnanz, Einfachheit und Klarheit der Sprache" (S. 141). Letzteres ist unbestritten, nur sehen alle ernstzunehmenden Stillehren genau darin, in Kürze, Prägnanz und Klarheit (und nicht im großen Wortschatz) das Geheimnis guten Stils. Bei aller lobenswerten Ausführlichkeit könnte dieses Lehrbuch an manchen Stellen eine Straffung vertragen. So steht zum Beispiel unter der Überschrift "Chronologie-Probleme" (S. 4of) substantiell das Gleiche wie unter der Überschrift "Höhepunkt-Definitionen" (S. 39f); ein Kapitel wird hier schlicht herausgeschunden. Schwerwiegender als das und auch als die oben genannten punktuellen Bedenken ist das Problem, wie Wissen in den Tests abgefragt wird. Die Idee, Textbeispiele umschreiben oder Lernabschnitte in wenigen Sätzen zusammenfassen zu lassen, ist durchaus richtig. Viele Fragen und praktische Übungen erlauben jedoch zwangsläufig Lösungsvarianten; der Leser, der das Buch im Selbststudium benutzt, findet im Anhang aber stets nur eine richtige Lösung und kann dazu verleitet werden, die eigene, unter Umständen durchaus angemessene Alternative zu verwerfen. Geradezu deprimierend kann die Übungsarbeit dann wer- den, wenn Weischenberg nach amerikanischem Muster unvollständige Sätze anbietet, in die Begriffe einzusetzen sind. Das sieht dann etwa so aus: "Vorsicht ist in Nachrichten beim Einsatz von ----------, ------------ und --------- geboten." (S. 158) Will man diese Löcher stopfen, dann muß man Weischenbergsche Lehrsätze regelrecht auswendig pauken. Und zwar Buchstabe für Buchstabe, den die 'Platzhalter' geben die Wortlänge genau vor. Wer die Lösung zwar weiß, sich an den verlangten Begriff aber nicht erinnert, stattdessen ein Synonym einsetzen möchte, das nicht 'paßt'; wer, schlimmer noch, nicht bedenkt, daß Weischenberg auch Anführungszeichen und Bindestriche durch 'Platzhalter' ersetzt (Test C), der kann hier verzweifeln. Für dieses System sollten sich Autor und Verlag bei einer zweiten Auflage unbedingt Neues einfallen lassen. Denn dieses Lehrbuch ist in seiner Idee, seinem Grundkonzept und seinem Materialreichtum zu wichtig, um nicht noch besser werden zu können. Gunter Reus