Eric RentschIer (Hrsg.): German Film and Literature. Adaptations and
Transformations.- New York, London: Methuen 1986, 385 S., E 11,95
Seit langem hat sich die Filmwissenschaft in den USA auch mit G
e-
schichte und Entwicklung des deutschen Films befaßt. Während in d
er
BR D häufig beklagt wird, es gebe keine funktionierende Diskussi
on
und nur ein gering entwickeltes Bewußtsein möglicher filmwisse
n-
schaftlicher Methoden und Erkenntnisse, wird die Situation in den US
A
als die eines gelobten Landes bestaunt. Als ein Beispiel geglückt
er
Zusammenarbeit deutscher, britischer und US-amerikanischer Filmw
is-
senschaftIer, zugleich als Resumee und Markstein eines vieldiskutie
r-
ten Problem- und Gegenstandsfeldes liegt jetzt der von E
ric
Rentschler herausgegebene Band IGerman Film and Literatur
e.
Adaptations and Transformations' vor.
Hatte Irmela Schneider in ihrem Buch 'Der verwandelte Text' die A
n-
strengung unternommen, bis dahin vorliegende Ansätze zu ein
er
Theorie der Literaturverfilmung und der daraus resultierenden film
-
analytischen Bemühungen zu sichten und deren Aporien eindrucksv
oll
vor Augen zu führen, so belegen die Beiträge dieses Bandes, daß au
ch
in der filmanalytischen Praxis die Auseinandersetzung um das Ve
r-
hältnis von Film und Literatur sich nicht mehr im ästhetische
n,
erzähltechnischen oder ideologiel ritischen Vergleich zwischen "Vo
r-
35°
lage" und "Ver-Filmung" erschöpft. Zweierlei ist beme
d rkie es ne sm weB rtan ad n: I. Hinter aller Bezugnahme auf die Literatur
d se er tzF til sm ichals eigenständiges Medium durch. 2. Die besondere L
d ei ie ss te us ngBandes liegt darin, in den zwanzig Einzelstudien zug
e li en ie chG fe as sc thichte des deutschen Films von den· Anfängen bis
sp inäte dn iesiebziger Jahre zu präsentieren.
Schon die Titel lassen keinen Zweifel daran, daß hier ein
f sil pm ezw ii fs iss ce hnschaftliches Interesse waltet. Es geht nicht um
s Eo wnd ee rsr 'n ,um Stellan Ryes 'Der Student von Prag', um Käutne
m rsan 'Hn auv po tn -Köpenick', um Günthers 'Lotte in Weimar'. Vo
K nap Ela .n Au nnnd Gertrud Koch bis zu Timothy Corrigan und A
v ne tore nin Kt ad eser Band eine Schar von Beiträgern, die in der E
d rfe os rsd che uu nts gchen Films und seiner Geschichte einigen Ruhm
U gn ed niein ßed ne .r Tat auch dadurch unterscheidet sich der Samme
m lba an nc dhe vm onanderen, daß die große Mehrzahl der in ihm abged
A ruu cf ks tä et nze keine Gelegenheitsarbeiten, sondern wohldurchda
d ci he tr et ,e, fua nu -f scharfsichtiger Analyse beruhende Beiträge darstellen..
In seiner Einleitung umreißt Rentschler die Auswahlkrit
F ei rl im ene dun ed rdie zentralen Fragestellungen der Untersuchunge
B n.egr Dif ef rder "adaptation" wurde weit gefaßt. Unter Ber
D ufu ud nle gy aA ufnderson besteht Rentschler darauf, jeder repräs
T ene tx it ers ee ni deAdaption einer älteren, zugrundeliegenden Konzept
F ia os ns .bi And uce hrs 'Ehe der Maria Braun"', der als Literaturverfilm
S ui nn gne imEstermanns nicht gelten könne, berufe sich auf Er
B zär hu lc uh ns gtü ec nk ,e einer kollektiven Erinnerung, die er zu einer kri
h ti is st co hr eis nchen Fiktion forme. - Die zentrale Frage, der das
au Msg ae ts ee rt iz at lwurde, lautete: Warum adaptieren die Filmem
s ati cm hem rte beS -toffe und Texte zu einer bestimmten Zeit? Zu ihrer
w Bo er atu nn t-g sollten soziale, historische und theoretische Frage
g se tez li le ul nt geneingesetzt werden, "to bring a livelier regard for
tex intu tea rl -ity to the study of German film and literature" (S. 5).
Als ein Beispiel dafür, wie dieser Anspruch eingelöst wird, sei h
B iee ritr da eg rvon Judith Mayne über Murnaus 'Nosferatu' kurz v
D oa rgvo en stea llu ts .gehend, daß schon der Begriff der Quelle im Hi
l nit be lr ica kris ac uh fe Prätexte für Filme problematisch ist, lautet ihre z
F er na tg re a: leOb überhaupt etwas gewonnen ist, wenn man einen
'N Fo ils mfer wat iu e' als Adaption von Stokers 'Dracula' untersucht
d .in Agu lsng Bee -iner ertragreichen Analyse benennt sie die hist
P oe rr iss cp he ektive, die ergänzende Fragestellung, welche hi
l se tg oi rt ii sm ca ht eo nr ,ischen und/oder ästhetischen Gründe für die Rück
d bes esinF nil um ngs auf Literatur im konkreten Fall vorliegen möge
w ne ,lc uh ne d- vielleicht verallgemeinerbaren Schlußfolgerungen d
z ao rg ae un s gw ee -rden können. Indem sie 'Dracula' (r897), dem zu
kom spm äten ge en -Sproß der Romantik, seine zeitgenössische Funkt
K ioo nnte imxt der zunehmenden Reflexion auf die Bedingungen
li uc nh dke Mite ön g-des Erzählens selbst zuweist: Die Versuche de
d rur Fc ih guT ree nx ,tersteIlung und -exegese auf die Lösung des Geheim
ge nl ia sn sg ee sn z, uerweisen sich als unzulänglich, erst die Hypnose bring
d ten esT anag - benennt sie eine zentrale historische Ebene
' ,No as uf fer dat eu r' weniger Transformation als vielmehr Komm
'D enra tac rula z' udarstellt. In diesem Sinne und unter Hinweis auf
351
psychoanalytische Ansätze der Filmanalyse versteht sie die narrativen
Unterschiede zwischen Roman und Film als Resultat eines
"displacement" (Verschiebung). Während in 'Dracula' der Vampir stets
Gegenstand von Erkenntnis oder doch zumindest von Strategien zu
ihrer Erlangung ist, löst der Film diese objektivierende Perspektive
auf. Dies geschieht etwa durch die relativierende Point-of-View-Tech-
nik, die den Wissenschaftler und den Geisteskranken analogisiert,
durch das wiederholte Motiv des Versagens der Sprache, sowohl in den
eigenartig hilflosen Zwischentiteln als auch in der Hilflosigkeit ange-
sichts der charakteristischen Bißmale. Während der Roman darin
kul miniert, daß alles Zwielicht vertrieben wird, richtet sich der Film
in diesem ein; er genügt dadurch seinen medialen Eigenschaften, die
die Filmerzählung in das Spannungsfeld von Oberfläche und Projektion
stellt.
Gegen Maynes psychoanalytisch motivierte filmtheoretische Schluß-
folgerungen ließe sich einwenden, daß sie durch die scharfsichtigen
Detailanalysen nicht immer ganz belegt sind; ob sie ihre Forderung
nach historischer Perspektive (trotz der kurzen Diskussion von Eisner
und Kracaued befriedigend einlöst, scheint zweifelhaft, dennoch
macht ihr Beitrag beispielhaft deutlich, wie die Konzentration auf die
Verschiedenheit der literarischen und filmischen Ausgestaltungen eines
Stoffes - statt der Suche nach Analogien - die anregenderen und
weitreichenderen Ergebnisse zeitigen kann. Die erwähnten Einwände
werden im Kontext des Bandes durch andere Beiträge aufgefangen: So
ist z.B. Russell A. Bermans Aufsatz über den 'Hauptmann von
Köpenick' zugleich eine Studie über die Wiederbewaffnung in den
fünfZiger Jahren. Da jeder der Beiträge dergestalt die Grenzen des ei-
genen Ansatzes bewußt ausschreitet, wird zwischen ihnen zugleich ein
Dialog ermöglicht, der über die Interpretationen der Filme hinaus den
Stand der filmanalytischen Diskussion umreißt.
Joachi m Schm itt-Sasse