Auf der Suche nach positiver Öffentlichkeit. Teilen und Mitteilen von Informationen im Alten Testament Claudia Paganini Abstract Ausgangspunkt für diesen Beitrag ist das Bestreben, für die Medienethik einen rekonstruktiven, minimalistischen Prinzipienansatz – nach dem Vorbild des Principlism – zu entwickeln. Anhand von Vorschriften, Selbstverpflichtungskodizes, Bräuchen und moralischen Überzeugungen werden dabei einige wenige Prinzipien mittlerer Reichweite erarbeitet, welche die Basis einer sogenannten common morality bilden. Auf der Suche nach solchen core elements werde ich die ältesten Texte der jüdisch-christlichen Tradition untersuchen und zwar nicht mit einem theolo- gischen oder historischen Interesse, sondern mit dem Interesse zu erkennen, ob ihre Forderungen zurecht als verpflichtend gelten können. 1. Common Morality als Ausgangspunkt Wurde Medienethik in der Zeit vor dem www hauptsächlich als Standesethik betrieben, ist spätestens mit dem Web 2.0 klar geworden, dass als Akteure nicht mehr vorwiegend Pro- fessionalisten zu gelten haben, sondern die Nutzer selbst, welche nunmehr Produzenten und Adressaten in einem sind. Damit stellt sich immer mehr die Frage, wie sich eine Kul- tur des Mitteilens von Wissen, Nachrichten und Informationen, eine Kultur des Teilens entwickeln kann; wie positive Öffentlichkeit zu verwirklichen, eine Öffentlichkeit, die Voraussetzung für das Funktionieren der Zivilgesellschaft ist. Auf der Suche nach einer solchen Kultur des (Mit)Teilens von Informationen sollen in diesem Beitrag die ältesten Texte des jüdisch-christlichen Glaubens analysiert werden. Dies geschieht nicht so sehr aus historischem oder theologischem Interesse, sondern als erster Schritt im Bemühen, für den Bereich des Medialen eine common morality zu rekon- struieren, aus der sich in weiterer Folge eine Prinzipienethik nach dem Vorbild von Tom Beauchamp und James Childress ableiten lassen könnte. Anliegen einer solchen Prinzipienethik ist es, aufgrund dessen, was Menschen üblicher- weise für moralisch richtig halten, einige wenige Prinzipien mittlerer Reichweite zu entwi- ckeln. Diese sind schwächer als Fundamentalprinzipien, müssen daher im konkreten Fall gegeneinander abgewogen werden und beziehen aus diesem Umstand zugleich ihre Stärke, nämlich eine gewisse Flexibilität und hohe Konsensfähigkeit. Wenngleich man in der Fachdiskussion uneins ist, auf welche Weise die common morality am besten erschlossen werden kann, scheint auf der Hand zu liegen, dass der Rückgriff auf schriftliche Quellen zumindest eine Möglichkeit darstellt. Solche Texte sind primär gesetzliche Regelungen, journalistische Kodices, schriftlich fixierte Verhaltensregeln (Netiquette) usw. 196 Claudia Paganini Es spricht aber nichts dagegen, in einem ersten Schritt den Blick auf eine Textsammlung zu richten, die unsere Gesellschaft maßgeblich beeinflusst hat, und sich zu fragen, ob bzw. wie das (Mit)Teilen von Informationen im Alten Testament thematisiert wird. Es fällt dabei zum einen auf, dass dem Mitteilen von Informationen ein hoher Stellenwert zu- kommt, zum anderen, dass zwischen Bedeutsamkeit des Inhaltes und dem Status des Mit- teilenden ein Zusammenhang besteht. Von daher kann das göttliche Mitteilen – bewusst nicht-theologisch verstanden – als eine Sonderform des Mitteilens wichtiger Inhalte aufge- fasst werden und ist als solches auch für den außerreligiösen Diskurs über medienvermit- telte Kommunikation von Interesse. 2. Kommunikation im Alten Israel Informationen werden im Alten Orient wie im Palästina des Alten Testamentes durch sichtbare bzw. hörbare Signale weitergegeben, mündlich oder schriftlich mitgeteilt. Belege für das Verwenden von akustischen Signalen sind heute vorwiegend im Zusammenhang mit kriegerischen Handlungen, insbesondere am Anfang eines Krieges, überliefert (Ri 3,27; 6,34; 7,8.16.20; 1 Sam 13,3; 2 Sam 20,1; Jer 6,1; 51,27; Hos 5,8; Am 2,2; Hi 39,25). Aber auch das Ende von Kämpfen (2 Sam 2,28; 18,16; 20,22) wurde mit dem durchdrin- genden Schall des Schofarhornes – eines mit Blasöffnung versehenen Widderhornes – angezeigt, ebenso das Einsetzen eines Königs (2 Sam 15,10; 1Kön 1,34.39.41; 9,13), ja in Joel 2,15 sogar der an das ganze Volk ergehende Aufruf zum Fasten. Kurze Nachrichten oder Einsatzbefehle konnten vermutlich ebenso mithilfe von Rauch- oder Feuerzeichen weitergegeben werden, die Rekonstruktion von Bauwerken aus dem 8. Jh. v. Chr. lässt auf bewusste Sichtverbindungen zwischen Hofanlagen schließen (Zwickel 2003, S. 114). Jedenfalls wurden akustische wie visuelle Signale nicht bloß ein einziges Mal abgegeben, sondern wurden zu Signalketten verknüpft, sodass man in kurzer Zeit selbst weit entfernte Adressaten erreichen konnte. Für kompliziertere bzw. längere Informationen wurde üblicherweise die mündliche Kom- munikation gewählt. So berichteten Reisende wie Händler, Handwerker oder Künstler bei ihrem Eintreffen am Stadttor von ihren Erlebnissen und wer – unabhängig vom Kursieren dieser eher zufälligen Mitteilungen – anderen eine Nachricht zukommen lassen wollte, entsandte einen Boten. Diese waren im königlichen Auftrag ebenso unterwegs wie im privaten und genossen z.T. besondere Rechte1. Der mal’ak (Bote) kommt im Alten Testa- ment 212mal vor und auch Propheten verstehen sich in ihrer mündlichen Zeugnistätigkeit als Boten Gottes bzw. werden als solche wahrgenommen. Schriftliche Fixierungen von Botschaften erfolgten besonders dann, wenn man aufgrund der Bedeutsamkeit der Inhalte Irrtümer ausschließen wollte bzw. um im Zweifelsfall die 1 Rolf Gundlach (2003), S. 28–29 – etwa zeigt dies für den ägyptischen „Boten des Wesirs“ der Frühen 13. Dynastie. Auf der Suche nach positiver Öffentlichkeit 197 Autorität des Berichteten zu erhöhen. Der Umstand, dass sich durch archäologische Funde lediglich der Briefverkehr zwischen Machthabern unterschiedlicher Länder bzw. zwischen Mitgliedern der inländischen Oberschicht, nicht aber innerstädtische private Schrift- Kommunikation nachweisen ließ, stützt diese These. Da die außertextliche Quellenlage davon abgesehen aber eher dürftig ist, werde ich mich im Folgenden auf den alttestament- lichen Textbefund konzentrieren. 3. Pentateuch In den ersten fünf Büchern des Mose (griechisch „Pentateuch“, hebräisch „Torah“) kommt dem Mitteilen von Information ein hoher Stellenwert zu. Wenngleich sich das göttliche Sprechen im ersten Schöpfungsbericht (Gen 1,1–2,4) nicht explizit an einen Adressaten wendet, stehen schon hier Namensnennung und Schöpfungshandeln in einem unmittelba- ren Zusammenhang. Beschränkt man sich in der Analyse aber auf Textpassagen, die un- missverständlich von einem Weitergeben von Inhalten an andere Menschen handeln, ver- dienen Stellen wie Genesis 24 oder Exodus 20–23 besondere Aufmerksamkeit. In Gen 24 sendet der hoch betagte Abraham einen Knecht aus, um in Chaldäa eine Frau für seinen Sohn Isaak zu finden. Bereits in Vers 2 wird klar, dass für diese Aufgabe nicht ein x-beliebiger Diener in Frage kommt, sondern Abraham die wichtige Botschaft nur „seinem Knecht, dem Ältesten seines Hauses, der alles verwaltete, was er hatte,“ anver- trauen kann. Durch die Rückfrage des Knechtes in Gen 24,5 wird die Wichtigkeit des Botenganges noch unterstrichen, ebenso durch die Aufforderung zum Schwören sowie durch den erfolgten Schwur in Gen 24,9. Als der Knecht schließlich in der Nähe der Stadt Nahor eintrifft, betet er – vor dem Überbringen der Botschaft – zu JHWH (unvokalisierter Eigenname Gottes), dass dieser ihm Gnade erweisen und den Kommunikationsakt gelin- gen lassen möge. Noch strengeren Eignungskriterien muss dann diejenige Person entsprechen, die als Mitt- ler zwischen Gott und Mensch auftreten wird: Bevor Mose nämlich in Ex 20 den Israeliten die Worte Gottes mitteilt, wird um seine Gestalt eine Geschichte gewoben, mithilfe derer Mose mehrfach autorisiert wird und zwar aufgrund seiner Herkunft, durch besondere Cha- raktermerkmale und schließlich Kraft seine Berufung am brennenden Dornbusch – wo der Auftrag übrigens parallel zu Gen 24 durch mehrfaches Rückfragen eine Klärung und Veri- fizierung erfährt. Mose darf dem Volk Gottes Botschaft überbringen, weil er ein Nach- komme aus dem Haus Levi ist, im unmittelbaren Umfeld des Pharaos groß wird, über einen starken Sinn für Gerechtigkeit verfügt (zweimalige Intervention in Ex 2,11–15) und außerdem von Gott selbst auserwählt worden ist. Noch überboten wird dieses mündliche Mitteilungshandeln durch die Verschriftlichung. Während die Periode vor dem Exodus aus Ägypten als schriftlose Zeit gelten kann (Bun- desschließung – Gen 15; 17 – und Landanspruchsverträge – Gen 23 – werden nicht schriftlich fixiert), wird im Kontext mit dem Bundessschluss am Sinai zum ersten Mal von 198 Claudia Paganini der Schreibtätigkeit Moses berichtet (Ex 24,4). Bemerkenswert ist hier, dass die wichtigs- ten Worte, die Zehn Gebote, direkt von JHWH geschrieben werden. Die höchste Stufe der Autorisierung ist also das göttliche Schreiben, bildlich zum Ausdruck gebracht in Ex 31,18 und in Dtn 9,10, wo es heißt, dass JHWH mit seinem Finger schreibt. Im Buch Deuteronomium kommen neben Mose (Dtn 31,9.24) zwei weitere Subjekte des Schreibens in den Blick, nämlich der König, welcher in Dtn 17,18 eine ihn auf das göttli- che Gebot verpflichtende Abschrift „dieses Gesetzes“ anfertigen soll, und das Volk, wenn es in das gelobte Land hinüberzieht (Dtn 27,3.8) (Paganini 2009, S. 266–280). Angesichts dieser mehrfachen Betonung des (Fest)Schreibens zentraler Inhalte fällt umso mehr auf, dass die verschrifteten Informationen nicht ein für alle Mal unverändert bleiben müssen. So werden die Zehn Gebote und das Bundesbuch von Ex 20–23 innerhalb des Erzählbo- gens2 der Torah in Dtn 5 und Dtn 12–26 aufgegriffen, aktualisiert und fortgeschrieben, sodass heute de facto zwei Versionen vorliegen. Interessant ist in diesem Zusammenhang die Frage, wer eine Anpassung bedeutsamer schriftlicher Mitteilungen durchführen darf bzw. unter welchen Umständen dies geschehen kann. Innerhalb des Pentateuch findet man dazu zwar keine ausdrückliche Anweisung, jedoch erfolgen die zahlreichen Gesetzesrevisionen (Fischer 2000, S. 84) stets unter Beru- fung auf die Schlüsselfigur Moses. Betrachtet man die Wirkungsgeschichte der Torah, lässt sich feststellen, dass Aktualisierungen des Gesetzes mehr und mehr durch die Zuhö- rerschaft autorisiert werden3. In verschiedenen Texten der Dead Sea Scrolls ist es der „Lehrer der Gerechtigkeit“, den das an ihn glaubende Volk zum Fortschreiben der Heili- gen Texte legitimiert, im Neuen Testament kommt diese Rolle Jesus zu. 4. Geschichtsbücher Wird schon in Num 21,15 die Schilderung auf ein „Buch der Kämpfe JHWHs“ zurück bezogen, ist es in den Geschichtsbüchern dann gang und gäbe, auf andere – heute nicht mehr zur Verfügung stehende Bücher – zu verweisen. Das Bauen eines Altars auf dem Berg Ebal (Jos 8,31) erfolgt in Erinnerung an das „Buch des Gesetzes“ – welches in Jos 24,26 weiter geschrieben wird – und Jos 10,13 nennt ein „Buch Jaschar“ als Quelle der Erzählung. 1 Kön 11,41 verweist – wenn es um das Lebenswerk Salomos geht – auf das „Buch der Geschichte Salomos“, 1 Kön 14,19 bezüglich der Taten Jerobeams auf das „Buch der Geschichte der Könige von Israel“ und 1 Kön 15,7.23 – wo die Geschichte Abijas berichtet wird – auf das „Buch der Könige von Juda“, um nur einige wenige Bei- spiele anzuführen. 2 Historisch gesehen ist zumindest für den Dekalog eine Beeinflussung in der umgekehrten Richtung anzunehmen, wie zuletzt Dohmen 2004, S. 92–101, gezeigt hat. 3 Eine erst Autorisierung des Bundesbuches durch das Volk findet sich bereits in Ex 24,7. Auf der Suche nach positiver Öffentlichkeit 199 Durch den Verweis auf Bücher sollte zum einen die Glaubwürdigkeit des Mitgeteilten erhöht werden, zum anderen wollte man sich möglicherweise die aufwändige Schreibar- beit ersparen, alle Ereignisse im Leben eines Königs – noch einmal – einzeln niederzu- schreiben. Ob die genannten schriftlichen Quellen zur Zeit der Textentstehung noch zu- gänglich waren, ist nicht rekonstruierbar, auffällig ist jedoch, dass in dem drei bis vier Jahrhunderte später entstandenen zweiten Chronikbuch statt von unterschiedlichen, na- mentlich genannten Büchern nur noch pauschal vom „Buch der Geschichte von Juda und Israel“ die Rede ist (2 Chr 16,1). Einen weiteren interessanten Aspekt stellt das – in den Geschichtsbüchern mehrfach er- wähnte – öffentliche Verlesen zentraler Texte dar. In 2 Kön 22 wird berichtet, dass im 18. Jahr des Königs Josias das „Buch des Gesetzes“ aufgefunden worden ist. Dieses wird in der Folge dreimal gelesen, zweimal vom Schreiber Schafan, der das Buch zunächst selbst liest und dann dem König vorliest, das letzte Mal in coram publico: für „alle Männer von Juda und alle Einwohner von Jerusalem […] und die Priester und die Propheten und alles Volk, vom Kleinsten bis zum Größten“ (2 Kön 23,2). Das an alle mitgeteilte Gesetz be- wirkt eine allgemeine Buße, eine Kultreform, die sich primär in der Abkehr vom Götzen- dienst äußert. Diese weitreichenden Folgen unterstreichen die Verbindlichkeit, welche durch das Verlesen entsteht, wie auch der Umstand, dass das mündlich bekannt gemachte Gesetz nicht nur die Menschen, sondern Gott selbst bindet. In Esra 7 wird dann der Brief des persischen Königs, in dem Esra als Gesandter für Judäa bestätigt wird, verlesen und in Nehemia 8 trägt Esra in Gegenwart „der Männer und Frauen und aller, die es verstehen konnten“ (Neh 8,3) das „Buch des Gesetzes“ vor. Als Folge wird vom Weinen des Volkes berichtet, woraufhin dieses mehrmals getröstet bzw. aufgerufen wird, sich an Gottes Gegenwart zu erfreuen. Den umgekehrten Weg geht 1 Sam 10,25, wo dem Volk das Recht des Königtums zunächst mündlich mitgeteilt und daraufhin in ein Buch geschrieben wird. Neben diesen Vorkommen des Wortes sēper (Schriftstück) wird an mehreren Stellen von Briefen berichtet, die in der überwiegenden Zahl in einem negativen Kontext stehen: In 2 Sam 11,14–15 sendet David einen Brief an Joab, um den Tod Uriahs herbeizuführen, in 1 Kön 21 ergehen im Namen Ahabs mehrere Briefe der Königin Isebel an die Ältesten und Vornehmen, wodurch der Tod Nabots veranlasst wird. Der Brief von 2 Kön 5,6 hat zwar einen positiven Inhalt, wird aber im Sinn einer Provokation missverstanden, in 2 Kön 10 bahnt ein Brief eine Kriegskoalition und damit den Tod der 70 Söhne Ahabs an. Auch in Esther 3,13 sollen Briefe die „Ausrottung“ der Juden „vom Knaben bis zum Greis, Kinder und Frauen“ verursachen und in 9,25 wiederum ein Brief die Hinrichtung (Esther 9,25: „So hängte man ihn und seine Söhne am Holzpfahl auf.“) der Gegenpartei. In 2 Chr 32,17 löst ein Brief zwar nicht Mord und Totschlag aus, dient aber der Verhöhnung Gottes. 200 Claudia Paganini 5. Prophetie In den drei großen und zwölf kleinen Prophetenbüchern begegnet sēper deutlich seltener: In Jes 29,18 wird das Motiv des Verlesens wieder aufgegriffen und mit der Formulierung „an jenem Tag werden die Tauben die Worte des Buches hören“ eschatologisch zuge- spitzt. In Jes 30,8 ist von Worten die Rede, die für die Ewigkeit geschrieben sind, und Jer 36,23 berichtet von der Zerstörung von Schriftrollen mit unangenehmen Nachrichten. Es heißt: „Und es geschah, sooft Jehudi drei oder vier Spalten vorgelesen hatte, zerschnitt sie der König mit dem Schreibermesser und warf sie in das Feuer […] bis die ganze Rolle im Feuer […] vernichtet war.“ Von diesen und anderen Wort-Vorkommen abgesehen, er- scheint der Umgang mit schriftlichen Mitteilungen im Zusammenhang mit der Prophetie jedoch weniger ergiebig als die Art und Weise, wie mündliche Mitteilungen erfolgen. Wenngleich uns heute nicht O-Ton-Aufzeichnungen eines Jesaja, Micha oder Obadja vorliegen, sondern Textzeugnisse, die aus den Prophetenschulen im Umfeld dieser Schriftpropheten stammen und eine Weiterentwicklung der ursprünglichen Botschaft dar- stellen, können aus der Art und Weise, wie die Propheten und ihr Handeln präsentiert werden, für unsere Fragestellung weiterführende Beobachtungen gewonnen werden. Dies gilt nicht für jene Texte, die zum größten Teil eine bestimmte prophetische Botschaft ver- mitteln, sehr wohl aber für Bücher, die eine Rahmenerzählung bzw. Rahmennotizen zum Leben und Wirken des Schriftpropheten beinhalten. Solche Rahmennotizen finden sich etwa im Fall von Hosea, den Gott auffordert, seine Un- heilsbotschaft durch die Zeichenhandlung, eine Hure zu heiraten, noch zu verstärken. Passend zum Untergangsszenario seiner Predigt heißen die Kinder, die Hosea in dieser Ehe geboren werden, „Jesreel“ (Name erinnert an Bluttat König Ahabs gegen Naboth), „Lo-Ruhama“ („Kein-Erbarmen“) und „Lo-Ammi“ („Nicht-Mein-Volk“). Symbolhand- lungen, welche die mündliche Botschaft des Propheten unterstreichen, finden sich ver- mehrt auch bei Ezechiel – so etwa die nachgestellte Belagerungssituation (Ez 4,1–3), das Essen von unreinem Brot (Ez 4,9–17), das Vernichten der eigenen Haare (Ez 5,1–17) usw. (Lang 1981, S. 175–180) Beim Propheten Jeremia dagegen spielt die Unterscheidung zwischen wahren und falschen Propheten eine wichtige Rolle, wobei man wahre Propheten daran erkennt, dass ihre Worte Wirklichkeit werden. Da es sich bei ihnen aber meist um Unheilspropheten handelt, sind gerade die wahren Propheten bei den jeweiligen Machthabern oftmals nicht beliebt (Jer 11,21: Berufsverbot; 15,15; 17,18: Verfolgung; 20,2; 29,26: Festnahme und Folter; 26,8.11: Tötungsbegehren durch Priester und Volk; 36,23.26: Verbrennung seines Buches und Befehl zur Festnahme; Fischer 2011, S. 129–141). In Amos 7,14–15 erfährt man aus dem Mund des Propheten, dass dieser nicht aus eigenem Antrieb die Botschaft Gottes zu verkünden begonnen hat. Dass er lieber weiterhin sein Vieh gehütet hätte, wird zwar nicht explizit gesagt, klingt bei seiner Klage jedoch deutlich an: „Ich bin kein Prophet und kein Prophetensohn, sondern ein Viehhirte bin ich und ein Maulbeerfeigenzüchter. Aber JHWH Auf der Suche nach positiver Öffentlichkeit 201 holte mich hinter dem Kleinvieh weg und JHWH sprach zu mir: Geh hin, weissage mei- nem Volk Israel!“ Die in Amos bloß angedeutete Problematik der unbequemen Verkündigung erreicht in der Jona-Erzählung ihren Höhepunkt (Kegler 2001, S. 171–213). Nachdem Gott Jona aufge- fordert hat, gegen die Stadt Ninive zu predigen, macht sich der Prophet nicht etwa freudig auf, seinen Kommunikations-Auftrag umzusetzen, sondern flieht vor seiner Aufgabe und zwar mit einem Schiff, das nicht nach Ninive, sondern nach Tarsis in die entgegengesetzte Himmelsrichtung fährt. Und auch nachdem Sturm, Schiffbruch und der 72-stündige Auf- enthalt im Bauch eines großen Fisches Jona zum Gehorsam gebracht haben, kommt er Gottes Wunsch, den Menschen seine Botschaft mitzuteilen, nur schleißig nach: Ninive ist nämlich eine große Stadt, für deren Durchwanderung man drei Tage benötigt. Jona jedoch macht schon nach einem Tagesmarsch kehrt und findet sich also damit ab, dass zwei Drit- tel der Menschen die für sie bestimmte Nachricht nicht hören konnten. Interessant ist weiters die wütende Reaktion Jonas, als Gott den Einwohnern von Ninive ihr Buß- und Umkehrverhalten positiv anrechnet und die Stadt vor Zerstörung verschont. Jona ist zornig, weil die eigene Unheilsprophezeiung nicht eintreffen wird, weil er Unrecht hatte, und kann schließlich nur mithilfe der sehr anschaulichen göttlichen Pädagogik (Rizinus-Strauch) davon überzeugt werden, dass ihn der mögliche Tod von „mehr als 120.000 Menschen […] und einer Menge Vieh“ (Jon 4,11) mehr betrüben sollte als das Nicht-Eintreffen seiner Weissagung. 6. Weisheitsliteratur Ausdrückliche Hinweise auf das schriftliche Mitteilen von Informationen liegen in der Weisheitsliteratur kaum vor, zumal sich Texte wie die Psalmen oder das Hohe Lied der Liebe aufgrund ihres poetischen Charakters für die vorliegende Untersuchung schlecht eignen. Erwähnenswert sind in diesem Zusammenhang Koh 12,12, wo mit der Klage, dass dem vielen Büchermachen kein Ende sei, ein negativer Akzent gesetzt wird, und Hiob 19,23, wo der Protagonist fordert, seine Worte sollen in einem Buch niedergeschrieben werden. Fündig wird man jedoch – was die mündliche Kommunikation betrifft – im Hiob-Buch, das geradezu als Musterbeispiel für misslingende Kommunikation gelten darf. Während die Rahmenhandlung Gottes Wette, die vorbildliche Lebensführung Hiobs, sein unver- schuldetes Leid und schließlich die Wiederherstellung seines Reichtums, seiner Gesund- heit und seines Glücks schildert, besteht der Hauptteil des Buches aus Dialogen. In diesen Dialogen klagt Hiob seinen drei Freunden Elifas, Bildad und Zofar sein Elend und wird anstatt mit Mitleid und Einfühlungsvermögen mit besserwisserischen Abhandlungen zur göttlichen Allmacht und Gerechtigkeit konfrontiert. Das Unverständnis auf beiden Seiten spitzt sich immer mehr zu, sodass Hiob beim Einsetzen der ersten Gottesrede längst nicht mehr „nur“ unter dem Verlust seines Reichtums, seiner Kinder und seiner Gesundheit zu 202 Claudia Paganini verzweifeln droht, sondern auch an der Gesprächssituation selbst, haben ihn die Freunde doch durch ihre Selbstgerechtigkeit und Kommunikationsunfähigkeit immer mehr in die Isolation getrieben. Woran es schließlich liegt, dass die beiden Gottesreden eine Wende bringen und Hiobs Klagen verstummen lassen, wird in der Exegese kontrovers diskutiert. Während die einen die göttliche Pädagogik loben und Hiobs Aussage „Darum verwerfe ich mein Geschwätz und bereue in Staub und Asche.“ (Hiob 42,6) als versöhntes Bekenntnis zur Allmacht Gottes werten, kritisieren die anderen Gottes unzureichendes Eingehen auf die Argumente Hiobs und deuten Hiobs letztes Statement negativ als Resignation. Die Frage, ob das Ge- spräch zwischen Gott und Hiob der Auseinandersetzung mit den Freunden als gelungene Kommunikation gegenüber gestellt werden darf, kann daher an dieser Stelle nicht ent- schieden werden (Krüger et al. 2005). Haben die bisherigen Überlegungen primär die textimmanente Ebene betroffen, möchte ich der Textanalyse abschließend noch eine Beobachtung zur Texthermeneutik anfügen. Betrachtet man die diachrone Entstehungsgeschichte der Texte, fällt auf, dass im gesamten Alten Testament ein selektives Mitteilen von Inhalten stattfindet. Manche Informationen werden aufgegriffen, andere ausgeklammert oder uminterpretiert. So greift Gen 1 Formu- lierungen und Bilder aus den diversen Schöpfungsmythen des Alten Orients auf, erzählt diese jedoch nicht unkritisch nach, sondern setzt eigene, entscheidende Akzente: Sonne und Mond, die im Alten Orient als Gottheiten verehrt wurden, sind in der Genesis-Erzäh- lung nur noch Produkte des einen allmächtigen Gottes (Kooij 2010, S. 3–22). Damit wird zugleich eine Überlegenheit des eigenen Gottes – und also auch des eigenen Volkes – behauptet, die in der Zeit der Textentstehung gerade nicht historische Realität war (Exil- situation und Ohnmacht-Position Israels gegenüber der Fremdmacht Babylon). Das deuteronomische Geschichtswerk erzählt die Geschichte Israels als Geschichte der Könige und endet in 2 Kön 25,27–30 negativ mit dem babylonischen Exil. Spätere Gene- rationen haben dann weitere vier Verse hinzugefügt (Janzen 2008, S. 39–58; Levenson 1984, S. 353–361), die im Textganzen als deutlicher Bruch wahrnehmbar sind, deren In- halt – die Begnadigung des Königs Jojachins – aber das Werk mit einem weniger depri- mierenden Schlussscenario enden lässt. Als weiteres Beispiel sei Jes 39 genannt, das im Jahr 702 – der Rettung Jerusalems vor den Assyrern – spielt. Zwischen Jes 39 und 40 macht die Erzählung einen Sprung von rund 160 Jahren und fährt – ohne das Jahr 587 und die Eroberung Jerusalems durch die Babylonier auch nur erwähnt zu haben – mit der Frohbotschaft vom Ende des Exils fort (Berges 1998, S. 265–321; 2000, S. 167–198). 7. Ertrag für die Medienethik Versucht man, eine Brücke zwischen den zwei sehr unterschiedlichen Disziplinen mo- derne Medienwissenschaft und alttestamentliche Exegese zu schlagen, ist man mit dem grundsätzlichen Problem konfrontiert, einen interdisziplinären Medienbegriff zu entwi- Auf der Suche nach positiver Öffentlichkeit 203 ckeln, der in beiden Bereichen stimmig und leistungsfähig ist. Wählt man einen sehr wei- ten Medienbegriff, gelingt es leichter, in Bezug auf die Antike von Medien zu sprechen, allerdings nimmt der Nutzen eines solchen Begriffs gleichermaßen ab. Da die Diskussion eines in der Gegenwart wie in der Antike brauchbaren Medienbegriffs den Rahmen dieses Beitrags gesprengt hätte, wurde darauf verzichtet, unterschiedliche Vorschläge zu unter- breiten und zu diskutieren. Nichtsdestotrotz bin ich mir der Problematik sehr wohl bewusst und habe mich daher primär auf schriftliche Medien konzentriert. Zweifelhafte Kandidaten wie „Menschmedien“ (Priester, Prophet, König) oder antike Realien (Inschriften, Münzen, Siegel, Baudekor etc.) wurden dagegen ausgeklammert. Ergänzt wurden die Beobachtun- gen zugleich durch Überlegungen zur Kommunikationskultur der alttestamentlichen Bü- cher, welche über die Medienethik in einem engen Begriffsverständnis zwar hinausgehen, diese aber dennoch sinnvoll ergänzen und bereichern können. Vorsicht ist aber nicht nur im Hinblick darauf geboten, was wir unter Medien verstehen wollen. Denn auch, was als common morality zu bezeichnen ist, kann durchaus hinterfragt werden. Ebenso das – hier praktizierte – Vorgehen, mithilfe eines deskriptiven Verfahrens Ergebnisse für die normative Ethik erzielen zu wollen. Im einleitenden Kapitel ihrer „Principles of Biomedical Ethics“ setzen sich Tom Beauchamp und James Childress mit den metaethischen Grundlagen ihres Ansatzes auseinander und charakterisieren Moralität als soziale Institution, die uns selbst wie der philosophischen Reflexion vorausgeht. Unter common morality verstehen sie eine kleine Gruppe von moralischen Normen, die alle Menschen „who are serious about moral conduct“ (Beauchamp & Childress 2001, S. 4) immer und überall für gültig halten. Diese Normen bzw. die zugrunde liegenden weniger spezifischen Prinzipien fallen in den Bereich der normativen Ethik, nicht der deskriptiven, sind universal und nicht partiell. Warum ich auf diesen Seiten dennoch einen deskriptiven, kulturspezifischen Zugang ge- wählt habe, lässt sich folgendermaßen begründen: Wie bereits eingangs erwähnt, habe ich die biblischen Texte nicht mit einem theologischen (deskriptive Aussagen über Gott) oder einem historischen (deskriptive Aussagen über die Vergangenheit) Interesse betrachtet, sondern mit dem normativen Interesse nach dem, was – von den übermittelten Regelungen und Wertsetzungen – zurecht Geltung beanspruchen darf. Mit diesem normativen Interesse soll nun abschließend der Textbefund ausgewertet werden und zwar unter Berücksichti- gung des Umstandes, dass es sich dabei um die Antwort einer bestimmten religiösen Tra- dition handelt. Den normativen Blick beibehaltend soll gefragt werden, welche Werthal- tungen, Prinzipien oder Normen von dieser einen Tradition zu Recht für alle Menschen Geltung beanspruchen können, also universal sind, und schließlich, welche Konsequenzen sich daraus für die Medienethik ergeben. Betrachtet man die alttestamentliche Kommunikationskultur, fällt zunächst einmal auf, dass dem Öffentlich-Machen von Informationen und bedeutsamen Inhalten großer Wert beigemessen wird. Trotz den im Verhältnis zu unseren heutigen technischen Möglichkei- ten primitiven Übertragungsmechanismen zeigt sich, dass Geschwindigkeit und die größte, 204 Claudia Paganini mögliche Öffentlichkeit im Alten Israel eine bedeutende Rolle gespielt haben. Dies wird nicht nur an der Perfektionierung von akustischen oder visuellen Symbolen zu Zeichen- ketten sichtbar, sondern besonders in der gängigen Praxis des öffentlichen Verlesens wichtiger Nachrichten, wobei hier explizit die ganze Gemeinschaft im Blick ist (2 Kön 23,2: „alles Volk, vom Kleinsten bis zum Größten“, Neh 8,3: „alle, die es verstehen konnten“). Dieses Öffentlich-Machen ist für die Akteure aber zugleich eine Bürde (Amos). Für den, der über – für das Kollektiv relevantes – Wissen verfügt, entsteht die Pflicht des Mitteilens, wie die Geschichte des Propheten Jona – und die textimmanente Kritik an sei- ner ungenügenden Verkündigungstätigkeit – eindrucksvoll zeigen. Trotz dem grundsätzlich positiven Verhältnis zum Mitteilen von Informationen werden im Alten Testament auch Gefahren und Schattenseiten aufgezeigt. Interessant ist dabei, dass Kommunikation besonders dann misslingt, wenn sie eingeschränkt ist, was primär bei einem nur in eine Richtung verlaufenden Transfer von Inhalten der Fall ist. Ich meine damit die zahlreichen negativen Beispiele zum Medium Brief aber auch die Hiob-Reden, bei denen die Freunde vor allem deshalb nicht in der Lage sind, mit Hiob ins Gespräch zu kommen, weil sie unfähig sind, seine Argumentation wahrzunehmen, und in ihrer eigenen unhinterfragten Position verharren. Auf der Ebene der Inhalte betont der biblische Text die Verlässlichkeit des Mitgeteilten und zeigt gleich mehrere Möglichkeiten auf, sich dieser zu vergewissern. An erster Stelle stehen dabei Autoritäten, die für die Wahrheit von Informationen bürgen. Dies sind zum einen Texte, zum anderen Menschen, die aufgrund ihrer Persönlichkeit bzw. aufgrund ihres Amtes, ihrer Funktion als vertrauenswürdig eingestuft werden. Fragt man in Bezug auf die Autorität eines Textes nach, wodurch diese Autorität begründet wird, muss man letztlich wieder auf bestimmte Menschen verweisen. Denn nicht jeder Text hat Zeugnis- charakter, sondern nur solche Texte, die durch den richtigen Autor (Mose, Gott etc.) und die richtigen Umstände (Begegnung zwischen Gott und Mose am Sinai autorisiert die Steintafeln mit den Zehn Geboten) Verbindlichkeit erlangen. Ein weiterer Garant für die Verlässlichkeit von Botschaften liegt in der Art und Weise, wie Kommunikation abläuft. Man denke hier an die Betonung des Rückfragens in wichtigen Augenblicken, aber auch – einmal mehr – an die Praxis des öffentlichen Verlesens. Als mögliche Prinzipien für das Mitteilen von Informationen im Alten Testament haben sich bis jetzt also Öffentlichkeit und Verlässlichkeit herauskristallisiert. Wie steht es aber mit der Forderung nach Wahrheit? Und: Würde ein Prinzip Wahrheit – als konsequente Zuspitzung von Verlässlichkeit – diese nicht überbieten bzw. ablösen? Zunächst einmal spricht einiges dafür, zwischen den Zeilen des jüdisch-christlichen Kanons den Appell nach Wahrheit zu vermuten. Schließlich wird beim Propheten Jeremia klar zwischen wah- ren und falschen Propheten unterschieden, wobei sich die wahren Prophezeiungen der wahren Propheten durch ihr faktisches Eintreffen als wahr erweisen. Prophetische Mittei- lungen sind also gut, wenn sie wahr sind und sind wahr, wenn eine Entsprechung zur Rea- lität besteht, wenn das, was behauptet wird, zutrifft. Auf der Suche nach positiver Öffentlichkeit 205 Diese erste Beobachtung wird aber durch den Umstand ergänzt bzw. korrigiert, dass jene Behauptungen über die Welt, von denen man in der Folge entscheiden soll, ob sie der Fall sind bzw. waren, stark subjektiv und daher schwer zu verifizieren sind. Denn die Prophe- ten des Alten Testaments sprechen in Symbolen, setzen Zeichenhandlungen, deuten die Wirklichkeit und auch, was als Straf- oder Heilshandeln Gottes als Erfüllung oder Nicht- Erfüllung der Prophezeiungen gelten darf, ist keinesfalls selbstverständlich. Zumindest in Bezug auf die Prophetie sollte die Forderung nach Wahrheit daher eher in Richtung Wahr- haftigkeit abgeschwächt werden, was so viel bedeuten würde wie, dass der Mitteilende selbst von seiner Botschaft überzeugt ist, davon, dass er Wahres und nicht Falsches aus- sagt. Ein weiteres Argument gegen ein Prinzip Wahrheit findet sich in der Jona-Geschichte und der negativen Beurteilung der Wahrheit als Selbstzweck. Wäre – wie es sich Jona zumin- dest anfänglich wünscht – das Zutreffen der Weissagung das Wichtigste, müsste Gott Ninive tatsächlich vernichten. Die Art und Weise aber, wie sich Gott von dieser Möglich- keit distanziert, zeigt, dass die Wahrheit einer Aussage um ihrer selbst willen gerade keine Geltung hat, sondern Kommunikation vielmehr in einer dem Menschen dienenden Funk- tion verstanden wird. Nur nebenbei erwähnt sei in diesem Zusammenhang, dass die kriti- sche Aussage des Predigers Kohelet – „des viele Büchermachens ist kein Ende“ (Koh 12,12) – wohl auch gegen Information als Selbstzweck gerichtet ist. Wahrheit besteht im Alten Testament also nicht unabhängig von den betroffenen Men- schen, sie braucht deren Akzeptanz und kann sich verändern, je nachdem wie sich der Kontext verändert. Daher dürfen die mitgeteilten Inhalte – seien dies auch zentrale Texte des Glaubens wie die Zehn Gebote oder das Bundesbuch – durchaus verändert, fortge- schrieben und aktualisiert werden, sofern dies im Dialog mit der Gemeinschaft geschieht und sofern besonders vertrauenswürdige Personen mit ihrem Namen und möglicherweise auch mit ihrem Leben für diese Kontextualisierung einstehen. Ein solches Bürgen mit dem eigenen Leben begegnet bei den Propheten Hosea und Ezechiel, ja wird hier bis zur Uner- träglichkeit gesteigert. Liest man die Passagen, in denen insbesondere Ezechiel körperlich schmerzvolle und erniedrigende Zeichenhandlungen selbst durchleben muss, drängt sich für das, was hier gefordert zu sein scheint, ein sehr moderner Begriff auf, nämlich jener der Authentizität. Freilich kann und soll in diesem Beitrag keine 1:1 Übertragung von Prinzipien auf die Medienethik geschehen. Sicher kann man einem derart komplexen Textkorpus wie dem Alten Testament auf so knappem Raum nicht gerecht werden und gewiss müssten diese in einer ersten Annäherung erarbeiteten Prinzipien klarer ausgearbeitet, voneinander abge- grenzt und geschärft werden. Manche Tendenzen zeichnen sich im Textbefund aber den- noch ab und so ist es wohl nicht falsch zu behaupten, dass im alten Israel Prinzipien wie Öffentlichkeit, Verlässlichkeit, Wahrhaftigkeit und Authentizität hoch gehalten worden sind, wenn es darum ging, das Mitteilen von Informationen – die eine Gemeinschaft am 206 Claudia Paganini Leben halten – über große Distanzen und über Generationen hinweg (Ex 10,2) zu ge- währleisten. Literatur Beauchamp, Tom & Childress, James (2001): Principles of Biomedical Ethics. 5. Aufl. New York: Oxford Univ. Press. Berges, Ulrich (1998): Das Buch Jesaja, Komposition und Endgestalt (HBS 16), Freiburg: Herder. Berges, Ulrich (2000): Die Zionstheologie des Buches Jesaja. In: EB 58(2), S. 167–198. 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