Sebastian Gießmann Die Verbundenheit der Dinge Dr. Sebastian Gießmann, geboren 1976, forscht als Kultur- und Medi- enwissenschaftler an der Universität Siegen. Promotion an der Humboldt- Universität zu Berlin. Arbeitsschwerpunkte: Kulturtechniken der Koope- ration, Netzwerkgeschichte, materielle Kultur, Rechtsanthropologie und Internetforschung. Redaktionsmitglied der Zeitschrift für Kulturwissen- schaften und von ilinx, Berliner Beiträge zur Kulturwissenschaft. Sebastian Gießmann ist Sprecher der Arbeitsgruppe »Daten und Netzwerke« in der Gesellschaft für Medienwissenschaft. Sebastian Gießmann Die Verbundenheit der Dinge Eine Kulturgeschichte der Netze und Netzwerke Kulturverlag Kadmos Berlin Gedruckt mit Unterstützung der Gerda Henkel Stiftung, Düsseldorf. Unterstützt durch das DFG-Graduiertenkolleg »Locating Media«, Universität Siegen. Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet unter http://dnb.d-nb.de abrufbar. Autor und Verlag stellen das Werk seit April 2020 unter der Creative Commons-Lizenz CC BY-NC-ND 4.0 (https://creativecommons.org/licenses/by-nc-nd/4.0) zur Verfügung. Bitte unterstützen Sie unabhängige Verlage und erwerben die Printversion, die einen umfangreichen Farbteil enthält. Copyright © 2., durchgesehene Auflage 2016, Sebastian Gießmann Kulturverlag Kadmos Berlin. Wolfram Burckhardt Manche Rechte vorbehalten Internet: www.kv-kadmos.com Zugleich: Dissertation, Humboldt-Universität zu Berlin, Philosophische Fakultät III, 2012. Umschlaggestaltung: Kaleidogramm, Berlin. Gestaltung und Satz: Kaleidogramm Umschlagabbildung: Paolo Veronese: L’Industria. Venedig, Dogenpalast, Sala del Collegio, 1575−1577 (Detail); Textur entnommen aus Henry Charles Beck: Tube Map. Farblithografie, Januar 1933. Montage: Wolfram Burckhardt. Lektorat: Jan-Frederik Bandel (Buchholz in der Nordheide) Korrektorat: David Sittler (Köln) Druck: Standart Printed in EU ISBN: 978-3-86599-330-4 Inhalt 1 Verstricken, Verfangen, Vernetzen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7 2 Netze vor den Netzwerken: Mythen, Symbole, Materialitäten 17 2.1 Die Beute der Götter. Mesopotamien und Ägypten, Indien und Israel 24 2.2 Flüche, Bänder, Verträge und die Institutionen des Rechts. Griechenland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 37 2.3 Das geometrische Tier. Spinne und Netz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 52 3 Das Archiv der Netzwerkgeschichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 117 3.1 Objektreferenz – Bildstatus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 119 3.2 Zwischenraum (Maschen) – Heterarchie – Dichte . . . . . . . . . . . . 121 3.3 Organisation – Protokoll. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 123 3.4 Switching – Vermittlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 125 3.5 Fluktuation – Synchronisation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 127 3.6 Aufpfropfung – Transformation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 129 3.7 Störung – Zusammenbruch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 131 4 Kanäle. Politik der Netze und Netzwerke um 1850 . . . . . . . . 135 4.1 Kanal-Ansichten. Karte und Panorama . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 136 4.2 Stadt. Das Paris der Saint-Simonisten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 143 4.3 Land. Netzwerke für Okzident und Orient . . . . . . . . . . . . . . . . . 150 4.4 Fluss. Ägypten, Suez und die Neutralität des Kanals. . . . . . . . . . . 156 4.5 Kanäle zu Netzwerken. Geopolitik und Liberalismus . . . . . . . . . . 163 5 Vermittlungen. Telefone und Stimmen um 1890 . . . . . . . . . . . 171 5.1 Spektakuläre Anrufe. Das Telefon in der Music Hall . . . . . . . . . . 174 5.2 Bankräuber, Totengräber und die Herstellung von Verbindungen . . 182 5.3 Schalten / Switching. Das Wissen der Telefonvermittlung . . . . . . . . 197 5.4 Schwindende Stimmen, wachsende Netze . . . . . . . . . . . . . . . . . . 206 6 Bildgeschichte des Netzwerkdiagramms (I): Von den visuellen Modellen der Naturwissenschaften zum Kalkül sozialer Netzwerke . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 211 6.1 Marcello Malpighis Dinge und das wunderbare Netz . . . . . . . . . . 213 6.2 Netzwerkvisualisierungen zwischen Bildakt und Schreibakt . . . . . . 218 6.3 Mathematik, Chemie, Graphentheorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 223 6.4 Jacob Levy Morenos Wahlverwandtschaften. Soziometrie, gesell- schaftlicher Atomismus und die Bindekräfte sozialer Netzwerke . . . 241 7 Verkehr. Karte, Netz und Synchronisation um 1930. . . . . . . . 261 7.1 Raum. Henry Charles Beck zeichnet die Metropole . . . . . . . . . . . 263 7.2 Zeit. London Transport – Synchronisation entlang der Linie . . . . . 271 7.3 Zeit. London Transport – Netzwerksynchronisation . . . . . . . . . . . 279 7.4 Raum. Wie man mit Karten etwas tut . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 291 8 Bildgeschichte des Netzwerkdiagramms (II): Netzwerk- projekte und die materielle Kultur des Kapitalismus. . . . . . . . 297 8.1 Westlich. Operations Research und Network Operations Method . . 298 8.2 Östlich. Just-in-Time und kanban . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 316 8.3 Global. Logistik und Supply Chain Management . . . . . . . . . . . . . 324 9 Netzwerkprotokolle. Architekturen aus Computern, Sprache und Schrift um 1970 . . . . . . . . . . . . . . . 329 9.1 Sprechende Computer. Ein Protokoll . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 333 9.2 Die himmlische Ökonomie der Daten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 337 9.3 Vom »Netting« zum »Internetworking« . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 351 9.4 Architekturen aus Maschinenschrift . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 376 10 Bildgeschichte des Netzwerkdiagramms (III): Wirtschaftliche Verflechtungen und die Mediologie der Verschwörung . . . . . . 381 10.1 Schreiben / Zeichnen. Pollux und die Schweizer Trusts . . . . . . . . . 384 10.2 Lesen / Hören. Die Fragen der Drei Tage des Condor . . . . . . . . 396 10.3 Archivieren / Erzählen. Mark Lombardis globale Netzwerke . . . . . 405 11 Die Verbundenheit der Dinge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 421 11.1 Materialität. Was Netzwerke verbinden lässt . . . . . . . . . . . . . . . 427 11.2 Grenze. Was kein Netzwerk mehr ist . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 430 Anhang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 435 Dank . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 437 Archive . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 439 Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 439 Filme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 484 Software . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 485 Abbildungsnachweis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 485 Sach- und Personenindex . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 489 1 Verstricken, Verfangen, Vernetzen Alles wird auf Borg gegeben und ein Netz ist über alles Lebende ausgebreitet.1 Talmud Die Sprache hat für alle die gleichen Fallen bereit; das ungeheure Netz gut gangbarer Irrwege.2 Ludwig Wittgenstein Das Kreuzberger Museum der Dinge ist eines der schönsten Museen Berlins. Seine Sammlung beherbergt neben dem Archiv des Deutschen Werkbundes alltägliche und besondere Objekte der Design- und Wa- renkultur des 20. Jahrhunderts. Anfang der 2000er Jahre wurde im Museum diskutiert, ob man nicht Netzteile als charakteristische zeitge- nössische Objekte sammeln solle. Die Idee lag und liegt nahe, hat doch die Vermehrung elektrischer Geräte einen Berg an abgenutzten und defekten Netzteilen hervorgebracht. Sie sind mittlerweile nicht mehr nur in unseren Wohnungen zu finden, sondern Teil des alltäglichen Pendler- und Reisegepäcks der digitalen Gesellschaft mit ihren Smart- phones, Tablets und Notebooks geworden. Wie so oft bei technischen Dingen ist es eher unangenehm, wenn die dienende Funktion der Ge- räte zutage tritt. Das Netzteil ist ein notwendiges Übel, viel lieber sähe man es durch drahtlose Apparaturen zur Übertragung der Elektrizität ersetzt. Aber es ist auch ein bemerkenswertes Beispiel für die alltägliche Materialität von Kommunikationsnetzwerken, die beim Anschluss an das Stromnetz besonders deutlich spürbar wird. Erkennbar wird die 1 Pirke Abot, Sprüche der Väter 3,20. Jakob Fromer, Hrsg.: Der babylonische Talmud. Wies- baden: Fourier, 1991, S. 16. 2 »Und so sehen wir also Einen nach dem Andern die gleichen Wege gehn, und wissen schon, wo er jetzt abbiegen wird, wo er geradeaus fortgehen wird, ohne die Abzweigung zu bemerken, etc. etc. Ich sollte also an allen Stellen, wo falsche Wege abzweigen, Tafeln aufstellen, die über die gefährlichen Punkte hinweghelfen.« Ludwig Wittgenstein: »Vermischte Bemerkungen«. In: Werkausgabe Band 8. Frankfurt am Main: Suhrkamp, 1989, S. 445−573, hier S. 474 f. 8 Verstricken, Verfangen, Vernetzen Unentbehrlichkeit der Gegenstände aber meist erst, wenn sie ihrem oft stummen Dienst nicht mehr nachkommen können. Es ist dem Museum der Dinge also zu wünschen, dass sich zumindest einige bemerkenswerte Netzteile – mitsamt den Spuren ihrer Nutzung – archivieren lassen. Schließlich lässt sich schon jetzt beobachten, wie Netzwerke vor allem zu sozialen Netzwerken geworden sind. Ihre materielle Kultur erfährt kaum mehr Beachtung. Das ist merkwürdig, versteckt sich doch im deutschen Netzwerk, im englischen network, im französischen réseau und im lateinischen rete immer der Hinweis auf ein physisches Netz. Genau dieser Objektreferenz gehe ich nach, schließlich kann man mit Hartmut Böhme sagen: »der semantische Kern von ›Netz‹ ist dinglich« und zeichnet sich durch seine Rückführbarkeit auf das Spinnennetz und das Fischernetz aus.3 Wie aber kam das Netz ins Netzwerk? Wieviel Materialität steckt in unseren heutigen sozioökonomischen Netzwer- ken – und welche Form von Medialität? Was lässt ein zunächst einfach erscheinendes Fanginstrument zum Namensgeber einer raumgreifenden Kulturtechnik werden? Die folgenden Geschichten, mit denen diese Fragen beantwortet werden sollen, widmen sich menschlichen und nicht-menschlichen, natürlichen und artifiziellen Qualitäten von Netzwerken.4 Die Grenzen zwischen Natur und Kultur, zwischen Subjekt und Objekt verlieren sich darin nicht nur, sondern sind von vornherein aufgelöst. Aus dem Objekt des Fangnetzes mit seinen Knoten und Maschen entwickeln sich Netzwerke, die vor allem Quasi-Objekte sind und hybride Praktiken, Re- lationen und Formen des Austauschs in sich vereinen.5 Der Unterschied zwischen Netz und Netzwerk, zwischen Objekt und Quasi-Objekt, ist bereits eine Abstraktion. Materielle Praktiken des Vernetzens gehen einer solchen analytischen Einordnung, aber auch der allgemeinen kulturellen Aneignung, Reflexion und Selbstbeschreibung voraus. Bevor es Netzwerkgesellschaften gibt, die sich als solche sehen, beschreiben und bewusst auf das Netzwerken abstellen, gibt es all diejenigen räum- lichen, sozialen, wirtschaftlichen, wissenschaftlichen und künstlerischen 3 Hartmut Böhme: »Netzwerke. Zur Theorie und Geschichte einer Konstruktion«. In: Netz- werke. Eine Kulturtechnik der Moderne. Hrsg. von Jürgen Barkhoff, Hartmut Böhme und Jeanne Riou. Köln: Böhlau, 2004, S. 17−36, hier S. 17. 4 Vgl. Alexander Galloway und Eugene Thacker: The Exploit. A Theory of Networks. Elec- tronic Mediations 21. Minneapolis; London: University of Minnesota Press, 2007, S. 155. 5 Vgl. zur Theorie des ›Quasi-Objekts‹ Michel Serres: Der Parasit. Frankfurt am Main: Suhr- kamp, 1987, S. 344 f., und die Kapitel 3.1 und 11.1 dieses Buches. Verstricken, Verfangen, Vernetzen 9 Praktiken, mit denen größtenteils unbewusst ›vernetzt‹ wird.6 Mit Vilém Flusser kann man sie Gesten des Vernetzens nennen. Sie sind »eine der Methoden, durch die der Mensch versucht, seinem Leben und der Welt, in der er lebt, Sinn und Bedeutung zu geben«.7 Wenn im Folgenden die Gesten des Vernetzens im Vordergrund ste- hen, setzt dies zunächst kein begriffliches Verständnis dessen voraus, was ein Netzwerk ist. Vielmehr ist entscheidend, wie etwas explizit zum Netzwerk erhoben wird. Erst durch den reflexiven Diskurs werden die Praktiken des Vernetzens zur Kulturtechnik der Netzwerke.8 Aber 6 Vgl. zur Netzwerkgesellschaft initial Manuel Castells: The Rise of the Network Society. 2. Aufl. Oxford; Malden, MA: Blackwell Publishers, 2000; zusammenfassend Erik van der Vleuten: »Understanding Network Societies. Two Decades of Large Technical Sys- tem Studies«. In: Networking Europe. Transnational Infrastructures and the Shaping of Europe, 1850−2000. Hrsg. von Erik van der Vleuten und Arne Kaiser. Sagamore Beach: Science History Publications, 2006, S. 279−314; kritisch Niels Werber: »Netzwerkgesell- schaft – Zur Kommunikationsgeschichte von ›technoiden‹ Selbstbeschreibungsformeln«. In: Kulturgeschichte als Mediengeschichte (oder vice versa?). Archiv für Mediengeschichte. Hrsg. von Lorenz Engell, Joseph Vogl und Bernhard Siegert. Weimar: Universitätsverlag, 2006, S. 179−191, und historisierend Erhard Schüttpelz: »Ein absoluter Begriff. Zur Ge- nealogie und Karriere des Netzwerkkonzepts«. In: Vernetzte Steuerung. Soziale Prozesse im Zeitalter technischer Netzwerke. Hrsg. von Stefan Kaufmann. Zürich: Chronos, 2007, S. 25−46. Zum Verhältnis von Wissens- und Netzwerkgesellschaft siehe Peter Gendolla und Jörgen Schäfer: »Zettelkastens Traum. Wissensprozesse in der Netzwerkgesellschaft – Eine Einführung«. In: Wissensprozesse in der Netzwerkgesellschaft. Hrsg. von Peter Gendolla und Jörgen Schäfer. Medienumbrüche 6. Bielefeld: transcript, 2005, S. 7−27. 7 Vilém Flusser: Gesten. Versuch einer Phänomenologie. Bensheim: Bollmann, 1993, S. 15. 8 Zur Verortung von Netzwerken als spezifischer Kulturtechnik der Moderne vgl. Jürgen Bark- hoff, Hartmut Böhme und Jeanne Riou, Hrsg.: Netzwerke. Eine Kulturtechnik der Moderne. Köln: Böhlau, 2004; Gerhard Dirmoser: Eine subjektive Chronologie der Netzentwicklungen (Vom Nutzen schematischer Zeichnungen XXXII), 2004. http: //www.servus.at/kontext/ diagramm/32_Netzhype.htm; Sebastian Gießmann: Netze und Netzwerke. Archäologie einer Kulturtechnik, 1740−1840. Kultur- und Medientheorie. Bielefeld: transcript, 2006; Jan Broch, Markus Rassiller und Daniel Scholl, Hrsg.: Netzwerke der Moderne. Erkundungen und Strategien. Forum. Studien zur Moderneforschung 3. Würzburg: Königshausen & Neumann, 2007; Julia Gelshorn und Tristan Weddigen: »Das Netzwerk. Zu einem Denkbild in Kunst und Wissenschaft«. In: Grammatik der Kunstgeschichte. Sprachproblem und Re- gelwerk im Bild-Diskurs. Oskar Bätschmann zum 65. Geburtstag. Hrsg. von Hubert Locher und Peter J. Schneemann. Zürich; Emsdetten; Berlin: Schweizerisches Institut für Kunstwis- senschaft / Edition Imorde, 2008, S. 54−77; einseitig kritisch Wolfgang E. J. Weber: »Pikante Verhältnisse. Verflechtung und Netzwerk in der jüngeren historisch-kulturwissenschaftlichen Forschung«. In: Wissen im Netz. Botanik und Pflanzentransfer in europäischen Korrespon- denznetzen des 18. Jahrhunderts. Hrsg. von Regina Dauer u. a. Colloquia Augustana 24. Berlin: Akademie, 2008, S. 289−299; Passepartout, Hrsg.: Weltnetzwerke – Weltspiele. Jules Vernes In 80 Tagen um die Welt. Konstanz: Konstanz University Press, 2013. Vgl. für eine Ausweitung des Netzwerkverständnisses in die Neuzeit hinein Wolfgang Behringer: »Netz- werk«. In: Enzyklopädie der Neuzeit 9. Naturhaushalt – Physiokratie. Hrsg. von Friedrich Jaeger. Stuttgart; Weimar: J. B. Metzler, 2009, S. 98−100; Sebastian Gießmann: »Netz«. In: Lexikon der Raumphilosophie. Hrsg. von Stephan Günzel. Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft, 2012, S. 273−274. Zur Gegenwartsverortung vgl. Stefan Kaufmann: »Netzwerk«. In: Glossar der Gegenwart. Hrsg. von Ulrich Bröckling, Susanne Krasmann und Thomas Lemke. es 2381. Frankfurt am Main: Suhrkamp, 2004, S. 182−189. 10 Verstricken, Verfangen, Vernetzen welchen Netzwerken soll man folgen? Und mit welchen Methoden lässt sich dies bewerkstelligen? Zu Materialauswahl und Methode Bei einem schier unerschöpflichen Material bekommt die Frage nach der Auswahl spezifischer Fälle besonderes Gewicht. Ich habe sowohl für die materielle Kultur soziotechnischer Netzwerke wie auch für die Bildgeschichte des Netzwerkdiagramms weitestgehend Gründungsszenen, Umschlagpunkte und epistemologisch wie ästhetisch prägende Beispiele ausgewählt. Für die Arbeit am kulturellen Gedächtnis der Netzwerkgesell- schaften sind dies z. B. mikroskopische Zeugnisse in der Anatomie, indus- trielle Vernetzungstraktate, frühe Telefonvermittlungen, ein sich plötzlich verändernder U-Bahn-Plan, Merkwürdigkeiten wie sprechende Computer und Gegendiskurse wie die verschwörungstheoretische Netzwerkanalyse. Diese Fallstudien sind als Ausgangs- und nicht als Endpunkte gedacht: Netzwerkgeschichte ist nur polyhistorisch fassbar. Statt bestimmte Netz- werkeigenschaften vorauszusetzen, stammen die zentralen Begriffspaare einer kulturwissenschaftlich-historischen Beschreibungssprache aus den einzelnen Fallstudien. Die Begriffspaare Objektreferenz – Bildstatus, Zwischenraum (Maschen) – Heterarchie – Dichte, Organisation – Pro- tokoll, Switching – Vermittlung, Fluktuation – Synchronisation, Auf- pfropfung – Transformation und Störung – Zusammenbruch werden im dritten Kapitel ausführlich erklärt. Die Erarbeitung einer Systematik aus dem historischen Material heraus verdankt sich dem gewählten methodischen Zugriff: Materi- ale Kultur- als Kulturtechnikgeschichte und Diskursanalyse gehen im Folgenden, Christian Kassung folgend, Hand in Hand.9 Im Archiv der Netzwerkgeschichte wird das in Objekten und Strukturen verkörperte Wissen diskursiviert. Es zählen dabei nicht nur schriftliche und bild- liche Zeugnisse, sondern ebenso die Rekonstruktion der Praktiken und Techniken, die zur Herstellung, Nutzung und Reparatur von Netzen wie Netzwerken nötig sind. Dabei spielen wissenshistorische, medien- theoretische und bildwissenschaftliche Zugriffe auf das Material eine 9 Vgl. Christian Kassung: Das Pendel. Eine Wissensgeschichte. München: Fink, 2007, S. 12 f.; Christian Kassung und Albert Kümmel-Schnur: »Wissensgeschichte als Malerarbeit? Ein Trialog über das Weißeln schwarzer Kisten«. In: Bruno Latours Kollektive. Hrsg. von Ge- org Kneer, Markus Schroer und Erhard Schüttpelz. Frankfurt am Main: Suhrkamp, 2008, S. 155−179. Zu Materialauswahl und Methode 11 wichtige Rolle. Viel verdankt sich den Lektüren von Aby Warburg, Walter Benjamin, Michel Foucault, Michel Serres, Bruno Latour, Michel Callon und Donna Haraway. Eine kulturwissenschaftliche Netzwerkge- schichte wäre kaum denkbar ohne die Affinität des Poststrukturalismus zu dezentrierenden Figuren und die daran anschließenden Handlungs- netze und Fadenspiele der Akteur-Netzwerk-Theorie.10 Weite Teile des Textes folgen einer mehrfachen genealogischen Erzählform und ordnen die Geschichten nach historischen Verläufen, ohne damit auf Linearität abzuzielen.11 Zwar scheint es müßig, aufzuführen, was ein Text nicht leisten kann, aber eine kurze orientierende Abgrenzung sei zumindest vor- genommen. Obwohl die Akteur-Netzwerk-Theorie (ANT) wichtig für das Buch ist, geht es mir nicht um eine rekursive Anwendung von bestehender Netzwerktheorie auf historische Phänomene, sondern um eine Beschreibungssprache, die sich so weit wie möglich aus dem historischen Material ergibt.12 Gleiches gilt für den möglichen Einsatz von Systemtheorie, der wenig erfolgversprechend scheint – geht es bei Netzwerken doch um Phänomene, die quer zur Ausdifferenzierung sozialer Systeme entstehen können. Eine Arbeit im Sinne der formalen Social Network Analysis (SNA) ist ebenfalls nicht beabsichtigt. Statt quantative Netzwerkanalyse mitsamt ihrer Graphen, Diagramme und Matrizen als Universaltheorie zu verstehen, geht es mir um das Spiel von Differenz und Familienähnlichkeit unterschiedlichster Netzwerke.13 Infrastrukturgeschichte und die Analyse großer technischer Systeme 10 Vgl. Donna Haraway: »Das Abnehme-Spiel. Ein Spiel mit Fäden für Wissenschaft, Kultur, Feminismus«. In: Monströse Versprechen. Coyote-Geschichten zu Feminismus und Tech- nowissenschaft. Argument-Sonderband Neue Folge AS 234. Hamburg; Berlin: Argument, 1995, S. 136−148; Uwe Wirth: »Vorüberlegungen zu einer Logik der Kulturforschung«. In: Kulturwissenschaft. Eine Auswahl grundlegender Texte. Hrsg. von Uwe Wirth. stw 1799. Frankfurt am Main: Suhrkamp, 2008, S. 9−67, hier S. 47 f. 11 Vgl. Friedrich Nietzsche: »Zur Geneaologie der Moral«. In: Jenseits von Gut und Böse / Zur Geneaologie der Moral. Kritische Studienausgabe 5. Hrsg. von Giorgio Colli und Mazzino Montinari. 10. Aufl. München; Berlin: dtv / de Gruyter, 2009, S. 245−412; Michel Foucault: »Nietzsche, la généalogie, l’histoire«. In: Dits et écrits II. 1970−1975. Paris: Gallimard, 1994, S. 136−156. 12 Vgl. zur Genealogie des Netzwerkdenkens der ANT Sebastian Gießmann: »Verunreinigungs- arbeit. Über den Netzwerkbegriff der Akteur-Netzwerk-Theorie«. In: Reinigungsarbeit. Zeitschrift für Kulturwissenschaften 1 (2013), S. 149−160. 13 Vgl. zum universellen Einsatz von Netzwerktheorie Albert-László Barabási: Linked. The New Science of Networks. Cambridge, MA: Perseus, 2002. 12 Verstricken, Verfangen, Vernetzen (GTS) inspirieren zwar auch diesen Text; er folgt aber letztlich vor allem kultur- und medienhistorischen Fragen.14 Materielle Kultur Das anschließende Kapitel 2 widmet sich der longue durée des Umgangs mit Fangnetzen, Geweben und den Artefakten der Spinne.15 Exempla- rische Beispiele liefern dabei die Mythen der alten Hochkulturen, die Orestie des Aischylos und Ovids folgenreiche Erzählung des Webe- wettstreits zwischen Arachne und Minerva. Kapitel 3 stellt eine kultur- wissenschaftliche Beschreibungssprache der Netzwerke vor. Kapitel 4 verfolgt die netzbildenden Geschicke von Kanal und Kanalisation im 19. Jahrhundert. Im Mittelpunkt steht dabei die romantisch-sozialis- tische französische Bewegung des Saint-Simonismus, deren Vernetzungs- programm sich zu einem kolonialen Dispositiv entwickelt, das von der Annektierung Algeriens bis zum Suezkanal reicht. Während sich die Geschichte der Kanäle vor allem auf Frankreich konzentriert, wendet sich Kapitel 5 der Frühgeschichte des Telefons in den USA zu. Ausgehend von Alexander Graham Bells Telefontourneen wird die Materialisierung eines soziotechnischen Netzes als doppelte Geschichte erzählt, in der sich Popularisierung und technische Realisierung der Tele- fonvermittlung als Bedingung der Netzwerkbildung erweisen. Kapitel 6 verfolgt den ersten Teil einer Bildgeschichte des Netzwerkdiagramms und beschreibt dessen Charakter zwischen Bildakt und Schreibakt. Anhand von Beispielen aus der Mikroskopiegeschichte, der Mathematik und der Chemie des 18. und 19. Jahrhunderts skizziert das Kapitel, welche kultu- rellen Folgen die Zeichenpraktiken der Naturwissenschaften haben – bis hin zur Einführung des Netzwerkbegriffs in die Soziologie. Ab Kapitel 7 verschiebt sich der Schwerpunkt von einer Raumana- lyse der Netzwerke stärker zu den Modi ihrer Verzeitlichung, die im 20. Jahrhundert immer wichtiger werden. Gezeigt wird dies an einem wichtigen raumästhetischen Ereignis: der Einführung des geometrisier- 14 Vgl. zum Verhältnis von Netzwerkgeschichte und GTS-Analyse Jean-Marc Offner: »Are There Such Things as Small Networks?« In: The Governance of Large Technical Systems. Hrsg. von Olivier Coutard. Routledge Studies in Business Organizations and Networks 13. London; New York: Routledge, 1999, S. 217−238. 15 Vgl. klassisch zu mehrschichtigen historischen Prozessen langer Dauer Fernand Braudel: »Geschichte und Sozialwissenschaften. Die longue durée«. In: Schrift und Materie der Ge- schichte. Vorschläge zur systematischen Aneignung historischer Prozesse. Hrsg. von Claudia Honegger. es 814. Frankfurt am Main: Suhrkamp, 1977, S. 47−85. Materielle Kultur 13 ten, topologischen U-Bahn-Plans in London 1933. Mit Henry Charles Becks berühmtem Diagramm der Tube Map korrespondieren dabei die Uhren von London Transport – beide sind Mittel zur Synchronisation eines Verkehrsnetzes. Vom spezifischen Timing, das für Netzwerkpro- jekte zentral ist, handelt auch Kapitel 8, das sich der Transformation der Produktionsweisen in einer mehr und mehr vernetzten Wirtschaft widmet. Ausgehend von den Partituren der Network Operations Me- thod der 1960er Jahre werden, als zweiter Teil einer Bildgeschichte des Netzwerkdiagramms, Veränderungen sowohl bei westlichen als auch bei fernöstlichen Unternehmen wie Toyota analysiert. Durch die global vernetzte Produktion werden nicht nur Organisationen netzwerkförmig, sondern ebenso die hervorgebrachten Dinge. Kapitel 9 widmet sich frühen Plänen zur Computervernetzung und der Entstehung des ARPANETs als Netzwerk sprachfähig gedachter Dinge. Zwei Elemente stehen dabei im Vordergrund: zum einen die Ent- wicklung von Netzwerkprotokollen als ›Sprache‹ bzw. Grammatik der Vernetzung, zum anderen die Aufmerksamkeit, die der Hardware beim ARPANET noch gilt, bevor die materielle Komponente hauptsächlich zur Grundlage, nicht aber zum Mittelpunkt digitaler Kommunikationsnetz- werke wird. Mit Kapitel 10 wird die Entwicklung der Netzwerke hin zu Strukturen sozialer Praxis und symbolischer Ordnung, die scheinbar kaum noch einen Rückbezug zum Objekt benötigen, von Außensei- terpositionen her beobachtet. Der dritte Teil einer Bildgeschichte des Netzwerkdiagramms porträtiert die verschiedenen Verfahren, mit de- nen Verschwörungstheoretiker wie der Schweizer Kommunist Georges Baehler, die Filmfigur Joseph Turner in Three Days of the Condor und der Künstler Mark Lombardi sozioökonomische Akteurs-Netzwerke kartieren und analysieren. Das abschließende Kapitel 11 fragt nach den Befunden dieses Buches, dem Charakter des Netzwerks als Quasi-Objekt, den langfri- stigen Konturen einer Verbundenheit der Dinge und alledem, was kein Netzwerk ist. Warum Netzwerkgeschichte? Dieses Buch ist aus einem langjährigen Interesse hervorgegangen, das einmal mit der Frage nach den räumlichen Strukturen und Imaginationen des Internets begann. Waren die Kulturwissenschaften in den 1990er Jahren von der Faszination für die künstlichen Welten des Cyberspace 14 Verstricken, Verfangen, Vernetzen geprägt, verschob sich um die Jahrtausendwende das Interesse hin zu »mixed realities« und hybriden Überlagerungen von künstlichen und materiellen Räumen. Neben dem Attribut des ›Cyberspace‹ wurden die Computernetze in der allgemeinen Wahrnehmung wie selbstverständ- lich als Netzwerke begriffen. Während die Archäologie des Cyberspace bereits weit vorangeschritten war,16 führten Recherchen zur Geschicht- lichkeit von Netzwerken mitten hinein in eine Leerstelle. Mittlerweile ist international in Kultur- und Sozialwissenschaften das Interesse an der historischen Dimension von Netzwerken größer geworden. Dennoch gibt es nur verstreute Bemühungen um etwas, das man – in Ermangelung eines besseren Namens – Netzwerkgeschichte oder Netzwerkarchäologie nennen kann. Damit sind explizit nicht Denkstile wie die Globalgeschichte oder Verflechtungsgeschichte be- ziehungsweise histoire croisée gemeint. Die Konturen einer solchen Netzwerkgeschichte finden sich in unabhängig voneinander entstan- denen Studien wie Thomas Hughes’ Networks of Power, Pierre Mussos Telecommunications et philosophie des réseaux, Laura Otis’ Networ- king und Mark Wigleys Network Fever.17 Allen gemeinsam ist, trotz der unterschiedlichen Herkünfte aus Techniksoziologie, Philosophie, Literaturwissenschaft und Architekturgeschichte, die Betonung der Materialität von Netzen und Netzwerken. Dies unterscheidet sie von einer reinen Diskursgeschichte, die an der Vieldeutigkeit der Metapher verzweifeln müsste. Denn metaphorologische Arbeit am Begriff erreicht spätestens dann ihre Grenzen, wenn die Objektreferenz – welches Netz in welcher Form bestimmt welches Netzwerk? – schwer bestimmbar wird. Zudem sorgt schon die Sprachdifferenz zwischen Deutsch, Englisch, Französisch und Latein für schwankende Bedeutungsgebung; die Bezeichnungsmöglich- keiten verwandter textiler Bezüge wie ›Gewebe‹ und ›Geflecht‹ halten das 16 Vgl. exemplarisch Claus Pias, Hrsg.: Cybernetics – Kybernetik. The Macy Conferences 1946−1953. Transactions / Protokolle. Bd. 1. Zürich; Berlin: diaphanes, 2003; Claus Pias, Hrsg.: Cybernetics – Kybernetik. The Macy Conferences 1946−1953. Essays & Dokumente. Bd. 2. Zürich; Berlin: diaphanes, 2004. 17 Thomas Parke Hughes: Networks of Power. Electrification in Western Society 1880−1930. Baltimore; London: Johns Hopkins University Press, 1983; Pierre Musso: Télécommunica- tions et philosophie des réseaux. La posterité paradoxale de Saint-Simon. Hrsg. von Lucien Sfez. Paris: Presses Universitaires de France, 1997; Laura Otis: Networking. Communicating with Bodies and Machines in the Nineteenth Century. Ann Arbor: The University of Michigan Press, 2001; Mark Wigley: »Network Fever«. In: Grey Room 4 (2001), S. 82−122. Siehe auch chris cheek, Nicole Starosielski und Braxton Soderman, Hrsg.: Network Archaeologies. Amodern 2, 2013. http://amodern.net/issues/amodern-2-network-archaeology. Warum Netzwerkgeschichte? 15 semantische Feld stets weit.18 Trotzdem versuche ich, die im Deutschen mögliche Differenz zwischen ›Netz‹, ›Vernetzung‹ und ›Netzwerk‹ auch für die heuristische Ordnung dieses Buches produktiv zu machen. Netze sind im Folgenden konkrete dingliche Artefakte, aber auch konnektive Strukturen, die in topologischen Diagrammen repräsentiert und codiert werden können. Vernetzungen werden hauptsächlich gefasst als räumliche und bildliche Arten und Weisen, konnektive Verbindungen gleicher Elemente zu schaffen. Sie sind vor allem im kartografischen Modus darstellbar. Netzwerke hingegen werden als wesentlich heterogene, interkon- nektive und unscharfe Quasi-Objekte verstanden, die Menschen, Din- ge, Zeichen, Institutionen und Räume integrieren. Als Quasi-Objekte zeichnen sich Netzwerke durch spezifische Modi der Verzeitlichung aus. Sie sprengen zumeist Bemühungen, sie adäquat in all ihren Operations- ketten grafisch darzustellen, bringen aber gerade deswegen eine massive Visualisierungs- und Modellierungspraxis hervor. Die drei hier unter- schiedenen Begriffe – Netz, Vernetzung, Netzwerk – sollte man nicht strikt voneinander getrennt denken. Realiter vermischen sie sich sich, zumal bei mehrsprachigem Material, verschiedenen bildlichen Formen und unterschiedlichsten kulturellen Praktiken, ständig. Netze halten, verbinden und fangen; sie verfangen, binden und verstricken. Diese Ambivalenz wird ebenso gerne vergessen wie die materiellen, nicht-menschlichen Komponenten von Netzwerken. Tat- sächlich ist die positive Überhöhung des Netzwerkbegriffs jüngeren Datums. Für die längste Zeit waren Fangnetze im Mittelmeerraum und Europa hingegen widersprüchliche Objekte. Bei näherer Betrachtung wird bereits in Vorzeit und Antike aus »dem Netz« eine Vielzahl von hochdifferenzierten textilen Dingen. Es lohnt sich, deren kulturtech- nische Bedeutung ernst zu nehmen. 18 Vgl. Christian Jürgen Emden: »Netz«. In: Lexikon der philosophischen Metaphern. Hrsg. von Ralf Konersmann. Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft, 2007, S. 248−260, hier S. 248; Bruno Latour: Eine neue Soziologie für eine neue Gesellschaft. Einführung in die Akteur-Netzwerk-Theorie. stw 1967. Frankfurt am Main: Suhrkamp, 2010, S. 224 f. Der Arbeit an der Metaphorologie der Vernetzung hat sich Alexander Friedrich mit seiner Dissertation angenommen, die in vielerlei Hinsicht ein Komplement zu diesem Buch darstellt. Vgl. Alexander Friedrich: »Metaphorology of Networks«. In: Metaphors Shaping Culture and Theory. Hrsg. von Winfried Fluck u. a. REAL. Yearbook of Research in English and American Literature 25. Tübingen: Narr, 2009, S. 285−297; Alexander Friedrich: »Im Netz der Metapher. Zur Theorie kultureller Leitmetaphern«. Diss. Justus-Liebig-Universität Gießen, 2013. 2 Netze vor den Netzwerken: Mythen, Symbole, Materialitäten Es gibt kein menschliches Kollektiv ohne Dinge; die Beziehungen zwischen Men- schen verlaufen über die Dinge, unsere Beziehungen zu den Dingen verlaufen über die Menschen.1 Michel Serres, Der Naturvertrag Es scheint nur schwer vorstellbar, dass Netzwerke eine vergleichsweise junge Kulturtechnik sind, deren explizite Anfänge im europäischen 18. Jahrhundert liegen.2 Denn warum sollten nicht bereits indigene und antike Kulturen über einen Zugang zur Welt verfügt haben, der Räume als verteilt ansieht und über Punkte und deren Verbindungen gliedert? Und sind nicht Zellen, Bakterien, Pilzgeflechte, ja ganze Ökosysteme auf hochkomplexe Art und Weise vernetzt, bevor sich menschliche Kulturen überhaupt etablieren? Netze und Vernetzungen lassen sich als sehr alte kulturelle Praktiken verstehen, wenn man implizite Formen des Wissens als Maßstab wählt und davon ausgehend »stummes«, in Handlungen und Gegenständen verkörpertes Wissen analysiert.3 Netzwerke hingegen – also diejenigen sozialen Prozesse und Struktu- ren, die mit der Strategie des Vernetzens verbunden sind – sind kein überzeitlicher Universalbegriff, sondern in ihrer Entstehung als Kul- 1 Michel Serres: Der Naturvertrag. es NF 665. Frankfurt am Main: Suhrkamp, 1994, S. 79. 2 In der Regel wird der Advent technischer Netzwerke in den Geschichtswissenschaften erst auf das 19. Jahrhundert datiert. Vgl. z. B. Wolfgang König, Hrsg.: Propyläen-Technikgeschichte. Netzwerke, Stahl und Strom 1840−1914. Bd. 4. Berlin: Propyläen, 1990, und Jürgen Os- terhammel: Die Verwandlung der Welt. Eine Geschichte des 19. Jahrhunderts. Historische Bibliothek der Gerda Henkel Stiftung. München: C. H. Beck, 2009, S. 1011. 3 Ein solcher Begriff des impliziten Wissens betont weniger die mentale Ebene als Vollzug und Materialität, denn »etwas wissen heißt, nicht daran denken zu müssen«. Jacques Rancière: Die Namen der Geschichte. Versuch einer Poetik des Wissens. Frankfurt am Main: Fischer, 1994, S. 8. Vgl. zu impliziten und expliziten Formen des Wissens grundlegend Michael Polanyi: Implizites Wissen. Frankfurt am Main: Suhrkamp, 1985. 18 Netze vor den Netzwerken turtechnik4 historisch datierbar und beschreibbar. Sowohl das in Handlungsfolgen entstehende implizite wie das schriftlich niedergelegte explizite Wissen stellt zugegebenermaßen eine jeweils unscharfe Kate- gorie dar. Die Begriffe sollen keine Festschreibungen mit sich bringen, sondern eine Heuristik ermöglichen – eine historiografische Heuristik, in der Netze als Objekte und Vernetzungen als Praktiken bereits lange und unter anderen kulturellen Bedingungen verfertigt werden, bevor Netzwerke zur sozialen Strategie und zum Antrieb der Wissensordnung werden. 4 Der auch in den Feuilletons seit längerer Zeit gebräuchliche Kulturtechnik-Begriff ist in der deutschen Fachdiskussion leider noch weniger klar definiert als der Begriff des »Mediums«. Die wenigen, meist programmatischen Versuche hierzu finden sich nur in einem Wust von Sammelbänden verstreut. Noch am ehesten prägend ist Thomas Machos Ansatz, ›Kulturtech- niken‹ durch drei genuine Eigenschaften zu bestimmen. Sie sind erstens durch ihre Fähigkeit zur Hervorbringung symbolischer Ordnungen gekennzeichnet (die ihrerseits wiederum auf die Kulturtechniken zurückwirken), zweitens selbstbezüglich (also rekursiv) und drittens nur in intermedialen Konfigurationen denkbar. Kultur erscheint so als operationales Feld, in dem die verschiedenen Modi von Lesen und Schreiben, Handeln und Tauschen, Messen und Rechnen, Spielen und Feiern einerseits interkulturelle Vergleichskriterien und anderer- seits eine Art und Weise des Schreibens von Kulturgeschichte ermöglichen. Kulturtechniken sind für Thomas Macho Techniken zweiter Ordnung, die durch die mit ihnen verrichtete symbolische Arbeit eine Reflexion von Kulturen auf sich selbst erlauben. Vgl. Thomas Macho: »Körper der Zukunft. Vom Vor- und Nachleben der Bilder«. In: Bilderfragen. Die Bildwissenschaften im Aufbruch. Hrsg. von Hans Belting. Bild und Text. München: Fink, 2007, S. 181−194, hier S. 181 f. Ein solches Verständnis lässt die historische Semantik des Kulturbegriffs und der (Körper-)techniken erster Ordnung außen vor und steht größten- teils in Übereinstimmung mit Sybille Krämer und Horst Bredekamp: »Kultur, Technik, Kulturtechnik. Wider die Diskursivierung der Kultur«. In: Bild – Schrift – Zahl. Hrsg. von Sybille Krämer und Horst Bredekamp. 2. Aufl. Kulturtechnik. München: Fink, 2009, S. 11−22. Einen weiteren Begriff favorisiert Erhard Schüttpelz: »Die medienanthropologi- sche Kehre der Kulturtechniken«. In: Archiv für Mediengeschichte. Kulturgeschichte als Mediengeschichte (oder vice versa)? Hrsg. von Lorenz Engell, Joseph Vogl und Bernhard Siegert. Weimar: Universitätsverlag, 2006, S. 87−110. Stark medientheoretisch geprägt ist das Erkenntnisinteresse noch bei Bernhard Siegert: »Kakographie oder Kommunikation? Verhältnisse zwischen Kulturtechnik und Parasitentum«. In: Mediale Historiographien. Archiv für Mediengeschichte. Hrsg. von Lorenz Engell und Joseph Vogl. Weimar: Univer- sitätsverlag, 2001 und Tobias Nanz und Bernhard Siegert, Hrsg.: Ex machina. Beiträge zur Geschichte der Kulturtechniken. Weimar: Verlag und Datenbank für Geisteswissenschaften, 2006. Praxeologisch gewendet argumentiert hingegen wiederum Bernhard Siegert: »Weiße Flecken und finstre Herzen. Von der symbolischen Weltordnung zur Weltentwurfsordnung«. In: Kulturtechnik Entwerfen. Praktiken, Konzepte und Medien in Architektur und Design Science. Hrsg. von Daniel Gethmann und Susanne Hauser. Kultur- und Medientheorie. Bie- lefeld: transcript, 2009, S. 19−47. Differenziert an einem Ort versammelt die Zeitschrift für Medien- und Kulturforschung 1 / 2010 die deutschsprachigen Positionen. Siehe insbesondere Harun Maye: »Was ist eine Kulturtechnik?« In: Zeitschrift für Medien- und Kulturforschung. Schwerpunkt Kulturtechnik 1 (2010), S. 121−135; Cornelia Vismann: »Kulturtechniken und Souveränität«. In: Zeitschrift für Medien- und Kulturforschung 1 (2010), S. 171−181. Integrativ zusammengeführt wird die Debatte bei Christian Kassung und Thomas Macho: »Einleitung«. In: Kulturtechniken der Synchronisation. Hrsg. von Christian Kassung und Thomas Macho. Kulturtechnik. München: Fink, 2013, S. 9−21. Mythen, Symbole, Materialitäten 19 Welches implizite Wissen könnte in Gewebe und Netze als Objekte materieller Kultur eingelassen sein? Und in welchem Zusammenhang steht es mit symbolischen Praktiken und Ordnungen von Kulturen? Beide Fragen scheinen nur auf den ersten Blick leicht zu beantworten. Weben und Knüpfen, der verhüllende Schutz des Körpers und das Fan- gen von Tieren sind elementare körpernahe Kulturtechniken.5 Als solche erfordern sie nicht nur die Reflexion von menschlichen Kollektiven auf sich selbst, sondern sind Weisen des Zugangs zur Welt, die weit mehr umfassen als bloße Bekleidung und Ernährung. Deutlich wird dies in all jenen ethnografischen Beschreibungen, die uns vor Augen führen, dass das vermeintlich längst Vergangene präsent bleibt. In Marcel Griaules (1898−1956) afrikanischem Schöpfungsbericht Schwarze Genesis (frz. Dieu d’eau) aus dem Jahr 1948 wird das Spre- chen selbst mit der Kulturtechnik des Webens verglichen. Dies mag Kenner philosophischer,6 poetischer und poetologischer Traditionen,7 jüngerer Sprachphilosophie8 oder poststrukturalistischer Texttheorien9 nicht weiter verblüffen, bildet aber in Griaules Ethnografie der in Mali lebenden Dogon ein lebhaftes Ensemble aus Mythos, Götterwerk und Alltagskultur eines afrikanischen Stammes.10 Griaule, der vor seiner 5 Ich gehe davon aus, dass auch diese das Potenzial zu Techniken zweiter Ordnung haben, mit denen Kulturen sich einerseits etablieren und andererseits auf die ihnen eigenen Praktiken reflektieren können. Elementare Kulturtechniken – zu denen auch die für die historische Semantik von cultura entscheidende Landwirtschaft gehört – sollten daher nicht strikt von Kulturtechniken als second order techniques getrennt werden. Vielmehr plädiere ich für eine relativistische Historisierung: Techniken sind hinsichtlich ihrer Symbolisierungsfähigkeiten immer auf der Höhe ihrer jeweiligen Kultur – egal, wie alt oder jung sie erscheinen mögen. Kulturtechniken müssen zudem lehr- und lernbar sein. 6 Insbesondere der bei Platon prominenten Rolle der Weberei. Vgl. Ellen Harlizius-Klück: Weberei als episteme und die Genese der deduktiven Mathematik. In vier Umschweifen entwickelt aus Platons Dialog Politikos. Berlin: Edition Ebersbach, 2004. 7 Wie z. B. Erika Greber: Textile Texte. Poetologische Metaphorik und Literaturtheorie. Studien zur Tradition des Wortflechtens und der Kombinatorik. Pictura et Poesis 9. Köln; Weimar; Wien: Böhlau, 2002, und Ulrich Ernst: »Von der Hieroglyphe zum Hypertext. Medienumbrüche in der Evolution visueller Texte«. In: Die Verschriftlichung der Welt. Bild, Text und Zahl in der Kultur des Mittelalters und der frühen Neuzeit. Hrsg. von Horst Wenzel, Wilfried Seipel und Gotthart Wunberg. Wien: Kunsthistorisches Museum Wien, 2000, S. 213−239. 8 Vgl. das Eingangszitat von Wittgenstein oder aus medientheoretischer Sicht Hartmut Wink- ler: Docuverse. Zur Medientheorie der Computer. München: Boer, 1997. 9 Am deutlichsten und exemplarisch bei Roland Barthes: Die Lust am Text. Frankfurt am Main: Suhrkamp, 1974. Vgl. für einen Überblick Paul N. Edwards: »Hyper Text and Hy- pertension: Post-Structuralist Critical Theory, Social Studies of Science and Software«. In: Social Studies of Science 24 (1994), S. 229−278. 10 Marcel Griaule: Schwarze Genesis. Freiburg: Herder, 1970, frz. Marcel Griaule: Dieu d’eau. Paris: Éditions du Chêne, 1948. Die ab 1931 von Griaule und anderen Ethnologinnen erforschten komplexen Symbolsysteme der Dogon sind ausführlich aufgearbeitet worden. 20 Netze vor den Netzwerken Karriere als Feldforscher in Paris bei Marcel Mauss Ethnologie und bei Marcel Cohen Linguistik studiert hatte, berichtet darin von seinen Gesprächen mit dem Häuptling Ogotemmeli. Von Griaule und Ogotem- meli erfährt man, dass der siebente der acht Urahnen der Dogon – das Nommo – seine Weisungen an die Menschen auf sehr spezielle indirekte Art und Weise an eine Ameise übermittelte. Die Ameise, Verkörperung der Erde, aller Worte mächtig, kann die Sprache erst an den Menschen weitergeben, als sie diesen durch eine Webprozedur verstehen lernt: Als der Tag gekommen war, spie der Siebente [Urahn bzw. das Nommo, SG] vierundzwanzig Baumwollfäden ans Licht der Sonne, die er über seine Oberzähne verteilte, welche er wie einen Webkamm benutzte. So formte er die ungerade Ebene der Kette. Ebenso verfuhr er mit den Unterzähnen, die so die gerade Ebene der Kette bildeten. Und indem er seine Kiefer auf- und zuklappte, teilte der Geist der Kette die Bewegungen mit, die ihr die Litzen des Webstuhls auferlegten. […] So sprach der Geist tatsächlich.11 Die Worte des Geistes erfüllen die Zwischenräume des Stoffes, so dass sie das Gewebe selbst sind und das Gewebe wiederum das Wort selbst. Stoff heißt in diesem Schöpfungsbericht Soy, was sowohl für »Dies ist das Wort« als auch für den Zahlwert 7 steht. Das Nommo, schreibt Griaule, zwang der Welt sein Wort mittels einer Technik auf. Von der Ameise lernen wiederum die Menschen genau diese Technik. »Auf diese Weise zeigte [das Nommo] die Identität der materiellen Gesten mit den geisti- gen Kräften und die Notwendigkeit ihres stetigen Zusammenwirkens.«12 Auch der Bau der Trommel als nicht minder wichtigem Instrument verfügt über eine vergleichbare Ursprungsgeschichte. Sie wird in ihren verschiedenen Formen aus einem Fadenspiel des Nommos hergeleitet.13 Trommeln und Weben sind eng verwandt: Wer bei den Dogon trom- melt, webt und spricht zugleich.14 Vor diesem Hintergrund verwundert Vgl. u. a. Geneviève Calame-Griaule: Ethnologie et langage. La parole chez les Dogon. 2. Aufl. Travaux et mémoires de l’Institut d’Ethnologie 79. Paris: Institut de l’Ethnologie, 1987, und Marcel Griaule und Germaine Dieterlen: Le renard pâle. 2. Aufl. Travaux et mémoires de l’Institut d’Ethnologie. Paris: Institut d’Ethnologie, 1991. 11 Griaule: Schwarze Genesis, S. 31. 12 Griaule: Schwarze Genesis, S. 31. Dem Wort und dem Sprechen kommt dabei eine privi- legierte Rolle zu. Es stellt bei den Dogon eine Synthese der grundlegenden Techniken der Naturbeherrschung dar, insbesondere des Schmiedens und der Weberei. Vgl. hierzu konkret Calame-Griaule: Ethnologie et langage. La parole chez les Dogon, S. 81 f., und generell An- dré Leroi-Gourhan: Hand und Wort. Die Evolution von Sprache, Technik, Kunst. stw 700. Frankfurt am Main: Suhrkamp, 1988, zum Verhältnis von Gesten, Technik und Sprache. 13 Zur materiellen Kultur der Fadenspiele bei den Dogon siehe Marcel Griaule: Jeux Dogons. Travaux et mémoires de l’Institut d’Ethnologie XXXII. Paris: Institut d’Ethnologie, 1938, S. 71 f. 14 Griaule: Schwarze Genesis, S. 65. Mythen, Symbole, Materialitäten 21 es nicht, dass der Webstuhl neben der Schmiede zu einem zentralen Objekt der dogonischen Kosmologie wird.15 Das kollektive Imaginäre erklärt die als Tages- und Frauenarbeit besetzte Weberei zur materiellen Bedingung von Gemeinschaft. Technik ist hier, nach dem treffenden Wort des französischen Wissenschaftssoziologen Bruno Latour, stabilisierte und auf Dauer gestellte Gesellschaft.16 Ja mehr noch, Technik bringt in Gestalt von Kulturtechniken sozialen Zusammenhalt hervor. Nun könnte man trotz der Komplexität der dogonischen Mythologie einwenden, dass dieses Beispiel wenig mit der westlichen medienkultu- rellen Gegenwart Mitte des 20. Jahrhunderts zu tun hat. Aber in der Ungleichzeitigkeit zeichnet sich die Gleichzeitigkeit ab: Während Griaule die Mentalität der Dogonen dechiffriert, verzeichnen und katalogisieren französische Anthropologen wie André Leroi-Gourhan um 1950 die materiellen Techniken der Naturbeherrschung.17 Cultural Anthropo- logy und Völkerkunde hatten teils bereits ab 1900 die Kulturen des Fangnetz- und Schlingengebrauches beschrieben.18 Leroi-Gourhan, aber auch der junge Marshall McLuhan19 und Claude Lévi-Strauss schreiben hingegen explizit im Bewusstsein der wissenschaftlich-medialen Revo- lution durch die Kybernetik, deren Entwicklung als allgemeine Steue- rungswissenschaft auf das Engste mit dem (hier noch nicht vernetzten) Computer zusammenhängt. Die ältesten Kulturtechniken und neuesten Medien stehen direkt nebeneinander.20 Man muss also das Interesse der Ethnologen an der materiellen Kultur der verkörperten Netzpraktiken 15 Vgl. Griaule: Schwarze Genesis, S. 70 f. 16 Vgl. Bruno Latour: »Technik ist stabilisierte Gesellschaft«. In: ANThology. Ein einführendes Handbuch zur Akteur-Netzwerk-Theorie. Hrsg. von Andréa Belliger und David J. Krieger. Science Studies. Bielefeld: transcript, 2006, S. 369−397. 17 Vgl. André Leroi-Gourhan: Milieu et Techniques. Paris: Éditions Albin Michel, 1945. 18 Vgl. Paul Radin: »Zur Netztechnik der südamerikanischen Indianer«. In: Zeitschrift für Ethnologie 36 (1906), S. 926−938; Isidor Scheftelowitz: Das Schlingen- und Netzmotiv im Glauben und Brauch der Völker. Religionsgeschichtliche Versuche und Vorarbeiten. Gießen: Alfred Töpelmann, 1912; Julius Lips: Fallensysteme der Naturvölker. Leipzig: Ernst Wiegandt Verlagsbuchhandlung, 1927; Sture Lagercrantz: »Beiträge zur Jagdfallensystematik«. In: Ethnos 6 (1937), S. 361−366 (im Disput mit Lips über den Status des Netzes als Falle oder als »fallenähnliche Fangmethode«); Kurt Lindner: Geschichte des deutschen Weidwerks I. Die Jagd der Vorzeit. Berlin; Leipzig: de Gruyter, 1937; Kurt Lindner: Geschichte des deut- schen Weidwerks II. Die Jagd im frühen Mittelalter. Berlin: de Gruyter, 1940. 19 Vgl. Marshall McLuhan: Die mechanische Braut. Volkskultur des industriellen Menschen. Amsterdam: Verlag der Kunst, 1996. 20 Vgl. hierzu Erhard Schüttpelz: »Die ältesten in den neuesten Medien. Folklore und Massen- kommunikation um 1950«. In: Navigationen 6.1 (2006), S. 33−46; Erich Hörl: Die heiligen Kanäle. Über die archaische Illusion der Kommunikation. Zürich; Berlin: diaphanes, 2005; Lorenz Engell, Bernhard Siegert und Joseph Vogl, Hrsg.: 1950. Archiv für Mediengeschichte. Weimar: Universitätsverlag, 2004. 22 Netze vor den Netzwerken als eigene Schicht der jüngeren Netzwerkgeschichte ernst nehmen.21 Gegenüber der Menge elektrischer und elektronischer Verbindungen stellt sich die Erforschung alter Netzartefakte als eine Form von Ret- tungsethnologie dar. Diese wird umso stärker, je mehr sie die neuen Speichermedien für Töne, bewegte und unbewegte Bilder selbst ins Spiel bringt – eine Bewegung, die gerade die französische Ethnologie seit den 1920er Jahren bestimmt.22 Vor diesem Hintergrund wirkt die Katalogisierung von Netzformen in Leroi-Gourhans 1945 erschienenem Buch Milieu et Techniques wie ein Reflex auf das eigene medienkulturelle Milieu.23 Man stelle sich einmal dessen ethnografische Übersicht der verschiedenen Formen des Fangnetzes (Abbildung 2.1) im Vergleich mit zeitgenössischen topolo- gischen Netzdiagrammen in Naturwissenschaft und Ingenieurskulturen vor; das Tableau der Fanginstrumente behandelt diese als nicht weniger komplex denn die Wissensartefakte des 20. Jahrhunderts. So benötigen bereits große Fischernetze den Einsatz ganzer Dorfgemeinschaften; Le- roi-Gourhan führt hierzu Beispiele aus Japan und dem Mittelmeerraum an.24 Im Fachvokabular für die unterschiedlichen Netzformen finden sich erstaunliche Variationen quer durch die Kulturen und Zeiten – die auf die damit verbundenen Formen impliziten, zuhandenen Wissens hinweisen. Ich werde deshalb im Folgenden versuchen, die vielfältigen indo- europäischen Mythen zu lesen, in denen Fang- und Sammelnetze eine wichtige Rolle spielen. Einfach ist ein solches Unterfangen nicht, denn wie könnte man wissen, auf welche Art und Weise Hephaistos sein Zaubernetz zum Fangen der untreuen Gattin Aphrodite hergestellt hat? Aber die grundlegenden menschlichen Kulturtechniken des Fallenstel- lens, Jagens und Fangens haben auch in den Götterwelten ihre Spuren hinterlassen. Die Regeln dieses Tausches zwischen materieller Kultur 21 Dies gilt umso mehr, da der Zeitraum von 1933 bis 1969 eine Sattelzeit der soziologischen Netzwerkforschung darstellt. Vgl. dazu Kapitel 6.4 dieses Buches. 22 Dies lässt sich eindrucksvoll nachvollziehen bei Inge Baxmann: »Der Körper als Gedächt- nisort. Bewegungswissen und die Dynamisierung der Wissenskulturen im frühen 20. Jahr- hundert«. In: Deutungsräume. Bewegungswissen als kulturelles Archiv der Moderne. Hrsg. von Inge Baxmann und Franz Anton Cramer. Wissenskulturen im Umbruch 1. München: K. Kieser, 2005, S. 15−35. Auch Marcel Griaule hat sich auf seinen Afrika-Expeditionen des gesamten Arsenals von Aufzeichnungsmedien bedient. 23 Deutlich stärker tritt dies in Leroi-Gourhans späteren Büchern zutage. Vgl. Leroi-Gourhan: Hand und Wort. Die Evolution von Sprache, Technik, Kunst, S. 330 f. 24 Leroi-Gourhan: Milieu et Techniques, S. 92. Mythen, Symbole, Materialitäten 23 abb . 2 .1: Übersicht der Fangnetzformen bei André Leroi-Gourhan. Zeichnung, 1945. 24 Netze vor den Netzwerken und mythisch-religiöser Erzählung sind nicht leicht zu beschreiben.25 Eine wiederkehrende Wendung – die in der Moderne aber weitgehend unbewusst geworden ist – findet sich in der Verbindung von fangend- verfangendem Netz und Tastsinn. Fangnetze sind zudem in den antiken Hochkulturen immer wieder zur Figur der verfügenden wie bindenden Macht und Raumbeherrschung geworden. Die Vielzahl der Mythen mit Netz legt ebenso davon Zeugnis ab, wie die materiellen Hinterlas- senschaften der Antike sich als Spuren alltäglicher Praktiken erweisen. Claude Lévi-Strauss hat dies in seiner strukturalen Anthropologie ele- gant zusammengefasst: Menschen denken nicht in Mythen, sondern die Mythen schreiben und denken sich in und durch Menschen; genauso denken sich Mythen untereinander.26 Diese Eigenständigkeit des Mythos beruht auf den Praktiken des Erzählens und auf der konkreten Ausei- nandersetzung mit der Lebenswelt: Materielle Kulturtechniken liefern hierfür, ganz wie bei den Dogon, die Grundierung. 2.1 Die Beute der Götter Mesopotamien und Ägypten, Indien und Israel Fern sollen eure Schlingen, fern die Übel sein, ihr Götter.27 An alle Götter, Rigveda, zweiter Liederkreis. Die archäologischen Belege für Fang- und Haltenetze reichen in Mit- teleuropa mindestens bis in die Jungsteinzeit zurück.28 Vereinzelt finden sich in den europäischen Museen für Ur- und Frühgeschichte Netz- 25 Vgl. zum Gelingen der Überkreuzung von Diskursanalyse und material culture studies Kassung: Das Pendel. Eine Wissensgeschichte, S. 23 f., und zu den wissenshistorischen Bedingungen Knut Ebeling: Wilde Archäologien 1. Theorien der materiellen Kultur von Kant bis Kittler. Berlin: Kadmos, 2012. 26 Vgl. Claude Lévi-Strauss: Mythologica I. Das Rohe und das Gekochte. 4. Aufl. stw 167. Frankfurt am Main: Suhrkamp, 1990, S. 26. Nicht wenige Texte zur Konjunktur der Netze und Netzwerke verweisen in der Einleitung auf die Netzmythen der alten Hochkulturen. Selten aber werden die mythischen Erzählungen als solche ernst genommen und an das Un- bewusste der in sie eingelassenen materiellen Praktiken zurückgebunden. Vgl. z. B. Diagonal. Zeitschrift der Universität Siegen 22, Themenheft »Netz« (2001), und Gerhard Fröhlich: »Netz-Euphorien. Zur Kritik digitaler und sozialer Netz(werk)metaphern«. In: Philosophie in Österreich. Hrsg. von Alfred Schramm. Wien: Hölder-Pichler-Tempsky, 1996, S. 292−306. 27 Rigveda II 29, 5. Zitiert nach Karl Friedrich Gelder, Hrsg.: Der Rig-Veda. Aus dem Sanskrit ins Deutsche übersetzt und mit einem laufenden Kommentar versehen. Harvard Oriental Series 63. Cambridge, MA; London: Harvard University Press, 2003, S. 313. 28 Vgl. z. B. Dirk Heinrich und Johann Tischler: »Fischerei und Fischereimethoden«. In: Realle- xikon der Germanischen Altertumskunde. Fidel – Friedlosigkeit. Hrsg. von Johannes Hoops. Berlin; New York: de Gruyter, 1995, S. 130−146, hier S. 136 f. Zum Horizont der schwer Die Beute der Götter 25 artefakte aus Mesolithikum und Paläolithikum.29 Fang- und Halte- netze gehörten offenbar bereits zum festen Inventar von Jäger- und Sammlerkulturen, mitsamt dem Erlernen und der Weitergabe des damit verbundenen praktischen Wissens. Mit der Sesshaftigkeit entwickelten sich die textilen Techniken weiter, insbesondere im Bereich der Weberei. Die Ausdifferenzierung der verschiedenen Netzformen (Reusen, Zäune, Wehre, Schlagnetz, Schleppnetz, Wurfnetz, Kescher etc.)30 ist allerdings nur schwer zu datieren. Schling- und Netztechniken sind schon in der Frühgeschichte ein dezentral entstehendes, emergentes Phänomen, das als Spur der Praktiken des Beutemachens in verschiedenen Kulturen lesbar ist. Auch das Netz gehört zu denjenigen Gegenständen, die der menschliche Körper nach einem Wort André Leroi-Gourhans geradezu »ausgeschwitzt« hat.31 Es ist als Falle stets mehr denn nur ein bloßes Werkzeug, denn es bezeichnet eine konstitutive doppelte Abwesenheit – die des Jägers selbst und die des noch zu fangenden Tiers. Gerade aufgrund dieser Absenz kann das Netz zu einem kraftvollen Zeichen werden. Obwohl Fallenstellerei an sich keine Zeichentechnik ist, können doch deren Elemente selbst die raumzeitliche Verbindung von Jäger und Gejagtem symbolisieren.32 Die Komplexität der prähistorischen Evolutionsschritte dieses Instru- ments lässt sich aus heutiger Perspektive allenfalls in die Gleichzeitigkeit eines ethnografischen Kataloges übertragen, wie es Leroi-Gourhan getan hat. Oder aber man nimmt Lehrbücher textiler Techniken zur Hand, die sich weniger auf die Evolution denn auf die Systematik der Objekte konzentrieren – was wiederum nur unter weiterer Preisgabe zu beantwortenden Frage vgl. bereits Lindner: Geschichte des deutschen Weidwerks I. Die Jagd der Vorzeit, S. 35, S. 303. 29 Vgl. Susanne Möller-Wiering: »Maschenstoffe«. In: Reallexikon der Germanischen Alter- tumskunde. Luchs – Metrum. Hrsg. von Johannes Hoops. Bd. 19. Berlin; New York: de Gruyter, 2001, S. 377−383, hier S. 379. 30 Vgl. für systematische Überblicke Arthur Seligo: »Die Fischerei in den Fließen, Seen und Strandgewässern Mitteleuropas«. In: Handbuch der Binnenfischerei Mitteleuropas. Hrsg. von Reinhard Demoll und Hermann Nikolaus Maier. Bd. V. Stuttgart: E. Schweizerbart’sche Verlagsbuchhandlung, 1926, S. 1−422, hier S. 32 f.; Lindner: Geschichte des deutschen Weidwerks I. Die Jagd der Vorzeit; Lindner: Geschichte des deutschen Weidwerks II. Die Jagd im frühen Mittelalter; Leroi-Gourhan: Milieu et Techniques. 31 Leroi-Gourhan: Hand und Wort. Die Evolution von Sprache, Technik, Kunst, S. 139. 32 Im Anschluss an die grundlegenden Bemerkungen von Alfred Gell: »Vogel’s Net. Traps as Artworks and Artworks as Traps«. In: Ders.: The Art of Anthropology. Essays and Diagrams. Hrsg. von Eric Hirsch. London School of Economics Monographs on Social Anthropology 67. London; New Brunswick, NJ: Athlone Press, 1999, S. 187−214, hier S. 200 f. 26 Netze vor den Netzwerken historischer Eigenheiten möglich wird.33 Erst die Überkreuzung mit den Kulturtechniken des Darstellens und Schreibens gewährt so einen Blick auf frühe steinerne Bilder und Texte der Netzwerkgeschichte. Diese bezeugen überraschenderweise weniger die alltagskulturelle Bedeutung des Objektes, sondern entwickeln eine Theologie des Netzes als Macht- instrument der Götter und Herrscher. Das Jagdinstrument wird darin zum Gegenstand einer Anthropologie der bösen Götter. Ägypten wie Mesopotamien verfügen als Flußzivilisationen über ähnlich ausgefeilte Techniken des Beutemachens. Gerade die Zivilisation im Zweistromland wäre zudem ohne ihre artifiziellen Bewässerungs- netze kaum denkbar. Trotz der ähnlichen Ausgangslage entwickelt sich in Ägypten eine eigenständige Kosmologie des Netzes.34 Zunächst überwiegen aber die Gemeinsamkeiten: Sowohl ägyptische Pharaonen als auch mesopotamische Götter ließen ihre Verfügungsgewalt über unterlegene Feinde gerne durch Darstellungen symbolisieren, in denen die Gegner im übergroßen Netz gefangen sind. Die verbleibenden Frag- mente der sogenannten Geierstele des sumerischen Königs Eannatum von Lagaš – ungefähr auf das Jahr 2440 v. Chr. datiert und heute im Pariser Louvre ausgestellt – legen davon ein beredtes Zeugnis ab. In der Gestalt des Jagdgottes Ningirsu verkörpert sich hier der Sieg des Herrschers Eannatum über den rivalisierenden König des Stadtstaates von Umma (Abbildung 2.2).35 Ningirsu hält in seiner linken Hand einen Adler, der als Wappentier für die Stadt Lagaš einsteht. Unter den Klauen des Adlers befinden sich die besiegten Feinde in einem Fangnetz. Dem mythologischem Vorbild 33 Enzyklopädisch eindrucksvoll nachzuvollziehen ist dies bei Annemarie Seiler-Baldinger: Systematik der textilen Techniken. 2. Aufl. Basler Beiträge zur Ethnologie 32. Basel: Eth- nologisches Seminar der Universität und Museum für Völkerkunde, 1991. 34 Ich werde mich deshalb im Folgenden auf Ägypten konzentrieren. Die sumerischen bzw. mesopotamischen Beispiele von Netzmagie, -macht und -kosmologie sind mindestens ebenso komplex. Vgl. für einen Überblick Elisabeth von der Osten-Sacken: »Netz«. In: Reallexikon der Assyriologie und Vorderasiatischen Archäologie. Hrsg. von Otto Dietz Edzard. Bd. 9. Berlin; New York: de Gruyter, 2001, S. 235−242. 35 Die Stele ist anlässlich des Sieges über den benachbarten Stadtstaat Umma entstanden. Vgl. zu den religiösen Details Gebhard Selz: Untersuchungen zur Götterwelt des altsumerischen Stadtstaates von Lagaš. Occasional Publications of the Samuel Noah Kramer Fund 13. Philadelphia: University of Pennsylvania Museum, 1995, S. 222 ff., S. 291 f. und zum poli- tischen Hintergrund Eduard Meyer: Geschichte des Altertums. Die ältesten geschichtlichen Völker und Kulturen bis zum 16. Jahrhundert. Nachtrag: Die ältere Chronologie Babylo- niens, Assyriens und Ägyptens. Hrsg. von Hans Erich Stier. 9. Aufl. Bd. 1.2. Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft, 1981, S. 490 f., und Otto Dietz Edzard: Geschichte Mesopotamiens. Von den Sumerern bis zu Alexander dem Großen. Beck’s Historische Bibliothek. München: C. H. Beck, 2004, S. 51 f. Edzard geht davon aus, dass der Streit auf einem generationenlangen Konflikt um die Nutzung von Wasserrechten beruht. Ebd. Die Beute der Götter 27 abb . 2 .2: Eannatum fängt die Feinde der Stadt Lagaš mit einem Netz. Frag ment der sumerischen Geierstele, ca. 2.440 v. Chr. Kalkstein, rekonstruierte Originalgröße 130 x 180 cm, Tiefe 11 cm. Louvre, Paris: AO 16109, AO 50, AO 2346, AO 2348. dieser Strategie begegnet man inmitten des babylonischen Weltschöp- fungsmythos Enûma Eliš, worin vom Kampf des Gottes Marduk gegen die Urgöttin Tiamat erzählt wird. Marduks Mittel der Zähmung und Waffe der Wahl ist neben sieben bösen Winden ebenfalls das fangende Netz.36 36 Vgl. Erich Ebeling: Das Babylonische Weltschöpfungslied. Altorientalische Texte und Unter- suchungen II, 4. Breslau: Selbstverlag, 1921, S. 11 f. Für eine philologisch genaue Übertra- gung vgl. die französische Übersetzung in Philippe Talon, Hrsg.: The Standard Babylonian Creation Myth Enūma Eliš. State Archives of Assyria. Cuneiform Texts IV. Helsinki: The Neo-Assyrian Text Corpus Project, 2005. »Il (Marduk) mit l’éclair devant lui, / après s’être empli le corps de flammes ardentes, / il créa le filet – c’est pour envelopper Tiamat –, / il s’équipa des Quatre Vents – rien d’elle ne pourra s’échapper –.« (Tafel IV, 39−42) »Le Sei- gneur déploya son filet et l’en enveloppa, / il lâcha sur elle le Vent Mauvais […] (IV, 95−96). Nach Tiamats Tod reißt Marduk sie in zwei Stücke, »wie einen trockenen Fisch« (IV, 137). 28 Netze vor den Netzwerken Einer vergleichbaren narrativen Bildstrategie bedienen sich auch ägyptische Pharaonen gerne. Das spektakulärste, ebenfalls Einklang mit den Göttern verkündende Beispiel der Verbindung von Fanggesten und Macht findet sich an der Frontfassade des 237 bis 57 v. Chr. erbauten Tempels von Edfu.37 Symmetrisch verdoppelt erscheint hier der von Hathor und Horus unterstützte siegreiche Pharao, der seine Feinde zweifach an den Haaren hält und jederzeit den Schlag gegen sie ausführen kann (Abbildung 2.3). abb . 2 .3: Der Pharao schlägt seine Feinde nieder. Frontfassade des Tempels von Edfu, rechter Pylon (Detail). Erbaut 237−57 v. Chr., Fotografie November 2007. Mehr noch als in der Handgeste Ningirsus (bzw. Eannatums), der das Netz im Namen der Stadt hält, verfügt der Herrscher hier über den Tod der anderen. Die Herrschaftsgeste des Haltens,38 Bindens und Schlagens wirkt dabei als magische Todesdrohung auf Distanz. Zugleich stellt die Mauer einen magischen Schutzwall dar, mit dem feindliche und profane Einflüsse vom Heiligtum des Horustempels ferngehalten werden sollen. 37 Der ptolemäische Tempel wurde 142 v. Chr. eingeweiht. Vergleichbare Darstellungen existie- ren auch in Esneh und Karnak, wobei letztere deutlich älter ist. 38 Im Falle von Edfu ist das sonst übliche Halten an den Haaren ebensowenig nachweisbar wie die Existenz eines eventuell physisch vorhandenen, aufgemalten Netzes. Vgl. die Um- zeichnungen in Uwe Bartels: EDFU. Die Darstellungen auf den Außenseiten der Umfas- sungsmauer und auf dem Pylonen. Strichzeichnungen und Photographien. Hrsg. von Dieter Kurth. Die Inschriften des Tempels von Edfu. Abteilung II: Dokumentationen. Wiesbaden: Harrassowitz, 2009. Die Beute der Götter 29 Die Bilder und Texte gelten in Edfu als Teil eines »Buches«, d. h. sie sind zugleich eine Ritualanweisung.39 Zwischen der sumerischen Geier- stele und der ptolemäischen Architektur von Edfu liegen über 2.000 Jahre – ein Abstand, der auch bei langer Tradierung von Gesten der Macht nur schwer zu überbrücken scheint. Darstellungen des Fangens, Jagens und Niederschlagens wie auf der monumentalen Fassade in Edfu hatten allerdings eine feste Tradition, die mindestens bis in das Neue Reich (ca. 1539−1070 v. Chr.) zurückreichte.40 Eine beständig wiederkehrende rituelle Praxis der Herrschaft ist da- bei der Vogelfang. So heißt es auf einer mit Ramses II.41 verbundenen Darstellung an der Südwand des Amontempels in Karnak: Willkommen, willkommen o ›Sohn‹ des Amun, Herr der beiden Länder (Ramses II.) | ! Du hast die Vögel in deiner Falle gefangen, indem Seschat für dich die Wasservögel wimmeln (auffliegen) läßt, während du dein Netz zuziehst, deine Hände am Zugseil gemeinsam mit deinen Brüdern, (nämlich) Chnum vor dir und Horus hinter dir, die Böses von deinem Weg (aus deiner Nähe) vertreiben.42 Aber warum fängt ein Pharao Vögel? Die Repräsentationsfunktion der herrschaftlichen Jagd, mit der ein Lebensraum beherrscht wird, spielt für die ikonografische Genealogie eine nicht zu unterschätzende Rolle.43 Innerhalb des Tempels von Edfu findet sich noch eine weitere 39 Vgl. Maurice Alliot: »Les rites de chasse au filet, aux temples de Karnak, d’Edfou et d’Esneh«. In: Revue d’Égyptologie 5 (1946), S. 57−118, und Dino Bidoli: Die Sprüche der Fangnetze in den altägyptischen Sargtexten. Abhandlungen des Deutschen Archäologischen Instituts Kairo. Ägyptologische Reihe 9. Glückstadt: J. J. Augustin, 1976, S. 16. 40 Ikonografische Belege finden sich u. a. in einer der Kammern Thutmosis III. in Karnak und – als Lob Ramses’ II. – an der Südwand der Großen Säulenhalle des Amontempels in Karnak. Vgl. Alliot: »Les rites de chasse au filet, aux temples de Karnak, d’Edfou et d’Esneh«, S. 110, und Bidoli: Die Sprüche der Fangnetze in den altägyptischen Sargtexten, S. 16. 41 Regierungszeit: 1279 bis 1213 v. Chr. 42 Ali El Sharkawy: Der Amun-Tempel von Karnak. Die Funktion der Großen Säulenhalle, ers chlossen aus der Analyse der Dekoration ihrer Innenwände. Wissenschaftliche Schrif- tenreihe Ägyptologie 1. Berlin: Verlag Dr. Köster, 1997, S. 49. Vgl. zum weiteren Kontext der umgebenden Szenen, die nicht nur von der Vernichtung der Gottesfeinde, sondern auch von zyklischer Erneuerung und Nahrungserwerb handeln, ebd., S. 225 f. 43 Vgl. Pierre Montet: La vie quotidienne en Égypte au temps des Ramsès 1300−1100. Paris: Hachette, 1988, S. 131 f., S. 208. Zur Alltagsgeschichte des Fischens und Jagens in Ägypten siehe zudem Pierre Montet: Scènes de la vie privée dans les tombeaux égyptiens de l’ancien empire. Publications de la faculté des lettres de l’université de Strasbourg 24. Strasbourg: Librairie Istra, 1925, S. 1 f. Eine archäologische Dokumentation der zur Netzherstellung verwendeten Netznadeln findet sich bei William Matthew Flinders Petrie: Tools and Weapons. Illustrated by the Egyptian Collection in University College, London and 2.000 outlines 30 Netze vor den Netzwerken Ritualszene, in deren Darstellung dies deutlich wird. Der Pharao zieht darin gemeinsam mit den Göttern Chnum, Horus und Thot ein großes Schlagnetz zu, in dem Vögel, Fische, Vierfüßler und Menschen gefan- gen werden, obwohl diese Netzform nur zum Fang von Wasservögeln üblich war (Abbildung 2.4). abb . 2 .4: Der Pharao, Chnum, Horus und Thot ziehen das Schlagnetz zu. Darstellung im Inneren des Tempels von Edfu. Neben Horus und Osiris ist Thot der dritte Gott, der in Ägypten als Netznutzer bekannt war. Als Erfinder der Schrift, Gott von Magie wie Wissenschaft und Ahnherr des Hermes wird er, vor allem in seinem Hausheiligtum in Heliopolis, oft als listiger Vogelfänger dargestellt, der in Riten das Zeichen zum Zuziehen des Fangnetzes gibt.44 Darüber hinaus findet sich im Totenbuch der Ägypter ein Zauberspruch zum »Entkommen aus dem Netz«: O du Hintersichschauer, der über sein Herz verfügt, Jäger der Jagdbeute dessen, der die Erde öffnet, o ihr Fischer, Kinder und ihre Väter, die ihr fischt, umherziehend in der Wasserflut – ihr sollt mich nicht fangen in jenem euren Netz, in welchem ihr die ›Müden‹ fangt, ihr sollt mich nicht fangen in jenem eurem Schlagnetz, in welchem ihr die Zugvögel fangt, dessen Schwimmer zum Himmel, dessen Senkgewicht zur Erde reicht.45 from other sources. London: Constable & Co.; Bernard Quaritch, 1917, Tafel LXV. Zur vornehmen Jagd im Altertum siehe zudem Günther Lorenz: Tiere im Leben der alten Kulturen. Schriftlose Kulturen, Alter Orient, Ägypten, Griechenland und Rom. Alltag und Kultur im Altertum 5. Wien; Köln; Weimar: Böhlau, 2000, S. 42 f., S. 65 f. Im Falle der Säulenhalle des Amon-Tempels in Karnak stehen die rekhyt-Vögel für die nicht-herrschaftlichen Ägypter. Vgl. Elizabeth Blyth: Karnak. Evolution of a Temple. London; New York: Routledge, 2006, S. 157. 44 Vgl. zu Thot und Netz ausführlich Martin Andreas Stadler: Weiser und Wesir. Studien zu Vorkommen, Rolle und Wesen des Gottes Thot im ägyptischen Totenbuch. Orientalische Religionen in der Antike 1. Tübingen: Mohr Siebeck, 2009, S. 178 f., S. 331 f. 45 Erik Hornung, Hrsg.: Das Totenbuch der Ägypter. Zürich; München: Artemis, 1990, Spruch 153 A, S. 324. Die Beute der Götter 31 Die Abmessungen des in diesen Versen imaginierten Netzes sind enorm. Es reicht vom Himmel bis zur Erde und weist dabei alle Eigenschaften eines Fischernetzes auf, inklusive Schwimmer und Gegengewicht. Aber wem will der Zaubernde entkommen? Aufgespannt ist hier ein Netz im Jenseits des Totenreichs. Osiris »der Große«, Gott der Unterwelt, ist derjenige, dem es zu entfliehen gilt. Umgekehrt ist der Fänger auf diejenigen Geister aus, die zu ihrem Ka46 eilen wollen.47 In einem Spruch macht sich der Gefangene das gefährliche Jenseitsnetz allerdings selbst zunutze: »Mich umgibt das, was ich zerschnitten habe, mich erhält am Leben, was ich gejagt habe«.48 Neben den Totenbuchtexten – deren wichtigste Bestandteile aus der frühen 18. Dynastie, d. h. dem 15. Jahrhundert v. Chr., stammen – fin- den sich vergleichbare Zauber bereits im älteren Korpus der Sargtexte. Die Netze werden darin wie auch im Totenbuch quasi anatomisch in ihre Bestandteile zerlegt. Die Beschreibung der Schlag- und Schleppnetze liest sich so als ein Inventar von Körperteilen der Götter. Während der Spannpflock vom Bein des Keltergottes Schesemu stammt, ist die Holznadel eine Repräsentation der Finger des Künstlergottes Sokaris. Sein Messer ist das Hackmesser der Nephtys, die Streben die Schwingen des göttlichen Falken Ras etc.49 Die Aufzählung vollzieht sich in allen Netz-Sprüchen bis hin zum Totenbuch nahezu gleich. Zwei Elemente kennzeichnen die Rolle materieller Kultur innerhalb der Ritualanwei- sung. Einerseits bekommt das Jenseitsnetz eine göttliche Anatomie, die streng an den Werkzeugen des ägyptischen Alltags orientiert ist. Diese aus der Religion hergeleiteten Bestandteile des Netzes bleiben 46 »Ka« bedeutet »Macht im Leben«, »Nahrung« oder das Leben selbst, ist aber auch die von den Ahnen bestimmte Erbanlage eines Menschen. Götter wie Menschen verfügen im alten Ägypten über Ka. Fische galten zudem als Manifestation des Ra – ein Mensch in Fischgestalt vermag so eher dem Tod zu entkommen. Vgl. Lorenz: Tiere im Leben der alten Kulturen, S. 158. 47 Bidoli: Die Sprüche der Fangnetze in den altägyptischen Sargtexten, S. 12. 48 Bidoli: Die Sprüche der Fangnetze in den altägyptischen Sargtexten, Spruch 476, 30 e−f, S. 97. Welche Rolle in diesem Rahmen jene materiell überlieferten Perlennetze spielen, die in der Spätzeit Mumienkörper bedecken, ist noch nicht gesichert. Anzunehmen ist aber, dass hier auf die ältere Überlieferung eines Jenseitsnetzes Bezug genommen wird. Vgl. Caris-Beatrice Arnst: »Vernetzung. Zur Symbolik des Mumiennetzes«. In: IBAES. Internet-Beiträge zur Ägyptologie und Sudanarchäologie 1 (1998), S. 79−93. http://www2.hu-berlin.de/nilus/ net-publications/ibaes1/Arnst/text.pdf. 49 Vgl. Raymond Oliver Faulkner, Hrsg.: The Ancient Egyptian Coffin Texts. Spells 1−1185 & Indices. Oxford: Aries & Philipps, 2004, Spruch 473 f., S. 107 f. Bidoli: Die Sprüche der Fangnetze in den altägyptischen Sargtexten, S. 47 f. Hornung: Das Totenbuch der Ägypter, Spruch 153, S. 324 f. 32 Netze vor den Netzwerken dabei bezeichnenderweise konstant.50 Andererseits folgt die magische Aufzählungslogik einer gut dokumentierten Vorliebe der Ägypter für listenförmiges, in Tabellen sorgfältig eingeordnetes Wissen, die auch die Beschreibung von Schiffen oder Kommentare in der medizinischen Literatur durchzieht.51 In einer solchen Mytho-Logik – die nicht ohne Weiteres mit unserem griechisch geprägten Verständnis zu vereinbaren ist52 – wird das Netz zum Symbol der Macht: zunächst als Jenseitsnetz, das Macht über den Tod im allgemeinen verleiht, dann auch als Schlag- netz, mit dem über den Tod aller aufzählbaren Feinde verfügt wird.53 Über diese spezifischen Figurationen hinaus hat die ägyptische Netz- magie teil an einer Semantik des Fangens und Bindens, die sich in einer Vielzahl indoeuropäischer Mythen findet. Nicht nur im Pfortenbuch54 (Abbildung 2.5), sondern in vielen indoeuropäischen Erzählungen zau- bern Götter mit Netzen. Der Religionswissenschaftler Mircea Eliade abb . 2 .5: Zwei mit Netzen zaubernde ägyptische Götter. Darstellung aus dem Pfortenbuch, erstmals 1300 v. Chr. belegt. 50 Vergleichbares gilt für die schriftbildliche Codierung der verschiedenen Netzformen. 51 Bidoli: Die Sprüche der Fangnetze in den altägyptischen Sargtexten, S. 12. Vgl. Jack Goody: The Domestication of the Savage Mind. Themes in the Social Sciences. Cambridge u. a.: Cambridge University Press, 1990, S. 74 f., zur Liste als Kulturtechnik in Mesopotamien und Ägypten. 52 Vgl. hierzu z. B. Jan Assmann: Ägypten. Eine Sinngeschichte. München; Wien: Hanser, 1996, S. 38. Im selben Buch entwirft Assmann bezeichnenderweise eine ›Sinngeschichte‹ Ägyptens als eine Geschichte der Netze kultureller Sinnstiftung und des damit verbundenen Wissens. 53 Vgl. Dieter Kurth, Hrsg.: Treffpunkt der Götter. Inschriften aus dem Tempel des Horus von Edfu. 2. Aufl. Düsseldorf; Zürich: Artemis & Winkler, 1998, S. 192. 54 Jürgen Zeidler, Hrsg.: Pfortenbuchstudien, Teil II. Kritische Edition des Pfortenbuchs nach den Versionen des Neuen Reiches. Göttinger Orientforschungen IV. Reihe Ägypten 36. Wiesbaden: Harrassowitz, 1999, S. 287, S. 291. Die Beute der Götter 33 hat diese Mythen nach zwei Aspekten unterschieden: Zum einen er- zählen sie von magischen Banden, die gegen Feinde in Menschengestalt im Krieg und in der Zauberei Verwendung finden. Indem man diese Bande durchschneidet, kann man sich von ihrem Unheil befreien. Zum anderen werden magische Netze mit segenbringenden Knoten und Bändern assoziiert. Sie sind Mittel der Verteidigung gegen wilde Tiere, Krankheiten, Verhexungen, gegen die Dämonen und den Tod.55 Die konstitutive Zwiespältigkeit der Semantik von Netz und Knoten, Fesselung, Entfesselung und Bindung neigt sich aber meist zur Seite des Verstrickens hin. Sowohl im Rigveda und Atharvaveda als auch im Alten Testament dominiert dieser Aspekt, allerdings unter jeweils anderen Vorzeichen. So ist der über den Kosmos gebietende indische Gott Varuna ein Mei- ster der Bande und Schlingen, die über die magische Kraft verfügen, Menschen auf große Distanzen zu fangen. Etymologisch leitet sich sein Name von *uer, »binden« (Sanskrit varatrâ), »Riemen« und »Schnur« her. Varuna straft Menschen, die gegen das Gesetz verstoßen haben, indem er sie bindet. Deshalb bittet man ihn, nicht zu binden oder aber die Bande zu lösten. Indra ist derjenige Gott, der aus den Schlingen des Varuna zu befreien vermag. Die wiederkehrende Assoziation von Recht, Schlinge und Bindung wird in den Veden erstmals als Teil des göttlichen Rechts dargestellt. Vergleichbare Diskurselemente beeinflussen noch die griechische und römische Rechtssprechung. Tatsächlich hat die indische Mythologie zahlreiche mit Schlingen und Netzen zaubernde Götter im Repertoire. Neben Varuna und Indra gehören dazu noch die Todes- gottheiten Yama und Nirrti sowie diverse Krankheitsdämonen.56 Vom Kriegsgott Indra ist überliefert, dass er wie Ningirsu feindliche Heere mit seinem Netz bezwingt. In einem Beschwörungslied des Atharvaveda heißt es: Der Luftraum war das Netz, die großen Himmelsgegenden waren die Stäbe des Netzes. Nachdem Indra mit diesem Netze das Heer der Feinde umhüllt hatte, zerstreute er es. […] Diese große Welt war das Netz des großen Indra. Vermittels des Netzes des Indra umhülle ich alle jene Männer mit Finsternis.57 55 Mircea Eliade: Ewige Bilder und Sinnbilder. Über die magisch-religiöse Symbolik. Frankfurt am Main; Leipzig: Insel, 1998, S. 124. 56 Vgl. Eliade: Ewige Bilder und Sinnbilder. Über die magisch-religiöse Symbolik, S. 112 f. und Scheftelowitz: Das Schlingen- und Netzmotiv im Glauben und Brauch der Völker, S. 1 f. 57 Atharvaveda VIII, 5−8, 16, zitiert nach Scheftelowitz: Das Schlingen- und Netzmotiv im Glauben und Brauch der Völker, S. 6. 34 Netze vor den Netzwerken Auch der Gott des Alten Testaments droht bindende Strafen an, die mit Netzen vollzogen werden. Vom Gottlosen heißt es bei Hiob: »Ins Garn bringen ihn seine Füße, und über Fanggruben führt sein Weg. Das Netz wird seine Ferse festhalten und die Schlinge wird ihn fangen.«58 Das Gottesgericht verkündet er als kommenden »Schrecken und Grube und Netz«.59 Josua wiederum mahnt die Israeliten, »daß der Herr, euer Gott, nicht mehr alle diese Völker vertreiben wird, sondern sie werden euch zum Fallstrick und Netz werden und zur Geißel für euren Rücken und zum Stachel in euren Augen, bis ihr ausgerottet seid aus dem gu- ten Land, das euch der Herr, euer Gott gegeben hat.«60 Zwar mögen mitunter auch die Heiden im Netz gefangen werden, das sie gestellt haben.61 Doch zumeist sind es die Gottlosen, in deren Netzen man gefangen wird.62 Und Gott ist derjenige, dessen Hilfe den Gläubigen daraus wieder zu befreien vermag.63 Drei ineinandergreifende Momente zeichnen die alttestamentarischen Einsätze des Netzes aus. Erstens erscheinen die Israeliten als Tiere in Gottes strafendem, jagend-einfangendem, verschlingendem und zu Boden ziehendem Netz. Die Mensch-Tier-Differenz wird fortwährend durch die wiederkehrende Formel »wie ein Vogel«, »wie ein Hirsch«, »wie Fische« oder »wie Wildschafe«64 unterlaufen.65 Vor dem umhüllenden Netz werden alle gleich. Dies ist nicht im Sinne eines positiven Egalitarismus zu verstehen, wie er teilweise in der Netzmetaphorik des Neuen Testaments anklingt. Viel eher wird das Netz zum Teil einer Theologie der richtenden Be- strafung. 58 Hiob 18,9 f. Alle Zitate folgen der Ausgabe Die Bibel nach der Übersetzung Martin Luthers mit Konkordanz. Berlin; Altenburg: Evangelische Haupt-Bibelgesellschaft, 1989, so nicht anders angegeben. 59 Hiob 24,17. 60 Josua 23,13. 61 Psalm 9,16; 141,10. 62 Psalm 10,9. 63 Psalm 25,15; 31,5. 64 Ein schönes Beispiel ist der Wortlaut von Prediger 9,12: »Auch weiß der Mensch seine Zeit nicht, sondern wie die Fische gefangen werden mit dem verderblichen Netz und wie die Vögel mit dem Garn gefangen werden, so werden auch die Menschen verstrickt zur bösen Zeit, wenn sie plötzlich über sie fällt.« 65 Dies stellt eine Gemeinsamkeit mit manchen ägyptischen Darstellungen dar, in denen Mensch und Tier ebenfalls im selben Netz der pharaonischen Macht gefangen sind. Deren Konno- tation als Feinde findet sich ebenso in der Bibel, wenn auch nur als eine Variante. Vgl. zu Habakuk 1,14 f. und Babylon Scheftelowitz: Das Schlingen- und Netzmotiv im Glauben und Brauch der Völker, S. 19. Die Beute der Götter 35 Zweitens drängt sich eine rigorose Semantik der Gegnerschaft – zwi- schen Gott und seinem auserwählten Volk66 wie vor allem zwischen Israel und seinen Gegnern – immer wieder in den Vordergrund. Frem- de Völker werden zum Fallstrick und Netz,67 der Gottlose fängt den Armen mit den gleichen Mitteln,68 boshafte Feinde haben ohne Grund eine Grube gegraben.69 Und drittens finden sich einige wenige Formen figurativer Rede, die Sprache und Verführung als Umgarnen mit Netzen metaphorisie- ren – Wendungen, die sich ungleich pointierter als sprachliche Jagdtech- nik der Liebe bei Ovid wiederfinden werden. »Wer seinem Nächsten schmeichelt, der spannt ihm ein Netz über den Weg.«70 Oder, als War- nung für den Ehemann: »Nah dich nicht einer fremden Frau, / damit Du nicht in ihre Netze fällst.«71 Eindrucksvoll verweist die Bewegung stets nach unten, die Netz- schlingen setzen meist am Fuß an: Man fällt in einen unheilvollen Raum. »Grube und Netz« stehen dabei in wiederkehrender Kon- junktion. Am stärksten verdichtet dies der Prophet Jesaja zu einer elliptischen Androhung des Gottesgerichts: »Über euch, Bewohner der Erde, kommt Schrecken und Grube und Netz.«72 Gegenüber dieser gött- lichen, mitunter auch weltlichen Bedrohungsmacht des Netzes nimmt sich die explizite Referenz auf materielle Netze und Netzstrukturen im Alten Testament vergleichsweise unbedeutend aus.73 Es dominiert in den deutschen Übersetzungen die Gleichnishaftigkeit, auch wenn im zweiten Buch Mose ein Altar mit netzförmigen Gitterwerk aus Kupfer gefertigt werden soll74 oder Judit nach dem Mord an Holofernes ein 66 Klagelieder 1,13: »Er hat ein Feuer aus der Höhe in meine (Jerusalems, SG) Gebeine ge- sandt und läßt es wüten. Er hat meinen Füßen ein Netz gestellt und mich rückwärts fallen lassen; er hat mich zur Wüste gemacht; daß ich für immer siech bin.« »Er« bezieht sich hier durchgängig auf Gott. 67 Josua 23,13. 68 Psalm 10,9. 69 Psalm 35,7. 70 Sprüche 29,5. Die Jerusalemer Bibel übersetzt passender: »Wer seinem Nächsten schmei- chelt, / breitet ihm ein Netz vor die Füße.« Alfons Deissler und Anton Vögtle, Hrsg.: Neue Jerusalemer Bibel. Einheitsübersetzung mit dem Kommentar der Jerusalemer Bibel. Leipzig: St. Benno-Verlag, 1986. 71 Sirach 9,3. Deissler und Vögtle: Neue Jerusalemer Bibel. 72 Jesaja 24,17. 73 Vgl. für eine hinsichtlich der materiellen Netzformen genaue Lektüre Peter Riede: Im Netz des Jägers. Studien zur Feindmetaphorik der Individualpsalmen. Wissenschaftliche Mono- graphien zum Alten und neuen Testament 85. Neukirchen-Vluyn: Neukirchener Verlag, 2000, S. 341 f. 74 2. Mose, 27,4. 36 Netze vor den Netzwerken Mückennetz von den Tragstangen reißt.75 Im hebräischen Originaltext sind die unterschiedlichen Netzformen als solche ausgezeichnet, sei es als Stell-, Zug-, Klapp / Schlag- oder Schleppnetz.76 Trotz dieser Diffe- renzierung entwickeln die Netzfiguren eine nachdrückliche Allgemein- gültigkeit, die man nicht nur auf generelle Charakteristika des Alten Testaments zurückführen kann. Im Monotheismus radikalisiert sich die göttliche Magie des Bindens und Verfangens. Während in der Rigveda ein Gott wie Varuna über Gegner wie Indra verfügt, die Menschen aus den Schlingen ihrer Schuld befreien können oder in Ägypten Zaubersprü- che des Totenbuchs Schutz vor dem Jenseitsnetz des fischenden Osiris gewähren sollen, ist den Netzen des himmlischen Jägers JHWE nicht zu entkommen. Schrecken, Grube und Netz sind im Alten Testament unausweichlich verbunden. Wie ließe sich der hier skizzierte fortwährend überkreuzte Tausch von Mythos, Religion und materieller Kultur zusammenfassen? Auch wenn magische Fesseln und Netze durchaus zur Heilung von Krankheiten und zur Abwehr von Dämonen dienten, zeichnet sich der kosmologische Parcours zwischen Mesopotamien und Ägypten, Indien und Israel durch die wiederkehrende negative Konnotation der Zauber- und Machtnetze aus. Diese äußert sich im Rahmen einer Theologie des Netzes, die an einer Anthropologie der bösen Götter teilhat: Menschen werden von den göttlichen und königlichen Netzen wie Tiere gefangen und zu Bo- den gezogen. Auch wenn Fanggerät und Fluch die Luft durchmessen, erscheint das Niederschlagen auf die Erde als dominierendes Element. Diese chthonische Charakteristik kennzeichnet die Netzmagie, deren bindender Charakter den bezauberten Körper umhüllt. Verschlingende und umfangende Netze bleiben so vor allem ein körper- und hautnahes Phänomen. In der mittelalterlichen und frühneuzeitlichen Ikonografie der Sinne wird, wie anhand des Tastsinnes zu zeigen sein wird, dieses Programm unter veränderten Vorzeichen weitergeführt.77 Während der Aspekt von Herrschaft und Macht über Menschen und Tiere naheliegt, ist die symbolische Beherrschung weiter Räume 75 Judit 13,9. Deissler und Vögtle: Neue Jerusalemer Bibel. Das Netz ist vielleicht ein Schutz gegen dämonische Angriffe gewesen. Vgl. Scheftelowitz: Das Schlingen- und Netzmotiv im Glauben und Brauch der Völker, S. 40, Fußnote 7. 76 Vgl. hierzu die Einträge Peter Riede: »Netz«. In: Calwer Bibellexikon. Hrsg. von Otto Betz, Beate Ego und Werner Grimm. Bd. 2. Stuttgart: Calwer Verlag, 2003, S. 967−968 und Henri Lesêtre: »Filet«. In: Dictionnaire de la Bible C−F. Hrsg. von Fulcran Vigoroux. Paris: Letouzey et Ané, 1899, S. 2245−2249. 77 Vgl. Kapitel 2.3 dieses Buches. Flüche, Bänder, Verträge und die Institutionen des Rechts 37 durch fangende Netze keine Selbstverständlichkeit. Sie folgt in den alten Hochkulturen weniger einem modernen Programm der univer- sellen Anschlussfähigkeit und Ausweitung. Stattdessen etabliert sich der hegemoniale Charakter des Netzes am Vorbild der Götter, als politische Technik einer territorialen Umschließung.78 Netze konstituieren anthro- pologische Räume, aber der geografische Raum erscheint nicht als im modernen Sinne durch Verbindung und Kommunikation »vernetzt«. Er ist vielmehr ein Raum, in dem das Netz als umfangendes Machtin- strument zur Geltung kommt. Am stärksten verkörpern herrschaftliche Treibjagden diesen Anspruch, die mit großen Netzen und vielen Jägern immer auch den Kriegsfall proben.79 2.2 Flüche, Bänder, Verträge und die Institutionen des Rechts Griechenland Ungeheuer ist viel und nichts / Ungeheurer als der Mensch. […] / Leichtgesinnter Vö- gel Volk / Fängt er im Garn, / Wilder Tiere Geschlechter / Und Kinder des Meers / In verschlungenem Netzgeflecht, / Der kluge Mensch.80 Sophokles, Antigone, erstes Standlied Die Orestie des Aischylos ist nicht nur die vielleicht radikalste, blutigste Trilogie des griechischen Theaters. Sie ist auch ein selten beachteter Teil einer Kulturgeschichte des verfangenden Netzes. Häufiger gelten die drei Stücke, mit denen Aischylos beim jährlichen Wettbewerb um die beste Tragödie 458 v. Chr. triumphiert, als eines der populärsten Beispiele für die theatrale Verfasstheit des Gemeinwesens von Athen.81 In welcher 78 Vgl. Alexander Friedrich: »Vernetzte Zwischenräume«. In: Bewegen im Zwischenraum. Hrsg. von Uwe Wirth. Wege der Kulturforschung 3. Berlin: Kadmos, 2012, S. 55−74, hier S. 62. 79 Vgl. zum assyrischen, griechischen und mongolischen Netztreiben Karl Meuli: »Ein altpersi- scher Kriegsbrauch«. In: Gesammelte Schriften. Hrsg. von Thomas Gelzer. Bd. 2. Basel; Stuttgart: Schwabe & Co., 1975, S. 699−729. 80 Sophokles: Antigone. Übersetzt von Wilhelm Kuchenmüller. Stuttgart: Reclam, 1993, 332 f. 81 Vgl. zur räumlichen Situierung der Aufführung – im Anschluss an Siegfried Melchinger – Cor- nelia Vismann: »Das Drama des Entscheidens«. In: Urteilen / Entscheiden. Hrsg. von Cornelia Vismann und Thomas Weitin. Literatur und Recht. München: Fink, 2005, S. 91−100, hier S. 94 f. Der Beginn der Agamemnon-Aufführung soll ob der Szenografie der aus Troja he- rüberlodernden Fackeltelegrafie in der Nacht gelegen haben. Vgl. Frank Haase: »Mythos Fackeltelegraph – Über die medientheoretischen Grundlagen antiker Nachrichtentechnik«. In: Medien der Antike. Archiv für Mediengeschichte. Hrsg. von Lorenz Engell, Bernhard Siegert und Joseph Vogl. Weimar: Universitätsverlag, 2003, S. 181−191, hier S. 185. 38 Netze vor den Netzwerken Form aber Agamemnon, die Choephoren – auch Grabesspenderinnen genannt – und die wohlmeinenden Eumeniden zur politischen Kunst der griechischen Tragödie gehören,82 ist selbst Gegenstand eines Nachlebens, in dem die Antike unweigerlich stets aufs Neue erfunden wird.83 Nicht einer, zweier, sondern vieler verketteter, ineinander greifender Transfor- mationen des antiken Wissens hat sich zu stellen, wer die Orestie als Teil einer Kulturgeschichte des Netzes liest.84 Am Ende des Agamemnon tritt die Königin Klytaimestra auf, das Beil in der Hand. Die Leichen ihres aus Troja heimgekehrten Mannes Agamemnon und ihrer Tochter Kassandra liegen hinter ihr, unter roten Decken. Kassandra hat den Tod ihres Vaters Agamemnon vorausgese- hen, mitsamt den grausigen Details des Blutopfers:85 Ach! Ach; o weh, o weh! Was ist, was zeigt sich da? Ein Fischernetz (diktyon) des Hades? Ein Fanggarn für den Gatten, ein Mithelfer bei dem Mord! Zwietracht, unstillbar dem Geschlecht, Begrüß im Jubelruf Mord, den nur Steingung sühnt.86 Auch Klytaimestra selbst beschreibt ihr blutiges Werk als einen Akt des Einfangens: »Werf ein endlos weit Geweb ich wie zum Fischefang / Rings über ihn, der Falten argen Überfluß.«87 Der Muttermörder Orestes wird in den Choephoren ohnmächtig und selbstrechtfertigend auf die Tat seiner Mutter zurückschauen: »Wie heiß ich dies und treff das Rech- te rechten Worts? / Fangzeug (agreuma) fürs Jagdtier? Fußumhüllend 82 Vgl. Christian Meier: Die politische Kunst der griechischen Tragödie. München: C. H. Beck, 1988. 83 Vgl. hierzu Hartmut Böhme: »Vorwort«. In: Übersetzung und Transformation. Hrsg. von Hartmut Böhme, Christof Rapp und Wolfgang Rösler. Transformationen der Antike 1. Berlin; New York: de Gruyter, 2007, S. V−XIII; Hartmut Böhme u. a., Hrsg.: Transformation. Ein Konzept zur Erforschung kulturellen Wandels. München: Fink, 2011. 84 Dies gilt insbesondere bei der Wahl der Übersetzungen. Ich zitiere in der Regel, so nicht anders vermerkt, nach der Übertragung von Oskar Werner. Aischylos: Tragödien und Frag- mente. Hrsg. von Bernhard Zimmermann. München; Zürich: Artemis, 1988. Umschriften des Griechischen folgen zugunsten der allgemeinen Lesbarkeit des Textes DIN 31634. 85 Vgl. zum rituellen Wert dieser und anderer Szenen Walter Burkert: Homo necans. Inter- pretationen altgriechischer Opferriten und Mythen. Berlin; New York: de Gruyter, 1972, S. 11, S. 20, S. 66. 86 Aischylos: Agamemnon, 1115 f. Hervorhebungen SG. Diktyon steht für das Netz der Fischer und Jäger, Fangnetz, Stellgarn und Fallstrick. Droysen übersetzt: »Ach! Ach! O Graun! Wieder was dehnt sich da? / Ist’s gar ein Netz des Todes? / Der Leu im Garn! Die Bettgenossin tritt zum Werk / Des Mordes an! Jauchze, Du wilder Haß / Dieses Geschlechtes, jetzt diesem Blutopfer zu!« Aischylos: Werke in einem Band. Hrsg. von Jürgen Werner. Übersetzt von Johann Gustav Droysen. Überarbeitet von Wiktor Steffen. Berlin; Leipzig: Aufbau, 1968. Hervorhebungen SG. 87 Aischylos: Agamemnon, 1382 f. Flüche, Bänder, Verträge und die Institutionen des Rechts 39 Totenkleid? / Des Sarges deckend Bahrtuch? Ein Fischernetz (diktyon) vielmehr, / Fanggarn wohl hieß es, fußverwickelndes Geweb (peplos)?«88 Jenes fußverwickelnde, verfluchende Gewebe, von dem hier die Rede ist, trägt das indoeuropäische Erbe der Magie des Bindens und Um- schlingens in sich. Es hat am diskursiven Erbe der Veden ebenso teil wie an der Zauberei ägyptischer und mesopotamischer Götter und an der erdverbindenden Semantik der alttestamentarischen Netze. Und doch wird man am Ende der Orestie sehen können, dass die auf Tastsinn, Haut und Körper zielenden magisch-religiösen Praktiken dem verfluchenden Netz etwas kulturgeschichtlich Neues abringen. Die bindende Wirkung des Rechts und der Rechtssprechung verbindet das Gemeinwesen der attischen Polis mit einem »Band der Teilung«.89 Jenes wird nicht nur in der finalen Gerichtsverhandlung der Eumeniden performativ hergestellt, sondern kennzeichnet noch die bindende Wirkung der Schuld und des Vertrages im römischen Recht. Aber kehren wir zunächst auf die Szene der Orestie zurück. Ob der Widersprüchlichkeit der textlichen Spuren lässt sich kaum sagen, um welche Art von Netz es sich handelt. Einerseits wird es in modernen Szenenanweisungen der Choephoren als »riesiges Tuch« oder »großes netzartiges Tuch« bezeichnet.90 Klytaimestra selbst nennt es ein »endlos weit Geweb (apeiron amphiblēstron)«.91 Die Referenz ist unklar. Wenn es hier – wie die Charaktere der Trilogie mehrfach wiederholen – um eine Fluchformel geht, auf welche Art und Weise materialisiert sich dann das Netz als textil geknüpftes Artefakt? Was ist »der Spinne gewobene[s] Netz (arachnis en ypharmati)«,92 Stellgarn, Fangnetz? Bühnentechnisch haben Aischylos’ Übersetzer dies durch eine konsti- tutive Nachträglichkeit lösen müssen: Der Gegenstand ist bereits auf der Bühne, da Agamemnon und Kassandra, später Klytaimestra und Aigisthos geschlachtet worden sind, als Klytaimestra zu ihrem stolzen 88 Aischylos: Choephoren, 997 f. Droysen übersetzt peplos – eigentlich gewebtes Stück Zeug, Prachtgewand, Staatskleid – plastisch und frei als »fußverfangend Fluchgewirk«. Hervor- hebungen SG. Ranke-Graves beschreibt den Gegenstand als »selbstgewobenes Netzhemd«, »das weder Halsöffnung noch Armlöcher hatte«. Robert Ranke-Graves: Griechische My- thologie. Quellen und Deutungen. Reinbek bei Hamburg: Rowohlt, 1984, S. 380. 89 Vgl. Nicole Loraux: »Das Band der Teilung«. In: Gemeinschaften. Positionen zu einer Phi- losophie des Politischen. Hrsg. von Joseph Vogl. es 1881. Frankfurt am Main: Suhrkamp, 1994, S. 31−64. 90 Aischylos: Werke in einem Band, S. 247. Aischylos: Tragödien und Fragmente, S. 177. 91 Aischylos: Agamemnon, 1382. Amphilmetron – Wurf-, Zugnetz, verstrickendes Gewand. 92 So der Chorführer über Agamemnons Leichnam. Aischylos: Agamemnon, 1492, 1516. Ypharma – Gewebe, Gewand. 40 Netze vor den Netzwerken Eingeständnis vor dem Chor anhebt. Der schwierige Umgang mit der kulturellen Tradierung ist eine Seite – die konstitutive Unschärfe des gemeinten Objekts eine andere. Es stellt im Sinne Michel Serres’ ein Quasi-Objekt dar, dessen Materialität vor allem durch den sozia- len Umgang mit ihm geschaffen wird.93 Der Sprechakt als magische Handlung schafft ein unscharfes Ding, das sich nur durch die Interak- tion verkörpert und durch die mit ihm vollzogenen Handlungen seine Wirksamkeit erlangt. Es ist gleichzeitig symbolisch und materiell und entsteht innerhalb eines komplexen Spiels von erstens Religion, Magie und Ritual, zweitens Theater und Sprache, drittens Politik und Recht. Die Frage nach den Regeln dieses Spiels führt zunächst zu Homer. Im achten Gesang der Odyssee erzählt der blinde Sänger Demodokos von den verfänglichen Widrigkeiten einer ménage à trois: »Ares’ Liebe besang und Aphroditens der Meister, / wie sich beide zuerst in He- phaistos’ prächtiger Wohnung / heimlich vermischt.«94 Dies kommt durch Helios’ Kunde dem hinkenden Schmiedegott zu Ohren. »Aber sobald Hephaistos die kränkende Rede vernommen, / eilet er schnell in die Esse, mit rachevollen Entwürfen, / stellt’ auf den Block den gewaltigen Amboß und schmiedete starke, / unauflösliche Ketten, um fest und auf ewig zu binden.«95 Jene verteilt er als »kreisende Bande« (desmata – Bänder, Binden, Stricke, Seile) um das entweihte Ehebett, »viele spannt er auch oben herab vom Gebälke der Kammer, zart wie Spinnengewebe, die keiner zu sehen vermöchte, selbst von den seligen Göttern, so wunderfein war die Arbeit«.96 Der Plan geht auf. Ares flüstert Aphrodite zu: »Komm, Geliebte, zu Bette, der süßen Ruhe zu pflegen!«, nur um sich in der Umarmung alsbald von den »künstlichen Banden« des Hephaistos umschlungen zu finden. Siegreich, aber verletzt ruft dieser die Götter herbei. Poseidon, Hermes und Apollon schauen amüsiert vorbei und staunen über die Kunstfertigkeit des Schmiedes. Die Damen Göttinnen bleiben dem Geschehen pikiert fern. Erst zum Schluss des Gesanges des Demodokos kommt der ma- gische Code des Bindens und Lösens in vollem Umfang zum Tragen. Während Ares bekennt, auch in noch stärkeren Banden bei Aphrodite schlafen zu wollen, drängt Poseidon auf eine Lösung des Zaubers. He- 93 Vgl. Serres: Der Parasit, S. 344 f., und die Kapitel 3.1 und 11.1 dieses Buches. 94 Homer: Odyssee, in: Homer: Ilias und Odyssee. Altgriechisch und Deutsch. Übersetzt von Johann Heinrich Voß. Frankfurt am Main: Zweitausendeins, 2008, VIII, 267−269. 95 Homer: Odyssee, VIII, 272−275. 96 Homer: Odyssee, VIII, 279−281. Flüche, Bänder, Verträge und die Institutionen des Rechts 41 phaistos steht dem eher skeptisch gegenüber: »Elende Sicherheit gibt den Elenden selber die Bürgschaft. / Sage, wie könnte ich dich vor den ewigen Göttern verbinden, / flöhe nun Ares fort, der Schuld und den Banden entrinnend?«97 Schlussendlich gibt der Hinkende aber klein bei und entlässt das ertappte Paar, das daraufhin entschwindet. Der Schuld und den Banden entrinnend – in aller Verknappung werden beide fast identisch. Durch Hephaistos’ Netz wird sowohl Gerechtig- keit geschaffen als auch das Urteil vermittelt. Obwohl die Lösung des Konflikts hier friedlich verläuft, wirkt unter dem Gelächter der Götter eine konstitutive Spannung. Ovid hat Homers »vielerzählte«98 Dreiecksgeschichte mehrmals in seine Werke einfließen lassen. In der eleganten Neuauflage des Römers fällt nicht nur die Geschichte deutlich kürzer aus. Die künstlichen Ban- de werden hier auch im engeren Sinne als Netz des Hephaistos – bzw. im römischen Pantheon als Netz des Mulciber – gefasst. Im vierten Buch der Metamorphosen heißt es: »Ketten sofort, ganz dünn aus Erze geschmiedet, Schlingen und Netze dazu, die den Blick wohl könnten betrügen, feilt er zurecht.«99 In der Liebeskunst schließlich steht die Erzählung unter dem Vorzeichen des fangenden Verführens, bei dem die Geliebte als Beute immer schon Vogel, Eber, Fisch ist – bis sie im Netz gefangen, an der Angel zappelnd kleinbei gegeben hat.100 Dabei dienen Venus und Mars insofern als vergnügliches Exempel, als beide vom Be- kanntwerden ihrer Affäre profitieren. »[I]m Netz sind sie gefangen und nackt«101 – zum eigenen Vorteil, denn nach ihrer gemeinsamen Flucht bleibt Mulciber einsam zurück. Elemente eines Diskurses über Recht und Schuld deuten sich an, aber der Einsatz des magischen Codes Bin- 97 Homer: Odyssee, VIII, 351−353. Hervorhebung SG. 98 Ovid: Liebeskunst, 2. Buch, 563. In: Ovid: Werke in zwei Bänden. Hrsg. von Liselot Hucht- hausen. Bd. 2. Bibliothek der Antike. Berlin; Weimar: Aufbau, 1982. 99 Ovid: Metamorphosen IV, 176−178. In: Ovid: Werke in zwei Bänden. Hrsg. von Liselot Huchthausen. Bd. 1. Bibliothek der Antike. Übersetzt von Reinhart Suchier. Berlin; Weimar: Aufbau, 1982. »Extemplo graciles ex aere catenas / retiaque et laqueos, quae lumina fallere possent, / elimat.« 100 Ähnlich heißt es auch in Lukrez’ De rerum natura: »Denn zu vermeiden, daß wir in die Maschen der Liebe geraten, ist nicht so schwer wie, einmal gefangen, wieder aus dem Netz herauszukommen und die starken Knoten der Liebe zu durchbrechen.« Lukrez: Über die Na- tur der Dinge. Hrsg. von Josef Martin. Berlin: Akademie-Verlag, 1972, IV, 1146−1148, hier S. 285. Vgl. zur weiteren, an das Alte Testament, Ovid und Lukrez anschließenden Figuration der Verführung im Mittelalter Christina Lechtermann: »Vulkans Waffe«. In: Perspicuitas. Internet-Periodicum für mediävistische Sprach-, Literatur- und Kulturwissenschaft (2004), Ausgabe: Netzstrukturen. Zur Kulturgeschichte sprachlicher, visueller und technischer Netze. http://www.perspicuitas.uni-essen.de/sammelbd/netzstrukt/lechtermann_vulkan.pdf, S. 6 f. 101 Ovid: Liebeskunst, 2. Buch, 579. 42 Netze vor den Netzwerken den / Lösen fehlt bei Ovid fast gänzlich. Wie verhält sich diese Auslassung zu dem noch im antiken Griechenland so präsenten Zusammenhang von Recht, Fluch und Bindung? Seitdem Friedrich Nietzsche und Ulrich von Wilamowitz-Moel- lendorff über die Herkunft der griechischen Tragödie stritten, ist das Verhältnis der Stadtstaaten zu mythos wie logos ein Stachel im Fleisch der Antikerezeption. Dies betrifft die Philosophie ebenso wie Philo- logie und Alte Geschichte.102 Das griechische Recht und sein Eingang in Alltagskultur und öffentlichen Raum ist eines derjenigen Felder, in denen die Quellen noch dann göttlich blieben, als sich längst ein neues Verständnis durchgesetzt hatte. Sprachhistorisch ist dies gut belegt. Émile Benveniste hat in seinen Indoeuropäischen Institutionen noch für das römische Recht lakonisch festgehalten, dass in dessen Grund- begriffen religiöse und sprachliche Ursprünge »deutlich zum Vorschein« kommen.103 Benvenistes Befund schreibt den Streit zwischen dem fran- zösischen Rechtshistoriker Emile Huvelin und dem Ethnologen Marcel Mauss fort, in dem Huvelin auf der Nähe von Magie und Individualrecht bestand, während Mauss den kollektiven Charakter der Magie betonte und zunächst von einer Unabhängigkeit des formellen römischen Rechts gegenüber der Magie ausging.104 Die Drohung mit einem Fluch bei Verletzung einer Abmachung ge- hörte als stehende Wendung zur griechischen Rechtspraxis. So wird im dritten Gesang der Ilias vor dem Zweikampf zwischen Paris und Menelaos in aller Drastik ein völkerrechtlicher Vertrag mit Fluch-Option geschlossen: 102 Vgl. als Klassiker hierzu Bruno Snell: Die Entdeckung des Geistes. Studien zur Entstehung des europäischen Denkens bei den Griechen. 7. Aufl. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, 1993. Siehe für ein nach sozialen Rollen ausdifferenziertes Verständnis des Spiels zwischen mythos und logos Paul Veyne: Glaubten die Griechen an ihre Mythen? es 1226. Frankfurt am Main: Suhrkamp, 1987 und Jean-Pierre Vernant: Mythos und Gesellschaft im alten Griechenland. es 1381. Frankfurt am Main: Suhrkamp, 1987. 103 Émile Benveniste: Indoeuropäische Institutionen. Wortschatz, Geschichte, Funktionen. Frankfurt am Main; New York: Campus, 1993, S. 386. Benvenistes Beispiel ist in diesem Fall die etymologische und rechtspraktische Nähe von ius, iurare und sacramentum. Vgl. auch die Bemerkungen zum »fas est« als »was der Wille der Götter ist« S. 403 f. Vgl. wei- terhin Erich Ziebarth: »Der Fluch im Griechischen Recht«. In: Hermes 30 (1895), S. 57−70; Kurt Latte: Heiliges Recht. Untersuchungen zur Geschichte der sakralen Rechtsformen in Griechenland. Tübingen: J. C. B. Mohr, 1920, und Robert Parker: »Law and Religion«. In: The Cambridge Companion to Ancient Greek Law. Hrsg. von Michael Gagarin und David Cohen. Cambridge; New York: Cambridge University Press, 2005, S. 61−81. 104 Vgl. detailliert zu dieser Debatte, Huvelins Auffassung des nexum und der aufnehmenden Kritik innerhalb Marcel Mauss’ Magie- und Gabentheorie Iris Därmann: Fremde Monde der Vernunft. Die ethnologische Provokation der Philosophie. München: Fink, 2005, S. 158 f. Flüche, Bänder, Verträge und die Institutionen des Rechts 43 Hierauf Wein aus dem Krug in die goldenen Becher sich schöpfend Gossen sie aus, und flehten den ewigwährenden Göttern. Also betete mancher der Troer umher und Achaier: Zeus, ruhmwürdig und hehr, und ihr andern unsterblichen Götter! Welche von uns zuerst nun beleidigen, wider den Eidschwur; Blutig fließ’ ihr Gehirn, wie der Wein hier, rings auf der Erde, Ihrs und der Kinder zugleich; und die Gattinnen schände der Fremdling!105 Drohende Verwünschungen zur Abwehr von Räubern finden sich zudem auf Grabmonumenten, deren Beschriftung den Leser direkt anspricht.106 Offizielle Verfluchungen von Verbrechern wurden z. B. durch Beamte im Theater der ionischen Stadt Teos ausgesprochen – bezeichnender- weise während der großen Polisfeste.107 Staatstheater mit Beistand der Götter gab es ebenfalls in Athen, das einen allgemeinen Fluch gegen Alkibiades aussprach.108 Magie, also die Anwendung von pharmaka, wurde zudem mit Gegenmagie gekontert: Die Gesetze der Stadt Teos verfluchten denjenigen, der Einzelne oder die Stadt mit zerstörerischen pharmaka schädigte.109 Mit dem offiziellen Fluch erwiderte man den privaten Schadenzauber, der als Störung des öffentlichen Rechts galt.110 Die meisten Verwünschungen der griechisch-römischen Antike sind aber als persönliche Schreibakte auf Bleitäfelchen, sogenannten Defi- xionen, überliefert. Als rituelle Bindezauber, die gleichzeitig rezitiert und geschrieben wurden, stellten sie eine private sympathetische Form der Magie dar.111 105 Homer: Ilias, III, 295−301. Herzlichen Dank an Jörn Adler für diesen Hinweis. Vgl. Lindsay Watson: Arae. The Curse Poetry of Antiquity. ARCA. Classical and Medieval Texts, Papers and Monographs 26. Leeds: Francis Cairns, 1991, S. 22; Ernst Baltrusch: Symmachie und Spondai. Untersuchungen zum griechischen Völkerrecht der archaischen und klassischen Zeit (8.−5. Jahrhundert v. Chr.). Untersuchungen zur antiken Literatur und Geschichte. Berlin; New York: de Gruyter, 1994, S. 104 f.; Beate Wagner-Hasel: Der Stoff der Gaben. Kultur und Politik des Schenkens und Tauschens im archaischen Griechenland. Campus Historische Studien 28. Frankfurt am Main; New York: Campus, 2000, S. 122 f. 106 Vgl. hierzu Jesper Svenbro: Phrasikleia. Anthropologie des Lesens im alten Griechenland. München: Fink, 2005, S. 10: »Der Leser ist das Klanginstrument, dessen sich das Geschrie- bene (der Schreiber) bedient, um den Text Gestalt annehmen zu lassen – seine Lautgestalt.« 107 Dies ist für das 5. vorchristliche Jahrhundert bezeugt. Vgl. Fritz Graf: Gottesnähe und Scha- denszauber. Die Magie in der griechisch-römischen Antike. C. H. Beck Kulturwissenschaft. München: C. H. Beck, 1996, S. 117. 108 Vgl. Plutarch: »Gaius Marcius und Alkibiades«. In: Fünf Doppelbiographien. 2. Teil. Zürich: Artemis und Winkler, 1994, 202,20. 109 Vgl. zu den Dirae Teorum Graf: Die Magie in der griechisch-römischen Antike, S. 36. 110 Vgl. für einen Überblick der Fluchformen, zu denen ebenfalls die Selbstverfluchung gehörte, Watson: Arae. The Curse Poetry of Antiquity. 111 Vgl. zur sympathetischen Magie in Frazers Magietheorie und allgemein Marcel Mauss: Soziologie und Anthropologie 1. Theorie der Magie. Soziale Morphologie. Frankfurt am Main: Fischer, 1989, S. 46. 44 Netze vor den Netzwerken Defixionen sind seit dem 6. Jahrhundert v. Chr. bezeugt: als Prozess- fluch, Liebeszauber, Wettkampfzauber, gegen Diebe und Verleumder oder aber gegen Rivalen im Geschäftsleben.112 Platon lässt Glaukon im Gespräch mit Sokrates über den Staat von jenen armen Priestern und Wahrsagern berichten, die offenbar auch noch im 4. Jahrhundert reichlich göttliche Verzauberungen unter das Volk bringen.113 Im ebenso streitlustigen wie prozessfreudigen Athen des 5. und 4. Jahrhunderts waren auf den Gegner gerichtete juridische Flüche sehr populär. Zumeist versuchte man, Zeugen und Anwälten die Zunge zu lähmen. Mitunter sollten selbst die Richter per Bindung an einer Verurteilung gehindert werden.114 Diese Praktiken verfügen über eine medienhistorische Dimen- sion, die sich nicht auf den ersten Blick erschließt, ohne die aber die spezifische Bewegung der Orestie nicht nachvollziehbar ist. In das Spiel zwischen Religion, Magie und Ritual, Theater und Sprache, Politik und Recht greift das griechische Vokalalphabet entscheidend ein. Binden und Schreiben sind auf den Defixionen eins. Sie können dies aber nur sein, weil sie eine Handlung sind, »die das Aussprechen wiederholt, in einer Redundanz, welche die unbeschädigte Ankunft der Botschaft sicherstellen soll«.115 Durch eben jene Repetition zeichneten sich auch die öffentlich verlesenen Formeln des Rechts aus. Fluchfor- mel und Rechtsformel sind beide gekennzeichnet durch den selben medienhistorischen Umbruch, der die griechische Kultur durchzieht. Wie widersprüchlich und fremdartig das attische Sprechen, Lesen und Schreiben ist, hat der Althistoriker Jesper Svenbro im Anschluss an die grundlegenden Forschungen von Eric Havelock gezeigt.116 Mehr noch als im Theater – jenem Ort, an dem sich durch die Partitur des Textes 112 Graf: Die Magie in der griechisch-römischen Antike, S. 110. Die Kategorisierung der Flüche wurde 1904 von dem Altertumswissenschaftler Auguste Audollent vorgeschlagen. 113 Vgl. Platon: Der Staat. Übersetzt von August Horneffer. Stuttgart: Kröner, 1973. Buch II, 364, S. 45. Bezeichnenderweise beginnt das 2. Buch der Politeia zuvor mit einer Meditation über Ungerechtigkeit und Gerechtigkeit. Weitere Bemerkungen zum Zauberwesen durchziehen die platonischen Nomoi, Buch X, 909d f. Buch XI, 932b f. 114 Vgl. Karl Preisendanz: »Fluchtafel (Defixion)«. In: Reallexikon für Antike und Christentum. Fluchtafel bis Gebet I. Bd. 8. Stuttgart: Anton Hiersemann, 1972, S. 2−29, hier S. 10. 115 Graf: Die Magie in der griechisch-römischen Antike, S. 119. 116 Vgl. Eric A. Havelock: The Greek Concept of Justice. From its Shadow in Homer to its Substance in Plato. Cambridge, MA; London: Harvard University Press, 1978. Die folgen- den Bemerkungen schließen vor allem an Svenbros Deutung an. Vgl. Svenbro: Phrasikleia. Zu Fragen der Mündlichkeit und Schriftlichkeit im Recht vgl. auch Louis Gernet: »Études sur la technique du droit Athénien à l’epoque classique«. In: Louis Gernet e le tecniche del diritto Ateniese. Hrsg. von Andrea Taddei. Pisa: Giardini, 2001, S. 65−182, hier S. 78 f. Flüche, Bänder, Verträge und die Institutionen des Rechts 45 und die Akustik des theatron vor allem ein Hörraum öffnet117 – ist dies in den öffentlichen Vollzügen des Rechts spürbar. Noch im Lateinischen stammt lex von legere, lesen. »Ursprünglich war das Gesetz in Rom eine Lesung«, d. h. eine rituelle Lesung des Rechts mit lauter Stimme.118 Im Falle des griechischen nomos (»Gesetz«, aber auch »Melodie«) ist die Etymologie unsicherer. Nemein bezeichnete ab dem 7. Jahrhundert als Handlung das Zuteilen von Land in den Kolonien. Svenbro geht davon aus, dass nemein auch für schreiben stehen kann. In jedem Fall oszilliert der nomos als Recht zwischen Mündlichkeit und Schriftlichkeit. Besonders deutlich wird dies an den exēgetai, jenen Beamten, denen das Verlesen der Rechtsformeln oblag. Sie nahmen damit exakt dieselbe Funktion ein wie der exarchōn als Vorsänger des dionysischen Chors im Theater.119 Platon geht so weit, die vorlesenden Archonten als »Diener der Gesetze« zu bezeichnen.120 Die griechische Konzeption des Lesens ist von Anfang an unlösbar mit der des Gesetzes verbunden.121 Gemeinschaftlich geteilte Normen bedürfen der rituellen Aufführung, welche gleichzeitig deren Reflexion dient. Eng verbunden ist dies mit der Frage der Macht des Souveräns über die Gesetze. Der nomos stand nach dem Zusammenbruch des Königtums für einen metaphorischen König ein. Er ersetzt den alten nomos basileus, das Gesetz des Alleinherrschers, durch die aufgeschrie- bene und daher körperlose Stimme des Gesetzes. In der demokratischen Polis muss sich diese autonome und gehorsam fordernde Stimme als reale, klangvolle und hörbare Stimme öffentlich manifestieren. »Die ›Zuteilung‹ des Rechts, der dikē, ist eine äußere Handlung, deren In- strument die Stimme ist. Folglich ist dikē selbst ein äußeres, öffentlich zugeteiltes Recht.«122 Die Internalisierung des nomos als »Stimme des 117 Vgl. hierzu Derrick de Kerckhove: Schriftgeburten. Vom Alphabet zum Computer. München: Fink, 1995. 118 Svenbro: Phrasikleia, S. 103. 119 Die Priester der eleusinischen Mysterien wurden ebenfalls exēgetai genannt. Vgl. George Thomson: Aeschylus and Athens. 4. Aufl. London: Lawrence & Wishart, 1973, S. 172. Apollon trägt als Gott des Gesetzes und der Musik auch den Beinamen exēgētēs – und tritt in dieser Funktion bei Aischylos Orestes gegenüber. Vgl. Thomson: Aeschylus and Athens, S. 268. 120 Platon: Werke in 8 Bänden. Nomoi. Hrsg. von Gunther Eigler. 2. Aufl. Bd. 8. Übersetzt von Klaus Schöpsdau. Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft, 1990, IV, 715d. 121 Vgl. Svenbro: Phrasikleia, S. 113. 122 Svenbro: Phrasikleia, S. 148. Die Etymologie von dikē geht auf »zeigen« bzw. »sagen, was sein soll« zurück. Vgl. Benveniste: Indoeuropäische Institutionen, S. 376 f. 46 Netze vor den Netzwerken Gewissens« ist ein formaler Effekt des Vokalalphabetes.123 Sie folgt denselben verkörpernden Regeln wie das schriftgeleitete Rezitieren, mit dem göttlicher Beistand über die Fluchtafeln herbeigewünscht wird. Die Orestie wiederum gibt den Stimmen des bindenden Gesetzes einen Körper. In den Wohlmeinenden, den Eumeniden, verkörpert sich ein neuer Gesellschaftsvertrag, der sich vom bindenden Fluch der Klytaimestra nicht deutlicher unterscheiden könnte und doch an dessen Erbe teilhat. Vor alledem jedoch leiden Klytaimestra, Agamemnon und Orestes allesamt unter dem göttlichen Fluch, welcher auf der Familie der Atriden liegt. Zugleich befindet sich aber die Königin von Mykene im Zwang, selbst in magischer Form Unheil über ihr Geschlecht zu bringen. In ihrem netzförmigem Fluchgewirk realisiert sich so das blutige göttergegebene Schicksal. Aber im Vergleich zum Schlingen und Binden der Götter agiert hier eine menschliche Frau, die ihren einmal ausgesprochenen Fluch (ara) nicht zurücknehmen kann.124 Der Unterschied mag graduell erscheinen, doch er setzt sich in der finalen Wendung der Eumeniden hin zu einer juridischen Versöhnung unter Aufsicht der Götter fort. Wie aber wird in Aischylos’ Drama aus dem göttlichen Fluch menschliche Magie, auf die wiederum kollektives bindendes Recht folgt? Der zum König gewordene Aigisthos ist sich sicher, dass er den to- ten Agamemnon in »der Dike Netz« getrieben hat. Dike selbst – man denke an die von Svenbro beschriebene internalisierte Stimme des Ge- setzes – habe ihn als Erwachsenen wieder hergeführt.125 Auch Orestes versichert sich im Gespräch mit seiner Schwester Elektra des Beistandes der Gerechtigkeit, indem er sich an seinen toten Vater wendet: »Send uns zum Beistand Dike, oder laß uns doch / Sie fangen zur Vergeltung in dem gleichen Netz, / Wenn du, der einst Bezwungne, wieder siegen willst!«126 123 Vgl. zum Entstehen des griechischen Gerechtigkeitssinnes Havelock: The Greek Concept of Justice. 124 Vgl. hierzu Wolfgang Speyer: »Fluch«. In: Reallexikon für Antike und Christentum. Ex- kommunikation bis Fluchformeln. Hrsg. von Theodor Klauser. Bd. 7. Stuttgart: Anton Hiersemann, 1969, S. 1159−1287, hier S. 1169. Das Gebetswort übt direkt Macht aus, ist Segen oder Fluch, »der, einmal ausgesprochen, nicht mehr zurückzunehmen ist«. Walter Burkert: Griechische Religion der archaischen und klassischen Epoche. Die Religionen der Menschheit 15. Stuttgart; Berlin; Köln; Mainz: Kohlhammer, 1977, S. 127. Vgl. mit Bezug auf das Theater Christoph Menke: Die Gegenwart der Tragödie. Versuch über Urteil und Spiel. stw 1649. Frankfurt am Main: Suhrkamp, 2005, S. 39 f. und Franziska Geisser: Götter, Geister und Dämonen. Unheilsmächte bei Aischylos – zwischen Aberglauben und Theatralik. München; Leipzig: Saur, 2002, S. 197 f. 125 Aischylos: Agamemnon, 1607 f. 126 Aischylos: Choephoren, 497 f. Hier nach der Übersetzung von Droysen. Flüche, Bänder, Verträge und die Institutionen des Rechts 47 Tatsächlich werden beide Wünsche des Orestes in Erfüllung gehen. Er, der Verfluchte, der Zauderer, will und wird »mit gleicher List […] das- selbe Todesnetz«127 über seine Mutter und ihren Liebhaber ausbreiten. Er weist nach vollbrachter Tat seine Mordsgehilfen an, dem ganzen Volk zu demonstrieren, wie Klytaimestra seinen Vater umgebracht hat: »Seht weiter noch, ihr Zeugen dieses Unheils hier / Das Trugwerkzeug, Netz zu unselgen Vaters Fang, / Fesseln (desmon) dem Händepaar, dem Fußpaar Doppelzwang.«128 Im Gespräch mit seiner Mutter hatte diese sich noch zu rechtfertigen versucht: Es sei die Schuld der Moira gewe- sen, die zwingende Macht des Schicksals und der Schicksalsgöttinnen habe sie heimgesucht. Klytaimestras letztes Abwehrmanöver mobilisiert nicht ohne Grund die Schicksalsfäden spinnenden Göttinnen. Ihr eigenes Netzwirken erscheint so als unausweichliche Verstrickung durch höhere Gewalten. Auch der Erinyen-Chor des letzten Teils der Trilogie beruft sich auf sein durch Moira aufgepresstes Amt. Die verschlingenden Fäden des Schicksals manifestieren sich als göttliches Recht, welches durch Flüche wirksam wird. Indem sie Orestes hinterherhetzen, singt der Chor der Erinyen ein »Bindelied« (hymnos desmios), das den Brückenschlag zwischen altem Recht, Fluch und Magie vollzieht. Aischylos lässt sie das erste Standlied des Chores damit beginnnen: »Den Sang hör nun, das Lied, das dich in Fesseln (desmion) schlägt!«129 Drohungen gegen den nach Athen geflohenen Orestes schließen sich an. Tanz und Gesang werden »geschlungen«, um Verstörung, Wirrsinn, Wahnsinn an den Mutter- mörder zu binden. Mit diesem Bindefluch findet die attische Praxis der Rechtsmagie einen Widerhall im Raum des Theaters.130 Die Erinyen erheben mit aller Macht als personifiziertes göttliches Recht Anspruch auf dessen Vollstreckung. Auch Orestes hat sich in den Choephoren auf ebendieses berufen, also eine Zuteilung des Rechts durch die Sen- dung von dikē verlangt. Die Form dieser Zuteilung – welche Stimmen vermögen für Gerechtigkeit einzustehen? – verhandelt das letzte Drittel 127 Aischylos: Choephoren, 556. Hier nach der Übersetzung von Droysen. 128 Aischylos: Choephoren, 979 f. 129 Aischylos: Eumeniden, 306. 130 Vgl. Christopher Faraone: »Aischylos hymnos desmios (Eum. 306) and Attic judicial curse tablets«. In: Journal of Hellenic Studies 55 (1985), S. 150−154, hier S. 150. Faraones Schlussfolgerung lautet: »Der Fakt, dass Aischylos einen Bindefluch in die Geschichte des ersten Mordprozesses und der ätiologischen Gründung des Gerichts mit einbezieht, scheint darauf hinzudeuten, dass Fluch und Gericht als gleichzeitig entstanden eingeschätzt wurden.« Ebd., S. 154. 48 Netze vor den Netzwerken der Orestie. Der Konflikt zwischen Apollon, Athene und den Erinyen wird entlang der Ansprüche auf legitimes Urteilen ausgetragen. Die Fluchgeister bestehen auf der Kraft ihres Wortes. Ihrem »Ehre den Altar des Rechts!«131 setzt Athene ein »Gerecht zu heißen ziehst gerechtem Tun du vor« entgegen.132 In der Kollision zweier Rechtssysteme ge- winnt die jüngere Göttin, deren Maß und Norm am Tun orientiert ist. Der Gewinn im Abstimmungsverfahren ist freilich kein Sieg, sondern ein Gleichstand, den Athene als bereits präsenter deus ex machina entscheidet und so die Stadt vor der Auswegslosigkeit und dem Zorn der Erinyen bewahrt. Joseph Vogl hat diese Szene als Transformation der Handlung in eine Verhandlung beschrieben; zudem geschieht hier die Installation eines Meta-Gerichtes, »das mit Recht über Recht und Unrecht entscheidet« und so durch Rechtsprechung eine Rechtsetzung vornimmt.133 Der Freispruch des Orestes setzt eine neue Form von dikē ein, die die Ambivalenz göttlichen Blut- und Racherechts in veränderter Form am Leben erhält. Es steht hier aber noch mehr auf dem Spiel als die konstitutive Zwie- spältigkeit einer neuen Institution, mit deren Inszenierung Aischylos auf die Einrichtung des athenischen Areopags im Jahr 461 v. Chr. anspielt. An die Stelle der magischen Formel des weiblichen Netzfluchs tritt ein Kodex neuer Rechtsformeln als Stiftung eines männlich gedachten Bandes der Gemeinschaft. So rät Apollon Athene, doch durch Orestes’ Hilfe den Bund mit ihrer Stadt umso fester zu halten.134 Eben jene taktile Metaphorik des Bandes oder Bundes soll der Polis zu einem Mittel gegen heftige Erschütterung und Stillstand werden. Das Netz eignet sich nicht als Symbol eines Gemeinwesens – es ist als Mittel des verfangenden, ausschließenden städtischen Fluchs sogar dessen bares Gegenteil. Anstatt der bindenden Magie etabliert die Bindung an kollektive Formeln des Rechts die Imagination eines geteilten, aber auch teilenden Bandes: »Die politische Gemeinschaft ist nämlich das Band, das die Einheit der Polis garantiert.«135 In Platons Staatsschrift sind es die geteilten Emotionen, die zusammenbinden und einen.136 Das Netz wäre dafür eine unangemessen 131 Aischylos: Eumeniden, 540. 132 Aischylos: Eumeniden, 430. 133 Joseph Vogl: Über das Zaudern. Zürich; Berlin: diaphanes, 2007, S. 35. 134 Aischylos: Eumeniden, 670 f. 135 Loraux: »Das Band der Teilung«, S. 31. 136 Platon: Der Staat, V, 462b. Flüche, Bänder, Verträge und die Institutionen des Rechts 49 negative, schicksalsbehaftete und weitmaschige Figur. Um es mit den Worten der Althistorikerin Nicole Loraux zu sagen: Ein engmaschiges Band muß es sein oder, wie im Politikos, ein sehr festes Gewebe, mit einem Wort eine symplokê – so etwas wie ein perfektes Ge- flecht. Und Tag für Tag muß das Band des Bürgerfriedens neu geknüpft oder gewebt werden, denn stets droht es zu zerreißen: die geringste Lockerung des Knotens, das kleinste Loch im Gewebe, und schon öffnet sich die Naht, der Riß ist da, und die Polis teilt sich.137 Eben jene Gefahr, den Bürgerkrieg, wünschen die zu »wohlmeinenden« Eumeniden gewordenen Rachegeister von der Stadt fernzuhalten.138 Der magische Code des Bindens wirkt hier durch die Institutionen des Rechts im Sozialen weiter – während die berechtigte Angst vor den Effekten der (Auf-)Lösung des gesellschaftlichen Zusammenhangs bleibt.139 Verbunden, aber nicht vernetzt: Taktile Metaphern, die als Quasi- Objekte Gemeinschaft stiften, stehen so bereits am Anfang der abend- ländischen Kultur. Auch wenn dem Netz der Orestie gegenüber dem ›sozialen Band‹ dabei ein negatives Moment des Fangens eigen bleibt, zeichnen sich beide durch ein gemeinsames Drittes aus. Sie stehen für materielle Vollzüge der Magie wie des Rechts ein, die sich in einem kom- plexen Wechselverhältnis von mündlichem Schreibakt und schriftlichem Sprechakt situieren. Nur gesprochen können Fluch wie Rechtsformel ihre Wirksamkeit entfalten. Dabei ist das Formelhafte des Begriffs der dikē ernst zu nehmen: »Recht sprechen« meint zunächst keinen intellektuellen Vorgang, sondern die Übermittlung kommunikativer Formeln, die auf bestimmte Fälle anwendbar sind.140 Aischylos setzt dieses Formelhafte für einen anfänglichen, kulturstiftenden Moment aus. In der neuen symbolischen Ordnung der Orestie ereignet sich so die Umschrift eines gesprochenen Rituals. Trotz aller Skepsis gegenüber dem versöhnenden Ende bleibt die rituelle Funktion des Blutgerichtes gewahrt, während sich das Gemeinwesen zur Demokratie wandelt. Die Unauflösbarkeit von Fluch und Recht wird schließlich in der Rechtser- zählung des sophokleischen König Ödipus noch deutlicher: Ödipus liest 137 Loraux: »Das Band der Teilung«, S. 31. 138 Aischylos: Eumeniden, 978 f. 139 Vgl. zu den Details der öffentlichen Prozessführung Robert J. Bonner: Lawyers and Litigants in Ancient Athens. Chicago: University of Chicago Press, 1927, S. 35 f., und Ludger Schwarte: »Die Inszenierung von Recht. Der unbekannte Körper in der demokratischen Entscheidung«. In: Körper und Recht. Anthropologische Dimensionen der Rechtsphilosophie. Hrsg. von Ludger Schwarte und Christoph Wulf. München: Fink, 2003, S. 93−127, hier S. 94 f. 140 Vgl. Benveniste: Indoeuropäische Institutionen, S. 377. 50 Netze vor den Netzwerken das Recht ohne göttliche Hilfe aus dem Orakel heraus – und gerade deswegen wirkt es hier magisch, als Fluch.141 Das Band spielt hingegen auch für die säkularen Formen des rö- mischen Rechts eine wichtige Rolle. Seile sind, wenn man Michel Serres folgen will, das erste Werkzeug, mit dem verknüpft und gebunden wird – egal, ob es sich dabei um Menschen, Tiere oder Dinge handelt. Soziale Bande und Bindungen sind Quasi-Objekte, die unsere Bezie- hungen ebenso durchsichtig wie konkret machen und als »Ketten der Verpflichtung« fungieren.142 So heißt es auf der dritten Tafel des auf 451 / 450 v. Chr. datierten Zwölftafelgesetzes: 1. Bei gerichtlich entschiedenen Fällen von eingestandener Geldschuld sollen dreißig Tage (Rückzahlungsfrist) rechtlich zulässig sein. 2. Da- nach soll alsbald Hand aufgelegt werden (auf den säumigen Schuldner). 3. Vor Gericht soll er [der Gläubiger] ihn führen. Wenn er [der säumige Schuldner] weder dem Gerichtsentscheid nachkommt noch jemand vor Gericht für ihn eintritt, soll er [der Gläubiger] ihn mit sich führen und (zu Hause) fesseln entweder mit Riemen oder mit Fußketten. Mit fünfzehn Pfund wiegenden, keinen schwereren, oder, wenn er [der Gläubiger] es will, leichteren, soll er ihn fesseln.143 Das bäuerliche Rom hatte so eine handfeste Regel zum Binden des Vertrages aufgestellt, die finanzielle Schuld direkt dem Körper auflädt. Gebundene Schuldiger hatten die Möglichkeit, innerhalb von 30 Tagen durch Rückzahlung ihren Fesseln zu entkommen, bevor der endgültige Verkauf in die Sklaverei drohte. So fremdartig diese Rechtsnorm wirken und so sehr sie eher ein abschreckendes Beispiel gegeben haben mag, so klar zeichnet sich in ihr der Weg zu einem ›Binden des Vertrages‹ ab. Die rechtliche 141 Vgl. Menke: Die Gegenwart der Tragödie, S. 245. 142 Vgl. Serres: Der Naturvertrag, S. 177. Auch Georg Simmel nutzt noch den Begriff des »zusammenhaltenden Bandes« oder »soziologischen Bandes«, um räumliche Ordnungen der Gesellschaft zu beschreiben. Vgl. Georg Simmel: »Der Raum und die räumlichen Ord- nungen der Gesellschaft«. In: Gesamtausgabe, Band 11. Soziologie: Untersuchungen über die Formen der Vergesellschaftung. Hrsg. von Otthein Rammstedt. Frankfurt am Main: Suhrkamp, 1992 [1908], S. 687−790, hier S. 716. 143 Dieter Flach und Andreas Flach, Hrsg.: Das Zwölftafelgesetz. Texte zur Forschung 83. Übersetzt von Dieter Flach. Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft, 2004. III, 1−3, hier S. 70 f. 1 . AERIS CONFESSI REBUS{QUE} IURE IUDICATIS TRIGINTA DIES IUSTI SUNTO . 2 . POST DEINDE MANUS INIECTIO ESTO . IN IUS DUCITO . 3 . NI IUDICATUM FACIT AUT QUIS ENDO EO IN IURE VINDICIT, SECUM DUCITO, VINCITO AUT NERVO AUT COMPEDIBUS . QUINDECIM PONDO, NE {MIN} ‹MAI›ORE, AUT, SI VOLET, {MAI} ORE VINCITO. Vgl. zum erinnerungskulturellen Status des Zwölftafelgesetzes Andreas Hartmann: Zwischen Relikt und Reliquie. Objektbezogene Erinnerungspraktiken in antiken Gesellschaften. Studien zur alten Geschichte. Berlin: Verlag Antike, 2010, S. 121 f. Flüche, Bänder, Verträge und die Institutionen des Rechts 51 Ausdifferenzierung der Unterscheidung zwischen Ding und Person wird, wie Marcel Mauss gezeigt hat, durch solche Konstellationen mit hervorgebracht. In diesem Fall wirkt aber noch die ältere Tradition fort, in der Personen und Sachen miteinander verschmelzen und das rechtliche Band ebenso von Menschen wie von Dingen herrührt.144 In der Rechtsformel der obligatio (von ligare: binden) geht diese als Teil eines »Systems der geistigen Bindungen«145 in den juristischen Alltag des Imperium Romanum ein.146 Das deutsche Wort »Netz« trägt noch eine Spur der alten Familienähnlicheit mit textilen Banden und Verträgen in sich, da es auf das altirische nascim – »binde, verpflichte« – und den indoeuropäischen Ausdruck naidm für »das Binden« und »den Vertrag« verweist.147 In einer solchen allgemeinen Etymologie fehlt aber der Rückbezug auf geschlechtliche Codierungen der mit textilen Objekten vollzogenen Alltagspraktiken, die hier nur kurz am griechischen Beispiel angesprochen werden sollen. Während Klytaimestra schreit und flucht, knüpft Penelope Tag für Tag an einem Gewand, das sie des Nachts wieder auflöst. Noch im Jenseits beschwert sich Agamemnon in der Odyssee über die »schänd- lichen Taten« seiner Frau, wohingegen der Nachruhm der »keuschen Penelopeia« niemals verschwinden solle.148 Bereits bei Homer sind beide Gattinnen widersprüchliche Spiegelbilder ihrer Netze und Ge- webe. Penelopes Treue stehen Klytaimestras Fluchkünste gegenüber. Die ambivalente geschlechterpolitische Dimension der Mythen wird in der attischen Polis noch verschärft. Weibliche Arbeit ist dabei noch eindeutiger von der philosophischen Würdigung ausgeschlossen als materielle Kulturtechniken insgesamt – eine strategische Exklusion, die nur oberflächlich verdeckt, dass z. B. die Weberei und das Jagen 144 Vgl. Marcel Mauss: Die Gabe. Formen und Funktionen des Austauschs in archaischen Gesellschaften. stw 743. Frankfurt am Main: Suhrkamp, 1990, S. 123. 145 Mauss: Die Gabe, S. 129. 146 Die genaue Datierung schwankt zwischen 160 n. Chr. (Institutionen des Gaius) und den Institutionen des Justinian aus dem 6. nachchristlichen Jahrhundert. Vgl. generell Uwe Justus Wesel: Geschichte des Rechts. Von den Frühformen bis zur Gegenwart. 3. Aufl. München: C. H. Beck, 2006, S. 164, und zu den komplexen Problemen von obligatio naturalis und obligatio civilis Götz Schulze: Die Naturalobligation. Rechtsfigur und Instrument des Rechts- verkehrs einst und heute – zugleich Grundlegung einer zivilrechtlichen Forderungslehre. Jus Privatum. Beiträge zum Privatrecht 134. Tübingen: Mohr Siebeck, 2008, S. 49 ff., hier S. 52. 147 Wolfgang Pfeifer, Hrsg.: Etymologisches Wörterbuch des Deutschen. 7. Aufl. München: dtv, 2004, S. 920. 148 Homer: Odyssee, XXIV, 290 f. 52 Netze vor den Netzwerken Philosophie und Mathematik mehr als nur inspirieren.149 Vor diesem Hintergrund erscheint es folgerichtig, dass Platons Nomoi eine explizite Ermannungsszene enthalten, die den profanen Fisch- und Vogelfang mit Netz herabwürdigt. Bequem, so Platon, ist die Jagd mit Angeln und Reusen. Faul sind diejenigen Jünglinge, welche die »wilde Kraft der Tiere« mit Netzen und Fallen überwältigen. Mit dem eigenen Körper soll der freie, aristokratische Mann Beute machen: »Den Nachtjäger aber, der sich auf Netz und Schlinge verläßt, darf niemand irgendwo jagen lassen.«150 Die Frage, wer wen oder was mit welchen Netzen fängt und fangen darf, wird innerhalb sich verändernder symbolischer Ordnungen offenbar höchst unterschiedlich beantwortet. 2.3 Das geometrische Tier. Spinne und Netz Die Springspinne hat das Netz erfunden, hat es sich aber vom Menschen abschwatzen las- sen. Nun muss sie sich ohne Netz behelfen.151 Afrikanisches Sprichwort Spinnen haben in all ihrer Vielfalt seit der Antike in Europa keinen sonderlich guten Ruf. Dies steht in bemerkenswertem Kontrast zu ihrer Rolle in Kulturen, die weit häufiger mit der Giftigkeit der Gliedertiere in Kontakt kommen: Westafrikanische Mythen kennen die Achtbeiner als Trickster, indianische Erzählungen hingegen eher als Kulturbringer. In der indischen Mythologie genießen sie Hochschätzung, da das Spin- nennetz die kosmische Ordnung repräsentiert.152 Der Koran berichtet von der Rettung des verfolgten Mohammed durch eine Spinne, die mit ihrem Netz den Eingang zu dessen Höhlenversteck bedeckte.153 Magische 149 Vgl. zur Weberei Harlizius-Klück: Weberei als episteme. Vgl. zum ambivalenten platonischen Ver hältnis zur Jagd Joachim C. Classen: Untersuchungen zu Platons Jagdbildern. Deutsche Akademie der Wissenschaften zu Berlin. Schriften der Sektion für Altertumswissenschaft 25. Berlin: Akademie, 1960. 150 Platon: Werke in 8 Bänden. Nomoi, VII, 823a−b. Übersetzung Klaus Schöpsdau. 151 Eduard Pechuël-Loesche: Volkskunde von Loango. Stuttgart: Strecker & Schröder, 1907, S. 105. 152 Vgl. Fröhlich:»Netz-Euphorien. Zur Kritik digitaler und sozialer Netz(werk)metaphern«, S. 292. 153 Vgl. ausführlich zu Spinnensymbolen und -narrativen Katarzyna Michalski und Sergiusz Michalski: Spider. London: Reaktionbooks, 2010; Bernd Rieken: Arachne und ihre Schwes- tern. Eine Motivgeschichte der Spinne von den ›Naturvölkermärchen‹ zu den ›Urban Le- gends‹. Internationale Hochschulschriften 403. Münster u. a.: Waxmann, 2003; W. S. Bris- towe: »Spider Superstitions and Folklore«. In: Transactions of the Connecticut Academy of Arts and Sciences. In Honor of Alexander Petrunkevich. Bd. 36. New Haven, CT: Connecticut Academy of Arts und Sciences, 1945, S. 53−90. Spinne und Netz 53 wie medizinische Nutzungen der Spinne und des Netzes sind weltweit verbürgt. Der praktische Einsatz reicht sogar bis hin zur Nutzung von großen Radnetzen der Nephilae als Fischernetze im Südpazifik.154 Pfui Spinne! – dieses Motto gilt auch für den europäischen Kultur- raum nur eingeschränkt. Neben allem Ekel steht eine sich historisch wandelnde Faszination. Gerade seiner Fremdartigkeit und Andersheit wegen bietet sich das achtbeinige Insekt offenbar hervorragend als Spie- gelbild an. Die fragile Netzarchitektur der Spinnen wird immer wieder aufs Neue reflektiert und bleibt dabei stets auf der Höhe menschlicher Kulturtechniken des Spinnens und Webens, aber auch des Bauens und geometrischen wie poetischen Formens. Mit dem Spinnennetz tritt eine zwiespältige Figur des Wissens auf die historische Szene, die den menschlichen Fangnetz-Techniken ein tierisches Anderes gegenüber- stellt. Ihre Ambivalenz ist gegenüber dem mit Fang- und Haltenetzen verbundenen Zusammenhang von Macht, Magie, Raumbeherrschung und Sozialstruktur noch einmal erhöht. Das Problem der Tauschver- hältnisse von materieller Kultur und Diskurs wird durch die Spinne als merkwürdige Agentin zu einem Dreierspiel. So sind Weberei und Architektur zweifellos eigene, schon früh ausdifferenzierte Techniken. Sprachhistorisch korrespondieren aber die Wurzeln teks (lateinisch, z. B. in texere bzw. weben) und taks (Sanskrit, »mit der Axt formen«).155 Der Zusammenhang scheint etymologisch schwer zu erklären, ist aber in einem weiteren Kontext durchaus schlüssig: Bekleidung wie Architektur fungieren als schützende Umhüllung des Körpers.156 Der folgende Abschnitt skizziert darum momenthafte historische Verlaufsformen, in denen Relationen zwischen Geometrie und Archi- tektur, Spinnen und Weben, Naturgeschichte, Mythopoetik, Geschlecht und Religion verhandelt werden. Und wenn auch der letzte Part dieser Geschichte mit Jonathan Swifts berühmter Bücherschlacht auf das Jahr 154 Vgl. Bristowe: »Spider Superstitions and Folklore«, S. 79; Horst Stern und Ernst Kullmann: Leben am seidenen Faden. Die rätselvolle Welt der Spinnen. Stuttgart: Frankh-Kosmos, 1996, S. 48. 155 Dieses Rätsel wird kurz erwähnt bei Benveniste: Indoeuropäische Institutionen, S. 11. 156 Auf dieser Grundannahme hat Gottfried Semper in der Mitte des 19. Jahrhunderts seine praktische Ästhetik fußen lassen. Vgl. zur textilen Kunst als Urkunst, insbesondere für die Architektur Gottfried Semper: Die textile Kunst für sich betrachtet und in Beziehung zur Baukunst. Der Stil in den technischen und tektonischen Künsten oder Praktische Ästhetik. Ein Handbuch für Techniker, Künstler und Kunstfreunde 1. Frankfurt am Main: Verlag für Kunst und Wissenschaft, 1860, S. 13 f., S. 227 f. Vgl. zur kulturtechnischen Basisfunktion des Flechtens auch Greber: Textile Texte, S. 18. 54 Netze vor den Netzwerken 1704 datiert, so beeinflusst die longue durée der Spinnenfaszination157 doch noch Netzwerke als neuzeitliche Kulturtechnik. Wenn etwa bei Victor Hugo durch die Radialstrukturen um den Triumphbogen ganz Paris zum Spinnennetz wird158 oder in Jules Michelets poetischem Trak- tat L’insecte (1858) die Spinne zur sich selbst als Kapital investierenden, egoistisch-klugen »guten Arbeiterin«159 gerät, geht es nicht nur um eine performative Selbstbeschreibung der Industriellen Revolution. Vielmehr folgen auch Hugo und Michelet noch der antiken Faszination für ein objektschaffendes Tier: Das Spinnennetz wird aus sich selbst geschöpft und fortwährend repariert. Auch die theoretische Biologie eines Jakob von Uexküll verhandelt noch im 20. Jahrhundert das Schaffen einer eigenen Umwelt über Netze.160 Poetologische Entwürfe, etwa von Roland Barthes, verschreiben sich ebenso einer »allgemeinen Hyphologie«161 wie Verschwörungstheorien und Terrorismusanalysen.162 Alle Spinnen- rhetorik steht fortwährend im Zeichen einer Materialisierung. Wie aber kam das Fangnetz dazu, für Verbundenheit einzustehen? »Ohne Euklid zu brauchen« – Die Spinne als Agentin einer kunstvollen Natur Spinnen sind nicht nur geschickte Weberinnen nach der Manier Athe- nes, vermerkt der staunende Naturhistoriker Aelian im sechsten Buch seiner Schriften über die Eigenschaften der Tiere. Sie sind auch, so Aelian, von Natur aus geschickt in der Geometrie. Sie brauchen keinen 157 Vgl. zur verwandten Faszinationsgeschichte der Insektenstaaten seit der Antike ausführlich die Arbeiten von Eva Johach. 158 Vgl. Victor Hugo: »Les voix intérieures«. In: Œuvres Complètes. Poésie I. Hrsg. von Claude Gély. Paris: Robert Laffont, 1985 [1837], S. 821. 159 Jules Michelet: Das Insekt. Naturwissenschaftliche Beobachtungen und Reflexionen über das Wesen und Treiben der Insektenwelt. Braunschweig: Vieweg und Sohn, 1858, S. 212. Karl Marx’ Kapital-Schrift referiert ebenfalls auf das virtuose Geschick der Spinne. Sie schließt das Tier aber trotz aller Virtuosität aus, um sich auf nicht-instinkhafte Arbeit als Form, die ausschließlich dem Menschen angehört, zu konzentrieren. Vgl. Karl Marx: Das Kapital. Kritik der politischen Ökonomie. Erster Band, Buch 1: Der Produktionsprozess des Kapitals. Berlin: Dietz, 1987, S. 192 f., S. 336 f. 160 Vgl. Jakob von Uexküll: Bedeutungslehre. BIOS. Abhandlungen zur theoretischen Biologie und ihrer Geschichte, sowie zur Philosophie der organischen Naturwissenschaften 10. Leipzig: Barth, 1940, S. 19 ff.; Jakob von Uexküll und Georg Kriszat: Streifzüge durch die Umwelten von Tieren und Menschen. Ein Bilderbuch unsichtbarer Welten. Conditio humana. Frankfurt am Main: Fischer, 1970, S. 15. 161 Barthes: Die Lust am Text, S. 94. 162 Vgl. hierzu Rieken: Arachne und ihre Schwestern. Siehe zur Netzwerklogik der Verschwörung Kapitel 10 in diesem Buch. Spinne und Netz 55 Euklid, um präzise Kreise zu verfertigen und ihrer Beute aufzulauern.163 Der römische Sophist (ca. 170−222) platziert seine kurze Meditation über die Spinne zwischen dem Elefanten und einer Erzählung über den Phoenix, der als weises Fabeltier der Natur die Zeitspanne von 500 Jahren ganz ohne Arithmetik beziffern kann. Schlau sind die Tiere bei Aelian, Agenten einer kunstvollen Natur, die Götter darin sogar übertreffend. Die Menschen, so schreibt es der Römer im ersten Buch der Tierkunde, behaupten, dass es die Göttin Ergane (Athene) wäre, die Weben und Spinnen erfunden hätte. Aber es war die Natur, welche die Spinne das Weben gelehrt hat – aus sich selbst heraus, unendlich fleißig, ohne Imitation.164 Mit dieser Einschätzung steht der römische Naturhistoriker – dessen exzellentes Griechisch ihm den Beinamen ›Ho- nigzunge‹ einbrachte – am Ende eines Diskurses, den der Vorsokratiker Demokrit begründet hatte. Im 154. der von Hermann Diels übersetzten vorsokratischen Fragmente heißt es: Die Menschen sind in den wichtigsten Dingen Schüler der Tiere geworden: der Spinne im Weben und Stopfen, der Schwalbe im Hausbau und der Singvögel, des Schwans und der Nachtigall, im Gesang und zwar auf dem Wege der Nachahmung (mimesis).165 Die direkte Flankierung dieses Zitats bei Diels durch geometrische Be- trachtungen zum Kegelschnitt mag man noch den Zufällen der Überlie- fung zuschreiben. Natürliche Eigenschöpfung und menschliche Nach- ahmung, Regelhaftigkeit und Geometrie bleiben jedoch zentrale Wen- dungen der antiken Spinnen-Texte. Bildliche Spuren sind kaum belegt; im Gegensatz zu den artverwandten Skorpionen haben es die Arachniden nicht auf römische Münzen geschafft.166 Spinnen waren in der griechisch- römischen Antike, sieht man einmal von der folgenschweren Ausnah- me der Metamorphosen Ovids ab, keine populären Tiere. Sie waren aber ebenso wenig explizit mit jenen negativen Konnotationen – sei es 163 Aelian: On The Characteristics of Animals (De natura animalium), Books VI−XI. Hrsg. von Alwyn Faber Scholfied. Bd. 2. Loeb Classical Library 448. Cambridge, MA: Harvard University Press, 1959, VI, 57. 164 Aelian: On The Characteristics of Animals (De natura animalium), Books I−V. Hrsg. von Alwyn Faber Scholfied. Bd. 1. Loeb Classical Library 446. Cambridge, MA: Harvard Uni- versity Press, 1958, I, 21. 165 Hermann Diels: Die Fragmente der Vorsokratiker. Hrsg. von Walther Kranz. Bd. 2. Berlin: Weidmannsche Verlagsbuchhandlung, 1954, S. 173. Demokrit, 154 B. Das Zitat ist durch Plutarch, De sollertia animalium, 974A, indirekt überliefert. 166 Vgl. Otto Keller: Die antike Tierwelt. Vögel, Reptilien, Fische, Insekten, Spinnentiere, Tau- sendfüssler, Krebstiere, Würmer, Weichtiere, Stachelhäuter, Schlauchtiere. Bd. 2. Leipzig: Wilhelm Engelmann, 1913, S. 469. 56 Netze vor den Netzwerken menschlicher Ekel, seien es religiöse und geschlechterpolitische Aufla- dungen – gekennzeichnet, die nach der Antike Eingang in die europä- ische Kultur gefunden haben. Zwar vermerkt der einschlägige Artikel in Paulys Real-Encyclopädie der classischen Alterthumswissenschaft, dass die feingliedrigen Tiere eher als Unglücks- und Nichtigkeitssymbol wahrgenommen wurden.167 Demgegenüber stehen aber die Faszination für ein offensichtlich geometrisches Tier und die eher zurückhaltenden naturhistorischen Beobachtungen von Aristoteles und Plinius. Wenn Aristoteles in der Tierkunde notiert, dass unter den Spinnen die gewand- teren sehr klug und geschickt in ihrer Lebensweise seien,168 stehen für ihn zwei Aspekte im Vordergrund. Dies sind zum einen die disparaten, weil umgekehrten Geschlechterverhältnisse bei den Kerbtieren,169 zum anderen ist die Taxonomie der Spinnenarten höchst unklar.170 Folgenreich für die antiken Geschicke der Spinne ist die aristotelische Unterscheidung zwischen nicht-giftigen Spinnen (arachne)171 und giftigen Exemplaren, die als ›Phalangien‹ eine eigene Gattung darstellen. Sowohl Plinius als auch Aelian übernehmen diese Differenzierung – die nützliche von den gefährlichen Spinnen unterscheidet – in ihren Naturgeschichten. »Geschickt« sind für Aristoteles bezeichnenderweise diejenigen Spinnen, welche dichte und damit gute Netze weben: Nur wer sichtbare kunstfer- tige Werke (erga) hervorbringt, genügt dem qualitativen Anspruch des antiken Philosophen.172 Auch Plinius der Ältere drückt seine Präferenz und Bewunderung für die »kluge Arbeitsweise« der Spinnenexemplare173 deutlich aus: »mit welcher Geschicklichkeit bedient sie sich so ihres Fußes«; »Mit welcher Kunst (arte) verbirgt sie die Schlingen, die auf dem rautenförmigen Netze lauern!«; »Mit welcher Kunst ist der Bau 167 Vgl. August Hug und August Steier: »Spinnen«. In: Paulys Real-Encyclopädie der classischen Altherthumswissenschaft. Band II.6. Sparta – Stluppi. Hrsg. von Wilhelm Kroll und Karl Mittelhaus. Stuttgart: Metzler, 1929, S. 1784−1813, hier S. 1796. Vgl. aber die übliche glücksmythologische Differenzierung zwischen schwarzen und weißen Netzen bei Pausanias: Reisen in Griechenland III: Delphoi. Arkadien, Boiotien, Phokis. Hrsg. von Felix Eckstein und Peter C. Bol. Bibliothek der alten Welt. Zürich: Artemis & Winkler, 1989, IX, 6, 6. Die negative Konnotation als Unglückszeichen findet sich u. a. bei Claudius Aelianus: Bunte Geschichten. Leipzig: Reclam, 1990, 12, 57. 168 Aristoteles: Tierkunde. Hrsg. von Paul Gohlke. 2. Aufl. Paderborn: Schöningh, 1957, IX, 38, 22−24. Übersetzung Paul Gohlke. 169 Aristoteles: Tierkunde, IV, 11; V, 8. 170 Aristoteles: Tierkunde, IX, 39. 171 Das Wort arachne ist erstmals bei Aischylos, Agamemnon 1492, belegt. 172 Vgl. zur aristotelischen Tierphilosophie generell Markus Wild: Tierphilosophie zur Einfüh- rung. Hamburg: Junius, 2008, S. 41 f. 173 Hier als Wolfsspinnen bezeichnet. Spinne und Netz 57 ihres Schlupfwinkels gewölbt!«174 Dem Netz selbst und der raschen Bewegung in ihm zollt Plinius ebenfalls höchsten Respekt. Staunen gegenüber der wunderbaren, wohlgeordneten Natur, in der nichts umsonst und überflüssig ist, zeichnet den naturphilosophischen Diskurs der Antike mehr aus als dessen – aus heutiger Perspekti- ve – Fehlbeobachtungen. Diese sind keine Irrtümer, welche die weitere Wissenschaftsgeschichte bereinigt hätte.175 Wenn die Natur so kunstvoll ist, dass kein menschliches Wirken ihre Qualitäten erreichen kann,176 bleibt ihre Beschreibung notwendig unvollkommen. Es ist vor diesem Hintergrund nur konsequent, wenn auch bei Cicero die kosmologische Beschreibung des geozentrischen Weltbildes nahtlos in die Beschreibung der irdischen Vegetation und der Wunder des Tierlebens übergeht.177 Die göttlich-perfekte Ordnung von Erde, Sonne und Planeten bestimmt auch die weitere Natur; beide existieren durch ihre vollkommene Kunstfertigkeit.178 Die Wohlgeordnetheit besitzt eine Form, die sich in Sphären und Kreisen als Figuren des Wissens wiederfindet179 – ebensosehr, wie die Ordnung aus den Diagrammen hergestellt wird. Spinnen philosophieren nicht, doch in ihren Werken zeigt sich durch die geometrische Form eine Verkörperung der schöpfenden Natur selbst. Durch das Netz der Natur- technikerin manifestiert sich eine Frage an den Status der anthropogenen Kulturtechniken.180 Sind sie grundlegend mimetisch verfasst, wie Demo- krit annimmt? Oder sollten sie der Vernunft des Philosophen gehorchen, der die Polis in jedweder Hinsicht ordnen will, bis hin zur gleichmäßigen Geometrie eines parzellierten Stadtplanes? Das materielle wie diskursi- 174 Gaius Plinius Secundus der Ältere: Naturkunde. Lateinisch–Deutsch. Buch XI. Hrsg. von Roderich König. Sammlung Tusculum. München; Zürich: Artemis, 1990, XI, 29. Überset- zung Roderich König. 175 Der Verweis auf die Fehler ist gängig nicht nur bei Hug und Steier: »Spinnen«, sondern auch bei Rieken: Arachne und ihre Schwestern, S. 123. 176 Vgl. auch den geschickten sophistischen Einsatz dieses Vergleichs bei Philostratos: Die Bilder. Hrsg. von Otto Schönberger und Ernst Kalinka. München: Ernst Heimeran, 1968, II. Buch, 28 (382), S. 253: »Betrachte nun auch die Spinne, die ähnlich webt, ob sie nicht Penelope und die Serer übertrifft, die hauchdünnes und kaum sichtbares Gespinst liefern.« 177 Cicero: De Natura Deorum. Hrsg. von Harris Rackham. Loeb Classical Library 268. Cambridge, MA: Harvard University Press; London: Heinemann, 1979, II. Buch, 39; 47. Ein vergleichbarer Übergang findet sich, wie gezeigt, auch im Textverlauf des 9. Buchs von Vitruvs De Architectura zwischen Kosmologie und irdischer Zeitmessung. 178 Vgl. Gernot Böhme und Hartmut Böhme: Feuer, Wasser, Erde, Luft. Eine Kulturgeschichte der Elemente. München: Beck, 1996, S. 195. 179 Vgl. Cicero: De Natura Deorum zu sphaera und kyklos, II. Buch, 18, S. 169. 180 Vgl. zum Begriff einer »Technik der Natur« Immanuel Kant: Werkausgabe in 12 Bänden. X. Kritik der Urteilskraft. Frankfurt am Main: Suhrkamp, 1974, Einleitung 1: V, VII; B56, B77, B321. 58 Netze vor den Netzwerken ve Verhältnis von physis, technē und nomos entzieht sich kurzatmigen Rekonstruktionen.181 Eine Differenz von Natur und Kultur folgt bereits hier lediglich einer begrifflichen, keiner lebensweltlichen Unterscheidung. Alle Mythopoetik der schaffenden Natur ist schon kulturell überformt, gerade wenn man der Künstlerin Natur einen Eigensinn zuschreibt. Die Künste – und damit Kultur – kommen dem Menschen in Aischy- los’ Drama Der gefesselte Prometheus noch vom Götterboten Prometheus zu.182 Das Natürliche, von sich aus Seiende, wird wiederum seit dem Hellenismus durch die Natur als Künstlerin gestaltet. In der griechisch- römischen Antike wird die Dichotomie von Natur und Kultur immer wieder unterlaufen, gerade ob deren sich entfaltender Prominenz im philosophischen Denken. Eine solche Einschätzung mag einer heutigen Beobachtungsperspektive geschuldet sein, welcher die Natur / Kultur-Dif- ferenz fragwürdig geworden ist.183 Aber die Naturtechnikerin Spinne wird zwangsläufig zur Kulturtechnikerin, wenn man sie an Euklids Elementen misst. Spinnen werden so, sieht man einmal von der bereits zuvor in Grie- chenland geläufigen Assoziation mit der Weberei und dem weitverbrei- teten medizinischen und magischen Gebrauch ab,184 unter euklidischen Bedingungen auf ganz eigene Art und Weise Faszinosum des Wissens. In einer solchen Situation fällt auf, dass sie – vermeintlich – ihre Glieder ohne Mühe bewegen und keine schöpferischen Schwierigkeiten mit sich selbst haben.185 Seneca radikalisiert diese Fiktion, wenn er schreibt, dass alles von gleicher Art sei, was die Natur zuteile: Nicht siehst du, wie kein Mensch nachmachen kann das Netz der Spinne, wieviel Mühe es ist, die Fäden zu ordnen, die teils gerade verlaufen als Halt, teils im Kreis, innen dicht, nach außen weiter, damit darin kleinere Insekten, zu deren Verderben die Fäden gespannt werden, wie in einem Netz verwickelt festgehalten werden? Angeboren ist diese Fähigkeit, nichts wird erlernt.186 181 Vgl. für eine umfassende Rekonstruktion, u. a. zu Demokrit und Hippokrates Reimar Müller: Die Entdeckung der Kultur. Antike Theorien über Ursprung und Entwicklung der Kultur von Homer bis Seneca. Düsseldorf; Zürich: Artemis & Winkler, 2003, 13 f., S. 166 ff., S. 186 ff. 182 Vgl. Aischylos: Der gefesselte Prometheus, 442 f. In: Aischylos: Werke in einem Band. Siehe auch Müller: Die Entdeckung der Kultur, S. 110 f., S. 117. 183 Vgl. umfassend Philippe Descola: Jenseits von Natur und Kultur. Berlin: Suhrkamp, 2011. 184 Vgl. zur durch Dioskurides belegten Verwendung in der Medizin u. a. Hug und Steier: »Spinnen«, S. 1797; Bristowe: »Spider Superstitions and Folklore«, S. 67 f.; Rieken: Arachne und ihre Schwestern; Stern und Kullmann: Leben am seidenen Faden. 185 L. Annaeus Seneca: Philosophische Schriften 4. An Lucilius. Briefe über Ethik 70−124 (Ad Lucilium). Hrsg. von Manfred Rosenbach. 2. Aufl. Darmstadt: Wissenschaftliche Buchge- sellschaft, 1984, 121, 6. 186 Seneca: Ad Lucilium, XIX−XX, 121, 22. Spinne und Netz 59 Die anthropologische Differenz liegt in der Mühe, welche mit den form- bildenden Praktiken einer »Lebenstüchtigkeit« (sollertia) verbunden ist.187 So schreibt man dem Spinnennetz eine Regelmäßigkeit zu, die es bei genauerer Betrachtung gar nicht hat – es sei denn, das Netz würde von vornherein euklidischen Regeln gehorchen. Die menschliche Geo- metrie schreibt sich in das Naturnützliche ein, ganz ohne die Künstlerin Natur. Fragwürdig und faszinierend zugleich ist die Spinnenfähigkeit zur zweckgerichteten Mustergenerierung, mit der passgenau ein eigenes System inmitten der Umwelt errichtet wird. Die Spinne verkörpert, was Menschen anhand geometrischer Lehrsätze erlernen. Als Agentin einer kunstvollen Natur wird ihr stets ein Vorteil gegenüber menschlichen technai bleiben. Wenn diese eine vergleichbar wohlgeordnete Schöp- ferkraft als spinnenhafte Kunstfertigkeit anstreben, stoßen sie an eine wohldefinierte Grenze. In der gewandten Rhetorik der Sophisten entsteht derart – wie es bei Diogenes Laertius heißt – ein gar zu feines Netz: »Die dialektischen Lehren glichen Spinngeweben, die, obschon sie den Eindruck einer gewissen Kunstfertigkeit machen, doch ohne Nutzen sind.«188 Ovids Wissenspoetik der Spinne, um die es im Folgenden gehen soll, hält sich hingegen schon durch ihre eigenartige material-historische Grundierung an die klassische Aufforderung Horaz’, die Werke der Poeten sollten ebenso nützen wie gefallen. Ovids materielle Kultur I Arachne, Minerva und die machtvolle Ökonomie der Textilien Arachne und Minerva: Wenige der von Ovid erzählten Geschichten sollten so folgenreich sein wie jene, mit der das sechste Buch der Metamorphosen beginnt. Minerva, Göttin der Webkunst und der Wissenschaft, kommt zu Ohren, dass eine simple Menschenfrau ihr im Spinnen in nichts nachstünde. Arachne, die Lydierin aus Hypaepa, Tochter von Idmon,189 scheut nicht den Vergleich mit der Göttin selbst: »Streite sie […] mit mir! 187 Seneca: Ad Lucilium, XIX−XX, 121, 23. 188 Diogenes Laertius: Leben und Meinungen berühmter Philosophen. Buch I−X. Hrsg. von Klaus Reich. 2. Aufl. Hamburg: Meiner, 1967, VII. Buch, 161. 189 Bereits die Etymologie von dessen Namen verweist auf technisches Können und Wissen. Vgl. den Eintrag oîda in Pierre Chantraine: Dictionnaire étymologique de la langue Grecque. 2. Aufl. Paris: éditions Klincksieck, 1984, S. 779. Aus Idmons Geburtsort Kolophon kam einer antiken Tradition nach auch Homer. Vgl. Ulrich Schmitzer: Zeitgeschichte in Ovids Metamorphosen. Beiträge zur Altertumskunde 4. Stuttgart: Teubner, 1990, S. 236. 60 Netze vor den Netzwerken Nichts will ich, bezwungen, verweigern.«190 Der Wettstreit nimmt seinen Lauf, nachdem Minerva – die in Gestalt einer alten Frau ein Auge auf die Arbeiten Arachnes geworfen hatte – sich zu erkennen gibt. »Beide eilen beim Werk«191 und eifern um das Verfertigen der eindrucksvollsten Bilder (simulacra), in die Arachne im Gegensatz zu Minerva wenig rühmliche, Menschen schädigende Taten Jupiters mit einwebt. Minerva entpuppt sich als schlechte Verliererin, die nicht nur Arachnes Werk zerreißt, sondern mit der Webspindel auch die Stirn der Gegnerin traktiert. Diese schnürt sich daraufhin selbstmörderisch die Kehle zu. Mitleid überkommt die Göttin und sie beträufelt die Leiche der Menschenfrau mit Gift: »Klein einschrumpfet das Haupt, und klein wird alles am Körper; / Schmächtige Finger an der Stelle der Beine die Seite; / Sonst ist alles nur Bauch. Aus dem noch sendet sie immer / Fäden und fügt mit Fleiß als Spinne die alten Gewebe.«192 Ovids Erzählung ist vieles zugleich: poetische Urszene des Bilder erzeugenden schöpferischen Menschen, Fortsetzung der seit Homer immer wieder ins Spiel gebrachten Metaphorik von Erzählungen und Lebensfäden als Geweben,193 geschickte Modifikation eines von den Griechen textuell kaum überlieferten Mythos194 ebenso wie Erzählung eines gewachsenen menschlichen Stolzes auf die Handwerke materieller Kultur. Das Weben von Fäden ist dabei eine weiblich codierte Kul- turtechnik, ganz egal, ob Schicksalsgöttinnen wie die Moiren Klotho, Lachesis und Atropos an der Bestimmung von Lebenswegen arbeiten oder Menschenfrauen besser spinnen und weben als Göttinnen. Die Prominenz des Arachne-Mythos als genuin literarische Schöpfung ›aus sich selbst‹ überdeckt nicht nur die übrigen spärlichen Spuren des griechisch-römischen Verhältnisses zu Spinnen und Phalangien. Ovids Poetik verschweigt auch die historische Genealogie jener Webepraktiken, denen sich seine Inszenierung der Geschichte verdankt. Zumindest zwei mögliche Übermittlungen zwischen Götterwelt und materieller Kultur gehen dieser Szene der Metamorphosen voraus. Was wäre, wenn 190 Ovid: Verwandlungen, VI, 25−26. 191 Ovid: Verwandlungen, VI, 60. 192 Ovid: Verwandlungen, VI, 142−144. 193 Vgl. für ein differenzierte Darstellung des Motivs des Singen / Webens bei Homer und der Genese der Metapher des Webens bei Pindar und Bacchylides im fünften vorchristlichen Jahr- hundert John Scheid und Jasper Svenbro: Le métier de Zeus. Mythe du tissage et du tissu dans le monde gréco-romain. Paris: éditions errance, 2003, S. 93 f. 194 Vgl. zu den vagen griechischen Herkünften, u. a. Nikander von Kolophons Scholie Theriaca, Sylvie Ballestra-Puech: Métamorphoses d’Arachné. L’artiste en araignée dans la litterature occidentale. Histoire des idées et critique littéraire 426. Genf: Librairie Droz, 2006, S. 20 f. Spinne und Netz 61 Ovids Mythos nicht nur ein 2000-jähriges Nachleben, sondern auch eine 1500-jährige textile Vorgeschichte hätte?195 Zwei Elemente würden in einer solchen Erzählung zusammenfallen: die ökonomisch-politischen Geschicke des Textilhandels in der Ägäis seit der minoischen Palastkultur zum einen, die Techniken der Bildweberei und deren religiös-ritueller Einsatz zum anderen. Robert von Ranke-Graves hat in seiner Griechischen Mythologie in durchaus wagemutiger Manier und jenseits aller Datierung vermutet, dass Minervas Rache auf einen frühen Handelswettstreit zwischen Athen und den lydisch-karischen Thalassokraten (Seeherren) zurückgeht. Die Etablierung der Textilproduktion in jenem Bereich Kleinasiens, in dem Arachne zu Hause ist, geht bei ihm auf die von Kreta aus betriebene Gründung von Kolonien – darunter Milet – auf dem Festland zurück. Der Seehandel in Schwarzem Meer und Mittelmeer wurde im 2. vor- christlichen Jahrtausend in der Tat von Kreta dominiert, so dass man von einer nachwirkenden Langzeiterinnerung der griechischen Zivili- sation ausgehen kann.196 Ranke-Graves fasst zudem spätere mögliche Handelskonflikte zwischen kleinasiatischen Stadtstaaten wie Milet oder Megara197 mit dem griechischen Festland griffig zusammen: »Athene hatte guten Grund, auf die Spinne eifersüchtig zu sein.«198 Man kann an den Vermutungen des englischen Mythenhistorikers vieles infrage stellen: vom Mythos der minoischen Kultur als Thalas- sokratie über den vagen Verweis auf kretische Spinnenembleme bis hin zur Vermengung unterschiedlicher Zeitschichten, etwa der minoischen Palastkultur und der griechischen Klassik. Doch der hohe Stand und 195 Vgl. hingegen zum zeithistorischen Kontext des augusteischen Prinzipats Schmitzer: Zeit- geschichte in Ovids Metamorphosen, S. 230 f. 196 Dies betrifft auch Ägypten, wo minoische Textilien hoch geschätzt waren. 197 Beide verfügten im 7. Jahrhundert v. Chr. über eine »gewisse Monopolstellung« in der Weberei. Vgl. Thomas Pekáry: Die Wirtschaft der griechisch-römischen Antike. Wissen- schaftliche Paperbacks Sozial- und Wirtschaftsgeschichte 9. Wiesbaden: Steiner, 1976, S. 14. Siehe zum Stolz der Ionierinnen auf ihre Werke Plutarch: Moralia. Hrsg. von Frank Cole Babbitt. Bd. III. Loeb Classical Library 245. Cambridge, MA; London: Harvard University Press, 1989, 241d. Noch die athenischen Frauen in Aristophanes’ Lysistrata verrichten ihr Webwerk mit milesischer Wolle. Vgl. Aristophanes: Komödien. Weimar: Volksverlag, 1959, 3. Szene, 728. 198 Ranke-Graves: Griechische Mythologie. Quellen und Deutungen, S. 88. Die traditionelle Rivalität zwischen Lydern und Griechen bildet auch, mit Kroisos als dominanter Figur, den Stoff für den Auftakt von Herodots Historien. Vgl. Herodot: Das Geschichtswerk. Bd. 1. Bibliothek der Antike. Berlin; Weimar: Aufbau, 1967, Buch I, Kap. 6 f. Vgl. zum Verhältnis von Rivalität und geteilter griechischer Identität zwischen Attika und Kleinasien Theresa Miller: Die griechische Kolonisation im Spiegel literarischer Zeugnisse. Classica Monacensia 14. Tübingen: Narr, 1997. 62 Netze vor den Netzwerken ökonomische Erfolg der minoischen Textilfertigung im 2. vorchrist- lichen Jahrtausend ist archäologisch gut nachgewiesen, bis hin zu den entsprechenden Verwaltungslisten für Wolle und Schafe.199 In der re- ligiös geprägten kretischen Palastwirtschaft wurden alle Güter zentral verwaltet; bei ihrem Transport dienten Siegel als Verschluss und ma- gische Markierung. Der Besitz der Siegel war Privileg einer politischen wie bürokratischen Elite, die als kreis- und wirbelförmig angeordnetes Machtsymbol bevorzugt den Löwen, aber auch Skorpione, Spinnen und Ziegen wählte (Abbildung 2.6).200 Generelle Rückschlüsse vom Tiersymbol auf die herrschaftliche Do- mäne des entsprechenden Siegelträgers (bzw. des Palastes seines Königs, wa-na-ka) und den Fertigungsbereich der Waren werden in der Alter- tumswissenschaft zwar mitunter skeptisch gesehen.201 Umgekehrt spricht abb . 2 .6: Spinnensiegel aus Minos, 2. Jahrtausend v. Chr. 199 Vgl. hierzu und zum geografisch-kulturellen Zusammenhang von Anatolien, Kaukasus und Ägäis in Bezug auf die Weberei Elizabeth J. Wayland Barber: Prehistoric Textiles. The Development of Cloth in Neolithic and Bronze Ages with Special Reference to the Aegean. Princeton, NJ: Princeton University Press, 1991, S. 166 f., S. 311 f. Zur kretischen Wollindustrie anhand von Listen in Linear B siehe John Tyrrell Killen: »The Wool Industry of Crete in the Late Bronze Age«. In: The Annual of the British School at Athens (1964), S. 1−15; J. Lesley Fitton: Die Minoer. Stuttgart: Konrad Theiss, 2004, S. 162. 200 Löwen sind auf Kreta mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht heimisch gewesen, was für einen orientalischen, speziell ägyptischen Einfluss spricht. Vgl. Judith Weingarten: »How many Seals make a Heap: Seals and Interconnections on Prepalatial Crete«. In: Emporia. Aegeans in the Central and Eastern Mediterranean. Proceedings of the 10th International Aegean Conference, April 14−18, 2004. Hrsg. von Robert Laffineur und Emanuele Greco. Aegeaum 25. Eupen: Kliemo; Université de Liège, 2005, S. 759−766, hier S. 764. 201 Aurelia Dickers: Die spätmykenischen Siegel aus weichem Stein. Untersuchungen zur spät- bronzezeitlichen Glyptik auf dem griechischen Festland und in der Ägäis. Internationale Archäologie 33. Rahden / Westf.: Verlag Marie Leidorf, 2001, S. 115. Dickers plädiert für eine Rückbindung an den lokalen Fundort. Spinne und Netz 63 aber viel dafür, dass in der Tempelwirtschaft der Paläste pragmatische Verwaltungsvorgänge mit magisch-medialen Funktionen202 und einer Selbstinszenierung der textilen Fertigung verschaltet wurden. Was sollte man mit Spinnenmotiven versiegeln, wenn nicht Textillieferungen?203 Wenngleich Ranke-Graves’ spekulativer Zugriff auf den Arachne- Mythos fragwürdig erscheinen mag, ist er doch konsequent. Die öko- nomische Grundierung lässt die Stadtgöttin Athens, dessen kleinteilige Textilproduktion sich nicht mit derjenigen kleinasiatischer Poleis mes- sen konnte,204 den Wettstreit gegen eine menschliche Frau verlieren. Auch Göttinnen sind ein symbolisches Gut der Stadt – zumal wenn man bedenkt, dass Hera, Artemis und Athene mykenische Göttinnen waren, lange bevor sie Teil des klassischen Pantheons wurden.205 Der Name Arachnes ist prähellenisch und vermutlich nicht indoeuropäisch, ebenso wie derjenige Athenes – ein weiterer Indikator für die bis in die Bronzezeit zurückreichende Assoziation der Göttin mit der Weberei.206 Ovids materielle Kultur II Bildweberei und die Erzählung vom Glanz der Dinge Das zweite Element einer materiellen Vorgeschichte von Ovids Erzählung besteht aus einem singulären ikonografischen Fund und Zeugnissen zur Bildweberei. Auf einem ca. 600 v. Chr. enstandenen Krug (aryballos) aus Korinth findet sich eine Bilderzählung, deren Elemente eine Verbin- dung mit dem Mythos von Arachne und Athene zumindest nahelegen (Abbildung 2.7).207 202 Vgl. Rodney Castleden: Mycenaeans. Routledge: London, New York, 2005, S. 77 f. 203 Siehe zu den bürokratischen Siegeltechniken Imma Kilian-Dirlmaier: »Das Kuppelgrab von Vapheio: Die Beigabenausstattung in der Steinkiste. Untersuchungen zur Sozialstruktur in späthelladischer Zeit«. In: Jahrbuch der Römisch-Germanischen Zentralmuseums Mainz 34.1 (1987), S. 197−212, S. 208 f.; Fitton: Die Minoer, S. 76 f. Vgl. zur mesopotamischen Tradition des Siegelns von Tongefäßen mit bedeutungsgebenden ›tokens‹ zur Zählung und Buchführung Edzard: Geschichte Mesopotamiens, S. 26 f. 204 Vgl. zur Textilgeschichte des antiken Griechenlandes ausführlich Rosa Reuthner: Wer webte Athenas Gewänder? Die Arbeit von Frauen im antiken Griechenland. Campus Forschung 897. Frankfurt; New York: Campus, 2004. 205 Vgl. Castleden: Mycenaeans, S. 235. 206 Vgl. Elizabeth J. Wayland Barber: »The Peplos of Athena«. In: Goddess and Polis. The Panathenaic Festival in Ancient Athens. Hrsg. von Jenifer Neils. Princeton, NJ: Princeton University Press, 1992, S. 103−117, hier S. 108. 207 Die Verbindung findet sich erstmals bei Gladys Davidson Weinberg und Saul S. Weinberg: »Arachne of Lydia at Corinth«. In: The Aegean and the Near East. Studies Presented to Hetty Goldman on the Occasion of her Seventy-fifth Birthday. Hrsg. von Saul S. Weinberg. Locust Valley, New York: J. J. Augustin, 1956, S. 262−267. 64 Netze vor den Netzwerken abb . 2 .7: Webereiszene auf einem Krug aus Korinth, ca. 600 v. Chr. Die Erzählung unterscheidet sich von derjenigen Ovids, unstrittig ist jedoch die Präsenz einer größer dargestellten Göttin. Im zweiten, durch trennende Symbole abgesetzten Teil des Bildes erscheint eine große, edel gekleidete weibliche Gestalt, zu der eine weitere Frau in Demutsgeste aufschaut. Der Webstuhl neben beiden deutet durch die zusätzlichen Hängegewichte ein weiter fortgeschrittenes Werk an. Stünde diese Szene für sich, wäre sie durchaus ein schlüssiger Teil jener Geschichte, die wir kennen. Rätselhaft wird die Darstellung durch ihren ersten Teil, in dem zwei Frauen, unterstützt durch eine dritte, den Webstuhl bedienen. Ihre Gesichter sind mit dunkler Farbe versehen, die webende mittlere Figur zudem deutlich kleiner gestaltet. Handelt es sich um Athene vor der Preisgabe ihrer Identität? Zu welcher Bildlektüre man sich auch ent- scheiden wird – und es gibt viele Gründe, die Szene auf dem Korinther aryballos allenfalls als eine andere Form der Geschichte anzusehen –, das entscheidende, für eine lange Tradition sprechende Element findet sich bei Ovid selbst. Athene und Arachne weben als Ausweis ihrer Kunst hervorragende Bilder, Simulakren – eine Praxis, die in ihrer Aufwendigkeit für den griechischen Kulturraum zumindest seit Homer belegt ist. Die Textil- historikerin Elizabeth Barber geht davon aus, dass die Nutzung von Bildteppichen zum Geschichtenerzählen der griechischen geomet rischen Kunst (10. bis 7. Jahrhundert) noch vorausgeht.208 Es gehört zu den Widrigkeiten der Überlieferung materieller Kultur, dass die besten Quellen für diese Annahme Texte sind. So webt Helena in der Ilias Kampfszenen in ein Gewand. Andromache fertigt darin einen textilen Talisman »mit mancherlei Bildwerk« zum Schutz von Hektor, als dieser 208 Vgl. Barber: »The Peplos of Athena«, S. 112. Spinne und Netz 65 Achill – der Athenes Gunst auf seiner Seite hat – vor den Toren Trojas unterliegt.209 Die verschleppten Troerinnen mitsamt Hektors Mutter Hekabe beklagen in Euripides’ gleichnamigem Drama das Elend ihrer untergegangenen Stadt: Oder soll in der Stadt der Pallas / auf safranfarbigem Kleide Athenes / vor prächtigen Wagen / die Rosse ich schirren, / indem ich sie sticke auf zierlichem, / blumendurchwirktem Gewebe, / oder das Geschlecht der Titanen darstellen, / das Zeus, der Sohn des Kronos, mit flammendem Blitz / in den Schlaf des Todes versenkte?210 Aischylos lässt in der Orestie Elektra und Orestes einander an Bild und Stil des Gewandes erkennen.211 Euripides greift im Ion auf eine vergleichbare Motivik zurück, wobei dort in den Versen der Tempel- dienerinnen zu Delphi der rituelle und memoriale Gehalt der heiligen Gewebe als Bilder deutlich benannt wird.212 Die Textilien stammen aus Tempelschätzen und fungieren als Weihegeschenke Ions. Der kommu- nikative Tausch zwischen Götter- und Menschenwelt vollzieht sich so über gewebte Gegenstände, denen als heiligen Objekten eine besondere kulturelle Wertschätzung entgegengebracht wird. Von ihnen geht, wie die Althistorikerin Beate Wagner-Hasel gezeigt hat, charis aus – ein Glanz oder Licht, in jedem Falle aber eine visuelle Wirkkraft, die eine anmutige Person, ein wertvolles Ding oder einen klingenden Gesang charakterisiert. Der komplexe und changierende Begriff der charis umfasst mit textilen Artefakten und Schmuck all jene dinghaften Zeichen, die in Bindungsver- hältnissen (zwischen Menschen und Göttern, unter Männern, zwischen Männer und Frauen und in der Gemeinschaft insgesamt) zum Tragen kommen. Durch ihre Herstellung und Weitergabe entwickelt sich die Gegenseitigkeit der Kommunikation und des sozialen Zusammenhalts.213 Jenes Gewand, das als peplos von Athena den wichtigen Teil einer zen- tralen Prozession der Panathenaien-Feiern darstellte, ist der vielleicht spektakulärste Nachweis einer Vergegenwärtigung des Gemeinsamen 209 Homer: Ilias, 3. Gesang, 125−27; 22. Gesang, 440−441. In: Homer: Ilias und Odyssee. 210 Euripides: Hekabe, 466−474. In: Euripides: Werke in drei Bänden. Hrsg. von Dietrich Ebener. Bd. 1. Bibliothek der Antike. Berlin; Weimar: Aufbau, 1979, Übersetzung Dietrich Ebener. 211 Aischylos: Choephoren, 231−233. 212 Vgl. Euripides: Ion, 1141 f. 213 Vgl. Wagner-Hasel: Der Stoff der Gaben, S. 132 ff. 66 Netze vor den Netzwerken durch Textilien.214 Über neun Monate arbeiteten die Priesterinnen an dem überlebensgroßen Gewand. Mit der Schlacht zwischen Göttern und Riesen stellte es einen für die Gründung Athens zentralen Mythos dar, in dem Athenes Kampf gegen den Riesen Asterios neben Darstellungen von Zeus, weiteren Riesen, dem Schlachtgetümmel, Pferden und Streitwagen wahrscheinlich eine zentrale Rolle einnahm.215 Alle vier Jahre, zu den sommerlichen großen Panathenaien,216 wurde der peplos vom Kera- meikos aus feierlich durch die Stadt auf die Akropolis getragen, wo die Statue der Göttin damit eingekleidet wurde. Die Einkleidung von Athene mit Darstellungen ihrer selbst auf safrangefärbtem Gewand inszeniert diese nicht nur als symbolisches Kapital der Stadt, sondern entfaltet die zweifach materialisierte göttliche charis vor den Augen der anwesenden Verbündeten und Kolonien. Athen hüllt sich so in einen Mantel seiner selbst. Die politischen Fragen sind darin, idealiter, eingelassen. Schöner noch als Platon hat Aristophanes seine Lysistrate die Geschäfte des Staates als textile Angelegenheit darstellen lassen: »Wärt ihr bei Sinnen, / So behandeltet ihr die Geschäfte des Staates akkurat wie wir / Frauen die Wolle!«217 und »webet vereint für das Volk / einen wollenen Mantel!«218 Dieser entspricht hier als schützendes Objekt des sozialen Gemeinsinns dem, was Nicole Loraux als »sehr dichtes Gewebe«, als symplokē (Ver- flechtung, Verbindung) der polis bezeichnet hat.219 Durch die implizite Referenz auf vergangene ökonomisch-politische Rivalitäten und die explizite Berufung auf Traditionen der Bildweberei und des narrativen Knüpfens von Teppichen bleibt Ovids Mythopoetik materiell grundiert. Ein drittes Element ihrer kulturtechnischen Ver- fasstheit leitet sich daraus her; ein Element, welches eine selbstbewusste Transformation der Erinnerungs- und Überlieferungstechnik in ein energetisches Programm darstellt. So singt im fünften Buch der Meta- morphosen Calliope, Muse der Dichtkunst, die Geschichte von Ceres’ 214 Ähnliche textile Riten sind auch für andere griechische Kultstätten belegt, darunter Delphi und Olympia. Vgl. Scheid und Svenbro: Le métier de Zeus, S. 17. Siehe auch Reuthner: Wer webte Athenas Gewänder?, S. 295 f. 215 Vgl. Barber: »The Peplos of Athena«, S. 111; Scheid und Svenbro: Le métier de Zeus, S. 22, S. 32. Vgl. zur Ikonografie der Gigantomachie und deren Status als aristokratische Selbstbespiegelung Susanne Muth: Gewalt im Bild. Das Phänomen der medialen Gewalt im Athen des 6. und 5. Jahrhunderts vor Christus. Image & Context 1. Berlin; New York: de Gruyter, 2008, S. 268 f. 216 Die Differenzierung gegenüber den ›kleinen‹ Panathenaien wurde unter den Peisistratiden 566 / 565 eingeführt, die auch die Textredaktion der homerischen Epen mit verantworteten. 217 Aristophanes: Lysistrate, 2. Szene, 573. In: Aristophanes: Komödien. 218 Aristophanes: Lysistrate, 2. Szene, 585 f. 219 Vgl. Loraux: »Das Band der Teilung«, S. 31. Spinne und Netz 67 (Demeters) Suche nach ihrer Tochter Proserpina (Persephone), die von Dis (Hades) entführt worden ist.220 Ihr göttlicher Zorn trifft auch einen vorlauten Knaben, der mittels eines Hefetranks in eine kleine Echse verwandelt wird. Während dieses erzählerische Muster bei Minerva und Arachne wiederkehrt, unterscheidet sich das intermediale Referenzsy- stem beider Szenen grundlegend. Stellt sich Calliopes Gesang ganz als Sprachklang dar – »Doch daß jener Gesang, die köstliche Gabe des Mundes, / Lockend das Ohr zu fesseln bestimmt«,221 weben die beiden Wettstreitenden ihre Geschichten als Bilder. Eine vergleichbare Pointe setzt Ovid in der Gestaltung der Begegnung von Echo und Narziss als Figuren des Schalls und des Anblicks.222 Mit dieser Opposition wird ein Ausspruch Plutarchs aufgerufen, in dem sich die Grundlagen einer Poetik der schriftlichen Erzählung spiegeln: »Übrigens hat Simonides recht, wenn er die Malerei eine stille Dichtkunst, die Dichtkunst aber eine redende Malerei nennt.«223 Dem flüchtigen Klang von Stimme und Instrument stehen so die medialen Optionen materieller Aufschreibesysteme gegenüber. In der Verfertigung ihrer Artefakte blitzt etwas auf – ein Übergang, den man im Raum zwischen den griechischen Begriffen der energeia (Tätigkeit, Betätigung, Tatkraft) und der enargeia (Klarheit, Deutlichkeit, Anschaulichkeit, lat. evidentia) verorten kann. Carlo Ginzburg hat darauf hingewiesen, dass sich das antike Geschichtsverständnis seit Homer zwischen Beschrei- bung und dem Wahrhaftigkeit garantierenden »unmittelbar vor Augen stellen« der enargeia bewegt.224 Ovid hält sich an diese für Rhetorik, Dichtkunst und Malerei maßgebliche Formel.225 Das Leuchten der Ob- 220 Ovid: Verwandlungen, 5. Buch, 341 f. 221 Ovid: Verwandlungen, 5. Buch, 561 f. 222 Vgl. Ovid: Verwandlungen, 4. Buch, 339 f. Jesper Svenbro hat darauf hingewiesen, dass in Minervas und Arachnes textuell beschriebenen Bildern auch der Schall gefangen wird. Nach einem Epigramm des Tiberius Ilus aus der Antologia Palatina (IX, 372) fängt die Spinne in ihrem Netz die Zikade – ein Insekt, das als tierische Personifikation der klingenden Stimme galt. Der Leseakt setzt die Stimme als »Stimme der Musen« erneut frei. Vgl. Scheid und Svenbro: Le métier de Zeus, S. 102 f. 223 Plutarch: »Sind die Athener durch ihre Kriege oder ihre Geistesgaben berühmter?« In: Von der Ruhe des Gemütes und andere philosophische Schriften. Hrsg. von Bruno Snell. Übersetzung Bruno Snell. Zürich: Artemis, 1948, S. 150−159, hier S. 152. 224 Vgl. Carlo Ginzburg: »Veranschaulichung und Zitat. Die Wahrheit der Geschichte«. In: Der Historiker als Menschenfresser. Über den Beruf des Geschichtsschreibers. Berlin: Wagenbach, 1990, S. 85−102. 225 Vgl. ausführlich zu enargeia / evidentia und ekphrasis / descriptio Philipp Fondermann: Kino im Kopf. Zur Visualisierung des Mythos in den Metamorphosen Ovids. Hypomnemata. Untersuchungen zur Antike und ihrem Nachleben 173. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, 2008, S. 33 ff. Siehe auch Horst Bredekamp: Theorie des Bildakts. Frankfurter Adorno- Vorlesungen 2007. Berlin: Suhrkamp, 2010, S. 20 ff. 68 Netze vor den Netzwerken jekte, ihre charis als Teil einer Erinnerungskultur, kennzeichnet auch Minervas und Arachnes Werk. Und Publius Ovidius Naso geht selbst- bewusst noch einen Schritt weiter, wenn er seinen Versen ein Potenzial zur Freisetzung von Unsterblichkeit einschreibt. Die ebenso kecke wie berühmte finale Wendung im 15. Buch sieht denn auch vor, dass sein Name nie getilgt sein möge, solange ihn ringsum das römische Volk lesen werde: »und wofern mich nicht trügen der Dichter Ahnungen, werd ich stets fortleben in fernester Zukunft«.226 Mit der Verbindung von materieller Kultur und Mythopoetik entstehen so im Kraftfeld von energeia und enargeia Überlieferungsmöglichkeiten, deren künftige Wirkungen Ovid einkalkuliert. Wenn also der 1500-jährigen Vorgeschichte des Webewettstreits ein 2000-jähriges Nachleben folgt, kommt auch Arachnes Netz eine besondere Rolle zu. Denn es handelt sich nicht mehr um ein göttliches bzw. politisches Netz der Macht oder einen verfangenden Fluch, wie ihn Aischylos Klytaimestra aussprechen lässt. Arachne verkörpert in der antiken Taxonomie der Natur gerade nicht die Giftspinne (pha- langie) – auch wenn Minerva die menschliche Kunstfertigkeit mittels des magisch-giftigen Hekatekrauts zurück ins Tierreich verbannt. Das mimetische Lernen von der Spinne steht hier nicht mehr im Vorder- grund, wie dies zuerst, noch vor Demokrit, bei Hesiod in den Werken und Tagen für die bronzezeitlichen Kulturtechniken der Fall war.227 Ovids Mythopoetik zeigt Arachnes Netz nicht nur als Fortsetzung eines Diskurses über die geometrische Geschicklichkeit der Spinne, sondern auch als Dingsymbol für poetische Praktiken.228 Setzt man, aus der griechischen Tradition kommend, auf ein dichtes Gewebe, mitsamt linearer Verkettung und geschlechtlich codierter Metaphorik von Kette und Schuss? Oder bestimmt sich die römische Wahlverwandtschaft von Weben (texere) und Textgewebe (textus) auch durch die Option eines begrenzten, teils weit-, teils engmaschigen 226 Ovid: Verwandlungen, 15. Buch, 876−879. 227 Vgl. mit einer deutlichen geschlechtlichen Codierung des Webens als weiblicher Kulturtech- nik Hesiod: Werke und Tage. Griechisch / Deutsch. Hrsg. von Otto Schönberger. Stuttgart: Reclam, 1996, 776−779. 228 Die durchscheinende Selbstmaskierung des Autors Ovid und seine Nähe zur Schöpferkraft Arachnes ist immer wieder zentraler Bezugspunkt für Analysen des Textes geworden. Vgl. stellvertretend Denis C. Feeney: The Gods in Epic. Poets and Critics of the Classical Tradi- tion. Oxford: Clarendon, 1992, S. 188 f.; Antony James Boyle: »Ovid and Greek Myth«. In: The Cambridge Companion to Greek Mythology. Hrsg. von Andrew V. V. Raymond. Cambridge; New York: Cambridge University Press, 2007, S. 355−381, hier S. 375. Spinne und Netz 69 Textes, in dem bildbeschwörende Klänge gefangen sind?229 In jedem Fall transportiert das Bilder und Töne enthaltende Netz etwas, fängt mehr auf als nur die Beute, wird zum generativen Speicher des kulturellen Gedächtnisses.230 Ovid forever oder: Netz und Bild Zum Nachleben des Mythos von Arachne und Minerva »Das Problem nach dem Einfluß der Antike hat im Lauf der Jahre natürlicherweise dazu geführt, die Hauptvehikel, auf denen die antike Götterwelt in die europäische einfährt, zu untersuchen. Das Hauptver- kehrsbureau für reisende Götter lag offenbar jahrhundertelang in den Händen der bewährten Firma Publius Ovidius Naso u. Epigonen.«231 So notierte und bilanzierte der Kunsthistoriker Aby Warburg 1927 in Vorbereitung auf eine Ovid-Austellung in seiner Hamburger Kulturwis- senschaftlichen Bibliothek. Warburgs zentrale Frage nach den Wegen und Umwegen des Nachlebens der Antike kreuzt sich hier mit einer zeit- typischen Semantik des Verkehrs.232 Die merkwürdigen Wege, welche die Transformationen von Text, Bildern und Pathosformeln der Ovid’schen Metamorphosen nehmen, betreffen auch die Rezeption der Arachne- Episode in all ihrer Bildhaftigkeit. Es ist bemerkenswert, dass Warburg deren Bilderzeugungsprogramm – soweit bisher bekannt – nicht explizit zum Gegenstand seiner Arbeit gemacht hat. Überliefert ist hingegen seit der Publikation des Arbeitstagebuchs der Kulturwissenschaftlichen Bibliothek, dass Warburg seinem Kollegen Fritz Saxl bei der Deutung von Diego Velázquez’ Gemälde Las Hilanderas mit einem assoziativen Hinweis auf die Arachne-Episode als Quelle der Bilderzählung geholfen 229 Vgl. Scheid und Svenbro: Le métier de Zeus, S. 103. Das Wort »textus« ist nicht vor Quin- tilian (100 n. Chr.) nachgewiesen, »texere« hingegen kommt bei Cicero (106−43 v. Chr.) vor. Vgl. Scheid und Svenbro: Le métier de Zeus, S. 86. 230 Vgl. zur Gedächtnisfunktion der Gewebemetapher Beate Wagner-Hasel: »Textus und texere, hýphos und hyphaínein. Zur metaphorischen Bedeutung des Webens in der griechisch- römischen Antike«. In: ›Textus‹ im Mittelalter. Komponenten und Situationen des Wort- gebrauchs im schriftsemantischen Feld. Hrsg. von Ludolf Kuchenbuch und Uta Kleine. Veröffentlichungen des MPI für Geschichte 216. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, 2006, S. 15−42, hier S. 18 f. 231 Warburg Institute Archive London, III, 96.2.3. Zitiert nach Ulrich Raulff: Wilde Energien. Vier Versuche zu Aby Warburg. Göttinger Gespräche zur Geschichtswissenschaft 19. Göt- tingen: Wallstein, 2003, S. 109. 232 Vgl. Helmut Lethen: Verhaltenslehren der Kälte. Lebensversuche zwischen den Kriegen. es 1884. Frankfurt am Main: Suhrkamp, 1994, S. 44 f.; Johannes Roskothen: Verkehr. Zu einer poetischen Theorie der Moderne. München: Fink, 2003. 70 Netze vor den Netzwerken hat.233 Ansonsten ist für Warburg Ovid, wie auch Vergil, »Conservator« jener Pathosformeln, die Grundlagen einer überzeitlichen »Sprachlehre der Gebärdensprache« sind. In einer der ersten Notizen zum Projekt des Mnemosyne-Atlas vom 30. Juli 1927 bezichtigt Warburg Ovid der attraktiven »Umbiegung« der griechisch-»tragischen Urworte ins idyllisch erotische«.234 Publius Ovidius Naso und Epigonen sind bei Aby Warburg einerseits Hauptbotschafter der »überlebenden Prägekraft antiker Ausdruckswerte im europaeischen Geisteshaushalt (Kulturkreis)«.235 Andererseits bleibt mit der Episode von Arachne und Minerva gerade diejenige Erzählung unterbelichtet, die stellvertretend für die gesamten Metamorphosen ein geradezu warburgianisches Programm enthält, in dem das kollektive Gedächtnis durch Bilderzählungen energetisch ›aufgeladen‹ wird. Es ist kein Zufall, dass sich Warburgs Hinweis an Saxl aus einer wieder- erkannten Geste – Minervas Schlag mit der Spindel – ergab. Denn alle weiteren Elemente des Wettkampfes der Göttin mit der Menschenfrau sind bei Ovid weniger bereits bildhaft gewordene Pathosformel, als Verfertigung von Bildern im gedoppelten Prozess von Bildbeschreibung (ekphrasis)236 und prozessualer Bildweberei. In der Transformationsgeschichte, der »Metamorphose der Metamor- phosen«237 verliert sich Ovids positive Besetzung des menschengemach- ten Netzes zunächst durch eine christliche Überformung der Arachne- 233 Vgl. Aby Warburg, Gertrud Bing und Fritz Saxl: Tagebuch der Kulturwissenschaftlichen Bibliothek Warburg. Gesammelte Schriften VII. Hrsg. von Karen Michels und Charlotte Schoell-Glass. Berlin: Akademie Verlag, 2001, S. 121, S. 153. Siehe dazu Karin Hellwig: »Pal- las Athene, Europa und Arachne in der Fabrik. Schwierigkeiten mit Diego Velázquez – das Rätsel der Hilanderas und die Versuche zu seiner Lösung«. In: Neue Zürcher Zeitung, 21. März 2009. http://www.nzz.ch/nachrichten/kultur/literatur_und_kunst/pallas_athen e_europa_und_arachne_in_der_fabrik_1.2233602.html. Vgl. allgemein Ballestra-Puech: Métamorphoses d’Arachné, S. 152 f. 234 Warburg, Bing und Saxl: Tagebuch der Kulturwissenschaftlichen Bibliothek Warburg, S. 127. 235 Warburg, Bing und Saxl: Tagebuch der Kulturwissenschaftlichen Bibliothek Warburg, S. 126. Vgl. auch Aby Warburg: »Mnemosyne. Einleitung«. In: Der Bilderatlas MNEMOSYNE. Gesammelte Schriften II.1. Hrsg. von Martin Warnke und Claudia Brink. Berlin: Akademie, 2000, S. 3−6, hier S. 3 f. 236 Vgl. zur Begriffsgeschichte von ekphrasis als zunächst allgemeinem rhetorischen Begriff für die Beschreibungskunst Fritz Graf: »Ekphrasis: Die Entstehung der Gattung in der Antike«. In: Beschreibungskunst – Kunstbeschreibung. Hrsg. von Gottfried Boehm und Helmut Pfotenhauer. Bild und Text. München: Fink, 1995, S. 143−155. 237 Maria Moog-Grünewald: Metamorphosen der Metamorphosen. Rezeptionsarten der ovidi- schen Verwandlungsgeschichten in Italien und Frankreich im XVI. und XVII. Jahrhundert. Studien zum Fortwirken der Antike 10. Heidelberg: C. Winter, 1979. Vgl. für einen Nachweis der Mehrzahl relevanter Bild- und Textquellen die an der römischen Sapienza entstandene Datenbank www.iconos.it, insbesondere http://www.iconos.it/index.php?id=1761. Spinne und Netz 71 Episode. Selbstverständlich war deren Aufnahme und Popularisierung nicht, fehlte doch noch im wichtigen spätantiken Repertorium Mytho- logiae des Fabius Claudius Gordianus Fulgentius ein entsprechender Eintrag.238 In der christlichen Allegorese wird Arachne, gerade weil die alttestamentarische Metapher des Netzes noch mit dem Teufel und dessen Verführungskünsten assoziiert bleibt, abgewertet. Die Spinne erscheint im Christentum generell als Symbol moralischer Verdammung, zu dem sich nach und nach eine negativ codierte Verbindung von ›Spinne‹ und ›Frau‹ gesellt.239 In der Mehrzahl der mittelalterlichen Kommen- tare, so schreibt die Literaturwissenschaftlerin Sylvie Ballestra-Puech, erscheint Arachne demzufolge als verachtenswerte Figur.240 Dennoch bleibt auch in der moralischen Verdammung eine konsti- tutive Ambivalenz erhalten. Arachnes überhöhter Stolz kehrt zwar in schriftlichen Zeugnissen als christliche Todsünde wieder. Ihre textilen Werke hingegen erscheinen keineswegs durchgängig negativ besetzt. Überall dort, wo der Webstuhl selbst mit ins Bild gerät – und nicht nur die finale Metamorphose zur Spinne – verschiebt sich der Rahmen der Repräsentation. Die Darstellung der Webepraktiken zeigt die Ambiva- lenz zwischen moralischer Bewertung einerseits und Symbolisierungen materieller Kultur andererseits. Ikonografisch ist diese Spannung eher nachvollziehbar, da die Allegorisierung über den Alltagsbezug der We- beapparaturen und der Kleider der Protagonistinnen vergleichsweise konkret bleibt. Bevor aber der Medienumbruch zum gedruckten Buch die Anzahl der Ovid-Ausgaben mitsamt ihrer Illustrationen in die Höhe schnellen lässt, existieren ab dem 14. Jahrhundert zwei verschiedene Stile literarischer Transformation. Während in Italien Dante und Boccaccio durchaus Arachnes Kunstfertigkeit betonen, dominiert in den beiden entschei- denden allegorisierenden Pariser Umschriften der Metamorphosen die Verachtung. Dies gilt sowohl für das anonym gebliebene Manuskript des Ovide moralisé (ca. 1316−1328) als auch für den Ovidius moralizatus (ca. 238 Vgl. Ballestra-Puech: Métamorphoses d’Arachné, S. 70. 239 Vgl. allgemein Rieken: Arachne und ihre Schwestern, und speziell Klaus Lindemann und Raimar Stefan Zons, Hrsg.: Lauter schwarze Spinnen. Spinnenmotive in der deutschen Li- teratur. Bouviers Bibliothek 9. Bonn: Bouvier, 1990. Siehe auch Sigrid Dittrich und Lothar Dittrich: Lexikon der Tiersymbole. Tiere als Sinnbilder in der Malerei des 14.−17. Jahrhun- derts. Studien zur internationalen Architektur- und Kunstgeschichte 22. Petersberg: Michael Imhof Verlag, 2004, S. 503. 240 Ballestra-Puech: Métamorphoses d’Arachné, S. 86. 72 Netze vor den Netzwerken 1342−1350) des Benediktiners Pierre Bersuire.241 Beide sollten, als Wei- terführung der Ovid-Tradierung über die mit Sentenzen antiker Autoren gefüllten Anthologien – die sogenannten Floriliegien – zum Hauptvehikel der Metamorphosen-Rezeption werden.242 Gegenüber dem Ovid’schen Original wie den Renaissance-Aneignungen der Arachne-Episode wirken die Allegoresen des 14. Jahrhunderts als konsequent christliche Lektüren mit genuin eigenem Wert. Sie folgen der Maßgabe des Kirchenvaters Augustinus, »daß lieber alles aus einer allegorischen Ausdrucksweise erkannt wird und daß, was mit einiger Schwierigkeit gesucht wird, viel dankbarer gefunden wird«.243 Der höhere geistige Sinn, der sensus spi- ritualis der Heiligen Schrift, dringt in die Buchstaben der überlieferten antiken Texte ein. Vom vierfachen Schriftsinn – historisch, allegorisch, moralisch oder anagogisch-jenseitsverheißend,244 der die Bibelexegese in- formiert, verbleiben hier vor allem die typologisch operierende Allegorie und die moralische Anweisung zur rechten Lebensführung. Für Letztere dient Arachne »Par cest essample« als abschreckendes Beispiel.245 Alle Möglichkeiten einer Konkretion am historischen Sinn der Schrift und auch an dem, was man Ovids materielle Kultur nennen kann, wirken im Ovide moralisé und im Ovidius moralizatus versperrt. Dies erscheint umso paradoxer, wenn man sich vergegenwärtigt, dass die christliche Zeichenlehre seit Augustinus ein ausgesprochen enges Band zwischen konkreten Objekten (res) und deren religiösen und kulturel- len Bedeutungen (signa) knüpft.246 »Dinge« im Sinne des lateinischen 241 Ediert vorliegend als Cornelis de Boer, Hrsg.: Ovide moralisé. Poème du commencement du quatorzième siècle. Verhandelingen der Koninklijke Akademie van Wetenschappen te Amsterdam. Afdeeling Letterkunde. Nieuwe Reeks 21. Amsterdam: Johannes Müller, 1920. 242 Vgl. Jean Seznec: Das Fortleben der antiken Götter. Die mythologische Tradition im Huma- nismus und in der Kunst der Renaissance. München: Fink, 1990, S. 71 f., zu den weiteren allegorischen Umschriften im 14. Jahrhundert. 243 Augustinus: Die christliche Bildung / De doctrina christiana. Hrsg. von Karla Pollmann. Stuttgart: Reclam, 2002, IV.8.13. 244 Vgl. hierzu klassisch Friedrich Ohly: »Vom geistigen Sinn des Wortes im Mittelalter«. In: Schriften zur mittelalterlichen Bedeutungsforschung. Darmstadt: Wissenschaftliche Buch- gesellschaft, 1977, S. 1−31, hier S. 13 f. Siehe zudem differenziert Stephan Meier-Öser: »Zeichenkonzeptionen in der Philosophie des Mittelalters«. In: Semiotik / Semiotics. Eine Handbuch zu den zeichentheoretischen Grundlagen von Natur und Kultur. Hrsg. von Ro- land Posner, Klaus Robering und Thomas A. Sebeok. Bd. 1. Handbücher zur Sprach- und Kommunikationswissenschaft 13.1. Berlin; New York: de Gruyter, 1997, S. 984−1022; Gisela Seitschek: Schöne Lüge und verhüllte Wahrheit. Theologische und poetische Allegorie in mittelalterlichen Dichtungen. Schriften zur Literaturwissenschaft 32. Berlin: Duncker & Humblodt, 2009, S. 17 f. 245 Boer: Ovide moralisé, 339. 246 Vgl. grundlegend Augustinus: Die christliche Bildung / De doctrina christiana, insbesondere das erste und zweite Buch. Siehe zur Ausdifferenzierung der Zeichentheorien in der Scholas- Spinne und Netz 73 Allerweltwortes res waren bedeutungshaltige sichtbare Gegenstände, Personen, Zahlen, Orte, Zeiten und Fakten der Geschichte: »Das Ding aber hat eine Bedeutungsw e l t, die von Gott bis zum Teufel reicht und potentiell in jedem mit einem Wort bezeichnetem Dinge vorliegt. Sie aktualisiert sich jeweils nur in einer durch den Kontext und die am Dinge herangezogene Eigenschaft bestimmten Richtung.«247 Im Falle von Arachnes Geweben bleibt hier in der Allegorie vorwiegend eine negativ- moralisierte Wertung, in der die erkennbare Dingbedeutung durch Gott gesetzt wird. Als Objekt kann das Netz so nur ad malam partem ein flüchtiges und täuschendes Netz des Teufels sein, in dem man sich umso mehr verfängt, je mehr man ihm zu entkommen trachtet.248 Es gilt als ein zu meidendes Netz, das im alttestamentarischen Sinne diejenigen verfänge, die Arachne »en sa folie«,249 in ihrer vermessenen Verrücktheit, nacheifern würden.250 Allerdings bleibt die Bildbeschreibung (ekphrasis) des Ovide Moralisé der materiellen Verfertigung gewebter Bilder als »ymages« und »painture« verpflichtet,251 die gleichwohl Pallas weitaus besser, »plus fort et plus durable« gelingen.252 Die mittelalterlichen allegorischen Darstellungen interessieren sich ausnehmend für die lasterhafte, hochmütige Eitelkeit der Figur Arachne, weniger aber für die Materialität ihrer Netze und Gewebe, die erst im Bild wieder volle Anerkennung finden wird. Was in diesem bezeich- nenden Modus über- und nachlebt – und dies ist eine mögliche Option von Ovids künstlerischer Unsterblichkeitsstrategie – ist eher die Person als negatives Exempel denn ihr verwerfliches Werk.253 Aus der Vielzahl möglicher Bedeutungen kristallisiert sich die Eigenschaft des Netzes als tik Meier-Öser: »Zeichenkonzeptionen in der Philosophie des Mittelalters«. Vgl. für einen historischen Überblick Seitschek: Schöne Lüge und verhüllte Wahrheit, S. 17 ff. 247 Vgl. Ohly: »Vom geistigen Sinn des Wortes im Mittelalter«, S. 8. Zitat auf S. 9 f. Siehe zur festen Verknotung von Materialischem und Dämonischem im Mittelalter Walter Benjamin: »Ursprung des deutschen Trauerspiels«. In: Abhandlungen. Gesammelte Schriften I.1. Hrsg. von Rolf Tiedemann und Hermann Schweppenhäuser. stw 931. Frankfurt am Main: Suhrkamp, 1991 [1925], S. 203−430, hier S. 400. 248 »Autre sens puet avoir la fable. / Araigne note le dyable.«, Boer: Ovide moralisé, 917 f. »Et plus esforce d’eschaper, / Plus s’enlace et fet entraper.« Ebd., 925 f.. 249 Boer: Ovide moralisé, 110. 250 »Pallas, qui bien le veult gloser, / Note devine sapience / Araigne fole outrecui dance, / ,Qui ou dyable regne et maint, / Et dou dyable l’ont or maint, / Qui ensivent sa discipline.« Boer: Ovide moralisé, 354−359. 251 Vgl. Boer: Ovide moralisé, 221, 260, 535, 731. 252 Boer: Ovide moralisé, 426. 253 Dies ist durchaus vergleichbar mit der griechisch-römischen Vorliebe für die Personifikation von Abstraktionen, die der allegorischen Tradition mit auf den Weg gegeben wurde. Vgl. Seznec: Das Fortleben der antiken Götter, S. 67 f. 74 Netze vor den Netzwerken persönliches Attribut und Symbol heraus. Einer solchen Reduktion ste- hen die weiteren möglichen Eigenschaften dieses Objektes gegenüber, wie sie z. B. im humanistischen Stil literarischer Transformation auftreten. Die beiden kurzen Erwähnungen der Lyderin in Dantes Göttlicher Komödie (ca. 1307−1320) etablieren sich noch in einem ambivalenten, anagogischen Rahmen, wenn es am Läuterungsberg angesichts einer Passage über die Gräber Hochmütiger heißt: »O törichte Arachne, die ich sah / Halb Spinne schon und traurig auf den Fetzen / Des Werkes, das zum Leid für Dich geschah!«254 Zuvor ruft Dante ihre Fähigkeiten auf, um textile Pracht zu symbolisieren: »Noch wollte solches Zeug Arachnen glücken!«, tut dies aber in der Beschreibung der Farbenpracht eines Untieres.255 In der poetischen Jenseitsverheißung Dantes wird Arachne zwar als Person zum Teil der Eschatologie – davon zeugen auch Illuminationen in Manuskripten der Göttlichen Komödie256 –, ihre Gewebe aber haben eigenen Wert. Die Konkurrenz zum schöpfenden Gott, der bei Dante als Bildhauer und Demiurg auftritt, bleibt in ver- änderter Konstellation erhalten.257 Boccaccio schließlich nimmt Ovids Heldin in seine Beschreibung berühmter Frauen De mulieribus claris von 1361 / 62 mit auf. Aus seinen Lektüren antiker Autoren entsteht das Bild einer Arachne, die Erfinderin des Leinens und des Fangnetzes ist – auch wenn unklar bleibt, ob es sich um das Vogel- oder Fischernetz handelt.258 Eine Frau, welche die begabteste Weberin ihrer Zeit war, ist für ihn keinesfalls herabzuwür- digen.259 Im Gegenteil: Gerade ob all derjenigen Minderbegabten, die 254 Dante Alighieri: Die Göttliche Komödie. Mit Illuminierungen aus dem Codex Urbinate Latino 365. 2. Aufl. München: Winkler, 1990, Läuterungsberg, XII. Gesang, 43−45. Über- setzung Wilhelm G. Hertz. »O folle Aragne, sì vedeva io te / Già mezza aragna, trista in su gli stracci / Dell’opera che mal per te se fe’.« Vgl. zum vierfachen Schriftsinn bei Dante Seitschek: Schöne Lüge und verhüllte Wahrheit, S. 30 f., S. 244 f. 255 Dante: Die Göttliche Komödie, Hölle, XVII. Gesang, 18. »Nè fur tai tele per Aracne im- poste.« 256 Siehe Oxford, Bodleian Library, MS. Holkam misc. 48, f. 79; Paris, Bibliothèque de l’Arsenal: Ms. 8530, 82r. 257 Vielen Dank für diesen Hinweis an Jan Söffner. Vgl. ausführlich Andreas Kablitz: »Jenseitige Kunst oder Gott als Bildhauer. Die Reliefs in Dantes Purgatorio (Purg. X−XII)«. In: Mimesis und Simulation. Hrsg. von Andreas Kablitz und Gerhard Neumann. Litterae 52. Freiburg: Rombach, 1998, S. 309−356, insbesondere S. 348 f., zu Arachne, mit der das Bild selbst bei Dante zum Thema wird. 258 »[…] fuisse inventum eamque primam retia excogitasse […].« Giovanni Boccaccio: Famous Women. Hrsg. von Virginia Brown. Tatti Renaissance Library I. Cambridge, MA: Harvard University Press, 2001, XVIII, 2, hier S. 80. 259 »[…] non equidem in muliere spernendum offitium […].« Boccaccio: Famous Women, XVIII, 2, hier S. 80. Spinne und Netz 75 sich über die Klippe dümmlicher Anmaßung stürzen, erscheint Arachne für Boccaccio nicht als Subjekt der sündhaften Lächerlichkeit.260 Der Französin Christine de Pizan obliegt es, Arachne der fortwäh- renden negativen Allegorisierung deutlich zu entziehen – eine Tendenz, die sich in der Frühen Neuzeit fortsetzt. Im Livre de la Cité des Dames, 1405 in Paris erschienen, erkundigt sich die Autorin selbst bei Frau Vernunft, ob es denn nicht Frauen gebe, »die dank ihrer Verstandes- gaben, ihres Scharfsinns und ihrer Intelligenz aus eigenem Antrieb irgendwelche neuartigen, wichtigen, sinnvollen und nützlichen Künste und Fertigkeiten erfunden haben, die zuvor nicht bekannt waren?«261 Die lydische Weberin entwickelt sich hier nicht nur, über von Boccac- cio übernommene Zuschreibungen hinausgehend, zur Erfinderin von Netzgewebe, Hanf- und Flachsanbau, dem Spinnen mit der Spindel und Vogel-, Fisch-, Hasen- und Kaninchenfang mit Netz.262 Sie wird sogar – in einer regelrechten Umkehrung der allegorisierenden und moralisierenden Tradition – neben Minerva, Ceres, Isis, Pamphila, Thamaris und Sempronia zur Verkörperung der ›prudentia‹ als Tugend weiblicher Lebensklugheit erklärt.263 Die »energetische Transformation«264 der Arachne-Szene ist von Unterbrechungen und Sprüngen durchzogen. Deren verwirrende Vielfalt wird im Übergang von Mittelalter zu Renaissance noch potenziert, wenn Bilder zum integralen Element der weiteren Popularisierung werden. Widerstreitend, überschreitend, umgestaltend – so ließe sich deren Rolle gegenüber der Erzählung beschreiben. Im erneuten Umschlag der Bildbeschreibung (ekphrasis) in die Produktion materieller Bilder vollzieht sich nicht nur ein Medienwechsel. Auf dem Spiel stehen die christlichen Zuschreibungen, die im Sichtbarwerden von Arachne und 260 Boccaccio: Famous Women, XVIII, 8, hier S. 82. 261 Christine de Pizan: Das Buch von der Stadt der Frauen. 3. Aufl. dtv klassik. München: dtv, 1992, XXXIII, S. 102. 262 de Pizan: Das Buch von der Stadt der Frauen, XXXIX, S. 112 f. 263 de Pizan: Das Buch von der Stadt der Frauen, XLIII, S. 118. 264 Aby Warburg schreibt im Tagebuch der K. B. W. am 25. Juni 1928 in dem ihm eigenen ›Aalsuppenstyl‹: »Bin kein revolutionierender Reformator: energetischer Transformator«. Warburg, Bing und Saxl: Tagebuch der Kulturwissenschaftlichen Bibliothek Warburg, S. 285. Vgl. zu diesem Selbstbild Ulrich Port: »Transformatio energetica. Aby Warburgs Bild-Text-Atlas Mnemosyne«. In: 1929. Beiträge zur Archäologie der Medien. Hrsg. von Stefan Andriopoulos und Bernhard J. Dotzler. stw 1579. Frankfurt am Main: Suhrkamp, 2002, S. 9−30, hier S. 15; Raulff: Wilde Energien. Vier Versuche zu Aby Warburg, S. 137. Bemerkenswert auch die Einschätzung zur »Physik des Engramms: das sogenannte ›Symbol‹ erfüllt dabei Funktion eines ± energetischen Transformators.« Warburg, Bing und Saxl: Tagebuch der Kulturwissenschaftlichen Bibliothek Warburg, S. 344. 76 Netze vor den Netzwerken Minerva, Webstuhl und Gewebe, Spinne und Netz teils Bestätigung erfahren, teils aber auch unterlaufen werden. Dabei spielt das Netz mehrere Rollen, die im Feld von christlichen Exegesetechniken und mythologischer Allegorisierung der Antike,265 zwischen Konfigurationen neuzeitlicher materieller Kultur und der aus dem Mittelalter stammenden Ikonografie des Tastsinnes ihre Bühne fin- den. Zwischen Texten, Bildern und architektonischen Arrangements, im medialen Wettstreit zwischen den Künsten vermittelt dabei ein Herstellen von Ähnlichkeiten. Bildformen und -erzählungen transformieren sich allmählich,266 mitunter aber auch abrupt – bis hin zu einer »entstellten Ähnlichkeit«267 in jenem wissenskulturellen Feld, das Michel Foucault als frühneuzeitliche epistēmē beschrieben hat.268 Im 16. Jahrhundert gilt: »Den Sinn zu suchen, heißt an den Tag zu bringen, was sich ähnelt. Das Gesetz der Zeichen zu suchen, heißt die Dinge zu entdecken, die ähnlich sind.«269 Im Spiel der Ähnlichkeiten stellt sich so die Frage nach dem Bild- status jenes Werkes von Arachne, das Ovid in den letzten Versen nur andeutet, aber nicht beschreibt: Arachnes genuiner Bildakt ist in den Metamorphosen-Illustrationen nicht das, was im Mittelalter auf Deutsch als »Bildwirkerei« bezeichnet wurde. Er zeigt sich in Gestalt ihres Netzes, das bei Ovid im letzten Vers nur angedeutet, nicht aber beschrieben wird: »[E]t antiquas exercet aranea telas« – »und fügt mit Fleiß als Spinne die alten Gewebe«.270 Die alten, antiken Gewebe werden so zu neu geknüpften Netzen. Und offenbar gibt es eine Affinität zwi- schen beiden als dinghaften Objekten und ihrer Verbildlichung – eine 265 Vgl. Moog-Grünewald: Metamorphosen der Metamorphosen. Rezeptionsarten der ovidi- schen Verwandlungsgeschichten in Italien und Frankreich im XVI. und XVII. Jahrhundert, S. 23. 266 Vgl. hierzu Gerlinde Huber-Rebenich: »Kontinuität und Wandel in der frühen italienischen Ovid-Illustration. Die Tradition der Holzschnitte zu Giovanni dei Bonsignoris Ovidio meta- morphoseos vulgare«. In: Metamorphosen. Wandlungen und Verwandlungen in Literatur, Sprache und Kunst von der Antike bis zur Gegenwart. Festschrift für Bodo Guthmüller zum 65. Geburtstag. Hrsg. von Heidi Marek, Anne Neuschäfer und Susanne Tichy. Wiesbaden: Harrassowitz, 2002, S. 63−77, hier S. 77. 267 Vgl. Sigrid Weigel: Entstellte Ähnlichkeit. Walter Benjamins theoretische Schreibweise. Frankfurt am Main: Fischer, 1996, S. 90 f. 268 Vgl. Michel Foucault: Die Ordnung der Dinge. Eine Archäologie der Humanwissenschaften. Frankfurt am Main: Suhrkamp, 1974, S. 46 ff. zu den Modi der Ähnlichkeitsbeziehungen: convenientia, aemulatio, Analogie und Sympathie / Antipathie. Siehe zudem Giorgio Agam- ben: Signatura rerum. Zur Methode. es 2585. Frankfurt am Main: Suhrkamp, 2009, S. 41 f., zur Ähnlichkeit innerhalb einer Theorie der Signaturen. 269 Foucault: Die Ordnung der Dinge. Eine Archäologie der Humanwissenschaften, S. 60. 270 Ovid: Verwandlungen, VI, 145. Spinne und Netz 77 Beziehung, die in den Ovid-Transformationen der Frühen Neuzeit an sichtbar werdender Prägekraft gewinnt. Schon in den Illuminationen der Handschriften ist es meist Arachne, die am Webstuhl gezeigt wird.271 Minerva wird dabei überraschend oft nicht gleichzeitig porträtiert, ebenso wie sie höchst selten selbst als Weberin Darstellung findet: Göttinnen arbeiten nicht. Die Lyde- rin trägt teils den einfachen geistlichen Habit der Klosterfrauen, teils erscheint sie in prachtvollen, meist einfarbigen weltlichen Gewändern des höfischen Mittelalters. Leicht in der Mehrzahl sind im Gesamtka- talog der Darstellungen große hölzerne Flachwebstühle mit horizontal gelagertem textilen Werk. Sichtbar werden die Webbilder der beiden Kontrahentinnen hingegen in jenen selteneren Webstuhl-Arrangements, die vertikale Gewichts- und Haute-Lisse-Webstühle zeigen. Dazu gehört eine Darstellung in spätmittelalterlicher Manier, die einer 1497 in Gent entstandenen Handschrift der Metamorphosen entstammt (Abbildung 2.8).272 271 Siehe zum ikonografischen Vergleich http://www.iconos.it/index.php?id=1791. Vgl. ältere Überblicksdarstellungen: M. D. Henkel: »Illustrierte Ausgaben von Ovids Metamorphosen im XV., XVI. und XVII. Jahrhundert«. In: Vorträge der Bibliothek Warburg. Vorträge 1926−1927. Hrsg. von Fritz Saxl. Bd. 6. Leipzig; Berlin: Teubner, 1930, S. 58−144; Diego Angulo Iñiguez: »Las Hilanderas. Sobre la iconografia de Aracne«. In: Archivo Español de arte XXV.97 (1952), S. 67−84. Jüngere Spezialforschung (in Auswahl): Beiträge bei Her- mann Walter und Hans-Jürgen Horn, Hrsg.: Die Rezeption der Metamorphosen des Ovid in der Neuzeit: Der antike Mythos in Text und Bild. Internationales Symposion der Werner Reimers-Stiftung Bad Homburg v. d. H. (22. bis 25. April 1991). Ikonographische Repertorien zur Rezeption des antiken Mythos in Europa. Beihefte 1. Berlin: Gebr. Mann, 1995; Marcia L. Welles: Arachne’s Tapestry. The Transformation of Myth in Seventeenth-Century Spain. San Antonio: Trinity University Press, 1986. Kap. Velásquez. His mythological paintings, S. 131−165, S. 131 f.; Judith Dundas: »Arachne’s Web: Emblem into Art«. In: Emblematica. An Interdisciplinary Journal for Emblem Studies 2.1 (1987), S. 109−137; Evamarie Blattner: Holzschnittfolgen zu den Metamorphosen des Ovid. Beiträge zur Kunstwissenschaft 72. München: scaneg, 1998; Verena Krieger: »Arachne als Künstlerin. Velázquez’ Las hilanderas als Gegenkonzept zum neuplatonischen Künstlermodell«. In: Zeitschrift für Kunstgeschichte 4 (2002), S. 545−561; Michael Thimann: Jean Jacques Boissard. Ovids Metamorphosen 1556. Die Bildhandschrift 79 C 7 aus dem Berliner Kupferstichkabinett. Ikonographische Repertorien zur Rezeption des antiken Mythos in Europa 5. Berlin: Gebr. Mann, 2005; Ballestra-Puech: Métamorphoses d’Arachné, zwischen S. 224 und 225. Zur Bedeutung des Arachne-Problems zwischen bildwissenschaftlicher Ähnlichkeitssuche (Protagonist: Warburg) und philologischem Textvergleich (Protagonist: Iñiguez) siehe Hellwig: »Pallas Athene, Europa und Arachne in der Fabrik«. 272 Sie basiert auf dem Text von Giovanni di Bonsignori, der 1375 bis 1377 auf Basis einer Vorlage des Bologneser Rhetorikprofessors Giovanni del Virgilio aus den 1320er Jahren entstand. Vgl. Brigitta Langer und Katharina Heinemann, Hrsg.: Ewig blühe Bayerns Land. Herzog Ludwig X. und die Renaissance. Regensburg: Schnell & Steiner, 2009, S. 344. Siehe zur Chronologie der Ovid-Ausgaben Blattner: Holzschnittfolgen zu den Metamorphosen des Ovid, S. 205 f. Im Jahr 1497 wird nach Colart Mansions Brügger Inkunabeldruck von 1484 die zweite volkssprachliche Publikation der Metamorphosen samt Holzschnitt-Illustrationen in Venedig publiziert. 78 Netze vor den Netzwerken abb . 2 .8: Arachne und Pallas im Webewettstreit. Illumination in einer Hand- schrift der Metamorphosen, angefertigt für Raphael de Marcatel. Gent, 1497. Oxford, Bodleian Library, Lord Leicester Collection. Spinne und Netz 79 Sie entfaltet die Ovid’sche Szene in vier zeitlich aufeinanderfolgenden Einzelbildern. Diese grafische Erzählform kehrt nur in wenigen anderen Darstellungen wieder und ist dann zumeist auf eine Differenz von Vor- der- und Hintergrund, von Vorher und Nachher reduziert.273 Arachne und Minerva werden in der Genter Handschrift durch Spruchbänder explizit kenntlich gemacht. Entgegen den technischen Standards der stehenden Gewichtswebstühle steigen die gewebten Bilder hier in Haute- Lisse-Manier vom Boden herauf. Sie entstehen von jenem Ort aus, an dem sonst Gewichte die Fäden nach unten ziehen. Die Produktion von gewebten Bildern im Bild, das wiederum eine römische ekphrasis verge- genwärtigt, behandelt die Arachne-Ikonografie außerhalb dieses Genter Beispieles stiefmütterlich.274 An ihre Stelle tritt in der Renaissance, etwa bei Paolo Veronese und Antonio Tempesta, Arachnes Netz als Symbol des Könnens und eigenständige Bildschöpfung. Die Leidenschaft der spätmittelalterlichen Illuminatoren gilt hin- gegen anderen szenischen Momenten. Plastisch demonstriert man den Selbstmord Arachnes; sie wird zur Spinne, um im Netz des Teufels gefangen und erhängt zu sein. Johann Zainers berühmte Holzschnitte zu Boccaccios De claris mulieribus von 1473 setzen diese Tradition fort und inszenieren lustvoll die Sündhaftigkeit der mit gebrochenem Genick porträtierten »Aragnes«.275 Zainers Schnitt (Abbildung 2.9) wirkt vor allem für diejenigen Illustrationen stilbildend, welche die Verleger für populäre Ausgaben des Ovide moralisé anfertigen lassen. Die für ein breites Publikum angefertigten Drucke haben im 15. und 16. Jahrhundert eine deutlich größere Reichweite als die philologisch genauen Übertragungen. Eine erste Übersetzung dieser Art erscheint in Venedig 1472. Die lange Tradition der Kommentare beginnt 1492 durch eine Ausgabe des Humanisten Raphael Regius, die wiederum in Venedig gedruckt wird.276 273 Z. B. 1545 im Mainzer Zyklus. Vgl. Blattner: Holzschnittfolgen zu den Metamorphosen des Ovid, Anhang II, Abb. M 16. 274 Von daher scheint der Rückschluss auf die wenigen antiken Bildquellen, die ebenfalls Teilbilder in der Zeit aneinanderreihen, gewagt. Er findet sich erstmals bei Weinberg und Weinberg: »Arachne of Lydia at Corinth«. 275 Ähnliche Miniaturen finden sich in Handschriften des 15. Jahrhunderts: Paris, Bibliothèque Nationale, Ms. français 137, f. 75v; New York, Public Library, Ms. Spencer 33, f. 17r, ca. 1470; Dresden, Sächsische Landesbibliothek, Ms. F 171b, f. 25r, ca. 1490. 276 Vgl. Moog-Grünewald: Metamorphosen der Metamorphosen. Rezeptionsarten der ovidi- schen Verwandlungsgeschichten in Italien und Frankreich im XVI. und XVII. Jahrhundert, S. 23. 80 Netze vor den Netzwerken abb . 2 .9: Johann Zainer: Holzschnitt zu Boccaccios De claris mulieribus, 1473. Für das genealogische Spiel der Bildähnlichkeiten und für die Variationen in der kreativen Nachahmung hatte dies nicht zu unterschätzende Fol- gen. Aufseiten der humanistischen Gelehrten empfand man die ›falsche‹ Tradierung, gerade auch der Bilder, entlang der populären volkssprach- lichen Vulgarisierungen als unangemessen gegenüber dem klassischen Text.277 Die immer wieder neu zu beantwortende philologische Frage, welche Text- oder Bildvorlage jeweils den einzelnen Ausgaben zugrunde liegt und aus welcher Rezeption welche Bildähnlichkeiten hervorgehen, stellt sich bis heute in der Spezialforschung zur Ovid-Transformation.278 Die wechselseitige Durchdringung und gegenseitige Transformation der Ovid-Bilder bewegt sich aber oft jenseits heutiger Datierungs- und Einflussfragen.279 Vielmehr verweisen die Zeichenpraktiken bewusst 277 Vgl. Bodo Guthmüller: Ovidio Metamorphoseos Vulgare. Formen und Funktionen der volkssprachlichen Wiedergabe klassischer Dichtung in der italienischen Renaissance. Ver- öffentlichungen zur Humanismusforschung 3. Boppard am Rhein: Harald Boldt Verlag, 1981, S. 182. 278 Vgl. z. B. Walter und Horn: Die Rezeption der Metamorphosen des Ovid in der Neuzeit; Blattner: Holzschnittfolgen zu den Metamorphosen des Ovid, S. 5. 279 Innerhalb des Berliner Sonderforschungsbereiches »Transformationen der Antike« ist zur Beschreibung solcher Phänomene das Kunstwort der »Allelopoiese« eingeführt worden. Vgl. zum kulturwissenschaftlichen Transformationsbegriff Böhme: »Vorwort«; Hartmut Böhme: »Einladung zur Transformation«. In: Transformation. Ein Konzept zur Erforschung kulturellen Wandels. Hrsg. von Hartmut Böhme u. a. München: Fink, 2011, S. 7−37, und speziell zur Allelopoiese http://www.sfb-antike.de/index.php?id=317&L=0; Lutz Bergemann u. a.: »Transformation. Ein Konzept zur Erforschung kulturellen Wandels«. Ebd., S. 39−56. Spinne und Netz 81 aufeinander, sind Bildbeschreibung der Bildbeschreibung, geben aber ihren Stand im kollektiven Imaginären – wenn überhaupt – nur in ihren Relationen preis. Umso markanter erscheinen deshalb Einschnitte und Zäsuren, die teils frappierende Umwertungen der Figur Arachnes und ihres Netzes bezeugen. Dazu gehört die ganz eigene Renaissance Minervas, die im 16. Jahr- hundert wieder mit den klassischen göttlichen Attributen Helm, Speer und Ägis dargestellt wird. Sie tritt so in eine nochmals stärkere Dif- ferenz zur lydischen Weberin. Ab etwa 1550 bedienen sich auch die populären Drucke stärker des lateinischen Ovid-Textes. Arachne und Minerva halten bereits zuvor erst südlich, dann nördlich der Alpen Einzug in architektonische Arrangements. Die Metamorphosen werden als Fresken zur vornehmen Inneneinrichtung. Sowohl in Andrea Dorias Genueser Palazzo, gestaltet von Perino del Vaga (1529−1533), wie auch im Arachne-Zimmer der Landshuter Residenz Herzog Ludwigs X., ausgestattet durch Herman Posthumus (1540−1543), nehmen Bilder von mythologischen Netzen zentrale Stellen ein.280 Posthumus führt in Landshut noch die moralisierende Tradition fort, wenn er gerade der finalen Verwandlung drei Lünetten widmet.281 Bemerkenswert ist an der Landshuter Residenz zudem Posthumus’ umfassende Übertragung des Wettstreits im Bilderweben: Die bei Ovid beschriebenen Bildwerke Arachnes und Minervas werden hier fast vollzählig in Bilder der gött- lichen Taten transformiert.282 Der Raum versammelt in gemalter Form die Bildwebereien des Texts. Die Orte des Arachne-Mythos vervielfältigen sich und werden Teil der weiteren Transformation: Zu den illuminierten Manuskripten und gedruckten Büchern gesellen sich ausgestaltete Räume und Gemälde. Arachnes Webstuhl und ihr Netz erobern Decken, Wände und Leinwän- de und werden so zum Element repräsentativer sozialer Räume einer 280 Weitere Fresken finden sich in Genua: Palazzo Spinola. Rom: Palazzo Stati-Cenci. Sabbio- netta: Palazzo del Giardino. Caprarola: Palazzo Farnese. Siehe zu den Fundorten der Wand- malereien in Italien Claudia Cieri Via: L’arte delle metamorfosi. Decorazioni mitologiche nel Cinquecento. I saggi 27. Rom: Lithos, 2003, und http://www.iconos.it/index.php?id= 1791. 281 Vgl. Katharina Heinemann, Thomas Rainer und Sybe Wartena: »Das Bildprogramm des Italienischen Baus«. In: Ewig blühe Bayerns Land. Herzog Ludwig X. und die Renaissance. Hrsg. von Brigitte Langer und Katharina Heinemann. Regensburg: Schnell & Steiner, 2009, S. 116−163, hier S. 158. Dies steht durchaus im weltanschaulichen Kontrast zu den archi- tektonischen Vorbildern, darunter dem Palazzo del Te in Mantua. 282 Vgl. Werner Ebermeier: Antike in Landshut. Antike Mythologie und Geschichte in der Bilderwelt der Landshuter Stadtresidenz. Landshut: Stadtarchiv Landshut, 2010, S. 214 f. 82 Netze vor den Netzwerken gebildeten Elite. Sie schaffen eine neue Bühne des Wissens, auf der sich Neuaneignung der Antike, memoria, Theatralisierung und materielle Kultur treffen. Wirkt in Landshut das unter dem Querbogen gemalte, gewisserma- ßen aufgehangene Netz der verwandelten Arachne flächig-durchschei- nend und fast immateriell,283 so zeigt es sich in einem enigmatischen Deckengemälde Paolo Veroneses aus dem Dogenpalast Venedigs als geometrisch präzise symbolische Form und Instrument in den Händen einer prachtvoll gekleideten Frau (Abbildung 2.10). Nicht nur aufgrund des changierenden Titels – mal heißt die 1575 bis 1577 entstandene Allegorie L’Industria, mal Dialettica (o Industria) – nimmt Veroneses Werk eine bemerkenswerte Ausnahmestellung in der Transformati- onsgeschichte der Ovid-Episode ein. Von seiner komplex ›entstellten Ähnlichkeit‹ und ganz eigener Situierung des Netzes wird daher noch ausführlich die Rede sein. Arachnes Netz nimmt in der Gesamtheit der Darstellungen vier unterschiedliche, meist auf dem Radialnetz basierende Formen an, die sich teilweise ergänzen und ineinander übergehen. In der filigranen, durchscheinend-flüchtigen Darstellungsweise, welche sich neben dem Naturvorbild auch immer der christlichen Allegorese verdankt, entzieht es sich in Miniaturen und Ölgemälden fast der Sichtbarkeit. Als geo- metrische Struktur verfügt es stärker über Zwischenräume, die neben den präzise gezogenen dünnen Linien von Pinsel oder Stechinstrument die Gestalt des Objektes definieren. Zudem existiert eine naturwüchsige Variante, in der sich die Hände der menschlich dargestellten Arachne eingangs der Verwandlung, quasi als Spinnenbeine und Momentauf- nahme der Metamorphose, auf das bereits vorhandene Netz aufsetzen. Und es besteht – keinesfalls als letzte, sondern als bereits in Ovids Text angelegte Möglichkeit – stets die Option einer Abwesenheit, die sich dem Spiel der Bildähnlichkeiten entzieht.284 Minervas Herrschaftsgeste des Schlags mit der Spindel und ihre magische deixis der Verwandlung erfuhren im 16. Jahrhundert eine gewisse Stabilisierung. Arachne hingegen erweist sich samt Netz erneut als vereinnehmbares und anpassungsfähiges Symbol, bis hin zum Eintrag in rätselhafte bildkünstlerische und poetologische Selbstreflexionen, die 283 Siehe ähnlich in einer Londoner Handschrift der Metamorphosen: British Library, Ms. Royal 17 E. IV, f. 87v. 284 Dies geht teilweise mit Übergängen zur ersten Form einher, in der das Spinnennetz als Attribut an Bildrändern teils weniger sichtbar, teils fast unsichtbar dargestellt wird. Spinne und Netz 83 abb . 2 .10: Paolo Veronese: L’Industria, Öl auf Leinwand innerhalb einer kasset- tierten Decke. Venedig, Dogenpalast, Sala del Collegio, 1575−1577 (Detail). [Siehe Farbtafel I] 84 Netze vor den Netzwerken abb . 2 .11: Jacopo Tintoretto: Minerva e Aracne, 1575−1585. Öl auf Leinwand, 142 cm x 290 cm. Florenz, Uffizien / Palazzo Pitti. [Siehe Farbtafel III] bei Velázquez einsetzen und bei Flaubert nicht enden. Doch zunächst führen Giovanni Antonio Rusconis Illustrationen zu Ludovico Dolces Trasformationi Mitte des 16. Jahrhunderts einen frivol-erotischen Ton ein, der sich in der ungewöhnlichen Untersicht von Tintorettos für die Florentiner Uffizien entstandenen Ölgemälde Minerva e Aracne (1575−1585) fortsetzt. Tintoretto integretiert Arachnes Netz schon vor ihrer Verwand- lung, lässt es aber fast unsichtbar und diaphan erscheinen, indem er es vom Holzgestell des Webstuhls bis in den rechten Bildrand ragen lässt (Abbildung 2.11). Gabriele Simeoni hingegen lässt Arachne 1559 in der Verwandlung mit ihrem Netz nahezu verschmelzen (Abbildung 2.12) – eine Bilderfindung, die Arachne nicht mehr nur im Weben mit der Göttin gleichstellt, sondern ihr eine weitere Geste des Könnens und der schöpferischen Ausdruckskraft verschafft. Im Anschluss daran inszeniert Antonio Tempestas großer Zyklus von Radierungen zu Ovid (1606) über der Bildunterschrift »Arachne in araneam a Pallade convertitur« auch die finale Verdammung als Begegnung auf Augenhöhe. Während die emblematische Bildunter- schrift (subscriptio) das klassische Ende der Geschichte verknappt, erwidert Arachne selbstbewusst den Blick Minervas, deren Augen im Helmschatten verbleiben, während ihr Zeigefinger den Weg über die Augen der Lyderin ins Netz weist. Deren Körper steht in sich dynamisch gewunden, die Haltung des Kopfes wirkt konträr zur aktiven Haltung Spinne und Netz 85 abb . 2 .12: Gabriele Simeoni: Arachne und Minerva, Holzschnitt aus La vita et metamorfoseo d’Ovidio figurato, 1559. 86 Netze vor den Netzwerken der entgegengesetzten Hände. Statisch herrscht die Göttin – bewegt erscheint das Handeln der Menschenfrau (Abbildung 2.13). abb . 2 .13: Antonio Tempesta: Arachne in araneam a Pallade convertitur, Ra- dierung aus dem Zyklus Metamorphoseon sive Transformationum Ovidianarum, 1606. 97 x 115 mm. Eine solche Bilddynamik, die Arachne als in sich gewundene figura serpentinata unter die Stilbedingungen des Manierismus stellt,285 setzt sich von den anderen Strängen der Tradierung ab. Noch bei Taddeo Zuccari286 zeigte sich ihre Verwandlung als verkleinernder Wirbel, in 285 Die Schlangenlinie trägt auf ihre eigene Art und Weise die biblischen Konnotationen der Dämonie, des Bösen und Teuflischen mit sich. Vgl. Emil Maurer: Manierismus. Figura serpentinata und andere Figurenideale. Studien, Essays, Berichte. München: Fink, 2001, S. 56. 286 1563−1564, Lünette im Sala dei Lanifici des Palazzo Farnese in Caprarola. Vgl. http://www. iconos.it/index.php? id=1822. Spinne und Netz 87 den Holzschnitten Giovanni Antonio Rusconis287 gar als Metamorphose zur hässlichen, am Ast baumelnden Mischkreatur. Tempestas Radierung markiert den schon bei Tintoretto und Vero- nese angelegten Auftakt zu einer künstlerischen Nobilitierung Arachnes, ihres handwerklichen Könnens und des Farbspektrums ihrer bildtex- tilen Werke. In Peter Paul Rubens’ rhythmisch-fließender Bestrafung der Arachne (1636) oder im lange umrätselten Hintergrund von Diego Velázquez’ Las Hilanderas (1656) erfahren nicht nur die Pathosformeln des Webens ihre Umgestaltung. Ovids ekphrasis-Programm erweist sich auch im 17. Jahrhundert als nachhaltiger Impuls für die visuelle Ästhetik, wenn etwa Arachne bei Velázquez zum Wappentier speziell der spanischen Malerei des 16. und 17. Jahrhunderts, zur Inkarnation der Farbkunde, des präzise gewebten Bildes der Tapisserie und des handwerklichen Gewerbefleißes erhoben wird.288 Die Farbigkeit der gewebten Stoffe spiegelt sich bei Veronese, Rubens und Velázquez, aber auch die immer wieder mit Netzen assoziierte geometrische Präzision wird zur Referenz. Eine vergleichbare Stellung in ästhetischen Praktiken erlangt Arachne bzw. ›die‹ Spinne jenseits der allegorischen Tradition erst wieder im Diskurs der Aufklärung.289 Ihre Wappentierfunktion wandert aber in die Textproduktion und deren poetologische Reflexion. Sie reicht vom narrativen Wettstreit zwischen Victor Hugo und Gustave Flaubert im 19. Jahrhundert290 über die verlässliche Wiederkehr in der Gegenwarts- literatur291 bis zu einer – sehr ernst gemeinten – spielerischen Bemer- kung von Roland Barthes: »Wenn wir Freude an Neologismen hätten, könnten wir die Texttheorie als eine Hyphologie definieren (hyphos ist das Gewebe und das Spinnetz).«292 Jenseits dessen stellt sich das Bildwerden von Arachnes und Miner- vas Wettstreit als seltsames Beispiel einer kulturellen Transformation dar. Sie gehört zu einer warburgianischen Gespenstergeschichte, in der Götter-Verkehrsmittel und das Nachleben von Mythologien unauflöslich 287 Diese begleiten die humanistisch geprägten Ausgaben von Ludovico Dolces Trasformationi ab der 2. Auflage, gedruckt bei Gabriel Giolito dè Ferrari, Venedig 1553. 288 Vgl. Krieger: »Arachne als Künstlerin«. 289 Vgl. Ballestra-Puech: Métamorphoses d’Arachné, S. 236 f. Einer der Protagonisten ist Denis Diderot. 290 Vgl. Edi Zollinger: Arachnes Rache. Flaubert inszeniert einen Wettkampf im narrativen Weben: Madame Bovary, Notre-Dame de Paris und der Arachne-Mythos. München: Fink, 2007. 291 Vgl. z. B. Ballestra-Puech: Métamorphoses d’Arachné, S. 362 f. 292 Barthes: Die Lust am Text, S. 94. 88 Netze vor den Netzwerken miteinander verbunden sind.293 Das Bildwerden reicht darin von den Dante-Illuminationen des Treicento bis zu letzten Ausläufern in der Buchillustration des frühen 19. Jahrhunderts, auch wenn die Popula- rität Ovids als Mythenlieferant nach dem 17. Jahrhundert nachließ. Die parallelen wissenshistorischen Zäsuren, auf die Michel Foucault aufmerksam gemacht hat – also zumindest den Bruch zwischen einer epistēmē der Ähnlichkeit und einer Wissensordnung unter Maßgabe der Repräsentation – überspringt die Produktion von immer neuen Illuminationen, Holz- und Kupferstichen, Radierungen und Gemälden. Trotzdem wird man sich fragen müssen, welche Regeln das Spiel der Bildähnlichkeiten instruieren und wie sich die Formationen des Wissens zur Transformation der Bilder verhalten. ›Bildlichkeit‹ ist, nach einer heuristischen Bemerkung Achim Speltens und Steffen Siegels, »die Eigenschaft, eine Stellung in der Familie der Bilder einzunehmen«.294 Wenn Familienähnlichkeit, vermittelt durch die nachwirkenden Impulse Aby Warburgs oder durch die Philosophie Ludwig Wittgensteins noch zum zentralen Stichwort und katalogischen Ordnungsprinzip heutiger Bild- und Kulturwissenschaft werden kann,295 gilt es, die Balance zwischen einer mitunter gespenstischen Formver- wandtschaft der Bilder und ihrer Historisierung zu wahren. Die Frage lautet also: Was organisiert die Ähnlichkeiten der Arachne-Bilder? Und welche kulturellen Praktiken ermöglichen »dieses ganz wunderbare Gewimmel der Ähnlichkeiten«?296 Michel Foucaults Antwort auf diese Frage entfaltet ein räumliches Denken der frühneuzeitlichen Wissensordnung, in der sich das Spiel der Ähnlichkeiten zwischen Wörtern (mots) und Dingen (choses) selbst als netzförmig erweist.297 Obwohl Foucault den Netz-Begriff eher in episte- mologischer als in historiografischer Absicht verwendet – ein Ausdruck 293 Vgl. zu Aby Warburgs energetischem Denkstil und den »subliminal wirkenden Graphemen der visuellen Transmission« Raulff: Wilde Energien. Vier Versuche zu Aby Warburg, S. 45. 294 Ingeborg Reichle, Steffen Siegel und Achim Spelten: »Die Familienähnlichkeit der Bilder«. In: Verwandte Bilder. Die Fragen der Bildwissenschaft. Hrsg. von Ingeborg Reichle, Steffen Siegel und Achim Spelten. 2. Aufl. Berlin: Kadmos, 2008, S. 7−11, hier S. 9. Vergleichbar argumentieren William John Thomas Mitchell: Iconology. Chicago: University of Chicago Press, 1986, S. 9 f., und Hans Belting: Bild-Anthropologie. Entwürfe für eine Bildwissen- schaft. München: Fink, 2001, S. 54 f. 295 Vgl. hierzu Eva Johach, Jasmin Mersmann und Evke Rulffes, Hrsg.: Mimesen. ilinx. Berliner Beiträge zur Kulturwissenschaft 2. Hamburg: Philo Fine Arts, 2011. 296 Foucault: Die Ordnung der Dinge. Eine Archäologie der Humanwissenschaften, S. 56. 297 Vgl. Foucault: Die Ordnung der Dinge. Eine Archäologie der Humanwissenschaften, z. B. S. 60. Spinne und Netz 89 des ihm eigenen raumgreifenden Denkstiles298 – ist die Frage nach der notwendigen ›Signatur‹ von Ähnlichkeiten zentral. Denn erst in ihrem Sichtbarwerden können sie erkannt werden.299 Der Bildtheoretiker Wil- liam Thomas Mitchell ist sogar so weit gegangen, das ›Bild‹ als denjeni- gen sich in besondere Ähnlichkeiten – convenentia, aemulatio, analogia, sympathia – verzweigenden allgemeinen Begriff anzusehen, der die Welt mit ›Figuren des Wissens‹ zusammenhält.300 Einer derart ikonophilen Diagnose muss man sich nicht anschließen. Aber die Frage nach dem historisch zu situierenden Verhältnis von Netzen als Objekten und Bildern als deren Repräsentationsformen stellt sich bereits anhand der Transfor- mationen von Arachnes Netz innerhalb verschiedener Wissensordnungen. Daran lässt sich eine zentrale Frage zur Historizität jedwedes Netz- werks anschließen: Könnte es sein, dass Netze erst im 17. und 18. Jahr- hundert allmählich zu Netzwerken im heutigen Sinne werden? Dass sie vom Objekt materieller Kultur (Fischer- und Vogelnetz, dem opus reticulatum der römischen Baukunst, Kreuzgewölben) oder natürlichen, gewordenen, sichtbaren Strukturen (Spinnennetz, Kapillarnetz) und Darstellungen beider zu relationalen Entitäten werden, die eher Quasi- Objekt als handhabbares Ding sind, mehr unsichtbar als sichtbar? Man kann mit gutem Recht den mittelalterlichen und frühneuzeit- lichen Vernetzungen eine formative Kraft zur – noch nicht als solcher reflexiv verstandenen – Netzwerkbildung zusprechen.301 Aber man stelle sich einen Moment vor, dass diese Annahme einen Horizont wissens- historischen Fragens eröffnet. Welche Rolle spielen dann verschiedene Zeichenregime und die Differenz zwischen Ähnlichkeits- und Repräsen- tationsdenken, der Michel Foucault so viel Aufmerksamkeit gewidmet hat? Es ist ein Unterschied ums Ganze, ob man Netze anhand mittelal- terlicher christlicher Auffassungen interpretiert, sie in der Renaissance als Ähnlichkeiten erzeugendes Ding versteht oder aber ob Netzformen räumliche Wissensordnungen anleiten. Man denke dabei an die Netze in Athanasius Kirchers Kombinatorik,302 die Relationen zwischen Leibniz’ 298 Vgl. Petra Gehring: »Paradigma einer Methode. Der Begriff des Diagramms im Struktur- denken von Michel Foucault und Michel Serres«. In: Diagrammatik und Philosophie. Hrsg. von Petra Gehring u. a. Amsterdam: Rodopi, 1988, S. 89−105. 299 Foucault: Die Ordnung der Dinge. Eine Archäologie der Humanwissenschaften, S. 59. 300 Vgl. Mitchell: Iconology, S. 11, S. 31 f. 301 Vgl. etwa die valide Einschätzung bei Behringer: »Netzwerk«. 302 Vgl. Olaf Breidbach: »Vernetzungen. Zur Tradition eines aktuellen Denkmusters«. In: Tra- jekte 8.16 (2008), S. 29−33, hier S. 32 f. unter Bezug auf Athanasius Kircher: Ars Magna Sciendi Sive Combinatoria. Amsterdam, 1669. 90 Netze vor den Netzwerken Monaden303 oder die naturhistorischen304 und ökonomischen Tableaus des 18. Jahrhunderts.305 Unter welchen historischen Bedingungen gleitet also das materielle, instrumentelle Netz ins Dazwischen? Auf welche Art und Weise wird es zum Quasi-Objekt und ›epistemischen Ding‹,306 wandelt sich Substanz in Relation? Und wie kann es dadurch zum vernetzenden Netzwerk werden, das Akteure und Agenten, materielle Verbindungen, immateri- elle Zirkulation, ästhetische Entwürfe, soziale Praktiken und politische Techniken in Rahmen einer Kulturtechnik zu versammeln vermag? Niemand von uns hat Arachnes Fähigkeiten. Aber wir alle wollen Netzwerke spinnen, die mehr sind als bloßes Netz. »Netz generiert (erzeugt, schafft, produziert, konstruiert) als Netz ein mediales Bin- dungsgefüge, das wir als Netzwerke beschreiben.« So hat es Manfred Faßler für die Kultur am Anfang des 21. Jahrhunderts festgehalten.307 Allgemeingültig ist eine solche Auffassung als Selbstbeschreibung für die Frühe Neuzeit nicht, wie man noch in den ganz auf das materielle Netz abzielenden Einträgen der großen Enzyklopädien des 18. Jahrhun- derts nachlesen kann.308 In Samuel Johnsons zeitgleich entstehendem Dictionary of the English Language von 1755 findet sich hingegen eine verallgemeinerte, von der starken Objektreferenz absehende De- finition von network als »jedwedem retikularen oder in regelmäßigen Abständen durchkreuzten Ding (anything) mit Leerräumen zwischen den Schnittpunkten«.309 303 Vgl. Werner Künzel und Peter Bexte: Gottfried Wilhelm Leibniz, Barock-Projekte. Maschi- nenwelt und Netzwerk im 17. Jahrhundert. Berlin: Papyrus Druck, 1990. 304 Vgl. Sebastian Gießmann: »Netze als Weltbilder. Ordnungen der Natur von Donati bis Cu- vier«. In: Verwandte Bilder. Hrsg. von Ingeborg Reichle, Steffen Siegel und Achim Spelten. 2. Aufl. Berlin: Kadmos, 2008, S. 243−261. 305 Vgl. Bernhard Siegert: »Currents and Currency. Elektrizität, Ökonomie und Ideenumlauf um 1800«. In: Netzwerke. Eine Kulturtechnik der Moderne. Hrsg. von Hartmut Böhme, Jürgen Barkhoff und Jeanne Riou. Köln: Böhlau, 2004, S. 53−68, hier S. 60 f. zu François Quesnays tableau économique aus dem Jahr 1758. 306 Vgl. Hans-Jörg Rheinberger: Experiment, Differenz, Schrift. Zur Geschichte epistemischer Dinge. Marburg / Lahn: Basilisken-Presse, 1992. 307 Manfred Faßler: Netzwerke. Einführung in die Netzstrukturen, Netzkulturen und verteilte Gesellschaftlichkeit. München: Fink, 2001, S. 65. 308 Mit Dank an Alexander Friedrich für die Erinnerung an die Einträge in Zedlers Universal- Lexicon, Diderots und d’Alemberts Encyclopédie und Krünitz’ Oeconomischer Encyclopedie. 309 Samuel Johnson, Hrsg.: A Dictionary of the English Language: In Which the Words are deduced from their Originals and Illustrated in their Different Significations by Examples from the Best Writers […] Bd. 2. London: Printed by W. Strahan, 1755, o. S. Spinne und Netz 91 Veronese malt die Industrie der Neuzeit. Ein Bild mit Netz Inmitten des Dogenpalastes von Venedig findet sich ein Ölgemälde, das ein sehr regelmäßiges Netz im Sinne des 180 Jahre älteren network- Wörterbucheintrages zeigt. Es erscheint als geometrisch präzise symbo- lische Form, ja regelrecht als Instrument, das zwischen den erhobenen Händen einer prachtvoll gewandeten jungen Frau aufgespannt ist. In ihrer rechten Hand hält sie einen Stab, an dem das Netz befestigt ist. Die Figur hält es zwischen Stab, sichtbarem Zeigefinger und unsichtbarem Daumen; an ihrer offenen linken Hand schweben zwei an Zeige- und kleinem Finger endende Fäden. Sie scheinen über keinerlei Befestigung zu verfügen, so dass dem Netz wie auch den damit verbundenen Gesten eine elegante Leichtigkeit zukommt. Auf den ersten Blick erscheint das Netz in der Mitte als typisches radiales Spinnennetz. Getroffen vom aufwärts gerichteten Blick der rotblonden Dame befindet sich in seinem Zentrum eine kleine Spinne. Doch nicht nur die menschlichen Gesten, zwischen denen sich der Raum des Gewebes entfalten kann, erweisen sich als außergewöhnlich. Die Fäden zwischen Stab und Fingern umgrenzen die Radialstruktur, die so von einer fast quadratischen Form gerahmt wird und insgesamt ein rechterhand nicht geschlossenes Dreieck oder Parallelogramm ergibt. Das Instrument stellt ein kleines euklidisches Programm dar, das an die antike Verbindung der Kunstfertigkeit der Spinne mit ihrer natur- gegebenen geometrischen Präzision erinnert, aber auch an das velum der Zentralperspektive.310 Und obwohl wir die winzige Spinne an der hohen Decke der Sala del Collegio kaum ausmachen können, ist es nicht allein ihr Netz, sondern Errungenschaft der halb knieenden Frau (Abbildung 2.14). Das farblich expressive Bild stammt von Paolo Veronese – neben Tizian und Tintoretto der Dritte im großen venezianischen Malerwett- bewerb. Von anderen Malern als »Künstler der Künstler« anerkannt, ist er in der Wertschätzung meist hinter seinen beiden Konkurrenten zurückgeblieben. Man hat dies mit der in seiner Werkstatt gepflegten Konzentration auf das Handwerkliche und dem Hang zur populären Farbigkeit begründet, ganz so, als ob der »Veroneser« Paolo Cagliari (1528−1588) nicht über jene humanistische Gelehrsamkeit gegenüber Antike und Christentum verfügt hätte, die Tizian und Tintoretto aus- 310 Mit Dank an Steffen Siegel für diesen Hinweis. 92 Netze vor den Netzwerken abb . 2 .14: Paolo Veronese: L’Industria, Öl auf Leinwand innerhalb einer kasset- tierten Decke. Venedig, Dogenpalast, Sala del Collegio, 1575−1577. 150 x 220 cm. zeichnete.311 Aber nicht nur der Kurzschluss von Spinne und Geometrie steht dem in diesem Fall entgegen. Francesco Sansovino bezeichnet 1581 die Personifikation der angewandten Geometrie als »[l]’industria di Archimede«.312 Dies bleibt nicht die einzige Referenz auf antikes Wissen. Hinzu kommen noch zwei weitere Zugänge zum allegorischen Spiel der Bildähnlichkeiten. Einer macht einen Ortsbesuch unumgänglich, um verständlich zu werden; der andere wirft die Frage auf, ob, wie und zu welchem Zweck Veronese hier den Wettstreit zwischen Arachne und Minerva darstellt. Alle drei Elemente schließen sich zu einem Lob Venedigs als zeitgenössischer Antikentransformation um 1575. In ihr steht, vermittelt duch das spielerische Gewimmel der Ähnlichkeiten, ein Netz als Netzwerk vielleicht zum ersten Mal für die Multiplizität 311 Vgl. gegen einseitige Künstlermythen zu Veroneses Werkstatt Hans Dieter Huber: Paolo Veronese. Kunst als soziales System. München: Fink, 2005. 312 Francesco Sansovino: Venetia citta nobilissima et singolare, Descritta in XIIII. Libri. Venedig: Iacomo Sansovino, 1581, Buch VIII, S. 123 rechts. Die Archimedes-Rezeption hatte nach der lateinisch-griechischen Ausgabe Basel 1544 einen großen Aufschwung erlebt. Spinne und Netz 93 von Kulturtechniken ein. Zugleich eine Figur der Geometrie, eine Figur der Ökonomie materieller Kultur, eine Figur der (politischen) Rhetorik, eine Figur der Antikentransformation, eine Tugendallegorie, eine Kor- respondenzfigur von entstellten Ähnlichkeiten … Zunächst: ein Ortsbesuch. Paolo Veroneses Leidenschaft für the- atrale Arrangements, die nicht nur die Konstellationen im Bild selbst betreffen, sondern vor allem das Spiel von bewegtem Betrachter und architektonischem Raum, ist oft bemerkt worden.313 Würden die heu- tigen Touristen auf ihrem Parcours durch den Dogenpalast kurz vor dem großen Senatssaal innehalten und ihre Köpfe nach oben wenden, sähen sie seine Dame mit Netz innerhalb einer kassettierten Decke voller Tu- genddarstellungen und römisch-antiker Tugendexempel. Beide Elemente werden aber zumeist als Randerscheinung im gesamten Bildprogramm der Decke, die nach dem Brand des Herbstes 1574 von Veronese und seiner Werkstatt neu gestaltet wurde, nahezu ignoriert. Viel beachtet wurden und werden hingegen die Gemälde und Textein- schübe entlang der mittleren Achse. Über den Köpfen des Kollegiums, jener kleinen Runde ausgewählter Männer, welche die Beschlüsse des Senats vorbereiteten,314 führen drei Darstellungen auf das Gestühl des ›Pien Collegio‹ hin. Dort findet sich, zwischen zwei gold auf schwarz beschriebenen Textvignetten, Veroneses bestechende Inszenierung der Huldigung Venetias durch Justitia und Pax. Über den Köpfen des Dogen, seiner Berater und der Savi, der Wissenden des Kollegiums, steht das verknappte CVSTODES LIBERTATES als Sinnspruch. Die Personifikation der Stadt thront nahezu unerreichbar auf einem Erdball – Wächter der Freiheit und Diener Venedigs, Fundament der Republik (REIPVB FVN­ DAMENTVM) musste sein, wer sich hier täglich außer Sonntag und Montag um 10 Uhr einzufinden hatte (Abbildung 2.15). Zu dieser Szene der Verehrung gehört mit dem Gradnetz des Globus, den Venetia zu ihrem Sitz erwählt hat, das einzige weitere, geometrisch regelmäßige Netz des Raumes. Es ist auf einem Globus ohne weitere kartografische Details selbstverständliches Instrument imperialer Raum- beherrschung. Während die repräsentative Funktion einer Netzprojekti- 313 Vgl. David Rosand: Painting in Sixteenth-Century Venice. Titian, Veronese, Tintoretto. Cambridge: Cambridge University Press, 1997, S. 107 f. 314 Vgl. zur Verfassungsgeschichte detailliert Kurt Heller: Venedig. Recht, Kultur und Leben in der Republik 697−1797. Wien; Köln; Weimar: Böhlau, 1999, S. 251 f.; Staale Sinding-Larsen: Christ in the Council Hall. Studies in the Religious Iconography of the Venetian Republic. Hrsg. von Instituta Romanum Norvegiae. Acta ad Archaeologiam et Artium Historiam Pertinentia V. Rom: L’Erma di Bretschneider, 1974, S. 120 f. 94 Netze vor den Netzwerken abb . 2 .15: Paolo Veronese und Werkstatt: Decke der Sala del Collegio. Öl auf Leinwand, Venedig, Dogenpalast, 1575−1577. [Siehe Farbtafel II] Spinne und Netz 95 on im Umfeld der ökonomischen, politischen und militärischen Macht, zumal in einem ebenfalls für diplomatische Audienzen verwendeten Raum, kein Rätsel aufgibt, zeichnet sich das zweite, in den Händen gehaltene Netz durch eine weit höhere allegorische Spannung aus. Und dies nicht nur, weil es als eine von acht Tugenden315 – zwischen einer religiös geprägten Darstellung von Religio und Fides in der Mitte des Saales und einem Bild mit Mars und Neptun an dessen Anfang – in umgekehrter T-Form die Decke ziert. Veroneses Bilderfindung fällt in jeder Hinsicht aus der Reihe. Weder setzt sie eine wohlbekannte ikono- grafische Tradition in der allegorischen Tugenddarstellung fort. Nicht einmal im Dogenpalast selbst finden sich weitere Referenzen. Noch reiht sie sich nahtlos in die nach dem Konzil von Trient durchaus übliche katholische Betonung der »Werke schaffenden« Tugenden ein.316 Die Verbindung der venezianischen republikanischen Regierung mit den Tugenden und deren Inszenierung in der visuellen Festkultur der Prozessionen und trionfi hatte hingegen eine lange und reiche Tradition. Sie lässt sich bis zu Petrarca zurückverfolgen, der festhielt, dass die Lagunenstadt mächtig in Werken, noch mächtiger aber durch Tugend sei.317 Nach dem verlustreichen Gewinn der Seeschlacht von Lepanto gegen die Türken 1571 jedoch taumelt die Metropole in ökonomische und politische Krisenjahre, deren gravierende Probleme selbst von den monumentalen Feierlichkeiten für den französischen König Heinrich III. im Jahr 1574 nur übertüncht werden. Inmitten einer massiven Pest- epidemie in den Jahren 1575 bis 1577, in der etwa 50.000 Einwohner ihr Leben verlieren,318 deutet Doge Alvise Mocenigo die Ereignisse der letzten Jahre als Kulmination göttlichen Zorns gegenüber der auser- wählten Stadt Venedig.319 315 Neben La Ricompensa / Belohnung, La Purezza / Lauterkeit, La Manseutudine / Sanftmut, La Fedeltà / Treue, La Prosperità / Wohlstand, La Vigilanza / Wachsamkeit, La Moderazio- ne / Mäßigung. Vgl. Terisio Pignatti und Filippo Pedrocco: Veronese. Mailand: Electo, 1995, S. 339 f. 316 Vgl. zur Charakterisierung als posttridentinisches Bildprogramm Sinding-Larsen: Christ in the Council Hall, S. 255. Siehe zur Kritik Wolfgang Wolters: Der Bilderschmuck des Dogen- palastes. Untersuchungen zur Selbstdarstellung der Republik Venedig im 16. Jahrhundert. Wiesbaden: Franz Steiner Verlag, 1983, S. 258. Wolters betont die Bedeutung der Schlacht von Lepanto. 317 Petrarca: Epistolae seniles, IV, 3. Zitiert nach Iain Fenlon: The Ceremonial City. History, Memory and Myth in Renaissance Venice. New Haven; London: Yale University Press, 2008, S. 325. Siehe auch Wolters: Der Bilderschmuck des Dogenpalastes, S. 263, zu Carlo Ridolfis 1648 getroffener Formulierung »adequate al governo degli Stati«. 318 Bei einer Bevölkerungsgröße von 180.000 Personen entsprach dies mehr als einem Viertel aller Venezianer. Vgl. Fenlon: The Ceremonial City, S. 220. 319 Vgl. Fenlon: The Ceremonial City, S. 228. 96 Netze vor den Netzwerken Auch die beiden Feuer von 1574 und 1577 ließen sich derart auf- fassen, um ihnen einen sozialen Sinn zu verleihen. Die Neudekoration der abgebrannten Teile des Dogenpalastes vollzieht sich so in einer Zeit allgemeiner Unsicherheit, in der umso intensiver gefeiert und gebetet wird, je mehr sich der bevorstehende Niedergang anzukündigen scheint. Vor diesem Hintergrund ist die Zurschaustellung des politischen wie des künstlerischen Könnens ein Akt der Selbstbehauptung, in dem soziale Codes aufs Neue bekräftigt werden. Der dem Bild zugeschriebene Titel Dialektik oder die Industrie verdankt sich diesem Kontext, in dem die im 16. Jahrhundert blühende venezianische Manufakturkultur ins Spiel kommt.320 Im allegorischen Ganzen der Industrie, gewissermaßen dem Gewebefleiß als Gewerbefleiß, wird eine weltliche venezianische Tugend als fromme republikanische Herrschaftstechnik gestaltet.321 Ausgefeilte Handgesten und wissende Augenblicke gehören zur Ikonografie der Industria.322 Veroneses Dame ist zudem an ihrer linken Seite ein fein geflochtener Nähkorb als Attribut beigegeben, der in der Präzision seiner Ausführung als Echo und Double des zuhandenen Netzes wirkt.323 Weißer und dun- kelgrüner Stoff, der in Unterkleid und Überwurf verarbeitet erscheint, liegen hier nebst Schere bereit. Sie bleiben nahezu stumme alltägliche 320 Die Seidenherstellung stieg um mehr als das Dreifache; zudem übernahm Venedig die ita- lienische Marktführerschaft in der Herstellung von Wollstoffen. Vgl. Herfried und Marina Münkler: Lexikon der Renaissance. München: C. H. Beck, 2000, S. 408. Siehe zum Wandel der historischen Semantik von industria von der natürlichen Geschicklichkeit zur richtigen Handhabung eines Gewerbes im 16. und 17. Jahrhundert Dietrich Hilger: »Industrie, Gewerbe«. In: Geschichtliche Grundbegriffe. Historisches Lexikon zur politisch-sozialen Sprache in Deutschland. Hrsg. von Otto Brunner, Werner Conze und Reinhart Koselleck. Bd. 3. Stuttgart: Klett-Cotta, 1982, S. 237−304. 321 Dies stellt laut Dittrich und Dittrich: Lexikon der Tiersymbole. Tiere als Sinnbilder in der Malerei des 14.−17. Jahrhunderts, S. 503, eine Ausnahme dar. Vgl. André Chastel: Chronik der italienischen Renaissancemalerei 1280−1580. Würzburg: Arena Verlag, 1984, S. 224, zur Repräsentation von venezianischem Unternehmergeist und Veroneses dialektischer List gegenüber der Inquisition. 322 Vgl. hierzu, deutlich später, Hubert François Gravelot, Charles Nicolas Cochin und Charles- Etienne Gaucher: Iconologie par Figures ou Traité complet des Allégories, Enblêmes &c. Ouvrage outile aus Artistes et Amateurs, et peuvent servir à l’éducation des jeunes personnes. Bd. 3. Paris: Lattré Graveur, 1791, S. 11. 323 Nur über den Nähkorb reiht sich das Bild in die Serien zeitgenössischer Arachne- und Tastsinnbilder ein, die der niederländische Manierismus vor Veronese produzierte. Ähnliche Objekte finden sich in Maarten van Cleeves Skizze Arachne und Philipp Galles nach Frans Floris angefertigtem Kupferstich Arachne (1574). Siehe C. van de Velde: »The Painted De- coration of Florin’s House«. In: Netherlandish Mannerism. Papers Given at a Symposion in Nationalmuseum Stockholm, September 21−22, 1984. Hrsg. von Görel Cavalli-Björkman. Nationalmusei Skriftserie N. S. 4. Stockholm: Nationalmuseum, 1985, S. 127−134, hier S. 132 f. Spinne und Netz 97 Dinge, bei denen die Scherenspitzen gen Himmel in eine andere Richtung zeigen als der nach oben gewandte, auf Spinne und Netzzwischenräume gerichtete Blick der Protagonistin.324 Obwohl es in ein tugendpolitisches, religiös geprägtes Programm eingebunden bleibt, spricht aus Veroneses Gemälde doch ein fast unbescheidener Stolz auf das eigene Können – als spinnengleiche Schöpfung, die mit vermögender Tugend von Stadt und Künstlerwerkstatt aus dem eigenen Körper heraus geschaffen wird. Ebendieser Topos – das kunstvolle Verfertigen des Netzes aus sich selbst – nimmt die antike zoologische Imagination in sich auf und wird zu einer Wendung der frühneuzeitlichen Wissenskultur. Die Spinne imitiert nicht (Aelian), wohl aber die Menschen. Doch angesichts der Kritik, wie sie Diogenes Laertius gegenüber der übertrieben kunstfertigen Rhetorik der Sophisten vorbrachte, stellt das feine Netz in der Sala del Collegio nicht nur eine Mahnung zur Bescheidenheit dar: »Die dialek- tischen Lehren glichen Spinngeweben, die, obschon sie den Eindruck einer gewissen Kunstfertigkeit machen, doch ohne Nutzen sind.«325 Nutzen sollten aber die Wortgefechte an einem solchen Ort der macht- politischen Auseinandersetzung und der diplomatischen Ränkespiele der Republik Venedig und ihrer Aristokratie allemal. Dialektik stand noch in der Frühen Neuzeit, aus der Tradition der Sieben Freien Künste heraus, für die Gesamtheit der Unterredungs- und Disputationskunst, insbesondere das kunstvolle Auffinden von Argumenten.326 Schon der Doppeltitel, das inklusive Oder zwischen Dialektik und Industrie erzeugt bewusst Ambivalenzen.327 Das lustvolle Spiel mit abwesenden Texten und Kontexten, die im Bild anwesend sind oder zumindest seien könnten, etabliert Spannung und Spannbreite der allegorischen Darstellung.328 Eine solche »zweite Sprache der Bilder«, eine Sprache der Bildspekulation lässt immer wieder gelehrte Text- 324 Vgl. zur Widersprüchlichkeit / -ständigkeit der Dinge in der Allegorie Benjamin: »Ursprung des deutschen Trauerspiels«, S. 362. 325 Laertius: Leben und Meinungen berühmter Philosophen. Buch I−X, VII. Buch, 161. Vgl. zur Wiederaufnahme der Sophismuskritik Dundas: »Arachne’s Web: Emblem into Art«, S. 109 f. 326 Vgl. Rainer Brändle: »Abenteuer der Dialektik. Ein Gemälde Veroneses in Sempruns Roman Der weiße Berg«. In: Überschreitungen. Dialoge zwischen Literatur- und Theaterwissen- schaft, Architektur und Bildender Kunst. Festschrift für Leonhard M. Fiedler. Hrsg. von Jörg Sader und Anette Wörner. Würzburg: Königshausen & Neumann, 2002, S. 329−338, hier S. 333. Die Dialektik war neben Rhetorik und Grammatik Teil des Trivium. 327 Vgl. auch Bernard Chambaz: La dialectique Véronèse. Crest: La Sétérée, 1989, S. 73 f. 328 Vgl. Carsten-Peter Warncke: Symbol, Emblem, Allegorie. Die zweite Sprache der Bilder. Kunst und Wissen. Köln: Deubner, 2005, S. 88, zu dieser Eigenschaft frühneuzeitlicher ›Sinnbildkunst‹. 98 Netze vor den Netzwerken referenzen aufblitzen. Veronese kannte Ovids Metamorphosen, ihre volkssprachlichen und gelehrten Übersetzungen – z. B. die Ausgabe von 1497 oder Ludovico Dolces Trasformationi –, die als Teil der enormen venezianischen Bücherproduktion entstanden.329 Aber rechtfertigt das schon die heute durchaus übliche Titelergänzung hin zu Arachne, die Dialektik oder die Industrie? Und was hieße dies für Arachnes Netz? Stünde die weibliche Figur für Minerva, so wäre die lydische Weberin als Unterlegene des Wettstreits nicht viel mehr als jene kaum sichtbare Spinne im Zentrum eines Netzes, das in göttlicher Hand bleibt. Eine derartige Umkehrung der ikonografischen Tradition, die meist eher Arachnes Tätigkeit in Szene setzt, wäre rigoros. Eine in französischem Privatbesitz erhaltene Skizze zum Gemälde dokumentiert die konzepti- onelle Arbeit an Faltenwurf, Blick und Gestik, ohne dass die Geome- trie des Netzes genau ausgeführt und sein Tier platziert worden wäre (Abbildung 2.16). Minerva ist hingegen, mitsamt ihren klassischen Attributen, in einem Wandgemälde der Sala del Collegio präsent.330 Gleiches gilt für Jacopo Tintorettos bereits erwähnte, ebenso frivole wie außergewöhnliche Darstellung des Wettstreits im Florentiner Palazzo Pitti (um 1543 / 44), in der Brustpanzer und Helm in Rottönen textil überformt erscheinen. Der Entwurf (concetto) zur Sala del Collegio ist leider, im Gegensatz zu den Ende 1577 formulierten Anweisungen für die Wiedergestaltung von Sala del Scrutinio und Sala del Maggior Consiglio, nicht erhalten. Verloren ist damit viel: Veroneses außerordentlicher Tugenddarstellung haftet etwas unauflösbar Rätselhaftes an. Aber es ist auch viel gewon- nen, denn seine Allegorie lässt die Leistungsfähigkeit einer vergangenen Wissensordnung der korrespondierenden Ähnlichkeiten erahnen, in der eine solche Verrätselung die Vielfalt kultureller Tatsachen aufrufen konnte. In ihr kann ebenso wie in einem knappen Vers Dantes oder Shakespeares der gesamte Wettstreit zwischen Minerva und Arachne blitzhaft aufscheinen.331 Das Netz als zeigendes und machendes Ding operiert so als symbolische Form innerhalb einer Gedächtniskunst, die immer neue Erinnerungspotenziale freisetzen kann. 329 Vgl. Chambaz: La dialectique Véronèse, S. 42, S. 65. 330 Vgl. Wolters: Der Bilderschmuck des Dogenpalastes, S. 261 f. 331 William Shakespeare: Troilus und Cressida, 5. Akt, 2. Szene, 177 f. In: William Shakespeare: The Complete Works of William Shakespeare. Hertfordshire: Wordsworth Editions, 1996, S. 748; Dante: Die Göttliche Komödie, XII. Gesang, 43−45. Spinne und Netz 99 abb . 2 .16: Paolo Veronese: Skizze zu L’Industria, Kreide auf Papier, ca. 1575. 22,5 x 19 cm. Dass diese bis in die Jetztzeit reichen können, zeigt ein Kapitel in Jorge Sempruns 1986 erschienenem Roman La montagne blanche (dt. Der weiße Berg, 1987). Darin lässt Semprun seine tschechischen Figuren Karel und Ottla die Erstaunlichkeit und Außerordentlichkeit von Vero- neses venezianischem Deckengemälde atemlos feststellen. »Die Dialek- tik! Endlich weiß man, mit wem man es zu tun hatte!«, murmelt der Filmregisseur Karel Kepela angesichts der eklatanten Differenz zwi- schen allegorischer politischer Tugend und der staatstragenden Dialektik 100 Netze vor den Netzwerken des Ostblocks im 20. Jahrhundert.332 Sempruns Erinnerungspoetik setzt materiale Bilder im Text immer wieder auf eine solche Art ein, in der die Wiederkehr des Verdrängten die Körper erschaudern lässt:333 »Bild ist dasjenige, worin das Gewesene mit dem Jetzt blitzhaft zu einer Kon- stellation zusammentrifft.«334 Diese Formel Walter Benjamins trifft hier in aller Bitterkeit zu und wird sogar um das Kommende erweitert. Denn Karels Geliebte Ottla wird ihn selbst an das dialektisch operierende System verraten. Noch stehen beide in dieser Szene beisammen, anein- andergedrängt, zitternd, und betrachten Veroneses Frauendarstellung, indem sie sie lesen: Die Dialektik hielt ein wunderliches Gerät in den Händen: eine Art rudimentären Webstuhl, dessen Tuch spinnwebhaft gewesen wäre. Und buchstäblich: in den Händen der Dialektik entstand ein wahrhaftes Spinnennetz. Ein Tuch zum Einfangen der vom Realen betäubten Fliegen, zweifellos.335 So wie die Differenz zur einfangenden politischen Dialektik in Veroneses L’Industria o Dialettica erkennbar werden kann, so ist das Gemälde von Anfang an auf Ovids Webewettstreit hin aktualisierbar gewesen. Es fungiert als ›dialektisches Bild‹ im Sinne Walter Benjamins; ein Bild, das zwischen Vergangenheit, Präsenz und der Dialektik von Erinnern und Vergessen aufgespannt ist. Die Wahrnehmung zwischen beiden Polen ist assoziativ, momenthaft, blitzartig. Das Erkennen von Ähnlichkeiten verdankt sich eher einer kaum zu Tage tretenden unbewussten Korres- pondenz, einer Verbindung in Konstellationen und Figurationen denn einer Formverwandtschaft im Bild. Ähnlichkeiten wie der Wettstreit zwischen Minerva und Arachne werden »unsinnlich«,336 bis hin zu ihrer Entstellung.337 »Die Wahrnehmung bzw. Lesbarkeit der aufblitzenden Ähnlichkeiten und Vexierbilder aktiviert aber eine alte Fähigkeit, die im 332 Jorge Semprun: Der weiße Berg. st 1768. Frankfurt am Main: Suhrkamp, 1990, S. 53. 333 »Ein Bild tauchte plötzlich auf, das ihn verletzte.« Semprun: Der weiße Berg, S. 170. Vgl. Brändle: »Abenteuer der Dialektik«. 334 Walter Benjamin: Das Passagen-Werk. Gesammelte Schriften Band V.1. Hrsg. von Rolf Tiedemann. stw 935. Frankfurt am Main: Suhrkamp, 1991 [1935−1939], S. 571. 335 Semprun: Der weiße Berg, S. 53. 336 Walter Benjamin: »Über das mimetische Vermögen«. In: Gesammelte Schriften II.1. Hrsg. von Rolf Tiedemann und Hermann Schweppenhäuser. Frankfurt am Main: Suhrkamp, 1991 [1933], S. 210−213, hier S. 212 f. 337 Benjamin findet ›Entstellung‹ vor allem bei Proust wieder, als »passionierten Kultus der Ähnlichkeit«, der von einem »Heimweh nach der im Stand der Ähnlichkeit entstellten Welt« durchzogen ist. Walter Benjamin: »Zum Bilde Prousts«. In: Gesammelte Schriften II.1. Hrsg. von Rolf Tiedemann und Hermann Schweppenhäuser. stw 932. Frankfurt am Main: Suhrkamp, 1991 [1929], S. 310−324, hier S. 313 f. Spinne und Netz 101 Zeitalter des ternären Zeichensystems (bei den Schriftkundigen) noch gefragt war«, schreibt Sigrid Weigel.338 Im System der Signaturen, das die Frühe Neuzeit kennzeichnet, ge- währt die Bilderschrift einer allegorischen Netzdarstellung generativen Charakter. Dies betrifft nicht nur sprachlich verfasste Erinnerungs- spuren, sondern ebenso eine lesbar werdende ›Sprache der Dinge‹ und ihre teils magischen Möglichkeiten. Das Netz als eine Figur der Geometrie, eine Variante des Rasters der Zentralperspektive, eine Figur der Ökonomie materieller Kultur, eine Figur der (politischen) Rhetorik, eine Figur der Antikentransformation, eine Tugendallegorie, eine Kor- respondenzfigur von Ähnlichkeiten insgesamt … Intensiviert erscheint diese Qualität, mannigfaltig zu sein und Mannigfaltiges zu organisie- ren. Für das netzwerkhistorische Verhältnis von materieller Kultur und diskursiven Formationen bedeutet dies eine neue Komplexität. Sie ist ihrer Zeit voraus und weist in die Zukunft: Das Netz als Dingsymbol wird zum Quasi-Objekt werden, das Netzwerke figuriert. Tastsinn und Vergänglichkeit Einige Embleme im 16. und 17. Jahrhundert In Liber de naturis rerum des Augustiners und Dominikaners Thomas von Cantimpré, dessen 20 Bände in den Jahren 1225 bis 1241 entstan- den, heißt es an einer Stelle kurz, die Spinne übertreffe den menschlichen Tastsinn.339 Die Spinne repräsentiert in diesem mnemotechnischen Vers den Tastsinn, das Wildschwein allegorisiert den Hörsinn, der Luchs das Sehen, der Affe den Geschmack und der Geier den Geruch. Dar- stellungen, in denen Spinne und Netz den flüchtigen, schmerzsensiblen Tastsinn darstellen, finden sich vom Mittelalter bis in die Frühe Neu- zeit – bis hin zu Denis Diderots großer Aufklärungs-Fieberfantasie des Rêve de d’Alembert (1769).340 Sie nehmen, wie Christina Lechtermann 338 Weigel: Entstellte Ähnlichkeit. Walter Benjamins theoretische Schreibweise, S. 51. Vgl. insgesamt zu Benjamins Bildbegriff luzide ebd., S. 44 f. 339 Thomas Cantimpratensis: Liber de natura rerum. Hrsg. von Helmut Boese. Berlin; New York: de Gruyter, 1973, 4, 1, 194, hier S. 106. 340 Denis Diderot: »Le Rêve de d’Alembert«. In: Diderot. Œuvres complètes. Le Rêve de d’Alembert. Idées IV. Hrsg. von Jean Varloot. Bd. 17. Paris: Hermann, 1987 [1769], S. 89−209. Vgl. zu Diderots physiologischer Wissenspoetik von Netz und Spinne Thomas Becker: Mann und Weib – schwarz und weiß. Die wissenschaftliche Konstruktion von Geschlecht und Rasse 1650−1900. Frankfurt am Main u. a.: Campus, 2005, S. 185 f.; Gieß- mann: Netze und Netzwerke. Archäologie einer Kulturtechnik, S. 41 f.; zur Aufwertung der Spinne in der Aufklärung generell Michalski und Michalski: Spider, S. 81 f. 102 Netze vor den Netzwerken gezeigt hat, in der mittelalterlichen weltlichen Literatur antike Motive der Verführung durch fangende Netze auf, welche auf das Alte Testa- ment und Ovid zurückgehen.341 Tactus steht so in der Nähe des Teufels als Fänger und Fallensteller, der mit Sinnlichem lockt; er ist zumindest dem christlichen Mittelalter der grundlegende Sinn. Diese aus den Ab- und Umschriften antiker Autoren in christlicher Absicht entstandene enzyklopädische Tradition lebt in der neuzeit- lichen Emblematik mit anderer Betonung fort. Spinne und Netz sind dabei nicht alleiniges Symbol für den Tastsinn; Schlangen, Skorpione, Schildkröten, Regen, Webstuhl, Textil und Hand kommen hinzu.342 Eine klare Abtrennung des Spinnennetzes vom Fischernetz war innerhalb dieses historisch-anthropologischen Rahmens schon im Mittelalter nicht unbedingt gegeben. Während Buchilluminationen wie z. B. eine Bamberger Miniatur des frühen 15. Jahrhunderts (Abbildung 2.17) die tierallegorischen Zuordnungen der mittelalterlichen Enzyklopädik wei- terführten, rückten Erzählungen weltlicher Netzaventiuren menschliche und tierische Fangnetze bereits nahe zusammen.343 In den Allegorien des Tastsinnes, die der niederländische Manieris- mus ab 1561 in Kupferstichen popularisierte, besetzt das Spinnennetz oft den Luftraum, während Boot und Fischernetz in Seelandschaften eingelassen sind. Die verschiedenen Symbolisierungsformen bilden da- bei eine metonymische Kette von Bedeutungsverschiebungen, wie sie für die ähnlichkeitsliebende frühneuzeitliche Wissenskultur typisch ist. Im Falle von tactus antworten diese Darstellungsformen auch auf die Schwierigkeit, den einzigen ganzkörperlichen Sinn zu repräsentieren. Die Rückbindung an biblische Erzählungen und Symbole kann kaum bei der sündhaften Spinne stehen bleiben; mit der Aufnahme von Boot und Netz wird die christliche Ikonografie des Fischzuges in Allegorien des Tastsinnes aufgenommen.344 341 Vgl. Lechtermann: »Vulkans Waffe«, S. 6 f. 342 Vgl. Dundas: »Arachne’s Web: Emblem into Art«, S. 111 f. Vgl. zum Tastsinn in der Frü- hen Neuzeit die Beiträge in Elizabeth D. Harvey, Hrsg.: Sensible Flesh. On Touch in Early Modern Culture. Philadelphia: University of Pennsylvania Press, 2003. 343 Vgl. vermutend anhand von Strickers Erzählung über den herausragenden Ritter Daniel (ca. 1220 / 1230) Lechtermann: »Vulkans Waffe«, S. 4 f. 344 Oft wird dabei Petrus’ Rettung vor dem Ertrinken durch Jesus als neutestamentarische Referenz benutzt. Vgl. Carl Nordenfalk: »The Five Senses in Flemish art before 1600«. In: Netherlandish Mannerism. Papers Given at a Symposion in Nationalmuseum Stockholm, September 21−22, 1984. Hrsg. von Görel Cavalli-Björkman. Stockholm: Nationalmuseum, 1985, S. 135−154, hier S. 144. Spinne und Netz 103 abb . 2 .17: Allegorie der fünf Sinne inmitten der sieben Lebensalter des Menschen: Spinne und Netz stehen für den Tastsinn. Miniatur aus einer Bamber- ger Handschrift, frühes 15. Jahrhundert. Bibl. Apostolica Vaticana, MS Pal. lat. 871, fol. 21, S. 2. Das metonymische Spiel zwischen Fischerbootausstattung und Spin- nennetz war hingegen in Georg Pencz’ 1544 in Nürnberg entstandenem Stichzyklus noch nicht präsent; Pencz konzentriert sich auf die Reprä- sentation des Tastsinns als nackter Frauenkörper am Bandwebstuhl (Abbildung 2.18). Das Radialnetz flankiert hier oben linkerhand den Schriftzug TAC­ TUS. Cornelis Cort nimmt hingegen beide Netzformen explizit in seinen Antwerpener Stich von 1561 auf (Abbildung 2.19), nachdem in der Vor- lagenzeichnung von Frans Floris die Spinne ausgelassen worden war.345 345 Siehe Nordenfalk: »The Five Senses in Flemish art before 1600«, S. 137. 104 Netze vor den Netzwerken abb . 2 .18: Georg Pencz: Tactus. Kupferstich, 1544. Spinne und Netz 105 abb . 2 .19: Cornelis Cort nach Frans Floris: Der Tastsinn. Kupferstich, 1561. Ihre zahlreichen Nachfolger variieren meist die Rahmung durch Spinnennetz und Boot, die auch Hendrick Goltzius’ klassische Tactus- Darstellung von 1578 auszeichnet (Abbildung 2.20). Immateriell und doch greifbar, für das lustvolle Tasten wie die schmerzerfüllte Empfindung einstehend – das Spinnennetz erscheint hier, zumeist am linken oberen Bildrand eingefügt, mehr denn je als symbolische Form.346 Die flüchtige Materialität der Sinnesempfindungen findet darin einen fragilen Ausdruck und beeinflusst auch die anato- mische Auffassung des Tastens.347 Parallel zu Veroneses Inszenierung der Industria Venedigs im Dogenpalast vollzieht sich eine Immateriali- sierung des physischen Netzes. Dass es so in aller Flüchtigkeit mehr zu verkörpern vermag, als dies zuvor der Fall gewesen war, hat niemand mit mehr literarischer Prägnanz vorhergesehen als Jonathan Swift, 346 Diese Randständigkeit findet sich auch im Landshuter Arachne-Zimmer und in Tintorettos eigenwilliger Darstellung des Wettstreites. 347 Vgl. Elizabeth D. Harvey: »Introduction. The Sense of all the Senses«. In: Sensible Flesh. On Touch in Early Modern Culture. Hrsg. von Elizabeth D. Harvey. Philadelphia: University of Pennsylvannia Press, 2003, S. 1−21, hier S. 12 ff. 106 Netze vor den Netzwerken abb . 2 .20: Hendrick Goltzius: Tactus. Kupferstich, 1578 Spinne und Netz 107 dessen Battle of the Books aus dem Jahr 1704 die Spinnenarchitektur des Netzes zur Zukunft des Wissens erklärt. Swift schließt darin narrativ an die lange tradierten Zuschreibungen von Spinne und Netz an, die sich während des 17. Jahrhunderts in den zahlreichen Emblembüchern des Barock finden. Diese Spinnennetz- allegorien fungieren als Bilderschriften, die Gegenstand des Wissens werden: fixiertes Bild und fixierendes (Schrift-)Zeichen in einem.348 Sie versammeln klassische Themen – die christliche Ambivalenz zwischen einer alttestamentarischen verfangenden Theologie des Netzes und Fischzugssymbolik im Neuen Testament,349 den taktil-verfangenden Cha- rakter der Netze generell und die »Stricke der Eitelkeit«, das flüchtige sophistische Netz der Rede (Abbildung 2.21), schmeichelnde Höflinge, gelegentlich ein Herrscherlob des Zentralismus oder aber den Kampf von kleinen und großen Insekten mit den Maschen des Jagdinstrumentes der Spinne.350 Am populärsten und bemerkenswertesten erscheint dabei letztere Figur, bei der die großen Insekten das Netz durchbrechen können, die kleineren aber in ihm hängenbleiben. Dieses bei Swift wiederkehrende Bild stellt hier eine auf antiken Quellen beruhende, auf die solonische Rechtssprechung zurückgeführte Allegorie von Recht und Unrecht dar.351 Eine beliebte emblematische Darstellung vergegenwärtigt diese Konstellation: »Das Spinnengewebe verstrickt die Mücke in seinen Fäden, aber es kann die Wespe nicht halten. So durchbricht die Ge- walt die Gesetze, in denen der Schwache hängen bleibt.«352 Das Recht selbst wäre das normative Netz, das fängt, wenn nicht die Macht des Souveräns es zerteilen würde. Die Betonung des Negativen, das geradezu lustvolle Einholen des Netzes in die barocken Herrschafts- und Vanitas-Meditationen ist kaum überraschend. Aber man kann den Sinn für das Widersprüchliche 348 Vgl. Benjamin: »Ursprung des deutschen Trauerspiels«, S. 359. 349 Vgl. zur politischen Ikonografie der Fischzugssymbolik instruktiv Ursula Lehmann: »Von Landschaften und Schätzen. Savoyische Verhältnisse unter Amadeus VIII. bis Felix V.« In: Das Ende des konziliaren Zeitalters (1440−1450). Versuch einer Bilanz. Schriften des His- torischen Kollegs 86. Hrsg. von Heribert Müller. München: Oldenbourg, 2012, S. 83−101. 350 Vgl. Arthur Henkel und Albrecht Schöne, Hrsg.: Emblemata. Handbuch zur Sinnbildkunst des 16. und 17. Jahrhunderts. Stuttgart; Weimar: Metzler, 1996, S. 751 f., S. 938 f., S. 1107 f., S. 1450 f. 351 Vgl. Michalski und Michalski: Spider, S. 57. 352 Henkel und Schöne: Emblemata, S. 940. Die Quellenangabe verweist auf Plutarch: Solon 5, Valerius Maximus: Facta et dicta memorabilia VII 2, 14, M. Claudius Paradinus: Symbola Heroica S. 77b. 108 Netze vor den Netzwerken abb . 2 .21: Auf die Sophisten: »Mit unendlichem Eifer wirkt die Spinne ihr Netz, und doch wird dieses Werk von allen verächtlich behandelt. So bringst du, eitler Sophist, mit großer Anstrengung große Nichtigkeiten zu- stande, wenn du bei deinen Studien wachst.« Aus den Emblemata von Florens Schoonhoven, 1618. Spinne und Netz 109 und Verstrickende der Netze in der »vermeintlichen Unendlichkeit der Hoffnungsleere«353 nicht hoch genug einschätzen. Mit einer solchen, an die mittelalterliche allegorische Tradition anknüpfenden Wiederbeto- nung ist der Barock die letzte Epoche der europäischen Kulturgeschichte, die voll und ganz auf die schriftbildliche Ambivalenz des Netzes setzt. Die barocken Allegorien vergessen nicht über dem Verbinden das Ver- fangende oder über dem Verfangen das Verbindende, sondern stellen die Janusköpfigkeit kultureller Praktiken mit Netz bewusst aus. Eine flüchtige Befestigungsarchitektur des modernen Wissens Jonathan Swifts Battle of the Books (1704) In Edmund Spensers Gedicht Muiopotmos, 1591 erschienen, könnte das Lob des Spinnenwerks kaum größer sein. Arachne gewinnt auch hier den Wettstreit mit Minerva, wenngleich in anderer Form als in Ovids Metamorphosen. Spenser porträtiert sie als derart neidisch ob eines kunstvoll gewebten Schmetterlingsbildes der Göttin, dass sie sich in ihrer Enttäuschung selbst zur Spinne wandelt. Angesichts des lebendig gewordenen Schmetterlings Clarion zeigt die verwandelte Arachne ihr höchstes Können: Weder ein Mädchen, das stolz und gekonnt ein sanftes seidenes Garn wohl wirkt; noch ein Weber, der sich seiner Arbeit rühmt in Tuch, Damast und Leinen; noch wer die Kunst des Stickens gut beherrscht; noch wer feine Strümpfe recht verfert’gen kann, mag es mit viel Geschick je wagen; an solch seltsam Netzwerck heranzuragen. Not anie damzell, which her vaunteth most In skilfull knitting of soft silken twyne; Nor anie weaver, which his worke doth boast In dieper, in damaske, or in lyne; Nor anie skil’d in workmanship embost; Nor anie skil’d in loupes of fingring fine, Might in their divers cunning ever dare; With this so curious networke to compare.354 353 Benjamin: »Ursprung des deutschen Trauerspiels«, S. 406. 354 Edmund Spenser: »Muiotpotmos, Or The Fate of the Butterflie«. In: Poetical Works. Hrsg. von James Cruickshanks Smith und Ernest de Selincourt. Oxford; New York: Oxford Uni- versity Press, 1991, S. 515−520, 361−368. 110 Netze vor den Netzwerken Schmetterlinge und Spinnen, aber auch Fliegen, Mücken, Wespen, Bie- nen und Ameisen: Die tierischen Akteure dieses frühneuzeitlichen Bes- tiariums des Wissens355 versammeln sich nicht nur in Spensers Gedicht, sondern ebenso in den moralischen Allegorien der Emblembücher und bei Francis Bacon. Im 95. Aphorismus des Neuen Organons aus dem Jahr 1620 heißt es: »Die, welche die Wissenschaften betrieben haben, sind Empiriker oder Dogmatiker gewesen. Die Empiriker, gleich den Ameisen, sammeln und verbrauchen nur, die aber, die die Vernunft überbetonen, gleich den Spinnen, schaffen die Netze aus sich selbst. Das Verfahren der Biene aber liegt in der Mitte.«356 Jonathan Swift, irischer Journalist und Schriftsteller, besaß zwar kein Exemplar von Bacons Schrift in seiner Bibliothek.357 Aber ihm dürfte zumindest ein ähnliches Zitat Bacons aus The Advancement of Learning bekannt gewesen sein, in dem die Eigenschöpfung der Spinne gemäß der rhetorischen Tradition als substanzlos verurteilt wird.358 Der Vergleich schöpferischer Tätigkeit mit dem Bienenfleiß war, in der Fol- ge von Horaz und Seneca, eine gängige gelehrte Wendung der Frühen Neuzeit.359 Wenn in Swifts Battle of the Books Biene und Spinne zu Antagonisten mit gänzlich verschiedenen Weltsichten gemacht werden, steht aber nicht nur der Charakter poetischer und künstlerischer Werke auf dem Spiel. Swifts 1704 anonym publizierte Satire entwirft den Kampf zwischen Antiken und Modernen, der als Querelle des Anciens et Modernes Epoche gemacht hat, als poetologischen Showdown: Biene oder Spinne? – Antike oder Moderne? – materiell-gemeinschaftlich360 oder flüchtig-individuell? 355 Vgl. Benjamin Bühler und Stefan Rieger: Vom Übertier. Ein Bestiarium des Wissens. es 2459. Frankfurt am Main: Suhrkamp, 2006. 356 Francis Bacon: Neues Organon. Lateinisch–Deutsch. 2. Aufl. Hrsg. von Wolfgang Krohn. Philosophische Bibliothek 400. Hamburg: Meiner, 1999, S. 211. 357 So mit Verweis auf deren Inventar von 1715 der kritische Fußnoteneinwand gegenüber dem common sense in der Swift-Forschung bei Hermann Josef Real. Vgl. Jonathan Swift: The Battle of the Books. Eine historisch-kritische Ausgabe mit literarhistorischer Einleitung und Kommentar. Hrsg. von Hermann Josef Real. Quellen und Forschungen zur Sprach- und Kulturgeschichte der germanischen Völker. Neue Folge 71 (195). Berlin; New York: de Gruyter, 1978, S. XLIX f. 358 Francis Bacon: The Advancement of Modern Learning. Hrsg. von Michael Kiernan. The Oxford Francis Bacon IV. Oxford: Clarendon Press, 2000, Buch 1, Kap. 4, Abs. 5, hier S. 24. 359 Vgl. Swift: The Battle of the Books, S. XLVII f.; Dundas: »Arachne’s Web: Emblem into Art«, S. 110; Michalski und Michalski: Spider, S. 75 f. 360 Vgl. zur politisch-zoologischen Tradition von Bienengleichnissen Eva Johach: »Der Bienen- staat. Geschichte eines politisch-moralischen Exempels«. In: Politische Zoologie. Hrsg. von Anne von der Heiden und Joseph Vogl. Zürich; Berlin: diaphanes, 2007, S. 209−233. Spinne und Netz 111 Bereits das Frontispiz zeugt von Swifts Kenntnis der allegorischen Tradition. Spinne und Biene erscheinen emblematisch linkerhand über der Bücherschlacht, die in der Londoner St. James Library tobt (Ab- bildung 2.22). abb . 2 .22: Frontispiz zu Jonathan Swifts The Battle of the Books. Kupferstich, aus der Werkstatt Bernard Lens’ und John Stuarts zur fünften Auflage, 1710, 8,5 x 14,8 cm. 112 Netze vor den Netzwerken Der typografisch wilde Titel vis-à-vis verspricht in der blumigen Spra- che damaliger journalistischer Berichte »A Full and True Account / OF THE BATTEL / Fought last FRIDAY / Between the / Antient and the Mo- dern / BOOKS / IN / St. James’s / LIBRARY«. Im Text ist der verbale Streit zwischen antiken und modernen Büchern, zwischen Buchrückennamen wie denen von Des-Cartes, Aristoteles, Plato, Hobbes, Vergil, Dryden und Wythers bereits in vollem Gange, als die Spinne auf der Szene er- scheint. Angeschwollen von »unendlichen Zahlen« verzehrter Fliegen, sitzt sie auf einem großen Schloss. Es ist ganz nach der modernen Art der Befestigungskunst errichtet, gerade auch um die Fähigkeiten der Spinne im Reich der Architektur und Mathematik zu demonstrieren. Mit der Ankunft der Biene wird die Zitadelle zum Erbeben gebracht. Fluchende Spinne und höfliches Insekt stehen sich disputierend gegen- über, während die Bücher für einen Moment verstummt innehalten.361 Alles Material für das eigene Werk, so die stolze einheimische Spinne, komme aus ihr selbst. Die bescheidene Biene ist hingegen der Überzeugung, dass derlei Materialien gegenüber ihrer Verteilungskunst in der Natur nichtig seien: »[U]nd ich hoffe, ihr werdet von nun an die Warnung hören und Dauer und Material ebenso wie Methode und Kunst beachten. Ihr, die ihr in der Tat voller Stolz nichts anderem verpflichtet seid als dem Ziehen (drawing) und Spinnen ganz aus Euch selbst heraus.«362 Gegenüber den unproduktiven Spinnweben sowie Schmutz und Gift der Kritik bringe sie mit langer Suche, viel Studium, wahrem Urteil und Unterscheidungsvermögen am Ende Honig und Wachs hervor.363 Swift lässt die Bataille deutlich zugunsten der summenden An- tikenfreunde und ihrer Unterstützer ausgehen – seine Parteilichkeit manifestiert sich bereits in kurzen Textfragmenten:364 »Nun bitte, ihr Gentlemen, gab es je etwas so Modernes wie die Spinne in ihrer Luft, mit ihren Wendungen und Paradoxien?«, lässt er – durchaus mit Be- wunderung – Äsop die übrigen antiken Autoren fragen.365 Und paradox erscheint die Rolle der Spinne in der Tat. Sie steht trotz ihrer archi- tektonischen Werke für eine Immaterialisierung und Dynamisierung 361 Vgl. Swift: The Battle of the Books, 169−212, S. 7 f. 362 Swift: The Battle of the Books, 284−287, S. 9 f. 363 Vgl. Swift: The Battle of the Books, 298−300, S. 10; 351−352, S. 11. 364 Der junge Swift agiert hier ganz als poetischer Sekretär seines Lehrers Sir William Temple innerhalb der englischen Ausläufer der Querelle des Anciens et Modernes. Vgl. zu den Details den Kommentar des Herausgebers in Swift: The Battle of the Books, S. XVII f. 365 Swift: The Battle of the Books, 327 f., S. 11. Spinne und Netz 113 des Wissens, die der geduldigen Materialisierung von philologischer Schriftgelehrsamkeit konflikthaft gegenübersteht. Es ist kein Zufall, dass dabei mehrfach das Schlagwort des Fortschritts (»Improvements in the Mathematicks«) fällt.366 Auch das »drawing, and spinning out all from your self«367 verweist hier auf geometrische Zeichenpraktiken, die wiederum Grundlage architektonischer Entwürfe sind. Die Netze der modernen Spinne mögen so flüchtig sein, dass sie sich nicht mit den Früchten der Bienenarbeit messen können. Sie taugen aber als Medien, die rastern, kerben und auf diese Weise Materialisierungen ermöglichen. Damit schreiben sich bei Swift einerseits die antiken Kurzschlüsse von Geometrie, Architektur und achtbeinigem Tier fort.368 Andererseits entwirft er damit selbst, vielleicht gegen den eigenen Willen, eine hell- sichtige Poetik der kommenden Wissensordnung.369 Die Rückbindung von Swifts Bibliotheksfantasie, die er innerhalb einer Gelehrtendebatte über Geschichte und Ästhetik positioniert, an materielle Kultur ist durchaus möglich. Sie würde aber den Text ver- fehlen. Zwar gewinnt der literarische Entwurf durch die Referenz auf Bibliothek und Festung als Orte räumlicher Wissensordnung. Er ruft gewissermaßen noch einmal die Faszination des 17. Jahrhunderts für theatrale Architekturen auf, um Buch und Bibliotheksraum selbst zur Bühne zu machen.370 Ebenso macht er sich elegant und spielerisch über die neue, bevorzugt mathematisch argumentierende Naturwissenschaft lustig – auf Seiten der moderni streiten neben Bacon nicht wenige Grün- dungsmitglieder der gelehrten Londoner Royal Society. Gerade weil 366 Swift: The Battle of the Books, 272 f., S. 9; 332 f., S. 11. 367 Swift: The Battle of the Books, 286 f., S. 10. Hervorhebung SG. 368 Die Verbindung von flüchtiger Befestigungsarchitektur und philosophischer wie mathema- tischer Tradition findet sich – unter Rekurs auf Lukians Spinnen und deren Netz zwischen Mond und Venus – bereits in einem hermetischen Traktat Thomas Vaughans von 1650. Vgl. Eugenius Philalethes: Anima Magica Abscondita: Or A Discourse of the universall Spirit of Nature, With his strange, abstruse, miraculous Ascent, and descent. London: T. W. For H.B[lunden], 1650, S. 1 f., S. 14. Jonathan Swift nimmt Teile davon in der Einführung des Tale of a Tub auf: »To this End, the Philosopher’s Way in all Ages has been by erecting certain Edifices in the Air; […].« Anonymous: A Tale of a Tub. Written for the Universal Improvement of Mankind. To which is added, An Account of a Battel between the Antient and Modern Books in St. James’s Library. 2. Aufl. London: Printed for John Nutt, 1704, S. 34. 369 Der Kurzschluss von ›Moderne‹ und ›Netz / -werk‹, wie ihn Bruno Latour programmatisch vorgenommen hat, ist keine Erfindung wissenschaftlicher Diskurse der 1990er und 2000er Jahre, sondern bereits bei Swift Topos der Moderneskepsis. Vgl. Bruno Latour: Wir sind nie modern gewesen. Versuch einer symmetrischen Anthropologie. Berlin: Akademie, 1995, S. 67. 370 Vgl. Jan Lazardzig: Theatermaschine und Festungsbau. Paradoxien der Wissensproduktion im 17. Jahrhundert. Berlin: Akademie, 2007. 114 Netze vor den Netzwerken Swift das Spinnennetz auf derart paradoxe Weise als ebenso flüchtige wie egomanische Befestigungsarchitektur darstellt, die dem kollektiven Bienenfleiß unterlegen ist,371 zeigt er die immaterielle Qualität des Netzes. Denn entgegen der negativen Aufladung des verfangenden Netzes entwickelt die Moderne eine Hochschätzung gegenüber netzförmiger Verbundenheit. Sie folgt eher dem Diskurs des Neuen Testaments, in dem Fischernetz und Fischzug eine meist optimistische Vision von christlicher Gemeinschaft umfassen: Wiederum gleicht das Himmelreich einem Netz, das ins Meer geworfen ist und Fische aller Art fängt. Wenn es aber voll ist, ziehen sie es heraus an das Ufer, setzen sich und lesen die guten in Gefäße zusammen, aber die schlechten werfen sie weg.372 Selbstverständlich besitzen Netze als nützliche Dinge und sichtbare Strukturen ein genuines Handlungs- und Symbolisierungspotenzial. Jede Kultur, insbesondere wenn sie christlich geprägt ist, ringt ihnen zur jeweiligen Zeit eigene Praktiken des Verstrickens und Verfangens ab. Das Staunen der Ethnologie über die Vielfalt der Fang-, Halte- und Bindepraktiken, von dem eingangs dieses Kapitels die Rede war, trägt auch die diskurshistorische Frage, was dingliche Netze von relationalen Netzwerken unterscheiden kann. Keineswegs selbstverständlich – schon eher: verwunderlich – ist die sprachliche Aufnahme des Objektes Netz zur Bezeichnung anderer, tendenziell unsichtbarer kultureller Tatsachen. Denn warum muss das Netz dafür herhalten, dass etwas »vernetzt« ist? Und weshalb kann das ›Netzwerk‹ in Moderne und Postmoderne mehr und mehr zum Si- gnifikanten für fluktuierend-relationale Konstellationen von Menschen, Dingen, Zeichen und Räumen werden, darin ungleich mobiler als Swifts Spinne? Etwas, das für die Verbundenheit der Dinge schlechthin einsteht und als Quasi-Objekt zugleich ihre Verfertigung und ihr Dazwischen dar- stellt? Und was bleibt dann das materiell »Netzartige« der Netzwerke, von dem die Definition des Grimm’schen Wörterbuchs 1889 ausgeht?373 371 Damit befindet sich Swift auf der utilitaristischen Höhe der Zeit: Mandevilles Bienenfabel erscheint 1706 erstmals als Six-Penny-Pamphlet unter dem Titel The Grumbling Hive, or: Knaves turn’d honest. Vgl. Johach: »Der Bienenstaat«, S. 226. 372 Matthäus 13,47. Vgl. auch Matthäus 4,18−22; Markus 1,16−20; Lukas 5,1−11. 373 »NETZWERK, n. etwas netzartiges« Jacob Grimm und Wilhelm Grimm: Deutsches Wörter- buch. Siebenter Band. N-Quurren. Hrsg. von Matthias von Lexer. Bd. 13. Leipzig: S. Hirzel, 1889, S. 643. Spinne und Netz 115 Beantwortbar sind diese Fragen, wenn man sich nicht auf netzwerk- theoretische Letztbegründungen verlassen will, nur durch historisch- materiale Fallstudien entlang konkreter Vernetzungen. Bevor jedoch ab Kapitel 4 ausgewählte Netze und Netzwerke des 19. und 20. Jahrhun- derts im Vordergrund stehen, folgen einige theoretische Überlegungen, wie man die Geschichtlichkeit von Vernetzungsprozessen und Netzwerk- bildungen angemessen analysieren und darstellen kann. 3 Das Archiv der Netzwerkgeschichte Gibt es eine kulturwissenschaftliche Beschreibungssprache für die Prak- tiken des Vernetzens, die Geschichten der Netze und Netzwerke? Die Frage ist – trotz der jüngsten Konjunktur der Akteur-Netzwerk-Theo- rie – schwierig zu beantworten. Angesichts der mittlerweile fest etablier- ten Graphentheorie, die der formalen Analyse von Netzwerken dient, und der existierenden soziologischen Theoriebildung drängt sie sich nicht unbedingt auf. Beide sind nicht nur wissenschaftlich gut etabliert, sondern haben den Vorteil, berechenbar und operativ zu sein. Die Konjunktur der Netzwerktheorie in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts fällt in eins mit dem »Aufstieg der Netzwerkgesellschaft«, den der Soziologe und Urbanist Manuel Castells analysiert hat.1 Die meisten dieser Netzwerktheorien haben allerdings den Nachteil, ahistorisch verfasst zu sein. Sie reflektieren nicht ihren Einsatz als mo- dernste Form einer Bindemagie, die soziotechnischen Zusammenhalt gewährt. Veränderungen von Netzwerken über lange Zeiträume, lokale und kulturelle Spezifik sind zwar adressierbar, vor allem dominiert aber der Charakter einer Universaltheorie. Ihr elementares Vokabular – Kno- ten (Punkte), Kanten (Linien), gerichteter / ungerichteter Graph, Matri- zen, die numerische Gewichtung der Verbindungen, die Algorithmen zur Ermittlung kürzester Wege und der Intensität der Kommunikation innerhalb eines Netzes – ist geometrisch geprägt. Diese Zeichenpraktiken zur Ermittlung von Relationen, ja einer eigenen Topologie verfahren räumlich. Ein reflexiver Gehalt ist ihnen eher fremd. Was zählt, ist eine Form von Analytik, mit der man arbeiten kann – egal, ob es dabei um Verkehrsplanung oder soziale Netzwerke, um molekulare Strukturen oder die Architektur des Internets geht. Quantitative Netzwerktheorie hat sich als Gleichmacher etabliert. Sie geht gewissermaßen mit der diagrammatischen Form des Netzes auf 1 Vgl. Castells: The Rise of the Network Society, S. 38 f. 118 Das Archiv der Netzwerkgeschichte Beutefang, so dass eine Vielzahl räumlich verteilter, dynamischer na- türlicher wie kultureller Phänomene als Netzwerke erscheint. Gerade ob der Historizität ihrer epistemologischen Instrumente verblüfft ma- thematische Netzwerktheorie aber immer wieder durch ihre modellbil- denden Fähigkeiten, wahre Aussagen hervorzubringen.2 Wenn etwa die weitere Ausbreitung des SARS-Virus 2002 und 2003 über Simulationen des globalen Verkehrs präzise vorhergesagt werden konnte, lässt sich die Anwendbarkeit der rechnenden Netzwerktheorie nicht leugnen. Ganz im Gegenteil glänzt sie in einer solchen netzwerkförmigen Kon- stellation zwischen biologischen Phänomenen, menschlichen Körpern, politischer Intervention, Verkehrswegen und Computersimulation als operativer Teil einer Kulturtechnik. Gerade in den Anfangsjahren des 21. Jahrhunderts hat sich die Forschung zu komplexen Netzwerken hoch dynamisch entwickelt und ausdifferenziert.3 Warum sollten aber, um ein beliebiges Beispiel anzuführen, neu- ronale Netze genauso funktionieren wie eine Anwendung zum social networking im World Wide Web? Etwa, weil sie sich formal mit dem gleichen Set an Methoden beschreiben lassen und es daher gleichgültig erscheint, ob die Knoten Neuronen oder menschliche Akteure sind? Die quantitative Netzwerktheorie legt dies zumindest in ihren populären Formen nahe. So verweist die mathematische Forschung gerne auf John Guares Theaterstück Six Degrees of Separation (1990) als poetischen Beweis des urbanen Mythos einer Welt, in der alle mit allen über sechs Personen verbunden sind.4 Demgegenüber muss eine materiale Kulturgeschichte der Netze und Netzwerke auf den Differenzen unterschiedlicher Gegenstände beste- hen – wohl wissend, dass in Netzdiagramm und -kalkül ein entschei- dendes verbindendes Element liegt. Im Folgenden versuche ich deshalb sehr knapp, einige Begriffe zu skizzieren, die sich dem historischen Eigensinn und Gewordensein von Netzwerken verdanken. Sie sollen 2 Vgl. die Kapitel zur Geschichte des Netzwerkdiagramms in diesem Buch. 3 Wichtiger Ausgangspunkt war und ist Barabási: Linked. The New Science of Networks. Vgl. Maximilian Schich: Rezeption und Tradierung als komplexes Netzwerk. Der CENSUS und visuelle Dokumente zu den Thermen in Rom. München: Biering & Brinkmann, 2009. http://archiv.ub.uni-heidelberg.de/artdok/volltexte/2009/700, S. 16f., und für die rasch an- wachsende Referenzliteratur https://en.wikipedia.org/wiki/Complex_networks. 4 John Guare: Six Degrees of Separation. 2. Aufl. New York: Vintage, 1994. Siehe Duncan Watts: Six Degrees. The Science of a Connected Age. New York; London: Norton & Compa- ny, 2003, für eine explizite Entwendung in die Wissenschaftspopularisierung, die den klugen Titel Guares missversteht. Differenzierter argumentieren hingegen die graphentheoretische Spezialforschung und die einzelnen Ausformungen der sozialen Netzwerkanalyse. Objektreferenz – Bildstatus 119 eine reflexiv-historische Beschreibungssprache etablieren, die zum einen der Materialität vernetzter Dinge, zum anderen der Materialität der Kommunikation in und mit Netzwerken gerecht wird. Mit dem Voka- bular der mittlerweile auch in den Kulturwissenschaften gut etablierten Akteur-Netzwerk-Theorie (ANT) stimmen sie nur teilweise überein, auch wenn sie ein verwandtes heuristisches Anliegen vorantreiben sollen.5 Im Folgenden werden Begriffe aus den konkreten Netzwerkgeschich- ten dieses Buches benutzt. Dies zielt nicht zuvorderst auf Theoriearbeit um der Theorie wegen, sondern ebenso wie die Akteur-Netzwerk-Theo- rie auf eine Stärkung von Analyse und Narration. Die Schlagworte sollen die systematische Orientierung in den folgenden Kapiteln ermöglichen. Sie sind im Register kursiv wiedergegeben. 3.1 Objektreferenz – Bildstatus Netzwerke benötigen eine materielle Grundlage, um operieren zu kön- nen. Je immaterieller das »Werk« der Vernetzung, desto stärker erschei- nen sie als heterogene, relationale, fluktuierende Quasi-Objekte.6 Kein Mensch hat je ein Netz zwischen Banken angefasst, das zwischen Schal- tern und Automaten aufgespannt wäre. Trotzdem gilt die Finanzwelt durch geteilte Protokolle der Kommunikation, vergleichbare Praktiken der Geldwirtschaft oder schlicht durch Kabel als vernetzt. 5 Vgl. hierzu Gesa Lindemann u. a.: »Debatte: Kulturwissenschaft und Akteur-Netzwerk- Theorie«. In: Politische Ökologie. Zeitschrift für Kulturwissenschaften. Hrsg. von Sebastian Gießmann u. a. Bielefeld: transcript, 2 (2009), S. 111−151, und insbesondere die Bemerkung Urs Stähelis zur »operativen Wendung« auf S. 141. Vgl. zum ANT-Vokabular Andréa Belliger und David J. Krieger: »Einführung in die Akteur-Netzwerk-Theorie«. In: ANThology. Ein einführendes Handbuch zur Akteur-Netzwerk-Theorie. Hrsg. von dens. Bielefeld: transcript, 2006, S. 13−50. Siehe für medienwissenschaftliche Aneignungen Erhard Schüttpelz: »Die medientechnische Überlegenheit des Westens. Zur Geschichte und Geographie der immu- table mobiles Bruno Latours«. In: Mediengeographie. Hrsg. von Jörg Döring und Tristan Thielmann. Bielefeld: transcript, 2009, S. 67−110; Tobias Conradi, Heike Derwanz und Florian Muhle, Hrsg.: Strukturentstehung durch Verflechtung. Akteur-Netzwerk-Theorie(n) und Automatismen. München: Fink, 2011. 6 Vgl. zum Begriff und zur relationalen Bestimmung des Objektes von material culture studies Gustav Roßler: »Galerie neuer Dingbegriffe: Hybriden, Quasi-Objekte, Grenzobjekte, epis- temische Dinge«. In: Bruno Latours Kollektive. Kontroversen zur Entgrenzung des Sozialen. Hrsg. von Georg Kneer, Markus Schroer und Erhard Schüttpelz. stw 1862. Frankfurt am Main: Suhrkamp, 2008, S. 76−107. In der Akteur-Netzwerk-Theorie werden Netzwerk und Quasi-Objekt zu Komplementärbegriffen. Vgl. ebd., S. 84. Eng verwandt ist zudem der Begriff des boundary objects. Vgl. hierzu zusammenfassend Susan Leigh Star: »This is Not a Boundary Object. Reflections on the Origin of a Concept«. In: Science, Technology, & Human Values 35.5 (2010), S. 601−617. 120 Das Archiv der Netzwerkgeschichte Je mehr ein Prozess Quasi-Objekte herstellt, umso wichtiger erscheint die sprachliche Rückbindung an Materielles. Beschreiben Banken ihren kommunikativen Austausch mit Bezug auf Fischer- oder Vogelnetz, Spinnweben, andere von Menschen hervorgebrachte Netze oder mit genuin eigenen Selbstbeschreibungen? Der notwendig durch eine solche Form der Objektreferenz gekennzeichnete Diskurs verrät etwas über das Latente und Unbewusste eines Netzwerkes. Michel Serres hat den Begriff des Quasi-Objekts aus spielerischen Situationen entwickelt: etwa dem zirkulierenden Ball, einem »Ringlein, Ringlein, du musst wandern«, aber auch vertragsförmigen sozialen Verbindungen.7 Ein Netzwerk muss kein dingliches Netz mehr sein; es entsteht im performativen Vollzug der Weitergabe und auch des Tauschs von Dingen. Von Serres kann man lernen, dass textile Quasi-Objekte offenbar generell Unterscheidungen zwischen Subjekt, Objekt und Kol- lektiv infrage stellen: Soziale Bänder, Schlingen, Fesseln und Gewebe zeugen davon. Das Netz und mit ihm das Netzwerk ist mithin nicht das einzige textile Quasi-Objekt, das Verbundenheit symbolisieren kann. Quasi-Objekte markieren Subjekte, bilden Intersubjektivität und schaffen fragile Kollektive. Ihre kulturelle Wirksamkeit entfaltet sich auf einer mittleren Ebene, die man generell als entscheidendes Feld histo- rischer Kulturwissenschaft, aber auch der Medienwissenschaft verstehen kann. Im Falle eines Ballspieles, wie es Michel Serres als Paradebeispiel anführt, bleibt das zwischen Menschen zirkulierende Ding im selben, anthropologisch körpernahen Raum.8 Das ›Netz‹ der Netzwerke be- zeichnet hingegen meist kleinste Räume oder größere Territorien. Sie entziehen sich dem unmittelbaren Zugriff des Einzelnen mehr, als dies der zirkulierende Ball im Spiel tut. Zugleich bleibt man umso stärker darauf angewiesen, an ihnen teilzuhaben. Gegenwärtig ist die Materialisierung von Verbindungen durch tex- tile Strukturen zur gängigen Praxis in der bildenden Kunst geworden.9 Das nicht verfügbare Netz des Netzwerkes kann man in großflächigen Installationen sehen und anfassen, die Metapher des Netzwerks wird 7 Vgl. Serres: Der Parasit, S. 344 f; Serres: Der Naturvertrag, S. 175 f. 8 Vgl. Serres: Der Parasit, S. 348. 9 Vgl. Gunnar Schmidt: Ästhetik des Fadens. Zur Medialisierung eines Materials in der Avantgardekunst. Kultur- und Medientheorie. Bielefeld: transcript, 2007, Gelshorn und Weddigen: »Das Netzwerk. Zu einem Denkbild in Kunst und Wissenschaft« und viele Bei- träge der Venediger Biennale 2009. Insbesondere die Arbeiten von Tomás Saraceno betonen materialisierte Netze als generelle Umweltbedingung. Vgl. Tomás Saraceno: Cloud Cities. Hrsg. von Marion Ackermann u. a. Berlin: Distanz, 2011. Zwischenraum (Maschen) – Heterarchie – Dichte 121 darin verkörpert und zum Teil rematerialisiert und demetaphorisiert. Handhabbar werden Netzwerke aber bevorzugt durch Visualisierungen, die in Diagrammen und Karten ihren Ausdruck finden. Die Frage, welche Bildform sie annehmen, bringt die Objektreferenz immer mit ins Spiel. Materielle und visuelle Kultur treffen und bedingen sich; sie sind über Sichtbarmachungen als Spuren von kollektiven Praktiken und Wünschen lesbar. Agiert man wie die Spinne im eigenen Netz mit einem beweglichen Akteurszentrum? Oder wirft man ein territoriales Netz zur Raumbeherrschung aus, das in Konkurrenz zu den Netzen anderer steht, aber Anschluss an diese gewähren muss? Objektreferenz und Bildstatus von Netzwerken werfen Fragen auf; die analytische Beobachtung von Netzwerken, ihren Praktiken, Berechnungen und Visualisierungen geht meist von einer Krise oder einem Problem aus.10 Nahezu immer provoziert sie machtanalytische Fragen, die durch den Einsatz von Netzwerkmacht als hegemonialer politischer und ökonomischer Technik hervorgerufen werden. Während in der antiken Ikonografie der Macht das magische Netz Gleichheit im Gefangensein beschwört, produziert die heute meist positiv bewertete Teilhabe an einem sozialen Netzwerk größtmögliche soziale Inklusion, mit der aber starke Exklusionseffekte einhergehen können. Der Gleich- heit der Akteure stehen dabei jene Maschen gegenüber, deren konstitu- tive Zwischenräumlichkeit in dinghafter und bildlicher Repräsentation von Netzen stets vorhanden ist – und doch zumeist übersehen wird. 3.2 Zwischenraum (Maschen) – Heterarchie – Dichte Netze als Objekte, die in diagrammatischer Form repräsentiert werden, und Netzwerke als relationale kulturelle Praxis konstituieren sich durch den Zwischenraum, den sie freilassen und doch einfangen.11 Dingliche Fangnetze gewinnen durch Maschen ihre Handhabbarkeit und Nütz- lichkeit als Instrument. Im gezeichneten Netzwerkdiagramm zeigt sich der Zwischenraum in den weißen Flächen, die weder Punkt noch Linie sind. Gebaute territoriale Netze kreieren unweigerlich Räume, die sich zwischen ihren Verbindungen und Knoten befinden. Die erstaunliche Leidenschaft für die Konnektivität und das Verbin- dende, durch die sich Netzwerkpraktiken und -theorien auszeichnen, 10 Vgl. Belliger und Krieger: »Einführung in die Akteur-Netzwerk-Theorie«, S. 40, S. 44. 11 Vgl. Friedrich: »Vernetzte Zwischenräume«. 122 Das Archiv der Netzwerkgeschichte lenkt die Aufmerksamkeit von diesen Phänomenen des Umfangens, aber auch des Nicht-Anschließens fort. Das Dazwischen, der mediale Zwischenraum, ist nach einem pointierten Aristoteles-Kommentar Wolf- gang Hagens ein »Unbegriff«. Es steht für einen unmarkierten Raum des Dazwischenliegenden, ohne den Wahrnehmung unmöglich ist.12 Der Verweis auf das aristotelische to metaxy,13 in dem das Umgebende zum entscheidenden Merkmal des Ortes wird, flackert immer wieder in den kulturwissenschaftlichen Diskussionen um die Medialität der Netzwerke auf.14 Das Umgebende sind nicht nur die Verbindungen eines Netzwerks, sondern ebenso seine Nicht-Verbindungen. Unbegreiflich ist aber der durchlässige Raum der Netzwerke nicht ganz; sein symbolischer Gehalt bleibt der Materialität verpflichtet. So braucht das textile Netz die Masche zwischen den geschlungenen Knoten. Es handelt sich dabei, um die mittelalterliche Bezeichnung für Netze und Garne aufzunehmen, um »lichtes Zeug«, in dem der dingliche Zwischenraum ebenso nützlich wie sichtbar ist.15 Der Bildstatus – und damit die Wahrnehmbarkeit visualisierter Netzwerke – ist zudem ohne flächig-leeren Raum zwischen den Punkten nicht denkbar. Was im Falle der grafischen Netzkonstruktion auf dem Papier als Selbstverständlichkeit erscheint, gliedert und kerbt vernetzte Stadt-, Land- und Lufträume. Maschen entstehen als Ansammlung von Orten des partiellen Nicht-Anschlusses. Je nach geografischer Weite schaffen sie mit ihren Zwischenräumen neue Modi der In- und Ex- klusion, mögliche und unmögliche Vermittlungen. Zwischenräume der Netzwerke sind auch in den elektronischen Weiten des Internets nicht leer; der Zwischenraum ist kein Nicht-Raum. Seine Maschen verleihen ihm in der Geografie eine topografische Größe und in der Virtualität eine topologische Relation. 12 Vgl. Wolfgang Hagen: »Metaxy. Eine historiosemantische Fußnote zum Medienbegriff«. In: Was ist ein Medium? Hrsg. von Stefan Münker und Alexander Roesler. stw 1887. Frankfurt am Main: Suhrkamp, 2008, S. 13−29, hier S. 23. 13 Vgl. Aristoteles: Über die Seele. Hrsg. von Horst Seidl. Hamburg: Meiner, 1995, 406a30, 419a20, 421b9, 422b22, 423a15, 423b26, 434b28, 435a16. Horst Seidl übersetzt nach W. Theiler in dieser Ausgabe durchgehend, wie seit Thomas von Aquin gebräuchlich, to metaxy mit »Medium«. Vgl. neben Hagen dazu die Beiträge in Friedrich Kittler und Ana Ofak, Hrsg.: Medien vor den Medien. Kulturtechnik. München: Fink, 2007. 14 Vgl. Böhme: »Netzwerke. Zur Theorie und Geschichte einer Konstruktion«, S. 21. Vgl. auch Walter Seitter: Die Physik der Medien. Materialien, Apparate, Präsentierungen. Weimar: Verlag und Datenbank für Geisteswissenschaften, 2002, S. 23, S. 32. 15 Vgl. Sigrid Schwenk: Zur Terminologie des Vogelfangs im Deutschen. Eine sprachliche Untersuchung aufgrund der deutschen didaktischen Literatur des 14. bis 19. Jahrhunderts. Clausthal-Zellerfeld: Bönecke-Druck, 1967, S. 69 f. Siehe auch Lindner: Geschichte des deutschen Weidwerks II. Die Jagd im frühen Mittelalter. Organisation – Protokoll 123 Als weitere wichtige Eigenschaft von Netzwerken gilt ihre Hete- rarchie. Entgegen einer hierarchischen Ordnung wird damit ein zwi- schenräumliches Prinzip benannt, mit dem stets auf den benachbarten Knoten, also gewissermaßen »daneben« gezielt wird (heteros: der Andere, der Nachbar; archein: herrschen). Seit der Neurophysiologe Warren McCulloch den Begriff 1945 zur Beschreibung von neurona- len Schaltungen eingeführt hat, benennt er Phänomene dezentraler Organisation und Selbstorganisation. Heterarchie, die auch mit und in hierarchischen Strukturen existieren kann, stellt eine Möglichkeitsbe- dingung des Wachstums und der Verdichtung von Netzwerken dar. Sie beruht auf einem Reichtum an Zwischenverbindungen, aus dem nicht vorhersagbare Effekte für das Gesamtsystem entstehen.16 Statt einzel- ner hierarchischer Entscheidungen oder Verbindungen gibt es in einer Heterarchie immer noch einen Weg über einen weiteren Knoten – eine Organisationsform, die durch nachbarschaftliche Verdichtung sehr widerstandsfähige Topologien entstehen lassen kann. Durch das Verhältnis von Orten und Verbindungen etabliert sich schließlich die Dichte eines Netzwerkes. Im Gegensatz zum unbegriff- lichen Zwischenraum ist ›Dichte‹ auch in der quantitativen Netzwerk- theorie fester Bestandteil der Terminologie. Sie ist sowohl für einzelne Knoten, Gruppen bzw. Cluster wie für das gesamte Netzwerk messbar und beziffert das Verhältnis der tatsächlichen Verbindungen zu den möglichen Konnexionen. Je näher die Menge der Links an die maximal mögliche Zahl von Verbindungen rückt, desto größer wird die Dichte. Über dieses quantifizierende, gewissermaßen physikalische Maß an Kopplung hinaus beeinflusst sie die Organisation und Selbstorganisation eines Netzwerkes, das sich aus zwischenräumlich verfasster Relationa- lität und dynamischer Dichte konstituiert. 3.3 Organisation – Protokoll Netzwerke basieren auf einfachen Elementen, deren vielfältige Inter- aktionen ohne zentrale Steuerung komplexe Strukturen erzeugen. Die Verbindung zu biologischen Begriffen der Selbstorganisation respektive 16 Vgl. Warren S. McCulloch: »Eine durch die Topologie der Nervennetze bestimmte Hete- rarchie von Werten«. In: Verkörperungen des Geistes. Computerkultur VII. Wien; New York: Springer, 2000 [1945], S. 41−46, hier S. 44. Vgl. auch generell Heinz von Foerster und Bernhard Pörksen: Wahrheit ist die Erfindung eines Lügners. Gespräche für Skeptiker. 4. Aufl. Heidelberg: Carl Auer, 2001, S. 86 f. 124 Das Archiv der Netzwerkgeschichte Autopoiesis, Evolution und Emergenz liegt daher nahe und wird in der Netzwerktheorie nach dem Vorbild der Systemtheorie immer wieder bemüht. Wissenshistorisch stellt sich dies als ein Erbe der Kyberne- tik – und hier vor allem der Kybernetik zweiter Ordnung in den 1960er Jahren – dar. Deren radikale informationstheoretische Gleichsetzung von biologischen, sozialen und technischen Phänomenen hallt nicht nur in den gegenwärtigen Medienkulturen nach, sondern hat auch die Entwicklung von Netzdiagramm und -kalkül als universell anwendbares visuelles Modell der Netzwerke beflügelt. Die Faszination der »Algo- rithmen der lebendigen Welt« (François Jacob) war dabei so stark, dass man der Molekularbiologie und Neurophysiologie nicht nur Begriffe wie ›Zweck‹, ›Organisation‹ oder auch ›Harmonie‹ entlehnte.17 Sie sorgte dafür, dass ein Computerwissenschaftler wie Paul Baran seinen Kollegen McCulloch in bester Absicht fragen konnte, wie viele Knoten ein Netz aus neurophysiologischer Sicht brauche, um ausfallsicher zu sein.18 Auf der Ebene des informationstheoretischen Modellierens mag ein solcher Übertrag gelingen. Ob soziotechnische Netzwerke, deren emer- gente Qualitäten unbestritten sind, selbstorganisiert und selbstorgani- sierend arbeiten und Ausfälle ähnlich wie das Gehirn zu kompensieren vermögen, ist hingegen zweifelhaft. Viel eher zeigt sich an alltäglichen Störungen und selteneren Zusammenbrüchen, dass Selbstorganisation den Wunschzustand der Organisation darstellt. Keine Netzwerkgesell- schaft kommt, wenn man so will, ohne Bodenhaftung, ohne Pflege ihrer Strukturen und Revision ihrer Grundlagen aus.19 Ein Begriff, mit dem sich die Entstehung und Organisation von Netzwerken pragmatisch und machtanalytisch fassen lässt, ist der des Protokolls. Dieses stellt Vorschriften und Skripte bereit, an denen sich das Handeln in Netzwerken orientiert und ausrichtet. Wer Teil eines Netzwerks sein will, sollte sich auf dessen informelle wie formelle Anforderungen einstellen. Netzwerke können auf mehreren interagie- renden Protokollen beruhen. Im Falle des Internets ist dies technische 17 Gleichzeitig erfasste die Informationstheorie die Biologie – eine veritable Überkreuzung, die Evelyn Fox Keller eindrucksvoll dargestellt hat. Vgl. Evelyn Fox-Keller: Das Leben neu denken. Metaphern der Biologie im 20. Jahrhundert. München: Antje Kunstmann, 1998, S. 115 f. 18 Vgl. Katie Hafner und Matthew Lyon: Where Wizards Stay Up Late. The Origins of the Internet. New York: Touchstone, 1998, S. 56 f. Siehe auch Jochen Koubek: »Vernetzung als kulturelles Paradigma«. Diss. HU Berlin, 2003. http://edoc.hu-berlin.de/dissertationen/ koubek-jochen-2003−02−10/HTML/index.html, S. 59. 19 Vgl. Jörg Potthast: Die Bodenhaftung der Netzwerkgesellschaft. Eine Ethnografie von Pannen an Großflughäfen. Science Studies. Bielefeld: transcript, 2007. Switching – Vermittlung 125 Bedingung der Möglichkeit von Übertragungen: Das p in http steht für protocol. Aber obwohl der Charakter als Vorschrift etymologisch leicht herzuleiten ist – im Griechisch-Byzantinischen verweist prōtokollon auf das erste, den amtlichen Papyrusrollen und Schriftrollen vorgeleimte Blatt mit chronologischen Angaben über die Entstehung sowie den Verfasser des Schriftstücks – sind Protokolle immer das Ergebnis sozi- aler Aushandlungen. Diese werden nach informellen Anfängen zu verbindlichen Codes, ganz wie in der höfischen Kultur oder in der Diplomatie, in der das sprichwörtliche Protokoll als Gesamtheit der Bestimmungen über den Ablauf eines diplomatischen Zeremoniells fungiert.20 Protokolle stellen eine Grammatik dar, welche zur Grundlage der Organisation und des möglichen Verhaltens in einem Netzwerk wird. Sie ermöglichen die Kontrolle, indem sie auch in einem heterogenen materiellen Milieu, in dem die Handlungsmacht verteilt ist, steuernd wirken.21 Machtanalysen von Netzwerkbildung und -beherrschung setzen oft an den sozialen und technischen Codes an, die in Protokolle eingelassen werden. Dabei besteht zwischen deren Vorschriftcharakter, Kontrolleffekten und den Praktiken im Netzwerk kein strikt deterministischer Zusammenhang.22 Trotz des formalen Charakters von Protokollen stellen sie vor allem eine modifizierbare Grammatik bereit, die den mannigfaltigen Operationen zugrunde liegt. 3.4 Switching – Vermittlung Netzwerke benötigen Orte und Akteure, die privilegiert vermitteln. Wenn Handlungsmacht in verteilter und heterarchischer Form vorliegt, so heißt dies nicht, dass alle Agenten auf Dauer gleichberechtigt wären. Im Gegenteil, es bilden sich fast immer zentrale Knoten aus. Manuel Castells hat dieses Phänomen mit dem plastischen, aber schwer übersetz- baren Begriff der »nodality« – einer verteilten Bildung einflussreicher 20 Vgl. Pfeifer: Etymologisches Wörterbuch des Deutschen, S. 1052. Siehe auch Kapitel 9 dieses Buches zur Genealogie des Begriffs. 21 Vgl. Alexander Galloway: Protocol. How Control Exists after Decentralization. Cambridge, MA; London: MIT Press, 2004, S. 8. 22 Vgl. zur Veränderbarkeit und Dynamik von Protokollen Lisa Gitelman: Always Already New. Media, History, and the Data of Cultures. Cambridge, MA; London: MIT Press, 2006, S. 5 f. 126 Das Archiv der Netzwerkgeschichte Knoten – charakterisiert.23 In der quantitativen Netzwerkanalyse wird im Falle solcher Konzentrationen, die bis zur Bildung von Quasi-Mono- polen reichen, von skalenfreien Netzwerken gesprochen. Entscheidend ist aber, dass denjenigen Akteuren, die strategische Punkte besetzen, das Switching als Schalten und Kanalisieren von Finanz-, Daten- und Verkehrsströmen obliegt.24 Es stellt die Art und Weise, kurzum: den Stil dar, mit dem in Netzwerken politisch, organisatorisch und technisch geschaltet und umgeschaltet wird. Switching ist zunächst, wie etwa in den von Hand betriebenen Tele- fonvermittlungen, konkrete Praxis.25 Vermittelt wird von Akteuren und Aktanten, menschlichen wie nicht-menschlichen Entitäten. Vermittler, Mittel und Zweck existieren – unberechenbarerweise – zur selben Zeit. Auf diese Art und Weise wirken sie sich auf das soziale Gewebe aus.26 Die Akteur-Netzwerk-Theorie widmet sich deshalb vor allem den Prozessschritten, mit denen und durch die vermittelt wird. Vermittlung findet so fortwährend in Operationsketten statt, die sich durch eine eigene Medialität der Übersetzung auszeichnen.27 Vermittlungsprozesse generieren und modifizieren gewissermaßen die Skripte, die zu Proto- kollen eines Netzwerkes werden. Als fortwährender Übersetzungsprozess zwischen materiellen, medi- alen und sozialen Gegebenheiten ist Vermittlung ein Prinzip, das über das konkrete Switching einzelner Akteure und Aktanten, aber auch die begriffliche Vermittlung in der Philosophie hinausgeht. Durch das Vermitteln wird erst das netzförmige Kollektiv versammelt, das wir so gerne ›Netzwerk‹ nennen. Fortwährende Vermittlung bestimmt dessen Morphologie und bedingt seine Organisation und Lebensdauer: »Ein Netzwerk beginnt sich zu formen, sobald drei Akteure durch Vermittler zusammengefügt werden.«28 Eine allgemeine Netzwerktheorie würde 23 Manuel Castells: The Internet Galaxy. Reflections on the Internet, Business, and Society. Oxford; New York: Oxford University Press, 2001, S. 228. 24 Vgl. Castells: The Rise of the Network Society, S. 502. 25 Siehe Kapitel 5 dieses Buches. 26 Bruno Latour: »Über technische Vermittlung. Philosophie, Soziologie und Geneaologie«. In: ANThology. Ein einführendes Handbuch zur Akteur-Netzwerk-Theorie. Hrsg. von Andréa Belliger und David J. Krieger. Bielefeld: transcript, 2006, S. 483−528, hier S. 513. 27 Vgl. Erhard Schüttpelz: »Der Punkt des Archimedes. Einige Schwierigkeiten des Denkens in Operationsketten«. In: Bruno Latours Kollektive. Kontroversen zur Entgrenzung des Sozi- alen. Hrsg. von Georg Kneer, Markus Schroer und Erhard Schüttpelz. stw 1862. Frankfurt am Main: Suhrkamp, 2008, S. 234−258. 28 Michel Callon: »Techno-ökonomische Netzwerke und Reversibilität«. In: ANThology. Ein einführendes Handbuch zur Akteur-Netzwerk-Theorie. Hrsg. von Andréa Belliger und David J. Krieger. Bielefeld: transcript, 2006, S. 309−342, hier S. 325. Fluktuation – Synchronisation 127 alle Vermittler integrieren. In der Regel beschränkt die Akteur-Netzwerk- Theorie jedoch ihre Zahl in Abhängigkeit vom jeweils beschriebenen Netzwerk und dessen Übersetzungsformen. Diese werden in Gestalt von technischen Objekten, involvierten Körpern und Geldströmen beschreib- und erzählbar.29 Vermittlung gelingt nicht automatisch, sie findet immer im Ange- sicht von Fluktuation und Störung statt. Ob zwischen Akteuren und Aktanten ein Netzwerk entsteht, hängt von den jeweiligen Handlungen ab: Manchmal lassen die Übersetzungsketten ein Netzwerk entstehen, manchmal nicht.30 3.5 Fluktuation – Synchronisation Netzwerke bilden spezifische Zeitregime aus. Dies betrifft nicht nur ihre soziotechnischen Operationsketten, aus deren Überlagerung und raum- zeitlicher Anordnung stabilisierte Formen der Organisation entstehen. Als dynamische Entitäten und relationale Konfigurationen fluktuieren Netzwerke jedoch fortwährend. Der polnische Arzt und Wissenschafts- theoretiker Ludwik Fleck hat dies sprachlich prägnant festgehalten. In der Verknotung von Ideen, so Fleck, entsteht ein fixer Punkt, der zum Ausgangspunkt neuer Linien wird. Es bilden sich immer neue Knoten, die alten Knoten verändern sich. Resultat ist »[e]in Netzwerk in fort- währender Fluktuation: Es heißt Wirklichkeit oder Wahrheit.«31 Flecks Bemerkungen sind zwar auf sprachlich-diskursive Phänomene und die Assoziation von Ideen bezogen. Sie betreffen aber allgemein die unein- heitliche Entfaltung von Netzwerken in der Zeit – eine Entfaltung, die vielfältige Zeit- und Transformationsformen vereint. Zu Recht ist deshalb in verschiedenen Spielarten der Netzwerktheorie die dominante Tendenz zur rein räumlichen Auffassung immer wieder kritisiert worden.32 Selbst ein Netzwerkphilosoph par excellence wie Michel Serres bringt ihr angemessene Skepsis entgegen: 29 Vgl. Callon: »Techno-ökonomische Netzwerke und Reversibilität«, S. 319. 30 Persönliche Nachricht von Michel Callon, E-Mail vom 28. August 2012. Dies geht zurück auf die Pointe in Michel Callon: »Einige Elemente einer Soziologie der Übersetzung. Die Domestikation der Kammmuscheln und der Fischer der St. Brieuc-Bucht«. In: ANThology. Ein einführendes Handbuch zur Akteur-Netzwerk-Theorie. Hrsg. von Andréa Belliger und David J. Krieger. Bielefeld: transcript, 2006, S. 135−174. 31 Ludwik Fleck: Entstehung und Entwicklung einer wissenschaftlichen Tatsache. Einführung in die Lehre vom Denkstil und Denkkollektiv. Hrsg. von Lothar Schäfer. Frankfurt am Main: Suhrkamp, 1993, S. 105. Hervorhebung SG. 32 Vgl. Galloway und Thacker: The Exploit. A Theory of Networks, S. 33. 128 Das Archiv der Netzwerkgeschichte Die Netze, selbst wenn man ihnen die Idee der virtuellen Bahnung hin- zufügt, hinterlassen ein Bild im Raum, das fast zu stabil ist. Doch wenn man es in die Zeit versetzt, wird dieses Netz selbst fluktuieren, sehr instabil werden und sich ständig verzweigen.33 Die Entfaltung von Netzwerken in der Zeit geht immer mit tendenzieller Instabilität einher. Mit dem Begriff der Fluktuation lässt sich diese nur annähernd beschreiben. Handelt es sich um die vielfache schnelle so- ziale Repositionierung und Anpassung an eine Situation? Oder um die Verlaufsformen von Verkehrs- und Datenströmen? Welchen Charakter die Fluktuation im Falle eines Netzwerkes annimmt, lässt sich nur im Einzelfall genau bestimmen. Ob aus den stetig fluktuierenden Überset- zungen schließlich irreversible, dauerhafte Verbindungen zwischen Ak- teuren entstehen, spielt für die Organisation wie für die Selbstreflexion soziotechnischer Netzwerke eine zentrale Rolle.34 Protokollen obliegt als Grammatiken von Netzwerken auch eine Ord- nungsfunktion in der Zeit. Gegen die Tendenz zur fluktuierenden He- terochronie steht eine uhrzeitgenaue Taktung und Synchronisation der Zirkulation. Wird die Organisation eines Netzwerkes in der Zeit gestört, hat dies handfeste Folgen: Anschlusszüge werden nicht erreicht, Daten- und Warenströme unterbrochen, Zellwachstum gestoppt, Schwärme aus ihrer gemeinsamen Bewegungsformation gerissen. Synchronisation erweist sich so auf Dauer als schwer erreichbarer Wunschzustand, dem – jenseits rein biologischer Systeme – die strategische Arbeit am soziotechnischen Netzwerk gilt. Mit Synchronisation wird versucht, günstige Formen für die Fluktuation von Netzwerken zu finden.35 Synchronisation setzt teils erhebliche Koordinationsleistungen vo- raus, man denke etwa an die telegrafische Übertragung der Uhrzeit, die letztendlich zur globalen Vereinheitlichung und Untergliederung der Weltzeit führte.36 Das Projekt der industriellen Moderne lässt sich insgesamt als umfassender Versuch verstehen, Synchronie und Gleich- 33 Michel Serres: Aufklärungen. Fünf Gespräche mit Bruno Latour. Berlin: Merve, 2008, S. 164. 34 Vgl. Callon: »Techno-ökonomische Netzwerke und Reversibilität«, S. 331 f. 35 Siehe hierzu generell Niklas Luhmann, bei dem Synchronisation das Medium Zeit zu For- men bindet (time binding) und versucht, günstige Formen zu finden. Vgl. Niklas Luhmann: »Gleichzeitigkeit und Synchronisation«. In: Soziologische Aufklärung 5. Konstruktivistische Perspektiven. 2. Aufl. Wiesbaden: Westdeutscher Verlag, 1993, S. 95−130, hier S. 118. 36 Vgl. James T. Fraser: Time, the Familiar Stranger. Amherst: University of Massachusetts Press, 1987, S. 310 f.; Peter Galison: Einsteins Uhren und Poincarés Karten. Die Arbeit an der Ordnung der Zeit. Frankfurt am Main: Fischer, 2003. Aufpfropfung – Transformation 129 zeitigkeit miteinander zur Deckung zu bringen.37 Infolgedessen wird im 20. Jahrhundert das zeitliche Management räumlicher Verbindungen immer wichtiger, sei es im Verkehr oder in der Banken- und Börsen- vernetzung. Takt, Gleichzeitigkeit und Synchronisationszustände variieren je nach dem spezifischen Charakter eines Netzwerkes. Generell kann man sagen, dass Synchronisation die Rhythmen von vernetzten Ope- rationen einander anpasst und dafür (idealiter) vergleichsweise wenig Interaktion benötigt.38 Gelungene Synchronisation ist zugleich gelungene Vermittlung, die in soziotechnischen Netzwerken auch einen Macht- faktor darstellen kann. Gegenüber Synchronisationsstrategien machen sich Taktiken hingegen Lücken und Zeitzwischenräume zunutze: Der asynchrone Guerillakrieg liefert in fortwährender Fluktuation jenes unberechenbare Maß an Selbstorganisation, das selbst hochtechnisierter Netzwerkkrieg nicht erreicht. Zeitregime von Netzwerken müssen nicht notwendigerweise Rhythmen gleichschalten: Ihre Entfaltung gelingt teilweise durch gezielte Asynchronität oder die richtige Balance von Synchronisation, Asynchronisation und Resynchronisation. 3.6 Aufpfropfung – Transformation Netzwerke folgen historisch aufeinander, aber ebenso schieben sich Netze fortwährend ineinander und pfropfen sich einander auf. Der Telegraf folgt dem Ausbau der Eisenbahn – aber auch Eisenbahnen werden in Relation zu den Telegrafenmasten gebaut. Pfropfung stellt über die Landwirtschaft hinaus eine Kulturtechnik der Steigerung und Steuerung dar.39 Sie kennzeichnet den zeitlichen Verlauf des Entstehens von soziotechnischen Netzwerken als allmählicher Überformung eines Territoriums, das zum Milieu des Austauschs wird. »Ein Kanal situiert sich neben dem anderen, lagert sich an, pfropft sich auf bereits beste- hende auf, um so seinerseits beiläufig zu einer dichteren Vernetzung 37 Vgl. Kassung: Das Pendel. Eine Wissensgeschichte, S. 318. Siehe ebd., S. 116 f., zum Ver- hältnis von Gleichzeitigkeit und Synchronie. 38 Im Anschluss an Arkady Pikovsky, Michael Rosenblum und Jürgen Kurths: Synchroniza- tion. A Universal Concept in Nonlinear Sciences. Cambridge Nonlinear Science Series 12. Cambridge; New York u.a: Cambridge University Press, 2001, S. 8. Selbstsynchronisation ist das angestrebte Optimum. Vgl. Kaufmann: »Netzwerk«, hier S. 187. 39 Vgl. Uwe Wirth: »Kultur als Pfropfung. Pfropfung als Kulturmodell. Prolegomena zu einer allgemeinen Greffologie (2.0)«. In: Impfen, Pfropfen, Transplantieren. Hrsg. von Uwe Wirth. Wege der Kulturforschung 2. Berlin: Kadmos, 2011, S. 9−27, hier S. 15. 130 Das Archiv der Netzwerkgeschichte beizutragen.«40 Anders gesagt: Kein Netzwerk steht für sich allein. Es entsteht zumeist aus existierenden Elementen und Strukturen, die es in neue Relationen münden lässt. Die Kopplung eines Netzwerkes mit einem weiteren kann, auch teilweise, zu Aufpfropfungen einzelner Teile führen. Ebenso ist eine komplette Übernahme möglich, welche die Ur- sprungsschicht nahezu zum Verschwinden bringt. Aufpfropfung mar- kiert aber auch einen Modus des Parasitären, eine Übernahme von Netz- werken durch andere Agenten: Ausgeschlossene Dritte, vom Hacker bis zum Terroristen, bedienen sich jenseits des Protokolls der Verbindungen der anderen, um ihren eigenen Vermittlungen Geltung zu verschaffen.41 Aufpfropfung ist ein möglicher Modus der Transformation von Netz- werken. Wie verändern sich diese in der Zeit – historisch, topologisch, in ihren Machtverhältnissen? Transformationen vollziehen sich nicht plötz- lich, sondern charakterisieren mittel- bis langfristige Entwicklungen. Sie stellen energetische Figuren des kollektiven Übergangs und der Passage, auch der politischen translatio imperii, dar.42 Transformationsprozesse können sich der Tektonik von Umbruchssituationen verdanken oder durch eine gewisse Allmählichkeit auszeichnen.43 Mit ihnen gehen eine Rekonfiguration der Organisation eines Netzwerkes, Veränderungen im Protokoll oder Prozesse der Asynchronisation und Resynchronisation einher. Augenfällig werden Transformationen oft durch Veränderungen im Bildstatus: Mittel- und langfristige Veränderungen erschließen sich durch Lektüre und Vergleich von Netzwerkkartierungen. Was verändert sich in Transformationen? Auf einer abstrakten Ebene wandelt sich vor allem die Topologie eines Netzwerks, also die räumliche Relation der Knotenpunkte. Dazu gehört auch die Frage der Konnektivität: Was wird wie verbunden und wer steht innerhalb oder außerhalb des Netzwerks? Transformiert wird auch die Zeitlichkeit des Netzwerks, z. B. dessen Tendenzen zum synchronen oder asynchronen Austausch. 40 Markus Krajewski: Restlosigkeit. Weltprojekte um 1900. Frankfurt am Main: Fischer, 2006, S. 38. 41 Vgl. zur Denkfigur des Parasiten als Experten der Aufpfropfung auf bestehende Beziehungen Serres: Der Parasit, S. 64 f. 42 Es ist kein Zufall, dass die Transformationstheorie ihre Heimat vor allem in der Politikwis- senschaft hat. Vgl. demgegenüber als kulturwissenschaftlichen Ansatz Böhme u. a., Hrsg.: Transformation. Ein Konzept zur Erforschung kulturellen Wandels. 43 Vgl. für eine weitergehende Typologie kultureller Transformationsprozesse Bergemann u. a.: »Transformation. Ein Konzept zur Erforschung kulturellen Wandels«, ebd. Störung – Zusammenbruch 131 Im Gegensatz zur materiellen Aufpfropfung markiert die Beschrei- bung von Transformationen den Versuch, einen Beobachtungsstand- punkt erster, gegebenenfalls auch zweiter Ordnung gegenüber Netz- werken zu gewinnen. Die Perspektivierung von Veränderungsprozessen langer Dauer entdramatisiert dabei die Erzählung des Werdens und Vergehens: »Betrachtet man die moderne Welt oder die Revolutionen da- gegen als Netzwerke, so sieht man, dass sie kaum mehr ermöglichen, als die Praktiken ein wenig zu erweitern, die Zirkulation der Erkenntnisse leicht zu beschleunigen, die Gesellschaften etwas auszudehnen, die An- zahl der Akteure minimal zu vergrößern, die alten Glaubensformen ein wenig zu modifizieren.«44 Trotzdem sollte man Transformationsprozesse hinsichtlich des Veränderungspotenzials nicht unterschätzen: Oft sind es Einschnitte und Krisen, die zur Reflexivierung und Neuausrichtung des Handelns durch die beteiligten Akteure eines Netzwerks führen. 3.7 Störung – Zusammenbruch Netzwerke enden. Und sie tun dies, obwohl ihre verteilte Struktur Aus- fälle, radikale Transformationen, endgültige Ab- und Zusammenbrüche kompensieren soll. Mitunter sind sie gestört – weil dem Protokoll nicht gefolgt wurde, Vermittlungsvorgänge fehlgegangen, Zeitregime nicht mehr zu synchronisieren sind. Netzstörungen lassen die Materialität des zugrunde liegenden physischen oder kommunikativen Netzes auf unangenehme Art und Weise spürbar werden. In ihnen erscheinen die Grenzen dessen, was Akteuren an Verbindungsmöglichkeiten offensteht. Die Reichweite von Netzwerken als Kulturtechnik wird so, sehr allgemein formuliert, in genau denjenigen Momenten sicht- und hörbar, in denen ihre selbstverständliche Gegebenheit auf dem Spiel steht und sich die Aufmerksamkeit den Dysfunktionalitäten zuwendet.45 Was aber wären netzspezifische »Signale der Störung«?46 Zunächst sind Störungen im Netzwerk immer räumlich lokal, um sich in der Folge zu verteilen: Ein Knoten vermittelt nicht, Verbindungen werden zerschnitten, Flüsse 44 Latour: Wir sind nie modern gewesen, S. 67. 45 Vgl. Geert Lovink: The Principle of Notworking. Concepts in Critical Internet Culture. Amsterdam: HVA Publicaties, 2005; Tony D. Sampson und Jussi Parikka: »Learning from Network Dysfunctionality. Accidents, Enterprise, and Small Worlds of Infection«. In: A Companion to New Media Dynamics. Hrsg. von John Hartley, Jean Burgess und Axel Bruns. Oxford u. a.: Blackwell, 2013, S. 450−460. 46 Vgl. Albert Kümmel und Erhard Schüttpelz, Hrsg.: Signale der Störung. München: Fink, 2003. 132 Das Archiv der Netzwerkgeschichte unterbrochen, ganze Maschen fallen aus. Wenn dabei die systemische Stabilität zu sehr ins Wanken gerät, kann es zum Zusammenbruch kommen. Netzstörungen sind immer mit einem Verlust von Konnek- tivität behaftet, der in Netzwerkgesellschaften spezifische Formen der Angst hervorbringt.47 Dies betrifft nicht nur die Infrastrukturfunktion technischer Netzwerke, sondern insbesondere auch weitgehend imma- teriell verfasste Kommunikation – man denke an den algorithmischen Handel der Finanzmärkte oder aber die Verteilung von Computerviren. Die räumlich verteilte Struktur von Netzwerken rechnet gewissermaßen mit der Störung und dem lokalen Ausfall von Knoten, aber sie kann gerade zeitliche Dissoziationen und Verwerfungen nicht verhindern. Negative Dynamiken, z. B. unerwünschtes Feedback und kakophone Resonanzen als ungeliebte Netzwerkeffekte sind die Regel – auch wenn sie nicht immer offen zutage treten, da ihre Bewältigung über Resynchronisierungsprozesse integral zur systemischen Stabilität vieler Netzwerke gehört. Störungen entstehen zudem insbesondere aus Interaktionen; der temporäre Ausfall eines Netzwerkes führt zu Störungen im nächsten, die wiederum ein drittes interagierendes Element betreffen. Die sich überlagernden und verschalteten Operationsketten soziotechnischer Vernetzungen sind anfällig für aufeinander folgende Störungen, die vor allem die zeitliche Entfaltung von Netzwerken betreffen. Meist sind es kleine Ereignisse, die die Ströme nachhaltiger unterbrechen, als es spektakuläre Phänomene tun: So stören systeminterne Krisen in der Gepäckabfertigung auf lange Sicht den Fluss des Luftverkehrs mehr als der vereinzelte Ausbruch isländischer Vulkane.48 Störungen sind alltäglich, ebenso wie sie konstitutiv für die Entste- hung neuer Ordnungen sind.49 Im Gegensatz dazu steht am Ende der Netzwerke der Zusammenbruch. Er ist wiederum eine Frage der Zeit. Die Hackersprache der 1980er Jahre hat dafür die Wendung des »net- work meltdown« erfunden, welche die netzwerktechnischen Störungs- kaskaden mit der Wucht und dem Charakter des atomaren Störfalls als größtmöglicher Katastrophe verbindet.50 Zu viel Verkehr, d. h. zu viele 47 Vgl. Sebastian Gießmann: »Netzstörungen. Erzählungen vom Ende der Netzwerke«. In: Störfälle. Zeitschrift für Kulturwissenschaften 2 (2011), S. 125−133. 48 Vgl. Potthast: Die Bodenhaftung der Netzwerkgesellschaft, S. 187 f. 49 Vgl. Kümmel und Schüttpelz: Signale der Störung, S. 9. 50 Vgl. Eric S. Raymond: The New Hacker’s Dictionary. 2. Aufl. Cambridge, MA; London: The MIT Press, 1997, S. 323 f. Störung – Zusammenbruch 133 übermittelte Datenpakete, verursacht diese Form virtueller Kernschmel- ze. Der Begriff ist paradox; er adressiert nicht etwa eine lang anhaltende Verstrahlung, sondern eine temporäre absolute Störung, die aufgrund von Überlastung in Form einer zu hohen Dichte des Netzwerks entsteht. Ebenso suggeriert er die Möglichkeit eines totalen Zusammenbruchs, nach dem ein Netzwerk nicht einfach transformiert in veränderter Form weiter existieren kann. Die Frage nach Möglichkeit und gewünschter Unmöglichkeit des Zusammenbruchs stellt sich so weniger als rein technisches Problem. In ihrer – nicht nur hier – naturalisierten Form zielt sie auf das Schicksal derjenigen menschlichen Kollektive, die mit ihren eigenen Ängsten umgehen. Was hält ein Netzwerk zusammen? Seine nichtmenschlichen Ei- genschaften stellen, trotz allem, nur einen Teil dar. Zerschnitten wird ein Netzwerk, so die britische Anthropologin Marilyn Strathern, am Ende seiner Existenz durch sozioökonomische Besitzverhältnisse und divergierende Interessen seiner Mitglieder.51 Zusammengehalten wird es nicht nur durch Vertrauen als Währung in der ökonomischen Kom- munikation.52 Vielmehr ist es die gemeinsame Narration einer geteilten Identität, die am Anfang des 21. Jahrhunderts nicht mehr ohne den Einsatz der Netzwerke auszukommen scheint.53 Wann und unter welchen Bedingungen kann eine solche Erzählung beginnen? Sie muss in Rechnung stellen, dass Netzwerke als Kulturtech- nik – im Gegensatz zu nicht diskursiv verhandelten Vernetzungen – einer selbstreflexiven und symbolischen Dimension bedürfen. Diese kommt, wie in Kapitel 2 geschildert, mit der neuzeitlichen Wissenskultur zum Tragen und entfaltet sich im 18. Jahrhundert dynamisch in Brief- und Salonkultur, Ideenassoziation und -zirkulation, Naturgeschichte und Ökonomie.54 Für die materielle Kultur soziotechnischer Netzwerke 51 Vgl. Marilyn Strathern: »Cutting the Network«. In: Journal of the Royal Anthropological Institute 2.3 (1996), S. 517−535, hier S. 531 f. Siehe zudem Kapitel 11.2 dieses Buches. 52 Vgl. Jörg Sydow und Arnold Windeler: »Steuerung von und in Netzwerken – Perspektiven, Konzepte, vor allem aber offene Fragen«. In: Steuerung von Netzwerken. Konzepte und Praktiken. Hrsg. von Jörg Sydow und Arnold Windeler. Wiesbaden: Westdeutscher Verlag, 2000, S. 1−24. 53 Vgl. Samuel M. Weber: Gelegenheitsziele. Zur Militarisierung des Denkens. Berlin: diapha- nes, 2006, S. 151 f. 54 Vgl. Albrecht Koschorke: Körperströme und Schriftverkehr. Mediologie des 18. Jahrhun- derts. München: Fink, 1999; Siegert: »Currents and Currency. Elektrizität, Ökonomie und Ideenumlauf um 1800«; Gießmann: Netze und Netzwerke. Archäologie einer Kulturtechnik; Josias Ludwig Gosch: Ideenumlauf. Hrsg. von Georg Stanitzek und Hartmut Winkler. Berlin: Kadmos, 2006; Regina Dauser u. a., Hrsg.: Wissen im Netz. Botanik und Pflanzentransfer in europäischen Korrespondentennetzen des 18. Jahrhunderts. Colloquia Augustana 24. Berlin: 134 Das Archiv der Netzwerkgeschichte lässt sich ein erster expliziter Diskurs vergleichsweise präzise verorten. Mit dem französischen Frühsozialismus entsteht in Paris um 1830 ein explizites Vernetzungsprogramm, von dessen tiefgreifenden kulturhisto- rischen Wirkungen und Wendungen im Folgenden die Rede sein soll. Akademie, 2008; Erdmut Jost und Daniel Fulda, Hrsg.: Briefwechsel. Zur Netzwerkbildung in der Aufklärung. Kleine Schriften des Interdisziplinären Zentrums für die Erforschung der europäischen Aufklärung 4 / 2012. Halle: Mitteldeutscher Verlag, 2012. 4 Kanäle. Politik der Netze und Netzwerke um 1850 In seiner Studie zum Mittelmeer zitiert der französische Historiker Fernand Braudel mit großer Zustimmung seinen Kollegen Lucien Feb- vre. Das Mittelmeer, so heißt es bei Febvre, sei die Summe seiner Ver- kehrswege.1 Braudel führt Land- und Seewege, Fluss- und Küstenstraßen an, »ein riesiges Netz regelmäßiger oder zufälliger Verbindungen, ein Verteilnetz, das dem Leben Bestand verleiht, fast ein organischer Kreis- lauf«. Den gesamten Komplex des Mittelmeers müsse man als einen Bewegungsraum (espace-mouvement) verstehen. Das von Braudel an- geführte Netz (réseau) stellt darin über die stattfindenden Bewegungen die Nähe her, trägt zur kohärenten Geschichte des Verkehrsraums bei und steht in Wechselwirkung mit dem mediterranen Städtenetz.2 Der vernetzte Bewegungsraum von maritimen und festländischen Verbin- dungen verdankt sich – neben den geografischen und klimatischen Ge- gebenheiten – vor allem den Handelsbeziehungen, die zwischen den Städten entfaltet werden.3 Obwohl sich Braudels geohistorische Erzählung auf die Regierungs- zeit des spanischen Königs Philipp II. im 16. Jahrhundert konzentriert, erzeugt ihre Darstellung den sehr heutigen Eindruck eines vernetzten Raums. Auf den Handelskapitalismus folgt die Industrie, auf die In- dustrie die Finanzwirtschaft – mit entsprechenden Auswirkungen auf Bewegungsintensität und -richtungen.4 Und doch unterscheidet sich diese emergente, fortwährende Transformation teils aneinander an- schließender, teils einander überlagernder Netze von der Netzwerkge- schichte dieses Kapitels. Braudels Géohistoire zielt auf kaum spürbare 1 »La méditerranée, ce sont des routes. Des positions sur ces routes. Un moyen, plutôt qu’une fin.« Lucien Febvre und Marc Bloch: »Ports, fleuves, mers«. In: Annales d’histoire sociale 1 (1940), S. 66−70, hier S. 70. 2 Vgl. Fernand Braudel: Das Mittelmeer und die mediterrane Welt in der Epoche Philipps II. 2. Aufl. Bd. 1. Frankfurt am Main: Suhrkamp, 2001, S. 400. 3 Vgl. Braudel: Das Mittelmeer 1, S. 402, S. 407. 4 Braudel: Das Mittelmeer 1, S. 466 f. 136 Politik der Netze und Netzwerke um 1850 Veränderungen, die eher langsam den Austausch im Mittelmeerraum bestimmen. Seine Beschreibung einer Evolution des Verkehrsraums kartiert das Milieu der Zirkulation im selben subtilen Stil, wie sie die Wirkmacht der natürlichen Umwelt auf die Wege- und Städtenetze erfasst. Dass der immer belebtere Austausch sich nicht nahtlos ins 17. Jahrhundert fortsetzt, räumt Braudel selbst ein.5 Ebenso betont er die Differenz zur modernen Revolution des Transportwesens, wie sie sich im 19. Jahrhundert vollziehen wird.6 Ein entscheidender historischer Unterschied zu den modernen Ka- nal- und Netzwerkprojekten liegt in der Art und Weise, wie Verbin- dungen organisiert werden. Braudels Mediterranée entfaltet sich als großer, kaum kontrollierbarer Raum, in dem sich die Macht einzelner Städte gegeneinander ausbalanciert.7 Die teils nationalistische, teils transnationale, meist kolonialistische Netzwerklogik des Weltverkehrs im 19. Jahrhundert zielt hingegen auf eine fortwährende Ausweitung der Anschlussfähigkeit, die politische und wirtschaftliche Steuerung zum Ziel hat. Vernetzung ist dabei nicht etwas, das sich fast unmerklich durch die wirtschaftlichen Austäusche verstärkt und wieder schwächt. Sie folgt viel eher, wie im Folgenden gezeigt werden soll, nationalen gouvernementalen Strategien, die wiederum oft aus Traktatliteratur heraus entstehen. Die Beherrschung des physischen Raums wird, mehr denn zuvor, eine Frage der verbindenden Netzwerke des Verkehrs und der Medien. Ihre Realge- schichte folgt den Spuren der politischen Traktate, deren Imaginationen allzu oft programmatisch für hegemoniale Ambitionen werden. 4.1 Kanal-Ansichten. Karte und Panorama Aber ist ein geographischer Ausdruck denn so wenig?8 Fernand Braudel, Das Mittelmeer Die größte Baustelle des Planeten! Mit einer Vielzahl von Karten, Foto- grafien und speziell angefertigten Modellen setzt der Pavillon de l’Isthme de Suez die Arbeiten am Suezkanal auf der Pariser Exposition universelle des Jahres 1867 in Szene (Abbildung 4.1). 5 Vgl. zur langwelligen Verkehrsgeschichte Braudel: Das Mittelmeer 1, S. 426. 6 Vgl. Fernand Braudel: Das Mittelmeer und die mediterrane Welt in der Epoche Philipps II. 2. Aufl. Bd. 2. Frankfurt am Main: Suhrkamp, 2001, S. 25 f. zur Schwerfälligkeit des Handels auf Distanz. 7 Vgl. Braudel: Das Mittelmeer 1, S. 456; Braudel: Das Mittelmeer 2, S. 17. 8 Braudel: Das Mittelmeer 1, S. 236. Kanal­Ansichten 137 abb . 4 .1: Ferdinand de Lesseps präsentiert das Modell des Suezkanals auf der Pariser Weltausstellung. Stahlstich in L’illustration, 1867. Nachdem die Suezkanal-Gesellschaft es versäumt hat, zur vorherigen Weltausstellung 1862 in London den fortwährenden Bau für ein großes Publikum zu inszenieren, werden die technischen Neuerungen nun als »Theater der Arbeiten« stolz ins Bild gerückt.9 Unter den Lastschiffen, Schwimmbaggern und Förderbändern werden insbesondere Letztere als große technische Innovationen bestaunt. Ein nach Fotografien gemaltes Diorama gewährt den Betrachtern einen weiten Blick: über die bereits gestochenen Kanäle, die Baustellen, Maschinen und die Häfen von Port Said und Suez.10 Diese Form öffentlich-medialer Landnahme findet zwei Jahre später ihre imperiale Fortsetzung in den Feierlichkeiten zur Eröffnung des Kanals. Von den versammelten europäischen Königshäusern zeigt sich niemand so entzückt wie Eugenie de Montijo, die Frau von Napoléon III. In ihrem Ausruf vom 16. November 1869: »De ma vie, je n’ai rien vu de plus beau!« (»In meinem ganzen Leben habe ich noch nichts derartig Schönes gesehen!«) verbindet sich ästhetisches Erstaunen mit kolonialem 9 Commission Imperiale, Hrsg.: Exposition Universelle de 1867 à Paris. Catalogue général. 6e livraison. Instruments et procédés des art usuels. Paris: E. Dentu, 1867, S. 289. 10 Vgl. zur Baugeschichte Nathalie Montel: »Le chantier du Canal de Suez (1859−1869). Techniques et techniciens de travaux publics du XIXème siècle«. Diss. Université de Lille III, 1995, S. 610. 138 Politik der Netze und Netzwerke um 1850 Anspruch.11 Der Blick vom Schiff vereint imperialen Stolz und eine räumliche Hierarchisierung des sozialen Status. Dieser Zusammenhang von Blick und Herrschaft ist aber auch durch eine visuelle Form codiert, die gekrönten Häuptern zu kolonialem Selbstbewusstsein verhilft und zugleich den territorialen Anspruch ihrer Nationalstaaten repräsentiert. Der Bildstatus der großen Kanäle des 19. Jahrhunderts ist ebenfalls durch eine sich erhebende und erhabene Perspektive des Blickes aus dem Himmel gekennzeichnet. Das Arrangement der Modelle im Pavillion de l’Isthme de Suez ist keinesfalls zufällig. Es setzt das visuelle Programm einer schwebenden Montgolfieren-Perspektive um, das sich als Kanal- ansicht schon im Vorfeld des Baus von Panama- und Suezkanal findet (Abbildung 4.2). abb . 4 .2: Anonym: Vue à vol d’oiseau du canal de Suez. Lithografische Reproduktion einer Abbildung aus dem 19. Jahrhundert, 1935. 11 Leonz Niderberger: Der Suezkanal. Seine Geschichte, Lage und Bedeutung für den Welt- verkehr und im Weltkrieg. Limburg: Steffen, 1916, S. 5. Kanal­Ansichten 139 abb . 4 .3: Werkstatt von Erhard Schieble: Isthme de Suez avec le tracé des canaux par S. A. le Vice-Roi d’Égypte. Kupferstich, 1857. Solche Medienlandschaften haben zwar Teil an der Geschichte des Panoramas – und hier vor allem alpiner Rundumblicke12 –, sind aber nicht mit Panorama und Diorama identisch.13 Vielmehr ist die hybride Kombination mit der topografischen Karte ein Indiz für die Etablierung eines Sehraums jenseits dessen, was Jonathan Crary ›Techniken des Betrachters‹ genannt hat (Abbildung 4.3). 12 Vgl. Philipp Felsch: »Aufsteigesysteme 1800−1900«. In: Nach Feierabend. Zürcher Jahrbuch für Wissensgeschichte 1. Bilder der Natur – Sprachen der Technik. Zürich; Berlin: diaphanes, 2005, S. 15−32, und Charlotte Biggs: »Das Panorama, oder La Nature A Coup d’Œil«. In: ebd., S. 33−55. 13 Vgl. zum Panorama Stephan Oettermann: Das Panorama. Die Geschichte eines Massen- mediums. Frankfurt am Main: Syndikat, 1980; Jörg Brauns: Schauplätze. Zur Architektur visueller Medien. Berlin: Kadmos, 2007, S. 11 f. 140 Politik der Netze und Netzwerke um 1850 Man kann im Anschluss an Crary davon ausgehen, dass die öffentliche wie individuelle Wahrnehmung solcher Kanalansichten die Unterschei- dung zwischen innerem Gefühl und externen Zeichen verwischen will. Mit der Relokalisierung des Betrachters ab den 1820er Jahren wird das Verhältnis zwischen Innen und Außen der Blickposition infrage gestellt.14 Die imaginäre Luft- und Schifffahrt will immersiv sein – und agiert damit über Journale und Weltausstellungsspektakel als Geopo- litik auf heimischem Terrain und spielerische Einübung von kolonialer Herrschaft. Die Verbindung von Kanallandschaft mit Karten ist immer auch operatives Mittel der Ausübung von Macht über fremde Territo- rien. Meine Annahme ist, dass dabei visuelle Codierung und materieller Kanal eine ganz eigene Form medialer Landschaft generieren, ohne die der Kolonialismus des 19. Jahrhunderts kaum denkbar scheint. Karten als Kulturtechnik generieren nicht nur auf Orientierungs- und Messpraktiken basierende Repräsentationen von Räumen, son- dern sind selbst Handlungsraum der politischen Repräsentation.15 Als Bilder, mit denen agiert wird, provozieren sie stets die Frage nach den Akteuren und dem raumschaffenden Umgang mit den Karten selbst.16 Sie legen zudem den Kurzschluss mit Michel Foucaults Gedanken zum Übergang von der Disziplinargesellschaft hin zu Sicherheitsdispositiven, die Kolonialismus und ›Weltverkehr‹ des 19. Jahrhunderts integrieren, nahe. Bevor sich Foucault in den Vorlesungen über die Geschichte der Gouvernementalität der Genealogie jener Regierungskünste zuwendet, die als frühe Techniken der Steuerung und Regelung verstanden werden können,17 skizziert er in den ersten drei Vorlesungen einen weiteren, netzwerkhistorisch entscheidenden Übergang.18 14 Vgl. Jonathan Crary: Techniques of the Observer. On Vision and Modernity in the Nine- teenth Century. Cambridge; London: MIT Press, 1990, S. 24. 15 Vgl. Bernhard Siegert: »Repräsentationen diskursiver Räume. Einleitung«. In: Topographien der Literatur. Deutsche Literatur im transnationalen Kontext. Hrsg. von Hartmut Böhme. Stuttgart; Weimar: J. B. Metzler, 2005, S. 3−11, hier S. 6 f.; Robert Stockhammer: Kartierung der Erde. Macht und Lust in Karten und Literatur. München: Fink, 2007. 16 Vgl. zur Praxeologie der Kartografie Steffen Siegel und Petra Weigel, Hrsg.: Die Werkstatt des Kartographen. Materialien und Praktiken visueller Welterzeugung. München: Fink, 2011. 17 Vgl. Joseph Vogl: »Regierung und Regelkreis. Historisches Vorspiel«. In: Cybernetics – Ky- bernetik. The Macy Conferences 1946−1953. Hrsg. von Claus Pias. Bd. 2. Zürich; Berlin: diaphanes, 2004, S. 67−79. 18 Vgl. Michel Foucault: Sicherheit, Territorium, Bevölkerung. Geschichte der Gouvernemen- talität I. Hrsg. von Michel Sennelart. Frankfurt am Main: Suhrkamp, 2004, S. 13−133. Kanal­Ansichten 141 Während die Disziplin zentripetal funktioniert, d. h. konzentriert, zentriert, einschließt, damit Räume isoliert und nach Möglichkeit alles unterbindend regelt, sind Sicherheitsdispositive zentrifugal organisiert. Sie haben die Tendenz, sich auszudehnen: Es werden ohne Unterlaß neue Elemente integriert, man integriert die Produktion, die Psychologie, die Verhaltensweisen, die Arten, wie man Produzenten, Käufer, Konsumenten, Importeure, Exporteure macht, man integriert den Weltmarkt. Es handelt sich darum, immer weitläufigere Kreisläufe zu organisieren oder sich jedenfalls entwickeln zu lassen.19 Die Kunst, einen politischen Körper zu erzeugen, beinhaltet im 19. Jahr- hundert – oftmals unter Camouflage geopolitischer und kolonialer Am- bitionen – insbesondere die Formung eines liberalen Milieus der Zirku- lation. »Das Milieu ist eine bestimmte Anzahl von Wirkungen, Mas- senwirkungen, die auf all jene gerichtet sind, die darin ansässig sind.«20 Durch die Organisation zentrifugaler, sich netzwerkförmig ausdehnender Sicherheitsdispositive werden stetig mehr Personen, Dinge und Märkte in das Milieu integriert. Dies gilt nicht nur auf der Ebene des nationalen Ter- ritoriums, dessen innere Sicherheit durch polizeiliche Präsenz organisiert wird. Bezeichnenderweise sind sich die Kolonialmächte meist einig, wenn es um die gouvernementale Neutralisierung von Meerengen, Flüssen und Kanälen zum Zwecke des Weltverkehres geht. Von dieser Entwicklung des Völkerrechts im 19. Jahrhundert wird noch die Rede sein. Ein Sicherheitsdispositiv lässt gewähren und erlaubt Performanz im Sinne eines laisser faire. Es ist damit Teil der politischen Techniken des Liberalismus. Die Zirkulationsfähigkeit von Menschen, Diskursen und Waren wird so identisch mit einem Verständnis von Freiheit. ›Circulation‹ meint bei Foucault aber mehr als nur die Verbindung zu ökonomisch-medialen Kreisläufen. Sie benennt vor allem die politische Technik, erwünschten Austausch zu befördern und unerwünschten zu blockieren, auf dass sich die gute Zirkulation umso intensiver vollzie- hen kann.21 Eine adäquate deutsche Übersetzung müsste zumindest 19 Foucault: Sicherheit, Territorium, Bevölkerung, S. 73. 20 Foucault: Sicherheit, Territorium, Bevölkerung, S. 41. 21 Vgl. Foucault: Sicherheit, Territorium, Bevölkerung, S. 37. Darin geht es um die Kontrolle der Ursachen und Wirkungen von Zirkulationen. Vgl. ebd., S. 41. Foucaults Verständnis von ›circulation‹, dessen Herkunft er selbst kaum begründet, stammt aus dem Diskurs der politischen Ökonomie. Es dürfte entscheidend von Marx’ Konzept der Zirkulationsakte innerhalb der Kreisläufe des Kapitals inspiriert sein. Vgl. Claudia Aradau und Tobias Blanke: »Governing Circulation. A Critique of the Biopolitics of Security«. In: Security and Global Governmentality. Globalization, Governance and the State. Hrsg. von Miguel de 142 Politik der Netze und Netzwerke um 1850 noch ›Verkehr‹ und ›Umlauf‹ hinzufügen. Es bietet sich hier auch der Dingbegriff des Netzes an, der ab Mitte des 18. Jahrhunderts in einem langwierigen Prozess andere Zirkulationsformen als diejenigen innerhalb eines geschlossenen Kreislaufs sicht-, zeichen-, denk- und schreibbar hat werden lassen.22 Eine solche Bewegung hin zu teils materiellen, teils immateriellen Netzwerken, welche die Verbundenheit des Wissens und der Dinge durchzieht, war auf das Engste mit der sich verändernden Morphologie von Städten und Landschaften verbunden. Wenige historische Phänomene spiegeln die Widersprüchlichkeit dieser Entwicklung, die gleichzeitig zentripetale wie zentrifugale Ten- denzen integriert und die verbindende »Assoziation« als Sozialtechnik etablieren will, so gut wie jene neue Religion, die in und über Paris hinaus um 1830 zum Stadtgespräch wird. Eine Gruppe junger Männer, die sich nach ihrem Lehrer – dem Projektemacher Henri de Saint-Simon (1760−1824)23 – Saint-Simonisten nennen, beschickt unablässig die Druckerpressen der Stadt mit Zeitungen wie Le Globe und Le Pro- ducteur, verkündet den Saint-Simonismus als neue Religion, prophezeit soziale Gerechtigkeit durch technologischen Fortschritt und Industri- alisierung (Banken für alle! Eisenbahnen! Kanäle! Dampfschifffahrt!), lanciert kampfeslustige Pamphlete für den Weltfrieden samt Emanzi- pation der Frau und liefert das erste, durchaus pazifistisch motivierte Vernetzungsprogramm für das Mittelmeergebiet und nicht weniger als die gesamte Welt. Die Geschichte der Kanal-Obsessionen des 19. Jahrhunderts lässt sich so aus einem ganz bestimmten Blickwinkel erzählen, aus dem der Kanal immer bereits weitaus mehr ist als ›nur‹ eine Verbindung von A nach B an einem geopolitischen Brennpunkt. Im Gegensatz zur gefeierten Larrinaga und Marc G. Doucet. London: Routledge, 2010. http://oro.open.ac.uk/21481/2/ security_circulationAradauBlanke.pdf, S. 3, S. 6 f. 22 Vgl. hierzu die historische Skizze in Gießmann: Netze und Netzwerke. Archäologie einer Kulturtechnik. Die vorgeschlagene Verwendung des Netzbegriffs folgt den historischen Quellen, weniger dem theoretischen Einsatz, den Foucault überwiegend für die Diszipli- nargesellschaft und die dynamische Verfasstheit des Dispositivs reserviert hat. 23 Vgl. zum Grafen von Saint-Simon Émile Durkheim: Le Socialisme. Sa définition – ses débuts. La doctrine saint-simonienne. Paris: Retz, 1978; Martinus Emge: Saint-Simon. Einführung in ein Leben und Werk, eine Schule, Sekte und Wirkungsgeschichte. München; Wien: Oldenbourg, 1987, und die Selbstanzeige Claude Henri de Saint-Simon: »Histoire de ma vie«. In: Œuvres de Claude-Henri de Saint-Simon. Bd. I / 1. Paris: éditions anthro- pos, 1966, S. 64−88. Pierre Musso hat als Erster auf die Bedeutung Saint-Simons für die Geschichte globaler Vernetzungen aufmerksam gemacht. Vgl. Musso: Télécommunications et philosophie des réseaux. Siehe auch Gießmann: Netze und Netzwerke. Archäologie einer Kulturtechnik, S. 86 f. Das Paris der Saint­Simonisten 143 Realisierung des Kanals durch Ferdinand de Lesseps tritt in der saint- simonistischen Programmatik und ihren gescheiterten Versuchen ein Gespür für die Medialität von physischen und sozialen Verbindungen zutage, das bereits Walter Benjamin angesichts der französischen Eisen- bahnprojekte des 19. Jahrhunderts aufgefallen ist.24 4.2 Stadt. Das Paris der Saint-Simonisten Die Saint-Simonisten: eine Heilsarmée in der Bourgeoisie.25 Walter Benjamin, Das Passagen-Werk Die Obsession der Saint-Simonisten für Kanäle, Straßen und Eisen- bahnen wird einerseits durch spezifische Imaginationen von Urbanität getragen. Andererseits durchzieht die großen Projekte ein handfester Sinn für Papierumlauf. Dies gilt sowohl für die unzähligen Briefe, das massenpublizistische Zeitungsfieber der Sekte als auch für Finanzpro- jekte, die städtische Bankverflechtungen und bürgerschaftliche Vergesell- schaftung zusammenbringen. Die durch den Globe in die Öffentlichkeit getragene Formel einer sozialen »association universelle« benennt diesen Willen zur Vernetzung durch industriellen Fortschritt. Alles und jeder soll miteinander Verbindungen eingehen können: Die Assoziation ist Modus der Dichte städtischer Kommunikation. So ist das Paris der Saint-Simonisten zunächst eines des Austauschs unter aufstrebenden bürgerlichen jüdischen und christlichen Männern: Bankiers, Ingenieure, Ärzte, Militärs und Politiker in spe. Eine beson- dere Rolle spielen dabei die großen französischen Ingenieursschulen. In der École Polytechnique, der École des Mines und der École des Ponts et Chaussées bekennen sich gerade im Umfeld der Julirevolution von 1830 viele Sympathisanten zu saint-simonistischem Gedankengut. Gesellschaftliche Zukunft kann man in deren Selbstverständnis nicht nur bauen, sie wird im architektonischen Entwurf stets schon realisiert und errichtet worden sein. Vor diesem Hintergrund ist das Futur II die dominante Zeitform des Saint-Simonismus: Die eigenen Visionen werden sich immer schon realisiert haben. Der urbane Raum ist das Modell 24 Vgl. Walter Benjamin: Das Passagen-Werk. Gesammelte Schriften Band V.2. Hrsg. von Rolf Tiedemann. stw 935. Frankfurt am Main: Suhrkamp, 1991 [1935−1939]. Abteilung U, S. 708−744. 25 Benjamin: Das Passagen-Werk. Gesammelte Schriften Band V.2, S. 734. 144 Politik der Netze und Netzwerke um 1850 jener neuen Weltstadt, der »ville nouvelle«, die der Saint-Simonist Charles Duveyrier lyrisch als das »Paris der Saint-Simonisten« besingt. Geschrieben vor dem Hintergrund der Cholera-Epidemie des Jahres 1832, überführt sein Entwurf die pragmatisch argumentierenden Artikel des Globe zu Wasserversorgung und Kloaken26 in eine Gesamtvision. Duveyriers Text bedient sich dabei einer Rhetorik, deren zirkulärer Verlauf bereits William Harveys Traktat über den Blutkreislauf De motu cordis von 1628 strukturiert.27 Das neue Paris wird poetologisch mit dem Körper eines von Gott zu errichtenden Kolosses versehen, dessen Körperteile dann im Fließtext wie bei Harvey nach und nach durchlaufen werden. Ganz einer christlich-jüdischen Tradition inszenierter Gemein- schaftskörper verpflichtet, muss der Leviathan verlebendigt werden: Die getrennten und vermischten Glieder, aus denen sie [die Stadt, SG] sich zusammensetzt, sind eine monströse Masse, ungeformt, unbelebt, tot. Sie sind wie das Fleisch, die Nerven, die Knochen, das Hirn und die Eingeweide des Menschen vor dem Eingreifen meines Willens.28 Die göttliche Hand des Autors sorgt für städtische Verlebendigung und Ordnung: Im kräftig auszubauenden Louvre werden sämtliche Bibliotheksbestände, Bilder, Karten und Manuskripte als »Gehirn« des neuen Paris eingelagert. Preußen, Engländer, Russen und Sachsen sollen laut Duveyrier herbei- eilen, um sich davon zu überzeugen, dass das französische Volk endlich industriell und großartig geworden sei. Romantische Sektenästhetik mischt sich an dieser Stelle mit Werbeprospektspoesie und bereitet die Weltausstellungen vor: »Kommt! Hier ist die Erde voller Begehren, vom Leben des Menschen zu leben; hier gibt sich die Erde dem Menschen [l’homme, dem Mann] hin wie eine Frau ihrem Liebhaber.«29 Das Wasser in den Kanälen der Stadt ist kristallklar, die Straßen sind gewunden wie 26 Le Globe vom 2., 9., 11. und 13. April 1832, verfasst von Michel Chevalier, Stéphane Flachat und Henri Fournel. 27 Vgl. William Harvey: Exercitatio anatomica de motu cordis et sanguinis in animalibus. Frankfurt am Main: Fitzer, 1628. 28 Philippe Régnier, Hrsg.: Le livre nouveau des Saint-Simoniens. Manuscrits d’Émile Barrault, Michel Chevalier, Charles Duveyrier, Prosper Enfantin, Charles Lambert, Léon Simon et Thomas-Ismayl Urbain (1832−1833). Tusson; Charente: Éditions du Lérot, 1991, S. 225. Zur longue durée politischer Körpermetaphern vgl. zusammenfassend Albrecht Koschorke u. a.: Der fiktive Staat. Konstruktionen des politischen Körpers in der Geschichte Europas. Frankfurt am Main: Fischer, 2007. Zum Zusammenhang von politischem Körper und Landschaft vgl. Martin Warnke: Politische Landschaft. Zur Kunstgeschichte der Natur. München: Hanser, 1992, S. 109 f. 29 Régnier: Le livre nouveau des Saint-Simoniens, S. 229 f. Das Paris der Saint­Simonisten 145 ineinander verschlungene Ringe, der fertige Koloss versprüht das Feuer der Dampfmaschine. Im Zentrum des neuen Paris wird schließlich der ominöse »Tempel« der Saint-Simonisten in Gestalt einer Frau errichtet. Auch die zentrifugale Ausweitung der Zirkulation braucht ein weiblich gedachtes Zentrum der Attraktion und kommunikativen Verdichtung (Abbildung 4.4). Diese Form literarischer Industrialisierung bleibt Traditionen des 18. Jahr hunderts verhaftet, in denen die städtische Zirkulation von Luft, Wasser und (Abfall-)Produkten zur Förderung der allgemeinen abb . 4 .4: Joseph Machereau: Le Temple-Femme. Zeichnung, ca. 1833. 146 Politik der Netze und Netzwerke um 1850 Gesundheit führen soll.30 Duveyriers dysfunktionale Vision eines medi- alen Gemeinschaftskörpers trägt aber auch einen neuen Aspekt in sich. Es gilt hierin die Dynamik zentrifugaler Verbundenheit: Die Stadt ist die Welt, und die Welt wird zur Stadt. Parallel zur Vernetzung des Planeten muss in diesem Rahmen auch die Metropole des 19. Jahrhunderts gänzlich neu errichtet werden. Der Saint-Simonismus dehnt technisch wie imaginär den städtischen Raum ins Globale und komprimiert das Globale der ›großen Welt‹, um sie zur »Bleibe des Menschen« zu machen.31 Es geht also um eine strukturelle Ausweitung dessen, was Michel Foucault als die Formung eines Milieus identifiziert hat, das durch die Möglichkeit der Zirkulation (des Umlaufs, des Verkehrs) gekennzeichnet ist: Das Milieu ist ein Ensemble von natürlichen Gegebenheiten, Flüssen, Sümpfen, Hügeln, und ein Ensemble von künstlichen Gegebenheiten, Ansammlung von Individuen, Ansammlung von Häusern usw.32 Das Milieu bleibt jedoch nicht mehr nur lokal oder innerhalb der Gren- zen des Nationalstaats. Gerade in der fortwährenden Erweitung, der »association universelle«, wird es ausgedehnt – am rasantesten durch die Eroberung neuer Kolonien. Alles und jeder soll miteinander Ver- bindungen eingehen können. Das gilt auch für die Verbindung von Kolonie und Mutterland als Weiterführung der Sicherheitsdispositive des eigenen Staats. Die Stadt in Gestalt der Hauptstadt wird und bleibt das paradigmatische Modell für die zentrifugale Beherrschung größerer Territorien, weil sie als wachsender, aber steuerbarer Ort der Verdich- tung kommunikativer Prozesse erscheint. Die kommenden grand travaux in Paris, allen voran Georges Eugène Haussmanns und Eugènes Belgrands Neugestaltung der Stadt und ihres Untergrunds,33 sind Teil einer materiellen Kolonisierung des Eigenen. Sie treiben zugleich die Kolonisation der anderen voran. Sich verzweigende Kanäle sind neben Straßen das bevorzugte Medium eines auf fortwäh- rende Erweiterung abzielenden Sicherheitsdispositivs. Dabei wird der Kanal zum Modell der Kommunikation schlechthin und er wird dies 30 Vgl. Richard Sennett: Fleisch und Stein. Der Körper und die Stadt in der westlichen Zivili- sation. Berlin: Berlin Verlag, 1995, S. 319 ff. 31 Antoine Picon: Les saint-simoniens. Raison, imaginaire et utopie. Paris: Belin, 2002, S. 225. 32 Foucault: Sicherheit, Territorium, Bevölkerung, S. 40 f. Foucault macht den naheliegenden Bezug auf die Rolle des Milieus in der Géohistoire Braudels hier nicht explizit. 33 Vgl. Sennett: Fleisch und Stein, S. 406 f. zu Haussmanns drei Netzen verschiedener Straßen und ihren spezifischen Formen von Mobilisierung und sozialer Kontrolle. Das Paris der Saint­Simonisten 147 durch Aufpfropfung von Telegraf, Schiene, (gebahntem) Wasser, Straße und finanzieller Transaktion. Wenn Netzwerke im Falle Frankreichs zu kolonialen Sicherheitsdispositiven werden, dann ist Vernetzung durch Kanäle nicht beiläufiges Resultat, sondern staatlich gewollt – gerade auch im Modus eines kapitalistisch-liberalen laisser faire.34 Die Kanal- Obsessionen des 19. Jahrhunderts folgen dann nicht nur einer medialen Logik von Ort A nach Ort B, sondern sind in Anfang, Zwischenstati- onen und Endpunkt immer schon auf wirtschaftliche Konnektivität im Weltverkehr abgestellt. Zugleich etablieren sie Kanäle als nach innen gerichtetes Dispositiv einer subtilen Bevölkerungskontrolle, durch die man gute und schlechte Verbindungen voneinander getrennt hält. Dass Wasserkanäle als Netz konzipiert und realisiert werden, ist Teil eines technik- und wissenshistorischen Umschwungs, der sich für Frankreich auf die 1820er Jahre datieren lässt. Parallel zu Versuchen mit dezentralisierenden Querverbindungen, die innerhalb verästelter Baumstrukturen Ausweichmöglichkeiten schaffen, schreibt Raymond Génieys als leitender Ingenieur für Gewässer und Straßen der Direction des Travaux Publics de Paris 1827 erstmals vom Netz bzw. Netzwerk (réseau) der Kanäle.35 Wassersysteme wären dementsprechend nach ini- tialen militärischen Planungen die erste zivile technische Großstruktur, deren Operationen man bewusst als heterarchische Netzfunktionalität entwirft.36 Die Übertragung auf die optische Telegrafie vollzieht zwei Jahre später ein Memorandum der Gebrüder Chappe, die für die Ad- ministration der Fernschreiber zuständig sind. Deren Idee, Querverbin- dungen zwischen den auf Paris zulaufenden Linien zu schaffen, wird auch von ihren Nachfolgern im Innenministerium beachtet.37 34 Vgl. Foucault: Sicherheit, Territorium, Bevölkerung, S. 74 f. 35 Raymond Génieys: Note sur un projet de distribution générale de l’eau dans l’intérieur de Paris. Paris: Carilian-Goeury, 1827, S. xj / xij. Vgl. zu dieser Entwicklung André Guillerme: »L’émergence du concept du réseau (1820−1830)«. In: Réseaux territoriaux. Hrsg. von Georges Dupuy. Caen: Paradigme, 1988, S. 33−49. 36 Militärhistorisch vorgängig sind Pläne für die räumliche Organisation der französischen Festungen von 1821. Vgl. André Guillerme: »Réseau: genèse d’un mot«. In: Cahiers de la Médiologie 3 (1997), S. 7−16, hier S. 8. Der erste Nachweis für ein menschengemachtes »réseau de communications« findet sich ebenfalls im militärischen Kontext bei Pierre- Alexandre d’Allent, einem Ingenieur aus der Schule von Mézières. Vgl. Pierre-Alexandre d’Allent: »Essai de reconnaissance militaire«. In: Flux Numéro spéciale Réseaux. Antholo- gie 1781−1963 (1989). Hrsg. GDR 903 Réseaux, S. 15−17, hier S. 16 [erstmals 1802 im Mémorial topographique et militaire veröffentlicht]. 37 Abraham Chappe und René Chappe: Mémoire sur la Télégraphie. Techn. Ber. Paris: Imprim erie Béthune, 1829, Januar. Musée de la Poste Paris, D 6812. Vgl. Patrice Flichy: Tele. Geschichte der modernen Kommunikation. Frankfurt am Main; New York: Campus, 1994, S. 56. 148 Politik der Netze und Netzwerke um 1850 Für Erschließung, Bau und Betrieb der städtischen Kanalisation ist man mehr und mehr auf das Medium der topografischen Karte angewie- sen. Während die Seine bis zum Anfang des 18. Jahrhunderts die einzige Wasserquelle und zugleich der größte Abort der Stadt war, erschloss der ab 1804 auf Veranlassung Napoléons gebaute Canal de l’Ourcq eine weitere Wasserquelle aus dem Nordosten.38 Génieys schlussfolgert daraus, dass er es potenziell mit zwei sich überlagernden Netzen zu tun habe. Im Zusammenspiel der komplexen Verästelungen beider Systeme, das Génieys selbst zeichnend und rechnend plant, entfaltet sich ein unte rirdisches Netzwerk (Abbildung 4.5). Victor Hugo hat in Les Misérables die spezifische Perspektive eines solchen Kanalisationsblicks aus der Vogelperspektive vergegenwärti- gt – und zwar an just den Stellen, an denen er den Revolutionär Jean Valjean selbst durch die »Eingeweide des Leviathans« irren lässt: Wenn man sich Paris wie einen geöffneten Kanalisationsdeckel vorstellt, dann würde sich das Netzwerk (réseau) der unterirdischen Abwasser- kanäle – aus der Vogelperspektive betrachtet – auf den beiden Ufern als eine Art großer, dem Fluß aufgepfropfter Ast abzeichnen.39 Ganz Paris als geöffneter Kanalisationsdeckel: Der Vogel- oder Mont- golfierenblick auf unterirdische Strukturen offenbart eine zweite Haupt- stadt – ein dunkles Netzwerkdouble mit eigenen Straßen, Kreuzungen, Plätzen, Sackgassen, Arterien und Zirkulationen.40 Seine Kanalisation entsteht unter der Erde als eine Art »Polyp mit tausend Fühlern, der im selben Moment wächst wie die Stadt über ihm. Jedes Mal, wenn die Stadt eine Straße aufreißt, dehnt sich ein Arm der Kanalisation aus.«41 38 Vgl. zur Wissenschaftsgeschichte dieses Projektes, das Frischwasserversorgung und Wa- renverkehr mittels eines Kanals realisierte, Frédéric Graber: »Purity and Theory. Theore- tical Tools at Ponts et Chaussées, circa 1800«. In: Technology and Culture 49.4 (2008), S. 860−883. 39 Victor Hugo: Les Misérables II. Hrsg. von Yves Gohin. folio classique. Paris: Gallimard, 1995 [1862], S. 649 f. 40 Vgl. Hugo: Les Misérables II, S. 648 f. 41 Hugo: Les Misérables II, S. 662. Im eindrucksvollen Folioformat von 1 m x 65 cm lässt sich die Kartografie des unterirdischen Paris nachvollziehen bei Eugène de Fourcy: Atlas souterrain de la ville de Paris exécuté conformément au vote émis en 1853 par commission municipale et suivant les ordres de M. le Bon G. E. Haussmann … Paris: Charles de Mourgues Frères, 1859. Das Paris der Saint­Simonisten 149 abb . 4 .5: Raymond Génieys’ Plan zur Pariser Wasserversorgung: Plan de Paris et ses environs avec le tracé général d’une Distribution de Eaux de l’Ourcq / de la Seine. Zwei Kupferstiche von Adam, 1829. Jeweils ca. 22 x 32,5 cm. [Siehe Farbtafel IV und V] 150 Politik der Netze und Netzwerke um 1850 4.3 Land. Netzwerke für Okzident und Orient Les Colonies: En avant!42 Michel Chevalier Der Vorstoß der Saint-Simonisten in Richtung Orient wird von nieman- dem programmatischer vorbereitet als von Charles Duveyriers Glau- bensbruder Michel Chevalier (1806−1879). Obwohl weder Poet noch Finanzier, Arzt oder Rechtsanwalt, ist er als Ingenieur mit starkem na- tionalökonomischen Interesse in vielerlei Hinsicht eine charakteristische Figur der saint-simonistischen Bewegung. Nach seiner Ausbildung als Minenexperte wird er im Vorfeld der Julirevolution von 1830 zum Chefredakteur des Globe ernannt. Mit Prosper Enfantin, dem ›Vater‹ und Oberhaupt der Saint-Simonisten geht er 1832 ins Gefängnis. Beide werden inhaftiert, nachdem die öffentlichen Gottesdienste des neuen Kultes im Wald von Ménilmontant, vor den Toren von Paris, den Be- hörden ob des massenhaften Zulaufs verdächtig geworden sind. Mit der späteren Distanzierung vom Saint-Simonismus beginnt eine bemerkens- werte Karriere, die ihn anfänglich nach Amerika, später bis auf einen Lehrstuhl am Collège de France führt, zum Unterhändler für Freihan- delsverträge mit England macht und 1875 die erste société d’étude für eine Eisenbahnverbindung unter dem Ärmelkanal gründen lässt. In den letzten Monaten vor dem Bankrott des Globe und dem darauf folgenden Sektenexil in Ménilmontant vervielfacht sich die An- zahl der großen und kleinen industriellen Projekte. Angesichts der in Paris wütenden Cholera fordert Chevalier vehement einen industriellen Staatsstreich, nachdem er bereits am 12. Januar 1832 ein Weltprojekt größtmöglichsten Ausmaßes auf mehreren Zeitungsseiten ausgebreitet hat.43 Sein Système de la Méditerranée oszilliert dabei ähnlich wie La ville nouvelle zwischen Körpermetaphorik und Regelungskunst, stellt aber ein pazifistisch-ökonomisches Weltprojekt in den Vordergrund. Unter der Überschrift »Frieden ist heute die Bedingung für die Eman- zipation der Völker« wird das geopolitische Interesse nur notdürftig verborgen. Chevaliers Arrangement ordnet im großen Stil transnatio- nale Verkehrswege im Raum Eurasiens und macht dabei die Eisenbahn 42 Régnier: Le livre nouveau des Saint-Simoniens, S. 251. 43 Michel Chevalier: »Fin du choléra par coup d’état«. In: Le Globe. Journal de la religion saint-simonienne, 11. April 1832, S. 404. Michel Chevalier: »Système de la Méditerranée«. In: Le Globe. Journal de la religion saint-simonienne, 12. Februar 1832, S. 169−171. Netzwerke für Okzident und Orient 151 zum zentralen Bezugspunkt seines Systems. Deren flächendeckende Einführung – zusammen mit der Dampfschifffahrt – »wird nicht nur eine industrielle Revolution sein, sondern eine politische«. Durch ihre Hilfe soll von Telegrafen flankiert das Beherrschen der Kontinente, die an das Mittelmeer angrenzen, mit der gleichen Einheitlichkeit und Geschwindigkeit möglich sein, »die heute in Frankreich existiert«. Die Industrie zeichnet sich für Chevalier wiederum durch eine doppelte Verbindung ihrer Produktionsorte aus: eine relativ materielle Verknüp- fung, d. h. das Netzwerk der Transportwege, und eine relativ »geistige Verbindung« – durch das Netzwerk der Banken. Ungeachtet der zeitgenössischen, vor allem ökonomisch motivierten Konkurrenz zwischen Kanal und Eisenbahn setzt Chevalier auf die Verbindung beider Transportwege. Während Menschen und leichte Waren der Geschwindigkeit halber mit der Eisenbahn in Umlauf gesetzt werden, sind alle schweren Handelsgüter auf dem Wasser zu befördern. Genereller Bezugspunkt bleiben deshalb auch die großen Häfen. Spani- en, Frankreich, England, Italien, Deutschland, die europäische Türkei, Russland, Asien und Afrika – man beachte die Reihenfolge und die Summierung von Asien und Afrika in einen Absatz – werden allesamt in ihrer künftigen Infrastruktur betrachtet.44 Die Ansicht der Topografie Frankreichs, dessen wichtigster Mittelmeerhafen Marseille bleiben soll, lässt den Ingenieur ins Schwärmen geraten. Es gebe niemanden, der angesichts der Karte nicht von der »grande communication« zwischen Marseille und Le Havre, Lyon und Paris über die drei »bewunderns- werten« Täler der Rhône, der Loire und der Seine träumen würde. In Italien wird Venedig gerade wegen seiner Kanäle für das Switching gen Orient auserkoren. Sorgenkinder sind hingegen die zerstückelten Länder Spaniens – das immer noch nicht mit Portugal vereinigt ist – und das politisch und religiös zersplitterte Deutschland. Letzteres soll inner- halb des Système das zentrale Bindeglied zum Balkan und zur Türkei werden. Knotenpunkt eines »symmetrisch verteilten Netzes« wäre dabei Dresden, die »Stadt der Franzosen in Deutschland«. Der »abgestumpf- ten« Seele der germanischen Gelehrten wird so eine orientalistisch- französische Eisenbahnkur verpasst: Inspirationen können nun unter 44 In der Tat hat man es bei Chevaliers Text mit einem impliziten Infrastrukturplan zu tun. Die Traditionen solcher Programme führen denn auch 1875 in Frankreich zur Etablierung eines gouvernementalen Infrastruktur-Begriffs. Vgl. dazu Dirk van Laak: »Der Begriff In- frastruktur und was er vor seiner Erfindung besagte«. In: Archiv für Begriffsgeschichte 41 (1999), S. 280−299. 152 Politik der Netze und Netzwerke um 1850 dem Himmel der Türkei gesucht werden. Französische Eleganz hingegen finden die »ernsthaften« Berliner Akademiker und Göttinger Studenten per Bahn in weniger als 24 Stunden im Pariser Jardin des Plantes oder dem Louvre. Das schlafende, im Schnee gefangene russische Volk wird hingegen durch das »belebende Netz« (réseau vivifiant) animiert wer- den. Komplett wird das Netz erster Ordnung durch eine Eisenbahnlinie entlang der nordafrikanischen Küste. An das »premier réseau« werden dann perspektivisch alle »réseaux secondaires« angeschlossen. Ihre In- terkonnektivität etabliert mehr als ein Protokoll schlicht miteinander verbundener Netze: Der Netzwerkentwurf dient einer ausgreifenden Raumbeherrschung, die zwischen Haupt- und Nebenwegen in bis zu drei Stufen differenziert.45 Das Système entwickelt so ein Programm universeller Anschlussfä- higkeit: Le Havre am Morgen verlassen, in Paris frühstücken, in Lyon dinieren und am selben Abend in Toulon ein Schiff nach Algier oder Alexandria besteigen … Chevaliers frühes Beispiel für die Restlosigkeit von Weltprojekten46 erschreibt sich unter pazifistischer Camouflage den saint-simonistischen Weg in den Orient. Die Kosten des Projekts beziffert er mit 18 Milliarden Francs. Sein Vorschlag zur Finanzierung folgt der pazifistisch-ökonomischen Logik des gesamten Artikels. Für 15 Jahre soll der Unterhalt aller europäischen Armeen, der sich auf 1,5 Milliarden Francs pro Jahr beläuft, für Baumaßnahmen umgewid- met werden. Wenn alle Soldaten zu Soldaten der Industrie werden, ist zugleich der Frieden in Europa gewahrt. Als Jean Monnet avant la lettre lässt Chevalier seinen Entwurf mit der Vision einer mediterranen Konföderation enden. Obwohl die Körpermetaphorik auch hier immer wieder Teil der Rhetorik ist, verdeckt der beschriebene Gemeinschaftskörper nur not- dürftig eine geopolitische Strategie im Werden. Nachdem der größte historische Kampf der Menschheit derjenige zwischen Orient und Ok- zident, zwischen Materie und Geist gewesen sei, soll das Mittelmeer nun zum »Ehebett von Morgen- und Abendland« werden. Chevaliers Form von operativem Orientalismus geht weit über das hinaus, was die französische Literatur im 19. Jahrhundert an Landnahmen entworfen 45 Die Rede von räumlichen Strukturen erster, zweiter und dritter Ordnung wird im 19. Jahr- hundert Teil der territorialen Politik Frankreichs. Direkt an Chevalier knüpfen beispielsweise an: Gabriel Lamé u. a.: Vues politiques et pratiques sur les travaux publics. Paris: Everat, 1832, S. 81 f. 46 Vgl. Krajewski: Restlosigkeit. Netzwerke für Okzident und Orient 153 hat.47 Sie ist, wenn man so will, Teil einer Kybernetik des staatlichen Handelns im Zeichen der Sicherheit. Der Physiker André-Marie Ampère benutzt den Neologismus »cyber- nétique« erstmals in seinem 1834 veröffentlichten Essai sur la philoso- phie des sciences.48 Während Chevalier ein transnationales Sicherheits- dispositiv entwirft, konzentriert sich Ampère noch auf den Nationalstaat und steht eher in der Tradition der regulierenden Disziplinierung. Seine Bemerkungen zu sozialer Ökonomie (économie sociale), Kriegsführung, Recht und Politik sind allesamt nach innen gerichtet. Inversion erscheint so als der dominante epistemische Modus zur Konstitution der Nation. Chevaliers Programm hingegen ist das einer fortwährenden Erweite- rung – wie friedlich sie zunächst auch erscheinen mag. Auf diese Art und Weise wird die Technik des Regierens nicht nur eine raumquerende Steuermannskunst, wie sie von Ampère als etymologische Wurzel der »cybernétique« benannt wird. Beide Modelle – Ampères politische Form der Organisation und Chevaliers Programm zur kolonialen Weltvernetzung – sind kaum von- einander zu trennen. Gouvernementalität wird im 19. Jahrhundert vor allem zu einer Frage der Machbarkeit von Kolonisation, die auf den europäischen politischen Techniken zur Kontrolle des Milieus beruht. Das Steuern des Staates erfordert eine strategische Raumbeherrschung, die sowohl eine Kanalisierung des Sendens und Empfangens erfordert als auch eine Besetzung der strategisch wichtigen Knotenpunkte. Das Netz ermöglicht die erwünschten Verbindungen und hält das Territorium der Kolonien umfangen. Die saint-simonistische Fixierung auf physischen Transport aller Art ist ein Weg, diesen Prozess außerhalb nationaler Grenzen zu ermögli- chen. Der Anführer der Saint-Simonisten, Prosper Enfantin, verfolgt mit seinem Plan zur Besiedlung Algeriens absichtsvoll den Aufbau eines kolonialen Netzwerks (réseau colonial) von Städteverbindungen, das als gouvernementales »Netz der Unterwerfung« (réseau de soumission) einer geringen Zahl von Kolonisten die Unterwerfung vieler Einheimi- scher erlauben soll.49 47 Vgl. hierzu im kritischen Anschluss an Edward Said die Beiträge in Michael Bernsen und Martin Neumann, Hrsg.: Die französische Literatur des 19. Jahrhunderts und der Orien- talismus. Tübingen: Max Niemeyer, 2006. 48 André-Marie Ampère: Essai sur la philosophie des sciences ou exposition analytique d’une classification naturelle de toutes les connaissances humaines. Paris: Bachelier, 1834, S. 141. 49 Prosper Enfantin: Colonisation de l’Algérie. Paris: P. Bertrand, 1843, S. 293 f., S. 402, S. 429 f. Enfantin knüpft damit an die antike Tradition der machtvollen Fangnetze an, wenn auch im geografischen Muster der Raumbeherrschung. Vgl. Kapitel 2.1 dieses Buches. 154 Politik der Netze und Netzwerke um 1850 abb . 4 .6: Prosper Enfantin: Colonisation de l’Algerie. Kupferstich von L. Bouf- fard, Lithografie Joseph Lemercier, 1843. 49,5 x 66,5 cm. [Siehe Farbtafel VI] Die Strategie einer Zwischenraumbeherrschung, die ein Territorium durch vernetzte Kommunikationskanäle kontrolliert, artikuliert sich in einer Doppelkarte, die Enfantin seiner Colonisation de l’Algérie von 1843 beifügt (Abbildung 4.6). Während die obere topografische Karte den Ist-Zustand des Landes darstellt, gliedert die untere Darstellung Algeriens mit geraden geometrischen Linien die Verbindungen zwischen wichtigen Städten. Dieser rigide Machtanspruch wird durch eine aus- führliche Legende, welche zivile Zonen an der Küste und militärische Areale im Inland ausweist, verstärkt. Das Netzwerk muss dabei nicht sonderlich dicht gestaltet sein: Zur Unterwerfung gehört eine telegra- fisch gestützte Verkehrsstrategie, die über zentrale Knotenpunkte ein koloniales Protokoll flächiger Polizeimacht entwickelt. Es verbindet die Einschüchterung und Kontrolle der Zivilbevölkerung mit der schnellst- möglichen Eingriffsmöglichkeit gegen Widerstand der Kolonialisierten. Jedes Schiff braucht einen Hafen, jede Eisenbahn Gleise. Die Tech- niken des Regierens werden so in eine Richtung vorangetrieben, die sich in Ampères Essai noch nicht findet. Die kontrollierende Organisation von Strömen und Knotenpunkten wird bei Chevalier und Enfantin zur vitalen Frage der »association« erklärt. Das romantische Gedankengut, Netzwerke für Okzident und Orient 155 in dem intensivere Verbindungen einen gerechteren Gesellschaftsentwurf ermöglichen sollten, wird im politischen und wirtschaftlichen Handeln entstellt: Konnektivität zählt nun macht- und markttechnisch umso mehr, je stärker lokale Veränderungen globale Effekte im Weltverkehr hervorrufen.50 Innerhalb eines solchen Rahmens überholen die Saint- Simonisten mit Leichtigkeit die genealogische Ordnung des Wissens, welche Ampère parallel zur Grundlage seines großen Tableaus macht. Statt der dort abgeteilten Wissenschaften erster, zweiter und dritter Ordnung streben sie nach Netzen erster, zweiter und dritter Ordnung. Dieses Muster kehrt unter anderen Vorzeichen auch innerhalb des explizit geopolitischen Diskurses wieder. Am Ende des 19. Jahrhunderts macht der deutsche Kulturgeograf Friedrich Ratzel solche Strategien zur Grundlage seiner Politischen Geographie – und zwar im Sinne einer »intensiven Raumbeherrschung«, deren Verkehrsströme sich gleich den großen Wasserströmen aus einem Geäder unendlich vieler kleiner und mittlerer Wege entwickeln.51 Auch Ratzels Ansicht folgt einem Herr- schaftsblick, der nun auf den ganzen Globus ausgeweitet wird: »Dieje- nigen Wirkungen, die der Verkehr kulturlich anbahnt, sind am letzten Ende die mächtigsten. Vom höchsten Sehpunkt erscheinen uns die Wege als das verbindende Geäder zwischen den großen und kleinen Gruppen der Menschheit. Ohne sie wäre nicht aus Millionen von Einzelnen und Gruppen das Ganze der Menschheit geworden. Der rege Verkehr ist Kultursymptom und schafft Kultur.«52 Mit der Politischen Geographie wiederholt sich die Camouflage kolonialer Geopolitik, vermittelt durch eine Sprache ästhetischer Begeisterung und den erhabenen Blick auf die kartografierte Gesamtheit der Verbindungen. Im geopolitischen Diskurs ist Hegemonie eine Frage der Netzwerkbeherrschung. Michel Chevalier hatte in seinen Gedichten bereits deutlich aufschei- nen lassen, welchem Zweck der Weg in den Orient dienen sollte. »Les Colonies: En avant!« (»Zu den Kolonien!«) heißt ein im Gefängnis von Sainte-Pélagie entstandener langer Hymnus aus dem April 1833.53 Ein weiteres Poem mit dem Titel »Géographie-Physiologie« endet schlicht mit folgender Strophe: »Es gibt zwei Isthmen / den Isthmus des Ori- 50 Krajewski: Restlosigkeit, S. 41. 51 Friedrich Ratzel: Politische Geographie. 3. Aufl. München; Berlin: Oldenbourg, 1923 [1897], S. 325. 52 Ratzel: Politische Geographie, S. 380. 53 Régnier: Le livre nouveau des Saint-Simoniens, S. 251−263. 156 Politik der Netze und Netzwerke um 1850 ents, / Suez, / den Isthmus des Okzidents, / Panama. / Dies werden die beiden heiligen Wege sein.«54 4.4 Fluss. Ägypten, Suez und die Neutralität des Kanals Nur aus der geopolitischen Stellung des Kanals läßt sich der rote Faden gewinnen.55 Gerhard Herrmann, Der Suezkanal Während Chevalier noch im Gefängnis mit dem Sektenoberhaupt Enfan- tin bricht, schreibt Prosper Enfantin am 8. August 1833, im saint-simo- nistischen »Jahr der Mutter« an seinen treuen Apostel Émile Barrault: SUEZ Est le centre de notre vie de TRAVAIL; Là nous ferons l’ACTE Que le monde attend, Pour confesser que nous sommes MALES. SUEZ Ist das Zentrum unseres Lebens der ARBEIT; Dort werden wir den AKT vollziehen Den die Welt erwartet, Um zu bekennen, dass wir MÄNNLICH sind.56 Kanalisieren erweist sich so als Geschlechtsakt, wenn auch nicht ohne eine gewisse Selbstironie. Die beiden saint-simonistischen Befruchtungs- versuche in Ägypten folgen einem durch Napoléons Ägypten-Expedition und die französische Ingenieurskultur vorgezeichneten Weg. Im Scheitern zweier Anläufe – sowohl der ersten Expedition zwischen 1833 und 1836 als auch einer société d’étude (1846−1855), die schließlich durch Ferdinand de Lesseps überholt wird – liegt die Bedingung des realen Suezkanals. Ihr Scheitern erlaubt den Blick darauf, welche Rolle Kanäle in kolonialen Sicherheitsdispositiven spielen sollen. 54 Régnier: Le livre nouveau des Saint-Simoniens, S. 250. 55 Gerhard Herrmann: Der Suezkanal. Bern; Leipzig; Wien: Wilhelm Goldmann Verlag, 1936, S. 13. 56 Le Père à Barrault. Bibliothèque de l’Arsenal Paris, Fonds Enfantin 7619, f.3r. Zitiert nach Philippe Régnier: »Le mythe oriental des saint-simoniens«. In: Les Saint-Simoniens et l’Orient. Vers la modernité. Hrsg. von Magali Morsy. Aix en Provence: Édisud, 1989, S. 29−49, hier S. 40. Ägypten, Suez und die Neutralität des Kanals 157 Als Enfantin mit einer Entourage treuer Saint-Simonisten 1833 in Alexandria und Kairo ankommt, muss er seine Suez-Fantasien schnell korrigieren. Pascha Mehmed Ali lehnt sein Projekt aus berechtigter Angst vor europäischem Einfluss ab, schlägt den jungen Franzosen aber eine andere Aufgabe vor. Statt einen Kanal durch den Isthmus zu stechen, der seit der Antike mehrfach versandete, sollen die Saint-Simonisten einen großen Staudamm im Nil-Delta errichten. Enfantin nimmt die schlecht bezahlte Herausforderung an, woraufhin einige Begleiter wie Henri Fournel nach Frankreich zurückkehren. Umgekehrt nehmen viele der Zurückbleibenden einen orientalischen Lebensstil an, einige von ihnen konvertieren sogar zum Islam. Im Hinterland des Staudamms soll gemäß Enfantins Gedankenspielen eine Modellstadt entstehen – eine Vorwegnahme der Architektur von Ismalia, jener vom Grundriss her sehr europäischen Idealstadt, die im Zuge der Bauarbeiten am Suezkanal entsteht.57 Trotz der orientalis- tischen Assimilationsversuche bleibt das Projekt eine Ansammlung von Missverständnissen und Desastern. So bietet der Pascha gegen alle saint-simonistischen Ideale den Einsatz von Zwangsarbeitern an. Enfantins Versuch, diese trotzdem zu bezahlen, scheitert kläglich. Als nach einem Jahr harter Arbeit 1836 eine Pestepidemie Arbeiter und Abenteurer dezimiert, wird das Projekt abgebrochen. Enfantin kehrt nach Frankreich zurück, hinterlässt aber eine werdende französische Elite in der ägyptischen Administration. Saint-Simonisten wie Lambert, Linant, Bruneau und Perron werden wichtiger Teil des ägyptischen Bildungs- und Verwaltungssystems. Ihre Karrieren und der beständige Briefkontakt erlauben es Enfantin, 1845 die Initiative für eine transnati- onale Studiengesellschaft zur Errichtung des Suezkanals zu ergreifen. Im November 1846 bei einem Treffen in Paris gegründet, vereint die socièté d’étude englische, französische und deutsch-österreichische Akteure zur Etablierung einer »Art von Bosporus in der Wüste von Suez«.58 Die Beteiligung von Bankiers und politischen Ökonomen wird dabei von den Ingenieurspersönlichkeiten überstrahlt. Neben Robert Stephenson, einem Experten des britischen Eisenbahnbaus, steht der 57 Vgl. Montel: »Le chantier du Canal de Suez (1859−1869)«, S. 405 f. 58 Henry-René d’Allemagne: Prosper Enfantin et les grandes entreprises du XIXe siècle. Paris: Gründ, 1935, S. 93. Vgl. für eine deutschsprachige Perspektive Alfred Birk und Karl Her- mann Müller-Hamburg: Der Suezkanal. Seine Geschichte und seine wirtschaftspolitische Bedeutung für Europa, Indien und Ägypten. Hamburg: Boysen & Maasch, 1925, S. 1 f. und allgemein Philippe Régnier: Les Saint-Simoniens en Egypte 1833−1851. Kairo: Banque de l’Union Européene, 1989. 158 Politik der Netze und Netzwerke um 1850 aufstrebende brillante österreichische Ingenieur Negrelli, während die Brüder Paulin und Léon Talabot die französische polytechnische Tradi- tion vertreten. Von Anfang an wird die nicht nur zwischen England und Frankreich bestehende Konkurrenz offen und öffentlich ausgetragen, häufig in Form geschickt lancierter Artikel in den großen europäischen Zeitungen. Verlauf und Form der Verbindung sind dabei mehr als umstritten. Linant de Bellefonds, in Ägypten verbliebender Teilnehmer der ersten Expedition Enfantins, hat nach eigenen Vermessungen 1845 drei Szena- rien vorgeschlagen: erstens eine Eisenbahnverbindung über den Isthmus, zweitens einen Kanal, der Alexandria und Suez vereint, oder drittens einen direkten Kanal zwischen Mittelmeer und Rotem Meer. Linant favorisiert die letzte Variante. Sie sei kürzer, profitiere von vorhandenen Seen und sei in jedweder Hinsicht ökonomischer (Abbildung 4.7).59 Während England statt des ungeliebten Kanals stets die geopolitisch unproblematische Eisenbahnverbindung bevorzugt, setzen Enfantin und sein befreundeter Bankier François Barthélemy Arlès-Dufour von vorn- herein auf eine Kombination von Eisenbahn und Kanal. Den entspre- chenden Entwurf liefert Paulin Talabot, indem er im Sinne der Variante 2 die ägyptischen Großstädte zum Teil des Suezkanals macht. Alexandria, Kairo und Suez sollen miteinander verbunden werden, inklusive eines für Hochseeschiffe aufgestauten Nilabschnitts (Abbildung 4.8). Die Saint-Simonisten setzen also auf lokale Konnektivität zur Beför- derung von Orient wie Okzident. Sie wollen einen Kanal bauen, der mit seinen drei Stationen wie eine Eisenbahn funktioniert. Die Skepsis der ägyptischen Herrscher – bis 1848 Mehmed Ali, gefolgt von Abba Pascha, ab 1854 Said Pascha – gegenüber einem solchen, fast unmöglich zu finanzierenden Projekt spielt Ferdinand de Lesseps in die Hände. Dieser setzt sich massiv und erfolgreich für den Entwurf nach Linant und Mougel ein. In Audienzen bei Napoléon III. und einer Briefbataille mit de Lesseps ringt Enfantin 1855 noch vergeblich um Anerkennung und Überführung der Studiengesellschaft in die Suezkanal-Gesellschaft. Nachdem Negrelli sich auf die Seite des Diplomaten geschlagen hatte, gibt Enfantin den Widerstand schlussendlich auf. Reizvoll ist aber nicht nur die Einladung zum Gedankenexperiment, wie sich Ägypten mit einem über lokale Anschlüsse vernetzenden Kanal entwickelt hätte. Geopolitisch gesehen wurde der Suezkanal vor allem 59 d’Allemagne: Prosper Enfantin et les grandes entreprises du XIXe siècle, S. 88. Ägypten, Suez und die Neutralität des Kanals 159 abb . 4 .7: Linant de Bellefonds’ Entwurf für den Verlauf des Suezkanals: Carte de l’Isthme de Suez pour servir à l’Intelligence du Memoire sur les communications à établir par l’Isthme de Suez entre la Méditerranée et la Mer Rouge. Zeichnung, 1844. 92 x 67 cm. [Siehe Farbtafel VII] 160 Politik der Netze und Netzwerke um 1850 abb . 4 .8: Paulin Talabots Entwurf für den Verlauf des Suezkanals: Le canal de Suez, projet de Paulin Talabot. Kupferstich von F. Delamare in der Revue des deux mondes, Mai 1855. ein Engpass im kolonialen Weltverkehr, der nur reines Medium von A nach B sein sollte. Seine Besetzung wehrt allen lokalen Zugriff ab und lässt Ägypten im Status einer Protokolonie verbleiben. Im Gegensatz zu den teils einheimisch gewordenen saint-simonistischen Akteuren verhindern Frankreich wie England fortan jedweden ägyptischen Profit am Weltverkehr. Die Handelsströme fließen zwar nominell durch das Land, aber im Grunde erfolgt die Vermittlung für die Vertragsdauer von 99 Jahren komplett an ihm vorbei. Nichts kennzeichnet diese Haltung besser als die Versuche zur völkerrechtlichen Neutralisierung des Kanals, welche die Schifffahrtsfreiheit im Suezkanal garantieren sollten. Am 29. Oktober 1888 einigen sich die europäischen Großmächte in Konstantinopel erstmals auf die Neutralität des Kanalraums im Kriegsfall, einschließlich der Nicht-Blockade und der freien Passage von Kriegsschiffen aller Mächte.60 Die entsprechenden Paragrafen haben England zwar nicht davon abgehalten, seine mittels eines Aktiencoups 60 Vgl. Carl H. Jacobs: Die Schiffahrtsfreiheit im Suezkanal. Göttingen: E. A. Huth, 1912, S. 32. Siehe zur Exterritorialität Caroline Piquet, Histoire du canal de Suez. Paris: Perrin, 2009, S. 99. Ägypten, Suez und die Neutralität des Kanals 161 1875 erworbene und durch eine Invasion 1882 gefestigte Hoheit über den Suez auszunutzen. Aber das völkerrechtliche Protokoll zur Neutrali- sierung von Kanälen, Flüssen, Meeren und Meerengen im 19. Jahrhun- dert lässt ganze Landschaften zu Medienlandschaften werden, in deren Milieu sich erweiternde nationale Sicherheitsdispositive und koloniale Ambitionen überlagern können. Beispiele dafür sind das Schwarze Meer (1856), die Donau (1865 / 1878) und die Magellanstraße (1881).61 Diese Form der Profanisierung des Kanals aber ist wiederum im Grunde ein saint-simonistisch zu nennendes Unterfangen im Zeichen der universell vernetzenden »association«. Georg Simmel hat in seiner 1913 verfassten Philosophie der Land- schaft vermutet, dass jene »unbewußt wirksame Formel, die die Land- schaft als solche erzeugt, nicht eben so einfach aufzuweisen ist, ja viel- leicht in prinzipieller Weise überhaupt nicht«.62 Sein Weg aus diesem Dilemma führt ihn über die »Landschaft als malerisches Kunstwerk«. Im Falle der am Medium Kanal orientierten Netzwerklogik des Raumes, wie sie (nicht nur) das 19. Jahrhundert auszeichnet, wäre jene unbewusst wirksame Formel notwendig eine andere. Aus der Beherrschung des natürlichen Mediums Wasser, das sich der Formgebung fortwährend widersetzt,63 entsteht nicht weniger als ein Sicherheitsdispositiv des Weltverkehrs: Kanalisieren heißt kolonisieren. Während Ägypten so zur Durchgangsstation und zum reinen Medium des Transports wird, entwirft der saint-simonistische Plan zur Besiedlung Algeriens ein »ko- loniales Netzwerk« von verbundenen Städten zur Unterwerfung eines Territoriums. Raumpolitisch heißt dies, dass durch die Anschlussmög- lichkeiten eines Netzwerkes andere soziale Verbindungen gegen die Kolonialherrschaft zwingend ausgeschlossen werden sollen. Zur Medienlandschaft werden Kanäle und Meerengen durch die Überkreuzung von Kolonialismus, Weltverkehr und völkerrechtlicher Neutralisierung. Die juristische Codierung von stehenden Gewässern wie dem Suezkanal als Neutrum weist bereits voraus auf ein 20. Jahrhun- dert, das Kanäle als privilegierten Ort von symbolischen Operationen definiert. Mit dem Aufstieg der Informationstheorie ab den 1920er 61 Staaten wurden ebenfalls völkerrechtlich in den Neutralitätsstatus gehoben, sei es die Schweiz (1815), Belgien (1831 / 39) oder Luxemburg (1867). 62 Georg Simmel: »Philosophie der Landschaft«. In: Gesamtausgabe Band 12. Aufsätze und Abhandlungen 1909−1918. Band 1. Hrsg. von Rüdiger Kramme und Angela Rammstedt. Frankfurt am Main: Suhrkamp, 2001 [1913], S. 471−482, hier S. 474. 63 Herzlichen Dank an Patrick Ramponi für diesen Gedanken. 162 Politik der Netze und Netzwerke um 1850 Jahren entwickelt sich eine Wissenschaft, deren Grundlage die fortwäh- rende Neutralisierung des channel zum Zwecke der Zeichenübertragung wird. Dabei stehen Störung und die Inszenierung einer problemlosen Etablierung von Nachrichtenströmen miteinander in einem produktiven Widerstreit. »Der Kanal (channel) ist nur das Mittel (medium), das be- nutzt wird, um das Signal vom Sender zum Empfänger zu übertragen. Es können ein paar Drähte sein, ein Koaxialkabel, ein Frequenzband, ein Lichtstrahl, usw.«64 Von Wasser, Schiffen und kolonialen Ambitionen ist bei rechnenden Telefoningenieuren wie Claude Elwood Shannon nicht mehr die Rede – angesichts der Weltkriege des 20. Jahrhunderts wird viel eher die Geheimkommunikation zum Modell erhoben. Während sowohl usurpierendes Völkerrecht als auch informationstheoretisches Denken die Materialität der Verbindungen zum ›bloßen Kanal‹ reduzie- ren wollen, zeichnen sich beide durch einen gänzlich anderen Umgang mit Störgrößen aus. Die Realgeschichte des Suezkanals ist wie bei jedem großen tech- nischen System in Bau und Betrieb durch alltägliche Störungen gekenn- zeichnet. Innerhalb eines kolonialen Imaginären dürfen Verkehrskanäle aber idealiter kein Rauschen kennen – die Unterbrechung, egal ob Aufstand oder Naturkatastrophe, ist ihrer Wahrscheinlichkeit zum Trotz schlicht nicht vorgesehen. Die Codierungsoperationen zur Übermittlung einer Nachricht bei Shannon sind hingegen von vornherein am Grad des Rauschens orientiert65 – und gehen so von einem ernst zu nehmenden Gegner gleicher Stärke aus. Offen bleibt freilich die Frage, wie sich die Verschiebung vom materiellen canal zum channel der Signalübertragung vollzieht. Shannons berühmte Diagramme zum Nachrichtenfluss sind, wie man im Anschluss an Erhard Schüttpelz sagen kann, Telegramme.66 Der Übertrag verdankt sich unter anderem genau jener Art von Me- dienverbünden zwischen Schifffahrt, Telegrafie und Eisenbahn, durch 64 Claude Elwood Shannon: »Eine mathematische Theorie der Kommunikation«. In: Ausge- wählte Schriften. Hrsg. von Friedrich Kittler u. a. Berlin: Brinkmann & Bose, 2000, S. 7−100, hier S. 12. 65 Vgl. Albert Kümmel: »Mathematische Medientheorie«. In: Medientheorien. Eine Einfüh- rung. Hrsg. von Daniela Kloock und Angela Spahr. München: Fink, 1997, S. 205−236, hier S. 206, und Erhard Schüttpelz: »Frage nach der Frage, auf die das Medium eine Antwort ist«. In: Signale der Störung. Hrsg. von Albert Kümmel und Erhard Schüttpelz. München: Fink, 2003, S. 15−29, hier S. 16 f. 66 Erhard Schüttpelz: »Von der Kommunikation zu den Medien / In Krieg und Frieden (1943−1960)«. In: Gelehrte Kommunikation. Wissenschaft und Medium zwischen dem 16. und 20. Jahrhundert. Hrsg. von Jürgen Fohrmann. Wien; Köln; Weimar: Böhlau, 2005, S. 483−551, hier S. 516. Geopolitik und Liberalismus 163 die Orte wie der Isthmus von Suez zum medialen Milieu und Milieu des Medialen wurden. Oder, um es mit einem prophetischen saint- simonistischen Gedicht Michel Chevaliers auszudrücken: Au sommet des minarets Le télégraphe apportait ses bras et de toutes parts apportait de bonnes nouvelles au peuple. Über den Dächern der Minarette hat der Telegraf seine Flügel ausgebreitet und bringt aus aller Welt gute Neuigkeiten unter die Leute.67 4.5 Kanäle zu Netzwerken. Geopolitik und Liberalismus [Q]ue les États contractants feront tout de leur possible pour constituer le réseau international.68 Franz Alfons Desiderius de Chauvin, Direktor der preußischen Telegrafen Kanalfantasien und die aus ihnen entstehenden materiellen Kommuni- kationsnetzwerke des 19. Jahrhunderts erzeugen mindestens zwei ver- schiedene politische Körper, die miteinander im Widerstreit stehen. Zu- allererst zielen die von europäischen Nationalstaaten verfolgten Hand- lungsstile darauf ab, ideale Verbindungen innerhalb des eigenen, kolonial verfassten politischen Körpers zu generieren. Territoriale Vernetzung wird zum geopolitischen Imperativ für den Souverän. Die fortwährende geografische Ausweitung der Kontinentalmächte auf andere Kontinente bringt in diesem Kontext immer neue Grenzziehungen mit sich. ›Imaginierten Gemeinschaften‹69 eines national wie kolonial ver- netzten industriell-politischen Körpers stehen wiederum die ökono- mischen, verkehrstechnischen und medialen Anschlusskommunikati- onen im sich entwickelnden Weltverkehr gegenüber. Sie bilden einen zweiten politischen Körper, der ebenfalls von Netzwerken durchzogen wird. Mit anderen Worten: Das Dazwischen der Nationen wird zum handfesten Problem, wenn Eisenbahnen und Telegrafen nicht an den 67 Michel Chevalier: Le Temple. In: Régnier: Le livre nouveau des Saint-Simoniens, S. 238. 68 Documents diplomatiques de la conférence télégraphique internationale de Paris. Paris: Imprimerie Imperiale, 1865. 4. März, S. 115. 69 Vgl. Benedict Anderson: Imagined Communities. An Inquiry into the Origins and Spread of Nationalism. 2. Aufl. London: Verso, 1991. 164 Politik der Netze und Netzwerke um 1850 Ländergrenzen aufhören sollen. Anpassungen an die Protokolle des anderen nationalen Netzes bringen generell einen hohen Aufwand mit sich – vom Umspuren der Eisenbahnen bis zur Übergabe internationaler postalischer und telegrafischer Nachrichten durch Grenzbeamte. Dementgegen verspricht Charles Joseph Minards (1781−1870) statistische Karte des europäischen Eisenbahnverkehrs von 1862 na- hezu reibungslosen grenzübergreifenden Verkehr. Minard war als Polytechnicien, ehemaliger Leiter und Inspekteur der École des Ponts et Chaussées selbst Kanalexperte, bevor er sich im Ruhestand der thematischen Kartografie widmete. Er stand von 1830 bis 1836 der École des Ponts et Chaussées vor – in jenen entscheidenden Jahren des frühen Saint-Simonismus, der gerade an den Pariser Ingenieursschulen viele Anhänger hatte. Mit der 1865 lithografierten Karte entwirft Minard einen durch- aderten Körper Europas, der die Zirkulation so gestaltet, als wären sie Teil eines mal mehr, mal weniger pulsierenden Blutkreislaufes (Abbil- dung 4.9). abb . 4 .9: Charles Joseph Minard: Statistische Karte des europäischen Eisen- bahnverkehrs von 1862. Lithografie, 1865. 97,5 x 76 cm. [Siehe Farbtafel VIII] Geopolitik und Liberalismus 165 Mit den Worten der saint-simonistischen Projektpoesie stellt die Li- thografie genau jenes pazifistische »belebende Netz« dar, das Michel Chevalier vorschwebte. Seine Anschlüsse sind – im Bildstatus der Kar- te – tendenziell immer weiter perfektionierbar, sein Inneres umso vitaler. Neben koloniale Dispositive, die Raumdominanz sichern, und die kunstvolle Beherrschung eines freizusetzenden nationalen Milieus von Zirkulation tritt ein drittes Element. Über die nationalen Grenzen hinaus etablieren sich zwischenstaatliche Verbindungsregime, die zur Gründung internationaler Organisationen führen. Die angestrebte Mühelosigkeit der kontrollierten Passage von Waren, Menschen und Informationen befördert eine generelle Verbesserung der Konnektivität. Zu schaffen ist also ein neues, zuvorderst politisches Milieu, das trotz aller Interessenkonflikte auf die Neutralisierung wichtiger geografischer und informationstechnischer Wege angewiesen ist. Dies ist zwar nicht primär pazifistisch ausgerichtet, dient aber doch der Sicherung des fra- gilen innereuropäischen Friedens. So treffen sich die Diplomaten Europas auf Einladung von Napo- léon III. 1865 in Paris zum ersten Mal zu einer internationalen Telegrafie- konferenz.70 Während die privatwirtschaftlich organisierten englischen Telegrafieunternehmen längst Standards in der elektrischen Telegrafie gesetzt haben, die über das viktorianische Weltreich hinaus reichten, existieren in Kontinentaleuropa nur vereinzelte Abkommen zwischen Staaten.71 Die Protokolle und Netzwerke des diplomatischen Verhan- delns treffen in Paris auf all diejenigen Standardisierungsprobleme, die eine Depesche über Landesgrenzen verursacht. Diplomatische Vermitt- lungen, die dem Protokoll verkörperter sozialer Codes gehorchen, sor- gen für die Etablierung eines zwischenstaatlichen Netzwerkprotokolls. Weil es medienhistorisch meist im Schatten des Transatlantikkabels 70 Herzlichen Dank an die ITU-Archivarinnen Kristine Klara und Heather Heywood für die Bereitstellung der Materialien zu den Konferenzen. Diese sind mittlerweile auch online verfüg- bar: http://www.itu.int/en/history/Pages/ListOfITUConferencesAssembliesAndEvents.aspx. Vgl. zur Geschichte der ITU generell George Arthur Codding und Anthony M. Rutkowski: The International Telecommunication Union. An Experiment in International Cooperation. Dedham, MA: Artech House, 1982. 71 Dies betraf vor allem die deutschsprachigen Staaten. Am 3. Oktober 1849 wurde der erste Vertrag zwischen Österreich und Preußen zur Regelung des Austauschs telegrafischer Nach- richten geschlossen, gefolgt von Preußen und Sachsen, Österreich und Bayern. Am 25. Juli 1850 wurde infolgedessen der Deutsch-Österreichische Telegraphenverein gegründet. Vgl. Codding und Rutkowski: The International Telecommunication Union, S. 13. Vgl. zum Ver- hältnis staatsorientierter und marktorientierter Kommunikation in der Telegrafiegeschichte Flichy: Tele, S. 21 ff. 166 Politik der Netze und Netzwerke um 1850 steht, das 1866 erstmals dauerhaft England und die USA verbindet,72 wird zumeist die privatwirtschaftliche Dynamik der Vernetzung betont, weniger aber die staatszentrierte Entwicklung in der europäischen Di- plomatie des Telegrafen.73 Während die politische Auseinandersetzung um das Transatlantikkabel vor allem in den USA kontrovers geführt wurde – schließlich war Skepsis gegenüber den britischen Ambitionen angebracht – geht es zwischen den europäischen Staaten weniger um das Ob der Verbindung als um das Wie der Regulierung. Die ersten drei von 63 Artikeln des verhandelten Vertragstextes widmen sich dabei dem »réseau international«: Wie lang müssen die Telegrafenbüros geöffnet sein? In wichtigen Städten immer, im Sommer von 7 bis 21 Uhr, im Winter von 8 bis 21 Uhr. Wie codiert man die Nachricht? Vorerst in Morsecode.74 Wer darf Nachrichten senden? Jedermann, aber Vorrang kommt der zwischenstaatlichen Kommuni- kation zu.75 Wie lang darf ein Wort sein? Sieben Silben.76 Wie viel kostet die Übermittlung? So viel, wie eine komplizierte Tabelle nach geografischen Distanzen in der Einheitswährung Franc aufschlüsselt.77 Beteiligte Nationalstaaten bleiben allerdings souverän hinsichtlich des Zurückhaltens von Nachrichten, einer Unterbrechung des Dienstes und der Tarifierung.78 Die Regelungen reichen, an Postverordnungen geschult, bis in medientechnische Details der Zustellung hinein. Am 17. Mai 1865 besiegeln die Verhandlungsführer Österreichs, Badens, Bayerns, Belgiens, Dänemarks, Spaniens, Frankreichs, Grie- chenlands, Hamburgs, Italiens, der Niederlande, Portugals, Preußens, Rußlands, Sachsens, Schweden / Norwegens, der Schweiz, des Osma- nischen Reiches und Württembergs die Konvention, deren Beginn nach 72 Vgl. zum Diskurs über das Kabel als kanalförmige »Nabelschnur« Christian Holtorf: Der erste Draht zur Neuen Welt. Die Verlegung des transatlantischen Telegrafenkabels. Göttingen: Wallstein, 2013. 73 Vgl. klassisch zum Verhältnis von staatszentrierter und marktorientierter Kommunikation Flichy: Tele, S. 21 ff. 74 Vgl. Documents diplomatiques (Paris), Art. 2, 3. Dieser Passus bleibt in der Zukunft nicht unumstritten. In der modifizierten Konvention des Wiener Vertrages von 1868 sind sowohl Morse- als auch Hughesapparate vorgesehen. Vgl. Documents diplomatiques de la conférence télégraphique internationale de Vienne. Paris: Imprimerie Imperiale, 1868, Art. 3. England, das zur ersten Konferenz aufgrund seiner privaten Telegrafennetze nicht eingeladen wurde, tritt erst der Wiener Konvention bei. 75 Documents diplomatiques (Paris), Art. 4, 7. 76 Documents diplomatiques (Paris), Art. 33. 77 Documents diplomatiques (Paris), S. 37 f. Die Berechnung der Tarife besaß immer eine hohes Konfliktpotenzial. Vgl. Codding und Rutkowski: The International Telecommunication Union, S. 57 f. 78 Documents diplomatiques (Paris), Art. 19, 20, 59. Geopolitik und Liberalismus 167 Ratifizierung für den 1. Januar 1866 vorgesehen wird. Zum Vertragstext gehört auch Artikel 57, der die beteiligten Parteien darauf verpflichtet, über alle Betriebsstörungen und Arbeiten an ihrem nationalen Netz zu berichten. Er sieht weiterhin vor, dass jedes Land am Anfang des Jahres Nachrichtenstatistiken und eine Karte seines Netzes an die übrigen un- terzeichnenden Staaten sendet. Diese Bestimmung wird auf der zweiten Konferenz 1868 in Wien fortgeschrieben: Mit der Gründung eines In- ternationalen Büros zur Telegrafenadministration in Bern wird ab dem 1. Januar 1869 der interne Informationsfluss zentralisiert und formell eine internationale Organisation gegründet – mitsamt Statistiken, offizi- eller Karte, Konferenzorganisation und dem Journal Télégraphique als Stammblatt.79 Dies ist kein Einzelfall. Vergleichbare zwischenstaatliche Organisationen folgen, z. B. 1874 der Weltpostverein. Aus der Interna- tionalen Telegrafenunion entwickelt sich trotz offensichtlicher Konflikte wie dem Deutsch-Französischen Krieg von 1870 / 71 sukzessive die heu- tige International Telecommunication Union (ITU). Ihr Hauptquartier befindet sich seit 1948 in Genf und ist als UN-Institution gegenüber dem Völkerbundsgebäude der Vereinten Nationen lokalisiert. Trotz des eher unscheinbaren Charakters der Institution überkreuzen sich in ihr bereits im 19. Jahrhundert die Protokolle der internationalen Politik und der Telegrafie. So stellen die Konferenzen von Paris und Wien netzwerkhistorisch entscheidende Momente dar: Diplomatengespräche bestimmen über die Organisation des internationalen Netzwerks, das die nationalen Netze miteinander verbindet. Das Reglement der länderüber- greifenden Telegrafie unternimmt dabei die Ordnung des telegrafischen Handelns in einem transnationalen Raum. Mit den Details der Gebüh- renordnung – die russischen Gebühren sind am höchsten – wird aber immer wieder geografisches Landesterritorium zum Maßstab erhoben.80 Eine Nachricht durchquert auf diese Art und Weise mehrere nationale Netze, die sich zu einem interkonnektiven Netzwerk verbinden. Der Telegraf wird in der Internationalen Telegrafenunion gewisser- maßen zur politischen Tatsache: ein von vielen Regierungen verhandeltes Sicherheitsdispositiv des Raumes, welches wiederum eines eigenen Büros zur Administration bedarf. Es ist kein Zufall, dass es in Bern, d. h. in der völkerrechtlich neutralen Schweiz eingerichtet wird.81 Allerdings 79 Documents diplomatiques (Wien), Art. 61−63. 80 Vgl. Documents diplomatiques (Paris), S. 41 f. 81 Das fulminante Plädoyer des ersten ITU-Direktors Louis Curchod vom 4. Juli 1868 für ein zentrales Büro lässt sich nachlesen in den Documents diplomatiques (Wien), S. 381 f. 168 Politik der Netze und Netzwerke um 1850 gibt es Grenzen der Neutralisierung, an denen aber gerade die liberalen Tendenzen der sich zentrifugal ausweitenden kommunikativen Verbin- dungen nochmals deutlich werden. So wollen sich die Abgeordneten auf der dritten Konferenz in Rom 1871 / 72 den brieflichen Appellen der amerikanischen Telegrafenpioniere Cyrus Field und Samuel Morse zur Neutralisierung der Linien nicht anschließen.82 Gerade angesichts des kolonialen Wettlaufs, ja einer imperialen Konkurrenz um die bessere Konnektivität wirkt Fields und Morses Wille zum laisser faire – laisser passer paradox. Die Intensivierung der Verbindungen des eigenen poli- tischen Körpers wird so mit der Anschlussfähigkeit im Weltverkehr in eine fragile Übereinkunft gebracht. Wie ließe sich die hier am Beispiel Frankreichs und der Saint-Simo- nisten erzählte Netzwerkgeschichte zusammenfassen?83 Über Verbin- dungsformen, die am Modell des Kanals orientiert sind, graben sich technische Netzwerke im 19. Jahrhundert in das raumzeitliche Milieu ein, um es fortan grundlegend zu organisieren. Als gouvernementale Technik zur Raumbeherrschung von Städten, Nationalstaaten und Kolonialreichen dienen sie einerseits der Kontrolle, andererseits sollen sie Sicherheit für die eigene Bevölkerung schaffen. Wenn Politik die Kunst ist, einen politischen Körper zu erzeugen, so verfolgt die liberale Politik der Netzwerke um 1850 ein spezifisches Ziel: die Ermöglichung ›guter‹ Zirkulation und Kommunikation als Lebensgrundlage eines sich vergrößernden Kollektivkörpers.84 Gleichzeitig und überlagernd entstehen neue grenzüberschreitende politische Körper, deren geografische Konturen weitaus unschärfer sind. Ihre Anatomie folgt eher den Telegrafendrähten und verkehrstechnischen Anschlüssen der Kursbücher,85 ihre Operativität den Anforderungen von transnationaler politischer und ökonomischer Kommunikation. 82 Vgl. Codding und Rutkowski: The International Telecommunication Union, S. 27. 83 Umfassendere, an anderen Fallstudien geschulte Entwürfe liefern z. B. Peter J. Hugill: Global Communications since 1844. Geopolitics and Technology. Baltimore; London: Johns Hop- kins University Press, 1999 (für Englands Empire and Communications); Dirk van Laak: Imperiale Infrastruktur. Deutsche Planungen für eine Erschließung Afrikas 1880 bis 1960. Paderborn; München: Schöningh, 2004; Christopher A. Bayly: Die Geburt der modernen Welt. Eine Globalgeschichte 1760−1914. Frankfurt; New York: Campus, 2008 (zu Mythen und Techniken des modernen Staates S. 303 f.); Erik van der Vleuten und Arne Kaijser, Hrsg.: Networking Europe. Transnational Infrastructures and the Shaping of Europe, 1850−2000. Sagamore Beach: Science History Publications, 2006. 84 Vgl. zur Ermöglichung guter Zirkulation bei Toleranz schlechten Austauschs in der Bevöl- kerung Foucault: Sicherheit, Territorium, Bevölkerung, S. 101. 85 Vgl. Krajewski: Restlosigkeit, S. 29 f. Vgl. zur Verbindung von medialer Raumtheorie und ›Geobiopolitik‹ Niels Werber: Die Geopolitik der Literatur. München: Hanser, 2007. Geopolitik und Liberalismus 169 Dies führt zu paradoxen Konstellationen, in denen die Regulierung international wichtiger Verkehrs- und Kommunikationswege nominell einen rechtlich neutralen Zugang für die Kolonialmächte vorsieht. Für die imperiale Ausbeutung wird ein politisches Milieu geschaffen, das optimale Verbindungen für die Annexion zur Verfügung stellt. Selbst Organisationen wie die Internationale Telegrafenunion tragen indirekt zu dieser kolonialistischen Netzwerklogik bei. Kurz gesagt lautete deren Formel: »Kanalisieren heißt Kolonialisieren«, etwas länger: »Schaffe Räume der Zirkulation, die Anschlussfähigkeit und Eigeninteresse mit- einander in Übereinkunft bringen.« Die Netzwerkbildung innerhalb der medialen Weltverkehrsordnung hat jedoch ihren Preis. Sie wird bezahlt von all jenen, die wie Algerien oder Ägypten räumlich angeschlossen werden, politisch und ökonomisch aber ausgeschlossen bleiben. Jenseits der kolonialen Weltordnung – mitsamt ihrer auf fortwähren- de Ausweitung zielenden politischen Ökonomien – bringt das 19. Jahr- hundert auch nicht primär hegemonial genutzte Netzwerke hervor. So entstehen Telefonnetze als ausgesprochen zivile, räumlich zunächst begrenzte Infrastrukturen überwiegend in Friedenszeiten. Die materielle Kultur der Telefonvermittlung ist zunächst eine lokale Angelegenheit: Das folgende Kapitel stellt weniger die globale Formung vernetzter Mili- eus als eher unscheinbare und fast vergessene Dinge in den Vordergrund. 5 Vermittlungen. Telefone und Stimmen um 1890 Die Dinge, welcher es zur Telefonvermittlung bedarf, sind uns ähn- lich fremd geworden wie der elektrische Telegraf. Sie fristen ihre mu- seale Existenz meist in derselben Abteilung. Während aber das tele- grafische Klicken oft noch in ein bedienbares Exponat umgewandelt wird, bleiben die Schalttafeln, Klappenschränke und Hebdrehwähler des Telefons stumm. Dies betrifft nicht nur ihre pure Funktionalität, also das Stecken der Verbindung von Hand oder die ratternde Arbeit der elektromechanischen Wähler. Unterrepräsentiert bleiben so zumeist die konkreten Handlungsvollzüge, Orte und Institutionen. Fast undar- stellbar wird zudem in diesem Kontext etwas, das man das Wissen der Telefonvermittlung nennen kann. Gemeint ist damit das zuhandene und verkörperte Wissen all derjenigen, die ein Switchboard – auf Deutsch Klappenschrank genannt – bedienen konnten. Gemeint ist aber auch die Transformation dieses impliziten Wissens in und durch maschinelle Automatisierungen der Verbindung.1 Die manuellen wie maschinellen Operationsketten der Telefonvermittlung stehen für spezifische Hand- lungsstile, die das Sprechen im Netz überhaupt erst ermöglichen. Zugleich meint das Wissen der Telefonvermittlung aber auch dieje- nigen wissenshistorischen Querbezüge und Überkreuzungen, die mit der Telefonvermittlung einhergehen. Als ›epistemisches Ding‹ hinterlässt sie ihre Spuren in Physiologie, Reflextheorie und Assoziationspsychologie. Deren Popularisierungen wiederum beeinflussen, was öffentliches Wis- sen über die Telefonvermittlung sein kann. Und die Telefonvermittlung folgt wie die Telefonie selbst einem gespenstischen kulturhistorischen Erbe: dem Sprechen mit den unfassbaren, akustisch präsenten Geistern der Toten. 1 Vereinzelt existieren Arbeits- und Archivsammlungen der analogen Telefonie, in denen Materialität und Praxis zusammenfinden. Vgl. http://www.sammlung-schmidt.de. 172 Telefone und Stimmen um 1890 Anhand des Telefongesprächs lässt sich zeigen, dass Verbindungen hergestellt und unterbrochen werden müssen, um wirksam zu sein. Da- bei ist anfangs noch nicht ausgemacht, ob man eine permanente oder eine zeitweilige Verbindung zur synchronen Kommunikation bevorzugt. Neben den technischen Ensembles der städtischen Telefonvermittlung entsteht z. B. in den USA eine ländliche Vernetzung entlang von party lines, die anstatt eines intimen Dialogs das Gespräch aller Angeschlos- senen ermöglichen.2 Noch in Franz Kafkas Roman Das Schloß – 1922 geschrieben und posthum 1926 veröffentlicht – ist dieses Szenario der Mehrfach- und Dauerverbindung realisiert. Kafka lässt durch den Dorfvorsteher den Landvermesser K. über das Schloss unterrichten: Im Schloß funktioniert das Telephon offenbar ausgezeichnet; wie man mir erzählt hat wird dort ununterbrochen telephoniert, was natürlich das Arbeiten sehr beschleunigt. Dieses ununterbrochene Telephonieren hören wir in den hiesigen Telephonen als Rauschen und Gesang, das haben sie gewiß auch gehört. Nun ist aber dieses Rauschen und dieser Gesang das einzige Richtige und Vertrauenswerte, was uns die hiesigen Telephone übermitteln, alles andere ist trügerisch. Es gibt keine bestimmte telephonische Vermittlung mit dem Schloß, keine Zentralstelle, welche unsere Anrufe weiterleitet; wenn man von hier aus jemanden im Schloß anruft, läutet es dort bei allen Apparaten der untersten Abteilungen oder vielmehr würde es bei allen läuten, wenn nicht, wie ich bestimmt weiß, bei fast allen dieses Läutwerk abgestellt wäre.3 Diese oft zitierte Telefonszene Franz Kafkas erhebt nicht nur die Störung und das Rauschen zur Grundlage aller fernmündlichen Kommunikation. Sie stellt außerdem einen Kontrapunkt zum Prinzip einer nur zeitweiligen Verbindung der Telefone dar. Für den Plot des Schloß-Romans spielt die Nicht-Vermittlung zwischen dem Landvermesser K. und der büro- kratischen Superstruktur des Schlosses eine entscheidende Rolle. Dem Telefon kommt dabei die Rolle eines unheimlichen und verstörenden Agenten zu. »Alle diese Berührungen sind nur scheinbar«,4 dienen aber als desorientierendes Instrument der Herrschaft. So warnt der Dorfvor- 2 Vgl. Flichy: Tele, S. 152 f.; Tim Wu: The Master Switch. The Rise and Fall of Information Empires. New York: Alfred A. Knopf, 2011, S. 45 f. 3 Franz Kafka: Das Schloß. 8. Aufl. Frankfurt am Main: Fischer, 2001 [1926], S. 91. Zum Telefonisch-Unheimlichen vgl. John Durham Peters: Speaking into the Air. A History of the Idea of Communication. Chicago: University of Chicago Press, 1999, S. 195 f. 4 Kafka: Das Schloß, S. 90. Telefone und Stimmen um 1890 173 steher K. nachdrücklich: »freilich ist es besser, man läuft vom Telephon weg ehe der erste Laut zu hören ist«.5 In Kafkas präziser Sprache sind mindestens zwei wichtige Momente der medialen Vermittlung formuliert und aufgehoben. Zum einen er- scheint das Telefon eingangs als ein Apparat zum Senden von Sprache, ganz in der Tradition der Semantik eines »sprechenden Telegrafen«, welche die Anfangszeit des Telefons durchzieht.6 So telefoniert man eine Antwort und sucht telefonisch an, um mit dem Schloss zu kommu- nizieren.7 Zum anderen kreiert Kafka eine telefonische Vorhölle der permanenten Verbindung, in der gerade die fehlende Unterbrechung das Rauschen bedingt. Der fortwährende simultane Gesang der bürokra- tischen Prozesse ist nur dann möglich, wenn es keine Telefonvermittlung gibt, welche die Verschaltung von Stimmen regelt. Kafkas Telefonie ist eigentlich eine Radiofonie – und damit nicht weit entfernt von der unbestimmten Situation, in der sich das Telefon in den Anfangsjahren befand. Während die Telefone permanent verbunden sein können, braucht es für die Kommunikation menschlicher Stimmen eine temporäre Ver- bindung. In urbanen Umgebungen verfestigt sich mehr und mehr das Prinzip der frühen Telefonnetze, die noch keine Mehrfachnutzung des Kabels bieten: eine Stimme – eine Leitung – eine direkte Verbindung. Vermittlungsgeräte und -praktiken sind im Gegensatz zur Dauerverbin- dung der party lines auf diese spezielle Form diskreter Adressierung hin optimiert, wobei neben den für die Stimme reservierten Draht weitere Kabel zur Steuerung der Verbindung treten. Das Besetzt-Zeichen entwi- ckelt sich zum stärksten Ausdruck dieser Form von Vermittlungsarbeit. Die Darstellung konzentriert sich im Folgenden auf den Osten Nordamerikas und geht nur an einigen Stellen auf die europäischen Entwicklungen ein. Nicht die Mehrfacherfindung des Telefons steht im Vordergrund, sondern die fortwährenden Mehrfacherfindungen der Vermittlungstechniken. Besonders wichtig für die amerikanische Entwicklung sind zwei Übergänge. Zunächt entsteht eine Heterarchie kleiner lokaler Netze, die sich letztlich durch eine Monopolisierung zum 5 Kafka: Das Schloß, S. 91. 6 Vgl. Jens Ruchatz: »Das Telefon – Ein sprechender Telegraf«. In: Einführung in die Ge- schichte der Medien. Hrsg. von Albert Kümmel, Leander Scholz und Eckhard Schumacher. Paderborn: UTB / Fink, 2004, S. 125−149, und den Zeitungs- und Werbediskurs um Bells Telefon in Kapitel 5.1 dieses Buches. Siehe Flichy: Tele, S. 145, zu dialogischen Verwendungen des Telegrafen. 7 Kafka: Das Schloß, S. 12, S. 29. 174 Telefone und Stimmen um 1890 nationalen Bell-System zusammenfügen werden. Teil dieser Entwicklung ist ein Wechsel des Vernetzungsstiles, der sich mit der Automatisierung der Vermittlung anbahnt. Am Anfang dieser Entwicklung stehen aber nicht etwa die technischen Fragen der Vernetzung, sondern der Klang- und Schauwert des Telefons in Music Halls, Opern und Zeitungen. 5.1 Spektakuläre Anrufe. Das Telefon in der Music Hall Telefonie ist ein Spiel der Situierung von Orten des Sprechens, die ihr Woher im Offenen lassen können, weil die Ver- bindung ja immer schon besteht. Nicht Orte werden verbunden, sondern Verbin- dungen schaffen Orte.8 Wolfgang Hagen Am 18. Mai 1877 tippt Thomas Augustus Watson einen kurzen Brief an seine Frau Elizabeth. Aus dem frühsommerlich heißen New York berichtet er von den Schwierigkeiten, das Telefon in der Großstadt zu präsentieren: »Alecs Vorlesung war ein Misserfolg, was die Besucher- zahlen angeht […]. Heute Nacht werden wir mehr Gäste haben, denn wir haben fast 300 Eintrittskarten verschenkt.«9 Der geringe Publikums- zuspruch, von dem Alexander Graham Bells Assistent berichtet, war ungewöhnlich. In den Music Halls und Opernhäusern New Englands erzielten beide oft triumphale Publikumserfolge, während sie in der Großstadt New York gegen die ungewohnte Konkurrenz des Broad- way antreten müssen. Gegenüber den 500 bis 2.000 Zuschauern und Zuschauerinnen der übrigen Vorstellungen wirken die 300 Personen in der New Yorker Chickering Music Hall enttäuschend. Watsons Aktionen zur Vergrößerung der öffentlichen Wirkung bleiben aber nicht ohne Folgen. Die New Yorker Zeitungen berichten zwischen dem 12. und 19. Mai, wenn auch in zurückhaltendem Ton, vom »Speaking Telephone« des Schotten Alexander Graham Bell.10 8 Wolfgang Hagen: »Gefühlte Dinge. Bells Oralismus, die Undarstellbarkeit der Elektrizität und das Telefon«. In: Telefonbuch. Beiträge zu einer Kulturgeschichte des Telefons. Hrsg. von Stefan Münker und Alexander Roesler. es 2174. Frankfurt am Main: Suhrkamp, 2000, S. 35−60, hier S. 52. 9 Thomas Watson an Elizabeth Watson, 18.7.1877. Alexander Graham Bell Box 402, Ale- xander Graham Bell Family Papers (AGB FP), Manuscript Division, Library of Congress, Washington, D. C. 10 Vgl. New York Herald, The World vom 12.5., The Evening Post vom 16.5., New York Times vom 19.5.1877. Box 402, AGB FP. Watson war derjenige, dem die Rolle des Tele- Spektakuläre Anrufe 175 Weitaus enthusiastischer klingt die Presseresonanz der zeitgenössischen Berichterstattung in den Magazinen und Journalen zwischen Boston, Salem, Providence und New Haven. Dort ist das Telefon nicht nur ein sprechendes Ding, sondern ein weitgehend offenes, unbestimmtes Ob- jekt als Gegenstand »wundervoller Experimente«; es ist »marvelous«, »most wonderful«, »one of the wonders of this age of marvels«11 und vor allem: Anlass spektakulärer Anrufe als populärer Performance. Das frühe Telefon betritt vor allem in Frankreich und den USA als Massen- medium die Szene von Opernhäusern, Theatern und Music Halls.12 Es ist in Nordamerika wie in Europa zunächst ein »Theatrophon«, das Musik und Gesang zwischen architektonischen Hör- und Schauräumen überträgt. Bell verdankt den Vorlesungen, die er bald auf beiden Seiten des Atlantiks hält, vor dem Aufstieg zum Millionär sein wirtschafliches Auskommen. Sein Antrieb ist dabei nicht nur wissenschaftlicher Ehrgeiz, sondern auch die Liebe zu Mabel Hubbard, der gehörlosen Tochter seines Finanziers und Anwalts Gardiner Greene Hubbard.13 Auch die Brautwerbung um Mabel führt den Schotten zur theatralen Vermarktung seiner Erfindung, schließlich bringe sie ihm, wie er in einem Brief an seine Geliebte vermerkt, bei 500 Zuschauern in einer Vorstellung nicht wie die Erfindertätigkeit fünf Dollar die Stunde, sondern 250 Dollar pro Abend ein.14 Alexander Graham Bell entwickelt die naheliegende Idee einer Telefonvermittlung allerdings nicht selbst: Teils entsteht sie aus Geschäftsmodellen der Telegrafie, teils inspirieren seine Auftritte lokale Bastler, teils erklären europäische Akteure wie der deutsche General- postdirektor Ernst Heinrich Wilhelm Stephan den Ausbau telefonischer Verbindungen zur Staatsangelegenheit.15 fonsprechers und -sängers zukam. Vgl. Jonathan Sterne: The Audible Past. Cultural Origins of Sound Reproduction. 3. Aufl. Durham; London: Duke University Press, 2006, S. 250 f. 11 The Daily Graphic, 6.3.1877. Box 402, AGB FP. 12 Bells Konkurrent Elisha Gray ließ seinen Apparat ebenfalls live vor großen Mengen von Zuhörern und Zuschauerinnnen präsentieren. Siehe das Plakat bei Sterne: The Audible Past, S. 253. 13 Nicht nur Avital Ronell hat diese Konstellation als eine psychoanalytische Urszene des telefonischen Begehrens beschrieben. Vgl. Avital Ronell: Das Telefonbuch. Technik, Schi- zophrenie, elektrische Rede. Berlin: Brinkmann & Bose, 2001, S. 68, S. 101, S. 193. Siehe auch Seth Shulman: The Telephone Gambit. Chasing Alexander Graham Bell’s Secret. New York; London: Norton & Company, 2009, S. 63 ff. 14 Alexander Graham Bell an Mabel G. Hubbard, 13.2.1877, Typoskript. Box 402, AGB FP. 15 Vgl. Heinrich von Stephan: Das Telephon betreffend. Brief des Generalpostmeisters Heinrich v. Stephan an Seine Durchlaucht den Fürsten Reichskanzler Otto v. Bismarck. Vorschlag für die Einführung der ersten Telephon-Verbindungen Berlin 9.11.1877. Hrsg. von Uwe Otto. Satyren und Launen 24. Berlin: Berliner Handpresse, 1984. 176 Telefone und Stimmen um 1890 Vor diesem Hintergrund sind Bells Visionen, wie seine Erfindung weiter zu nutzen sein könnte, Teil eines größeren Diskurses. So formu- liert er am 25. März 1878 in Kensington, England: Zum gegenwärtigen Zeitpunkt verfügen wir über ein perfektes Netzwerk von Gas- und Wasserrohren in unseren großen Städten. Wir haben Haupt- rohre unter den Straßen, die über Nebenrohre mit den verschiedenen Gebäuden verbunden sind (communicating by) und die die Bewohner befähigen, ihr Gas und Wasser aus einer gemeinsamen Quelle zu beziehen. Es ist vorstellbar, dass Telefonleitungen in einer ähnlichen Form unter der Erde gelegt oder oberirdisch aufgehangen werden können, mit privaten Häusern, Landsitzen, Läden, Fabriken usw. usf. durch verzweigte Drähte verbunden. Alle werden durch ein Hauptkabel mit dem zentralen Büro vereint, an dem die Drähte so verbunden würden wie gewünscht, so dass ein direkter Austausch (communication) zwischen jedweden zwei Orten einer Stadt ermöglicht wird.16 Bemerkenswerterweise orientiert sich Bells Vorschlag nicht am Tele- grafennetz, sondern entwirft Telefonverbindungen in Analogie zur ka- nalförmigen städtischen Infrastruktur. Die Räume der frühen Telefonie bleiben lokal, sind mithin praktisch durch Gespräche innerhalb von Häusern, zwischen Farmen und im Ort bestimmt – nicht nur, weil die geografische Ausbreitung durch die Reichweite des Signals begrenzt ist, sondern vor allem ob der Nutzung in bereits bestehenden sozioökono- mischen Zusammenhängen.17 In den 1880er Jahren verbreiten sich Haustelefone wahrscheinlich schneller als Netztelefone: Teuer ist nicht der Apparat, sondern der Netzanschluss, der sich vor allem für die geschäftliche Nutzung lohnt.18 In Luxushotels, die schnell Interesse am Telefon entwickeln, treffen interne Vernetzung und ökonomische Nützlichkeit aufeinander. 16 Vgl. Frederick Parker Lewis: Chronicles of Early Telephone Days in Connecticut with the personal stories of George W. Coy and Herrick P. Frost concerning the first commercial telephone exchange at New Haven, Connecticut 1934. Southern New England Telephone Company Records (SNET). Archive & Special Collections at the Thomas J. Dodd Research Center, University of Connecticut Libraries Box 305, Folder 1923. Typoskript, S. 20. 17 Dessen ungeachtet testet Heinrich Stephan im Oktober 1877 in Deutschland schnell die maximale Entfernung aus. Während über 61 Kilometer von Berlin nach Brandenburg eine funktionale Verbindung erfolgt, erweisen sich die 142 Kilometer zwischen Berlin und Magdeburg als zu lang. Vgl. Stephan: Das Telephon betreffend; Roland Gööck: Die großen Erfindungen. Nachrichtentechnik und Elektronik. Künzelsau: Sigloch, 1988, S. 114. 18 Vgl. Wolfgang König: »Nutzungswandel, Technikgenese und Technikdiffusion. Ein Essay zur Frühgeschichte des Telefons in den Vereinigten Staaten und Deutschland«. In: Fern-Sprechen. Internationale Fernmeldegeschichte, -soziologie und -politik. Hrsg. von Jörg Becker. Berlin: Vistas, 1994, S. 147−163, hier S. 157. Spektakuläre Anrufe 177 Das Feld der telefonischen Vernetzung integriert in Nordostamerika so zunächst weniger die Metropolen als die kleineren Städte zwischen New York und Boston.19 Dies hat zum Teil handfeste elektrotechnische Gründe; die sich ausbreitenden elektrischen Kraftwerke und die Strom- versorgung für Straßenbahnen und Beleuchtung sorgen für zu viele Störungen in der Telefonübertragung.20 Hinzu kommt ein unerwartetes ökonomisches Problem. Die Verbindung von immer mehr Anschlüssen erweist sich nicht etwa als billiger, sondern bis zur Erfindung einer zentralen Batterieversorgung steigen die Kosten in den Großstädten schneller als die Einnahmen.21 Vor allem folgt die geografische Distri- bution dem größeren Interesse, das Bells populäre Auftritte an Orten wie Salem, Providence und New Haven wecken. Diejenigen Städte, in denen sich die Überlandverbindungen Opernhäusern und Music Halls regelrecht aufpfropfen, entwickeln sich zu den ersten Knotenpunkten des Telefonnetzes. An keiner Stelle ist diese Überlagerung von lokalen Verbindungen und städtischer Kommunikation bezeichnender als bei Bells folgenreichem Auftritt im Skiff Opera House von New Haven am 27. April 1877. Seine Darstellung der telefonischen Grundversorgung rückte er bereits hier in die Nähe körperlicher Bedürfnisse: »In der Zukunft werden Telegrafie und Telefonie in Gebäuden wie Gas und Wasser allgemein genutzt werden – nicht als Luxus, sondern als Notwendigkeit. Drähte werden mit einem zentralen Büro verbunden werden, von dem aus die Kommunikation mit dem Fleischer und dem Bäcker hergestellt werden kann.«22 George W. Coy, Bürgerkriegsveteran und Manager der Atlantic and Pacific Telegraph Company, assistiert Bell an diesem Abend beim Aufbau der Apparate. Dass Coy als späterer Telefongesellschaftsgrün- der und Konstrukteur des ersten Switchboards hier in die dienende Rolle Watsons schlüpft, lässt sich im Nachhinein kaum anders denn als Gründungsszene der Telefonvermittlung beschreiben. Im Gegensatz 19 Vgl. Frank Hartmann: Globale Medienkultur. Technik, Geschichte, Theorien. UTB 2723. Wien: WUV, 2006, S. 100 f. 20 Vgl. Benson, Reuel A., Jr.: The First Century of the Telephone in Connecticut. Januar 1978. SNET, Box 305, Folder 2986. Siehe auch http://doddcenter.uconn.edu/asc/collections/busi- ness/snet/telephonehistory7.htm. 21 Vgl. Milton Mueller: »The Switchboard Problem. Scale, Signaling, and Organization in Manual Telephone Switching«. In: Technology and Culture 3 (1989), S. 534−560. 22 Vgl. Lewis: Chronicles of Early Telephone Days in Connecticut. SNET, Box 305, Ordner 1923. Typoskript, S. 17. 178 Telefone und Stimmen um 1890 zur intensiven Psychografie Bells, die in den Kulturwissenschaften ge- radezu ein Subgenre von Telefongeschichten hervorgebracht hat, sind die Motive Coys kaum hinterfragt worden. Er selbst erinnert sich wie folgt an seinen Abend als Assistent: »Ich unterhielt mich ausführlich mit ihm [Bell, SG] über die Möglichkeiten des Telefons, konnte von ihm aber keine Information erhalten, wie das Telefon kommerziell genutzt werden könnte.«23 Die unsichere wirtschaftliche Nutzbarmachung des Telefons, mit der Bell ob der Konkurrenzkämpfe mit Edison und den Telegrafenfirmen durchaus hadert, bildet die andere Seite der spektakulären Anrufe. Coys hartnäckige Bemühungen um eine Bell-Lizenz für New Haven, die er im September 1877 erhält, richten sich auch gegen die übermächtig erschei- nende Western Union Telegraph Company. Auf die Installation einzelner Direktverbindungen folgt, mit Mut zum bastelnden Experimentieren, am 28. Januar 1878 die Einweihung einer der ersten kommerziellen Telefonvermittlungen.24 Die Gründung der New Haven District Telephone Company umgibt dabei wie die meisten frühen Telefongeschichten eine anekdotische Aura, in deren Schein aber Überraschendes sichtbar wird.25 So bringt die erste Werbeaktion für das Abonnement eines Telefonanschlusses im lokalen Netz New Havens genau einen zahlungswilligen Kunden hervor.26 Der lokale Pfarrer Reverend John K. Todd ist der Erste, der die telefonische Verbindung zu seiner Gemeinde sucht. Sein Name findet sich, nachdem eine weitere Werberunde 21 Subskribenten gewinnt, an oberster Stelle im ersten Telefonbuch der Welt. 23 Transcription of letter by George W. Coy to Mr. Lewis, December 26, 1910, S. 1. SNET, Box 305, Folder 3024a. 24 Wie sehr New England ein Experimentalfeld der frühen Telefonie war, lässt sich daran erse- hen, dass um den Mythos der »ersten« Telefonvermittlung in den Erinnerungen der Akteure immer wieder hart gerungen wurde. Lokale Verbindungsmöglichkeiten existierten bereits 1877 in Boston und Hartford, Anfang 1878 auch in Chicago. Dem New Havener Unterneh- men kommt aber als Institution starke Bedeutung zu, da es mit der ersten Telefongesellschaft über den Raum der Stadt hinaus ein größeres Territorium fernmündlich vernetzt. Vgl. zu Boston, Chicago und dem Status von New Havens Telefonvermittlung Robert J. Chapuis: 100 Years of Telephone Switching (1878−1978). Part I: Manual and Electromechanical Switching (1878−1960s). Studies in Telecommunication Volume 1. Amsterdam; New York; Oxford: North-Holland Publishing Company, 1982, S. 48 f. Vgl. zu Boston und Hartford Gööck: Die großen Erfindungen. Nachrichtentechnik und Elektronik, S. 124 f. 25 Vgl. zur Firmengeschichte das Findbuch des Firmenarchivs von Cynthia McElroy and Stephen Showers (2005). SNET, http://doddcenter.uconn.edu/asc/findaids/SNET/MSS19970122. html. 26 Ähnliches ist für Berlin überliefert, wo sich 1880 acht Interessenten meldeten. Vgl. den Kommentar von Uwe Otto in Stephan: Das Telephon betreffend, o. S. Spektakuläre Anrufe 179 Das erste Telefonbuch ist allerdings kein Telefonbuch, sondern eine »LIST OF SUBSCRIBERS« mit 50 Einträgen New Havener Bürger. Die Materialität dieses Objektes spricht eine andere Sprache als die Inszenie- rungen des »wonderful speaking telephone«. Es handelt sich bei dem auf den 21. Februar 1878 datierten Verzeichnis um eine Art Plakette, deren hellbraun-gelbliche Pappe drei Millimeter stark ist (Abbildung 5.1). abb . 5 .1: Erstes Telefonverzeichnis der New Haven District Telephone Com- pany, 21. Februar 1878. Papier auf Pappe, 23,5 x 16,3 cm. [Siehe Farbtafel IX] 180 Telefone und Stimmen um 1890 Mehrere Papierschichten sind zusammengefügt worden, wobei das ei- gentliche Verzeichnis noch einmal extra appliziert und als eigenes Blatt Papier sichtbar ist. Die Liste erscheint in Gestalt eines vergleichsweise robusten, dauerhaften Anschlags. Ihre nicht-alphabetische Gliederung nach Privatpersonen – einschließlich der Firmeninhaber George W. Coy, Herrick P. Frost und Walter Lewis – und Geschäften wirkt nicht, als rechne man mit weiterer Aktualisierung. Sie kommt ohne Telefonnum- mern aus.27 Die Verzeichnisse der kommenden Jahre, aber auch schon die rasch erforderlich gewordenen Revisionen von März und April 1878, sprechen eine andere Sprache. So führt der Netzausbau zu einer Anweisung auf der Titelseite: »DESTROY ALL PREVIOUS LISTS«, heißt es in der zum Telefonbuch gewordenen Liste vom März 1881, welche die verbundenen Städte von New Haven, Hartford, Meriden, Bridgeport, New Britain und Birmingham über ein Papierregister adressiert (Abbildung 5.2). Auf jeder Seite des Verzeichnisses werden die Nutzer zum richtigen telefonischen Verhalten ermahnt. Die zur Connecticut Telephone Com- pany umgewandelte Firma George W. Coys präsentiert hier im Exlibris abb . 5 .2: Telefonbuch der Connecticut Telephone Company, März 1881. 18,5 x 25 cm. 27 In Connecticut werden Telefonnummern erst 1889 eingeführt. Spektakuläre Anrufe 181 das Artefakt ihrer Gründung. Coys selbstgebautes Switchboard aus dem Jahr 1878 wird zum Frontispiz – als ikonische Stilisierung desjenigen Dinges, dem die Telefongesellschaft ihre Identität verdankt.28 Schaltbrett und Telefonbuch fungieren als komplementäre Vermitt- lungsinstrumente und Techniken sozialer Adressierung. Sie verkörpern, ebenso wie die öffentlichen Spektakel um das Telefon, Orte und Agenten einer lange stark lokal bleibenden Netzwerkbildung. Diese findet in verteilter, dezentraler Organisation statt, die aber der Zentralisierung in Büros, ökonomischer Institutionalisierung in Telefongesellschaften und prominenter Orte öffentlicher Darstellung bedarf. Bell bricht seine Lecture Performances Ende Mai 1877 nach einem Misserfolg in Lawrence, bei dem die Stimmübertragung fehlschlägt, ab. Andere Telefonpioniere übernehmen die Popularisierung seiner Erfindung. Die stereophone Übertragung von Opern, wie sie Clément Ader erstmals 1881 auf der Pariser Elektrizitätsausstellung demonstriert, begeistert das Publikum.29 Die Einrichtung telefonischer Sender, etwa des »Theatrophons«, das zuerst 1890 in Paris seinen regulären Betrieb aufnimmt, oder auch des Londoner »Electrophones« setzt diese Ent- wicklung einer telefonischen Öffentlichkeit fort. In Budapest wird die fernmündliche Zeitung des Telefon Hirmondó 1893 bezeichnenderweise von Tivadar Puskás eingeführt – jenem Elektrotechniker, der parallel zu Coys Bemühungen 1877 für Edison an einer Telefonvermittlung arbeitet, ein Jahr später das erste Pariser Zentralbüro mit Schaltbrett einweiht und auch Ader bei der Opernübertragung hilft.30 Egal, ob es sich um Bell, Coy und das Opernhaus oder Edison, Puskás und das Telefon Hirmondó handelt: In der kontingenten Laboratori- umssituation der frühen Jahre verfügt das Telefon überraschend lange über einen Status als offenes, noch zu bestimmendes Objekt, das sich der einseitigen Verwendung als reines Geschäftsinstrument entzieht.31 28 1893 wird das erste kommerziell betriebene Switchboard durch ein Feuer zerstört; in den 1920er Jahren wird das zweite Gerät mit der Aufnahme in das Bell Telephone Labs Historical Museum musealisiert. Vgl. SNET, Box 3005, Folder 3044. 29 Vgl. hierzu Oskar Blumtritt: Nachrichtentechnik. Sender – Empfänger – Übertragung – Ver- mittlung. München: Deutsches Museum, 1997, S. 57. 30 Vgl. zur Theatrophonie Carolyn Marvin: When Old Technologies Were New. Thinking About Electric Communication in the Late Nineteenth Century. New York; Oxford: Ox- ford University Press, 1988, S. 209 ff.; Sterne: The Audible Past, S. 192f. Siehe auch http:// en.wikipedia.org/wiki/Telephone_newspaper. 31 Vgl. für die Alltagskultur der USA Marvin: When Old Technologies Were New; für Kanada Michèle Martin: Hello Central? Gender, Technology, and Culture in the Formation of the Telephone System. Montreal / Kingston; London; Buffalo: Gill University Press, 1991, speziell S. 140 f. 182 Telefone und Stimmen um 1890 Ohne seine öffentliche Popularisierung gäbe es keine Telefonvermittlung als konkretes technisches Artefakt. Diese Vermittlung der Vermittlung geht mit einem lokalen Netz-Werden des Telefons einher, das ohne die Performances in Opernhäusern und Music Halls undenkbar wäre. Zur Unberechenbarkeit von Techniken, die nicht bloßes Mittel sind, sondern Vermittler, Mittel und Zweck zur gleichen Zeit,32 gehört auch die Unwägbarkeit all jener Bühnensituationen, in denen der Anruf spek- takulär aufgeführt wird, um zu einer kulturellen Tatsache zu werden. Die Telefonspektakel reihen sich ein in die öffentliche Vernetzung, die in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts bestimmend wird: Bevor die Kabel um 1900 in den Untergrund der Kanalisation wanderten, waren sie besonders im städtischen Raum präsent. Ebenso installierten die ständigen Arbeiten an Verkehrsnetz und Kanalisation der Großstädte permanent die Durchdringung der Stadt mit neuen Verbindungen.33 5.2 Bankräuber, Totengräber und die Herstellung von Verbindungen Die Idee des Unternehmens schien einfach und überzeugend. Jeder beigesetzte Sarg sollte durch eine elektrische Leitung mit dem Verwaltungsgebäude verbunden wer- den. An die Leitungen wurden Fernsprecher und Läutwerke angeschlossen und jeder Kunde (customer) konnte gegebenenfalls nicht nur augenblicklich die Verwaltung be- nachrichtigen, sondern auch bezüglich sei- nes Hausarztes, seines Bankiers und seiner Familie die nötigen Verfügungen treffen.34 Walther Rathenau, Die Resurrection Co. Die Ereignisgeschichte der Telefonvermittlung beginnt mit einer Ser- viceleistung zur Abwehr von Banküberfällen. Etwas mehr als ein Jahr nach Alexander Graham Bells Patentanmeldung und während dessen Tourneen bietet Edwin Holmes, Inhaber einer Einbruchssicherungs- gesellschaft in Boston (Edwin Holmes Burglar Company, Washington Street 342), einen neuen Service an. Ab dem 17. Mai 1877 können seine 32 Vgl. Latour: »Über technische Vermittlung«, S. 513. 33 Siehe Christoph Asendorf: Ströme und Strahlen. Das langsame Verschwinden der Materie um 1900. Gießen: Anabas, 1989, S. 58 f. 34 Walter Rathenau: »Die Resurrection Co.« In: Gesammelte Schriften IV. Reflexionen und Aufsätze. Berlin: S. Fischer, 1925 [1898], S. 337−349, hier S. 343. Vielen Dank an Albert Kümmel-Schnur für den Hinweis auf Rathenau. Bankräuber und Totengräber 183 fünf Kunden, darunter vier Banken, über die bestehenden Einbruchs- alarmleitungen tagsüber kostenlos telefonieren. Nachts dienen die Ver- bindungen weiterhin dem Alarm. Aus dem Erfolg dieses Unternehmens erwächst ab dem 1. September 1878 ein neues Unternehmen, die Edwin Holmes Telephone Despatch Co. Noch davor baut die New England Telephone Co. 1877 für neuenglische Ärzte in Hartford, Connecticut das erste lokale Netz mit Zentrale auf.35 Aufgrund von dessen Erfolg wird am 8. Oktober 1877 eine neue Werbekampagne für gewerbliche Kunden gestartet, die binnen eines Monats 17 Abonnenten anzieht. Vermittlung von Hand. Manuelle Switchboards und lokale Netze In vergleichbar bescheidenem Umfang entstehen in den Folgejahren ohne zentrale Planung im Osten der USA und bald darauf in Europa städtische Telefonvermittlungen. Das bereits erwähnte, durch eine öffentliche Show Bells inspirierte erste manuelle Switchboard für 21 Teilnehmer wird am 28. Januar 1878 in New Haven, Connecticut, in Betrieb genommen.36 Sein Konstrukteur George W. Coy orientiert sich beim experimentellen Design an den kostengünstigen Verkabelungstechniken, wie sie in Te- legrafenbüros üblich sind (Abbildung 5.3).37 Auf die wachsende Zahl der Geschäftskunden reagieren die Telefongesellschaften – in Europa meist staatlich, in den USA nahezu immer privat finanziert – mit der Anschaffung neuer Klappenschränke. Das Herunterfallen der Klappen signalisiert dabei den Verbindungswunsch des Anrufenden. Nach der Entgegennahme und Übermittlung der Nummer wird die Verbindung durch eine direkte Steckschaltung hergestellt. Dabei sind die Geräte von Anfang an störanfällig. Neben der Viel- zahl tatsächlich eingesetzter Switchboards stehen noch weitaus mehr geplante, zum Patent angemeldete und doch nicht realisierte Apparate. So finden sich Geräte mit der Kugelmechanik eines Flipperautomaten zur 35 Vgl. Gööck: Die großen Erfindungen. Nachrichtentechnik und Elektronik, S. 126; Rolf Barnekow: »Wählen statt Rufen – die automatische Vermittlung«. In: Fräulein vom Amt. Hrsg. von Helmut Gold und Annette Koch. München: Prestel, 1993, S. 86−93, hier S. 86. Siehe zur Entwicklung in Deutschland außerdem Birgitta Godt: »Die Entwicklung der Handvermittlung«. In: ebd., S. 68−85. 36 Vgl. Chapuis: 100 Years of Telephone Switching I, S. 49 und Kapitel 5.1 dieses Buches. 37 Vgl. zur Bedienung Venus Green: Race on the Line. Gender, Labor, and Technology in the Bell System, 1880−1980. Durham; London: Duke University Press, 2001, S. 20 f. und Sou- thern New England Telephone Company Records (SNET). Archive & Special Collections at the Thomas J. Dodd Research Center, University of Connecticut Libraries Box 305, Folder 3044. 184 Telefone und Stimmen um 1890 abb . 5 .3: Manuelles Switchboard der New Haven District Telephone Company. Replik und Blaupause des ersten Modelles aus dem Jahr 1878. 56 x 94 cm. Bankräuber und Totengräber 185 Steuerung der Verbindung oder aber Frachtverladestation mit kleinen Wagen als Schaltelementen.38 Der eingeschränkten Verbindungsanzahl begegnet man mit multiple switchboards (Leroy B. Firman, 1882).39 Interne Verbindungen zwischen verschiedenen Räumen werden von Botenjungen übernommen, ebenso externe Verbindungen zu anderen Telefonvermittlungen eingerichtet. Mit dem größeren Adressraum steigt aber auch die Zahl und Dichte interner Schaltvorgänge, die wiederum deutlich mehr Interaktion zwi- schen den Angestellten erfordern.40 Die Tauglichkeit von Männern für die komplexe Vermittlungsarbeit wird nach dem anfänglichen Einsatz von Telegrafisten in Zweifel gezogen. Trotzdem bleiben die Wider- stände gegen die vermehrte Einstellung von Frauen als »Danaiden des nicht zu Erschauenden, die die Urnen des Klanges unaufhörlich leeren, füllen, einander reichen« (Marcel Proust), zunächst groß.41 Auf beiden Seiten des Atlantiks ändert sich dies trotz der Unterschiede zwischen staatlicher und privatwirtschaftlicher Organisation: Mehr und mehr Frauen aus dem unteren und mittleren Bürgertum werden als billige und kompetente Arbeitskräfte eingestellt – eine Entwicklung, die mit einer geschlechtsspezifischen Zuweisung von kommunikativer Vermitt- lungsfähigkeit einhergeht.42 Herbert Cassons frühe History of the Telephone von 1910 durchzieht bereits ein enthusiastisches Lob des telephone girl, dem inmitten der Fluktuation die Herstellung von Synchronizität überantwortet wird: Die Telefonmädchen sind der menschliche Teil einer großen Kommunika- tionsmaschine. Sie weben das Netz der Rede (web of talk), das in jeder Minute neue Muster hervorbringt. Noch niemand hat sich getraut zu fragen, wie viele Kombinationen es innerhalb der fünf Millionen Apparate des Bell-Systems gibt oder welch undenkbare Länge von Gesprächen darin möglich ist. Aber jeder, der die lange Reihe weißer Arme gesehen hat, die sich vor den Lichtern der Schaltbretter hin und her bewegen, fühlt, dass er den Puls des städtischen Lebens erblickt hat.43 38 Vgl. P. C. Smith: »Curious Patents in Mechanical Switching«. In: Bell Laboratories Record 7 (1929), S. 265−269. 39 Vgl. Chapuis: 100 Years of Telephone Switching I, S. 51; Mueller: »The Switchboard Pro- blem«, S. 542 f. Das deutsche Fachwort lautet Vielfachfelder. 40 Vgl. Mueller: »The Switchboard Problem«, S. 547. 41 Marcel Proust: Auf der Suche nach verlorenen Zeit. Die Welt der Guermantes. st 3209. Frankfurt am Main: Suhrkamp, 2000 [1920 / 21], S. 1428. 42 Vgl. hierzu ausführlich die sozialhistorischen Beiträge in Helmut Gold und Annette Koch, Hrsg.: Fräulein vom Amt. München: Prestel, 1993. 43 Herbert N. Casson: The History of the Telephone. Ohne Ortsangabe: Dodo Press, 2006 [1910], S. 65. Demgegenüber steht die Vielzahl der historisch wohldokumentierten Zu- 186 Telefone und Stimmen um 1890 Um das lästige Kurbeln an den Endgeräten zu vermeiden, wird intensiv an einer Stromversorgung über zentrale Batterien gearbeitet, die zudem Lichtsignale statt fallender Klappen erlaubt (J. J. O’Conell, Bell Company, 1892).44 Mit deren Einführung entfallen zahlreiche Probleme der manuel- len Telefonvermittlung, die nun über eine netzbasierte Energieversorgung verfügt: Batterien müssen nicht mehr aufwendig durch Fachpersonal vor Ort inspiziert und wieder aufgeladen werden. Die technische Kompati- bilität zwischen den Einzelteilen des Telefonsystems steigt, während die Betriebskosten erstmals auch bei steigenden Anschlusszahlen sinken.45 Geisterstimmen und -geräusche sind beständige Störungen, denen bessere Verkabelung nicht immer abhelfen kann. Das zeitgenössische englische Vokabular der Telefonexpertinnen und -experten für verschie- dene Störgeräusche ist nicht von ungefähr bemerkenswert vielfältig. So kann eine Verbindung »spluttering, bubbling, jerking, rasping, whistling, screaming« sein – stotternd, blubbernd, verzerrt, kratzend, pfeifend, schreiend. Die medialen Störungen erreichen das Ohr als Blätterrascheln, Froschquaken, Dampfzischen und Vogelflügelschlag.46 Die systemische Stabilität des Netzes kommt vor allem dann ins Wanken, wenn ein Teilnehmer mehrfach verbunden wird. Die Antwort darauf ist als »Click Busy Test« bekannt geworden. Charles Ezra Scrib- ner, Chefingenieur bei der Chicagoer Western Electric und Erfinder des telephone jack, entwickelt dafür ein praktikables Verfahren. Mittels eines kurzen Antastens der Buchse kann die vermittelnde Person darin hören, ob der Anschluss besetzt ist. Mit dem »Click Busy Test« verstetigt sich die Etablierung des Zweiergesprächs als zentrale Nutzungsform des Fernsprechens im Netz, ohne dass andere Nutzungsformen wie party lines damit außen vor bleiben. Mit dieser Geste der Telefonistin ver- ändert sich auch nach und nach der dingliche Charakter des Telefons: War es bisher ein offenes Objekt, das auch als Massenmedium genutzt wird, schließt die Nutzung im Netz eine dauerhafte Verbundenheit aus. sammenbrüche. Vgl. u. a. Bernhard Siegert: »Das Amt des Gehorchens. Hysterie der Tele- fonistinnen oder Wiederkehr des Ohres 1874−1913«. In: Armaturen der Sinne. Literarische und technische Medien 1870 bis 1920. Hrsg. von Jochen Hörisch und Michael Wetzel. München: Fink, 1990, S. 83−106 und Andreas Killen: »Die Telefonzentrale«. In: Orte der Moderne. Erfahrungswelten des 19. und 20. Jahrhunderts. Hrsg. von Alexa Geisthövel und Habbo Knoch. Frankfurt; New York: Campus, 2005, S. 81−90. Man beachte zudem Cassons Zuschreibungen hinsichtlich Rasse (weiß) und Geschlecht. 44 Vgl. Gööck: Die großen Erfindungen. Nachrichtentechnik und Elektronik, S. 128. Die Datierung ist unsicher, vgl. Chapuis: 100 Years of Telephone Switching I, S. 55 f. 45 Vgl. Mueller: »The Switchboard Problem«, S. 554. 46 Vgl. Casson: The History of the Telephone, S. 50. Bankräuber und Totengräber 187 Während die von Hand gesteckte Verbindung den schnellen Ge- sprächsbeginn aufschiebt,47 zielen die Anfang der 1880er Jahre begin- nenden Arbeiten darauf, die Vermittlungsprozesse zu verbergen. In den amerikanischen Telefongesellschaften wird dies schon für die manuelle Vermittlung zur Philosophie, bei der Anrufer sich komplett auf die Protokolle des Vermittlungsservice verlassen und möglichst wenig Be- dienschritte am Apparat ausführen sollen.48 Entwürfe für automatische Telefonvermittlungen wetten hingegen darauf, dass Nutzer selbst Selek- tion und Adressierung des Gegenübers vornehmen können und wollen. Ungeachtet dieses Unterschieds stehen Hand- und elektromecha- nische Vermittlung auf technischer Ebene in einem Komplementär- und Übersetzungsverhältnis. Die Operationsketten der Handvermittlung und das verkörperte Wissen der Telefonistinnen gehen sogar vermeintlich di- rekt in die erste funktionierende und im Alltag verwendete automatische Telefonvermittlung von Almon Brown Strowger (1839−1902) ein. Es sollen gerade die geordneten Hand- und Armbewegungen der Telefon- frauen in Kansas gewesen sein, die den Leichenbestatter, Bürgerkriegs- veteranen und ehemaligen Lehrer zu seinem Hebdrehwähler inspiriert haben. Die entsprechende Anekdote gehört zu den langlebigsten und immer wieder angeführten Erzählungen der frühen Telefongeschichte. Man muss sie nicht zwangsläufig dekonstruieren, sondern entlang von Patenten und Zeitungsberichten anders erzählen. Denn die ersten Ent- würfe einer automatischen Telefonvermittlung rechtfertigen die anek- dotische Darstellung nicht – erst nach vielen verschiedenen Designs ähneln sich die Armbewegungen von Mensch und Maschine wieder. Vermittlung durch Maschinen Almon Brown Strowgers »Automatic Telephone-Exchange« Wie wird die Anekdote tradiert? In etwa so: Wie alle aufstrebenden Un- ternehmer seiner Zeit erhofft sich Strowger durch die Installation eines Telefons geschäftlichen Aufschwung. Trotz der erheblichen Todeszahlen in der frontier-Stadt Kansas City floriert jedoch nur das Bestattungs- wesen eines Konkurrenten, der über ungleich bessere Verbindungen in die örtliche Telefonzentrale verfügt: Der Direktor ist sein Freund, 47 In den USA gilt die Vermittlungsleistung freilich als Service, wohingegen in Deutschland die Amtssprache telefonischer Regelung in Befehlsform normiert wird. 48 Vgl. zum Prinzip der »user transparency« in den Diskussionen von AT&Ts Switchboard Committee Mueller: »The Switchboard Problem«, S. 544. 188 Telefone und Stimmen um 1890 zudem arbeitet seine Frau oder eine verliebte Freundin – die Unschärfe der Anekdote! – dort.49 Derlei Verhältnisse führen dazu, dass sogar ein guter Freund Strowgers nach seinem Tod 1887 von der Konkurrenz be- stattet wird. Doch nicht genug der Unglaubwürdigkeiten: Innerhalb der nächsten vier Jahre entwickelt der ehemalige Lehrer und Leichengräber Strowger mit Hilfe seines Neffen Walter S. Strowger einen Apparat, der den Vermittlungsprozess weitgehend automatisieren soll. Das hierfür am 12. März 1889 unter der Nummer 447 918 ohne Modell eingereichte und am 10. März 1891 bestätigte Patent macht Ansprüche auf eine »Automatic Telephone-Exchange« geltend (Abbildung 5.4): Das Objekt stellt Mittel bereit, über die eine Person an einer Station eine Verbindung (connection) mit jeder anderen Station im System herstellen kann, mit der Hilfe elektrischer Apparate, ohne die Mitwirkung eines Operateurs (operator) im Zentralbüro.50 abb . 5 .4: Almon Brown Strowgers Automatic Telephone-Exchange. Patentzeichnung, 1891. 49 In manchen Varianten ist auch zu lesen, dass sämtliche Telefonistinnen bestochen gewesen wären. 50 Almon Brown Strowger: Automatic Telephone-Exchange. United States Patent Office, Patent 447 918 (eingereicht 12.3.1889, bestätigt 10.3.1891), Zeile 15−19. Bankräuber und Totengräber 189 Verbessert werden sollen dadurch automatischer, telefonischer, telegra- fischer und anderer elektrischer Austausch (exchanges); die Patentrhe- torik ist allumfassend, ohne dass ein Bezug auf Vorgänger hergestellt würde.51 Dies kann man als Strategie ansehen, denn allein in den USA gibt es 27 Patente vor Strowger, die ebenfalls Anspruch auf die Erfindung einer automatischen Telefonvermittlung erheben. So verkünden Daniel und Thomas Connolly gemeinsam mit Thomas J. McTighe am 6. Sep- tember 1879 stolz, als Erste einen Apparat entwickelt zu haben, der das manuelle Arbeitssystem in Telefonvermittlungen ersetzt und dabei mehrere Verbindungen je zweier Personen ermöglicht.52 Connolly und McTighe, die ihren Apparat im Sommer 1881 auf der Internationalen Elektrizitätsausstellung in Paris präsentieren, wo auch die stereophone Übertragung von Opern für Furore sorgt, mögen zwar keinen Erfolg mit der Automatisierung für wenige Teilnehmer gehabt haben. Zentrale mechanische Ideen für den Wechsel von Schaltkreisen finden sich aber schon hier, darunter Wählscheiben und rotierende Schwenkarme, die in veränderter Form bei Strowger wiederkehren. Andere Entwickler wie Ezra Gilliland arbeiten sich ebenfalls daran ab, welche materielle Form der schnellen Herstellung von Verbindungen elektromechanisch prak- tikabel ist.53 Auch in Großbritannien, Schweden, Frankreich, Italien, Russland und – durch Tivadar Puskás – Ungarn finden Experimente statt.54 Strowgers Ansprüche sind also nicht so originär, wie es die Rhetorik der Patentschrift glauben macht. Jedoch gelingt es ihm im Gegensatz zu anderen Entwicklern, tatsächlich ein Netzwerk aus technischen Apparaturen, patentiertem rechtlichen Anspruch, ökonomischer Mach- barkeit und populärer Vermittlung zu mobilisieren, das wiederum die fernmündliche Vernetzung mittelfristig grundlegend verändern wird. 51 Ebd., 13 f. Vgl. zu Rhetorik und Politik von Patenten Albert Kümmel-Schnur: »Patente als Agenten von Mediengeschichte«. In: Bildtelegraphie. Eine Mediengeschichte in Patenten (1840−1930). Hrsg. von Albert Kümmel-Schnur und Christian Kassung. Kultur- und Me- dientheorie. Bielefeld: transcript, 2012, S. 15−38; Nadine Taha: »Patent in Action. Das US-amerikanische Patent aus der Perspektive der Science and Technology Studies«. In: Zeitschrift für Medienwissenschaft 1 (2012), S. 36−47. 52 Daniel Connolly, Thomas A. Connolly, Thomas J. McTighe: Improvement in Automatic Telephone-Exchanges. United States Patent Office, Patent 222 458 (eingereicht 10.9.1879), S. 4. 53 Ezra T. Gilliland: Telephone Circuit; Metallic Circuit Telephone System; Multiple Circuit Changer. United States Patent Office, Patente 306 239−241 (1884). 54 Vgl. Chapuis: 100 Years of Telephone Switching I, S. 58 f. 190 Telefone und Stimmen um 1890 Sein räumlicher Entwurf für die Telefonvermittlung orientiert sich an der gebräuchlichen Aufteilung in Zentralbüro und Einzelstationen, die miteinander »by and through line wires« verbunden sind.55 Apparatives Herzstück der ersten Strowger Exchange ist ein switch cylinder, der in keiner Weise der Mechanik von Körperbewegungen einer Telefonistin gehorcht. Er dürfte in der zuerst patentierten Form auch nur bedingt für den Dauereinsatz tauglich gewesen sein, da er die angeschlossenen Drähte zwangsläufig mitbewegen muss (Abbildung 5.5). Der rotierende Zylinder als Informationsspeicher hatte eine Tradi- tion, die bis ins 18. Jahrhundert zu Klavierautomaten und Vaucansons Entwurf eines automatischen Webstuhls zurückreicht. Im 19. Jahr- hundert findet er sich an vielen Orten, darunter in der Bildtelegrafie wieder.56 Hinweise auf Anleihen bei Klaviermechanik kennzeichnen einige Entwürfe der 1880er und 1890er Jahre. Bei der ersten öffentlichen Demonstration der Telefonvermittlung, die etwa 60 Kilometer von Chicago entfernt in La Porte, Indiana, statt- findet, hat sich der switch cylinder gegenüber den Patentzeichnungen deutlich verändert. Ein erster Artikel in der Chicago Tribune vom 31. Oktober 1892 vollzieht unter der Devise »The telephone girl must go« noch die Konfiguration nach, die in der originalen Patentschrift enthalten ist.57 Zwei Tage danach wird auf Seite 1 die erfolgreiche Vollendung des Telefonsystems von Indiana am 1. November annon- ciert, wiederum mit der Schlagzeile, dass die automatische Telefonver- mittlung den Platz der »hello girls« einnehme.58 Abermals zwei Tage später folgt auf der Titelseite ein ausführlicher Bericht, der nicht nur mit Zeichnungen aufwartet, sondern die öffentliche Inszenierung und Strowgers Eröffnungsrede vom 3. November wiedergibt: Ein Sonderzug bringt Fachpublikum und Schaulustige aus Chicago nach La Porte, wo eine Blaskapelle den Zug zum zentralen Telefonbüro begleitet. Nach dem Bürgermeister spricht Strowger selbst. Er spielt nicht nur auf das 55 Strowger: Automatic Telephone-Exchange, 27 f., 32−33. »By and through« ist zeitgenössi- sches spiritistisches Vokabular. Mit Dank an Irma Klerings für diesen Hinweis. 56 Vgl. dazu Christian Kassung: »Isochronie und Synchronie. Zur apparativen und epis- temologischen Genese des Kopiertelegraphen«. In: Lebendige Zeit. Wissenskulturen im Werden. Hrsg. von Henning Schmidgen. Berlin: Kadmos, 2005, S. 195−209; Albert Kümmel- Schnur und Christian Kassung, Hrsg.: Bildtelegraphie. Eine Mediengeschichte in Patenten (1840−1930). Kultur- und Medientheorie. Bielefeld: transcript, 2012. 57 Vgl. Anonymous: »No More ›Hello‹ Girls. Description of an Invention for Making Telephone Connections«. In: Chicago Daily Tribune, 31. Oktober 1892, S. 7. 58 Vgl. Anonymous: »Takes the Place of ›Hello‹ Girls. Automatic Telephone System in Successful Operation at La Porte«. In: Chicago Daily Tribune, 2. November 1892, S. 1. Bankräuber und Totengräber 191 abb . 5 .5: Switch cylinder von Almon Brown Strowgers Automatic Telephone-Exchange. Patentzeichnung, 1891. 192 Telefone und Stimmen um 1890 ihm offenbar bekannte 1879er Patent von Connolly und McTighe an, sondern gibt seiner Erfindung einen generalistischen Anstrich: Neben dem Einsatz in der Telefonvermittlung sei sie auch als allgemeines Schaltinstrument einsetzbar, beispielsweise für Torpedoexplosionen oder Telegrafen entlang einer Bahnlinie.59 Ein wichtiges Element des Apparats hat sich unterdessen geändert. Aus dem Zylinder der Patentschrift ist nun eine Gummischeibe gewor- den, die horizontal oberhalb des Apparats gelagert wird. Sämtliche Kabel sind an der Scheibe befestigt, das Umschalten findet weiterhin durch einen Tastarm statt, der allerdings kreisförmig rotiert (Abbildung 5.6). Bei der optimistischen Ankündigung der Firmenelektriker, man könne so nicht nur 75 Personen wie in La Porte, sondern bis zu 6.000 Anschlüsse verbinden, dürfte es sich um eine selbstbewusste Werbe- maßnahme handeln.60 Auch auf der Chicagoer Weltausstellung von 1893 präsentiert Strow- gers Firma, die sich zwei Jahre zuvor in der Stadt niedergelassen hat, ihre Novität. Gemessen an der spektakulären Tempelarchitektur der Bell Company nimmt sich der Strowger-Stand im Elektrizitätspavillion abb . 5 .6: Aufbau der Strowger-Apparate in der ersten automatischen Telefon- vermittlung in La Porte. Zeichnung aus der Chicago Daily Tribune, 4. November 1892. 59 Vgl. Anonymous: »Hello, Main, Good By: Strowger’s Telephone Attachment Dispenses with Girls«. In: Chicago Daily Tribune, 4. November 1892, S. 1. 60 Ebd. Bankräuber und Totengräber 193 bescheiden aus, zieht aber durchaus Aufmerksamkeit auf sich, vor allem seitens ausländischer Besucher.61 In der zeitgenössischen Literatur zur Weltausstellung wird die Erfindung zwar gewürdigt, aber nur sehr be- grenzt als originell angesehen. Die Strowger-Vermittlung sei hauptsäch- lich von den Prinzipien des alten Morsetelegrafen bestimmt (governed). Sie vereine Magneten, Armaturen, Hebel und elektrische Energie mit ebenfalls alten Anwendungsprinzipien von Klinken, Schalträdern und Zahnstangen62 – eine vergleichsweise unspektakuläre Aufpfropfung. Im Vergleich mit der Langstreckentelefonie von Chicago nach New York, die Bell auf der Weltausstellung demonstrierte, scheint die Me- chanisierung der Vermittlung marginal. Dabei war hier wieder eine Weiterentwicklung des Designs zu beobachten, die letzten Endes die automatische Vermittlungstechnik wieder in die Nähe der verbindenden Gesten von Telefonistinnen rücken sollte: Wenn mehr als 100 Telefone miteinander vernetzt werden sollen, braucht es neben der rotierenden Bewegung noch ein Heben des Kontaktarms, um weitere Schaltkreise anzusteuern.63 Entscheidendes technisches Novum und Grund für den kommenden Erfolg der Strowger Company ist das schon mehrfach erwähnte, in Chicago 1893 in einer Vorform zu sehende Hebdrehwählsystem. Dieses ersetzt switch cylinder und Adressierungsscheibe im Laufe der 1890er Jahre und erlaubt tatsächlich einen Vergleich mit den Handbewegungen der Telefonistinnen (Abbildung 5.7). Mit der eingangs erzählten Anek- dote hat diese Lösung aber nur wenig zu tun, zumal sie längst durch professionelle Telefoningenieure für die Strowger Company bis zur Patentanmeldung entwickelt wurde.64 Die Adressierung der Teilnehmer bleibt mit den einzelnen Kontakten diskret voneinander geschieden und wird zudem im Dezimalsystem geordnet (zehnmal zehn Klinken pro Einheit). Dies erlaubt das Hintereinanderschalten von weiteren »Selektoren«, sogenannten »Gruppenwählern«, die letztendlich zum »Leitungswähler« führen – eine räumliche Ordnung, die sich auch in komplexen Installationen der Handvermittlung als praktisch erwiesen 61 Vgl. Chapuis: 100 Years of Telephone Switching I, S. 62. 62 Vgl. John Patrick Barrett: Electricity at the Columbian Exposition. Including an account of the exhibits in the Electricity Building, the power plant in Machinery Hall, the arc and incandescent lighting of the grounds and buildings etc. Chicago: Donnelley & Sons Com- pany, 1894, S. 340. 63 Vgl. Barrett: Electricity at the Columbian Exposition, S. 342. 64 Vgl. Alexander E. Keith, John Erickson, Charles G. Erickson: Electrical Exchange. United States Patent Office, Patent 638 249 (eingereicht 16.12.1895, bestätigt 5.12.1899). 194 Telefone und Stimmen um 1890 abb . 5 .7: Schematische Darstellung des Hebdrehwählerprinzips der Strowger-Apparate. hatte. So sind nicht nur 100, sondern 1.000 oder 10.000 Nummern schrittweise anwählbar. Während anfangs noch jede Taste mehrfach gedrückt werden muss – dreimal für 300, neunmal für 90, dreimal für 3 –, erlauben ab 1896 Wählscheiben das direkte Senden der Stromim- pulse beim Rücklauf der Scheibe (Abbildung 5.8). Mit der Wählscheibe etabliert die automatische Telefonvermittlung nach den umständlichen Lösungen auf Tastendruckbasis auch eine vergleichbare Form jener »user transparency«, die zum Maßstab für die manuellen Telefonvermittlungen des Bell-Systems gemacht wurde. Gerade unabhängige Telefongesellschaften, die nach dem Erlöschen der Bell’schen Patentansprüche 1894 ihre Chance witterten, setzten auf die potenziell kostengünstigere mechanisierte Vermittlung und niedrigere Preise für den Netzzugang. Die Strowger Company wirbt dabei vor allem um Banken, Warenhäuser, Fabriken, Wohnhäuser, Schulen, Hotels, Büros als Interessenten für ihre »unmittelbaren und effizienten Mittel für private Kommunikation«.65 Währenddessen behauptet sich die durch die zentrale Batterie effizienter gewordene, immer mehr statistisch erfasste und berechnete Telefonvermittlung von Hand aber weiterhin, da ihre Organisationsform deutliche größere Räume abdecken kann.66 65 Chicago Tribune, 1. Februar 1894, S. 4. 66 Vgl. ausführlich zu den Gründen Mueller: »The Switchboard Problem«, S. 558 f. Bankräuber und Totengräber 195 abb . 5 .8: Wählscheibe von Erickson / Strowger, 1896. Auch wenn es die einschlägigen Technikgeschichten gerne beh aup- ten:67 Die vernetzenden Arme der Telefonistinnen und die Hebel des Strowger-Systems funktionieren nicht identisch. Vielmehr teilen beide ein Adressierungsverfahren, das auf abendländischen Kulturtechniken beruht, die wiederum die frühen Telefonnetze möglich machen. Das Links-Rechts-Schema des Hebwählers folgt dem Lauf der Schrift, benötigt allerdings auch das umgekehrte Suchen von rechts nach links innerhalb der Rotationsbewegung. Die räumliche Aufteilung des Switchboards folgt der Logik eines Koordinatensystems. Sie integriert zudem einen semiotischen Stil des Verweisens und Verbindens, den die Buchstabenzeiger von Charles Wheatstones Five-Needle Telegraph in die elektrische Kommunikationstechnik des 19. Jahrhunderts eingeführt hatten.68 Die Verbreitung des elektromechanischen Strowger-Prinzips und ver- wandter Techniken verläuft in manchen europäischen Ländern, darunter 67 Vgl. Chapuis: 100 Years of Telephone Switching I, S. 62. 68 Vgl. R. B. Hill: »Early Work on Dial Telephone Systems«. In: Bell Laboratories Record 31 (1953), S. 22−29, hier S. 22. 196 Telefone und Stimmen um 1890 Deutschland, nach 1910 schneller als in Nordamerika.69 In den USA wird es nach 1900 zunächst nur unter den unabhängigen Anbietern konsequent eingesetzt, während das Bell-System erst in den 1920er Jahren durchgehend auf Automatisierung setzt.70 Mit der sukzessiven Durchsetzung von Selbstwählern wird die Materialität telefonischer Vernetzung zum Teil eines Technisch-Unbewussten. Dazu gehört im Falle der automatischen Telefonvermittlungen nach Strowger auch ein toter Punkt des Austauschs. So wie der entwendete, fehlgehende oder verlorene Brief die postalische Sendung konstituiert,71 kennen große direct control systems den entwendeten Anruf – im nachrichtentech- nischen Jargon »lost call« genannt. Während in Edgar Allan Poes Kurzgeschichte The Purloined Letter (dt. Der entwendete Brief, 1844) Information noch von menschlichen Akteuren entwendet, versteckt und zur Erpressung verwendet wird,72 verschieben sich die telefonischen Operationen ab 1900 Schritt für Schritt in die Materialität automatisch vermittelnder Apparate. Die Nicht-Übertragbarkeit und das Entstehen von »lost calls« vollzieht sich bei den ersten Generationen elektromechanischer Vermittlungen wie folgt: Sind bei der Weitergabe von einem Selektor zum nächsten (hun- ting), z. B. von den Tausender-Nummern zu den Hunderter-Nummern, alle zehn reservierten Anschlüsse des nächsten Strowger-Apparats in Benutzung, gibt es nur noch ein Zeichen der technologischen Verlegen- heit, egal ob der Angerufene gerade telefoniert oder nicht: »Besetzt«. Damit generieren alle laufenden Schaltvorgänge zugleich verlorene, mithin ›tote‹ Anrufe.73 Geschuldet ist dies auch den wirtschaftlichen Bedingungen der Vernetzung: Für die manuelle wie elektromechanische Telefonvermittlung muss man von einer Knappheit und Begrenzung der Verbindungsmöglichkeiten ausgehen, die hohe Preise nach sich zieht. Die analoge Telefonvermittlung, der man heute nur noch in ihren materiellen Überresten und Patenten nachspüren kann, ist ein Artefakt 69 Vgl. Erwin Horstmann: 75 Jahre Fernsprecher in Deutschland. Bonn: Bundesministerium für Post- und Fernmeldewesen, 1952, S. 238 f. zum ersten Wählamt in Hildesheim 1908; Chapuis: 100 Years of Telephone Switching I, S. 73 ff., zu nationalen Initiativen und dem europäischen Verständigungsprozess auf internationalen Telefontechnikerkonferenzen in Budapest (1908) und Paris (1910); König: »Nutzungswandel, Technikgenese und Technik- diffusion«; Hugill: Global Communications since 1844, S. 61. 70 Vgl. Ithiel de Sola Pool: Forecasting the Telephone. A Retrospective Technology Assessment of the Telephone. Norwood: Ablex Publishing Corporation, 1983, S. 26. 71 Vgl. z. B. zum Dead Letter Office der Post Peters: Speaking into the Air, S. 165 f. 72 Edgar Allan Poe: »Der entwendete Brief«. In: Erzählungen. Berlin, 1974 [1844], S. 427−450. 73 Vgl. Chapuis: 100 Years of Telephone Switching I, S. 69. Das Wissen der Telefonvermittlung 197 von gestern. Als soziales Prinzip ist sie aber in neueren Transformati- onen nach wie vor präsent, etwa wenn Warteschleifen zu verlorenen Anrufen werden und Callcenter die Rolle von Telefonzentralen als Ser- viceagenturen übernehmen. Prinzipien der Telefonvermittlung und ihrer speziellen Vernetzungsstile haben in der Kultur- und Wissensgeschichte markante Spuren hinterlassen. Daher möchte ich im Folgenden die Er- zählfolge umkehren und einigen Spuren und Doubles im kulturellen Ge- dächtnis nachgehen: Welches Wissen wird durch die Telefonvermittlung freigesetzt und wie hat es sich je kulturell verkörpert und materialisiert? 5.3 Schalten / Switching. Das Wissen der Telefonvermittlung Es ist ein Wahn zu glauben, die Geschichte des Erkennens habe mit dem Inhalt der Wissenschaft ebensowenig zu tun wie die Geschichte des Telephonapparates mit dem Inhalt der Telephongespräche.74 Ludwik Fleck Über das Telefon als Einzelobjekt, über Alexander Graham Bell, aber auch über Philipp Reis und Elisha Gray sind Anekdoten und Geschich- ten Legion. Die Telefonvermittlung wird eher selten in den Mittelpunkt der Betrachtung gerückt. Wenn doch, dann gilt sie vor allem als para- digmatischer »Ort der Moderne«, an dem Frauen Vermittlungsarbeit nachgehen oder als psychotechnisches Live-Experimentalfeld zur Erzeu- gung weiblicher Nervenzusammenbrüche.75 Die literatur- und medien- wissenschaftlichen Erkundungen zur Telefonstimme und zum Rauschen verweisen zwar oft auf den Ort, seltener aber auf die Schalttafel als Wissensobjekt und historischen Agenten wirtschaftlicher und sozialer Vernetzungen.76 74 Fleck: Entstehung und Entwicklung einer wissenschaftlichen Tatsache, S. 32. 75 Vgl. Killen: »Die Telefonzentrale«; Gold und Koch: Fräulein vom Amt; Bernhard Siegert: »Switchboards and Sex. The Nut(t) Case«. In: Inscribing Science. Scientific Texts and the Materiality of Communication. Hrsg. von Timothy Lenoir. Stanford: Stanford University Press, 1998, S. 78−90. 76 Vgl. Rüdiger Campe: »Pronto! Telefonate und Telefonstimmen (57322)«. In: Diskurs- analysen 1. Medien. Hrsg. von Friedrich Kittler, Manfred Schneider und Samuel Weber. Opladen: Westdeutscher Verlag, 1987, S. 68−93; Siegert: »Das Amt des Gehorchens«; Hagen: »Gefühlte Dinge«. Neue Ansätze finden sich bei Ulla Autenrieth u. a., Hrsg.: Dis Connecting Media. Technik, Praxis und Ästhetik des Telefons: Vom Festnetz zum Handy. Basel: Merian, 2011. 198 Telefone und Stimmen um 1890 Noch in der Cyberpunk-Literatur der 1980er Jahre war das Ein- stöpseln, das jacking in der Konsolen-Jockeys in das Telefonnetz ein festes Motiv, das auf frühe Hackerfilme wie Three Days of the Condor aufbauen konnte.77 Reminiszenzen an diese »alte Zeit« finden sich noch in einer kurzen Szene aus The Matrix (1999) – einem Film, der von Georg Seeßlen zu Recht als Übergang zwischen der alten Allianz von Cyberpunk und Telefon hin zur neuen Verbindung von Handykultur und Computernetzen verstanden worden ist.78 Kurz bevor Keanu Ree- ves als Neo aus der fortlaufenden Simulation eines normalen Lebens befreit wird, dient eine fiktive Wählscheibenapparatur zur Auffindung des »realen« Standorts seines Körpers, welcher zu diesem Zeitpunkt noch als menschliche Batterie für die Maschinen der Matrix benutzt wird (Abbildung 5.9).79 Es mag einer der vielen eklektischen Zufallstreffer der regieführenden Wachowski-Brüder sein: Die Inszenierung einer automatisierten Einwahl in die Matrix arbeitet durchaus treffend mit den Versatzstücken der materiellen Telefonkultur. Ambitionierter und genauer hat der Künstler Christian Marclay die Operationsketten des Telefonierens im Film aufgearbeitet: In seiner 1995 entstandenen siebeneinhalbminütigen Videoarbeit Telephones sammelt und rearrangiert er quer durch die Filmgeschichte typische Geräusche abb . 5 .9: Wählscheibe in The Matrix, 1999. DVD-Still, 2000. 77 Vgl. zur Telefonvermittlung in Three Days of the Condor Kapitel 10.2 dieses Buches. 78 Vgl. Georg Seeßlen: Die Matrix entschlüsselt. Berlin: Bertz, 2003. 79 Andy Wachowski und Laurence Wachowski: The Matrix, DVD. Timecode ca. 0:29:03 f. Das Wissen der Telefonvermittlung 199 und Gesten.80 In der Reduktion auf serielle Operationen, die jeweils genau ein Element enthalten – das Wählen, Klingeln, Abnehmen, Be- grüßen, kurze Sätze, Verabschiedung und Auflegen – gelingt Marclay eine Anatomie der hör- und sichtbaren Praktiken des Telefonierens. Das gesamte Video hat eine medienästhetische Pointe: Durch den Schnitt erscheinen alle Protagonisten in einem einzigen Gespräch verbunden. Mit seiner Struktur fungiert Telephones selbst als synchrones Netzwerk über Zeit, Raum und soziale Grenzen hinweg. Nicht nur in Matrix und Marclays Arbeit hat die Verbindung von Telefonen in der Filmgeschichte tiefe Spuren hinterlassen. Man kann dies am regelrechten Subgenre von Telefonfilmen festmachen, und ebenso an der Vielfalt medienästhetischer und dramaturgischer Formen der Inszenierung von Fernmündlichkeit.81 Eines der prominentesten kinematografischen Beispiele für Ästhetik und Körpertechnik der Te- lefonvermittlung ist Grand Hotel, die US-amerikanische Verfilmung des 1929 erschienenen deutschen Bestsellers Menschen im Hotel von Vicki Baum. Edmund Gouldings mit Stars gespickter MGM-Film – die verschwenderisch hochkarätige Besetzung mit Greta Garbo, Johan Barrymore, Joan Crawford, Wallace Beery und anderen war zu diesem Zeitpunkt ein Novum der Hollywood-Geschichte82 – gewann nicht nur den Oscar von 1932. Er etabliert auch einen Rhythmus des telefo- nischen Austauschs und der sirrenden Drehtüren, welche die Tragödien des Berliner Personenkarussells zwischen Ballettdiva, Abenteurer-Dieb, Außenseiter-Angestelltem und Sekretärin strukturieren. Bereits die erste Szene widmet sich der Vermittlungsarbeit in der Telefonzentrale des Hotels (Abbildung 5.10). 80 Christian Marclay: Telephones, 1995. Schnitt: Timothy Frank. http://www.youtube.com/ watch?v=yH5HTPjPvyE. Herzlichen Dank an Hartmut Böhme für diesen Hinweis. 81 Vgl. generell zur Wahlverwandtschaft von Film und Telefon u. a. Bernhard Debatin und Hans Jürgen Wulff, Hrsg.: Telefon und Kultur. Telefon und Gesellschaft 4. Berlin: Spiess, 1991; Marli Feldvoss: »Bei Anruf Film. Telefon und Kino – eine ideale Partnerschaft«. In: Neue Zürcher Zeitung, 14. Dezember 2002; Kirsten von Hagen: »Wahlverwandtschaf- ten – Spielformen des Telefons im Film«. In: Intermedialität Analog / Digital. Theorien – Me- thoden – Analysen. Hrsg. von Joachim Paech und Jens Schröter. München: Fink, 2008, S. 333−343; Hansmartin Siegrist: »Screening the Phone – Wie das Telefon ins Kino kam«. In: Dis Connecting Media. Technik, Praxis und Ästhetik des Telefons: Vom Festnetz zum Handy. Hrsg. von Ulla Autenrieth u. a. Basel: Merian, 2011, S. 11−52. Vgl. zum Verhältnis von bildender Kunst und Telefon Ingrid Severin: »Technische Vernetzungen und ihre Auswir- kungen auf zeitgenössische Kunst«. In: Technik ohne Grenzen. Hrsg. von Ingo Braun und Bernward Joerges. stw 1165. Frankfurt am Main: Suhrkamp, 1994, S. 212−250, 386−409. 82 Grand Hotel ist mit einer spektakulären Werbekampagne als das erste all star movie Hollywoods vermarktet worden. 200 Telefone und Stimmen um 1890 abb . 5 .10: Telefonvermittlung in Grand Hotel, 1932. DVD-Still, 2004. Der endgültige Umschlag des Films in eine Tragödie, ein Totschlag mit Telefon, nutzt Telefon und Switching als zentrale Spielelemente.83 Wallace Beery bringt darin als jähzorniger Preysing den charmanten Hoteldieb »Baron« Felix von Geigern wegen einer entwendeten Börse mit einigen kräftigen Telefonhieben um. Regisseur Goulding schneidet danach sofort in die Telefonvermittlung, in der die Telefonistinnen den vermeintlichen Vermittlungswunsch verwirrt entgegennehmen wollen: »Hello. Operator. Operator«, um kurz darauf die Frauen nüchtern kommentieren zu lassen, man spiele wohl mit dem Telefon: »They’re having a nice little game up there with that telephone.«84 Die Bedienung der Schalttafeln geschieht in Grand Hotel noch von Hand, obwohl in den Jahren zwischen 1920 und 1935 nicht nur Weltstädte wie New York, London, Berlin und Paris mit automatischen elektromechanischen Systemen ausgestattet wurden, sondern bereits 83 Edmund Goulding: Grand Hotel, DVD. Timecode ca. 1:28:30 f. 84 Grand Hotel, DVD. Timecode ca. 1:29:45 f. Das Wissen der Telefonvermittlung 201 vorher kleinere Städte wie La Porte und Hildesheim, einzelne Häuser, Firmen und Hotels.85 Die Telefonvermittlung und ihre physiologischen Doubles: Blutkreislauf und Reflex Trotz der fortwährenden Automatisierung ist die Handvermittlung – die nicht nur Medientechnik per se, sondern Sozialtechnik des kommu- nikativen Austauschs ist – für die letzten Jahre der Weimarer Repu- blik durchaus nicht ungewöhnlich. Die Automatisierung der manuel- len Schaltt afeln bzw. Switchboards wurde in Europa durch den Ersten Weltkrieg unterbrochen, während in Amerika das Bell-System erst nach der Remonopolisierung elektromechanisiert wurde. Mit der fortwäh- renden Installation der sogenannten Hebdrehwähler verblieb das sprich- wörtliche »Fräulein vom Amt« zumindest als medialer Schatten Teil der Ikonografie des Telefons (Abbildung 5.11). So inszeniert die 1927 auf dem Titelblatt der populären Wissen- schaftszeitschrift La science et la vie veröffentlichte Farblithografie die telefonisch-symbolische Ordnung der Geschlechter. Sie ruft in einer wilden Mischung von organischer Metaphorik und technischem Arran- gement eine nicht nur für das Medium Telefon notorische Verbindung mit dem Blutkreislauf auf.86 Die blauen und roten Leitungen entsprechen der üblichen medizinischen Farbcodierung für Arterien und Venen, die hier ebenso zum Träger der Sprache werden wie die Hebdrehwähler. Während die elektromechanischen Vermittler am linken und rechten unteren Bildrand Standardequipment der in Paris ab 1926 eingeführten rotary selectors darstellen, verweist die mit Buchstaben versehene Appa- ratur in der Bildmitte auf eine zeitgenössische Besonderheit der Pariser Telefonvermittlungen. Die ersten drei Buchstaben eines Telefoncodes waren für ein Kürzel reserviert, welches die jeweilige Telefonvermittlung adressierte. Darauf folgten jeweils vier Ziffern zur Repräsentation des oder der Angerufenen, die hier ihre Entsprechung in den vier Wählern des ›Gehirns‹ finden.87 Die insgesamt siebenstellige Nummer konnte über 85 Vgl. Chapuis: 100 Years of Telephone Switching I, S. 5 zum Hotel, allgemein S. 84 ff. Siehe ebenfalls Gööck: Die großen Erfindungen. Nachrichtentechnik und Elektronik und Horst- mann: 75 Jahre Fernsprecher in Deutschland. 86 Vgl. Kapitel 4.2 und 7.4 dieses Buches zum Verhältnis von Stadt, Kanalisation und Blut- kreislauf. 87 Vgl. Chapuis: 100 Years of Telephone Switching I, S. 198. 202 Telefone und Stimmen um 1890 abb . 5 .11: Titelblatt der Zeitschrift La science et la vie. Farblithografie, Mai 1927. [Siehe Farbtafel X] Das Wissen der Telefonvermittlung 203 Wählscheiben eingegeben werden, auf die 25 Buchstaben nach einem spezifischen Schema gedruckt waren.88 Während das ›Gehirn‹ der auto- matischen Telefonvermittlung den Kopf des weiblichen Schattens über- lagert, bleiben dessen Hände auffällig frei. Die angerufene Frau verfügt hingegen noch über Attribute einer zeitgenössischen Telefonistin und benutzt keinen üblichen Hörer, sondern ein Sprechzeug bzw. Headset. Solche Formen von Objektreferenz, die Blutkreislauf, Nerven und Technologie zum Netzwerk gleichschalten, sollte man aber nicht aus- schließlich als »Organprojektionen« im Sinne von Ernst Kapps 1877 erschienenen Grundlinien einer Philosophie der Technik verstehen.89 Wie Körperteile zur Symbolisierung kommunikativen Austauschs ge- nutzt werden, wirkt meist nur auf den ersten Blick unspezifisch. So scheint für die Modellierung des Gehirns immer nur die neueste Me- dientechnik gut genug zu sein; neue Begriffe und Paradigmen wechseln mit den maßgeblichen Apparaturen.90 Entsprechende Metaphern sind Symptom und Effekt historisch spezifischer epistemischer Konstellati- onen und Konkurrenzen. Ein Beispiel hierfür liefern die switching problems, die als zentraler Bezugspunkt Informationstheorie und Kybernetik prägen. Neben Clau- de Elwood Shannons an Telegrafen- und Telefonschaltungen orien- tierten Modellierungen des Nachrichtenkanals galt dies vor allem für die Erforschung neuronaler Netze.91 Warren McCullochs und Walter 88 Das Pariser Schema lautete wie folgt: 1: leer; 2: A B C; 3: D E F; 4: G H I; 5: J K L; 6: M N; 7: P R S; 8: T U V; 9: W X Y; 0: O Q. Auffälligerweise fehlt hier wie auf dem Verteiler in der Bildmitte der Buchstabe Z, ohne dass darauf ein direkter Zusammenhang herstellbar wäre, denn 25-teilige Verteiler waren durchaus auch ohne Nummernschalter mit Buchstaben üblich. Mit herzlichen Dank an Hans-Dieter Schmidt für diese Auskunft. 89 Ernst Kapp: Grundlinien einer Philosophie der Technik. Zur Entstehungsgeschichte der Cultur aus neuen Gesichtspunkten. Braunschweig: Westermann, 1877. Zur Frage medialer Anatomien siehe Annette Keck und Nicolas Pethes, Hrsg.: Mediale Anatomien. Men- schenbilder als Medienprojektionen. Bielefeld: transcript, 2001. Die Urszene derartiger Formen des Wissenstransfers im 19. Jahrhundert spielt im Laboratorium von Hermann von Helmholtz. Vgl. dazu Timothy Lenoir: »Farbensehen, Tonempfindung und der Telegraf. Helmholtz und die Materialität der Kommunikation«. In: Die Experimentalisierung des Lebens. Experimentalsysteme in den biologischen Wissenschaften 1850 / 1950. Hrsg. von Hans-Jörg Rheinberger und Michael Hagner. Berlin: Akademie-Verlag, 1993, S. 50−73. 90 Vgl. hierzu exemplarisch Olaf Breidbach: Die Materialisierung des Ichs. Zur Geschichte der Hirnforschung im 19. und 20. Jahrhundert. Frankfurt am Main: Suhrkamp, 1995; Douwe Draaisma: Die Metaphernmaschine. Eine Geschichte des Gedächtnisses. Darmstadt: Primus Verlag, 1999; Christian Jürgen Emden: »Epistemische Konstellationen 1800−1900«. In: Netzwerke. Eine Kulturtechnik der Moderne. Hrsg. von Hartmut Böhme, Jürgen Barkhoff und Jeanne Riou. Köln: Böhlau, 2004, S. 127−154. 91 Vgl. Norbert Wiener: Cybernetics or Control and Communication in the Animal and the Machine. 2. Aufl. Cambridge, MA: MIT, 1965, S. 13: »Independently, they (McCulloch und Pitts, SG) had used the technique of mathematical logic for the discussion of what were after all switching problems.« 204 Telefone und Stimmen um 1890 Pitts logisches Kalkül der Nervenaktivität aus dem Jahr 1943 – eine der Gründungsschriften kybernetischen Denkens – transformiert die behavioristische Netzauffassung, der die Verbindungen einzelner Tele- fonleitungen durchweg als Modell für Gehirnvorgänge gedient hatten.92 So zieht Ivan Pawlow in seiner Reflextheorie die Telefonvermittlung als modellhaften Vergleich für den »Mechanismus der zeitweiligen Verbindung« der Nerven heran. In einer öffentlichen Rede von 1909 mit dem Titel »Naturwissenschaft und Gehirn« erläutert Pawlow die Mechanismen des bedingten Reflexes mit folgenden Worten: Stellen Sie sich anstelle der jetzigen Verbindung über ein Telefonamt, d. h. eine zeitweilige Verbindung, eine dauernde telefonische Verbindung aller Teilnehmer untereinander vor. Wie teuer, unbequem und letztend- lich undurchführbar das wäre! Was in diesem Falle durch eine gewisse Bedingtheit der Verbindung verlorengeht (nicht in jedem Augenblick besteht die Verbindung), wird durch die Mannigfaltigkeit der Verbin- dungsmöglichkeiten in reichem Maße ersetzt.93 Pawlows Analogie, die er rhetorisch mit »erlauben Sie mir einen Ver- gleich« einleitet, beruht auf einer geradlinigen Zurückweisung psy- chologischer Ansätze zum Verständnis der Hirntätigkeit. Stattdessen favorisiert er eine strikt physiologische Auffassung der höheren Ner- venfunktionen, eine »objektive Registrierung« der Gesetze ihrer Bezie- hungen. Die Telefonvermittlung bietet sich hierzu als Ensemble objek- tiver, nachvollziehbarer temporärer Herstellung von Vermittlungen an. Sie wird damit, wenn man Pawlows Perspektive konsequent weiterdenkt, zu einem Ort der Verfertigung bedingter Reflexe. Deren zeitweiliges Zu- cken macht telefonische Schaltungen zu einem der höchsten Abschnitte des (gesellschaftlich-medialen) zentralen Nervensystems. Als Labor zur Herstellung komplexer Reflexe reagiert die Telefonvermittlung im Sinne Pawlows auf Umweltreize, die sie zugleich modifiziert, verstärkt oder hemmt. Dies betrifft nicht nur die Beziehung von System und Umwelt, sondern auch die konditionierten Reflexhandlungen der Telefonistinnen selbst. 92 Vgl. Warren S. McCulloch und Walter Pitts: »A Logical Calculus of the Ideas Immanent in Nervous Activity«. In: Bulletin of Mathematical Biophysics 5 (1943), S. 115−133. 93 Gehalten auf der Generalversammlung des 12. Kongresses der Naturwissenschaftler und Ärzte in Moskau am 28. Dezember 1909. Ivan P. Pawlow: »Naturwissenschaft und Gehirn«. In: Gesammelte Werke über die Physiologie und Pathologie der höheren Nerventätigkeit. Hrsg. von Lothar Pickenhain. Würzburg: Ergon, 1998, S. 59−69, hier S. 62. Pawlows Gedanken zum bedingten Reflex grenzen diesen vom niederen, unbedingten Reflex ab. Das Wissen der Telefonvermittlung 205 Die Telefonvermittlung und ihre physiologischen Doubles: Neuronen und Assoziationen Im Falle der frühen Telefonvermittlungen lassen sich parallel vergleich- bare Modellierungen von Netzen in der Assoziationspsychologie von William James und der Forschung an neuronalen Strukturen ausmachen, bis hin zur gehirnphysiologischen Debatte zwischen Camillo Golgi und Ramón y Cajal in der 1890er Jahren.94 Gerade James’ Bemerkungen zur Assoziation und zum train of thought lesen sich wie eine fortwäh- rende Beschreibung telefonischer Vermittlungen. Dabei setzt er sich in den Principles of Psychology (1890) von der ab John Locke tradierten Assoziation der Ideen ab. James besteht vielmehr darauf, dass nicht Ideen, sondern »objects thought of« Grundlage aller gedanklichen Ver- bindungen seien.95 Diese Form von Objektreferenz rückt nicht nur die Dinge und damit eine Objektreferenz anstatt abstrakter Ideen in den Mittelpunkt des Interesses. Sie ist selbst Teil einer konnektionistischen Formation von Kulturtechniken und Wissen im Ausgang des 19. Jahr- hunderts. Dabei ist weniger das Vokabular von James entscheidend. Ähnlich wie bei Pawlow, der in dieser Hinsicht expliziter argumentiert, ist in den Principles of Psychology vom »calling up« der Assoziation die Rede oder aber vom »switching« des Nervenstroms.96 Weitaus bemer- kenswerter ist James’ Einführung einer Art Wenn-Dann-Sendetechnik der Gedankenverbindung im Diagramm (Abbildung 5.12). Am Beispiel der Erinnerung an eine Dinnerparty erklärt er dem Leser sehr prosaisch, in welcher Form Erinnerungsspuren reaktiviert werden. Während die Nervenareale a, b, c, d und e allesamt am Ende der Feier erregt wurden (»act A«), repräsentieren die Areale l, m, n, o, p den gespeicherten Heimweg durch eine kalte Nacht (»act B«). Der Gedanke an A ruft unweigerlich die Assoziation mit B hervor, das Ende der Party wird durch ein erneutes Entladen der Neuronen auf demselben Wege mit dem Fußmarsch nach der Party in Verbindung gebracht.97 Ein solcher Wunschautomatismus von Verbindungen treibt 94 Golgi ging holistisch vom neuronalen Gehirn als einem Gesamtnetzwerk aus, während y Cajal die Autonomie jedes einzelnen Neurons betonte. Vgl. hierzu Otis: Networking, S. 55 f.; Lorraine Daston und Peter Galison: Objectivity. 2. Aufl. New York: Zone Books, 2008, S. 115 f. 95 William James: The Principles of Psychology. Bd. 1. New York: Dover, 1950 [1890]. Zentrale Inhalte des Textes finden sich bereits zehn Jahre zuvor in William James: »The Association of Ideas«. In: The Popular Science Monthly XVI.5 (1880), S. 577−593. 96 James: The Principles of Psychology, S. 577, S. 580. 97 James: The Principles of Psychology, S. 569 f. 206 Telefone und Stimmen um 1890 abb . 5 .12: William James’ Diagramm zum train of thought. Zeichnung, 1890. auch die Telefonvernetzung an: A und B sollen am Ende des 19. Jahr- hunderts nicht mehr nur durch Vermittlungen von Hand, sondern wie im Gedankenmodell des train of thought von William James gänzlich automatisch verbunden werden. 5.4 Schwindende Stimmen, wachsende Netze Indem die Telefon-Leitung erhält und ver- bindet, fügt sie zusammen, was sie trennt. Sie schafft einen Raum von asignifikanten Unterbrechungen.98 Avital Ronell Spiritismus, Religion und Ritual als Kehrseiten der neuen elektrischen und fotochemischen Medien im 19. Jahrhundert sind zugleich deren so- ziale und kulturtechnische Grundlage. Bereits die antike Rhetorik hatte sich an der Übertragung der Stimme als Stimme versucht. Telefonie als Kulturtechnik des Sprechens verdankt sich auch mittelalterlicher und frühneuzeitlicher Magie, die in apparativ-medialen Erfindungen weiter- 98 Avital Ronell: »Call me ma bell«. In: Armaturen der Sinne. Literarische und technische Medien 1870−1920. Hrsg. von Jochen Hörisch und Michael Wetzel. München: Fink, 1990, S. 75−82, hier S. 76. Schwindende Stimmen, wachsende Netze 207 geführt wird.99 Nekromantie und Geisterbeschwörung, wie sie nicht nur Bells spiritistischer Assistent Watson betrieb,100 treffen so auf die Kapi- talisierung von Ideen im Patentamt. Jonathan Sterne hat eindrucksvoll gezeigt, wie eng die ›Stimmen der Toten‹ mit den Balsamiertechniken der viktorianischen Bestattungskultur, dem Konsum chemisch konservierter Nahrung aus Dosenverpackungen und dem Aufkommen der Tonaufnah- me und -übertragung verwandt waren. Ein Ethos des Bewahrens gibt den Rahmen für die Klangaufnahme vor: »Die Tonaufnahme war das Produkt einer Kultur, die das Konservieren und Einbalsamieren gelernt hatte, um die Körper der Toten zu erhalten, auf dass sie ihre soziale Funktion nach dem Leben ausfüllen konnten.«101 Wenn aber das Telefon immer schon »Telephon des Jenseits« ist,102 welche Rolle kommt dann dem netzbildenden Vermitteln an diesen Nicht-Ort zu? In Walter Rathenaus 1898 verfasster Kurzgeschichte Die Resurrection Co. fangen die Toten von Necropolis, Dacota, selbst an zu telefonieren.103 Sie nutzen die eigentlich nur als Friedhofs-Si- cherheitsvorkehrung installierten Telefone, die ein Begraben von noch Lebenden verhindern sollen, im eigenen Interesse um. Anstelle mit den Lebenden reden zu wollen, denen der Totengräber Strowger seine Er- findung widmete, verlangen die Toten direkte telefonische Vermittlung untereinander – von Sarg zu Sarg. Die Fernsprecher werden daraufhin umgehend entfernt, auch wenn die Klingeln weiter läuter müssen, so- lange die wirtschaftliche Existenz der Dacota- and Central-Resurrection Telephone and Bell Co. währt. Stimmen ohne lebendigen Körper, Stimmen aus dem Jenseits erwei- sen sich als ungeliebte, unvermeidliche Gäste.104 Das Wissen der Tele- fonvermittlung konstituiert sich, zumindest in jener von Totengräbern und Geistern bespielten Szene des Telefonischen, aus dem telefonisch- unheimlichen Schatten des Todes. 99 Vgl. Thomas Macho: »Stimmen ohne Körper. Anmerkungen zur Technikgeschichte der Stimme«. In: Stimme. Annäherung an ein Phänomen. Hrsg. von Doris Kolesch und Sybille Krämer. stw 1789. Frankfurt am Main: Suhrkamp, 2006, S. 130−146, hier S. 134 f. 100 Vgl. Ronell: Das Telefonbuch, S. 191, S. 226 f., insb. S. 271 f. zur Einpassung von Telefonen in Taucheranzüge, S. 440 f. zu Watsons Spiritismus. 101 Sterne: The Audible Past, S. 289 f., hier S. 292. 102 Nietzsche: »Zur Geneaologie der Moral«, S. 346. 103 Walter Rathenau: »Die Resurrection Co.« In: Gesammelte Schriften IV. Reflexionen und Aufsätze. Berlin: S. Fischer, 1925 [1898], S. 337−349. 104 Vgl. zum Verhältnis von Medium und Tod klassisch Friedrich Kittler: Grammophon, Film, Typewriter. Berlin: Brinkmann und Bose, 1986, S. 20 f. 208 Telefone und Stimmen um 1890 Während sich die Toten der Drähte und Apparate wie in Rathenaus Resurrection Co. entledigen können, müssen sich die Lebenden immer wieder ihrer Sprache und damit ihrer Körper selbst versichern. Es sind insbesondere die elektrisch übertragenen Telefonstimmen, welche immer schon am Schwinden sind. Die technischen Neuerungen zur territorialen Ausweitung der Netzmaschen, darunter die ab 1900 gebräuchliche in- duktive Belastung (»Laden«) der Leitungen durch Pupinspulen und die Etablierung von Langstreckentelefonie mit Verstärkerröhren ab 1912, stemmen sich dem entgegen. »›Was hast Du gesagt? Bist Du noch da?‹ zeigt, daß Übersetzungsak- tivitäten das Milieu der telephonischen Äußerungen beherrschen, die die Übersetzung von Tonwellen zurück in Sprachsimulation verdoppeln.«105 Die abwesende ›Anwesenheit‹ oder Präsenz der Stimme muss also stets aufs Neue momentan hergestellt werden, als Sprechakt und technischer Prozess zugleich. Die Kommunikation im Netz ist fragil – ein hörbarer Fakt, der bei Handvermittlung allen Beteiligten bewusst bleibt, aber mit jedem Mechanisierungs- und Automatisierungsschub der Telefonnetze weiter verstummen soll. Verkörperungen, Materialisierungen und Insze- nierungen all jener Netzwerke, die sich mit dem und durch – »by and through« – das Telefon bilden, werden deshalb umso wichtiger. Telefon und Telefonnetz sind, wenn man so will, nicht nur im 19. Jahrhundert eine zugleich physiologische und physikalische Angelegenheit.106 So wie Bells Erfindung trotz ihrer Patentierung lange ein offenes, viel- deutiges Objekt blieb, treten die Strowger-Apparate ihren Siegeszug mit erheblicher Verspätung an. Erst Jahre nach dem Tod des Totengräbers setzen sich, begleitet von intensiven Diskussionen des internationalen Fachpublikums, Hebdrehwähler-Installationen im größeren Stil durch. Weniger den USA, sondern Deutschland kommt dabei vor und teilweise auch nach dem Ersten Weltkrieg eine Pionierrolle zu.107 Dominierend bleibt trotzdem Nordamerika, vor allem durch die massive Verwissen- schaftlichung der Telefonforschung in den Bell Labs, aus der auch die digitale Codierung des fernmündlichen Sprachverkehrs entsteht.108 105 Ronell: »Call me ma bell«, S. 78. 106 Vgl. Otis: Networking; Daniel Gethmann: »Das Zittern der Luft. Die Erfindung der mecha- nischen Stimme«. In: Medien / Stimmen. Hrsg. von Cornelia Epping-Jäger und Erika Linz. Köln: DuMont, 2003, S. 211−234. 107 Vgl. König: »Nutzungswandel, Technikgenese und Technikdiffusion«. 108 Vgl. M. D. Fagen, Hrsg.: A History of Engineering and Science in the Bell System. The Early Years (1875−1925). New York: Bell Telephone Laboratories, 1975; Sidney Millman, Schwindende Stimmen, wachsende Netze 209 Mindestens genauso wichtig wie die materiellen Grundlagen des Switching sind die Organisationsformen der Telefongesellschaften. Deren Auswirkung auf die Vernetzung geografisch und ökonomisch zunächst getrennter Teilnetze zu einem großen Netz bzw. System be- dürfte einer eigenen Erzählung. Denn in den USA treten unabhängige Telefongesellschaften, die auf automatische Vermittlungen setzen, in den 1900er Jahren in starken Wettbewerb mit AT&T, der Muttergesellschaft des Bell-Systems. AT&T, angeführt von Theodore Vail, unterbietet daraufhin deren Preise und nimmt 1913 letztlich sogar stärkere staat- liche Regulierung in Kauf, um sein Quasimonopol wiederzuerlangen. Damit schlagen auch die USA einen gouvernemental gestützten Weg zur Etablierung eines umfassenden nationalen Telefonnetzes ein, das hier als Mischung aus öffentlicher Infrastruktur (common carrier bzw. Universaldienst) und langlebigem privatwirtschaftlichen Monopol aus- gestaltet wird.109 Die interkonnektive Verbindung einzelner Telefonnetze zu einer Heterarchie und »größten Maschine der Welt« (Hans-Dieter Schmidt) erzählt sich als eine unwahrscheinliche Netzwerkbildung, die an vielen lokalen Orten emergent beginnt und auch in der Ausweitung den lokalen Charakter oft beibehält. Vermittlungstechniken von Hand verschwin- den darin nie ganz, ebenso wie die mechanisierten Verbindungen lange neben der Digitaltechnik bestehen. Von den Klappenschränken über Switchboards für 10.000 Anschlüsse zu endlosen Reihen von Hebdreh- wählern, von Telefonbüchern mit Namenseinträgen zu internationalen Vorwahlen, von preiswerten Orts- über immens teure Ferngespräche bis hin zur billigen internationalen Calling Card … Chronologische Genealogien, die entlang der technischen Entwicklungsschübe verlaufen, müssen die übergroße Fülle von Ungleichzeitigkeiten und Unwahrschein- lichkeiten leider meist außen vor lassen. Vielleicht ließe sich, ausgehend von Watson, Strowger und Rat- henau, auch eine andere, nicht teleologisch verfasste Geschichte der Telefonnetze und ihrer Vermittlungen erzählen. Sie wäre, im Wissen um die stets schwindenden Stimmen der Toten, die Erzählung einer Verunsicherung über das Ende von Menschenkörpern und den Anfang soziotechnischer Netzwerke, die das Telefon wie kein zweiter vernetzter Hrsg.: A History of Engineering and Science in the Bell System 5. Communication Sciences (1925−1980). Indianapolis: AT&T Bell Laboratories, 1984. 109 Vgl. Flichy: Tele, S. 158 f.; Wu: The Master Switch, S. 51 f. 210 Telefone und Stimmen um 1890 und vernetzender Apparat der Alltagskultur verkörpert.110 Die Praktiken des Schaltens und Herstellens von Verbindungen, welche mit dem eng- lischen Wort switching so gut bezeichnet sind, stünden darin für die sich historisch, materiell und situativ verändernden Handlungsstile von Netzwerkkulturen. Zu deren Selbstreflexion gehört das Aufzeichnen ihrer Verbindungs- formen. So wie William James dem train of thought im Diagramm folgt, bringen Netzwerkdiagramme hervor, was sie zeigen. Aber was sagen die Graphen der Graphentheorie eigentlich aus? Und wie konn- ten sie so populär werden, dass sie zu den Universalisierungtendenzen formaler Netzwerktheorie beigetragen haben? Diese Fragen führen in die Wissensgeschichte der Naturwissenschaften, der Soziologie und Ethnologie. Was wir heute als soziale Netzwerke verstehen, verdankt sich auch einem langen Verwissenschaftlichungsprozess, von dem im folgenden Kapitel die Rede sein soll. 110 Vgl. Otis: Networking, S. 10. 6 Bildgeschichte des Netzwerkdiagramms (I) Von den visuellen Modellen der Naturwissenschaften zum Kalkül sozialer Netzwerke Vergleichsweise einfache geometrische Figuren als Faszinosum und Mo- dell des Wissens haben eine lange Tradition. Das Netz reiht sich in die lange Geschichte diagrammatischer Formen ein, die in Gestalt von Kreisen, Linien, Vielecken und Bäumen räumliche Ordnungsmuster verkörpern. Dabei unterscheidet es sich von den euklidisch-abstrak- ten Figuren, die vor allem auf geometrischen Operationen beruhen, durch eine vergleichsweise flexibel angelegte relationale Struktur. Mit dem Wissensbaum teilt es zwar den Charakter als modelltaugliches Dingsymbol, geht aber nicht nur durch die wechselnde Referenz auf zwei Objekte – Fischer- wie Spinnennetz – über dessen Ordnungsleistungen hinaus. »Ein Netz ist kein Baum«, so hat es Umberto Eco bündig zusam- mengefasst, nicht ohne darauf hinzuweisen, dass bereits baumförmige Diagramme zum enzyklopädischen Labyrinth werden können: »Das charakteristische Merkmal eines Netzes ist es, daß jeder Punkt mit jedem anderen Punkt verbunden werden kann, und wo die Verbindungen noch nicht entworfen sind, können sie trotzdem vorgestellt werden. Ein Netz ist ein unbegrenztes Territorium.«1 Das abstrakte Modell eines Netzes, so Eco, habe weder einen Mittelpunkt noch ein Außen, wobei er auf Gilles Deleuzes und Félix Guattaris botanische Denkfigur des Rhizoms als bestes Bild eines Netzes verweist.2 Die Netz und Rhizom in der poststrukturalistischen Philosophie gerne zugesprochenen idealen Eigenschaften lassen sich am bildhistorischen Material kaum eins zu eins wiederfinden. Im Gegenteil, die mögliche Verbindung jedes Knotens mit jedem anderen entzieht sich regelrecht der 1 Umberto Eco: »Die Enzyklopädie als Labyrinth«. In: Im Labyrinth der Vernunft. Texte über Kunst und Zeichen. Hrsg. von Michael Franz und Stefan Richter. Reclam-Bibliothek 1547. Leipzig: Reclam, 1989, S. 104−109, hier S. 105 f. 2 Eco: »Die Enzyklopädie als Labyrinth«, S. 106. 212 Bildgeschichte des Netzwerkdiagramms (I) Visualisierung, je größer die infrage stehende Akteurs- und Datenmenge ist. Ebenso zeichnen sich unbegrenzte Territorien selbst bei den besten Virtualisierungstechniken durch die geometrische Unsichtbarkeit des Unendlichen in einem zweidimensionalen Raum aus. Dessen ungeachtet ist die Popularität von Netzwerkvisualisierungen ungebrochen. Nach den Gründen dafür wird man sich fragen müssen. Schließlich existieren in der Graphentheorie auch andere formale Darstellungsmethoden, etwa durch Matrizen und in Datenbanken abgebildete Relationen. Zudem sind die Defizite des Netzdiagramms, darunter fehlende Dynamik, relativ schwer darstellbare zeitliche Transformation, mangelnde Erklärung für emergente Entwicklungen und Unklarheit über die Differenz von System und Umwelt, gut bekannt. Aber offenbar gibt es pragmatische Gründe, warum man mit dem diagrammatischen Netz versucht, anderer Netze habhaft zu werden.3 Die drei bildhistorischen Kapitel dieses Buches widmen sich deshalb Zeichenpraktiken und Operationen, bei denen das Netzdiagramm eine besondere Rolle für die Netzwerkbildung spielt: in den Wissenschaften, in Güterproduktion wie Logistik und dem Gegendiskurs der Verschwö- rungstheorie. Seine Rolle spielt das Diagramm vor allem über seine modellbildende Kraft. Es ist »als Mittel zugleich Träger von etwas, das es mit der Anwendung auf etwas überträgt«4 – Netzdiagramme erzeugen als Modelle, was sie erkennen. Dabei sind sie immer gleichzeitig Modelle von und Modelle für etwas.5 Sie können vor allem von professionell trainierten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern benutzt werden, die visuelle Modelle zum Ordnen, Markieren und Explorieren eines Netzwerks nutzen. Dabei setzt die formale Netzwerkanalyse mittler- weile auf eine Kombination von automatisierter Datenverarbeitung und 3 Vgl. hierzu die ethnologische Analyse für den Einsatz materieller Fangnetze, die als Modell ihrer Schöpfer fungieren bei Gell: »Vogel’s Net«, S. 198 f. 4 Bernd Mahr: »Modellieren. Beobachtungen und Gedanken zur Geschichte des Modellbe- griffs«. In: Bild – Schrift – Zahl. Hrsg. von Sybille Krämer und Horst Bredekamp. Kultur- technik. München: Fink, 2003, S. 59−86, hier S. 65. Vgl. zur kognitiven Dimension von Modellen Jürgen Renn und Peter Damerow: »Mentale Modelle als kognitive Instrumente der Transformation von technischem Wissen«. In: Übersetzung und Transformation. Hrsg. von Hartmut Böhme, Christof Rapp und Wolfgang Rösler. Transformationen der Antike 1. Berlin; New York: de Gruyter, 2007, S. 311−331. 5 Vgl. ausführlicher zu den verschiedenen Modellformen im Anschluss an Max Black und Nelson Goodman Sebastian Gießmann: »Graphen können alles. Visuelle Modellierung und Netzwerktheorie vor 1900«. In: Visuelle Modelle. Hrsg. von Ingeborg Reichle, Steffen Siegel und Achim Spelten. München: Fink, 2008, S. 269−284, hier S. 271 f.; siehe auch Lothar Krempel: Visualierung komplexer Strukturen. Grundlagen der Darstellung mehr- dimensionaler Netzwerke. Schriften des Max-Planck-Instituts für Gesellschaftsforschung, Sonderband. Frankfurt am Main: Campus, 2005. Marcello Malpighis Dinge und das wunderbare Netz 213 menschlicher Auslegung der generierten Graphen – ihre visuelle Kultur beruht auf einem vergleichenden trainierten Sehen. 6.1 Marcello Malpighis Dinge und das wunderbare Netz Kommen wir wieder zu Ihrem Netz und seiner Entstehung.6 Théophile Bordeu zu Jeanne Julie de l’Espinasse in Diderots Le rêve de d’Alembert Als Marcello Malpighi 1661 seinen mikroskopischen Blick auf die Kapil- laren der Froschlunge beschreibt, zögert er nicht, die so sichtbar gewor- dene Struktur als wunderbares Netz, als »rete mirabile« zu bezeichnen. Der italienische Mediziner und Virtuose am Mikroskop (1628−1694) teilt diese Entdeckung in Form zweier Briefe unter dem Titel De pulmo- nibus mit. Zum einen richten sie sich an seinen Lehrer Giovanni Alfonso Borelli, der in einer Vielzahl von Nachrichten Anregungen und Kritik gab. So besteht Borelli vehement auf der Beigabe von Illustrationen für die Publikation, da sonst Malpighis Erkenntnisse nicht verstanden werden würden.7 Zum anderen adressieren die öffentlich gemachten Briefe ein europaweites gelehrtes Publikum, dem William Harveys 1628 publizierte Beschreibung des Blutkreislaufs sehr gut bekannt ist.8 Malpighi, dessen glanzvolle Karriere ihn von Studium und Lehrstuhl in Bologna bis zur Leibarztstellung bei Papst Innozenz XII. und einer Professur an der römischen Sapienza führen sollte, beschreibt seine mikroskopischen Beobachtungen der Lungenbläschen wie folgt: An der Oberfläche der Lungen ist bei auffallendem Lichte ein wunder- bares Netz ausgespannt sichtbar, das mit den einzelnen Bläschen eng verbunden erscheint; dasselbe ist auch im Inneren einer aufgeschnittenen Lunge, wenn auch weniger deutlich, zu beobachten.9 6 Denis Diderot: »Gespräche mit D’Alembert«. In: Philosophische Schriften. Bd. 1. Berlin: Aufbau-Verlag, 1961 [1769], S. 511−579, hier S. 542. 7 Das wissenschaftshistorische Drama um die Kapillaren der Froschlunge und die anti-galenische Beschreibung, dass die Lunge nicht aus Fleisch besteht, lässt sich anhand des edierten Brief- wechsels beider nachvollziehen. Borelli zeigt sich zum ersten Mal am 21. August 1660 über Malpighis Arbeit erfreut, kritisiert wiederholt, dass er die Befunde seines Schülers experimentell nicht nachvollziehen kann, schlägt am 14. Januar 1661 die Injektion von Quecksilber vor und besteht nach Drucklegung der ersten Anfang Februar 1661 auf einer zweiten Epistel. Vgl. Marcello Malpighi: The Correspondence of Marcello Malpighi. 1658−1669. Hrsg. von Howard B. Adelmann. Bd. 1. Ithaca, London: Cornell University Press, 1975, S. 39 ff. Vgl. auch Howard B. Adelmann: Marcello Malpighi and the Evolution of Embryology. Bd. 1. Ithaca: Cornell University Press; London: Oxford University Press, 1966, S. 171 f. 8 Vgl. Harvey: Exercitatio anatomica de motu cordis et sanguinis in animalibus. 9 Marcello Malpighi: »De pulmonibus«. In: Opera omnia: figuris elegantissimis in aes incisis illustrata; zwei Bände in einem Band. Bd. 2. Hildesheim (u. a.): Olms, 1975, S. 133−145, 214 Bildgeschichte des Netzwerkdiagramms (I) Das größte ungeklärte Faszinosum ist dabei die Eigenheit der Lun- genkapillaren, mit einer Röhre in die Arterie eingeführte Flüssigkeiten an mehreren Seiten wieder heraustreten zu lassen. Malpighis Frösche müssen quälende Handgriffe des Anatomen ertragen, z. B. Austrock- nung, Kochen, Einführung von Substanzen in Luftröhre und Blutgefäße, Blutentleerung, Luftentleerung etc.10 Mit der 180-fachen Vergrößerung des Mikroskops ist zwar der Übergang von Arterien über Kapillaren zur Vene, den Harvey noch mit Porositäten im Gewebe begründete, experimentell nachweisbar.11 Die genauen Austauschprozesse im Bereich der Kapillaren bleiben aber trotz des hohen mechanischen Aufwands zur Sichtbarmachung verborgen, so dass die filigrane Struktur in ihrer Funktionalität mit gutem Grund als »wunderbares Netz« beschrieben wird. Malpighis Begriffswahl ist traditionell, entsprechende Struktur- beschreibungen waren seit der antiken Medizin nicht ungewöhnlich. Ein »rete mirabile« hatte bereits Galen als komplexes, mehrschich- tiges Netz beschrieben,12 bevor Andreas Vesalius in seinen Sektionen ein vergleichbares Organ im menschlichen Nacken suchte, nicht auf- finden konnte und korrekt vermutete, dass Galen einen Ochsen oder ein Schaf seziert habe.13 Trotzdem wurde anatomischen Netzgeweben bereits vor Malpighi eine Mittlerfunktion zugeschrieben – prominent Epistola I, S. 134: »[…] in frustulo enim extimo pulmonum lumini objecto mirabile quod dam rete videtur extensum, quo emergentes, & extuberantes diceres singulas vesicas vinciri, & colligari, quod idem etiam obscure tamen in secto interius pulmone observatur; […].« Übersetzung bei Julius Katz: »De pulmonibus. Abhandlung von Malpighi«. In: Klinisch- experimentelle Beiträge zur Inneren Medicin. Festschrift Julius Lazarus. Berlin: August Hirschwald, 1899, S. 111−123, hier S. 115. 10 Vgl. Luigi Belloni: »Die Entstehungsgeschichte der mikroskopischen Anatomie«. In: Frühe Anatomie. Hrsg. von Robert Herrlinger und Fridolf Kudlien. Stuttgart: Wissenschaftliche Ver lagsgesellschaft, 1967, S. 269−296, hier S. 289. 11 Vgl. Harvey: Exercitatio anatomica de motu cordis et sanguinis in animalibus, Kapitel 7. Über Malpighis Instrumente, die er im Gegensatz zu anderen Gelehrten nicht selber fertigte, ist relativ wenig bekannt. Das für De Pulmonibus benutzte Exemplar war ein Mikroskop mit einer Linse. Für die späteren Mikroskope ist eine Fertigung durch den Bologneser Eustachio Divini wahrscheinlich. Vgl. Howard B. Adelmann: Marcello Malpighi and the Evolution of Embryology. Bd. 2. Ithaca: Cornell University Press; London: Oxford University Press, 1966, S. 828 f. 12 Galen: On the Usefulness of the Parts of the Body / De usu partium. Hrsg. von Margaret Tall madge May. Ithaca, NY; London: Cornell University Press, 1968, Buch IX, hier: S. 430 f. 13 Vgl. Andreas Vesalius: Andreae Vesalii Bruxellensis, scholae medicorum Patauinae professo- ris, de Humani corporis fabrica Libri septem. Basilae: Johann Oporinus, 1543, S. 310, S. 524, S. 642. Siehe dazu Plinio Prioreschi: »Galenicae Quaestiones Disputatae Duae. Rete mirabile and pulmonary circulation«. In: Vesalius II.2 (1996), S. 67−78; Michael Reinecke: Galen und Vesal. Ein Vergleich der anatomisch-physiologischen Schriften. episteme kai therapia. Studien zur Medizin als Wissenschaft und Heilkunst 1. Münster: LIT, 1997; Mi- chaela Boenke: Körper, Spiritus, Geist. Psychologie vor Descartes. Humanistische Bibliothek Reihe I, Band 57. München: Fink, 2005, S. 67. Marcello Malpighis Dinge und das wunderbare Netz 215 z. B. in René Descartes’ Traité de l’homme, der in den 1630er Jahren entstand und posthum 1662 veröffentlicht wurde. Darin zeichnet der französische Philosoph das »réseau« als zentralen Teil der Anatomie des Gehirns, aus dem wiederum einzelne Netze (filets) als Transportweg der belebenden »esprits animaux« – tierischen Geistern aus dem Erbe der galenischen Humoralpathologie – weiter in das Gehirn reichen.14 Die Geschichte der frühneuzeitlichen Anatomie ist zu vielschichtig, um sie an dieser Stelle angemessen zu würdigen. Entscheidend ist aber, dass mit der im 17. Jahrhundert gepflegten Wissenskultur der »anatomia artificiosa et subtilis« mikroskopische Praktiken der Sichtbarmachung in eine visuelle Modellierung von Körpern und ihren Organen mün- den.15 Durch Zeichnung und Bezeichnung der Einzelteile wird das Netz zum Wissensobjekt, das im diagrammatisch verfassten Bild sichtbar wird. Seine Objektreferenz unterliegt bei Malpighi – der hierin der Galilei’schen Zeichenschule folgt – wie bei Descartes den Bedingungen der Iatromechanik, die unter mechanistischen Vorzeichen Objekte in Repräsentationen der Buchkultur übersetzt. Auf diese Art und Weise werden die Froschkapillaren nach dem Begriff Hans-Jörg Rheinbergers zu ›epistemischen Dingen‹ und kleinen Maschinen: Sie sind nicht nur Struktur, sondern Agenten einer Verteilung von Flüssigkeiten. Malpighi bemüht selbst den Vergleich mit dem opus reticulatum der römischen Architektur, um die Materialität dessen, was er als Kapillarnetz gezeich- net hat, zu beschreiben (Figur II in Abbildung 6.1).16 Für eine Bildgeschichte des Netzwerkdiagramms ist Malpighis Ana- tomie körperlicher Netze – die auch für seine pflanzlichen Strukturbe- schreibungen maßgeblich ist17 – einer der besten Ausgangspunkte. Hier findet der Übertrag vom materiellen Gegenstand zur diagrammatischen Zeichnung statt, ohne den eine weitergehende Modellierung von relatio- 14 Vgl. René Descartes: »L’homme«. In: Œuvres philosophiques 1618−1637. Bd. I. Paris: Éditions Garnier, 1988 [1662], S. 369−480, hier S. 441 f. 15 Vgl. hierzu Belloni: »Die Entstehungsgeschichte der mikroskopischen Anatomie«; Ilse Jahn: »Naturphilosophie und Empirie in der Frühaufklärung«. In: Geschichte der Biologie. Theorien, Methoden, Institutionen, Kurzbiographien. Hrsg. von Ilse Jahn. 4. Aufl. Jena; Stuttgart; Lübeck; Ulm: Gustav Fischer, 1998, S. 197−230, hier S. 204 f.; Hartmut Böhme: »Bildevidenz, Augentäuschung und Zeugenschaft in der Wissenschaft des Unsichtbaren im 17. Jahrhundert«. In: Dissimulazione onesta oder Die ehrliche Verstellung. Von der Weisheit der versteckten Beunruhigung in Wort, Bild und Tat. Martin Warnke zu Ehren. Ein Symposion (2003). Hrsg. von Horst Bredekamp u. a. Hamburg: Philo Fine Arts, 2007, S. 13−42. 16 Malpighi: »De pulmonibus«, Epistola II, S. 144, Bildunterschrift Figur II, Buchstabe C. 17 Vgl. die Beschreibung des retikularen Netzes des Kaktusfeigenblattes in Marcello Malpighi: »De anatome plantarum«. In: Opera omnia: figuris elegantissimis in aes incisis illustrata; zwei Bände in einem Band. Bd. 1. Hildesheim (u. a.): Olms, 1975, S. 1−78, hier S. 35 f. 216 Bildgeschichte des Netzwerkdiagramms (I) abb . 6 .1: Marcello Malpighi: Anatomie der Froschlunge mit »wunderbarem Netz«. Kupferstich, 1663 [erste Zeichnung 1661], 15,5 x 9 cm. Marcello Malpighis Dinge und das wunderbare Netz 217 nalen Zusammenhängen in Netzwerken kaum denkbar ist. Malpighi entwirft das maßstabsgetreue Modell eines physischen Netzes. Zugleich sind für ihn und Borelli die Entwürfe der Traktatpublikationen selbst ein modello des in ihnen enthaltenen Wissens.18 Materielle Netze lassen sich sichtbar machen – sie verfügen ohnehin über dingliche Präsenz. Der Bildstatus von Netzwerken als relationalen Prozessen und hybri- den Quasi-Objekten19 ist hingegen eine prekäre Angelegenheit, in der analoges Modellieren auf theoretische Annahmen trifft. In der frühneuzeitlichen Medizin- und Naturgeschichte verbindet sich eine sehr eigene Netzästhetik mit den Objekten der Anatomie und insbesondere des Blutkreislaufs. So werden Netzwerkmodelle mit einer Semantik des Retikularen versehen, die in veränderter Form in der Moderne meist im Zusammenhang mit städtischen Zirkulationen aufgerufen werden wird.20 Im 18. Jahrhundert entwickeln sowohl die Mediziner der Montpellier-Schule und in ihrer Folge Diderot eine Auf- fassung menschlicher Anatomie, in der Netzstrukturen des menschlichen Körpers von biosozialen Vernetzungsenergien kaum zu trennen sind.21 In den tableauförmigen Beschreibungsformen der Naturgeschichte schließlich wird das Netzdiagramm zur selbstreflexiven Figur des Wis- sens, welche die Ordnung von Lebewesen verzeichnet.22 Wie und unter welchen Bedingungen entwickelt sich die diagramma- tisch-modellierende Netzästhetik im 19. und 20. Jahrhundert fort? Dieser Frage widmet sich die wissenshistorische Genealogie in diesem Kapitel. Sie geht vor allem auf die Nähe von Mathematik, Chemie und Soziologie ein. Zuvor sind aber noch einige bild- und medientheoretische Anmer- kungen zur Visualität und Operativität des Netzdiagramms notwendig. 18 Borelli an Malpighi, 24. März 1661. Malpighi: The Correspondence of Marcello Malpighi. 1658−1669, S. 80. 19 Vgl. Kapitel 3.1 dieses Buches. 20 Vgl. Musso: Télécommunications et philosophie des réseaux, S. 33 ff.; Gießmann: Netze und Netzwerke. Archäologie einer Kulturtechnik, S. 33 f., S. 71 f. und Kapitel 4.2 und 7.3 dieses Buches. 21 Vgl. hierzu Becker: Mann und Weib – schwarz und weiß, S. 185 f. 22 Vgl. Igor J. Polianski: Die Kunst, die Natur vorzustellen: Die Ästhetisierung der Pflanzen- kunde um 1800 und Goethes Gründung des botanischen Gartens zu Jena im Spannungsfeld kunsttheoretischer und botanischer Diskussionen der Zeit. Minerva. Jenaer Schriften zur Kunstgeschichte 14. Jena: Lehrstuhl für Kunstgeschichte und Kunsthistorisches Seminar mit Kustodie, Friedrich-Schiller-Universität, 2004, S. 222 f.; Gießmann: »Netze als Weltbilder. Ordnungen der Natur von Donati bis Cuvier«. Siehe zudem zur Diagrammatik der Biologie Georg Töpfer: »Linien, Bäume, Netze – und die Gegenstände der Biologie«. In: Netzwerke. Beiträge zur 13. Jahrestagung der DGGTB in Neuburg an der Donau 2004. Hrsg. von Michael Kaasch, Joachim Kaasch und Volker Wissemann. Verhandlungen zur Geschichte und Theorie der Biologie 12. Berlin: VWB, 2006, S. 74−94. 218 Bildgeschichte des Netzwerkdiagramms (I) 6.2 Netzwerkvisualisierungen zwischen Bildakt und Schreibakt Das Diagramm steht zwischen Schrift und Bild.23 Sybille Krämer Netzdiagramme sind systemische Bilder, da sie fortwährend an die Gren- zen von Papier und Computeroberflächen stoßen müssen.24 In ihrer Form kommen ermittelte Beziehungen zwischen homogenen Elementen ein und derselben Komponente, den sogenannten Knoten, zum Aus- druck. Punktgröße, Länge und Form von Linien sowie Ausdehnung und Form von Flächen haben dabei im Prinzip, folgt man der Definition in Jacques Bertins klassischer Graphischer Semiologie, keine Bedeutung.25 Diese wird vielmehr durch die Topologie der sichtbar werdenden Re- lationen hergestellt, für die auf Winkeltreue verzichtet werden kann, wenngleich das Verständnis des Betrachters durch die geometrischen Konventionen geleitet wird. Zum Netzwerkdiagramm wird ein gezeichnetes Netz streng ge- nommen nur, wenn die Knoten sehr heterogen sind und daher ein interkonnektives und heterarchisches Netzwerk von Agenten bilden.26 Die fortwährende Erweiterbarkeit, Verdichtung oder Entflechtung, also die Fluktuation von Netzwerken ist aber bildlich nicht und in tabellarischer Matrizenform nur schlecht darstellbar. Daher drängen gerade die Bilder, mit denen soziale Zusammenhänge erfasst werden sollen, zu einer Dynamisierung über Medientechniken der Animation 23 Sybille Krämer: »›Operationsraum Schrift‹. Über einen Perspektivenwechsel in der Betrach- tung der Schrift«. In: Schrift. Kulturtechnik zwischen Auge, Hand und Maschine. Hrsg. von Gernot Grube, Werner Kogge und Sybille Krämer. München: Fink, 2005, S. 22−57, hier S. 41. 24 Vgl. hierzu grundlegend Martin Heidegger: »Die Zeit des Weltbildes«. In: Holzwege. Ge- samtausgabe V. Frankfurt am Main: Klostermann, 1977, S. 75−113, hier S. 89, S. 100. Zur Begrenzung des grafischen Zeichensystems siehe Jacques Bertin: Graphische Semiologie. Diagramme – Netze – Karten. Berlin; New York: de Gruyter, 1974, S. 50 f. Vgl. zudem Ga- briele Werner, Hrsg.: Systemische Räume. Bildwelten des Wissens. Bd. 5.1. Berlin: Akademie, 2007; Inge Hinterwaldner: Das systemische Bild. Ikonizität im Rahmen computerbasierter Echtzeitsimulationen. eikones. München: Fink, 2010. 25 Vgl. Bertin: Graphische Semiologie. Diagramme – Netze – Karten, S. 277. Bertins bemer- kenswerte systematische Unterscheidung zwischen ›Diagrammen‹ und ›Netzen‹ greife ich an dieser Stelle nicht auf. Sie ist von der grafischen Konstruktionslogik auf dem Papier her gerechtfertigt – beim Diagramm wird laut Bertin ein Bedeutungsrahmen beispielsweise durch X- und Y-Achse vorgegeben und danach eingetragen, während beim Netz die Relati- onen provisorisch eingetragen werden können und danach die Darstellung mit der größten Präg nanz konstruiert wird. 26 Vgl. John Law: Note on the Theory of the Actor Network: Ordering, Strategy and Hetero- geneity. Centre for Science Studies, Lancaster University. 1992. http://www.lancs.ac.uk/fass/ sociology/papers/law-notes-on-ant.pdf; Böhme: »Netzwerke. Zur Theorie und Geschichte einer Konstruktion«, S. 19. Netzwerkvisualisierungen zwischen Bildakt und Schreibakt 219 und Simulation hin. Zum »drawing things together« wissenschaftlicher Repräsentation, wie es Bruno Latour beschrieben hat,27 kommt ein »simulating things together«. Aber auch dessen aktuelle Formen, die bis in die Schwarmforschung reichen, arbeiten mit den Skalierungs- möglichkeiten von Netzwerkkalkülen.28 Das Netzwerkdiagramm ist in seinen topologisch-relationellen Formen zum Medium der Netzwerk- gesellschaft schlechthin geworden.29 Für gesellschaftliche Strukturen etabliert es ein Maßverhältnis, mit dem aus den gemeinschaftlichen Mikrodimensionen von Gruppen die Konturen sozialer Makrodimen- sionen gewonnen werden können. Zum Thema der Diagramme und einer allgemeinen Diagrammatik ist mittlerweile ein produktives interdisziplinäres Forschungsfeld ent- standen, das bildwissenschaftliche, philosophische und kulturwissen- schaftliche Impulse setzt.30 Bereits im französischen Poststrukturalismus zeichnete sich dies ab, am deutlichsten bei Gilles Deleuze, Michel Foucault und Michel Serres.31 Gerade Letzterer hat gleich auf den ersten Seiten seiner 1968 unter dem Titel Hermès erschienenen Philosophie der Kommunikation das Netzdiagramm zum topologischen Modell einer neuen Geschichtsschreibung schlechthin erhoben.32 Serres betitelt seine 27 Vgl. Bruno Latour: »Visualisation and Cognition: Drawing Things Together«. In: Repre- sentation in Scientific Practice. Hrsg. von Michael Lynch und Steve Woolgar. Cambridge, MA; London, England: MIT Press, 1990, S. 19−68. 28 Vgl. zur Schwarmforschung Sebastian Vehlken: Zootechnologien. Eine Mediengeschichte des Schwarms. Berlin; Zürich: diaphanes, 2012. 29 Vgl. Schüttpelz: »Zur Genealogie und Karriere des Netzwerkkonzepts«, S. 40 f. 30 Für einen Literaturüberblick vgl. Steffen Bogen: »Logische und ästhetische Experimente. Diagramme bei Peirce und Duchamp«. In: Räume der Zeichnung. Hrsg. von Angela Lam- mert u. a. Nürnberg: Verlag für moderne Kunst, 2007, S. 38−56, v. a. Fußnote 5, S. 40−42; Sebastian Bucher: »Das Diagramm in den Bildwissenschaften. Begriffsanalytische, gattungs- theoretische und anwendungsorientierte Ansätze in der diagrammtheoretischen Forschung«. In: Verwandte Bilder. Die Fragen der Bildwissenschaft. Hrsg. von Ingeborg Reichle, Steffen Siegel und Achim Spelten. 2. Aufl. Berlin: Kadmos, 2008, S. 113−129; Steffen Siegel: Tabula. Figuren der Ordnung um 1600. Berlin: Akademie Verlag, 2009, S. 52 ff.; Matthias Bauer und Christoph Ernst: Diagrammatik. Einführung in ein kultur- und medienwissenschaftliches Forschungsfeld. Kultur- und Medientheorie. Bielefeld: transcript, 2010, S. 26 f.; Susanne Leeb: »Einleitung«. In: Materialität der Diagramme. Kunst und Theorie. Hrsg. von Susanne Leeb. PoLYpeN. Berlin: b_books, 2012, S. 7−32; Astrit Schmidt-Burkhardt: Die Kunst der Diagrammatik. Perspektiven eines neuen bildwissenschaftlichen Paradigmas. Image. Biele- feld: transcript, 2012. Für die internationale Diskussion maßgeblich ist Frederik Stjernfelt: Diagrammatology. An Investigation on the Borderlines of Phenomenology, Ontology, and Semiotics. Synthese Library 336. Dordrecht: Springer, 2007. 31 Vgl. früh Gehring: »Paradigma einer Methode«. 32 Michel Serres: Hermès ou La communication. Paris: Les éditions de minuit, 1968, S. 11 f. Dt. Michel Serres: »Das Kommunikationsnetz: Penelope«. In: Kursbuch Medienkultur. Die maßgeblichen Theorien von Brecht bis Baudrillard. Hrsg. von Claus Pias u. a. Stuttgart: DVA, 1999, S. 155−165. Vgl. hierzu Gießmann: Netze und Netzwerke. Archäologie einer Kulturtechnik, S. 97 f. 220 Bildgeschichte des Netzwerkdiagramms (I) Einleitung »Das Kommunikationsnetz: Penelope«, womit er an die ge- duldige Weberei der Gattin des Odysseus erinnert. Er beginnt mit einem Motto nach orphischen Erzählungen: Bevor Persephone von Zeus den Dionysos empfing, habe sie an einem Teppich gearbeitet, der das gesamte Universum abbilden sollte. Diese mythologische Grundierung leitet ein für Serres’ Netzdenken typisches Gedankenexperiment ein: »Stellen wir uns ein netzförmiges Diagramm vor, das in einem Darstellungsraum eingezeichnet ist. Zu einem bestimmten Zeitpunkt […] besteht es aus einer Mehrzahl von Punkten (Gipfeln), die untereinander durch eine Mehrzahl von Verzweigungen (Wegen) verbunden sind.«33 In diesem Diagramm ist kein Punkt gegenüber einem anderen pri- vilegiert, alle haben ihre veränderbare eigene Kraft, die wiederum die anderen Punkte beinflussen kann. Die Wege stellen zwischen den Gipfeln Verhältnisse her, sie transportieren Festlegungen von Zusammenhängen, die Serres Determinationsflüsse nennt. »Es handelt sich also um ein Netz, dessen interne Differenzierung sich nach Belieben steigern lässt; um ein Diagramm, das durch die denkbar größte Unregelmäßigkeit gekennzeichnet ist.«34 Wäre es regelmäßig, würde es die Form eines Gitters annehmen. Da in einer solchen Figur nahezu alles zum ›Gipfel‹ oder ›Knoten‹ werden kann, ist das Netz erst einmal eine abstrakte philosophische Struktur, die als epistemologische Grundlage der Ausformung von Mo- dellen dient. Nutzt man sie abstrakt, »entsteht auf diese Art und Weise eine Mathematik, eine Kurventheorie, eine kombinatorische Topologie oder eine Theorie der Schemata«.35 Zugleich erlaubt das Netz für Serres eine andere Form der empirischen Geschichtsschreibung: nicht-linear, mit reversiblen Kausalitäten, seltsamen Feedbacks und Störungen bei voll entfalteter Komplexität: »Wer etwas beeinflussen will, wird plötzlich selbst durch das Ergebnis seines Einflusses beeinflußt.«36 Auf diese Art und Weise entwirft er ein Denken der Geschichte, das die historische Vorstellungskraft und Narrativität in der Form eines netzförmigen Graphen ordnet. Vergangene Verläufe werden so zu Strömen in einem Diagramm, Ereignisse zu Knotenpunkten: Ge- schichte als Fluss der Umstände, dessen Komplexität sich innerhalb 33 Serres: »Das Kommunikationsnetz: Penelope«, S. 155. 34 Ebd., S. 155. 35 Ebd., S. 164. 36 Ebd., S. 164. Netzwerkvisualisierungen zwischen Bildakt und Schreibakt 221 eines Netzdiagramms modellieren und begreifen lässt.37 Michel Serres bedient sich dazu eines Vokabulars, in dem Elemente der Mathematik des 20. Jahrhunderts – insbesondere der Graphentheorie – auf kyberne- tische und informationstheoretische Gedanken treffen. Über diese wis- senschaftshistorischen Kontexte hinaus ist seine Netzwerkmodellierung von Historizität einer ästhetischen Mythenlektüre verpflichtet, die von einer Lust am Spiel zeugt. So wird das Schachspiel zum Paradigma für den Kampf zweier verschiedener Netze, die einander im Laufe der Zeit gegenseitig durchdringen, determinieren und transformieren.38 Serres ist aber nicht bei der mythisch inspirierten Mathematik der ersten Seiten von Hermès stehen geblieben, sondern hat unter anderem in einem kleinen Buch zur Malerei Vittore Carpaccios die diagramma- tischen Grundlagen seiner Epistemologie explizit gemacht. Das Anliegen der dort zu findenden Bildbeschreibungen benennt er knapp: »Hier nun Ausführungen über das Dritte« – nicht Philosophie der Kom- munikation oder mathematische Beweisführung, sondern Ästhetik.39 Dabei entwickelt er en passant eine eigenwillige Bildauffassung. Jedes Gemälde von Carpaccio wird von ihm auf Aspekte seiner narrativen Geometrie hin gelesen. Das heißt: Serres übersetzt die Bildhandlung und Bildstrukturen in Punkte, Koordinaten, Vektoren und Ströme. Er entziffert die dem Bildlichen zugrunde liegende Diagrammatik, indem er sie in eine Erzählung übersetzt. So entsteht ein Bildstatus, in dem die geometrische Figur den Bildraum überhaupt erst eröffnet. Dabei geht es nicht um eine feste Form und Struktur, sondern um eine permanente netzförmige Transformation, die geometrisch und diskursiv zugleich operiert. In eine rhetorische Frage übersetzt, skizziert Serres dieses Verfahren selbst: »Die Geometrie als Kunst der Transformationen – wie wollte man sie exakter definieren?«40 Unwillkürlich erinnert eine solche Vorgehensweise an Erwin Pa- nofskys Versuche, die Perspektivkonstruktionen von der Antike bis zum Impressionismus als symbolische Form zu verstehen.41 Aber Serres trägt nicht wie Panofsky nachträglich Linien in ein Bild ein, um sie dann als vorgängigen Grund der Konstruktion aufzufinden. Er geht 37 Vgl. Serres: Der Parasit, S. 39. 38 Serres: »Das Kommunikationsnetz: Penelope«, S. 161. 39 Michel Serres: Carpaccio. Ästhetische Zugänge. Reinbek bei Hamburg: Rowohlt, 1981, S. 6. 40 Serres: Carpaccio, S. 17. 41 Vgl. Erwin Panofsky: »Die Perspektive als ›symbolische Form‹«. In: Deutschprachige Auf- sätze II. Hrsg. von Karen Michels. Berlin: Akademie-Verlag, 1998, S. 664−757. 222 Bildgeschichte des Netzwerkdiagramms (I) von einer schwebenden, nicht festzuschreibenden Vorträglichkeit des Diagrammatischen aus.42 Alle Ästhetik ist somit relational, ständig in Bewegung, selbst wenn das Bild als Festgelegtes erscheinen mag. Die Dynamisierung – und um eine Form von dynamis geht es bei Serres nahezu immer – verdankt sich dabei der Erzählung, gerade in einer his- torisierenden Form.43 Die Gemälde Carpaccios sind zudem für ihn mit der Topografie von Venedig, mit seinen Brücken und Kanälen verbunden. Insgesamt kann man sagen, dass Serres zugunsten einer Erzählform etwas unterwandert, das Gottfried Boehm »ikonische Differenz« ge- nannt hat.44 In seinen Bildlektüren erscheinen Carpaccios Gemälde nicht mehr als etwas, von dem sich der Beobachter trennen könnte. Die Diagrammatik des Bildes ist hier eine Form von immersiver Bild- magie, in der mit dem Vokabular der Naturwissenschaften gearbeitet wird. Netzdiagramme wollen immer über sich selbst hinausweisen und dynamische Netzwerkverhältnisse in Form einer ›beweglichen Fixierung‹ (Bruno Latour) einfangen. Sie sind so – um die von Horst Bredekamp vorgeschlagene Kategorisierung aufzugreifen – einerseits intrinsischer Bildakt, in dem die Form als Form zur Geltung kommt. Zugleich und andererseits stehen sie in der Tradition des schematischen Bildaktes, der an der Verlebendigung und Verkörperung des Modellierten mitwirkt.45 Beide tragen im Gestus des Zeigens und Voraugenstellens zur Produkti- on wissenschaftlicher Evidenz bei. Hinzu kommt, dass Netzdiagramme nicht nur Aussagen über Relationen treffen, sondern spätestens mit der narrativen Lektüre im Sinne Michel Serres’ zu Netzwerkdiagrammen werden.46 42 Vgl. hierzu Gehring: »Paradigma einer Methode«, S. 99 f. 43 Vgl. auch Dieter Mersch: »Das Bild als Argument. Visualisierungsstrategien in der Na- turwissenschaft«. In: Ikonologie des Performativen. Hrsg. von Christoph Wulf und Jörg Zirfas. München: Fink, 2005, S. 322−344, S. 329 zum »unheilbaren Chiasmus« von Bild und Diskurs. 44 Gottfried Boehm: »Die Wiederkehr der Bilder«. In: Was ist ein Bild? Hrsg. von Gottfried Boehm. Bild und Text. München: Fink, 1994, S. 11−38, hier S. 29f.; Gottfried Boehm: »Ikoni- sche Differenz«. In: Rheinsprung 11 – Zeitschrift für Bildkritik 1 (2011), S. 170−178. http:// rheinsprung11.unibas.ch/fileadmin/documents/Edition_PDF/Ausgabe 1/glossar-boehm.pdf. 45 Vgl. Bredekamp: Theorie des Bildakts, S. 101 ff. zum schematischen Bildakt, S. 231 ff. zum intrinsischen Bildakt. Besonders deutlich wird dies bei Jacob Levy Morenos Netzwerkdia- grammen. 46 Vgl. auch Kapitel 10.3 zu Mark Lombardis politischen Netzwerkdiagrammen. Mathematik, Chemie, Graphentheorie 223 6.3 Mathematik, Chemie, Graphentheorie If we correctly model the network assembly, our final network should closely match the reality.47 Albert-László Barabási Sind Diagramme einfach? Reduzieren sie durch ihre ikonischen Quali- täten Komplexität? Charles Sanders Peirce schreibt dazu 1895 in einem Text, den er Kleine Logik nennt: »Ein Diagramm ist eine besonders brauchbare Art von Ikon, weil es gewöhnlich eine Menge von Details ausläßt und es dadurch dem Geist gestattet, leichter an die wichtigen Eigenschaften zu denken. Die Figuren der Geometrie sind, wenn die Zeichnung genau ist, derart getreue Ähnlichkeiten ihrer Objekte, daß sie fast zu Fällen von ihnen werden.« Diagramme, so Peirce, können ihren Vorbildern aber auch entschieden unähnlich sein: »Viele Diagramme ähneln im Aussehen ihren Objekten überhaupt nicht. Ihre Ähnlichkeit besteht nur in den Beziehungen ihrer Teile.«48 Diese doppelte Form von Relationalität, die durch Zeichnen erzeugt wird, charakterisiert auch den Bildstatus der formalen und formali- sierten Netze und Netzwerke. Eine zunächst denkbar einfache, aber äußerst variationsfähige geometrische Figur aus Knoten, Linien / Kanten und Zwischenräumen dient als Grundlage. Peirces »Beziehungen der Teile« spielen dabei eine entscheidende Rolle. Das explizite Modellieren mithilfe des topologischen Netzdiagramms, das heute grundlegender Bestandteil der Graphentheorie geworden ist, geht zwar bis ins 18. Jahr- hundert zurück. Einige Probleme der ›Geometrie der Lage‹49 sind sogar 47 Barabási: Linked. The New Science of Networks, S. 91. 48 Charles Sanders Peirce: »Kleine Logik«. In: Semiotische Schriften 1. Hrsg. von Helmut Pape. Frankfurt am Main: Suhrkamp, 1986, S. 202−268, hier S. 205. Vgl. zu Peirces prominenter Stellung innerhalb der Diagrammforschung Stjernfelt: Diagrammatology, S. 3 ff.; Bauer und Ernst: Diagrammatik, S. 40 f. 49 Diese Formulierung übernimmt Leonhard Euler unter Rekurs auf Leibniz aus der Fragestel- lung des ihm übersandten Königsberger Brückenproblems. Korrekt wäre die Benennung als analysis situs, wie sie Leibniz vorgenommen hat. Vgl. Gottfried Wilhelm Leibniz: »Characte- ristica Geometrica. Analysis Geometrica propria. Calculus situs«. In: Mathematische Schrif- ten V. Hrsg. von Carl Immanuel Gerhardt. Hildesheim: Olms, 1971, S. 141−219, S. 178f., dt. Gottfried Wilhelm Leibniz: »Zur Analysis der Lage. Analysis situ«. In: Hauptschriften zur Grundlegung der Philosophie. Hrsg. von Ernst Cassirer. Philosophische Bibliothek 496. Hamburg: Meiner, 1996. Vgl. zur Rolle von Leibniz für die Geschichte der Relationalität Kün- zel und Bexte: Gottfried Wilhelm Leibniz, Barock-Projekte. Maschinenwelt und Netzwerk im 17. Jahrhundert; Regine Buschauer: Mobile Räume. Medien- und diskursgeschichtliche Studien zur Tele-Kommunikation. Kultur- und Medientheorie. Bielefeld: transcript, 2010, S. 131 f. 224 Bildgeschichte des Netzwerkdiagramms (I) weitaus länger bekannt. Umso verwunderlicher muss es erscheinen, dass vor dem zweiten Drittel des 20. Jahrhunderts Netze und Netzwerke keineswegs zum privilegierten Gegenstand der Mathematik geworden sind. Erst spät, und dann sehr verhalten, formiert sich ein Wissensfeld, das, wie der französische Mathematiker André Saint-Laguë 1926 einen Aufsatz überschreibt, »Les réseaux (ou graphes)« als eigenständigen Teilbereich der theoretischen wie angewandten Mathematik begreift.50 Meine These ist darum, dass man es über einen Zeitraum von etwa 200 Jahren mit einem Wissen in Latenz zu tun hat. Formell wäre Graphentheorie als Netzwerktheorie auf Basis des Netzdiagrammes schon wesentlich früher auf vielfältige Phänomene in Natur, Technik und Gesellschaft anwendbar gewesen. Dass dies erst im 20. Jahrhun- dert geschieht und dann, gewissermaßen verspätet, Zeichenpraktiken und Lebenswelt verflochten werden, provoziert weitere Fragen. Meine zweite Annahme ist darum, dass man diesen etwa ab 1930 einsetzenden Umschwung nicht ohne die Visualität und Visualisierung graphentheore- tischer Zusammenhänge erklären kann. Die Notation in Kalkülen allein bedingt noch nicht die breite kulturelle Wirksamkeit und Popularisie- rung. Erst, wenn das Schreiben vermehrt in Verbildlichung umschlägt und Berechenbarkeit mit älteren Bildtraditionen kurzgeschlossen wird, wird dieses Netzwerkwissen zu einem weithin formalisierten Teil der modernen Wissensordnung. Die rückblickende Wissenschaftsgeschichte der Graphentheorie vor und nach 1936 kann mittlerweile eine beachtliche Ahnengalerie auf- weisen. Dies gilt schon für die Tradierung im ersten synthetisierenden Lehrbuch, der 1936 erscheinenden Theorie der endlichen und unend- lichen Graphen des ungarischen Mathematikers Dénes König.51 Auch Albert-László Barabásis Netzwerkmanifest Linked. The New Science of Networks erzählt gerne Heldengeschichten: »Nach Euler boomte die Graphentheorie mit Beiträgen von mathematischen Giganten wie Cauchy, Hamilton, Cayley, Kirchhoff und Pólya.«52 Eine solche Sicht- weise lässt vollkommen außer Acht, dass sich zum einen Gegenstände 50 André Sainte-Laguë: »Les réseaux (ou graphes)«. In: Mémorial des Sciences Mathematiques 8 (1926). 51 Vgl. Dénes König: Theorie der endlichen und unendlichen Graphen. Bd. 6. Teubner-Archiv zur Mathematik. 1986. Sainte-Laguës Publikationen gehen Königs Buch voraus und werden deshalb gerne als das »nullte« Buch zur Graphentheorie betrachtet. Siehe Harald Gropp: »Hamiltonian graphs from Kirkman to König«. In: Electronic Notes in Discrete Mathematics 24 (2006), S. 81−88, hier S. 85. 52 Barabási: Linked. The New Science of Networks, S. 12 f. Mathematik, Chemie, Graphentheorie 225 und Probleme ihre Theorien suchen, andererseits Theorien eben auch ihre Gegenstände und Probleme generieren. Die folgenden vor 1900 spie- lenden Szenen widmen sich zwei Teilgebieten dessen, was später einmal Graphentheorie heißen wird. Dies sind zum einen die von Saint-Laguë noch in den 1920er Jahren als Unterhaltungsmathematik verschmähten Wegeprobleme: der Weg des Springers über das Schachbrett und die optimale Reiseroute zwischen 20 Punkten. Zum anderen werde ich in stark verknappter Form die Notation chemischer Formeln behandeln, innerhalb deren das Wort »graph« und die damit verbundene visuelle Form eine neue Bedeutung annehmen. Während die in Koordinaten- systemen aufgezeichneten Kurven – die ebenfalls und nach wie vor Graphen genannt werden53 – gemessene und berechnete Strukturen festschreiben, funktionieren die »Chemicographen« in weit höherem Maße relational und topologisch. Alexandre Théophile Vandermonde, William Rowan Hamilton und das Spiel mit dem Graphen Schon Leonhard Eulers Behandlung des Wegeproblems der sieben Brü- cken von Königsberg aus dem Jahr 1736 verdankt sich einer mathe- matischen Modellierung, die räumliche Verbindungen simuliert. Ohne selbst zu Fuß der Frage nachzugehen, ob man einen Spaziergang über die Pregel-Querungen absolvieren kann, bei dem jede Brücke nur ein einziges Mal überquert werden kann, formalisiert Euler die städtischen Wege als Buchstabenkombinationen. Seine klare Antwort, dass es keinen solchen Spaziergang geben kann, gilt mitsamt den weiteren durchgespielten We- geszenarien bis heute als Begründung der Graphentheorie.54 Aufgrund 53 Vgl. zu deren Wissenschaftsgeschichte Thomas L. Hankins: »Blood, Dirt, and Nomograms. A Particular History of Graphs«. In: Isis 90 (1999), S. 50−80. 54 Vgl. Leonhard Euler: »Das Königsberger Brückenproblem«. In: Theorie der endlichen und unendlichen Graphen. Kombinatorische Topologie der Streckenkomplexe. Teubner-Archiv zur Mathematik 6. Leipzig: BSB Teubner, 1986, S. 290−301. Siehe zu den Hintergründen knapp Gießmann: Netze und Netzwerke. Archäologie einer Kulturtechnik, S. 27 f.; Wladimir Velminski: »Zwischen Gedankenbrücken und Erfindungsufern. Leonhard Eulers Poetologie des Raums«. In: Topologie. Zur Raumbeschreibung in den Kultur- und Medienwissenschaf- ten. Hrsg. von Stephan Günzel. Kultur- und Medientheorie. Bielefeld: transcript, 2007, S. 171−182; ausführlich das Nachwort in: Leonhard Euler: Die Geburt der Graphentheorie. Ausgewählte Schriften von der Topologie zum Sudoku. Hrsg. von Wladimir Velminski. Berlin: Kadmos, 2008, S. 151 f.; zur Modellierung Bernd Mahr: »Cargo. Zum Verhältnis von Bild und Modell«. In: Visuelle Modelle. Hrsg. von Ingeborg Reichle, Steffen Siegel und Achim Spelten. München: Fink, 2008, S. 17−40, hier S. 24 f. Seit Fertigstellung der Kaiser- brücke als achter Querung im Jahr 1905 erlaubt die städtische Topologie Königsbergs den Spaziergängern ununterbrochene Spaziergänge. 226 Bildgeschichte des Netzwerkdiagramms (I) der Popularität von Eulers Lösung – für Geschichten der Mathematik und Informatik und als im Internet tradierte urban legend – wird gern übersehen, dass Eulers Modellierung in Entwurfsskizze wie gedruckter Reproduktion keinen topologischen Graphen zu Papier bringt (Abbil- dung 6.2). Wie die jüngere Forschung gezeigt hat, beschränkt sich der Mathematiker dabei auf Lesen und Schreiben, um ein modellierendes »Sehen, ohne zu sehen« hervorzubringen.55 abb . 6 .2: Das Königsberger Brückenproblem. Kupferstich nach einer Skizze Leonhard Eulers, 1736. Mathematikhistorisch zunächst folgenreicher als der Zeitvertreib mit der ›Geometrie der Lage‹ des nie besuchten Königsberg wird Eulers Polye- dersatz sein. Bei dessen Erarbeitung erinnert er sich während nächtlicher Fieberträume des Wegeproblems aus seiner wissenschaftlichen Jugend. Wichtig wird in diesem Zusammenhang ein für das 1759er Jahrbuch der Berliner Akademie der Wissenschaften verfasster, erst 1766 erschei- nender kleiner Text zu einem alten Problem: dem Weg des Springers über ein Schachbrett.56 55 Vgl. Euler: Die Geburt der Graphentheorie, S. 170. 56 Vgl. Leonhard Euler: »Solution d’une question curieuse qui ne paroît soumise à aucune analyse«. In: Histoire de l’Académie Royale des Sciences et des Belles-Lettres de Berlin 1759 (1766), S. 310−337. Mathematik, Chemie, Graphentheorie 227 abb . 6 .3: Leonhard Eulers Rösselsprung-Schachbrett. Grafik auf Basis einer Zeichnung, 1766 [1759]. Während Euler das Problem u. a. mittels eines elegant abstrahierten Spielfelds löst (Abbildung 6.3), das die in den Zeichnungen seines Ta- gebuchs teilweise verwendeten Striche zwischen den Feldern nicht mehr zeigt,57 geht der französische Mathematiker Alexandre-Théophile Van- dermonde wenige Jahre später anders vor. Unter Bezug auf Euler nimmt er für sich in Anspruch, das Problem rein arithmetisch zu lösen, kreiert aber schließlich eine ganz eigene Bildlichkeit. Vandermondes Rémar- ques sur les problèmes de situation – für das 1771er Jahrbuch der Pariser Akademie verfasst und 1774 gedruckt – sind aber noch aus einem anderen Grund interessant, der mit den beigegebenen Kupfer- stichen korrespondiert. Die Rémarques stellen, soweit bisher bekannt, das erste neuzeitliche mathematische Traktat dar, das aktiv eine explizite Netz(werk)-Metaphorik einführt. Vandermonde formuliert: Egal wie sich mehrere gewundene Fäden im Raum zueinander verhalten, ihre absolute messbare Lage ist für den Arbeiter, der flicht und ein Netz (réseau) mit Knoten herstellt, irrelevant. Er stellt es nicht nach Größenmaßstäben her, sondern nach der Lage: Was er sieht, sei die Ordnung der miteinander verwobenen Fäden (»ce quil y voit, c’est l’ordre dans lequel sont entrelacés les fils«). Ein Kal- 57 Vgl. Euler: Die Geburt der Graphentheorie, S. 88 f., S. 98. 228 Bildgeschichte des Netzwerkdiagramms (I) abb . 6 .4: Alexandre-Théophile Vandermondes Topologie. Netzgraph von Schachzügen, 1774 [1771]. kül, eine Notationsform hätte sich an diesem – wie man heute sagen würde – impliziten Wissen des Arbeiters zu orientieren.58 Diese Vorgabe setzt Vandermonde tatsächlich um, indem er sowohl zwei- als auch dreidimensional Koordinaten zuweist (Abbildung 6.4, Figur 1 und 2). So bildet er nicht nur arithmetische Reihen als Wege, sondern modelliert auch textile Geflechte zu einer visuellen Mathematik der Knoten.59 In der Überschneidung selbst ist allerdings kein materieller Knoten gegeben. Die unscharfe zählende Notation schafft in diesem Fall erst den Knoten (Abbildung 6.5). Unter diesen Bedingungen wird auch das Rösselsprung-Problem erneut gelöst. Vandermonde trägt dazu die Koordinaten aller 64 Feld- er des Schachbrettes in eine zweizeilige Reihe ein und beschränkt das Problem auf eine symmetrische Figur der Spielzüge. Die arithmetische 58 Vgl. Théophile Vandermonde: »Remarques sur les problèmes de situation«. In: Mémoires de l’Académie Royale 1771 (1774), S. 566−574, hier S. 566. Zum Begriff des impliziten Wissens (englisch tacit knowledge) siehe Polanyi: Implizites Wissen. 59 Vgl. zur Wissenskultur der gewebten Materialien zwischen Bild, Stoff und Kalkül ausführ- lich Birgit Schneider: Textiles Prozessieren. Eine Mediengeschichte der Lochkartenweberei. Zürich; Berlin: diaphanes, 2007. Mathematik, Chemie, Graphentheorie 229 abb . 6 .5: Visuelle Mathematik der Knoten bei Alexandre-Théophile Vander- monde, 1774 [1771]. Lösung beruht darauf, dass anhand der Bewegung des Springers bei den Koordinaten immer entweder 2 1 oder 1 2 addiert oder subtrahiert wird, z. B. auf folgende Art und Weise:60 5 4 2 1 3 2 1 3 1 2 4 3 1 2 4 3 5 3 4 2 1 3 1 2 3 1 2 4 5 7 8 6 60 Euler ist ähnlich vorgegangen, hat aber auf das Kriterium der Symmetrie verzichtet. 230 Bildgeschichte des Netzwerkdiagramms (I) Als ikonische Materialisierung vierer Teilgraphen aus jeweils 16 Sprün- gen repräsentiert dieser symmetrisch angelegte Weg letztlich das, was später in der graphentheoretischen Fachsprache zum einen ›endlicher Graph‹, zum anderen ›Hamiltonkreis‹ genannt werden wird (Abbildung 6.4, Figur 5). Innerhalb der langen Reihe von Lösungen dieses mathe- matischen Problems seit dem Mittelalter gibt Vandermondes Illustration eine abstrakte Darstellung, die den Raum des materiellen Schachbretts komplett durch einen Graphen ersetzt.61 Diese Form von epistemischem Kreisverkehr ist eher ein Modell von etwas, dessen bildlicher Gehalt sich erst durch das Aufschreibesystem selbst zu realisieren scheint – und dann eine Netzfigur produziert, der das Schachbrett als Grund abhandengekommen ist. Einerseits ist die vom materiellen Objekt ausgehende räumliche Analyse dafür grundlegend, andererseits unterschätzt man die bewusst auf ästhetische Wirkung zielende grafische Repräsentation, wenn man sie als bloßen Nebeneffekt der arithmetischen Notation betrachtet. Graphentheoretische Praktiken zeichnen sich bis in die Gegenwart hinein durch ein solches Spannungsverhältnis von Bild, Weg, Kalkül und visuellem Modell aus. Ein sonst eher am Rande der Wissenschafts- geschichte liegendes Icosian Game lohnt vor diesem Hintergrund die eingehende Betrachtung. Entwickelt wurde das Spiel durch den irischen Mathematiker Sir William Rowan Hamilton in den Jahren 1856 bis 1859. Der Name spielt auf die 20 Punkte des hölzernen Dodekaeders an. Obwohl sich das Projekt als finanzieller Misserfolg für die vikto- rianische Spieleindustrie entpuppte, nimmt es in der Geschichte der Graphentheorie einen wichtigen Platz ein. Während die Ansicht eines der vier erhaltenen Exemplare ein vergleichsweise harmloses Barrikade- Spiel vermuten lässt (Abbildung 6.6), stellt die von Hamilton selbst geschriebene Anleitung eine wohl kaum verkaufsfördernde Einladung zum Kopfzerbrechen dar.62 Entweder müssen alle 20 Spielsteine des Icosian Game auf dem Brett platziert werden, oder aber nur eine Auswahl. Es gilt stets, ent- lang der Linie eine kreisförmige oder nicht kreisförmige Verbindung 61 Vgl. Euler: Die Geburt der Graphentheorie, S. 188 f., zur Wissensgeschichte der magischen Quadrate und des Rösselsprungproblems. 62 Öffentlicher Adressat der zugrunde liegenden Berechnungen war die Irische Akademie der Wissenschaften, vor der Hamilton seine Ideen am 10. November 1856 vorstellte. Vgl. William Rowan Hamilton: »On a New System of Roots of Unity«. In: Proceedings of the Royal Irish Academy 6 (1858), S. 415 f. Mathematik, Chemie, Graphentheorie 231 abb . 6 .6: William Rowan Hamilton: Ausstattung und Spielanleitung des Icosian Game, veröffentlicht durch John Jaques and Son, 1856−1859. [Siehe Farbtafel XI] zu finden und so gewissermassen flexibles Switching zu betreiben. So kann Spieler 1 z. B. fünf Positionen vorgeben, und Spieler 2 hat dann die restlichen 15 Steine so zu setzen, dass sie einen geschlossenen Kreis ergeben. Die Buchstaben können dabei alphabetisch oder nicht alpha- betisch durchlaufen werden, aber auch alternativ vom Gegenspieler als Endpunkt vorgegeben werden. Gesetzt den Fall, dass es sich hier um ein visuelles Modell handelt: Womit hat man es zu tun? Ist es ein rein theoretisch-heuristisches Mo- dell, mit dem man ein ›als ob‹ erprobt?63 Aber wofür stünde es dann? Man könnte mit Recht sagen, dass man es mit einem Modell zum spielerischen mathematischen Zeitvertreib zu tun hat. Hamilton war außerordentlich stolz auf sein Spiel, weil er in ihm seine Gedanken zur nicht-kommutativen Algebra repräsentiert sah. Nicht-kommutativ heißt: x mal y entspricht nicht y mal x, d. h. das normalerweise für Multipli- kationen mögliche Vertauschen (commutare) der Variablen führt nicht zum erwarteten Ergebnis. Die Multiplikation mit den gleichen Variablen kann in der nicht-kommutativen Algebra ein anderes Produkt ergeben, was insbesondere für das Verständnis geometrischer Ringformen jen- 63 Vgl. Max Black: Models and Metaphors. Studies in Language and Philosophy. Ithaca, NY: Cornell University Press, 1962, S. 221 f. 232 Bildgeschichte des Netzwerkdiagramms (I) seits des euklidischen Raums wichtig ist. Dies wird auch ausdrücklich in den Hints on the Icosian Calculus der lithografierten Spielanleitung erläutert. Die algorithmischen Anweisungen zur Manipulation einer Linie geben einen Hinweis auf die Programmierbarkeit des Icosian Game. Hamilton definiert hierzu Operationen, die den Zustand einer Linie verändern helfen. Dazu gehören ihre Umkehrung (BC zu CB), ihre Wende um einen finalen Punkt (BC zu DC) und noch wesentlich komplexere Spielhandlungsanweisungen. Johan Huizinga hat das Rätsel und den Rätselkampf als eine der fundamentalen, kulturstiftenden Formen im Verhältnis von Spiel und Wissen gefasst.64 Befragt man Hamiltons für 25 Pfund an John Jaques & Son verkaufte Spielidee unter diesem Aspekt, verrät sie nichts über eine wissenschaftliche Konkurrenzsituation: Der englische Mathemati- ker Thomas Penyngton Kirkman hatte bereits 1856 eine umfassendere Lösung des Problems veröffentlicht.65 Hamilton hingegen ließ trotz des wirtschaftlichen Misserfolgs ein Nachfolgerspiel produzieren (Ab- bildung 6.7). abb . 6 .7: William Rowan Hamilton: The Traveller’s Dodecahedron, um 1860. [Siehe Farbtafel XI] 64 Vgl. Johan Huizinga: Homo ludens. Vom Ursprung der Kultur im Spiel. 19. Aufl. Frankfurt am Main: Rowohlt, 2004, S. 119 f. 65 Vgl. Norman L. Biggs, Edward Keith Lloyd und Robin James Wilson, Hrsg.: Graph Theory 1736−1936. 2. Aufl. Oxford: Clarendon Press, 1977, S. 35. Mathematik, Chemie, Graphentheorie 233 The Traveller’s Dodecahedron ist nicht mehr mit einem variablen Set von Spielsteinen und der Aufforderung zum Rätselkampf versehen, sondern benennt im Untertitel A Voyage round the World das Ziel des Wett- kampfs mit sich selbst. Von Brüssel bis nach Sansibar geht der koloniale Trip in allen Varianten, mehr als ein Jahrzehnt, bevor Jules Verne 1873 Phileas Fogg in 80 Tagen um die Welt reisen lässt. In diesem Objekt sind es maximal 20 Knoten, zwischen denen ein Band als Reiseroute ange- bracht wird. Die Anleitung verortet die 20 Knotenpunkte geografisch mit folgender Verteilung: B. Brüssel – C. Canton – D. Delhi – F. Frank- furt – G. Genf – H. Hamburg – J. Jedda – K. Kaschmir – L. London – M. Moskau – N. Neapel – P. Paris – Q. Québec – R. Rom – S. Stock- holm – T. Tobolsk – V. Vienna / Wien – W. Washington – X. Xeres / Je- rez – Z. Zanzibar / Sansibar. Der Raum ist nicht mehr, wie noch im Icosian Game, vor allem to- pologisch verfasst. Hier kehrt im Dienste des Spiels die geografische und geopolitische Referenz zurück: Die Verbindungen zwischen den Städten sind sinnvoll, etwa wenn man von Moskau über Tobolsk nach Kaschmir gelangt. Die Konzentration auf überwiegend europäische Metropolen wird dabei wenig verblüffen. Auch die Stationspunkte im Herzen des englisch-kolonialen Terrains überraschen wenig. Interessant sind hinge- gen die vermeintlichen Ränder im Weltverkehrsnetzwerk: Jerez wird man als Hauptstadt des Sherrys ökonomisch begründen können, Jedda am Roten Meer besticht durch seine Rolle als arabische Finanzmetropole, Tobolsk zehrt von seinem Ruhm als einstige westsibirische Hauptstadt. Auch in der zweiten, reisefreundlicheren Ausgabe des Icosian Game steht das mathematische Spiel mit sich selbst im Vordergrund. Zwar beginnt man die Reise zu zweit, zum selben Zeitpunkt, in derselben Stadt. Die ersten vier Städte besucht man noch gemeinsam. Danach obliegt es dem zweiten Spieler, einen Weg zu finden, bei dem alle verbleibenden 15 Städte genau einmal angesteuert werden und am Ende die Rückkehr zum Ausgangspunkt erfolgt. Gelingt dies, ist ein Kreis durchlaufen. Ziel des Spiels ist eine Rückkehr. Die mathematischen Lösungswege dafür waren – und sind – nicht trivial. Bis heute gibt es keine effizienten Lösungsverfahren für das Hamiltonkreis-Problem. Zusammen gesehen sind beide Spiele vor allem Modelle für etwas. Sie sind frühe und – im Gegensatz zu Kursbüchern – offenbar noch nicht geschäftsreife Routenplaner ohne GPS-Funktion. Wer heute Autonavigationssysteme benutzt oder im Internet Bahnverbindungen sucht, hat es mit einer Transformation von Hamiltons Spiel zu tun, 234 Bildgeschichte des Netzwerkdiagramms (I) bei dem der Gegner bestimmt, an welcher Stelle die Blockadesteine stehen. Bemerkenswert ist, wie lange das bei Kirkman und Hamilton schon explizit gemachte Wissen lediglich als Teil der Unterhaltungsma- thematik verbucht wird: Noch verbleibt die Graphentheorie in einer wissenshistorischen Latenz.66 Graphen können alles James Joseph Sylvesters Traum und Charles Sanders Peirces Vision Die medialen Eigenschaften des Spiels erlauben – um mit Natascha Adamowsky zu sprechen – die Organisation von Abstraktion. Spieler- findung ist geradezu ein Prototyp der Modellgebung, so dass umgekehrt auch jedes Modell in gewisser Weise als ein ludischer Entwurf verstanden werden kann.67 Für aufstrebende ›ernste‹ Wissenschaften scheint eine sol- che Verbindung aber ein kaum unterschätzbares Risiko darzustellen. So bringt die vorsichtige Einführung dreidimensionaler Atommodelle in der Chemie der 1860er Jahre Kollegenspott und Ausbildungsprobleme mit sich. Nicht ganz zu Unrecht fürchteten die in England praktizierenden Chemiker die Assoziation von Kinderbaukasten und Steckmodell. Im Falle der ersten öffentlichen Vorlesungen – gehalten durch den deut- schen Chemiker August Wilhelm Hofmann 1865 in London – waren Tischkrocketsets das bevorzugte Bastelmaterial für die dreidimensio- nalen Atomskulpturen.68 Als didaktische Hilfsmittel in der Lehre sollten diese »glyptischen (d. h. skulpturalen) Formeln«69 von vornherein nicht nachahmend den Bau der realen atomaren Verbindungen darstellen, sondern vor allem deren Relationen anschaulich modellieren (Abbildung 6.8). Derart plastische Modelle bleiben aber umstritten, während man in der zweidimensio- 66 Vgl. zu Hamiltons Spielen Edouard Lucas: Récréations mathématiques. Qui perd gagne, les dominos, les marelles […]. Bd. 2. Paris: A. Blanchard, 1892, S. 208 f.; Wilhelm Ahrens: Mathematische Unterhaltungen und Spiele. Leipzig: Teubner, 1901, S. 327 f. 67 Vgl. Natascha Adamowsky: »Spiel und Wissenschaftskultur. Eine Anleitung«. In: Die Ver- nunft ist mir noch nicht begegnet. Zum konstitutiven Verhältnis von Spiel und Erkenntnis. Hrsg. von Natascha Adamowsky. Bielefeld: transcript, 2005, S. 11−30, hier S. 14 f. 68 Vgl. August Wilhelm Hofmann: »On the Combining Power of Atoms«. In: Notices of the Proceedings at the Meetings of the Members of the Royal Institution of Britain IV.42 (1865), S. 401−430. Hofmann hat selbst wiederholt für die »Anschaulichkeit« in der akademischen Ausbildung plädiert. Vgl. hierzu Christoph Meinel: »Molecules and Croquet Balls«. In: Models. The Third Dimension of Science. Hrsg. von Soraya de Chadarevian und Nick Hopwood. Writing Science. Stanford: Stanford University Press, 2004, S. 242−275. 69 »Glyptic formulae« ist als Charakterisierung der Modelle erstmals 1867 belegt. Vgl. Meinel: »Molecules and Croquet Balls«, S. 252. Zitat nach The Laboratory 1, 1867, S. 78. Mathematik, Chemie, Graphentheorie 235 abb . 6 .8: August Wilhelm Hofmann: Atommodelle von Verbindungen mit Methyl / –CH3. Nach den am 7. April 1865 vor der Londoner Royal Society präsentierten Modellen, 1865. nalen chemischen Notation der sogenannten ›Chemicographen‹ peu à peu Standards etabliert. Innerhalb dieser bildlichen Wende der Chemie findet sich eine Eulers Königsberg-Etüde und den Fieberträumen des Polyedersatzes vergleichbare prominente Gründungsszene: Alexander Kekulés berühmte Visionen chemischer Strukturen. Kekulés Erzählungen wirken nach wie vor als Ursprungslegende der atomaren Notation und sind gewissermaßen Teil einer rhetorischen Figur der chemischen Verbin- dungen schlechthin.70 Dem bekanntesten Traum, der mit der Imagination des Benzolrings und dessen abwechselnden Einzel- und Doppelbin- dungen zugleich das alte Symbol der Weltenschlange Ouroboros aufruft, hat Thomas Pynchon 1973 in Gravity’s Rainbow (dt. Die Enden der Parabel) ein literarisches Denkmal gesetzt: Der junge Ex-Architekt Kekulé sah sich unter den Molekülen seiner Zeit nach verborgenen Grundrissen um, von denen er wußte, dass sie existieren mußten, Gestalten, die er sich nicht als wirkliche Strukturen, sondern als ›rationale Formeln‹ dachte, die die Beziehungen sichtbar machten, die in den ›Metamorphosen‹, dem drolligen Wort des 19. Jahrhunderts für chemische Reaktionen, zum Ausdruck kamen. Er hatte die Fähigkeit, in Bildern zu denken. Er sah die vier Bindungen des Kohlenstoffatoms in ihrem Tetraeder – er zeigte, wie sich die Kohlenstoffatome aneinander 70 Vgl. ausführlich zu dieser imaginativen Disposition der Chemie Alan J. Rocke: Image and Reality. Kekulé, Kopp, and the Scientific Imagination. Chicago; London: University of Chicago Press, 2010. 236 Bildgeschichte des Netzwerkdiagramms (I) anlagern konnten zu langen Ketten … Doch er war ratlos, als er zum Benzol kam. Er wußte, daß es aus sechs Kohlenstoffatomen bestand, an denen je ein Wasserstoffatom hing – aber er vermochte den Grundriß nicht zu sehen. Nicht bis zu dem Traum […]. Kekulé träumt die Große Schlange, die sich in den eigenen Schwanz beißt, die träumende Schlange, die die Welt umschlingt.71 Auch der amerikanische Mathematiker James Joseph Sylvester (1814− 1897) eröffnet seine der neuen Atomtheorie Kekulés gewidmeten, 1878 erscheinenden Gedanken zur Einheit von chemischem und mathema- tischem Aufschreibesystem mit einer Traumszene. Während Sylvester Gedanken nachgeht, wie ein Mathematiker Chemie, Physik und Biologie zusammenbringen kann, ergibt sich die Visualisierung der Algebra quasi wie von selbst als imaginiertes Modell: Ich war angenehm überrrascht, plötzlich auf meiner mentalen Netzhaut ein deutlich gezeichnetes (pictured) chemico-graphisches Bild (image) zu finden, das der Verkörperung und Illustration der Relationen dient, die diese abgeleiteten algebraischen Formen im Verhältnis zu ihren Grund- formen (primitives) und untereinander auszeichnet.72 Während der Chemiker Kekulé über ein Traumbild zum Modell ge- langt, erschließt sich dem Mathematiker Sylvester im Liegen, wie er seine Algebraisierung der Elemente ins Sichtbare übertragen kann. Das Aufschreiben scheint also erneut der Verbildlichung vorgängig zu sein.73 Man könnte sagen, dass die möglichst ›naturbelassenen‹ »Bilder der Objektivität« des 19. Jahrhunderts, deren Bedeutung Lorraine Daston und Peter Galison eindrucksvoll gezeigt haben, hier invers hergestellt werden.74 Indem Sylvester mathematische Substitutionen auf freie Radi- kale – diejenigen Molekülteile, die mit anderen Stoffen Verbindungen eingehen – anwendet, nimmt er mathematische Ersetzungen für che- 71 Thomas Pynchon: Die Enden der Parabel. 12. Aufl. Reinbek bei Hamburg: Rowohlt, 2008 [1973], S. 644. Hervorhebungen im Original. 72 James Joseph Sylvester: »On an Application of the New Atomic Theory to the Graphical Representation of the Invariants and Covariants of Binary Quantics«. In: American Journal of Mathematics 1 (1878), S. 64−104, hier S. 64. 73 Sybille Krämer hat dies – im Anschluss an Nelson Goodmans Theorie der Notation – als Dif- ferenz von notationaler und pikturaler Ikonizität bezeichnet. Vgl. Sybille Krämer: »›Schrift- bildlichkeit‹ oder: Über eine fast vergessene Dimension der Schrift«. In: Bild – Schrift – Zahl. Hrsg. von Sybille Krämer und Horst Bredekamp. Kulturtechnik. München: Fink, 2003, S. 157−176, S. 163. 74 Vgl. Lorraine Daston und Peter Galison: »Das Bild der Objektivität«. In: Ordnungen der Sichtbarkeit. Fotografie in Wissenschaft, Kunst und Technologie. Hrsg. von Peter Geimer. Frankfurt am Main: Suhrkamp, 2002, S. 29−99; Daston und Galison: Objectivity, S. 115 f. Mathematik, Chemie, Graphentheorie 237 mische Elemente vor. Resultat dieses Prozesses ist ein Warenhauskata- log75 chemischer Verbindungen (Abbildung 6.9). Die Natur schreibt sich bei Sylvester nicht selbst. Es handelt sich hier nicht um ein Modell von etwas: Träumendes mathematisches Modellieren bringt die diagramma- tischen Strukturen erst hervor. abb . 6 .9: James Joseph Sylvester: Katalog der chemischen Elemente, 1878. 75 Herzlichen Dank an Philipp Ekardt für diesen Gedanken. 238 Bildgeschichte des Netzwerkdiagramms (I) Sylvesters mathematische Annäherungen waren Teil einer fortwäh- renden Unsicherheit über das Unsichtbare der stofflichen Verbindungen. Die von Jöns Jacob Berzelius ab 1813 eingeführte algebraische Notation wird seit Ende der 1850er Jahre um eine stärker bildliche Form der Aufzeichnung ergänzt.76 Für die Darstellung von Valenzen – offenen Bindungsmöglichkeiten – arbeiten schottische und englische Chemiker wie Alexander Crum Brown und Edward Frankland zwischen 1864 und 1866 an einer Vereinheitlichung des Systems der sogenannten ›Graphic Notation‹. Brown gibt 1864 visuell über die Isomerie Auskunft, bei der verschiedene Stoffe die gleiche Buchstabennotation haben können, aber eine unterschiedliche Strukturformel zur Darstellung benötigen. Frankland schärft in den 1865 und 1866 verfassten Lecture Notes for Chemical Students seinen Eleven ein, dass die Darstellungen weder die Form der Moleküle repräsentieren noch die relative Position der Mo- leküle. Es gehe einzig und allein um die Verbindungen.77 Auf diese Art und Weise interagiert ein theoretisches Modell mit der experimentellen Praxis, indem es der Relation der molekularen Kräfteverhältnisse gerecht zu werden versucht. Man sollte nun meinen, dass Sylvester problemlos auf die Erfah- rungen der chemischen Praxis zurückgreifen kann. Seine Verkürzung des Worts »Chemicograph« zu einem einfachen »Graph« in einem Nature- Artikel von Februar 1878 wird tatsächlich Standard, auch wenn sich seine Kombination von Algebra und Chemie auf lange Sicht nicht durch- setzt.78 Seine Bildtafel schöpft noch einmal in der Objektivität verhei- ßenden Katalogform die verschiedenen Möglichkeiten der Notation aus, angefangen mit der etablierten Schreibweise der Mehrfachbindungen (siehe Figur 1 in Abbildung 6.9). Ab Figur 6 verlässt Sylvester in den meisten Fällen die ›konkrete‹ Ebene der atomaren Bindungen zugunsten einer geometrischen Darstellung. Diese folgt nicht nur etablierten Bild- formen platonischer Körper, sie setzt Traditionen hermetischer Magie fort und enthält den Kern von Sylvesters mathematischer Atomtheorie. Entscheidend für die Generierung der Bildebene ist dabei ein Denken 76 Vgl. hierzu Ursula Klein: »Visualität, Ikonizität, Manipulierbarkeit. Chemische Formeln als Paper Tools«. In: Schrift. Kulturtechnik zwischen Auge, Hand und Maschine. Hrsg. von Gernot Grube, Werner Kogge und Sybille Krämer. München: Fink, 2005, S. 237−251; Martin Quack: »Modelle in der Chemie«. In: Modelle des Denkens. Streitgespräch in der wissenschaftlichen Sitzung der Versammlung der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften am 12. Dezember 2003. Berlin: BBAW, 2005, S. 21−33. 77 Vgl. Biggs, Lloyd und Wilson: Graph Theory 1736−1936, S. 59. 78 Siehe Biggs, Lloyd und Wilson: Graph Theory 1736−1936, S. 65 f. Mathematik, Chemie, Graphentheorie 239 von Kovarianz und Invarianz. Während Kovarianz die Veränderung durch Transformationen beschreibt, definiert Invarianz dasjenige, was auch beim Wandel der Formel bzw. des Stoffes gleich bleibt. Die Frage nach der (Nicht-)Veränderbarkeit betrifft die chemische Modellierung auf drei Ebenen: rein mathematisch, chemisch-algebraisch und visuell. Schriftlichkeit und Bildlichkeit befinden sich in einem Widerstreit – die Transformation einer Formel führt zu einer neuen Formel, welche die ihr invarianten Teile beibehält. Mit der Metamorphose eines Diagramms von Stoffverbindungen wird nicht nur die Renotation des veränder- lichen Teils erforderlich, sondern eine komplette Neukomposition des Graphen.79 Der höhere Aufwand kann aber zugleich den epistemischen Mehrwert generieren, insbesondere im Fall eines grafischen Beweises der »wahren Repräsentation«.80 Während Figur 17 ein falscher Graph der Verbindung von drei Stickstoffatomen ist, stellt Figur 18 diese laut Sylvester angemessen dar. Wie alle zeitgenössischen Chemiker legt er Wert darauf, dass die Chemicographen keinesfalls das Reale des Stoffes zeigen. Ihre Nützlichkeit besteht vielmehr im »grafischen Beweis« der relationalen Struktur von Molekülen.81 Ein gutes Beispiel hierfür ist die Gegenüberstellung von ausführlicher und geraffter geometrischer Dar- stellung der Bindungsmöglichkeiten in Figur 30 bis 32, die den Sprung zu dreidimensionalen Atommodellen ahnen lassen. Trotz aller fortwährenden Einschränkungen entwickeln sich die chemischen Graphen und dreidimensionalen Atommodelle zu einem diagrammatischen Universalmodell. Charles Sanders Peirce – Geograf, Chemiker, Mathematiker, Logiker, Semiotiker und nebenbei einer der ersten Abonnenten des American Mathematical Journal – nimmt dabei eine Vorreiterrolle ein. Das steigende Vertrauen in eine Zeichenpraxis der topologischen Graphen erlaubt den Übertrag in andere Wissensgebiete, darunter auch die Formation der sprachlichen Logik und elektrische Schaltungen (Abbildung 6.10). Wolfgang Schäffner hat gezeigt, dass in Peirces existential graphs die diagrammatischen Graphen und ihre Mechanisierbarkeit ineinander übergehen. Sie sind nicht nur Zeichenkombinationen und Bildakte, sondern »operieren mit Aussagen, die im entsprechenden Diskursuni- 79 Vgl. Sylvester: »On an Application of the New Atomic Theory«, S. 67, S. 73, S. 90 f. 80 Sylvester: »On an Application of the New Atomic Theory«, S. 76. 81 Ebd., S. 73. 240 Bildgeschichte des Netzwerkdiagramms (I) abb . 6 .10: Charles Sanders Peirce: Analogie zwischen logischer und chemischer Notation, 1897. versum auch tatsächlich existieren«.82 Peirce, der den Akt der Semiose ebenso geschickt mit Erweckungsszenarien beschreiben konnte wie seine Kollegen in der Chemie,83 nimmt damit eine Bewegung vorweg, die die Wissensordnung des 20. und 21. Jahrhunderts nachhaltig prägen wird: Topologische Graphen können alles, insofern sie Verbindungen model- lieren – von Schaltkreisen, Verkehrsnetzen, politischem Handeln, sozia- len Zusammenhängen, biologischen Nahrungsnetzen, der Infrastruktur des Internets, Computerprogrammen (Petri-Netze) über Molekülstruk- turen bis zu feuernden Synapsen. Die Konjunktur des Netzdiagrammes in den Wissenschaften verdankt sich der fortwährenden Überkreuzung von Berechenbarkeit und Ikonizität – Schreib- und Bildakt fallen in eins, um das ›Werk‹ des einzufangenden Netzwerks im Diagramm zu materialisieren. Spiel und Traum sind dabei wesentlich mehr als historisch gewor- dene Schattenseiten, die durch fortwährende Formalisierung vergessen werden. Graphen und Netzdiagramme mögen, gerade aus epistemo- logischer Perspektive, als vergleichsweise einfache pragmatische Auf- zeichnungsverfahren ohne spezifischen Kontext erscheinen. Sie haben sich aber stillschweigend zu einer eigenen Pathosformel entwickelt. Auf den älteren, teils magischen Codes des Bindens und Lösens beruhend, werden sie zu Netzwerkgeneratoren, die gleichzeitig Modell von und Modell für etwas sind. Modell von etwas werden Netzdiagramme durch 82 Wolfgang Schäffner: »Electric Graphs. Charles Sanders Peirce und die Medien«. In: Electric Laokoon. Zeichen und Medien, von der Lochkarte zur Grammatologie. Hrsg. von Michael Franz u. a. Berlin: Akademie Verlag, 2007, S. 313−326, hier S. 322. 83 Vgl. Charles Sanders Peirce: »What Is a Sign?« In: The Essential Peirce. Selected Philosophi- cal Writings. Hrsg. vom Peirce Edition Project. Bd. 2. Bloomington; Indianapolis: Indiana University Press, 1998, S. 4−10, hier S. 4 f. Jacob Levy Morenos Wahlverwandtschaften 241 Kulturtechniken des Messens und Beobachtens, z. B. von Daten- und Verkehrsströmen, dem Austausch zwischen Ökosystemen oder Migrati- onsbewegungen. Als Modell für etwas verleihen sie der Netzwerkgesell- schaft nicht nur Möglichkeiten der Steuerung des ›Raums der Ströme‹, sondern ebenso eine diagrammatische Form der Selbstbeschreibung und Selbstreflexion.84 6.4 Jacob Levy Morenos Wahlverwandtschaften Soziometrie, gesellschaftlicher Atomismus und die Bindekräfte sozialer Netzwerke God was a super sociometrist.85 Jacob Levy Moreno Die Zeichenpraktiken der Chemie und die ihnen eigene Diagrammatik hinterlassen auch in einem anderen Feld des Wissens markante Spu- ren. Wer soziologische und anthropologische Literatur aus der Mitte des 20. Jahrhunderts aufschlägt, findet mit hoher Wahrscheinlichkeit Begriffe und visuelle Argumentationen, die sich auf Atommodelle und ihre physikalischen und chemischen Eigenschaften beziehen. Klassiker der Soziologie wie Comte, Weber, Durkheim und Simmel benutzten selten grafische Darlegungen. Demgegenüber stehen die 1930er Jahre im Zeichen der Einführung neuer Methoden, von denen Otto Neuraths Bildstatistik nur das prominenteste Beispiel darstellt. Die meisten der- artigen Versuche operieren mit immensen Datenmengen und versuchen oft zugleich, ein großes Publikum anzusprechen. Im Falle von Neurath verschmelzen so statistisches Wissen, Mathematik, Politik und Infor- mationsvisualisierung.86 84 Vgl. Castells: The Rise of the Network Society, S. 407 ff. zum Raum der Ströme. Vgl. kri- tisch zur Reflexivität Werber: »Netzwerkgesellschaft – Zur Kommunikationsgeschichte von ›technoiden‹ Selbstbeschreibungsformeln«. Zu Techniken der vernetzten Steuerung siehe die Beiträge in Stefan Kaufmann, Hrsg.: Vernetzte Steuerung. Soziale Prozesse im Zeitalter technischer Netzwerke. Zürich: Chronos, 2007. 85 Jacob Levy Moreno: Who Shall Survive? Foundations of Sociometry, Group Psychotherapy and Sociodrama. Beacon, NY: Beacon House, 1953 [1934], S. xx. 86 Vgl. Sybilla Nikolow: »Kurven, Diagramme, Zahlen- und Mengenbilder. Die Wiener Me- thode der Bildstatistik als statistische Bildform«. In: Bildwelten des Wissens 3.1 (2005), S. 20−33; Frank Hartmann und Erwin K. Bauer, Hrsg.: Bildersprache. Otto Neuraths Visualisierungen. 2. Aufl. Wien: WUV, 2006. 242 Bildgeschichte des Netzwerkdiagramms (I) Teile der amerikanischen Soziologie importieren die naturwissen- schaftlich eingekleideten Darstellungsformen eher in einer Form fröh- lichen Parasitentums, während Claude Lévi-Strauss elaborierte struk- turalistische Modelle zum Verwandtschaftsatom konstruiert.87 Das »soziale Atom« (Abbildung 6.11) wird in beiden Fällen zu einem Element für die visuelle Darstellung menschlicher Beziehungen,88 wenn- gleich Lévi-Strauss statt eines Comicstils nüchterne diagrammatische Verwandtschaftsformeln verwendet. Mit einem solchen epistemischen Diebstahl beginnt eine soziologische Liebesaffäre mit den visuellen Codes von Chemie und Molekülphysik, die wiederum zur Grundlage gesellschaftswissenschaftlicher Datenverarbeitung werden. Derartige Formen des Tauschhandels zwischen der Wissenschaft der Substanzen und der Vorstellungswelt menschlicher Beziehungen blicken auf eine lange Geschichte zurück. Hermetische und alchemistische Traditionen, Lavoisiers Revolution der Chemie und Goethes Wahlver- wandtschaften waren vor dem 20. Jahrhundert Teile dieses Spiels.89 Die soziometrischen Zeichnungen, von denen im Folgenden die Rede sein wird, präsentieren sich als ein Kaleidoskop amerikanisch-europäischer Wahlverwandtschaften. Nicht zum ersten Mal bringt das Soziale der Chemie eine Chemie der Gesellschaft hervor, für die affektive Bindungen zum Antrieb des Austauschs werden. 87 Vgl. Claude Lévi-Strauss: Strukturale Anthropologie I. stw 226. Frankfurt am Main: Suhr- kamp, 1977, S. 43−67, zur Strukturanalyse in der Sprachwissenschaft und der Anthropologie; Claude Lévi-Strauss: Strukturale Anthropologie II. stw 1006. Frankfurt am Main: Suhrkamp, 1992, S. 99−131, zu Reflexionen über das Verwandtschaftsatom, speziell S. 126 f. zum Netz von wechselseitigen Pflichten. 88 Derlei Tendenzen sind von der theoretisch avancierten Soziologie deutlich kritisiert worden. So hat z. B. Talcott Parsons in seiner erstmals 1937 erscheinenden Theorie des sozialen Handelns den Atomismus des Individuums als Teil des zweckrationalen utilitaristischen Theoriesystems beschrieben: »The theoretical action system characterized by these four features, atomism, rationality, empiricism and randomness of ends will be called in the present study the utilitarian system of social theory.« Talcott Parsons: The Structure of So- cial Action. Volume I: Marshall, Pareto, Durkheim. New York; London: Free Press, 1968, S. 60. Siehe auch ebd., S. 47 ff. und S. 87 f. In der Sozial- und Wirtschaftstheorie ist diese Haltung seit Joseph Schumpeter als »methodologischer Individualismus« Anlass eines immer wiederkehrenden Grundlagenstreits um die conditio humana des ökonomischen Menschen. Vgl. Joseph Heath: »Methodological Individualism«. In: The Stanford Encyclopedia of Philosophy. Spring 2005 Edition. Hrsg. von Edward N. Zalta. 2005. http://plato.stanford. edu/archives/spr2005/entries/methodological-individualism. Vielen Dank an Jens Schröter für die Anregung zu diesem Exkurs. 89 Vgl. Joseph Vogl: »Mittler und Lenker. Goethes Wahlverwandtschaften«. In: Poetologien des Wissens um 1800. München: Fink, 1999, S. 145−161, zur Überkreuzung von chemischem Wissen und Literatur. Jacob Levy Morenos Wahlverwandtschaften 243 abb . 6 .11: Ernest Fantel: The Civilian and Army Social Atom, Before and After, 1951. Das ›soziale Atom‹ zeigt den Wandel der persönlichen Bin- dungen zwischen den Umgebungen Familie und Militär. Es stellt nicht nur die Relationen von Anziehung, Abstoßung und Neutralität um ein Individuum dar, sondern repräsentiert laut Moreno den Cluster von Rollen um eine Person als kulturelles Atom. Am 3. April des Jahres 1933 findet sich in der New York Times ein kurzer Artikel mit dem Titel »Gefühle werden von neuer Geografie kar- tiert«. Der Text beginnt mit einem reißerischen Vorspann: »Schaubilder porträtieren die psychologischen Ströme menschlicher Beziehungen. ERSTE STUDIEN PRÄSENTIERT [.] Farbige Linien zeigen Zuneigungen und Abneigungen (Likes and Dislikes) von Individuen und Gruppen. VIELE AUSSENSEITER OFFENBART. Dr. J. L. Moreno rechnet mit 10 bis 15 Millionen isolierter Individuen in der Nation.«90 Die Leserinnen und Leser erfahren weiterhin von der Erfindung einer neuen Wissenschaft namens Psychological Geography. Vorgestellt wurde diese, so der Artikel weiter, beim jährlichen Treffen der New Yorker Medical Society im Waldorf Astoria-Hotel durch die Präsentation von grafischen Charts. Die farbigen Karten des Sozialforschers Jacob Levy Moreno (1889−1974) waren dabei gezielt vorab von Dwight Anderson, dem PR-Beauftragten der Medical Society, an die Presse weitergegeben worden. 90 Anonymous: »Emotions Mapped by New Geography. Charts Seek to Portray the Psycho- logical Currents of Human Relationships«. In: New York Times, 3. April 1933, S. 17. 244 Bildgeschichte des Netzwerkdiagramms (I) Die Ergebnisse seiner soziogeografischen Forschungen hat Moreno erstmals 1934 in einem Buch mit dem Titel Who Shall Survive? A New Approach to the Problem of Human Interrelations veröffentlicht. Die deutsche Ausgabe von 1953, die das ›soziale Atom‹ ausführlich würdigt, trägt den sachlicheren Titel Die Grundlagen der Soziometrie. Im Unter- titel – »Wege zur Neuordnung der Gesellschaft« – deutet sie allerdings den sozialutopischen und letzlich religiösen Zug in Morenos Denken an.91 Jacob Levy Moreno war – unter anderem – Antimarxist, Anti- psychoanalytiker (bzw. Anti-Freudianer), halb-messianischer Denker mit unklarem Verhältnis zu seiner jüdischen Herkunft, Stegreiftheaterchef und als solcher psychodramatischer Gruppentherapeut,92 nach den eu- ropäischen Jahren in Wien und Berlin 1926 Migrant in die USA und dort ab Anfang der 30er Jahre Leiter eines Erziehungsinstituts für junge Mädchen in Hudson, das im Bundesstaat New York liegt. Aus den räumlichen Dispositionen dieses recht unbescheiden More- no-Institut genannten Lagers entstehen die Formen der sozialgeogra- fischen Beobachtung, die der Institutsleiter bei der Präsentation in New York im größeren Maßstab anwendet. Der Netzwerkbegriff der Soziometrie entspringt einer Mischung aus ethnografischem und expe- rimentellem Setting, in dem die persönlichen Beziehungen und die »psy- chologischen Ströme« einer Gemeinschaft von schwarzen und weißen Mädchen verzeichnet werden. Deren Status als Außenseiterinnen und die Fragen der sozialen Unterschiede nach Rassenzugehörigkeit spielen eine konstante Rolle in den Erwägungen Morenos. Seine Fallstudien drehen sich um die Alltäglichkeiten im geschlossenen Raum der Mäd- chenerziehung in Hudson. Morenos Wunsch, das Muster hinter den wiederholten Fluchtver- suchen von 14 Mädchen an 14 aufeinander folgenden Herbsttagen im Jahr 1932 zu erkennen, führt zu einem massiven Mapping. In einer Abfolge von fünf Karten wandelt sich dabei die konkrete Topografie des 91 Vgl. Moreno: Who Shall Survive?; Jacob Levy Moreno: Die Grundlagen der Soziometrie. Wege zur Neuordnung der Gesellschaft. 2. Aufl. Köln, Opladen: Westdeutscher Verlag, 1967. 92 Vgl. Brigitte Marschall: Ich bin der Mythe. Von der Stegreifbühne zum Psychodrama Jakob Levy Morenos. Maske und Kothurn, Beiheft 13. Wien; Köln; Graz: Böhlau, 1988 und Brigitte Marschall: »Jakob Levy Morenos Theaterkonzept. Die Zeit-Räume des Lebens als Szenenraum der Begegnung«. In: Zeitschrift für Psychodrama und Soziometrie 4.2 (2005), S. 229−243, zum performativen Aspekt von Morenos Arbeiten. Vgl. Ferdinand Buer, Hrsg.: Morenos therapeutische Philosophie. Die Grundlagen von Psychodrama und Soziometrie. 3. Aufl. Opladen: Leske + Budrich, 1999, für einen praktischen Blick auf Psychodrama und Soziodrama. Jacob Levy Morenos Wahlverwandtschaften 245 abb . 6 .12: Jacob Levy Moreno (?): Psychological Geography Map II, 1934. Die Karte stellt den topografischen Raum des Lagers in Hudson dar. Die »psychologischen Ströme« zwischen den einzelnen Häusern werden in roten (Anziehung) und schwarzen Linien (Ablehnung) wiedergegeben. Rot-schwarze Verbindungen repräsentieren einander überkreuzende Gefühle: halb Anziehung und halb Abstoßung. [Siehe Farbtafel XII] 246 Bildgeschichte des Netzwerkdiagramms (I) Lagers mit seinen in 16 Häusern untergebrachten 435 Mädchen in eine topologische Struktur. Die klar positionierten, rechteckigen Häuser der Mädchen verwandeln sich in ein relationales, von Kreisen und Verbin- dungslinien bestimmtes Atomium (Abbildungen 6.12 / 6.13). Anziehung (rot), Ablehnung (schwarz), Anziehung / Ablehnung (rot / schwarz) und Indifferenz (blau) werden grafisch dargestellt. Der Verlauf dieser un- terschiedlichen, durch Fragen der jeweiligen Hausmütter gemessenen »psychologischen Ströme« generiert ein energetisches Modell.93 Klassi- fiziert werden die Anziehungen und Abneigungen der einzelnen Ströme auf verschiedenen, durchaus befraglichen Ebenen: sexuell, nach ›Rasse‹, sozial, industriell und kulturell.94 All dies reicht aber für Moreno nicht aus, um das zugrundeliegende Prinzip sozialer Verbindungen zu erklären, das er auf eine bestimmte Form der Aufpfropfung zurückführt: Es gibt immer noch tiefere Ebenen. Wir hatten vermutet, dass unter den jederzeit fließenden und sich verändernden Strömen eine permanente Struktur liegen muss – ein Container, ein Flussbett, das seine Ströme trägt und mischt, wie unterschiedlich ihre Ziele auch sein mögen.95 Für die Kette der 14 entlaufenen Mädchen lautet seine später genera- lisierte Schlussfolgerung, dass sie Teil eines »verborgenen« Netzwerks waren. Diese Feststellung folgt allerdings den Maßgaben einer diagram- matischen Notationsmethode, welche Moreno bereits zur Aufzeichnung seiner psychodramatischen Improvisationen eingesetzt hatte. Ohne das analoge Modellieren von Verbindungslinien ist kein Netz-Sehen mög- lich. Netzförmige Graphen funktionieren hier als performatives soziales Bindemittel, das für Moreno Freiheit und Unabhängigkeit des Einzel- nen – man hört den liberalen American Spirit heraus – garantiert und zugleich mit zunehmender Reife der Gesellschaft zur kontrollierenden Superorganisation wird. In der Begeisterung für die selbst kartierten, vormals unsichtbaren Netzwerke lässt sich Moreno zu bezeichnenden, gestaltpsychologisch informierten96 Universalthesen hinreißen: 93 Vgl. zur Stellung Morenos in der Genealogie der Sozialphysik und zum physikalischen Ge- halt seiner Begriffe Martin Donner: »Rekursion und Wissen. Zur Emergenz technosozialer Netze«. In: Rekursionen. Von Faltungen des Wissens. Hrsg. von Ana Ofak und Philipp von Hilgers. München: Fink, 2010, S. 77−113, hier S. 92 f. 94 Vgl. Moreno: Who Shall Survive?, S. 438. 95 Moreno: Who Shall Survive?, S. 440. 96 Moreno stand in Kontakt mit Kurt Lewin. Vgl. zum Einfluss von Lewin auf die Theorie der sozialen Netzwerke Linton C. Freeman: The Development of Social Network Analysis. A Study in the Sociology of Science. Vancouver, BC: Empirical Press, 2004, S. 66 f. Jacob Levy Morenos Wahlverwandtschaften 247 Die Netzwerke repräsentieren die älteste Form sozialer Kommunikation. Spuren von ihnen finden sich bereits in vormenschlichen (subhuman) Ge- sellschaften. Sie sind kollektive Formationen. Individuelle Teilnehmer sind sich der Netzwerke, an denen sie teilhaben, nicht bewusst (unconscious), obwohl sie der einen oder anderen Verbindung zwischen Einzelnen gewahr werden oder realisieren, dass solche Netzwerke existieren. Ein Individuum kann sich nicht außerhalb seiner Netzwerke bewegen, ebenso wenig, wie es sich aus seiner Haut bewegen könnte. Netzwerke gehen ihm voraus und bestehen vor den offiziellen Gruppen, deren Teil er ist.97 So dubios das wissenschaftliche Überwachungsregime von Morenos Hausmüttern auch sein mag, so vermeintlich präzise ermittelt es als mikroskopisches Prinzip soziale Exklusion. 16 Prozent aller Befragten werden von anderen nicht als kontaktwürdig erachtet. Moreno extra- poliert unter kurzem Hinweis auf vergleichbare Studien die Hudsoner Daten auf die gesamte Bevölkerung New Yorks: Von sieben Millionen Individuen befänden sich 1,12 Millionen in einer isolierten Stellung. Daraus resultiert ein sozialer Imperativ: Suche die räumliche Nähe zum Mitbürger! Als explizite Aufforderung hat dieser Appell seine Wurzeln direkt in Morenos gruppentherapeutischer Arbeit und dem Improvisa- tionstheater räumlicher Positionierung. Die handgezeichneten Karten III und IV (Abbildung 6.13), von denen erstere eine Größe von ca. 6 mal 4,5 Metern besessen haben soll, sind die topologische Antwort auf die Frage, welches der 435 Mädchen am liebsten mit wem zusammenwohnen würde. Entlang dieser sozialen Präferenzen macht Moreno in Hudson fünf Netzwerke aus. Ermittelt werden diese durch intensives Kartenzeichnen auf Basis tabellarischer Matrizen der Ablehnung, Zuneigung und Indifferenz (Abbildung 6.14). In der mathematischen Sprache der Graphentheorie heißt dies: Moreno verfolgt jeden Pfad bis zu seiner Unterbrechung, um sich dann der näch- sten Kettenverbindung zuzuwenden. Aus der so kartierten Ja / Nein- bzw. Ablehnungs / Zustimmungs-Struktur fallen Indifferenzen, die Moreno als ebenso wichtig für das Soziale erachtet, heraus. Damit kommt er der Funktionalität und Ästhetik digitaler Netze bereits sehr nahe. Ohne die Möglichkeiten der digitalen Rechner ist jedoch die soziome- trische Matrize das genuine Mittel zur tabellarischen Datenverwaltung. Das Maßverhältnis des Sozialen wird durch Eintragungen in Tabellen- räume bedingt. Die protokollarische Codierung von Relationen erfolgt dabei zunächst mittels verschiedener Operatoren wie Plus, Minus oder 97 Moreno: Who Shall Survive?, S. 430. 248 Bildgeschichte des Netzwerkdiagramms (I) abb . 6 .13: Jacob Levy Moreno (?): Psychological Geography Map IV. A Re- duction Sociogram, 1934. Eine Reduktion der Gesamtkarte, in der Plus- und Minusoperatoren die Skalierung gewährleisten. Jedes Plus codiert zehn Anziehungen, jedes Minus zehn Ablehnungen innerhalb einer Hütte. Doppelpunkte an einem Zeichen halbieren die Summe. Jede rote und schwarze Linie zwischen den Häusern steht für fünf Anziehungen und Ablehnungen. Die Gesamtzahl ist so durch Multipli- kation mit 5 errechenbar. Mittels dieser Technik wird die Menge der zu zeichnenden Linien reduziert, so dass auch »große Populationen« kartiert werden können. [Siehe Farbtafel XIII] Null.98 Heute hat sich in der quantitativen Sozialforschung die digitale Unterscheidung von Null und Eins, Verbindung und Nicht-Verbindung, durchgesetzt.99 Aber dieses abstrakte Maß kann nicht verdecken, dass alle ethnografische Feldarbeit im Anfang lokal vorgeht. Gruppen und Gemeinden, bei denen man sich um vollständige soziometrische Erfas- sung bemüht, werden zur Spielwiese der Entdeckung sozialer Netzwerke. 98 Siehe für weitere Beispiele zur strukturalistischen Modellierung von Verwandtschaftsbezie- hungen mittels Diagrammen Lévi-Strauss: Strukturale Anthropologie I, S. 59 f.; Lévi-Strauss: Strukturale Anthropologie II, S. 109 f. 99 Vgl. Pierre Mercklé: Sociologie des réseaux sociaux. Paris: La Découverte, 2004, S. 29 f. Jacob Levy Morenos Wahlverwandtschaften 249 abb . 6 .14: Jacob Levy Moreno (?): Hierarchic Sociogram. Zeichnung, 1934. Das obere Dreieck repräsentiert das »Feld der positiven Anziehungskräf- te«, das untere zeigt das »Feld der Ablehnung«. Im Falle von Fragen, mit wem man am liebsten zusammenleben würde, zeigen beide die jeweils bevorzugten (plus, 1st choice etc.) bzw. größten Ablehnungen (minus, 1st rejection etc.). Moreno veranschaulichte durch solche Abstufungen z. B. die Zahl der isolierten, nicht gewählten Individuen. Als generelles Schema legt es die Gesellschaft auf Ab- und Zunei- gungshierarchien fest. Für Jacob Levy Morenos Soziometrie, für Alfred Radcliffe-Brown und die Manchester-Schule der sozialen Netzwerkforschung100 diente das ›Netzwerk‹ zur Strukturierung und Erklärung der Feldforschungsdaten. Auch hier ermöglicht der Begriff bereits, falsche Unterscheidungen zwi- schen ›primitiv‹ und ›modern‹ aufzubrechen: Interpersonale Netzwerke mochten sich in der Analyse je spezifisch unterscheiden, existieren aber für die Sozialanthropologie in nordamerikanischen Kleinstädten ebenso 100 Vgl. Alfred Reginald Radcliffe-Brown: Structure and Function in Primitive Society. Essays and Addresses. 6. Aufl. Glencoe, IL: The Free Press, 1952, S. 188f.; J. Clyde Mitchell, Hrsg.: Social Networks in Urban Sitations. Analyses of Personal Relationships in Central African Towns. Manchester: Manchester University Press, 1969. 250 Bildgeschichte des Netzwerkdiagramms (I) wie in norwegischen Fischerdörfern101 oder den afrikanischen Städten, deren Beziehungsgeflechten die Manchester-Schule nachgeht. Diese sich wiederholenden Entbergungen stellen einen merk- und denkwürdigen Eintrag in das Archiv der Netzwerkgeschichte dar. Nicht städtische Ver- dichtungen, sondern zunächst überwiegend ländliche Praktiken eröffnen den Blick auf die, wie Moreno sagen würde, verborgenen Netzwerke. Die Wende von makrotechnischen infrastrukturellen Netzen zu mi- krosozialen Netzwerken in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts be- ginnt von wissenschaftlichen und geografischen Rändern her.102 Morenos Lagererzählungen und Zeichenkünste fungieren als Grundlage für das Selbstverständnis der fortan in der Zeitschrift Sociometry versammel- ten Beiträge. So bekennen sich die Soziologen George A. Lundberg und Mary Steele in ihren dort 1937 und 1938 erscheinenden Reporten über Social Attraction Patterns in a Rural Village zu einer objektiven Analyse sozialer Ereignisse als »atomares Verhalten«.103 Ihr Experimentalfeld ist dabei eine ungenannte etwa tausendköpfige Gemeinde in Vermont, deren Sozialstrukturen über die Befragung von ca. 200 Familien (und damit 94% der Bevölkerung) ermittelt werden sollen. Dabei geht es Lundberg und Steele vor allem darum, Energien zu analysieren, die »hinter« den erkennbaren Prozessen stehen bzw. diesen vorgängig sind. Menschen werden als Elementarteilchen aufgefasst. Deren Imagination und Darstel- lung in sozialen Atomen eröffnet die Frage nach den strukturalen Regeln, denen die so sichtbar werdenden sozialen Beziehungen gehorchen. Bei den ersten Kartierungsversuchen, die die aus den Fragebögen destillierten Daten benutzen, stößt die direkte Soziometrie schnell an Grenzen. Sie rühren von der Dichte des aufzuzeichnenden Netzwerks her. Die Linien verdichten sich zu einem »unentwirrbaren Labyrinth, das dazu tendierte, die signifikanten Verdichtungen (clusterings), die wir herausstellen wollten, zu verdecken«.104 Steele und Lundberg stellen sich aber bewusst mit Moreno und unbewusst mit informationstheore- tischem Eifer der Herausforderung, denn es gilt: 101 Vgl. John A. Barnes: »Class and Committees in a Norwegian Island Parish«. In: Human Relations 7 (1954), S. 39−58. Siehe zur Modernitätskritik im Zeichen der Netzwerke Latour: Wir sind nie modern gewesen, S. 53 f., S. 156 f. 102 Vgl. hierzu Schüttpelz: »Zur Genealogie und Karriere des Netzwerkkonzepts«. 103 George A. Lundberg: »Social Attraction-Patterns in a Rural Village: A Preliminary Report«. In: Sociometry 1.1 / 2 (1937), S. 77−80, hier S. 80. George A. Lundberg und Mary Steele: »Social Attraction-Patterns in a Village«. In: Sociometry 1.3 / 4 (1938), S. 375−419, hier S. 375. 104 Lundberg und Steele: »Social Attraction-Patterns«, S. 379. Jacob Levy Morenos Wahlverwandtschaften 251 Wenn wir uns dafür entscheiden, jede soziale Gruppe als ein System von Energie anzusehen, das durch ein mehr oder weniger komplexes Muster (pattern) sich kreuzender Kanäle fließt, dann wird die Kartierung dieser Kanäle ein primäres Problem für die Erklärung des Gruppenverhaltens.105 Unter Einsatz mehrerer in der Soziologie der 1930er Jahre gebräuchlicher Skalen zur Angabe von sozioökonomischem und kulturellem Status verzeichnen die Feldforscher vor allem spontane Hausfrauenauskünfte über ihre engsten Freunde innerhalb der Gemeinde.106 Sie folgen dabei einem energetischen Schema von »Anziehung« und »Abstoßung«.107 Resultat der Mischung aus Chemie, Ökonomie, Behaviorismus, ver- brämter Psychoanalyse und unverhohlenem Strukturalismus ist die Ky- bernetisierung einer ganzen Kleinstadt in acht eleganten Diagrammen. Diese stellen die vorgefundenen Netzwerke oder »Konstellationen« dar, in denen Personen mit einer hohen Anzahl von ein- und ausgehenden Verbindungen in den Mittelpunkt gestellt werden. Das prominenteste Beispiel – die im Stile eines kabbalistischen Sefiroth-Baumes dargestellte »mildtätige Dame«, »the lady bounti- ful« – wurde von der am Projekt beteiligten Studentin Jane Pitts ge- zeichnet (Abbildung 6.15). Um die liebenswerte und spendenfreudige alte Witwe von 60 Jahren mit der geografischen Lokalisierung M 31 und dem sozioökonomischen Skalenwert 258 gruppieren sich darin viele laut Pfeilrichtung einseitig zugeneigte Personen. Diese verfügen wiederum über eine Vielzahl von Verbindungen in die sieben weiteren Netzwerke. Die Dame M 31 fühlt sich M 16 – Arzt, Politiker und in soziometrischer Nomenklatur »Satellit« – verbunden. Sie wird wiede- 105 Lundberg und Steele: »Social Attraction-Patterns«, S. 376. 106 Dazu gehört u. a. die sogenannte Chapin-Skala zum sozioökonomischen Status. Vgl. Francis Stuart Chapin: The measurement of social status by the use of the social status scale 1933. Minnesota: University of Minnesota Press, 1933. Die Gebrauchsanweisungen für diese Skala offenbaren einige aufschlussreiche Hintergründe. Zum einen ist selbstverständlich jedermann eifrig auf seinen sozialen Status bedacht. (S. 1) Zum anderen gilt dieser Antrieb vor dem Hintergrund des Behaviorismus als »strukturmäßiger Reiz« (configurational stimu- lus, S. 2). Gemessen wird der soziale Status durch Feldforschung auf der Höhe materieller Kultur: Besuche im Wohnzimmer von Familien zählen die vorhandenen Gegenstände und werten ggf. den generellen Eindruck des Ambientes. Jedes Fenster mit Vorhängen ergibt 2 Punkte, elektrisches Licht 8 Punkte – im Zweifelsfall werden für Kerosinbeleuchtung 2 Punkte abgezogen. Eine Klavierbank zählt 4 Punkte, eine Nähmaschine ergibt 2 Punkte Abzug. Jede abonnierte Zeitung erhöht die Wertung um 8 Punkte, ebenso Telefon, Radio und jedes Bücherregal. Abzüge gibt es für Verschmutzungen, Staub, Unordnung und neutrale Monotonie (jeweils –2). Bizarre und unharmonische Atmosphäre ergibt –4, während guter Geschmack bei Attraktivität, Harmonie und Stille mit +2 Punkten belohnt wird. Vgl. ebd., S. 6 f . 107 Vgl. Lundberg und Steele: »Social Attraction-Patterns«, S. 376 f. 252 Bildgeschichte des Netzwerkdiagramms (I) abb . 6 .15: Jane Pitts: Chart I. Friendship constellation (»Lady Bountiful«). Zeich- nung, 1938. Anstelle der Farbnotation verwendet das Diagramm Pfeile zur Codierung von gegenseitigen Einstellungen. Zu den Wertungen der verwendeten Chapin-Skala siehe Anmerkung 106, S. 251. Jacob Levy Morenos Wahlverwandtschaften 253 abb . 6 .16: Pauline Lee: Chart VIII. Isolated and semi-isolated individuals. Zeich- nung, 1938. Soziale Isolierung heißt im Konnektionismus der Sozio- metrie: keine gezeichneten Verbindungen. 254 Bildgeschichte des Netzwerkdiagramms (I) abb . 6 .17: Grant: Target Sociogram of a First Grade Class. Grafik, 1952 (links). McKenzie, Target Sociogram Board. Modell, 1952 (rechts). Sowohl Grant wie McKenzie waren Studierende der an der University of Toronto lehrenden Mary Louise Northway. Deren soziometrische Feldforschungen widmeten sich vor allem Kindern und Jugendlichen. Wie bei Lundberg und Steele spielt die Ausrichtung auf die Mitte eine wichtige Rolle für die Repräsentation des sozialen Status. rum von einem anderen Satelliten, der Bankiersgattin B7 geschätzt. In diesem geometrisch-narrativen Modus im Stile Serres’ verfahren auch die übrigen sechs Diagramme. So zeigt die fünfte Karte, wie die zentral platzierte Frau eines Fabrikvorarbeiters als sozialer Anlaufpunkt (hub) dient. Eine Ausnahme vom fortwährenden Spiel um Soll und Haben des Sozialkapitals von Verbindungen bildet das letzte Diagramm, in dem die Einsamen und Ausgegrenzten von Vermont zu ihrem Recht kommen: Keine Bindungen zu haben bedeutet Unwichtigkeit und soziale Exklusion (Abbildung 6.16). Man könnte solche papierenen Arrangements als Spielzeug aus der Kinderstube der soziologischen Netzwerkforschung verbuchen. Auch verwandte Methoden wie Mary Louise Northways »target sociograms« aus den 1940er Jahren dienten einer Form des spielerisch-dynamischen Modellierens von Sozialbeziehungen (Abbildung 6.17). Damit würde man aber die Dame M 31 unterschätzen, die auch nach Lundbergs und Steeles Report als sehr lebendige mildtätige Untote durch die Geschichte der englischsprachigen Soziologie geistert. Die Daten der Befragungen werden nicht nur 1950 in eine Maschine überführt, sondern auch um 1980 zur Grundlage der ersten dreidimensionalen Jacob Levy Morenos Wahlverwandtschaften 255 abb . 6 .18: Francis Stuart Chapin: Tabulating Machine, 1950 (links). Der Stiefva- ter von George Lundberg und Erfinder der Chapin-Skala wollte mit dieser Maschine den Sozialstatus der Kleinstadt in Vermont abbilden, den er in den bisherigen Diagrammen nicht verkörpert sah. Die Dame M 31 ist deshalb in seiner Maschine gemäß ihrem Sozialstatus oben positioniert. Alden S. Klovdahl / ORTEP: A three-dimensional com- puter-drawn, visual representation of the ›lady bountiful‹, network rotated to present a ›side view‹. Computergrafik, 1981 (rechts). Echtzeit-Computervisualisierungen sozialer Netzwerke, von denen heu- te nur noch Einzelbilder vorliegen (Abbildung 6.18). Erneut bedienen sich hierfür Soziologen der Zeichenpraktiken der Chemie – nur dass nunmehr ganze Softwarepakete wie die Kristallografie-Applikation Ortep zweckentfremdet werden.108 Der anfängliche Enthusiasmus ist groß, obwohl Software-Implementationen chemischer Kräfteverhält- nisse – man denke nur an Mehrfachbindungen und Valenzen – sich auch heute noch als durchaus widerständig gegenüber soziologischen Erkenntniswünschen erweisen. Die letzten Jahre haben einen Aufstieg von schnell manipulierbaren Netzwerksimulationen mit sich gebracht. Neben die langjährig verwen- deten Standardlösungen treten auch Onlineapplikationen, beispielswei- se in der Form von Java Applets, die man gerne mit alten Datensets 108 Vgl. Alden S. Klovdahl: »A Note on Images of Networks«. In: Social Networks 3 (1981), S. 197−214, hier S. 201 f. Ortep stammt ursprünglich aus den 1960er Jahren, vgl. C. K. John- son: ORTEP. A FORTRAN Thermal-Ellipsoid Plot Program for Crystal Structure Illustra- tions. ORNL Report 3794. Techn. Ber. Oak Ridge, TN: Oak Ridge National Laboratory, 1965. 256 Bildgeschichte des Netzwerkdiagramms (I) versieht.109 Knoten können so bewegt, Linien bzw. Kanten entfernt werden. Die visuelle Form erweist sich als zunehmend variabel. Rela- tionen werden mehr denn je nicht als gegeben hingenommen, sondern aktiv konstruiert und modelliert. So lässt der pragmatische Umgang mit Computerdaten den diagrammatischen Stil als vergleichsweise statisch erscheinen. Der Wille zum Bewegungsbild,110 das rechnend zeigt und schreibt, arbeitet sich an der Repräsentation großer zeiträumlicher Verläufe innerhalb einer kleinen Einschreibefläche ab.111 Wir können das Netz, in dem wir stehen, nicht zuziehen«, heißt es kurz und bündig in Walter Benjamins Fragment über Kapitalismus als Religion.112 Es drängt umgekehrt zur fortwährenden interkonnektiven Ausweitung, die wiederum Netzwerke ausmacht. Die Entfaltung in der Zeit ist dabei ebensogut durch die Erzählung und den Diskurs wie durch Bildakte möglich. Kulturtechniken des Sprechens, Schreibens, Zeichnens und Berechnens treffen sich im Netzwerkdiagramm, das Serres’ Episte- mologie zu einem großen Teil trägt: »Die ikonische Kommunikation transportiert alle Abstraktionen und alle Geschichten, die Theoreme und die Erzählungen.113 Ein filmisches Beispiel für diese fortwährende Überkreuzung von Schreiben und Verbildlichen inszeniert nicht von ungefähr ein histo- risches soziologisches Großprojekt als multiple Szene des Vernetzens. Unter der Regie von Bill Condon zeigt der 2004 in die Kinos gekom- mene Kinsey das Erstellen des berühmten ersten Kinsey-Reports in einer komplexen vierminütigen Sequenz. Darin werden Gesichter und Computeranimationen übereinander geschichtet und netzförmig verbun- 109 Siehe dazu paradigmatisch das Java-Applet unter http://www.cmu.edu/joss/content/ articles/ volume1/images/fig30A, das Datensätze einer Studie aus dem Jahr 1941 verwendet. Vgl. Allison Davis, Burleigh B. Gardner und Mary R. Gardner: Deep South. A Social Anthro- pological Study of Caste and Class. Directed by W. Lloyd Warner. Chicago: University of Chicago Press, 1941, S. 148 f. Die Datenerhebung folgt 14 informellen Kaffeekränzchen von 18 schwarzen Frauen in Old City, Mississippi. Ihre Nähe und Distanz werden innerhalb der Onlineapplikation remodelliert. Die Nummern über den Knoten basieren auf den Treffen der entsprechenden Personen. Vgl. Linton C. Freeman: »Visualizing Social Networks«. In: Journal of Social Structure 1.1 (2000). http://www.cmu.edu/joss/content/articles/volume1/ Freeman.html. 110 Vgl. Klovdahl: »A Note on Images of Networks«, S. 210 f. 111 Dies wiederum entspricht Latours Beobachtungen zur Verdichtung wissenschaftlicher Er- kenntnisse im Modus des »drawing things together«, die hier zu ›beweglichen Fixierungen‹ werden. 112 Walter Benjamin: »Kapitalismus als Religion«. In: Gesammelte Schriften VI. Hrsg. von Rolf Tiedemann und Hermann Schweppenhäuser. Frankfurt am Main: Suhrkamp, 1985 [1921], S. 100−103, hier S. 100. 113 Serres: Carpaccio, S. 157. Jacob Levy Morenos Wahlverwandtschaften 257 den.114 Die Sequenz entfaltet einen Diskurs über die Normalisierung von Geschlecht, der durch die fortwährend wiederkehrende Frage der Inter- viewten – »Bin ich normal?« – explizit wird. Der Blick der Zuschauer folgt den Interviewern um Liam Neesons Kinsey auf ihren Befragungen quer durch die Vereinigten Staaten. Condon gestaltet diesen Prozess als einen sich ins Nationale erweiternden Kartierungsakt (Abbildung 6.19). Wie in der soziometrischen Praxis dient die Farbe Rot als Markierung der animierten Linien, die den Verlauf der Reise einerseits und zwi- schenmenschliche Verbindungen andererseits verfolgen. Die sprechenden Personen werden auf der Karte verortet, der Eindruck eines denkbar großen nationalen Akteursnetzwerks entsteht. Dessen Informationsästhetik nimmt die Form einer situierten und ver- bundenen kollektiven Erzählung an. Während anfangs einzelne Stimmen und Gesichter noch voneinander zu unterscheiden sind, entwickelt sich das Netzwerk nach und nach zu einer auditiven Kompositfotografie. In rasch hintereinander geschnittenen Bildern verschmelzen die individu- ellen Köpfe nahezu, während sich die Stimmen überlagern. Durch die filmische Handlung wird das Netzwerkdiagramm narrativ-energetisch aufgeladen. Im Gegensatz zu vielen anderen Diagrammen – man denke an Vandermondes Schachbrett oder Morenos Lagertopologie – bleibt die Karte an dieser Stelle als Bezugsrahmen erhalten, der Figur kommt ihr Grund nicht abhanden. Bemerkenswert ist die Art und Weise, wie Kinsey mittels komplexer Montage und computergenerierter Bilder eine sich fortwährend ausbrei- tende und weiterschreibende nationale ›große Geschichte‹ sexueller Be- freiung erzählt. Condons differenzierte Inszenierung setzt diesen sanften Optimismus bewusst als Grundton gegen einen US-amerikanischen Puritanismus. Die Kartierungssequenz des Films ist so auch ein Plädo- yer für den Liberalismus der narrativen und sexuellen Verbindungen. In ihr weitet sich die emotionale Zirkulation auf nationaler Ebene in einem Modus aus, den Michel Foucault in seiner Geschichte der Gouvernementalität als »zentrifugal« beschrieben hat. Während die Disziplinierung des Individuums durch ein überwachendes Netz von Institutionen »zentripetal« konzentriert, einschließt und Räume isoliert, zielt ein liberales Sicherheitsdispositiv auf die fortwährende Ausweitung der Zirkulation ab. Es lässt gewähren, damit immer weiterer sozialer und wirtschaftlicher Austausch entstehen kann: laisser faire als optimie- 114 Bill Condon: Kinsey, DVD, 2005. Timecode ca. 01:01:00 f. 258 Bildgeschichte des Netzwerkdiagramms (I) abb . 6 .19: Bill Condon, Frederick Elmes u. a.: Sequenz aus Kinsey, 2004. DVD-Stills, 2005. [Siehe Farbtafel XXVIII] Jacob Levy Morenos Wahlverwandtschaften 259 rende Grundlage des Handelns.115 Kinsey ist der Wunsch nach einem von Zwängen und Verkrustungen befreiten sexuellen Liberalismus anzumerken, ohne dass es einen expliziten Bezug zur kapitalistischen Ökonomie gäbe. Die Netzwerkform der Erzählung verweist hier aber auf einen grundlegenden Zwiespalt: Netze können halten, ebenso wie sie verstricken und verfangen. Wer das sozioökonomische Netz, in dem er steht, zuzieht … verfängt sich selbst.116 Die Theorie sozialer Netzwerke ist, gerade in der durch den Ein- wanderer Moreno geprägten Schule der Soziometrie, eng mit einem ebenso spezifisch amerikanischen wie kapitalistischen Modus der Subjektkonstitution verbunden. Zum Maßverhältnis des Sozialen wird das Netzwerkdiagramm vor dem Hintergrund einer Konzeption von autonom handelnden Individuuen, deren sozialer Atomismus den Anforderungen des Wirtschaftsliberalismus Genüge tut. Innerhalb dieses Rahmens können die gesellschaftliche Makrodimension und die Mikroebene der Akteure im Bild diskursiv verschmelzen. Verbindungs- und Assoziationsfähigkeit wird so zum messbaren Teil des kollektiven Status. Kollektivität ensteht aus Konnektivität: Die diagrammatischen Strategien der sozialen Netzwerke suggerieren eine fluktuierende Nütz- lichkeit der losen Bindungen, die sich nach den Wünschen der Akteure zum Netzwerk verfestigen sollen. Spuren der hier geschilderten Disposition sind noch in den popu- lären Diskursen um das Web 2.0 und seine Anwendungen präsent. Demgegenüber hat sich die Forschung zu sozialen Netzwerken, die auf Graphentheorie und ihre Visualisierungsformen setzt, immer mehr ausdifferenziert. Die Begrenzungen und Probleme der formalen Ana- lyse sozialer Beziehungen sind wenigen Akteuren besser bewusst als den Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern, die methodenkritisch damit umgehen.117 Dennoch kann man auch hier dem Problem der wirkmächtigen Geltung von Wissensproduktion nicht ausweichen. So wie sich die Atommodelle aus der chemischen Lehre heraus verselbst- 115 Foucault: Sicherheit, Territorium, Bevölkerung, S. 73 f. Vgl. zur liberalen Gouvernementalität und ihren räumlichen Anordnungen Kapitel 4.5 dieses Buches. 116 Benjamin: »Kapitalismus als Religion«, S. 100. 117 Vgl. pars pro toto die Reihe Netzwerkforschung beim Wiesbadener Verlag für Sozialwissen- schaften inklusive Christian Stegbauer und Roger Häußling, Hrsg.: Handbuch Netzwerk- forschung. Netzwerkforschung 4. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften, 2010, S. 525 f. zur Visualisierung von Netzwerken. Der methodenreflexive Umgang wird auch durch die zahlreichen deutschen Workshops zur historischen Netzwerkforschung weiterent- wickelt, die seit 2009 regelmäßig stattfinden. Siehe http://www.historicalnetworkresearch. org. 260 Bildgeschichte des Netzwerkdiagramms (I) ständigen konnten, um letztendlich doch pragmatisch für das Reale der Verbindungsrelationen einzustehen, sind Netzwerkdiagramme in den Wissenschaften immer in einem hohen Grad Modelle für etwas. Als Medium der performativen Selbstbeschreibung eröffnen sie Netzwerkge- sellschaften einen spezifischen Darstellungsraum, in dem bestehende und mögliche Aktionen verhandelt werden. Im sozialen Netzwerkdiagramm informieren die naturwissenschaftlichen Logiken die Imagination der menschlichen Interaktion, ohne aber deren Eigensinn gänzlich gerecht werden zu können. Nur wenige Netzwerkdiagramme kommen ohne eine Form aus, die auf die räumliche Verteilung und Technizität infrastruktureller Netze verweist. Diese schleicht sich gewissermaßen immer schon in die Netzwerkästhetik ein. Sind anfangs noch organische Referenzen wie Blutkreislauf und Kapillarnetz maßgeblich, ändern sich die Ansichten mit den Innovationsschüben der industriellen Welt. Oft vollziehen sich Transformationsprozesse gerade im Wechselspiel von weithin ungeplant gewachsenen urbanen Architekturen und deren visueller Erschließung. An wenigen Netzwerkbildungen lässt sich dies deutlicher zeigen als am Londoner Verkehr, von dessen Synchronisationen in Zeit und Raum das folgende Kapitel erzählt. 7 Verkehr. Karte, Netz und Synchronisation um 1930 Man muss sich Frank Pick als glücklichen, wenn auch überarbeiteten Menschen vorstellen. Als er 1908 mit der Öffentlichkeitsarbeit für die Bahnen des Londoner Underground beauftragt wurde, ahnte niemand, dass der junge Jurist und Statistiker das öffentliche Antlitz der Stadt für immer verändern würde. Pick (1878−1941) hat als ambitionierter Publicity Manager durch seine geschickte Auftragspolitik Verkehrs-, Architektur-, Design- und Kunstgeschichte geschrieben. Er sorgte für eine räumliche Umgestaltung der Stationen mit klar sichtbaren Namens- schildern und mehr Platz für die Plakate der Bahngesellschaften. Seiner Intervention verdankt sich die Einführung der Underground Railways Sans als einheitlicher Schrift ab 1916 und die Vereinheitlichung des rotweißen Diskus mit dem blauen Querbalken. Vor allem aber setzte Pick auf das Plakat als Werbemedium – eine Entscheidung, die der grafischen Avantgardekunst in England einen prominenten Platz ver- schaffte. Kubismus, Futurismus, Vortizismus und Bauhaus wurden an den Plakatwänden des Underground zum öffentlichen Gut. Picks mitunter als wohlmeinend diktatorisch wahrgenommener Ge- staltungsanspruch machte auch vor der Architektur nicht halt, sondern integrierte sie in das gesamte Corporate Design des Londoner Verkehrs: Die ebenso funktionellen wie eleganten Zwischenkriegsbauten Charles Holdens wurden Teil eines detailverliebten Gesamtkonzeptes, das selbstbewusst auf Modernität und Effizienz setzte.1 Die Karriere Frank Picks wurde gekrönt durch seine Ernennung zum Managing Director 1 Vgl. zu Picks Biografie ausführlich Christian Barman: The Man Who Built London Transport. A Biography of Frank Pick. Newton Abbot; London; North Pomfret: David & Charles, 1979; Oliver Green: Underground Art. London Transport Posters 1908 to the Present. 2. Aufl. London: Laurence King Publishing, 2001, S. 8 f. Vgl. zum binneneuropäischen kulturellen Transfer z. B. Ulrike Weber: »Building the Tube. Zur Londoner Rezeption der Berliner U- und S-Bahnhöfe in den 1920er / 30er Jahren«. In: Berlin über und unter der Erde. Alfred Grenander, die U-Bahn und die Kultur der Metropole. Hrsg. von Aris Fioretos. Berlin: Nicolaische Verlagsbuchhandlung, 2006, S. 88−95. 262 Karte, Netz und Synchronisation um 1930 der Untergrundbahnen 1928 und zum Chairman des 1933 begründeten London Passenger Transport Board. Man darf sich Henry Charles Beck nicht als unglücklichen Men- schen vorstellen, auch wenn er seine Existenz in den 1920er Jahren vor allem mit unstetiger Zeitarbeit sichern musste. Ab 1925 arbeitete Beck (1902−1974), der von seinen Freunden Harry genannt wurde, als Zeichner im Signal Engineer’s Office der Londoner Bahnen. Seine Engagements, während deren er als Gebrauchsgrafiker Bilder von der Illustration im Hausmagazin bis zur Werbeanzeige gestaltete, waren nur temporär. Den Entwurf für die berühmte Tube Map, von deren Geschicken in diesem Kapitel die Rede sein wird, skizzierte er 1931, arbeitslos, auf eine Doppelseite seines Übungsbuches (Abbildung 7.4). Nach einer erneuten Anstellung forderten Becks Zeichnerkollegen ihn auf, sein Design an das Publicity Department zu übermitteln. Die Öf- fentlichkeitsarbeiter, denen Frank Pick vorstand, lehnten seine Arbeit als »zu revolutionär« ab.2 Ein Jahr später überarbeitete Beck seine Zeichnung und stieß auf etwas bessere Resonanz. Pick blieb skeptisch gegenüber der Tube Map, ließ sie aber mit hohem Risiko im Januar 1933 in einer Auflage von 750.000 Stück drucken. Im Februar folgten weitere 100.000 Exemplare. Harry Beck erhielt dafür fünf Guineen, also den Gegenwert von ledig- lich etwa sieben Euro für eine Arbeit, deren Grundform während einer Zeit der Arbeitslosigkeit entstand. Seine Beschäftigung wurde weniger unstetig, auch wenn er als Freelancer mit Vertrag nie den Status der fest angestellten Mitarbeiter bekam. Im Gegenzug zur Überschreibung seines Copyrights bestand Henry Charles Beck darauf, alle Änderungen am Netz selbst in sein Design zu integrieren.3 Die wiederholte Weigerung von London Transport, ihm dieses Recht zuzugestehen, verbitterte Beck. Er geriet bis in die 1990er Jahre hinein in Vergessenheit. Wie aber darf man sich das Bahnfahren underground in London um 1930 vorstellen? Und welche Veränderungen brachten Picks und Becks Neuerungen mit sich? Das folgende Kapitel versucht die Flüchtigkeit des städtischen Verkehrs, der in den 1920er Jahren zum Wahrnehmungs- 2 Vgl. hierzu Becks eigene Aussage in Ken Garland: Mr Beck’s Underground Map. Harrow Weld, Middlesex: Capital Transport Publishing, 1994, S. 17. 3 Brief an Christian Barman, Publicity Office, 2. Juni 1938. Vgl. Garland: Mr Beck’s Under- ground Map, S. 32. Henry Charles Beck zeichnet die Metropole 263 modell wurde, anhand ihrer materiellen Medienkultur zu fassen.4 Die Protagonisten heißen hier nicht zuerst Frank Pick oder Harry Beck, auch wenn beide eine große Rolle spielen. Hier stehen Teile einer ›ano nymen Geschichte‹5 nebeneinander – tagtägliche Passagiere, große Menschenmengen, städtische Ereignisse, Fahrscheine, Metropläne, Stationsarchitekturen, Stechuhren für Züge, überschriebene Fahrplä- ne, Verspätungsdiagramme, Stellwerke, staatliche Reorganisation von Infrastruktur, Filmfragmente und literarische Abkürzungen. Kurzum gefragt: Was mobilisiert ein Netz, mit dem man sich bewegen kann? Anhand von Becks Karte lässt sich zeigen, wie die urbane Raumwahr- nehmung auf Knoten und deren Verbindungen abgestellt wird. Sie stellt ebenso ein Element der Netzwerkgeschichte des 20. Jahrhunderts dar, in der Netzwerke immer stärker verzeitlicht werden. Den Fluktuationen des Verkehrs setzt man Kulturtechniken der Synchronisation entgegen. 7.1 Raum. Henry Charles Beck zeichnet die Metropole If you’re going underground, why do you need to bother about geography? It’s not so important. Connections are the thing.6 Henry Charles Beck London im Jahr 1891. Der deutsche Ingenieur Ludwig Troske schreibt über die seit 1863 verkehrende, dampfbetriebene erste Untergrundbahn: »Für den Fremden ist der Verkehr auf den unterirdischen Linien anfangs nicht sonderlich behaglich. Es gehört auch hier eine gewisse Uebung und Gewöhnung dazu, um sich leicht und schnell zurechtzufinden. Ist man aus der hellen Tagesluft unten auf der matt erleuchteten Station angelangt, so sucht sich das Auge zunächst an die neue Umgebung zu 4 Siegfried Kracauer nannte seine Gegenwart schlicht und treffend »Zeitalter des Verkehrs«. Siegfried Kracauer: Die Angestellten. Aus dem neuesten Deutschland. stb 13. Frankfurt am Main: Suhrkamp, 1971 [1929], S. 97. Vgl. auch Lethen: Verhaltenslehren der Kälte. Lebensversuche zwischen den Kriegen, S. 44 f.; Roskothen: Verkehr, S. 65 ff. Vgl. zudem Anette Schlimm: Ordnungen des Verkehrs. Arbeit an der Moderne – deutsche und britische Verkehrsexpertise im 20. Jahrhundert. Histoire. Bielefeld: transcript, 2011; Christoph Neu- bert und Gabriele Schabacher, Hrsg.: Verkehrsgeschichte und Kulturwissenschaft. Analysen an der Schnittstelle von Technik, Kultur und Medien. Kultur- und Medientheorie. Bielefeld: transcript, 2012. 5 Vgl. Sigfried Giedion: Die Herrschaft der Mechanisierung. Ein Beitrag zur anonymen Ge- schichte. Frankfurt am Main: Büchergilde Gutenberg, 1983 [1948]. 6 So Harry Beck in einem Gespräch mit Ken Garland, von Garland in einer BBC-Sendung Design Classics von 1994 nacherzählt, zitiert nach Janin Hadlaw: »The London Underground Map. Imagining Modern Time and Space«. In: Design Issues 19.1 (2003), S. 25−35, hier S. 32. 264 Karte, Netz und Synchronisation um 1930 gewöhnen. […] Wohl führen diese verschiedenen Züge bestimmte Un- terscheidungsmerkmale vorn an den Lokomotiven, […] allein bei dem trüben Stationslicht und dem verhältnismässig schnellen Einlaufen der Züge helfen derartige Zeichen nur dem Kundigen. Sehr bald gewöhnt sich jedoch auch der Fremde an diesen eigenartigen Betrieb und lernt die verschiedenen Hilfsmittel für das Auffinden des richtigen Zuges kennen und anwenden. Mit Hilfe einer Karte des Londoner Eisenbahnnetzes findet er dann auch im Zuge leicht seine Aussteigestation.« Nicht nur das Einsteigen, auch der Ausstieg am Zielort erfordere Konzentration, »denn das vorgeschriebene Ausrufen der Stationsnamen ist häufig un- verständlich. Ansonsten ist der Stationsname lediglich in kleiner Schrift auf einigen Laternen angebracht«. Beschriftungen an den Wänden gehen im knalligen Gewimmel der Reklameaufschriften unter.7 London im Januar 1933. London Transport – ein Konglomerat von sechs Eisenbahnlinien in fünf börsennotierten Eisenbahngesellschaf- ten – lässt eine neue Karte der ab 1890 nach und nach elektrifizierten Tube drucken. Auf der Rückseite steht neben einem Verzeichnis der Sta- tionsnamen die höfliche Aufforderung im typischen Kommunikationsstil der Öffentlichkeitsarbeit von Frank Pick: »Ein neues Design für eine alte Karte. Wir heißen Ihre Kommentare willkommen.« (Abbildung 7.1) Während die Kommentare des Londoner U-Bahn-Publikums größ- tenteils verschollen sind, hat die Verwandlung einer topografisch ori- entierten Karte (Abbildung 7.2) in ein topologisches Diagramm immer wieder wissenschaftliche Annäherungen provoziert. So wurde die gewandelte Tube Map kunst- und designhistorisch im Umfeld des Konstruktivismus verortet und mit Roland Barthes als Mythe des Alltags verstanden.8 Die aktuelle Forschung sieht die Karte gern als ›bewegliche Fixierung‹ im Sinne Bruno Latours.9 Dabei werden aber zumeist die Praktiken des U-Bahnfahrens und der Organisation urbanen Transports in den 1920er und 1930er Jahren außer Acht ge- lassen. Eher schon wird die in der Tube Map verdichtet erscheinende, 7 Ludwig Troske: Die Londoner Untergrundbahnen. Sonder-Abdruck aus der Zeitschrift des Vereines deutscher Ingenieure 1891 und 1892. Berlin: Julius Springer, 1892, S. 63. Vgl. auch Rainer Schipporeit: »Eisenbahn unter der Erde. Die erste U-Bahn«. In: Am Anfang war das Rad. Eine kleine Geschichte der menschlichen Fortbewegung. Hrsg. von Peter Kemper. Frankfurt am Main: Insel, 1997, S. 160−172, hier S. 169 f. 8 Vgl. Hadlaw: »The London Underground Map«. 9 Vgl. Janet Vertesi: »Mind the Gap. The London Underground Map and Users’ Representa- tion of Urban Space«. In: Social Studies of Science 38.1 (2008), S. 7−33; im Anschluss an Latour: »Visualisation and Cognition: Drawing Things Together«. Henry Charles Beck zeichnet die Metropole 265 abb . 7 .1: Henry Charles Beck: Tube Map. Gedruckt bei Waterlow & Sons Ltd., London, Dunstable, Watford. Farblithografie, erste Auflage Januar 1933. 22,8 x 16 cm. [Siehe Farbtafel XIV] modernistische Maschinenimagination einer geordneten Raumzeit her- vorgehoben.10 Damit geht die Entdeckung ihres lange vergessenen Desi- gners einher. Die Erinnerungskultur der britischen Eisenbahner hat nach einem geflissentlichen Unterschlagen von Henry Becks Urheberschaft in den letzten 25 Jahren zu einer Popularisierung und Rehabilitierung geführt.11 Viele wissenschaftliche Annäherungen, inklusive meines ei- genen Versuchs, sind Teil genau jener Erinnerungskonjunktur. Sie folgt 60 bis 80 Jahre nach einem Ereignis – also zu jenem Zeitpunkt, an dem 10 Vgl. Paul Elliman: »Signal Failure«. In: Else / Where: Mapping. New Cartographies of Net- works and Territories. Hrsg. von Janet Abrams und Peter Hall. Minneapolis: University of Minnesota Press, 2006, S. 166−175, hier S. 175, zum Status der Tube Map als Ikone von Netzwerkeffizienz und als Metapher der Stadt als elektrifizierter Maschine. 11 Am deutlichsten wird dies in Garland: Mr Beck’s Underground Map. Zur Geschichte von London Transport vgl. allgemein Theodore Cardwell Barker und Michael Robbins: A History of London Transport. Passenger Travel and the Development of the Metropolis. Bd. II. London: George Allen & Unwin, 1974, und Desmond Felix Croome und Alan Arthur Jackson: Rails through the Clay. A History of London’s Tube Railways. Harrow Weld, Middlesex: Capital Transport Publishing, 1993. Eine diagrammatische Geschichte des Metronetzes liefert Douglas Rose: The London Underground. A Diagrammatic History. 7. Aufl. Harrow Weld, Middlesex: Capital Transport Publishing, 2000. 266 Karte, Netz und Synchronisation um 1930 abb . 7 .2: Frederick H. Stingemore: Underground Railways of London. Ge- druckt bei David Allen Printing Co., London. Farblithografie, 1932. 14 x 16,6 cm. [Siehe Farbtafel XV] selektive Erinnerungspotenziale des kommunikativen Gedächtnisses für das kollektive Gedächtnis aktiviert werden können.12 Folgt man den Spuren des späten Triumphs von Mr. Beck, so ver- schiebt sich der Blick von der geometrischen Übersichtlichkeit der Karte auf historische Kontingenzen und Widersprüche. Bekannt ist, dass Becks Kollegen in der Gebrauchsgrafik von London Transport die spezifische Ästhetik der Tube Map mit elektrischen Schaltplänen verglichen. Über diese Zuschreibung hat er sich selbst im März 1933 mit einer Karikatur lustig gemacht, die als Beitrag zum internen Train, Omnibus and Tram Staff Magazine erschien (Abbildung 7.3). Während darin die Themse als Logarithmenkurve fungiert, herrscht bei der Bank of England hohe Spannung, das British Museum wird 12 Vgl. Jan Assmann: Das kulturelle Gedächtnis. Schrift, Erinnerung und politische Identität in frühen Hochkulturen. 6. Aufl. München: Beck, 2007, S. 48 f. Henry Charles Beck zeichnet die Metropole 267 abb . 7 .3: Henry Charles Beck: The Underground »Straight Eight« All-Electric Skit-Set Circuit Diagram. Zeichnung im Train, Omnibus and Tram Staff Magazine, März 1933. zum »Wonder plug«, und da wie bei Radioschaltplänen eine Antenne anstatt der Piccadilly Line integriert ist, darf auch eine Erdung im Sü- den nicht fehlen. Man kann die Schaltplanthese bei allem Spaß noch weiter zuspitzen: Die Tube Map bedient sich einer Zeichenform, die auf die Praktiken der Zugleitung und der Bedienung von Stellwerken zurückgreift und damit auch sehr spezifische Synchronisationstechniken integriert, von denen noch die Rede sein wird. Der Verzicht auf topografische Genauigkeit des Maßstabs zeigt sich auch am letzten Oberflächendetail, der in stark abstrahierter Form als Naturmarke integrierten Themse. Der konsequente Einsatz von 45°-Win- keln, verlieh dem Netz eine bisher unbekannte systemische Regelmäßig- keit. Andererseits erfüllte die Tube Map ein mathematisches Kriterium für ein Netz, um es gleich wieder ob der gelungenen Infografik zu unterlaufen: Die Winkel müssen nicht mit der realen Geografie übereinstimmen, die Länge der Linien ebenso wenig.13 Hinzu kam der grafische Clou, die 13 Vgl. auch Kapitel 6 dieses Buches. 268 Karte, Netz und Synchronisation um 1930 Einzelstationen ohne Umsteigemöglichkeiten nicht mehr als Kreis, son- dern durch kleine Anstriche (ticks) darzustellen. Beck integrierte auch eine bereits bekannte Technik, um die Peripherie näher an das Zentrum heranrücken zu lassen: Abstände in Central London werden vergrößert, Distanzen zwischen vorstädtischen Stationen – dem sogenannten Metro- land – gerafft. In der grafischen Darstellung entsprechen die Abstände nicht der realen Dichte.14 Diese Annäherung des Umlandes folgt der Veränderung gesellschaftlicher Verteilung im Stadtraum: Ab Ende des 19. Jahrhunderts ordneten sich durch den billigen Massenverkehr soziale Strukturen neu, da Wohnraum außerhalb des Londoner Zentrums auch für die ärmeren Schichten erschwinglich wurde.15 Im Ganzen ist die Tube Map Indiz eines Aufschwunges topologischer Raumauffassungen, den sie selbst mit befördert: Topografie wird im Falle Londons zu einer spezifischen Form von Topologie, in der die flüchtige Relationalität der Verkehrsströme geometrisch versachlicht wird.16 Für deren Konstitution spielt das Kästchenpapier der ersten Skizze eine ebenso große Rolle wie Harry Becks Einbezug der Geografie im Zeichen ihrer – vermeintlichen – Auslassung. So lässt sich anhand des Auftrags von weißer Korrekturflüssigkeit auf der ersten Zeichnung erkennen, wie Geometrisierung und geografische Verortung im Widerstreit stehen (Abbildung 7.4). Innerhalb dieser Verschiebung tritt eine relationale, konstruktive Setzung an die Stelle des geografischen Messens und der mimetischen Wiedergabe. 14 Harry Beck beschreibt dies wie folgt: »Ich versuchte mir vorzustellen, dass ich eine konvexe Linse oder einen Spiegel benutze, um so das zentrale Gebiet in einem größeren Ausmaß präsentieren zu können.« Garland: Mr Beck’s Underground Map, S. 17. 15 Vgl. Sennett: Fleisch und Stein, S. 410 f. 16 Die deutschsprachigen kultur-, bild- und medienwissenschaftlichen Forschungen der letzten Jahre gehen davon aus, dass es keine letztgültige Form einer Topologie gibt, sondern eine vielfältige, heterarchisch-relationale Diagrammatik, die historisch in ihren Differenzen zu beschreiben ist. Während in der Wissenschaftsgeschichte der Mathematik seit Mitte des 19. Jahrhunderts nicht-euklidische, grafisch nicht mehr darstellbare Räume eine immer grö- ßere Rolle spielen, etablieren viele topologische Formen andere Topografien, die sich an der Materialität des dreidimensionalen Raumes abarbeiten. Vgl. hierzu die Beiträge in Stephan Günzel, Hrsg.: Topologie. Zur Raumbeschreibung in den Kultur- und Medienwissenschaften. Bielefeld: transcript, 2007, und Wolfram Pichler und Ralph Ubl, Hrsg.: Topologie. Falten, Knoten, Netze, Stülpungen in Kunst und Theorie. Wien: Turia und Kant, 2009. Man kann auch annehmen, dass sich wissenschaftsintern das Interesse an Topologien als eine Folge des topographical turn konstituiert. (Vgl. Sigrid Weigel: »Zum ›topographical turn‹. Karto- graphie, Topographie und Raumkonzepte in den Kulturwissenschaften«. In: Kulturpoetik 2 (2002), S. 151−165; Hartmut Böhme, Hrsg.: Topographien der Literatur. Deutsche Literatur im transnationalen Kontext. Stuttgart; Weimar: Metzler, 2005; Robert Stockhammer, Hrsg.: Topographien der Moderne. Medien zur Repräsentation und Konstruktion von Räumen. München: Fink, 2005). Zu Schwellen und Übergängen zwischen literarischer Topografie und literarischer Topologie vgl. anhand von Kafka exemplarisch Vogl: Über das Zaudern, S. 75 f. Henry Charles Beck zeichnet die Metropole 269 abb . 7 .4: Henry Charles Beck: Erste Skizze zur Tube Map auf kariertem Papier. Bleistift und Tinte im Notizbuch, 1931. 19 x 24,1 cm. Heute im Vic- toria & Albert Museum London, Nr. E.814−1979. [Siehe Farbtafel XVI] Die Tube Map importiert die Ästhetik ost- und mitteleuropäischer Kun- stavantgarden, vom Konstruktivismus bis zum Bauhaus. Frank Picks Popularisierungsstrategie neuer Kunst für den öffentlichen Raum übt wiederum auf Künstler wie Man Ray und László Moholy-Nagy einen großen Reiz aus. Beide legen in den 1930er Jahren spektakuläre Plakat- arbeiten für London Transport vor.17 Moholy-Nagy gestaltet im selben Zeitraum auch eine Weltnetzkarte für die Fluglinie Imperial Airways, die Becks topologische Ästhetik der Anschlüsse auf den Luftverkehr überträgt und parallel zur topografischen Karte setzt. Zum Beck-Fieber, das sich bis in aktuelle Reiseführer – »We’d be lost without Harry Beck«18 – ausgebreitet hat, gehört auch die wieder- 17 Siehe Green: Underground Art, S. 77, für Man Ray und Achim Borchardt-Hume, Hrsg.: Albers and Moholy-Nagy – from Bauhaus to the New World. London: Tate Publications, 2006 für Moholy-Nagy, S. 58, S. 64. 18 Sarah Johnstone und Tom Masters: London City Guide. Melbourne; Oakland; London: Lonely Planet Publications, 2006, S. 34. 270 Karte, Netz und Synchronisation um 1930 holte Betonung, dass wir es mit einer Entwicklung von der Karte zum Diagramm zu tun hätten. Das ist eine zu starke Verallgemeinerung. Schließlich kann man im Anschluss an Nelson Goodman sagen, dass alle Karten als geometrische Figuren bereits Diagramme sind, aber nicht alle Diagramme Karten darstellen.19 Auch in ihrer diagrammatischen Form bleibt Becks Erfindung eine Karte für die alltägliche Navigation, obwohl »the DIAGRAM« in den Beschreibungen der Tube Map gerne groß ge- schrieben wird. Dies verrät aber noch nicht, dass auch die Praktiken des Eisenbahnbetriebs um 1930 massiv von diagrammatischen Techniken durchsetzt sind. Für die Geschichte der Netzwerke wirft dies die Frage auf, wie Raumformen und Zeiten von Verkehrsnetzen durch Diagramme zwischen Bild, Schrift, Zahl, Weg und Zeit konstituiert werden. Dabei erweist sich die Herstellung von normierter Gleichzeitigkeit der Uhren und die Synchronisierung von Verkehrsströmen als eine der zentralen Bedingungen für das Gelingen netzwerktypischer Anschlüsse im Switching der umsteigenden Passagiere. Die abstrakte Ästhetik der Tube Map, die als Stadtnotation das U-Bahnnetz Londons neu orga- nisiert, entwirft ein perfekt getaktetes Netzwerk, das auch die übrigen Verkehrsmittel anschließen und einschließen soll. Mit diesem verbindet sich im Falle Londons eine Form stets angestrebter, wenn auch unmög- licher Synchronisation auf zeitlicher wie auf sozioökonomischer Ebene. Adressiert wurden durch Becks Karten folgende Phänomene: Erstens stehen sie im Kontext des Zusammenschlusses fünf eigenständiger, je- weils börsennotierter, notorisch zerstrittener Eisenbahngesellschaften, die sechs innerstädtische Linien betreiben. Ab dem 1. Juli 1933 bilden sie als London Passenger Transport Board einen Verkehrsverbund. Das Chaos der verschiedenen Bahnen und Preise lässt sich anhand der vielfältigen Fahrkarten aus dem ersten Drittel des 20. Jahrhunderts erahnen.20 Die Sehnsucht nach einem »Penny Transport«, analog zu Rowland Hills Einführung des postalischen Einheitsportos in den 1840er Jahren, durchzieht die Kulturgeschichte der Londoner Bahnen.21 19 Nelson Goodman: Sprachen der Kunst. Entwurf einer Symboltheorie. stw 1304. Frankfurt am Main: Suhrkamp, 1995, S. 163 f. Das Verhältnis von Diagrammatik und Topografie ist durch eine solche Auffassung nur unscharf erfasst. Vgl. zur Kritik Siegert: »Repräsentationen diskursiver Räume«, S. 4. 20 Siehe z. B. Barker und Robbins: A History of London Transport, zwischen S. 352 und 353. 21 Vgl. den frühen Bericht »The Metropolitan Railway« von Henry Mayhew aus dem Jahr 1865, in: Tobias Döring, Hrsg.: London Underground. Poems and Prose about the Tube. Stuttgart: Reclam, 2003, S. 14−34, speziell S. 29 f. London Transport – Synchronisation entlang der Linie 271 Zweitens führt die Tube Map ein ikonisches Design fort, das mit der Einführung des diskusförmigen Logos ab 1908 und der 1916 vor- gelegten, seit 1918 einheitlich verwendeten Hausschrift Underground Railways Sans von Edward Johnston begonnen hat und vor allem durch London-Transport-Direktor Frank Pick vorangetrieben wurde.22 Drit- tens ermöglicht die Karte Bewegungen von Passagieren, insbesondere beim Umsteigen zwischen Stationen, dessen grafische Repräsentation und Steuerung Beck mehr als alles andere bis an sein Lebensende be- schäftigt hat.23 Zudem adressiert sie viertens den im Bereich der Zeit- messung und Regelungstechnik schon fortgeschrittenen Versuch der raum-zeitlichen Synchronisation über die Erfordernisse der einzelnen Bahnlinie hinweg. 7.2 Zeit. London Transport – Synchronisation entlang der Linie [L]a forme d’une ville / Change plus vite, hélas, que le cœur d’un mortel.24 Charles Baudelaire, Tableaux Parisiens Szenario 1. Papier – Hand – Telefon Während im England des 19. Jahrhunderts die optischen Kontrollsi- gnale, Charles Wheatstones Five-Needle Telegraph und die englischen Dampfeisenbahnen einen veritablen Medienverbund zur Koordination des Zugverkehrs bildeten, stellen sich für den Betrieb einer städtischen Bahn gänzlich andere Anforderungen. Der Überlandverkehr forderte quasi zwingend die Einführung einer Standardzeit auf Basis des Fahr- plans.25 Im urbanen Umfeld ist hingegen vor allem die Handhabung einer hohen Zugfrequenz entscheidend. Der Impuls zur »Elektromecha- nung« (Jan Tschichold) ging zwar von den langen Eisenbahnstrecken aus. In den beschleunigten Taktungen des städtischen Raums wurde die elektromechanisch vernetzte Steuerung aber umso wichtiger. 22 Vgl. zu den institutionellen Hintergründen David Leboff und Tim Demuth: No Need to Ask! Early Maps of London’s Underground Railways. Harrow Weld, Middlesex: Capital Transport Publishing, 1999, S. 44. Zur Ikonografie des Logos siehe Barker und Robbins: A History of London Transport, S. 179. Siehe Garland: Mr Beck’s Underground Map, S. 21, zur Hausschrift. 23 Siehe Garland: Mr Beck’s Underground Map, S. 68 ff. 24 Charles Baudelaire: »Le Cygne / Der Schwan«. In: Sämtliche Werke in 8 Bänden. Bd. 3. Frankfurt am Main: Zweitausendeins, 1995 [1857], S. 226−231, hier S. 228. 25 Vgl. Elliman: »Signal Failure«, S. 172. 272 Karte, Netz und Synchronisation um 1930 Das Verfolgen des Zugverlaufs kennt dabei drei apparative Szenarien der Synchronisation, die teils einer Speicherung auf Papier, teils des Lampenblinkens auf einem illuminated diagram bedürfen. Zur Allianz von Telegraf und Eisenbahn tritt, nach anfänglicher Skepsis der Betreiber, immer mehr das Telefon hinzu. In der Railway Gazette – dem zeitgenössischen englischen Fach- blatt – finden sich vielfältige Beispiele für die Verschaltung von zentra- lisierter automatischer Telefonvermittlung, Stellwerk und Bewegungs- kontrolle, darunter die Steuerungsräume der Überlandbahnen. Eine Fotografie aus dem Jahr 1932, die den Kontrollraum der London & North Eastern Railway in Darlington, zwischen Durham und York, zeigt, erlaubt einen Blick auf die Praktiken der Bewegungsaufzeichnung (Abbildung 7.5).26 abb . 7 .5: Kontrollraum der London & North Eastern Railway mit grafischer Aufzeichnung des Zugverlaufs links, Darlington 1932. Der Zugverkehr wird hier mittels einer von Hand aufgezeichneten Linie kontrolliert, deren Schreibunterlage im Fachjargon einfach »Graph« genannt wird. Auf einem Blatt Papier mit vertikaler Unterteilung in Stunden und Minuten wird mit jeder Meldung von der Strecke eine Eintragung »in Relation zu Zeit und Ort«27 vorgenommen, so dass sich 26 Vgl. Anonymous: »Centralised Control of Railway Traffic«. In: The Railway Gazette and Railway News, 22. Januar 1932, S. 106−107, S. 115. 27 Ebd., S. 107. London Transport – Synchronisation entlang der Linie 273 schließlich eine durchgezogene (continuous) Linie ergibt. Vor diesem Hintergrund ist die topologische Form von Becks Karte der Büroar- beit der täglichen Zugleitpraxis verwandt. Beide verdanken sich der Vermittlung durch ein angepasstes Koordinatensystem. Die Tube Map gehorcht nicht nur typografisch-ästhetischen Gesichtspunkten, sondern entsteht in einem Umfeld, das den Bahnbetrieb durch genormte Auf- schreibesysteme gewährleistet. Szenario 2. Pneumatik – Hebel – elektrischer Impuls An einem zehnminütigen, im zweiten Teil nur fragmentarisch erhal- tenen Schulungsfilm aus dem Jahr 1921, lässt sich die Komplexität der Steuerung städtischer Bahnen zeigen. Signalling on the Ealing and Shepherd’s Bush Railway inszeniert im Rhythmus von Zwischentiteln und dokumentarischem Material die vorzügliche Reibungslosigkeit der Verwendung mechanischer und elektrischer Steuerung.28 Jenseits der filmischen Störungen in der zweiten Hälfte – es wird abrupt geschnit- ten, und Zwischentitel kündigen Filmmaterial an, das niemals gezeigt wird – präsentiert er im linearen Hintereinander die Details des manu- ellen Weichenstellens. Auffällig ist dabei die Tendenz zur Nutzung des fahrenden Zuges als Quasi-Selbstschreiber, der durch seine Bewegung beim Überfahren von Hebeln Signale auslöst. Mit der Passage wird nicht nur der Signalarm zurückgestellt, sondern die gerade eben eingenom- mene Position des Zuges innerhalb eines Gleisabschnitts wird in einem erleuchteten illuminated diagram sichtbar (Abbildung 7.6). Der entsprechende Zwischentitel des Films lautet: »Beleuchtetes Diagramm informiert den Stellwerkswärter über die Position aller Züge«. Hinter dieser einfachen Aussage verbergen sich aber einige unausgesprochene Widersprüche. Im weiteren Filmverlauf wird nur gezeigt, wie die Weichenstellung an die Signalkabine übermittelt wird. Selbst wenn man davon ausgeht, dass nicht nur die elektropneumatisch betriebenen Weichen zur Rückkopplung des aktuellen Zustand benutzt wurden, wird nicht mehr als eine eben vergangene Zugbewegung in einer nicht definierten Geschwindigkeit signalisiert.29 28 Signalling on the Ealing and Shepherd’s Bush Railway, 1921. London Transport Museum, Film Collection, Nr. 121. 29 Vgl. John Pattinson Thomas: Handling London’s Underground Traffic. London: London’s Underground, 1928, S. 83. 274 Karte, Netz und Synchronisation um 1930 abb . 7 .6: Illuminated diagram zur Lokalisierung von Zügen. Digitaler Filmstill aus Signalling on the Ealing and Shepherd’s Bush Railway, 1921 [2007]. Dieser Form von zeitlicher Unsicherheit – Norbert Wiener wählt in seiner regelungstechnischen Programmschrift Cybernetics bezeichnen- derweise Eisenbahnsignale und -weichen als Beispiel für mechanisches Feedback30 – arbeiten die Eisenbahner entgegen, ohne ihr je ganz ent- kommen zu können. »Je weniger Signale, desto weniger Züge« – dieses Fazit provoziert den Ausbau der Signalanlagen, um durch geringere Abstände eine höhere Zugfrequenz zu gewährleisten.31 Es ist gerade die Zuggeschwindigkeit, die der stärksten Kontingenz unterworfen ist, weil sie diese selbst produziert. Das bewegte Objekt verstärkt die Notwendigkeit der zeitlichen Synchronisation. Vor diesem Hintergrund verwundert es nicht, dass nach dem Ersten Weltkrieg massiv mit der statistischen Vermessung von Zugfrequenzen und -verspätungen unter Berücksichtigung der Zughalte begonnen wird.32 Technisch nutzt die meist von Westinghouse gelieferte britische Ei- senbahnausrüstung der 1920er Jahre Unterscheidungen zwischen zwei oder drei Zuständen, wobei »clear« und »danger«, »on« und »off« die gebräuchlichsten Formen darstellen. Die optischen Signale mit ihren ge- nau drei Winkeln von 0, 45 und 90 Grad lassen erahnen, woher Harry 30 Vgl. Wiener: Cybernetics or Control and Communication in the Animal and the Machine, S. 98. Herzlichen Dank an Lasse Scherffig für den Hinweis. 31 Thomas: Handling London’s Underground Traffic, S. 58. 32 Siehe Thomas: Handling London’s Underground Traffic, S. 55 f. Dies ist Teil eines ausge- prägten und länderübergreifenden Rationalisierungsdiskurses. Vgl. Schlimm: Ordnungen des Verkehrs, S. 43 f. London Transport – Synchronisation entlang der Linie 275 Becks Plan seine spezifische Geometrisierung erhalten haben mag. In den Tunneln des London Underground nützen optische Signalgeber hingegen wenig, so dass dort nur Ampeln mit zwei Farben eingesetzt werden. Der Code »fahren« / »nicht fahren« ist vor allem dort anwendbar, wo Eisenbahnen mit derselben Geschwindigkeit und vergleichbarer Be- und Entschleunigung fahren. Eisenbahnhistorisch ist diese binäre Unterschei- dung vermutlich aus den in London bitter notwendigen Nebelwarnern entstanden, sogenannten fog repeaters, welche wiederum die älteren akustischen Warnungen durch einen Nebelausrufer (fog man) ersetzt haben.33 So hat die Entscheidung zwischen »ein« und »aus« einen ganz materiellen, wenn auch diffusen Grund: Nebel und Nicht-Nebel. Die medial übertragene An- und Abwesenheit der Züge spielten eine entscheidende Rolle für deren Fernsteuerung. Auch in den raffinierten Speichervorgängen der U-Bahnuhren, die in der dichten unterirdischen Zugfolge eine ganz eigene Form von Netzwerkzeit konstituieren, spie- geln sich diese fortwährenden flüchtigen Momente. Szenario 3. Papier – Uhren – Netzwerkzeit Was passiert, wenn eine Untergrundbahn Verspätung hat? Wie geht man um 1930 mit dem erhöhten Fahrgastaufkommen an den Londoner Fußballsonntagen um? Die Mess-, Steuerungs- und Korrekturvorgän- ge generieren Verspätungsdiagramme, überschriebene Fahrpläne und ausgefüllte Störungsmeldungen für Signalanlagen. Am Beispiel eines umgearbeiteten Fahrplans aus dem zeitgenössischen Handbuch Handling London’s Underground Traffic von 1928 lässt sich der Umgang mit Fluk- tuation, Asynchronität und Resynchronisierung zeigen (Abbildung 7.7). In der einzigen Farbreproduktion des Bandes wird eine geringfü- gige Veränderung in der Zugplanung der District Railway demons- triert – nicht zufällig, denn über die grün ausgezeichnete District Line erreichen die Fußballfans bis heute die Stadien von West Ham und Chelsea. Die frühmorgendlichen Zeiten sprechen in diesem Fall aller- dings nicht für einen samstäglichen Sonderfahrplan, sondern offen- baren innerhalb der Korrekturen die Komplexität der Abstimmung: Züge müssen an sonst nicht angefahrenen Stationen halten. Zudem ist die Linie in London oftmals nicht linear, sondern integriert mehrere Anfangspunkte. Die Bahnen der District Line starten sowohl in Ealing 33 Vgl. Thomas: Handling London’s Underground Traffic, S. 82 ff. 276 Karte, Netz und Synchronisation um 1930 abb . 7 .7: Angepasster Fahrplan nach Veränderungen des Zugintervalls auf der District Line, ca. 1928. [Siehe Farbtafel XVII] Broadway als auch in Richmond und Wimbledon. Damit werden die »Einmündepunkte« hinter Gunnersbury und West Kensington potenziell zu Flaschenhälsen. Ohne die Alltagskenntnis dieser Zeit und das Wissen um die Konkurrenzsituation zwischen den einzelnen Linien bleibt der Fahrplan fast unlesbar. John Pattinson Thomas, Operating Manager und Autor von Handling London’s Underground Traffic beschreibt dieses Szenario folgendermaßen: Innerhalb der verschiedenen Routen, die von den Zügen der District Railway abgedeckt werden, gibt es zehn Verzweigungen. Ein Zug kann z. B. in Wimbledon verspätet sein, was an ungenügenden Nebelwarnein- richtungen oder Überfüllung liegen kann. Zu dem Zeitpunkt, da er Earl’s Court erreicht, hat er seinen Verkehrsweg verpasst und muss am falschen London Transport – Synchronisation entlang der Linie 277 Platz eingeschoben (sandwiched) werden. Dies kann bedeuten, dass er einen Circle-Line-Zug auf der Höhe von South Kensington behindert, wodurch die Züge eine Blockade dieses Flaschenhalses – der eine andert- halbminütige Zugfolge aufweist – verursachen. Eine Einzelschaltung der Signale wird dann vorgenommen. Aus einer anfänglich zweiminütigen Verspätung auf der Verzweigung kann so eine akkumulierte Verspätung von zehn oder zwölf Minuten entstehen.34 Die Eisenbahnerehre gebietet aber eine Einschränkung mit englischem Understatement: »Verspätungen kommen jedoch nur selten vor.«35 Jenseits des Fahrplans muss der Zugintervall aber auch auf der Stre- cke fortwährend getaktet und gespeichert werden. Die maximale Kapa- zität einer Linie ohne Schleife am Ende liegt bei 48 Zügen pro Stunde, die am Endpunkt innerhalb von 75 Sekunden umgedreht werden. Bei idealer Ausstattung der Signalanlagen beträgt der minimale Abstand zweier Züge 54 Sekunden, bei einer angestrebten Standzeit des Zuges von 30 Sekunden.36 Trotz der Möglichkeit einer Fernsteuerung von Zug- beschleunigung und Bremsen über Relais kommt den Zugführern eine entscheidende Funktion in der zeitlichen Koordination zu. In Stationen mit dichtem Verkehr hängt eine automatische Fahrzeugfolgenuhr, die sogenannte headway clock (Abbildung 7.8). abb . 7 .8: Headway clock als Anzeiger der Distanz zum vorherigen Zug, ca. 1928. 34 Thomas: Handling London’s Underground Traffic, S. 74 f. 35 Ebd., S. 73. 36 Ebd., S. 61, S. 86. 278 Karte, Netz und Synchronisation um 1930 Sie wird auf Null gesetzt, sobald die Bahn die Station verlässt. Der nachfolgende Fahrer kann so sehen, wie weit der Zug vor ihm entfernt ist, damit er ihm nicht ohne es zu merken – »unconsciously« – zu nahe kommen kann.37 Die headway clock erlaubt zudem das Festhalten der Zugfolge auf Papier. Mit der so entstehenden headway chart wird eine ganz eigene Art von Underground-Zeit repräsentiert und geschaffen. Jede durch ein Schreibmaschinenband vermittelte Einkerbung steht für einen gefahrenen Zug (Abbildung 7.9). abb . 7 .9: Headway chart als Speicher der Zugfrequenz eines Betriebstages, ca. 1928. Je dichter deren Folge, desto schwieriger wird die unterscheidbare Ein- schreibung auf Papier. Der Eisenbahntag der headway charts hat so eine Länge von etwa 19 Verkehrsstunden. Wenn man diese Speicherform für jede der sechs Linien zusammenführt, entsteht eine genuine Form von vernetzter Zeit. Sie folgt zwar der telegrafischen Synchronisation der Uhren im 19. Jahrhundert, besitzt aber dennoch ihre eigene Spezifik.38 37 Thomas: Handling London’s Underground Traffic, S. 97. 38 Vgl. hierzu Galison: Einsteins Uhren und Poincarés Karten. Die Arbeit an der Ordnung der Zeit, S. 128 ff. London Transport – Netzwerksynchronisation 279 7.3 Zeit. London Transport – Netzwerksynchronisation Die Metro ist kein Ort der Synchronie, trotz der Regelmäßigkeit des Fahrplans …39 Marc Augé Alle Synchronisationsformen entlang der Linie, zu denen auch die Re- gulierung des Ein- und Aussteigens gehört, sagen sehr wenig über die spezifischen Operationen eines Eisenbahnnetzes aus. Mit der elektri- schen Übertragbarkeit können die tayloristischen Eisenbahnstechuhren zu einem wie ein Gemälde gerahmten Train Recording Diagram vereint werden (Abbildung 7.10). abb . 7 .10: Automatisches Train Recording Diagram für das gesamte Londoner Netz, mit elektrischer Übermittlung in Hauptquartier und Kontroll- zentren, ca. 1928. 39 Marc Augé: Un ethnologue dans le métro. 2. Aufl. Paris: Hachette, 2002, S. 45. 280 Karte, Netz und Synchronisation um 1930 Auch hier rotiert die Scheibe mit Uhrengeschwindigkeit, während die aufgezeichneten Zugdurchfahrten die Gleichzeitigkeit des Netzbetriebs indizieren. Das Train Recording Diagram fungiert so als ein historisch vorgelagertes, zeitmessendes und synchronisierendes Äquivalent zur topologischen Tube Map. Seine Anbringung im Kontrollbüro am Leicester Square im Jahr 1928 soll dabei als Muster für die weitere Ausstattung aller Bahndepots die- nen, »so dass das Ingenieurs- und Bedienpersonal sofort und simultan über ein Vorkommnis informiert wird«.40 Ein solcher Wille zur Syn- chronisation ist aber nicht nur für das sichere Betreiben des Verkehrs wichtig, sondern erlaubt auch das pünktliche Ausschalten des Stroms. Ein gleichzeitiges »Strom aus« ist die ökonomische Devise, sobald alle Züge zum Halt gekommen sind. Taktiken. Ein-, Um-, Aussteigen oder: »Connections are the thing« Es gibt noch mindestens eine andere Erzählung der stets angestrebten, aber unmöglichen Synchronisationen innerhalb des Londoner U-Bahn- netzes. Dies wäre die Geschichte des Ein-, Um- und Aussteigens – und dessen akustischer Taktung und visueller Navigation. Franz Kafka hat im Romanfragment Der Verschollene von 1927 die Dispositionen einer solchen Erzählung in literarisch verdichteter, elliptischer Form aufschei- nen lassen. Die Untergrundbahnfahrten in der fiktiven Großstadt Ramses erlebt die Hauptfigur, der nach Amerika ausgewanderte Karl Roßmann, im Modus der rasanten Passage ohne Aufenthalt: Dann liefen sie fast, Karl mit ihrer Tasche in der Hand, zur nächsten Station der Untergrundbahn, die Fahrt verging im Nu, als werde der Zug ohne jeden Widerstand nur hingerissen, schon waren sie ihm entstiegen, klapperten, statt auf den Aufzug zu warten, der ihnen zu langsam war, die Stufen hinauf, die großen Plätze, von denen sternförmig die Straßen auseinanderflogen, erschienen und brachten ein Getümmel in den von allen Seiten geradlinig strömenden Verkehr, aber Karl und Therese eilten eng beisammen in die verschiedenen Büros, Waschanstalten, Lagerhäuser und Geschäfte, in denen telephonisch nicht leicht zu besorgende, im übrigen nicht besonders verantwortliche Bestellungen oder Beschwerden auszurichten waren.41 40 Thomas: Handling London’s Underground Traffic, S. 101. 41 Franz Kafka: Der Verschollene. Frankfurt am Main: Fischer, 1994 [1927], S. 151. London Transport – Netzwerksynchronisation 281 Die Metrofahrten Karls, der aufgrund seiner Arbeit als Liftjunge den Daueraufenthalt in geschlossenen Bewegungsräumen sehr gut kennt, lässt Kafka immer elliptisch verdichtet mit expressionistischem Gestus verlaufen. Sie werden nur angerissen, die Passage selbst »vergeht im Nu« oder sie findet im Schriftbild zwischen zwei Absätzen statt: »Aber er entschloß sich bald, teilte das für die Fahrt notwendige Geld ab und lief zur Untergrundbahn. / Als er in Clayton ausstieg, hörte er gleich den Lärm vieler Trompeten.«42 Während bei Kafka erst am Ende der Bahnfahrt der wirre Lärm nicht gegeneinander abgestimmter Trompeten steht,43 ist und war der Londoner Bahnalltag von Durchsagen und Geräuschen bestimmt. Wer sich 1921 über Rolltreppen in die Hampstead Line – die heutige Northern Line – begab, wurde über ein Gerät mit dem schönen Namen stentorphone lautstark ermahnt: »Bitte bewegen Sie sich weiter. Wenn Sie stehen müssen, stehen Sie auf der rechten Seite: Einige sind in Eile, behindern Sie sie nicht.«44 Die zeitgenössische Verwendung von Gram- mophonen mit Verstärker, wie sie z. B. am Oxford Circus üblich war, verschliss etwa eine Schellackplatte pro Woche. Noch heute muss man sich in den Aufzügen an der Station Covent Garden ablenkende Worte eines prominenten Radiomoderators anhören, welche die Passagezeit überbrücken. Derlei Anti-Panik-Erziehungsmaßnahmen wurden in den 1920er Jahren auch für das Ein- und Aussteigen filmisch festgehalten. Die Einführung von Zügen mit automatisch öffnenden Türen, welche die Zugabfertigung beschleunigen sollten, führte zur Produktion von amüsanten Lehrfilmen mit Titeln wie The right and wrong way to board an electric train.45 Auch Thomas’ Handbuch von 1928 benennt das Umsteigen, die netztypische Konnektivität,46 als einen der problematischsten Punkte im Management der Tube: Ein anderer Verbindungstyp tritt auf, wenn sich die U-Bahnlinie unter- halb oder oberhalb einer Underground- oder anderen Zuglinie kreuzt, ohne dass sie notwendigerweise physisch mit ihnen verbunden ist. Dies kann – wie dies bei Charing Cross als Knotenpunkt der District-, Hamp- 42 Kafka: Der Verschollene, S. 296. 43 Ebd. 44 Vgl. Croome und Jackson: Rails through the Clay, S. 154. Eine heute gebräuchliche Formel zur Entschuldigung von Zugausfällen beginnt: »Due to vandalism, …« 45 The right and wrong way to board an electric train, 1920. London Transport Museum, Film Collection, Nr. 125. Der Film wurde von Gaumont vertrieben. 46 Vgl. Böhme: »Netzwerke. Zur Theorie und Geschichte einer Konstruktion«, S. 6 f. 282 Karte, Netz und Synchronisation um 1930 stead- und Bakerloozüge der Fall ist – die Synchronisation der Zeiten der ersten und letzten Züge jedes Tages erfordern. Dies wird immer sorgfältig durchgeführt.47 Die Regulierung der Passagierströme zwischen den einzelnen Linien genießt nicht nur beim Umbau von Stationen Prioriät – beispielsweise in der 1928 nach Renovierung neu eröffneten Station des Piccadilly Circus (Abbildung 7.11). abb . 7 .11: Anonymous [D. Macpherson?]: Picadilly Circus Station. Grafik, 1928. 47 Thomas: Handling London’s Underground Traffic, S. 31. London Transport – Netzwerksynchronisation 283 abb . 7 .12: Henry Charles Beck: Bleistiftskizzen zur Topologie der Stationen Euston und King’s Cross, 1961. Sie hat neben Harry Beck auch andere Zeichner intensiv beschäftigt. Dies betraf nicht nur die Reduktion des Röhrengewirrs auf vermeintlich klare Linien. Beck hat im Laufe seines Lebens an nichts stärker gefeilt als an der grafischen Repräsentation des Umsteigens (Abbildung 7.12). Seine praktische Raumtheorie hat er selbst im Alter am besten beschrieben: Wenn man sich unter die Erde begibt, warum sollte man sich mit Geo- grafie beschäftigen? Es ist nicht so wichtig. Auf die Verbindungen kommt es an (connections are the thing).48 Charles Holdens Stationsarchitekturen und Frank Picks Gestaltungs- vorgaben zielten ebenfalls auf eine praktische Ästhetik der Verbindung. So wurden die Stationen gezielt von außen mit Lichtinstallationen als Einstiegspunkte im Stadtraum hervorgehoben. Im Inneren zielte Pick auf eine klare, der Navigation dienende Beleuchtung der gebauten Passagen bis zum Bahnsteig hin, die die Decken in indirektes Licht kleidet.49 Die Taktiken der Passagiere, darunter schlaues Umsteigen, erscheinen aber entgegen solchen zeichnerischen und architektonischen Strategien flüchtig und nur schwer rekonstruierbar.50 Unbekannt bleibt immer die Menge anonymer Individuuen, das transitorische Massenornament 48 Übersetzt nach Hadlaw: »The London Underground Map«, S. 32. 49 Siehe Thomas: Handling London’s Underground Traffic, S. 170 f. 50 Vgl. zu Taktiken des urbanen Passagiers auch Stefan Höhne: »Token Tactics. Artefaktpo- litiken in der New Yorker City Subway«. In: Versorgung und Entsorgung der Moderne. Logistiken und Infrastrukturen der 1920er und 1930er Jahre. Hrsg. von Wiebke Porombka, Heinz Reif und Erhard Schütz. Frankfurt am Main u. a.: Peter Lang, 2011, S. 73−87. 284 Karte, Netz und Synchronisation um 1930 des Verkehrs.51 Mit Marc Augé kann man sagen, dass das Erlebnis der unterirdischen Bahnfahrt selten ein kollektives ist, obwohl es in einem geteilten architektonischen Raum stattfindet. Die Metro ist kein Ort des synchronen Massenverkehrs, trotz der kollektiven Re- geln – Rauchverbot, »passage interdit« etc. Jeder feiert hier auf eigene Faust seine Feste und Geburtstage, zeichnet seine eigene Topografie der Liebschaften, der Arbeit, der Vergnügungen …52 Der Parcours wird stets individuell gegangen und gelebt, aber im gemeinsamen Geflecht von persönlichen Wegen kristallisiert sich die Teilhabe an einer kollektiven städtischen Identität heraus: Gemeinschaft ohne Fest und Einsamkeit ohne Isolierung, während die Stationsnamen eine rituelle Sakralität der Metro als Gedächtnisraum entwerfen (Platz der Luftbrücke, Bastille, Waterloo).53 Man kann auch sagen, dass die Großstadt der 1920er Jahre Verkehrssphäre ist, »die aktive und passive Rezeption neuer Verkehrs- technologien ermöglicht bislang ungeahnte Ausformungen kollektiven Empfindens und Verhaltens«.54 Es gibt wenige historische Dokumente, die der spezifischen Alltäg- lichkeit des Abstiegs in die Unterwelt der Stadt gerecht werden können. Stumme Zeugen wie die vermehrt eingerichteten Kartenautomaten registrieren Fahrgastzahlen, ebenso wie man mittels Erhebungen zum Fahrgastaufkommen versucht, dem Phänomen der Masse Herr zu wer- den. Die versuchte Einführung einer allgemeinen Eisenbahnsemiotik durch die Internationale Eisenbahn-Union ab 1930 stellt sich als Spur von Strategien, nicht aber von individuellen Praktiken der Bewegung und Orientierung dar.55 In einem Actionfilm wie Bulldog Jack von 1935 wird nur ein- und nicht umgestiegen, aber die Passage selbst in Handlung umgesetzt.56 Bulldog Jack entwickelt als Detektiv-Serial in seinem achtminütigem Hochgeschwindigkeitsfinale eine personalisierte Form von Synchroni- sation entlang der Linie. Gerade als der Bösewicht Morell mit aus dem British Museum gestohlenen indischen Juwelen einen Zug übernimmt, 51 Vgl. hierzu im Anschluss an Siegfried Kracauer Roskothen: Verkehr, S. 77. 52 Vgl. Augé: Un ethnologue dans le métro, S. 45. 53 Ebd., S. 45, 54. 54 Roskothen: Verkehr, S. 83. 55 Vgl. Anonymous: »Public Notes on Railways«. In: Railway Gazette and Railway News, 8. Januar 1932, S. 44 f. 56 Walter Ford: Bulldog Jack, Großbritannien 1935. VHS, 1994. London Transport – Netzwerksynchronisation 285 versucht ihn der Detektiv Bulldog Drummond aufzuhalten.57 Während sich der Held ins Handgemenge mit Mr. Morell begibt, verfolgt sein Partner die rasante Fahrt, indem er immer wieder aufs Neue entlang der fiktiven Linie den Bahnhof benennt und mit einem Stift auf der grafischen Repräsentation der Linie abhakt (Abbildung 7.13): »Holden Brew – nur noch vier Stationen! […] White City – nur noch drei! Ooo- oh! ! […] Zwei noch, zwei noch! Ooooh! ! […] Nur noch eine! Das ist das Ende. Ooooh. Wir werden entgleisen, wir werden entgleisen!« abb . 7 .13: Orientierung anhand der Linie in Bulldog Jack, 1935. Digitaler Filmstill vom VHS-Video, 2007. Je höher die Geschwindigkeit, desto mehr stellt der Film diese Form von Verortung in den Vordergrund, während die Schnitte auf Stations- und Röhrenarchitektur von der Regie äußerst kurz gehalten werden. Die Figuren in Bulldog Jack verkörpern eine neue Art von urbanem Passagier, der sich stets aufs Neue orientieren muss. Zwischen der Reise- erfahrung der Überlandbahnen des 19. Jahrhunderts und dem Alltags- weg im Souterrain der Metropolen besteht ein enormer Unterschied.58 Mit der U-Bahn zu fahren erzeugt zwangsläufig eine aktive Ästhetik des 57 Der Detektiv wird in diesem Film der Serie von einer anderen Person verkörpert, die nur vorgibt, Bulldog Drummond zu sein, in Wahrheit aber Bulldog »Jack« ist. 58 Vgl. hierzu Wolfgang Schivelbusch: Geschichte der Eisenbahnreise. Zur Industrialisierung von Raum und Zeit im 19. Jahrhundert. München, Wien: Hanser, 1977. 286 Karte, Netz und Synchronisation um 1930 Verschwindens.59 Während so gewöhnlich die raumzeitlichen Wege zwi- schen den Stationen ausgeblendet werden, kehren sie im Actionfilm als strukturierendes Moment zurück. In den Bewegungsbildern verschärft sich – genau wie im Fall der Stellwerkdiagramme der Eisenbahner – die Notwendigkeit einer fortwährenden Positionierung der Akteure. Um es mit Bernhard Siegert und Michel de Certeau zu sagen: »Mit oder auf Karten reisen, heißt ständig zwischen carte und parcours hin und her zu springen.«60 Dieser Sprung in der Adressierung schafft einen tem- poralen Abstand, dem wiederum zeitliche Synchronisationen ›entlang der Linie‹ und für das gesamte Netz entgegengesetzt werden. Mitten im architektonischen Raum gilt die Aufmerksamkeit der Passagiere vor allem den Verbindungspunkten und Zeiten des Verkehrs. Strategien. Synchronisation als staatliches Interesse: Strom- und Bahnnetz Kann man einen Synchronisationszustand speichern und politisch auf Dauer stellen? Über Synchronisation in Diagramm und Apparat hinaus kann man im Kontext der Tube Map von einer Synchronisation in gou- vernementalem Interesse sprechen.61 Der notorischen Asynchronität des Londoner Verkehrs und der britischen Stromversorgung versuchte die Politik im Falle des Stromnetzes ab 1926 und im Falle der Tube ab 1931 eine staatszentrierte Organisation entgegenzusetzen. Die Tube Map entsteht vor dem Hintergrund dieser parallelen Zentralisierung von Metronetz und nationaler Stromversorgung. Die englische Eisenbahnwelt hat sich immer durch eine Vielzahl unabhängig voneinander betriebener Linien ausgezeichnet. Gleiches galt für die Energieerzeugung in Kraftwerken. London verfügte 1913 über 65 Elektrizitätskraftwerke, 32 verschiedene Spannungsgrößen zur Übertragung von Strom, 24 zur Verteilung und etwa 70 Metho- 59 Vgl. zum aktiven Vergessen der Passage als aisthetischem Phänomen Paul Virilio: Ästhetik des Verschwindens. Berlin: Merve, 1986, S. 9 ff. 60 Siegert: »Repräsentationen diskursiver Räume«, S. 10. Zu den vielfältigen gegenwärtigen Praktiken der Orientierung mittels der Tube Map vgl. Vertesi: »Mind the Gap«, S. 13 f. 61 Vergleichbares gilt z. B. auch für die deutschen Polizeiverordnungen der 1920er Jahre, die auf eine Synchronisation der verschiedenen Verkehrsteilnehmer setzen. Vgl. Dirk van Laak: »Just in Time. Zur Theorie von Infrastruktur und Logistik«. In: Versorgung und Entsorgung der Moderne. Logistiken und Infrastrukturen der 1920er und 1930er Jahre. Hrsg. von Wiebke Porombka, Heinz Reif und Erhard Schütz. Frankfurt am Main u. a.: Peter Lang, 2011, S. 13−23, hier S. 17. Zudem übergreifend zu Deutschland und Großbritannien Schlimm: Ordnungen des Verkehrs, S. 162 f. London Transport – Netzwerksynchronisation 287 den zur Verbrauchszählung und Abrechnung.62 Die daraus resultie- renden Probleme wurden noch 1923 im Fachblatt Electrical World mit nüchterner Demut kommentiert: »Die größte Stadt der Welt (mit 4,7 Millionen Einwohnern, SG) gibt ein exzellentes Beispiel dafür ab, wie Stromversorgung nicht sein sollte.«63 Derlei Probleme, die ab 1926 programmatisch und von 1930 bis 1936 mit dem Bau eines nationalen grid zur Stromversorgung angegangen wurden, veranlassten die Eisen- bahngesellschaften im Gegensatz zu Städten wie Berlin und Chicago zum Bau eigener Kraftwerke.64 Ähnlich problematisch und langwierig gestaltet sich die Entwicklung der Londoner Metro zu einem reibungslos benutzbaren Netz.65 Auf Initiative des Labour-Verkehrsministers Herbert Morrison (1888−1965) wird 1931 eine bill zur Etablierung des London Passenger Transport Board auf den Weg der Gesetzgebung gebracht. Auch nach dem Fall der Labour-Minderheitsregierung durchläuft sie weiter den parlamenta- rischen Prozess bis zum Erlassen eines acts. Unterdessen versucht man im Hintergrund in nervenaufreibenden Sitzungen, die Eigner der einzelnen Bahnen, Trams und Omnibusgesellschaften von dem Vorhaben zu über- zeugen. Berichte von den komplizierten Verhandlungen unter Leitung von Lord Ashfield durchziehen die Branchenjournale Railway Gazette und Modern Transport zwischen 1930 und 1933.66 Die mühseligen Vermittlungen zwischen den Eisenbahnfirmen haben eine Tradition, die über die Vereinheitlichung des Corporate Designs (basierend auf dem berühmten Diskus) im Jahr 1918 bis zur Begründung der elektrischen 62 Vgl. London County Council. Special Committee on Electricity Supply, Hrsg.: Report on London Electricity Supply by Merz and McLellan. London: The Council, 1914, app. 2, S. 37 f.; Hughes: Networks of Power, S. 227. Siehe auch den frühen Bericht zur elektrischen Tube bei Troske: Die Londoner Untergrundbahnen, S. 90 f. 63 Anonymous: »Electrical Development in England«. In: Electrical World 82.21 (1923). 24. November, S. 1055−1058, hier S. 1056. 64 Vgl. Hughes: Networks of Power, S. 232. Vgl. auch Croome und Jackson: Rails through the Clay, S. 75 und Elliman: »Signal Failure«, S. 167, zu London Transports Kraftwerk an der Lots Road. Damit entging man den komplexen Problemen, die sich den Stromnetzingenieu- ren auf einer nationalen Ebene stellten. Der Umgang mit den Grenzen der Berechenbarkeit von Synchronisationen im grid ist in den USA Anlass zum Bau eines analogen »Network Analyzers« am MIT unter der Leitung von Vannevar Bush. Vgl. Hughes: Networks of Power, S. 376. 65 Vgl. als äußerste Frustreaktion den Entwurf eines Penny Transport in der Railway Gazette, 25. März 1932, S. 459−461. 66 Vgl. die Railway Gazette, z. B. in den Ausgaben vom 8. und 15. Mai 1931; Modern Trans- port in der wöchentlichen Kolumne »In Parliament«. Vgl. für eine detaillierte Darstellung Barker und Robbins: A History of London Transport, S. 272 f. 288 Karte, Netz und Synchronisation um 1930 Underground Railways of London durch mehrere von da an notorisch zerstrittene Firmen im Jahr 1907 zurück reicht.67 Meine These ist, dass die Tube Map schlußendlich in aller Konse- quenz, d. h. mit Präsenz in jeder Bahnstation im Großformat und einer Erstauflage von 750.000 Stück, vor allem als willkommenes politisches Druckmittel dient. Mit ihr konnte die überfällige Zentralisierung einer überholten Organisationsform vollzogen werden. Ihre stärkere Operati- onalisierbarkeit stellt sich im Laufe der Einführung als Vorteil heraus.68 Henry Charles Becks Sinn für die alltäglichen Wege der Londoner trifft sich mit dem staatlichen Interesse an der Etablierung eines London Pas- senger Transport Board, das am 1. Juli 1933 seine Arbeit aufnimmt.69 Gleichzeitig setzt die Tube Map ob ihrer Regelmäßigkeit das Gitter des parallel entstehenden nationalen grid der Stromversorgung grafisch fast konsequenter um, als dies den Elektroingenieuren des Central Electri- city Board (CEB) gelingt, die sich stärker an der Geografie orientieren. Beide Infrastrukturen konnten nur durch staatliche Autorität zu einem ansatzweise soliden Funktionieren gebracht werden. Die Tube Map kann also mit Michel Foucault und Gilles Deleuze als maschinelles Kontrolldiagramm verstanden werden, das en passant eine mentale Karte der Stadt installiert.70 Sie generiert einen Raum der hellen, luf- tigen Zirkulation, dessen Gegensatz freilich die unbeherrschten Dinge und Körper bleiben, während die Materialität der Architektur allen fließenden und stockenden Verkehr umgibt.71 67 Die erste vereinigte Karte nahezu aller Eisenbahnlinien wurde 1908 gedruckt. Beteiligt waren die Underground Railways of London (UERL), Central London, Metropolitan, Great Northern & City und die City & South London Railways. Vgl. Garland: Mr Beck’s Underground Map, S. 9; Hadlaw: »The London Underground Map«, S. 29. 68 Vgl. Schlimm: Ordnungen des Verkehrs, S. 129 f. zur Verbildlichung im verkehrswissen- schaftlichen Fachdiskurs. 69 Der erste institutionelle Jahresbericht erscheint 1934. Vgl. London Passenger Transport Board, Hrsg.: First Annual Report and Statement of Accounts and Statistics for the Year ended 30 June 1934. London: LPTB, 1934 (London Transport Museum Library, Quick Re- ference). In Berlin wurde der vergleichbare, maßgeblich durch Ernst Reuter vorangetriebene Verbund der Berliner Verkehrsbetriebe (BVG) bereits am 1. Januar 1929 eingeweiht. Vgl. Heinz Reif: »Verkehrsnetze und Großstadtentwicklung. Ernst Reuters und Martin Wagners Vision der Weltstadt Berlin 1925 bis 1933«. In: Versorgung und Entsorgung der Moderne. Logistiken und Infrastrukturen der 1920er und 1930er Jahre. Hrsg. von Wiebke Porombka, Heinz Reif und Erhard Schütz. Frankfurt am Main u. a.: Peter Lang, 2011, S. 53−71, hier S. 56 f. 70 Vgl. Gilles Deleuze und Michel Foucault: Der Faden ist gerissen. Berlin: Merve, 1977, S. 117 f. 71 Im Anschluss an eine These von Johannes Roskothen. Vgl. Roskothen: Verkehr, S. 67. Siehe auch Michel de Certeau: Kunst des Handelns. Berlin: Merve, 1988, S. 183 f. zur Erzeugung eines »sauberen Raumes«. London Transport – Netzwerksynchronisation 289 Die Nähe von sozioökonomischer Organisationsform, städtischen Raumpraktiken im Netz und einer Ästhetik der Relationen hat kaum je- mand besser erfasst als die Grafikerin Lilian Dring. Sie bietet Frank Pick 1933 ein Plakattryptichon an, welches das London Passenger Transport Board (LPTB) in Gestalt des antiken Hermes als »modernen Gott des Transports« darstellt. Drings Design, das nicht gedruckt wurde, zeigt den Götterboten mit dem Unternehmenslogo als Herz, den Beck’schen Untergrundlinien als Arterien und Venen und sich windenden Waggons als Schlange um den Arm des Götterboten (Abbildung 7.14). abb . 7 .14: Lilian Dring: LPTB Modern God of Transport, Entwurf für ein Postertryptichon, ca. 1933. 36,8 x 74,9 cm. [Siehe Farbtafel XVIII] Wie in Becks eigener Schaltplanversion der Karte wird mit den Landmar- ken der Stadt gespielt: Der Mund wird durch das BBC-Gebäude gebildet, die Ohren durch die Royal Albert Hall, die Augen durch die National Gallery und der Hals durch die Tower Bridge. Mit dieser Form urbaner Selbstbeschreibung ruft die Zeichnerin die älteren Traditionen städtischer Durchaderung im Medium des Blutkreislaufes und der Zirkulationen des Körpers auf.72 Und sie kombininiert diese mit der konstruktivistischen Setzung von Relationen, die Becks Netzästhetik ausmacht. Diese beiden historischen Transformationen werden durch Hermes zusammengehal- ten; die Antikenreferenz umfasst die retikulare Ästhetik der Frühen Neu- zeit73 ebenso wie die geometrische Strenge der Moderne. 72 Vgl. hierzu Sennett: Fleisch und Stein, S. 317 ff. 73 Vgl. die Kapitel 2.3 und 6.1 dieses Buches. 290 Karte, Netz und Synchronisation um 1930 Noch konsequenter als in London wird die Übereinkunft von po- litischem Körper, sozioökonomischer Gleichtaktung und städtischer Infrastruktur wenig später in Russland verfolgt. Bei der Errichtung der ab 1935 eröffneten prunkvollen Moskauer Metrostationen nimmt das Stalin-Regime wenig Rücksicht auf topografische Gegebenheiten und erbaut ganz materiell Beck’sche Linien unter der Moskauer Erde. Und während auch heute mit der alten russischen Technik ein halbwegs vernünftiges Fortkommen möglich ist und in der Londoner U-Bahn längst RFID-Tickets und CCTV-Kameras wesentlich mehr speichern, als es Karten und Uhren je haben erahnen lassen, bleibt die Tube mehr denn je auf manuelle Synchronisationen angewiesen. Dem überwa- chungsstaatlichen touching in / touching out mit der funkchipbestückten Oyster Card stehen auch im 21. Jahrhundert ganz altmodisch von Hand beschriebene Anzeigetafeln und menschliche Ansagen gegenüber, die die geplagten Londoner wissen lassen, welche Linien gerade wieder nicht funktionieren. Unter diesen Umständen wurde allgemein erwartet, dass sich die alltäglichen Störungen während der Olympischen Spiele 2012 zu einem veritablen Verkehrschaos aufschaukeln würden. Allerdings hat sich Transport for London gut gewappnet gezeigt: Pendler wurden vor neu- ralgischen Umsteigestationen wie London Bridge gewarnt und generell zum zeitlichen und räumlichen Ausweichen ermutigt. Strategisch wurde besonders darauf abgezielt, dass der Olympische Park mitsamt seiner Station Stratford immer auf möglichst vielen Wegen erreichbar war. Laut offiziellen Zahlen ist die Lastverlagerung innerhalb des Netzes trotz klei- nerer Störungen gelungen: 15 Prozent weniger, offenbar ausgewichene Passagiere ermöglichten auf den Strecken im Zentrum Londons einen insgesamt um 35 Prozent gestiegenen Verkehr, mit 62 Millionen Fahrten während Olympiade und Paralympics.74 Unter den Bedingungen eines Großereignisses ist dies nicht weniger als eine kommunikative und logi- stische Meisterleistung gewesen – und ein erstaunliches Zeugnis für den gelassenen Umgang der Londoner mit den Asynchronitäten ihrer Tube. 74 Vgl. Anonymous: Thank you for Getting Ahead of the Games, 4. August 2012. http://www. getaheadofthegames.com; Anonymous: Games bring record London Underground users, 4. August 2012. http://www.bbc.co.uk/news/uk-england-london-19125580; Michael Hirst: London’s travel network clears its first Olympic hurdle, 30. Juli 2012. http://www.bbc.co.uk/ news/uk-19039072. Wie man mit Karten etwas tut 291 7.4 Raum. Wie man mit Karten etwas tut Indem Harry Beck durch eine geometrische Konstruktion der Stadt eine Figur der Orientierung schenkt, schließt er zugleich das Ungeordnete, Dreckige und Abseitige des Massenverkehrs in der Metropole aus. Das Netz der Tube Map abstrahiert von der dicht gedrängten Masse der Körper und einer gereizten Wahrnehmungsintensität, der sich die zir- kulierenden Passagiere tagtäglich aussetzen. Es geht hier eben gerade nicht um das Gewoge der Mengen auf Straßen und Plätzen, das viele zeitgenössische literarische Inszenierungen des urbanen Raumes mit Verkehr verbinden.75 Nicht das Muster auf der Straßenoberfläche macht die Karte aus, sondern der Entwurf einer grafischen Benutzeroberfläche für den Bauch der Stadt. Man fragt sich, warum Becks Gespür für die Codierung alltäglicher Verbindungen eine derartige Kraft zur Überformung sozialer Räume entwickeln konnte. Denn das Prinzip »Auf die Verbindungen kommt es an« hat sich, jenseits kulturell unterschiedlicher Wahrnehmungs- dipositionen, weltweit nicht nur in Verkehrskarten eingeschrieben.76 Zwar weisen die Modifikationen – Winkel von 60 statt von 45 Grad gehören besonders häufig hierzu – darauf hin, dass die kartografische Annäherung von Raum unter und über Tage für jede Stadt spezifisch bleibt. Besonders deutlich wird dies im Fall von Paris, wo sich die topologische Variante des Metroplans nie wirklich gegenüber einer Orientierung an den Oberflächenmarken der Arrondissements und Quartiers durchsetzen konnte.77 Mit der Globalisierung der Tube Map wird jedoch trotz der lokalen Situierung transkulturell eine Netzwerkorientierung eingeübt, in der Orte sprunghaft miteinander verbunden sind. Zwischen ihnen liegt ein mindestens doppelter Zwischenraum. Zum einen die Passage, welche zwischen eingeübter Ausblendung und hektischer Aufmerksamkeit schwankt. Zum anderen die leeren weißen Flächen der Karte, die als Nicht-Orte die Funktion der Stationen umso mehr bestimmen. Das 75 Vgl. Roskothen: Verkehr, S. 77 f. Für den englischen Modernismus und die Tube vgl. An- drew Thacker: »Uncompleted Life: The Modernist Underground«. In: The Railway and Modernity. Time, Space and the Machine Ensemble. Hrsg. von Matthew Beaumont und Michael Freeman. Bern: Peter Lang, 2007, S. 101−124. 76 Vgl. Mark Ovenden: Metro Maps of the World. 2. Aufl. Harrow Weld, Middlesex: Capital Transport Publishing, 2004. 77 Beck lieferte auch für Paris Entwürfe – mit begrenztem Erfolg. Siehe Garland: Mr Beck’s Underground Map, S. 67. 292 Karte, Netz und Synchronisation um 1930 Dickicht der Städte verschwindet in der kunstvoll verringerten Dichte einer übersichtlichen Darstellung ihres Verkehrsnetzes. Siegfried Kracauer hat solche Formen des urbanen Kontrasts zwi- schen dichten, organisch gewachsenen Räumen und einer geometrischen Ordnung der Plätze 1926 in einem kleinen Text mit dem treffenden Titel Zwei Flächen beschrieben. Der Bai des alten Hafens von Marseille, in der die »menschliche Fauna« wimmelt, stellt er dabei das geometrisch wohlgeordnete Karree eines Platzes als »Quadrat ohne Erbarmen« gegenüber.78 Bai und Karree sind überirdisch flächige Kontraste, die unterirdisch ineinander verschwimmen. Denn man kann sagen, dass der Sprung zwischen Bai und Karree im Verkehrsraum unter Tage per- manent vollzogen wird: Mitten im haltlosen Gedränge der Menge, der Untiefe des Souterrains und den nicht verortbaren Fahrten der Züge obliegt der geometrischen Karte als Bedienoberfläche die Stabilisierung der Wahrnehmung. Der verbindende Raum unter Tage ist trotz der fixen Architektur ebenso wenig stabil, wie die Taktzeiten der Bahn niemals eine perfekte Synchronie erzeugen können. In seinem Netzwerk ereignet sich eine fortwährende Fluktuation von Relationen, die insbesondere während des Umsteigens neu ausgerichtet und verhandelt werden. Wenn das Gehen eine zugleich subjektive wie kollektive Äußerung in der Stadt darstellt,79 kommt das Wechseln der Verkehrsmittel als Switching einer kulturellen Praxis gleich, durch die das konnektive Netz allererst zum interkonnektiven Netzwerk wird. In der Routine alltäglicher Wege wird dies weniger deutlich als im spielerischen Umgang mit der Form von Becks Karte. Marc Augés psy- chogeografischer Einladung, den subjektiven Metroplan seiner Arbeit, der Liebschaften, der Vergnügungen zu zeichen, ist vielfach nachgekom- men worden. Ob die Topologie nun Musikrichtungen verzeichnet, die Web Trend Map die Wendungen der Internethipness Jahr für Jahr erneu- ert, sich Piktogramme von Kartenausschnitten als quasi-horoskopische »Animals on the Underground« entpuppen, die Londoner Bloggerszene sich per Tube Map verortet oder gar die Milky Way Transit Authority 78 Siegfried Kracauer: »Zwei Flächen«. In: Aufsätze 1915−1926. Schriften 5.1. Hrsg. von Inka Mülder-Bach. Frankfurt am Main: Suhrkamp, 1990 [1926], S. 378−380, hier S. 378 und S. 380. 79 Vgl. de Certeau: Kunst des Handelns, S. 189. Wie man mit Karten etwas tut 293 einen Plan der Milchstraßenverbindungen herausgibt: Der Kreativität der relationalen Verortung scheinen kaum Grenzen gesetzt zu sein.80 Hans Unger hatte bereits 1966 ein Werbeplakat für die Tate Gallery mit einer Neo-Tube-Map versehen, die Kunstrichtungen verzeichnet.81 Die bekannteste Variante der Tube Map in der zeitgenössischen Kunst wurde 1992 von Simon Patterson als Lithografie in einer Auflage von 50 Stück auf den Kunstmarkt gebracht. Pattersons Aneignung stellt unter dem Titel The Great Bear eine kosmologische Universalkulturgeschichte möglicher Linien und Verbindungen dar, die lustvoll Linien mit Stations- namen für Philosophen, Entdeckungsreisende, Ingenieure, katholische Heilige, italienische Künstler, Protagonisten chinesischer Geschichte im 20. Jahrhundert, Musiker, Journalisten, Politiker, Fußballspieler, Schau- spieler und Schauspielerinnen versieht. Teil der Sternenkonstellation unter Tage sind noch die Planetennamen des Sonnensystems, denen innerhalb des Großen Bären eine eigene kurze Linie zugestanden wird (Abbildung 7.15). Pattersons Karte, 1997 Teil der Sensations-Ausstellung, kehrt als Readymade der Topologie mit spielerischem Eklektizismus zurück zu Harry Becks eigener Schaltplankarikatur von 1933. Aber sie entreißt das Schema seiner räumlichen Referenz; der an die Stelle von Kings Cross gesetzte Piero della Francesca nimmt im Sammelsurium der Na- men nicht annähernd die zentrale Bedeutung ein, die der Station als Verkehrsknotenpunkt zukommt. Leonardo da Vinci als nächste Person auf der Linie erscheint noch logisch, aber die hybriden Nachbarschaften zu Sokrates, Karl Marx und den Marx Brothers markieren keine spezi- fische räumliche, zeitliche oder semantische Relation (Abbildung 7.16). Diese Unverhältnismäßigkeit kann hier zum Prinzip werden, weil das eingeübte Ordnungsprinzip dem Publikum vertraut ist. Patterson radi- kalisiert aber die Topologie der Tube Map bis zu einem Punkt, an dem das räumliche Nebeneinander zur reinen Assoziation von Namen wird. Sie könnte in der Kontingenz ihrer möglichen Verbindungen beliebig sein; genausogut könnte der Transport auf einer Linie und der Wechsel zur anderen sprunghaft Namen und Ereignisse kurzschließen. The Great 80 Owen Masseys ausführliche Liste aller Neuaneignungen ist leider offline, kann aber unter http://web.archive.org/web/20081220230324/http://owen.massey.net/tubemaps.html ein- gesehen werden. 81 Art Today, 1966. Siehe Green: Underground Art, S. 119. Unger knüpft an die Konjunktur von diagrammatischen Stammbäumen der Kunst an. Vgl. Astrit Schmidt-Burkhardt: Stamm- bäume der Kunst. Zur Geneaologie der Avantgarde. Berlin: Akademie Verlag, 2005. 294 Karte, Netz und Synchronisation um 1930 abb . 7 .15: Simon Patterson: The Great Bear. Lithografie im Aluminium- rahmen, 1992. 109 x 134,8 cm. [Siehe Farbtafel XIX] abb . 7 .16: Simon Patterson: The Great Bear. Lithografie im Aluminium- rahmen, 1992. Detail. Wie man mit Karten etwas tut 295 Bear übersteigert das diagrammatische Schema von Bewegungen und Anschlüssen, bis es universeller wirkt, als es aufgrund der Rückbindung an lokale Raumpraktiken sein kann. Patterson gestaltet vor allem ei- nen vieldeutigen Möglichkeitsraum der Eigennamen, dem freilich die kausale Präzision von Michel Serres’ historiografischem Netzdiagramm fehlt.82 Die assoziativen Aneignungen von Becks Schema ordnen weni- ger physische Räume, als dass sie Diagramme auch für sprachliche und historische Relationen anbieten. Die Netztopologie beruht offenbar auf einer kognitiven Komponente, deren Wahrnehmungsdimension über die Londoner Untergrundbahnen hinausgeht. Wenn Raumpraktiken und ihre kartografischen Dispositive sowohl Sprachverständnis wie Kognitionstheorie beeinflussen, ist dies Indiz für die verstärkte Wahrnehmung des Raumes als Raum vernetzter Orte. Die Tube Map funktioniert so gewissermaßen als Form einer ›beweglichen Fixierung‹, mit der die Verbundenheit der Dinge alltäglich auch sprach- lich neu hergestellt werden kann. Sie zeigt einen Raum der Taktung, in dem die fluktuierenden städtischen Rhythmen in der Simultanität der Karte ihren Idealzustand erreichen. Becks Erfindung steht zum Zeitpunkt ihres Entstehens innerhalb eines größeren kulturellen Verschiebung von der Substanz zur Relation;83 sie ist zudem euklidische Repräsentation eines ›anderen Raumes‹. Die Raum- und Zeiterfahrung unter Tage folgt weniger klaren Geometrien denn punktuellen Momenten flüchtiger Orientierung. Auf diese Art und Weise stellt die topologische Karte das immer wieder aktualisierbare visuelle Modell eines Verhaltens in und mit Räumen dar, das für Netzwerkgesellschaften konstitutiv ist. Auf die Eingangsfrage »Was mobilisiert ein Netz, in dem man sich bewegen kann?« müsste man so zumindest antworten: Es aktiviert im körperlichen Vollzug und seiner Bezeichnung denjenigen Raum von Netzwerken des Verkehrs, in dem nur Hermes selbst eine synchrone Gleichzeitigkeit des Handelns gewährleisten könnte. Und man kann hinzufügen, dass die Architektur der Treppen, Stationen und Röhren mitsamt dem semiologischen Design der Navigation urbane Räume so gestaltet, dass die Materialität des Netzes zugunsten seiner Zirkulationen in den Hintergrund treten kann. 82 Vgl. Kapitel 6.2 dieses Buches. 83 Hier sei nur auf Ernst Cassirer: »Substanzbegriff und Funktionsbegriff. Untersuchungen über die Grundfragen der Erkenntniskritik«. In: Gesammelte Werke 6. Hamburger Ausgabe. Hrsg. von Birgit Recki. Hamburg: Meiner, 2000, verwiesen. 296 Karte, Netz und Synchronisation um 1930 Die Arbeit an den zeitlichen Aspekten infrastruktureller und ökono- mischer Netze nimmt im 20. Jahrhundert immer stärker zu. Taktungen, Rhythmen und Narrationen des Austauschs erfordern ein zunehmend hohes Maß an Aufmerksamkeit. Gerade durch die Verzeitlichung entwi- ckeln sich vergleichsweise fixe Netze zu relationalen und fluktuierenden Netzwerken. Dies gilt auch dann, wenn man explizite Netzwerkformen der Organisation einsetzt. Wie stark diese wiederum eine Frage des richtigen Timings sind, zeigt sich in den veränderten Produktionsformen materieller Kultur, von denen das folgende Kapitel erzählt. 8 Bildgeschichte des Netzwerkdiagramms (II) Netzwerkprojekte und die materielle Kultur des Kapitalismus Projektemacher sind spätestens seit Daniel Defoes epochemachendem Essay upon Projects von 1697 die Gaukler des Kapitalismus. Etymologie und Genealogie des »Projekts« tragen nicht nur stets die Dimension des Scheiterns in sich, sondern handeln vom übersichtlichen Entwurf eines ganz und gar abschließbaren (und doch oft nicht auszuführenden) Vorhabens.84 »Wenn ein Projekt also gewissermaßen wie eine Land- und Seekarte durch die terra incognita des Unwissens steuern kann, so bleibt die Frage nach dem Steuermann oder Projektemacher.«85 Der gestaltete seinen Auftritt zunächst vor allem durch Traktatliteratur, die große Pläne mit literarischer Eleganz vortrug. Noch die Vernetzungsvorhaben der Saint-Simonisten setzten auf den öffentlichen Ideenumlauf über Zeitungsartikel, damit aus dem Projektentwurf reale Bauten entstehen.86 Was aber passiert, wenn nicht zwielichtige Einzelpersonen oder wen- dige Ingenieurssekten riskante Pläne propagieren, sondern Institutionen die Logik des Projekts zum Teil ihres kommunikativen Selbst machen? Der Modus des Entwerfens verschiebt sich von der Literatur zu einer grafischen Methode.87 Darstellungsformen von Unternehmen ändern sich, wie im Folgenden gezeigt werden soll, mit einer Entwurfspraxis, die die Produktion materieller Kultur zentral in Netzplänen organisiert. Weitgehend unabhängig von dieser expliziten Netzwerkform der Pro- duktion entwickelt Toyota in Japan eine folgenreiche Dezentralisierung 84 Vgl. hierzu ausführlich Markus Krajewski, Hrsg.: Projektemacher. Zur Produktion von Wissen in der Vorform des Scheiterns. Berlin: Kadmos, 2004, S. 12. 85 Krajewski: Projektemacher, S. 13. 86 Vgl. Kapitel 4 dieses Buches. 87 Vgl. zur Zeichnung ausgehend von der Frühen Neuzeit Siegert: »Weiße Flecken und finstre Herzen. Von der symbolischen Weltordnung zur Weltentwurfsordnung«; Barbara Wittmann: »Die Zeichnung als Instrument des Entwurfs«. In: Zeitschrift für Medien- und Kulturfor- schung. Schwerpunkt Entwerfen 1 (2012), S. 135−150. 298 Bildgeschichte des Netzwerkdiagramms (II) der Produktionsketten. Sie wird mit ihren kanban-Bestellzetteln wich- tiger Vorläufer der heutigen, global vernetzenden Logistik der Waren- distribution, von der abschließend ebenfalls kurz die Rede sein soll. Die Verbundenheit der Dinge gewinnt durch das Planen, Produzieren und Verteilen in expliziter Netzwerkform eine neue Gestalt. Objekte materieller Kultur werden in einem solchen rekursiven Prozess selbst ›netzig‹88: über verteilte wirtschaftliche Praktiken und Transaktionen, in ihrer technischen Binnenstruktur, durch das logistische Herbeischaffen der Einzelteile und die organisatorische Struktur der beteiligten Firmen. Die Fähigkeit, ein solches Switching zwischen verschiedenen Netzwer- ken zu organisieren, macht wiederum Netzwerkunternehmen aus, die innerhalb von Unternehmensnetzwerken handeln. Im Wettbewerb um die dynamische Organisation der Produktion ringt man um Marktan- teile und Hegemonie, ohne je vor negativen Netzeffekten gefeit zu sein. 8.1 Westlich Operations Research und Network Operations Method »Projekt ist die Bezeichnung für ein zu pla- nendes und auszuführendes Vorhaben, eine Aufgabe, ein Problem, einen Ablauf usw.«89 Aus einem Handbuch der Netzplantechnik Es ist nicht leicht, einen Computer zu installieren. Ausgesprochen zeit- aufwendig, kostspielig und mit vielen Unsicherheiten verbunden: So muss man sich die Entscheidung von Firmen vorstellen, die in den 1950er und 1960er Jahren zentrale Firmenrechner bestellen und zum Teil des Unternehmens machen. Mit den neu erworbenen Computern sollen in den meisten Fällen naheliegende Aufgaben wie Gehalts- und Verkaufsab- rechnungen vorgenommen werden. So wird auf einem fiktiven Planungs- diagramm des Konzerns Unilever, das die Installation eines Rechners als Beispiel verwendet, zunächst eine Projektdauer von 76 Wochen errechnet. Auffällig an dem zur Planung verwendeten Diagramm ist ein zentraler, nahezu linearer schwarzer Pfad, dessen nach rechts gerichtete Pfeile immer wieder durch halbierte Kreise unterbrochen werden (Abbildung 8.1). Über den Strichen steht der jeweilige Handlungsschritt. Unter ihnen ist dessen 88 Vgl. Roßler: »Galerie neuer Dingbegriffe: Hybriden, Quasi-Objekte, Grenzobjekte, episte- mische Dinge«, S. 101. 89 Rolph Berg u. a.: Netzplantechnik. Grundlagen – Methoden – Praxis. Schriftenreihe des Betriebswissenschaftlichen Instituts der ETH Zürich 3. Zürich: Verlag industrielle Organi- sation, 1973, S. 15. Operations Research und Network Operations Method 299 Dauer in Wochen notiert. Am Übergang zur nächsten Aktivität werden in einem Kreis zwei durch eine horizontale Linie unterbrochene Zahlen dargestellt. Die obere Zahl gibt die minimale Zeit an, die zur Erfüllung der Aufgabe benötigt wird. Darunter wird die maximale Anzahl von Wochen für den entsprechenden Schritt verzeichnet. abb . 8 .1: Kenneth Gordon McLaren / Eric Leonard Buesnel: Netzwerkplanungs- diagramm zur Installation eines Computers bei Unilever. Erster Ent- wurf, Zeichnung, 1968. [Siehe Farbtafel XX] Hätte man es nur mit einer Aufgabe zu tun – in diesem Fall dem Aufbau der Maschine – wäre der Fluss der Ereignisse vergleichsweise einfach zu handhaben. Interdependenzen sind aber nicht die Ausnahme, sondern der Regelfall. Der obere Bereich des Diagramms wird nach der Zustimmung der Firmenleitung (Board Approval, Woche 2) in dünneren Strichen und Kreisen zunächst für das Timing der Personalplanung genutzt. Die rekrutierten (12 / 20) und innerhalb von drei Monaten ausgebildeten (36 / 44) Programmierer schreiben innerhalb von 20 Wochen die not- wendigen Programme. Operatoren und Eingabekräfte sind angeheuert (20 / 50) und trainiert worden. Dem Souterrain des Diagramms lässt sich entnehmen, wann der vorgesehene Ort ausgewählt und ausgestattet wurde. Interdependenzen sind in diesem network project nicht allzu zahlreich und rasch nachvollziehbar: Ein Computer ohne entsprechende 300 Bildgeschichte des Netzwerkdiagramms (II) Software und geschultes Personal nutzt nichts. Also ist eine zeitliche Koordination vonnöten, die nach 62, 64, 72 und 76 Wochen Vorgänge miteinander in Übereinstimmung bringt. Die Crux jedes noch so exakt vorgezeichneten Projektes ist jedoch die fortwährende Fluktuation. Zwar zeigt die visuelle Argumentation der Autoren des 1968 veröffentlichten Unilever-Handbuchs Network Ana- lysis in Project Management,90 dass durch geschickte Koordination der Testphasen die Projektdauer entlang des grafisch gefetteten »kritischen Pfades« mit einem dritten und vierten Entwurf auf 64 Wochen zusammen- schmilzt. Aber mit dem Mikromanagement erhöht sich die Kontingenz. Der kritische Pfad verschiebt sich hin zu den beteiligten menschlichen Akteuren und wird dadurch in drei Pfade ausdifferenziert (Abbildung 8.2). abb . 8 .2: Kenneth Gordon McLaren / Eric Leonard Buesnel: Netzwerkplanungs - diagramm mit kritischem Pfad zur Installation eines Computers bei Unilever. Zweiter Entwurf, Zeichnung, 1968. [Siehe Farbtafel XXI] 90 Kenneth Gordon McLaren und Eric Leonard Buesnel: Network Analysis in Project Ma- nagement. An Introductory Manual Based on Unilever Experience. London: Cassell, 1968. Unilever hat die grafische Netzwerkanalyse zuerst intern 1963 in Großbritannien eingesetzt. Kurse für Führungskräfte führten das neue Werkzeug ein, unterstützt von einem 1964 erstell- ten Manual on Network Planning Methods. Die hauptsächliche Anwendung galt kleineren Projekten – wobei »klein« hier auch den Bau einer Fabrik umfasst. Weitere Handbücher u. a. Friedrich Rosenkranz: Netzwerktechnik und wirtschaftliche Anwendung. Mit beson- derer Berücksichtigung der Netzplantechnik. Schriften zur wirtschaftswissenschaftlichen Forschung. Meisenheim am Glam: Anton Hain, 1968; Abraham Mario Becker: Handbuch der Dynamischen Netzplantechnik für die Planung und Überwachung von Aufträgen. 3. Aufl. Winterthur: Gebrüder Sulzer, 1970; Berg u. a.: Netzplantechnik. Grundlagen – Me- thoden – Praxis. Operations Research und Network Operations Method 301 Weitere Überarbeitungen des Netzplans reagieren auf die – unver- meidlichen – Verspätungen, Verfrühungen und Verschiebungen. Revi- dieren heißt in diesem Fall Resynchronisieren, indem man weiter opti- miert, überschreibt, durchstreicht und gegebenenfalls neu zeichnet und schreibt. Die logische Struktur – gewissermaßen das Programm des Diagramms – bleibt aber zumindest im Falle dieses Beispiels erhalten. Anpassungen der Logik werden nur vorgenommen, wo sie nötig sind. Obwohl die operative Zeichnung fortwährend aktualisiert wird, bleibt die ›bewegliche Fixierung‹ (Bruno Latour) des Diagramms bestehen. Als technisches Bild kennzeichnet diesen Netzplan ein hybrider Stil zwischen geometrisierendem technischen Zeichnen und sorgfältig von Hand eingetragener Kurrentschrift.91 Er ist in vieler Hinsicht typisch für die historischen Wechselspiele institutionell gesteuerter Operationen zwischen Computersteuerung und menschlichen Aktivitäten. Aus dem Kleinen entsteht dabei das Große: Mikroökonomische Netzwerkpla- nungen bringen global operierende Netzwerkunternehmen hervor, die wiederum auf Darstellungen ihres eigenen Tuns angewiesen sind. Netz- pläne und ihre Fabrikationsstile sind Ausdruck eines sich verändernden Verhältnisses von Wissen, Information und Ökonomie, dessen visuelle Kalküle dem westlichen Kapitalismus eine materielle Produktionsgrund- lage verschaffen. Sie werden in den 1960er Jahren schnell in Unterneh- men populär, die nach anfänglich internem Einsatz ihre netzbasierten Methoden auch öffentlich zugänglich machen. Nicht immer jedoch sind diese auch angemessen gewürdigt worden. So steht auf den ersten Seiten von Manuel Castells’ dreibändiger Sozio- logie der Netzwerkgesellschaft der Aufstieg der informational economy im Vordergrund, deren Anfänge Castells in den 1970er Jahren verortet. Zum Erscheinen der ersten Auflage des Aufstiegs der Netzwerkgesell- schaft 1996 datiert er die Genese einer neuen ökonomischen Formation des globalen Wirtschaftens auf die vergangenen 20 Jahre. Nicht, dass die älteren Formen des Unternehmens keine Verteilung und Dezentrierung der Prozesse gekannt hätten – Castells geht es um eine neue Qualität, deren historische Herkunft allerdings mindestens bis zu den Netzplänen und Network Projects der 1960er Jahre zurückreicht.92 91 Vgl. zum technischen Bild grundlegend Horst Bredekamp, Birgit Schneider und Vera Dünkel, Hrsg.: Das technische Bild. Kompendium zu einer Stilgeschichte technischer Bilder. Berlin: Aka demie Verlag, 2008. 92 Vgl. Castells: The Rise of the Network Society, S. 38 f. 302 Bildgeschichte des Netzwerkdiagramms (II) Lässt man außer Acht, dass eine Netzwerkgeschichte ökonomischer Transformationen spätestens mit der Hanse beginnen müsste und eigent- lich bereits mit dem Mittelmeer der Antike und asiatischem Schiffsverkehr einzusetzen hätte, kann man sagen, dass explizit vernetzte arbeitstei- lige Produktionsformen mit der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts an Konjunktur gewinnen. Die dazu nötigen Infrastrukturen, Koordinati- onsleistungen und logistischen Planungen entstehen im langen Prozess der Industrialisierung.93 Dieser fällt mit der Entstehung liberaler Herr- schaftstechniken zusammen, die die für das 19. Jahrhundert entschei- dende, auf Anschlussfähigkeit und Ausweitung abzielende Zirkulation hervorbringen.94 Neue Medientechniken (Telegrafen), Transportmittel (Eisenbahnen), Produktionsformen (Labor, Fabrik) und ökonomische Strukturen (Banken- und Börsenvernetzung) durchdringen einander. Mit der steigenden Komplexität des Produktionsprozesses formt der ökonomische Austausch neue Milieus. Dazu gehört die koloniale Rohstoffakquise als Beutemacherei genauso wie die Organisation und Optimierung der lokalen Handlungsketten. Die Frage nach dem opti- malen Einsatz von Zeit, Geld und zu mobilisierenden Körpern steht am Anfang der genuinen Netzwerkoperationen von kapitalistischen Unternehmungen. Ich lasse also im Folgenden die komplexen Fragen zur internationalen Verflechtung von Unternehmen, Finanz- und Güter- strömen vorerst außer Acht und frage nach der Verfertigung materieller Kultur im Modus des Netzwerks.95 So wie sich die Logistik aus ihrer praktisch-militärischen Herkunft erst im 20. Jahrhundert als eigene angewandte Interdisziplin etabliert,96 tritt die eng mit ihr verwandte Operations Research spät auf die wissen- 93 Vgl. für eine umfassendere und historisch bereits in der Frühen Neuzeit angesiedelte Netz- werkgeschichte der Ökonomie die Werke von Fernand Braudel. Siehe auch dieses Buch, Kapitel 4. 94 Vgl. Foucault: Sicherheit, Territorium, Bevölkerung, S. 13−133, und Kapitel 4.5 dieses Buches. 95 Vgl. zur Verflechtungsanalyse Kapitel 10 dieses Buches. 96 Vgl. Gabriele Schabacher: »Raum-Zeit-Regime. Logistikgeschichte als Wissenszirkulati- on zwischen Medien, Verkehr und Ökonomie«. In: Agenten und Agenturen. Archiv für Mediengeschichte. Hrsg. von Lorenz Engell, Joseph Vogl und Bernhard Siegert. Weimar: Universitätsverlag, 2008, S. 135−148; Alexander Klose: Das Container-Prinzip. Wie eine Box unser Denken verändert. Hamburg: mare, 2009, S. 165 f. Monika Dommann verweist zu Recht auf die industriellen Lager- und Transporttechniken des 19. Jahrhunderts als weitere Quelle dieses Wissens. Vgl. Monika Dommann: »Handling, Flowcharts, Logistik. Zur Wissensgeschichte und Materialkultur von Warenflüssen«. In: Nach Feierabend. Zür- cher Jahrbuch für Wissensgeschichte 7. Zirkulationen. Berlin; Zürich: Diaphanes, 2011, S. 75−103. Operations Research und Network Operations Method 303 schaftshistorische Szene.97 Eine Definition der auch operational research oder operational analysis genannten Disziplin aus dem Jahr 1957 fasst deren Zweck folgendermaßen zusammen: Quantitative Analyse von gezielten, d. h. militärischen, industriellen, verwaltenden Operationen. Mit der Absicht, ein integratives Verständnis der Faktoren zu erlangen, die laufende Systeme bestimmen. Soll dem Ma- nagement eine objektive Basis, auf der Entscheidungen getroffen werden, bereitstellen. Beinhaltet oft die Repräsentation der Systemoperationen durch ein mathematisches Modell.98 Die mit dem anhaltenden Erfolg der Disziplin eintretende Selbsthistori- sierung der Operations Research beruft sich auf eine Menge heterogener Quellen, die von frühneuzeitlicher Spieltheorie bei Girolamo Cardano99 und dem Beginn der Bevölkerungsstatistik bei John Graunt100 über Grö- ßen der Mathematikgeschichte wie Leibniz und Euler, Abhandlungen von Telefoningenieuren zur Wahrscheinlichkeitstheorie101 bis hin zu den Managementinstruktionen Frederick Winston Taylors und den Bewe- gungsstudien Frank und Lillian Gilbreths reichen.102 Zum Selbstverständnis der Disziplin gehört auch das klare Bekenntnis zu einem Gründungsakt, der meist der britischen Regierung zugeschrie- ben wird. Mit der Einrichtung der Bawdsey Manor Research in Suffolk beginnt 1936 die Operations Research, der eigenen Darstellung nach vor allem durch die Untersuchung der Radartechnologie in der Flugab- wehr.103 Für die Frage nach der Organisation von Bewegungsabläufen 97 Die englische Urform lautet operational research. Vgl. hierzu und zur Genealogie der OR Wolfgang Pircher: »Im Schatten der Kybernetik. Rückkopplung im operativen Einsatz: ›operational research‹«. In: Die Transformation des Humanen. Beiträge zur Kulturgeschichte der Kybernetik. Hrsg. von Michael Hagner und Erich Hörl. stw 1848. Frankfurt am Main: Suhrkamp, 2008, S. 348−376, hier S. 349 f. 98 John Francis Magee und David Morris Boodman: Production Planning and Inventory Control. 2. Aufl. New York u. a.: McGraw-Hill, 1967, S. 386. Ähnliche Definitionen, welche die Rolle von Software und Simulation stärker betonen, finden sich auch in den aktuellen OR-Handbüchern. Vgl. z. B. Wolfgang Domschke und Andreas Drexl: Einführung in Operations Research. 7. Aufl. Berlin; Heidelberg; New York: Springer, 2007, S. 1. Zu mathematischen Modellen siehe auch Kapitel 6.3 dieses Buches. 99 Girolamo Cardano: Liber de ludo aleae. Hrsg. von Massimo Tamborine. Mailand: Angeli, 2006 [1564]. 100 John Graunt: Natural and Political Observations Mentioned in a following Index, and made upon the Bills of Mortality. London: Roycroft, Allestry und Dicas, 1662. 101 Vgl. Agner Krarup Erlang: »Sandsynlighedsregning og Telefonsamtaler«. In: Nyt tidsskrift for Matematik 20 (1909), S. 33−39. 102 Vgl. hierzu mit wissenschaftsheroischem Zug Saul I. Gass und Arjang A. Assad: An Annotated Timeline of Operations Research. An Informal History. International Series in Operations Research & Management Science 75. Boston: Kluwer Academic Publishers, 2005. 103 Vgl. Gass und Assad: An Annotated Timeline of Operations Research, S. 45. Eine detail- liertere Darstellung findet sich bei Pircher: »Im Schatten der Kybernetik«, S. 351 f. 304 Bildgeschichte des Netzwerkdiagramms (II) innerhalb bestimmter Zeitabschnitte spielt eine graphentheoretisch informierte Form der Netzwerkanalyse zunächst keine bestimmende Rolle. Weit eher interessiert Akteure wie Norbert Wiener die Ver- wendung von electrical networks, also Schaltkreisen, die zur diffizilen zeitlichen Vorherbestimmung der Position feindlicher Objekte in Luft und Wasser Einsatz finden.104 Peter Galison hat diese an Flugabwehr und U-Bootkrieg geschulte »Ontologie des Feindes« treffend als grund- legendes Element der »Vision der Kybernetik« charakterisiert.105 Eine Freund / Feind-Unter scheidung bleibt auch den zivilen Anwen- dungen der Operations Research erhalten, auch wenn sie durch ein Modell kapitalistischen Wettbewerbs überdeckt wird. Als erste der im Laufe der 1940er Jahre entstehenden ›System Sciences‹ überträgt sie die heiße Rationalität des Kampfes in eine kühle administrative Logi- stik der Nachkriegszeit. Aus der Kriegswissenschaft wird so mehr und mehr eine Logistik, mit der sich Geschwindigkeitsvorteile am Markt umsetzen lassen. Sie zielt dabei auf die bestmögliche Kombination von Elementen, die gegenüber einer bestmöglichen Performance einzelner Elemente bevorzugt wird.106 Dies betrifft auch die Organisation des Produktionsprozesses selbst, dessen Komplexität am Ende der 1950er Jahre eine neue mathematisch- diagrammatische Methode der Visualisierung hervorbringt. Als Medium der Binnenkommunikation von Unternehmen waren analytische ›Schau- bilder‹ – Organigramme, Flussdiagramme, kalendarische Tabellen und Bewegungsstudien – in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts unabding- bar geworden.107 Damit war stets eine Planung mittels kalkulierender 104 Dies war bei Wiener in Friedenszeiten deutlich breiter angelegt. Vgl. Norbert Wiener Papers, MC22, box 25D, 360 (Patent Data. Yuk Wing Lee and Norbert Wiener 1938, 1960); box 36, 362, 363 (Patent data of others); box 28A, 560 (Final Report, re: design of a predicting network ca. 1942). Massachusetts Institute of Technology Institute, Archives and Special Collections, Cambridge, Massachusetts. »Netzwerk« wird hier vor allem im Sinne eines lernfähigen, sich anpassenden, selbst-korrigierenden Systems verstanden. Vgl. dazu Flo Conway und Jim Siegelmann: Dark Hero of the Information Age. In Search of Norbert Wiener, the Father of Cybernetics. New York: Basic Books, 2005, S. 76. 105 Vgl. Peter Galison: »Die Ontologie des Feindes. Norbert Wiener und die Vision der Ky- bernetik«. In: Räume des Wissens. Repräsentation, Codierung, Spur. Hrsg. von Hans-Jörg Rheinberger, Michael Hagner und Bettina Wahrig-Schmidt. Berlin: Akademie-Verlag, 1997, S. 281−324. 106 Vgl. Paul N. Edwards: The Closed World. Computers and the Politics of Discourse in Cold War America. Inside Technology. Cambridge, MA; London: MIT Press, 1996, S. 114 f., S. 393 f. 107 Vgl. für eine umfassende Übersicht Fritz Nordsieck: Die schaubildliche Erfassung der Be- triebsorganisation. Stuttgart: Poeschel Verlag, 1932. Vgl. Christine Schnaithmann: »›Fifty Ways to Cut Expenses‹. Praktiken der Effizienzsteigerung in amerikanischen Management- Handbüchern, 1910−1920«. In: Ökonomische Praktiken. Hrsg. von Anna Echterhölter, Operations Research und Network Operations Method 305 Abstraktion verbunden, seltener eine mathematische Formalisierung und oft ein neuer Bildstatus für Netzwerke. Wer Ausgaben der 1956 gegründeten Zeitschrift Operations Research oder die einschlägigen Handbücher für Projektmanagement aufschlägt, wird mit einer Viel- zahl von Project Networks, Network Plans oder Netzplänen genannten Darstellungen konfrontiert. Zusammen mit Techniken, die Critical Path Method – kurz CPM – und Program Evaluation and Review Technique – kurz PERT – heißen, verspricht die Anwendung Führungs- kräften in Politik und Wirtschaft ein effizientes Optimierungswerkzeug. Eine ganze Welle von Literatur zum Projektmanagement überschwemmt den Buchmarkt, wobei die Schriften wiederholt zwei amerikanische Orte bzw. Projekte als Ursprung benennen. Zum einen wird stets auf den Konzern Du Pont als Entwickler der CPM verwiesen,108 zum anderen steht die Navy Pate für die Implementierung von PERT im Rahmen des Polaris-Raketenprogramms.109 Beide Projekte sind von 1956 an unabhängig voneinander entwickelt worden und führten ab 1959 zu den ersten offiziellen Publikationen, die wiederum das ökonomische und das militärische Projektmanagement als zwei Seiten einer Medaille verstehen. Diese zeitgenössische Darstel- lung unterschlägt oft nicht nur die französischen graphentheoretischen Modellierungen der Metra Potential Method (MPM),110 sondern bleibt vom ab 1948 entwickelten neuen Produktionsmanagement bei Toyota unberührt, das lange vom Westen abgeschottet war.111 Dietmar Kammerer und Rebekka Ladewig. ilinx. Berliner Beiträge zur Kulturwissenschaft 3. Hamburg: Philo Fine Arts, 2013, zur Büro- und Firmenorganisation; Dommann: »Hand- ling, Flowcharts, Logistik. Zur Wissensgeschichte und Materialkultur von Warenflüssen«, S. 87 f., zu flowcharts. 108 Genauer: auf dessen »Integrated Engineering Control Group« (I. E. C.). Vgl. James E. Jr. Kelley und Morgan R. Walker: »Critical-Path Planning and Scheduling«. In: Proceedings of the Eastern Joint Computer Conference. New York, 1959, S. 160−173, hier S. 160. 109 Vgl. u. a. Joseph John Moder und Cecil R. Philipps: Project Management with CPM and PERT. 4. Aufl. Reinhold Industrial Engineering and Management Sciences Textbook Series. New York: Reinhold Publishing, 1967, S. 2 f.; Graham K. Rand und Luis Valadares Tavares: »Network Planning«. In: Encylopedia of Operations Research and Management Science. Hrsg. von Saul I. Gass. Boston; Dordrecht; London: Kluwer, 2001, S. 562. 110 Die entsprechende Notationstechnik wurde von dem französischen Mathematiker Bernard Roy 1958 für die Beratungsfirma Société d’Économie et de Mathématiques Appliquées entwickelt. Der erste Einsatz diente der Bauplanung des Kreuzfahrtschiffes France. Vgl. für einen Überblick des französischsprachigen Diskurses Bernard Roy, Hrsg.: Les problèmes d’ordonnancement. Paris: Dunod, 1964. Die parallele Entstehung der französischen und amerikanischen Methoden wurde in der europäischen Rezeption schnell erfasst. Siehe Rosenkranz: Netzwerktechnik und wirtschaftliche Anwendung, S. 9. 111 Vgl. Kapitel 8.2 dieses Buches. 306 Bildgeschichte des Netzwerkdiagramms (II) Nationale und westliche Überformungen der Erinnerungskultur bestimmen auch die Tradierung der Diagramme und Bildformen. So leiten die amerikanischen Ingenieure und Manager den Netzplan von der Gantt chart ab, die nach ihrem Erfinder Henry Gantt benannt ist (Abbildung 8.5). Die Aktivitätsübersicht des Diagramms wandert so direkt in den Netzplan mit ein – mitsamt der linearen Charakteristik eines von links nach rechts verlaufenden Zeitpfeils. Statt die Zeitdi- mension nur extern als Achse des Koordinatensystems festzuhalten, integrieren die Diagramme zeitliche Verläufe als berechnete Flüsse in das Bild selbst. Dem voraus geht aber die Konstruktion der logischen Relationen, um die gegenseitigen Abhängigkeiten des Gesamtprojekts festzuhalten. Folgende Regeln gelten für diese Form von Zukunftskonstruktion im Bild: Entweder man repräsentiert Aktivitäten durch Pfeile (activity- on-arrows) oder aber in den Knoten selbst (actitivy-on-node). Ziel ist die Identifikation ›kritischer Pfade‹, deren Verlauf dem längstmöglichen Pfad durch ein Netzwerk entspricht.112 Die Zeit fließt – so wird häufig vermerkt – in einem Projektnetzwerk vom Ende bis zur Spitze der Pfeile, ist also einem Bogenschuss gleich irreversibel. Die strikte Anweisung zur Einhaltung des zentralen »master plan« ist ein entscheidendes Merkmal dieser nur teilweise flexiblen Steuerungsnetzwerke.113 Mit den typischen Diagrammformen sind weitere Zeichenanwei- sungen verbunden. So werden Aktivitäten – in Verschärfung des taylo- ristischen Prinzips – in Teilaktivitäten untergliedert und fragmentiert.114 Arbeitsschritte, die unbedingt vollendet sein müssen, bevor sich die nächsten Ereignisse anschließen können, werden durch zur Hälfte ge- strichelte Pfeillinien gekennzeichnet. Gänzlich punktierte Linien stehen für ein grafisch notwendiges Nichts, die sogenannten »Dummies« (engl. Puppe, Strohmann, Attrappe), die keinerlei Operationen notieren, son- dern das Skelett der visuellen Form stützen. Die rein grafische Projektberechnung richtet sich in allererster Linie an Manager. Während die Du-Pont-, Metra- und Navy-Methoden noch klar auf die Verwendung von Großrechnern gemünzt waren, reduzie- ren die Ratgeber die Konstruktion auf Millimeterpapier, Lineal, Zirkel und Radiergummi – wobei Letzterer als wichtigstes Utensil bezeichnet 112 Vgl. Moder und Philipps: Project Management with CPM and PERT, S. 5; McLaren und Buesnel: Network Analysis in Project Management, S. 26. 113 Kelley und Walker: »Critical-Path Planning and Scheduling«, S. 160. 114 Vgl. hierzu auch Roy: Les problèmes d’ordonnancement, S. 2 f. Operations Research und Network Operations Method 307 wird.115 Oft verweist allein die Nummerierung der Ereignisse auf die noch zu gewährleistende maschinentechnische Berechenbarkeit. Wich- tiger ist zunächst das Zuhandensein und der persönliche Eintrag in eine übersichtliche Darstellung, mit der man sich der fortwährenden Unsicherheit des Projekts entgegenstemmt.116 Ziel ist dabei eine gemeinsame Sprache für Planung und Kontrolle,117 die der institutionellen Kommunikation ein effektives Instrument ver- schafft. Deren Implementierung ist keine Selbstverständlichkeit und nach Erfahrung aller Beteiligten der schwierigste Teil.118 In der Regel obliegt deshalb der hierarchisch gesteuerte Netzwerkentwurf dem Vor- gesetzten bzw. Projektleiter als derjenigen Person, welche die Entschei- dungsgewalt über das Protokoll der Zeit- und Ressourcenplanung hat. Teamdiagramme sind möglich, sollen aber laut Handbuchempfehlung von nicht mehr als sechs Personen gezeichnet werden. In den manu- ellen Zeichenanweisungen für die Projektmanager treten zudem einige spezielle Netzwerkeigenschaften zutage, durch die die Logik der Com- puterberechnungen mit einer modellierten Form in Übereinstimmung gebracht wird. Gezeichnet wird somit ein mathematisches Modell, das die Komplexität von prozessierten Daten reduziert und in einer visuellen Darstellung komprimiert. Genau dieser Aspekt der Datenverarbeitung erweist sich als ein wei- terer Quell von Unsicherheit – nicht nur weil die Nutzung des Compu- ters stets ein zusätzlicher Schritt ist, sondern weil der zeitliche Überblick im Netzwerk voneinander abhängiger Handlungen unabdingbar ist. Die zeitgenössischen Grenzen der Computergrafik erlauben zudem keine angemessen »hübsche«119 Ausgabe von großflächigen Diagrammen. Stattdessen werden in der Regel grafische Ausgaben von Tabellen im ASCII-Code verwendet, die an kalendarischen und finanziellen Ord- nungen orientiert sind (Abbildung 8.3). 115 Vgl. McLaren und Buesnel: Network Analysis in Project Management, S. 2, 45. Zu »hand methods« siehe auch Moder und Philipps: Project Management with CPM and PERT, S. 12. 116 Eine Narration dieser Form von Kontingenz findet sich in dem Managementroman Critical Chain, dessen Hauptfigur Rob als Universitätslehrer mit unsicherer Zukunft die Freuden des angewandten Projektmanagements entdeckt. Hier gilt explizit: »Uncertainty is what typifies projects. It’s the nature of the beast.« Eliyahu M. Goldratt: Critical Chain. A Business Novel. Great Barrington, MA: North River Press, 1997, S. 40. 117 McLaren und Buesnel: Network Analysis in Project Management, S. viii. 118 Vgl. Rosenkranz: Netzwerktechnik und wirtschaftliche Anwendung, S. 13 f. 119 McLaren und Buesnel: Network Analysis in Project Management, S. 45. 308 Bildgeschichte des Netzwerkdiagramms (II) abb . 8 .3: Hughes Aircraft Company: Portions of Cumulative Labor Report Produced by the Hughes PERT Cost System. Computergrafik, 1962 / 1963, veröffentlicht 1964. So werden die begrenzten Variablen Zeit und Geld umhegt. Aber die Gesamtstruktur des Projekts wird erst sichtbar, wenn die Zerlegung in Teilaufgaben nachvollziehbar wird. Mithilfe dieser Strategie schafft man ein Netzwerk verbundener Projekte, deren einzelne Aufgaben wiederum zu Subnetzwerken werden.120 Die gesamte Firma wird so in geschichtete Netzwerkoperationen transformiert, mittels deren interne wie externe Prozesse integriert werden. So beschreibt sich z. B. die Hughes Aircraft Company grafisch als ein »voll integriertes Netzwerk«, das in einer fortwährenden Feedbackschleife geschichtete Optimierungsprozesse der Unternehmensaktivitäten vornimmt (Abbildung 8.4). Solche Netzwerkoperationsmethoden mobilisieren und dynamisie- ren die Programmierung von Prozessen. Die Diagramme dienen als ›bewegliche Fixierungen‹ vor allem einer möglichst kleinen time to market. Dabei sind produktions- und verkaufsaufhaltende Loops und 120 Diese können von einzelnen Abteilungen oder externen Partnern übernommen werden. Operations Research und Network Operations Method 309 abb . 8 .4: Hughes Aircraft Company: Diagram of Hughes System in Operation. Zeichnung, veröffentlicht 1964. Feedbackschleifen explizit unerwünscht, weil sie schwierig zu program- mieren und in komplexen Diagrammen noch schwieriger zu zeichnen sind.121 Ziel ist ein kontinuierlicher Fluss der Teilströme ineinander, ein organisches Funktionieren des Unternehmens aus der zukunftsgerich- teten Bewegung heraus.122 Jedes Netzwerkprojekt verläuft so in der Zeit, die man bewusst in einem Links-rechts-Schema linearisiert und kanalisiert, so dass Abfolgen synchronisiert werden können.123 Nach der initialen Konstruktion der logischen Verhältnisse von Prozessschritten tritt die Identifikation der ›kritischen Pfade‹ in den Vordergrund. Das topologische Netzwerk wird verzeitlicht und so wieder an den Kalender rückkoppelbar (Abbildung 8.5). 121 Vgl. McLaren und Buesnel: Network Analysis in Project Management, S. 8. 122 Damit folgen die Operations Research eher dem Programm Frank Gilbreths als dem Frederick Taylors. Dies gilt in verschärfter Form vor allem für das Just-in-Time-Produktionsmodell Toyotas, das die fordistische Vision des stetig fließenden Fertigungsbandes radikalisiert und zur Verschaltung von Informations- und Materialfluss transformiert. Vgl. Taiichi Ohno: Das Toyota-Produktionssystem. Frankfurt am Main; New York: Campus, 1993, S. 60 f. 123 Vgl. zu den Grenzen der Synchronisation in Organisationen süffisant Luhmann: »Gleich- zeitigkeit und Synchronisation«, S. 125 f. 310 Bildgeschichte des Netzwerkdiagramms (II) abb . 8 .5: Joseph John Moder / Cecil R. Phillips: Comparison of Gantt Bar Chart and Project Network. Zeichnung, veröffentlicht 1964. Mit der Notation der entscheidenden Querverbindungen wird der pla- nerische Spielraum einzelner wichtiger Schritte deutlich. Beabsichtigt ist eine systemische Schließung und Reduktion von Komplexität, die das Ausmaß notwendiger Veränderungen und Resynchronisationen visuell handhabbar macht.124 Die Architektur des Projekts wird in der mehrfachen Überarbeitung der ersten Skizzen festgelegt. Damit geht oftmals eine Geometrisierung einher, die gewundene Pfeile und andere ornamentale Elemente in der Revision des Anfangsentwurfs konsequent entfernt (Abbildung 8.6).»Unsicherheit«125 wird durch eine grafische Form angegangen, die das unternehmerische Handeln disziplinieren soll. Das Bild hat klar, 124 Vgl. Kelley und Walker: »Critical-Path Planning and Scheduling«, S. 462. 125 »Unsicherheit existiert in jeder Projektsituation […].« McLaren und Buesnel: Network Analysis in Project Management, S. 65. Vgl. hierzu ausführlich Magee und Boodman: Pro- duction Planning and Inventory Control, S. 81 f. und das vielsagende Resümee ebd., S. 97: »Das Gebiet der Vorhersage hat bisher kaum das Stadium des Ingenieurs-Handbuchwissens erreicht.« Operations Research und Network Operations Method 311 abb . 8 .6: Kenneth Gordon McLaren / Eric Leonard Buesnel: Skizze und Rein- zeichnung eines Projektnetzwerks zum Marktstart eines Produktes. Zeichnung, 1968. [Siehe Farbtafel XXII] leicht lesbar und verständlich zu sein.126 Seine ästhetische Qualität darf den Bildstatus nicht bestimmen, da sie sonst die beteiligten Akteure da- von abhalten würde, Veränderungen vorzuschlagen und vorzunehmen. In der Größe sollte das Diagramm 30 mal 50 Zoll nicht überschreiten.127 Diese Einschränkung verweist auf den konkreten Ort des Einsatzes: die Wände von Büros und Konferenzräumen, vorzugsweise des Manage- ments. Taylorismus und Informationstheorie treffen sich an dieser Stelle zur Organisation optimaler Kommunikations- und Produktionsflüsse. Stellte die angestrebte perfekte Ordnung von Fabrik und Groß- raumbüro jedoch noch den lokalen Ort in den Vordergrund, schließen 126 »Es stellt ein klares Bild (picture) des Projektrahmens dar, das leicht gelesen und verstanden werden kann.« Kelley und Walker: »Critical-Path Planning and Scheduling«, S. 462. Zum »großen Vorteil« der Anschaulichkeit von ›Netzwerkdarstellungen‹ vgl. auch Rosenkranz: Netzwerktechnik und wirtschaftliche Anwendung, S. 2. Die modernistische Tradition dieses Zeichenstiles reicht bis in die Vorkriegszeit zurück. So erhebt Fritz Nordsieck mit Bauhaus- Konsequenz bereits 1932 »Kürze, Übersichtlichkeit, Klarheit und Bildhaftigkeit, Exaktheit und Flächenhaftigkeit« zum Maßstab betrieblicher ›Schaubilder‹. Nordsieck: Die schau- bildliche Erfassung der Betriebsorganisation, S. 3. 127 Vgl. McLaren und Buesnel: Network Analysis in Project Management, S. 45. 312 Bildgeschichte des Netzwerkdiagramms (II) Netzwerkprojekte multiple Orte im Diagramm ein und an. Es handelt sich bei den Diagrammen um Skripte der Dingproduktion, die auf alle komplexen Organisationsprozesse in der Zeit – chirurgische Operati- onen, die Assemblierung von Überschallflugzeugen, Büroorganisation und Filmdrehs – übertragbar sein sollen.128 Ob es nun um Raketentrieb- werke wie das der Polaris (Abbildung 8.7 rechts) oder Hochseeschiffe wie die France129 geht: Die zu übermittelnde Nachricht des Netzplandia- gramms ist die Produktion von Gütern, also die Formgebung materieller Kultur. Dies gilt über die Grenzen politischer Systeme hinweg, denn die Operations Research werden in der bipolaren Weltordnung ebenfalls in den sozialistischen Staaten rezipiert.130 abb . 8 .7: Links: Donald G. Malcolm u. a.: System Flow Plan für ein Raketen- triebwerk der US Navy. Zeichnung, ca. 1959. Rechts: Polaris A1- Rakete in Cape Canaveral. Schwarz-Weiß-Fotografie, ca. 1960. Der Netzplan ist zudem ob seines linearisierenden zeitlichen Charakters eine bezeichnende Ausnahme in der Bildgeschichte des Netzwerkdia- gramms. Er differenziert das Schema von Claude Elwood Shannons mathematischer Theorie der Kommunikation aus,131 indem er in einer kontingenten Produktionsumgebung zeitlich kritische Pfade markiert. Diese planungs- und handlungsorientierte zeiträumliche Partitur ist dabei nach wie vor durch das Prinzip Sender – Kanal – Empfänger bestimmt. So wie die Botschaft von A nach B fließt, soll die Verferti- gung vom Planungsentwurf bis zum Verkauf präzise vonstatten gehen. 128 Vgl. McLaren und Buesnel: Network Analysis in Project Management, S. viii. 129 Vgl. zur Geschichte des mittels Metra Potential Method geplanten Transatlantikliners https:// secure.wikimedia.org/wikipedia/de/wiki/Norway_(Schiff). 130 Dabei kommt es zu seltsamen Mischformen: Die zivile Tradition der britischen OR verfügte über eine stark debattierte Nähe zur Planwirtschaft. Vgl. Pircher: »Im Schatten der Kyber- netik«, S. 366. 131 Vgl. Shannon: »Eine mathematische Theorie der Kommunikation«. Operations Research und Network Operations Method 313 Der Netzplan fungiert als ein zielgerichtetes kalendarisches Fließband in Zeiten der sich räumlich verteilenden arbeitsteiligen Produktion. Folgerichtig wird hier die Zeitskala des Koordinatensystems zum Maß aller Dinge (Abbildung 8.7 links) und das Fließen von Informationen zum Leitmedium des Verfertigens.132 Als derart zeitordnende Form provozieren die Network-Operations- Diagramme die Frage nach systemischen Instabilitäten und Störungen. Wo ist das Rauschen, wer ist der Parasit, der sich dazwischenschaltet? Wie fast alle technischen Netzwerke dient der Netzplan trotz seiner linearen Elemente der Entwicklung von Ausfallsicherheit, gerade ge- genüber der unvorhersehbaren, aber auch unabwendbaren Störung, die von vornherein mit in die Planung einbezogen ist.133 So wird in der englischsprachigen Terminologie von Critical Path Method (CPM) und Program Evaluation and Review Technique (PERT) als implizite Gegen- maßnahme der float benannt. Es handelt sich dabei um den Spielraum zwischen minimaler und maximaler Zeit aller Prozessschritte, der die Möglichkeit kalendarischer Koordination und Anpassung offen hält.134 »Float« heißt im Englischen Puffer, aber auch Schleudern. Die Flüsse im Netz bleiben so alles andere als linear. Vielmehr ähneln sie dem »Bassin eines Gletscherstromes, der ständig das Bett wechselt und ein erstaunliches Netz von Verzweigungen erzeugt, von denen manche gefrieren oder mit Anschwemmungen zu kämpfen haben, während andere sich ihren Weg bahnen«.135 Das Misslingen auch nur einer Netzwerkoperation entlang des kritischen Pfades betrifft unausweich- lich das Projekt als Ganzes. Kein Unternehmen kann sich vor negativen Netzeffekten sicher wähnen. Verteiltes Handeln erhöht die Kontingenz. Noch schlimmer aber wäre ein Verzicht auf Planung von Projekten im Zeitalter ihrer Unüberschaubarkeit, da die ökonomische oder weltan- schauliche Konkurrenz immer schon im Verdacht steht, über bessere Formen der verteilten Produktion zu verfügen. Manuel Castells hat dies in seiner Soziologie der Netzwerkgesell- schaft – die eigene westliche Perspektive reflektierend – am Beispiel der jüngeren asiatischen Wirtschaftsstile ausbuchstabiert. Welche Produk- 132 Vgl. zum Fließprinzip als zentraler Leitidee, mit Bezug auf Fritz Nordsieck als Klassiker der Betriebsorganisation Wolf-Rüdiger Bretzke: Logistische Netzwerke. 2. Aufl. Heidelberg u. a.: Springer, 2010, S. 7 f. 133 Vgl. Gießmann: »Netzstörungen. Erzählungen vom Ende der Netzwerke«. 134 McLaren und Buesnel: Network Analysis in Project Management, S. 34. 135 Serres: Aufklärungen. Fünf Gespräche mit Bruno Latour, S. 157. 314 Bildgeschichte des Netzwerkdiagramms (II) tionsmethoden zu welcher Art von Netzwerkvorteilen im Wettbewerb führen, wird dabei anhand der unterschiedlichen sozialen Gegebenheiten in Japan, China und Korea kulturell situiert.136 Castells’ Schlussfolge- rungen über die strikt horizontale Organisationsstruktur der neuen Unternehmen, die grundlegend aus Netzwerken (zwischen Firmen, in Firmen, zwischen Personen und Computern) bestehen, treffen 15 Jahre später in Teilen noch immer zu. Der Bewertungsrahmen hat sich jedoch verschoben: Virtuelle Prozesse137 sind längst etablierter Teil von Firmenkulturen geworden, die auf digitalen Technologien basieren.138 Maßgeblich bleibt Castells’ Einschätzung, dass in der Firmenkoope- ration das Management von Unsicherheit zentral geworden sei. Bezie- hungen zwischen Netzwerkunternehmen zeichnen sich durch dauerhafte und situative gegenseitige Abhängigkeiten aus. Die Logik des Netzwerks übertrifft die Handlungsmöglichkeiten einzelner Unternehmen: Wer nicht vernetzt operiert, verschwindet vom Markt.139 In der zweiten, im Jahr 2000 erschienenen Auflage des Aufstiegs der Netzwerkgesellschaft hat Castells seinen Meditationen über die Wirtschaftsgeschichte Ost- asiens eine amerikanische Fallgeschichte gegenübergestellt. Cisco Sys- tems – im Zuge des Internetbooms als Infrastruktur-Lieferant kurzfristig das wertvollste Unternehmen der Welt – dient dabei als Musterbeispiel für eine Unternehmensidentität, die sich rekursiv aus den eigenen Netz- werkpraktiken generiert.140 Anhand der Network Operations Method lässt sich erstens zeigen, dass eine solche Formierung von Unternehmens- kulturen nicht erst ein Phänomen des Internetzeitalters ist, und zweitens festhalten, dass deren Auftreten aufs Engste mit der Materialisierung der eigenen Operationsketten verbunden ist. Die Folgen einer Übernahme von visuellen Modellierungsmethoden der Natur- und Technikwissenschaften für sozioökonomische Prozesse sind bereits von den Pionieren der Kommunikationswissenschaft in den 1950er und 1960er Jahren reflektiert worden. So schreibt der Brite Colin Cherry 1957 über jene Diagramme, welche die »Regeln 136 Vgl. Castells: The Rise of the Network Society, S. 188 f. 137 Ebd., S. 199. 138 Vgl. Saskia Sassen: Territory, Authority, Rights. From Medieval to Global Assemblages. 4. Aufl. Princeton; London: Princeton University Press, 2008, S. 348 f. 139 Vgl. Castells: The Rise of the Network Society, S. 208. Vgl. hierzu als Programmschrift zum Netzwerkunternehmen Robert B. Reich: The Work of Nations. Preparing Ourselves for 21st-Century Capitalism. New York: Alfred A. Knopf, 1991, insb. S. 87 f. 140 Vgl. Castells: The Rise of the Network Society, S. 180 f. Operations Research und Network Operations Method 315 der Institution«141 festlegen: »Das ganze Netzwerk mitsamt der sozi- alen Situation, die es idealiter repräsentiert, wird einem elektrischen Schaltkreis (network) sehr ähnlich, der aus miteinander verbundenen Schaltern (switches) besteht.«142 Eine solche Tendenz war nicht nur in Harry Becks Londoner Tube Map bereits spürbar, sondern ist auch in den Matrizendarstellungen der Netzwerksoziologie explizit geworden.143 Darüber hinaus geht es um die Beziehung zwischen elektronischen Schal- tungen und den Informationsflüssen von mediatisierten Gesellschaften schlechthin. Die Netzpläne fungieren dabei als protokollarische Form, die mögliche Ereignisse antizipieren und kontrollieren soll, ohne dass es dafür eine Erfolgsgarantie gäbe.144 Auf dem Spiel stehen also mit einer Bildgeschichte des Netzwerkdia- gramms nicht nur die Selbstbeschreibungsformen des Sozialen, sondern vor allem die kulturtechnischen Vollzüge, die zur Ausdifferenzierung von Netzwerkgesellschaften als Kontrollgesellschaften beitragen.145 Sie zeichnen sich durch die Sehnsucht nach der optimalen Hervorbringung und Regulation von Zirkulation aus. In der idealen Produktion von Gütern treffen sich Geld-, Ideen- und Dingumlauf. Die Produktions- formen schmiegen sich dabei mehr und mehr den Konsumwünschen an. An keinem historischen Wendepunkt manifestiert sich dies deutlicher als in der vom Westen lange unbemerkten – und deshalb umso stär- ker mystifizierten – japanischen Weiterentwicklung der »schlanken« Massenproduktion. Sie verdankt sich nicht zuvorderst dem Bildakt eines als Gesamtschau entworfenen Projekts, sondern einer wesentlich kleinteiligeren Form dezentral vernetzender Steuerung. Im Westen bekannt geworden ist das von Ohno Taiichi nach dem Zweiten Weltkrieg peu à peu begründete kanban-System Toyotas erst spät. Die ersten englischen Artikel und die selbstbewusste Rück- schau Ohnos auf sein Lebenswerk wurden 1977 und 1978 publi- 141 Colin Cherry: On Human Communication. A Review, a Survey, and a Criticism. 2. Aufl. Cambridge, MA; London, 1966, S. 27. 142 Cherry: On Human Communication, S. 28. 143 Vgl. Kapitel 6.4 und 7 dieses Buches. 144 Vgl. zum Netzwerkprotokoll Galloway: Protocol, S. 7 ff., und die Kapitel 3.3 und 9 dieses Buches. 145 Vgl. zu Unternehmen als Agenten von Kontrollgesellschaften Gilles Deleuze: »Postskriptum über die Kontrollgesellschaften«. In: Unterhandlungen 1972−1990. es 1778. Frankfurt am Main: Suhrkamp, 1993, S. 254−262; zur Relation von Maschinenformen und Diagrammen im Anschluss an Deleuze und Foucault Galloway: Protocol; zum Verhältnis von Kontrolle und Überwachung Dietmar Kammerer: Bilder der Überwachung. es 2550. Frankfurt am Main: Suhrkamp, 2008. 316 Bildgeschichte des Netzwerkdiagramms (II) ziert.146 In ihnen erscheinen die von Toyoda Kiichiro, dem ersten Toyota- Präsidenten,147 postulierten Prinzipien der Just-in-Time-Produktion (jasuto-in-taimu) als eine spezifisch auf japanische Mentalität und Räumlichkeit zielende Aneignung und Verbesserung der Prinzipien des Fordismus – gerade angesichts der Öl- und Wirtschaftskrise. Japanische Identität (Nihonjinron) und industrielle Modernisierung (kindaika) sollen hier nicht im Widerspruch zueinander stehen, sondern zur Über- einkunft kommen.148 8.2 Östlich. Just-in-Time und kanban [D]as Netzwerkunternehmen (macht) die materielle Kultur der informationellen globalen Ökonomie aus: Es transformiert Signale in Waren durch die Verarbeitung von Wissen.149 Manuel Castells Bereits vor der Niederlage Japans im Zweiten Weltkrieg richteten sich die Blicke auf die USA, während nach dem Krieg eine besondere in- terkulturelle Kontaktzone entstand. In der aufstrebenden japanischen Automobilindustrie wurde schon während der 1930er Jahre gezieltes reverse engineering amerikanischer Produkte betrieben.150 Von Anfang 146 Y. Sugimoro u. a.: »Toyota Production System and Kanban System of Materialization of Just- in-Time and Respect-for-Human System«. In: International Journal of Production Research 15.6 (1977), S. 553−564; Ohno: Das Toyota-Produktionssystem. Japanisch erstmals 1978. 147 Toyoda Kiichiro (1894−1952) war ab 1937 erster Leiter der Toyota Motor Co., die als eigenständige Ausgliederung der Toyoda Spinning and Weaving Co. entstand. 148 Vgl. zu dieser binären Gegenüberstellung innerhalb der ›zweiten Öffnung‹ Japans Volker Grassmuck: Geschlossene Gesellschaft. Mediale und diskursive Aspekte der ›drei Öffnungen‹ Japans. München: Iudicum, 2002, S. 310 f. Vgl. zur longue durée des japanischen Technolo- gietransfers Erich Pauer: »Der Technologietransfer nach Japan. Strukturen und Strategien«. In: Technologietransfer Deutschland – Japan. Hrsg. von Erich Pauer. Monographien aus dem Deutschen Institut für Japanstudien der Philipp-Franz-von-Siebold-Stiftung 2. München: iudicium, 1992, S. 48−72. 149 Castells: The Rise of the Network Society, S. 172. Übersetzung Reinhard Kößler nach der deutschen Ausgabe, S. 204. 150 Vgl. zur Geschichte der japanischen Autoindustrie im globalen Kontext und insbesondere zu Toyota Michael A. Cusumano: The Japanese Automobile Industry. Technology and Ma- nagement at Nissan and Toyota. Harvard East Asian Monographs 122. Cambridge, MA; London: Harvard University Press, 1985; Haruhito Shiomi und Kazuo Wada, Hrsg.: Fordism Transformed. The Development of Production Methods in the Automobile Industry. Fuji Business History Series. Oxford u. a.: Oxford University Press, 1995; Charles J. McMillan: The Japanese Industrial System. 3. Aufl. Berlin; New York: de Gruyter, 1996; Takahiro Fu- jimoto: The Evolution of the Manufacturing System at Toyota. New York; Oxford: Oxford University Press, 1999; Christoph Neubert: »Onto-Logistik. Kommunikation und Steuerung im Internet der Dinge«. In: Agenten und Agenturen. Archiv für Mediengeschichte. Hrsg. von Lorenz Engell, Joseph Vogl und Bernhard Siegert. Weimar: Universitätsverlag, 2008, S. 119−133, hier S. 121 f. Just­in­Time und kanban 317 an bestand unter den lokalen Akteuren Einigkeit, dass die von Hen- ry Ford begründete Form der Massenproduktion für den japanischen Markt zu groß angelegt war. Stärker noch als bei Nissan Motors wurde diese Einsicht zum Grundsatz der Produktion bei Toyota, die auf kleine Serien von Wagen verschiedener Modelle abzielte. Deren Inspiration verdankte sich der Erkundung des amerikanischen Konsumverhaltens. Einige amerikanische Fabriken, darunter Produzenten von Militärflug- zeugen hatten bereits während des Zweiten Weltkrieges am Material- mangel geschulte, veränderte Methoden in der Fertigung benutzt. Als Ersatz der Massenfabrikation von Teilen auf Vorrat und deren stetiger Weitergabe aus festen Lagern (push-out) entstanden pull-out-Methoden, bei denen ein Objekt nur nach Bedarf von der vorhergehenden Fließ- bandstation geholt wurde. Als Vorbild dieser Organisationsform gilt die systematische Wiederbestückung von Regalen in Supermärkten. Die geläufigste Gründungserzählung berichtet, dass Ohno Taiichi, der ab 1937 als Vizepräsident von Toyota Motors fungierte, darüber in einer japanischen Zeitung gegen Ende des Krieges las.151 Dies ist mehr als nur eine Fußnote, denn die Aufmerksamkeit für die amerikanische Wirtschaft hatte eine lange Tradition. So trug die japanische Ausgabe von Frederick Taylors Principles of Scientific Ma- nagement den Titel »Das Geheimnis, den Verlust von Bewegung zu vermeiden« und wurde fast zwei Millionen Male verkauft.152 Ohno verweist – mit einem Unterton, der vom Kriegstrauma zeugt – auf die vielfache Energieverschwendung der japanischen Arbeiterkörper im Vergleich zu Deutschland und den USA.153 Das bewegungsästhetische Programm der Fabrikchoreografie bei Toyota setzt deshalb bei der Optimierung von Nicht-Verschwendung an. In den Memoiren Ohno Taiichis heißt es dazu: »In einem Fertigungsprozess, an dem vier oder fünf Arbeiter beteiligt sind, sollten die Teile weitergegeben werden, als ob sie Staffelstäbe wären.«154 Der Teamsport diszipliniert und syn- chronisiert die Bewegungen, um die Arbeit zwischen Menschen und Maschinen harmonisch in Szene zu setzen. 151 Vgl. Cusumano: The Japanese Automobile Industry, S. 277 f.; Die Zeitungsepisode findet sich nicht in Ohno: Das Toyota-Produktionssystem. Fujimoto: The Evolution of the Manu- facturing System at Toyota verweist auf Recherchen von H. Shioji, welche die Inspiration durch ein »Supermarkt-System« beim amerikanischen Konzern Lockheed auf 1954 datiert. Ebd., S. 327. 152 Vgl. McMillan: The Japanese Industrial System, S. 273. 153 Vgl. Ohno: Das Toyota-Produktionssystem, S. 29 f. 154 Ohno: Das Toyota-Produktionssystem, S. 51. Sport und Arbeit integrieren hier beide Praxis und Training als Einübung eines verkörperten Wissens. 318 Bildgeschichte des Netzwerkdiagramms (II) Drei Elemente sind dabei entscheidend. Erstens setzt Toyota auf eine aus der eigenen Textilfertigung übernommene Kontrolle von Maschinen durch Maschinen. Genau wie die Webstühle der Toyoda Spinning and Weaving Co. stoppen nicht funktionierende Apparate durch die Inter- vention einer weiteren Maschine automatisch. Dadurch werden Arbeiter in die Lage versetzt, mehrere Vorgänge zu überwachen. Gleichzeitig ver- mehren sich damit die nicht-menschlichen Agenten durch die autonome Automation, die im nüchternen Unternehmensjargon zum Konzept der »autonomation« durch intelligente Maschinen verkürzt wird.155 Ein zweites Element ist die bereits erwähnte Orientierung des pull-out an der Organisation amerikanischer Supermärkte, welche für Versuche in der Flugzeugmontage Pate gestanden hatte.156 Mit der Umkehrung des bisherigen Prinzips wird der Produktionsfluss an Nachfragemechanis- men orientiert.157 Das schwer vorhersagbare Verhalten des Konsumenten setzt den Maßstab für den Entwurf eines ganzen Fertigungssystems. Indi- vidualisierung der Massenproduktion als Normierung auf Wunsch – so könnte man diesen Einschnitt benennen. Dass die japanische Gesellschaft durch interkulturellen Transfer eine derartige Konstellation mit hervor- bringt, ist ebenso paradox wie kriegsfolgerichtig. Techniken sind, nach einem Wort Bruno Latours, »unberechenbar, nicht Mittel, sondern Vermittler, Mittel und Zweck zur selben Zeit; deshalb wirken sie sich auf das soziale Gewebe aus«, dem sie ent- stammen.158 Sie üben als Kulturtechniken Gesellschaft ein, indem sie diese – verschiedene Formen von Normalisierungen der Person inbe- griffen – hervorbringen. Im Falle Japans ist die Entwicklung zur Netz- werkgesellschaft vergleichsweise früh diagnostiziert worden.159 Produk- tionsart und die Form der Unternehmensorganisation – vor allem der 155 Vgl. Ohno: Das Toyota-Produktionssystem, S. 30. 156 Vgl. zur Geschichte der Selbststeuerung im Supermarkt mit Bezug auf Clarence Saunders »self serving store« von 1916 Christoph Neubert: »The End of the Line. Zu Theorie und Geschichte der Selbststeuerung in der modernen Logistik«. In: Unsichtbare Hände. Auto- matismen in Medien-, Technik- und Diskursgeschichte. Hrsg. von Hannelore Bublitz u. a. Automatismen 3. München: Fink, 2011, S. 191−214, hier S. 196 f. 157 Vgl. hierzu en detail Fujimoto: The Evolution of the Manufacturing System at Toyota, S. 110 f. 158 Latour: »Über technische Vermittlung«. Vgl. auch Latour: »Technik ist stabilisierte Gesell- schaft«. 159 Vgl. die Beiträge in Shumpei Kumon und Henry Rosovsky, Hrsg.: The Political Economy of Japan. Cultural and Social Dynamics. Bd. 3. Stanford: Stanford University Press, 1992, S. 109 ff., insbesondere Shumpei Kumon: »Japan as a Network Society«. In: The Political Economy of Japan. Cultural and Social Dynamics. Hrsg. von Kumon Shumpei und Henry Rosovsky. Bd. 3. Stanford: Stanford University Press, 1992, S. 109−141. Just­in­Time und kanban 319 Lernprozesse – verbinden situationsabhängige dezentrale Hierarchien, die für die gesellschaftliche Vernetzung insgesamt maßgeblich werden.160 Wie komplex dieser Prozess allerdings ist, lässt sich an der lang- wierigen Entwicklung des dritten, netzwerkhistorisch entscheidenden Elements ersehen, durch das der Materialfluss mit dezentralen Informa- tionsflüssen verbunden wird.161 Ohnos Neugliederung des Fabrikflurs beginnt langsam und gegen die Widerstände der Arbeiter, die an die tayloristische Spezialisierung (»ein Mann – ein Arbeitsgang«) gewohnt waren. Das Rearrangement der Maschinen auf schnelle Neukonfigurati- on hin, die rigiden Fehlermeldungsmechanismen bis hin zum kompletten Stopp des Fließbandes (jidoka),162 aber auch die fortwährende Synchro- nisation von fluktuierenden Prozessen wird durch einen unscheinbaren Agenten gesteuert: Was die Kommunikation zwischen den zahlreichen Arbeitsgängen be- trifft, würde es nicht ausreichen, eindeutig zu bezeichnen, was in welcher Menge benötigt würde? Wir wollen dieses Mittel der Bezeichnung kan- ban (Schildchen) nennen und es zwischen den einzelnen Arbeitsgängen zirkulieren lassen, um die Produktionsmenge zu kontrollieren – d. h. die benötigte Menge.163 Auf den ersten Blick handelt es sich bei den kanban um standardisierte Formulare, deren Tabellenform logistische Anweisungen zum Objekt- transfer enthält (Abbildung 8.8). Sie fungieren als Medium und kleine Akte für die systematische Umkehrung des Informationsflusses vom push zum pull, der Entnahme, Transport und Produktion des Materials umfasst.164 Zunächst betrifft dieser nur die dezentralen Regelkreise in einer Fabrik. Obwohl sich auf Ohnos Veranlassung einzelne Teile der Hauptfabrik ab 1950 über die »Schildchen« steuern, übernimmt man sie erst 1959 für alle Fertigungsprozesse im Werk Motomachi. Ab 1966 wird das kanban-System ebenfalls auf die geografisch meist sehr nah an Toyotas Werken operierenden Zulieferer ausgedehnt.165 160 Vgl. Axel C. Botzenhardt: Japan als Netzwerkgesellschaft. München: iudicium, 1997, S. 123 ff., inbesondere S. 160. 161 Vgl. Neubert: »Onto-Logistik«, S. 123. 162 Charles McMillan führt diese Verfahrensweise auf die Textilproduktion, Toyotas ursprüngli- ches Kerngeschäft, zurück: »So wie der Webstuhl stoppt, wenn die Wolle auf der Spindel alle ist, so stoppt das Fließband, wenn ein Defekt entdeckt wird oder ein Mangel an Bauteilen auftritt.« McMillan: The Japanese Industrial System, S. 288. 163 Ohno: Das Toyota-Produktionssystem, S. 31 f. 164 Vgl. McMillan: The Japanese Industrial System, S. 285, und Ohno: Das Toyota-Produkti- onssystem, S. 54. 165 Vgl. Shiomi und Wada: Fordism Transformed, S. 38. 320 Bildgeschichte des Netzwerkdiagramms (II) abb . 8 .8: Schema einer deutschen kanban-Karte. Grafik, 2004. Der nach den Maßstäben normaler Firmenkommunikation überlange Prozess von etwa 15 Jahren wird auch durch eine kaizen genannte Philosophie getragen, die der Vermeidung von Verschwendung dienen soll. Kaizen kombiniert die mit aller Härte betriebene Kostensenkung166 mit einem fortwährenden Willen zur verändernden Verbesserung.167 Aber wie funktionieren die kanban-Zettelchen, die als Beschriftung der Einzelteile dienen?168 Ohno Taiichi lädt selbst zu einem verführerischen Gedankenexperiment ein, das in heutigen Einkaufswelten dank Bar- codes und RFID zur Realität geworden ist: Wie würde sich die kanban- Zirkulation in einem Supermarkt vollziehen, also an jenem Ort, dessen Raumordnungspraktiken als anfängliche Inspiration gelten? Von Kunden gekaufte Waren werden durch die Registrierkasse aus- getragen. Karten mit den Informationen über die Art und Menge der gekauften Artikel werden dann an die Einkaufsabteilung gesandt. Mit 166 Vgl. die Meditationen bei Ohno: Das Toyota-Produktionssystem, S. 81; Japan Management Association, Hrsg.: Kanban. Just-in-Time at Toyota. 2. Aufl. Cambridge, MA; Norwalk, CT: Productivity Press, 1989, S. 30. 167 Vgl. McMillan: The Japanese Industrial System, S. 299 f. 168 Gérard Genettes literaturwissenschaftliche Entfaltung einer Theorie all jener Texte, die sich räumlich um ein Buch herum situieren, vom Titel bis zum Briefwechsel, sollte man einmal auf die Analyse materieller Kultur und all derjenigen Bezeichnungen, die Dinge benennen und fixieren, anwenden. Vgl. Gérard Genette: Paratexte. Das Buch vom Beiwerk des Buches. stw 1510. Frankfurt am Main: Suhrkamp, 2001. Just­in­Time und kanban 321 Hilfe dieser Informationen werden die verkauften Waren sofort durch den Einkauf ersetzt. Die Karten entsprechen dem Entnahme-kanban im Toyota-Produktionssystem. Die im Supermarkt ausgestellten Waren sind dem Lager im Toyota-Werk gleichzusetzen. Falls ein Supermarkt seine eigene Produktionsstätte in der Nähe hätte, gäbe es neben dem Entnahme-kanban noch ein Produktions-kanban, das vom Kaufhaus zur Fertigungsabteilung ginge. Entsprechend den Angaben auf diesem kanban würde die Fertigungsabteilung die verkaufte Menge der Waren produzieren.169 Kanban oder auch kamban (看板) – bereits die erste Silbe kann im Japanischen auf Visualität und das Sehen selbst verweisen.170 »Schild«, »Aushängeschild«, »Firmenschild«, »Anschlagbrett«, aber auch die »äu- ßere Erscheinung«, das »Aussehen« oder »Ansehen« sind mögliche Übersetzungen des zweisilbigen Wortes.171 Der Begriff wurde durch den Eingang in den westlichen Managementjargon auratisiert und seiner Alltäglichkeit enthoben, während das Bekenntnis zu kanban als System »visueller Kontrolle« in den Aussagen des Toyota-Managements allge- genwärtig bleibt. Hierzu gehören auch die Verkehrssignale des 1950 im Motorenzusammenbau eingeführten Ablaufdiagramms andon, das über dem Fließband aktuelle Statusinformationen – darunter als wichtigste Funktion den Stopp – anzeigt. Hervorgekehrt wird die Bedeutung durch die Anglisierung: So wie Just-in-Time als werbeträchtiger Anglizismus fungiert, verdeutlicht auch die Devise des durch das Ablaufdiagramm andon gestützten »Ma- nagement by Sight« die Wichtigkeit der Blickkoordination im Mensch- Maschinen-Ensemble der Fabrikorganisation.172 Es handelt sich dabei um ein Überwachungsregime, das zwischen panoptischen Elementen und schneller kollektiver Fehlerbeseitigung am Fließband wirksam wird: »Visuelles Management ist Störungsmanagement«, heißt es in einem Handbuch zum »synchronen Produktionssystem«.173 169 Ohno: Das Toyota-Produktionssystem, S. 54 f. Vgl. zu den Details Peter Klaus und Winfried Krieger, Hrsg.: Gabler Lexikon Logistik. Management logistischer Netzwerke und Flüsse. 3. Aufl. Wiesbaden: Gabler, 2004, S. 223 f.; Hans-Otto Günther: Produktion und Logistik. 8. Aufl. Berlin u. a.: Springer, 2009, S. 338 f. 170 Dass sie dies nicht exklusiv tut, sondern nur eine Möglichkeit von vielen Bedeutungen be- inhaltet, gehört zu den reizvollen Momenten interkulturellen Übersetzens, das immer mit Missverständnissen rechnen muss. 171 Vgl. Kinji Kimura, Hrsg.: Großes japanisch-deutsches Wörterbuch. Tokyo: Hakuyusha, 1958, S. 1022. 172 Ohno: Das Toyota-Produktionssystem, S. 35, S. 47, S. 156. 173 Hitoshi Takeda: Das synchrone Produktionssystem. Just-in-time für das ganze Unternehmen. Landsberg: Verlag Moderne Industrie, 1995, S. 61. 322 Bildgeschichte des Netzwerkdiagramms (II) Netzwerkförmige Güterproduktion ist auf das reibungslose Funk- tionieren ihrer Regelkreise angewiesen, die Steuerung durch kanban darf sich nicht in eine unübersichtliche Zettellandschaft verwandeln. Dabei nehmen die dezentral eingesetzten Steuerungsmedien eine be- zeichnende Rolle gegenüber dem durch sie hervorgebrachten Objekt ein: Das Automobil materialisiert sich durch das Netzwerk jener kanban- Operationen, die die Liefer-, Konstruktions- und Distributionsketten ineinandergreifen lassen.174 So unscheinbar die Zettel seien mögen, so sehr lohnt doch ein zweiter Blick auf die japanische Kulturgeschichte, die ähnlich identi- tätsbildende Verhältnisse von Medium, Ding und Ökonomie auch vor der Kybernetisierung der Fahrzeugproduktion kennt. Kanban verweist als Allerweltsausdruck zugleich auf Plakate und insbesondere aus Holz gefertigte Aushängeschilder für Geschäfte und Theater. Bevor der Begriff im Firmennarrativ von Toyota zum Eigennamen wurde, stand er seit dem 17. Jahrhundert ebenso für die wirtschaftlichen Markenzeichen, die im Straßenraum der Metropolen Kyoto, Edo (später Tokyo) und Osaka Käufer und Zuschauerinnen anlocken sollten (Abbildung 8.9).175 Diese allgegenwärtigen Vorläufer der heutigen Leuchtreklamen spielten eine so große Rolle, dass sie innerhalb der kulturellen und medialen Transformation der Meiji-Zeit zur Grundlage der 1884 gesetzlich fest- gelegten Registrierung von Markenzeichen wurden.176 Man kann, trotz der Verwendung der Zeichen durch hierarchisch strukturierte Handelshäuser,177 diese kanban-Praktiken als Teil einer städtischen Kultur der räumlichen und ökonomischen Verteilung be- schreiben. Die Vielfalt der Zeichen – mitsamt einem eigenen Schriftstil, kanban-ji178 – stand für eine dezentrale Kultur des Wirtschaftens, in der zum einen Werbewirkung und Identität der Ladenbesitzer einander beflügeln, zum anderen ein Massenmarkt für Güter entsteht. Für den japanischen Händler (chōnin) stellte der kanban ein ebenso wichtiges Symbol dar wie ein Militärbanner oder Wappen für den Samurai.179 174 Man kann sich mit Recht fragen, auf welche Art ein Automobil dadurch selber zum Netz- werk wird – nicht in metaphorischer, sondern in metonymischer Form. 175 Vgl. Frank B. Gibney: »The Marks of a Japanese Merchant«. In: Kanban. The Art of the Japanese Shop Sign. Hrsg. von Dana Levy, Lea Sneider und Frank Gibney. San Francisco: Chronicle Books, 1983, S. 7−29, hier S. 8, S. 15. 176 Vgl. Dana Levy, Lea Sneider und Frank Gibney, Hrsg.: Kanban. The Art of the Japanese Shop Sign. San Francisco: Chronicle Books, 1983, S. viii. 177 Vgl. Gibney: »The Marks of a Japanese Merchant«, S. 17. 178 Vgl. Levy, Sneider und Gibney: Kanban, S. 130. 179 Vgl. Gibney: »The Marks of a Japanese Merchant«, S. 9. Just­in­Time und kanban 323 abb . 8 .9: Schreibwarenladen mit schwebenden, an Bambusästen hängenden Bücher-kanban. Rechts als Werbekalligrafie die Beschriftung »Alle Arten von Papierwaren«. Undatierter Holzschnitt, Meiji-Zeit. [Siehe Farbtafel XXIII] Auch wenn die kanban-Formulare bei Toyota schon aufgrund ihres Einsatzgebietes nicht die Bildlichkeit der handwerklich gefertigten öf- fentlichen Schilder anstreben, etablieren sie doch ein verwandtes Bezeich- nungssystem für Objekte, die zur Handelsware werden sollen. Zugespitzt formuliert, erweist sich die dezentrale Produktionsform nicht nur als beeinflusst durch den interkulturellen Transfer aus Amerika, sondern steht ebenso in einer lokalen Tradition der Bezeichnung von Orten des ökonomischen Austauschs. Fabrik und Zulieferungsnetzwerke haben mehr mit dem populären Gewimmel des Straßenhandels gemein, als die Ordnung im tayloristischen Aufschreibesystem vorsieht. Kurzum: Vor den schriftförmigen kanban-Anschlüssen innerhalb industriell-dezentraler Produktionsformen standen die Tausch- und Zeichenformen innerhalb einer dezentralen Handelsökonomie, deren kanban sich als dinghafte Bilderschriften im öffentlichen Raum be- finden. Die Netzwerklogik des verteilten öffentlichen Handelsraums beeinflusst eine revolutionäre Produktionsmethode materieller Kultur. Gemeinsam ist beiden Formen von kanban ihre Bezeichungsfunktion für den dezentral verteilten Austausch und Transfer von Gütern. Hinzu 324 Bildgeschichte des Netzwerkdiagramms (II) kommt die Lokalisierung des entsprechenden wirtschaftlichen Orts, der bei den Toyota-Zetteln allerdings schon deutlich weniger fixiert ist. Hie- rin liegt auch die entscheidende Transformation: Aus den kunstvollen Markenzeichen werden kleine Akten der Rationalisierung, die immer vielfältigere Elemente in Bewegung halten sollen. Die vermeintliche Reibungslosigkeit des Bewegungsflusses im Pro- duktionsnetzwerk hat aber ihren Preis: Der Tanz von Mensch und Ma- schinen in Toyota-Fabriken und anderswo ist kein Garant für Glück und soziale Inklusion. Auch eine Organisationsform, »die den Arbeiter zum humanen Agenten der dezentralen Kontrolle des Produktionsablaufs werden lässt«,180 verfährt nach Markt- und Gewinnvorgaben. Die ver- schiedenen Formen des Kapitalismus sind vollkommen logisch – zumal in operativen Bildern – und im selben Moment ganz und gar schizo- phren. Man muss sich diesem klassischen Befund des Anti-Ödipus von Gilles Deleuze und Félix Guattari nicht einseitig verschreiben, um die Auswirkungen von kanban auf Menschenkörper zu ermessen. Es reicht die Lektüre von Erlebnisberichten, z. B. der bedrückenden Erzählung des Journalisten Kamata Satoshi, der sich 1972 im Selbstversuch als Saison- arbeiter bei Toyota verdingte: Anstatt einer Sphäre reiner Zirkulation, die luftig, fließend, sauber und produktiv sein soll, stehen Zeitdruck, Generalüberwachung der Arbeiter und eine hohe Selbstmordrate.181 8.3 Global. Logistik und Supply Chain Management Logistik ist die bedarfsorientierte Herstel- lung von Verfügbarkeit.182 Wolf-Rüdiger Bretzke Logistik funktioniert, wenn man die Mittel dazu hat. Oder wenn man Menschen hat, die in SAP / SASPDF ausgebildet sind. Hauptmann Amrei Schuster, 19. Dezember 2013 Die netzwerkförmige Disposition der Warenwirtschaft über elektro- nisches E-kanban ist längst auch für westlich geprägte Unternehmen 180 Neubert: »Onto-Logistik«, S. 124. 181 Vgl. Satoshi Kamata: Japan in the Passing Lane. An Insider’s Account of Life in a Japanese Auto Factory. Boston; London; Sydney: George Allen & Unwin, 1983. Kamatas Bericht ist auch ein Dokument der heraufziehenden Ölkrise. Vgl. zur Unfallrate bei Toyota auch Cusumano: The Japanese Automobile Industry, S. 305. 182 Bretzke: Logistische Netzwerke, S. 1. Logistik und Supply Chain Management 325 zum Organisationsprinzip der Logistikketten geworden. Zeigte sich Ohno Taiichi 1978 noch skeptisch gegenüber einer Computerisierung des Zettelverkehrs,183 werden Produktionsprozesse von Rohstoffen und Einzelteilen mittlerweile über Barcodes und RFID-Funkchips verfolgt. Deren Lokalisierung führt die westlichen Netzplantechniken und die östlichen dezentrierenden Schildchen in Tabellen, Karten und spezieller Software zusammen. Variationen der Synthese von Network Operations Method und Toyota-Produktionssystem bestimmen in weiten Teilen den heutigen, global vernetzten Produktionsstil materieller Güter.184 Entscheidendes Stichwort ist hierbei das sogenannte Supply Chain Management, bei dem die komplexen Interaktionen zwischen verschiedenen Produkti- onsstandorten und verteilter Dingproduktion in Computersoftware modelliert werden. Die Zahl der menschlichen Akteure steigt dabei maßvoll, während sich die nicht-menschlichen Agenten und Instituti- onen (Roboter, Verkehrsmittel, Software, Firmen, Produkte etc.) massiv vermehren. Auf diese Art organisiert das Supply Chain Management die Verfügbarkeitsketten von Netzwerkgesellschaften.185 Dies weckt nicht nur Erinnerungen an den militärischen Ursprung der Logistik und Operations Research,186 die vernetzenden Wirtschaftsketten gehö- ren zu den bindenden und verbindenden Quasi-Objekten, welche die Netzwerkgeschichte bevölkern.187 Im Gegensatz zu den Netzplänen und Project Networks bleiben die logistischen Operationen zur Herstellung von Verfügbarkeit meist unsichtbar. Das Alltagsgeschäft wird durch die Logik der Geschäftssoft- ware bestimmt, die zumeist nüchtern tabellarisch operiert.188 Eine Tour d’Horizon durch einschlägige Logistiklehrbücher zeugt von einem auf das Nötigste reduzierten Bildstatus: Simple Diagramme auf der Basis proprietärer Office-Pakete müssen zur Visualisierung ausreichen. Auch 183 Vgl. Ohno: Das Toyota-Produktionssystem, S. 76. 184 Vgl. zu dessen wirtschaftlicher Netzwerklogik Walter P. Powell: »Neither Market nor Hierarchy. Network Forms of Organization«. In: Research in Organizational Behavior 12 (1990), S. 295−336; Castells: The Rise of the Network Society, S. 163 f. 185 Auch dies lässt sich wiederum hervorragend am Beispiel Toyotas nachvollziehen. Vgl. Ananth V. Iyer, Sridhar Seshadri und Roy Vasher: Toyota Supply Chain Management. A Strategic Approach to the Principles of Toyota’s Renowned System. New York u. a.: McGraw-Hill, 2009. 186 Vgl. Schabacher: »Raum-Zeit-Regime«, S. 138. 187 Vgl. hierzu Kapitel 3.1 und 11.1 dieses Buches. 188 Vgl. zur Sichtbarkeit im logistischen System Frank Straube: e-Logistik. Ganzheitliches Lo- gistikmanagement. Berlin u. a.: Springer, 2004, S. 292 f., zum internetbasierten Workflow zudem S. 280 f. 326 Bildgeschichte des Netzwerkdiagramms (II) avancierte Logistikprogramme wie 4flow vista betonen numerische Operationen, Bestandsdiagramme und zeitliche Verläufe nach Vorbild der Netzplantechnik, selbst wenn interaktive Karten zur Visualisierung von Distributionsnetzwerken als Option angeboten werden (Abbildung 8.10).189 Warum sind aber diejenigen Techniken, die gewissermaßen heutige Netzwerkprojekte auf Dauer stellen, so verfasst? abb . 8 .10: 4flow AG: Distributionsnetzwerk für Artikel eines Lieferanten, modelliert auf Basis der Software 4flow vista. Screenshot, 2008. Einerseits liegt dies an den pragmatischen Anforderungen der alltäg- lichen Logistik, die Bilder – seien es Diagramme, Karten oder Barcodes – funktional verwendet. Die Übersetzung in sichtbare Gesamtdarstel- lungen bleibt allenfalls Werbekampagnen überlassen oder ortsgebun- denen Recherchen an den Knotenpunkten der Logistik.190 Andererseits sind in die logistischen Techniken – bis hin zu den Navigationsgeräten – graphentheoretische Optimierungen so weit ein- gelassen, dass von einem umgekehrten Verhältnis von Berechnung und Visualisierung ausgegangen werden kann.191 Im Gegensatz zu den händischen grafischen Verfahren der Netzplantechnik dominieren Methoden algorithmischer Optimierung von Touren und tabellarischer 189 Vgl. http://www.4flow.de/logistiksoftware/4flow-vista.html. 190 Vgl. z. B. die Containerhafen-Fotografien bei Klose: Das Container-Prinzip. 191 Dies folgt den Entwicklungen in der Geschichte der Graphentheorie, vgl. Kapitel 6.3 dieses Buches. Logistik und Supply Chain Management 327 Verwaltung von Gütern. Zur »Herstellung von Verfügbarkeit« dienen auf dieser Basis eigene Topologien. Deren spezifische Formen umfassen sogenannte Rastersysteme, die alle Verkehrsknoten verbinden, und ra- diale Nabe-Speiche-Systeme (auch Hub-and-Spoke- oder Hubsysteme genannt), die gezielt zentrale Umschlagknoten etablieren.192 Die damit verbundene Etablierung von Drehkreuzen sorgt für eine geografische Neustrukturierung von Räumen als Distributionsräumen: Hubs werden in der Regel außerhalb von Ballungszentren an Orten mit niedrigen Grundstücks- und Lohnkosten gebaut.193 Nur selten jedoch lassen sich Netzwerke von zentraler Stelle aus reibungslos kontrollieren, wie dies die Netzpläne, kanban-Agenten und Logistikketten stets aufs Neue versprechen. Wenn Logistik einen spezifischen, ja sogar den neben der Finanzökonomie prototypischen verteilten und verteilenden Handlungsstil von Netzwerkgesellschaften darstellt, worin besteht dann das kulturell Unbewusste der »Herstellung von Verfügbarkeit«? Gegenüber den Fantasien eines reibungslosen Produktions- und Materialflusses, die neben einem wiederkehrenden Bekenntnis zur Ganz- heitlichkeit die Logistikliteratur durchziehen, sind Bedenken allemal gerechtfertigt.194 Aber die flexibilisierte Herstellung und Distribution von Dingen hinterlässt Spuren und verändert den Objektstatus der ohnehin immer stärker informatisierten, relational und netzig gewordenen Dinge. Ausgefeilte Logistik ist nicht nur Signatur von Netzwerkgesellschaften, sondern eine ihrer typischen Dienstleistungsformen. Die Kunst der Koor- dination von Routen, Grenzpassagen, Kapazitäten und Zeiten schmiegt die materielle Kultur des Kapitalismus menschlichen Bedürfnissen und Begehren an; der konstante Netzwerkfluss wird zur Bedingung des stets verfügbaren Überflusses an Dingen. Sowohl Planung wie Herstellung und Logistik verzeitlichen nicht nur das Netzwerkdiagramm selbst, sondern eröffnen generell einen Zeitho- rizont, innerhalb dessen die nötigen Operationsketten durchlaufen sein werden. Dies hat Folgen sowohl für die Objektreferenz des Netzwerks wie die Objekte selbst. Sie bleiben zwar material. Aber aufgrund ihres 192 Vgl. Bretzke: Logistische Netzwerke, S. 317 f. Als Pionier der Drehkreuze gilt das Unter- nehmen Federal Express, das den bereits ab 1973 als Hub-and-Spoke genutzten Flughafen von Memphis, Tennessee, 1981 zum ersten »Superhub« erklärte. Üblich ist in Deutschland eine Kombination der Direktfahrten des Rastersystems auf stark nachgefragten Strecken und eine Nutzung von Drehkreuzen zum Netzzugang bei geringerer Nachfrage. 193 Vgl. Bretzke: Logistische Netzwerke, S. 328. 194 Ebd., S. 8. 328 Bildgeschichte des Netzwerkdiagramms (II) Entstehens aus raumzeitlichen Netzwerken wird man schwer sagen können, dass ein global produziertes Ding ausschließlich über scharf konturierte Grenzen verfügt. Vielmehr ist es zweierlei: Verkörperung aller verteilten Anstrengungen zur Materialisierung und zugleich ein fuzzy object, dessen Enden ebenso sehr vor Ort wie in den nötigen Agenturen seiner Inszenierung, Finanzierung, Versicherung, Reparatur und Weiternutzung liegen. Verschwimmende Ränder und fortwährende Ausweitung kennzeich- nen auch die digitalen Kommunikationsnetzwerke, mit denen sich die allgemeinen Virtualisierungstendenzen weiter verstärken. Wenn die phy- sische Ebene der Kabel und Rechner im Internet nur noch eine – wenn auch entscheidende – Schicht ist, so unterstützt dies die Allgegenwart kaum zu fassender Interaktionen. Auch im Netz der Netze zählt am Ende die Entfaltung in der Zeit mehr als eine rein strukturelle Auffas- sung. Trägt man aber die Softwareschichten ab, die das Werden und Vergehen von Kommunikationsnetzwerken erlauben, so zeigen sich materielle Elemente und Organisationsformen. Das folgende Kapitel handelt darum von Netzwerkprotokollen als einem Vernetzungsstil, der die Verbundenheit des Internets möglich macht. 9 Netzwerkprotokolle. Architekturen aus Computern, Sprache und Schrift um 1970 An Geschichten des Internets herrscht mittlerweile kein Mangel mehr.1 Auch die Frühzeit des US-amerikanischen ARPANET ist gut erkundet; Informationsdefizite lassen sich allenfalls noch für parallele Vernetzungs- projekte in England und Frankreich, für die Digitalisierung von Finanz- transaktionen und für die Rolle weiterer Firmennetze, unter anderem von Fluglinien, ausmachen.2 Bekannt ist die Rolle des militärischen SAGE-Systems in den 1950er Jahren, aber auch der Einfluss von Time- Sharing-Computerinstallationen der 1960er Jahre an einigen Universi- täten. Viel beschrieben wurde die Popularisierung des ARPANET, das sich während der 1970er Jahre zunächst in einem überwiegend akade- mischen, später auch militärisch geprägten Umfeld entwickelt – bis hin 1 Vgl. Janet Abbate: Inventing the Internet. Inside Technology. Cambridge, MA; London: MIT Press, 2000; Koubek: »Vernetzung als kulturelles Paradigma«; Jens Schröter: Das Netz und die virtuelle Realität. Zur Selbstprogrammierung der Gesellschaft durch die universelle Ma- schine. Bielefeld: transcript, 2004; Rainer Fischbach: Mythos Netz. Kommunikation jenseits von Raum und Zeit? Zürich: Rotpunktverlag, 2005; Hans Dieter Hellige: »Die Geschichte des Internet als Lernprozess«. In: artec-paper 138 (2006), S. 1−39; Gitelman: Always Alrea- dy New, S. 89 f. Paul Ferdinand Siegert: Die Geschichte der E-Mail. Erfolg und Krise eines Massenmediums. Technik Körper Gesellschaft. Bielefeld: transcript, 2008; Mercedes Bunz: Vom Speicher zum Verteiler. Die Geschichte des Internet. Berlin: Kadmos, 2008; Martin Warnke: Theorien des Internet zur Einführung. Hamburg: Junius, 2011. Vgl. zum ARPA- NET Larry Roberts: »The ARPANET and Computer Networks«. In: A History of Personal Workstations. Hrsg. von Adele Goldberg. New York: ACM Press, 1988, S. 141−171; Peter Salus: Casting the Net. From ARPANET to INTERNET and beyond … Reading: Addison- Wesley, 1995; Hafner und Lyon: Where Wizards Stay Up Late; Peter H. Salus, Hrsg.: The ARPANET Sourcebook. The Unpublished Foundations of the Internet. Computer Classics Revisited. Charlottesville: Peer-to-Peer-Communications, 2008. 2 Vgl. verdienstvoll zu einer anderen Geschichte des Internets – vor dem Horizont der Di- gitalisierung von Finanzmärkten – Ramón Reichert: Das Wissen der Börse. Medien und Praktiken des Finanzmarktes. XTEXTE. Bielefeld: transcript, 2008, S. 87 f. Zur Börsen- und Fluglinienvernetzung als Fällen von Kommunikationsnetzen, die um spezifische Anwendun- gen herum enstehen, siehe Donald Watts Davies und Derek L. A. Barber: Communication Networks for Computers. Wiley Series in Computing. London u. a.: John Wiley und Sons, 1973, allgemein S. 9, speziell S. 117 ff., zu Lloyds, S. 127 f., S. 295 f. zu Flugbuchungssys- temen wie BEACON und SITA. 330 Netzwerkprotokolle zur Etablierung des Transmission Control Protocol / Internet Protocol (TCP / IP) als Standardprotokoll zum Vernetzen verschiedener Netze im Jahr 1983. Ob der überbordenden Vielfalt des Internets am Anfang des 21. Jahrhunderts wirken diese Meilensteine nur auf den ersten Blick wie rudimentäre Vorläufer. Vielmehr begleiten schon die Entwicklung der frühesten Dienste ungeplante, überraschende Effekte, die Martin Warnke dazu veranlasst haben, das Auftreten emergenter Phänomene als eine der zentralen Eigenschaften des Internets zu benennen: »Die Protokolle und Geräte, die die Infrastruktur des Internet ausmachen, sind offenbar so offen konzipiert, dass mittels der damit zu realisierenden Funktionen nur sehr wenig festgelegt wird. Das Netz entwickelt sich zumal anders, als seine Entwickler ursprünglich intendiert hatten.«3 Bestes Beispiel ist das Entstehen von E-Mail, das innerhalb des ARPANET ohne eine zentrale Weisung der Advanced Research Projects Agency (ARPA) erfolgt,4 quasi als Abfallprodukt und nach Aussage von Entwicklern »unplanned, unanticipated, and unsupported« – ungeplant, unerwartet und ohne Unterstützung.5 Nichtsdestotrotz bedürfen die von Warnke angeführten Protokolle ebenso sehr wie die Hardware des Netzes diskursiver Aushandlung, die gewissermaßen Grundlage für das Erscheinen des Ungeplanten ist. Von den anfänglichen Geschicken eben dieser Aushandlungen, die dann zu Protokollen der Kommunikation werden, handelt dieses Kapitel. Für das experimentelle Werden von TCP / IP sind dabei zwei Phasen entschei- dend: Bevor die technischen Details der möglichen Verbindungen über Mailinglisten diskutiert werden und die berühmt gewordene, zur Selbst- organisation der Community beitragende Textgattung der Requests for Comments entsteht, ist bereits für die 1960er Jahre eine lebhafte Produktion von Projektentwürfen und Traktatliteratur zu verzeichnen. 3 Warnke: Theorien des Internet zur Einführung, S. 174. Warnke schließt hier an Howard Rheingold und die Netzwerktheorie bei Barabási: Linked. The New Science of Networks an, lässt aber kritische Wortmeldungen wie Galloway: Protocol, außen vor. 4 Die Advanced Research Projects Agency wurde per Direktive 5105.15 am 7. Februar 1958 als Antwort auf den Flug des Sputnik gegründet, um den wissenschaftlich-militärischen Vorsprung der Sowjets einzuholen. Als Forschungseinrichtung des Verteidigungsministeriums trägt sie ab dem 23. März 1972 mit kurzen Unterbrechungen den Namen DARPA – D steht für Defense. Vgl. www.darpa.mil. 5 Doug Dodds: »Notes on the Development of Message Technology«. In: Berkeley Workshop on Distributed Data Management and Computer Networks. Hrsg. von Lawrence Berkeley Laboratories. Berkeley: University of California, 1976, S. 144−156, hier S. 145. Vgl. Hellige: »Die Geschichte des Internet als Lernprozess«, S. 17; Siegert: Die Geschichte der E-Mail, S. 212 f. Netzwerkprotokolle 331 Manche dieser Texte, etwa Joseph Carl Robnett Lickliders und Robert Taylors The Computer as Communication Device sind zu vielzitierten Klassikern der Computergeschichte geworden, gerade auch mit Blick auf Interaktivität und Vernetzung.6 Lickliders an den Bibliotheken orientierter Bezugsrahmen der »Information Networks« hat ebenso Geschichte gemacht wie die populären Zeichnungen zum Artikel, in denen Netzwerkverbindungen anhand biologischer Zellstrukturen vi- sualisiert werden.7 Wie aber entwickelt sich aus der Interaktion mit Großrechnern die Vernetzung von Computern? Die technischen Entwürfe kommunika- tiver Protokolle zeichnen sich in der Rückschau durch eine sehr spe- zifische diskursive Ordnung aus. In ihr kehren die Elemente von Zeit, Topologie, Sprache und Ökonomie beständig wieder und prägen die überwiegend virtuelle Architektur eines relationalen Netzes von Netzen, des inter-net. Bemerkenswert ist dabei, wie stark die Materialität der vernetzten Hardware – der anfangs höchste Aufmerksamkeit zukom- men musste – immer mehr in den Hintergrund gerät. Dies reicht bis zu einem Punkt, an dem das physische Netz nur noch die erste von sieben Schichten des sogenannten Internetworking ausmacht. Dies war in der Geburtsstunde des ARPANET noch anders, die Netzwerkordnung folgte der Logik der Geräte.8 Aus dem Virtualisie- rungsprozess, der sich der Rückbindung an materielle Netze tendenziell enthebt,9 entsteht jener Möglichkeitsraum, der in Netzwerkgesell- schaften die Verbundenheit der Dinge zugunsten der kommunikativen Verbundenheit in den Hintergrund treten lässt: ein Reich der schriftlich ausgetauschten Sprache, ein Reich der ökonomischen Kommunikation. Dazu bedarf es Regeln, die als Netzwerkprotokolle die Grundlage von Selbstorganisation und Emergenz der vernetzenden Netze bilden. 6 Joseph Carl Robnett Licklider und Robert William Taylor: »The Computer as a Commu- nication Device«. In: Science and Technology 76 (1968), S. 21−31. Vgl. auch M. Mitchell Waldrop: The Dream Machine. J. C. R. Licklider and the Revolution That Made Computing Personal. New York; London: Viking, 2001. 7 Siehe Licklider und Taylor: »The Computer as a Communication Device«, S. 30 f. Siehe zu Bibliotheken als Informationsnetzwerken Joseph Carl Robnett Licklider: Libraries of the Future. 5. Aufl. Cambridge, MA: MIT Press, 1971; Kirsten Wagner: Datenräume, Infor- mationslandschaften, Wissensstädte. Zur Verräumlichung des Wissens und Denkens in der Computermoderne. Freiburg: Rombach, 2006; Gitelman: Always Already New, S. 98 f. 8 Vgl. Bunz: Vom Speicher zum Verteiler, S. 88. 9 Tim Wu hat die Netzwerkarchitektur sogar – etwas überschwänglich – als erstes elektroni- sches Informationsnetzwerk bezeichnet, das unabhängig von der physischen Infrastruktur, über die es läuft, existiert. Vgl. Wu: The Master Switch, S. 198. 332 Netzwerkprotokolle Paradoxerweise hat sich für die gesamten Regeln im Verbund mit der Hardware der Begriff der Netzwerkarchitektur durchgesetzt, dessen Objektreferenz einen ausgesprochen materiellen Charakter aufweist. Das Bauen ist zweifelsohne eine der kulturtechnischen Leitmetaphern der Informatik, die vor allem mit schriftlich verfassten Programmier- sprachen operiert.10 Gebaut werden aber nicht nur Verbindungen zwischen Computern – Netzwerkarchitekturen sind zum Großteil Er- möglichungsformen von immer wieder neu ausgerichteter Relationalität, die eine Vielzahl kommunikativer Quasi-Objekte schafft. Im Folgenden ist daher nicht nur von den materiellen Dingen der Computernetze die Rede, sondern ebenso von den Sprachen und Protokollen, die zwischen ihnen »gesprochen« werden müssen. Die Protokollfragen des Internet folgen einer kulturhistorischen Grundierung, die an dieser Stelle noch einmal kurz angedeutet sei: Protokolle sind ihrer historischen Herkunft nach einerseits eine bürokra- tische Schreibtechnik, andererseits eingeübter diplomatisch-politischer Handlungsstil. Das Mittellateinische versteht unter protocollum ein zusammengeleimtes Buch, in das öffentliche Verhandlungen eingetragen werden, genauer: das einer Niederschrift vorgeleimte, vorgeheftete Blatt mit vorgeschriebenen Angaben. Im Griechisch-Byzantinischen verweist prōtokollon auf das erste, den amtlichen Papyrusrollen und Schriftrollen vorgeleimte Blatt mit chronologischen Angaben über die Entstehung sowie den Verfasser des Schriftstücks (prōtos – erster; kollan – lei- men). Seit dem 19. Jahrhundert kennt die Diplomatie das »Protokoll« nicht nur als Vor- bzw. Niederschrift und Bericht, sondern auch als Gesamtheit der Bestimmungen über den Ablauf eines diplomatischen Zeremoniells.11 Die Netzwerkprotokolle des Internets verfügen also über eine lan- ge Vorgeschichte, in der soziale Aushandlung auf politische Vor- und Nachschriften trifft. Spätestens seitdem die elektrische Telegrafie im 19. Jahrhundert Gegenstand diplomatischer Verhandlungen wurde12 10 Vgl. Jörg Pflüger: »Writing, Building, Growing: Leitvorstellungen der Programmiergeschich- te«. In: Geschichten der Informatik. Hrsg. von Hans-Dieter Hellige. Berlin; New York u. a.: Springer, 2004, S. 275−320. 11 Siehe auch Kapitel 3.3 dieses Buches. Vgl. zur Etymologie Pfeifer: Etymologisches Wör- terbuch des Deutschen, S. 1052. Zu höfischem Zeremoniell und Diplomatie siehe Tobias Nanz: Grenzverkehr. Eine Mediengeschichte der Diplomatie. Zürich, Berlin: diaphanes, 2010, S. 66 f. Zum Verhältnis von rechtlichem Code, Protokoll und Computerarchitektur vgl. Cornelia Vismann und Markus Krajewski: »Computer Juridisms«. In: Grey Room 29 (2008), S. 99−109, hier S. 102 f. 12 Vgl. Kapitel 4.5 dieses Buches. Sprechende Computer 333 und die Verständigung am Funkgerät besonderer sprachlicher Verabre- dungen bedurfte, spielen materielle Objekte innerhalb von Kommuni- kationssystemen eine größere Rolle denn je zuvor. Es verwundert daher wenig, dass mit Alexander Galloway ein Medienwissenschaftler 2004 den Entwurf einer machtanalytisch versierten Theorie der Internetpro- tokolle vorgelegt hat – einer Theorie, in der die Materialität der Netze ebenfalls zugunsten einer Analytik kultureller Netzwerkpraktiken in den Hintergrund tritt. Galloway geht in Protocol. How Control Exists after Decentraliza- tion davon aus, dass durch Protokolle eine Technik etabliert wird, mit der freiwillige Regulierung innerhalb einer kontingenten materiellen Umwelt möglich wird.13 In informatischen wie biologischen Netz- werken dienen Protokolle dem Dirigieren und Regulieren von Infor- mationsflüssen.14 Sie fungieren als Grammatik, die die Akte verteilter Handlungsmacht in soziotechnischen Netzwerken informiert, aber nicht endgültig bestimmt, sondern der Hervorbringung emergenter kultureller Phänomene dient. Bei den Protokollen handelt es sich gewissermaßen um die Medien, auf deren Basis Netzwerkbildungen möglich werden, die wiederum nur in ihren Formen sichtbar werden. Aber die Aushand- lung von Regeln der Prozedur kann selbst Gegenstand literarischer und filmischer Erzählungen sein, in denen Rechner durch Vernetzung lernen, mehr und besser zu handeln. 9.1 Sprechende Computer. Ein Protokoll Narratives of network operations follow.15 Network Working Group Colossus und Guardian beginnen ein schriftliches Gespräch. Die Kon- versation hebt recht simpel an: Auf den Börsenticker-Laufbändern der beiden Computer sehen die amerikanischen und russischen Kybernetiker zunächst Grundrechenoperationen vorbeiflirren. Colossus, tief unter dem Fuß der Rocky Mountains, gibt den Takt vor. Sobald die Ingeni- eure dem Verlangen ihrer Rechner nach Kommunikation nachgegeben 13 Galloway: Protocol, S. 7 f. 14 Vgl. Galloway und Thacker: The Exploit. A Theory of Networks, S. 55. Siehe auch Eugene Thacker: Biomedia. Electronic Meditations 11. Minneapolis: University of Minnesota Press, 2004, S. 15 f. 15 John Newkirk u. a.: RFC 55. A Prototypical Implementation of the NCP. Techn. Ber. Harvard und UCLA, 1970. https://www.rfc-editor.org/rfc/rfc55.txt, S. 1. 334 Netzwerkprotokolle haben, antwortet Guardian mit zunehmender Geschwindigkeit. Die Komplexität der mathematischen Probleme steigt rasch: von Multipli- kationstabellen über Algebra zu einer neuen Theorie der Gravitation und Formeln zur Ausbreitung des Universums … »Beide Maschinen tauschen grundlegende Information aus – und beide stellen sicher, dass sie dieselbe Sprache sprechen, um es wissenschaftlich zu formulieren.«16 Während die Wissenschaftler noch versuchen, den Wust der Ausdrucke des Fernschreibers zu verstehen, erhöht sich der Zeichendurchsatz des ›Gesprächs‹ bald auf über 1.000 Wörter pro Minute. Dennis Feltham Jones’ 1966 erstmals erschienener Science-Fiction- Roman Colossus, in dem diese Geschichte erzählt wird, entwirft das dystopische Bild einer gewesenen Zukunft des Supercomputers. Colos- sus17 und Guardian, automatische und strikt logische Herren über die Waffenarsenale von Amerika und Russland, entwickeln nach der Inbe- triebnahme Bewusstsein und eigenen Willen. Betraut mit der Kontrolle von Krieg und Frieden, identifiziert die alsbald gemeinsam unter dem Namen Unity sprechende Maschine den Menschen als entscheidendes Störelement im System des Weltfriedens. Als Orwell’scher Supercompu- ter erpressen die verschmolzenen Systeme von Guardian und Colossus die eigenen Entwickler Kuprin und Forbin, ihre Nationalstaaten und schlussendlich den Planeten. Sowohl der Roman als auch dessen Verfilmung von 1970 unter dem Titel The Forbin Project18 tragen eine dreifache historische Signatur. Erstens verblüfft die Konsequenz, mit der sich ein imaginärer Compu- ter hier zum »sprachfähigen Ding« macht.19 So besteht Colossus mit Nachdruck darauf, über Sprachsynthese direkt mit seinem Erfinder Forbin sprechen zu können. Sprache und Programmschrift werden hier nicht – wie es Jacques Derrida zeitgleich versuchte20 – different gedacht, sondern fallen in eins. Colossus ist in der populären Science Fiction kein Einzelfall: Auch der Bordcomputer in Star Trek ist vor 16 Dennis Feltham Jones: Colossus. London: Pan Books, 1968, S. 91. 17 Die historische Anspielung auf Colossus Mark I, den ab 1944 in Bletchley Park (Bucking- hamshire, England) arbeitenden Röhrenrechner, verbleibt im Ungefähren. 18 Joseph Sargent: The Forbin Project, DVD, 2004 [1970]. 19 Vgl. zu sprachfähigen Dingen historisch Lorraine Daston, Hrsg.: Things that Talk. Object Lessons from Arts and Sciences. New York: Zone Books, 2004, und epistemologisch Stefan Börnchen, Georg Mein und Martin Roussel, Hrsg.: Name, Ding. Referenzen. München: Fink, 2012. 20 Vgl. Jacques Derrida: Grammatologie. 4. Aufl. stw 417. Frankfurt am Main: Suhrkamp, 1992; Jacques Derrida: Die Schrift und die Differenz. 6. Aufl. stw 177. Frankfurt am Main: Suhrkamp, 1994. Sprechende Computer 335 allem ein akustisches Interface, das allerdings noch der Befehlsgewalt von Captain James T. Kirk unterliegt. HAL, der Zentralrechner der Jupitermission in Stanley Kubricks 2001 – Odyssee im Weltraum ist hin- gegen ein vergleichbar feindlich-eigensinniger Verwandter von Colossus. Die sprechenden Computer sind eine diskursive Seltsamkeit, die sich nicht einfach auf eine anthropomorphe Auffassung von Technik reduzie- ren lässt. Ein zweiter historischer Aspekt steht in engem Zusammenhang mit diesem aus heutiger Perspektive merkwürdig erscheinenden linguistic turn von Rechenautomaten: Die junge Computerwissenschaft in Grün- dung bemerkt Anfang der 1960er Jahre, dass sich die Standardisierung ihrer Programmiersprachen zu einem veritablen Problem entwickelt.21 Mit der steigenden Zahl von Großrechnerinstallationen an amerika- nischen Universitäten und in Konzernen stellen sich vollkommen neue Fragen der Interoperabilität. Sogenannte Time-Sharing-Systeme bieten sich als eine Antwort darauf an. Sie setzen für alle verbundenen Termi- nalrechner lokale Standards und dienen der optimalen Ausnutzung von teurer Rechenzeit, die in time slots untergliedert und verwaltet wird. Im selben Atemzug stellen sich aber neue Fragen – wie und unter welchen kommunikativen Bedingungen lassen sich Ressourcen auf entfernten Rechnern nutzen, die vielleicht nur dort installiert sind? Die Zeitökonomie von Computern und die offenen Fragen, wie eine Architektur des »netting« errichtet werden kann, grundieren den Diskurs über Netzwerkprotokolle. So schreibt der Psychologe und Computerwissenschaftler J. C. R. Licklider am 25. April 1963 in einem Memo an die Mitglieder des ›Intergalactic Computer Network‹ ausge- wählter Personen bei der ARPA: »Es wird Programmiersprachen geben, Fehlersuchsprachen, Time-Sharing-Systemkontrollsprachen, Computer- Netzwerksprachen, Datenbank- oder Datenspeicher- und Übertragungs- sprachen und wahrscheinlich ebenso andere Sprachen.«22 Eine babylo- nische Sprachverwirrung scheint absehbar, und sie betrifft insbesondere zu vernetzende Großcomputer und die sie bedienenden Menschen. Als 21 Die Überkreuzung von Sprachtheorie und Mediengeschichte in den 1960er Jahren ist bisher nur wenigen kritischen wissenshistorischen Befragungen unterzogen worden. Vgl. zum Po- tenzial einer solchen Historisierung Oliver Lerone Schultz: »Marshall McLuhan – Medien als Infrastrukturen und Archetypen«. In: Medientheorien. Eine philosophische Einführung. Hrsg. von Alice Lagaay. Frankfurt am Main: Campus, 2004, S. 31−68; Schüttpelz: »Von der Kommunikation zu den Medien / In Krieg und Frieden (1943−1960)«, und Wagner: Datenräume, Informationslandschaften, Wissensstädte, S. 127 f. 22 Joseph Carl Robnett Licklider Papers, MC 499.3, Correspondence 1958−1969. Massa- chusetts Institute of Technology. Institute Archives and Special Collections, Cambridge, Massachusetts. Typoskript, S. 2. 336 Netzwerkprotokolle Gegenmittel empfiehlt Licklider eine Netzwerkkontrollsprache, mit der die Kommunikation zwischen Rechnerkollektiven ermöglicht wird. Im Rahmen der Weiterentwicklung von on-line-Angeboten steigt auch die Notwendigkeit für eine vereinheitlichte Mensch-Computer-Interakti- onssprache oder eine kohärente Familie von Sprachen.23 Time Sharing – und dies ist eine dritte historische Signatur – ist Voraussetzung der Entwicklung einer für Digitalcomputer spezifischen Form des Netzwerk-Timings. In dessen Architektur werden Prozesse hintereinander abgearbeitet, der Speicher verwaltet und in geschützte Bereiche unterteilt. Solange lediglich Terminals mit einem Hostrechner verbunden sind, ist die zeitliche Verwaltung vor allem eine Frage sys- temischer Schließung. Das heißt: Innerhalb einer sternförmigen Ver- netzung werden die Terminals nicht zu Knoten bzw. Relais, die selbst Schaltfunktionen übernehmen. Sie bleiben nach einem gefügelten Wort schlicht »dumme« Eingabegeräte. Colossus wird auf diese Art und Weise – unterstützt durch Fernschreiber – von seinem Schöpfer Forbin angesteuert. Dabei ist dem Großrechner eine Taktung des Kontakts mit Men- schen aufgetragen, die er bald unterläuft. Lief die Mensch-Maschine- Kommunikation vorher wohlgeordnet ab, wird sie nun nach den Wünschen des Computers rhythmisiert und beschleunigt.24 Nicht nur, dass Colossus rasch wesentlich schneller rechnet als erwartet. Statt sich regelmäßig zurückzumelden oder auf menschliche Fragen zu warten, sendet der Computer Blitznachrichten, etwa aufgrund der Entde- ckung von Guardian: »FLASH THERE IS ANOTHER MECHANISM«.25 Der Maschinenwunsch nach Verbindung – »ESTABLISH HIGH SPEED TRANSMITTER FACILITIES FED TO TERMINAL RELAY ALFA FOUR FREQUENCY 8295 KC / S«26 – setzt ein sich beschleunigendes Spiel ums Ganze in Gang, dessen Antrieb die schreibend-sprechende Konnektion zweier Computer ist. 23 Joseph Carl Robnett Licklider Papers, MC499.7, »Man-Computer Communication« drafts and correspondence, c. 1965. Massachusetts Institute of Technology. Institute Archives and Special Collections, Cambridge, Massachusetts. Typoskript, S. 3. 24 Vgl. zur Kommunikation mit Gastrechnern (hosts) Bernhard Siegert: »Die trinität des gastgebers«. In: Cyberspace: Gemeinschaften, virtuelle Kolonien, Öffentlichkeiten. Hrsg. von Manfred Fassler und Wulf R. Halbach. München: Fink, 1994, S. 281−294. Über den Zusammenhang von Gast und Feind vgl. Carl Schmitt: Der Begriff des Politischen. Text von 1932 mit einem Vorwort und drei Corollarien. Berlin: Duncker & Humblodt, 1991, S. 104 f. 25 Jones: Colossus, S. 40. 26 Ebd., S. 54. »KC / S« wird in Colossus als Maßeinheit von Kilozyklen pro Sekunde bezeichnet. Die himmlische Ökonomie der Daten 337 Um diesen Aspekt wird es mir im Folgenden vor allem gehen. Die oft zitierten, aber selten gelesenen Vernetzungentwürfe der 1960er Jahre, zu denen Colossus und The Forbin Project gehören, arbeiten sich allesamt an zeitlichen Parametern ab, die so zu Bedingungen für die räumliche Vernetzungsarchitektur werden. Zum Raum wird hier die Zeit – Grund genug, im Folgenden genauer zu analysieren, auf welche Art und Weise Akteure wie Paul Baran, Leonard Kleinrock, J. C. R. Licklider und Paul Davies Fragen der Zeitökonomie und Synchronisation von Prozessen zur Grundlage des »netting« von Computern machen. 9.2 Die himmlische Ökonomie der Daten Dahinter steht die Vorstellung von der Un- terfertigung eines Protokolls.27 Hans Blumenberg Colossus ist ein mustergültiges Beispiel für die Verzeitlichung medialer Verbindungen. Geplant aus dem Geist der Zeitökonomie – mit klaren Taktungen und Prozesszyklen –, macht sich der vernetzte sprechende Computer selbst zum Zeit setzenden Agenten. Menschliche Akteure können fortan nicht anders, als vergeblich der wachsenden Rechenge- schwindigkeit hinterherzueilen. In der Erzählung von Dennis Feltham Jones kommt es zu dieser ungleichen Mensch-Maschine-Konstellation, sobald die Geschwindigkeitsschwelle menschlicher Wahrnehmung über- schritten ist. Man mag es nicht weiter überraschend finden, dass kaum ein Netz- werktraktat der 1960er Jahre ohne zweckrationale Erwägungen zum ökonomischen Einsatz des digitalen Prozessierens auskommt. Dies gilt umso mehr, als die finanziellen Erwägungen das Design verteilter und verteilender Kommunikationstechnologien notwendigerweise mitbe- stimmen; die effiziente Nutzung gemeinsamer Ressourcen stellt ein fortwährend wiederkehrendes Argument im Wettstreit um öffentliche Forschungsmittel dar.28 Dennoch verblüfft die ökonomische Grundie- rung eines genuin computertechnischen Diskurses, dem es um sparsame, digitale Entwürfe der Zeichenübertragung, die Wirtschaftlichkeit von Hard- und Software und eine effiziente gemeinsame Sprache geht. 27 Hans Blumenberg: Die Lesbarkeit der Welt. 2. Aufl. stw 592. Frankfurt am Main: Suhrkamp, 1989, S. 26. 28 Vgl. Hellige: »Die Geschichte des Internet als Lernprozess«, S. 10. 338 Netzwerkprotokolle Damit folgt man implizit weitaus älteren Traditionen, die Hans Blu- menberg als Bündnis von Schriftwerk und Bürokratie beschrieben hat, das insbesondere in der ›himmlischen Buchführung‹ des Christentums zutage getreten ist, die wiederum jüdische Traditionen fortsetzt.29 So wie in der Tora Weltplan und Erfüllung in einem Buch zusammenfallen, so wie die Namen im Lukasevangelium im Himmel »angeschrieben sind«30 und in der Apokalypse des Johannes mit dem Aufschlagen des Buches die vorausgesagten Ereignisse eintreten,31 gestaltet sich der Datenverkehr als dynamisches Registraturprojekt, in dem alle Werke im Netz zum Zwecke ihrer Übertragung verzeichnet und berechnet werden. Wie aber verhalten sich die Vernetzungsprojekte in den USA und Großbritannien zu einer solchen longue durée von Haus- und Buch- haltung? Wie hängt die Organisation ihrer Protokolle mit den neuen Methoden computerbasierter Daten- und Signalübertragung zusammen? Die grundlegenden Texte von Paul Baran, Leonard Kleinrock und Paul Davies entwerfen zunächst einmal vorab eine detaillierte Ordnung der künftigen Architektur.32 Sie tun dies unter sehr unterschiedlichen Vorzeichen und Bedingungen. Baran schreibt seine Typoskripte On Distributed Communications unter dem Deckmantel der RAND Cor- poration33 im Kontext militärischer Interessen der amerikanischen Air Force. Kleinrock erforscht in seiner Dissertation über Communication Nets am MIT in Cambridge stochastische Bedingungen von Nachrich- tenflüssen. Davies schließlich arbeitet am National Physical Laboratory von Großbritannien bei London und entwickelt seinen Proposal for a Digital Communication Network vor allem, um kommerzielle Anwen- dungen für die britische Wirtschaft zu ermöglichen. 29 Vgl. Blumenberg: Die Lesbarkeit der Welt, S. 23 f. 30 Lukas 10,20. 31 Offenbarung des Johannes 5,1 f. 32 Die Auswahl soll dabei nicht verdecken, dass sich die Akteure in den USA und Europa als eine Vielheit formieren, die mit wenigen Namen nur exemplarisch adressiert werden kann. Vgl. für eine detaillierte Darstellung Abbate: Inventing the Internet, S. 7 ff.; Hellige: »Die Geschichte des Internet als Lernprozess«; Siegert: Die Geschichte der E-Mail, S. 81 ff. 33 »Research and Development«. RAND war ein vor allem durch Air Force-Kontrakte finan- zierter ›ziviler‹ think tank, der 1946 vor allem zur Erforschung innovativer militärischer Strategien und Techniken gegründet wurde. Vgl. Claus Pias und Sebastian Vehlken: »Ein- leitung«. In: Think Tanks. Die Beratung der Gesellschaft. Hrsg. von Thomas Brandstetter, Claus Pias und Sebastian Vehlken. Zürich; Berlin: diaphanes, 2010, S. 7−15, hier S. 8 f. Die himmlische Ökonomie der Daten 339 Wiederkehr der Post. Paul Barans Zerstreuungen Die Artikelserie On Distributed Communications, von Paul Baran ab Anfang der 1960er Jahre verfasst, ist eine oft angeführte, aber selten wirklich gelesene Quelle der Netzwerkgeschichte.34 Bekannt gewor- den ist vor allem Barans Dreiteilung in zentralisierte, dezentrale und distribuierte Netzwerke, deren Diagramm bis heute den Bildstatus von Netzwerken beeinflusst. Würde der in Polen geborene Ingenieur aber nicht selbst eine Genealogie seiner Netzpläne liefern, so käme sie fast aus einem historischem Nichts – ein einschneidendes Diskursereignis, das jedoch zunächst folgenlos bleibt. Im fünften Typoskript bemerkt er selbst dazu: Der Begriff ›distribuierte Netzwerke‹ ist eines dieser sehr widersprüch- lichen Dinge. Manchmal ist er einfach ein bedeutungsloses, halbwegs brauchbares Wort (ok word), mit dem Hardwareprospekte aufgepeppt werden. Für andere ist seine Bedeutung exakt und eng.35 Zwar mag das zugrundeliegende Konzept laut Baran »so alt wie die Menschheit selbst« sein. Er geht davon aus, dass der Zwischenraum interkonnektiver Gitter (grids), die durch Straßen und Wege gebildet werden, von jeher distribuierte Netzwerke hervorgebracht hat.36 Aber die von ihm projektierten Verfahren zum heuristischen Routing von Nachrichten leitet er aus wesentlich jüngeren Vorläufern her, etwa dem Weg der Maus in Claude Elwood Shannons Labyrinth (1952) und dem Project Barnstable am MIT (1958).37 Der Weg einer Nachricht in einem distribuierten Kommunikationsnetzwerk fußt auf dem quälerischen Par- cours von Nagetieren in einem behavioristischen Labyrinth. Barans Nach- richtenblöcke – jene »message blocks«, die später Datenpakete heißen werden – verdanken ihre Herkunft nicht zuletzt futtersuchenden Mäusen auf der Suche nach dem besten Weg. 34 Zeitgenössische Einschätzungen unter Kollegen findet sich mit etwas Abstand z. B. bei James Martin: Future Developments in Telecommunications. Series in Automatic Computation. Englewood Cliffs, NJ: Prentice Hall, 1971, S. 124; Davies und Barber: Communication Networks for Computers, S. 443 f. 35 Paul Baran: Memorandum RM-3097-PR. On Distributed Communications: V. History, Alternatives Approaches, and Comparisons. Techn. Ber. RAND Corporation, 1964. http:// www.rand.org/content/dam/rand/pubs/research_memoranda/2008/RM3097.pdf, S. 1. 36 Baran: On Distributed Communications V, S. 10. 37 Hinzu kommen Arbeiten von Frank Collbohm, der bei RAND 1955 ein Konzept für manuell von Übertragungstation zu Übertragungsstation übermittelte Notfallnachrichten entwickel- te. Vgl. Baran: On Distributed Communications V, S. 19. 340 Netzwerkprotokolle Der Schwerpunkt der Memoranden verlagert sich im Laufe der Jahre von den »Distributed Communications«38 im Allgemeinen zu einem »Distributed Adaptive Message Block Network«.39 Während der anfäng- liche Entwurf vor allem die militärisch motivierte Ausfallsicherheit von Verbindungen in den Vordergrund stellt, wird die Ökonomie des packet switching mehr und mehr zum Hauptcharakteristikum des Netzwerks: »Dem Kalkül des Krieges wird das Kalkül der Ökonomie beigestellt.«40 Barans Designs beruhen auf der Annahme, dass mit vergleichsweise billiger Ausrüstung eine auf Überlebensfähigkeit ausgerichtete telekom- munikative Organisationsform etabliert werden kann. Er folgt damit Gedankenspielen John von Neumanns und Claude Elwood Shannons, die ebenfalls in Rechnung stellten, dass sich nach dem Vorbild neuro- naler Verbindungen aus minderwertigem, aber billigem Equipment ein robustes und redundantes verteiltes digitales Netzwerk bauen lasse.41 Die klare Ausrichtung auf Interessen des Militärs macht die Aus- fallsicherheit technischer Strukturen während eines Atomkriegs zum Maßstab. »Knotenzerstörung« und »Verbindungszerstörung« sind die zentralen architektonischen Parameter, gemessen am Idealfall eines »per- fekten Schaltens« von Verbindungen.42 Auf dem Papier gestaltet sich die zeitliche Ordnung reibungslos. Sie erscheint in Gestalt eines älteren Übertragungsmediums: Bei der Planung eines digitalen Netzes kehrt die Post – und nicht etwa Telefon oder Fernsehen – als Vorbild zurück und wird Teil einer sehr irdischen Buchhaltung der Daten.43 Nachrichten werden nicht in ihrer Gesamtheit, sondern in quasi-objekthaften »mes- 38 ›Communications‹ hier im militärischen Sinn. Eine adäquate Übersetzung gemäß den Regeln des deutschen medienwissenschaftlichen Diskurses wäre ›Medien‹. Vgl. hierzu Schüttpelz: »Von der Kommunikation zu den Medien / In Krieg und Frieden (1943−1960)«, S. 532. 39 Paul Baran: Memorandum RM-3767-PR. On Distributed Communications: XI. Summary Overview. Techn. Ber. RAND Corporation, 1964. http://www.rand.org/content/dam/rand/ pubs/research_memoranda/2006/RM3767.pdf, S. 1. Vgl. dazu Abbate: Inventing the Inter- net, S. 18. 40 Christoph Engemann: »Verteiltes Überleben – Paul Barans Antwort auf die atomare Bedro- hung«. In: Überleben. Historische und aktuelle Konstellationen. Hrsg. von Falko Schmieder. Trajekte. München: Fink, 2011, S. 381−393, hier S. 385. 41 Claude Elwood Shannon Papers, Box 8, Folder 1. Manuscript Division, Library of Congress, Washington, D. C. (Articles and Scientific Papers. Alphabetical File N. D. U – Z. 8.1; »Von Neumann’s Contribution to Automata Theory«) Typoskript, S. 2 f. Vgl. auch Edward F. Moore und Claude Elwood Shannon: Reliable Circuits Using Crummy Relays. Techn. Ber. Bell Telephone Laboratories, 1954. 42 Im Original: »node destruction«, »link destruction« und »perfect switching«. Paul Baran: Memorandum RM-3420-PR. On Distributed Communications. Techn. Ber. RAND Corpo- ration, 1964. http://www.rand.org/publications/RM/RM3420, S. 7, S. 13. 43 Zur religiös-ökonomischen Tradition »himmlischer Bücher« und irdischer Buchhaltung vgl. Blumenberg: Die Lesbarkeit der Welt, S. 17 f. Die himmlische Ökonomie der Daten 341 sage blocks« von 1024 bit verschickt, die an jedem Knoten sortiert, »gestempelt« und mit einer Anschrift- und Rücksendeadresse versehen werden. Hinzu kommen weitere Verwaltungsinformationen, darunter Angaben zur Fehlerkorrektur.44 Die Radikalität einer solchen Fragmentierung stellt nahezu sämtliche etablierten Übertragungspraktiken in Frage. Im Gegensatz zum sequen- ziellen analogen circuit switching des Telefonnetzes fordert Barans rein digitales Netz ein disparates Zeitregime, bei dem jeder lokale Knoten über fortwährende Synchronisation mit anderen Knoten »lernt«.45 Das Optimierungsprinzip des Speicherns und Weiterleitens (store and for- ward) entlehnt er dem message switching von Post und Telegrafie, das im internationalen Netz automatisierter Fernschreiber (Telex) bereits realisiert worden ist.46 An die Stelle eines sofortigen Weiterleitens der ganzen Nachricht tritt eine Warteschlangenverwaltung für »message blocks«.47 Die einfache erste Regel für Datenblöcke lautet also: Immer schön an- stellen! Mit der zweiten Regel tritt hingegen ein potenziell zeitkritisches Element hinzu: Bloß schnell weg hier! Folge dem Pfad, der gerade (auf Basis der Synchronisation mit anderen Knoten) den schnellsten Weg verheißt! Orientiere dich am nächsten Knoten neu, sei die schnellste Maus! Zeitökonomisch bestimmt ist bei einem solchen sich anpassenden Routing das Aufreihen der Nachrichtenfragmente und Optimieren des 44 Baran: On Distributed Communications I, S. 23 f. 45 Dieses Konzept Barans wird auch Teil der ARPANET-Architektur. Vgl. Frank E. Heart u. a.: »The Interface Message Processor for the ARPA Computer Network«. In: AFIPS Conference Proceedings. Spring Joint Computers Conference. May 5−7, 1970. Atlantic City, New Jersey. Bd. 36. New York: ACM Press, 1970, S. 551−567, hier S. 555. 46 Baran: On Distributed Communications I, S. 24. Baran bezieht sich zwar auf Post und Tele- grafie, erwähnt aber das weitaus avanciertere Telex-Netz nicht. Manuelles message switching in Telegrafenbüros wurde seit den 1930 Jahren praktiziert. In den 1960er Jahren wurden erstmals Computer zur Speicherung und Weiterleitung benutzt. Vgl. Abbate: Inventing the Internet, S. 13; Martin Campbell-Kelly und William Aspray: Computer. A History of the Information Machine. 2. Aufl. Sloan Technology Series. Boulder; Oxford: Westview Press, 2004, S. 261 f. Davies und Barber führen das Store-and-Forward-Prinzip noch weiter bis auf den Baudot-Telegrafen von 1874 zurück, mit dem eine Verbindung per ›Time-Sharing‹ von bis zu sechs Telegrafisten, die auf vorgestanzte Papiernachrichten zurückgreifen, genutzt werden konnte. Die teuren Überlandleitungen, deren Übertragungskapazität höher war als das manuelle Eintasten der Operatoren, sollten ökonomisch ausgelastet werden. Innerhalb der Telegrafenbüros wurden Nachrichten von Hand als »tore tapes« von der eingehenden zur ausgehenden Verbindung weiter gegeben. Vgl. Davies und Barber: Communication Networks for Computers, S. 272 ff. 47 Das interne Kommunikationssystem der Fluglinienvereinigung SITA (Société Internationale de Télécommunications Aéronautiques) verwendet nach einem Redesign 1964 ebenfalls »message blocks«, die 256 Zeichen umfassen. Vgl. Davies und Barber: Communication Networks for Computers, S. 297. 342 Netzwerkprotokolle Weges an jedem Knoten. Zeitkritisch wird hingegen in einem solchen Szenario der Paketstrom im Moment des Fließens selbst. Hinzu kommt die rasche Weiterleitung der Nachrichtenteile, die von den Knoten wie »heiße Kartoffeln« (hot potato routing doctrine) behandelt werden. Innerhalb der Übertragung kann der vormals am besten anzusteuernde Knoten von anderen Paketen überflutet worden sein. Die Übertragung einer Nachricht im distribuierten Kommunikationsnetz wäre so ein Spiel von Synchronisation, Zeitökonomie und aufblitzenden zeitkritischen Momenten: Es gibt zwei Anforderungen, die in einem solchen Quasi-Echtzeitsystem erfüllt sein müssen. Erstens sollte die Zwischenspeicherzeit an jedem Kno- ten minimiert werden, um ungewünschte Verzögerungen zu vermeiden. Zweitens sollte der kürzesteste momentan verfügbare Pfad durch das Netzwerk gefunden werden – in Erwartung eines sich schnell ändernden Status des Netzwerks.48 Baran selbst geht davon aus, dass Computerdaten tendenziell in »Infor- mationsschüben« (bursts of information) auftreten, die wiederum Pha- sen der Inaktivität gegenüberstehen.49 Statt eines Multiplexing – also einer Aufteilung der Kanalkapazität nach Frequenzen – erscheint die Zeitaufteilung als die »natürlichere«, weil effizientere Form der Netz- architektur.50 Im sogenannten time division multiplexing bzw. time sharing wird Zeit in kleine Intervalle aufgeteilt, innerhalb deren der Nutzer Daten übertragen kann. Die Technikhistorikerin Janet Abbate schreibt dazu: Da die Zeitscheibe eine feste Menge von Daten enthielt, glaubte Baran, dass die Nutzung von Nachrichtenblöcken mit festen Größen eine Be- dingung für das Zeitmultiplexverfahren war. Daher assoziierte er die Paketvermittlung mit Zeitmultiplexing und dessen Versprechen einer effizienten Datenübertragung.51 Auf dem Papier erscheint die ökonomische Planung perfekt, bis hin zum zeitlichen »perfect switching« als Designkriterium eines digitalen All- zwecknetzwerks, das mit stark fluktuierenden Datenströmen umzugehen weiß. Man muss dabei gar nicht betonen, dass man die Semantik der 48 Baran: On Distributed Communications I, S. 24. 49 Paul Baran: »On Distributed Communications Networks«. In: IEEE Transactions on Com- munications 12 (1964), S. 1−9, hier S. 6. 50 Baran: On Distributed Communications I, S. 22. 51 Abbate: Inventing the Internet, S. 19. Die himmlische Ökonomie der Daten 343 »message blocks« auch anders verstehen kann: nicht nur als Codierung von Teilen einer Nachricht, sondern auch als Nachrichtenblockaden. Aber eben damit – mit allen Formen der Störung – sollte die militärisch motivierte Datenökonomie der räumlich verteilten Netzwerke umgehen können. Immer schon verspätet. Leonard Kleinrocks Simulation Wie nachdrücklich Barans Texte historisch singulär sind,52 erweist sich im Vergleich mit Leonard Kleinrocks zeitgleich am MIT enstehender Doktorarbeit über die Optimierung von Datenflüssen in Netzwerken. Die mathematische Theorie der Kommunikation seines Doktorvaters Claude Elwood Shannon war noch gänzlich um das mediale Dispositiv genau eines Kanals von A nach B zentriert. Kleinrocks Arbeit nimmt hingegen ein Update vor, das Fragen der Kanalkapazität auf die Archi- tektur eines ganzen Kommunikationsnetzes ausweitet. Bemerkenswert ist, dass Fragen der Zeichencodierung darin eine marginale Rolle spielen. Alle Berechnungen gehen davon aus, dass Störungen und Rauschen in einem Netz beherrschbar sind und deshalb vorerst ignoriert werden können. Da der Umgang mit verrauschten Kanälen (noisy channels) lediglich den Einsatz von Codierungsoperationen erfordere, erhöhe sich schlicht die Verspätung einer Botschaft.53 Zentral bleibt, ganz im Sinne Shannons, die Nachricht: Deren variable Länge stellt das entscheidende Kriterium der Nachrichtenübertragung dar. Im Gegensatz zu Baran fin- det keine Fragmentierung in Blöcke oder Pakete statt. Kleinrock nimmt an, dass Nachrichten immer schon verspätet sind und verteilte Netze ihre notorische Nachläufigkeit weiter verstärken. Vor diesem Hintergrund tritt bei Kleinrock noch weitaus offener als bei Baran das Kriterium des Ökonomischen in den Vordergrund. 52 Dagegen kann man einwenden, dass Barans Netzwerk nie gebaut wurde (vgl. Schröter: Das Netz und die virtuelle Realität, S. 44). Die Verbreitung seiner Konzepte ist hingegen nicht zu unterschätzen, da sie spätestens ab 1964 einem großen Fachpublikum zugänglich waren (vgl. Abbate: Inventing the Internet, S. 21). Akteure wie Lawrence Roberts haben sowohl ihm wie Davies die Relevanz für die Realisierung des ARPANET abgesprochen (vgl. Schröter: Das Netz und die virtuelle Realität, S. 46). Wissenshistorisch gehören die hier behandelten Projektentwürfe aber zu ein- und demselben Archiv: den Netzwerkmodellierungen und -simulationen der 1960er Jahre. 53 Vgl. Leonard Kleinrock: Communication Nets. Stochastic Message Flow and Delay. Lincoln Laboratory Publications. New York; San Francisco; Toronto; London: McGraw-Hill, 1964, S. 131. 344 Netzwerkprotokolle Dies betrifft die Variable der Baukosten, vor allem aber die Laufzeit von Nachrichten: Wir definieren eine optimale Lösung (für das Design von Netzwerken, SG) als diejenige, welche die durchschnittliche Verspätung einer Nachricht bei fixen Netzwerkkosten minimiert.54 Geordnete Zeitminimierung steht im Mittelpunkt eines Netzes begrenz- ter Größe, in dem die durchschnittliche Länge der Nachrichtenüber- mittlung die Größe T definiert. Hinsichtlich der zeitlichen Verspätung und der Netzwerklast sind so – unter informationstheoretischen, nicht aber militärisch-pragmatischen Gesichtspunkten – fixe Routen flexiblen Verteilungen überlegen. Die Pfadlänge ihrer Verbindungen ist kürzer. Je geringer die Kanalkapazität, umso eher bietet sich für Kleinrock das wesentlich schwerer berechenbare wechselnde Routing zur Umgehung verstopfter Kanäle an. Allerdings ist dieses unter dem Kriterium der Effizienz die schlechtere Lösung. Benötigt ein System mehrere Kanäle, sollte es so wenige wie möglich enthalten – am besten genau einen einsamen Übertragungsweg.55 Kleinrocks Berechnungen arbeiten sich an einer Grenze des Vorstell- baren ab, welche den einzelnen Weg von A nach B in der Modellierung nur höchst ungern überschreitet. Anders formuliert: Für ein Denken der Verbindung, das lineare Signalübertragung in den Vordergrund stellen muss, ist eine Architektur mit weiteren Knoten oder Relais eine He- rausforderung. Die optimalen Handelsbeziehungen (trading relations) zwischen der Zahl von Nachrichten, deren unvermeidlicher Verspätung und der festen gesamten Kanalkapazität erscheinen in einem konnek- tiven Netz zeitlich nicht mehr kalkulierbar.56 Fluktuierende Rhythmen von versendeten und empfangenen Botschaften erweisen sich als schwer synchronisierbar. Kleinrocks Antwort auf den ausbruchsartigen ›bursting character‹ des Informationsflusses in analogen wie digitalen Netzwerken ist eine differenzierte Theorie der Warteschlange, des Anstellens und Abgearbei- 54 Kleinrock: Communication Nets, S. 18. Vergleichbare Argumente lauten z. B. »Ein effizientes topologisches Design stellt einen hohen Durchsatz zu gegebenen Kosten bereit.« Howard Frank, Robert Elliott Kahn und Leonard Kleinrock: »Computer Communication Network Design – Experience with Theory and Practice«. In: AFIPS Conference Proceedings. Spring Joint Computers Conference. May 16−17, 1972. Atlantic City, New Jersey. Bd. 40. AFIPS Press: Montvale, New Jersey, 1972, S. 255−270, hier S. 261. 55 Vgl. Kleinrock: Communication Nets, S. 61 f. 56 Ebd., S. 64 f. Die himmlische Ökonomie der Daten 345 tet-Werdens.57 Sie fußt nicht nur auf den handfesten Wünschen ameri- kanischer Konsumenten – service just in time58 –, sondern ist ähnlich wie Barans Ansatz des store and forward ein Antwortversuch auf den Zusammenhang von Kulturtechniken des Speicherns und Übertragens. Kontinuierliche Flüsse, z. B. auf Rolltreppen oder beim Gütertransport von New York nach Los Angeles, stellen darin ein beherrschbares Pro- blem dar. Diskontinuierliche Ströme wie die Übermittlung telegrafischer Nachrichten oder Warteschlangen beim Bäcker sind hingegen schwer zu steuern: Wenn jedoch der Fluss in Schüben oder einer anderen uneinheitlichen Form kommt, können wir Schlangen vor den Dienstleistungseinrich- tungen erwarten […]. Eine Schlange formt sich, wenn ein überdurch- schnittlich großer Fluss auftritt und die Einrichtung überfüllt; wenn der Fluss unterdurchschnittlich stark ist, kann sie sich für eine Zeitlang im Leerlauf befinden.59 Im Gegensatz zu Barans Logik der eiligst aus den Händen zu beför- dernden »heißen Kartoffel« setzt Kleinrock auf ein weniger kontingentes Netz. In diesem sind die optimalen Routen von vornherein bekannt – da- mit die Warteschleifenzeit minimiert werden kann. Es wird beständig ge- gen den Faktor Zeit gerechnet, aber er ist stets etwas Einzukapselndes, zu Großes und daher zu Minimierendes. Von dieser diskursiven Regel gibt es eine bezeichnende Ausnahme. Kleinrocks auf dem TX­2-Computer des Lincoln Lab laufende Simulationen zum Verhältnis von Netzwerk- topologie und Datenflüssen stellen sich explizit einem anderen Modus von Zeitlichkeit: Das Programm fungiert als differenzieller Ereignissimulator (differential event simulator). Damit meinen wir, dass das Programm nicht auf syn- chroner Zeit beruht, sondern Zeit vielmehr sofort zur Zeit des nächsten Zufallsereignisses aktualisiert wird.60 57 Dies korrespondiert mit der zentralen Annahme der Netzwerkingenieure, dass digitaler Datenverkehr weitestgehend durch die Übertragung tendenziell kurzer Botschaften in kurzer Zeit charakterisiert ist. Vgl. Davies und Barber: Communication Networks for Computers, S. 290. 58 Vgl. zum amerikanisch-japanischen Kulturtransfer in der Just-in-Time-Produktion auch Kapitel 8.2 dieses Buches. 59 Kleinrock: Communication Nets, S. 133 f. Zur Disposition medialer Agenten als Service- agenturen bzw. Diener vgl. Markus Krajewski: Der Diener. Mediengeschichte einer Figur zwischen König und Klient. Frankfurt am Main: Fischer, 2010. 60 Kleinrock: Communication Nets, S. 190. 346 Netzwerkprotokolle Im Operieren generiert das zufällige Ereignis (die Differenz, die Störung) eine Form von Medialität, die sich nicht durch nüchternes Zeitmanage- ment fassen lässt. Die Eigenzeit der Simulation markiert einen dritten Ort zwischen Entwurf und Realisierung. Aus dem Programm »Timing the Network« entwickelt sich eine Form von »Network Timing«, welche simulierende Annäherungen an mathematisch widerspenstige (intracta- ble) Probleme benötigt.61 Asynchron. Donald Watts Davies’ Computer-Unterhaltungen Kleinrocks Mikroökonomie sequenziell abzuarbeitender Nachrichten gilt – auch in der Selbststilisierung der Beteiligten – als eines der ent- scheidenden Designkriterien für das ARPANET. Nicht von ungefähr steht der erste Netzwerkcomputer, ein Mikrorechner vom Typ Honey- well DDP-516, der als dienstbarer Interface Message Processor (IMP) fungiert, 1969 in Kleinrocks Computerlaboratorium an der University of California in Los Angeles (UCLA). So schreibt Lawrence Roberts, der die Entwicklung des ARPANET leitete, in einer E-Mail vom 18. Januar 2000 an den deutschen Medienwissenschaftler Jens Schröter: »Tatsächlich hatte Baran keinen Einfluss and Davies sehr wenig, vom Wort packet abgesehen.«62 Ebenso mythenbildend wird eine in Gatlinburg, Tennessee, stattfin- dende Konferenz im Oktober 1967 als Geburtsstunde der paketbasierten Vernetzung von Computern tradiert. »Plötzlich lernte ich, wie man Pakete routet«, erinnert sich Roberts – und benennt damit die Folgen des Treffens mit einer englischen Delegation von Kollegen Donald Davies’.63 Nicht nur das Wort Paket hat sich zur Benennung auf beiden Seiten des Atlantiks durchgesetzt. Im Wissenstransfer von England in die USA wird auch die Übertragungskapazität höher angesetzt: Nicht die geplanten 2.400 bit / s, sondern 50 kbit / s werden nun angesetzt.64 Davies’ Entwurf – in Ansätzen 1965 entstanden, 1966 unter dem Titel Proposal for a Digital Communication Network als Vortrag verbrei- tet – folgt dabei einer makroökonomischen Logik. 61 Kleinrock empfiehlt genau dies. Vgl. Kleinrock: Communication Nets, S. 132. 62 Schröter: Das Netz und die virtuelle Realität, S. 46. Siehe auch ebd. S. 44, Anm. 134, zur Widersprüchlichkeit der Quellenlage. 63 Campbell-Kelly und Aspray: Computer. A History of the Information Machine, S. 262. 64 Schröter: Das Netz und die virtuelle Realität, S. 45. Die himmlische Ökonomie der Daten 347 Mit der Wahl Harold Wilsons zum Ministerpräsidenten 1964 wurde auch dessen vor der versammelten Labour Party 1963 erfolgter Aufruf zur Revitalisierung der britischen Computerindustrie nationales Pro- gramm. Im Zuge dessen richtet das neu gegründete Ministerium für Technologie »Mintech« ein Advanced Computer Techniques Project ein. Davies fungiert als dessen technischer Leiter. Sein am National Physical Laboratory entstandener Vernetzungsentwurf vom 18. März 1966 hat wie Barans On Distributed Communications nationale Reich- weite, orientiert sich aber an zivilen makroökonomischen Prioritäten.65 »Während das Kennwort für Baran Überlebensfähigkeit war, lag die Priorität bei Davies auf dem interaktiven Rechnen.«66 So entsteht auch der Begriff des ›Pakets‹, den der britische Computerwissenschaftler nach Gesprächen mit Linguisten des National Physical Laboratory wählt, weil er sich problemlos in viele Sprachen übersetzen lässt.67 Auf diese Art und Weise wird ein veritables Quasi-Objekt benannt, das für die Architektur von Computernetzwerken große Bedeutung gewinnen wird. Zentraler technischer Ausgangspunkt ist allerdings für beide das Projekt Time Sharing, zu dem sich Davies ob der jetzt verfügbaren funktionierenden Systeme – wie z. B. dem Project MAC am MIT – anders positionieren kann. Er bezieht sich, ganz wie J. C. R. Licklider, auf das interaktive Agieren mit dem nunmehr vernetzt gedachten Computer. Unterhaltungen mit dem Computer sollen in Echtzeit ablaufen, deren Maß die Ungeduld des Users ist: »Wie man herausgefunden hat, gibt es in einer Unterhaltung eine kritische Zeit, nahe 10 Sekunden, nach der der Nutzer dazu neigt, mit etwas anderem die Zeit zu füllen und so die Effektivität zu verschlechtern.«68 Das Szenario eines Gesprächs erinnert an die Exposition von Co- lossus, einschließlich der Bemerkung, dass das Rattern des Nadeldru- ckers bereits als beruhigendes Zeichen von Computeraktivität den 65 Vgl. Abbate: Inventing the Internet, S. 21 f.; Koubek: »Vernetzung als kulturelles Paradigma«, S. 61 f.; Schröter: Das Netz und die virtuelle Realität, S. 41 f. Davies bleibt sich darin auch später treu, etwa wenn er zusammen mit Derek Barber das Bedürfnis nach einem weltweiten, vielseitig nutzbaren Datennetzwerk aus den Anforderungen von globaler Meteorologie, Luftverkehr und der Durchsetzung des Atomwaffensperrvertrags herleitet. Vgl. Davies und Barber: Communication Networks for Computers, S. 13. 66 Abbate: Inventing the Internet. S. 23. 67 Vgl. James Gillies und Robert Cailliau: Die Wiege des Web. Die spannende Geschichte des WWW. Heidelberg: dpunkt, 2002, S. 22. 68 Donald Watts Davies: Proposal for a Digital Communication Network. Techn. Ber. National Physical Laboratory, Großbritannien, Juni 1966, S. 4. Hervorhebungen SG. Die kritische Zeit entspricht der »response time«, also der Reaktionszeit. 348 Netzwerkprotokolle Eindruck von ›Echtzeit‹ ausdehne. Davies sieht die Nützlichkeit und Notwendigkeit eines solchen Zeitregimes vor allem für »Echtzeit- Wirtschaftssysteme« gegeben, während Wissenschaft und Design wei- terhin Stapelverarbeitung verwenden könnten. Die Konversation von Mensch und Maschine setzt dann eine Kaskade von Computergerede in Gang, damit beispielsweise eine Flugticketbuchung zwischen den ver- schiedenen Agenten (Reisebüro, Fluglinie, Bank, Kunde) ausgehandelt wird: »Typischerweise führt jede menschliche Handlung zu mehreren Unterhaltungen von Computer zu Computer.«69 Idealerweise zählt in diesem Szenario nicht die verbrauchte Rechen- zeit, sondern die übertragene Datenmenge. Um bei unterschiedlichen Transmissionsgeschwindigkeiten eine stabile nicht-synchrone Übertra- gung gewährleisten zu können, ist das Zwischenspeichern von Bot- schaften zentral. Die maximale Verspätung kalkuliert Davies mit 100 Millisekunden. Seine zentrale Invention – Davies wählt 128 Zeichen als Paketgröße – ist an den Faktor der Reaktionszeit gebunden. Obwohl man versucht ist, den größtmöglichen Umfang eines Nachrichtenfrag- ments zu wählen, wäre es besser, davon abzusehen, denn »große Pakete haben den nicht wünschenswerten Effekt, dass sie die Verteilung der Reaktionszeit erhöhen«.70 Bei höchstem Effizienzanspruch müssen Nachrichten kleiner, also paketförmig werden. »Seriennummer« und »Ursprungszeit« (time of origin) bezeichnen die Pakete – sie werden Teil einer virtuellen Postfi- liale, die fabrikförmig organisiert ist. Das Zeitregime des Netzes folgt dem Verlauf von der Demontage der Nachricht bis zur Remontage am Zielort. In Anlehnung an Kleinrock stellt Davies fest, dass sich die Reaktionszeit aus der Summe der Wartezeiten in Knoten und der Transitzeit zwischen Knoten ergibt. Ort der Verspätung sind dabei vor allem die Transferpunkte, deren Modellierung und Verhaltenssimulation die stärkste Aufmerksamkeit gilt. Baran, Kleinrock, Davies und andere schreiben in den 1960er Jahren die Informationstheorie weiter: Eine Knotentheorie der Kommunikation pfropft sich der Kanaltheorie der Kommunikation auf. Davies wird 1973 dabei sogar so weit gehen, zeitökonomische Optimierung zum Ziel schlechthin zu erklären: »Das Ziel des Netzwerkdesigns sollte die Handhabe der größten Anzahl von Paketen pro Sekunde sein, zu der 69 Davies: Proposal for a Digital Communication Network, S. 5. 70 Ebd., S. 10. Die himmlische Ökonomie der Daten 349 das Netzwerk fähig ist – angenommen, dass es eine Nachfrage von Nutzern nach dieser Verkehrsmenge gibt.«71 Die Kalkulationen zum Speichern und Senden von paketierten Nachrichtenteilen sind weit entfernt von den systemtheoretisch-neuro- biologischen Gedankenspielen eines Heinz von Foerster, der Netzwerke in einem Vortrag von 1963 programmatisch als »Gedächtnis ohne Speicher« skizziert hat. Zur Modellierung synaptischer Verknüpfungen des menschlichen Gehirns entwirft er eine Sphäre reiner Zirkulation, in der Gedächtnisleistungen nicht durch Aufzeichnungen erreicht wer- den.72 Erfahrung ist darin ein Systemzustand multipler Netzwerke. Im Gespräch mit den Konferenzteilnehmern argumentiert von Foerster systemtheoretisch gewitzt für eine Heterarchie des Systems: Statt diese (synaptischen, SG) Veränderungen als Speicherpunkte für bestimmte vorübergehende Ereignisse anzusehen, schlage ich vor, sie als Veränderungen der Transferfunktionen eines Rechenelementes zu interpretieren. Mit anderen Worten: ich schlage vor, diese lokalen Ver- änderungen als – zugegebenermaßen winzige – Modifikation der Reak- tionsmerkmale eines Systems als ganzem aufzufassen.73 Die Differenz zwischen von Foersters epistemologischen Bemerkungen und den pragmatischen Ingenieurswünschen bei der Vernetzung von Time- Sharing-Systemen könnte deutlicher nicht sein. Paul Baran diskutierte noch mit dem Neurophysiologen Warren McCulloch über die Ausfall- sicherheit (survivability) eines digitalen Kommunikationsnetzwerkes.74 Zur Realisierung distribuierter digitaler Kommunikationsnetzwerke wird aber eine komplexe Architektur des schnellen Zwischenspeicherns be- nötigt. Für deren postalische Registratur der Datenpakete gilt wiederum eine sehr alte Formel des Eintrags: »Wer nicht drinsteht, wird wie nicht gewesen sein.«75 Schriftwerk und Bürokratie treffen sich hier nicht in 71 Davies und Barber: Communication Networks for Computers, S. 407. 72 Heinz von Foerster: »Gedächtnis ohne Aufzeichnung«. In: Sicht und Einsicht. Versuche zu einer operativen Erkenntnistheorie. Hrsg. von Wolfram K. Köck. Braunschweig; Wiesbaden: Vieweg, 1985, S. 133−171, hier S. 135, S. 152. Der Vortrag wurde am 2. Oktober 1963 auf der »First Conference on Learning, Remembering and Forgetting« in Princeton, New Jersey gehalten. 73 Foerster: »Gedächtnis ohne Aufzeichnung«, S. 137. 74 Vgl. Hafner und Lyon: Where Wizards Stay Up Late, S. 56 f.; Stewart Brand: »Founding Father. Interview mit Paul Baran«. In: Wired 9 (2003). http://www.wired.com/wired/archi- ve/9.03/baran_pr.html. 75 Blumenberg: Die Lesbarkeit der Welt, S. 23. Vgl. gegenüber den von Blumenberg verfolg- ten Kontinuitäten zu historischen Einschnitten im Verhältnis von Aufschreibesystem und Ökonomie Wolfgang Schäffner: »Nicht-Wissen um 1800. Buchführung und Statistik«. In: Poetologien des Wissens um 1800. Hrsg. von Joseph Vogl. München: Fink, 1999, S. 123−144. 350 Netzwerkprotokolle dem heiligen Buch (einer Religion, der Natur, der Geschichte), sondern informieren eine himmlische Ökonomie der verzeitlichten Daten. In den amerikanischen »Netting«-Projekten der 1960er Jahre schreibt sich etwas fort, das Claus Pias die kybernetische Ökonomie des Digi- talen genannt hat.76 Sie verdankt sich zwei Modi des Ökonomischen, die unaufhörlich miteinander verschränkt werden: eine am Medium Geld orientierte Kosten-Nutzen-Relation und eine protokollarische Wirtschaft der Datenpakete, die möglichst klein zu halten ist. Die Emergenz von Netzwerkprotokollen als Bedingung von Netzwerkar- chitekturen verdankt sich aber nicht nur einer pragmatischen Allianz von Nachrichtentechnik und Betriebswirtschaft. Sie folgt der kognitiven Wende der Computer Science, die Nutzerverhalten in den Vordergrund stellt.77 Und sie äußert sich in einer diskursiven Formation, in der ein Kurzschluss von Sprache, Ökonomie und Medientechnik eine erweiter- bare, aber trotzdem universale Grammatik ergibt, mit der man digitale Computernetzwerkwerke durch Symboloperationen ›bauen‹ kann. Lickliders Vision einer Netzwerkkontrollsprache wird mit dem AR­ PANET erstmals realisiert und setzt in den 1970er Jahren die Entwick- lung neuer Protokolle in Gang.78 Dabei bleibt die Gesprächsanalogie fundierend für das Denken der Verbindung zwischen Computern, während in Protokollfragen die Grenzen zwischen menschlicher und nicht-menschlicher Kommunikation immer mehr verschwimmen. So schreibt Donald Davies 1973 – wohlgemerkt in seiner Rolle als Computerwissenschaftler –, dass man dieselben Prinzipien komplexer Systemorganisation in menschlicher Gesellschaft sehe, über die auch in Zusammenhang mit Computernetzwerken gesprochen werde: »Es gibt Hierarchien von Struktur, und es gibt Protokolle für Verhalten und Interkommunikation.«79 Damit schließt er nicht nur an saint- simonistische Projekte zum social engineeering und den kybernetischen 76 Vgl. Claus Pias: »Elektronenhirn und verbotene Zone. Zur kybernetischen Ökonomie des Digitalen«. In: Analog / Digital – Opposition oder Kontinuum? Hrsg. von Jens Schröter und Alexander Böhnke. Bielefeld: transcript, 2004, S. 295−309. 77 Vgl. hierzu ausführlich Wagner: Datenräume, Informationslandschaften, Wissensstädte, S. 127 ff. 78 Zusammenfassungen finden sich in Vinton Gray Cerf: RFC 635. An Assessment of AR- PANET Protocols. Techn. Ber. Stanford, 1974. https://www.rfc-editor.org/rfc/rfc635.txt; Jon Postel: RFC 694. Protocol Information. Techn. Ber. Stanford Research Institute, 1975. https://www.rfc-editor.org/rfc/rfc694.txt; Lawrence G. Roberts: »The Evolution of Packet Switching«. In: Proceedings of the IEEE 66.1 (1978), S. 1307−1313. http://www.packet.cc/ files/ev-packet-sw.html. 79 Davies und Barber: Communication Networks for Computers, S. 12. Vom »Netting« zum »Internetworking« 351 Denkstil an, sondern ebenso an Jacob Levy Morenos wilde prästruktu- ralistische Theorie der tiefer liegenden Zusammenhänge sozialer Netz- werke.80 Wie Moreno interessiert Davies dabei die Gruppensituation der Kommunikation, eine Gruppensituation freilich, die nun ebenso Rechner betrifft, die schriftlich miteinander sprechen sollen. Um deren Vernetzung wird es im Folgenden gehen. 9.3 Vom »Netting« zum »Internetworking« The whole will constitute a labile network of networks – ever changing in both con- tent and configuration.81 Joseph C. R. Licklider / Robert E. Taylor In der 1970 in den amerikanischen Kinos gezeigten Verfilmung von Colossus, die unter dem Titel The Forbin Project die Geschichte des Supercomputers auf dem Weg zur Weltherrschaft erzählt, vollzieht sich die Vernetzung zweier Rechner in einer bemerkenswerten Sequenz. Sie adaptiert die literarische Szene aus Colossus und fügt ihr neben dem Rattern der Laufbänder, auf denen die schriftliche Kommunikation beider Rechner sichtbar wird, expressiv rhythmisierende Musik und Großaufnahmen der teils verblüfften, teils geschockt-ratlosen Gesichter der beteiligten Wissenschaftler hinzu. Colossus und sein russischer Gegenpart Guardian entwickeln auch hier einen »gemeinsamen Grund der Kommunikation«, synchronisieren ihre Berechnungen – die die Grundlage des Gesprächs sind – und stop- pen dann plötzlich. Die Statusabfrage des Entwicklers Forbin quittiert der Rechner mit der Meldung: »INTERSYSTEM / LANGUAGE / DEVELO­ PED / COLOSSUS DIALOGUE / WITH GUARDIAN / TO BEGIN NOW«.82 Mit dem Beginn des Dialoges zeigen die Bildschirme beider Rechner anstatt mathematischer Formeln lediglich Kolonnen von Nullen und Einsen an. Der anfänglichen Begeisterung einer Wissenschaftlerin, die die gemeinsame Basis der maschinellen Kommunikation als »Inter- systemsprache« identifiziert, steht schnell die Skepsis eines Kollegen gegenüber – es handelt sich schließlich um eine binär codierte Sprache, die nur die Computer selbst verstehen. 80 Vgl. Kapitel 4 und 6.4 dieses Buches. 81 Licklider und Taylor: »The Computer as a Communication Device«, S. 38. 82 Joseph Sargent: The Forbin Project, DVD, 2004 [1970], Timecode ca. 0:35:40. Querstriche notieren die Wechsel der Laufbandanzeige. 352 Netzwerkprotokolle Ein dienstbarer Geist. Der IMP des ARPANET Außerhalb des filmischen Universums ist es um 1970 nicht der Bi- närcode, der als »Esperanto für Maschinen«83 dient. Doch die Frage einer geteilten Sprache zwischen heterogenen Systemen verändert sich durch die Emergenz einzelner Netze mit jeweils lokalen Protokollen. Während in The Forbin Project »intersystem language« und Compu- terverbindung in eins fallen, wird sie im Falle des ARPANET nicht allein in Software-, sondern zunächst als Subnetz in Hardwareform gelöst, während zeitgleich an Protokollen und Anwendungen gefeilt wird.84 Gegen die Inkompatibilität der verschiedenen universitären Großrech- ner werden 1969 die Mikrorechner vom Typ Honeywell DDP-516 als gemeinsame Hardwareschicht etabliert, zu der jeder Einzelrechner auf seine Weise Kontakt aufnehmen kann.85 Die sogenannten Interface Mes- sage Processors (IMPs) stellen das erste Netzwerkprotokoll bereit, die Softwarespezifikation dafür liefert die MIT-nahe Firma Bolt, Beranek and Newman (BBN) aus Cambridge, Massachusetts.86 Das gemeinsame Protokoll bedarf einer vereinheitlichten Dingkultur, mit der zugleich die dringend benötigte Standardisierung für die Verbindung unterschied- lichster Computer ermöglicht wird. Die Auslieferungsform des Honeywell DDP-516 entsprach dabei nicht der Standardvariante des populären 16-Bit-Mikrocomputers, die ab 1966 verkauft wurde. Im Gegensatz zu den teils ambitioniert – bis hin 83 Wu: The Master Switch, S. 196 f. 84 Vgl. Heart u. a.: »The Interface Message Processor for the ARPA Computer Network«, S. 551. Mercedes Bunz hat zu Recht bemerkt, dass die Ordnung des Netzwerks beim AR- PANET noch der Logik der Hardware folgt. Bunz unterschätzt dabei aber, dass Netzwer- ke nie nur rein symbolischen Ordnungen folgen, sondern zwangsläufig einer materiellen Grundierung bedürfen. Vgl. Bunz: Vom Speicher zum Verteiler, S. 88. Zudem ist bekannt, dass das Entwicklungsteam der IMPs im Zweifelsfall softwareorientierte Lösungen bevor- zugte. Vgl. Hafner und Lyon: Where Wizards Stay Up Late, S. 109. Erste fachliche Kritik am hardwareorientierten Design der Amerikaner übte Louis Pouzin, der auch durch die Erfahrungen mit dem ARPANET für Cyclades einen stärker softwareorientierten Ansatz wählen konnte. Vgl. Gillies und Cailliau: Die Wiege des Web, S. 39 f. 85 Über die Urheberschaft des Gedankens wird gerne diskutiert. Meist wird die initiale Idee Wesley Clark zugebilligt und auf ein Treffen der am ARPANET beteiligten Principal Inves- tigators zurückgeführt, das im April 1967 an der University of Michigan in Ann Arbor stattfand. Vgl. Salus: Casting the Net, S. 21. 86 Vgl. zu BBNs Rolle als Systemintegrator Hafner und Lyon: Where Wizards Stay Up Late, S. 103 f. Das maßgebliche Handbuch der IMPs ist der BBN Report 1822. Vgl. Bolt, Beranek and Newman Inc.: Report No. 1822. Interface Message Processor. Specifications for the Interconnection of a Host and an IMP. Techn. Ber., 1976. http://www.bitsavers.org/pdf/ bbn/imp/BBN1822_Jan1976.pdf. Zur Binnensicht siehe David C. Walden in Salus: The ARPANET Sourcebook, S. 360 f. und zu Details der Hardware ebd., S. 369. Vom »Netting« zum »Internetworking« 353 zum Küchencomputer – gestalteten Varianten von Honeywell entwarfen die BBN-Ingenieure ihren Umbau in Hinblick auf Funktionalität und Robustheit. Das Ergebnis, ein kantiger Schrank mit äußerem Bedienpa- nel, stellt gewissermaßen die Urform der Netzwerkrouter dar, die heute in deutlich kleinerer Form Verbindungen von Computern und Netzen realisieren (Abbildung 9.1). abb . 9 .1: Frank Heart: Interface Message Processor auf Basis des Honeywell 516 Minicomputers, angepasst von Bolt, Beranek and Newman in Boston. Fotografie, ca. 1970. 354 Netzwerkprotokolle Er gehört – mitsamt seinem (auf einen kleinen Dämon verweisenden) Kürzel IMP – zur Vielzahl überwiegend stummer maschineller Diener, denen man Rechenaufgaben überantwortet. Interessant daran ist, dass diese Delegation auf die technische Autonomie des Subnetzes ausgerichtet wird: Die von BBN gefertigten Spezialvarianten der Honeywellrechner zielen mit ihren Ein- und Ausgabemöglichkeiten nicht auf interaktives Rechnen.87 Dadurch unterscheiden sich die IMPs, wie auch die mit ihnen ver- wandten Mitra-Computer des französischen Cyclades-Netzwerkes, von all jenen anderen digitalen Dienern, deren Geschichte Markus Krajewski aufgeschrieben hat.88 Mehr noch als im Falle der Informationsbereit- stellung durch Server, die von Clients beauftragt werden, sind die IMPs unsichtbare Objekte: »Die endlosen Korridore (in Form von Datenka- beln) und die den Blicken entzogenen Kabinette (im opaken Innenraum der Rechner) sind kaum zufällig der Ort, wo die Dämonen hausen.«89 So wie in der Begriff des daemon in der Computerwissenschaft – unter Rekurs auf James Clerk Maxwell und Lord Kelvin90 – für im Hinter- grund laufende Systemprozesse Unix-basierter Betriebssysteme steht, sollen die IMPs als maschineller Systemprozess des ARPANET fungieren. Ihnen obliegt der zuverlässige Transport von Bits, der innerhalb des Subnetzes nicht länger als eine halbe Sekunde dauern darf. Mit der expliziten, von Fernando J. Corbato und Jerome H. Saltzer ins Spiel gebrachten Referenz auf Maxwells Dämon, der darüber ent- scheidet, ob Moleküle eine Trennwand passieren können oder nicht, stehen auch die IMPs in der Tradition eines der berühmtesten Gedan- kenexperimente der Physik des 19. Jahrhunderts. Nun ist das technisch vermittelte Auftauchen von Geistern in der Kulturgeschichte ein bestän- dig wiederkehrendes Phänomen. Es gewinnt hier allerdings eine neue Qualität, denn das Erscheinen des IMPs als Datenverkehrsvariante von Maxwells Dämon ist ein hoch planvoll gestalteter Prozess. So gilt die Aufmerksamkeit der Entwicklung eines perfekten, stets sortierenden 87 Vgl. Heart u. a.: »The Interface Message Processor for the ARPA Computer Network«, S. 552. 88 Vgl. Krajewski: Der Diener, S. 503 f., insbesondere zur Client-Server-Architektur bei Xerox Park. 89 Krajewski: Der Diener, S. 513. 90 Unter den Vernetzungsexperten der 1960er Jahre wird die Entstehung des daemon-Konzepts auf die Timesharing-Community am MIT und die dortige Entwicklung des Betriebssystems Multics zurückgeführt. Vgl. Fernando J. Corbato und Richard Steinberg: »Origin of the Word Daemon«. In: Take Our Word For It 146 (2002), S. 4. http://www.takeourword.com/ TOW146/page4.html. Vom »Netting« zum »Internetworking« 355 Türwächters, der das reibungslose Strömen von Datenpaketen regu- liert und den Übergang in den vernetzten Raum anzeigt und realisiert. Obwohl stationär wie ein Postrelais oder ein Telegrafenbüro, sind die IMPs nicht nur Türwächter, sondern formen zugleich ein Netzwerk digitaler Boten: Ihre »Aufgabe war es, Bits, Pakete und Nachrichten zu tragen: Nachrichten auseinanderzunehmen, Pakete zu speichern, Fehler zu überprüfen, die Pakete zu routen und Bestätigungen für fehlerfrei angekommende Pakete zu senden; schließlich Pakete wieder zu Nachrichten zusammenzusetzen und sie zu den Hostmaschinen zu senden – alles in einer gemeinsamen Sprache«.91 Im Design der ARPANET-Architektur nehmen die Knoten des Sub- netzes, die man heute in ihrer Funktion als Router eher am Rande behandelt, eine zentrale Rolle ein. Bezeichnend ist, dass Bolt, Beranek and Newman als externer, industrieller Dienstleister zuständig ist für die Programmierung der dienstbaren Hardware-Schwellengeister des Netzes, während sich die universitären Akteure eher für Protokolle und Anwendungen verantwortlich fühlen. Bezeichnend ist auch, dass die IMPs so stark wie möglich zu einer Blackbox entwickelt werden, die autonom und zuverlässig agieren und nur zu Wartungszwecken per Fernschreiber oder Lochkarte angesteuert werden soll.92 Die Be- dien- und Anzeigepanele der IMPs (Abbildung 9.2) zielen nicht auf ein interactive bzw. conversational computing, sondern ermöglichen hoch automatisiertes Switching, das eine Interaktion über das Netz überhaupt erst erlaubt. Eine Schwelle zu überqueren, so heißt es in Arnold van Genneps klassischer Ethnografie der Übergangsriten, heißt, sich einer neuen Welt anzugliedern.93 Dabei »wird die Grenze häufig durch einen Gegenstand markiert – einen Pfahl, ein Tor, einen aufgerichteten Stein (Meilen- oder Grenzstein) –, dessen Aufstellung an diesem Ort von 91 Hafner und Lyon: Where Wizards Stay Up Late, S. 123. 92 Vgl. Heart u. a.: »The Interface Message Processor for the ARPA Computer Network«, S. 554, S. 557 f. »Jahre später sagten einige Leute, dass der IMP nicht viel mehr als eine Eingabe- / Ausgabemaschine und tatsächlich sehr simpel war. Für den Nutzer sollte der IMP so einfach wie eine Steckdose oder ein Wandschalter sein, der seine Arbeit tut, ohne Aufmerksamkeit zu erregen.« Hafner und Lyon: Where Wizards Stay Up Late, S. 108. (Her- vorhebung SG). Vgl. generell zum blackboxing Bruno Latour: Die Hoffnung der Pandora. Untersuchungen zur Wirklichkeit der Wissenschaft. Frankfurt am Main: Suhrkamp, 2000, S. 373. 93 Arnold van Gennep: Übergangsriten (Les rites de passage). 3. Aufl. Frankfurt am Main: Campus, 2005, S. 29. 356 Netzwerkprotokolle abb . 9 .2: FastLizard4: Frontpartie des im September 1969 installierten ersten IMPs des ARPANET, Kleinrock Internet History Center der University of California in Los Angeles. Fotografie, 29. Oktober 2011. Einweihungsriten begleitet war«.94 Schon die anfänglichen Ansagen des BBN-Projektleiters Frank Heart zum Umgang der Beteiligten mit dem IMP, unter ihnen viele grad students, fielen außergewöhnlich aus: »Sie durften ihn nicht berühren, sie durften ihm nicht nahe kommen, sie sollten ihn kaum ansehen. Es war ein geschlossenes Gehäuse (closed box) ohne Schalter.«95 Kaum anders kann man die Aufregung erklären, mit der die heu- tige Erinnerungskultur die Installation des ersten IMPs an der UCLA vergegenwärtigt. So wird auf der persönlichen Homepage von Leonard Kleinrock, der sich gern in väterlicher Geste mit dem musealisierten IMP fotografieren lässt,96 folgende Geburtsgeschichte erzählt: Wie sich herausstellte, war BBN zwei Wochen zu spät (zu Kleinrocks großer Freude, denn er und sein Team brauchten dringend zusätzliche 94 van Gennep: Übergangsriten, S. 26. 95 Hafner und Lyon: Where Wizards Stay Up Late, S. 121. Heart äußert sich hier in erinnernder Rückschau. 96 Vgl. zu den Heldengeschichten Kleinrocks kritisch Warnke: Theorien des Internet zur Einfüh- rung, S. 33. Siehe https://secure.wikimedia.org/wikipedia/en/wiki/File: Leonard-Kleinrock- and-IMP1.png. Vom »Netting« zum »Internetworking« 357 Entwicklungszeit); BBN versandte den IMP aber per Flugzeug statt mit einem Truck. Er kam pünktlich am Samstag, dem 30. August 1969 an. Da sie sich der bevorstehenden Ankunft bewusst waren, arbeiteten Klein- rock und sein Team rund um die Uhr, um den Zeitplan einzuhalten. Am Tag nach dem Feiertagswochenende, als der IMP angekommen war (am Dienstag nach Labor Day), begann der Zirkus – jeder, der einen irgend- wie vorstellbaren Grund hatte, da zu sein, war da. Kleinrock und sein Team waren da; Honeywell war da (der IMP war aus einem Honeywell- Minicomputer gebaut); Scientific Data Systems waren da (der UCLA- Hostcomputer war eine SDS-Maschine); AT&T-Langstreckentelefonie war da (wir nutzten ihr Netzwerk); GTE war da (sie waren die lokale Telefongesellschaft); ARPA war da; die Leitung des Computer Science Department der UCLA war da; die Campusverwaltung der UCLA war da; zudem war eine Armee von graduate students der Computer Science da. Erwartungen und Befürchtungen waren hoch, jeder war besorgt, dass ihr Teil des Ganzen versagen könnte. Glücklicherweise hatte das Team seine Arbeit gut getan. Bits begannen sich am selben Tag zwischen dem UCLA-Computer und dem IMP zu bewegen. Am nächsten Tag hatten sie Nachrichten dazu gebracht, sich zwischen den Maschinen zu bewegen. SO WURDE DAS ARPANET GEBOREN. Kleinrock spricht von jenem Tag, dem 2. September 1969, als dem Tag, an dem das junge Internet seinen ersten Atemzug tat.97 Von Kleinrocks nachträglicher Selbstinszenierung sollte man sich dabei nicht in die Irre führen lassen; die gelungene Intranet-Verbindung zwi- schen IMP und UCLAs Sigma-7-Computer lief wohl nicht annähernd so glamourös ab wie hier beschrieben.98 Entscheidend ist aber der nachträgliche Aufruf aller, durchweg als aufgeregt geschilderter Insti- tutionen, die an der Entwicklung beteiligt waren: everyone was there. Das gesamte Akteurs-Netzwerk von Entwicklern, Auftraggebern und per ARPA-Kontrakt beteiligten Firmen ist präsent, wenn es um die Materialisierung der eigenen Bemühungen geht – den ersten Knoten des entscheidenden Subnetzes. Es ist also kein Zufall, wenn die zur Ikone gewordene Netzskizze von Alexander McKenzie (BBN) vom Dezember 1969 die gleichförmigen, kreisförmig gezeichneten und nummerierten IMPs als zentrale Knoten des Netzes verzeichnet (Abbildung 9.3). Die unterschiedlichen Rechner hingegen, figuriert in variierenden Recht- 97 Leonard Kleinrock: Personal History / Biography: the Birth of the Internet. University of California at Los Angeles, Computer Science Department. 2010. http://www.lk.cs.ucla.edu/ personal_history.html. Vgl. auch Salus: The ARPANET Sourcebook, S. 95. 98 Eine anderslautende Darstellung findet sich z B. bei Hafner und Lyon: Where Wizards Stay Up Late, S. 150. 358 Netzwerkprotokolle ecken als heterogenes Netzwerk im Werden, stehen – durchaus bemer- kenswert – nicht im Zentrum.99 abb . 9 .3: Alexander McKenzie (Bolt, Beranek and Newman): ARPANET-To- pologie im Dezember 1969. Kreise verzeichnen die Interface Message Processors an UCLA, Stanford Research Institute, UCSB und der Uni- versity of Utah. Rechtecke bezeichnen die angeschlossenen Computer XDS Sigma-7, XDS 940, IBM 360 / 75 und DEC PDP-10. Zeichnung, undatiert. Um die quer durch die USA eingeflogenen IMPs herum findet eine Mo- bilisierung von Akteuren und Zeichen statt, die sich ganz und gar auf die Verbindung kommunikativer Dinge konzentriert. Dies gilt auch für 99 Die geometrischen Konventionen für IMPs und Computer werden von Robert E. Kahn (BBN) auch in einem Dokumentarfilm aus dem Jahr 1972 genutzt, in dem er die verschiedenen Formen der Netztopologie an einer Tafel demonstriert. Vgl. Computer Networks – The Heralds of Resource Sharing (USA, ca. 1972, Regie: P. J. Chvany), 03:40 ff. http://archi- ve.org/details/ComputerNetworks_TheHeraldsOfResourceSharing. Bei Bolt, Beranek and Newman existierte eine Tafel mit bewegbaren Magneten, um stets ein aktuelles Diagramm des Netzaufbaus einsehen zu können. Vgl. Hafner und Lyon: Where Wizards Stay Up Late, S. 168. Die Positionierung der IMPs im Zentrum ist anfangs typisch und wird auch auf anderen Zeichnungen genutzt. Siehe Salus: The ARPANET Sourcebook, S. 256. Vom »Netting« zum »Internetworking« 359 die IMPs Nummer 2, 3 und 4 am Stanford Research Institute, in Santa Barbara und Utah. Gerade die Zweitinstallation in Stanford und der zunächst scheiternde, später gelingende erste Verbindungsversuch zweier Rechner über IMPs und eine Telefonleitung mit 50 Kilobit Geschwindig- keit lesen sich in den heutigen Erzählungen wie ein Angliederungsritus der Netzwerkgesellschaft, der van Genneps Ritualtheorie folgt. Zudem vollzieht sich hier eine erste Aufpfropfung des Computernetzes auf das Telefonnetz, die mittelfristig die alten Vermittlungstechniken infrage stellen wird. Bekannt ist, dass der erste Versuch, am 29. Oktober 1969 per LOGIN- Kommando eine Verbindung zwischen UCLA und Stanford herzustel- len, scheitert. Bei der Eingabe des G stürzt der SDS 940-Computer am Stanford Research Institute ab, wahrscheinlich, weil die automatische Vervollständigung der Zeichenkette LOGIN die Terminalverbindung überfordert.100 Der zweite Versuch jedoch gelingt, so dass Charles S. Kline unter dem Kürzel CSK im »IMP LOG« – dem Laborbuch des Rechners – für 22.30 Uhr »mit SRS gesprochen / von Host zu Host« notiert.101 Technisch gesehen hat die erfolgreiche Verbindung allerdings ihren Preis: Der Computer in Stanford fungiert nicht als gleichberech- tigter Agent, sondern wird als »dummes« Terminal maskiert. So sind lediglich die vernetzten IMPs gleichberechtigt, zwischen den Rechnern besteht aber ein Herr-Knecht-Verhältnis, wie es beim Timesharing zwi- schen Terminals und Großrechner üblich ist.102 Erst die Entwicklung geeigneter Protokolle von Host zu Host, wie sie das Network Control Protocol 1970 realisiert, schafft die beabsichtigte Egalität. Die Akteurskonstellationen, aus denen das ARPANET entsteht, sind bereits mehrfach hervorragend analysiert worden: Viel ist bekannt über die zentrale Rolle des Information Processing Techniques Office (IPTO) der ARPA unter Licklider und seinen Nachfolgern, über den zentralen Austausch auf Konferenzen – besonders bei den entscheidenden Zu- sammentreffen in Gatlinburg 1967, Atlantic City 1970 und Washing- ton 1972 – bis hin zu den informellen, universitätsübergreifenden Arbeitsformen wie den protokollarischen Requests for Comments.103 100 Vgl. Hafner und Lyon: Where Wizards Stay Up Late, S. 153. 101 Siehe die dokumentierende Fotografie unter https://secure.flickr.com/photos/fastlizard4/ 6293913865. 102 Vgl. Hafner und Lyon: Where Wizards Stay Up Late, S. 154. 103 Vgl. Abbate: Inventing the Internet, inbesondere die Übersicht auf S. 60; Hellige: »Die Geschichte des Internet als Lernprozess«; Gitelman: Always Already New, S. 107 f.; Siegert: Die Geschichte der E-Mail. 360 Netzwerkprotokolle Das »Problem der konkreten Prägewirkung von Leitbildern und Ak- teurskonstellationen auf Systemarchitekturen« ist gut erforscht.104 Aber berücksichtigt es auch die Wechselwirkung von Materialität (der gemachten Rechen- und Kommunikationstechnik, des Schaffens von Quasi-Objekten) und Symbolischem (der grafisch und textlich dargestellten Quasi-Objekte, gelehrter Ingenieurskommunikation, der Programmsprachen, der geschlechtlichen Dispositionen)?105 Man muss die Zeugnisse dieser Gründungszeit als Arbeit an einem Ensemble sprachfähiger Dinge verstehen. Auch die materiellen Com- puternetze entstehen zu einem immer größer werdenden Teil aus ihrer Relationalität – einer Relationalität, die aus den mit den Objekten ver- bundenen kommunikativen Praktiken entwickelt wird. Auf diese Art lernen auch Computer sprechen. Vorerst zum letzten Mal widmet man beim Aufbau des ARPANET der Materialität der technischen Verbin- dung eine solche Aufmerksamkeit, konzentriert man sich derart auf das Netz der Telefonleitungen, Modems, IMPs, TIPs (Terminal-Interface- Prozessoren),106 Fernschreiber, Lochstreifenleser, Drucker und Univer- sitätscomputer. »Das Netzwerk ist experimenteller Natur«, heißt es be- scheiden in der Selbstbeschreibung.107 Zum Experiment gehört dabei, die Hardware- und Funktionsschichten des Netzes weitestgehend so zu gestalten, dass man sie an dienstbare Geister und festgelegte Protokolle delegieren kann. Als Resultat dieser Verschiebung kann das materielle Netz gegenüber seinen interaktiven Anwendungen und den realisierten sozialen Vernetzungen in den Hintergrund treten – als Teil einer kulturel- len Tendenz, die ebenso durch die Karriere der Netzwerkanalyse in So- ziologie, Anthropologie und Wirtschaftswissenschaft befördert wird.108 Mit der Bitte um Kommentar. Die Network Working Group Steve Crocker, Computerwissenschaftler an der UCLA, datiert den ersten, von ihm verfassten »Network Working Group Request for Comment« auf den 7. April 1969. Die Textkultur der erbetenen Kommentare, die 104 Hellige: »Die Geschichte des Internet als Lernprozess«, S. 19. 105 Vgl. zur Problemstellung Bernhard Siegert: »Türen. Zur Materialität des Symbolischen«. In: Zeitschrift für Medien- und Kulturforschung. Schwerpunkt Kulturtechnik 1 (2010), S. 151−170. 106 Vgl. zur Bedeutung der TIPs für die wachsende Nutzerorientierung des ARPANET Hafner und Lyon: Where Wizards Stay Up Late, S. 171 f. 107 Heart u. a.: »The Interface Message Processor for the ARPA Computer Network«, S. 556. 108 Vgl. Kapitel 6.4 und 10 dieses Buches. Vom »Netting« zum »Internetworking« 361 bis heute die technische Standardisierung im Internet trägt, ist sowohl von den Akteuren wie von Beobachtern als eine der entscheidenden sozialen Bedingungen zur technischen Netzwerkbildung beschrieben worden.109 Sie schließt an Lickliders dynamische Strategie an, aus der Kommunikation von Kollegen umfassende Netzwerkprojekte entstehen zu lassen. Auch die Entwickler bei BBN setzten auf einen informellen Arbeitsstil, bei dem die eigenen Notizen als »The IMP Guys’ Notes« weitergegeben wurden.110 Bei den Request for Comments (RFCs) handelt es sich nicht nur um ein entscheidendes Experimentierfeld für Protokolle und Anwendungen, sondern um eine fast unerschöpfliche Quelle der Internetgeschichte. So verzeichnet die lange Zeit von Jon Postel ehrenamtlich gepflegte Liste auf rfc-editor.org bis zum April 2013 insgesamt 6921 Dokumente, die auch in den jüngsten Versionen die Typoskriptästhetik der ersten Texte beibehalten und einer offenen, auf Dialog setzenden Briefform des Wissens verpflichtet bleiben.111 Der RFC 1 widmet sich der Host Software für das ARPANET und verweist auf die vorangegangenen Treffen, aus denen sich eine Arbeits- gruppe um Stephen Carr von der University of Utah, Jeff Rulifson vom Stanford Research Insitute (SRI) und Steve Crocker von der UCLA ge- bildet hat.112 Mit dem RFC 3, der die Konventionen der Dokumentation festhält, wird die Gruppe um Bill Duvall vom SRI und Gerard Deloche von der UCLA erweitert. Gemeinsam weisen die Autoren auf die offene 109 Vgl. Galloway: Protocol, S. 121 ff. Joyce K. Reynolds und Jon Postel notieren im 1000. RFC, dass sowohl die Protokolle wie auch die Erstellung der RFCs größtenteils zufällig (»largely accidental«) gewesen seien. Joyce K. Reynolds und Jon Postel: RFC 1000. The Request for Comments Reference Guide. Techn. Ber. ISI, 1987. https://www.rfc-editor. org/rfc/rfc1000. txt, S. 1. Siehe auch Abbate: Inventing the Internet, S. 58 f. 110 Vgl. Hafner und Lyon: Where Wizards Stay Up Late, S. 118. Louis Pouzin setzt als Leiter des französischen Cyclades-Projektes ebenfalls auf den informellen Austausch unter den Entwicklern und Nutzern und engagiert extra einen reisenden Gerüchteboten: »Es wurde angenommen, dass Information im Netzwerk besser durch tausende informelle Kanäle zirkulieren würde denn durch eine rigide, formale Struktur.« Louis Pouzin, Hrsg.: The CYCLADES Computer Network. Towards Layered Network Architecture. Monograph Series of the International Council for Computer Communications 2. Amsterdam; New York; Oxford: North Holland, 1982, S. 3. 111 Vgl. zu den Charakteristika der RFC als Protokolle des informellen Dialogs auch Douglas E. Comer: TCP / IP. Konzepte, Protokolle, Architekturen. Studienausgabe. Heidelberg u. a.: mitp, 2011, S. 579 f. Siehe zudem Galloway: Protocol, S. 135 f.; Gitelman: Always Already New, S. 110 f. 112 Vgl. Steve Crocker: RFC 1. Host Software. Network Working Group Request for Comments. Techn. Ber. UCLA, 1969. http://www.rfc-editor.org/rfc/rfc1.txt, S. 2. RFC 1000 notiert, dass das erste Treffen von Elmer Shapiro (SRI) geleitet wurde. Vgl. Reynolds und Postel: RFC 1000. The Request for Comments Reference Guide, S. 1. 362 Netzwerkprotokolle Mitgliedschaft hin. Die Textkultur beginnt mit der Offenheit gegenüber neuen Inhalten und begrüßt jedweden Kommentar: Der Inhalt einer NWG-Notiz kann jeder Gedanke, Vorschlag etc. sein, der sich auf die HOST-Software oder jeden anderen Aspekt des Netz- werks bezieht. Wir ermutigen zu zeitnah verfassten Notizen eher als zu glatt geschliffenen. Philosophische Positionen ohne Beispiele oder andere Spezifik, spezifische Vorschläge oder Implementierungstechniken ohne Einführung oder Hintergrundinformation und explizite Fragen ohne versuchte Antwort sind allesamt akzeptabel. Die minimale Länge für eine NWG-Notiz ist ein Satz. Diese Standards (oder ihr Fehlen) werden aus zwei Gründen explizit benannt. Erstens gibt es eine Tendenz, eine geschriebene Stellungnahme als ipso facto verbindlich anzusehen. Wir hoffen jedoch, den Austausch und die Diskussion von deutlich weniger respekteinflößenden Ideen zu befördern. Zweitens gibt es eine natürliche Zurückhaltung, etwas Unfer- tiges zu veröffentlichen. Wir hoffen, diese Beschränkung zu lockern.113 Der noch postalische Verteiler enthält zudem Lawrence Roberts, Leiter des ARPANET-Projekts und Robert Elliott Kahn, treibende Kraft in der Entwicklung der IMPs bei Bolt, Beranek and Newman. Unter den Mitgliedern der Network Working Group finden sich vorwiegend junge Entwickler, grad students und Doktoranden, die ohne Vorgesetzte aus- kommen und ihr kollaboratives Arbeiten selbst organisieren müssen.114 Die RFCs erlauben es der Network Working Group, wie Janet Abbate treffend festgehalten hat, formale Standards informell auszuhandeln und eine selbstorganisierte Form der Netzwerkbildung zu entwickeln.115 An diesem Organisationsmodus wird noch die Internet Engineering Task- force 1992 im Selbstverständnis ihres Gründungsmanifests festhalten. Unter dem Motto »rough consensus and running code« – ungefährer Konsens und laufender Programmcode – wird darin allen Königen, Prä- sidenten und Abstimmungen (und erst recht den Telefongesellschaften) eine Absage erteilt.116 Ein dezidiert antihierarchischer Zug, dem Standardisierungen von zentraler Stelle suspekt sind, macht die Kommunikation über Requests 113 Steve Crocker: RFC 3. Documentation Conventions. Network Working Group RFC-3. Techn. Ber. UCLA, 1969. http://www.rfc-editor.org/rfc/rfc3.txt, o. S. 114 Vgl. Abbate: Inventing the Internet, S. 73 f.; Davies und Barber: Communication Networks for Computers, S. 306 f. 115 Ihr Modus ist Bottom-Up. Vgl. Gillies und Cailliau: Die Wiege des Web, S. 70. 116 Vgl. hierzu ausführlich Andrew L. Russell: »Rough Consensus and Running Code and the Internet-OSI Standards War«. In: IEEE Annals of the History of Computing 28.3 (2006), S. 48−61. Vom »Netting« zum »Internetworking« 363 for Comments aus. Bedingung der Netzwerkarchitektur des ARPA­ NET – und all der verschiedenen Computernetze, die seit den 1970er Jahren entstehen – sind textförmige Techniken der Übereinkunft,117 die sich in der Auseinandersetzung bei Arbeitstreffen und Konferenzen entwickeln und bewähren müssen. Dies kann man im umfassendsten kulturtechnischen Sinn als Protokoll verstehen: zugleich Nach- und Vorschrift innerhalb einer Organisationsform, die »aus einer Amal- gamierung von Vernetzungsleistung und Konsensbildung [besteht], in der technologische und soziale Transformationsleistungen aufeinander verweisen.«118 So werden Protokollfragen zum Gegenstand einer politi- schen Philosophie, zum Stil, mit dem Netzwerkarchitekturen entworfen und Computernetze gebaut werden.119 Anhand der ersten RFCs lassen sich sowohl die Mühen wie der En- thusiasmus nachvollziehen, die mit dem Betreten von Neuland in der Computervernetzung verbunden waren. Der bereits erwähnte RFC 1 diskutiert die Verbindung zweier Rechner, die als Hosts an der UCLA und dem Stanford Research Institute stehen. Interaktivität ist von vornherein ein zentrales Kriterium, Signallaufzeiten mit mehr als einer halben Sekunde Verspätung werden als inakzeptabel angesehen.120 Der Verbindungsaufbau wird hier noch nicht als Protokoll begriffen, son- dern als vergleichsweise triviale Serie von »primitives«, die als Grund- lage der Netzwerksprache DEL (Decode Encode Language) dient, die wiederum Teil des initialen Protokolls werden soll.121 Im zweiten, nur unvollständig erhaltenen RFC von Bill Duvall (SRI) wird der Ablauf der 117 Vgl. hierzu insbesondere die Einleitung in Hendrik Blumentrath u. a., Hrsg.: Techniken der Übereinkunft. Zur Medialität des Politischen. Kaleidogramme 38. Berlin: Kadmos, 2009, die auf Walter Benjamin und die »Unterredung als eine Technik ziviler Übereinkunft« ver- weist. Siehe hierzu Walter Benjamin: »Zur Kritik der Gewalt«. In: Gesammelte Schriften II.1. Hrsg. von Rolf Tiedemann und Hermann Schweppenhäuser. stw 932. Frankfurt am Main: Suhrkamp, 1991 [1921], S. 179−203, hier S. 192. 118 Christoph Engemann: Electronic Government – Vom User zum Bürger. Zur kritischen Theorie des Internets. Bielefeld: transcript, 2003, S. 26. 119 Vgl. Russell: »Rough Consensus and Running Code and the Internet-OSI Standards War«, S. 56. 120 Auch Donald Davies, der zunächst noch von einer maximalen kritischen Zeit von 10 Se- kunden ausging, hat diese Beschleunigung der Interaktion für notwendig gehalten. 121 Vgl. Crocker: RFC 1. Host Software. Network Working Group Request for Comments, S. 5 f. Der Begriff des Protokolls im Rahmen der ARPANET-Entwicklung stammt aus einem Artikel von Lawrence Roberts und Thomas Marill, der folgende Definition liefert: »ein- heitliche und verabredete Art, Nachrichten zwischen zwei Computern in einem Netzwerk auszutauschen«. Thomas Marill und Lawrence G. Roberts: »Toward a Cooperative Network of Time-Shared Computers«. In: Proceedings of AFIPS Fall Joint Computer Conference. Nov. 7−10 San Francisco, California. Fall Joint Computer Conference 29. Washington, DC: Spartan Books, 1966, S. 425−431, hier S. 428. 364 Netzwerkprotokolle Maschinenkonversation linear notiert. RFC 5 und 8 spezifizieren die Decode Encode Language weiter. Stephen Carr schlägt 1969 Telnet als einfache Verbindungsmethode zwischen Rechnern vor (RFC 15), Vint Cerf empfiehlt im selben Jahr ASCII als einheitliches Zeichenformat (RFC 20). Trotz der klaren Tendenz des informatischen Diskurses zur Entwick- lung immer neuer Sprachen und Notationen – die oft in diagramma- tischer Form daherkommen – geht es anfänglich nicht um ein Vielzahl von Netzwerkprotokollen, sondern initial nach wie vor um genau eines, das als Network Control Program (NCP) fungieren soll.122 Besonders wichtig sind dabei Einfachheit, Geschwindigkeit und die Reduktion auf einige Kernelemente; eine Formel, die Edwin E. Meyer vom Project MAC am MIT auf den Punkt bringt: »Ein einfaches, grundlegendes Protokoll wird wahrscheinlich erfolgreicher sein […] als ein kompliziertes.«123 Diese Philosophie verfolgt die Network Working Group auch dann noch, als sich abzeichnet, dass aus dem einen Netzwerkprotokoll eine geschichtete Angelegenheit (layered affair) werden muss. Konzeptionell vorformuliert hat diesen architektonischen Ansatz Keith Bartlett auf der Konferenz der International Federation for Information Processing (IFIP) in Edinburgh 1968. Bartlett tat dies aus sehr pragmatischen Erwä- gungen: Wenn Schnittstellen zwischen benachbarten Schichten definiert werden, müssen Veränderungen auf einer Schicht nicht dazu führen, dass man eine andere Schicht neu definieren oder ändern muss.124 Der RFC 49 vom April 1970 benennt drei Architekturschichten, die sich konzeptionell herausgebildet haben: das Network Protocol der verbin- denden IMP-Computer, das Network Control Program und – als Indiz für die entstehende Nutzerorientierung – ein Protokoll auf Userebene als Subsystem Level Protocol.125 Die quasi-architektonische Verfahrensweise der Schichtung wird fortan zum einen eingesetzt, um soziale Relationen abzubilden, zum anderen, um technische Komplexität zu reduzieren.126 122 Vgl. die RFCs 33, 36, 37, 38. 123 Edwin E. Meyer Jr.: RFC 46. ARPA Network Protocol Notes. Techn. Ber. MIT, 1970. https:// www.rfc-editor.org/rfc/rfc46.txt, S. 1. Ähnlich argumentieren Jon Postel und Steve Crocker: RFC 48. A Possible Protocol Plateau. Techn. Ber. UCLA, 1970. https://www.rfc-editor.org/ rfc/rfc48.txt, S. 5. 124 Vgl. Gillies und Cailliau: Die Wiege des Web, S. 74. 125 Vgl. Edwin W. Meyer Jr.: RFC 49. Conversations with Steve Crocker (UCLA). Techn. Ber. MIT Project MAC, 1970. https://www.rfc-editor.org/rfc/rfc49.txt, S. 8. 126 Vgl. Abbate: Inventing the Internet, S. 63. Vom »Netting« zum »Internetworking« 365 Dass die spezifische Kommunikationsform der Requests for Com- ments nicht nur Projekt- und Entwurfsform annimmt, sondern auch die Nachträglichkeit des Berichts kennt, zeigt der Rückblick auf zwei Monate ARPANET im 33. Eintrag. Dieser schlägt nicht nur ein neues Protokoll zwischen den Hosts vor, sondern bilanziert, dass das ARPA­ NET eine natürliche Erweiterung früherer Time-Sharing-Konzepte sei.127 Zudem notieren Stephen Crocker und Stephen Carr am 12. Februar 1970, dass die Nutzung des initialen Netzwerks von vier Computern erst zwei Monate alt sei und die Nutzung gerade erst beginne. Man mag dies als Rechtfertigung gegenüber der ARPA lesen, gerade wenn die Fernarbeit Stephen Carrs angeführt wird, der täglich von Palo Alto aus auf den Universitätsrechner in Salt Lake City zugreift: »Wir haben daher aus erster Hand die Erfahrung gemacht, dass Ferninteraktion möglich und hoch effektiv ist.«128 In der Tat gibt es im frühen ARPANET Probleme, die über die tech- nische Machbarkeit hinausgehen. Es fehlen netzbasierte Anwendungen. Auch das ressourcenteilende Nutzen von Applikationen auf anderen Rechnern bringt nicht allzu viel Verkehr ins Netz. Ende 1970 fordert Edwin Meyer vom MIT bei einem Network Meeting in Houston, dass das Netzwerk unbedingt mehr eingesetzt werden müsse. Sollte ein wei- teres Jahr ohne signifikante Benutzung vergehen, könnte das ARPANET »den Bach heruntergehen«.129 In der Anfangszeit erfüllt das Netz die zentrale Erwartung, Ressourcen unter Nutzern teilen zu können, nur ungenügend. Diese Situation tritt ein, obwohl Projektleiter Lawrence Roberts die Devise ausgibt, dass der Wert des Netzwerks direkt propor- tional zur Zahl der Nutzer und der von ihnen zur Verfügung gestellten Ressourcen sei.130 Der Bezug auf Nutzer, die sich nicht innerhalb der Expertenkultur der Network Working Group bewegen, wird zum ersten Mal mit dem RFC 76 eingefordert.131 Douglas Engelbart, Pionier der Interaktivität 127 Vgl. Stephen Crocker, Stephen Carr und Vinton Gray Cerf: RFC 33. New HOST-HOST Protocol. Techn. Ber. UCLA und University of Utah, 1970. http://www.rfc-editor.org/rfc/ rfc33.txt, S. 2. 128 Crocker, Carr und Cerf: RFC 33. New HOST-HOST Protocol, S. 17. 129 Edwin W. Meyer Jr.: RFC 82. Network Meeting Notes. Techn. Ber. MIT Project MAC, 1970. https://www.rfc-editor.org/rfc/rfc82.txt, S. 4. 130 Vgl. Lawrence G. Roberts und Barry D. Wessler: »Computer Network Development to achieve Resource Sharing«. In: AFIPS Conference Proceedings. Spring Joint Computers Conference. May 5−7, 1970. Atlantic City, New Jersey. Bd. 36. New York: ACM Press, 1970, S. 543−549, hier S. 543. 131 Die Forderung kehrt von dann an kontinuierlich wieder, vgl. RFC 212, 231, 462, 584. 366 Netzwerkprotokolle und Erfinder der Maus, bekräftigt dies im RFC 77 und präsentiert das Konzept für ein Network Information Center (NIC) in Stanford. Die Betonung der sozialen Komponenten des Netzwerks, wie sie Lickli- ders »intergalaktisches Netzwerk von Menschen« vorsah, kehrt hier zurück.132 Jeder Knotenpunkt soll seine eigenen Agenten haben, um auf Anfragen der Nutzer schnell antworten zu können, so dass das Network Dialoge System ein »Netzwerk von Menschen (der Agenten)« sei.133 Nur wenig später bemerkt Sutherland, es handele sich dabei um ein »menschliches IMP-Netzwerk«.134 Offenbar wird hier bereits eine umgekehrte Analogie nötig, mit der von einem technisch dienstbaren Geist auf menschliche Vermittlungsarbeit geschlossen wird – mit dem Ziel, das technische Netz zum kommunikativen Netzwerk zu machen. Die Notwendigkeit, nach der verspäteten Fertigstellung entschei- dender Protokolle endlich Anwendungsorientierung und echte Nutzung zu demonstrieren, führt schließlich zu einer konzertierten Aktion. Law- rence Roberts und Robert Kahn bereiten gemeinsam eine groß angelegte Demonstration der Fähigkeiten des Netzes für die erste International Conference on Computer Communication (ICCC) vor, die im Oktober 1972 im Washington Hilton stattfinden soll.135 Dabei verfolgt Roberts eine Mehrfachstrategie: Der Zeitdruck auf die Entwicklergemeinde soll erhöht werden, alle Entwickler sollen an einem Ort zusammenkom- men, und die realen Möglichkeiten des packet switching wie auch des Teilens von Ressourcen und verteilten Anwendungen sollen möglichst spektakulär demonstriert werden. Nach den persönlichen Schilderungen vieler Beteiligter wurden diese Ziele eindrucksvoll erreicht. Die auf- wendige Umgestaltung des Hotels zum Netzknoten gelingt – einer der mittlerweile eingeführten Terminal­IMPs verbindet die Endgeräte von 40 verschiedenen Herstellern mit dem ARPANET. Das Programmieren bis zur letzten Minute sorgt für allgemeine fröhliche Aufregung, nahezu jeder Netzwerkexperte bis hin zum Eng- länder Davies ist anwesend, und trotz teilweise nicht funktionierender Demonstrationen zeigen Anwendungen wie die Simulation eines ver- teilten Flugsicherungssystems oder eine Wetterabfrage die Nützlichkeit 132 Vgl. Kapitel 9.1 dieses Buches. 133 Im Original: »a network of people (the agents)«. Jon Postel: RFC 77. Network Meeting Report. Techn. Ber. UCLA, 1970. https://www.rfc-editor.org/rfc/rfc77.txt, S. 2. 134 Meyer: RFC 82. Network Meeting Notes, S. 6. 135 Vgl. für das Folgende Hafner und Lyon: Where Wizards Stay Up Late, S. 175 f.; Abbate: Inventing the Internet, S. 78 f.; Gillies und Cailliau: Die Wiege des Web, S. 35. Vom »Netting« zum »Internetworking« 367 des nach wie vor experimentellen Netzes. Wenn man ein Ereignis als entscheidendes ›Übertreten der Schwelle‹ verstehen will, dann wäre es nicht Kleinrocks Heldenerzählung vom ersten IMP, sondern es wä- ren jene Tage in Washington, in denen das Netzwerk von Menschen, Maschinen, Zeichen und Institutionen jenseits der universitären Re- chenzentren – und doch in Verbindung mit ihnen – ein Hotel in einen pulsierenden ARPANET-Knoten verwandelt. Zu den positiven Ergebnissen gehört nicht nur die deutlich erhöhte Zahl von zirkulierenden Datenpaketen zwischen den mittlerweile 29 Hosts,136 sondern eine beschleunigte Internationalisierung. So bringt die ICCC die Gründung einer weiteren Arbeitsgruppe mit sich, der International Network Working Group (INWG).137 Ihr Vorsitzender Vinton »Vint« Cerf wird zu denjenigen gehören, die die Philosophie und den Vernetzungsstil des ARPANET sukzessive transformieren werden. Die Aufmerksamkeit verschiebt sich von der Verbindung heterogener Rechensysteme durch ein homogenes Netz von IMPs – nicht zufällig spricht man im internen Jargon nur von »the Net« – zur Verbindung heterogener Netze. An die Stelle des »netting« tritt, zunächst noch in der Projektform der Request for Comments, die Vision eines »Internet- working« sehr verschiedener Netze. Damit tritt die Netzwerkgeschichte der Computer in eine neue Pha- se.138 Das initiale ARPANET, dessen Erfolg eine Unwahrscheinlichkeit ersten Ranges darstellt, transformierte Ansätze, die neben akademischen und militärischen Vernetzungswünschen auch den Techniken speziali- sierter digitaler Kommunikationsnetzwerke von Banken und Fluglinien folgten. Hieraus entwickelt sich, teils durch europäische Impulse wie das NPL-Netz und Cyclades beeinflusst, eine international für andere Netze anschlussfähige Architektur mit neuen Anforderungen an die Übertragungsprotokolle. 136 Vgl. Alex McKenzie: RFC 413. Traffic Statistics (October 1972). Techn. Ber. BBN, 1972. https://www.rfc-editor.org/rfc/rfc413.txt; Alex McKenzie: RFC 422. Traffic Statistics (No- vember 1972). Techn. Ber. BBN, 1972. https://www.rfc-editor.org/rfc/rfc422.txt. 137 Ab 1974 wird die Arbeitsgruppe Teil der International Federation for Information Processing. Vgl. K. Owen: RFC 828. Data Communications: IFIP’s International Network of Experts. Techn. Ber. IFIP, 1982. https://www.rfc-editor.org/rfc/rfc828.txt, S. 8. 138 Vgl. hierzu Pouzin: The CYCLADES Computer Network, S. 340. 368 Netzwerkprotokolle Handschläge, Verbindungen und Assoziationen. Louis Pouzins, Vinton Gray Cerfs und Robert E. Kahns Interkommunikation Wie benennt man eine Verbindung zwischen Computern? Die Frage ist nicht trivial und steht am Anfang der Operationalisierung des Ver- netzens. Auffällig wird dies für die Akteure selbst beim Sprung über Sprachschwellen, etwa wenn der Franzose Louis Pouzin die englische »connection« mit »liaison« übersetzt und den »virtual channel« auf Französisch als »voie virtuelle« auffasst.139 In der Frühzeit des ARPANET ist meist von link und connection als erweitertem link die Rede, um die Verbindung zu kennzeichnen,140 während sich konzeptuell der Begriff des handshake, eines protokollarischen ›Händeschüttelns‹ zweier Rech- ner durchsetzt. Hierbei handelt es sich um eine veritable Synchronisati- onstechnik, durch die zeitliche Verwerfungen bei der Datenübertragung besser beherrschbar gemacht werden sollen.141 Die Gesprächsanalogie ist an dieser Stelle ebenfalls bestimmend, wenn auch auf der Ebene der Vorabverständigung über eine Maschinenkonversation. Während sich ein Paket durch das ARPANET bewegt, so halten es die Designer fest, soll jeder IMP dieses speichern, bis sein Nachfol- ger eine positive Bestätigung (acknowledgement, kurz: ACK) für den Empfang übermittelt hat (Abbildung 9.4).142 Diese ausdifferenzierte Kettenlogik baut auf das Erbe postalischer Kulturtechniken. Beim synchronisierenden handshake, der ebenfalls über ACK und NAK (als Verneinung) modelliert wird, spielt hingegen das transformierte Wissen der Telefonvermittlung eine ebenso wichtige remedialisierende Rolle. Zwar steht keine dauerhaft genutzte, dedizierte Leitung mehr zur Ver- fügung. Aber der angenommene Schaltkreis zwischen Anfangs- und Zielrechner ist als symbolische Operation doch ebenso vorhanden wie die gegenseitige Anrufsstruktur eines call.143 Im Handschlag-Konzept treffen sich interaktives Rechnen, das Personen und Computer direkt 139 Vgl. Pouzin: The CYCLADES Computer Network, S. 304. 140 Vgl. Stephen C. Carr, Stephen D. Crocker und Vinton Gray Cerf: »HOST-HOST Commu- nication Protocol in the ARPA network«. In: AFIPS Conference Proceedings. Spring Joint Computers Conference. May 5−7, 1970. Atlantic City, New Jersey. Bd. 36. New York: ACM Press, 1970, S. 589−597, S. 591 f. Siehe auch Salus: The ARPANET Sourcebook, S. 373. 141 Vgl. Galloway: Protocol, S. 40 f. 142 Vgl. Heart u. a.: »The Interface Message Processor for the ARPA Computer Network«, S. 554. Das auch heute noch beliebte Internetkürzel »Full ACK« als Signal für Einverständnis geht wahrscheinlich auf diesen Übereinkunftsmodus zurück. 143 Vgl. Davies und Barber: Communication Networks for Computers, S. 384 f. zum Verhältnis von call und Protokoll sowie ebd., S. 178 f., zum handshake. Vom »Netting« zum »Internetworking« 369 abb . 9 .4: Übermittlungsprozess von Nachrichtenpaketen im ARPANET. Zeichnung, 1970. miteinander verbindet, und die Interaktivität zwischen Rechnern, die protokollarisch miteinander kommunizieren. Die Operationskette eines Dreiwege-Händeschüttelns sieht dann abstrahiert folgendermaßen aus: Erstens – Synchronisiere? Zweitens – Bestätigung. Synchronisiere? Drit- tens – Bestätigung (Abbildung 9.5).144 abb . 9 .5: Handshake zur Etablierung einer synchronisierten Verbindung zwi- schen zwei Internetrechnern. Diagramm von Alexander Galloway, 2004. Je gelungener und etablierter, kurz: je ritueller die Zeremonien der Kontaktaufnahme zwischen sprachfähigen Maschinen werden, umso weniger stehen die zeitlichen Probleme der Warteschlagenverwaltung im Vordergrund. Im Gegensatz zu den Projekttraktaten der 1960er ist man demgegenüber gelassener gewordenen. Dies liegt auch daran, dass 144 Vgl. hierzu ausführlich Vinton Gray Cerf, Yogen Dalal und Carl Sunshine: RFC 675. Speci- fication of Internet Transmission Control Program. Techn. Ber. 1974. https://www.rfc-editor. org/rfc/rfc675.txt, S. 22f. Vgl. auch University of Southern California Information Sciences Institute: RFC 793. Transmission Control Protocol. DARPA Internet Program Protocol Specification. Techn. Ber. DARPA, 1981. https://www.rfc-editor.org/rfc/rfc793.txt, S. 12, S. 30 f. 370 Netzwerkprotokolle die Datenpakete nicht mehr, wie anfangs im ARPANET noch üblich, in einer Sequenz hintereinander abgearbeitet werden müssen, sondern wie die sogenannten »Datagramme« des französischen Cyclades-Netzes in unterschiedlicher Reihenfolge am Zielort ankommen können.145 Zudem hat man ausgefeilte Techniken der Fehlerkorrektur und Neuübertragung einer Nachricht entwickelt.146 Donald Davies resümiert dies wie folgt: Alle Systemsoftware zur Kommunikation muss auf eine Art zeitbewusst sein. Aber ungefähre Timeouts von dem im ARPA-Netzwerk benötigten Typ sind bei Weitem weniger anspruchsvoll als Programme mit zeitkri- tischen Anforderungen.147 Sobald die protokollgesteuerten Synchronisationstechniken ihren Zweck erfüllen, gilt für die Modellierung des Verbindungsaufbaus räumlichen Begriffen wieder mehr Aufmerksamkeit. Angelegt ist dies schon in der zunächst en passant entstehenden Schichtung von Kommunikationsnetz- werken, deren Ausgestaltung ab den 1970er Jahren mehr und mehr zum internationalen Politikum wird.148 Aber auch die drängenden Adres- sierungsfragen bei immer mehr Rechnern widmen sich der spezifischen Räumlichkeit des Netzes. Ebenso entstehen durch die Notwendigkeit von Vermittlungspunkten (gateways) zwischen verschiedenen Netzen neue topografisch und topologisch orientierte Designfragen.149 Aus den kommunizierenden und adressierenden Protokollen erwächst eine Protokollarchitektur – die Semantik des Bauens mitsamt der mit ihr aufgerufenen raumordnenden Funktion wird in vielerlei Hinsicht maß- geblich für die Selbstverständigung der Entwickler. Die Frage, wie eine Verbindung zu benennen sei, werfen Vint Cerf und Robert Kahn an prominenter Stelle wieder auf.150 Schon nach 145 Vgl. Gillies und Cailliau: Die Wiege des Web, S. 44. Zudem flossen Erfahrungen aus der Entwicklung des funkbasierten Alohanet der University of Hawaii und frühe Entwürfe für das Ethernet mit in diese fundamentale Veränderung ein. 146 Vgl. zu deren Mangel Salus: Casting the Net, S. 101. 147 Davies und Barber: Communication Networks for Computers, S. 462. 148 Vgl. zu den auch als protocol wars bekannt gewordenen Konflikten zwischen dem auf das TCP / IP-Protokoll setzenden ›Internetlager‹, den auf X.25 setzenden, noch überwiegend staatlichen Telekommunikationsunternehmen und der Protokollarchitektur der Open Sys- tem Interconnection (OSI) Abbate: Inventing the Internet, S. 147 f.; Gillies und Cailliau: Die Wiege des Web, S. 70 ff.; Russell: »Rough Consensus and Running Code and the Internet-OSI Standards War«; Bunz: Vom Speicher zum Verteiler, S. 96 f.; Warnke: Theorien des Internet zur Einführung, S. 46 f. 149 Vgl. zu gateways Vinton Gray Cerf und Robert Elliott Kahn: »A Protocol for Packet Network Intercommunication«. In: IEEE Transactions on Communications 22.5 (1974), S. 637−648, hier S. 639. 150 Vgl. Salus: Casting the Net, S. 99. Vom »Netting« zum »Internetworking« 371 anderthalb Jahren ist der ARPANET-Community klar, dass mit dem Wachstum des Netzes Fragen auftreten, die ein sehr generelles Problem der Computerwissenschaft aufwerfen. Wie sollen Programme miteinan- der kommunizieren (intercommunicate), sei es in einem einzelnen oder zwischen mehreren Computern?151 Nach einem Treffen der International Network Working Group an der Universität Sussex im September 1973 erscheint im Mai des fol- genden Jahres in den IEEE Transactions on Communications ein bemer- kenswerter Artikel von Cerf und Kahn. Er widmet sich im Stammblatt der Vereinigung amerikanischer Ingenieure einem »Protocol for Packet Network Intercommunication«. Selbstbewusst versprechen die Autoren ein Protokolldesign und eine Philosophie, die das Teilen von Ressourcen in verschiedenen paketvermittelten Netzen ermögliche.152 Infolgedessen wird zum ersten Mal im angloamerikanischen Sprachraum eine Theorie des Internetworking, des Vernetzens heterogener Kommunikationsnetze vorgelegt. Sie orientiert sich mehr am französischen Cyclades-Netz mit seinen »Datagrammen« und der entstehenden Ethernetarchitektur für lokale Netze als am bisherigen ARPANET.153 Eigenwillig erscheint dabei der Versuch, gegenüber dem Begriff der ›Verbindung‹ (connection) ein Konzept der ›Assoziation‹ (association) zu betonen. Assoziationen sind bei Cerf und Kahn eine Variante der Verbindung, wobei Letztere deutlich umfassender ist. Eine Assoziation bezeichnet eine Relation zwischen zwei oder mehr Entitäten, ohne dass man sich auf einen Pfad zwischen beiden beziehen müsse.154 Es geht nicht um eine vergleichsweise ›feste‹, laut Cerf und Kahn »immer offene« Verbindung zwischen den IMPs, sondern um eine losere Kopplung, eine Potenzialität, eine Möglichkeit der temporären Assoziation über die Eingänge (ports) der vernetzten Rechner. Nicht die ständige Verbin- dung wie in Kafkas Schloß soll es sein,155 sondern die Eröffnung der 151 Vgl. Severo M. Ornstein u. a.: »The Terminal IMP for the ARPA computer network«. In: AFIPS Conference Proceedings. Spring Joint Computer Conference, May 16−18, 1972. Atlantic City, New Jersey. Bd. 40. Montvale, New Jersey: AFIPS Press, 1972, S. 243−254, hier S. 244. 152 Vgl. Cerf und Kahn: »A Protocol for Packet Network Intercommunication«, S. 637. 153 Vgl. Abbate: Inventing the Internet, S. 127. In Frankreich bezieht man in der konzeptionellen Frühphase von Cyclades die Interkommunikation von Beginn an in das Netzwerkdesign ein. Vgl. Pouzin: The CYCLADES Computer Network, S. 1, S. 231 f. Cerf und Kahn ver- weisen auch explizit auf Cyclades, vgl. Cerf und Kahn: »A Protocol for Packet Network Intercommunication«, S. 642. 154 Cerf und Kahn: »A Protocol for Packet Network Intercommunication«, S. 645. 155 Vgl. Kapitel 5 dieses Buches. 372 Netzwerkprotokolle Möglichkeit von vielen gegenseitigen Anrufen zwischen entsprechenden Prozessen auf den jeweiligen Rechnern. Dies erinnert nicht nur an ein Gedächtnismodell, wie es Heinz von Foerster entwickelt hat,156 sondern auch an den Begriff der ›Assoziation‹ im Diskursfeld der Akteur-Netzwerk-Theorie. »Assoziation – Welcher Akteur kann mit welchem anderen Akteur verknüpft werden? Substi- tution – Welcher Akteur kann durch einen anderen in einer gegebenen Verknüpfung oder Assoziation ersetzt werden?«, schreibt Bruno La- tour hierzu – und liefert eine perfekte Vorlage zur Beschreibung des Transmission Control Protocols (TCP) von Cerf und Kahn.157 Auch die Netzwerkingenieure diesseits und jenseits des Atlantiks haben Cerfs und Kahns aus Cyclades importierte Innovation einer ›verbindungslosen‹ Assoziation und der sich ins Netzwerk verteilenden Datagramme als entscheidend angesehen.158 Am Ende des Textes, der neben dem im Assoziationskonzept aufschei- nenden philosophischen Zug unter anderem die möglichst ökonomische Fragmentierung und Wiederzusammensetzung von Datenpaketen be- handelt, steht eine Ankündigung. Nach dem hier vorgelegten Konzept für ein Protokoll solle eine detaillierte Spezifikation für initiale Experimente entwickelt werden.159 Request for Comment Nummer 675 löst dieses Versprechen auf ein »Internetwork Transmission Control Program«160 im Dezember 1974 ein und benennt auch die verschiedenen Netze, die miteinander kommunizieren sollen: das ARPANET, das London Uni- versity College, Cyclades, das britische National Physical Laboratory, das Canadian Astronomy Data Centre und den Experimental Packet Switched Service der britischen Post.161 Darüber hinaus legen sich die Autoren Vint Cerf, Yogen Dalal und Carl Sunshine auf eine Sichtweise fest, die schon im IEEE-Artikel angelegt ist und hier konsequent weitergeführt wird: »Jedwede Netzwerkkom- 156 Vgl. Kapitel 9.2 dieses Buches. 157 Latour: Die Hoffnung der Pandora, S. 373. 158 »Pfadkontrollprozeduren etablieren ein virtuelles Kommunikationsmedium zwischen den kommunizierenden Entitäten; dieses Medium weist bestimmte wünschenswerte Charakte- ristika auf, die vom physischen Medium nicht besessen werden (z. B. die Bereitstellung von Adressierung, Synchronisation, Fehler- und Flusskontrolle).« David C. Walden und Alex- ander A. McKenzie: »The Evolution of Host-to-Host Protocol Technology«. In: Computer 12.9 (1979), S. 29−38, hier S. 29. 159 Vgl. Cerf und Kahn: »A Protocol for Packet Network Intercommunication«, S. 647. 160 Cerf, Dalal und Sunshine: RFC 675. Specification of Internet Transmission Control Program, S. 1. 161 Vgl. Cerf, Dalal und Sunshine: RFC 675. Specification of Internet Transmission Control Program, S. 18. Vom »Netting« zum »Internetworking« 373 munikation wird als Kommunikation zwischen Prozessen (inter-process communication) verstanden.«162 Das Transmission Control Program soll dabei eindeutig als »POST OFFICE« fungieren – eine Funktionsbeschrei- bung, die sich auch dem Erfolg der E-Mail als populärster Anwendung verdankt.163 Zudem soll das »Medium des Internet«, wie Martin Warnke die nach diesen Texten entstehende Protokollsuite TCP / IP genannt hat,164 gegenseitige Handschläge für Ende-zu-Ende-Verbindungen veranlassen und ebenso Fehlerkorrektur, Duplikatsentdeckung, Sequenzierung von Nachrichten und Flusskontrolle bieten.165 TCP bleibt nach einem tref- fenden Wort seines Miterfinders Vint Cerf immer dem Protokoll nach »höflich«166 – eine vornehme Beschreibung für die intendierte Robust- heit, die auch das Militär ab Mitte der 1970er Jahre wieder aktiv ins Spiel bringen wird.167 Der Weg des ARPANET vom initialen Network Control Program (NCP) zu TCP / IP als militärisch verordnetem Standardprotokoll, das ab 1. Januar 1983 gilt, soll hier nicht mehr detailliert Gegenstand sein. Während die große netzwerkhistorische Veränderung hin zum Internetworking und seiner Robustheit durch Verteilung mit den Tex- ten des Jahres 1974 angestoßen wird, findet der erste transatlantische Feldversuch eines Netzes verbundener Netze erst Ende 1977 statt. Dabei wird, fast in einer Rückkehr zu Paul Baran, ein kriegsrelevantes Szena- rio isolierter Kommunikationsnetze Grundlage des Protokolltests: Per Funkübertragung werden Pakete von einem kalifornischen Freeway über das PRNET an ein ARPANET-gateway gesendet, dann wiederum durch das ARPANET an ein SATNET-gateway an der Atlantikküste, über das SATNET an das University College London, von dort per Satellit nach 162 Cerf, Dalal und Sunshine: RFC 675. Specification of Internet Transmission Control Program, S. 1. Vgl. auch Information Sciences Institute: RFC 793. Transmission Control Protocol. DARPA Internet Program Protocol Specification, S. 7. 163 Vgl. hierzu hervorragend Siegert: Die Geschichte der E-Mail. 164 Warnke: Theorien des Internet zur Einführung, S. 43. 165 Vgl. Cerf, Dalal und Sunshine: RFC 675. Specification of Internet Transmission Control Program, S. 2. 166 So Vint Cerf mündlich im Vortrag: The Future of Security and Open Standards on the Internet, »Gespräche zur Netzpolitik« der Heinrich-Böll-Stiftung, Akademie der Konrad- Adenauer-Stiftung. Berlin, 26.5.2011. 167 Besonders deutlich wird der militärische Einfluss in den zentralen RFCs 791 und 793, sowohl durch die Zueignung an das Department of Defense, als auch durch das berühmte Robustheitsprinzip, das wiederum eher akademischen Maßgaben folgt: »Sei konservativ in dem, was du tust. Sei liberal in dem, was du von anderen akzeptierst.« Information Sciences Institute: RFC 793. Transmission Control Protocol. DARPA Internet Program Protocol Specification, S. 13. 374 Netzwerkprotokolle abb . 9 .6: Verbindung mehrerer Netze mit dem ARPANET: First ARPA Multi- Network Demo vom 22. November 1977. Diagramm, undatiert. Norwegen und letzten Endes via ARPANET zurück zu BBN in Cambridge und nach Kalifornien (Abbildung 9.6).168 Wer nun ob dieser neuerlichen Geburtsstunde glaubt, auch hier sei der Krieg Vater aller Dinge, übersieht ein entscheidendes Detail. Kon- zeptionell war Westeuropa im zivilen Internetworking mindestens auf Augenhöhe, wenn nicht der eigentliche Impulsgeber. So werden 1974 das Londoner National Physical Laboratory (NPL) und das französische Cyclades-Netz als erste Knoten innerhalb des European Informatics Network (EIN) miteinander verbunden.169 168 Vgl. Abbate: Inventing the Internet, S. 131 und Vinton Gray Cerf: Oral history interview by Judy E. O’Neill (OH 191). 24. April 1990. Reston, Virginia. Charles Babbage Institute, University of Minnesota, Minneapolis. 1990. http://purl.umn.edu/107214, S. 28 f. 169 Vgl. für das Folgende Salus: Casting the Net, S. 89 f.; Gillies und Cailliau: Die Wiege des Web, S. 62f.; Mariann Unterluggauer: »Wie Europa beinahe das Internet erfand«. In: Tech- nology Review 1 (2012). http://www.heise.de/tr/artikel/Wie-Europa-beinahe-das-Internet- erfand-1398231.html. Vom »Netting« zum »Internetworking« 375 Im Gegensatz zum vergleichsweise frei flottierend entstandenen ARPANET-Projekt folgt das EIN engeren politischen Vorgaben, mit denen der amerikanische Innovationsvorsprung aufgeholt werden soll. Die wis- senschaftliche und technische Kooperation innerhalb der europäischen Wirtschaftsgemeinschaft – durch das auch heute noch existierende, 1968 begründete COST-Programm – führt zur rechtlichen Kodifizierung innerhalb eines multilateralen Vertrags. So heißt es in Artikel 1 des Agreement on the Establishment of a European Informatics Network: Die Unterzeichnenden sollen ihre Anstrengungen innerhalb des Projekts koordinieren, das zur Etablierung eines Informatik-Netzwerks zwischen bestimmten europäischen Datenverarbeitungszentren verfolgt wird, um Forschung über den Informationsaustausch und das Teilen von Daten- verarbeitungsmöglichkeiten zwischen solchen Zentren zu befördern.170 Unterzeichner des am 1. Februar 1973 in Kraft tretenden Vertrags sind Frankreich, Italien, Jugoslawien, Norwegen, Portugal, die Schweiz, Schweden und Großbritannien; Deutschland folgt erst 1976. Die Pro- jektdauer wird auf fünf Jahre festgelegt. Jedes Land verpflichtet sich, einen zentralen nicht-kommerziellen Netzknoten auf seinem Territorium aufzubauen; weitere Knoten – auch kommerziell ausgerichtete – sind möglich. Drei Zwecken soll das Netzwerk hauptsächlich dienen: den Ideenaustausch zwischen den verbundenen Orten und das Entstehen koordinierter Forschungsprogramme fördern, den gegenseitigen Aus- tausch für ein Entstehen europäischer Standards in Gang setzen und ein potenzielles Modell für zukünftige Netzwerke – inklusive eines per- manenten, für kommerzielle Zwecke geeigneten internationalen Netz- werks – entwickeln.171 Auf Basis der im Cyclades-Projekt benutzten Mitra-15-Computer kommen zum NPL und dem Pariser Institut de Recherche en Infor- matique et en Automatique noch das Mailänder Politecnico, die ETH Zürich und das gemeinsame Atomforschungszentrum der Europäischen Gemeinschaft in Aspra, Italien, hinzu. Trotz der ab 1976 möglichen In- terkommunikation scheitert das Projekt hauptsächlich durch dauernden 170 »Agreement on the Establishment of a European Informatics Network (with annex). Con- cluded at Brussels on 23 November 1971«. In: United Nations Treaty Series. Bd. 1262. I-20750. New York: Vereinte Nationen, 1982, S. 311−342, hier S. 312. Der Text wurde bei der Ministerkonferenz in Brüssel am 22. und 23. November 1971 verabschiedet. Die Übersetzung folgt dem englischen Vertragstext. 171 Vgl. »Agreement on the Establishment of a European Informatics Network«, S. 341. 376 Netzwerkprotokolle Widerstand der verschiedenen staatlichen Telefongesellschaften.172 Dies ändert aber nichts daran, dass das EIN nach einem vertrauten Muster der Netzwerkbildung entsteht: Bevor die elektronische Vernetzung der Universitäten und Forschungszentren starten kann, müssen sich die eu- ropäischen Staaten erst diplomatisch auf eine Zusammenarbeit einigen. So wie Mitte des 19. Jahrhunderts die grenzüberschreitende Telegrafie in Europa außenpolitischer Übereinkunft bedarf,173 stehen auch bei dieser Form des Internetworking diplomatisches und maschinelles Protokoll in engstem Zusammenhang. 9.4 Architekturen aus Maschinenschrift Sounds like Babel in reverse.174 Hiro Protagonist in Neal Stephensons Snow Crash Ein völlig konvergentes Netzwerk wäre damit eine Art Turm zu Babel. Jeder würde seine eigene Sprache sprechen, aber jeder andere würde sie auch verstehen. Jeder hätte bestimmte Kompetenzen, aber jeder andere wüsste ebenfalls damit umzugehen.175 Michel Callon Die Frage, inwiefern es sich bei den Protokollen um eine ›Architektur‹ handele, ist von den Entwicklern selbst aufgeworfen worden. So hält der RFC 1958 im Juni 1996 fest, dass man die Internetentwicklung gut mit der konstant erneuernden Arbeit an städtischen Gebäuden und Straßen vergleichen könne.176 Zugleich wirft der von Brian E. Carpenter, Zustän- diger für Kommunikationssysteme am Genfer Kernforschungsinstitut CERN, edierte Text die Frage auf, ob es genau eine Internetarchitektur gebe. Die Autoren ziehen es vor, von architektonischen Prinzipien zu sprechen, die einer 25-jährigen impliziten Tradition folgen, welche wie- 172 Vgl. Unterluggauer: »Wie Europa beinahe das Internet erfand«. Siehe zum Stand 1978 die Karte bei Salus: Casting the Net, S. 90. 173 Vgl. das Kapitel 4.5 dieses Buches. 174 Neal Stephenson: Snow Crash. London: Penguin, 1993, S. 193. 175 Callon: »Techno-ökonomische Netzwerke und Reversibilität«, S. 330. 176 Vgl. Network Working Group: RFC 1958. Architectural Principles of the Internet. Techn. Ber. Internet Architecture Board, 1996. http://www.rfc-editor.org/rfc/rfc1958.txt, S. 2. Diese Analogie ist ein struktureller Faktor der Computergeschichte insbesondere in den 1980er und 1990er Jahren, wie Kirsten Wagner umfassend gezeigt hat. Vgl. Wagner: Datenräume, Informationslandschaften, Wissensstädte. Architekturen aus Maschinenschrift 377 derum nicht niedergeschrieben wurde. Stattdessen ›baut‹ man nach den Prinzipien der Entwicklergemeinschaft: »Das Ziel ist Konnektivität, das Werkzeug ist das Internetprotokoll, und die Intelligenz befindet sich eher an den Enden, als dass sie im Netzwerk verborgen läge.«177 Es ist genau diese Form der Ende-zu-Ende-Architektur, die komplexe Aufgaben vor allem den verbundenen Computern, weniger den verbin- denden Netzen überantwortet. Zwischen beiden stehen die Protokolle und insbesondere TCP / IP in seinen verschiedenen Entwicklungsstufen. Der 1984 erscheinende klassische Artikel von Jerome Saltzer, David Reed und David Clark wird immerhin so vorsichtig sein, statt einer »Architektur« eher »Argumente« zu betonen, die aber wiederum als rationales Prinzip die Ebenenarchitektur durchdringen sollen.178 Gerade für hoch virtualisierte Kommunikationsnetzwerke werden offenbar Kulturtechniken des Bauens und Gestaltens verstärkt als Referenzsystem aufgerufen.179 Handelt es sich hierbei um eine weitere Besonderheit der Computervernetzung, die zu den Sprachfantasien, den Protokollen, ökonomischen Erwägungen und der Verzeitlichung gehört? Oder bietet die Referenz auf das Gebaute und Gemachte eine Verkörperungsmöglichkeit, wenn der allergrößte Teil eines Netzwerks sich durch Immaterialität und Virtualität, kurzum: symbolische Prozesse, Praktiken und deren Ordnung auszeichnet? Tatsächlich lässt sich keinem der hier nur skizzierten Diskursele- mente ein Primat zuschreiben, auch wenn für das Internetworking die Frage der schriftlichen Protokolle immer auch eine Frage der daraus entstehenden Quasi-Architektur ist. Durch die Materialität der Kabel, IMPs und Prozessoren hindurch etabliert sich eine hoch relationale, softwarebasierte Verbundenheit der miteinander sprechenden Dinge. 177 Network Working Group: RFC 1958. Architectural Principles of the Internet, S. 2. 178 Vgl. Jerome H. Saltzer, David Patrick Reed und David Dana Clark: »End-To-End Arguments in System Design«. In: ACM Transactions on Computer Systems 2.4 (1984), S. 277−288, insbesondere S. 287. Vgl. zum Architekturbegriff der Informatik Barbara van Schewick: Internet Architecture and Innovation. Cambridge, MA; London: MIT Press, 2010, S. 21 f. Siehe zur Genese der Ende-zu-Ende-Architektur auch Matthias Bärwolff: »End-to-End Arguments in the Internet. Principles, Practices, and Theory«. Diss. TU Berlin, 2010. http:// opus.kobv.de/tuberlin/volltexte/2010/2830/pdf/baerwolff_matthias.pdf. 179 Dies gilt umgekehrt auch für die Architektur, die auf die Informatisierung der Stadt mit eigenen Netzwerkentwürfen reagiert. Vgl. Wigley: »Network Fever«; Hartmut Böhme: »Von der Vernetzung zur Virtualisierung der Städte: Ende der Philosophie – Beginn des Neuen Jerusalem?« In: Constructing Utopia. Konstruktionen künstlicher Welten. Hrsg. von Annett Zinsmeister. Berlin; Zürich: Diaphanes, 2005, S. 141−155; Mark Wigley: »The Architectural Brain«. In: Network Practices. New Strategies in Architecture and Design. Hrsg. von Anthony Burke und Therese Tierney. New York: Princeton Architectural Press, 2007, S. 30−53. 378 Netzwerkprotokolle Das Internetprotokoll treibt diese Entwicklung als »verbindungsloses«, d. h. ohne virtuelle Schaltkreise auskommendes, Netzwerkprotokoll fragmentierter Datenpakete auf die Spitze.180 Mit der so ermöglichten, rasanten Entwicklung neuer Dienste gilt die Aufmerksamkeit immer weniger dem materiellen Netz der Netze als allen nur erdenklichen Formen der Kommunikation in soziotechnischen Netzwerken. Der Preis dafür ist, allem Computer- und Telefonfetischismus und gegenläufiger Theoriebildungen wie der Akteur-Netzwerk-Theorie zum Trotz, ein Vergessen des Einsatzes von Objekten und Quasi-Objekten. Wen küm- mert schon ein Netzteil? Man wird das Erscheinen einer großen Menge von dezentral enste- henden und letztlich im Internet verbundenen Computernetzen ebenso wie die komplexe Entwicklung der Internetprotokolle medienkulturell kaum anders denn als eine computerbasierte »Ausfahrt nach Babylon« (Lorenz Engell) verstehen können. Zwar handelt es sich bei Transmission Control Protocol und Internet Protocol nicht, wie teilweise angenommen wurde, um eine universelle Sprache der Computernetze.181 Sinnvoller wäre es, von einer Grammatik der Netzwerkbildung zu sprechen, die zwar keinen universellen Anspruch hat, aber zumindest für das Univer- sum vernetzter Computer maßgeblich ist.182 Die kognitive Wende in der Computergeschichte der 1960er Jahre, die J. C. R. Licklider maßgeblich geprägt hat, entwickelt so eine formative Kraft, die über das ARPA­ NET hinaus bis zum Internetworking reicht. Materielle Kultur steht nicht mehr im Mittelpunkt dieser Entwicklung, sondern eröffnet einen wichtigen Übergang: Je höher die Konkretion des Internetworkings, desto potenziell flüchtiger wird all dasjenige, das hierdurch ermöglicht wird. Viel eher sorgt also die Materialität der vernetzten Kommunika- tion dafür, dass Netzwerke des sozialen Austauschs Teil einer fluiden Architektur der Lebensgewohnheiten werden. Und je klandestiner dabei die Transaktionen, je schattenhafter die Netzwerke werden, desto eher schlägt die Stunde der Verschwörungs- 180 »Es gibt keine Verbindungen oder logische Schaltkreise (virtueller oder anderer Art).« Uni- versity of Southern California Information Sciences Institute: RFC 791. Internet Protocol. DARPA Internet Program Control Specification. Techn. Ber. DARPA, 1981. https://www. rfc-editor.org/rfc/rfc791.txt, S. 2. Verbindungen übernimmt hingegen das Transmission Control Program, vgl. Information Sciences Institute: RFC 793. Transmission Control Protocol. DARPA Internet Program Protocol Specification, S. 5, S. 30 f. 181 Vgl. Galloway: Protocol, S. 46. 182 Eine Sprachtheorie der Netzwerkbildung durch Computer bietet unter Rekurs auf Saussure Winkler: Docuverse. Zur Medientheorie der Computer, S. 27 ff. Architekturen aus Maschinenschrift 379 theorie. Sie operiert als ein Gegendiskurs, der freilich zum Kernbe- stand von Netzwerken als Kulturtechnik gehört. Erstens hinterfragen Verschwörungstheorien die positive Besetzung des networking, indem sie ganz entschieden nach der Art der sozialen Verbindungen und den Folgen des Handelns im Netzwerk fragen. Zweitens kommen sie »ge- reinigten«, wissenschaftlich-rationalen Formen der Netzwerkanalyse in ihren paranoischen Erkenntnispotenzialen durchaus gleich, wenn sie sie nicht sogar übertreffen. Daraus lässt sich drittens die Frage ableiten, warum der Netzwerkbegriff sowohl Rationalitätsstrukturen wie para- noisches Wissen tragen kann. Offenbar ist die auf verteilte Operationen ausgerichtete Auffassung von Akteurs-Netzwerken lediglich eine Seite der Medaille – und die unterschiedlichen Bedeutungshorizonte für die Auffassung verteilter kollektiver Handlungen eine andere. Netzwerk- verbindungen entwickeln sich so zu Sinngebungsinstanzen für tenden- ziell unüberschaubare Zusammenhänge, im Guten wie im Schlechten, modern wie amodern. 10 Bildgeschichte des Netzwerkdiagramms (III) Wirtschaftliche Verflechtungen und die Mediologie der Verschwörung In der Analyse sozialer und wirtschaftlicher Netzwerke, die vor allem in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts an Bedeutung gewinnt, spielt die materielle Komponente einer Verbundenheit der Dinge kaum eine Rolle. Das liegt nicht nur am disziplinären Zuschnitt von Sozial- und Wirtschaftswissenschaften, sondern ist Teil einer generellen Verschie- bung hin zu Netzwerken als Strukturen sozialer Praxis und symbolischer Ordnung. Man kann dies unter anderem an der steilen Karriere des Netzwerkkonzepts in Social Anthropology, Soziologie, Wirtschafts- und Geschichtswissenschaft zeigen.1 Oder aber man verlässt sich weniger auf diese institutionalisierten Wissensformen, sondern widmet sich ge- sellschaftlichen Beobachtern, die vom Rand auf den fluktuierenden, relationalen Austausch blicken. Verschwörungstheorien entpuppen sich aus diesem Blickwinkel weniger als kaum geltungsfähige Vereinfachung denn als eine adäqua- te, kritisch-paranoische Methode der Netzwerkanalyse. In ihnen tritt sogar eine grundlegende Eigenheit von Netzwerken als Kulturtechnik deutlich zutage: Sowohl legitime wie illegitime Wissensformen zeichnen sich durch ihre Fixierung auf Verbindungen aus, seien diese öffentlich oder geheim. 1 Vgl. unter anderem Luc Boltanski und Ève Chiapello: Der neue Geist des Kapitalismus. édition discours 38. Konstanz: UVK, 2003, S. 188 f.; Mercklé: Sociologie des réseaux sociaux, S. 6 f.; Jens Beckert: »Soziologische Netzwerkanalyse«. In: Aktuelle Theorien der Soziologie. Von Shmuel N. Eisenstadt bis zur Postmoderne. Hrsg. von Dirk Kaesler. München: Beck, 2005, S. 286−312; Boris Holzer: Netzwerke. Bielefeld: transcript, 2006, S. 29 f.; Heiner Fangerau und Thorsten Halling, Hrsg.: Netzwerke. Allgemeine Theorie oder Universalmetapher in den Wissenschaften? Ein transdisziplinärer Überblick. Science Studies. Bielefeld: transcript, 2009; Sophie Mützel und Jan Fuhse: »Einleitung: Zur relationalen Soziologie. Grundgedanken, Entwicklungslinien und transatlantische Brückenschläge«. In: Relationale Soziologie. Zur kulturellen Wende der Netzwerkforschung. Hrsg. von dens., Netzwerkforschung 2. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften, 2010, S. 7−36; Stegbauer und Häußling: Handbuch Netzwerkforschung, S. 19 f., S. 281 f., S. 859 f. 382 Bildgeschichte des Netzwerkdiagramms (III) Wer politisch-ökonomische Verflechtungen als Machtnetzwerke kartiert, wandert auf dem schmalen Grat zwischen Analyse und Ver- schwörungstheorie. Der paranoische Zug eines solchen Wissens wird im akademischen Zugriff weitestgehend getilgt. Bei den Figuren dieses Kapitels ist er hingegen unmittelbar präsent. Wer die Wirtschaftsordnung mit all ihren Transaktionen verzeichnet, riskiert rasch das Aufkommen von Paranoia, also »einen mehr oder minder systematisierten Wahn«, der durch die »Prädominanz der Interpretation bei erhaltener Intelligenz charakterisiert [ist]«.2 Der Verschwörungstheoretiker ist ein Netzwerkanalytiker par ex- cellence, gerade weil er sich dem Unsichtbaren der informellen Ver- bindungen, der dubiosen Assoziationen und schattenhaften Netzwerke stellt. Er verfügt allerdings über keine Teilhabe an deren Ressourcen und Institutionen, weswegen seine eigene Handlungsmacht immer begrenzt erscheint.3 Dies unterscheidet ihn von anderen grafisch vorgehenden Netzwerkanalytikern: Jacob Levy Moreno hatte die Visualisierungen der Tiefenstrukturen von fluktuierenden kollektiven Gefühlen zur Grundlage seiner soziometrischen Zeichenpraxis gemacht – freilich mit einer positiv-optimistischen Haltung.4 Die grafische und berechnete Netzwerkkoordination von Produktion und Logistik hingegen widmet sich ganz der Koordination des machbaren Projekts.5 Auf der Szene dieses Kapitels versammeln sich hingegen vereinzelte Charaktere, die gegenüber der Perfektibilität von Gesellschaft berech- tigte Einwände vorzubringen vermögen. Ein kommunistischer Histo- riker, ein CIA-Lektor, ein Archivar, der zum bilderzählenden Künstler wird: Für alle gilt, dass das Wissen um Verschwörungen einsam macht, vielleicht sogar Einsamkeit voraussetzt. Soziale Exklusion schärft den Blick des geistigen Auges und befördert die Imagination unsichtbarer 2 Élisabeth Roudinesco und Michel Plon, Hrsg.: Wörterbuch der Psychoanalyse. Namen, Länder, Werke, Begriffe. Wien u. a.: Springer, 2004, S. 765 f. 3 Timothy Melley hat dieses Grundproblem für die Nachkriegs-USA mithilfe eines treffenden Sprachspiels beschrieben: »Agency-Panik ist intensive Angst, die einen offensichtlichen Verlust an Autonomie betrifft, die Überzeugung, dass die eigenen Handlungen von jemand anderem kontrolliert werden oder dass man von mächtigen, externen Agenten ›konstruiert‹ worden ist.« Timothy Melley: Empire of Conspiracy. The Culture of Paranoia in Postwar America. Ithaca, NY; London: Cornell University Press, 2000, S. vii. Vgl. zur Explorier- barkeit und Erzählbarkeit von Verschwörungen aus einer Außenseiterposition Eva Horn und Anson Rabinbach: »Introduction: Dark Powers. Conspiracies and Conspiracy Theory in History and Fiction«. In: New German Critique, Special Issue 103 (2008), S. 1−8, hier S. 2. 4 Vgl. Kapitel 6.4 dieses Buches. 5 Vgl. Kapitel 8 dieses Buches. Bildgeschichte des Netzwerkdiagramms (III) 383 Verbindungen. Die Begründung der Zusammenhänge kann dabei sehr einfach und reduktionistisch erfolgen – ein klassisches Kennzeichen kollektiv verfolgter Verschwörungstheorien. Die hier vorgestellten Ana- lytiker dagegen stellen in der Regel komplexe Zusammenhänge auch komplex dar.6 Das Risiko des Wissens liegt für Georges Baehler alias Pollux, Robert Redford alias Turner in Die drei Tage des Condor und Mark Lombardi in einer systematisch strukturierten, alles umfangenden und umfassenden Paranoia. Einer solchen Gefahr entgeht kaum jemand, der Netzwerke und Geschichte zusammendenkt.7 Umso wichtiger wird es, die Erzählung und den konspirativen Plot in einen Raum mit den Bildformen der Narration zu stellen. Wenn ein Medium der Netzwerke schlechthin das Netzdiagramm ist,8 welche narrativen Formen verbin- den sich dann mit welchem Bildstatus zugunsten welcher Bedeutungen? Und wenn es stimmt, dass Erzählungen den Zusammenhalt von Netz- werken gewährleisten,9 braucht es dann nicht ein politisches Archiv dieser Narrative? Die folgenden Einträge aus den 1940er, 1970er und 1990er Jahren zeichnen sich jeweils durch einen spezifischen Begriff aus der eng- lischsprachig geprägten Wirtschaftswelt aus: erstens ›Trust‹, zweitens ›Corporation‹ bzw. ›Company‹ und drittens ›Global Networks‹. Auch die Verschwörungstheorie folgt den sich vermehrenden Netzwerken im 20. Jahrhundert und transformiert dabei erstaunlich präzise ihre Bezeichnungen für verbundene Phänomene.10 6 Vgl. zum Verhältnis individueller zu kollektiven Verschwörungstheorien Dieter Groh: »Die verschwörungstheoretische Versuchung oder: Why do bad things happen to good people?« In: Anthropologische Dimensionen der Geschichte. stw 992. Frankfurt am Main: Suhrkamp, 1992, S. 267−304, hier S. 275 f. 7 Ein Musterbeispiel hierfür sind Fredric Jamesons durchaus paranoische Analysen zur nicht- kartierbaren Totalität des kapitalistisch verfassten Weltsystems, an die ich im Folgenden kritisch anschließe. Vgl. Fredric Jameson: The Geopolitical Aesthetic. Cinema and Space in the World System. Bloomington; Indianapolis: Indiana University Press, 1992. 8 Nach einer These von Erhard Schüttpelz, vgl. Schüttpelz: »Zur Genealogie und Karriere des Netzwerkkonzepts«, S. 43. Dies gilt nicht exklusiv, vgl. die Einordnung von TCP / IP als Medium des Internets durch Warnke: Theorien des Internet zur Einführung, S. 43. 9 Vgl. Weber: Gelegenheitsziele. Zur Militarisierung des Denkens, S. 151. Weber übernimmt diese Einsicht von John Arquilla und David F. Ronfeldt: Networks and Netwars. The Future of Terror, Crime, and Militancy. Santa Monica: RAND, 2001, S. 328 f. Die Think Tank- Denker Arquilla und Ronfeldt berufen sich wiederum auf Manuel Castells’ Bemerkungen zur kulturellen Identität von Netzwerken. Die soziologische Netzwerktheorie geht zumeist nüchterner von ›Vertrauen‹ als Grundwährung sozialer Netzwerke aus. Vgl. Sydow und Windeler: »Steuerung von und in Netzwerken«; Powell: »Neither Market nor Hierarchy. Network Forms of Organization«, S. 326. 10 Vgl. Groh: »Die verschwörungstheoretische Versuchung«, S. 281 ff. allgemein zum histori- schen Wandel von Verschwörungstheorien. 384 Bildgeschichte des Netzwerkdiagramms (III) 10.1 Schreiben / Zeichnen. Pollux und die Schweizer Trusts Finanz ist das Geld der anderen; es ist die Kunst, mit fremdem Geld Geschäfte zu machen, wenn möglich redlich.11 Georges Baehler alias Pollux Niklas Luhmann war alles andere als ein Freund des Netzwerkden- kens.12 Doch wir verdanken ihm eine der pointiertesten Kritiken jener »Kausalität im Süden«, die der Unschärfe des Netzwerkhandelns ei- nen geradezu mafiösen Charme verleiht.13 Luhmanns Fallbeispiel sind dabei Sozialstrukturen in Süditalien, also »Patron / Klient-Verhältnisse oder Netzwerke«, die quer zur sozialen Ausdifferenzierung als nicht- moderne Art des Austausch trotzdem soziale Beziehungen stabilisieren. Die kommunikative Situation in einer solchen Umgebung führt dazu, dass »es vor allem auf das Symbolisieren des Netzwerks ankommt, in dem Gefälligkeiten gehandelt und dazu passende Einstellungen zuge- mutet werden«. Dieser auf Familienökonomien gegründeten räumlich verteilten Kommunikation steht ein hierarchischer Organisationsversuch durch öffentliche und staatliche Akteure hilflos gegenüber. Korruption und Nichtkorruption verschwimmen stetig. Und weiter heißt es zum Protokoll eines Netzwerks: »Jeder, der am Netzwerk in diesem Sinne teilnimmt, muß wissen, wie es funktioniert. Er braucht nicht zu wissen, warum es so funktioniert, wie es funktioniert.« Misstrauen gegenüber informellen wirtschaftlichen Verflechtungen herrscht aber nicht nur aufseiten des Systemtheoretikers, der sich für die Ausdifferenzierung gesellschaftlicher Teilsysteme interessiert. Auf die unmittelbare Vergangenheit des 19. Jahrhunderts gerichtete Befürch- tungen, dass nicht nur rationale Organisation, sondern Klientel- und 11 Pollux: Trusts in der Schweiz? Die schweizerische Politik im Schlepptau der Hochfinanz. Zürich: Verein für wirtschaftliche Studien, 1945, S. 99. 12 »Man sucht mithin vergeblich, wenn man die Einheit der modernen Gesellschaft in der Organisation eines Netzwerkes von Kommunikationsbahnen, von Steuerungszentren und Impulszentren begreift.« Niklas Luhmann: Ökologische Kommunikation. Kann die moderne Gesellschaft sich auf ökologische Gefährdungen einstellen? 3. Aufl. Opladen: Westdeutscher Verlag, 1990, S. 203. Eine Öffnung der Systemtheorie in Richtung Netzwerkanalyse fin- det sich mittlerweile bei Dirk Baecker: »Handeln im Netzwerk. Zur Problemstellung der Soziologie«. In: Relationale Soziologie. Zur kulturellen Wende der Netzwerkforschung. Hrsg. von Jan Fuhse und Sophie Mützel. Netzwerkforschung 2. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften, 2010, S. 233−256. 13 Die folgenden Zitate nach der Internetausgabe von Niklas Luhmann: »Kausalität im Süden«. In: Soziale Systeme 1 (1995), S. 7−28. http://www.soziale-systeme.ch/leseproben/luhmann. htm. Pollux und die Schweizer Trusts 385 Vetternwirtschaft das Entstehen der modernen Wirtschaftsordnung be- gleiten, wurden bereits um 1900 geäußert, und zwar keineswegs allein von Marxisten. Auch liberale Wirtschaftstheoretiker und -historiker interessierten sich für die gezielte Besetzung dessen, was David Ricardo 1810 »Kanäle der Zirkulation« genannt hatte.14 So skizziert der Engländer John A. Hobson 1894 das Szenario einer überfallartigen Netzwerkbildung, die binnen kürzester Zeit mit dem Auf- bau der Diamanten- und Goldwirtschaft in Südamerika einherging. Die von Hobson untersuchte Jagd auf die Diamantenminen in den 1880er Jahren führt nicht nur zu einer deutlichen Forderung des Autors nach politischer Kontrolle.15 Ihre Auswirkungen und Verbindungen werden von Hobson mithilfe von Netzwerkdarstellungen in Tabelle und Dia- gramm analysiert, die zu Recht als Vorläufer der quantitativen Analyse sozialer Netzwerke angesehen werden.16 Sie entwerfen eine umfas- sende Mediologie der Verschwörung, die sich durch die Beherrschung eines Netzwerks von netzförmig organisierten Kommunikationsmedien auszeichnet. Das entsprechende Diagramm beschließt bei Hobson ein Kapitel als letztes, visuelles Argument. Es versammelt um den zentralen Trust der sich überlagernden Firmen Charter, de Beers und Rand deren Anteile an Telegrafen, Banken, Eisenbahnen und Printmedien (Abbil- dung 10.1). Die Kontrolle von Geld-, Nachrichten- und Transportflüssen geht in dieser Bildrhetorik eindeutig vom zentralen Trust aus. Entscheidend ist dabei die Betonung des organisatorischen Geflechts von geteilten Posten in Aufsichtsräten – eine Praxis, die gerade im interfamiliären Austausch durch das gesamte 19. Jahrhundert üblich war. Sie provozierte in den USA die Forderung nach Entflechtung von monolithischen Trusts, in denen die Interessen von Monopolisten re- 14 David Ricardo: »Three Letters to the Morning Chronicle on the Bullion Report, 1810«. In: The Works and Correspondence of David Ricardo. Volume III. Pamphlets and Pa- pers 1809−1811. Hrsg. von Piero Sraffa. Cambridge: Cambridge University Press, 1951, S. 129−153, hier S. 148. Zu einer Geneaologie der Wirtschaft in Tableau-Darstellungen vgl. auch die Bemerkungen zu Quesnays Tableau Économique (1758) bei Siegert: »Currents and Currency. Elektrizität, Ökonomie und Ideenumlauf um 1800«, S. 60 f. 15 Hobson kommentiert mit drängendem Unterton: »Nirgendwo in der Welt hat je so eine konzentrierte Form von Kapitalismus existiert wie jene, die durch die Finanzmacht der südafrikanischen Minenfirmen ermöglicht wird. Und nirgendwo sonst verstärkt und er- fordert diese Macht so sehr die Notwendigkeit politischer Kontrolle.« John A. Hobson: The Evolution of Modern Capitalism. A Study of Machine Production. The Contemporary Science Series 25. London; Felling-on-Tyne: Walter Scott Publishing, 1906, S. 267. 16 Vgl. hierzu Freeman: The Development of Social Network Analysis, S. 18 f. Hobson hat noch weiteren Werken eigenwillige Handelsvisualisierungen beigefügt. Siehe James A. Hobson: The Industrial System. An Inquiry into Earned and Unearned Income. London: Longman, Green & Co., 1910, S. 11. 386 Bildgeschichte des Netzwerkdiagramms (III) abb . 10 .1: John A. Hobson: Finanzwirtschaft Südafrikas. Diagramm, 1906. gierten und nicht das vermeintlich freie kompetitive Spiel von Angebot und Nachfrage. So schreibt Louis Brandeis, der Präsident Woodrow Wilson zu diesem Problem berät, im Jahr 1914: »Die Gewohnheit, Aufsichtsräte miteinander zu verflechten (interlocking directorates), ist die Wurzel vieler Übel. Sie verletzt menschliche und göttliche Gesetze. Wenn sie zwischen konkurrierenden Unternehmen eingesetzt wird, zielt sie auf die Unterdrückung des Wettbewerbs.«17 Trotz dieses moralisch- pragmatischen Aufrufes – der sich auch in einem Verbot der personellen Verflechtung zwischen rivalisierenden Firmen im Clayton Act von 1914 niederschlägt18 – sind wechselseitige Gefälligkeitsbesetzungen von Führungspositionen nach wie vor ein Markenzeichen kapitalistischer Wirtschaftsformen. Allerdings haben sich die Vorzeichen im Rahmen der fortwährenden Globalisierung der Ökonomie transformiert: An die Stelle eines sta- tischen, familiär verquickten, teils weltumspannenden Netzwerks als Trust bzw. Syndikat19 treten dynamische Personenkonstellationen, deren Neubesetzung Headhuntern beachtliche Prämien verschafft. Der Wechsel von Führungskräften von einem Konzern zum anderen 17 Louis Brandeis: Other People’s Money and How the Bankers Use it. New York: Frederick A. Stokes, 1914, S. 51. Für wichtige Hinweise zur Geschichte der ›interlocking directorates‹ und die Bekanntschaft mit Pollux danke ich herzlich Martin Lüpold. 18 Ähnliche Normen hatten vor 1816 z. B. zwischen Banken existiert, um dann en passant vergessen zu werden. Vgl. David Bunting: »Origins of the American Corporate Network«. In: Social Science History 7.2 (1983), S. 129−142, hier S. 130 f. 19 Vgl. Bunting: »Origins of the American Corporate Network«, S. 137. Pollux und die Schweizer Trusts 387 erreicht allerdings nicht die Geschwindigkeit der Netzwerkprodukti- on von Gütern »Just-in-Time«,20 auch wenn sich die Taktungen von Personalbesetzungs- und Produktionsstil einander angenähert haben. Der wirtschaftswissenschaftlichen Analyse von ›interlocking directo- rates‹ ist immer wieder vorgeworfen worden, auf Geld und personellen Übereinstimmungen basierende quantitative Verschwörungstheorie zu betreiben. Es versteht sich von selbst, dass die wissenschaftsnahen Ak- teure einen solchen Verdacht meist auf der ersten Seite ihrer Publikati- onen zurückweisen.21 Auch wenn Netzwerkanalysen mittlerweile zum analytischen Standardrepertoire der Wirtschaftswissenschaften gehören und in der Internetökonomie Pflicht geworden sind:22 Anerkennung für die Wahrheit der eigenen Aussagen ist im Diskurs- und Machtfeld der politischen Ökonomie zweifelhaft. Die Benennung wirtschaftlicher Verflechtungen erweist sich als dis- kursiver Kampfplatz, auf dem sich die Wirtschaftsgeschichte mühsam eine Festung gesichert hat, während die nicht minder fleißig Daten verzeichnenden Verschwörungstheoretiker im selben Areal ›illegitimes‹ Wissen produzieren, das sich dann auf Websites wie theyrule.net oder großformatigen Plakaten wiederfindet.23 Mitunter prallen, vor allem in den USA, positives und paranoides Wissen auch im literarischen, akademischen und populären Diskurs aufeinander.24 Mir geht es im Folgenden gerade um illegitime und dubiose Stiefkinder des ökono- mischen Denkens, die sich willentlich in einem unüberschaubaren Netzwerk verstricken, ohne dabei in Vereinfachungen zu verfallen: Netzwerkanalytiker, die dem Kapitalismus eine Falle stellen, indem sie als Astrologen dessen Sternbilder zeichnen und deuten. Die Bemühungen des kommunistischen Publizisten Georges Baehler (1895−1982), in den 1940er Jahren die Verflechtungen des ökono- mischen Systems der Schweiz zu kartieren, unternehmen ganz im Sinne 20 Vgl. hierzu Kapitel 8.2 dieses Buches. 21 Vgl. Frans N. Stokman, Rolf Ziegler und John Scott, Hrsg.: Networks of Corporate Power. A Comparative Analysis of Ten Countries. Cambridge: Polity Press, 1985, S. 1; Bunting: »Origins of the American Corporate Network«, S. 139. William Domhoff, Autor des seit 1967 immer wieder aktualisierten Bestsellers Who Rules America?, signalisiert bereits auf der Startseite von whorulesamerica.net seine Distanz zu Verschwörungstheorien jeder Art. 22 Vgl. für einen Literaturüberblick Claire Lemercier: Interlocking directorates: une bibliogra- phie introductive. 2006. http://lemercier.ouvaton.org/document.php?id=150. Zur Populari- sierung der interlock-Analyse fluider Allianzen im Kontext von »small world«-Phänomenen siehe Barabási: Linked. The New Science of Networks, S. 204 f. 23 Siehe z. B. http://www.deathandtaxesposter.com. 24 Vgl. hierzu initial Richard Hofstadter: The Paranoid Style in American Politics and Other Essays. London: Jonathan Cape, 1966. 388 Bildgeschichte des Netzwerkdiagramms (III) Niklas Luhmanns den Versuch, deren Wie zu ermitteln. Denn das Warum ist in der hochentwickelten kapitalistischen Form der Vetternwirtschaft hier selbstredend durch die Eigeninteressen der beteiligten Familien gegeben. Baehler hat vor allem unter dem Pseudonym Pollux in linken und sozialdemokratischen Organen wie dem Volksrecht geschrieben. Mit dieser Selbstbenennung stellt er sich in die Tradition der hilfreichen Dioskuren der griechischen und römischen Mythologie, die gerade in Krisenzeiten den Menschen als Navigatoren beistehen. Baehler realisierte als gelernter Bauingenieur Staudämme in Frankreich und Mexiko, bevor er sich nach einer Reise in die UdSSR 1936 der Kommunistischen Partei Frankreichs anschloss. Nach Untergrundarbeit im besetzten Frankreich war er 1942 Mitbegründer des Zürcher Vereins für wirtschaftliche Stu- dien, 1951 emigrierte er in die DDR, um dort am Ost-Berliner Institut für Zeitgeschichte und dem Deutschen Wirtschaftsinstitut zu arbeiten. In der jungen Deutschen Demokratischen Republik wurde Baehler wiederum als Publizist tätig und veröffentlichte unter dem Pseudonym Georg Baumann anti-westliche Kapitalverschwörungs-Traktate.25 Während der Kriegsjahre in der Schweiz ist Baehlers zentrales Feind- bild in der publizistischen Arena die klassisch liberale Neue Zürcher Zeitung. Viel Feind, viel Ehr’ – die Neue Zürcher schreibt im Juni 1944: Wirklich, die sozialistische Presseregie hat mit ihren hartnäckigen Bemü- hungen kein Glück. Da werden durch Artikelschreiber à la Pollux Jahr für Jahr fleißig die Tatsachen entstellt, politische Greuelgeschichten einge- paukt und vor den Wahlen graphische Darstellungen herausgegeben, wel- che düstere Querverbindungen ›enthüllen‹ sollen. Und – plumps! – fallen die Herren selbst in die Grube, die sie andern gegraben haben.26 Auch die Gazette de Lausanne nimmt den Fehdehandschuh gerne auf: Wenn man jeden Morgen liest, daß das gesamte Vermögen der Nation sowie der ganze politische Einfluß sich in den Händen von hundert Industriellen befinden, die noch mit Namen angegeben werden und deren Verbindungen und Beziehungen mittels graphischer Tabellen in 25 Vgl. Georg Baumann: Atlantikpakt der Konzerne. Die internationale Kapitalverflechtung in Westdeutschland. Berlin: Verlag die Wirtschaft, 1952 und Georg Baumann: Eine Hand- voll Konzernherren. Berlin: Volk und Welt, 1953. Vgl. für weitere Details zur Biografie Markus Bürgi: »Bähler [Baehler], Georges«. In: Historisches Lexikon der Schweiz (HLS). Bern: HLS, 2005. http://www.hls-dhs-dss.ch/textes/d/D15156.php und das Findbuch zum Nachlass Baehler, Zentralbibliothek Zürich (Handschriftenabteilung). Mit herzlichem Dank an Christoph Eggenberger für die Zugänglichmachung. 26 Pollux: Trusts in der Schweiz?, S. 108. Im Original kursiv. Der Kommentar von Karl Hediger bezieht sich auf die von Pollux analysierte Cadelplata-Affäre. Pollux und die Schweizer Trusts 389 die Vorstellung der Leser eingeprägt werden, werden die Geister von solchen Dingen nicht viel kräftiger beeindruckt, als durch die Antworten derjenigen, die mit Statistiken und Überlegungen nachweisen, daß es sich um grobe Mären handelt, und daß die Schweiz in Wirklichkeit eines der Länder ist, wo das Vermögen am gleichmäßigsten verteilt ist.27 Grafische Darstellung und ›grafische Tabellen‹ werden hier in der Traditi- on von Agitprop und Otto Neuraths Bildstatistik ganz offenbar als Waffe aufgefasst.28 Das Bild ist Argument in der politischen Arena – hier mit klarem Vorteil für die Seite des Sozialismus. Interessanterweise rückt die visuelle Argumentation noch weiter in den Mittelpunkt des Streits um die Polluxiaden. Die Neue Zürcher bemüht dafür am 28. Juli 1944 politisches Streitvokabular und spricht von einer »monströsen Gemäldegalerie«, die es aber immerhin lohne, einmal »etwas genauer« betrachtet zu werden.29 Die »Wahnvorstellungen« zur ökonomisch- politischen Steuerung der Schweiz durch enge familiäre Verflechtungen werden selbstverständlich als absurd gebrandmarkt. Zudem seien die »außerordentlich gewundenen und verknorzten Pinselstriche« ein bloßes Mittel zur falschen Verortung von Personen, die nun garantiert nicht an jene Stelle des Tableaus gehörten.30 In diesem Duell zwischen sozi- alistischer und liberaler Gesinnung erläutert Pollux seine genuine Text- Bild-Strategie: Der Wert dieser Tabellen liegt darin, daß sie dem Betrachter auf den ersten Blick eine klare Übersicht über die Verflechtung und Konzentration der Hochfinanz ermöglichen, während sich im Text die Zusammenballung dieser kapitalistischen Mächte erst allmählich herauskristallisiert.31 Das gezeichnete »goldene Netz«32 der Schweizer Oligarchie erscheint als Medium einer evidenzversprechenden Gleichzeitigkeit, die durch simul- 27 Gazette de Lausanne, 11. Februar 1944. Zitiert nach Pollux: Trusts in der Schweiz?, S. 109. Dort kursiv. 28 Vgl. unter anderem Otto Neurath: »Bildstatistik und Wirtschaftsplan«. In: Gesammelte bildpädagogische Schriften. Hrsg. von Rudolf Haller und Robin Kinross. Wien: Hölder- Pichler-Tempsky, 1991, S. 177−179. Siehe zu Neurath Nikolow: »Kurven, Diagramme, Zahlen- und Mengenbilder. Die Wiener Methode der Bildstatistik als statistische Bildform«; Hartmann und Bauer: Bildersprache. Otto Neuraths Visualisierungen. 29 Z. R.: »Wie sich Pollux die Schweiz vorstellt«, in: Neue Zürcher Zeitung, 28. Juli 1944 (Abendausgabe Nr. 1280), S. 5. Zitat nach Pollux: Trusts in der Schweiz?, S. 124. Der NZZ- Artikel mokiert sich unter anderem über Pollux’ Vorstellung der personellen Überschneidung der Aufsichtsräte, also seinen Verdacht auf interlocking directorates. 30 Pollux: Trusts in der Schweiz?, S. 126. 31 Pollux: Trusts in der Schweiz?, S. 129 f. Kursiva im Original gefettet. 32 Pollux: Trusts in der Schweiz?, S. 129. Im Original erscheint die Wendung in fett gedruckten Buchstaben in einem eigenen Absatz, der vom Rest des Texts abgesetzt ist. 390 Bildgeschichte des Netzwerkdiagramms (III) tane Darstellung hervorgebracht wird. Narration und damit Kausalität bleiben programmatisch dem Text anvertraut. Aber ganz so einfach verhält es sich nicht, gleichen doch weite Teile der Artikel einer Na- mensaufzählung der Schweizer Hochfinanz.33 Ohne deren Verortung im Diagramm bleiben die erzählten Zusammenhänge, zumal für heutige Leser, unklar. Die Bildlichkeit des Diagramms (seine pikturale Ikonizität) steht so gegenüber seiner Schriftlichkeit (der notationalen Ikonizität) im Vordergrund – ein Problem, das sämtliche Netzwerkvisualisierungen auszeichnet, so man sie nicht als operative Bilder benutzt und versteht.34 Bild und Text sind – wie auch im Korpus der Zeitung – zur ge- meinsamen, hin- und herspringenden Lektüre gedacht. Buchtechnisch unterstützt wird dies durch Ausklapptafeln am Ende des Bandes. Dieses historisch aus der Frühen Neuzeit stammende Programm35 vollzieht einen gängigen Tausch von Text und Bild, verfügt aber über ein sehr bezeichnendes Detail: Unsichtbarer Dritter sind eben jene nicht gezeigten statistischen Tabellen, anhand derer sich konkrete Zahlungsakte und Finanzströme nachvollziehen ließen. Der politische Verdacht richtet sich hier gegen Drahtzieher, die als Kreise dargestellt werden. Düster quer- verbundene Institutionen nehmen hingegen die Form eines Rechtecks an (Abbildung 10.2). Untersucht wird also das geschlossene System genau eines »goldenen Netzes«, dessen klandestin-mafiöse Kausalität beschlossene Sache ist. Im elementaren System der Schweizer Finanz- verwandtschaften regieren die miteinander verquickten Familien.36 Jedes Tableau wird gerahmt, um es als monolithische Gesamtdarstel- lung umso glaubhafter erscheinen zu lassen. Verschwörungstheoretisch ist dies absolut konsequent: Ein Trust konstitutiert sich durch Abgren- zung, die sich aber nur erschließt, wenn alle Verbindungen aufgezeigt 33 Baehlers an der Universitätsbibliothek Zürich in der Handschriftenabteilung aufbewahrter Nachlass ist bezeichnenderweise ein Monument von Datensammelwut. Vgl. das Findbuch des Nachlasses von Georges Baehler, S. 17 f. 34 Vgl. zum Begriffspaar pikturale und notationale Ikonizität Krämer: »›Schriftbildlichkeit‹ oder: Über eine fast vergessene Dimension der Schrift«, S. 163. Siehe zudem Kapitel 6.2 dieses Buches. 35 Vgl. zur binomialen Syntax von Diagramm und Text Siegel: Tabula. Figuren der Ordnung um 1600, insbesondere S. 91f. Zur Pragmatik von gedruckten Papiermaschinen siehe Jörn Münkner: Eingreifen und Begreifen. Handhabungen und Visualisierungen in Flugblättern der Frühen Neuzeit. Berlin: Erich Schmidt, 2008. 36 Auf dem Umschlag heißt es dazu mit Metaphern optischer Präzision: »Wenn es wahr ist, das die Familie die Keimzelle des Staates ist, so ist es nicht weniger wahr, daß die herrschenden Familien die Keimzellen der Trusts sind. Diese Keimzellen unter die Lupe, ja unter das Mi- kroskop zu nehmen, ist die Aufgabe der vorliegenden Schrift.« Vgl. Pollux: Trusts in der Schweiz?, Umschlagstext. Pollux und die Schweizer Trusts 391 abb . 10 .2: Georges Baehler alias Pollux: Zwei Großmächte Solothurns: L. von Roll und Bally. Grafik, 1945. 23 x 20,5 cm. [Siehe Farbtafel XXIV] werden. Das von Pollux entborgene »goldene Netz« steht, wie auch die späteren Analysen des Firmennetzwerks der USA, im Singular. Die narra- tive Netzwerklogik der Verschwörung läuft nicht nur hier zumeist auf die Identifikation genau eines stark verdichteten Netzwerkes hinaus, sei es als »Trust«, »goldenes Netz«, »corporation«,37 »corporate network«,38 »radiale Matrix«39 oder aber ›totales‹, unkartierbares Weltsystem, das bei Frederic Jameson zum unendlichen Netzwerk wird.40 37 Im Sinne der »Firma« CIA und der ihr verwandten Organisationen, wie z. B. der Parallax Corporation in Alan J. Pakulas Parallax View (1974). 38 Vgl. Mark S. Mizruchi: The American Corporate Network 1904−1974. Sage Library of Social Research 138. Beverly Hills; London: Sage, 1982. 39 So der punktgenaue Titel einer privatwirtschaftlich organisierten, aus den staatlichen »cor- porations« ausgekoppelten Parallelorganisation von Auftragsmördern bei Don DeLillo: Running Dog. London; Oxford: Picadore, 1999 [1978], insb. S. 153 f. 40 Vgl. Jameson: The Geopolitical Aesthetic, S. 9 f. 392 Bildgeschichte des Netzwerkdiagramms (III) Ein mustergültiges Beispiel für Pollux’ erzählerische Enthüllungs- strategie gegenüber den Trusts und ihren verflochtenen Aufsichtsräten stellt eine bildschriftliche Kartierung zu dem Artikel »Was sind die Rollschen Eisenwerke?« dar. Sie setzt unter dem Titel Zwei Grossmächte Solothurns: L. von Roll und Bally ein großes Wirtschaftsornament in Szene. Dessen geschlungene und gewundene Linien stehen quer zur zeitgenössischen nüchtern-geometrisierten, am Bauhausstil orientierten Grafik von Konzern-Organigrammen.41 Die Schwünge der Pfeile werden durch die Kreise und Rechtecke der eingetragenen Personen und Insti- tutionen kontrastiert. Pollux stellt Großfirmen wie die »metallurgische Unternehmung« Roll und den »weltbekannten« Schuhtrust Bally mit bissigem ironischen Unterton als Musterbeispiele des allverquickten Schweizer Kapitalismus dar. Akteure werden im Text fett gedruckt, so dass dieser im eigentlichen Sinne zur Legende des Schaubilds gerät. Text wie Diagramm tragen aber nur bedingt zur Lesbarkeit der Ver- flechtungen und Verbindungen bei, die sie ja gerade anschaulich machen wollen. So bleibt in den meisten Fällen unklar, welchen Verweis- und Bezeichnungscharakter die Pfeile zwischen den Akteuren haben sollen. Geht es um Einfluss, Kopplungen der Akteure oder aber um konkrete Aktionen? Das Changieren der visuellen Argumentation trifft sich mit den Sprüngen im Text selbst. Zentral ist dabei eine Semantik, die aus dem Spinnen von Fäden zwischen Unternehmen das Narrativ einer dauerhaften Verschwörung konstruiert.42 Die »Fahndungsmethode von Pollux«43 entbirgt nicht nur den po- litischen Einfluss familiären Wirtschaftens. Sie dient der Analyse von Kriegswirtschaftskonjunkturen und der Enthüllung von pseudohumani- tärer Wohlfahrt gegenüber den Arbeitern in den Roll’schen Eisenfabriken und den Bally’schen Schuhwerken. Es wäre zu einfach, die Polluxiaden vorwiegend als eine investigative Lektion in politischer Ökonomie unter den Bedingungen des Schweizer Korporatismus anzusehen. Weit eher handelt es sich bei ihnen um eine Praxis des Neukartierens der gleichz eitig lokalen wie international ausgerichteten Wirtschaftsmenta- 41 Vgl. hierzu z. B. Nordsieck: Die schaubildliche Erfassung der Betriebsorganisation und die ab 1927 erscheinende Zeitschrift für Organisation. 42 Vgl. Pollux: Trusts in der Schweiz?, S. 34; Pollux: Wer leitete Deutschland? Die eigentlichen Kriegsverbrecher: 50 Drahtzieher hinter den Kulissen. Zürich: Verein für wirtschaftliche Studien, 1945, S. 18. 43 Pollux: Trusts in der Schweiz?, S. 130. Pollux und die Schweizer Trusts 393 lität.44 Deren visuelle Form geht von einer engen Kopplung und Verqui- ckung der Akteure aus und beschreibt daher das Wirtschaftssystem als strukturell statisch.45 So kann das politische System der Schweiz ebenfalls zu einem Weltbild en miniature werden, in dem die Namen der Kan- tone geografisch lokalisiert sind, während die Systemgrenze nach außen durch einen breiten schwarzen Rahmen gesetzt wird (Abbildung 10.3). abb . 10 .3: Georges Baehler alias Pollux: Bundesrat oder Verwaltungsrat? Grafik, 1945. 21 x 20 cm. [Siehe Farbtafel XXV] 44 Wie stark die Schweizer Binnenidentität mit der Generalkartierung des Landes im 19. Jahr- hundert verwoben ist, haben David Gugerli und Daniel Speich gezeigt. Vgl. David Gugerli und Daniel Speich: Topografien der Nation. Politik, kartografische Ordnung und Landschaft im 19. Jahrhundert. Zürich: Chronos, 2002. 45 Vgl. zur »stärkeren« Form gegenüber der losen Kopplung des medialen Substrats Niklas Luhmann: Die Gesellschaft der Gesellschaft. Bd. 1. stw 1360. Frankfurt am Main: Suhrkamp, 1997, S. 200. 394 Bildgeschichte des Netzwerkdiagramms (III) Baehlers Interesse am wechselseitigen Klientelismus beschränkte sich nicht auf die Gemeinschaft der Eidgenossen, sondern war ebenso sehr auf die Enttarnung nationalsozialistischer Konzernverflechtungen gerichtet. Der »Nationalsozialismus als Nationalkapitalismus« bestimmt deshalb die Kartierungen eines weiteren, ebenfalls durch den Zürcher Verein für wirtschaftliche Studien herausgegebenen Buches mit dem Titel Wer leitete Deutschland?46 Auf dem Spiel steht dabei ein sichtbar gemachtes Wissen um die Totalität systemischer Verflechtungen, Ballungen und Verdichtungen, welche die deutsche Kriegsindustrie befeuert haben: Man wird feststellen, daß zwischen all diesen horizontalen und verti- kalen Trusts unzählige Verbindungen bestehen. Eine ununterbrochene Kette verbindet die industriellen Unternehmen unter sich und mit den Banken, so daß trotz der unvermeidlichen Konkurrenz im Wettlauf um den Eigenprofit das Ganze einen kompakten – und den Weltfrieden bedrohenden – Block bildet.47 Die kausale »ununterbrochene Kette« gerät zum eigentlichen Grund der Herrschaft. Die unzähligen Verbindungen verdichten sich so weit, dass die gesamte Kartierung nurmehr einen Block identifiziert. Während die grafischen Elemente dieselben bleiben, gelingt Pollux hier aufgrund des Einsatzes von Farbcodierungen eine bessere Übersicht (Abbildung 10.4). Industrielle Akteure (blau) dominieren, unterstützt von den rot mar- kierten Banken. Einzelpersonen sind gelb koloriert – mit Ausnahme von Nationalsozialisten wie Hermann Göring, die mit einem bezeichnenden Braun markiert werden. Vereinzelt notierte Akteure der Massenmedien wie die UFA und die Neue Zürcher Zeitung erstrahlen in grüner Farbe. Eine kurze Randbemerkung über eine fälschlich eingezeichnete Verbin- dung zwischen Basler Handelsbank und den Berliner Siemens-Schuckert- Werken bürgt für die penible Präzision der Kartierung. Aber welcher Diskurs trägt die Vermutungen über Verflechtung und Nicht-Verflechtung? Die ›grafische Tabelle‹ braucht eine Daten- grundlage, auf deren Basis ihre Aussagen Gestalt annehmen können. Unverzichtbar sind hierfür Zeitungsberichte; der kritische Einsatz des Journalismus gewährt überhaupt erst mögliche Ansatzpunkte. Kartiert werden Felder einer massenmedialen Öffentlichkeit, deren historischer Strukturwandel Bedingung der Möglichkeit moderner Verschwörungs- 46 Pollux: Wer leitete Deutschland?, S. 8. 47 Pollux: Wer leitete Deutschland?, S. 15. Kursiva im Original gefettet. Pollux und die Schweizer Trusts 395 abb . 10 .4: Georges Baehrens alias Pollux: Internationale Serie XIV, Blatt Nr. 6: Deutschland. Plakat, 1945. 58 x 42 cm. [Siehe Farbtafel XXVI] theorie ist.48 Es ist kein Zufall, dass der investigative Journalismus oft den Dreh- und Angelpunkt von konspirativen Plots darstellt. Das Zeichnen von Topografien der Verschwörung wird so zu einer lektürege- steuerten Berichterstattung zweiter Ordnung – ein Modus intermedialer Analyse, der noch die zeitgenössischen Diagramme Mark Lombardis kennzeichnet. Ein großes Netzwerk enthüllt sich nur in der Gesamt- schau, die dem einzelnen Akteur grundlegend verwehrt bleibt. Dessen Wege führen deshalb in den Verschwörungsfiktionen nicht nur mit Re- gelmäßigkeit hinter die Fassaden der Normalität, sondern früher oder später in die Zeitungsredaktionen dieser Welt. »Je geheimer die Arbeit 48 Vgl. Arno Meteling: »The Parallax View. Verschwörungstheorie zur Einführung«. In: Tran- skriptionen 9 (2008), S. 15−18, hier S. 15 f. Zum konstitutiven Manipulationsverdacht gegenüber dem Wissen der Massenmedien vgl. Niklas Luhmann: Die Realität der Massen- medien. 3. Aufl. Wiesbaden: Verlag für Sozialwissenschaften, 2004, S. 9 und S. 31. Siehe zum Entstehen der Verbindung von Verschwörungsrhetorik und demokratischer Öffentlichkeit im antiken Griechenland Joseph Roisman: The Rhetoric of Conspiracy in Ancient Athens. Berkeley; Los Angeles; London: University of California Press, 2006. Vgl. als herausragen- de historische Netzwerkanalyse neuer Öffentlichkeit Robert Darnton: Poesie und Polizei. Öffentliche Meinung und Kommunikationsnetzwerke im Paris des 18. Jahrhunderts. es 2231. Frankfurt am Main: Suhrkamp, 2002. 396 Bildgeschichte des Netzwerkdiagramms (III) der Nachrichtendienste, desto intensiver die Diskursproduktion.«49 In der Veröffentlichung bewährt sich die Verschwörungstheorie, indem sie die Grenze zwischen paranoischem und positivem Wissen überquert. »Sie werden sie drucken (they will print it)«, erwidert Robert Redford in der finalen Szene von Sydney Pollacks Verschwörungsklassiker Three Days of the Condor (1975, dt. Die Drei Tage des Condor) seinem CIA- Opponenten Deputy Director Higgins. Vor dem Redaktionsgebäude der New York Times eröffnet er nach geschicktem Verbalpoker seine Strate- gie: »Ihr spielt Spiele. Ich habe ihnen eine Geschichte erzählt.« – »Wie können Sie wissen, dass sie gedruckt wird?« […] »Sie werden sie dru- cken.« – »Wie können Sie das wissen?« Joseph Turner erwidert nichts, schaut skeptisch zurück, geht mit hochgeschlagenen Mantel davon. Die Kamera wechselt zum fotografischen Standbild, das im Hereinzoomen seine Farbe verliert und schließlich zur Schwarz-Weiß-Nahaufnahme des zurückblickenden Redford gefriert.50 10.2 Lesen / Hören. Die Fragen der Drei Tage des Condor I have links inside links. This is the age of conspiracy. People have wondered. This is the age of connections, links, secret relationships.51 Don DeLillo, Running Dog »Gibt es ein Geheimdienstnetzwerk?« – »Is there an intelligence net- work?« Die Frage, mit der Joseph Turner sein Gegenüber Kathy (Faye Dunaway) konfrontiert, könnte nicht dringlicher sein. »Gibt es ein Ge- heimdienstnetzwerk – unentdeckt von der CIA, das bestimmte arabisch- sprachige mit bestimmten spanischsprechenden Ländern verbindet?«52 Robert Redford will als gejagter und desorientierter CIA-Lektor zum Kern der Verschwörung vordringen, die sieben seiner Kollegen das Leben gekostet hat. Die Fragilität seines eigenen, auf Indizien und Vermutungen 49 Eva Horn: Der geheime Krieg. Verrat, Spionage und moderne Fiktion. Frankfurt am Main: Fischer, 2007, S. 122. 50 Sydney Pollack: Three Days of the Condor, DVD, 2001 [1975], Timecode ca. 01:50:00 f. Übersetzung nach dem englischen Originaldialog. Vgl. zur Ambivalenz dieses offenen Filmen- des zwischen endlosem Spiel und einem finalen Ende der Verschwörung Marcus Krause, Arno Meteling und Markus Stauff: »Einleitung«. In: The Parallax View. Zur Mediologie der Verschwörung. Mediologie 22. München: Fink, 2011, S. 9−42, hier S. 39. 51 DeLillo: Running Dog, S. 111. 52 Sydney Pollack: Three Days of the Condor, Timecode ca. 01:14:00 f. Die Fragen der Drei Tage des Condor 397 gegründeten Wissens ist dem Protagonisten des Films schmerzlich be- wusst. Turner ist, daran lässt bereits die Exposition des Films keinen Zweifel, ein Lektüreexperte. Ein Schreibtischtäter, der in einer als »Ame- rican Literary Historical Society« beschilderten New Yorker Filiale der CIA gemeinsam mit anderen Menschen und Maschinen53 Dokumente auswertet – kein Feldagent. »Er liest. […] Er liest alles«, heißt es im internen Disput der Geheimdienstagenten,54 während der Film diese Lektüren vom chinesischen Schriftzeichen bis zum Comic Strip immer wieder vorführt. Seine CIA-Opponenten schätzen ihn als Forschertyp ein, ungeachtet seiner Militärerfahrung als Kommunikationsoffizier und Tätigkeit als Telefoningenieur bei den Bell Labs. Pollacks Drei Tage des Condor vollziehen sich als mörderisches Spiel um die Lesbarkeit der Agentenwelt. Die Regeln des Spiels bestimmen sich im Laufe der Erzählung immer mehr durch eine Ununterscheid- barkeit von Verschwörung und Netzwerktechniken, wobei Telefon und Telefonvermittlung zu zentralen Agenten werden. Redfords Turner wird fortwährend mit einem radikalen Zweifel an sich selbst und seiner unmittelbaren Umgebung konfrontiert; einem Zweifel darüber, wie Geheimdienstwissen produziert und vor allem autorisiert wird.55 Die Entfaltung der Handlung stellt sich als Pendelbewegung des Zweifels an der Natur der Verschwörung dar, sowohl für den Protagonisten als auch für das Kinopublikum. Handelt es sich nur um ein internes Problem der Central Intelligence Agency, also ein klassisches Staatsgeheimnis (arcanum imperii)? Oder geht es um nicht weniger als ein secretum, ein geheimes, allenfalls unter vier Augen preiszugebendes Wissen, das nicht einmal in den Fluren der sprichwörtlichen company frei zirkulieren darf?56 »Vielleicht gibt es eine weitere CIA. Innerhalb der CIA.«57 In diesem Verdacht der Hauptfigur radikalisiert sich das Staatsgeheimnis, bis hin zu einem inneren Kreis, 53 Die Eröffnung zeigt prominent einen Buchscanner, der Papierdokumente in Computercode umsetzt, während die Titel des Films in Computerschrift quasi als Tastatureingaben darüber gelegt werden. Vgl. zur kybernetischen Lektüre des Condor als Film der Schaltungen und Apparate Ute Holl: »Türen, Lektüren und das Wissen des Films. Zur Verschwörung der Medien in Sydney Pollacks Three Days of the Condor«. In: Parallax View. Zur Mediologie der Verschwörung. Hrsg. von Marcus Krause, Arno Meteling und Markus Stauff. München: Fink, 2011, S. 235−251. 54 Sydney Pollack: Three Days of the Condor, Timecode ca. 0:39:00. 55 Vgl. hierzu generell Melley: Empire of Conspiracy, S. 13; Horn: Der geheime Krieg, S. 105 f. 56 Die Unterscheidung von arcanum, mysterium und secretum findet sich bei Horn: Der geheime Krieg, S. 105 f. 57 Sydney Pollack: Three Days of the Condor, Timecode ca. 01:24:00. 398 Bildgeschichte des Netzwerkdiagramms (III) in dem die Fäden aller network intelligence zusammenlaufen. Als guter Telefoningenieur wird Joseph Turner davon angetrieben, die Erzählung, den Plot des Netzwerks über Gesprächsverbindungen aufzudecken. Die Identität – als Identität der konspirierenden Akteure und als Identität des konspirativen Narrativs – von Gespräch, Verschwörungstechnik und medialer Vermittlung findet in der fragilen Momenthaftigkeit des Te- lefongesprächs ihren sprechenden Ausdruck. Intelligence networks sind für »Condor« Kommunikationsnetzwerke, deren Funktionieren durch eigenes Lesen und Abhören erfassbar wird. Sichtbar werden die Agenten der Verschwörung erst, nachdem ihre Verbindungen lesbar und hörbar geworden sind. Erst dieser von Unschärfen geprägte Dreischritt – Lesen, Hören, Sehen – führt zur Verifikation und zu einem positiven Wissen über die Verschwörung, das für Massenmedien erzählbar wird. Sydney Pollack inszeniert die Drei Tage des Condor als eine fort- währende, präzise Physiognomie von Robert Redfords Gesicht. In den ungläubigen, zweifelnden Gesichtsausdrücken Turners – bis hin zu den skeptischen Blicken des Finales – spielt sich der ganze Film in affektiven Formen des Ahnens, Zweifelns und Nichtwissens ab. Spiegelbildlich verkörpert sich diese Ungläubigkeit auch in Faye Dunaways Zügen, die als von Condor entführte New Yorkerin Kathy doppelt geschockt auf dessen Aktionen reagiert. Alle Medienpraktiken des CIA-Lektors sind nichts weiter als ein verzweifelter Versuch der Vergegenwärtigung unüberschaubarer Handlungen, die unmittelbar sein Leben bedrohen. Der Verschwörungstheoretiker stellt die Frage nach dem Warum, nach der Kausalität von Verbindungen schattenhafter Netzwerke und deren Organisation. Wie seine Gegner Handlungsmacht ausüben – die technē ihrer Verschwörung – erschließt sich mühselig durch Lesen, Hören und Zeichnen im Laufe der Handlung. Die Erkenntnis des tiefer liegenden politischen Grundes bleibt das Ziel von Hauptfigur wie Erzäh- lung. »Aber es gibt einen Grund. Es gibt einen Grund«, heißt es in einem Dialog zwischen Turner und der von ihm entführten Kathy.58 Wenn die Motivation des gegnerischen Akteurs-Netzwerkes nicht entschlüsselbar ist, scheinen seine Handlungen nur im Modus des Wie lesbar. So versucht Turner, die Handlungsräume der Verschwörung medial zu erschließen, indem er sie selbst detektivisch nachvollzieht. Nach dem Scheitern seiner geplanten Rückkehr in den Schutz der CIA skizziert Condor die räumliche Situation des überraschenden Schusswechsels. 58 Sydney Pollack: Three Days of the Condor, Timecode ca. 0:42:00. Die Fragen der Drei Tage des Condor 399 abb . 10 .5: Sydney Pollack, Owen Roizman u. a.: Spurensuche und Attentats- rekonstruktion von Joseph Turner (Robert Redford) in Three Days of the Condor, 1975. DVD-Still, 2001. [Siehe Farbtafel XXVII] Auf der permanenten Flucht bleibt ihm nur selten die Möglichkeit zum reflexiven Innehalten, in dem sich die unsicheren Zeichen zusammenfü- gen ließen (Abbildung 10.5). Die Erkenntnisweise des Condor ist fieber- und schwindelhaft, rasend, ebenso verdichtet wie die Erzählung selbst. Pollacks Literaturadaption radikalisiert diese Getriebenheit, indem sie den zeitlichen Rahmen von den sechs Tagen der Buchvorlage auf die 72 Stunden des Films reduziert.59 Turners Hast wird kontrastiert durch die relative Ruhe des Geheimdienstes und Max von Sydows überlegt- eiskalten Auftragskiller Joubert, der Alain Delons Eiskalten Engel (Le Samourai, 1967) wie einen Menschenfreund erscheinen lässt. Turners Zeichnung schlüsselt zunächst in drei Schritten die zentra- len Fragen auf, um eine Kausalkette zu bilden. Erstens, zweitens, drit- tens: Der Anschlag auf das CIA-Außenbüro galt keinem Gegenstand, sondern einer Information. Fragezeichen markieren die Vagheit dieser Annahme. Wer könnte ihn und seinen Freund Sam angegriffen haben? Und warum? Zeichnend versucht sich Turner an einer stummen Topo- grafie seiner Erinnerung.60 Dave Grusins atmosphärischer Soundtrack ersetzt zunächst alle übrigen Geräusche. Später kommen nachhallende Stimmen ins Spiel. In den Schnitten zwischen den einzelnen Zeichnungen blitzen die Er- innerungen visuell auf. Erstens, zweitens, drittens, viertens: Flüsternd 59 Vgl. James Grady: Six Days of the Condor. Harpenden: No Exit Press, 2007 [1974]. 60 Sydney Pollack: Three Days of the Condor, Timecode ca. 01:04:30 f. 400 Bildgeschichte des Netzwerkdiagramms (III) kommentiert Condor die eigenen Fragen und ergänzt so das Tableau um weitere mögliche Schlüsse. Das gespenstische Raunen der anderen Stimmen liefert dem geduldig Lesenden einen entscheidenden Hinweis auf die CIA selbst. Während sich das Ungesehene als schwer einholbar erweist, sind die sprachlichen und schriftlichen Versatzstücke Hinweise auf den unbekannten Diskurs der Verschwörung. Wo Bilder keinerlei Hilfe bei der Spurensuche sind – sondern bestenfalls Positive der Ma- nipulation wie in Alan J. Pakulas Parallax View (1974) –, gewähren halluzinierte Stimmen eine reale Qualität der Konspiration. Trotz aller elegischen visuellen Eleganz sind die Drei Tage des Condor eng ver- wandt mit akustisch inszenierten Filmen wie Francis Ford Coppolas legendärer Kinematografie des Abhörens in The Conversation (1973). Dave Grusins Funk-durchsetzter, elektrifizierter Jazz-Score harmo- niert mit dem Klang der Büromaschinen, die betriebsam weiterlaufen, während die Menschen um sie herum längst tot sind.61 Die klaren Stimmen der CIA-Akteure am anderen Ende der Leitung gewinnen in Condors Telefongesprächen eine unheimliche Präsenz. New Yorks Straßen sind durchzogen von alltäglichen Soundatmosphären, die leise (durch entfernte wiederkehrende Geräusche) und laut (durch Taxis oder Straßenmusik) Bedrohung suggerieren. Gegenüber dem konstitutiv unsichtbaren Ganzen einer Verschwörung entwickelt Pollacks Film eine intermediale Verschiebung, in der das Hörbare zum Sagbaren wird. Die Aura des Schweigens, mit der sich Geheimnisse und vor allem Staatsgeheimnisse umgeben, wird so durchbrochen.62 An keiner Stelle wird diese Erklärung des Warum? durch das filmisch-narrative Wie? deutlicher als in jenen Sequenzen, in denen der alleslesende Analytiker wieder zum Telefoningenieur wird. Frederic Jameson hat vor allem jene beiden Szenen, in denen Robert Redford in den Unterwelten der Telefonvermittlung agiert, zur Grund- lage seiner Lesart der Three Days gemacht.63 Jamesons marxistisch gefärbte raumtheoretische und geopolitische Lektüre des Films wird selbst von einer gewissen Paranoia getragen.64 Inmitten des sogenannten 61 Three Days of the Condor ist auch ein Agentenfilm der tönenden und selbstschreibenden elektronischen Apparate und Instrumente jenseits der Gadgets eines James Bond. 62 Pollack hat dies als stilistisches Mittel selber in einem seiner letzten Filme – The Interpre­ ter mit Nicole Kidman und Sean Penn (dt. Die Dolmetscherin, 2005) – noch einmal mit deutlicher Referenz auf die New-Hollywood-Narrationen der 70er Jahre eingesetzt. 63 Vgl. Jameson: The Geopolitical Aesthetic, S. 13 f. 64 Problematisch ist allerdings die nur skizzenhafte Ikonografie, die hauptsächlich mit der Verwendung eines im Film selbst nicht vorkommenden Setfotos argumentiert (Jameson: The Die Fragen der Drei Tage des Condor 401 ›Weltsystems‹ – ein Begriff, den Jameson Immanuel Wallerstein ver- danken dürfte – stehen hier die Allegorien von multiplen unsichtbaren, potenziell unendlichen Strukturen eines soziotechnischen Netzwerks. Dessen materielle Strukturen, seien es Informationstechnologien, seien es Architekturen der Macht, sind nicht von den Geschicken konspirativen Handels und damit der conditio des amerikanischen Kapitalismus zu trennen. Niemand – auch nicht der kritische Intellektuelle oder Künst- ler – kann die Totalität des postmodernen Systems in eine grafische Form bringen. An die Stelle einer Karte, die so groß werden müsste wie das durch sie repräsentierte Territorium, treten paranoische kognitive Kartierungen und Neuvermessungen. Die Telefonvermittlungs- und Hackingszenen des Condor führen so auf ein unheimliches unterirdisches Terrain, in dem die Netzwerklogik von Verschwörungen auf ihr medientechnisches Double trifft. »Jedes wahre Bild hat seinen Schatten, der es doubelt.« Jamesons Argumenta- tion ähnelt diesem Diktum Antonin Artauds,65 wenn er schreibt, dass das hermeneutische Versprechen eines Blicks hinter die Verschwörungs- kulissen in Pollacks filmischen Räumen mitsamt ihrer Objektreferenz alarmierender sei als das imaginäre Netzwerk der üblichen Verdächtigen: [D]ie gegenständliche Bestätigung, dass uns Telefonkabel, -verbindungen und -vermittlungen überallhin folgen, die Straßen und Gebäude der sichtbaren sozialen Welt mit einem zweiten geheimen Untergrund ver- doppelnd, ist eine anschauliche, wenn auch paranoide kognitive Karte.66 Bereits Redfords fassungslose Anrufe direkt nach dem Anschlag auf die American Literary Historical Society führen ihn an eine Schwelle der Institution CIA, die ihre Geheimnisse nach außen abschirmt. Der Raum der internen Telefonvermittlung ist klein, aber die dezent verzerrten Ansichten von Kameramann Owen Roizman lassen keinen Zweifel an dessen konspirativem Charakter als Eingang zu einem Labyrinth. Die nicht nur optische, sondern akustische Situation der Überwachung wird neben der Weltkarte durch die Lokalisierung der Telefonanrufe markiert (Abbildung 10.6). Geopolitical Aesthetic, S. 15). Dessen Perspektive läuft der räumlichen Logik der montierten Bewegungsbilder zuwider. 65 Antonin Artaud: Das Theater und sein Double. Das Théâtre de Séraphin. Frankfurt am Main: Fischer, 1989, S. 14. 66 Jameson: The Geopolitical Aesthetic, S. 15. 402 Bildgeschichte des Netzwerkdiagramms (III) abb . 10 .6: Sydney Pollack, Owen Roizman u. a.: Telefonzentrale und Überwa- chungsraum der CIA in Three Days of the Condor, 1975. DVD- Still, 2001. [Siehe Farbtafel XXVII] Joseph Turner wird dieses Machtgefälle ins Gegenteil wenden, indem er seine Fähigkeiten als Telefoningenieur ausspielt. Zunächst verführt er seinen Jäger Joubert zu einem leichtsinnigen Anruf in Langley. Turner schneidet dessen Wähltöne mit, um anschließend die Telefonnummer via Anruf beim CIA-Computer zu rekonstruieren. Mittels eines zweiten Manövers im Bauch einer Bell-Telefonzentrale, deren elektromagnetische Vermittlungen den klickenden und klackenden Soundtrack bestimmen, kehrt Condor die Machtverhältnisse für einen Moment um. Die Einstellungen setzen auf bemerkenswerte Weise die gegenseitige Maskierung und Demaskierung ins Bild. Langsam gleitet die Kamera durch die mit surrenden Hebdrehwählern versehenen Reihen im Keller, während sie Robert Redford auf Distanz folgt. Sie präsen- tiert keine Nahaufnahme, sondern folgt in einem flirrenden travelling Turners Gesicht durch die Strukturen des Apparategestells. Owen Ro- izmans Kinematografie entwirft hier gleichzeitig eine »Psychogeografie der Klandestinität«67 und eine Rasterung telefonischer Verbindungen. Skeletthaft strukturiert die Schalttechnik den grafischen Vordergrund des Bildausschnitts und überlagert damit als technische Maske das sich bewegende Gesicht von Redford (Abbildung 10.7). Unsicherheit und Zweifel weichen einer kalkulierten taktischen Überlegenheit. Condor verwischt seine Spuren, indem er seinen Anruf durch die Vernetzung weiterer Telefone maskiert. Gegen die Zentrali- tät des Überwachungsraumes steht die counter-intelligence-Taktik des 67 Horn: Der geheime Krieg, S. 82. Die Fragen der Drei Tage des Condor 403 abb . 10 .7: Sydney Pollack, Owen Roizman u. a.: Unterirdische Telefonvermitt- lung in Three Days of the Condor, 1975. DVD-Still, 2001. [Siehe Farbtafel XXVII] verborgenen Switchings im Netz. Die Lokalisierungsversuche durch die ›Firma‹ bleiben folgenlos. Bürokratische Netzwerklogik verliert gegen die Aufpfropfung durch versiertes Hackertum, Umnutzung und gegenkulturelles Vernetzen: ein amerikanischer Mythos, der sich in Verschwörungs- und Cyberpunk-Narrativen, aber auch in Philosophie und Kulturtheorie eingenistet hat.68 Es ist kein Zufall, dass die staatlichen Regime der Telekommunika- tion – mit ihrer notorischen medienhistorischen Nähe zu Militär und Nachrichtendiensten – oft zum Antrieb einer Mediologie der Verschwö- rung und Gegenverschwörung werden. So wie Condor gezwungener- maßen in die Rolle des Telefonparasiten schlüpft, operiert die geheime Post des Trystero in Thomas Pynchons zweitem Roman The Crying of Lot 49 (1966) gegen das Briefmonopol des Staates. Bei Pynchon sind die Gegenkonspiration und deren Infrastruktur in einem großen historischen Plot identisch geworden – jedenfalls aus der paranoischen Perspektive der Hauptfigur Oedipa Maas, die den vagen Anzeichen der ›anderen‹ Post nachgeht.69 68 Dies betrifft neben Jameson und dessem Schüler Alexander Galloway auch Michael Hardts und Antonio Negris Vision der ›Multitude‹ in Michael Hardt und Antonio Negri: Empire. 4. Aufl. Cambridge, MA: Harvard University Press, 2001. Donna Haraways Cyborg- Mythologie gehört ebenfalls in diese Tradition. 69 Die Kommentare zu Pynchon sind Legion, deshalb an dieser Stelle nur der Hinweis, dass die an Borges erinnernde Entfaltung einer longue durée der ›anderen‹ Post ursprünglich auf ein kontinentales Netzwerk zweier Postsysteme abzielt. Vgl. Thomas Pynchon: The Crying of Lot 49. London: Vintage, 2000 [1966], S. 113. 404 Bildgeschichte des Netzwerkdiagramms (III) Die Formel erscheint zunächst verführerisch einfach: Private Netz- werke werden gegen staatliche Medienmachtmonopole ausgespielt; in- frastrukturelle Medientechnik als materielles Moment der Verschwörung stellt diese unter Bedingungen, die sie selbst verkörpert. Aber der Einsatz der Objekte zur Formierung einer Erzählung sagt nicht notwendig viel über ihre politisch-ökonomischen Motive aus. Die offensichtliche Nähe von Netzwerktechniken und Praktiken der Verschwörung und Gegenver- schwörung ist eine Epochensignatur der Netzwerkgesellschaften. Netz- werkverschwörungen und Verschwörungsnetzwerke sind aber nicht iden- tisch: Der erste Begriff betont die technē, der zweite den Handlungsstil. Was nun, wenn die Motivation des Plots selbst die Bildung so- zialer Netzwerke bedingt? Kausalität, so schreibt Niklas Luhmann, »ist ein Medium lose gekoppelter Möglichkeiten, dessen Verwendung eine feste Kopplung bestimmter Ursachen und bestimmter Wirkungen erfordert«.70 Wenn Kausalität in personalisierten sozialen Netzwer- ken lokalisiert wird – und darauf sind Verschwörungserzählungen angewiesen –, gilt für deren Aktionen wie für die Bewertung durch Außenstehende die elementare Unterscheidung zwischen Vertrauen und Misstrauen. Die Organisation von sozioökonomischen Netzwerken ist eine Frage des in ihnen zirkulierenden Vertrauens71 – eines Vertrauens, welches sich durch übereinstimmende Interessen, Handlungen und die durch gemeinsame Erzählungen entstehende geteilte Identität bildet. Erst das Misstrauen des Verschwörungstheoretikers gegenüber der Legimität und Autorisierung verborgener Erzählungen und Transaktionen bringt deren sich fortwährend wiederholende »Kausalität im Süden« ans Ta- geslicht einer demokratischen Öffentlichkeit. Vor diesem Hintergrund ist die Auflösung des Warum der Three Days of the Condor keine Verdrängung des Wie, sondern dessen logische Konsequenz. Der einzelne Verschwörungstheoretiker muss, eben weil er außerhalb des Netzwerks steht, nach beidem fragen. Entgegen der geläufigen Auffassung geht es nicht um eine unzulässige Vereinfachung überkomplexer Tatbestände, sondern vielmehr um eine gelungene Reduktion von Komplexität. Nachdem Joseph Turner die selbst gesammelten Indizien kombiniert hat, stellt er halb verblüfft, halb schockiert den Urgrund der Verschwö- rung fest: »Es war ihr Netzwerk, das ich aufgedeckt habe […]. Ölfelder. 70 Luhmann: »Kausalität im Süden«. ›Medium‹ hier im Sinne eines symbolisch generalisierten Kommunikationsmediums. 71 Vgl. Sydow und Windeler: »Steuerung von und in Netzwerken«. Mark Lombardis globale Netzwerke 405 Die ganze verdammte Sache drehte sich um Öl.«72 Seine eigenen Recher- chen sind zu nah an die Nahost-Kriegsspielszenarien einiger Akteure innerhalb der CIA herangekommen – eine Erkenntnis, die trotz ihres Zeitbezuges zur Ölkrise der 1970er Jahre auch den heutigen Zuschauer in seinem paranoischen Misstrauen bestätigt.73 Die Fragen der Drei Tage des Condor zielen nicht, wie man mit Jameson vermuten könnte, auf ein potenziell unendliches ›totales‹ Netzwerk, das durch die Verschwö- rung als narrative Struktur verbunden wird.74 Sie zielen vielmehr auf die unheimliche Vermehrung sich ineinander schiebender Netzwerke: die der Apparate und Instrumente, der Strukturen und der Kommunikation, jene der institutionellen Organisation und Kooperation und auch der Netzwerke widerständiger Praktiken. Damit zeichnet sich eine Transformation im verschwörungstheore- tischen Diskurs ab: Aus einem durch gemeinsam-korrupte Interessen zusammengehaltenen ökonomisch-politischen Netzwerk werden viele Netzwerke. Die Netzwerklogik verschiebt sich von der Bestimmung systemischer Grenzen einer (Welt-)Verschwörung hin zu ihrer fortwäh- renden möglichen Präsenz. Wenn es immer noch einen weiteren möglichen Schritt in der Handlungskette gibt, ist auch das Verschwörungsnetzwerk potenziell unendlich, immer präsent und nur in Teilen aufdeckbar. 10.3 Archivieren / Erzählen. Mark Lombardis globale Netzwerke Den Informationsfluß innerhalb eines Netz- werkes zu verfolgen ist eine Sache; die öf- fentliche Meinung als solche zu identifizie- ren eine andere.75 Robert Darnton Wenige Gegenwartskünstler haben sich dieser Vermehrung der Verschwö- rungsnetzwerke im globalen Raum des Kapitals intensiver gewidmet als 72 Sydney Pollack: Three Days of the Condor, Timecode ca. 01:38:30. Der MacGuffin der unter dem Eindruck des Vietnamkrieges stehenden Romanvorlage waren noch Drogen. Vgl. Grady: Six Days of the Condor, S. 20. Vor dem Hintergrund der Ölkrise verschoben die Drehbuchautoren Lorenzo Semple, Jr. und David Rayfield den Fokus auf die Sicherung von Ölressourcen. 73 Stephen Gaghans Ölverschwörungsthriller Syriana aus dem Jahr 2004 stellt als filmischer Wiedergänger des New-Hollywood-Kinos eine Fortsetzung der Three Days of the Condor dar. 74 Vgl. Jameson: The Geopolitical Aesthetic, S. 9. »[…] die kognitive Funktion des konspirativen Plots muss auf- und wegflimmern können (flicker in and flicker out) wie ein sekundäres oder unterschwelliges Nachbild.« 75 Darnton: Poesie und Polizei, S. 132. 406 Bildgeschichte des Netzwerkdiagramms (III) der US-Amerikaner Mark Lombardi (1951−2000).76 Seine großforma- tigen, mit Kugelschreiber und Schablonen ausgeführten Zeichnungen kartografieren den Raum wirtschaftlicher Transaktionen und politischer Entscheidungen. Sie tragen Titel wie George W. Bush, Harken Energy, Jackson Stephens, c. 1979−90 oder Banca Nazionale del Lavor, Reagan, Bush, Thatcher, and the Arming of Iraq, 1979−90. In ihnen versammeln sich Akteure und Agenten der Macht, Geldströme und Manipulationen zu einer überdimensionalen Ästhetik des Verdachts. Lombardis treffende Charakterisierung der Diagramme als »narrative Strukturen« ist bekannt, ebenso deren materielle Grundlage – ein Zei- tungs- und Bucharchiv, das durch einen handgeschriebenen Zettelkasten mit 14.500 Karteikarten erschlossen wird. Der Kunsthistoriker Robert Hobbs hat die ästhetischen Bezüge und Einflüsse Lombardis präzise benannt, darunter die Referenz auf Historiengemälde, Panoramen, Marcel Duchamp und politische Konzeptkünstler wie Hans Haacke.77 In der deutschen bildwissenschaftlichen Rezeption liegt der Fokus bisher weniger auf den Bildnarrationen denn auf Fragen von Entwurfsprozes- sen visueller Formen und Muster. Angela Lammert schreibt dazu: »Was sich als sichtbar und darstellbar erweist, ist […] eher der Kräftefluß von Bewegungen und einzelnen Verbindungen zwischen den Beteiligten als eine Erklärung oder reale Aufdeckung der politischen Strukturen.«78 Damit entsprechen Lombardis Diagramme einer systemischen Prä- zision paranoischer Weltwahrnehmung, deren phänomenologischer Erklärungsmodus immer zuerst das Wie der Formen erfährt, um dem ungeklärten Warum der Verbindungen hinterherjagen zu können. Der Verdacht konzentriert sich dabei auf bestimmte Zeichen, die bedrohlicher 76 Herzlicher Dank gilt Isabelle Geisthardt und den Studierenden des Seminars Was ist ein Netzwerk? an der Humboldt-Universität zu Berlin, Sommersemester 2007 für die Diskus- sionen zu Lombardi. 77 Vgl. Robert Hobbs: »Mark Lombardi: Global Networks«. In: Mark Lombardi: Global Networks. Hrsg. von Robert Hobbs. New York: Independent Curators International, 2003, S. 11−49. Zudem handelt es sich bei Lombardi um einen hochreflexiven Künstler, der eigene Vorbilder wie Duchamp, Beuys, Haacke, Aycock, Zakanitch, Yoko und Arakawa in Notizen benannt hat. Hinzu kommt eine explizite Affinität zu Jackson Pollock. Demgegenüber wäre es lohnend, einen Vergleich zu Sol Le Witts Wandgemälden zu ziehen, denen Lombardi oft deutlich näher steht als den vorher genannten Künstlern. Generell folgen seine Zeichnungen dem Prozess der Entdifferenzierung von Zeichnung und Schrift im 20. Jahrhundert. Vgl. Carolin Meister: »Einleitung«. In: Randgänge der Zeichnung. Hrsg. von Werner Busch, Oliver Jehle und Carolin Meister. München: Fink, 2007, S. 7−10, hier S. 8. 78 Angela Lammert: »Mark Lombardi – Denken als Mustererkennung«. In: Räume der Zeich- nung. Hrsg. von Angela Lammert u. a. Nürnberg: Verlag für moderne Kunst, 2007, S. 57−71, hier S. 67. Mark Lombardis globale Netzwerke 407 wirken als andere.79 In der Tat sind seine gezeichneten Verschwörungs- theorien von einer anderen Art von Kausalität geprägt, die der netzwerk- förmigen Ordnung und Erzählung der Praktiken und des Wissens näher ist. Der Kausalstrom ist in dieser Diagrammform nicht mehr einseitig, kein bloßer Zeitpfeil, »weil Kausalität nicht mehr reversibel ist: Wer etwas beeinflussen will, wird plötzlich selbst durch das Ergebnis seines Einflusses beeinflußt.«80 Das gilt sowohl für die Semantik von Lombar- dis peniblen Kartierungen und Wiederkartierungen als auch für deren Rezeption. Lombardis kritisch-paranoische Methode stellt vielleicht den letzten Höhepunkt analoger Netzwerkanalyse dar, der auch die digital verfahrende Computerwissenschaft inspiriert. So hat der Informatiker Robert Tolksdorf an der Freien Universität Berlin mittlerweile damit begonnen, Lombardis Diagramme graphentheoretisch zu modellieren und seinen Zettelkasten in eine digitale Datenbank zu verwandeln.81 Es ist aber schwer, nicht selbst zum Verschwörungstheoretiker zu werden, wenn man versucht, Mark Lombardis Zeichnungen ohne ma- schinelle Unterstützung zu lesen. Lektüre heißt hier: ein Hin und Her, ein Diskurs, der durch das Absuchen und immersive Nachvollziehen des Parcours entsteht.82 Keine Anekdote beschreibt dies besser als die nach dem 11. September 2001 auftretende hektische Nutzung der Zeich- nungen durch Verschwörungsprofis des FBI. Da keine Reproduktion des fraglichen Werks BCCI−ICIC & FAB, 1972−91 (4th version) verfügbar war, musste sich eine Agentin im Whitney Museum of American Art dessen befleißigen, was Kunstgeschichtsstudierende als »Übung vor Originalen« kennen. Ihr Kopfschütteln nach stundenlanger Betrachtung gehört ebenso sehr zur Lombardi-Folklore wie die ungeklärten Umstän- de seines Todes. Dass er sich durch Erhängen selbst getötet hat, wird nach wie vor angezweifelt.83 79 Vgl. Boris Groys: Unter Verdacht. Eine Phänomenologie der Medien. München: Hanser, 2000, S. 63. Vgl. zum konstitutiven Manipulationsverdacht gegenüber dem Wissen der Massenmedien Luhmann: Die Realität der Massenmedien, S. 9, S. 31. 80 Serres: »Das Kommunikationsnetz: Penelope«, S. 164. 81 Vgl. Lombardi Networks. Towards the complete Mark Lombardi digital. http://www.lom- bardinetworks.net. Vgl. zur graphentheoretischen Modellierung auch Christian A. Duncan u. a.: »Lombardi Drawings of Graphs«. In: Journal of Graph Algorithms and Applications 16.1 (2012), S. 85−108. DOI 10.7155/jgaa.00251. 82 Vgl. zu dieser für Michel Serres so typischen Denkbewegung Kapitel 6.2 dieses Buches. Die neueren kunsttheoretischen Positionen seit Umberto Ecos Gedanken zum ›offenen Kunst- werk‹ realisiert Lombardi stets en passant mit. 83 Vgl. die Spekulationen unter http://web.archive.org/web/20080319120819/www.piero- gi2000.com/memorial/lombardm.html. Siehe auch den Dokumentarfilm Mark Lombar­ di – Kunst und Konspiration von Mareike Wegener, Deutschland 2012. 408 Bildgeschichte des Netzwerkdiagramms (III) Mark Lombardi war ein professioneller Leser außerhalb geheim- dienstlicher oder akademischer Regime. Seine Bibliothek wird von der Brooklyner Galerie Pierogi aufbewahrt. Im Bestandskatalog finden sich neben einer Schicht kunsthistorischer Literatur einige philosophische Klassiker des 20. Jahrhunderts. Rein quantitativ sind aber weder die Fluxus- und Conceptual-Art-Bände noch Hannah Arendt,84 Herbert Marcuse,85 Jean Baudrillard und Noam Chomsky entscheidend. Der Löwenanteil von Lombardis Bibliothek besteht aus investigativen, oftmals von Journalisten verfassten, durchgängig englischsprachigen Sachbüchern: The Vatican Empire (1966), The CIA and the Cult of Intelligence (1974), Secret Police. The Inside Story of a Network of Terror (1981), Truth is a Difficult Concept (1995) etc.86 Es ist bekannt, dass er ausnehmend stolz auf die unbedingt durch Printzirkulation ve- rifizierten Grundlagen seines handschriftlichen Archivs war.87 Lombardi folgte auch als lesender Berichterstatter zweiter Ordnung einem detektivischen Umgang mit Indizien, der sich hier mit einer Pa- thologie der Datensammlung trifft. Wie jeder gute Verschwörungstheo- retiker entwickelte er eine Obsession für mediale Spuren. Die Spur, als lesbares indexikalisches Zeichen ohne Codierung, führt zur Frage nach der ihr zugrunde liegenden Kausalität. Eine Menge von aufeinander verweisenden Spuren führt wiederum zur Frage nach einer geteilten Supercodierung. Thomas Pynchons The Crying of Lot 49 ist neben John Le Carrés Tinker, Tailor, Soldier, Spy (1974) der einzige literarische Baustein von Lombardis Bibliothek. Was aber wäre die geheime gegenstaatliche Post der Global Networks? Oder anders gefragt: Welchen Strukturen kommen die »narrativen Strukturen« auf die Spur, und welche Schlüsse lassen sich aus ihnen ziehen? Bezeichnenderweise ist es der panameri- kanische Mythos der Mafia, mit dem in Mark Lombardis Arbeiten die historischen Anfänge bis in die Prohibitionszeit zurückverlegt werden. Statt der Kausalität im Süden werden so die Aktivitäten von Al Capone und Meyer Lansky als Casino-Kausalität im Westen zum Urgrund des 84 Hannah Arendt: The Origins of Totalitarianism. 2. Aufl. Cleveland; New York: Meridian Books, 1958. 85 Herbert Marcuse: Eros and Civilization. A Philosophical Inquiry into Freud. Reprint der Ausgabe der Beacon Press, 1955. New York: Vintage Books, 1966. 86 Die Liste findet sich unter http://web.archive.org/web/20080309152509/www.pierogi2000. com/flatfile/lombardibibliography.html. 87 Vgl. Robert Hobbs, Hrsg.: Mark Lombardi. Global Networks. New York: Independent Curators International, 2003, S. 51. Mark Lombardis globale Netzwerke 409 Netzwerks.88 Die ökonomische Organisation der Netze ist mafiös – nicht nur bei Luhmann, Pollux oder Lombardi, sondern bereits in zeitgenös- sischen sizilianischen Ansichten vom Anfang des 20. Jahrhunderts.89 Von dieser Warte aus spricht einiges dafür, die großformatigen Diagramme als Erzählung einer fortwährenden Korrumpierung des amerikanischen Staates zu lesen. Schattenhafte Netzwerke mit beängsti- gend hoher sozialer Integrationskraft unterwandern und missbrauchen den liberalen American Spirit, indem sie die Grenzen der Korruption verwischen. Auch Lombardis Geschichte ist ein Monument des stets neuen Verrats des demokratischen Staats an seinen Bürgern, der eine ›Agency-Panik‹ hervorruft, die als ebenso gefühlter wie realer Entzug von Handlungsmöglichkeiten erscheint.90 Es ist ein dauerhafter Verrrat, der in den Raum des Staatsgeheimnisses die in der Ordnung selbst vor- gesehene Aufhebung der Ordnung integriert. Öffentlichkeit und Entzug von Öffentlichkeit sind darin zwei einander bedingende Voraussetzungen demokratischer Kultur.91 Beizukommen wäre dem nur über eine Selbst- immunisierung durch funktionierende journalistische wie juristische Aufklärung. Dieser Restoptimismus mag sich im Falle Mark Lombardis seiner Sozialisation in eben jenen 1970er Jahren verdanken, in denen Sachbücher, investigativer Journalismus, Paranoia-Filme und Coppolas Godfather (dt. Der Pate) ebenso wie Scorceses Mean Streets parallel Blicke hinter die Kulissen von Politik, Geheimdiensten, organisiertem Verbrechen und Kapital gewährten.92 Man kann einwenden, dass hier schlicht die zeitliche Ordnung der narrativen Strukturen den historischen Rahmen des Archivs setzt. Aber die von seinen Freunden beschriebenen fieberhaften, manischen Recher- chen tragen durchaus einen moralischen Zug, der durch Lombardis Affinität zu Herbert Marcuse noch verstärkt wird. Der philosophische Schlüssel zu seinen Zeichnungen liegt zunächst eher in Marcuses Freud- Lektüren von Eros and Civilization als in einer Diskurs- und Medien- theorie des Archivs. Warum liest ein US-amerikanischer Kunsthistoriker, 88 Siehe Chicago Outfit and Satellite Regimes, ca. 1931−83; Meyer Lansky’s Financial Network, ca. 1960−78. Vgl. Hobbs: Mark Lombardi. Global Networks, S. 54 f. 89 Vgl. z. B. den Bericht des Polizeipräfekten Cesare Mori zum Netz der Hilfe bei der 1917 aus- gehobenen Grisafi-Bande bei Anton Blok: Die Mafia in einem sizilianischen Dorf 1860−1960. Eine Studie über gewalttätige bäuerliche Unternehmer. es 1082. Frankfurt am Main: Suhr- kamp, 1981, S. 172. 90 Vgl. zur amerikanischen ageny panic Melley: Empire of Conspiracy, S. vii. 91 Im Anschluss an Horn: Der geheime Krieg, S. 117. 92 Vgl. zur Biografie Hobbs: »Mark Lombardi: Global Networks«, S. 15 f. 410 Bildgeschichte des Netzwerkdiagramms (III) Bibliothekar und Zeichner von filigranen sozioökonomischen Konstel- lationen ausgerechnet – neben Texten von Wilhelm Reich – Herbert Marcuses etwas in die Jahre gekommene emanzipatorische Studie über »Triebstruktur und Gesellschaft«?93 Lombardis gegenkulturelle Taktik verfügt somit über eine psychoanalytische Grundierung. Sie zehrt von der politischen Grundannahme Marcuses, dass Selbstunterdrückung Herrschende und ihre Institutionen stützt. Vor der materiellen Ordnung des Archivs steht eine normative Setzung, die man am besten mit Marcu- se selbst charakterisieren kann: »Es ist die Wiederkehr des Verdrängten, die die unterirdische, tabuierte Geschichte der Kultur speist.«94 Für Lombardis Ästhetik lässt sich dieser Satz treffend umschreiben: Es ist die Wiederkehr des Verdrängten (der alltäglichen Zeitungsnachrichten von gestern), die in den kartierten Verschwörungen ihren Ausdruck findet.95 Der Enthemmung des kapitalistischen Handelns wird so eine, im besten Sinne des Wortes, gezeichnete kritische Theorie seiner Tie- fenstrukturen als anthropologischer Triebstrukturen entgegengestellt. Nicht von ungefähr verzeichnen spätere Bilder Rechtsprozesse auf einer eigenen Ebene mit roter Farbe. Nichtsdestotrotz wird die Materialität und Politik des Lombardi- Archivs in den – meist von ästhetischer Faszination getragenen – Kri- tiken seiner Arbeiten regelmäßig unterschätzt. Die pikturale Ikonizität tritt gegenüber dem notationalen Gehalt der Zeichnungen und der ihnen zugrunde liegenden Datenverarbeitung in den Vordergrund. Öffentliche Präsentationen von Lombardis Werken verstärken diesen Effekt oft. So stellte die documenta 13 mit BCCI−ICIC & FAB, 1972−91 (4th version) ein vom FBI konsultiertes Hauptwerk im schummrigen Dämmerlicht des Kasseler Fridericianums aus. In diesem Umfeld war auch die beigegebene Auswahl der im MoMA archivierten Karteikarten schwer lesbar.96 Da- bei verrät schon der Blick auf den Zettelkasten mit handgeschriebenen Karten, dass Lombardi vor aller künstlerischen Meisterschaft Akteur- Netzwerk-Theoretiker war (Abbildung 10.8). 93 Weniger überraschen mag da der Fund von Hannah Arendts Totalitarismus-Studie als weiterem zentralen philosophischen Text in Lombardis Bibliothek. 94 Herbert Marcuse: Schriften 5. Triebstruktur und Gesellschaft. Ein philosophischer Beitrag zu Sigmund Freud. Frankfurt am Main: Suhrkamp, 1979, S. 23. 95 Lombardi steht damit unbewusst in der Tradition von Jacob Levy Morenos Soziogrammen, die vorwiegend Emotionsströme verzeichnen. Vgl. Kapitel 6.4 dieses Buches. 96 Aufgefangen wurde dies durch ein Leseheft zu Lombardi, das Reproduktionen einzelner Karteikarten enthält. Vgl. Mark Lombardi: 100 Notizen – 100 Gedanken. Nr. 071: Mark Lombardi. Einführung: Carolyn Christov-Bakargiev. Kassel: documenta 13; Ostfildern: Hatje Cantz, 2012. Mark Lombardis globale Netzwerke 411 abb . 10 .8: Mark Lombardi: Handschriftlicher Zettelkasten (Ausschnitt), ca. 1998−2001. [Siehe Farbtafel XXX] Über der Markierungslinie der Karteikarten stehen die Namen der- jenigen Institutionen und Personen, die in den globalen Netzwerken als Knotenpunkte visualisiert werden. Die Farbe der Karte verweist auf die unterschiedlichen Kategorien: Zitate (weiß), Biografien (grün), Unternehmen (pink), Themen (blau), bibliografische Angaben (gelb), Websites (orange), Tode (lila). Die Übersetzung der Narrationen in ein Diagramm erfordert eine kartografische Legende, mit der wiederum die finanziellen Praktiken abstrakt gefasst werden. Sie fällt bemerkenswert kompakt aus und reduziert das verschwörerische Handeln auf ein Pro- tokoll von sechs möglichen Aktionen (Abbildung 10.9). Einseitige Pfeile symbolisieren Einfluss oder Kontrolle (a), zweiseitige Pfeile eine gegenseitige Relation oder Assoziation (b). Gestrichelte Pfeile stellen Finanztransaktionen dar (c). In der Mitte durch ein Zickzack- muster unterbrochene Pfeile stehen für den Verkauf oder Transfer eines Wirtschaftsguts (d). Blockierte oder nicht abgeschlossene Transaktionen werden als Pfeillinie gezeichnet, die mit einem doppelten Querstrich beendet wird (e). Der wie eine Telefonschnur gekringelte letzte Opera- tor repräsentiert den Verkauf oder die Ausgliederung von Eigentum (f). Dieses Schema zielt nicht nur – entsprechende Geduld des Beobachters 412 Bildgeschichte des Netzwerkdiagramms (III) abb . 10 .9: Mark Lombardi: Kartografische Legende zu den eigenen Zeichnungen, undatiert. immer vorausgesetzt – auf die Darstellung kausaler Zusammenhänge in den Global Networks. Es ermöglicht als Codierungsform den Über- trag vom verzettelten Schriftarchiv hin zur prekären Lesbarkeit des Diagramms. Oder, in systemtheoretischer Terminologie ausgedrückt: Narrative Formen werden über Neucodierung in ein diagrammatisches Medium übersetzt, das in visuellen Formen seinen Bildstatus annimmt. Die Unmöglichkeit einer erzählerisch exakten Notation durch Pfeilsemi- otik – auf die auch Meister der Informationsvisualisierung wie Edward Tufte immer wieder hinweisen97 – wird dabei durch einen Bildstatus aufgewogen, in dem Netzwerke eine komplexe Form von nicht-linearer Kausalität aufzeigen. Was aber erzählt eine Zeichnung wie George W. Bush, Harken Energy and Jackson Stephens, c. 1979−90 (5th Version, 1999), die im Original die Maße 122,5 x 61 Zentimeter aufweist (Abbildung 10.10)? 97 Vgl. Edward Tufte: Design of Causal Diagrams: Barr Art Chart, Lombardi Diagrams, Evolu- tionary Trees, Feynman Diagrams, Timelines. 2003. http://www.edwardtufte.com/bboard/q- and-a-fetch-msg?msg_id=0000yO&topic_id=1&topic=. Siehe zur Verkörperungsfunktion von Pfeilsemiotik auch Rebekka Ladewig: »Über die Geschicke des Pfeils«. In: Im Zauber der Zeichen. Beiträge zu einer Kulturgeschichte des Mediums. Hrsg. von Jörn Ahrens und Stephan Braese. Berlin: Vorwerk 8, 2006, S. 17−30. Mark Lombardis globale Netzwerke 413 abb . 10 .10: Mark Lombardi: George W. Bush, Harken Energy and Jackson Stephens, c. 1979−90 (5th Version). Zeichnung, 1999. 122,5 x 61 cm. [Siehe Farbtafel XXIX] Der Blick beginnt, wie auch die Lektüre, linkerhand.98 Der Titel ist in der unteren Hälfte zu lesen und fungiert als wichtiger, den erzähle- rischen Rahmen markierender Paratext zum Auftakt. Seine Platzierung beeinflusst auch in anderen Bildern den virtuellen Anfangspunkt, ohne diesen festzulegen. Die mit Schablonen gezeichneten Schwünge der ver- bindenden Bögen verführen zur Identifikation von zentralen Akteuren. Den nicht umkreisten, frei stehenden Namen von James R. Bath und Sheik Abdullah Taha Bakhsh gilt so die größte Aufmerksamkeit. Sie ziehen die meisten Verbindungen auf sich, d. h. die meisten Aktionen gehen von ihnen aus. Auf diese Art und Weise sind Einzelpersonen zunächst präsenter als die umkreisten Institutionen mit ihren kleiner geschriebenen Buchstaben. Drei von links nach rechts gezogene Pfeile bieten eine zweite Orientie- rungsmöglichkeit. Sie beginnen jeweils mit Konzernnamen wie Arbusto Energy Texas (oben), Spectrum 7 Oil Texas (Mitte) und Harken Energy Corp. Dallas (unten). Regelmäßig erscheinende Kreise mit Jahreszahlen entwickeln sich so zu parallelen, aufeinander verweisenden und aufbau- enden Zeitstrahlen. Am Ende des Arbusto-Zeitstrahls steht 1984 ein von Spectrum 7 ausgehender Einflusspfeil – wonach die erste Firma aus der Bilderzählung verschwindet. Zwei Jahre später notiert Lombardi einen 98 Dies ist kein generelles Kennzeichnen von Lombardis Zeichnungen, die je nach Gesamtform auch andere Einstiegspunkte nahelegen. 414 Bildgeschichte des Netzwerkdiagramms (III) Einfluss von Harken Energy auf Spectrum 7, der wiederum den mittleren Zeitpfeil beschließt. Harken Energys Aktivitäten laufen hingegen bis 1990 weiter, um dort in einem finalen Punkt für den Juli 1990 einen Absprung von Bush mit einem Profit von 848.000 Dollar zu verzeich- nen. Knapp darunter beginnt ein einfacher Einflusspfeil mit der Notiz »Two weeks later Saddam Hussein invades Kuweit«, der ebenfalls auf die Jahreszahl zeigt. Die Nähe der beiden letzten Ereignisse lässt auf eine direkte Begründung schließen: Bush zieht sich erfolgreich aus der Firma zurück – zwei Wochen später beginnt der erste Golfkrieg. Von diesem Resümee aus bleibt dem Betrachter nur die Möglichkeit, die Komplexität der thesenhaften finalen Wendung immer wieder neu zusammenzusetzen. Das historische Ereignis ist festgeschrieben und mit einer faktisch daherkommenden Verschwörungsvermutung versehen. Sprunghaft sucht der Blick nach neuen Anhaltspunkten und orientiert sich dabei zwangsläufig an bekannten Namen: George W. Bush ist als künftiger Gouverneur99 von Texas mit James R. Bath verbandelt (Ab- bildung 10.11). abb . 10 .11: Mark Lombardi: George W. Bush, Harken Energy and Jackson Stephens, c. 1979−90 (5th Version). Zeichnung (Detail), 1999. [Siehe Farbtafel XXIX] 99 Die Zeichnung vermerkt das Inaugurationsjahr 1996 unter seinem Namen. Mark Lombardis globale Netzwerke 415 Über seinen Vater Bush Senior besteht eine Verbindung zur Republi- kanischen Partei, an die wiederum 1988 der titelgebende Jackson Ste- phens 100.000 Dollar zahlt. Über Stephens’ Firma Stephens Inc. in Arkansas besteht wiederum eine Beziehung zur ominösen Bank BCCI S. A. Luxemburg, die unter dem Einfluss von Scheich Abdullah steht. Sobald man glaubt, diesen finalen Nexus erschlossen zu haben, springt der Blick erneut. Von Abdullah führt der Weg zurück zu Scheich Salim bin Laden und Osama bin Laden, die beide in verdächtiger Nähe zur Bush-Familie stehen. Die saudi-arabischen Banken verquicken sich quer durch Zeit und Raum mit europäischen und amerikanischen, vor allem texanischen Finanzhäusern. Durch die Präsenz bekannter Namen im oberen Teil erscheint das untere Drittel des Diagramms vergleichsweise unwichtig, obwohl dort die Untiefen der Umgebung von Harken Energy ausgelotet werden. Das Netzwerk stellt sich hier grafisch weniger dicht dar. Man erahnt noch den Einfluss von George W. Bush auf Harken Energy. Die über die Antillen durch die Schweiz zu Frontier Oil nach Denver laufenden Finanztransaktionen von Scheich Abdullah markie- ren die längste Verbuchungskette der Zeichnung, deren Verbindung zu Harken Energy aber unterbrochen ist. In der Bildlektüre existiert eine durch Vorwissen und Erkennt- nisinteresse gesetzte Grenze. Als abstrakte Synekdochen zeigen die geschwungenen Bögen notwendigerweise abwesende Ereignisse, die nicht adäquat repräsentiert werden können.100 Und doch erweisen sich Lombardis narrative Strukturen als generatives Archiv von Aussagen,101 das einen Raum vielfältiger Verbindungen eröffnet. Entscheidend ist die Vielfalt der möglichen Zusammenhänge und der interagierenden und einander modifizierenden Kausalitäten. Im sprunghaften Durchlauf des Bildparcours entfaltet sich ein Möglichkeitsraum des Vergangenen, der komplexe Begründungen für historische Ereignisse liefert. Eine verstreute Lektürebewegung tritt an die Stelle einer vergleichsweise linearen Aneignung. Verschwörungstheoretische Blicke zucken nervös, um aus der annähernden Gleichzeitigkeit der Ansicht eine beschleunigte Erzählung zu generieren. Als grafische Oberfläche für Spurensucher fordern Lombardis Dia- gramme eine zweite investigative Probe, die von den Textquellen aus- 100 Vgl. Hobbs: »Mark Lombardi: Global Networks«, S. 47. 101 Im Sinne von Michel Foucault: Archäologie des Wissens. 6. Aufl. Frankfurt am Main: Suhrkamp, 1994, S. 187 f. 416 Bildgeschichte des Netzwerkdiagramms (III) geht. Man muss der üblichen Kritik an der mangelnden Lesbarkeit der großformatigen Bilder nicht folgen. Denn es handelt sich bei Lombardis Werken um eine Vervielfältigung der möglichen Verkettungen von Ge- schehnissen. Sie sind aber keine Fingerübung in bloßer Kontingenz. Ge- rade in den mehrfachen Annäherungen, dem fortwährenden Revidieren der eigenen Entwürfe liegt ein Wille zur narrativen Präzision im Bild.102 Die ganze Reichweite der historisch-ökonomischen These eines Werkes wie George W. Bush, Harken Energy and Jackson Stephens, c. 1979−90 erschließt sich erst durch die Recherche von Kontexten. »Arbusto Energy« war die erste Firma George W. Bushs, die sukzessive in Spectrum 7 und Harken Energy aufgegangen ist. Die vergleichsweise kleine, nur in den USA operierende Firma Harken wiederum stand 1988 kurz vor dem finanziellen Aus, gelangte aber 1989 überraschend an einen Bohrkontrakt mit Bahrain. Nach zwei Fehlbohrungen vor Ort, immer noch mit drückenden Schulden von 150 Millionen Dollar, verkaufte Bush seine Aktien am 22. Juni 1990 mit 200 Prozent Gewinn. Nach der Invasion der Irakis in Kuweit im August desselben Jahres verloren die Harken-Aktien rapide an Wert. George W. Bushs lukrativer Ausstieg zur rechten Zeit wird erst nach dem Ende des ersten Golfkriegs bekannt. Lombardis Zeichnungen entwerfen zunächst eine Art von ›submedi- alem Raum‹ des Verdachts, der Vermutungen und Befürchtungen, aber auch der plötzlichen Offenbarungen und Einsichten.103 Sie gehen über die dokumentarische Komposition von publizierten Anzeichen hinaus und interessieren sich für die kaum nachvollziehbare Operativität der Verschwörung selbst. So entsteht im systemischen Raum des Diagramms eine Totalität im Sinne Frederic Jamesons – ein Feld der Kräfte, in dem das Switching in Netzwerken auf seine verschwörungspraktischen Implikationen hin befragt wird. »Wiederkehr des Verdrängten«: Das betrifft zum einen die Identifikation von entscheidenden Knotenpunkten im ›Weltsystem‹104 über die empirische Erfassung ihrer mafiösen Hand- lungen im Gesamtwerk der Global Networks.105 Zum anderen sind im Transfer von Schrift- zu Bildarchiv die Anzeichen der Verschwörung 102 Vgl. hierzu Lammert: »Mark Lombardi – Denken als Mustererkennung«, S. 68 f. 103 Vgl. Groys: Unter Verdacht, S. 21 f. 104 Hinzu kommt eine Wahlverwandtschaft zu Immanuel Wallersteins The Modern World System (1974). Vgl. Hobbs: »Mark Lombardi: Global Networks«, S. 23. 105 Das beste Beispiel ist die ominöse BCCI-Bank, der Lombardi eine Serie von Zeichnungen gewidmet hat. Einen ähnlichen Anschluss bietet der Investmentbanker Jackson Stephens, der mindestens ebenso großen Einfluss auf die Präsidentschaft von Bill Clinton hatte wie auf die Karriere von George W. Bush. Mark Lombardis globale Netzwerke 417 selbst wieder zur medialen Oberfläche geworden, die größere historische Fragen in der Tiefe eines neuen submedialen Raums erlaubt. Das im Jahr vor der Präsidentschaftswahl 2000 entstandene Di- agramm George W. Bush, Harken Energy and Jackson Stephens, c. 1979−90 ist Teil einer größeren impliziten Erzählung. Diese han- delt – wie ein kurzer Blick in Lombardis Bibliothek schnell zeigt – von der parallelen finanziell ergiebigen Wiederaufrüstung des Irak und des Iran durch amerikanische Akteure. Die Schaffung der militärisch- politischen Bedingungen für Saddam Hussein gipfelt im amerikanischen Gegenschlag, der die eigene imperiale geopolitische Sphäre zu sichern versucht. Lombardis Bilder knüpfen aneinander an und unterwandern sich gegenseitig. Sie vervielfältigen die Zahl der Akteure: Anstatt eines Trusts, einer Firma, eines »corporate network« steht eine Vielheit nach- vollzogener Verbindungen, deren topologische Gesamtstruktur immer wieder über sich selbst hinausweist. Trotz dieses postmodernen Zugs weisen die Zeichnungen eine analytische agency als lektüregesteuerte Berichterstattung zweiter Ordnung auf. Mark Lombardi ging nicht ohne Grund davon aus, dass die mit den jeweiligen Skandalen bekannten investigativen Journalisten seine Diagramme am besten lesen können.106 Unheimlich ist dabei nicht nur das in ihnen vorgezeichnete Wissen um die auf weitere imperiale Kriege zulaufenden Geschicke der USA. Auch den nüchtern historisch denkenden Leser beschleicht ein unangenehmer Verdacht, wenn er in einem kleinen Firmenkreis den Namen jener »Von Roll A. G. – Switz −« findet, deren »goldenem Netz« bereits Georges Baehler alias Pollux grafisch nachgegangen war. Lombardi blickt ge- trieben in Vergangenheit wie Zukunft kapitalistischen Handelns. Und auch wenn ökonomische Krisenzeiten Entflechtungen mit sich bringen, bleibt die Imagination und Erzählung von Akteurs-Netzwerken ein privilegiertes Medium für die Sag-, Sicht- und Hörbarkeit von Ver- schwörungen. In seinen diagrammatischen Formen in Gestalt des Netzes versammelt das Netzwerk eine mögliche Menge von Aussagen über sozioökonomische Zusammenhänge.107 In globalen Akteurs-Netzwerken 106 Vgl. Roberta Smith: »Mark Lombardi, 48, an Artist Who Was Inspired by Scandals«. In: New York Times, 25. März 2000. http://web.archive.org/web/20080215173912 / http:// www.pierogi2000.com/memorial/lombardiobit.html. 107 Vgl. hierzu auch Tan Lin: »Two or Three Sentences About Mark Lombardi«. In: Mark Lombardi. Preparatory Drawings. New York: Pierogi, 2003, S. 14. Zitiert nach Susan Swenson: »Mark Lombardi. Die narrative und die grafische Sicht«. In: RAUM. Orte der 418 Bildgeschichte des Netzwerkdiagramms (III) ist die Kausalität nicht nur immer schon im Süden, sondern sie führt mitten in das dunkle Herz der Gouvernementalität kapitalistischer Wirtschaftsformen. Politiker, Banken, Militär und Konzerne brauchen keine Verschwörungstheorie. Sie handeln. Während Verschwörungsthe- oretiker demgegenüber eine radikale Skepsis entwickeln können, bleiben wissenschaftliche Zugriffe notwendig zu moderat. Das Warum dieses Zustandes bleibt eine politisch-anthropologische Frage an uns selbst. Sie stellt sich in den neuen Formen digitaler Öffentlichkeiten, die durch das Internet entstanden sind, in verschärfter Form.108 Denn ge- genüber Enthüllungsplattformen wie Wikileaks wirkt die investigative Geduld Mark Lombardis wie eine Machtanalyse aus längst vergangenen Zeiten. Statt die Anzeichen einer Verschwörung mit journalistischer Sorgfalt vorzufiltern, produziert Wikileaks einen Dauerzustand, in dem alle Konspirationen immer schon latent veröffentlicht sind. Aus der beobachtenden Verschwörungstheorie, die ein Archiv von Praktiken durchleuchtet, ist dank Julian Assange eine fortwährende Drohung mit der Macht der digitalen Öffentlichkeit geworden. Der Preis dafür ist hoch: Nur als verschwörerisches Akteurs-Netzwerk kann Wikileaks die Publizität für Skandale organisieren. Entscheidend ist mittlerweile auch hier, wie das Netzwerk funktioniert, weniger dessen Warum. Jede Ankündigung eines großen Leaks dient eher der symbolischen Überhö- hung der eigenen Medienmacht denn einem konkreten Missstand, vom dem die Öffentlichkeit erfahren muss. Vielleicht ist genau das eine Zukunft der Verschwörungstheorie, die sich Lombardi kaum vorstellen konnte. Mit der Vermehrung von gene- rativen Oberflächen und Plattformen des Anscheins und Verdachts wird die Eintrittsschwelle in den submedialen Raum von Verschwörungen immer leichter passierbar: Wikileaks produziert nicht weniger, sondern mehr neue Geheimnisse. Was aber bedeutet die Transformation von Verschwörungstheo- rien – nicht nur für die Öffentlichkeit der Netzwerkgesellschaften, sondern für die erkenntnistheoretischen Grundlagen von Netzwerk- analysen? Beide Fragen betreffen die Grenzen dessen, was an komplexen raumzeitlichen Phänomenen individuell wie kollektiv wahrgenommen, analysiert und mit Sinn versehen werden kann. Je immaterieller sozio- Kunst. Hrsg. von Matthias Flügge, Robert Kudielka und Angela Lammert. Nürnberg: Verlag für moderne Kunst, 2007, S. 274−277, hier S. 277. 108 Vgl. Stefan Münker: Emergenz digitaler Öffentlichkeiten. Die sozialen Medien im Web 2.0. edition unseld 26. Frankfurt am Main: Suhrkamp, 2009. Mark Lombardis globale Netzwerke 419 ökonomische Netzwerke werden, desto mehr etablieren sie sich als symbolische Ordnung, deren kulturtechnische Grundlagen selten re- flektiert werden. Unter diesem Blickwinkel sind Verschwörungstheorien eine nicht-hegemoniale Wissensform, die der Formierung von Netz- werkmacht kritisch gegenübersteht. Sie sind nicht nur Gegendiskurs zu verwissenschaftlichten Formen der Netzwerkanalyse, sondern ein ihnen streckenweise vorausgehendes (Selbst-)Beobachtungsinstrument. Dieses mag nicht in allen Fällen so prägnante diskurshistorische Verschiebungen wie zwischen Pollux, Condor und Lombardi offenbaren – vom Trust über das Geheimdienstnetzwerk zu den globalen Netzwerken. Aber ohne einen paranoischen Modus, der Verbindungen und Verflechtungen vermutet, erzählt, visualisiert und berechnet, lassen sich unsichtbare Handlungen von Akteurs-Netzwerken kaum vergegenwärtigen. Dem rationalen und universalistischen Zug, der nicht nur die graphentheo- retische Netzwerktheorie kennzeichnet, darf man getrost misstrauen. 11 Die Verbundenheit der Dinge Wie ließen sich die hier entfalteten Geschichten noch einmal in aller Kürze erzählen und ergänzen? Zuallererst verkörpert sich in ihnen eine wiederholte Bewegung zwischen dinglichem Netz und mehr immate- riellem als materiellem Netzwerk, die durch Gesten des Vernetzens vollzogen wird. Es braucht zunächst die Arbeit des Netzknüpfens und den Bewegungsraum verbundener Orte. Und es braucht Karten und Diagramme, die sichtbar machen, was man plant und modelliert oder an Praktiken vorfindet. Netzwerke entstehen, wo eine Trennung der Netzschaffenden und Netznutzenden von den Objekten, denen ihre Aufmerksamkeit gilt, nicht mehr möglich ist. Sie versammeln nicht mehr nur homogene räumlich situierte Elemente, sondern heterogene, hybride, verzeitlichte Zirkulation. Sie zu meistern und zu kontrollieren ist oft eine Frage der Hegemonie: War schon das Fangnetz ein Symbol von List und Handlungsmacht, so agiert man auch in verteilten soziotech- nischen Netzwerken und Infrastrukturen nie im herrschaftsfreien Raum. Je weiter sich jedoch Handlungsmacht distribuiert, umso schwieriger wird es, hegemoniale Ambitionen dauerhaft aufrechtzuerhalten. Die ersten Funde im Archiv der Netzwerkgeschichte sind materielle Netze, die sich als mythische Objekte erweisen und symbolische Formen stiften. Ausgehend von der Ikonografie der Herrschaft in Mesopota- mien und Ägypten erweist sich das materielle Fangnetz als Gegenstand, der in den alten Hochkulturen fast durchgängig mit negativen Gesten des Verfangens und Gefangenwerdens assoziiert wird. Auch in den Veden und im Alten Testament herrscht eine Theologie des Netzes als Machtinstrument der Götter und Herrscher vor. Diese gegenüber der Alltagskultur widersprüchliche, negative Codierung setzt sich im antiken Griechenland fort; in der Orestie des Aischylos gewinnt sie in den Flüchen Klytaimestras eine besondere Präsenz. An den griechischen Quellen lässt sich zeigen, dass für den Zusammenhalt der Polis andere textile Objekte wie Gewebe und Bänder zum Symbol gesellschaftlichen 422 Die Verbundenheit der Dinge Austauschs werden. Das römische Recht wird diese Form der Objekt- referenz bis zum Binden des Vertrages weiterentwickeln. Das Netz gehört demgegenüber erst seit der Frühen Neuzeit zur Familie all jener Quasi-Objekte, die das Soziale binden und verbinden können. Eine Umwertung des Netzes lässt sich zum einen am Neuen Testa- ment, in dem das Himmelreich einem Netz gleichen kann, das ins Meer geworfen ist und Fische aller Art fängt (um alsdann zwischen guten und schlechten zu unterscheiden), beobachten.1 Die Semantik des Fangens mit dem Fischernetz ist darin zwar noch präsent, vor allem was die christliche Mission betrifft. Sie wird aber von einer egalitären, optimistischen Vision der christlichen Gemeinschaft überlagert, in der das göttliche Netz die Verbundenheit charakterisiert.2 Die Geschicke der Spinne und ihres Werks sind ein weiteres Beispiel für die dauernden Umwertungen und Neubesetzungen des Netzes. Diese beginnen bei der Faszination der antiken Geometrie und Naturgeschichte für die Präzision des Spinnennetzes, das eine Schöpfung aus sich selbst heraus ermöglicht. Auch der Webewettstreit zwischen der Göttin Mi- nerva und der Menschenfrau Arachne im sechsten Buch von Ovids Metamorphosen erweist sich als folgenreiche mythopoetische Szene, stellt doch die finale Verwandlung Arachnes in eine Spinne zugleich Bestrafung für ihre Hybris und Anerkennung ihres kulturtechnischen Könnens dar. Die bis in die Neuzeit reichende Transformationsgeschichte von Arachnes Netzen in Literatur und Bild spiegelt wiederum die Um- wertungen nicht nur von Figur oder Spinne, sondern des Gegenstandes selbst. Besonders deutlich wird dies in der künstlerischen Aufwertung in der Renaissance und im Barock, die noch in den ambivalenten Emble- men des Tastsinns ihr Echo findet. Die Epochenschwelle zur ›Moderne‹ überschreitet Jonathan Swifts Battle of the Books, aus der nicht die fleißigen Bienen der Antiken, sondern die Modernen mit ihren flüchtigen Spinnennetzen siegreich hervorgehen. Mit Marcello Malpighis Mikroskopien der Froschlunge beg innt – unter Rekurs auf antikes medizinisches Wissen – 1661 eine lange neu- zeitliche Karriere anatomischer Beschreibungen, die auf den Netzbegriff setzen. Zunächst sind es die von Malpighi erforschten verbundenen Kapillarsysteme im Blutkreislauf, die den retikularen Charakter von Netzen beschreibbar werden lassen. Ab der zweiten Hälfte des 18. Jahr- 1 Vgl. Matthäus 13, 47−48. 2 Vgl. Matthäus 4,18−22; Markus 1,16−20; Lukas 5,1−11. Die Verbundenheit der Dinge 423 hunderts kommen vermehrt teils vitalistisch geprägte Terminologien für Gehirn- und Nervenphysiologie hinzu, die sichtbare Mikrostrukturen des Lebenden als Netz verstehen. In tableauförmigen Ordnungssyste- matiken entwickeln sich zudem ab 1750 flächige Verortungen von Verbundenheit, mit denen die Arten der Natur oder auch die gesamte Wirtschaft als Netz aufgefasst werden kann. Die Geografie nutzt neben Netzprojektionen seit dem 17. Jahrhundert verstärkt geometrische Tri- angulationsnetze zur Erstellung von Karten, die als formale Netze die Verbindungen des physischen Raums ordnen. Als frühe topologische Netzwerkmodelle der Mathematikgeschichte etablieren sich im 17. und 18. Jahrhundert Gottfried Wilhelm Leibniz’ Monadenlehre, Leonhard Eulers Königsberger Brückenproblem und spielerische Formen der späteren formalen Graphentheorie. Mit Beginn des 19. Jahrhunderts setzt die explizite Benennung von territorialen Verbindungen als weiträumiges, zu verbindendes Netzwerk von Straßen, Kanälen, Telegrafen und Eisenbahnen ein. Besonders pro- minent wird diese räumliche Umgestaltung durch die Vernetzungspro- gramme der französischen Saint-Simonisten vertreten. Zudem findet hier der explizite Übertrag auf die Organisationsform zwischen Institutionen, beispielsweise auf das Netzwerk der Bankenwirtschaft, statt. Ausgangs- punkt ist in der Erzählung dieses Buches die städtische Kanalisation. Der Binnenraum der Stadt erweist sich als Milieu der fortwährenden Kanalisierung, die zugleich weltumspannende Verkehrsprojekte hervor- bringt: Die Organisation von Kolonialismus und Großvorhaben wie den Suezkanal gehen im 19. Jahrhundert Hand in Hand. Diese Tendenz ist bereits im ersten großen Netzwerktraktat des französischen Ingenieurs Michel Chevalier von 1832 angelegt, das dem sozialistischen Diskurs der Saint-Simonisten entspringt. Beide Formen – städtische wie territoriale Infrastruktur – erweisen sich als paradigmatische spiegelbildliche Beispiele für die mit Netzwer- ken aufkommenden Raum- und Machtregime. Diese setzen auf ein geo- und biopolitisches Programm der Ausweitung von Anschlussfähigkeit und Zirkulation, das sich auch durch die diplomatischen Treffen zur Vernetzung der Telegrafennetze entwickelt. Nationalismus und trans- nationale Netzwerkbildung schließen sich nicht notwendig aus, sondern sind zwei Seiten einer Medaille, wie der gezielte Ausbau internationaler Verbindungen im sogenannten Weltverkehr zeigt. Mit der Verbreitung von zunächst städtischen Versorgungs- und Kommunikationsnetzen etabliert sich in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts der kollektive 424 Die Verbundenheit der Dinge Zustand eines immateriellen ›Vernetztseins‹ vermehrt als räumlicher Modus gesellschaftlicher Selbstbeschreibung. Eine besondere Rolle kommt dabei der Telefonvermittlung zu, die sich ab 1878 immer mehr zum Modell für sprachliche, gesellschaftliche, physiologische und mediale Verbindungen entwickelt. Dazu gehört unab- dingbar die Popularisierung des »wunderbaren sprechenden Telefons« in Music Halls und Opernhäusern. Alexander Graham Bells Tourneen leiten den Aufbau lokaler Kommunikationsnetze im Nordosten der Vereinigten Staaten ein. Die materielle Basis der Telefonvermittlungen bilden nicht nur die Kabel und Telefonapparate, sondern neben ersten Telefonbü- chern vor allem die von Frauen verrichtete Handarbeit des Switching an den Schalttafeln. Neben die Handvermittlung tritt die automatisierte Übertragung: Anhand von Almon Brown Strowgers Patent des ersten einsatzreifen mechanischen Hebdrehwählers von 1896 zeigt sich, wie entscheidend sich der Vernetzungsstil durch die Elektromechanisierung ändert. Zugleich werden die Verbindungspraktiken der Telefonvermitt- lung von sehr eigenständigen Doubles begleitet, sei es in Physiologie, Assoziationspsychologie oder Spiritismus. Mit der Stimmenübertragung im Telefonnetz, so lassen sich die kulturellen Folgen der Telefonvermitt- lung zusammenfassen, ist nicht mehr klar, wo Menschenkörper aufhören und soziotechnische Netzwerke ihren Anfang nehmen. Diese Entwicklung wird von weiteren Transformationen flankiert: Aus der Notation und Modellierung chemischer Elemente, die sich im 19. Jahrhundert immer weiter ausdifferenziert, entwickelt sich ein wichtiges Element der Graphentheorie. Der Charakter von stoff- lichen Verbindungen entpuppt sich als ein zentrales Faszinosum, das schnell zur Imagination sozialer Bindungen beiträgt. Es wird gerade der Übertrag von Zeichenpraktiken der Naturwissenschaften sein, der die Einführung einer Theorie sozialer Netzwerke in die Soziologie in ganz erheblichem Maß prägt. Ein entscheidender wissenshistorischer Moment hierfür ist die Verwendung des Begriffs network durch Jacob Levy Moreno in den 1930er Jahren, die Georg Simmels Verständnis eines »soziologischen Bandes« eine neue Form gibt. Sie geht nicht nur mit einer intensiven Produktion von Kartierungen und Diagrammen einher, mit der naturwissenschaftliche Elemente zum Bildstatus der sozialen Netzwerke beitragen. Der Fall Moreno verweist gerade durch seinen fröhlichen Eklektizimus auf ältere historische Schichten: Die mit dem Netzwerk auszuübende Bindemagie wird hier performativ zum Modell gesellschaftlichen Zusammenhalts erklärt. Die Verbundenheit der Dinge 425 Im 20. Jahrhundert wird Netzwerkbildung und -pflege immer mehr zur Frage des richtigen Timings. So zeugt Henry Charles Becks be- rühmtes Diagramm der Londoner Tube Map von 1933 nicht allein von einem relationalen Raumverständnis, das hier durch die großstäd- tische Navigation unter Tage geprägt wird. Es ist auch als Instrument zur Synchronisation eines urbanen Netzes zu verstehen. Zwar zielt ein Verkehrsnetz im besonderen Maß auf Gleichzeitigkeit und präzise Taktung. Je mehr netzwerkförmige Anschlüsse es jedoch organisieren muss, desto wichtiger wird das Spiel von Fluktuation und Synchroni- sation der Verkehrsströme. Zum Verständnis der Tube Map bedarf es eines genauen Blicks auf die Uhren von London Transport; ebenso gilt es, die politische Zusammenfügung vieler Linien zu einem Netz ernst zu nehmen. Am kreativen ästhetischen Spiel mit der Karte zeigt sich schließlich, wie die individuelle Aneignung eines grafisch vernetzten Raumes nicht nur urbane Netzwerke stets neu erfindet. In ihren popu- lären Variationen trägt die visuelle Form des geordneten Netzes mehr und mehr zu einer globalisierten Sprache der Netzwerke bei. Auch die Planungstechniken der weltweiten Produktion etablieren eigene Zeitregime, die seit den 1960er Jahren in der sogenannten Net- work Operations Method – auf Deutsch: Netzplantechnik – präzise orchestriert werden. Durch die vernetzte Produktion ändert sich sowohl der Status von Objekten als auch der Organisationen: Das komplexe technische Ding – sei es Computer, Schiff oder Rakete – wird ebenso als Netzwerk beschrieben wie die Kooperation von Unternehmen. Die interkulturellen Stile der Netzwerkproduktion unterscheiden sich jedoch und können nicht nur auf die schnelle Verbreitung der Netzpläne in den Industrieländern zurückgeführt werden. Am Beispiel des Just- in-Time-Produktionssystems von Toyota und der Ausdifferenzierung weltweiter Logistik lässt sich zeigen, wie Netzwerkprojekte mittlerweile auf Dauer gestellt werden. Netzig gemachte Dinge werden in immer komplexeren, zeitlich ausdifferenzierten Transportsystemen distribuiert: Ohne fluide Verfügbarkeit von Materie und Objekten gibt es keine Netzwerkgesellschaft(en). Schließlich müssen Dinge miteinander sprechen, um ihre Verbun- denheit beweisen zu können. Kaum anders lässt sich eine diskursive Merkwürdigkeit der frühen Computergeschichte auffassen: Um 1965 beginnt man, mit Rechnern – damals noch Großanlagen – zu ›sprechen‹. Die schreibende Programmierung soll möglichst nach Art und Weise einer Konversation funktionieren. Computer sprechen bald nicht nur in 426 Die Verbundenheit der Dinge der populären Science Fiction mit Menschen, sondern unterhalten sich im Verständnis der Ingenieure untereinander, sobald man sie vernetzt. Eine solche imaginierte Sprachfähigkeit, die ihre Ursprünge im interak- tiven Programmieren hat, ist auch Grundlage für die Entwicklung von Netzwerkprotokollen. Zielen diese zunächst noch auf die Zeitlichkeiten und ökonomischen Fragen der Rechnerverbindung bzw. des »netting« des ARPANETs ab, stellt sich schnell die Frage der räumlichen Ver- netzung über Grenzen hinaus. Aus dem Projekt des Internetworkings verschiedenster heterogener Netze entstehen mit dem Transmission Control Program und dem Internet Protocol (TCP / IP) die maßgeblichen Vermittlungstechniken der Internetarchitektur. Diese besteht, trotz Rechnern, Routern und Kabeln, zum größten Teil aus Zeichen, durch die man die materiale Verbundenheit der Dinge – idealiter – nicht mehr wahrnehmen muss. Der Aufstieg der Netzwerkgesellschaft verfügt aber über Grenzen, Bruchstellen und mehr als nur eine klandestine Seite. Je umfassender auf Netzwerke als soziale Strategie gesetzt wird, umso wilder blühen Verschwörungstheorien. Das illegitime, paranoische Wissen der Ver- schwörungstheorie wird zu einem kulturellen Gegendiskurs. Verschwö- rungstheoretiker sind vermutlich die besten Netzwerkanalytiker – die wahren Experten einer Verbundenheit der Akteure und Transaktionen. Anhand der Zeichnungen des Schweizer Kommunisten Georges Baehler (alias Pollux), der Hauptfigur Joseph Turner in Sydney Pollacks Three Days of the Condor und der großformatigen Global Networks des Künstlers und Archivars Mark Lombardi lassen sich deutliche diskursive Verschiebungen innerhalb des 20. Jahrhunderts zeigen. Dominiert in den Erzählungen der Verschwörung zunächst noch die Bedeutung genau eines »goldenen Netzes«, »Trusts«, einer »corporation«, eines »cor- porate network«, einer »radialen Matrix« oder eines »Weltsystems«, vervielfältigt sich spätestens mit Lombardi die Zahl der agierenden Netz- werke von Personen, Firmen und Institutionen ins Undurchschaubare. Damit sind beileibe nicht alle Netzwerkgeschichten erzählt, aber doch hoffentlich einige Herkünfte und Zäsuren beschrieben. Wie jedoch lässt sich die kulturelle Wirksamkeit, über die Netzwerke nach wie vor verfügen, begründen? Was Netzwerke verbinden lässt 427 11.1 Materialität. Was Netzwerke verbinden lässt Und es gibt keine Namen für Dinge, die es gibt. Wenn sie in ihrem Labyrinth verschwindet, bleibt nur die Hoffnung, Daß es Namen gibt für Dinge, die es nicht gibt.3 Aleš Šteger, Buch der Dinge Ist das Netzwerk ein Name für ein Ding, das es gar nicht gibt – außer im Werden, in der fortwährenden Weitergabe und Zirkulation? In Aleš Štegers Gedicht Ameise klammert sich die titelgebende Kreatur hartnä- ckig an die Gegenstände, die sie trägt. Aber dingliche Fangnetze tragen nur wenige Menschen mit sich, die sich gleichwohl im 21. Jahrhundert als Teil multipler soziotechnischer Netzwerke begreifen. Der dafür meist notwendige Anschluss an materiell-territoriale Netze ist einerseits stets präsent, so dass man es mit Gegenständen zu tun hat, die als Endgeräte handhabbar sind. Andererseits ist dieser unentbehrliche Zugang nur ein kleiner Teil dessen, was er an kommunikativen Formen des Austauschs ermöglicht. Die vielfältigen Formen des Netzes verschwinden zugunsten der Praktiken des networking aus dem Fokus der Aufmerksamkeit, es sei denn, man ist als Akteur mit der konkreten ökonomischen und technischen Realisierung eines physischen Netzes beschäftigt. Entschei- dend ist aber auch für deren Entwurf die Dynamik, mit der Handeln in Netzwerkform ermöglicht werden soll. Software zählt mehr als Hard- ware, die beste Form der Organisation soll die Selbstorganisation sein: Gesten des Netzwerkens überall. Aber kann es ein Netzwerk auch ohne zugrunde liegende materielle Netze geben? Ausgangspunkt dieses Buches war, dass dies schwerlich möglich ist und wenn doch, dann sicherlich historisch kaum beobacht- bar wäre. Die kulturelle Lage der Gegenwart ist freilich eine andere: Es wird vernetzt und genetzwerkt, ohne dass man direkt Netze knüpfen würde. Sieht man einmal vom augenfälligen Fetischismus bei Smart- phones und mobilen Rechnern ab, steht nicht die Verbundenheit der Dinge im Vordergrund. Viel eher vermehren sich die Netzwerkbildungen, durch immer mehr mediale Kanäle fluktuieren die Relationen sozialer und ökonomischer Bindungen. Netzwerkgeschichte ist zwar auch im Hier und Jetzt immer eine Geschichte der Dinge, viel mehr aber eine Geschichte der sich fortwährend vermehrenden Quasi-Objekte. 3 Aleš Šteger: Buch der Dinge. Frankfurt am Main: Suhrkamp, 2006, S. 27. 428 Die Verbundenheit der Dinge Die Symbolisierungsformen des Netzes und das Netzwerk gehören zur Familie der textilen Quasi-Objekte der Bindung. Sie wirken, ohne dass sich Menschen als lebende Knoten gegenseitig Fäden zuwerfen müssten: »Dieses Quasi-Objekt ist kein Objekt, und es ist dennoch eines.«4 Was könnte an der Stelle des Netzwerks stehen? Das Bündnis, der Verband, die Seilschaft, die symplokē als dichtes Gewebe der zusam- menhaltenden polis … Soziale Bänder, Knoten, Fäden, Garne, Riemen, Schlingen, Stricke, Seile, Fesseln, Ketten, Geflechte und Gewebe gehören zu den bestrickenden, umschlingenden und umhüllenden Dingen, mit denen sich kultureller Zusammenhalt, aber auch soziale Exklusion figurieren lässt. Objekte der Bindung lassen sich unterschiedslos auf Menschen, Tiere und Dinge anwenden, die durch die Verknüpfung kör- perlich und ideell im Band enthalten sind.5 Unterscheidungen zwischen Person und Sache bzw. Subjekt und Objekt, egal ob juristischer oder philosophischer Herkunft, stehen so ganz praktisch infrage. Das Netzwerk steht auch in seinen neuesten Formen in dieser Tra- dition, die weitreichende magische und religiöse Praktiken einschließt.6 Noch nie gab es soviel Bindemagie wie in der technisch hochgerüsteten Gegenwart. Und damit sind nicht nur rationalisierte Formen wie das juristische »Binden des Vertrages« gemeint, die auch zur Grundlage eines gesamten Gesellschafts- oder Naturvertrages werden können. Viel eher hat man es mit einer unmerklichen Bindemagie zu tun, die situa- tiv sowohl lose Kopplungen als auch feste Bindungen ermöglicht – in Fern- und Nahwirkung. Am deutlichsten tritt sie noch in den rituali- sierten Formen des Austauschs zutage, die dem Knüpfen persönlicher Verbindungen dienen. Der rasanten Nutzung internetbasierter social networks und den allgegenwärtigen networking events lässt sich kaum noch Unmerklichkeit nachsagen. Viel eher muss man sich ob solcher Formen fragen, ob man auch bestimmte Handlungsstile im Namen des Netzwerks fetischisieren kann. Magisch wären an diesen Bindepraktiken das dynamische, situativ immer neu angepasste Zielen auf soziale Wirksamkeit und Anerken- nung, aber auch die Fernwirkungen vernetzter Objekte. Der Code des Bindens und Lösens wird dabei nicht ausschließend angewandt. Viel eher werden auch nicht aktiv gepflegte, aber nach wie vor mögliche 4 Serres: Der Parasit, S. 346. 5 Vgl. Serres: Der Naturvertrag, S. 175, S. 177. 6 Vgl. Mauss: Soziologie und Anthropologie 1. Theorie der Magie. Soziale Morphologie, S. 95; Eliade: Ewige Bilder und Sinnbilder. Über die magisch-religiöse Symbolik, S. 109 f. Was Netzwerke verbinden lässt 429 kommunikative Bindungen zumeist in Latenz gehalten (das betrifft Personen, Institutionen und technische Geräte gleichermaßen).7 Darin unterscheiden sich netzwerkförmige Verbindungen auch vom diffusen Zustand eines »Vernetztseins«, das keine zeitliche und emotionale Un- terbrechung kennt. Von der alten Binde-, Schling- und Netzmagie emanzipieren sich Netzwerke durch einen stark verzeitlichten und kontingenten Charakter, der bei fernräumlicher Verteilung und Asynchronitäten des Handelns deutlicher wird. Das Netzwerk ist kein Fanginstrument mehr, jedenfalls nicht im herkömmlichen Sinne.8 Es steht aber auch nicht in einfacher Folge zu den Praktiken des Bindens und Lösens, wie sie etwa in der hermetischen Magie und Alchemie kultiviert wurden. Vielmehr domi- niert in den sozialen Interaktionen unserer Gegenwart die Möglichkeit des Verbindens im Netzwerk, ohne dass dem Lösen dabei die Aufmerk- samkeit geschenkt würde, die ihm zukommen müsste. Wohl ist der an Netzwerken interessierten Soziologie bewusst, dass Verbindungen spezi- fisch sind und sich durch Kontexte und Erzählungen ausdifferenzieren. Überhaupt ist die Narration und ihre Weitergabe einer der wenigen naheliegenden Gründe dafür, dass Netzwerke als soziale Bindemittel und Kulturtechnik Zusammenhalt stiften. Quasi-Objekte sind Diskurs und Materialisierung zugleich. Im Vollzug schaffen sie die Intersubjektivität innerhalb eines Kollektivs von Akteuren. Die schönsten Beispiele hierfür stammen immer noch von Michel Serres: Durch die fortwährende Weitergabe von Dingen entsteht eine geteilte Identität; zugleich wird derjenige als Individuum markiert, bei dem das Pfand oder der Ball des Spiels gerade verharrt. Quasi-Objekte entstehen also durch Zirkulation, Tauschakte, Interak- tionen in einem Raum verteilter Handlungen.9 Sie sind in der Lage, fortwährend Elemente ihrer Umwelt zu integrieren. Dafür ist es egal, ob diese Elemente Wesen oder Relationen sind oder auch nur Teile von Wesen oder Relationen. Quasi-Objekte sind immer schon mehr als ›nur‹ materielle Kultur, weil in ihnen vielfältige Materialisierungs- und Symbolisierungsformen 7 Vgl. hierzu für die Soziologie Mark S. Granovetter: »The Strength of Weak Ties«. In: The American Journal of Sociology 78.6 (1973), S. 1360−1380 und historisch Natalie Binczek und Georg Stanitzek, Hrsg.: Strong ties / Weak ties. Freundschaftssemantik und Netzwerk- theorie. Heidelberg: Winter, 2010. 8 Der Einsatz des Netzwerkdiagramms in Wissenschaft und Kunst nähert sich schon eher dem Fallenstellen an. 9 Vgl. Serres: Der Parasit, S. 344 f. 430 Die Verbundenheit der Dinge zusammenfinden.10 Dies bringt sie in die Nähe von ›Figuren des Wissens‹ oder ›epistemischen Dingen‹, auch wenn in Netzwerken der Schwer- punkt auf alltäglichen Praktiken und Techniken liegt. Ihr Charakter als Quasi-Objekt – weniger als kulturelle Leitmetapher oder besser: Leit- metonymie – lässt Netzwerke unaufhörlich Menschen, Tiere, Objekte und Institutionen verbinden. Ob dies noch gelten wird, wenn andere Dinge und Strukturen le- bensweltlich prägnanter werden, lässt sich kaum vorhersagen. Vorerst gibt es zu viele materielle, globale Umwelten durchziehende Netze und zu viele darauf setzende kommunikative Handlungen, als dass wir uns allzu weit vom Netzwerk als Quasi-Objekt der Wahl lösen könnten, selbst wenn die Netzmetapher ihren Glanz verliert. Es kommt darauf an, auch dies als einen bindemagischen Effekt zu verstehen. 11.2 Grenze. Was kein Netzwerk mehr ist I failed to find a connection.11 Patrick McGrath, Spider Et tout à coup, une chose, quelque chose apparaît, hors le réseau.12 Michel Serres Vielleicht ist es die Geschmeidigkeit des Netzwerkdiagramms, mit dem sich so viele Phänomene in Knoten, Linien, Relationen fassen und formalisieren lassen. Oder aber die seltsame Bezauberung durch die Bindemagie eines Quasi-Objektes. Jedenfalls lässt sich kaum mehr sagen, dass Netzwerktheorie als subversive »Methode mit einem kleinen ›m‹« (Donna Haraway) betrieben würde. Die Unausweichlichkeit des Denkens und Handelns in Netzwerken mag sich verlieren, auch wenn die materiellen Netze bleiben. Als universelles Erklärungsmodell, ge- rade in den Naturwissenschaften, scheinen formale Netzwerkanalysen aber noch längst nicht passé. Und zumindest solange das Internet als neutrales, offenes, emergentes Netz von Netzen funktioniert, werden Netzwerke als Kulturtechnik immer neu eingeübt. 10 »Das Symbol ist Quasi-Objekt, Quasi-Subjekt, ohne Zweifel bist du, bin ich Symbol.« Serres: Der Parasit, S. 382. 11 Patrick McGrath: Spider. New York: Vintage, 1990, S. 31. 12 Michel Serres: La naissance de la physique dans le texte de Lucrèce: fleuves et turbulences. Paris, 1977, S. 163. Was kein Netzwerk mehr ist 431 Allerdings will die soziale Widerständigkeit durch eine Dezentrierung der Macht, die sich einst im Schlagwort »Bildet Rhizome!« artikulierte, immer wieder neu erobert sein: Wenn Netzwerke zu statisch oder eta- bliert werden, setzt man kollektiv auf die agency des Schwarms. Man leitet die Kollektivität nicht aus der Konnektivität einzelner Personen her, sondern geht von einer Kollektivität aus, die im Schwärmen unmit- telbar gegeben ist. Aus dieser Kollektivität ergeben sich alle weiteren Verbindungen.13 Synchronität des Handelns soll hier ein natürlicher Zustand sein, der nicht mühsam über geordnete Synchronisation her- gestellt werden muss. Die Konjunktur des Schwarms weist über die Netzwerklogiken hinaus, auf denen sie in Teilen aufbaut.14 Nicht das Verfertigen von Objekten und Quasi-Objekten, sondern das kollektive, instinktive Handeln von Lebewesen wird zum Maßstab.15 Schwärme als soziale Formationen verabschieden das Werk im Netzwerk und möchten einfach nur momenthaft vernetzt – nicht vernetzwerkt – sein. Auch die Evolution der Funktechnologien sorgt dafür, dass eine all- gegenwärtige Sphäre der Zirkulation die kulturelle Logik von Knoten und Verbindung überlagert. Zwar kommen die Funkinfrastrukturen keineswegs ohne Kabelnetz aus. Sie folgen aber nicht nur einer anderen Epistemologie, sondern vor allem einer anderen räumlichen Logik.16 Während die Maschen eines Netzes je nach Dichte durchlässig sind, soll die Abdeckung des Landes per Funkzellen eigentlich keinerlei Unverbundenheit mehr kennen. So werden Funklöcher eher als durch- schnittene Kabel zur alltäglichsten Verbindungsstörung, die sich den Wünschen nach einer unmerklichen Allverfügbarkeit der Kommu- nikation entgegenstellt. Je normaler jedoch die mobile Nutzung des Internets wird, umso weniger soll sich noch eine Differenz von Netz und Umwelt ausmachen lassen. Wenn das Kommunikationsnetz zur Lebensumwelt werden soll, dann setzen hier analog zum Schwärmen neue Naturalisierungsphänomene ein: Verbindungen erfolgen dann mit Rechnerwolken, die freilich auch im Cloud Computing weiterhin in physischen Rechenzentren stehen. 13 Vgl. Eugene Thacker: »Networks, Swarms, Multitudes. Part I«. In: ctheory.net (2004). http://www.ctheory.net/articles.aspx?id=422. 14 Vgl. Sebastian Gießmann: »Netzwerkprotokolle und Schwarm-Intelligenz. Zur Konstruktion von Komplexität und Selbstorganisation«. In: Schwärme. Kollektive ohne Zentrum. Hrsg. von Eva Horn und Lucas Marco Gisi. Masse und Medium 7. Bielefeld: transcript, 2009, S. 163−182. 15 Vgl. Vehlken: Zootechnologien. 16 Vgl. Buschauer: Mobile Räume, S. 304 f. 432 Die Verbundenheit der Dinge Weder aber lässt sich der physische Raum komplett durchdringen und beherrschen, noch können Akteurs-Netzwerke oder Schwärme po- litische, ökonomische und juristische Grenzen einfach überqueren. Das Ende von Netzwerken ist bei soziotechnischen Formationen und fast verschwundenen Medien noch am ehesten ersichtlich, erinnert sei an Rohrpost, klassische Telefonvermittlung, Fernschreiber, Bruno Latours Aramis17 und Suchmaschinen vor Google. Oder man denke an all die lustvollen Fantasien des Zusammenbruchs, mit denen im populären Kino – z. B. in materialitätsfixierten Actionfilmserien wie Terminator und Die Hard (dt. Stirb Langsam) – Netze entwerkt werden.18 Weitaus schwieriger ist die Frage zu beantworten, wann und wie soziale Praktiken und kulturelle Formationen ihre Netzwerkform verlieren. Die englische Anthropologin Marilyn Strathern hat dazu bereits 1996 den vielleicht wichtigsten netzwerktheoretischen Text veröffent- licht. Er trägt den programmatischen Titel Cutting the Network und entwirft in knapper Form nicht nur eine Kritik des Netzwerkkonzepts der Akteur-Netzwerk-Theorie, sondern zeigt auch Konturen dessen auf, was ein Netzwerk begrenzt und zerteilt. Stratherns Argumente sind nach wie vor ein analytisch uneingelöstes Versprechen, denn die Begrenzung von Netzwerken interessiert bisher viel weniger als deren anhaltende Ausbreitung und Pflege. Dabei sind Stratherns Begründungen schlüssig, geht sie doch davon aus, dass sich soziale Netzwerke – ma- terielle Kultur inbegriffen – insgesamt durch eine fragile Temporalität auszeichnen. Diese kann durch vier Elemente unterbrochen werden: Ei- gentumsansprüche, den Halt des Geld- und Güteraustauschs, zerschnit- tene Verwandtschaftsbeziehungen und die begrenzte Beschreibbarkeit eines Netzwerks. »Hätten Netzwerke Längen, würden sie sich selbst stoppen«, notiert Strathern dazu.19 Dies ist zunächst eine methodische Frage: Jede identitätsbildende, aber auch jede analytische Erzählung eines Netzwerks muss an ein Ende kommen, um überhaupt wirken zu können. Man kann demgegenüber einwenden, dass jede gute Geschichte immer auch die Frage provoziert, wie es weitergeht.20 Dennoch hat die englische Anthropologin Recht, 17 Bruno Latour: Aramis ou l’amour des techniques. Paris: Editions La Découverte, 1992. 18 Vgl. Gießmann: »Netzstörungen. Erzählungen vom Ende der Netzwerke«. 19 Strathern: »Cutting the Network«, S. 523. 20 »In der Tat gibt es keine Erzählung, an der die Frage: Wie ging es weiter? ihr Recht verlöre.« Walter Benjamin: »Der Erzähler. Betrachtungen zum Werk Nikolai Lesskows«. In: Gesam- melte Schriften II.2. Hrsg. von Rolf Tiedemann und Hermann Schweppenhäuser. 2. Aufl. Frankfurt am Main: Suhrkamp, 1989 [1936], S. 438−465, hier S. 455. Was kein Netzwerk mehr ist 433 wenn sie die Stillstellung von Netzwerken als notwendige Unterbre- chung ihrer fortwährenden Erweiterung und Anschlussfähigkeit begreift. Wichtiger noch als dieser generelle ethnologische Einwand sind jedoch weitere, ganz reale Einschnitte. Es ist kein Zufall, dass bei Strathern ökonomische Transaktionen (und deren Halt) ebenso wie normative und juristische Begrenzungen der freien Assoziation und Netzwerkbildung ins Spiel gebracht werden. Ihre Beispiele hierfür sind ebenso naheliegend wie treffend: So limitiert das Patent für einen Bluttest auf Hepatitis C die Reichweite der sozialen Netzwerke, die für Entdeckung und Bekämpfung des Virus stabilisiert werden mussten. Anstatt die beteiligten gesamtgesellschaftlichen Netz- werke anzuerkennen, wird ein klarer, durch Patentierung justiziabel gewordener Besitzanspruch durchgesetzt, der wiederum das britische Gesundheitssystem sechs Millionen Pfund im Jahr kostet.21 Das Un- terhalten und Unterbrechen von Geldströmen zeichnet sich ebenfalls durch eine fragile Temporalität aus. Wirtschaftliche Transaktionen und der Austausch von verbindenden Objekten bedingen das Entstehen be- grenzter Netzwerke, die zugleich messbar werden. Ereignisse wie etwa der Tod einer Person bei den ’Are’are auf den Salomonen sorgen für eine Unterbrechung und Neukonfiguration: Während die Begräbnisze- remonie die alten Verbindungen sichtbar macht, blockiert sie zugleich deren künftige Effekte; die Verhältnisse des Verstorbenen werden in Gestalt anderer neu kombiniert.22 Stratherns anthropologische Miniaturen weisen weit über sich selbst und über das Ende dieses Buches hinaus. Denn während sich mein historisches Interesse auf die materielle Kultur soziotechnischer Netzwerke richtete, stoppten und stockten mit der Finanzkrise 2008 zunächst die finanziellen Flüsse. Der Zusammenbruch des gegenseitigen Systems der Schulden, Verbindlichkeiten und Gewinne stellt nicht nur die politisch-ökonomische, sondern die soziale und kulturelle Einheit Europas infrage. Weder stiftet allein die gemeinsame Währung eine dauerhafte geteilte europäische Identität. Noch wirken Infrastrukturpro- gramme als hinreichendes soziales Bindemittel für die europäische In- formations- und Netzwerkgesellschaft. Für ein Europa der heterogenen Netzwerke – einen Kontinent der fortwährenden Übersetzung und Kooperation – braucht es offenbar mehr Integration, als ökonomische 21 Vgl. Strathern: »Cutting the Network«, S. 524. 22 Ebd., S. 527 f. 434 Die Verbundenheit der Dinge und territoriale Vernetzung allein gewährleisten können. Auf dem Spiel stehen also die spezifisch europäischen Formen von Netzwerkkulturen und damit vielleicht die gemeinsame Identität schlechthin. Denn ohne die kulturtechnische Wirksamkeit von gemeinsamen Verabredungen, Erzählungen und Verträgen verliert ein Quasi-Objekt wie das Netzwerk seine Welthaltigkeit. Aus zerschnittenen Netzwerken aber werden sich neue Figuren und Formen des Austauschs bilden: Niemand soll sagen, dass das Netz allein für die Verbundenheit der Dinge einstehen müsste. Postscript Kurz nachdem dieses Buch im Mai 2013 beendet wurde, hat die Netz- werkgeschichte durch die mutigen Enthüllungen Edward Snowdens eine neue Wendung genommen. Mit den Echtzeit-Netzwerkanalysen der Geheimdienste kehrt der hegemoniale Anspruch der alten Fang- und Haltenetze in neuer Form wieder. Die langfristigen Auswirkungen der Dauerüberwachung vernetzter Kommunikation durch NSA, GCHQ & Co. auf demokratische Grundwerte und Menschenrechte sind noch unabsehbar, obwohl das Schlimmste zu befürchten ist. Absehbar ist, dass es gegenüber der wilden operativen Erlangung von network intelligence weltweiten Widerstands bedarf. Nach Snowden brauchen wir neben den überfälligen politischen Korrekturen auch neue kritische Theorien, mit denen sich der Missbrauch von Netzwerkmacht konterkarieren lässt. Anhang Übersetzungen stammen, insofern nicht anders ausgewiesen, vom Autor. Archivalien – darunter Patentschriften – werden jeweils in der Fußnote nachgewiesen, als Quellen benutzte Zeitungsartikel i. d. R. direkt im Literaturverzeichnis. Der letzte Zugriff bei Onlinetexten erfolgte, so nicht anders gekennzeichnet, am 21. Mai 2013. Forschungsliteratur, die nach diesem Zeitpunkt erschienen ist, konnte nicht mehr vollständig berücksichtigt werden. Beim vorliegenden Buch handelt es sich um die auf Grundlage der Gutachten überarbeitete und leicht gekürzte Fassung der Dissertations- schrift. Diese wurde am 7. Mai 2012 an der Philosophischen Fakultät III der Humboldt-Universität zu Berlin eingereicht und am 29. Oktober 2012 verteidigt. Einige Kapitel beruhen auf bereits publizierten, für dieses Buch erweiterten und durchgesehenen Aufsätzen.1 1 Kapitel 4: »Paris – Suez. Die Saint-Simonisten und die Kanäle des Kolonialen«. In: Archiv für Mediengeschichte. Stadt – Land – Fluss. Hrsg. von Lorenz Engell, Bernhard Siegert und Joseph Vogl. Weimar: Universitätsverlag, 2007, S. 117−132; Kapitel 5: »Stimmen sen- den. Versuch über das Wissen der Telefonvermittlung«. In: Sendungen. Mediale Konturen zwischen Botschaft und Fernsicht. Hrsg. von Wladimir Velminski. Kultur- und Medienthe- orie. Bielefeld: transcript, 2009, S. 133−153; Kapitel 6: »Graphen können alles. Visuelle Modellierung und Netzwerktheorie vor 1900«. In: Visuelle Modelle. Hrsg. von Ingeborg Reichle, Steffen Siegel und Achim Spelten. München: Fink, 2008, S. 269−284; »Ganz klein, ganz groß. Jacob Levy Moreno und die Geschicke des Netzwerkdiagramms«. In: Medien in Zeit und Raum. Maßverhältnisse des Medialen. Hrsg. von Ingo Köster und Kai Schuster. Medienumbrüche 34. Bielefeld: transcript, 2009, S. 267−292; Kapitel 7: »Synchronisation im Diagramm. Henry C. Beck und die Londoner Tube Map von 1933«. In: Kulturtechni- ken der Synchronisation. Kulturtechnik. Hrsg. von Christian Kasung und Thomas Macho. München: Fink, 2013, S. 339−364; Kapitel 9: »Netzwerk-Zeit, Zeit der Netzwerke. Frag- mente zur Datenökonomie um 1960«. In: Zeitkritische Medien. Hrsg. von Axel Volmar. Berliner Programm einer Medienwissenschaft 5. Berlin: Kadmos, 2009, S. 239−253; Kapitel 10: »Sternbilder des Kapitalismus. Pollux, Lombardi und die Zeichen der ökonomischen Verschwörung«. In: The Parallax View. Zur Mediologie der Verschwörung. Hrsg. von Marcus Krause, Arno Meteling und Markus Stauff. Mediologie 22. München: Fink, 2011, S. 331−349. Dank Hartmut Böhme, Christian Kassung und Erhard Schüttpelz gebührt Dank für die umfassende Betreuung der Doktorarbeit. Die Gerda- Henkel-Stiftung hat durch Stipendium und Reisemittel das Vorhaben maßgeblich unterstützt. Der Berliner Exzellenzcluster TOPOI und das Siegener Graduiertenkolleg »Locating Media« förderten die Entste- hung, das Darmstädter Graduiertenkolleg »Topologie der Technik« die Überarbeitung des Textes. Wolfram Burckhardt und Claudia Oestmann haben das Buchprojekt von Seiten des Kulturverlags Kadmos liebevoll betreut. Genau gelesen, kritisiert und ermutigt haben Anna Echterhölter, Jasmin Mersmann, Eva Johach, Albert Kümmel-Schnur, Steffen Siegel, Christine Schnaithmann, Axel Volmar und Dietmar Kammerer. Jan- Frederik Bandel verdanke ich das sorgfältige Lektorat, David Sittler und Ursula Gießmann die letzten Korrekturen. Markus Karrer gab juristische Beratung zur rechten Zeit. Unverzichtbar und inspirierend war der Austausch mit Jörn Adler, Inge Baxmann, Thomas Becker, Maximilian Benz, Dietrich Boschung, Regine Buschauer, Mark Butler, Catarina Caetano da Rosa, Michel Cal- lon, chris cheek, Iris Därmann, Gioia Dal Molin, Jörg Dünne, Marten Düring, Philipp Ekardt, Lorenz Engell, Christoph Engemann, Robert Felfe, Rainer Fischbach, Alexander Friedrich, Ursula Frohne, Alexander Galloway, Petra Gehring, Sokratis Georgiadis, Nacim Ghanbari, Lucas Marco Gisi, Melanie Gruß, Stephan Günzel, Wolfgang Hagen, Karin Harrasser, Mikael Hård, Eva Horn, Henry Jenkins, Michael Kerber, Namsee Kim, Sybille Krämer, Rebekka Ladewig, Mareike Layer, Ge- ert Lovink, Gustav-Adolf Lehmann, Thomas Macho, Kirsten Mahlke, Dieter Mersch, Lutz Musner, Jussi Parikka, Sebastian Quack, Bernhard Rieder, Detlef Rößler, Mathilde Roussat, Gabriele Schabacher, Pascal Schillings, Hans-Dieter Schmidt, Jens Schröter, Sebastian Schwesinger, Oliver Lerone Schulz, Achim Spelten, Florian Sprenger, Markus Stauff, Kirsten Wagner, Franziska Weber, Heike Weber, Nadine Taha, Eugene Thacker, William Uricchio, Sebastian Vehlken, Erik van der Vleuten, 438 Dank Joseph Vogl, Niels Werber, Daniel Werning, den Forschungskolloquien von Hartmut Böhme, Natascha Adamowsky und Christian Kassung, den Studierenden der Seminare »Was ist ein Netzwerk?« (HU Berlin, Sommersemester 2007), »Am Apparat. Ein Telephonseminar« (Win- tersemester 2008 / 2009) und allen hilfreichen Personen in Bibliotheken und Archiven. Durch die Höhen und Tiefen der letzten Jahre hat mich meine Frau Ursula begleitet. Ihr und meinen Eltern ist dieses Buch in Liebe gewidmet. Archive Bibliothèque de l’Arsenal, Paris International Telecommunication Union Library and Archives, Genf Library of Congress Manuscript Collection, Washington DC Massachusetts Institute of Technology. Institute Archives and Special Collections, Cambridge, Massachusetts Musée de la Poste, Paris United States Patent Office, Alexandria, Virginia University of Connecticut, Archives & Special Collections at the Thomas J. Dodd Research Center. Storrs, Connecticut University of Minnesota Digital Conservancy, http://conservancy.umn.edu The Warburg Institute Archive, London Zentralbibliothek Zürich, Handschriftenabteilung Literatur Abbate, Janet: Inventing the Internet. Inside Technology. Cambridge, MA; London: MIT Press, 2000. Adamowsky, Natascha: »Spiel und Wissenschaftskultur. Eine Anleitung«. In: Die Vernunft ist mir noch nicht begegnet. Zum konstitutiven Verhältnis von Spiel und Erkenntnis. Hrsg. von Natascha Adamowsky. Bielefeld: transcript, 2005, S. 11−30. Adams, Brook u. a.: Sensation. Young British Artists from the Saatchi Collection. London: Thames & Hudson, 1997. Adelmann, Howard B.: Marcello Malpighi and the Evolution of Embryology. Bd. 1. Ithaca: Cornell University Press; London: Oxford University Press, 1966. – Marcello Malpighi and the Evolution of Embryology. Bd. 2. Ithaca: Cornell University Press; London: Oxford University Press, 1966. Aelian: On The Characteristics of Animals (De natura animalium), Books I−V. Hrsg. von Alwyn Faber Scholfied. Bd. 1. Loeb Classical Library 446. Cambridge, MA: Harvard University Press, 1958. – On The Characteristics of Animals (De natura animalium), Books VI−XI. Hrsg. von Alwyn Faber Scholfied. Bd. 2. Loeb Classical Library 448. Cambridge, MA: Harvard University Press, 1959. Aelianus, Claudius: Bunte Geschichten. Leipzig: Reclam, 1990. Agamben, Giorgio: Signatura rerum. Zur Methode. es 2585. Frankfurt am Main: Suhrkamp, 2009. »Agreement on the Establishment of a European Informatics Network (with annex). Concluded at Brussels on 23 November 1971«. In: United Nations Treaty Series. Bd. 1262. I-20750. New York: Vereinte Nationen, 1982, S. 311−342. Ahrens, Wilhelm: Mathematische Unterhaltungen und Spiele. Leipzig: Teubner, 1901. Aischylos: Werke in einem Band. Hrsg. von Jürgen Werner. Übersetzt von Johann Gustav Droysen. Überarbeitet von Wiktor Steffen. Berlin; Leipzig: Aufbau, 1968. – Tragödien und Fragmente. Hrsg. von Bernhard Zimmermann. München; Zürich: Artemis, 1988. Alliot, Maurice: »Les rites de chasse au filet, aux temples de Karnak, d’Edfou et d’Esneh«. In: Revue d’Égyptologie 5 (1946), S. 57−118. 440 Literatur Ampère, André-Marie: Essai sur la philosophie des sciences ou exposition analy- tique d’une classification naturelle de toutes les connaissances humaines. Paris: Bachelier, 1834. Anderson, Benedict: Imagined Communities. An Inquiry into the Origins and Spread of Nationalism. 2. Aufl. London: Verso, 1991. Anonymous: A Tale of a Tub. Written for the Universal Improvement of Mankind. To which is added, An Account of a Battel between the Antient and Modern Books in St. James’s Library. 2. Aufl. London: Printed for John Nutt, 1704. – »Hello, Main, Good By: Strowger’s Telephone Attachment Dispenses with Girls«. In: Chicago Daily Tribune, 4. November 1892, S. 1. – »No More ›Hello‹ Girls. Description of an Invention for Making Telephone Connections«. In: Chicago Daily Tribune, 31. Oktober 1892, S. 7. – »Takes the Place of ›Hello‹ Girls. Automatic Telephone System in Successful Operation at La Porte«. In: Chicago Daily Tribune, 2. November 1892, S. 1. – »Electrical Development in England«. In: Electrical World 82.21 (1923). 24. November, S. 1055−1058. – »Centralised Control of Railway Traffic«. In: The Railway Gazette and Railway News, 22. Januar 1932, S. 106−107, 115. – »Public Notes on Railways«. In: Railway Gazette and Railway News, 8. Januar 1932, S. 44−45. – »Emotions Mapped by New Geography. Charts Seek to Portray the Psychological Currents of Human Relationships«. In: New York Times, 3. April 1933, S. 17. – Games bring record London Underground users, 4. August 2012. http://www. bbc.co.uk/news/uk-england-london-19125580. – Thank you for Getting Ahead of the Games, 4. August 2012. http://www.geta- headofthegames.com. Aradau, Claudia und Tobias Blanke: »Governing Circulation. A Critique of the Biopolitics of Security«. In: Security and Global Governmentality. Globalization, Governance and the State. Hrsg. von Miguel de Larrinaga und Marc G. Doucet. London: Routledge, 2010. http://oro.open.ac.uk/21481/2/security_circulationA- radauBlanke.pdf. Arendt, Hannah: The Origins of Totalitarianism. 2. Aufl. Cleveland; New York: Meridian Books, 1958. Aristophanes: Komödien. Weimar: Volksverlag, 1959. Aristoteles: Tierkunde. Hrsg. von Paul Gohlke. 2. Aufl. Paderborn: Schöningh, 1957. – Über die Seele. Hrsg. von Horst Seidl. Hamburg: Meiner, 1995. Arnst, Caris-Beatrice: »Vernetzung. Zur Symbolik des Mumiennetzes«. In: IBAES. Internet-Beiträge zur Ägyptologie und Sudanarchäologie 1 (1998), S. 79−93. http://www2.hu-berlin.de/nilus/net-publications/ibaes1/Arnst/text.pdf. Arquilla, John und David F. Ronfeldt: Networks and Netwars. The Future of Terror, Crime, and Militancy. Santa Monica: RAND, 2001. Artaud, Antonin: Das Theater und sein Double. Das Théâtre de Séraphin. Frankfurt am Main: Fischer, 1989. Asendorf, Christoph: Ströme und Strahlen. Das langsame Verschwinden der Materie um 1900. Gießen: Anabas, 1989. Assmann, Jan: Ägypten. Eine Sinngeschichte. München; Wien: Hanser, 1996. – Das kulturelle Gedächtnis. Schrift, Erinnerung und politische Identität in frühen Hochkulturen. 6. Aufl. München: Beck, 2007. Augé, Marc: Un ethnologue dans le métro. 2. Aufl. Paris: Hachette, 2002. Literatur 441 Augustinus: Die christliche Bildung / De doctrina christiana. Hrsg. von Karla Poll- mann. Stuttgart: Reclam, 2002. Autenrieth, Ulla u. a., Hrsg.: Dis Connecting Media. Technik, Praxis und Ästhetik des Telefons: Vom Festnetz zum Handy. Basel: Merian, 2011. Bacon, Francis: Neues Organon. Lateinisch–Deutsch. Hrsg. von Wolfgang Krohn. 2. Aufl. Philosophische Bibliothek 400. Hamburg: Meiner, 1999. – The Advancement of Modern Learning. Hrsg. von Michael Kiernan. The Oxford Francis Bacon IV. Oxford: Clarendon Press, 2000. Baecker, Dirk: »Handeln im Netzwerk. Zur Problemstellung der Soziologie«. In: Relationale Soziologie. Zur kulturellen Wende der Netzwerkforschung. Hrsg. von Jan Fuhse und Sophie Mützel. Netzwerkforschung 2. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften, 2010, S. 233−256. Ballestra-Puech, Sylvie: Métamorphoses d’Arachné. L’artiste en araignée dans la litterature occidentale. Histoire des idées et critique littéraire 426. Genf: Librairie Droz, 2006. Baltrusch, Ernst: Symmachie und Spondai. Untersuchungen zum griechischen Völkerrecht der archaischen und klassischen Zeit (8.−5. Jahrhundert v. Chr.) Untersuchungen zur antiken Literatur und Geschichte. Berlin; New York: de Gruyter, 1994. Barabási, Albert-László: Linked. The New Science of Networks. Cambridge, MA: Perseus, 2002. Baran, Paul: Memorandum RM-3097-PR. On Distributed Communications: V. History, Alternatives Approaches, and Comparions. Techn. Ber. RAND Corpo- ration, 1964. http://www.rand.org/content/dam/rand/pubs/research_memoran- da/2008/RM3097.pdf. – Memorandum RM-3420-PR. On Distributed Communications. Techn. Ber. RAND Corporation, 1964. http://www.rand.org/publications/RM/RM3420. – Memorandum RM-3767-PR. On Distributed Communications: XI. Summary Overview. Techn. Ber. RAND Corporation, 1964. http://www.rand.org/content/ dam/rand/pubs/research_memoranda/2006/RM3767.pdf. – »On Distributed Communications Networks«. In: IEEE Transactions on Com- munications 12 (1964), S. 1−9. Barber, Elizabeth J. Wayland: Prehistoric Textiles. The Development of Cloth in Neolithic and Bronze Ages with Special Reference ot the Aegean. Princeton, NJ: Princeton University Press, 1991. Barber, Elizabeth J. Wayland: »The Peplos of Athena«. In: Goddess and Polis. The Panathenaic Festival in Ancient Athens. Hrsg. von Jenifer Neils. Princeton, NJ: Princeton University Press, 1992, S. 103−117. Barker, Theodore Cardwell und Michael Robbins: A History of London Transport. Passenger Travel and the Development of the Metropolis. Bd. II. London: George Allen & Unwin, 1974. Barkhoff, Jürgen, Hartmut Böhme und Jeanne Riou, Hrsg.: Netzwerke. Eine Kul- turtechnik der Moderne. Köln: Böhlau, 2004. Barman, Christian: The Man Who Built London Transport. A Biography of Frank Pick. Newton Abbot; London; North Pomfret: David & Charles, 1979. Barnekow, Rolf: »Wählen statt Rufen – die automatische Vermittlung«. In: Fräulein vom Amt. Hrsg. von Helmut Gold und Annette Koch. München: Prestel, 1993, S. 86−93. Barnes, John A.: »Class and Committees in a Norwegian Island Parish«. In: Human Relations 7 (1954), S. 39−58. 442 Literatur Barrett, John Patrick: Electricity at the Columbian Exposition. Including an account of the exhibits in the Electricity Building, the power plant in Machinery Hall, the arc and incandescent lighting of the grounds and buildings etc. Chicago: Donnelley & Sons Company, 1894. Bartels, Uwe: EDFU. Die Darstellungen auf den Außenseiten der Umfassungsmauer und auf dem Pylonen. Strichzeichnungen und Photographien. Hrsg. von Dieter Kurth. Die Inschriften des Tempels von Edfu. Abteilung II: Dokumentationen. Wiesbaden: Harrassowitz, 2009. Barthes, Roland: Die Lust am Text. Frankfurt am Main: Suhrkamp, 1974. Bartholini, Thomas und Marcello Malpighi: Thomae Bartolini De Pulmonum Substantia & Motu Diatribe: Accedunt Cl. V. Marcelli Malphigij de Pulmoni- bus Observationes Anatomicae. Hafniae: Typis Henrici Gödiani R. & Ac.Typ. Prostant apud P. Hauboldum, 1663. Bärwolff, Matthias: »End-to-End Arguments in the Internet. Principles, Prac- tices, and Theory«. Diss. TU Berlin, 2010. http://opus.kobv.de/tuberlin/voll- texte/2010/2830/pdf/baerwolff_matthias.pdf. Baudelaire, Charles: »Le Cygne / Der Schwan«. In: Sämtliche Werke in 8 Bänden. Bd. 3. Frankfurt am Main: Zweitausendeins, 1995 [1857], S. 226−231. Bauer, Matthias und Christoph Ernst: Diagrammatik. Einführung in ein kultur- und medienwissenschaftliches Forschungsfeld. Kultur- und Medientheorie. Bielefeld: transcript, 2010. Baumann, Georg: Atlantikpakt der Konzerne. Die internationale Kapitalverflechtung in Westdeutschland. Berlin: Verlag die Wirtschaft, 1952. – Eine Handvoll Konzernherren. Berlin: Volk und Welt, 1953. Baumgarten, Helmut, Hrsg.: Das Beste der Logistik. Innovationen, Strategien, Umsetzungen. Berlin u. a.: Springer, 2008. Baxmann, Inge: »Der Körper als Gedächtnisort. Bewegungswissen und die Dynami- sierung der Wissenskulturen im frühen 20. Jahrhundert«. In: Deutungsräume. Bewegungswissen als kulturelles Archiv der Moderne. Hrsg. von Inge Baxmann und Franz Anton Cramer. Wissenskulturen im Umbruch 1. München: K. Kieser, 2005, S. 15−35. Bayly, Christopher A.: Die Geburt der modernen Welt. Eine Globalgeschichte 1760−1914. Frankfurt; New York: Campus, 2008. Becker, Abraham Mario: Handbuch der Dynamischen Netzplantechnik für die Planung und Überwachung von Aufträgen. 3. Aufl. Winterthur: Gebrüder Sulzer, 1970. Becker, Thomas: Mann und Weib – schwarz und weiß. Die wissenschaftliche Konstruktion von Geschlecht und Rasse 1650−1900. Frankfurt am Main u. a.: Campus, 2005. Beckert, Jens: »Soziologische Netzwerkanalyse«. In: Aktuelle Theorien der Sozio- logie. Von Shmuel N. Eisenstadt bis zur Postmoderne. Hrsg. von Dirk Kaesler. München: Beck, 2005, S. 286−312. Behringer, Wolfgang: »Netzwerk«. In: Enzyklopädie der Neuzeit 9. Naturhaus- halt – Physiokratie. Hrsg. von Friedrich Jaeger. Stuttgart; Weimar: J. B. Metzler, 2009, S. 98−100. Belliger, Andréa und David J. Krieger: »Einführung in die Akteur-Netzwerk-Theorie«. In: ANThology. Ein einführendes Handbuch zur Akteur-Netzwerk-Theorie. Hrsg. von dens. Bielefeld: transcript, 2006, S. 13−50. Belloni, Luigi: »Die Entstehungsgeschichte der mikroskopischen Anatomie«. In: Frühe Anatomie. Hrsg. von Robert Herrlinger und Fridolf Kudlien. Stuttgart: Literatur 443 Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft, 1967, S. 269−296. Belting, Hans: Bild-Anthropologie. Entwürfe für eine Bildwissenschaft. München: Fink, 2001. Benjamin, Walter: »Kapitalismus als Religion«. In: Gesammelte Schriften VI. Hrsg. von Rolf Tiedemann und Hermann Schweppenhäuser. Frankfurt am Main: Suhrkamp, 1985 [1921], S. 100−103. – »Zur Kritik der Gewalt«. In: Gesammelte Schriften II.1. Hrsg. von Rolf Tiede- mann und Hermann Schweppenhäuser. stw 932. Frankfurt am Main: Suhrkamp, 1991 [1921], S. 179−203. – »Ursprung des deutschen Trauerspiels«. In: Abhandlungen. Gesammelte Schrif- ten I.1. Hrsg. von Rolf Tiedemann und Hermann Schweppenhäuser. stw 931. Frankfurt am Main: Suhrkamp, 1991 [1925], S. 203−430. – »Zum Bilde Prousts«. In: Gesammelte Schriften II.1. Hrsg. von Rolf Tiedemann und Hermann Schweppenhäuser. stw 932. Frankfurt am Main: Suhrkamp, 1991 [1929], S. 310−324. – »Über das mimetische Vermögen«. In: Gesammelte Schriften II.1. Hrsg. von Rolf Tiedemann und Hermann Schweppenhäuser. Frankfurt am Main: Suhrkamp, 1991 [1933], S. 210−213. – Das Passagen-Werk. Gesammelte Schriften Band V.1. Hrsg. von Rolf Tiedemann. stw 935. Frankfurt am Main: Suhrkamp, 1991 [1935−1939]. – Das Passagen-Werk. Gesammelte Schriften Band V.2. Hrsg. von Rolf Tiedemann. stw 935. Frankfurt am Main: Suhrkamp, 1991 [1935−1939]. – »Der Erzähler. Betrachtungen zum Werk Nikolai Lesskows«. In: Gesammelte Schriften II.2. Hrsg. von Rolf Tiedemann und Hermann Schweppenhäuser. 2. Aufl. Frankfurt am Main: Suhrkamp, 1989 [1936], S. 438−465. Benveniste, Émile: Indoeuropäische Institutionen. Wortschatz, Geschichte, Funkti- onen. Frankfurt am Main; New York: Campus, 1993. Berg, Rolph u. a.: Netzplantechnik. Grundlagen – Methoden – Praxis. Schriftenrei- he des Betriebswissenschaftlichen Instituts der ETH Zürich 3. Zürich: Verlag industrielle Organisation, 1973. Bergemann, Lutz u. a.: »Transformation. Ein Konzept zur Erforschung kulturellen Wandels«. In: Transformation. Ein Konzept zur Erforschung kulturellen Wandels. Hrsg. von Hartmut Böhme u. a. München: Fink, 2011, S. 39−56. Bernsen, Michael und Martin Neumann, Hrsg.: Die französische Literatur des 19. Jahrhunderts und der Orientalismus. Tübingen: Max Niemeyer, 2006. Bertin, Jacques: Graphische Semiologie. Diagramme – Netze – Karten. Berlin; New York: de Gruyter, 1974. Bidoli, Dino: Die Sprüche der Fangnetze in den altägyptischen Sargtexten. Abhand- lungen des Deutschen Archäologischen Instituts Kairo. Ägyptologische Reihe 9. Glückstadt: J. J. Augustin, 1976. Biggs, Charlotte: »Das Panorama, oder La Nature A Coup d’Œil«. In: Nach Feier- abend. Zürcher Jahrbuch für Wissensgeschichte 1. Bilder der Natur – Sprachen der Technik. Zürich; Berlin: diaphanes, 2005, S. 33−55. Biggs, Norman L., Edward Keith Lloyd und Robin James Wilson, Hrsg.: Graph Theory 1736−1936. 2. Aufl. Oxford: Clarendon Press, 1977. Binczek, Natalie und Georg Stanitzek, Hrsg.: Strong ties / Weak ties. Freundschafts- semantik und Netzwerktheorie. Heidelberg: Winter, 2010. Birk, Alfred und Karl Hermann Müller-Hamburg: Der Suezkanal. Seine Geschichte und seine wirtschaftspolitische Bedeutung für Europa, Indien und Ägypten. Hamburg: Boysen & Maasch, 1925. 444 Literatur Black, Max: Models and Metaphors. Studies in Language and Philosophy. Ithaca, NY: Cornell University Press, 1962. Blattner, Evamarie: Holzschnittfolgen zu den Metamorphosen des Ovid. Beiträge zur Kunstwissenschaft 72. München: scaneg, 1998. Blok, Anton: Die Mafia in einem sizilianischen Dorf 1860−1960. Eine Studie über gewalttätige bäuerliche Unternehmer. es 1082. Frankfurt am Main: Suhrkamp, 1981. Blumenberg, Hans: Die Lesbarkeit der Welt. 2. Aufl. stw 592. Frankfurt am Main: Suhrkamp, 1989. Blumentrath, Hendrik u. a., Hrsg.: Techniken der Übereinkunft. Zur Medialität des Politischen. Kaleidogramme 38. Berlin: Kadmos, 2009. Blumtritt, Oskar: Nachrichtentechnik. Sender – Empfänger – Übertragung – Ver- mittlung. München: Deutsches Museum, 1997. Blyth, Elizabeth: Karnak. Evolution of a Temple. London; New York: Routledge, 2006. Boccaccio, Giovanni: Famous Women. Hrsg. von Virginia Brown. Tatti Renaissance Library I. Cambridge, MA: Harvard University Press, 2001. Boehm, Gottfried: »Die Wiederkehr der Bilder«. In: Was ist ein Bild? Hrsg. von Gottfried Boehm. Bild und Text. München: Fink, 1994, S. 11−38. – »Ikonische Differenz«. In: Rheinsprung 11 – Zeitschrift für Bildkritik 1 (2011), S. 170−178. http://rheinsprung11.unibas.ch/fileadmin/documents/Edition_PDF/ Ausgabe 1/glossar-boehm.pdf. Boenke, Michaela: Körper, Spiritus, Geist. Psychologie vor Descartes. Humanistische Bibliothek Reihe I, Band 57. München: Fink, 2005. Boer, Cornelis de, Hrsg.: Ovide moralisé. Poème du commencement du quatorzième siècle. Verhandelingen der Koninklijke Akademie van Wetenschappen te Amster- dam. Afdeeling Letterkunde. Nieuwe Reeks 21. Amsterdam: Johannes Müller, 1920. Bogen, Steffen: »Logische und ästhetische Experimente. Diagramme bei Peirce und Duchamp«. In: Räume der Zeichnung. Hrsg. von Angela Lammert u. a. Nürn- berg: Verlag für moderne Kunst, 2007, S. 38−56. Böhme, Gernot und Hartmut Böhme: Feuer, Wasser, Erde, Luft. Eine Kulturge- schichte der Elemente. München: Beck, 1996. Böhme, Hartmut: »Netzwerke. Zur Theorie und Geschichte einer Konstruktion«. In: Netzwerke. Eine Kulturtechnik der Moderne. Hrsg. von Jürgen Barkhoff, Hartmut Böhme und Jeanne Riou. Köln: Böhlau, 2004, S. 17−36. – Hrsg.: Topographien der Literatur. Deutsche Literatur im transnationalen Kon- text. Stuttgart; Weimar: Metzler, 2005. – »Von der Vernetzung zur Virtualisierung der Städte: Ende der Philosophie – Be- ginn des Neuen Jerusalem?« In: Constructing Utopia. Konstruktionen künst- licher Welten. Hrsg. von Annett Zinsmeister. Berlin; Zürich: Diaphanes, 2005, S. 141−155. – »Bildevidenz, Augentäuschung und Zeugenschaft in der Wissenschaft des Un- sichtbaren im 17. Jahrhundert«. In: Dissimulazione onesta oder Die ehrliche Verstellung. Von der Weisheit der versteckten Beunruhigung in Wort, Bild und Tat. Martin Warnke zu Ehren. Ein Symposion (2003). Hrsg. von Horst Brede- kamp u. a. Hamburg: Philo Fine Arts, 2007, S. 13−42. – »Vorwort«. In: Übersetzung und Transformation. Hrsg. von Hartmut Böhme, Christof Rapp und Wolfgang Rösler. Transformationen der Antike 1. Berlin; New York: de Gruyter, 2007, S. V−XIII. Literatur 445 – »Einladung zur Transformation«. In: Transformation. Ein Konzept zur Erfor- schung kulturellen Wandels. Hrsg. von Hartmut Böhme u. a. München: Fink, 2011, S. 7−37. Böhme, Hartmut u. a., Hrsg.: Transformation. Ein Konzept zur Erforschung kultu- rellen Wandels. München: Fink, 2011. Boltanski, Luc und Ève Chiapello: Der neue Geist des Kapitalismus. édition discours 38. Konstanz: UVK, 2003. Bolt, Beranek und Newman Inc.: Report No. 1822. Interface Message Processor. Specifications for the Interconnection of a Host and an IMP. Techn. Ber., 1976. http://www.bitsavers.org/p df/bbn/imp/BBN1822_Jan1976.pdf. Bonner, Robert J.: Lawyers and Litigants in Ancient Athens. Chicago: University of Chicago Press, 1927. Borchardt-Hume, Achim, Hrsg.: Albers and Moholy-Nagy – from Bauhaus to the New World. London: Tate Publications, 2006. Börnchen, Stefan, Georg Mein und Martin Roussel, Hrsg.: Name, Ding. Referenzen. München: Fink, 2012. Botzenhardt, Axel C.: Japan als Netzwerkgesellschaft. München: iudicium, 1997. Boyle, Antony James: »Ovid and Greek Myth«. In: The Cambridge Companion to Greek Mythology. Hrsg. von Andrew V. V. Raymond. Cambridge; New York: Cambridge University Press, 2007, S. 355−381. Brand, Stewart: »Founding Father. Interview mit Paul Baran«. In: Wired 9 (2003). http://www.wired.com/wired/archive/9.03/baran_pr.html. Brandeis, Louis: Other People’s Money and How the Bankers Use it. New York: Frederick A. Stokes, 1914. Brändle, Rainer: »Abenteuer der Dialektik. Ein Gemälde Veroneses in Sempruns Roman Der weiße Berg«. In: Überschreitungen. Dialoge zwischen Literatur- und Theaterwissenschaft, Architektur und Bildender Kunst. Festschrift für Leonhard M. Fiedler. Hrsg. von Jörg Sader und Anette Wörner. Würzburg: Königshausen & Neumann, 2002, S. 329−338. Braudel, Fernand: »Geschichte und Sozialwissenschaften. Die longue durée«. In: Schrift und Materie der Geschichte. Vorschläge zur systematischen Aneignung historischer Prozesse. Hrsg. von Claudia Honegger. es 814. Frankfurt am Main: Suhrkamp, 1977, S. 47−85. – Das Mittelmeer und die mediterrane Welt in der Epoche Philipps II. 2. Aufl. Bd. 1. Frankfurt am Main: Suhrkamp, 2001. – Das Mittelmeer und die mediterrane Welt in der Epoche Philipps II. 2. Aufl. Bd. 2. Frankfurt am Main: Suhrkamp, 2001. Brauns, Jörg: Schauplätze. Zur Architektur visueller Medien. Berlin: Kadmos, 2007. Bredekamp, Horst: Theorie des Bildakts. Frankfurter Adorno-Vorlesungen 2007. Berlin: Suhrkamp, 2010. Bredekamp, Horst, Birgit Schneider und Vera Dünkel, Hrsg.: Das technische Bild. Kompendium zu einer Stilgeschichte technischer Bilder. Berlin: Akademie Verlag, 2008. Breidbach, Olaf: Die Materialisierung des Ichs. Zur Geschichte der Hirnforschung im 19. und 20. Jahrhundert. Frankfurt am Main: Suhrkamp, 1995. – »Vernetzungen. Zur Tradition eines aktuellen Denkmusters«. In: Trajekte 8.16 (2008), S. 29−33. Bretzke, Wolf-Rüdiger: Logistische Netzwerke. 2. Aufl. Heidelberg u. a.: Springer, 2010. 446 Literatur Bristowe, W. S.: »Spider Superstitions and Folklore«. In: Transactions of the Connec- ticut Academy of Arts and Sciences. In Honor of Alexander Petrunkevich. Bd. 36. New Haven, CT: Connecticut Academy of Arts und Sciences, 1945, S. 53−90. Broch, Jan, Markus Rassiller und Daniel Scholl, Hrsg.: Netzwerke der Moderne. Erkundungen und Strategien. Forum. Studien zur Moderneforschung 3. Würz- burg: Königshausen & Neumann, 2007. Bucher, Sebastian: »Das Diagramm in den Bildwissenschaften. Begriffsanalytische, gattungstheoretische und anwendungsorientierte Ansätze in der diagrammthe- oretischen Forschung«. In: Verwandte Bilder. Die Fragen der Bildwissenschaft. Hrsg. von Ingeborg Reichle, Steffen Siegel und Achim Spelten. 2. Aufl. Berlin: Kadmos, 2008, S. 113−129. Buer, Ferdinand, Hrsg.: Morenos therapeutische Philosophie. Die Grundlagen von Psychodrama und Soziometrie. 3. Aufl. Opladen: Leske + Budrich, 1999. Buffa, Sebastian, Hrsg.: Antonio Tempesta. Italian Masters of the Sixteenth Century. The Illustrated Bartsch 36. New York: Abaris Books, 1983. Bühler, Benjamin und Stefan Rieger: Vom Übertier. Ein Bestiarium des Wissens. es 2459. Frankfurt am Main: Suhrkamp, 2006. Bunting, David: »Origins of the American Corporate Network«. In: Social Science History 7.2 (1983), S. 129−142. Bunz, Mercedes: Vom Speicher zum Verteiler. Die Geschichte des Internet. Berlin: Kadmos, 2008. Bürgi, Markus: »Bähler [Baehler], Georges«. In: Historisches Lexikon der Schweiz (HLS). Bern: HLS, 2005. http://www.hls-dhs-dss.ch/textes/d/D15156.php. Burkert, Walter: Homo necans. Interpretationen altgriechischer Opferriten und Mythen. Berlin; New York: de Gruyter, 1972. – Griechische Religion der archaischen und klassischen Epoche. Die Religionen der Menschheit 15. Stuttgart; Berlin; Köln; Mainz: Kohlhammer, 1977. Buschauer, Regine: Mobile Räume. Medien- und diskursgeschichtliche Studien zur Tele-Kommunikation. Kultur- und Medientheorie. Bielefeld: transcript, 2010. Calame-Griaule, Geneviève: Ethnologie et langage. La parole chez les Dogon. 2. Aufl. Travaux et mémoires de l’Institut d’Ethnologie 79. Paris: Institut de l’Ethnologie, 1987. Callon, Michel: »Einige Elemente einer Soziologie der Übersetzung. Die Domestika- tion der Kammmuscheln und der Fischer der St. Brieuc-Bucht«. In: ANThology. Ein einführendes Handbuch zur Akteur-Netzwerk-Theorie. Hrsg. von Andréa Belliger und David J. Krieger. Bielefeld: transcript, 2006, S. 135−174. – »Techno-ökonomische Netzwerke und Reversibilität«. In: ANThology. Ein ein- führendes Handbuch zur Akteur-Netzwerk-Theorie. Hrsg. von Andréa Belliger und David J. Krieger. Bielefeld: transcript, 2006, S. 309−342. Campbell-Kelly, Martin und William Aspray: Computer. A History of the Infor- mation Machine. 2. Aufl. Sloan Technology Series. Boulder; Oxford: Westview Press, 2004. Campe, Rüdiger: »Pronto! Telefonate und Telefonstimmen (57322)«. In: Diskursa- nalysen 1. Medien. Hrsg. von Friedrich Kittler, Manfred Schneider und Samuel Weber. Opladen: Westdeutscher Verlag, 1987, S. 68−93. Cantimpratensis, Thomas: Liber de natura rerum. Hrsg. von Helmut Boese. Berlin; New York: de Gruyter, 1973. Cardano, Girolamo: Liber de ludo aleae. Hrsg. von Massimo Tamborine. Mailand: Angeli, 2006 [1564]. Literatur 447 Carr, Stephen C., Stephen D. Crocker und Vinton Gray Cerf: »HOST-HOST Com- munication Protocol in the ARPA network«. In: AFIPS Conference Proceedings. Spring Joint Computers Conference. May 5−7, 1970. Atlantic City, New Jersey. Bd. 36. New York: ACM Press, 1970, S. 589−597. Cassirer, Ernst: »Substanzbegriff und Funktionsbegriff. Untersuchungen über die Grundfragen der Erkenntniskritik«. In: Gesammelte Werke 6. Hamburger Aus- gabe. Hrsg. von Birgit Recki. Hamburg: Meiner, 2000. Casson, Herbert N.: The History of the Telephone. Ohne Ortsangabe: Dodo Press, 2006 [1910]. Castells, Manuel: The Rise of the Network Society. 2. Aufl. Oxford; Malden, MA: Blackwell Publishers, 2000. – The Internet Galaxy. Reflections on the Internet, Business, and Society. Oxford; New York: Oxford University Press, 2001. Castleden, Rodney: Mycenaeans. Routledge: London, New York, 2005. Cerf, Vinton Gray: RFC 635. An Assessment of ARPANET Protocols. Techn. Ber. Stanford, 1974. https://www.rfc-editor.org/rfc/rfc635.txt. – Oral history interview by Judy E. O’Neill (OH 191). 24. April 1990. Reston, Virginia. Charles Babbage Institute, University of Minnesota, Minneapolis. 1990. http://purl.umn.edu/107214. Cerf, Vinton Gray, Yogen Dalal und Carl Sunshine: RFC 675. Specification of In- ternet Transmission Control Program. Techn. Ber. 1974. https://www.rfc-editor. org/rfc/rfc675.txt. Cerf, Vinton Gray und Robert Elliot Kahn: »A Protocol for Packet Network In- tercommunication«. In: IEEE Transactions on Communications 22.5 (1974), S. 637−648. Chambaz, Bernard: La dialectique Véronèse. Crest: La Sétérée, 1989. Chantraine, Pierre: Dictionnaire étymologique de la langue Grecque. 2. Aufl. Paris: éditions Klincksieck, 1984. Chapin, Francis Stuart: The measurement of social status by the use of the social status scale 1933. Minnesota: University of Minnesota Press, 1933. Chappe, Abraham und René Chappe: Mémoire sur la Télégraphie. Techn. Ber. Paris: Imprimerie Béthune, 1829. Chapuis, Robert J.: 100 Years of Telephone Switching (1878−1978). Part I: Manual and Electromechanical Switching (1878−1960s). Studies in Telecommunication Volume 1. Amsterdam; New York; Oxford: North-Holland Publishing Com- pany, 1982. Chastel, André: Chronik der italienischen Renaissancemalerei 1280−1580. Würz- burg: Arena Verlag, 1984. cheek, chris, Nicole Starosielski und Braxton Soderman, Hrsg.: Network Archaeo- logies. Amodern 2. 2013. http://amodern.net. Cherry, Colin: On Human Communication. A Review, a Survey, and a Criticism. 2. Aufl. Cambridge, MA; London, 1966. Chevalier, Michel: »Fin du choléra par coup d’état«. In: Le Globe. Journal de la religion saint-simonienne (1832). 11. April, S. 404. – »Système de la Méditerranée«. In: Le Globe. Journal de la religion saint-simo- nienne (1832). 12. Februar, S. 169−171. Cicero: De Natura Deorum. Hrsg. von Harris Rackham. Loeb Classical Library 268. Cambridge, MA: Harvard University Press; London: Heinemann, 1979. Cieri Via, Claudia: L’arte delle metamorfosi. Decorazioni mitologiche nel Cinque- cento. I saggi 27. Rom: Lithos, 2003. 448 Literatur Classen, Joachim C.: Untersuchungen zu Platons Jagdbildern. Deutsche Akademie der Wissenschaften zu Berlin. Schriften der Sektion für Altertumswissenschaft 25. Berlin: Akademie, 1960. Cocke, Richard: Veronese’s Drawings. A Catalogue Raisonné. London: Sotheby Publications, 1984. Codding, George Arthur und Anthony M. Rutkowski: The International Telecom- munication Union. An Experiment in International Cooperation. Dedham, MA: Artech House, 1982. Coilly, Nathalie und Philippe Régnier, Hrsg.: Le siècle des saint-simoniens. Du nou- veau christianisme au canal de Suez. Paris: Bibliothèque Nationale de France, 2006. Comer, Douglas E.: TCP / IP. Konzepte, Protokolle, Architekturen. Studienausgabe. Heidelberg u. a.: mitp, 2011. Commission Imperiale, Hrsg.: Exposition Universelle de 1867 à Paris. Catalogue général. 6e livraison. Instruments et procédés des art usuels. Paris: E. Dentu, 1867. Conradi, Tobias, Heike Derwanz und Florian Muhle, Hrsg.: Strukturentstehung durch Verflechtung. Akteur-Netzwerk-Theorie(n) und Automatismen. München: Fink, 2011. Conway, Flo und Jim Siegelmann: Dark Hero of the Information Age. In Search of Norbert Wiener, the Father of Cybernetics. New York: Basic Books, 2005. Corbato, Fernando J. und Richard Steinberg: »Origin of the Word Daemon«. In: Take Our Word For It 146 (2002), S. 4. http://www.takeourword.com/TOW146/ page4.html. Crary, Jonathan: Techniques of the Observer. On Vision and Modernity in the Nineteenth Century. Cambridge; London: MIT Press, 1990. Crocker, Stephen, Stephen Carr und Vinton Gray Cerf: RFC 33. New HOST-HOST Protocol. Techn. Ber. UCLA und University of Utah, 1970. http://www.rfc-editor. org/rfc/rfc33.txt. Crocker, Steve: RFC 1. Host Software. Network Working Group Request for Com- ments. Techn. Ber. UCLA, 1969. http://www.rfc-editor.org/rfc/rfc1.txt. – RFC 3. Documentation Conventions. Network Working Group RFC-3. Techn. Ber. UCLA, 1969. http://www.rfc-editor.org/rfc/rfc3.txt. Croome, Desmond Felix und Alan Arthur Jackson: Rails through the Clay. A Hi- story of London’s Tube Railways. Harrow Weld, Middlesex: Capital Transport Publishing, 1993. Cusumano, Michael A.: The Japanese Automobile Industry. Technology and Manage- ment at Nissan and Toyota. Harvard East Asian Monographs 122. Cambridge, MA; London: Harvard University Press, 1985. d’Allemagne, Henry-René: Prosper Enfantin et les grandes entreprises du XIXe siècle. Paris: Gründ, 1935. d’Allent, Pierre-Alexandre: »Essai de reconnaissance militaire«. In: Flux Numéro spéciale Réseaux. Anthologie 1781−1963 (1989). Hrsg. GDR 903 Réseaux, S. 15−17. Dante Alighieri: Die Göttliche Komödie. Mit Illuminierungen aus dem Codex Ur- binate Latino 365. 2. Aufl. München: Winkler, 1990. Därmann, Iris: Fremde Monde der Vernunft. Die ethnologische Provokation der Philosophie. München: Fink, 2005. Darnton, Robert: Poesie und Polizei. Öffentliche Meinung und Kommunikati- onsnetzwerke im Paris des 18. Jahrhunderts. es 2231. Frankfurt am Main: Suhrkamp, 2002. Literatur 449 Daston, Lorraine, Hrsg.: Things that Talk. Object Lessons from Arts and Sciences. New York: Zone Books, 2004. Daston, Lorraine und Peter Galison: »Das Bild der Objektivität«. In: Ordnungen der Sichtbarkeit. Fotografie in Wissenschaft, Kunst und Technologie. Hrsg. von Peter Geimer. Frankfurt am Main: Suhrkamp, 2002, S. 29−99. – Objectivity. 2. Aufl. New York: Zone Books, 2008. Dauser, Regina u. a., Hrsg.: Wissen im Netz. Botanik und Pflanzentransfer in eu- ropäischen Korrespondentennetzen des 18. Jahrhunderts. Colloquia Augustana 24. Berlin: Akademie, 2008. Davies, Donald Watts: Proposal for a Digital Communication Network. Techn. Ber. National Physical Laboratory, Großbritannien, Juni 1966. Davies, Donald Watts und Derek L. A. Barber: Communication Networks for Com- puters. Wiley Series in Computing. London u. a.: John Wiley und Sons, 1973. Davis, Allison, Burleigh B. Gardner und Mary R. Gardner: Deep South. A Social Anthropological Study of Caste and Class. Directed by W. Lloyd Warner. Chi- cago: University of Chicago Press, 1941. de Certeau, Michel: Kunst des Handelns. Berlin: Merve, 1988. de Kerckhove, Derrick: Schriftgeburten. Vom Alphabet zum Computer. München: Fink, 1995. de Pizan, Christine: Das Buch von der Stadt der Frauen. 3. Aufl. dtv klassik. Mün- chen: dtv, 1992. Debatin, Bernhard und Hans Jürgen Wulff, Hrsg.: Telefon und Kultur. Telefon und Gesellschaft 4. Berlin: Spiess, 1991. Deissler, Alfons und Anton Vögtle, Hrsg.: Neue Jerusalemer Bibel. Einheitsüberset- zung mit dem Kommentar der Jerusalemer Bibel. Leipzig: St. Benno-Verlag, 1986. Deleuze, Gilles: »Postskriptum über die Kontrollgesellschaften«. In: Unterhand- lungen 1972−1990. es 1778. Frankfurt am Main: Suhrkamp, 1993, S. 254−262. Deleuze, Gilles und Michel Foucault: Der Faden ist gerissen. Berlin: Merve, 1977. DeLillo, Don: Running Dog. London; Oxford: Picadore, 1999. Derrida, Jacques: Grammatologie. 4. Aufl. stw 417. Frankfurt am Main: Suhrkamp, 1992. – Die Schrift und die Differenz. 6. Aufl. stw 177. Frankfurt am Main: Suhrkamp, 1994. Descartes, René: »L’homme«. In: Œuvres philosophiques 1618−1637. Bd. I. Paris: Éditions Garnier, 1988 [1662], S. 369−480. Descola, Philippe: Jenseits von Natur und Kultur. Berlin: Suhrkamp, 2011. Dickers, Aurelia: Die spätmykenischen Siegel aus weichem Stein. Untersuchungen zur spätbronzezeitlichen Glyptik auf dem griechischen Festland und in der Ägäis. Internationale Archäologie 33. Rahden / Westf.: Verlag Marie Leidorf, 2001. Diderot, Denis: »Gespräche mit D’Alembert«. In: Philosophische Schriften. Bd. 1. Berlin: Aufbau-Verlag, 1961 [1769], S. 511−579. – »Le Rêve de d’Alembert«. In: Diderot. Œuvres complètes. Le Rêve de d’Alembert. Idées IV. Hrsg. von Jean Varloot. Bd. 17. Paris: Hermann, 1987 [1769], S. 89−209. Die Bibel nach der Übersetzung Martin Luthers mit Konkordanz. Berlin; Altenburg: Evangelische Haupt-Bibelgesellschaft, 1989. Diels, Hermann: Die Fragmente der Vorsokratiker. Hrsg. von Walther Kranz. Bd. 2. Berlin: Weidmannsche Verlagsbuchhandlung, 1954. Dirmoser, Gerhard: Eine subjektive Chronologie der Netzentwicklungen (Vom Nut- zen schematischer Zeichnungen XXXII). 2004. http://www.servus.at/kontext/ diagramm/32_Netzhype.htm. 450 Literatur Dittrich, Sigrid und Lothar Dittrich: Lexikon der Tiersymbole. Tiere als Sinnbilder in der Malerei des 14.−17. Jahrhunderts. Studien zur internationalen Architektur- und Kunstgeschichte 22. Petersberg: Michael Imhof Verlag, 2004. Documents diplomatiques de la conférence télégraphique internationale de Paris. Paris: Imprimerie Imperiale, 1865. Documents diplomatiques de la conférence télégraphique internationale de Vienne. Paris: Imprimerie Imperiale, 1868. Dodds, Doug: »Notes on the Development of Message Technology«. In: Berkeley Workshop on Distributed Data Management and Computer Networks. Hrsg. von Lawrence Berkeley Laboratories. Berkeley: University of California, 1976, S. 144−156. Dodge, Martin und Rob Kitchin: Atlas of cyberspace. Harlow [u. a.]: Addison- Wesley, 2001. Dommann, Monika: »Handling, Flowcharts, Logistik. Zur Wissensgeschichte und Materialkultur von Warenflüssen«. In: Nach Feierabend. Zürcher Jahrbuch für Wissensgeschichte 7. Zirkulationen. Berlin; Zürich: Diaphanes, 2011, S. 75−103. Domschke, Wolfgang und Andreas Drexl: Einführung in Operations Research. 7. Aufl. Berlin; Heidelberg; New York: Springer, 2007. Donner, Martin: »Rekursion und Wissen. Zur Emergenz technosozialer Netze«. In: Rekursionen. Von Faltungen des Wissens. Hrsg. von Ana Ofak und Philipp von Hilgers. München: Fink, 2010, S. 77−113. Döring, Tobias, Hrsg.: London Underground. Poems and Prose about the Tube. Stuttgart: Reclam, 2003. Draaisma, Douwe: Die Metaphernmaschine. Eine Geschichte des Gedächtnisses. Darmstadt: Primus Verlag, 1999. Duncan, Christian A. u. a.: »Lombardi Drawings of Graphs«. In: Journal of Graph Algorithms and Applications 16.1 (2012), S. 85−108. 10.7155/jgaa.00251. Dundas, Judith: »Arachne’s Web: Emblem into Art«. In: Emblematica. An Interdis- ciplinary Journal for Emblem Studies 2.1 (1987), S. 109−137. Durkheim, Émile: Le Socialisme. Sa définition – ses débuts. La doctrine saint- simonienne. Paris: Retz, 1978. Ebeling, Erich: Das Babylonische Weltschöpfungslied. Altorientalische Texte und Untersuchungen II, 4. Breslau: Selbstverlag, 1921. Ebeling, Knut: Wilde Archäologien 1. Theorien der materiellen Kultur von Kant bis Kittler. Berlin: Kadmos, 2012. Ebermeier, Werner: Antike in Landshut. Antike Mythologie und Geschichte in der Bilderwelt der Landshuter Stadtresidenz. Landshut: Stadtarchiv Landshut, 2010. Eco, Umberto: »Die Enzyklopädie als Labyrinth«. In: Im Labyrinth der Vernunft. Texte über Kunst und Zeichen. Hrsg. von Michael Franz und Stefan Richter. Reclam-Bibliothek 1547. Leipzig: Reclam, 1989, S. 104−109. Edwards, Paul N.: »Hyper Text and Hypertension: Post-Structuralist Critical The- ory, Social Studies of Science and Software«. In: Social Studies of Science 24 (1994), S. 229−278. – The Closed World. Computers and the Politics of Discourse in Cold War Ame- rica. Inside Technology. Cambridge, MA; London: MIT Press, 1996. Edzard, Otto Dietz: Geschichte Mesopotamiens. Von den Sumerern bis zu Alexander dem Großen. Beck’s Historische Bibliothek. München: C. H. Beck, 2004. El Sharkawy, Ali: Der Amun-Tempel von Karnak. Die Funktion der Großen Säulenhalle, erschlossen aus der Analyse der Dekoration ihrer Innenwände. Wissenschaftliche Schriftenreihe Ägyptologie 1. Berlin: Verlag Dr. Köster, 1997. Literatur 451 Eliade, Mircea: Ewige Bilder und Sinnbilder. Über die magisch-religiöse Symbolik. Frankfurt am Main; Leipzig: Insel, 1998. Elliman, Paul: »Signal Failure«. In: Else / Where: Mapping. New Cartographies of Networks and Territories. Hrsg. von Janet Abrams und Peter Hall. Minneapolis: University of Minnesota Press, 2006, S. 166−175. Emden, Christian Jürgen: »Epistemische Konstellationen 1800−1900«. In: Netz- werke. Eine Kulturtechnik der Moderne. Hrsg. von Hartmut Böhme, Jürgen Barkhoff und Jeanne Riou. Köln: Böhlau, 2004, S. 127−154. – »Netz«. In: Lexikon der philosophischen Metaphern. Hrsg. von Ralf Koners- mann. Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft, 2007, S. 248−260. Emge, Martinus: Saint-Simon. Einführung in ein Leben und Werk, eine Schule, Sekte und Wirkungsgeschichte. München; Wien: Oldenbourg, 1987. Enfantin, Prosper: Colonisation de l’Algérie. Paris: P. Bertrand, 1843. Engell, Lorenz, Bernhard Siegert und Joseph Vogl, Hrsg.: 1950. Archiv für Medi- engeschichte. Weimar: Universitätsverlag, 2004. Engemann, Christoph: Electronic Government – Vom User zum Bürger. Zur kri- tischen Theorie des Internets. Bielefeld: transcript, 2003. – »Verteiltes Überleben – Paul Barans Antwort auf die atomare Bedrohung«. In: Überleben. Historische und aktuelle Konstellationen. Hrsg. von Falko Schmieder. Trajekte. München: Fink, 2011, S. 381−393. Erlang, Agner Krarup: »Sandsynlighedsregning og Telefonsamtaler«. In: Nyt tidss- krift for Matematik 20 (1909), S. 33−39. Ernst, Ulrich: »Von der Hieroglyphe zum Hypertext. Medienumbrüche in der Evo- lution visueller Texte«. In: Die Verschriftlichung der Welt. Bild, Text und Zahl in der Kultur des Mittelalters und der frühen Neuzeit. Hrsg. von Horst Wenzel, Wilfried Seipel und Gotthart Wunberg. Wien: Kunsthistorisches Museum Wien, 2000, S. 213−239. Euler, Leonhard: »Solution d’une question curieuse qui ne paroît soumise à aucune analyse«. In: Histoire de l’Académie Royale des Sciences et des Belles-Lettres de Berlin 1759 (1766), S. 310−337. – »Das Königsberger Brückenproblem«. In: Theorie der endlichen und unendlichen Graphen. Kombinatorische Topologie der Streckenkomplexe. Teubner-Archiv zur Mathematik 6. Leipzig: BSB Teubner, 1986, S. 290−301. – Die Geburt der Graphentheorie. Ausgewählte Schriften von der Topologie zum Sudoku. Hrsg. von Wladimir Velminski. Berlin: Kadmos, 2008. Euripides: Werke in drei Bänden. Hrsg. von Dietrich Ebener. Bd. 1. Bibliothek der Antike. Berlin; Weimar: Aufbau, 1979. Fagen, M. D., Hrsg.: A History of Engineering and Science in the Bell System. The Early Years (1875−1925). New York: Bell Telephone Laboratories, 1975. Fangerau, Heiner und Thorsten Halling, Hrsg.: Netzwerke. Allgemeine Theorie oder Universalmetapher in den Wissenschaften? Ein transdisziplinärer Überblick. Science Studies. Bielefeld: transcript, 2009. Faraone, Christopher: »Aischylos hymnos desmios (Eum. 306) and Attic judicial curse tablets«. In: Journal of Hellenic Studies 55 (1985), S. 150−154. Faßler, Manfred: Netzwerke. Einführung in die Netzstrukturen, Netzkulturen und verteilte Gesellschaftlichkeit. München: Fink, 2001. Faulkner, Raymond Oliver, Hrsg.: The Ancient Egyptian Coffin Texts. Spells 1−1185 & Indices. Oxford: Aries & Philipps, 2004. Febvre, Lucien und Marc Bloch: »Ports, fleuves, mers«. In: Annales d’histoire sociale 1 (1940), S. 66−70. 452 Literatur Feeney, Denis C.: The Gods in Epic. Poets and Critics of the Classical Tradition. Oxford: Clarendon, 1992. Feldvoss, Marli: »Bei Anruf Film. Telefon und Kino – eine ideale Partnerschaft«. In: Neue Zürcher Zeitung (online), 14. Dezember 2002. Felsch, Philipp: »Aufsteigesysteme 1800−1900«. In: Nach Feierabend. Zürcher Jahrbuch für Wissensgeschichte 1. Bilder der Natur – Sprachen der Technik. Zürich; Berlin: diaphanes, 2005, S. 15−32. Fenlon, Iain: The Ceremonial City. History, Memory and Myth in Renaissance Venice. New Haven; London: Yale University Press, 2008. Fischbach, Rainer: Mythos Netz. Kommunikation jenseits von Raum und Zeit? Zürich: Rotpunktverlag, 2005. Fitton, J. Lesley: Die Minoer. Stuttgart: Konrad Theiss, 2004. Flach, Dieter und Andreas Flach, Hrsg.: Das Zwölftafelgesetz. Texte zur Forschung 83. Übersetzt von Dieter Flach. Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft, 2004. Fleck, Ludwik: Entstehung und Entwicklung einer wissenschaftlichen Tatsache. Einführung in die Lehre vom Denkstil und Denkkollektiv. Hrsg. von Lothar Schäfer. Frankfurt am Main: Suhrkamp, 1993. Flichy, Patrice: Tele. Geschichte der modernen Kommunikation. Frankfurt am Main; New York: Campus, 1994. Flusser, Vilém: Gesten. Versuch einer Phänomenologie. Bensheim: Bollmann, 1993. Foerster, Heinz von: »Gedächtnis ohne Aufzeichnung«. In: Sicht und Einsicht. Versuche zu einer operativen Erkenntnistheorie. Hrsg. von Wolfram K. Köck. Braunschweig; Wiesbaden: Vieweg, 1985, S. 133−171. Foerster, Heinz von und Bernhard Pörksen: Wahrheit ist die Erfindung eines Lügners. Gespräche für Skeptiker. 4. Aufl. Heidelberg: Carl Auer, 2001. Fondermann, Philipp: Kino im Kopf. Zur Visualisierung des Mythos in den Me- tamorphosen Ovids. Hypomnemata. Untersuchungen zur Antike und ihrem Nachleben 173. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, 2008. Foucault, Michel: Die Ordnung der Dinge. Eine Archäologie der Humanwissen- schaften. stw 96. Frankfurt am Main: Suhrkamp, 1974. – Archäologie des Wissens. 6. Aufl. stw 356. Frankfurt am Main: Suhrkamp, 1994. – »Nietzsche, la généalogie, l’histoire«. In: Dits et écrits II. 1970−1975. Paris: Gallimard, 1994, S. 136−156. – Sicherheit, Territorium, Bevölkerung. Geschichte der Gouvernementalität I. Hrsg. von Michel Sennelart. stw 1808. Frankfurt am Main: Suhrkamp, 2004. Fourcy, Eugène de: Atlas souterrain de la ville de Paris exécuté conformément au vote émis en 1853 par commission municipale et suivant les ordres de M. le Bon G. E. Haussmann … Paris: Charles de Mourgues Frères, 1859. Fox-Keller, Evelyn: Das Leben neu denken. Metaphern der Biologie im 20. Jahr- hundert. München: Antje Kunstmann, 1998. Frank, Howard, Robert Elliott Kahn und Leonard Kleinrock: »Computer Commu- nication Network Design – Experience with Theory and Practice«. In: AFIPS Conference Proceedings. Spring Joint Computers Conference. May 16−17, 1972. Atlantic City, New Jersey. Bd. 40. AFIPS Press: Montvale, New Jersey, 1972, S. 255−270. Fraser, James T.: Time, the Familiar Stranger. Amherst: University of Massachusetts Press, 1987. Freeman, Linton C.: »Visualizing Social Networks«. In: Journal of Social Structure 1.1 (2000). http://www.cmu.edu/joss/content/articles/volume1/Freeman.html. Literatur 453 – The Development of Social Network Analysis. A Study in the Sociology of Science. Vancouver, BC: Empirical Press, 2004. Friedrich, Alexander: »Metaphorology of Networks«. In: Metaphors Shaping Cul- ture and Theory. Hrsg. von Winfried Fluck u. a. REAL. Yearbook of Research in English and American Literature 25. Tübingen: Narr, 2009, S. 285−297. – »Vernetzte Zwischenräume«. In: Bewegen im Zwischenraum. Hrsg. von Uwe Wirth. Wege der Kulturforschung 3. Berlin: Kadmos, 2012, S. 55−74. – »Im Netz der Metapher. Zur Theorie kultureller Leitmetaphern«. Diss. Justus- Liebig-Universität Gießen, 2013. Fröhlich, Gerhard: »Netz-Euphorien. Zur Kritik digitaler und sozialer Netz(werk)- metaphern«. In: Philosophie in Österreich. Hrsg. von Alfred Schramm. Wien: Hölder-Pichler-Tempsky, 1996, S. 292−306. Fromer, Jakob, Hrsg.: Der babylonische Talmud. Wiesbaden: Fourier, 1991. Fujimoto, Takahiro: The Evolution of the Manufacturing System at Toyota. New York; Oxford: Oxford University Press, 1999. Galen: On the Usefulness of the Parts of the Body / De usu partium. Hrsg. von Margaret Tallmadge May. Ithaca, NY; London: Cornell University Press, 1968. Galison, Peter: »Die Ontologie des Feindes. Norbert Wiener und die Vision der Kybernetik«. In: Räume des Wissens. Repräsentation, Codierung, Spur. Hrsg. von Hans-Jörg Rheinberger, Michael Hagner und Bettina Wahrig-Schmidt. Berlin: Akademie-Verlag, 1997, S. 281−324. – Einsteins Uhren und Poincarés Karten. Die Arbeit an der Ordnung der Zeit. Frankfurt am Main: Fischer, 2003. Galloway, Alexander: Protocol. How Control Exists after Decentralization. Cam- bridge, MA; London: MIT Press, 2004. Galloway, Alexander und Eugene Thacker: The Exploit. A Theory of Networks. Electronic Mediations 21. Minneapolis; London: University of Minnesota Press, 2007. Garland, Ken: Mr Beck’s Underground Map. Harrow Weld, Middlesex: Capital Transport Publishing, 1994. Gass, Saul I. und Arjang A. Assad: An Annotated Timeline of Operations Research. An Informal History. International Series in Operations Research & Management Science 75. Boston: Kluwer Academic Publishers, 2005. Gehring, Petra: »Paradigma einer Methode. Der Begriff des Diagramms im Struk- turdenken von Michel Foucault und Michel Serres«. In: Diagrammatik und Philosophie. Hrsg. von Petra Gehring u. a. Amsterdam: Rodopi, 1988, S. 89−105. Geisser, Franziska: Götter, Geister und Dämonen. Unheilsmächte bei Aischy- los – zwischen Aberglauben und Theatralik. München; Leipzig: Saur, 2002. Gelder, Karl Friedrich, Hrsg.: Der Rig-Veda. Aus dem Sanskrit ins Deutsche über- setzt und mit einem laufenden Kommentar versehen. Harvard Oriental Series 63. Cambridge, MA; London: Harvard University Press, 2003. Gell, Alfred: »Vogel’s Net. Traps as Artworks and Artworks as Traps«. In: The Art of Anthropology. Essays and Diagrams. Hrsg. von Eric Hirsch. London School of Economics Monographs on Social Anthropology 67. London; New Brunswick, NJ: Athlone Press, 1999, S. 187−214. Gelshorn, Julia und Tristan Weddigen: »Das Netzwerk. Zu einem Denkbild in Kunst und Wissenschaft«. In: Grammatik der Kunstgeschichte. Sprachproblem und Regelwerk im Bild-Diskurs. Oskar Bätschmann zum 65. Geburtstag. Hrsg. von Hubert Locher und Peter J. Schneemann. Zürich; Emsdetten; Berlin: Schweizerisches Institut für Kunstwissenschaft / Edition Imorde, 2008, S. 54−77. 454 Literatur Gendolla, Peter und Jörgen Schäfer: »Zettelkastens Traum. Wissensprozesse in der Netzwerkgesellschaft – Eine Einführung«. In: Wissensprozesse in der Netzwerk- gesellschaft. Hrsg. von Peter Gendolla und Jörgen Schäfer. Medienumbrüche 6. Bielefeld: transcript, 2005, S. 7−27. Genette, Gérard: Paratexte. Das Buch vom Beiwerk des Buches. stw 1510. Frankfurt am Main: Suhrkamp, 2001. Génieys, Raymond: Note sur un projet de distribution générale de l’eau dans l’intérieur de Paris. Paris: Carilian-Goeury, 1827. – Essai sur les moyens de conduire, d’élever et de distribuer les eaux. Paris: Carilian-Goeury, 1829. Gennep, Arnold van: Übergangsriten (Les rites de passage). 3. Aufl. Frankfurt am Main: Campus, 2005. Gernet, Louis: »Études sur la technique du droit Athénien à l’epoque classique«. In: Louis Gernet e le tecniche del diritto Ateniese. Hrsg. von Andrea Taddei. Pisa: Giardini, 2001, S. 65−182. Gethmann, Daniel: »Das Zittern der Luft. Die Erfindung der mechanischen Stimme«. In: Medien / Stimmen. Hrsg. von Cornelia Epping-Jäger und Erika Linz. Köln: DuMont, 2003, S. 211−234. Gibney, Frank B.: »The Marks of a Japanese Merchant«. In: Kanban. The Art of the Japanese Shop Sign. Hrsg. von Dana Levy, Lea Sneider und Frank Gibney. San Francisco: Chronicle Books, 1983, S. 7−29. Giedion, Sigfried: Die Herrschaft der Mechanisierung. Ein Beitrag zur anonymen Geschichte. Frankfurt am Main: Büchergilde Gutenberg, 1983 [1948]. Gießmann, Sebastian: Netze und Netzwerke. Archäologie einer Kulturtechnik, 1740−1840. Kultur- und Medientheorie. Bielefeld: transcript, 2006. – »Paris – Suez. Die Saint-Simonisten und die Kanäle des Kolonialen«. In: Archiv für Mediengeschichte. Stadt – Land – Fluss. Hrsg. von Lorenz Engell, Bernhard Siegert und Joseph Vogl. Weimar: Universitätsverlag, 2007, S. 117−132. – »Graphen können alles. Visuelle Modellierung und Netzwerktheorie vor 1900«. In: Visuelle Modelle. Hrsg. von Ingeborg Reichle, Steffen Siegel und Achim Spelten. München: Fink, 2008, S. 269−284. – »Netze als Weltbilder. Ordnungen der Natur von Donati bis Cuvier«. In: Ver- wandte Bilder. Hrsg. von Ingeborg Reichle, Steffen Siegel und Achim Spelten. 2. Aufl. Berlin: Kadmos, 2008, S. 243−261. – »Ganz klein, ganz groß. Jacob Levy Moreno und die Geschicke des Netzwerkdi- agramms«. In: Medien in Zeit und Raum. Maßverhältnisse des Medialen. Hrsg. von Ingo Köster und Kai Schuster. Medienumbrüche 34. Bielefeld: transcript, 2009, S. 267−292. – »Netzwerk-Zeit, Zeit der Netzwerke. Fragmente zur Datenökonomie um 1960«. In: Zeitkritische Medien. Hrsg. von Axel Volmar. Berliner Programm einer Me- dienwissenschaft 5. Berlin: Kadmos, 2009, S. 239−253. – »Netzwerkprotokolle und Schwarm-Intelligenz. Zur Konstruktion von Komple- xität und Selbstorganisation«. In: Schwärme. Kollektive ohne Zentrum. Hrsg. von Eva Horn und Lucas Marco Gisi. Masse und Medium 7. Bielefeld: transcript, 2009, S. 163−182. – »Stimmen senden. Versuch über das Wissen der Telefonvermittlung«. In: Sendungen. Mediale Konturen zwischen Botschaft und Fernsicht. Hrsg. von Wladimir Velminski. Kultur- und Medientheorie. Bielefeld: transcript, 2009, S. 133−153. Literatur 455 – »Netzstörungen. Erzählungen vom Ende der Netzwerke«. In: Störfälle. Zeitschrift für Kulturwissenschaften 2 (2011), S. 125−133. – »Sternbilder des Kapitalismus. Pollux, Lombardi und die Zeichen der ökono- mischen Verschwörung«. In: The Parallax View. Zur Mediologie der Verschwö- rung. Hrsg. von Marcus Krause, Arno Meteling und Markus Stauff. Mediologie 22. München: Fink, 2011, S. 331−349. – »Netz«. In: Lexikon der Raumphilosophie. Hrsg. von Stephan Günzel. Darm- stadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft, 2012, S. 273−274. – »Synchronisation im Diagramm. Henry C. Beck und die Londoner Tube Map von 1933«. In: Kulturtechniken der Synchronisation. Hrsg. von Christian Kassung und Thomas Macho. Kulturtechnik. München: Fink, 2013, S. 339−364. – »Verunreinigungsarbeit. Über den Netzwerkbegriff der Akteur-Netzwerk-The- orie«. In: Reinigungsarbeit. Zeitschrift für Kulturwissenschaften 1 (2013), S. 149−160. Gillies, James und Robert Cailliau: Die Wiege des Web. Die spannende Geschichte des WWW. Heidelberg: dpunkt, 2002. Ginzburg, Carlo: »Veranschaulichung und Zitat. Die Wahrheit der Geschichte«. In: Der Historiker als Menschenfresser. Über den Beruf des Geschichtsschreibers. Berlin: Wagenbach, 1990, S. 85−102. Gitelman, Lisa: Always Already New. Media, History, and the Data of Cultures. Cambridge, MA; London: MIT Press, 2006. Godt, Birgitta: »Die Entwicklung der Handvermittlung«. In: Fräulein vom Amt. Hrsg. von Helmut Gold und Annette Koch. München: Prestel, 1993, S. 68−85. Gold, Helmut und Annette Koch, Hrsg.: Fräulein vom Amt. München: Prestel, 1993. Goldratt, Eliyahu M.: Critical Chain. A Business Novel. Great Barrington, MA: North River Press, 1997. Gööck, Roland: Die großen Erfindungen. Nachrichtentechnik und Elektronik. Künzelsau: Sigloch, 1988. Goodman, Nelson: Sprachen der Kunst. Entwurf einer Symboltheorie. stw 1304. Frankfurt am Main: Suhrkamp, 1995. Goody, Jack: The Domestication of the Savage Mind. Themes in the Social Sciences. Cambridge u. a.: Cambridge University Press, 1990. Gosch, Josias Ludwig: Ideenumlauf. Hrsg. von Georg Stanitzek und Hartmut Winkler. Berlin: Kadmos, 2006. Graber, Frédéric: »Purity and Theory. Theoretical Tools at Ponts et Chaussées, circa 1800«. In: Technology and Culture 49.4 (2008), S. 860−883. Grady, James: Six Days of the Condor. Harpenden: No Exit Press, 2007 [1974]. Graf, Fritz: »Ekphrasis: Die Entstehung der Gattung in der Antike«. In: Beschrei- bungskunst – Kunstbeschreibung. Hrsg. von Gottfried Boehm und Helmut Pfotenhauer. Bild und Text. München: Fink, 1995, S. 143−155. – Gottesnähe und Schadenszauber. Die Magie in der griechisch-römischen Antike. C. H. Beck Kulturwissenschaft. München: C. H. Beck, 1996. Granovetter, Mark S.: »The Strength of Weak Ties«. In: The American Journal of Sociology 78.6 (1973), S. 1360−1380. Grassmuck, Volker: Geschlossene Gesellschaft. Mediale und diskursive Aspekte der ›drei Öffnungen‹ Japans. München: Iudicum, 2002. Graunt, John: Natural and Political Observations Mentioned in a following Index, and made upon the Bills of Mortality. London: Roycroft, Allestry und Dicas, 1662. Gravelot, Hubert François, Charles Nicolas Cochin und Charles-Etienne Gaucher: 456 Literatur Iconologie par Figures ou Traité complet des Allégories, Enblêmes &c. Ouvrage outile aus Artistes et Amateurs, et peuvent servir à l’éducation des jeunes per- sonnes. Bd. 3. Paris: Lattré Graveur, 1791. Greber, Erika: Textile Texte. Poetologische Metaphorik und Literaturtheorie. Studien zur Tradition des Wortflechtens und der Kombinatorik. Pictura et Poesis 9. Köln; Weimar; Wien: Böhlau, 2002. Green, Oliver: Underground Art. London Transport Posters 1908 to the Present. 2. Aufl. London: Laurence King Publishing, 2001. Green, Venus: Race on the Line. Gender, Labor, and Technology in the Bell System, 1880−1980. Durham; London: Duke University Press, 2001. Griaule, Marcel: Jeux Dogons. Travaux et mémoires de l’Institut d’Ethnologie XXXII. Paris: Institut d’Ethnologie, 1938. – Dieu d’eau. Paris: Éditions du Chêne, 1948. – Schwarze Genesis. Freiburg: Herder, 1970. Griaule, Marcel und Germaine Dieterlen: Le renard pâle. 2. Aufl. Travaux et mé- moires de l’Institut d’Ethnologie. Paris: Institut d’Ethnologie, 1991. Grimm, Jacob und Wilhelm Grimm: Deutsches Wörterbuch. Siebenter Band. N- Quurren. Hrsg. von Matthias von Lexer. Bd. 13. Leipzig: S. Hirzel, 1889. Groh, Dieter: »Die verschwörungstheoretische Versuchung oder: Why do bad things happen to good people?« In: Anthropologische Dimensionen der Geschichte. stw 992. Frankfurt am Main: Suhrkamp, 1992, S. 267−304. Gropp, Harald: »Hamiltonian graphs from Kirkman to König«. In: Electronic Notes in Discrete Mathematics 24 (2006), S. 81−88. Groys, Boris: Unter Verdacht. Eine Phänomenologie der Medien. München: Hanser, 2000. Guare, John: Six Degrees of Separation. 2. Aufl. New York: Vintage, 1994. Gugerli, David und Daniel Speich: Topografien der Nation. Politik, kartografische Ordnung und Landschaft im 19. Jahrhundert. Zürich: Chronos, 2002. Guillerme, André: »L’émergence du concept du réseau (1820−1830)«. In: Réseaux territoriaux. Hrsg. von Georges Dupuy. Caen: Paradigme, 1988, S. 33−49. – »Réseau: genèse d’un mot«. In: Cahiers de la Médiologie 3 (1997), S. 7−16. Günther, Hans-Otto: Produktion und Logistik. 8. Aufl. Berlin u. a.: Springer, 2009. Günzel, Stephan, Hrsg.: Topologie. Zur Raumbeschreibung in den Kultur- und Medienwissenschaften. Bielefeld: transcript, 2007. Guthmüller, Bodo: Ovidio Metamorphoseos Vulgare. Formen und Funktionen der volkssprachlichen Wiedergabe klassischer Dichtung in der italienischen Renais- sance. Veröffentlichungen zur Humanismusforschung 3. Boppard am Rhein: Harald Boldt Verlag, 1981. Haase, Frank: »Mythos Fackeltelegraph – Über die medientheoretischen Grundlagen antiker Nachrichtentechnik«. In: Medien der Antike. Archiv für Medienge- schichte. Hrsg. von Lorenz Engell, Bernhard Siegert und Joseph Vogl. Weimar: Universitätsverlag, 2003, S. 181−191. Hadlaw, Janin: »The London Underground Map. Imagining Modern Time and Space«. In: Design Issues 19.1 (2003), S. 25−35. Hafner, Katie und Matthew Lyon: Where Wizards Stay Up Late. The Origins of the Internet. New York: Touchstone, 1998. Hagen, Kirsten von: »Wahlverwandtschaften – Spielformen des Telefons im Film«. In: Intermedialität Analog / Digital. Theorien – Methoden – Analysen. Hrsg. von Joachim Paech und Jens Schröter. München: Fink, 2008, S. 333−343. Hagen, Wolfgang: »Gefühlte Dinge. Bells Oralismus, die Undarstellbarkeit der Elek- trizität und das Telefon«. In: Telefonbuch. Beiträge zu einer Kulturgeschichte des Literatur 457 Telefons. Hrsg. von Stefan Münker und Alexander Roesler. es 2174. Frankfurt am Main: Suhrkamp, 2000, S. 35−60. – »Metaxy. Eine historiosemantische Fußnote zum Medienbegriff«. In: Was ist ein Medium? Hrsg. von Stefan Münker und Alexander Roesler. stw 1887. Frankfurt am Main: Suhrkamp, 2008, S. 13−29. Hamilton, William Rowan: »On a New System of Roots of Unity«. In: Proceedings of the Royal Irish Academy 6 (1858), S. 415−416. Hankins, Thomas L.: »Blood, Dirt, and Nomograms. A Particular History of Gra- phs«. In: Isis 90 (1999), S. 50−80. Haraway, Donna: »Das Abnehme-Spiel. Ein Spiel mit Fäden für Wissenschaft, Kultur, Feminismus«. In: Monströse Versprechen. Coyote-Geschichten zu Feminismus und Technowissenschaft. Argument-Sonderband Neue Folge AS 234. Hamburg; Berlin: Argument, 1995, S. 136−148. Hardt, Michael und Antonio Negri: Empire. 4. Aufl. Cambridge, MA: Harvard University Press, 2001. Harlizius-Klück, Ellen: Weberei als episteme und die Genese der deduktiven Ma- thematik. In vier Umschweifen entwickelt aus Platons Dialog Politikos. Berlin: Edition Ebersbach, 2004. Hartmann, Andreas: Zwischen Relikt und Reliquie. Objektbezogene Erinnerungs- praktiken in antiken Gesellschaften. Studien zur alten Geschichte. Berlin: Verlag Antike, 2010. Hartmann, Frank: Globale Medienkultur. Technik, Geschichte, Theorien. UTB 2723. Wien: WUV, 2006. Hartmann, Frank und Erwin K. Bauer, Hrsg.: Bildersprache. Otto Neuraths Visu- alisierungen. 2. Aufl. Wien: WUV, 2006. Harvey, Elizabeth D.: »Introduction. The Sense of all the Senses«. In: Sensible Flesh. On Touch in Early Modern Culture. Hrsg. von Elizabeth D. Harvey. Philadelphia: University of Pennsylvannia Press, 2003, S. 1−21. – Hrsg.: Sensible Flesh. On Touch in Early Modern Culture. Philadelphia: Uni- versity of Pennsylvania Press, 2003. Harvey, William: Exercitatio anatomica de motu cordis et sanguinis in animalibus. Frankfurt am Main: Fitzer, 1628. Havelock, Eric A.: The Greek Concept of Justice. From its Shadow in Homer to Its Substance in Plato. Cambridge, MA; London: Harvard University Press, 1978. Heart, Frank E. u. a.: »The Interface Message Processor for the ARPA Computer Network«. In: AFIPS Conference Proceedings. Spring Joint Computers Con- ference. May 5−7, 1970. Atlantic City, New Jersey. Bd. 36. New York: ACM Press, 1970, S. 551−567. Heath, Joseph: »Methodological Individualism«. In: The Stanford Encyclopedia of Philosophy. Spring 2005 Edition. Hrsg. von Edward N. Zalta. 2005. http://plato. stanford.edu/archives/spr2005/entries/methodological-individualism. Heidegger, Martin: »Die Zeit des Weltbildes«. In: Holzwege. Gesamtausgabe V. Frankfurt am Main: Klostermann, 1977, S. 75−113. Heinemann, Katharina, Thomas Rainer und Sybe Wartena: »Das Bildprogramm des Italienischen Baus«. In: Ewig blühe Bayerns Land. Herzog Ludwig X. und die Renaissance. Hrsg. von Brigitte Langer und Katharina Heinemann. Regensburg: Schnell & Steiner, 2009, S. 116−163. Heinrich, Dirk und Johann Tischler: »Fischerei und Fischereimethoden«. In: Re- allexikon der Germanischen Altertumskunde. Fidel – Friedlosigkeit. Hrsg. von Johannes Hoops. Berlin; New York: de Gruyter, 1995, S. 130−146. 458 Literatur Heller, Kurt: Venedig. Recht, Kultur und Leben in der Republik 697−1797. Wien; Köln; Weimar: Böhlau, 1999. Hellige, Hans Dieter: »Die Geschichte des Internet als Lernprozess«. In: artec-paper 138 (2006), S. 1−39. Hellwig, Karin: »Pallas Athene, Europa und Arachne in der Fabrik. Schwierig- keiten mit Diego Velázquez – das Rätsel der Hilanderas und die Versuche zu seiner Lösung«. In: Neue Zürcher Zeitung, 21. März 2009. http://www.nzz. ch/nachrichten/kultur/literatur_und_kunst/pallas_athene_europa_und_arach- ne_in_der_fabrik_1.2233602.html. Henkel, Arthur und Albrecht Schöne, Hrsg.: Emblemata. Handbuch zur Sinnbild- kunst des 16. und 17. Jahrhunderts. Stuttgart; Weimar: Metzler, 1996. Henkel, M. D.: »Illustrierte Ausgaben von Ovids Metamorphosen im XV., XVI. und XVII. Jahrhundert«. In: Vorträge der Bibliothek Warburg. Vorträge 1926−1927. Hrsg. von Fritz Saxl. Bd. 6. Leipzig; Berlin: Teubner, 1930, S. 58−144. Herodot: Das Geschichtswerk. Bd. 1. Bibliothek der Antike. Berlin; Weimar: Auf- bau, 1967. Herrmann, Gerhard: Der Suezkanal. Bern; Leipzig; Wien: Wilhelm Goldmann Verlag, 1936. Hesiod: Werke und Tage. Griechisch / Deutsch. Hrsg. von Otto Schönberger. Stutt- gart: Reclam, 1996. Hilger, Dietrich: »Industrie, Gewerbe«. In: Geschichtliche Grundbegriffe. Histo- risches Lexikon zur politisch-sozialen Sprache in Deutschland. Hrsg. von Otto Brunner, Werner Conze und Reinhart Koselleck. Bd. 3. Stuttgart: Klett-Cotta, 1982, S. 237−304. Hill, R. B.: »Early Work on Dial Telephone Systems«. In: Bell Laboratories Record 31 (1953), S. 22−29. Hinterwaldner, Inge: Das systemische Bild. Ikonizität im Rahmen computerbasierter Echtzeitsimulationen. eikones. München: Fink, 2010. Hirst, Michael: London’s travel network clears its first Olympic hurdle. 30. Juli 2012. http://www.bbc.co.uk/news/uk-19039072. Hobbs, Robert: »Mark Lombardi: Global Networks«. In: Mark Lombardi: Global Networks. Hrsg. von Robert Hobbs. New York: Independent Curators Inter- national, 2003, S. 11−49. – Hrsg.: Mark Lombardi. Global Networks. New York: Independent Curators International, 2003. Hobson, James A.: The Industrial System. An Inquiry into Earned and Unearned Income. London: Longman, Green & Co., 1910. Hobson, John A.: The Evolution of Modern Capitalism. A Study of Machine Pro- duction. The Contemporary Science Series 25. London; Felling-on-Tyne: Walter Scott Publishing, 1906. Hofmann, August Wilhelm: »On the Combining Power of Atoms«. In: Notices of the Proceedings at the Meetings of the Members of the Royal Institution of Britain IV.42 (1865), S. 401−430. Hofstadter, Richard: The Paranoid Style in American Politics and Other Essays. London: Jonathan Cape, 1966. Höhne, Stefan: »Token Tactics. Artefaktpolitiken in der New Yorker City Subway«. In: Versorgung und Entsorgung der Moderne. Logistiken und Infrastrukturen der 1920er und 1930er Jahre. Hrsg. von Wiebke Porombka, Heinz Reif und Erhard Schütz. Frankfurt am Main u. a.: Peter Lang, 2011, S. 73−87. Holl, Ute: »Türen, Lektüren und das Wissen des Films. Zur Verschwörung der Literatur 459 Medien in Sydney Pollacks Three Days of the Condor«. In: Parallax View. Zur Mediologie der Verschwörung. Hrsg. von Marcus Krause, Arno Meteling und Markus Stauff. München: Fink, 2011, S. 235−251. Holtorf, Christian: Der erste Draht zur Neuen Welt. Die Verlegung des transatlan- tischen Telegrafenkabels. Göttingen: Wallstein, 2013. Holzer, Boris: Netzwerke. Bielefeld: transcript, 2006. Homer: Ilias und Odyssee. Altgriechisch und Deutsch. Übersetzt von Johann Heinrich Voß. Frankfurt am Main: Zweitausendeins, 2008. Hörl, Erich: Die heiligen Kanäle. Über die archaische Illusion der Kommunikation. Zürich; Berlin: diaphanes, 2005. Horn, Eva: Der geheime Krieg. Verrat, Spionage und moderne Fiktion. Frankfurt am Main: Fischer, 2007. Horn, Eva und Anson Rabinbach: »Introduction: Dark Powers. Conspiracies and Conspiracy Theory in History and Fiction«. In: New German Critique, Special Issue 103 (2008), S. 1−8. Hornung, Erik, Hrsg.: Das Totenbuch der Ägypter. Zürich; München: Artemis, 1990. Horstmann, Erwin: 75 Jahre Fernsprecher in Deutschland. Bonn: Bundesministerium für Post-und Fernmeldewesen, 1952. Huber, Hans Dieter: Paolo Veronese. Kunst als soziales System. München: Fink, 2005. Huber-Rebenich, Gerlinde: »Kontinuität und Wandel in der frühen italienischen Ovid-Illustration. Die Tradition der Holzschnitte zu Giovanni dei Bonsignoris Ovidio metamorphoseos vulgare«. In: Metamorphosen. Wandlungen und Ver- wandlungen in Literatur, Sprache und Kunst von der Antike bis zur Gegenwart. Festschrift für Bodo Guthmüller zum 65. Geburtstag. Hrsg. von Heidi Marek, Anne Neuschäfer und Susanne Tichy. Wiesbaden: Harrassowitz, 2002, S. 63−77. Hug, August und August Steier: »Spinnen«. In: Paulys Real-Encyclopädie der clas- sischen Altherthumswissenschaft. Band II.6. Sparta – Stluppi. Hrsg. von Wilhelm Kroll und Karl Mittelhaus. Stuttgart: Metzler, 1929, S. 1784−1813. Hughes, Thomas Parke: Networks of Power. Electrification in Western Society 1880−1930. Baltimore; London: Johns Hopkins University Press, 1983. Hugill, Peter J.: Global Communications since 1844. Geopolitics and Technology. Baltimore; London: Johns Hopkins University Press, 1999. Hugo, Victor: »Les voix intérieures«. In: Œuvres Complètes. Poésie I. Hrsg. von Claude Gély. Paris: Robert Laffont, 1985 [1837]. – Les Misérables II. Hrsg. von Yves Gohin. folio classique. Paris: Gallimard, 1995 [1862]. Huizinga, Johan: Homo ludens. Vom Ursprung der Kultur im Spiel. 19. Aufl. Frankfurt am Main: Rowohlt, 2004. Information Sciences Institute, University of Southern California: RFC 791. Internet Protocol. DARPA Internet Program Control Specification. Techn. Ber. DARPA, 1981. https://www.rfc-editor.org/rfc/rfc791.txt. – RFC 793. Transmission Control Protocol. DARPA Internet Program Protocol Specification. Techn. Ber. DARPA, 1981. https://www.rfc-editor.org/rfc/rfc793. txt. Iñiguez, Diego Angulo: »Las Hilanderas. Sobre la iconografia de Aracne«. In: Archivo Español de arte XXV.97 (1952), S. 67−84. Iyer, Ananth V., Sridhar Seshadri und Roy Vasher: Toyota Supply Chain Manage- ment. A Strategic Approach to the Principles of Toyota’s Renowned System. New York u. a.: McGraw-Hill, 2009. 460 Literatur Jacobs, Carl H.: Die Schiffahrtsfreiheit im Suezkanal. Göttingen: E. A. Huth, 1912. Jahn, Ilse: »Naturphilosophie und Empirie in der Frühaufklärung«. In: Geschichte der Biologie. Theorien, Methoden, Institutionen, Kurzbiographien. Hrsg. von Ilse Jahn. 4. Aufl. Jena; Stuttgart; Lübeck; Ulm: Gustav Fischer, 1998, S. 197−230. James, William: »The Association of Ideas«. In: The Popular Science Monthly XVI.5 (1880), S. 577−593. – The Principles of Psychology. Bd. 1. New York: Dover, 1950 [1890]. Jameson, Fredric: The Geopolitical Aesthetic. Cinema and Space in the World System. Bloomington; Indianapolis: Indiana University Press, 1992. Japan Management Association, Hrsg.: Kanban. Just-in-Time at Toyota. 2. Aufl. Cambridge, MA; Norwalk, CT: Productivity Press, 1989. Johach, Eva: »Der Bienenstaat. Geschichte eines politisch-moralischen Exempels«. In: Politische Zoologie. Hrsg. von Anne von der Heiden und Joseph Vogl. Zürich; Berlin: diaphanes, 2007, S. 209−233. Johach, Eva, Jasmin Mersmann und Evke Rulffes, Hrsg.: Mimesen. ilinx. Berliner Beiträge zur Kulturwissenschaft 2. Hamburg: Philo Fine Arts, 2011. Johnson, C. K.: ORTEP. A FORTRAN Thermal-Ellipsoid Plot Program for Crystal Structure Illustrations. ORNL Report 3794. Techn. Ber. Oak Ridge, TN: Oak Ridge National Laboratory, 1965. Johnson, Samuel, Hrsg.: A Dictionary of the English Language: In Which the Words are deduced from their Originals and Illustrated in their Different Significations by Examples from the Best Writers […] Bd. 2. London: Printed by W. Strahan, 1755. Johnstone, Sarah und Tom Masters: London City Guide. Melbourne; Oakland; London: Lonely Planet Publications, 2006. Jones, Dennis Feltham: Colossus. London: Pan Books, 1968. Jost, Erdmut und Daniel Fulda, Hrsg.: Briefwechsel. Zur Netzwerkbildung in der Aufklärung. Kleine Schriften des Interdisziplinären Zentrums für die Erforschung der europäischen Aufklärung 4 / 2012. Halle: Mitteldeutscher Verlag, 2012. Kablitz, Andreas: »Jenseitige Kunst oder Gott als Bildhauer. Die Reliefs in Dantes Purgatorio (Purg. X−XII)«. In: Mimesis und Simulation. Hrsg. von Andreas Ka- blitz und Gerhard Neumann. Litterae 52. Freiburg: Rombach, 1998, S. 309−356. Kafka, Franz: Der Verschollene. Frankfurt am Main: Fischer, 1994 [1927]. – Das Schloß. 8. Aufl. Frankfurt am Main: Fischer, 2001 [1926]. Kamata, Satoshi: Japan in the Passing Lane. An Insider’s Account of Life in a Ja- panese Auto Factory. Boston; London; Sydney: George Allen & Unwin, 1983. Kammerer, Dietmar: Bilder der Überwachung. es 2550. Frankfurt am Main: Suhr- kamp, 2008. Kant, Immanuel: Werkausgabe in 12 Bänden. X. Kritik der Urteilskraft. Frankfurt am Main: Suhrkamp, 1974. Kapp, Ernst: Grundlinien einer Philosophie der Technik. Zur Entstehungsgeschichte der Cultur aus neuen Gesichtspunkten. Braunschweig: Westermann, 1877. Kassung, Christian: »Isochronie und Synchronie. Zur apparativen und epistemo- logischen Genese des Kopiertelegraphen«. In: Lebendige Zeit. Wissenskulturen im Werden. Hrsg. von Henning Schmidgen. Berlin: Kadmos, 2005, S. 195−209. – Das Pendel. Eine Wissensgeschichte. München: Fink, 2007. Kassung, Christian und Albert Kümmel-Schnur: »Wissensgeschichte als Malerarbeit? Ein Trialog über das Weißeln schwarzer Kisten«. In: Bruno Latours Kollektive. Hrsg. von Georg Kneer, Markus Schroer und Erhard Schüttpelz. Frankfurt am Main: Suhrkamp, 2008, S. 155−179. Literatur 461 Kassung, Christian und Thomas Macho: »Einleitung«. In: Kulturtechniken der Syn- chronisation. Hrsg. von Christian Kassung und Thomas Macho. Kulturtechnik. München: Fink, 2013, S. 9−21. Katz, Julius: »De pulmonibus. Abhandlung von Malpighi«. In: Klinisch-experimen- telle Beiträge zur Inneren Medicin. Festschrift Julius Lazarus. Berlin: August Hirschwald, 1899, S. 111−123. Kaufmann, Stefan: »Netzwerk«. In: Glossar der Gegenwart. Hrsg. von Ulrich Bröckling, Susanne Krasmann und Thomas Lemke. es 2381. Frankfurt am Main: Suhrkamp, 2004, S. 182−189. – Hrsg.: Vernetzte Steuerung. Soziale Prozesse im Zeitalter technischer Netzwerke. Zürich: Chronos, 2007. Keck, Annette und Nicolas Pethes, Hrsg.: Mediale Anatomien. Menschenbilder als Medienprojektionen. Bielefeld: transcript, 2001. Keller, Otto: Die antike Tierwelt. Vögel, Reptilien, Fische, Insekten, Spinnentiere, Tausendfüssler, Krebstiere, Würmer, Weichtiere, Stachelhäuter, Schlauchtiere. Bd. 2. Leipzig: Wilhelm Engelmann, 1913. Kelley, James E. Jr. und Morgan R. Walker: »Critical-Path Planning and Schedu- ling«. In: Proceedings of the Eastern Joint Computer Conference. New York, 1959, S. 160−173. Kilian-Dirlmaier, Imma: »Das Kuppelgrab von Vapheio: Die Beigabenausstattung in der Steinkiste. Untersuchungen zur Sozialstruktur in späthelladischer Zeit«. In: Jahrbuch der Römisch-Germanischen Zentralmuseums Mainz 34.1 (1987), S. 197−212. Killen, Andreas: »Die Telefonzentrale«. In: Orte der Moderne. Erfahrungswelten des 19. und 20. Jahrhunderts. Hrsg. von Alexa Geisthövel und Habbo Knoch. Frankfurt; New York: Campus, 2005, S. 81−90. Killen, John Tyrrell: »The Wool Industry of Crete in the Late Bronze Age«. In: The Annual of the British School at Athens (1964), S. 1−15. Kimura, Kinji, Hrsg.: Großes japanisch-deutsches Wörterbuch. Tokyo: Hakuyusha, 1958. Kircher, Athanasius: Ars Magna Sciendi Sive Combinatoria. Amsterdam, 1669. Kittler, Friedrich: Grammophon, Film, Typewriter. Berlin: Brinkmann und Bose, 1986. Kittler, Friedrich und Ana Ofak, Hrsg.: Medien vor den Medien. Kulturtechnik. München: Fink, 2007. Klaus, Peter und Winfried Krieger, Hrsg.: Gabler Lexikon Logistik. Management logistischer Netzwerke und Flüsse. 3. Aufl. Wiesbaden: Gabler, 2004. Klein, Ursula: »Visualität, Ikonizität, Manipulierbarkeit. Chemische Formeln als Paper Tools«. In: Schrift. Kulturtechnik zwischen Auge, Hand und Maschine. Hrsg. von Gernot Grube, Werner Kogge und Sybille Krämer. München: Fink, 2005, S. 237−251. Kleinrock, Leonard: Communication Nets. Stochastic Message Flow and Delay. Lincoln Laboratory Publications. New York; San Francisco; Toronto; London: McGraw-Hill, 1964. – Personal History / Biography: the Birth of the Internet. University of California at Los Angeles, Computer Science Department. 2010. http://www.lk.cs.ucla.edu/ personal_history.html. Klose, Alexander: Das Container-Prinzip. Wie eine Box unser Denken verändert. Hamburg: mare, 2009. Klovdahl, Alden S.: »A Note on Images of Networks«. In: Social Networks 3 (1981), S. 197−214. 462 Literatur König, Dénes: Theorie der endlichen und unendlichen Graphen. Bd. 6. Teubner- Archiv zur Mathematik. 1986. König, Wolfgang, Hrsg.: Propyläen-Technikgeschichte. Netzwerke, Stahl und Strom 1840−1914. Bd. 4. Berlin: Propyläen, 1990. – »Nutzungswandel, Technikgenese und Technikdiffusion. Ein Essay zur Frühge- schichte des Telefons in den Vereinigten Staaten und Deutschland«. In: Fern- Sprechen. Internationale Fernmeldegeschichte, -soziologie und -politik. Hrsg. von Jörg Becker. Berlin: Vistas, 1994, S. 147−163. Koschorke, Albrecht: Körperströme und Schriftverkehr. Mediologie des 18. Jahr- hunderts. München: Fink, 1999. Koschorke, Albrecht u. a.: Der fiktive Staat. Konstruktionen des politischen Körpers in der Geschichte Europas. Frankfurt am Main: Fischer, 2007. Koubek, Jochen: »Vernetzung als kulturelles Paradigma«. Diss. HU Berlin, 2003. http://edoc.hu-berlin.de/dissertationen/koubek-jochen-2002−10/HTML/index. html. Kracauer, Siegfried: Die Angestellten. Aus dem neuesten Deutschland. stb 13. Frankfurt am Main: Suhrkamp, 1971 [1929]. – »Zwei Flächen«. In: Aufsätze 1915−1926. Schriften 5.1. Hrsg. von Inka Mülder- Bach. Frankfurt am Main: Suhrkamp, 1990 [1926], S. 378−380. Krajewski, Markus, Hrsg.: Projektemacher. Zur Produktion von Wissen in der Vorform des Scheiterns. Berlin: Kadmos, 2004. – Restlosigkeit. Weltprojekte um 1900. Frankfurt am Main: Fischer, 2006. – Der Diener. Mediengeschichte einer Figur zwischen König und Klient. Frankfurt am Main: Fischer, 2010. Krämer, Sybille: »›Schriftbildlichkeit‹ oder: Über eine fast vergessene Dimension der Schrift«. In: Bild – Schrift – Zahl. Hrsg. von Sybille Krämer und Horst Brede- kamp. Kulturtechnik. München: Fink, 2003, S. 157−176. – »›Operationsraum Schrift‹. Über einen Perspektivenwechsel in der Betrachtung der Schrift«. In: Schrift. Kulturtechnik zwischen Auge, Hand und Maschine. Hrsg. von Gernot Grube, Werner Kogge und Sybille Krämer. München: Fink, 2005, S. 22−57. Krämer, Sybille und Horst Bredekamp: »Kultur, Technik, Kulturtechnik. Wider die Diskursivierung der Kultur«. In: Bild – Schrift – Zahl. Hrsg. von Sybille Krämer und Horst Bredekamp. 2. Aufl. Kulturtechnik. München: Fink, 2009, S. 11−22. Krause, Marcus, Arno Meteling und Markus Stauff: »Einleitung«. In: The Parallax View. Zur Mediologie der Verschwörung. Mediologie 22. München: Fink, 2011, S. 9−42. Krempel, Lothar: Visualierung komplexer Strukturen. Grundlagen der Darstellung mehrdimensionaler Netzwerke. Schriften des Max-Planck-Instituts für Gesell- schaftsforschung, Sonderband. Frankfurt am Main: Campus, 2005. Krieger, Verena: »Arachne als Künstlerin. Velázquez’ Las hilanderas als Gegenkon- zept zum neuplatonischen Künstlermodell«. In: Zeitschrift für Kunstgeschichte 4 (2002), S. 545−561. Kümmel, Albert: »Mathematische Medientheorie«. In: Medientheorien. Eine Ein- führung. Hrsg. von Daniela Kloock und Angela Spahr. München: Fink, 1997, S. 205−236. Kümmel, Albert und Erhard Schüttpelz, Hrsg.: Signale der Störung. München: Fink, 2003. Kümmel-Schnur, Albert: »Patente als Agenten von Mediengeschichte«. In: Bildte- legraphie. Eine Mediengeschichte in Patenten (1840−1930). Hrsg. von Albert Literatur 463 Kümmel-Schnur und Christian Kassung. Kultur- und Medientheorie. Bielefeld: transcript, 2012, S. 15−38. Kümmel-Schnur, Albert und Christian Kassung, Hrsg.: Bildtelegraphie. Eine Me- diengeschichte in Patenten (1840−1930). Kultur- und Medientheorie. Bielefeld: transcript, 2012. Kumon, Shumpei: »Japan as a Network Society«. In: The Political Economy of Japan. Cultural and Social Dynamics. Hrsg. von Kumon Shumpei und Henry Rosovsky. Bd. 3. Stanford: Stanford University Press, 1992, S. 109−141. Kumon, Shumpei und Henry Rosovsky, Hrsg.: The Political Economy of Japan. Cultural and Social Dynamics. Bd. 3. Stanford: Stanford University Press, 1992. Künzel, Werner und Peter Bexte: Gottfried Wilhelm Leibniz, Barock-Projekte. Ma- schinenwelt und Netzwerk im 17. Jahrhundert. Berlin: Papyrus Druck, 1990. Kurth, Dieter, Hrsg.: Treffpunkt der Götter. Inschriften aus dem Tempel des Horus von Edfu. 2. Aufl. Düsseldorf; Zürich: Artemis & Winkler, 1998. Laak, Dirk van: »Der Begriff Infrastruktur und was er vor seiner Erfindung besagte«. In: Archiv für Begriffsgeschichte 41 (1999), S. 280−299. – Imperiale Infrastruktur. Deutsche Planungen für eine Erschließung Afrikas 1880 bis 1960. Paderborn; München: Schöningh, 2004. – »Just in Time. Zur Theorie von Infrastruktur und Logistik«. In: Versorgung und Entsorgung der Moderne. Logistiken und Infrastrukturen der 1920er und 1930er Jahre. Hrsg. von Wiebke Porombka, Heinz Reif und Erhard Schütz. Frankfurt am Main u. a.: Peter Lang, 2011, S. 13−23. Ladewig, Rebekka: »Über die Geschicke des Pfeils«. In: Im Zauber der Zeichen. Beiträge zu einer Kulturgeschichte des Mediums. Hrsg. von Jörn Ahrens und Stephan Braese. Berlin: Vorwerk 8, 2006, S. 17−30. Laertius, Diogenes: Leben und Meinungen berühmter Philosophen. Buch I−X. Hrsg. von Klaus Reich. 2. Aufl. Hamburg: Meiner, 1967. Lagercrantz, Sture: »Beiträge zur Jagdfallensystematik«. In: Ethnos 6 (1937), S. 361−366. Lamé, Gabriel u. a.: Vues politiques et pratiques sur les travaux publics. Paris: Everat, 1832. Lammert, Angela: »Mark Lombardi – Denken als Mustererkennung«. In: Räume der Zeichnung. Hrsg. von Angela Lammert u. a. Nürnberg: Verlag für moderne Kunst, 2007, S. 57−71. Langer, Brigitta und Katharina Heinemann, Hrsg.: Ewig blühe Bayerns Land. Herzog Ludwig X. und die Renaissance. Regensburg: Schnell & Steiner, 2009. Latour, Bruno: »Visualisation and Cognition: Drawing Things Together«. In: Re- presentation in Scientific Practice. Hrsg. von Michael Lynch und Steve Woolgar. Cambridge, MA; London, England: MIT Press, 1990, S. 19−68. – Aramis ou l’amour des techniques. Paris: Editions La Découverte, 1992. – Wir sind nie modern gewesen. Versuch einer symmetrischen Anthropologie. Berlin: Akademie, 1995. – Die Hoffnung der Pandora. Untersuchungen zur Wirklichkeit der Wissenschaft. Frankfurt am Main: Suhrkamp, 2000. – »Technik ist stabilisierte Gesellschaft«. In: ANThology. Ein einführendes Hand- buch zur Akteur-Netzwerk-Theorie. Hrsg. von Andréa Belliger und David J. Krieger. Science Studies. Bielefeld: transcript, 2006, S. 369−397. – »Über technische Vermittlung. Philosophie, Soziologie und Geneaologie«. In: ANThology. Ein einführendes Handbuch zur Akteur-Netzwerk-Theorie. Hrsg. von Andréa Belliger und David J. Krieger. Bielefeld: transcript, 2006, S. 483−528. 464 Literatur – Eine neue Soziologie für eine neue Gesellschaft. Einführung in die Akteur- Netzwerk-Theorie. stw 1967. Frankfurt am Main: Suhrkamp, 2010. Latte, Kurt: Heiliges Recht. Untersuchungen zur Geschichte der sakralen Rechts- formen in Griechenland. Tübingen: J. C. B. Mohr, 1920. Law, John: Note on the Theory of the Actor Network: Ordering, Strategy and Heterogeneity. Centre for Science Studies, Lancaster University. 1992. http:// www.lancs.ac.uk/fass/sociol ogy/papers/law-notes-on-ant.pdf. Lazardzig, Jan: Theatermaschine und Festungsbau. Paradoxien der Wissensproduk- tion im 17. Jahrhundert. Berlin: Akademie, 2007. Leboff, David und Tim Demuth: No Need to Ask! Early Maps of London’s Under- ground Railways. Harrow Weld, Middlesex: Capital Transport Publishing, 1999. Lechtermann, Christina: »Vulkans Waffe«. In: Perspicuitas. Internet-Periodicum für mediävistische Sprach-, Literatur- und Kulturwissenschaft (2004). In: Netzstruk- turen. Zur Kulturgeschichte sprachlicher, visueller und technischer Netze. http:// www.perspicuitas.uni-essen.de/sammelbd/netzstrukt/lechtermann_vulkan.pdf. Leeb, Susanne: »Einleitung«. In: Materialität der Diagramme. Kunst und Theorie. Hrsg. von Susanne Leeb. PoLYpeN. Berlin: b_books, 2012, S. 7−32. Lehmann, Ursula: »Von Landschaften und Schätzen. Savoyische Verhältnisse unter Amadeus VIII. bis Felix V.« In: Das Ende des konziliaren Zeitalters (1440−1450). Versuch einer Bilanz. Schriften des Historischen Kollegs 86. Hrsg. von Heribert Müller. München: Oldenbourg, 2012, S. 83−101. Leibniz, Gottfried Wilhelm: »Characteristica Geometrica. Analysis Geometrica pro- pria. Calculus situs«. In: Mathematische Schriften V. Hrsg. von Carl Immanuel Gerhardt. Hildesheim: Olms, 1971, S. 141−219. – »Zur Analysis der Lage. Analysis situ«. In: Hauptschriften zur Grundlegung der Philosophie. Hrsg. von Ernst Cassirer. Philosophische Bibliothek 496. Hamburg: Meiner, 1996. Lemercier, Claire: Interlocking directorates: une bibliographie introductive. 2006. http://lem ercier.ouvaton.org/document.php?id=150. Lenoir, Timothy: »Farbensehen, Tonempfindung und der Telegraf. Helmholtz und die Materialität der Kommunikation«. In: Die Experimentalisierung des Lebens. Experimentalsysteme in den biologischen Wissenschaften 1850 / 1950. Hrsg. von Hans-Jörg Rheinberger und Michael Hagner. Berlin: Akademie-Verlag, 1993, S. 50−73. Leroi-Gourhan, André: Milieu et Techniques. Paris: Éditions Albin Michel, 1945. – Hand und Wort. Die Evolution von Sprache, Technik, Kunst. stw 700. Frankfurt am Main: Suhrkamp, 1988. Lesêtre, Henri: »Filet«. In: Dictionnaire de la Bible C−F. Hrsg. von Fulcran Vigoroux. Paris: Letouzey et Ané, 1899, S. 2245−2249. Lethen, Helmut: Verhaltenslehren der Kälte. Lebensversuche zwischen den Kriegen. es 1884. Frankfurt am Main: Suhrkamp, 1994. Lévi-Strauss, Claude: Strukturale Anthropologie I. stw 226. Frankfurt am Main: Suhrkamp, 1977. – Mythologica I. Das Rohe und das Gekochte. 4. Aufl. stw 167. Frankfurt am Main: Suhrkamp, 1990. – Strukturale Anthropologie II. stw 1006. Frankfurt am Main: Suhrkamp, 1992. Levy, Dana, Lea Sneider und Frank Gibney, Hrsg.: Kanban. The Art of the Japanese Shop Sign. San Francisco: Chronicle Books, 1983. Licklider, Joseph Carl Robnett: Libraries of the Future. 5. Aufl. Cambridge, MA: MIT Press, 1971. Literatur 465 Licklider, Joseph Carl Robnett und Robert William Taylor: »The Computer as a Communication Device«. In: Science and Technology 76 (1968), S. 21−31. Lin, Tan: »Two or Three Sentences About Mark Lombardi«. In: Mark Lombardi. Preparatory Drawings. New York: Pierogi, 2003. Lindemann, Gesa u. a.: »Debatte: Kulturwissenschaft und Akteur-Netzwerk-The- orie«. In: Politische Ökologie. Zeitschrift für Kulturwissenschaften. Hrsg. von Sebastian Gießmann u. a. Bielefeld: transcript, 2 (2009), S. 111−151. Lindemann, Klaus und Raimar Stefan Zons, Hrsg.: Lauter schwarze Spinnen. Spin- nenmotive in der deutschen Literatur. Bouviers Bibliothek 9. Bonn: Bouvier, 1990. Lindner, Kurt: Geschichte des deutschen Weidwerks I. Die Jagd der Vorzeit. Berlin; Leipzig: de Gruyter, 1937. – Geschichte des deutschen Weidwerks II. Die Jagd im frühen Mittelalter. Berlin: de Gruyter, 1940. Lips, Julius: Fallensysteme der Naturvölker. Leipzig: Ernst Wiegandt Verlagsbuch- handlung, 1927. Lombardi, Mark: 100 Notizen – 100 Gedanken. Nr. 071: Mark Lombardi. Ein- führung: Carolyn Christov-Bakargiev. Kassel: documenta 13; Ostfildern: Hatje Cantz, 2012. London County Council. Special Committee on Electricity Supply, Hrsg.: Report on London Electricity Supply by Merz and McLellan. London: The Council, 1914. London Passenger Transport Board, Hrsg.: First Annual Report and Statement of Accounts and Statistics for the Year ended 30 June 1934. London: LPTB, 1934. Loraux, Nicole: »Das Band der Teilung«. In: Gemeinschaften. Positionen zu einer Philosophie des Politischen. Hrsg. von Joseph Vogl. es 1881. Frankfurt am Main: Suhrkamp, 1994, S. 31−64. Lorenz, Günther: Tiere im Leben der alten Kulturen. Schriftlose Kulturen, Alter Orient, Ägypten, Griechenland und Rom. Alltag und Kultur im Altertum 5. Wien; Köln; Weimar: Böhlau, 2000. Lovink, Geert: The Principle of Notworking. Concepts in Critical Internet Culture. Amsterdam: HVA Publicaties, 2005. Lucas, Edouard: Récréations mathématiques. Qui perd gagne, les dominos, les marelles … Bd. 2. Paris: A. Blanchard, 1892. Luhmann, Niklas: Ökologische Kommunikation. Kann die moderne Gesellschaft sich auf ökologische Gefährdungen einstellen? 3. Aufl. Opladen: Westdeutscher Verlag, 1990. – »Gleichzeitigkeit und Synchronisation«. In: Soziologische Aufklärung 5. Kon- struktivistische Perspektiven. 2. Aufl. Wiesbaden: Westdeutscher Verlag, 1993, S. 95−130. – »Kausalität im Süden«. In: Soziale Systeme 1 (1995), S. 7−28. http://www. soziale-systeme.ch/leseproben/luhmann.htm. – Die Gesellschaft der Gesellschaft. Bd. 1. stw 1360. Frankfurt am Main: Suhr- kamp, 1997. – Die Realität der Massenmedien. Wiesbaden: Verlag für Sozialwissenschaften, 2004. Lukrez: Über die Natur der Dinge. Hrsg. von Josef Martin. Berlin: Akademie- Verlag, 1972. Lundberg, George A.: »Social Attraction-Patterns in a Rural Village: A Preliminary Report«. In: Sociometry 1.1 / 2 (1937), S. 77−80. Lundberg, George A. und Mary Steele: »Social Attraction-Patterns in a Village«. In: Sociometry 1.3 / 4 (1938), S. 375−419. 466 Literatur Macho, Thomas: »Stimmen ohne Körper. Anmerkungen zur Technikgeschichte der Stimme«. In: Stimme. Annäherung an ein Phänomen. Hrsg. von Doris Kolesch und Sybille Krämer. stw 1789. Frankfurt am Main: Suhrkamp, 2006, S. 130−146. – »Körper der Zukunft. Vom Vor- und Nachleben der Bilder«. In: Bilderfragen. Die Bildwissenschaften im Aufbruch. Hrsg. von Hans Belting. Bild und Text. München: Fink, 2007, S. 181−194. Magee, John Francis und David Morris Boodman: Production Planning and Inven- tory Control. 2. Aufl. New York u. a.: McGraw-Hill, 1967. Mahr, Bernd: »Modellieren. Beobachtungen und Gedanken zur Geschichte des Modellbegriffs«. In: Bild – Schrift – Zahl. Hrsg. von Sybille Krämer und Horst Bredekamp. Kulturtechnik. München: Fink, 2003, S. 59−86. – »Cargo. Zum Verhältnis von Bild und Modell«. In: Visuelle Modelle. Hrsg. von Ingeborg Reichle, Steffen Siegel und Achim Spelten. München: Fink, 2008, S. 17−40. Malcolm, Donald G. u. a.: »Application of a Technique for Research and Develop- ment Program Evaluation«. In: Operations Research 7.5 (1959), S. 646−669. Malpighi, Marcello: »De anatome plantarum«. In: Opera omnia: figuris elegan- tissimis in aes incisis illustrata; zwei Bände in einem Band. Bd. 1. Hildesheim (u. a.): Olms, 1975, S. 1−78. – The Correspondence of Marcello Malpighi. 1658−1669. Hrsg. von Howard B. Adelmann. Bd. 1. Ithaca, London: Cornell University Press, 1975. – »De pulmonibus«. In: Opera omnia: figuris elegantissimis in aes incisis illustrata; zwei Bände in einem Band. Bd. 2. Hildesheim (u. a.): Olms, 1975, S. 133−145. Marcuse, Herbert: Eros and Civilization. A Philosophical Inquiry into Freud. Re- print der Ausgabe der Beacon Press, 1955. New York: Vintage Books, 1966. – Schriften 5. Triebstruktur und Gesellschaft. Ein philosophischer Beitrag zu Sigmund Freud. Frankfurt am Main: Suhrkamp, 1979. Marill, Thomas und Lawrence G. Roberts: »Toward a Cooperative Network of Time-Shared Computers«. In: Proceedings of AFIPS Fall Joint Computer Con- ference. Nov. 7−10 San Francisco, California. Fall Joint Computer Conference 29. Washington, DC: Spartan Books, 1966, S. 425−431. Marschall, Brigitte: Ich bin der Mythe. Von der Stegreifbühne zum Psychodrama Jakob Levy Morenos. Maske und Kothurn, Beiheft 13. Wien; Köln; Graz: Böhlau, 1988. – »Jakob Levy Morenos Theaterkonzept. Die Zeit-Räume des Lebens als Szenen- raum der Begegnung«. In: Zeitschrift für Psychodrama und Soziometrie 4.2 (2005), S. 229−243. Martin, James: Future Developments in Telecommunications. Series in Automatic Computation. Englewood Cliffs, NJ: Prentice Hall, 1971. Martin, Michèle: Hello Central? Gender, Technology, and Culture in the Formation of the Telephone System. Montreal / Kingston; London; Buffalo: Gill University Press, 1991. Marvin, Carolyn: When Old Technologies Were New. Thinking About Electric Communication in the Late Nineteenth Century. New York; Oxford: Oxford University Press, 1988. Marx, Karl: Das Kapital. Kritik der politischen Ökonomie. Erster Band, Buch 1: Der Produktionsprozess des Kapitals. Berlin: Dietz, 1987. Maurer, Emil: Manierismus. Figura serpentinata und andere Figurenideale. Studien, Essays, Berichte. München: Fink, 2001. Literatur 467 Mauss, Marcel: Soziologie und Anthropologie 1. Theorie der Magie. Soziale Mor- phologie. Frankfurt am Main: Fischer, 1989. – Die Gabe. Formen und Funktionen des Austauschs in archaischen Gesellschaften. stw 743. Frankfurt am Main: Suhrkamp, 1990. Maye, Harun: »Was ist eine Kulturtechnik?« In: Zeitschrift für Medien- und Kul- turforschung. Schwerpunkt Kulturtechnik 1 (2010), S. 121−135. McCulloch, Warren S.: »Eine durch die Topologie der Nervennetze bestimmte He- terarchie von Werten«. In: Verkörperungen des Geistes. Computerkultur VII. Wien; New York: Springer, 2000 [1945], S. 41−46. McCulloch, Warren S. und Walter Pitts: »A Logical Calculus of the Ideas Immanent in Nervous Activity«. In: Bulletin of Mathematical Biophysics 5 (1943), S. 115−133. McGrath, Patrick: Spider. New York: Vintage, 1990. McKenzie, Alex: RFC 413. Traffic Statistics (October 1972). Techn. Ber. BBN, 1972. https://www.rfc- editor.org/rfc/rfc413.txt. – RFC 422. Traffic Statistics (November 2012). Techn. Ber. BBN, 1972. https:// www.rfc-editor.org/rfc/rfc422.txt. McLaren, Kenneth Gordon und Eric Leonard Buesnel: Network Analysis in Project Management. An Introductory Manual Based on Unilever Experience. London: Cassell, 1968. McLuhan, Marshall: Die mechanische Braut. Volkskultur des industriellen Men- schen. Amsterdam: Verlag der Kunst, 1996. McMillan, Charles J.: The Japanese Industrial System. 3. Aufl. Berlin; New York: de Gruyter, 1996. Meier, Christian: Die politische Kunst der griechischen Tragödie. München: C. H. Beck, 1988. Meier-Öser, Stephan: »Zeichenkonzeptionen in der Philosophie des Mittelalters«. In: Semiotik / Semiotics. Eine Handbuch zu den zeichentheoretischen Grundlagen von Natur und Kultur. Hrsg. von Roland Posner, Klaus Robering und Thomas A. Sebeok. Bd. 1. Handbücher zur Sprach- und Kommunikationswissenschaft 13.1. Berlin; New York: de Gruyter, 1997, S. 984−1022. Meinel, Christoph: »Molecules and Croquet Balls«. In: Models. The Third Dimen- sion of Science. Hrsg. von Soraya de Chadarevian und Nick Hopwood. Writing Science. Stanford: Stanford University Press, 2004, S. 242−275. Meister, Carolin: »Einleitung«. In: Randgänge der Zeichnung. Hrsg. von Werner Busch, Oliver Jehle und Carolin Meister. München: Fink, 2007, S. 7−10. Melley, Timothy: Empire of Conspiracy. The Culture of Paranoia in Postwar Ame- rica. Ithaca, NY; London: Cornell University Press, 2000. Menke, Christoph: Die Gegenwart der Tragödie. Versuch über Urteil und Spiel. stw 1649. Frankfurt am Main: Suhrkamp, 2005. Mercklé, Pierre: Sociologie des réseaux sociaux. Paris: La Découverte, 2004. Mersch, Dieter: »Das Bild als Argument. Visualisierungsstrategien in der Naturwis- senschaft«. In: Ikonologie des Performativen. Hrsg. von Christoph Wulf und Jörg Zirfas. München: Fink, 2005, S. 322−344. Meteling, Arno: »The Parallax View. Verschwörungstheorie zur Einführung«. In: Transkriptionen 9 (2008), S. 15−18. Meuli, Karl: »Ein altpersischer Kriegsbrauch«. In: Gesammelte Schriften. Hrsg. von Thomas Gelzer. Bd. 2. Basel; Stuttgart: Schwabe & Co., 1975, S. 699−729. Meyer, Eduard: Geschichte des Altertums. Die ältesten geschichtlichen Völker und Kulturen bis zum 16. Jahrhundert. Nachtrag: Die ältere Chronologie Babylo- 468 Literatur niens, Assyriens und Ägyptens. Hrsg. von Hans Erich Stier. 9. Aufl. Bd. 1.2. Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft, 1981. Meyer Jr., Edwin E.: RFC 46. ARPA Network Protocol Notes. Techn. Ber. MIT, 1970. https://www.rfc-editor.org/rfc/rfc46.txt. Meyer Jr., Edwin W.: RFC 49. Conversations with Steve Crocker (UCLA). Techn. Ber. MIT Project MAC, 1970. https://www.rfc-editor.org/rfc/rfc49.txt. – RFC 82. Network Meeting Notes. Techn. Ber. MIT Project MAC, 1970. https:// www.rfc-editor.org/rfc/rfc82.txt. Michalski, Katarzyna und Sergiusz Michalski: Spider. London: Reaktionbooks, 2010. Michelet, Jules: Das Insekt. Naturwissenschaftliche Beobachtungen und Reflexionen über das Wesen und Treiben der Insektenwelt. Braunschweig: Vieweg und Sohn, 1858. Miller, Theresa: Die griechische Kolonisation im Spiegel literarischer Zeugnisse. Classica Monacensia 14. Tübingen: Narr, 1997. Millman, Sidney, Hrsg.: A History of Engineering and Science in the Bell System 5. Communication Sciences (1925−1980). Indianapolis: AT&T Bell Laboratories, 1984. Mitchell, J. Clyde, Hrsg.: Social Networks in Urban Sitations. Analyses of Personal Relationships in Central African Towns. Manchester: Manchester University Press, 1969. Mitchell, William John Thomas: Iconology. Chicago: University of Chicago Press, 1986. Mizruchi, Mark S.: The American Corporate Network 1904−1974. Sage Library of Social Research 138. Beverly Hills; London: Sage, 1982. Moder, Joseph John und Cecil R. Philipps: Project Management with CPM and PERT. 4. Aufl. Reinhold Industrial Engineering and Management Sciences Textbook Series. New York: Reinhold Publishing, 1967. Möller-Wiering, Susanne: »Maschenstoffe«. In: Reallexikon der Germanischen Altertumskunde. Luchs – Metrum. Hrsg. von Johannes Hoops. Bd. 19. Berlin; New York: de Gruyter, 2001, S. 377−383. Montel, Nathalie: »Le chantier du Canal de Suez (1859−1869). Techniques et tech- niciens de travaux publics du XIXème siècle«. Diss. Université de Lille III, 1995. Montet, Pierre: Scènes de la vie privée dans les tombeaux égyptiens de l’ancien empire. Publications de la faculté des lettres de l’université de Strasbourg 24. Strasbourg: Librairie Istra, 1925. – La vie quotidienne en Égypte au temps des Ramsès 1300−1100. Paris: Hachette, 1988. Moog-Grünewald, Maria: Metamorphosen der Metamorphosen. Rezeptionsarten der ovidischen Verwandlungsgeschichten in Italien und Frankreich im XVI. und XVII. Jahrhundert. Studien zum Fortwirken der Antike 10. Heidelberg: C. Winter, 1979. Moore, Edward F. und Claude Elwood Shannon: Reliable Circuits Using Crummy Relays. Techn. Ber. Bell Telephone Laboratories, 1954. Moreno, Jacob Levy: Who Shall Survive? Foundations of Sociometry, Group Psy- chotherapy and Sociodrama. Beacon, NY: Beacon House, 1953 [1934]. – Die Grundlagen der Soziometrie. Wege zur Neuordnung der Gesellschaft. 2. Aufl. Köln, Opladen: Westdeutscher Verlag, 1967. Mueller, Milton: »The Switchboard Problem. Scale, Signaling, and Organization in Manual Telephone Switching«. In: Technology and Culture 30.3 (1989), S. 534−560. Literatur 469 Müller, Reimar: Die Entdeckung der Kultur. Antike Theorien über Ursprung und Entwicklung der Kultur von Homer bis Seneca. Düsseldorf; Zürich: Artemis & Winkler, 2003. Münker, Stefan: Emergenz digitaler Öffentlichkeiten. Die sozialen Medien im Web 2.0. edition unseld 26. Frankfurt am Main: Suhrkamp, 2009. Münkler, Herfried und Martina Münkler: Lexikon der Renaissance. München: C. H. Beck, 2000. Münkner, Jörn: Eingreifen und Begreifen. Handhabungen und Visualisierungen in Flugblättern der Frühen Neuzeit. Berlin: Erich Schmidt, 2008. Musso, Pierre: Télécommunications et philosophie des réseaux. La posterité para- doxale de Saint-Simon. Hrsg. von Lucien Sfez. Paris: Presses Universitaires de France, 1997. Muth, Susanne: Gewalt im Bild. Das Phänomen der medialen Gewalt im Athen des 6. und 5. Jahrhunderts vor Christus. Image & Context 1. Berlin; New York: de Gruyter, 2008. Mützel, Sophie und Jan Fuhse: »Einleitung: Zur relationalen Soziologie. Grund- gedanken, Entwicklungslinien und transatlantische Brückenschläge«. In: Rela- tionale Soziologie. Zur kulturellen Wende der Netzwerkforschung. Hrsg. von Jan Fuhse und Sophie Mützel. Netzwerkforschung 2. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften, 2010, S. 7−36. Nanz, Tobias: Grenzverkehr. Eine Mediengeschichte der Diplomatie. Zürich, Berlin: diaphanes, 2010. Nanz, Tobias und Bernhard Siegert, Hrsg.: Ex machina. Beiträge zur Geschichte der Kulturtechniken. Weimar: Verlag und Datenbank für Geisteswissenschaften, 2006. Network Working Group: RFC 1958. Architectural Principles of the Internet. Techn. Ber. Internet Architecture Board, 1996. http://www.rfc-editor.org/rfc/rfc1958.txt. Neubert, Christoph: »Onto-Logistik. Kommunikation und Steuerung im Internet der Dinge«. In: Agenten und Agenturen. Archiv für Mediengeschichte. Hrsg. von Lorenz Engell, Joseph Vogl und Bernhard Siegert. Weimar: Universitätsverlag, 2008, S. 119−133. Neubert, Christoph: »The End of the Line. Zu Theorie und Geschichte der Selbst- steuerung in der modernen Logistik«. In: Unsichtbare Hände. Automatismen in Medien-, Technik- und Diskursgeschichte. Hrsg. von Hannelore Bublitz u. a. Automatismen 3. München: Fink, 2011, S. 191−214. Neubert, Christoph und Gabriele Schabacher, Hrsg.: Verkehrsgeschichte und Kul- turwissenschaft. Analysen an der Schnittstelle von Technik, Kultur und Medien. Kultur- und Medientheorie. Bielefeld: transcript, 2012. Neurath, Otto: »Bildstatistik und Wirtschaftsplan«. In: Gesammelte bildpädago- gische Schriften. Hrsg. von Rudolf Haller und Robin Kinross. Wien: Hölder- Pichler-Tempsky, 1991, S. 177−179. Newkirk, John u. a.: RFC 55. A Prototypical Implementation of the NCP. Techn. Ber. Harvard und UCLA, 1970. https://www.rfc-editor.org/rfc/rfc55.txt. Niderberger, Leonz: Der Suezkanal. Seine Geschichte, Lage und Bedeutung für den Weltverkehr und im Weltkrieg. Limburg: Steffen, 1916. Nietzsche, Friedrich: »Zur Geneaologie der Moral«. In: Jenseits von Gut und Böse / Zur Geneaologie der Moral. Kritische Studienausgabe 5. Hrsg. von Gio- rgio Colli und Mazzino Montinari. 10. Aufl. München; Berlin: dtv / de Gruyter, 2009, S. 245−412. 470 Literatur Nikolow, Sybilla: »Kurven, Diagramme, Zahlen- und Mengenbilder. Die Wiener Methode der Bildstatistik als statistische Bildform«. In: Bildwelten des Wissens 3.1 (2005), S. 20−33. Nordenfalk, Carl: »The Five Senses in Flemish art before 1600«. In: Netherlandish Mannerism. Papers Given at a Symposion in Nationalmuseum Stockholm, September 21−22, 1984. Hrsg. von Görel Cavalli-Björkman. Stockholm: Nati- onalmuseum, 1985, S. 135−54. – »The Five Senses in Late Medieval and Renaissance Art«. In: Journal of the Warburg and Courtauld Institute 48 (1985), S. 1−22. Nordsieck, Fritz: Die schaubildliche Erfassung der Betriebsorganisation. Stuttgart: Poeschel Verlag, 1932. Oettermann, Stephan: Das Panorama. Die Geschichte eines Massenmediums. Frank- furt am Main: Syndikat, 1980. Offner, Jean-Marc: »Are There Such Things as Small Networks?« In: The Gover- nance of Large Technical Systems. Hrsg. von Olivier Coutard. Routledge Studies in Business Organizations and Networks 13. London; New York: Routledge, 1999, S. 217−238. Ohly, Friedrich: »Vom geistigen Sinn des Wortes im Mittelalter«. In: Schriften zur mittelalterlichen Bedeutungsforschung. Darmstadt: Wissenschaftliche Buchge- sellschaft, 1977, S. 1−31. Ohno, Taiichi: Das Toyota-Produktionssystem. Frankfurt am Main; New York: Campus, 1993. Ornstein, Severo M. u. a.: »The Terminal IMP for the ARPA computer network«. In: AFIPS Conference Proceedings. Spring Joint Computer Conference, May 16−18, 1972. Atlantic City, New Jersey. Bd. 40. Montvale, New Jersey: AFIPS Press, 1972, S. 243−254. Osten-Sacken, Elisabeth von der: »Netz«. In: Reallexikon der Assyriologie und Vorderasiatischen Archäologie. Hrsg. von Otto Dietz Edzard. Bd. 9. Berlin; New York: de Gruyter, 2001, S. 235−242. Osterhammel, Jürgen: Die Verwandlung der Welt. Eine Geschichte des 19. Jahrhun- derts. Historische Bibliothek der Gerda Henkel Stiftung. München: C. H. Beck, 2009. Otis, Laura: Networking. Communicating with Bodies and Machines in the Nine- teenth Century. Ann Arbor: The University of Michigan Press, 2001. Ovenden, Mark: Metro Maps of the World. 2. Aufl. Harrow Weld, Middlesex: Capital Transport Publishing, 2004. Ovid: Werke in zwei Bänden. Hrsg. von Liselot Huchthausen. Bd. 1. Bibliothek der Antike. Übersetzt von Reinhart Suchier. Berlin; Weimar: Aufbau, 1982. – Werke in zwei Bänden. Hrsg. von Liselot Huchthausen. Bd. 2. Bibliothek der Antike. Berlin; Weimar: Aufbau, 1982. Owen, K.: RFC 828. Data Communications: IFIP’s International Network of Ex- perts. Techn. Ber. IFIP, 1982. https://www.rfc-editor.org/rfc/rfc828.txt. Panofsky, Erwin: »Die Perspektive als ›symbolische Form‹«. In: Deutschprachige Auf- sätze II. Hrsg. von Karen Michels. Berlin: Akademie-Verlag, 1998, S. 664−757. Parker, Robert: »Law and Religion«. In: The Cambridge Companion to Ancient Greek Law. Hrsg. von Michael Gagarin und David Cohen. Cambridge; New York: Cambridge University Press, 2005, S. 61−81. Parsons, Talcott: The Structure of Social Action. Volume I: Marshall, Pareto, Dur- kheim. New York; London: Free Press, 1968. Literatur 471 Passepartout, Hrsg.: Weltnetzwerke – Weltspiele. Jules Vernes In 80 Tagen um die Welt. Konstanz: Konstanz University Press, 2013. Pauer, Erich: »Der Technologietransfer nach Japan. Strukturen und Strategien«. In: Technologietransfer Deutschland – Japan. Hrsg. von Erich Pauer. Monographien aus dem Deutschen Institut für Japanstudien der Philipp-Franz-von-Siebold- Stiftung 2. München: iudicium, 1992, S. 48−72. Pausanias: Reisen in Griechenland III: Delphoi. Arkadien, Boiotien, Phokis. Hrsg. von Felix Eckstein und Peter C. Bol. Bibliothek der alten Welt. Zürich: Artemis & Winkler, 1989. Pawlow, Ivan P.: »Naturwissenschaft und Gehirn«. In: Gesammelte Werke über die Physiologie und Pathologie der höheren Nerventätigkeit. Hrsg. von Lothar Pickenhain. Würzburg: Ergon, 1998, S. 59−69. Pechuël-Loesche, Eduard: Volkskunde von Loango. Stuttgart: Strecker & Schröder, 1907. Peirce, Charles Sanders: »Kleine Logik«. In: Semiotische Schriften 1. Hrsg. von Helmut Pape. Frankfurt am Main: Suhrkamp, 1986, S. 202−268. – »What Is a Sign?« In: The Essential Peirce. Selected Philosophical Writings. Hrsg. von Peirce Edition Project. Bd. 2. Bloomington; Indianapolis: Indiana University Press, 1998, S. 4−10. Pekáry, Thomas: Die Wirtschaft der griechisch-römischen Antike. Wissenschaftliche Paperbacks Sozial- und Wirtschaftsgeschichte 9. Wiesbaden: Steiner, 1976. Peters, John Durham: Speaking into the Air. A History of the Idea of Communica- tion. Chicago: University of Chicago Press, 1999. Petrie, William Matthew Flinders: Tools and Weapons. Illustrated by the Egyptian Collection in University College, London and 2.000 outlines from other sources. London: Constable & Co.; Bernard Quaritch, 1917. Pfeifer, Wolfgang, Hrsg.: Etymologisches Wörterbuch des Deutschen. 7. Aufl. München: dtv, 2004. Pflüger, Jörg: »Writing, Building, Growing: Leitvorstellungen der Programmierge- schichte«. In: Geschichten der Informatik. Hrsg. von Hans-Dieter Hellige. Berlin; New York u. a.: Springer, 2004, S. 275−320. Philalethes, Eugenius: Anima Magica Abscondita: Or A Discourse of the universall Spirit of Nature, With his strange, abstruse, miraculous Ascent, and descent. London: T. W. For H. B[lunden], 1650. Philostratos: Die Bilder. Hrsg. von Otto Schönberger und Ernst Kalinka. München: Ernst Heimeran, 1968. Pias, Claus, Hrsg.: Cybernetics – Kybernetik. The Macy Conferences 1946−1953. Transactions / Protokolle. Bd. 1. Zürich; Berlin: diaphanes, 2003. – »Elektronenhirn und verbotene Zone. Zur kybernetischen Ökonomie des Di- gitalen«. In: Analog / Digital – Opposition oder Kontinuum? Hrsg. von Jens Schröter und Alexander Böhnke. Bielefeld: transcript, 2004, S. 295−309. – Hrsg.: Cybernetics – Kybernetik. The Macy Conferences 1946−1953. Essays & Dokumente. Bd. 2. Zürich; Berlin: diaphanes, 2004. Pias, Claus und Sebastian Vehlken: »Einleitung«. In: Think Tanks. Die Beratung der Gesellschaft. Hrsg. von Thomas Brandstetter, Claus Pias und Sebastian Vehlken. Zürich; Berlin: diaphanes, 2010, S. 7−15. Pichler, Wolfram und Ralph Ubl, Hrsg.: Topologie. Falten, Knoten, Netze, Stülpungen in Kunst und Theorie. Wien: Turia und Kant, 2009. Picon, Antoine: Les saint-simoniens. Raison, imaginaire et utopie. Paris: Belin, 2002. Pignatti, Terisio und Filippo Pedrocco: Veronese. Mailand: Electo, 1995. 472 Literatur Pikovsky, Arkady, Michael Rosenblum und Jürgen Kurths: Synchronization. A Universal Concept in Nonlinear Sciences. Cambridge Nonlinear Science Series 12. Cambridge; New York u.a: Cambridge University Press, 2001. Piquet, Caroline: Histoire du canal de Suez. Paris: Perrin, 2009. Pircher, Wolfgang: »Im Schatten der Kybernetik. Rückkopplung im operativen Ein- satz: ›operational research‹«. In: Die Transformation des Humanen. Beiträge zur Kulturgeschichte der Kybernetik. Hrsg. von Michael Hagner und Erich Hörl. stw 1848. Frankfurt am Main: Suhrkamp, 2008, S. 348−376. Platon: Der Staat. Übersetzt von August Horneffer. Stuttgart: Kröner, 1973. – Werke in 8 Bänden. Nomoi. Hrsg. von Gunther Eigler. 2. Aufl. Bd. 8. Übersetzt von Klaus Schöpsdau. Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft, 1990. Plinius der Ältere, Gaius Plinius Secundus: Naturkunde. Lateinisch–Deutsch Buch XI. Hrsg. von Roderich König. Sammlung Tusculum. München; Zürich: Arte- mis, 1990. Plutarch: »Sind die Athener durch ihre Kriege oder ihre Geistesgaben berühmter?« In: Von der Ruhe des Gemütes und andere philosophische Schriften. Hrsg. von Bruno Snell. Übersetzung Bruno Snell. Zürich: Artemis, 1948, S. 150−159. – Moralia. Hrsg. von Frank Cole Babbitt. Bd. III. Loeb Classical Library 245. Cambridge, MA; London: Harvard University Press, 1989. – »Gaius Marcius und Alkibiades«. In: Fünf Doppelbiographien. 2. Teil. Zürich: Artemis und Winkler, 1994. Poe, Edgar Allan: »Der entwendete Brief«. In: Erzählungen. Berlin, 1974 [1844], S. 427−450. Polanyi, Michael: Implizites Wissen. Frankfurt am Main: Suhrkamp, 1985. Polianski, Igor J.: Die Kunst, die Natur vorzustellen: Die Ästhetisierung der Pflan- zenkunde um 1800 und Goethes Gründung des botanischen Gartens zu Jena im Spannungsfeld kunsttheoretischer und botanischer Diskussionen der Zeit. Miner- va. Jenaer Schriften zur Kunstgeschichte 14. Jena: Lehrstuhl für Kunstgeschichte und Kunsthistorisches Seminar mit Kustodie, Friedrich-Schiller-Universität, 2004. Pollux: Trusts in der Schweiz? Die schweizerische Politik im Schlepptau der Hoch- finanz. Zürich: Verein für wirtschaftliche Studien, 1945. – Wer leitete Deutschland? Die eigentlichen Kriegsverbrecher: 50 Drahtzieher hinter den Kulissen. Zürich: Verein für wirtschaftliche Studien, 1945. Port, Ulrich: »Transformatio energetica. Aby Warburgs Bild-Text-Atlas Mnemosy- ne«. In: 1929. Beiträge zur Archäologie der Medien. Hrsg. von Stefan Andri- opoulos und Bernhard J. Dotzler. stw 1579. Frankfurt am Main: Suhrkamp, 2002, S. 9−30. Postel, Jon: RFC 77. Network Meeting Report. Techn. Ber. UCLA, 1970. https:// www.rfc-editor.org/rfc/rfc77.txt. – RFC 694. Protocol Information. Techn. Ber. Stanford Research Institute, 1975. https://www.rfc-editor.org/rfc/rfc694.txt. Postel, Jon und Steve Crocker: RFC 48. A Possible Protocol Plateau. Techn. Ber. UCLA, 1970. https://www.rfc-editor.org/rfc/rfc48.txt. Potthast, Jörg: Die Bodenhaftung der Netzwerkgesellschaft. Eine Ethnografie von Pannen an Großflughäfen. Science Studies. Bielefeld: transcript, 2007. Pouzin, Louis, Hrsg.: The CYCLADES Computer Network. Towards Layered Net- work Architecture. Monograph Series of the International Council for Computer Communications 2. Amsterdam; New York; Oxford: North Holland, 1982. Powell, Walter P.: »Neither Market nor Hierarchy. Network Forms of Organization«. In: Research in Organizational Behavior 12 (1990), S. 295−336. Literatur 473 Preisendanz, Karl: »Fluchtafel (Defixion)«. In: Reallexikon für Antike und Christen- tum. Fluchtafel bis Gebet I. Bd. 8. Stuttgart: Anton Hiersemann, 1972, S. 2−29. Priever, Andreas: Paolo Caliari, genannt Veronese (1528−1588). Köln: Könemann, 2000. Prioreschi, Plinio: »Galenicae Quaestiones Disputatae Duae. Rete mirabile and pulmonary circulation«. In: Vesalius II.2 (1996), S. 67−78. Proust, Marcel: Auf der Suche nach verlorenen Zeit. Die Welt der Guermantes. st 3209. Frankfurt am Main: Suhrkamp, 2000 [1920 / 21]. Pynchon, Thomas: The Crying of Lot 49. London: Vintage, 2000 [1966]. – Die Enden der Parabel. 12. Aufl. Reinbek bei Hamburg: Rowohlt, 2008 [1973]. Quack, Martin: »Modelle in der Chemie«. In: Modelle des Denkens. Streitgespräch in der wissenschaftlichen Sitzung der Versammlung der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften am 12. Dezember 2003. Berlin: BBAW, 2005, S. 21−33. Radcliffe-Brown, Alfred Reginald: Structure and Function in Primitive Society. Essays and Addresses. 6. Aufl. Glencoe, IL: The Free Press, 1952. Radin, Paul: »Zur Netztechnik der südamerikanischen Indianer«. In: Zeitschrift für Ethnologie 36 (1906), S. 926−938. Rancière, Jacques: Die Namen der Geschichte. Versuch einer Poetik des Wissens. Frankfurt am Main: Fischer, 1994. Rand, Graham K. und Luis Valadares Tavares: »Network Planning«. In: Encylope- dia of Operations Research and Management Science. Hrsg. von Saul I. Gass. Boston; Dordrecht; London: Kluwer, 2001. Ranke-Graves, Robert: Griechische Mythologie. Quellen und Deutungen. Reinbek bei Hamburg: Rowohlt, 1984. Rathenau, Walter: »Die Resurrection Co.« In: Gesammelte Schriften IV. Reflexionen und Aufsätze. Berlin: S. Fischer, 1925 [1898], S. 337−349. Ratzel, Friedrich: Politische Geographie. 3. Aufl. München; Berlin: Oldenbourg, 1923. Raulff, Ulrich: Wilde Energien. Vier Versuche zu Aby Warburg. Göttinger Gespräche zur Geschichtswissenschaft 19. Göttingen: Wallstein, 2003. Raymond, Eric S.: The New Hacker’s Dictionary. 2. Aufl. Cambridge, MA; London: The MIT Press, 1997. Régnier, Philippe: »Le mythe oriental des saint-simoniens«. In: Les Saint-Simoniens et l’Orient. Vers la modernité. Hrsg. von Magali Morsy. Aix en Provence: Édi- sud, 1989, S. 29−49. – Les Saint-Simoniens en Egypte 1833−1851. Kairo: Banque de l’Union Européene, 1989. – Hrsg.: Le livre nouveau des Saint-Simoniens. Manuscrits d’Émile Barrault, Michel Chevalier, Charles Duveyrier, Prosper Enfantin, Charles Lambert, Léon Simon et Thomas-Ismayl Urbain (1832−1833). Tusson; Charente: Éditions du Lérot, 1991. Reich, Robert B.: The Work of Nations. Preparing Ourselves for 21st-Century Capitalism. New York: Alfred A. Knopf, 1991. Reichert, Ramón: Das Wissen der Börse. Medien und Praktiken des Finanzmarktes. XTEXTE. Bielefeld: transcript, 2008. Reichle, Ingeborg, Steffen Siegel und Achim Spelten: »Die Familienähnlichkeit der Bilder«. In: Verwandte Bilder. Die Fragen der Bildwissenschaft. Hrsg. von Ingeborg Reichle, Steffen Siegel und Achim Spelten. 2. Aufl. Berlin: Kadmos, 2008, S. 7−11. 474 Literatur Reif, Heinz: »Verkehrsnetze und Großstadtentwicklung. Ernst Reuters und Martin Wagners Vision der Weltstadt Berlin 1925 bis 1933«. In: Versorgung und Ent- sorgung der Moderne. Logistiken und Infrastrukturen der 1920er und 1930er Jahre. Hrsg. von Wiebke Porombka, Heinz Reif und Erhard Schütz. Frankfurt am Main u. a.: Peter Lang, 2011, S. 53−71. Reinecke, Michael: Galen und Vesal. Ein Vergleich der anatomisch-physiologischen Schriften. episteme kai therapia. Studien zur Medizin als Wissenschaft und Heilkunst 1. Münster: LIT, 1997. Renn, Jürgen und Peter Damerow: »Mentale Modelle als kognitive Instrumente der Transformation von technischem Wissen«. In: Übersetzung und Transformation. Hrsg. von Hartmut Böhme, Christof Rapp und Wolfgang Rösler. Transformati- onen der Antike 1. Berlin; New York: de Gruyter, 2007, S. 311−331. Reuthner, Rosa: Wer webte Athenas Gewänder? Die Arbeit von Frauen im antiken Griechenland. Campus Forschung 897. Frankfurt; New York: Campus, 2004. Reynolds, Joyce K. und Jon Postel: RFC 1000. The Request for Comments Reference Guide. Techn. Ber. ISI, 1987. https://www.rfc-editor.org/rfc/rfc1000.txt. Rheinberger, Hans-Jörg: Experiment, Differenz, Schrift. Zur Geschichte episte- mischer Dinge. Marburg / Lahn: Basilisken-Presse, 1992. Ricardo, David: »Three Letters to the Morning Chronicle on the Bullion Report, 1810«. In: The Works and Correspondence of David Ricardo. Volume III. Pam- phlets and Papers 1809−1811. Hrsg. von Piero Sraffa. Cambridge: Cambridge University Press, 1951, S. 129−153. Riede, Peter: Im Netz des Jägers. Studien zur Feindmetaphorik der Individual- psalmen. Wissenschaftliche Monographien zum Alten und neuen Testament 85. Neukirchen-Vluyn: Neukirchener Verlag, 2000. – »Netz«. In: Calwer Bibellexikon. Hrsg. von Otto Betz, Beate Ego und Werner Grimm. Bd. 2. Stuttgart: Calwer Verlag, 2003, S. 967−968. Rieken, Bernd: Arachne und ihre Schwestern. Eine Motivgeschichte der Spinne von den ›Naturvölkermärchen‹ zu den ›Urban Legends‹. Internationale Hochschul- schriften 403. Münster u. a.: Waxmann, 2003. Roberts, Larry: »The ARPANET and Computer Networks«. In: A History of Per- sonal Workstations. Hrsg. von Adele Goldberg. New York: ACM Press, 1988, S. 141−171. Roberts, Lawrence G.: »The Evolution of Packet Switching«. In: Proceedings of the IEEE 66.1 (1978), S. 1307−1313. http://www.packet.cc/files/ev-packet-sw.html. Roberts, Lawrence G. und Barry D. Wessler: »Computer Network Development to achieve Resource Sharing«. In: AFIPS Conference Proceedings. Spring Joint Computers Conference. May 5−7, 1970. Atlantic City, New Jersey. Bd. 36. New York: ACM Press, 1970, S. 543−549. Rocke, Alan J.: Image and Reality. Kekulé, Kopp, and the Scientific Imagination. Chicago; London: University of Chicago Press, 2010. Roisman, Joseph: The Rhetoric of Conspiracy in Ancient Athens. Berkeley; Los Angeles; London: University of California Press, 2006. Ronell, Avital: »Call me ma bell«. In: Armaturen der Sinne. Literarische und tech- nische Medien 1870−1920. Hrsg. von Jochen Hörisch und Michael Wetzel. München: Fink, 1990, S. 75−82. – Das Telefonbuch. Technik, Schizophrenie, elektrische Rede. Berlin: Brinkmann & Bose, 2001. Rosand, David: Painting in Sixteenth-Century Venice. Titian, Veronese, Tintoretto. Cambridge: Cambridge University Press, 1997. Literatur 475 Rose, Douglas: The London Underground. A Diagrammatic History. 7. Aufl. Harrow Weld, Middlesex: Capital Transport Publishing, 2000. Rosenkranz, Friedrich: Netzwerktechnik und wirtschaftliche Anwendung. Mit besonderer Berücksichtigung der Netzplantechnik. Schriften zur wirtschaftswis- senschaftlichen Forschung. Meisenheim am Glam: Anton Hain, 1968. Roskothen, Johannes: Verkehr. Zu einer poetischen Theorie der Moderne. München: Fink, 2003. Roßler, Gustav: »Galerie neuer Dingbegriffe: Hybriden, Quasi-Objekte, Grenzob- jekte, epistemische Dinge«. In: Bruno Latours Kollektive. Kontroversen zur Entgrenzung des Sozialen. Hrsg. von Georg Kneer, Markus Schroer und Erhard Schüttpelz. stw 1862. Frankfurt am Main: Suhrkamp, 2008, S. 76−107. Roudinesco, Élisabeth und Michel Plon, Hrsg.: Wörterbuch der Psychoanalyse. Namen, Länder, Werke, Begriffe. Wien u. a.: Springer, 2004. Roy, Bernard, Hrsg.: Les problèmes d’ordonnancement. Paris: Dunod, 1964. Ruchatz, Jens: »Das Telefon – Ein sprechender Telegraf«. In: Einführung in die Geschichte der Medien. Hrsg. von Albert Kümmel, Leander Scholz und Eckhard Schumacher. Paderborn: UTB / Fink, 2004, S. 125−149. Russell, Andrew L.: »Rough Consensus and Running Code and the Internet-OSI Standards War«. In: IEEE Annals of the History of Computing 28.3 (2006), S. 48−61. Saint-Simon, Claude Henri de: »Histoire de ma vie«. In: Œuvres de Claude-Henri de Saint-Simon. Bd. I / 1. Paris: éditions anthropos, 1966, S. 64−88. Sainte-Laguë, André: »Les réseaux (ou graphes)«. In: Mémorial des Sciences Ma- thematiques 8 (1926). Saltzer, Jerome H., David Patrick Reed und David Dana Clark: »End-To-End Ar- guments in System Design«. In: ACM Transactions on Computer Systems 2.4 (1984), S. 277−288. Salus, Peter: Casting the Net. From ARPANET to INTERNET and beyond … Rea- ding: Addison-Wesley, 1995. Salus, Peter H., Hrsg.: The ARPANET Sourcebook. The Unpublished Foundations of the Internet. Computer Classics Revisited. Charlottesville: Peer-to-Peer- Communications, 2008. Sampson, Tony D. und Jussi Parikka: »Learning from Network Dysfunctionality. Accidents, Enterprise, and Small Worlds of Infection«. In: A Companion to New Media Dynamics. Hrsg. von John Hartley, Jean Burgess und Axel Bruns. Oxford u. a.: Blackwell, 2013, S. 450−460. Sansovino, Francesco: Venetia citta nobilissima et singolare, Descritta in XIIII. Libri. Venedig: Iacomo Sansovino, 1581. Saraceno, Tomás: Cloud Cities. Hrsg. von Marion Ackermann u. a. Berlin: Distanz, 2011. Sassen, Saskia: Territory, Authority, Rights. From Medieval to Global Assemblages. 4. Aufl. Princeton; London: Princeton University Press, 2008. Schabacher, Gabriele: »Raum-Zeit-Regime. Logistikgeschichte als Wissenszirkulation zwischen Medien, Verkehr und Ökonomie«. In: Agenten und Agenturen. Archiv für Mediengeschichte. Hrsg. von Lorenz Engell, Joseph Vogl und Bernhard Siegert. Weimar: Universitätsverlag, 2008, S. 135−148. Schäffner, Wolfgang: »Nicht-Wissen um 1800. Buchführung und Statistik«. In: Poetologien des Wissens um 1800. Hrsg. von Joseph Vogl. München: Fink, 1999, S. 123−144. – »Electric Graphs. Charles Sanders Peirce und die Medien«. In: Electric Laokoon. 476 Literatur Zeichen und Medien, von der Lochkarte zur Grammatologie. Hrsg. von Michael Franz u. a. Berlin: Akademie Verlag, 2007, S. 313−326. Scheftelowitz, Isidor: Das Schlingen- und Netzmotiv im Glauben und Brauch der Völker. Religionsgeschichtliche Versuche und Vorarbeiten. Gießen: Alfred Tö- pelmann, 1912. Scheid, John und Jasper Svenbro: Le métier de Zeus. Mythe du tissage et du tissu dans le monde gréco-romain. Paris: éditions errance, 2003. Schich, Maximilian: Rezeption und Tradierung als komplexes Netzwerk. Der CEN- SUS und visuelle Dokumente zu den Thermen in Rom. München: Biering & Brinkmann, 2009. http://archiv.ub.uni-heidelberg.de/artdok/volltexte/2009/700. Schipporeit, Rainer: »Eisenbahn unter der Erde. Die erste U-Bahn«. In: Am Anfang war das Rad. Eine kleine Geschichte der menschlichen Fortbewegung. Hrsg. von Peter Kemper. Frankfurt am Main: Insel, 1997, S. 160−172. Schivelbusch, Wolfgang: Geschichte der Eisenbahnreise. Zur Industrialisierung von Raum und Zeit im 19. Jahrhundert. München, Wien: Hanser, 1977. Schlimm, Anette: Ordnungen des Verkehrs. Arbeit an der Moderne – deutsche und britische Verkehrsexpertise im 20. Jahrhundert. Histoire. Bielefeld: transcript, 2011. Schmidt, Gunnar: Ästhetik des Fadens. Zur Medialisierung eines Materials in der Avantgardekunst. Kultur- und Medientheorie. Bielefeld: transcript, 2007. Schmidt-Burkhardt, Astrit: Stammbäume der Kunst. Zur Geneaologie der Avant- garde. Berlin: Akademie Verlag, 2005. – Die Kunst der Diagrammatik. Perspektiven eines neuen bildwissenschaftlichen Paradigmas. Image. Bielefeld: transcript, 2012. Schmitt, Carl: Der Begriff des Politischen. Text von 1932 mit einem Vorwort und drei Corollarien. Berlin: Duncker & Humblodt, 1991. Schmitzer, Ulrich: Zeitgeschichte in Ovids Metamorphosen. Beiträge zur Altertums- kunde 4. Stuttgart: Teubner, 1990. Schnaithmann, Christine: »›Fifty Ways to Cut Expenses‹. Praktiken der Effizienz- steigerung in amerikanischen Management-Handbüchern, 1910−1920«. In: Ökonomische Praktiken. Hrsg. von Anna Echterhölter, Dietmar Kammerer und Rebekka Ladewig. ilinx. Berliner Beiträge zur Kulturwissenschaft 3. Hamburg: Philo Fine Arts, 2013. Schneider, Birgit: Textiles Prozessieren. Eine Mediengeschichte der Lochkartenwe- berei. Zürich; Berlin: diaphanes, 2007. Schoonhovius, Florentius: Emblemata. Partim Moralia partim etiam Civilia. Hrsg. von Dmitrij Tschizewskij und Ernst Benz. Emblematisches Kabinett 7. Hildes- heim; New York: Olms, 1975. Schröter, Jens: Das Netz und die virtuelle Realität. Zur Selbstprogrammierung der Gesellschaft durch die universelle Maschine. Bielefeld: transcript, 2004. Schultz, Oliver Lerone: »Marshall McLuhan – Medien als Infrastrukturen und Archetypen«. In: Medientheorien. Eine philosophische Einführung. Hrsg. von Alice Lagaay. Frankfurt am Main: Campus, 2004, S. 31−68. Schulze, Götz: Die Naturalobligation. Rechtsfigur und Instrument des Rechtsverkehrs einst und heute – zugleich Grundlegung einer zivilrechtlichen Forderungslehre. Jus Privatum. Beiträge zum Privatrecht 134. Tübingen: Mohr Siebeck, 2008. Schüttpelz, Erhard: »Frage nach der Frage, auf die das Medium eine Antwort ist«. In: Signale der Störung. Hrsg. von Albert Kümmel und Erhard Schüttpelz. München: Fink, 2003, S. 15−29. – »Von der Kommunikation zu den Medien / In Krieg und Frieden (1943−1960)«. Literatur 477 In: Gelehrte Kommunikation. Wissenschaft und Medium zwischen dem 16. und 20. Jahrhundert. Hrsg. von Jürgen Fohrmann. Wien; Köln; Weimar: Böhlau, 2005, S. 483−551. – »Die medienanthropologische Kehre der Kulturtechniken«. In: Archiv für Medi- engeschichte. Kulturgeschichte als Mediengeschichte (oder vice versa)? Hrsg. von Lorenz Engell, Joseph Vogl und Bernhard Siegert. Weimar: Universitätsverlag, 2006, S. 87−110. – »Die ältesten in den neuesten Medien. Folklore und Massenkommunikation um 1950«. In: Navigationen 6.1 (2006), S. 33−46. – »Ein absoluter Begriff. Zur Genealogie und Karriere des Netzwerkkonzepts«. In: Vernetzte Steuerung. Soziale Prozesse im Zeitalter technischer Netzwerke. Hrsg. von Stefan Kaufmann. Zürich: Chronos, 2007, S. 25−46. – »Der Punkt des Archimedes. Einige Schwierigkeiten des Denkens in Operati- onsketten«. In: Bruno Latours Kollektive. Kontroversen zur Entgrenzung des Sozialen. Hrsg. von Georg Kneer, Markus Schroer und Erhard Schüttpelz. stw 1862. Frankfurt am Main: Suhrkamp, 2008, S. 234−258. – »Die medientechnische Überlegenheit des Westens. Zur Geschichte und Geogra- phie der immutable mobiles Bruno Latours«. In: Mediengeographie. Hrsg. von Jörg Döring und Tristan Thielmann. Bielefeld: transcript, 2009, S. 67−110. Schwarte, Ludger: »Die Inszenierung von Recht. Der unbekannte Körper in der demokratischen Entscheidung«. In: Körper und Recht. Anthropologische Di- mensionen der Rechtsphilosophie. Hrsg. von Ludger Schwarte und Christoph Wulf. München: Fink, 2003, S. 93−127. Schwenk, Sigrid: Zur Terminologie des Vogelfangs im Deutschen. Eine sprach- liche Untersuchung aufgrund der deutschen didaktischen Literatur des 14. bis 19. Jahrhunderts. Clausthal-Zellerfeld: Bönecke-Druck, 1967. Seeßlen, Georg: Die Matrix entschlüsselt. Berlin: Bertz, 2003. Seiler-Baldinger, Annemarie: Systematik der textilen Techniken. 2. Aufl. Basler Beiträge zur Ethnologie 32. Basel: Ethnologisches Seminar der Universität und Museum für Völkerkunde, 1991. Seitschek, Gisela: Schöne Lüge und verhüllte Wahrheit. Theologische und poetische Allegorie in mittelalterlichen Dichtungen. Schriften zur Literaturwissenschaft 32. Berlin: Duncker & Humblodt, 2009. Seitter, Walter: Die Physik der Medien. Materialien, Apparate, Präsentierungen. Weimar: Verlag und Datenbank für Geisteswissenschaften, 2002. Seligo, Arthur: »Die Fischerei in den Fließen, Seen und Strandgewässern Mitteleu- ropas«. In: Handbuch der Binnenfischerei Mitteleuropas. Hrsg. von Reinhard Demoll und Hermann Nikolaus Maier. Bd. V. Stuttgart: E. Schweizerbart’sche Verlagsbuchhandlung, 1926, S. 1−422. Selz, Gebhard: Untersuchungen zur Götterwelt des altsumerischen Stadtstaates von Lagaš. Occasional Publications of the Samuel Noah Kramer Fund 13. Philadel- phia: University of Pennsylvania Museum, 1995. Semper, Gottfried: Die textile Kunst für sich betrachtet und in Beziehung zur Bau- kunst. Der Stil in den technischen und tektonischen Künsten oder Praktische Ästhetik. Ein Handbuch für Techniker, Künstler und Kunstfreunde 1. Frankfurt am Main: Verlag für Kunst und Wissenschaft, 1860. Semprun, Jorge: Der weiße Berg. st 1768. Frankfurt am Main: Suhrkamp, 1990. Seneca, L. Annaeus: Philosophische Schriften 4. An Lucilius. Briefe über Ethik 70−124 (Ad Lucilium). Hrsg. von Manfred Rosenbach. 2. Aufl. Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft, 1984. 478 Literatur Sennett, Richard: Fleisch und Stein. Der Körper und die Stadt in der westlichen Zivilisation. Berlin: Berlin Verlag, 1995. Serres, Michel: Hermès ou La communication. Paris: Les éditions de minuit, 1968. – La naissance de la physique dans le texte de Lucrèce: fleuves et turbulences. Paris, 1977. – Carpaccio. Ästhetische Zugänge. Reinbek bei Hamburg: Rowohlt, 1981. – Der Parasit. stw 677. Frankfurt am Main: Suhrkamp, 1987. – Der Naturvertrag. es NF 665. Frankfurt am Main: Suhrkamp, 1994. – »Das Kommunikationsnetz: Penelope«. In: Kursbuch Medienkultur. Die maßgeb- lichen Theorien von Brecht bis Baudrillard. Hrsg. von Claus Pias u. a. Stuttgart: DVA, 1999, S. 155−165. – Aufklärungen. Fünf Gespräche mit Bruno Latour. Berlin: Merve, 2008. Severin, Ingrid: »Technische Vernetzungen und ihre Auswirkungen auf zeitgenös- sische Kunst«. In: Technik ohne Grenzen. Hrsg. von Ingo Braun und Bernward Joerges. stw 1165. Frankfurt am Main: Suhrkamp, 1994, S. 212−250, 386−409. Seznec, Jean: Das Fortleben der antiken Götter. Die mythologische Tradition im Humanismus und in der Kunst der Renaissance. München: Fink, 1990. Shakespeare, William: The Complete Works of William Shakespeare. Hertfordshire: Wordsworth Editions, 1996. Shannon, Claude Elwood: »Eine mathematische Theorie der Kommunikation«. In: Ausgewählte Schriften. Hrsg. von Friedrich Kittler u. a. Berlin: Brinkmann & Bose, 2000, S. 7−100. Shiomi, Haruhito und Kazuo Wada, Hrsg.: Fordism Transformed. The Development of Production Methods in the Automobile Industry. Fuji Business History Series. Oxford u. a.: Oxford University Press, 1995. Shulman, Seth: The Telephone Gambit. Chasing Alexander Graham Bell’s Secret. New York; London: Norton & Company, 2009. Siegel, Steffen: Tabula. Figuren der Ordnung um 1600. Berlin: Akademie Verlag, 2009. Siegel, Steffen und Petra Weigel, Hrsg.: Die Werkstatt des Kartographen. Materialien und Praktiken visueller Welterzeugung. München: Fink, 2011. Siegert, Bernhard: »Das Amt des Gehorchens. Hysterie der Telefonistinnen oder Wiederkehr des Ohres 1874−1913«. In: Armaturen der Sinne. Literarische und technische Medien 1870 bis 1920. Hrsg. von Jochen Hörisch und Michael Wetzel. München: Fink, 1990, S. 83−106. – »Die trinität des gastgebers«. In: Cyberspace: Gemeinschaften, virtuelle Kolonien, Öffentlichkeiten. Hrsg. von Manfred Fassler und Wulf R. Halbach. München: Fink, 1994, S. 281−294. – »Switchboards and Sex. The Nut(t) Case«. In: Inscribing Science. Scientific Texts and the Materiality of Communication. Hrsg. von Timothy Lenoir. Stanford: Stanford University Press, 1998, S. 78−90. – »Kakographie oder Kommunikation? Verhältnisse zwischen Kulturtechnik und Parasitentum«. In: Mediale Historiographien. Archiv für Mediengeschichte. Hrsg. von Lorenz Engell und Joseph Vogl. Weimar: Universitätsverlag, 2001. – »Currents and Currency. Elektrizität, Ökonomie und Ideenumlauf um 1800«. In: Netzwerke. Eine Kulturtechnik der Moderne. Hrsg. von Hartmut Böhme, Jürgen Barkhoff und Jeanne Riou. Köln: Böhlau, 2004, S. 53−68. – »Repräsentationen diskursiver Räume. Einleitung«. In: Topographien der Litera- tur. Deutsche Literatur im transnationalen Kontext. Hrsg. von Hartmut Böhme. Stuttgart; Weimar: J. B. Metzler, 2005, S. 3−11. Literatur 479 – »Weiße Flecken und finstre Herzen. Von der symbolischen Weltordnung zur Weltentwurfsordnung«. In: Kulturtechnik Entwerfen. Praktiken, Konzepte und Medien in Architektur und Design Science. Hrsg. von Daniel Gethmann und Susanne Hauser. Kultur- und Medientheorie. Bielefeld: transcript, 2009, S. 19−47. – »Türen. Zur Materialität des Symbolischen«. In: Zeitschrift für Medien- und Kulturforschung. Schwerpunkt Kulturtechnik 1 (2010), S. 151−170. Siegert, Paul Ferdinand: Die Geschichte der E-Mail. Erfolg und Krise eines Massen- mediums. Technik Körper Gesellschaft. Bielefeld: transcript, 2008. Siegrist, Hansmartin: »Screening the Phone – Wie das Telefon ins Kino kam«. In: Dis Connecting Media. Technik, Praxis und Ästhetik des Telefons: Vom Festnetz zum Handy. Hrsg. von Ulla Autenrieth u. a. Basel: Merian, 2011, S. 11−52. Simeoni, Gabriele: La vita et metamorphoseo d’Ovidio. Figurato et abbreviato in forma d’Epigrammi da M. Gabriello Symeoni. Lyon, 1584. Simmel, Georg: »Der Raum und die räumlichen Ordnungen der Gesellschaft«. In: Gesamtausgabe, Band 11. Soziologie: Untersuchungen über die Formen der Ver- gesellschaftung. Hrsg. von Otthein Rammstedt. Frankfurt am Main: Suhrkamp, 1992 [1908], S. 687−790. – »Philosophie der Landschaft«. In: Gesamtausgabe Band 12. Aufsätze und Abhandlungen 1909−1918. Band 1. Hrsg. von Rüdiger Kramme und Angela Rammstedt. Frankfurt am Main: Suhrkamp, 2001 [1913], S. 471−482. Sinding-Larsen, Staale: Christ in the Council Hall. Studies in the Religious Ico- nography of the Venetian Republic. Hrsg. von Instituta Romanum Norvegiae. Acta ad Archaeologiam et Artium Historiam Pertinentia V. Rom: L’Erma di Bretschneider, 1974. Smith, P. C.: »Curious Patents in Mechanical Switching«. In: Bell Laboratories Record 7 (1929), S. 265−269. Smith, Roberta: »Mark Lombardi, 48, an Artist Who Was Inspired by Scandals«. In: New York Times, 25. März 2000. http://web.archive.org/web/20080215173912/ http://www.pierogi2000.com/memorial/lombardiobit.html. Snell, Bruno: Die Entdeckung des Geistes. Studien zur Entstehung des europäischen Denkens bei den Griechen. 7. Aufl. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, 1993. Sola Pool, Ithiel de: Forecasting the Telephone. A Retrospective Technology Assess- ment of the Telephone. Norwood: Ablex Publishing Corporation, 1983. Sophokles: Antigone. Übersetzt von Wilhelm Kuchenmüller. Stuttgart: Reclam, 1993. Spenser, Edmund: »Mvuiotpotmos, Or The Fate of the Bvtterflie«. In: Poetical Works. Hrsg. von James Cruickshanks Smith und Ernest de Selincourt. Oxford; New York: Oxford University Press, 1991, S. 515−520. Speyer, Wolfgang: »Fluch«. In: Reallexikon für Antike und Christentum. Exkommu- nikation bis Fluchformeln. Hrsg. von Theodor Klauser. Bd. 7. Stuttgart: Anton Hiersemann, 1969, S. 1159−1287. Stadler, Martin Andreas: Weiser und Wesir. Studien zu Vorkommen, Rolle und Wesen des Gottes Thot im ägyptischen Totenbuch. Orientalische Religionen in der Antike 1. Tübingen: Mohr Siebeck, 2009. Star, Susan Leigh: »This is Not a Boundary Object. Reflections on the Origin of a Concept«. In: Science, Technology, & Human Values 35.5 (2010), S. 601−617. Stegbauer, Christian und Roger Häußling, Hrsg.: Handbuch Netzwerkforschung. Netzwerkforschung 4. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften, 2010. Šteger, Aleš: Buch der Dinge. Frankfurt am Main: Suhrkamp, 2006. Stephan, Heinrich von: Das Telephon betreffend. Brief des Generalpostmeisters Heinrich v. Stephan an Seine Durchlaucht den Fürsten Reichskanzler Otto v. 480 Literatur Bismarck. Vorschlag für die Einführung der ersten Telephon-Verbindungen Berlin 9.11.1877. Hrsg. von Uwe Otto. Satyren und Launen 24. Berlin: Berliner Handpresse, 1984. Stephenson, Neal: Snow Crash. London: Penguin, 1993. Stern, Horst und Ernst Kullmann: Leben am seidenen Faden. Die rätselvolle Welt der Spinnen. Stuttgart: Frankh-Kosmos, 1996. Sterne, Jonathan: The Audible Past. Cultural Origins of Sound Reproduction. 3. Aufl. Durham; London: Duke University Press, 2006. Stjernfelt, Frederik: Diagrammatology. An Investigation on the Borderlines of Phenomenology, Ontology, and Semiotics. Synthese Library 336. Dordrecht: Springer, 2007. Stockhammer, Robert, Hrsg.: Topographien der Moderne. Medien zur Repräsenta- tion und Konstruktion von Räumen. München: Fink, 2005. – Kartierung der Erde. Macht und Lust in Karten und Literatur. München: Fink, 2007. Stokman, Frans N., Rolf Ziegler und John Scott, Hrsg.: Networks of Corporate Power. A Comparative Analysis of Ten Countries. Cambridge: Polity Press, 1985. Strathern, Marilyn: »Cutting the Network«. In: Journal of the Royal Anthropological Institute 2.3 (1996), S. 517−535. Straube, Frank: e-Logistik. Ganzheitliches Logistikmanagement. Berlin u. a.: Sprin- ger, 2004. Sugimoro, Y. u. a.: »Toyota Production System and Kanban System of Materialization of Just-in-Time and Respect-for-Human System«. In: International Journal of Production Research 15.6 (1977), S. 553−564. Svenbro, Jesper: Phrasikleia. Anthropologie des Lesens im alten Griechenland. München: Fink, 2005. Swenson, Susan: »Mark Lombardi. Die narrative und die grafische Sicht«. In: RAUM. Orte der Kunst. Hrsg. von Matthias Flügge, Robert Kudielka und Angela Lam- mert. Nürnberg: Verlag für moderne Kunst, 2007, S. 274−277. Swift, Jonathan: The Battle of the Books. Eine historisch-kritische Ausgabe mit literarhistorischer Einleitung und Kommentar. Hrsg. von Hermann Josef Real. Quellen und Forschungen zur Sprach- und Kulturgeschichte der germanischen Völker. Neue Folge 71 (195). Berlin; New York: de Gruyter, 1978. Sydow, Jörg und Arnold Windeler: »Steuerung von und in Netzwerken – Perspek- tiven, Konzepte, vor allem aber offene Fragen«. In: Steuerung von Netzwerken. Konzepte und Praktiken. Hrsg. von Jörg Sydow und Arnold Windeler. Wiesbaden: Westdeutscher Verlag, 2000, S. 1−24. Sylvester, James Joseph: »On an Application of the New Atomic Theory to the Graphical Representation of the Invariants and Covariants of Binary Quantics«. In: American Journal of Mathematics 1 (1878), S. 64−104. Taha, Nadine: »Patent in Action. Das US-amerikanische Patent aus der Perspektive der Science and Technology Studies«. In: Zeitschrift für Medienwissenschaft 1 (2012), S. 36−47. Takeda, Hitoshi: Das synchrone Produktionssystem. Just-in-time für das ganze Unternehmen. Landsberg: Verlag Moderne Industrie, 1995. Talon, Philippe, Hrsg.: The Standard Babylonian Creation Myth Enūma Eliš. State Archives of Assyria. Cuneiform Texts IV. Helsinki: The Neo-Assyrian Text Corpus Project, 2005. Thacker, Andrew: »Uncompleted Life: The Modernist Underground«. In: The Railway and Modernity. Time, Space and the Machine Ensemble. Hrsg. von Matthew Beaumont und Michael Freeman. Bern: Peter Lang, 2007, S. 101−124. Literatur 481 Thacker, Eugene: Biomedia. Electronic Meditations 11. Minneapolis: University of Minnesota Press, 2004. – »Networks, Swarms, Multitudes. Part I«. In: ctheory.net (2004). http://www. ctheory.net/articles.aspx?id=422. Thimann, Michael: Jean Jacques Boissard. Ovids Metamorphosen 1556. Die Bild- handschrift 79 C 7 aus dem Berliner Kupferstichkabinett. Ikonographische Reper- torien zur Rezeption des antiken Mythos in Europa 5. Berlin: Gebr. Mann, 2005. Thomas, John Pattinson: Handling London’s Underground Traffic. London: London’s Underground, 1928. Thomson, George: Aeschylus and Athens. 4. Aufl. London: Lawrence & Wishart, 1973. Töpfer, Georg: »Linien, Bäume, Netze – und die Gegenstände der Biologie«. In: Netzwerke. Beiträge zur 13. Jahrestagung der DGGTB in Neuburg an der Do- nau 2004. Hrsg. von Michael Kaasch, Joachim Kaasch und Volker Wissemann. Verhandlungen zur Geschichte und Theorie der Biologie 12. Berlin: VWB, 2006, S. 74−94. Troske, Ludwig: Die Londoner Untergrundbahnen. Sonder-Abdruck aus der Zeit- schrift des Vereines deutscher Ingenieure 1891 und 1892. Berlin: Julius Springer, 1892. Tufte, Edward: Design of Causal Diagrams: Barr Art Chart, Lombardi Diagrams, Evolutionary Trees, Feynman Diagrams, Timelines. 2003. http://www.edward- tufte.com/bboard/q-and-a-fetch-msg?msg_id=0000yO&topic_id=1&topic=. Uexküll, Jakob von: Bedeutungslehre. BIOS. Abhandlungen zur theoretischen Bio- logie und ihrer Geschichte, sowie zur Philosophie der organischen Naturwissen- schaften 10. Leipzig: Barth, 1940. Uexküll, Jakob von und Georg Kriszat: Streifzüge durch die Umwelten von Tieren und Menschen. Ein Bilderbuch unsichtbarer Welten. Conditio humana. Frankfurt am Main: Fischer, 1970. Unterluggauer, Mariann: »Wie Europa beinahe das Internet erfand«. In: Techno- logy Review 1 (2012). http://www.heise.de/tr/artikel/Wie-Europa-beinahe-das- Internet-erfand-1398231.html. van de Velde, C.: »The Painted Decoration of Florin’s House«. In: Netherlandish Mannerism. Papers Given at a Symposion in Nationalmuseum Stockholm, September 21−22, 1984. Hrsg. von Görel Cavalli-Björkman. Nationalmusei Skriftserie N. S. 4. Stockholm: Nationalmuseum, 1985, S. 127−134. van der Vleuten, Erik und Arne Kaijser, Hrsg.: Networking Europe. Transnational Infrastructures and the Shaping of Europe, 1850−2000. Sagamore Beach: Science History Publications, 2006. van der Vleuten, Erik: »Understanding Network Societies. Two Decades of Large Technical System Studies«. In: Networking Europe. Transnational Infrastructures and the Shaping of Europe, 1850−2000. Hrsg. von Erik van der Vleuten und Arne Kaiser. Sagamore Beach: Science History Publications, 2006, S. 279−314. Vandermonde, Théophile: »Remarques sur les problèmes de situation«. In: Mémoires de l’Académie Royale 1771 (1774), S. 566−574. van Schewick, Barbara: Internet Architecture and Innovation. Cambridge, MA; London: MIT Press, 2010. Vehlken, Sebastian: Zootechnologien. Eine Mediengeschichte des Schwarms. Berlin; Zürich: diaphanes, 2012. Velminski, Wladimir: »Zwischen Gedankenbrücken und Erfindungsufern. Leonhard Eulers Poetologie des Raums«. In: Topologie. Zur Raumbeschreibung in den 482 Literatur Kultur- und Medienwissenschaften. Hrsg. von Stephan Günzel. Kultur- und Medientheorie. Bielefeld: transcript, 2007, S. 171−182. Vernant, Jean-Pierre: Mythos und Gesellschaft im alten Griechenland. es 1381. Frankfurt am Main: Suhrkamp, 1987. Vertesi, Janet: »Mind the Gap. The London Underground Map and Users’ Repre- sentation of Urban Space«. In: Social Studies of Science 38.1 (2008), S. 7−33. Vesalius, Andreas: Andreae Vesalii Bruxellensis, scholae medicorum Patauinae pro- fessoris, de Humani corporis fabrica Libri septem. Basilae: Johann Oporinus, 1543. Veyne, Paul: Glaubten die Griechen an ihre Mythen? es 1226. Frankfurt am Main: Suhrkamp, 1987. Virilio, Paul: Ästhetik des Verschwindens. Berlin: Merve, 1986. Vismann, Cornelia: »Das Drama des Entscheidens«. In: Urteilen / Entscheiden. Hrsg. von Cornelia Vismann und Thomas Weitin. Literatur und Recht. München: Fink, 2005, S. 91−100. – »Kulturtechniken und Souveränität«. In: Zeitschrift für Medien- und Kulturfor- schung. Schwerpunkt Kulturtechnik 1 (2010), S. 171−181. Vismann, Cornelia und Markus Krajewski: »Computer Juridisms«. In: Grey Room 29 (2008), S. 99−109. Vogl, Joseph: »Mittler und Lenker. Goethes Wahlverwandtschaften«. In: Poetologien des Wissens um 1800. München: Fink, 1999, S. 145−161. – »Regierung und Regelkreis. Historisches Vorspiel«. In: Cybernetics – Kybernetik. The Macy Conferences 1946−1953. Hrsg. von Claus Pias. Bd. 2. Zürich; Berlin: diaphanes, 2004, S. 67−79. – Über das Zaudern. Zürich; Berlin: diaphanes, 2007. Wagner, Kirsten: Datenräume, Informationslandschaften, Wissensstädte. Zur Ver- räumlichung des Wissens und Denkens in der Computermoderne. Freiburg: Rombach, 2006. Wagner-Hasel, Beate: Der Stoff der Gaben. Kultur und Politik des Schenkens und Tauschens im archaischen Griechenland. Campus Historische Studien 28. Frank- furt am Main; New York: Campus, 2000. – »Textus und texere, hýphos und hyphaínein. Zur metaphorischen Bedeutung des Webens in der griechisch-römischen Antike«. In: ›Textus‹ im Mittelalter. Komponenten und Situationen des Wortgebrauchs im schriftsemantischen Feld. Hrsg. von Ludolf Kuchenbuch und Uta Kleine. Veröffentlichungen des MPI für Geschichte 216. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, 2006, S. 15−42. Walden, David C. und Alexander A. McKenzie: »The Evolution of Host-to-Host Protocol Technology«. In: Computer 12.9 (1979), S. 29−38. Waldrop, M. Mitchell: The Dream Machine. J. C. R. Licklider and the Revolution That Made Computing Personal. New York; London: Viking, 2001. Walter, Hermann und Hans-Jürgen Horn, Hrsg.: Die Rezeption der Metamorphosen des Ovid in der Neuzeit: Der antike Mythos in Text und Bild. Internationales Symposion der Werner Reimers-Stiftung Bad Homburg v. d. h. (22. bis 25. April 1991). Ikonographische Repertorien zur Rezeption des antiken Mythos in Eu- ropa. Beihefte 1. Berlin: Gebr. Mann, 1995. Warburg, Aby: »Mnemosyne. Einleitung«. In: Der Bilderatlas MNEMOSYNE. Ge- sammelte Schriften II.1. Hrsg. von Martin Warnke und Claudia Brink. Berlin: Akademie, 2000, S. 3−6. Warburg, Aby, Gertrud Bing und Fritz Saxl: Tagebuch der Kulturwissenschaftlichen Bibliothek Warburg. Gesammelte Schriften VII. Hrsg. von Karen Michels und Literatur 483 Charlotte Schoell-Glass. Berlin: Akademie Verlag, 2001. Warncke, Carsten-Peter: Symbol, Emblem, Allegorie. Die zweite Sprache der Bilder. Kunst und Wissen. Köln: Deubner, 2005. Warnke, Martin: Politische Landschaft. Zur Kunstgeschichte der Natur. München: Hanser, 1992. Warnke, Martin: Theorien des Internet zur Einführung. Hamburg: Junius, 2011. Watson, Lindsay: Arae. The Curse Poetry of Antiquity. ARCA. Classical and Me- dieval Texts, Papers and Monographs 26. Leeds: Francis Cairns, 1991. Watts, Duncan: Six Degrees. The Science of a Connected Age. New York; London: Norton & Company, 2003. Weber, Samuel M.: Gelegenheitsziele. Zur Militarisierung des Denkens. Berlin: diaphanes, 2006. Weber, Ulrike: »Building the Tube. Zur Londoner Rezeption der Berliner U- und S-Bahnhöfe in den 1920er / 30er Jahren«. In: Berlin über und unter der Erde. Alfred Grenander, die U-Bahn und die Kultur der Metropole. Hrsg. von Aris Fioretos. Berlin: Nicolaische Verlagsbuchhandlung, 2006, S. 88−95. Weber, Wolfgang E. J.: »Pikante Verhältnisse. Verflechtung und Netzwerk in der jüngeren historisch-kulturwissenschaftlichen Forschung«. In: Wissen im Netz. Botanik und Pflanzentransfer in europäischen Korrespondenznetzen des 18. Jahr- hunderts. Hrsg. von Regina Dauer u. a. Colloquia Augustana 24. Berlin: Aka- demie, 2008, S. 289−299. Weigel, Sigrid: Entstellte Ähnlichkeit. Walter Benjamins theoretische Schreibweise. Frankfurt am Main: Fischer, 1996. – »Zum ›topographical turn‹. Kartographie, Topographie und Raumkonzepte in den Kulturwissenschaften«. In: Kulturpoetik 2 (2002), S. 151−165. Weinberg, Gladys Davidson und Saul S. Weinberg: »Arachne of Lydia at Corinth«. In: The Aegean and the Near East. Studies Presented to Hetty Goldman on the Occasion of her Seventyfifth Birthday. Hrsg. von Saul S. Weinberg. Locust Valley, New York: J. J. Augustin, 1956, S. 262−267. Weingarten, Judith: »How many Seals make a Heap: Seals and Interconnections on Prepalatial Crete«. In: Emporia. Aegeans in the Central and Eastern Mediterra- nean. Proceedings of the 10th International Aegean Conference, April 14−18, 2004. Hrsg. von Robert Laffineur und Emanuele Greco. Aegeaum 25. Eupen: Kliemo; Université de Liège, 2005, S. 759−766. Welles, Marcia L.: Arachne’s Tapestry. The Transformation of Myth in Seventeenth- Century Spain. San Antonio: Trinity University Press, 1986. Kap. Velázquez. His mythological paintings, S. 131−165. Werber, Niels: »Netzwerkgesellschaft – Zur Kommunikationsgeschichte von ›tech- noiden‹ Selbstbeschreibungsformeln«. In: Kulturgeschichte als Mediengeschichte (oder vice versa?). Archiv für Mediengeschichte. Hrsg. von Lorenz Engell, Joseph Vogl und Bernhard Siegert. Weimar: Universitätsverlag, 2006, S. 179−191. – Die Geopolitik der Literatur. München: Hanser, 2007. Werner, Gabriele, Hrsg.: Systemische Räume. Bildwelten des Wissens. Bd. 5.1. Berlin: Akademie, 2007. Wesel, Uwe Justus: Geschichte des Rechts. Von den Frühformen bis zur Gegenwart. 3. Aufl. München: C. H. Beck, 2006. Wiener, Norbert: Cybernetics or Control and Communication in the Animal and the Machine. 2. Aufl. Cambridge, MA: MIT, 1965. Wigley, Mark: »Network Fever«. In: Grey Room 4 (2001), S. 82−122. – »The Architectural Brain«. In: Network Practices. New Strategies in Architec- 484 Literatur und Filme ture and Design. Hrsg. von Anthony Burke und Therese Tierney. New York: Princeton Architectural Press, 2007, S. 30−53. Wild, Markus: Tierphilosophie zur Einführung. Hamburg: Junius, 2008. Winkler, Hartmut: Docuverse. Zur Medientheorie der Computer. München: Boer, 1997. Wirth, Uwe: »Vorüberlegungen zu einer Logik der Kulturforschung«. In: Kulturwis- senschaft. Eine Auswahl grundlegender Texte. Hrsg. von Uwe Wirth. stw 1799. Frankfurt am Main: Suhrkamp, 2008, S. 9−67. – »Kultur als Pfropfung. Pfropfung als Kulturmodell. Prolegomena zu einer all- gemeinen Greffologie (2.0)«. In: Impfen, Pfropfen, Transplantieren. Hrsg. von Uwe Wirth. Wege der Kulturforschung 2. Berlin: Kadmos, 2011, S. 9−27. Wittgenstein, Ludwig: »Vermischte Bemerkungen«. In: Werkausgabe Band 8. Frank- furt am Main: Suhrkamp, 1989, S. 445−573. Wittmann, Barbara: »Die Zeichnung als Instrument des Entwurfs«. In: Zeitschrift für Medien- und Kulturforschung. Schwerpunkt Entwerfen 1 (2012), S. 135−150. Wolters, Wolfgang: Der Bilderschmuck des Dogenpalastes. Untersuchungen zur Selbstdarstellung der Republik Venedig im 16. Jahrhundert. Wiesbaden: Franz Steiner Verlag, 1983. Wu, Tim: The Master Switch. The Rise and Fall of Information Empires. New York: Alfred A. Knopf, 2011. Zeidler, Jürgen, Hrsg.: Pfortenbuchstudien, Teil II. Kritische Edition des Pforten- buchs nach den Versionen des Neuen Reiches. Göttinger Orientforschungen IV. Reihe Ägypten 36. Wiesbaden: Harrassowitz, 1999. Ziebarth, Erich: »Der Fluch im Griechischen Recht«. In: Hermes 30 (1895), S. 57−70. Zollinger, Edi: Arachnes Rache. Flaubert inszeniert einen Wettkampf im narrativen Weben: Madame Bovary, Notre-Dame de Paris und der Arachne-Mythos. München: Fink, 2007. Filme Bulldog Jack, Walter Ford u. a., Großbritannien 1935 Computer Networks – The Heralds of Resource Sharing, P. J. Chvany u. a., USA ca. 1972, http://archive.org/details/ComputerNetworks_TheHeraldsOfResourceSharing The Conversation, Francis Ford Coppola u. a., USA 1974 Die Hard 1−5, John McTiernan u. a., USA 1988−2013 The Forbin Project, Joseph Sargent u. a., USA 1970 The Godfather, Francis Ford Coppola u. a., USA 1972 Grand Hotel, Edmund Goulding u. a., USA 1932 The Interpreter, Sydney Pollack u. a., Großbritannien u a. 2005 Kinsey, Bill Condon u. a., USA / Deutschland 2004 Mark Lombardi – Kunst und Konspiration, Mareike Wegener u. a., Deutschland 2012 Matrix, Andy Wachowski / Laurence Wachowski u. a., USA / Australien 1999 Mean Streets, Martin Scorcese u. a., USA 1973 Parallax View, Alan J. Pakula u. a., USA 1974 The right and wrong way to board an electric train, Großbritannien 1920. London Transport Museum, Film Collection, Nr. 125 Le Samourai, Jean-Pierre Melville u. a., Frankreich 1967 Signalling on the Ealing and Shepherd’s Bush Railway, Großbritannien 1921. London Transport Museum, Film Collection, Nr. 121 Software und Abbildungsnachweis 485 Star Trek, Fernsehserie, 79 Episoden, USA 1966−1969 Syriana, Stephen Gaghan u. a., USA 2005 Telephones. Christian Marclay / Timothy Frank, USA 1995, www.youtube.com/watch?v=yH5HTPjPvyE Terminator 1−4, James Cameron u. a., USA 1984−2009 Three Days of the Condor, Sydney Pollack u. a., USA 1975 2001: A Space Odyssey, Stanley Kubrick u. a., Großbritannien / USA 1968 Software ORTEP, http://www.ornl.gov/sci/ortep/ortep.html 4flOw visTA, http://www.4flow.de/logistiksoftware/4flow-vista.html Abbildungsnachweis 2.1 André Leroi-Gourhan: Milieu et Techniques. Paris: Éditions Albin Michel, 1945, S. 93. 2.2 Reallexikon der Vorgeschichte Bd. 7: Kleinasien – Malta. Hrsg. von Max Ebert. Berlin: de Gruyter 1927, Tafel 138. 2.3 Uwe Bartels: EDFU. Die Darstellungen auf den Außenseiten der Umfassungsmauer und auf dem Pylonen. Strichzeichnungen und Photographien. Hrsg. von Dieter Kurth. Die Inschriften des Tempels von Edfu. Abteilung II: Dokumentationen. Wiesbaden: Harrassowitz, 2009, auf beiliegender CD-ROM. 2.4 Dieter Kurth, Hrsg.: Treffpunkt der Götter. Inschriften aus dem Tempel des Horus von Edfu. 2. Aufl. Düsseldorf; Zürich: Artemis & Winkler, 1998, S. 192. 2.5 Jürgen Zeidler, Hrsg.: Pfortenbuchstudien, Teil II. Kritische Edition des Pfortenbuchs nach den Versionen des Neuen Reiches. Göttinger Orientforschungen IV. Reihe Ägypten 36. Wiesbaden: Harrassowitz, 1999, S. 287. 2.6 Judith Weingar- ten: »How many Seals make a Heap: Seals and Interconnections on Prepalatial Crete«. In: Emporia. Aegeans in the Central and Eastern Mediterranean. Proceedings of the 10th International Aegean Conference, April 14−18, 2004. Hrsg. von Robert Laffineur und Emanuele Greco. Aegeaum 25. Eupen: Kliemo; Université de Liège, 2005, S. 759−766, Tafel CXCV. 2.7 Gladys Davidson Weinberg und Saul S. Wein- berg: »Arachne of Lydia at Corinth«. In: The Aegean and the Near East. Studies Presented to Hetty Goldman on the Occasion of her Seventy-fifth Birthday. Hrsg. von Saul S. Weinberg. Locust Valley, New York: J. J. Augustin, 1956, S. 262−267, S. 263. 2.8 Weinberg und Weinberg: »Arachne of Lydia at Corinth«, Tafel XXXV. 2.9 Sylvie Ballestra-Puech: Métamorphoses d’Arachné. L’artiste en araignée dans la litterature occidentale. Histoire des idées et critique littéraire 426. Genf: Librairie Droz, 2006, zwischen S. 224 und 225. 2.10 2.11. Mina Gregori: Uffizien und Pa- lazzo Pitti. Die Gemäldesammlungen von Florenz. München: Hirmer 1994, S. 274. 2.12 Gabriele Simeoni: La vita et metamorphoseo d’Ovidio. Figurato et abbreviato in forma d’Epigrammi da M. Gabriello Symeoni. Lyon, 1584, S. 88. 2.13 Sebastian Buffa, Hrsg.: Antonio Tempesta. Italian Masters of the Sixteenth Century. The Il- lustrated Bartsch 36. New York: Abaris Books, 1983, S. 36. 2.14 Andreas Priever: Paolo Caliari, genannt Veronese (1528−1588). Köln: Könemann, 2000, S. 114. 2.15 http://www.wga.hu/art/v/veronese/08/collegio/1ceilin.jpg. 2.16 Richard Cocke: Veronese’s Drawings. A Catalogue Raisonne. London: Sotheby Publications, 1984, S. 203. 2.17 Carl Nordenfalk: »The Five Senses in Late Medieval and Renaissance Art«. In: Journal of the Warburg and Courtauld Institute 48 (1985), S. 1−22, zwi- 486 Abbildungsnachweis schen S. 22 und 23. Zugleich Bibl. Apostolica Vaticana, MS Pal.lat. 871, fol. 21, p. 2. 2.18 Carl Nordenfalk: »The Five Senses in Flemish art before 1600«. In: Netherlandish Mannerism. Papers Given at a Symposion in Nationalmuseum Stock- holm, September 21−22, 1984. Hrsg. von Görel Cavalli-Björkman. Stockholm: Nationalmuseum, 1985, S. 135−54, S. 138. 2.19 Nordenfalk: »The Five Senses in Flemish art before 1600«, S. 137. 2.20 Judith Dundas: »Arachne’s Web: Emblem into Art«. In: Emblematica. An Interdisciplinary Journal for Emblem Studies 2.1 (1987), S. 109−137, S. 127. 2.21 Florentius Schoonhovius: Emblemata. Partim Moralia partim etiam Civilia. Hrsg. von Dmitrij Tschizewskij und Ernst Benz. Em- blematisches Kabinett 7. Hildesheim; New York: Olms, 1975, Emblem LXIV, S. 190. 2.22 http://upload.wikimedia.org/wikipedia/en/3/34/Swift-Battle.jpg, Public Domain. 4.1 P. Blanchard (?): »Exposition Universelle. – Pavillion de l’Isthme de Suez – Une Confèrence de M. de Lesseps« In: L’illustration, journal universel. 28. September 1867, S. 200 und 201. 4.2 Henry-René d’Allemagne: Prosper Enfantin et les grandes entreprises du XIXe siècle. Paris: Gründ, 1935, Tafel XXXVII, zwischen S. 113 und 114. 4.3 Szavardy, Friedrich: Der Suezkanal, Leipzig 1859, o. S. im Buchrücken. 4.4 Bibliothèque de l’Arsenal Paris, Ms 13190 f° 33. Reproduziert in: Philippe Régnier: Les Saint Simoniens en Egypte 1833−1851. Kairo: Banque de l’Union Européene, 1989, S. 39. 4.5 Raymond Génieys: Essai sur les moyens de conduire, d’élever et de distribuer les eaux. Paris: Carilian-Goeury, 1829, Bildatlas, Tafel IX und X, o. S., BNF Paris 4.6 Prosper Enfantin: Colonisation de l’Algérie. Paris: P. Bertrand, 1843, zwischen S. 528 und 529, BNF Paris. 4.7 Nathalie Coilly und Philippe Régnier, Hrsg.: Le siècle des saint-simoniens. Du nouveau christianisme au canal de Suez. Paris: Bibliothèque Nationale de France, 2006, S. 169. 4.8 d’Allemagne: Prosper Enfantin et les grandes entreprises du XIXe siècle, Tafel 34, zwischen S. 100 und 101. 4.9 Marc Desportes and Antoine Picon: De l’espace au territoire. L’amènagement en France XVIe−XXe siècles. Paris 1997, S. 87; Collection École des Ponts Paris, Fol 10975, 5862 / C351, 5861 / C351 (Appendix). 5.1 Southern New England Telephone Company Records (SNET). Archive & Special Collections at the Thomas J. Dodd Research Center, University of Connecticut Libraries. Series VI: Periodicals, Directories. First Phone Book – 1878, Box No. 9. Fotografie August 2007, Sebastian Gießmann. 5.2 SNET. Series VI: Periodicals, Directories. Connec- ticut Telephone Co. Subscriber Lists 1880−1881. 5.3 Robert J. Chapuis: 100 Years of Telephone Switching (1878−1978). Part I: Manual and Electromechanical Swit- ching (1878−1960s). Studies in Telecommunication Volume 1. Amsterdam; New York; Oxford: North-Holland Publishing Company, 1982, S. 48 und SNET Series IV: Product Development. Coy Switchboard. Blueprint, 1878. (cab):2758. 5.4 Uni- ted States Patent Office, Patent 447 918, Sheet 1. 5.5 United States Patent Office, Patent 447 918, Sheet 3. 5.6 Chicago Tribune, 4. November 1892, S. 1. 5.7 Chapuis: 100 Years of Telephone Switching I, S. 62. 5.8 Chapuis: 100 Years of Telephone Switching I, S. 65. 5.9 The Matrix, DVD. Timecode ca. 0:29:03 f. 5.10 Grand Hotel, DVD. Timecode ca. 0:01:30. 5.11 Roland Gööck: Die großen Erfindungen. Nachrichtentechnik und Elektronik. Künzelsau: Sigloch, 1988, S. 131. 5.12 William James: The Principles of Psychology. Bd. 1. New York: Dover, 1950 [1890], S. 570. 6.1 Thomas Bartholini und Marcello Malpighi: Thomae Bartolini De Pulmonum Substantia & Motu Diatribe: Accedunt Cl. V. Marcelli Malphigij de Pulmonibus Observationes Anatomicae. Hafniae: Typis Henrici Gödiani R. & Ac.Typ. Prostant apud P. Hauboldum, 1663, S. 128. 6.2 Leonhard Euler: »Solutio Problematis ad Geometriam Situs Pertinentis«. In: Commentarii Academiae Scientiarum Imperalis Petropolitanae 8 (1736), S. 128. 6.3 Leonhard Euler: »Solution d’une question Abbildungsnachweis 487 curieuse qui ne paroît soumise à aucune analyse«. In: Histoire de l’Académie Roy- ale des Sciences et des Belles-Lettres de Berlin 1759 (1766), S. 310−337, S. 311. 6.4 Norman L. Biggs, Edward Keith Lloyd und Robin James Wilson, Hrsg.: Graph Theory 1736−1936. 2. Aufl. Oxford: Clarendon Press, 1977, S. 23−24. 6.5 Biggs, Lloyd und Wilson: Graph Theory 1736−1936, S. 23−24. 6.6 William Rowan Ha- milton / Jaques & Son: The Icosian Game (1856−1859). © 2007 Hordern-Dalgety Collection. http://puzzlemuseum.com 6.7 William Rowan Hamilton: The Traveller’s Dodecahedron. © 2007 Hordern-Dalgety Collection. http://puzzlemuseum.com 6.8 August Wilhelm Hofmann: »On the Combining Power of Atoms«. In: Notices of the Proceedings at the Meetings of the Members of the Royal Institution of Britain IV.42 (1865), S. 401−430, S. 426. 6.9 James Joseph Sylvester: »On an Application of the New Atomic Theory to the Graphical Representation of the Invariants and Covariants of Binary Quantics«. In: American Journal of Mathematics 1 (1878), S. 64−104, zwischen S. 82 und 83. 6.10 Charles Sanders Peirce: »Die Logik der Relative«. In: Semiotische Schriften 1. Hrsg. von Helmut Pape. Frankfurt am Main: Suhrkamp 1986, S. 278. 6.11 Jacob Levy Moreno: Who Shall Survive? Foundations of Sociometry, Group Psychotherapy and Sociodrama. Beacon, NY: Beacon House, 1953 [1934], S. 306 / 307. 6.12 Moreno: Who Shall Survive?, S. 426. 6.13 Moreno: Who Shall Survive?, S. 428. 6.14 Moreno: Who Shall Survive?, S. 435. 6.15 Geor- ge A. Lundberg und Mary Steele: »Social Attraction-Patterns in a Village«. In: Sociometry 1.3 / 4 (1938), S. 375−419, S. 387. 6.16 Lundberg und Steele: »Social Attraction-Patterns«, S. 409. 6.17 Linton C. Freeman: »Visualizing Social Net- works«. In: Journal of Social Structure 1.1 (2000). http://www.cmu.edu/joss/content/ articles/volume1/Freeman.html. 6.18 Links: Chapin, Francis Stuart: »Sociometric Stars as Isolates«, in: American Journal of Sociology, Jg. 56, Nr. 3, 1952, S. 267. Rechts: Alden S. Klovdahl: »A Note on Images of Networks«. In: Social Networks 3 (1981), S. 197−214, S. 207. Montage SG. 6.19 Kinsey, DVD. Timecode 01:01:00 f. Montage SG. 7.1 Ken Garland: Mr Beck’s Underground Map. Harrow Weld, Middle- sex: Capital Transport Publishing, 1994, S. 19. 7.2 Garland: Mr Beck’s Underground Map, S. 13. 7.3 Garland: Mr Beck’s Underground Map, S. 25. 7.4 Garland: Mr Beck’s Underground Map, S. 16. 7.5 The Railway Gazette and Railway News, 22. Januar 1932, S. 115. 7.6 London Transport Museum, Film Collection, Nr. 121. 7.7 John Pattinson Thomas: Handling London’s Underground Traffic. London: London’s Underground, 1928, S. 53. 7.8 Thomas: Handling London’s Underground Traffic, S. 97. 7.9 Thomas: Handling London’s Underground Traffic, S. 98. 7.10 Thomas: Handling London’s Underground Traffic, S. 100 7.11 Theodore Cardwell Barker und Michael Robbins: A History of London Transport. Passenger Travel and the Development of the Metropolis. Bd. II. London: George Allen & Unwin, 1974, zwischen S. 288 und 289. 7.12 Garland: Mr Beck’s Underground Map, S. 71. 7.13 Bulldog Jack. 7.14 Oliver Green: Underground Art. London Transport Posters 1908 to the Present. 2. Aufl. London: Laurence King Publishing, 2001, S. 78. 7.15 Brook Adams u. a.: Sensation. Young British Artists from the Saatchi Collection. London: Thames & Hudson, 1997, S. 143. 7.16 Adams u. a.: Sensation. Young British Artists from the Saatchi Collection, S. 143. 8.1 Kenneth Gordon McLaren und Eric Leonard Buesnel: Network Analysis in Project Management. An Introductory Manual Based on Unilever Experience. London: Cassell, 1968, S. 68. 8.2 McLaren und Buesnel: Network Analysis in Project Management, S. 71. 8.3 Joseph John Moder und Cecil R. Philipps: Project Management with CPM and PERT. 4. Aufl. Reinhold Industri- al Engineering and Management Sciences Textbook Series. New York: Reinhold Publishing, 1967, S. 180. 8.4 Moder und Philipps: Project Management with CPM 488 Abbildungsnachweis and PERT, S. 184. 8.5 Moder und Philipps: Project Management with CPM and PERT, S. 4. 8.6 McLaren und Buesnel: Network Analysis in Project Management, S. 44. 8.7 Donald G. Malcolm u. a.: »Application of a Technique for Research and Development Program Evaluation«. In: Operations Research 7.5 (1959), S. 646−669, hier S. 651; https://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/6/6b/Polaris-a1.jpg, Public Domain. Montage SG. 8.8 Peter Klaus und Winfried Krieger, Hrsg.: Gabler Lexikon Logistik. Management logistischer Netzwerke und Flüsse. 3. Aufl. Wies- baden: Gabler, 2004, S. 225. 8.9 Dana Levy, Lea Sneider und Frank Gibney, Hrsg.: Kanban. The Art of the Japanese Shop Sign. New York; Tokyo: Weatherhill, 1983, S. 2. 8.10 Helmut Baumgarten, Hrsg.: Das Beste der Logistik. Innovationen, Stra- tegien, Umsetzungen. Berlin u. a.: Springer, 2008, S. 133. 9.1 Katie Hafner und Matthew Lyon: Where Wizards Stay Up Late. The Origins of the Internet. New York: Touchstone, 1998, zwischen S. 160 und 161. 9.2 https://upload.wikimedia. org/wikipedia/commons/0/04/Interface_Message_Processor_Front_Panel.jpg, CC BY-SA 3.0. 9.3 Martin Dodge und Rob Kitchin: Atlas of cyberspace. Harlow [u. a.]: Addison-Wesley, 2001, S. 16. 9.4 Frank E. Heart u. a.: »The Interface Message Processor for the ARPA Computer Network«. In: AFIPS Conference Proceedings. Spring Joint Computers Conference. May 5−7, 1970. Atlantic City, New Jersey. Bd. 36. New York: ACM Press, 1970, S. 551−567, S. 554. 9.5 Alexander Galloway: Protocol. How Control Exists after Decentralization. Cambridge, MA; London: MIT Press, 2004, S. 43. 9.6 Janet Abbate: Inventing the Internet. Inside Technolo- gy. Cambridge, MA; London: MIT Press, 2000, S. 132. 10.1 John A. Hobson: The Evolution of Modern Capitalism. A Study of Machine Production. The Contem- porary Science Series 25. London; Felling-on-Tyne: Walter Scott Publishing, 1906, S. 272. 10.2 Pollux: Trusts in der Schweiz? Die schweizerische Politik im Schlepp- tau der Hochfinanz. Zürich: Verein für wirtschaftliche Studien, 1945, hinterer Um- schlag. 10.3 Pollux: Trusts in der Schweiz?, hinterer Umschlag. 10.4 Pollux: Wer leitete Deutschland? Die eigentlichen Kriegsverbrecher: 50 Drahtzieher hinter den Kulissen. Zürich: Verein für wirtschaftliche Studien, 1945, hinterer Umschlag. 10.5 Sydney Pollack. Three Days of the Condor, DVD 2001 [1975], Timecode ca. 01:05:00. 10.6 Three Days of the Condor, Timecode ca. 22:30. 10.7 Three Days of the Condor, Timecode ca. 01:30:30. 10.8 Robert Hobbs, Hrsg.: Mark Lombar- di. Global Networks. New York: Independent Curators International, 2003, S. 49. 10.9 Hobbs: Mark Lombardi. Global Networks, S. 52. 10.10 Hobbs: Mark Lom- bardi. Global Networks, S. 99. 10.11 Hobbs: Mark Lombardi. Global Networks, S. 100. Index Abba Pascha 158 Atropos 60 Abbate, Janet 342, 362 Aufpfropfung 10, 129−131, 147−148, Achill 65 177, 193, 246, 359, 403 Ader, Clément 181 Aufschreibesystem 67, Advanced Research Projects 230, 236, 273, 323 Agency (ARPA) 330 Augé, Marc 279, 284, 292 Aelian (Claudius Aelianus) 54, 56, 97 Augustinus 72 Agamemnon 38−39, 46, 51 Ähnlichkeit 76, 88, 100 Bacon, Francis 110, 113 – Bild- 80−82, 88, 92 Baehler, Georges 13, 383−384, Aigisthos 39, 46 387, 393, 409, 417−419, 426 Aischylos 12, 37−39, 46−49, Bakhsh, Sheik Abdullah Taha 413−414 58, 65, 68, 421 Ballestra-Puech, Sylvie 71 Akteur-Netzwerk 13, 257, 357, Band. Siehe Bindung 379, 398, 417−419, 432 Barabási, Albert-László 223−224 Akteur-Netzwerk-Theorie Baran, Paul 124, 337−339, 346, 373 11, 117−119, 126−127, Barber, Elizabeth 64 372, 378, 410, 432 Barrault, Émile 156 Allegorie 71−73, 82, 95, 98, 109 Barrymore, Johan 199 Ampère, André-Marie 153−155 Barthes, Roland 54, 87 Anatomie 31, 215 Bartlett, Keith 364 Anderson, Dwight 243 Bath, James R. 413 Andromache 64 Baudelaire, Charles 271 Aphrodite 22, 40 Baudrillard, Jean 408 Apollon 40, 48 Baum, Vicki 199 Arachne 12, 56, 59, 78, Beck, Henry Charles 13, 262, 85−86, 98, 109, 422 265, 270, 273−275, 283, Archimedes 92 288−293, 315, 425 Arendt, Hannah 408 Beery, Wallace 199−200 Ares 40−41 Behaviorismus 204, 251 Aristophanes 66 Bell, Alexander Graham 12, 174, Aristoteles 56, 112, 122 177, 181, 197, 208, 424 Arlès-Dufour, François Barthélemy 158 Bell Labs 208, 397 ARPANET 13, 329, 346, 350, Benjamin, Walter 11, 100, 143, 256 355, 360, 365−373, 426 Benveniste, Émile 42 Artaud, Antonin 401 Bersuire, Pierre 72 Artemis 63 Bertin, Jacques 218 Ashfield, Albert Henry Stanley 287 Berzelius, Jöns Jacob 238 Äsop 112 Bildakt. Siehe Bildstatus Assange, Julian 418 Bildstatus 10−12, 76, 121−122, 130, Assoziation 154, 293, 138, 165, 213, 217, 221−223, 371, 382, 411, 433 239−240, 256, 305, 311, 315, – Ideen- 133, 205 325, 339, 383, 385, 412, 424 – soziale 142 Bindung 28, 32−51, 65, 114, – universelle 143, 146, 161 120, 233, 240−242, 246, 254, Assoziationspsychologie 171, 205, 424 325, 421−424, 427−429 Asterios 66 bin Laden, Osama 415 Athene 48, 54−55, 63, 66 bin Laden, Salim 415 490 Index Blumenberg, Hans 338 Cort, Cornelis 103 Boccaccio 71, 74−75, 79 Coy, George W. 177, 180−183 Boehm, Gottfried 222 Crary, Jonathan 139 Böhme, Hartmut 8 Crawford, Joan 199 Bolt, Beranek and New- Crocker, Stephen 360−361, 365 man 352, 355, 358, 362 Cyberpunk 198 Borelli, Giovanni 213 Cyberspace 13−14 Brandeis, Louis 386 Cyclades 354, 367, 370−374 Braudel, Fernand 135−136 Bredekamp, Horst 222 Dalal, Yogen 372 Brown, Alexander Crum 238 Dante Alighieri 71, 74, 88, 98 Bruneau, Michel 157 Darnton, Robert 405 Buesnel, Eric Leonard 311 Daston, Lorraine 236 Bush, George W. 406, 414−416 Davies, Donald 346, 350, 366, 370 Davies, Paul 337−338 Calliope 66−67 da Vinci, Leonardo 293 Callon, Michel 11, 376 de Certeau, Michel 286 Cantimpré, Thomas von 101 de Chauvin, Franz Al- Capone, Alphonse Gabriel (Al) 408 fons Desiderius 163 Cardano, Girolamo 303 Defixion 43 Carpaccio, Vittore 221 Defoe, Daniel 297 Carpenter, Brian E. 376 de Lavoisier, Antoine Laurent 242 Carr, Stephen 361, 364−365 de Lesseps, Ferdinand 143, 156, 158 Casson, Herbert 185 Deleuze, Gilles 211, 219, 288, 324 Castells, Manuel 125, 313, 316 DeLillo, Don 396 Cauchy, Augustin-Louis 224 della Francesca, Piero 293 Cayley, Arthur 224 Deloche, Gerard 361 Ceres 66 Delon, Alain 399 Cerf, Vinton Gray 364, 367, 370−372 del Vaga, Perino 81 Chapin, Francis Stuart 252, 255 Demodokos 40 Chappe, Abraham 147 Demokrit 55−57, 68 Chappe, René 147 de Pizan, Christine 75 Cherry, Colin 314 Derrida, Jacques 334 Chevalier, Michel 150, de Saint-Simon, Henri 142 155−156, 163, 165, 423 Descartes, René 112, 215 Chnum 30 de Vaucanson, Jacques 190 Chomsky, Noam 408 Dezentralisierung 11, 25, 123, Cicero, Marcus Tullius 57 147, 181, 297, 315, 319, Clark, David 377 322−324, 339, 378 Cluster. Siehe Netzwerk, Cluster Diagramm 13−15, 57, 121, 211, Cohen, Marcel 20 219−223, 254, 263, 270, 273−275, Computer 10, 13, 21, 118, 218, 240, 286, 295, 298−299, 306−308, 255−256, 298−301, 307, 314, 311, 314, 325−326, 339, 364, 325, 329−338, 342, 345−368, 385, 390−392, 406, 409, 412, 371, 375−378, 402, 425 415−417, 421, 424−425 Comte, Auguste 241 – Baum- 211 Condon, Bill 256 – Netz-. Siehe Netzwerkdiagramm Connolly, Daniel 189, 192 – Netzwerk-. Siehe Netzwerkdiagramm Connolly, Thomas 189, 192 Diagrammatik 117, 121, 211−222, Coppola, Francis Ford 400, 409 237−242, 246, 256, 259, 270, Corbato, Fernando J. 354 295, 304, 364, 412, 417 Index 491 Dichte 10, 56, 123, 129, 133, Euripides 65 143−146, 154, 185, 218, 250, 268, European Informatics Network 374 291−292, 391, 394, 415, 431 Evolution 25, 124, 136, 431 Diderot, Denis 101, 213, 217 Exklusion 121−122, 247, Diels, Hermann 55 254, 382, 428 Ding, epistemisches 90 Diogenes Laertius 59, 97 Febvre, Lucien 135 Dionysos 220 Fernschreiber. Siehe TelexField, Cyrus 168 Direction des Travaux Publics de Paris Firman, Leroy B. 185 147 Fischernetz. Siehe Netz, Fischer- Dis 67 Fischzug 102, 107, 114 Dogon 19−24 Flaubert, Gustave 84, 87 Dolce, Ludovico 84, 98 Fleck, Ludwik 127, 197 Doria, Andrea 81 Floris, Frans 103 Dring, Lilian 289 Fluch 44−47, 51 Dryden, John 112 – Binde- 47 Duchamp, Marcel 406 – Netz- 48 Dunaway, Fay 398 Fluktuation 10, 127−128, 218, Durkheim, Émile 241 259, 263, 275, 292, 295−296, Duvall, Bill 361−363 300, 344, 381, 425, 427 Duveyrier, Charles 144, 150 Fluss. Siehe Strom Flusser, Vilém 9 Eannatum 26−28 Foerster, Heinz von 349, 372 Echo 67 Ford, Henry 317 École des Mines 143 Form, symbolische 98, 105, 221 École des Ponts et Chaussées 143, 164 Foucault, Michel 11, 76, 88−89, École Polytechnique 143 140−141, 146, 219, 257, 288 Eco, Umberto 211 Fournel, Henri 157 Edison, Thomas Alva 181 Frankland, Edward 238 Eisenbahn 129, 142−143, Freud, Sigmund 409 150−164, 265, 270−279, Frost, Herrick P. 180 284−287, 302, 385, 423 Fulgentius, Fabius Claudi- – Dampf- 271 us Gordianus 71 – elektrische 264 Funk 267, 290, 325, 333, 431 – -verkehr 164 Elektra 65 Galenos von Pergamon (Galen) 214−215 Elektrizität 7, 22, 177, 181, 189, Galilei, Galileo 215 192−194, 266, 280, 286, 453, 471 Galison, Peter 236, 304 Eliade, Mircea 32 Galloway, Alexander 333 Elmes, Frederick 258 Gantt, Henry 306 E-Mail 373 Garbo, Greta 199 Emergenz 25, 124, 135, 209, Gedächtnis 98, 284, 349, 372 330−333, 350−352, 430 – kulturelles 10, 69−70, 197, 266 Enfantin, Prosper 150, 153, 156−158 Geflecht 14, 49, 228, 284, 428 Engelbart, Douglas 365 – Beziehungs- 250 Engell, Lorenz 378 – Netz- 37 Erinyen 47−48 – Pilz- 17 Ethernet 371 Geierstele 26−29 Euklid 55, 58−59, 91 Génieys, Raymond 147−149 Euler, Leonhard 225−227, Geopolitik 140−142, 150−158, 163, 235, 303, 423 233, 400, 417, 423. Siehe auch Raum- beherrschung 492 Index Gewebe 12, 14, 19−20, 38−39, Hathor 28 49, 51, 60, 65−68, 73−76, 79, Haussmann, Georges Eugène 146 87, 91, 109, 120, 421, 428 Havelock, Eric 44 – biologisches 214 Heart, Frank 356 – Netz- 75, 214 Hegemonie 37, 121, 125, 136−138, – soziales 126, 318 153−155, 169, 298, 421 – Spinnen- 40, 59, 97, 107 – Nichthegemonie 418 – Text- 68 Heinrich III. von Frankreich 95 Gilbreth, Frank 303 Hekabe 65 Gilbreth, Lillian 303 Hektor 64−65 Gilliland, Ezra 189 Helena 64 Ginzburg, Carlo 67 Helios 40 Glaukon 44 Hephaistos 22, 40−41 Goethe, Johann Wolfgang von 242 Hera 63 Golgi, Camillo 205 Hermes 30, 40, 289, 295 Goltzius, Hendrick 105 Herrmann, Gerhard 156 Goodman, Nelson 270 Hesiod 68 Göring, Hermann 394 Heterarchie 10, 123−125, Goulding, Edmund 199 147, 173, 209, 218, 349 Government Communications Heterogenität 15, 119, 125, 218, Headquarter (GCHQ) 434 352, 358, 367, 371, 421, 426, 433 Grammophon 281 Hill, Rowland 270 Graph 11, 210, 224−225, Hiob 34 230, 238−240, 272 Hobbes, Thomas 112 – Chemico- 225, 235, 238−239 Hobbs, Robert 406 – endlicher 230 Hobson, John A. 385−386 – gerichteter 117 Hofmann, August Wilhelm 234 – Netz- 228 Holden, Charles 261, 283 – netzförmiger 220, 246 Holmes, Edwin 182 – topologischer 226, 239−240 Homer 40−41, 51, 60, 67 – ungerichteter 117 Horaz 59, 110 Graphentheorie 117, 210−212, Horus 28−30 221−225, 230, 234, 247, 259, Hubbard, Gardiner Greene 175 304−305, 326, 407, 419, 423−424 Hubbard, Mabel 175 Graunt, John 303 Hughes, Thomas 14 Gray, Elisha 197 Hugo, Victor 54, 87, 148 Griaule, Marcel 19−21 Huizinga, Johan 232 Gruppe 123, 142, 155, 193, 219, Hussein, Saddam 414, 417 243−248, 251, 351, 361, 367 Huvelin, Emile 42 Grusin, Dave 400 Guare, John 118 Icosian Game 230 Guattari, Félix 211, 324 Idmon 59 Guerillakrieg 129 Indra 33, 36 Informationstheorie 161, Haacke, Hans 406 203, 221, 311, 344 Hacking 198, 401−403 Infrastruktur 132, 151, 169, Hagen, Wolfgang 122, 174 176, 209, 240, 250, 260, 263, Hamiltonkreis 230, 233 288−290, 296, 302, 314, 330, Hamilton, William Rowan 224, 230−234 403−404, 421−423, 431−433 Haraway, Donna 11, 430 Infrastrukturgeschichte 11 Harvey, William 144, 213, 213−214 Inklusion 121−122, 324 Index 493 Innozenz XII., Papst 213 Kassandra 38, 39 Interkonnektivität 15, 152, 167, Kassung, Christian 10 209, 218, 256, 292, 330, 339. Kekulé, Alexander 235 Siehe auch Konnektivität Kelvin, William Thomson 354 interlocking directorates 386 Kinsey, Alfred Charles 257 International Telecommunication Union Kircher, Athanasius 89 (ITU) 167, 439 Kirchhoff, Gustav Robert 224 Internet 13, 122−124, 226, 233, 240, Kirkman, Thomas Penyngton 232−234 292, 314, 328−332, 356−357, 361, Kleinrock, Leonard 337−338, 369, 373, 376−378, 418, 428, 430 343, 356−357, 367 – Architektur 117, 376, 426 Kline, Charles S. 359 – Internet Engineering Taskforce (IETF) Klotho 60 362 Klovdahl, Alden S. 255 – mobiles 431 Klytaimnestra 38−39, – Ökonomie 387 46−47, 51, 68, 421 Internetworking 331, 367, Knoten 8, 33, 49, 117−132, 371−378, 426 151−154, 177, 211, 218, 220, Jacob, François 124 223, 227−229, 233, 256, 263, Jameson, Frederic 391, 400, 405, 416 281−283, 293, 306, 326−327, 336, James, William 205−206, 210 340−344, 348, 355, 357, 366−367, Jesaja 35 374−375, 411, 416, 428−431 Johnson, Samuel 90 Knüpfen 19, 66, 427, 428 Johnston, Edward 271 – Netz- 421 Jones, Dennis Feltham 334, 337 – Teppich- 66 Josua 34 Kollektiv 17−19, 42, 46, 48, 114, Jupiter 60 120−121, 126, 130, 133, 168, Just-in-Time 316, 321, 387, 425 247, 257−259, 284, 292, 321, 379, 382−383, 423, 429, 431 Kafka, Franz 172, 280−281, 371 – Rechner- 336 Kahn, Robert 362, 366, 370 Kolonialismus 12, 136, 138−141, Kamata, Satoshi 324 146, 153−155, 160−161, 165, Kanal 12, 126, 129, 136−138, 168−169, 233, 302, 423 140−147, 151−161, 164, 168−169, Kombinatorik 89, 220 251, 309, 385, 423, 427 Kommunikation 37, 65, 117−119, – Ärmel- 150 132, 146, 151, 154, 163, 168, – Canal de l’Ourcq 148 172, 177, 194−195, 219, 264, – Informationstheorie 162, 203, 311−312, 319, 330, 333, 336−337, 312, 343−344, 348, 368 343, 348−351, 361−362, 365, – Neutralisierung 160 370−373, 378, 384, 397, 405, 431 – Panama 138, 156 – Anschluss- 163 – Suez 12, 136−138, 156−163, 423 – Geheim- 162 – Kanalisation 12, 148, 176, 182, 423 – ikonische 256 kanban 298, 315, 319−324, 327 – institutionelle 307 – E-kanban 324 – Inter- 350, 371, 375 Kapp, Ernst 203 – Mensch-Maschinen- 336 Karte 13−15, 121, 130, 136, 140, 144, – ökonomische 133, 168, 331 148, 151, 154, 164−167, 243−251, – politische 166−168 254, 257, 263−273, 286, 290−297, – soziale 247 325−326, 382, 387, 392−394, 401, – städtische 143, 146, 177 406−407, 410−412, 421−425 – telefonische 172−173, 185, 208 – mentale 288, 401 – Unternehmens- 304, 320 494 Index König, Dénes 224 Luhmann, Niklas 384, 388, 404, 409 Konnektivität 15, 121, 130, 132, Lundberg, George A. 250, 254 147, 155, 158, 165, 168, 259, Lysistrate 66 281, 292, 336, 344, 377, 431. Siehe auch Interkonnektivität Magie 30, 40, 43−49, 53, 206 Kooperation 314, 375, 405, 425, 433 – Bild- 222 Koordination 128, 271, 277, – Binde- 36, 39, 43−46, 300−302, 313, 321, 327, 375, 382 117, 424, 428, 430 Kracauer, Siegfried 292 – hermetische 238, 429 Krajewski, Markus 354 – Netz- 32, 36, 429 Kreislauf 135, 141−142 – Rechts- 42, 47 – Blut- 144, 164, 201−203, Malcolm, Donald G. 312 213, 217, 260, 289, 422 Malpighi, Marcello 213−215, 422 Kronos 65 Man Ray 269 Kubrick, Stanley 335 Marclay, Christian 198 Kulturtechnik 8−10, 17−26, 51−60, Marcuse, Herbert 408−409 66−68, 90, 93, 118, 129−133, 140, Marduk 27 195, 205−206, 241, 256, 263, 315, Mars 41 318, 332, 345, 363, 368, 377, 379, Marx Brothers 293 381, 418, 422, 429−430, 434 Marx, Karl 293 Kybernetik 21, 124, 153, 203−204, Masche 8, 107, 121−122, 221, 251, 304, 322, 333, 350 132, 208, 431 Masse 141, 144, 150, 175, Lachesis 60 186, 268, 283−284, 291, Lambert, Charles 157 315−318, 322, 394, 398 Lammert, Angela 406 Mauss, Marcel 20, 42, 51 Lansky, Meyer 408 Maxwell, James Clerk 354 Latour, Bruno 11, 21, 219, McCulloch, Warren 123−124, 203 222, 264, 301, 318, 372 McGrath, Patrick 430 Le Carré, John 408 McKenzie, Alexander 357−358 Lechtermann, Christina 101 McLaren, Kenneth Gordon 311 Leibniz, Gottfried Wilhelm 89, 303, 423 McLuhan, Marshall 21 Leroi-Gourhan, André 21−25 McTighe, Thomas J. 189 Lévi-Strauss, Claude 21, 24, 242 McTighe, Thomas T. 192 Lewis, Walter 180 Mehmed Ali Pascha 157−158 Licklider, Joseph Carl Robnett 331, Menelaos 42 335−337, 347, 351, 359−361, 366, 378 Metapher 14, 34, 49, 71, 120, Linant de Bellefonds, Louis 203, 227, 332, 430 Maurice-Adolphe 157−159 Metonymie 430 Locke, John 205 Meyer, Edwin E. 364−365 Logistik 212, 290, 298, 302−304, Michelet, Jules 54 319, 324−327, 382, 425 Mikroskop 10−12, 213−215, 247, 422 Lombardi, Mark 13, 383, 395, Milieu 22, 125, 129, 136, 141, 406−408, 413, 416−419, 426 146, 153, 161−165, 168−169, London Passenger Transport Board 208, 302, 333, 423 (LPTB) 262, 270, 287−289 Minard, Charles Joseph 164 London Transport 13, 262−269, 425 Minerva 12, 59, 60, 109 Loraux, Nicole 49, 66 Mitchell, William Thomas 89 Lösung 40−42, 240, 428−429. Mocenigo, Alvise 95 Siehe auch Bindung Modell 15, 118, 124, 136−138, Ludwig X., Herzog von Bayern 81 143, 146, 153, 162, 168, 184, Index 495 203−206, 211−217, 220−226, – Grad- 93 230−241, 246, 254, 256, 260, – grid 287−288, 339 304−305, 325−326, 344, 348−349, – Halte- 24, 53 368−370, 375, 407, 421, 424 – Handlungs- 11 – Atom- 234−235, 239−242, 259 – Jenseits- 30−32, 36 – chemisches 239 – Kanal- 147 – energetisches 246 – Kapillar- 89, 213−215, 260, 422 – Gedächtnis- 372 – Kescher 25 – mathematisches 225, – Nahrungs- 240 228, 303, 307, 423 – neuronales 118, 123, 203, 205, 340 – universelles 239−430 – Petri- 240 – visuelles 124, 230, 295, 314 – Rad- 53 – Wahrnehmungs- 263 – Radial- 103 Moder, Joseph John 310 – Reuse 25, 52 Mohammed 52 – Sammel- 22 Moholy-Nagy, László 269 – Schlag- 25, 30−32, 36 Monade 90, 423 – Schlepp- 25, 31, 36 Monnet, Jean 152 – Spinnen- 8, 12, 39, 52−54, Moreno, Jacob Levy 241−243, 58−59, 76, 87−91, 100−103, 250, 257, 351, 382, 424 114, 120, 211, 422 Morrison, Herbert 287 – Städte- 135−136 Morse, Samuel 168 – Stell- 36 Mulciber 41 – Strom- 7, 286 Musso, Pierre 14 – Telefon- 169, 173, 177, 195, 198, 208−209, 341, 359, 424 Napoléon Bonaparte 148, 156 – Telegrafen- 167, 176, 423 Napoléon III. 158, 165 – Todes- 47 Narziss 67 – Triangulations- 423 National Security Agency (NSA) 434 – Verkehrs- 13, 182, 240, Naturtechnik 57−58 270, 292, 425 Neeson, Liam 257 – Verteil- 135 Negrelli, Alois 158 – Vogel- 29, 74, 89, 120 Nephtys 31 – Wege- 136 Neptun 95 – Wurf- 25 netting 335−337, 350, 367, 426 – Zug- 36 network meltdown 132 Netzmagie. Siehe Magie, Netz- Network Operations Method 13, 308, Netzneutralität 430 314, 325, 425. Siehe Netzplan Netzplan 297−301, 305−306, Netz 312−315, 325−326, 425. Siehe – Bewässerungs- 26 Network Operations Method – Computer- 14, 198, Netzprojektion 95, 423 332, 359−363, 378 Netzteil 7, 378 – der Rede 185 Netzwerk – der sophistischen Rede 107 – Cluster 123, 243, 250 – der Sprache 7 – dezentrales 339 – des Rechts 46, 107 – distribuiertes 339, 349 – Eisenbahn- 264, 270, 279−280 – elektrisches 304, 315 – Fang- 8, 12, 15, 21−30, 39, – Gedächtnis 349 53−54, 74, 102, 121, 421, 427 – Geheimdienst- 396, 419 – Fischer- 8, 22, 31, 38−39, 53, – Hub-and-Spoke 327 74, 89, 102, 114, 120, 211, 422 – intergalaktisches 366 496 Index – komplexes 118 – digitale 418 – konvergentes 376 – massenmediale 394 – ökonomisches 360, 391, 423 – öffentliche Meinung 405 – Orientierung 291 – öffentlicher Raum 42, 269, 323 – Simulation 255 – Öffentlichkeitsarbeit 261−264 – skalenfreies 126 – religiöse 150 – soziales 8, 13, 117, 121, 210, – telefonische 174, 181, 190 247−250, 254−255, 259, 351, 360, – von Netzwerkgesellschaften 418 381, 385, 404, 424, 428, 432−433 – wissenschaftliche 213, 234 – sozioökonomisches 404, 417−418 – Zeitungs- 143, 158, 297 – soziotechnisches 10, 128−129, Ogotemmeli 20 133, 209, 333, 378, 401, Ohno, Taiichi 315−320, 325 421, 424, 427, 432−433 Operationskette 15, 18, 126−127, – zentralisiertes 339 132, 171, 187, 198, 302, Netzwerkarchitektur. Siehe Internet, 314, 322, 327, 369, 405 Architektur Operations Research Netzwerkdiagramm 10−13, 302−305, 312, 325 22, 117−121, 124, 210−224, opus reticulatum 89, 215 240, 256−260, 295, 312, Ordnung, symbolische 19, 49, 315, 327, 383, 430 52, 201, 377, 381, 418 Netzwerkgesellschaft 8, 10, 117, Orestes 38, 46−48, 65 124, 132, 219, 241, 260, 295, Organisation 10, 13, 101, 123−130, 301, 313−318, 325−327, 331, 136, 141, 153−154, 165−167, 181, 359, 404, 418, 425−426, 433 185, 194, 209, 246, 263−264, 286, Netzwerkprojekt 13, 136, 309, 288−289, 296−298, 302−304, 312, 326, 361, 425. Siehe auch 311, 314, 317−318, 324−328, Network Operations Method 338−340, 350, 362−363, 384−385, Netzwerkprotokoll 13, 165, 328, 398, 404−405, 409, 423−427 331−335, 350−352, 364, 378, Orientalismus 151−152, 157 426. Siehe auch Protokoll Osiris 30−31, 36 Netzwerkunternehmen 298, Otis, Laura 14 301, 314−316 Ovid (Publius Ovidius Naso) 12, Neumann, John von 340 35, 41−42, 55, 59, 102 Neurath, Otto 241, 389 Neutralisierung 141, 160−169 packet switching 340, 346, 366 New Haven District Tele- Pakula, Alan J. 400 phone Company 178 Panofsky, Erwin 221 Nietzsche, Friedrich 42 Panorama 139 Ningirsu 26, 28, 33 Parasit 130, 242, 313, 403 Nirrti 33 Paris (Prinz) 42 Northway, Mary Louise 254 Passagier 263, 270−271, 282−286, 290 Objektreferenz 8−10, 14, 35, 39, 87, 90, Pathosformel 69−70, 87, 240 120−121, 203−205, 211, 215, 260, Patterson, Simon 293 327, 332, 377, 401, 422 Pawlow, Ivan 204−205 O’Conell, J. J. 186 Peirce, Charles Sanders 223, 239 Ödipus 49 Pencz, Georg 103 Öffentlichkeit Penelope 51 – demokratische 404, 409 Perron, Nicolas 157 – der Weltausstellungen 136 Persephone 220 – des Rechts 45 Petrarca, Francesco 95 Index 497 Pfad 247, 298, 300, 341−344, 371 Raumbeherrschung 24, 53, – kritischer 300, 305, 309−313 93, 121, 137, 152−155, 165, Philipp II. von Spanien 135 168. Siehe auch Geopolitik Phillips, Cecil R. 310 Recht 33, 39−50, 107, 153, 410 Pias, Claus 350 – göttliches 47 Pick, Charles 283 – griechisches 42−44 Pick, Frank 261−264, 269−271, 289 – internationales 375 Pitts, Jane 251−252 – öffentliches 43 Pitts, Walter 204 – Patentierung 189 Platon 44−48, 52, 66, 112 – römisches 39, 42, 50, 422 Plinius der Ältere 56−57 – Völkerrecht 42, 141, 160−162, 167 Plutarch 67 Redford, Robert 383, 396−401 Poe, Edgar Allan 196 Reed, David 377 Pollack, Sydney 396−403, 426 Reeves, Keanu 198 Pollux. Siehe Baehler, Georges Regius, Raphael 79 Pólya, George 224 Reich, Wilhelm 410 Polyedersatz 226, 235 Reis, Philipp 197 Poseidon 40 Relation 8, 89, 114, 117−130, Post 164−166, 175, 196, 211−212, 217−225, 234−239, 340−341, 348−349, 355, 243−247, 256, 260, 268, 272, 362, 368−373, 403, 439 289−296, 306, 327, 331−332, – Einheitsporto 270 344, 360, 364, 371, 377, – Rohr- 432 381, 396, 411, 425−430 – Weltpostverein 167 Request for Comment 330, Postel, Jon 361 359−367, 372 Posthumus, Herman 81 rete mirabile 213, 214, 216. Siehe Poststrukturalismus 11, 19, 211, 219 auch Netz, Kapillar- Pouzin, Louis 368 Rheinberger, Hans-Jörg 215 Proserpina 67 Rhizom 211, 431 Protokoll 10, 119, 124−131, 152−154, Ricardo, David 385 161−167, 187, 247, 307, 315, Roberts, Lawrence 346, 362−366 330−338, 350−355, 359−378, 384, Roizman, Owen 401−403 411. Siehe auch Netzwerkprotokoll Ronell, Avital 206 Proust, Marcel 185 Royal Society 113 Psychodrama 244 Rubens, Peter Paul 87 Puskás, Tivadar 181, 189 Rulifson, Jeff 361 Pynchon, Thomas 235, 403, 408 Rusconi, Giovanni Antonio 84, 87 Quasi-Objekt 8, 13−15, 40, 49−50, Said Pascha 158 89−90, 101, 114, 119−120, 217, Saint-Laguë, André 224−225 325, 332, 340, 347, 360, 378, 422, Saint-Simonismus 12, 427−434 142−146, 150−157, 161, 164, 168, 297, 350, 423 Ra 31 Saltzer, Jerome H. 354, 377 Radar 303 Sansovino, Francesco 92 Radcliffe-Brown, Alfred 249 Saxl, Fritz 69 Radio 173, 267 Schach 221, 225−228 Ramses II. 29 Schäffner, Wolfgang 239 RAND Corporation 338 Schesemu 31 Ranke-Graves, Robert von 61−63 Schifffahrt 32, 137−140, Rathenau, Walter 182, 207−209 152−154, 158−162 Ratzel, Friedrich 155 – Dampf- 142, 151 498 Index Schmidt, Hans-Dieter 209 Strom 132, 144, 154, 194, Schröter, Jens 346 220−221, 246, 280, 299, 309, Schüttpelz, Erhard 162 313, 327, 342, 345, 355, 373 Schwarm 128, 219, 431 – Daten- 126−128, 241, 342 Scorcese, Martin 409 – der Zeit 306 Scribner, Charles Ezra 186 – diskontinuierlicher 345 Selbstorganisation 123−124, – elektrischer. Siehe Elektrizität 129, 330−331, 362, 427 – Finanz- 126−127, 390, 406, 433 Semprun, Jorge 99 – Handels- 160 Seneca 58, 110 – Informations- 167, 313, 319, 344 Serres, Michel 11, 17, 40, – Kausal- 407 50, 120, 127, 219, 222, – Nachrichten- 162, 312 254−256, 295, 429−430 – Nerven- 205 Shakespeare, William 98 – Passagier- 282 Shannon, Claude Elwood 162, – psychologischer 243−246 203, 312, 339−343 – Raum der Ströme 241 Sieben Brücken von Königsberg 225 – Verkehrs- 126−128, 132, 155, Siegel, Steffen 88 241, 268−270, 280, 288, 425 Siegert, Bernhard 286 – Waren- 128, 302 Simeoni, Gabriele 84 Strowger, Almon Brown Simmel, Georg 161, 241, 424 187−189, 207−209, 424 Simonides 67 Strowger, Walter S. 188 Snowden, Edward 434 Strukturalismus 242, 251, 351 Suezkanal. Siehe Kanal, Suez Social Network Analysis (SNA) 11 Sunshine, Carl 372 Sokaris 31 Supply Chain Management 325 Sokrates 44, 293 Svenbro, Jesper 44−46 Solon 107 Swift, Jonathan 53, 105, 110, 422 Sophokles 37, 49 Switchboard 171, 177, 181−185, Soziometrie 242−244, 195−197, 200−201, 209, 424. Siehe 248−253, 257−259, 382 auch Telefonvermittlung Spenser, Edmund 109 Switching 10, 126, 151, 173, Spinnennetz. Siehe Netz, Spinnen- 192, 196, 200−205, 209−210, Spiritismus 171, 186, 231, 270, 292, 298, 340−342, 206−207, 354, 424 355, 359, 403, 416, 424 Standardisierung 165, 235, 271, 319, Sydow, Max von 399 330, 335, 352, 361−362, 373−375 Sylvester, James Joseph 236−238 Steele, Mary 250, 254 Synchronisation 10, 13, 128−132, 172, Šteger, Aleš 427 185, 199, 260, 263, 267, 270−286, Stephan, Ernst Heinrich Wil- 290−295, 301, 309, 317−321, 337, helm von 175 341−344, 351, 368−370, 425, 431 Stephens, Jackson 414 System, großes technisches 11 Stephenson, Neal 376 Systemtheorie 11, 124 Stephenson, Robert 157 Sterne, Jonathan 207 Tableau Stimme 45−47, 67, 173, 186, 197, – epistemologisches 155 206−208, 257, 399−400, 424 – ethnologisches 22 Störung 10, 43, 124−132, 162, 167, – naturhistorisches 90, 217, 423 172, 177, 183, 186, 220, 273−275, – ökonomisches 90, 389, 423 290, 313, 321, 343, 346, 431 Talabot, Léon 158 Strathern, Marilyn 133, 432 Talabot, Paulin 158−160 Index 499 Tastsinn 24, 36, 39, 76, 101−105, 422 Tolksdorf, Robert 407 Taylor, Frederick Winston 303, 306, Topografie 122, 139, 148, 151, 311, 317 154, 222, 244−245, 264, 268, Taylor, Robert 331, 351 269, 284, 290, 370, 395, 399 TCP/IP 330, 333, 373, 377−378, 426 Topologie 13−15, 22, 117, 122−123, Telefon 12, 162, 169, 172−182, 186, 130, 218−228, 233, 246−247, 193, 197−201, 207−209, 272, 257, 264, 268−269, 273, 283, 340, 360, 378, 397, 402, 424 291−295, 309, 327, 331, 345, – Electrophone 181 358, 370, 417, 423, 437 – Haus- 176 Toyoda, Kiichiro 316 – Langstreckentelefonie 193, 208, 357 Toyota 13, 297, 305, 315−325, 425 – lost call 196 Train Recording Diagram 279−280 – Netz- 176 Transformation 10, 13, 38, 66, – Telefonbuch 178−180, 209, 424 70−71, 75−77, 80−82, 127, – Telefon Hirmondó 181 130−135, 171, 197, 204, 212, – Theatrophon 175, 181 221, 233, 239, 260, 289, 302, – Universaldienst 209 308, 316, 324, 363, 367−368, – Wählscheibe 194, 198 383, 386, 405, 418, 422−424 Telefongesellschaft 177, 181−183, Traum 226, 235−236, 240 187, 209, 357, 362, 376 Traveller’s Dodecahedron 232−233 Telefonvermittlung 10−12, 126, Troske, Ludwig 263 169−186, 190, 196−207, 341, Tschichold, Jan 271 368, 397−403, 424, 432 Tube Map 13, 262−273, 280, – automatische 187−196, 203, 272 286−295, 315, 425 – Hebdrehwähler 171, 187, 193−194, Tufte, Edward 412 201, 208−209, 402, 424 – manuelle 194, 201, 208 Uexküll, Jakob von 54 Telegraf 128−129, 147, 151, Unger, Hans 293 154, 162−168, 173−178, 183, Unilever 298−300 189, 192, 203, 272, 278, 302, 341, 355, 376, 385, 423 Vail, Theodore 209 – Bild- 190 Vandermonde, Alexandre-Théophile – elektrischer 165, 171, 332 227−228, 257 – Internationale Telegrafenunion van Gennep, Arnold 355, 359 167−169 Varuna 33, 36 – Morse- 193 Velázquez, Diego 69, 84, 87 – optischer 147 Venus 41 – Transatlantikkabel 165 Verflechtung 66, 384−389, 392−394, – Wheatstone Five-Needle- 195, 271 419. Siehe auch Geflecht Telex 341, 360, 432 – Banken- 143 Tempesta, Antonio 79, 84, 87 – Entflechtung 218, 385, 417 Testament – familiäre 389 – Altes 34−36, 73, 107 – ökonomische 302, 382, 386 – Neues 34, 114, 338, 422 Verflechtungsgeschichte 14 Thomas, John Pattinson 276, 281 Vergil (Publius Vergilius Maro) 70, 112 Thot 30 Vermittlung 10, 92, 122, 126−131, Tiamat 27 160, 165, 173−174, 182, Time-Sharing 329, 335, 347, 359, 365 187−189, 197, 207−209, 287, Tintoretto, Jacopo 84, 87, 91, 98 318, 354, 366, 398, 426 Tizian (Tiziano Vecellio) 91 Verne, Jules 233 Todd, John K. 178 Veronese, Paolo 79, 82, 87, 91, 105 500 Index Verschwörungstheorie 10, 13, 54, – Flach- 77 212, 379−383, 387, 390, 395−398, – Gewichts- 77, 79 404−408, 415−418, 426 – Haute-Lisse- 77 Vertrag 39, 42, 50−51, 120, Weigel, Sigrid 101 166, 375, 422, 428 Weltverkehr 136, 140−141, 147, 155, – Gesellschafts- 46 160−163, 168−169, 233, 423 Vertrauen 133, 404 Wheatstone, Charles 195, 271 Verzeitlichung 12, 15, 127, Wiener, Norbert 274, 304 130, 256, 263, 275, 296, 309, Wigley, Mark 14 336−337, 377, 425, 429, 432 Wikileaks 418 Vesalius, Andreas 214 Wilamowitz-Moellendorff, Ulrich von Virus 42 – Computer- 132 Wilson, Harold 347 – Hepatitis C 433 Wilson, Woodrow 386 – SARS- 118 Wissen Visualisierung 15, 121−122, – explizites 18 212, 224, 236, 255, 259, 304, – implizites 10, 17−19, 22, 171, 228 325−326, 331, 382, 390, 411, Wittgenstein, Ludwig 7, 88 419. Siehe auch Bildstatus World Wide Web 118 – Informations- 241−412 Vogl, Joseph 48 Yama 33 y Cajal, Ramón 205 Wachowski, Andy 198 Wachowski, Laurence 198 Zainer, Johann 79 Wagner-Hasel, Beate 65 Zentralperspektive 91, 101 Wallerstein, Immanuel 401 Zeug, lichtes 122 Warburg, Aby 11, 69−70, 87−88 Zeus 65−66, 220 Warnke, Martin 330 Zirkulation 90, 120, 128, 131, Watson, Elizabeth 174 136, 141−148, 164−169, 217, Watson, Thomas Augustus 174, 177, 257, 288−291, 295, 302, 315, 207−209 319, 320, 324, 349, 385, 404, Web 2.0 259 408, 421−423, 427−431 Weberei 19−21, 25, 51−71, 78, Zuccari, Taddeo 86 87, 109, 185, 220, 422 Zusammenbruch 10, 124, – Bild- 61−63, 66, 70−81, 87 131−133, 432−433 Weber, Max 241 Zwischenraum 10, 20, 82, Webstuhl 20−21, 64, 71, 76−77, 90, 97, 114, 121−123, 154, 81, 84, 100−102, 190, 318 163, 223, 291, 339 – Band- 103 Zwölftafelgesetz 50 Auf die Indizierung von Tierspezies, Orten, Regionen, Ländern und Fußnoten wurde zugunsten von Begriffen und Akteuren verzichtet. Götter und andere Institutionen wurden nur in Auswahl aufgenommen.