299 Szenische Medien Horst Fassel, Paul S. Ulrich (Hg.): Alltag und Festtag im deutschen Theater im Ausland vom 17.- 20. Jahrhundert. Rcpertoirepolitik zwischen Wunschvorstellungen der Kritik und des Publikums Berlin: LIT 2007 (Reihe Thalia Germanica, Bd. 9), 406 S .. ISBN 978-3-8258-0730-6, € 29,90 Der Band enthält die meisten Vorträge der siebten Tagung der Vereinigung THAUA GERMANICA vom November 2006. Erwähnt werden Kinder-, Vv"ander-, Berufs-. Musik-. Stadt-, Laien-, Front- und Minderheitentheater aus verschie- densten Epochen und Regionen. Eine Zusammenschau fehlt, ,vas Horst Fasse! im vorausgeschickten „Einblick und Ausblick" (S. I0-16) offen zugibt. Während frühere Bände der Thalia-Reihe in ihren Titeln eindeutige Bereiche bezeichnen, Weckt der Titel dieses Bandes Erwartungen, die nicht erfüllt werden. ,,Alltag und Festtag" im Haupttitel erweisen sich als Leerformel wie die rnrgeblichc Ausdnan- dersetzung zwischen „Kritik und Publikum" im Untertitel, die im Band nur einmal thematisiert ist, nämlich im Beitrag „Das Kaiser Franz Joseph-Jubiläumstheater in Laibach von 1911 bis 1918. Spielplangestaltung zwischen Kritikcrurtcil und Publikumsgeschmack". Eindeutiges Ergebnis: Der Publikumsgeschmack domi- niert. Ähnlich heißt es im Text zu Argentinien: ,,Dass auch Musicals einstudiert wurden, kam den Wünschen des Publikums cntgegen."(S.304) Der Vergleich mit dem Tagungsyerlauf. wie er unter \\'\\ w.germanistik-im- netz.de/wer-was-wo/991 (Zugriff Ende Mai 2008) zu finden ist, weist aufrelatin: Beliebigkeit bz,v. internationale Lässigkeit, Lumindest auf wenig Präzision im Layout und in der redaktionellen Abstimmung hin. Auch ,Kleinigkeiten' sind nicht durchdacht: So sind z.B. im Internet allen Vortragenden ihre Heimatorte zugeordnet, im gedruckten Band geschieht dies nur bei 10 der 24 Autoren. Als erstem wird auf Seite 100 dem Herausgeber Paul S. Ulrich die Stadt Berlin zur Seite gestellt, ebenso Horst Fassel die U~iwrsitätsstadt Tübingen (vgl. S.290). Der Name einer Autorin variiert: ,.Nora Tarr" (S.5), .. Gabriella-Nora Tac (S.43-66 und S.400). Das Inhaltswrzeichnis (Ygl. S.5-7) erwähnt Yon den sechs Sektionen nur fünf. die erste Sektion ist jetzt statt „ 1. Besonderheiten des Musiktheaters"' zu ,J. Wandertheater im 18. Jahrhundert" geworden. der Beitrag „Goethes Faust auf der Bühne in Großbritannien" wurde aus der Sektion „Deutsches Front- und Minderheitentheater im 20. Jahrhundert"" entfernt und unter .,Perspektiwn der Forschung·· eingereiht. In Sektion IV „Deutsche Theater nach 1945"' findet man den zeitli~h Yöllig offen titulierten Beitrag \"On Horst Fasse! .. Deutsches Theater in Buenos Aires vor (sie! O.H.) und nach 19-1S·. Einzelne Themen sind geän- dert, z.B. wird „Das deutsche Theater Brünn am Staatsfeiertag (1918-1938)·· im Buch als „Die FestYorstellungen der deutschsprachigen Theater anlässlich der 300 MED!E.V1,·isse11scha/i 3/.:008 staatlichen Feiertage in der Ersten Tschechoslowakischen Republik'" präsentiert (angepasst an die Leerformel von „Alltag und Festtag''). Die im Inhaltsverzeichnis aufgeführten Sektionen sind aber ohnehin völlig belanglos, denn im Bandinnern sind die anfangs aufgeführten Kapitel, z.B. ,,Wandertheater", ,,Fronttheater", an keiner Stelle erwähnt, bzw. wird nirgends auf sie Bezug genommen. So wirkt das l nhaltsverzeichnis wie in letzter Minute vorangestellt. Den Autoren des abschließenden Registers ist zwar keine Desinformation vorzuwerfen, aber eine völlig unangebrachte (wohl durch ideenlosen Computer- einsatz erzeugte) Informationsflut, wodurch das Register (vgl. S.362-406) ohne Differenzierung in Personen- und Sachliste zum umfangreichsten aller Beiträge wird. Jeder Autor ist enthalten, jeder zitierte Ort, jede auch nur ein einziges Mal zitierte Person. Während man „Alltag" und „Festtag" vergeblich sucht, findet man unter mehr als viertausend Einträgen vielfach Wiederholungen, beispielweise unter dem Buchstaben „M" (vgl. S.389) - München - Münchner Abkommen, 202 - Münchner Abkommen, 202 ebenfalls alle neunundvierzig Studenten, die beim Laientheater in Curitiba aufgetreten und bereits auf Seite 288 in einer Anmerkung aufgelistet sind, jeweils einzeln mit Vor- und Zunamen. Dagegen fehlen zu den Autoren der Beiträge biografische oder bibliografische Angaben. Einer einzigen Autorin, Sandra Horvat, ist das Attribut hinzugefügt: ,,Stipendiantin (sie! O.H.) der Österreichi- schen Akademie der Wissenschaften:' (S.183) Einige informative Beiträge seien erwähnt: die Darstellung dramentheoreti- scher Modelle (vgl. S.19ff.) von Jänos-Szatmari Szabolcs, der Bericht von Jakob Starzinger über „Deutsches Theater in Rußland" um 1803 (vgl. S.67-80) sowie der von Cordula Treml zum Pariser Theatre de !'Odeon während der deutschen Besatzung (vgl. S.256-280), angeregt durch Truffauts le c/emier metro (1980), intensiv recherchiert einschließlich Interviews mit damaligen Schauspielerinnen (vgl. S.265). Während Bettina Göbels zu Faust in Großbritannien seit 1945 (vgl. S.323-342) feststellt, derzeit sei Goethe dort „ein Steinbruch'' (S.342), verweist Monika Kugemann zum Theaterrepertoire in Pittsburgh im 19. Jahrhundert (vgl. S.81-99) trotz Titulierung „aus der Sicht deutscher und amerikanischer Kritiker" abschließend darauf, dass sie erst im nächsten Beitrag „auf die unterschiedlichen Betrachtungsweise (sie! O.H.) deutscher und amerikanischer Kritik" eingehen wird (vgl. S.99). Wer jahrelang in Brasilien im kulturellen Bereich tätig war, wundert sich, dass Paula Astor Soethe in ,,Deutschsprachiges Laientheater in Brasilien" unter den Emigranten zwar Willi Keller (vgl. S.286) mit seinem Theaterengagement erwähnt, aber B.A. Aust, der zunächst Intendant der Volksbühne in Salzgitter war und in Sao Paula ab 1951 deutsches Laientheater aufgebaut hat, komplett YCrschweigt. s~enische Medien 301 An solchen Beispielen wäre der Perspektiwnwechsel deutscher Theatermacher in fremder Mentalität zu untersuchen, zugleich medienübergreifend die Problematik deutscher Inseln bzw. Kolonien. Ottmar Hertkorn (Paderborn)