108 James Latham Der Kaiser, die Bestie von Berlin Tierische Deutsche in Hollywoods Filmwerbung zur Zeit des ErstenWeltkriegs Der vorliegende Text untersucht Anzeigen für US-amerikanische Propa- gandafilme des Ersten Weltkriegs im Hinblick darauf, wie Hollywood für sich selbst und für den Krieg warb, indem es die Deutschen diffa- mierte.1 Ein Beispiel für diese Strategie ist The Kaiser, the Beast of Berlin (USA 1918, Rupert Julian), dessen Werbekampagne gut dokumentiert ist, während der Film selbst als verloren gelten muss. Tatsächlich bildet die Werbung für viele amerikanische und andere Filme aus den 10er und 20er Jahren das einzige noch erhaltene visuelle Zeugnis, weil Kopien da- mals, zusammen mit dem Negativ, nach Ablauf der kommerziellen Aus- wertung routinemäßig vernichtet wurden. Ein erster Anlass für den vorliegenden Aufsatz besteht somit darin, den filmhistorischen Quellen- wert des erhaltenen Werbematerials zu propagieren. Natürlich sind Film und Filmwerbung nicht gleichzusetzen, doch versorgen uns Anzeigen und andere Formen der Reklame mit Bildern und Texten, die zumindest Mutmaßungen darüber zulassen, wie Produzenten und Verleiher ihre Filme selbst wahrnahmen und sie konsumiert wissen wollten. Wie Pierre Sorlin festhält, ist Filmgeschichte in der Tat oftmals nichts anderes als die Geschichte der Zirkulation und des Konsums der Filme (1996, 28). Andererseits würde es zu kurz greifen, Filmwerbung bloß als eine parasitäre Form der historischen Dokumentation anzusehen. Sie stellt in sich ein Medium der Konstruktion und Zirkulation kultureller Bedeu- tungen und Diskurse dar, nicht zuletzt von solchen, die mit Rasse, Ethni- zität und nationaler Identität zu tun haben. Entsprechend zeigt meine Studie nicht nur, wie Diffamierungen des Deutschen in der Filmwer- bung eingesetzt wurden. Sie beleuchtet zugleich auch den Umstand, dass Werbung den Konsumenten stets in einer Art und Weise anspricht, die seiner Wahrnehmung der Welt Orientierung zu geben sucht, und sei es – wie im vorliegenden Falle – mithilfe kultureller Stereotypen. In den 1 Eine frühere Version dieses Aufsatzes erschien in den West Virginia University Philolo- gical Papers 50, 2003, 16–30. 109 späten 10er Jahren des letzten Jahrhunderts bemühte sich die amerikani- sche Werbewirtschaft um eine Modernisierung ihrer Verführungsküns- te. Der Einsatz von Stereotypen erwies sich dabei als ausgesprochen nützlich, um die Aufmerksamkeit der Konsumenten schneller gewinnen und Werbebotschaften direkter übermitteln zu können. Seit dem späten 19. Jahrhundert hatte sich ausgehend vom Schau- stellertum eines P. T. Barnum ein neues Prinzip der Werbung entwickelt. Das ursprünglich vorherrschende Modell, einer bestehenden Nachfrage mit Informationen über Produkte zu entsprechen, wurde durch Verfah- ren ersetzt, mit denen man eine Nachfrage erst schuf, indem man die Leute von ihrem Bedarf für ein Produkt überzeugte (vgl. Marchand 1985; Norris 1990; Schudson 1984 sowie Gaines in diesem Band). Parallel zu dieser Modernisierung der Werbestrategien entstanden Institutionen, die dazu dienten, den Massenabsatz von Waren sicherzustellen, wie etwa die großen Agenturen, die ihren Hauptsitz an der Madison Avenue in New York einrichteten, sowie neue Drucktechnologien, die eine effizien- te Herstellung und Verbreitung der auf den Massenbedarf zugeschnitte- nen Reklame erlaubten. In den Jahrzehnten vor der Einführung des Fernsehens bildeten Anzeigen das beste Mittel, die Öffentlichkeit anzu- sprechen, zumal sie mit ihrer bildlichen Symbolik linguistische, geo- graphische und ideologische Grenzen zu überschreiten vermochten. Schließlich geht es mir in diesem Aufsatz auch darum, den Blick für den wichtigen Beitrag zu schärfen, den die Werbung dieser Ära zur Eta- blierung des Hollywood-Systems geleistet hat. Tatsächlich sind die 10er Jahre eine entscheidende Periode in der Geschichte der US-Film- industrie: Das Zentrum der Produktion verlagerte sich nach 1913 von New York nach Südkalifornien. Im gleichen Zeitraum bildet sich das Starsystem heraus sowie eine Produktions- und Erzählweise, die Bordwell, Staiger und Thompson (1985) den klassischen Modus des Hollywood-Kinos nennen. Schließlich erreicht die US-Filmindustrie nicht zuletzt als Folge des Ersten Weltkriegs eine globale Marktdomi- nanz, und das klassische Hollywood-Kino und mit ihm die amerikani- sche Kultur erlangen eine in diesem Ausmaß nie da gewesene Verbrei- tung in der Welt (1985, 9). Der klassische Hollywood-Modus beinhaltete auch den zunehmend systematisierten Einsatz von Werbung, um eine Nachfrage für Filme sowie die in ihnen auftretenden Schauspieler zu schaffen und zu erhalten, eine Praxis, die sich bald zur «third machine» des Kinos entwickeln sollte, wie Christian Metz sie einmal nannte: «Nach der Maschine, welche die Filme herstellt, und der, die sie konsu- miert, kommt jene, die sie feiert, die das Produkt aufwertet» (1975, 14). 110 Kriegspropaganda im frühen Hollywood-Kino Auch wenn Hollywood bereits vor dem Krieg in den ausländischen Märkten eingefallen war, wurden die enorme Ausweitung der amerika- nischen Filmindustrie und ihre Vormachtstellung im weltweiten Filmge- schäft doch erst durch den Flächenbrand möglich, der sich nach 1914 in Europa ausbreitete. Der Krieg bot Hollywood viele gute Gelegenheiten, darunter jene, ein Bündnis mit der amerikanischen Öffentlichkeit und der Regierung einzugehen, mit Instanzen also, die dem Kino wegen der Anspruchslosigkeit seiner Filme, seinen ordinären Abspielstätten und seinem Arbeiterklasse-Publikum bislang vorwiegend skeptisch gegen- übergestanden hatten. Jetzt bot sich die Filmindustrie an, der Öffentlich- keit wertvolle Informationen über den Krieg zu liefern (oder eine Gelegenheit, ihm für eine kurze Weile zu entfliehen), und sie unterstütz- te die Regierung dabei, den Rückhalt der Bevölkerung für die Kriegsan- strengungen zu gewinnen. Obwohl der Erste Weltkrieg 1914 begann, verzögerten die USA den förmlichen Kriegseintritt bis April 1917, nicht zuletzt, weil die Regierung durch den Pazifismus und Isolationismus weiter Bevölkerungsteile zu- rückgehalten wurde. Zu den ersten Mobilisierungsschritten gehörte ent- sprechend die Einrichtung des Committee on Public Information (CPI), das eine massive PR-Kampagne für den Krieg auf den Weg brachte (Isenberg 1981; Ross 1996; Vaughn 1980). Sieht man ab vom britischen Propagan- dasystem, das dem CPI teilweise Pate stand, stellt dieses Komitee in sei- nem Umfang, seiner Ausgeklügeltheit und aufgrund der Zusammenar- beit von Staat und Privatwirtschaft ein beispielloses Unternehmen dar. Das CPI leistete einen maßgeblichen Beitrag zur Entwicklung der mo- dernen Kriegsführung, die sich nicht zuletzt als Medienwettbewerb ver- steht, und es schuf den Prototyp der modernen Multimedia-Werbe- kampagne. Zu den Schaltstellen des institutionellen Zusammenspiels, die das Komitee einrichtete, gehörte auch eine Filmabteilung, die Holly- wood auf verschiedenen Ebenen in Dienst nahm. In ihrem Bemühen, Einkünfte zu erzielen und zugleich Wohlwollen bei Regierung und Öffentlichkeit zu schaffen, produzierten und ver- markteten die Studios Filme, die Deutschland verhöhnten, die Alliierten priesen und auf eine Beteiligung am Krieg drängten. Stars warben für Kriegsanleihen, und Kinobetreiber wurden ermutigt, Werbeaktivitäten in ihren Häusern zuzulassen.2 Wie Leslie Midkiff DeBauche herausgearbei- 2 So hielten beispielsweise tausende von freiwilligen «Four-minute men» landesweit täglich Ansprachen zu Kriegsthemen in Kinos. Die Bezeichnung geht zurück auf die 111 tet hat, gab es innerhalb der Industrie aber durchaus auch Widerstand gegen diese Art der Kriegsbeteiligung, insbesondere unter Kinobe- treibern, die Empfindlichkeiten bei ihren Zuschauern befürchteten (DeBauche 1997, 35–50). So wurde beispielsweise darüber diskutiert, ob eskapistische Unterhaltung oder die direkte Thematisierung des Kriegs besser geeignet seien, um das Publikum anzuziehen und zugleich seinen Anliegen Rechnung zu tragen. Die Kinomanager befürchteten, unver- hohlene Propaganda könnte sich aufgrund ihres potenziell aufrühreri- schen Inhaltes und den pazifistischen oder sogar pro-deutschen Gefüh- len vieler Besucher als Kassengift erweisen. Das CPI und die Filmindu- strie reagierten hierauf zunächst mit Werbung, die das Publikum und die Kinobesitzer über den Unterhaltungswert, den Informationsgehalt und die Überzeugungskraft kriegsbezogener Filme ins Bild setzen sollte. Die Studios bemühten sich überdies, propagandistische Filme nur do- siert herauszubringen und sie in der Wahl des Genres und der rhetori- schen Tonalität so zu variieren, dass sie verschiedene Publikumsgrup- pen ansprachen. Aufgrund solcher Vorsichtsmaßnahmen und aufgrund der – gemes- sen an der Dauer der amerikanischen Kriegsbeteiligung – langen Her- stellungsfristen machte der Ausstoß kriegsbezogener Filme nie einen do- minanten Anteil des Gesamtangebots dieser Jahre aus.3 Gleichwohl tru- gen diese Produktionen dazu bei, das Publikum über die Gründe des Kriegs zu informieren bzw. von der Notwendigkeit einer amerikani- schen Beteiligung zu überzeugen. Einige der Filme waren sogar recht be- liebt, von Starvehikeln wie The Little American (USA 1917, Cecil B. DeMil- le, Joseph Levering) mit Mary Pickford oder Shoulder Arms (USA 1918, Charles Chaplin) mit Chaplin bis hin zu kruden Propagandastreifen wie eben The Kaiser, the Beast of Berlin. Deutlich reißerischer als die größeren und prestigeträchtigen Studioproduktionen, gehört Letzterer zu den be- rüchtigsten und zugleich zu den beliebtesten Propagandafilmen der Zeit.4 The Kaiser, the Beast of Berlin widerlegte gängige Befürchtungen, dass Propagandafilme die Zuschauer vor den Kopf stoßen könnten. Viel- mehr zeigte er, dass es einen Markt für Produkte seiner Art gab, eine Tat- Kriegsmilizen aus der Zeit der amerikanischen Revolution, bezieht sich aber auch auf die Zeitbegrenzung der Reden, die in der Regel zwischen den Aktwechseln erfolgten. Das Komitee achtete strikt auf die Einhaltung der Redezeit, um nicht «die Gastfreund- schaft des Theaterbesitzers aufs Spiel zu setzen» (Ross 1996, 245). 3 Größere Spielfilmproduktionen mit Kriegsbezug traten erst im September 1918 auf der «List of Current Film Release Dates» als signifikanter Faktor in Erscheinung, also erst zwei Monate vor der Vereinbarung jenes Waffenstillstandes, mit dem der Krieg beendet wurde (DeBauche 1997, 38). 4 Ross (1996, 263) bezeichnet ihn als den «brutalsten aller Kaiser-Filme». 112 sache, die der Verleih aller Welt in einer überbordenden Werbekampa- gne kundtat. Soweit sich die Anzeigen dieser Kampagne direkt an die Kinobesucher richteten, nahmen sie den Kaiser und seine Führungscli- que ins Visier. Andere Inserate wandten sich an die Kinobetreiber, um sie mit Erfolgsmeldungen von der Notwendigkeit zu überzeugen, den Film auch in ihrem Saal zu zeigen. Eine solche Annonce enthält zum Bei- spiel das angebliche Telegramm eines Kino-Besitzers aus Milwaukee, Wisconsin, der von der Begeisterung berichtet, den der Anti-Kaiser-Film beim Publikum in dieser von deutschen Einwanderern dominierten Stadt ausgelöst habe.5 Ob das Telegramm nun authentisch war oder nicht, so ist die Botschaft doch eindeutig: Wenn der Film sogar in Mil- waukee läuft, dann muss er in den ganzen USA erfolgreich sein. Die An- zeige lobt die Zuschauer, weil sie den Film mit dem gebotenen patrioti- schen Eifer aufnahmen, sowie den Kinobetreiber für seinen Mut, den provokanten Streifen ins Programm genommen zu haben. «Milwaukee hat sich deutlich loyal gezeigt», wird er zitiert. Einige der Anzeigen, die auf stereotype Vorstellungen vom «Deut- schen» zurückgreifen und auf die ich im Zug meiner Recherche zu Film- werbe- und Publicity-Materialien aus dem Zeitraum von 1910 bis 1925 gestoßen bin, möchte ich nun näher analysieren. Vor dem Ersten Welt- krieg finden sich nur verstreute Bezugnahmen auf Klischees des «Deut- schen», auf Abbildungen, die harmlose Verweise auf Richard Wagner, die Katzenjammer-Kids6 oder den stereotypen dicken Biertrinker enthal- ten. Auch zaghafte Referenzen auf den deutschen Militarismus gibt es hier und da, so etwa in einem Publicity-Artikel zu einem Film über den französisch-preußischen Krieg mit dem Titel The Bond of Music/The Old Musician (USA 1912, Charles Kent). Allerdings wird hier die Brutalität ei- ner Handvoll deutscher Soldaten umgehend durch die Menschlichkeit ihrer Kameraden aufgewogen, die den Protagonisten vor dem Tod be- wahren.7 Während des Ersten Weltkriegs nahmen die Anspielungen auf die Deutschen zwar zu, sie bleiben aber insgesamt marginal und tauchen nur unregelmäßig auf. Erst im April 1917 lässt sich eine deutliche Verän- derung in den bis dahin eher vorsichtigen, um ausgleichende Gerechtig- keit bemühten Repräsentationsstrategien feststellen. Von diesem Zeit- punkt an bis zum Ende des Kriegs häuften sich die Referenzen, und der Tonfall der antideutschen Rhetorik verschärfte sich. Galten die Deut- 5 Moving Picture World 36,5, 4. Mai 1918 6 Anm. d. Ü.: Ein seit 1897 erscheinender, «ethnischer» Comic-Strip des Zeichners Ru- dolph Dirks, dessen mit deutschem Akzent sprechende Figuren an Max und Moritz orientiert waren. 7 Motion Picture Magazine, September 1912, 41–48. 113 schen in den Vorkriegsjahren als ein europäisches Volk unter anderen, das sich zudem gut mit der weißen amerikanischen Kultur vertrug, so erfuhren sie – oder zumindest der Kaiser und seine Regierung – in der Periode nach dem amerikanischen Kriegseintritt eine Umdeutung. Fort- an repräsentierten sie ein unheimliches Anderes, das von Macht und Zerstörung besessen war. In der Nachkriegszeit schließlich verflüchtig- ten sich diese Feindbilder rasch, und die Deutschen galten bald wieder als einigermaßen harmlos. Nachzeichnen lässt sich dies an der Reputa- tionsbildung von Emil Jannings und Erich von Stroheim, die in den 20er Jahren als große deutsche Stars gefeiert wurden. Von Stroheim, in den 10er Jahren noch wegen seiner teutonischen Schurken-Rollen als «the man you love to hate» bekannt, galt nunmehr als «weltgewandter Mann vom Kontinent».8 Der rasche Wechsel zwischen wohlwollenden und böswilligen Dar- stellungen der Deutschen zeigt, wie stark sich die gesellschaftlichen Rah- menbedingungen auf die Filme und ihre Werbung auswirkten. Er illus- triert zudem, wie die allgemeine Ideologie der «Weißheit» und der «wei- ßen Rasse» im eurozentrischen Diskurs den Weißen eine Vielzahl von schnell wechselnden Eigenschaften und Verhaltensweisen zuschreibt. Das Spektrum reicht dabei von der Idealisierung bis zur Dämonisierung. Die hier untersuchten Anzeigen spiegeln aber in erster Linie ein Problem, das die Hohnkampagne gegen die Deutschen für die US-Regierung und die amerikanische Filmindustrie aufwarf und das da- her rührte, dass die amerikanische Bevölkerung vorwiegend weiß und zu einem bedeutenden Teil deutscher Abstammung war. Aus Rücksicht- nahme auf die Zusammensetzung der amerikanischen Öffentlichkeit und im Einklang mit der vorherrschenden eurozentrischen Ideologie verwendete die Kriegspropaganda zwar häufig ethnische Stereotypen der Deutschen, verzichtete aber weitgehend auf eine Diffamierung, die auf Rassenmerkmalen abhob. «Weiße» Eigenschaften gingen in die Re- präsentationen der Werbung zwar ein, erschienen aber nur vereinzelt als Gegenstand des Spotts. Hingegen wurden die Deutschen in den Kriegs- jahren oft als weniger weiß als andere Europäer oder die Amerikaner, als nicht-weiß oder sogar als nicht-menschlich dargestellt. Die Drastik der Darstellungsform ist dabei dem Umstand geschuldet, dass die propa- gandistischen Stereotypen zumeist in Exploitation-Streifen verbreitet wurden. Zugleich ließen die extremen Formen der Abgrenzung die of- fenkundigen ethnischen und kulturellen Gemeinsamkeiten zwischen Deutschen und weißen Amerikanern in den Hintergrund treten. 8 Motion Picture Magazine, April 1921, o.S. 114 Die Weißen und die Deutschen Es ist für die Analyse der Anzeigen hilfreich, «Weiße» und «Deutsche» als kulturell codierte Kategorien zu begreifen und etwas näher zu bestimmen. Wie Richard Dyer darlegt, ist das «Weiße» ein Konstrukt, das paradoxer- weise vielgestaltig ist und zugleich als einheitliches normatives Ideal auf- tritt (1997, 8–13; 48–57). Im eurozentrischen Diskurs nehmen die Weißen den höchsten Rang überhaupt ein; sie repräsentieren die Menschheit in al- len ihren Facetten und setzen die Norm für alle anderen. Durch die Ver- knüpfung mit Geist, Tugend, Schönheit, Reinheit und Licht erscheint der Weiße als idealisiert. Zugleich konstituiert er in seiner vermeintlichen Nor- malität, Neutralität, Rassenlosigkeit und Unsichtbarkeit den normativen Code. Schließlich impliziert weiß zu sein eine ganze Bandbreite individuel- ler Attribute, darunter verschiedene Hauttönungen, soziale Klassen, Mo- ralvorstellungen und geographische Zuordnungen (Gute sind weißer als Böse, die Oberklasse ist weißer als die Unterklasse, Nordeuropäer sind weißer als Südeuropäer – und doch gehören alle diese Abstufungen zur Skala des Weißen) (1997, 11). Während der kulturelle Status einzelner weißer Bevölkerungsgrup- pen in den USA sich – wie im Falle der Deutschen oder auch der Iren – über die Zeit stark veränderte, blieb die diskursive Konstruktion von «Weiß» historisch betrachtet doch stets durch den Gegensatz zu «Schwarz» bedingt. Schwarz sein bedeutete demzufolge, in der Gesell- schaft eine marginale Position einzunehmen und mit Körperlichkeit und primitiven oder animalischen Lebensformen assoziiert zu werden. Beson- ders deutlich wird dies an der pseudo-darwinistischen Vorstellung, die Schwarzen ähnelten eher den Affen als den Weißen, eine Idee, die auch ei- nigen der im Folgenden zu diskutierenden Anzeigen zugrunde lag. Ergänzend wäre das «Deutsche» hier als Bündel von Eigenschaften zu definieren, die Menschen und Kulturen in Deutschland und an ande- ren Orten zugeschrieben werden, an denen es eine Bevölkerung deut- scher Herkunft gibt, wozu auch einige Gegenden der USA zählen. In den 1830er Jahren stieg die Zahl deutscher Immigranten von 10 000 auf 215 000 pro Jahr an. Seither stellten die Deutschen einen wichtigen Pro- zentsatz der Bevölkerung der USA. Im Jahr 1900 war über ein Viertel der Amerikaner direkter deutscher Abstammung (Gatzke 1980, 31). Wie oben bereits angedeutet, fanden vor diesem Hintergrund zu- nächst nur solche Bilder der Deutschen Eingang in die Filmwerbung, die mit dem normativen Idealbild des weißen Amerikaners vereinbar wa- ren. Ursprünglich harmlose kulturelle Stereotypen vom blonden, hart ar- 115 beitenden, genügsamen, ehrlichen, unabhängigen, gebildeten, militaristi- schen, feisten und gemütlichen Deutschen wurden später jedoch von der Kriegspropaganda aufgegriffen und zu negativen Eigenschaften und Zeichen der Schwäche umgedeutet, wobei im Zuge dieser Umdeutung in erster Linie der deutsche Führungsstab ins Visier genommen wurde und weniger die allgemeine Bevölkerung. Die Konzentration auf die Führungsschicht entsprach dabei einer gängigen Praxis der Kriegspropaganda. Sie steht aber auch im Einklang mit der Tendenz der Filmwerbung, sich in der propagandistischen Re- präsentation des «Deutschen» auf «weiße» Merkmale wie Intelligenz und Militarismus zu konzentrieren, um damit die Ausgrenzung des «Deutschen» aus dem Bereich des «Weißen» zu vermeiden. Richard Dyer zufolge impliziert das weiße Selbstbild mit seiner Privilegierung von Geist über Körper Selbstbeherrschung, was die tyrannische Dominanz über andere Menschen ermöglicht, denen diese Beherrschung fehlt (1997, 17f.). Aus dieser Logik des weißen Selbstbildes heraus wäre es möglich gewesen, die militärische Aggression des kaiserlichen Regimes als «rein» weißes Verhalten darzustellen. Tatsächlich aber rückte die kriegspropagandistische Filmwerbung gerade den Mangel an Selbstbe- herrschung sowie exzessive Gier und Ehrgeiz in den Mittelpunkt und ließ die Deutschen somit als weniger weiß erscheinen, als die Norm dies verlangte.9 Auf ähnliche Weise verfuhr man mit dem Aspekt der Intelli- genz, um ihn unter negativen Vorzeichen zu thematisieren: Man stellte das deutsche Führungspersonal hinsichtlich der Kriegsführung wie auch der Manipulation der eigenen Öffentlichkeit als hinterhältig und ver- schlagen dar und somit als weniger «weiß», da dem Bösen eher als dem Guten verpflichtet.10 Die Filmwerbung brachte jedoch nicht nur kulturelle Stereotypen in Anschlag. Sie griff auch aktuelle Nachrichten auf und warnte vor möglichen deutschen Spionen und Saboteuren in den USA, vor dem gefürchteten un- sichtbaren Feind oder vor dem «inneren Hunnen», wobei Letzterer nicht aufgrund einer kulturellen Differenz gefährlich erschien, sondern gerade deshalb, weil er scheinbar «einer von uns» war.11 Der «weiße» Deutsche 9 Ein Beispiel hierfür wäre die Anzeige für America Must Conquer the King of the Huns (USA 1918), die den Kaiser auf mehreren Ebenen zu Präsident Wilson in Kontrast setz- te, etwa indem sie zeigte, wie Wilson den Europäern zu helfen suchte, während der Kaiser «Brände legte, plünderte, vergewaltigte, Geiseln tötete, Zivilisten aus ihren Heimatländern deportierte und vor die deutschen Truppen zerrte». – Exhibitor’s Trade Review 4,14, 7. September 1918, 1134. 10 So zeigte ein Film vermeintlich die «wahren Machenschaften Deutschlands, die Intri- gen, Pläne, Gegenstrategien und den teuflischen Einfallsreichtum der deutschen Re- gierung». Moving Picture World 34,5, 3. November 1917, 704. 116 wurde demnach zur Bedrohung umkodiert, mit der sich die Ängste der ein- heimischen Bevölkerung schüren und Kinokarten verkaufen ließen. Die Kriegspropagandisten verfügten über ein umfangreiches Reper- toire an Strategien, mit denen sie rassische Aspekte des Deutschen ver- höhnen konnten, ohne damit die weiße Rasse direkt zu thematisieren und sich damit potenziell dem Unwillen der weißen, euro-amerikani- schen Bevölkerung auszusetzen. Wie Sam Keen gezeigt hat, gehört zu diesen Techniken der Konstruktion von Feindbildern, die sich teilweise überschneiden und in anderen historischen Kontexten entwickelt und erprobt wurden, die Darstellung des Feindes als fremde, gesichtslose und minderbemittelte Kreatur sowie als Barbar (1986, 16–19; 43–47; 58–63).12 Die Kategorie des Barbaren wiederum weist selbst verschiedene Züge und Unterkategorien auf, von denen sich die meisten während des Ersten Weltkriegs und in Bezug auf die Deutschen herausbildeten. Dazu zählt die Vorstellung vom Feind als Eindringling, Wilden, Kannibalen, Verbrecher, Sadisten, Tyrannen, Vergewaltiger, Geistesgestörten sowie als Verkörperung des Todes. In der gängigen Kennzeichnung der Deut- schen als «Hunnen» – in Referenz auf die Eindringlinge, die Osteuropa zum Ende des Römischen Imperiums eroberten und ausplünderten – sind mehrere dieser Merkmale zusammengefasst. Auch wenn die Kate- gorien, die Keen aufstellt, nicht notwendig Rassenmerkmalen entspre- chen, so sind sie mit diesen doch durchaus vereinbar. Der Begriff «Hun- ne» identifizierte die Deutschen eher als Asiaten denn als weiße Europä- er. Tatsächlich handelte es sich um eine beabsichtigte Assoziation, die auf Kaiser Wilhelm II. selbst zurückgeht. In einer kriegerischen Anspra- che an seine Truppen, die er 1900 zur Zerschlagung des Boxeraufstandes aussandte, hatte er den entsprechenden Zusammenhang hergestellt: «Kommt Ihr vor den Feind, so wird er geschlagen, Pardon wird nicht ge- geben; Gefangene nicht gemacht. Wie vor tausend Jahren die Hunnen unter ihrem König Etzel sich einen Namen gemacht, der sie noch jetzt in der Überlieferung gewaltig erscheinen läßt, so möge der Name Deutsch- land in China in einer solchen Weise bekannt werden, dass niemals wie- der ein Chinese es wagt, etwa einen Deutschen auch nur scheel anzuse- hen» (zit. n. Gatzke 1980, 44–45). Kurz, der Begriff «Hunne» erlaubte es 11 So zitierte eine Anzeige für The Eagle’s Eye (USA 1918, George Lessey, Wellington A. Playter) die New York Times, die behauptet hatte, über 200 000 Menschen in den USA würden Deutschland «auf die eine oder andere Weise» unterstützen. Zu den inkrimi- nierten Aktivitäten zählten aktive Spionage, deutsche Propaganda oder auch nur schon das passive Verführtwerden durch die Propaganda des Feindes (Exhibitor’s Tra- de Review 3,8, 26. Januar 1918, S. 643). 12 Vgl. auch den Film Faces of the Enemy (USA 1987, Bill Jersey & Jeffrey Friedman). 117 den Kriegspropagandisten, einer weißen Bevölkerungsgruppe die nega- tiven Eigenschaften einer nicht-weißen zuzuschreiben, ohne ihre Zuge- hörigkeit zum Bereich des «Weißen» grundsätzlich in Frage zu stellen. Die Animalisierung des Deutschen Ein weiterer von Keen herausgearbeiteter Archetyp kriegerischer Rheto- rik besteht in der Darstellung des Feindes als Tier oder tierische Kreatur. Animalisierung ist ein rhetorisches Verfahren, mit dem die Institutionen, die Kultur oder die Menschen einer feindlichen Nation auf herabsetzen- de Weise mit bestimmten Tieren assoziiert werden. Animalisierung ver- leiht «uns» ein Gefühl der Überlegenheit über «sie» und rechtfertigt die Konfrontation mit einem Gegner, der als unmenschliche Plage er- scheint.13 Animalisierung wird in der Filmwerbung auf verschiedene Weise betrieben. Der Feind kann direkt mit einem bestimmten Tier gleichgesetzt oder ihm gegenübergestellt werden, um die beiden mitein- ander zu assoziieren. Ferner kann die Darstellung Parallelen hinsichtlich der physischen Erscheinung, von Haltungen oder Verhaltensweisen herausheben, wobei die zum Vergleich herangezogenen Tiere real oder fiktiv, konkret oder abstrakt sein können. De facto lässt sich jede nicht- menschliche Kreatur verwenden, sofern sie für die Zwecke der Propa- ganda tauglich ist, das heißt so lange sie sich eignet, im Betrachter Furcht, Abscheu oder ein Überlegenheitsgefühl zu erzeugen. Die tieri- schen Züge des Feindes können sich dabei sehr wohl mit menschlichen decken, so etwa bei Eigenschaften wie Wildheit, Primitivität, Barbaren- tum oder Bösartigkeit. Solche Eigenschaften erhalten überdies eine rassi- sche oder ethnische Konnotation, wenn sie im Kontext eines eurozentrischen Diskurses mit Hunnen oder Schwarzen in Verbindung gebracht werden. Ein bedeutender Anteil der Filmwerbematerialien aus der Zeit des Ersten Weltkriegs verwendet animalisierte Darstellungen der Deutschen, darunter solche, die den Kaiser und seine Spießgesellen mit Kaninchen, Schlangen, Ratten, Affen, Vögeln, Spinnen und Kraken in Verbindung bringen, aber auch mit diversen fantastischen Monstern und Bestien. The Kaiser, the Beast of Berlin animalisiert das Oberhaupt der Deutschen schon im Titel, und die Werbematerialien bezeichneten ihn als «Monster», «bö- sen Dämon» oder «lüsternen Wolfshund von Potsdam».14 Allerdings 13 In anderen Kontexten kann Animalisierung auch positive Wertigkeiten annehmen, so etwa bei heroischen Darstellungen, die Amerikaner und Adler nebeneinander stellen. 118 setzten nur wenige Anzeigen den Kaiser direkt mit Tieren oder tierischen Kreaturen gleich. Vielmehr zeigten sie ihn auf eher indirekte Weise als bedroh- lich und rattenhaft – nicht wirk- lich als Tier, doch gewiss auf animalische Weise abstoßend. Ein Beispiel hierfür ist ein Inse- rat in der Moving Picture World (Abb. 1). Die Animalisierung wird in diesem Bild nur sugge- riert, über den stoßzahnartigen Schnurrbart, die scharfe Nase, den finsteren Blick aus starren- den Augen, schließlich durch den Helm, der an ein Horn erin- nert. Durch seine Platzierung an Abb. 1: Anzeige für The Kaiser, the Beast of der Bildunterseite erscheint der Berlin (aus Moving Picture World, Juni körperlose Kopf erniedrigt, ent- 1918). hauptet oder gar zerschmettert von den Lettern über ihm, eine Komposition, welche die ansonsten eher einschüchternden Qualitäten des Feindes abmildert. Obwohl in der Größe übertrieben, entspricht der pelzähnliche Hintergrund doch dem auf zeitgenössischen Fotografien abgebildeten kaiserlichen Umhang, der einen ähnlichen Kragen aufwies. Je nach Bedarf ließ sich der Kaiser über dieses Kleidungsstück mit Dun- kelheit, Schatten und steinzeitlicher Kluft assoziieren, aber auch mit der femininen Qualität einer Federboa. Eine vom selben Studio produzierte Parodie von The Beast of Berlin mit dem Titel The Geezer of Berlin (USA 1918, Arthur Hotaling) inszenier- te den Kaiser hingegen als komischen Trottel. Die Anzeige dafür machte sich über das deutsche Staatsoberhaupt und die Mitglieder der deut- schen Militärführung anhand einer Typage lustig, die an den Stil der Vaudeville-Komödien erinnert (Abb. 2). Im oberen Teil der Anzeigen 14 In einer heuchlerischen Verdrehung des Verfahrens karikierte eine Anzeige deutsche Soldaten, indem sie ihnen unterstellte, sich die Belgier in animalisierender Geste als Schweine auf der Schlachtbank vorzustellen. Die Anzeige wirbt also für einen Film, der «unseren» Feind animalisiert, mit einem Bild, das die Tendenz des Feindes denun- ziert, «unseren» Alliierten zu animalisieren. – Moving Picture World 36,3, 20.April 1918, 310–-311. 119 Abb. 2: Anzeige für The Geezer of Berlin (aus Moving Picture World, Oktober 1918). sind der Kronprinz und der Kaiser zu sehen, und manche Züge wie etwa die gespitzten Ohren lassen an Ratten, Fleder- mäuse oder den Teufel denken. Darunter finden sich einige Fi- guren, die auf direktere Weise animalisiert sind, so etwa Gene- ral «Hindenbug», «Bethman Bowleg» mit «Friedensvögel- chen» – in Anspielung auf Kanzler Bethmann-Hollwegs missglücktes Friedensangebot von 1916 – oder ein «Palace Germ» benannter Offizier, des- sen Name «Germanisches» mit Bazillen (germs), Krankheit und vielleicht auch mit biologischer Kriegsführung verbindet. Abb. 3: Anzeige für The Geezer of Berlin Mehrere der Anzeigen set- (aus Moving Picture World, September zen das Adler-Symbol des 1918). 120 Deutschen Reiches in abwerten- der Weise ein. So wird die Raub- vogel-Eigenschaft in den Vor- dergrund gestellt, oder der Reichsadler wird mit dem unge- fiederten amerikanischen Adler kontrastiert. Die gleichen Kari- katuren des Kaisers und Kron- prinzen aus der Anzeige für The Geezer of Berlin aufnehmend, zeigt ein weiteres Inserat den Adler auf dem Helm des Kai- sers, allerdings gerupft und da- mit machtlos, vielleicht sogar tot (Abb. 3). Eine Anzeige für How Charlie Captured the Kaiser (USA 1918, Pat Sullivan) porträtiert Abb. 4: Anzeige für How Charlie Captur- ed the Kaiser (aus Moving Picture World, Oktober 1918). den Kaiser im Stechschritt zusam- men mit dem Reichsadler, der je- doch eher einer Ente oder einem Huhn ähnelt (Abb. 4).15 In beiden Fällen wird der Kaiser nicht direkt mit Vögeln gleichgesetzt, aber doch durch Ähnlichkeiten in Körperbau und Verhalten mit ihnen verknüpft. Für To Hell with the Kaiser (USA 1918, George Irving) wiederum warb eine Anzeige, in der Deutsch- land als schwarze Krake erscheint, der Europa mit seinen weltumspan- nenden Fangarmen überdeckt und dabei zugleich eine schreiende wei- Abb. 5: Mobilisierungsanzeige, finan- ße Frau umfasst hält.16 Der Oktopus ziert von Firmen aus der Filmindus- trie, ca. 1917. 15 Die Anzeige spielt auch auf eine «sausage cat» aus dem Film an, ein Verweis auf die schweren Fleischspeisen, denen die Deutschen dem Klischee gemäß zugetan waren, sowie auf die barbarische Sitte, Katzen zu verspeisen. 16 Exhibitor’s Trade Review 4,1, 8. Juni 1918, 64. 121 wird also ganz direkt mit der Farbe Schwarz in Verbindung gebracht, die in ihrer kulturel- len Kodierung auf das Böse und den Tod hindeutet, indirekt vielleicht auch auf die Gier «der Schwarzen» nach den weißen Frauen. Ein berühmtes Rekru- tierungsplakat der US-Armee mit dem Titel «Destroy This Mad Brute» setzt ein konventio- nelleres Tier für die gleiche Ge- dankenverbindung ein (Abb. 5). Auch wenn dieses Plakat nicht der Filmwerbung diente, weist es doch in seiner Bildsymbolik und den intertextuellen Refe- renzen Bezüge zu zeitgenössi- schen und späteren Filmen auf, Abb. 6: Anzeige für The Prussian Cur (aus darunter King Kong (USA 1933, Exhibitor’s Trade Review, August 1918). Merian C. Cooper, Ernest B. Schoedsack); der Affe trägt den Schnurrbart des Kaisers, und in seinen bestialischen Eigenschaften äh- nelt er zugleich den Klischees der «Schwarzen» als primitiven, affenähn- lichen Menschen (vgl. Snead 1994; Cripps 1993; Lott 1999). Schließlich beschreibt der Titel von Raoul Walshs Film The Prussian Cur (USA 1918) den Kaiser als übellaunige Promenadenmischung, was die zum Film ge- hörige Anzeige direkt in das Bild eines geifernden und zähnefletschen- den Köters übersetzt, der offenbar eine schutzlose Mutter und ihr Kind bedroht (Abb. 6). Der wolfsähnliche Hund trägt einen preußischen Helm, während Frau und Kind entweder Figuren aus dem Film darstel- len oder auf allgemeinere Weise die Opfer deutscher Kriegslüsternheit symbolisieren. Der bissige Köter thront am oberen Bildrand über seinen potenziellen Opfern und auf Augenhöhe mit dem Porträt des Schauspie- lers Horst von der Goltz, der als deutscher Spion galt. Goltz schaut den Hund im Profil an, als sei er sein Herr. Die nach dem Krieg veröffentlichten Anzeigen für Propagandafilme appellierten an Rachegefühle gegenüber Deutschland und seiner Füh- rung. Da das Interesse an Propaganda naturgemäß rapide abnahm, be- diente sich die Werbung noch schrillerer Töne als zuvor. Zwei Anzeigen für The Kaiser’s Finish (USA 1918, John Joseph Harvey) schlagen eine un- 122 Abb. 7: Anzeige für The Kaiser’s Finish Abb. 8: Anzeige für The Kaiser’s Finish (aus Moving Picture World, Oktober (aus Moving Picture World, Oktober verblümte Rhetorik der Bestrafung an und zeigen den Kaiser sogar als Hinrichtungsopfer. Das Versprechen, ihn mitsamt dem Kronprinzen an einem Baum hängen zu sehen, war demnach etwas, «[d]as mit Sicherheit jeden in helle Freude versetzen dürfte» (Abb. 7) – nicht zuletzt eine Re- miniszenz an die Lynchmorde, die während des Kriegs an einigen Deutsch-Amerikanern und schon seit langem von weißen Amerikanern an Afroamerikanern begangen wurden. Ein weiteres Mal spielen die In- serate indirekt auf Rasse an; auffällig sind auch die kreisenden Bussarde oder Geier, die Tod und Verwesung der Schurken unterstreichen. Eine letzte Anzeige, die in diesem Zusammenhang Erwähnung verdient, zeigt den Kaiser in seiner eigenen Blutlache, durchbohrt von einem Säbel und ebenfalls mit Aasgeiern, die über ihm kreisen (Abb. 8). Viele Anzei- gen der Kriegszeit warben mit dem Tod des Kaisers, doch nur wenige gingen so weit wie diese. Die Bestie von Berlin und der Koloss von Hollywood Anhand der Analyse eines bestimmten Aspekts der Filmpromotion in einem spezifischen historischen Kontext hat dieser Beitrag den Sinn da- für zu schärfen versucht, dass Filmwerbung ein komplexes System der 123 Herstellung und Zirkulation von kulturellen Bedeutungen darstellt und einen wichtigen Gegenstand für weitere wissenschaftliche Untersuchun- gen abgibt. Wie die Diskussion der Beispiele zeigt, diente die Animali- sierung des Kaisers durch die Werbung nicht zuletzt als Lösung des konkreten Problems, wie ein weißes und zu einem nicht unbedeutenden Teil deutschstämmiges Publikum für antideutsche Propagandastreifen zu gewinnen war. Indem sie eine Darstellungsform wählte, die «den Deutschen» als weniger weiß und weniger menschlich als die Norm er- scheinen ließ, und indem sie sich auf die deutsche Führungsschicht kon- zentrierte, setzte die Werbung das Risiko herab, von einem weißen Publikum als Verhöhnung seiner selbst missverstanden zu werden. Au- ßerdem leistete die Filmwerbung für die Propagandafilme der Kriegsjah- re, indem sie die Bestie von Berlin zum Leben erweckte, zugleich einen Beitrag zur Entstehung eines Kolosses mit Namen Hollywood. Aus dem Amerikanischen von Patrick Vonderau Literatur Bordwell, David/Staiger, Janet/Thompson, Kristin (1985) The Classical Hollywood Cinema. New York: Columbia University Press. Cripps, Thomas (1993) Slow Fade to Black: The Negro in American Film, 1900–-1942. New York: Oxford University Press. DeBauche, Leslie Midkiff (1997) Reel Patriotism: The Movies and World War I. Madison: University of Wisconsin Press. Dyer, Richard (1997) White. London/New York: Routledge. 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