Update! Franziska Heller - 978-3-8467-6460-2 Heruntergeladen von Fink.de01/03/2022 12:27:50PM via free access Franziska Heller - 978-3-8467-6460-2 Heruntergeladen von Fink.de01/03/2022 12:27:50PM via free access Franziska Heller Update! Film- und Mediengeschichte im Zeitalter der digitalen Reproduzierbarkeit BRILL | Wilhelm Fink Franziska Heller - 978-3-8467-6460-2 Heruntergeladen von Fink.de01/03/2022 12:27:50PM via free access Publiziert mit Unterstützung des Schweizerischen Nationalfonds zur Förderung der wissenschaftlichen Forschung. Die vorliegende Arbeit wurde von der Philosophischen Fakultät der Universität Zürich im Frühjahr 2018 als Habilitationsschrift angenommen. Dies ist ein Open-Access-Titel, der unter den Bedingungen der CC BY-NC-ND 3.0-Lizenz veröffentlicht wird. Diese erlaubt die nicht-kommerzielle Nutzung, Verbreitung und Vervielfältigung in allen Medien, sofern keine Veränderungen vorgenommen werden und der/die ursprüngliche(n) Autor(en) und die Originalpublikation angegeben werden. Weitere Informationen und den vollständigen Lizenztext finden Sie unter https://creativecommons.org/licenses/by-nc-nd/3.0/ Die Bedingungen der CC-Lizenz gelten nur für das Originalmaterial. Die Verwendung von Material aus anderen Quellen (gekennzeichnet durch eine Quellenangabe) wie Schaubilder, Abbildungen, Fotos und Textauszüge erfordert ggf. weitere Nutzungsgenehmigungen durch den jeweiligen Rechteinhaber. DOI: https://doi.org/10.30965/9783846764602 Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. © 2020 bei der Autorin. Verlegt durch Wilhelm Fink Verlag, ein Imprint der Brill-Gruppe (Koninklijke Brill NV, Leiden, Niederlande; Brill USA Inc., Boston MA, USA; Brill Asia Pte Ltd, Singapore; Brill Deutschland GmbH, Paderborn, Deutschland) Internet: www.fink.de Der Wilhelm Fink Verlag behält sich das Recht vor, die Veröffentlichung vor unbefugter Nutzung zu schützen und die Verbreitung durch Sonderdrucke, anerkannte Fotokopien, Mikroformausgaben, Nachdrucke, Übersetzungen und sekundäre Informationsquellen, wie z.B. Abstraktions- und Indexierungsdienste einschließlich Datenbanken, zu genehmigen. Anträge auf kommerzielle Verwertung, Verwendung von Teilen der Veröffentlichung und/oder Übersetzungen sind an den Wilhelm Fink Verlag zu richten. Coverabbildung: Fotografie von Valerio Greco – aufgenommen 2017 während einer Open-Air- Filmaufführung auf der Piazza Maggiore im Rahmen des Archivfilmfestivals Il Cinema Ritrovato in Bologna (Italien). Exemplarisch zeigt sie die Konfiguration der Vorführung und der Erfahrung von Film im Zeichen der mediengeschichtlichen Entwicklung digitaler Reproduktionsmöglichkeiten und der Veränderungen im Verhältnis zwischen öffentlichen und privaten Screens. Covergestaltung: Evelyn Ziegler, München Herstellung: Brill Deutschland GmbH, Paderborn ISBN 978-3-7705-6460-6 (hardback) ISBN 978-3-8467-6460-2 (e-book) Franziska Heller - 978-3-8467-6460-2 Heruntergeladen von Fink.de01/03/2022 12:27:50PM via free access Für Mute und Heinz-B. Heller, weil sie mir gezeigt haben, dass man aus Filmgeschichten lernen kann – gerade aus solchen, in denen Charlie Chaplin oder Groucho Marx den Staatschef geben. Franziska Heller - 978-3-8467-6460-2 Heruntergeladen von Fink.de01/03/2022 12:27:50PM via free access Franziska Heller - 978-3-8467-6460-2 Heruntergeladen von Fink.de01/03/2022 12:27:50PM via free access Inhalt Dank . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . xiii 1 Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1 1.1 „Why do they keep updating the historic movies that are part of our soul?“ Aufriss des Problemfeldes . . . . . . . . . . . . . . . . . 1 1.2 Methodik und Konzepte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12 1.3 Aufbau und Vorgehen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17 1.4 Gliederungsprinzip und Korpus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24 Perspektiven und Methoden 2 Digitalisierung als kulturelle Praxis und ästhetisches Phänomen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 29 Begriffe und Konzepte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 30 2.1 Die Ästhetik digitaler Bilder als Interpretationsvorgang . . . . . . 30 2.2 Die Relation analog/digital als Bedingung der Erscheinungsform digitaler Bilder . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 36 2.3 Zwischenfazit: Images, Mythen und Versprechen neuer Medien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 38 2.4 Film im Zeichen von Digitalisierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 45 2.5 Digitalisierung als methodologische und medienhistoriografische Herausforderung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 52 Digitalisierung, Gesellschaft, Ästhetik und Geschichte . . . . . . . . . . . . . . 59 2.6 Welt- und Wahrnehmungskonzepte im Zeichen des Digitalen. Quantisierung, Vergleichbarkeit und Effizienz . . . . . . . . . . . . . . . 60 2.7 Postmoderne Strukturen und der Verlust des Historischen . . . 66 2.8 Historisches Fallbeispiel: Memopolitik im Zeichen von Computertechnologien und Medienwechseln. Die Colorization- Debatte der 1980er Jahre . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 69 2.9 Colorized und remastered. Geschichtsbilder im Apparatus TV . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 73 2.10 Populärkultur und Digitalisierung in der Funktion als Textual Shifter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 75 2.11 Fallbeispiel aus dem Jahr 2012: Die TV-Serie Weltenbrand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 77 Franziska Heller - 978-3-8467-6460-2 Heruntergeladen von Fink.de01/03/2022 12:27:50PM via free access viii Inhalt 3 Mediale Geschichtsbildmodellierungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 85 3.1 Vorbemerkung: Das Label remastered als historiografisch wirksamer Shifter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 85 3.2 Phänomene der Digitalisierung als historische Konfigurationen. Archäologie in wirkungsästhetischer Dimension . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 90 3.3 Geschichtsmodellierung angesichts des präsentischen Eindrucks des Films . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 95 3.4 Posthistoire, Popularisierung, dispositivische Konfigurationen zeitlicher Verhältnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 98 3.5 Barbara Klingers Fallbeispiele: Der TV-Sender America Movie Channel und Heimkinotechnologien als nostalgisch-ideologisch wirkende personal mass culture . . . . . . 104 3.6 Bewegtbilder im Archivdispositiv und im historisierenden Lektüremodus. Zum Begriff audiovisuelle Geschichtsbildmodellierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 109 3.7 Exkurs: (Fiktionale) Geschichtsfilme, Ästhetik und Historiografie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 113 3.8 Medien, Zeit und Erfahrungsdimensionen. Gedächtnis und Erinnerung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 118 3.9 Zwischenfazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 122 3.9.1 Bewegtbilder als präsentische Passagen des Vergangenen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 122 3.9.2 Ausblick: Digitale Reprisen als Cluster . . . . . . . . . . . . . . . . . . 125 Aspekte medienhistoriografisch wirksamer Erfahrungsbildung 4 Fetischisierung des Filmerlebnisses und der Kinogeschichte (Cluster I) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 133 4.1 Ästhetische Strategien der historiografisch wirksamen Erfahrungsbildung. Zeitliche Differenzerfahrung und wechselseitige Bilder . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 135 4.2 Medienhistoriografisch wirksame Erfahrungsbildung im Format Werbeclip. Wirkungsästhetische Verfahren in einem warenästhetischen Horizont . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 140 4.3 Medienphänomenologische Prozesse. Warenfetischismus von ästhetischen Objekten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 143 4.4 Restaurierungsdiskurs und Fetischisierung. Der Werbeclip Restoring the Classics (2012) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 147 Franziska Heller - 978-3-8467-6460-2 Heruntergeladen von Fink.de01/03/2022 12:27:50PM via free access Inhalt ix 4.5 Fetischisierung phantastischer Erinnerungs-Bilder. Werbeclip zur Platinum Edition (2007) von Disneys Peter Pan (1953) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 166 4.6 Fetischisierung des Neuen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 173 4.7 Warenästhetik der neuen Technologien in Bewegtbildern. Werbeclip zur Blu-Ray-Disc von Universal (2010) . . . . . . . . . . . . 177 4.8 Fetischisierung des Neuen in der filmischen Erfahrung. Modellierung memophänomenaler Wahrnehmungsmodi . . . . 192 5 Aspekte digitaler Performance und der Zuschauer als Vollzugsinstanz. Erfahrungsmodi von frühem Kino heute (Cluster II) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 199 5.1 Aspekte des Performativen im Kontext digitaler Reprisen. Theoretische Dimensionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 200 5.2 Zum phänomenologischen Subjektbegriff im Horizont von Geschichtsbildmodellierungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 203 5.3 Performance und Präsentation von frühem Kino heute. Methodische und theoretische Ansätze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 206 5.4 Memophänomenal wirksames Clustering. Bridging the gap, marking the difference . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 208 5.5 Performance einer Restaurierung. Die Wiederentdeckung von The Soldier’s Courtship (1896) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 211 5.6 Wiederentdecken mit einer DVD (1998). The Brothers’ Lumière First Films . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 225 5.7 Ein re-imaginierter Film zwischen Internet, DVD und Bühnenperformance. Too Much Johnson (1938) – heute . . . 247 5.8 Aspekte aisthetischer Historiografie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 259 6 Funktionalisierung des Imaginären in aisthetischer Historiografie. Praktiken der Konfiguration von Fakt und Fiktion (Cluster III) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 263 6.1 Ansätze zu audiovisuellen Geschichtsbildmodellierungen. Tragweite, historiografische Funktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 266 6.2 Hybridisierung von Fakt und Fiktion. Historisierende Lektüremodi . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 267 6.3 Filmhistorische Dokumentationen als Bonus. Überlegungen zur Enunziationsebene . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 269 6.4 Historiografie und Funktionen des Imaginären . . . . . . . . . . . . . . 270 6.5 Zwischenfazit I . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 272 Franziska Heller - 978-3-8467-6460-2 Heruntergeladen von Fink.de01/03/2022 12:27:50PM via free access x Inhalt 6.6 Ästhetische Erfahrung und die Rolle des Imaginären im warenästhetischen Kontext. Erfahrungskonsum . . . . . . . . . . . . . 273 6.7 Medien, Zeit und Erfahrungsdimensionen. Mediatisierte Erinnerung und prothetische Erinnerung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 276 6.8 Spielfilme als Erinnerung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 279 6.9 Exkurs: (Marktorientierte) Werterelationen des Ästhetischen im Feld des Filmerbes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 282 6.10 „Ohne Méliès hätte es keine Mondlandung gegeben“. Fakt und Fiktion in der digitalen (Film-)Geschichtsschreibung. Die Re-Edition Le voyage dans la lune (2011) . . . . . . . . . . . . 285 6.11 Filmrestaurierung als phantastische Reise. The Restoration of Oz (2005) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 297 6.12 Geschichte(n) im Zeichen von Münchhausen (1943). Der nationalsozialistische Mythos von Agfacolor im Jahr 2005 . . . . 301 6.13 Zwischenfazit II . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 310 6.14 Memopolitische Rituale. Ein Kultmärchen und seine Dispositive. Der Fall Drei Nüsse für Aschenbrödel (1973) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 311 7 Mediale Zirkulation und Mise en Relation. Relationales Geschichtserleben: Do-it-yourself-History!? (Cluster IV) . . . . . . . . . 319 7.1 Digitale Zirkulation. Kunstwert als ästhetischer und dispositivischer Effekt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 324 7.2 Die Relativierung von Prestige und kultureller Autorität als Erfahrungsmodus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 329 7.3 Mise en Relation als Verfahren der Konsekration . . . . . . . . . . . . 334 7.4 Konsekration des Vergleichs. Change the way to watch movies. Editor’s guide (2012) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 339 7.5 Voyeuristische Versprechen des Dispositivs. Fifty Shades of Grey (2015) und Dressed to Kill (1980) . . . . . . . . . . . . . . 345 7.6 „That is how it could have happened … but how about this“. Möglichkeitsdimensionen eines Filmwerks. Clue (1985), Memento (2000) und Blade Runner (1982) . . . . . . . . . . . . . . 358 7.7 Sinnlicher Eindruck von Zensurprozessen. Alternativen deutscher Geschichte. Die DVD Die Schönste (1957–1959/2003) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 379 7.8 Mise en Relation der Mythen I. Die Nibelungen (1924) und die Überlieferungsgeschichte in heutiger audiovisueller Perspektive . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 386 Franziska Heller - 978-3-8467-6460-2 Heruntergeladen von Fink.de01/03/2022 12:27:50PM via free access Inhalt xi 7.9 Mise en Relation der Mythen II. Metropolis (1927), ein mythisch-modernes filmhistorisches Cluster . . . . . . . . . . . . . . . . 398 7.10 Körperlich-gestisch erlebte Mise en Relation. Split Screen und Do-it-yourself-(DIY-)Restaurierungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 403 7.11 Exkurs: Theoretische Einordnung Split Screen. Vergleichendes Sehen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 410 7.12 Erlebte Mise en Relation. Vergleichendes Hören. The Lodger (1927), Moroder’s Metropolis (1984), Le voyage dans la lune (1902), Varieté (1925) . . . . . . . . . . . . . 415 7.13 Filmgeschichte(n) im Fluss? Dispositivische Konfigurationen am Beispiel von Video-on-Demand (VoD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 422 7.14 VoD und Versionenhaftigkeit. Das Boot (1981/1985) als amphibischer Film . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 433 8 Digitale Passagen und ihre Widersprüche. Ein Fazit . . . . . . . . . . . . . 441 Anhang 9 Glossar zu methodologisch relevanten Begriffen . . . . . . . . . . . . . . . . 457 10 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 465 10.1 Verwendete Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 465 10.2 Weitere Quellen aus dem Internet (allgemein und zu spezifischen Fallstudien und Begriffen) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 495 10.3 Hinweise auf eigene Vorarbeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 497 11 Film-, Editions- und Zugriffsverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 499 11.1 Besprochene Filme und Editionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 499 11.2 Weitere, im Internet zugängliche Filme und Clips . . . . . . . . . . . . 502 11.3 Sonstige erwähnte Filme und Serien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 503 12 Abbildungsnachweise . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 507 Franziska Heller - 978-3-8467-6460-2 Heruntergeladen von Fink.de01/03/2022 12:27:50PM via free access Franziska Heller - 978-3-8467-6460-2 Heruntergeladen von Fink.de01/03/2022 12:27:50PM via free access Dank Eine Folge der Digitalisierung des Films sind die immer spektakulärer werdenden Special Effects und – damit einhergehend – die immer länger werdenden Credits. Nun geht es mir ähnlich: Im Vergleich zu vorherigen Studien bin ich bei der vorliegenden Publikation ungleich mehr Menschen und Institutionen zu tiefstem Dank verpflichtet; eine Vielfalt von Hilfestellungen und Einflüssen, die es mir erst ermöglicht hat, die „speziellen Effekte“ eines komplexen und m. E. sehr dringlichen Gegenstandsbereiches aus den ver- schiedensten Perspektiven anzugehen. Ohne Barbara Flückiger und ihren Wagemut, mich 2008 in ein inter- disziplinäres, anwendungsorientiertes Projekt zur Digitalisierung von Archiv- filmen zu holen, hätte meine (Wissenschafts-)Vita wohl einen ganz anderen Verlauf genommen. Vieles wäre mir verschlossen geblieben. Sie hat mir nicht nur ein neues Gegenstandsfeld in der Film- und Medienwissenschaft eröffnet, sondern auch ganz praktisch eine weitere Ausbildung ermöglicht. Im Verlauf von verschiedenen Projekten haben wir gemeinsam viele Situationen meistern und uns Bereiche erobern müssen. Für mich unschätzbare Lektionen. In diesem Zusammenhang danke ich auch dem Schweizerischen Nationalfonds für die Förderung des Projekts FILMGESCHICHTE RE-MASTERED. Die dort erarbeiteten Erkenntnisse wurden ergänzt von der Arbeit in den Projekten AFRESA und DIASTOR (beide gefördert von der KTI, der Kommission für Technologie und Innovation in der Schweiz). Das vorliegende Buch geht aus meiner Habilitationsschrift an der Philo- sophischen Fakultät der Universität Zürich hervor; ein (Prüfungs-)Unterfangen, das ohne die institutionelle Unterstützung des Seminars für Filmwissenschaft nicht möglich gewesen wäre. Fabienne Liptay, Margrit Tröhler und Jörg Schwei- nitz haben mich vor allem in der finalen Phase des Verfahrens mit Anregungen begleitet. Kaum zu unterschätzen sind auch die logistischen und infra- strukturellen Möglichkeiten und Zuwendungen des Zürcher Seminars – nicht zuletzt mit seiner exzellenten Videothek und Bibliothek. Besonderer Dank gilt Daniela Casanova, die mich unermüdlich mit wertvollen Literaturhinweisen versorgt hat. Auch haben mir die Kolleg*innen in der Administration seit 2008 unzählige Male schnell und unkompliziert geholfen. Ich freue mich, dass das vorliegende Buch das Ergebnis meiner nun schon dritten Zusammenarbeit mit Henning Siekmann vom Wilhelm Fink Verlag ist, der äußerst herzlich und geduldig stets bereit ist, Projekte gemeinsam zu ent- wickeln. Dem Schweizerischen Nationalfonds danke ich hier für die sehr groß- zügige Förderung dieser Open-Access-Buchpublikation. Franziska Heller - 978-3-8467-6460-2 Heruntergeladen von Fink.de01/03/2022 12:27:50PM via free access xiv Dank In diesem Kontext gebührt auch Simon Spiegel ein von Herzen kommendes „merci vill mal“. Diese Veröffentlichung hätte mich auf den letzten Metern wesentlich mehr Nerven gekostet, hätte er mir nicht in außergewöhnlich offener und loyaler Weise beigestanden. Auf inhaltlicher und gestalterischer Ebene ist dieses Buch nicht denkbar ohne den Archival Film Festival Circle: Ein ganz besonderer Dank geht hier zunächst an den Festivaldokumentaristen Valerio Greco, sein kreatives Auge und seine Großzügigkeit. Ohne den über mehrere Jahre hinweg andauernden intensiven Austausch mit Kolleginnen und Kollegen aus der Medien- und Archivpraxis, ohne das ganze praktische Hintergrundwissen, hätte ich viele Thesen nicht entwickeln können. Ich kann mir meine medien- und film- wissenschaftliche Tätigkeit ohne diesen kontinuierlichen Dialog nicht mehr vorstellen. Zu den prägendsten Personen – auch in persönlicher Hinsicht – gehören: Anna Batistová, Neil Brand, Rob Byrne, Mark Davies, Dennis Doros, Mark Fuller, Adelheid Heftberger, Johan Nordström, Natasha Poljakowa, Tom Vincent, Peter Walsh, Lars Zeidler u.v.m. Darüber hinaus bin ich Irela Núñez, Hendrik Teltau, Andreas Thein und Anke Wilkening sehr zu Dank verpflichtet. Karl Wratschko ist für mich ein kreativ kuratierendes Phänomen, und ich schätze mich sehr glücklich, dass er seine Arbeiten mit mir (und meinen Studierenden) seit Jahren teilt. Oliver Hanley und Ulrich Ruedel infizieren mich immer wieder mit ihrer Leidenschaft für vergessene Bereiche der Film- geschichte. Uli Ruedel beeindruckt mich speziell mit seinem Enthusiasmus, über die disziplinären Gräben zwischen Natur- und Geisteswissenschaften hinaus zu denken und damit wirkliche Kollaboration in der Forschung zu leben. Auf der Seite der universitären Film(geschichts)forschung habe ich eben- falls das Glück, in ein vielseitig inspirierendes Netzwerk eingebunden zu sein. Seit vielen Jahren erfahre ich die besondere fachliche wie menschliche Unter- stützung von Sonja Czekaj, Evelyn Echle, Wolfgang Fuhrmann, Adrian Gerber, Maggie Hennefeld, Eva Hielscher, Kristina Köhler, Bregt Lameris, David Pfluger, Jan Sahli, Matthias Steinle, Matthias Uhlmann und Yvonne Zimmermann. Schnellen, auch logistisch-technischen Support habe ich gerade zuletzt immer wieder von Michelle Beutler, Joëlle Kost, Olivia Stutz sowie Noemi Daugaard und Josie Diecke erhalten. Darüber hinaus gilt mein Dank den Studierenden, die mich in unterschiedlichsten Kursen und auf den Exkursionen nach Bologna mit ihren Fragen und Anregungen herausgefordert haben. Claudy Op den Kamp ist meine Muse – ob in akademischen Debatten oder in populärkulturellen Fragen. Mit ihr kann ich in allen Bereichen besser denken. Franziska Heller - 978-3-8467-6460-2 Heruntergeladen von Fink.de01/03/2022 12:27:50PM via free access Dank xv Den persönlich-privaten Rahmen, der mir das vorliegende Buch überhaupt erst ermöglicht hat, wird darüber hinaus von Menschen gebildet, die mich immer wieder daran erinnern, was wirklich zählt: Alexander Czechowicz und Sebastian Moretto, die nun schon seit fast 15 Jahren immer bedingungslos parat sind, wenn plötzlich ein Anruf von mir kommt. Melanie Seite, die dafür sorgt, dass meine Finger an der Schreibtastatur nie erlahmen. Franziska „Finsi“ Raff und Anne „Killer-Bambi“ Martin, die beste Zonenverteidigung im Leben, die man sich als Freundin nur wünschen kann – zusammen mit Vicky Weber, Sarah Beyeler und dem gesamten Team der Züri Raptors. Moritz Heller, der als einziger die Fähigkeit perfektioniert hat, den Moment mit absoluter Hin- gabe zu genießen. Und – als wichtige Post-Credit-Szene: Öper vo eus zwei, und das bi nöd ich – Andrea Misteli kann ich an dieser Stelle nicht genug danken, weil er mein Karma wie niemand anders prägt; weil er selbst dem größten Stress trotzt und unbeirrt mit mir weiter über die Dimensionen von Musik und Kulinarik debattiert – von Raspberry Berets zu Strawberry Bubblegums. Der jede Problemstellung mit seiner unangepassten Art und seinen einzigartigen analytischen Fähigkeiten in neue Perspektiven rückt; und dies häufig getragen von einer ebenso überraschenden wie mitreißenden Mischung aus Prince, N’Sync und Marx – aus Justin, Karl und Richard. So bringt es Lebowski (1998) für mich auf den Punkt: „That rug really tied the room together …“ Zürich, August 2019 Franziska Heller Franziska Heller - 978-3-8467-6460-2 Heruntergeladen von Fink.de01/03/2022 12:27:50PM via free access Franziska Heller - 978-3-8467-6460-2 Heruntergeladen von Fink.de01/03/2022 12:27:50PM via free access kapitel 1 Einleitung 1.1 „Why do they keep updating the historic movies that are part of our soul?“ Aufriss des Problemfeldes Es ist ein mit starken Emotionen belegtes Phänomen: Sogar in der Populärkultur und im Fernsehprogramm, zumal in satirischer Überzeichnung, hat es Spuren hinterlassen. Zu Beginn einer Folge der karnevalesken Comicserie South Park (1997–heute) unter dem deutschen Titel Grösser, Digitaler und Um- geschnitten (OT: Free Hat, 2002, S6E9) sitzen die jungen Protagonisten im Kino und starren erwartungsvoll auf die Leinwand. Es läuft zunächst eine Programmvorschau, die auf kommende filmische Attraktionen im Kino ver- weist: „Coming this summer. It’s the classic film that changed America. E. T. – The Extraterrestrial [1982] the new re-done version for 2002. All the effects have been digitally upgraded: All the guns have been digitally changed to walkie talkies“. In der nächsten Ankündigung wird die Praxis der Wieder- veröffentlichung älterer Filme noch weiter getrieben: „Saving Private Ryan [1998] the re-re-release where the word ‚Nazi‘ has been changed to ‚persons with political differences‘“. Ganz absurd wird es schließlich, als nun der Haupt- film The Empire Strikes Back (1980) aus dem Star-Wars-Universum von George Lucas unter dem Oxymoron eines „Classic re-re-re-lease“ angekündigt wird: „[T]he entire cast has been digitally replaced by ewoks“ (Abb. 1.1–1.5). So grotesk und überzeichnet das South-Park-Universum die Folgen der aktualisierenden Bearbeitung von ‚älteren‘ Filmen darstellt – in diesem Fall, dass die gesamte Darstellerriege durch viele kleine Teddybären, die Ewoks, ersetzt wird1 –, so verdichtet die Episode doch Phänomene, die von einer medialen Praxis zeugen, welche sich in den letzten zwei Jahrzehnten unter dem Eindruck der technologischen Entwicklung der digitalen Domäne gehäuft 1  Dieses Beispiel nimmt Bezug auf die tatsächliche Praxis des Digitalpioniers George Lucas, seine eigenen Filme zu verschiedenen Wiederveröffentlichungen – im Kino wie für den Heimvideomarkt – zu aktualisieren und atmosphärisch wirkende Bildteile hinzuzu- fügen. Seine Eingriffe waren aber auch dramaturgischer und sinnverändernder Natur. Das bekannteste Beispiel für die Variation einer Charakterzeichnung ist die je nach ‚Edition‘ ver- änderte Einführung des Protagonisten Han Solo. Vgl. u. a. Spiegel Online (2015) unter dem Titel „Han Solo und die Frage, wer zuerst schoss“. © Franziska Heller, 2020 | doi:10.30965/9783846764602_002 This is an open access chapter distributed under the terms of the CC BY-NC-ND 3.0 licFerannszeis. ka Heller - 978-3-8467-6460-2 Heruntergeladen von Fink.de01/03/2022 12:27:50PM via free access 2 kapitel 1 Abb. 1.1 Abb. 1.2 Abb. 1.3 Franziska Heller - 978-3-8467-6460-2 Heruntergeladen von Fink.de01/03/2022 12:27:50PM via free access „Why do they keep updating the historic movies …?“ 3 Abb. 1.4 Abb. 1.5 hat.2 Es ist eine Praxis, die ihre Wirkung oft nur implizit, dafür aber umso nach- haltiger soziokulturell entfaltet: (Ehemals analoge) Filme müssen ständige Transitionen und damit Transformationen – ein Update – durchlaufen, um in immer neuen, zumal digitalen Medienumgebungen sichtbar zu bleiben. Dass es sich nur zu einem Teil um eine technologische Transition handelt, vielmehr darüber hinaus auch um nachhaltig diskursiv und ideologisch überformte kulturelle und ästhetische Praktiken, dies soll in der vorliegenden Studie erst- mals vor allem in seinen wahrnehmungstheoretischen Konsequenzen ana- lysiert und systematisiert werden. 2  Hier gilt es zu beachten, dass Filme – auch schon in der Ära der analogen Filmtechnik – stets unter neuen medial-distributiven und soziokulturellen Bedingungen verändert wurden. Stefan Drößler formuliert hier unter anderem 2004 die Kritik an der Filmwissenschaft, dass sie dem Phänomen der Veränderlichkeit von Filmen, vor allem bei ästhetischen Frage- stellungen, bisher kaum systematisch Rechnung getragen habe (Drößler 2004). Eine seltene Ausnahme, die die Vorläufigkeit von Versionen auch thematisiert, ist etwa Elsaesser (2001) mit Blick auf den Fall von Fritz Langs Metropolis (1927). Franziska Heller - 978-3-8467-6460-2 Heruntergeladen von Fink.de01/03/2022 12:27:50PM via free access 4 kapitel 1 Der Fokus auf die wahrnehmungstheoretische Dimension stellt eine Be- sonderheit des Ansatzes dar. Denn dieser orientiert sich an Diskursen der jüngeren Filmwissenschaft, die in Fragen der filmischen Bewegtbildwahr- nehmung dem Körper und seinen spezifischen Sinnbildungsprozessen eine Systemstelle neuerer Wahrnehmungstheorien einräumt – zumal unter dem Vorzeichen von digitalen Medienumgebungen (Morsch 2010; Brinkema 2014; Elsaesser und Hagener 2013/2007: bes. 217–218). In dem Gegenstandsfeld kommt es vor diesem Hintergrund zu einer Schichtung der zu analysierenden Ebenen, da Filme im Rezeptionsprozess unmittelbar eine (körperlich wirksame) Erfahrung von Bewegung in der Zeit vermitteln. Gleichzeitig aber – oft von medientechnologischen Entwicklungen und ökonomischen Interessen getrieben – wird diese Erfahrung von weiteren dispositivischen und filmischen Konfigurationen überformt, die die Variabili- tät des filmischen Textes und damit der ästhetischen Erfahrung ausstellen. Damit wird die jeweilige Zeit- und Situationsgebundenheit einer filmischen Erfahrung akzentuiert und zweckgerichtet exponiert. Es fällt auf, dass bisher die medien- und filmwissenschaftliche Forschung von Praktiken der ständigen aktualisierenden Überarbeitung und deren viel- fältigen Konsequenzen für die filmische Erfahrung nur bedingt Kenntnis genommen hat. Methodische und methodologische Systematisierungsver- suche der Wahrnehmungsdispositionen, die angesichts des vielschichtigen kulturellen Komplexes ‚digitalisierte Filme‘ entstehen, liegen bisher nicht vor. So ist auch die ganz grundsätzliche Frage nach den Folgen für die Wahr- nehmung zeitlicher Verhältnisse in diesem Horizont bisher nicht untersucht und theoretisch modelliert worden. Solche Ansätze erscheinen umso dring- licher, als diese kulturellen Komplexe als Dispositionen die Bedingungen definieren, wie wir Filme und Bewegtbilder heute überhaupt sehen und nutzen und welche kulturellen (Erinnerungs-)Werte ihnen zugeschriebenen werden. So fokussiert der vorliegende Band Vermittlungsprozesse der Digitalisierung von Filmen aus einer vordigitalen Produktions- und Distributionsära: In diesem Sinne werden unter ‚historischen‘ Filmen im Sprachgebrauch dieser Studie Filme verstanden, denen in irgendeiner Form ein Alters- und Er- innerungswert zugeschrieben wird – oft auch zunächst augenscheinlich kenntlich durch einen länger zurückliegenden Produktionszeitraum. Dies ist aber nicht zwingend und wird im Folgenden noch problematisiert. Solche Filme werden im Begriffsgebrauch bisheriger Forschung auch oft als ‚Archiv- filme‘ bezeichnet.3 3  Im Unterschied dazu werden unter ‚Geschichtsfilm‘ vor diesem Hintergrund hier vornehm- lich Spielfilme verstanden, die inhaltlich ein historisches Thema verhandeln. Franziska Heller - 978-3-8467-6460-2 Heruntergeladen von Fink.de01/03/2022 12:27:50PM via free access „Why do they keep updating the historic movies …?“ 5 Die Untersuchung versteht sich dezidiert als eine medienarchäologische Betrachtung der zentralen historischen Transitionsphase, die sich in den letzten 25 Jahren vollzogen hat. Es ist eine entscheidende Phase, in der tat- sächlich Praktiken und Anwendungen der Digitalisierung Einzug in die Film- restaurierung und -archivierung sowie in die Filmdistribution und -rezeption hielten. Aufgrund fehlender Standards und Erfahrungen wurden in dieser Übergangsperiode zahlreiche ungelöste Fragen öffentlich und medial aus- gehandelt. In einem komplexen Netzwerk von Akteuren wurde eine Palette von Praktiken etabliert, die sich immer noch nicht verbindlich standardisiert sehen und die noch weit in das digitale Zeitalter hineinwirken werden, da sie ihrerseits mittlerweile Teil der Überlieferungprozesse von Film und Be- wegtbildern sind. Viele (kultur)politische Implikationen und Konsequenzen wurden und werden erst nach und nach deutlich. Vor dem Hintergrund dieses Gegenstandsbereichs geht es weder um eine rein technisch respektive technologisch orientierte Argumentation noch um eine konfrontative Perspektivierung der Begriffe analog/digital: Die beiden Kategorien werden ausdrücklich nicht in jeweils ontologisch bestimmende Qualitäten – etwa in Hinblick auf ihre Ästhetik – gedacht. Vielmehr werden die beiden Begriffe als medial vermitteltes Differenzverhältnis betrachtet; dies ausgehend von dem grundsätzlichen Problem der Sicht- und Erfahrbarkeit einer suggerierten digitalen Qualität von digitalisierten Filmen. Es ist vor allem diese vermittelte digitale Qualität, die in einem aktualisierenden Kontext – wie dem eines ‚Re-re-lease‘ – oft als die hervorstechendste Eigenschaft betont wird, da sie in ökonomische Mehrwertversprechen bei der Vermarktung umgedeutet werden kann: In einem solchen Kontext wird die Überführung eines Film von analog in digital als wirkungsästhetisch wirkendes Label der Aktualisierung – das Werk wirke nun noch besser – ausgestellt (Abb. 1.6). Dennoch – und hier zeigt sich die Gewichtigkeit der Frage nach den Wahrnehmungskonfigurationen – bleibt die ‚digitale Qualität an sich‘ oft implizit und vor allem nicht voraussetzungslos unmittelbar in den Bildern sichtbar oder kognitiv fassbar – jedenfalls nicht ohne die rahmende In- szenierung eines differenziellen medialen ‚Vorher‘ –, weshalb die Transition auf wirkungstheoretischer Ebene als mediales Vermittlungsproblem zu be- greifen und zu untersuchen ist: Hier wird (häufig implizit) in der Dimension des (Film-)Ästhetischen, mediengeschichtliche Entwicklung konstruiert und funktionalisiert. Mit der Relativierung von ontologischen Dichotomien (analog/digital) und der Ablehnung der Sichtweise eines prinzipiellen historischen Bruchs mit analogen Produktions- und Distributionsweisen im Sinne einer ‚digitalen Revolution‘ wird ausdrücklich das Moment des Prozesshaften dieser Transition betont. Franziska Heller - 978-3-8467-6460-2 Heruntergeladen von Fink.de01/03/2022 12:27:50PM via free access 6 kapitel 1 Abb. 1.6 Die in den Phänomenen (oft implizit) vermittelte mediengeschichtliche Entwicklung ist aus pragmatischer Perspektive zu sehen: Kontextualität be- stimmt die jeweilige medial erfahrbare Konfiguration des Differenzverhält- nisses. Damit entwickelt die situative und räumliche Verortung eine mediale Modellierung von Historizität, deren Erlebnisform als medienhistoriografisch wirksame Erfahrungsbildung zu fassen ist. An dieser Stelle wirken filmwissen- schaftliche Ansätze zur Historiografie in filmischen Formen produktiv, gerade wenn es um die Analyse von medialen Phänomenen hin auf ihre Modi der wirkungsästhetischen Geschichtsbildmodellierung geht (vgl. ausführliche Ausführungen zum Begriffsgebrauch  Kap. 3). Konkret folgt meine Studie damit der grundsätzlichen Frage: Wann – unter welchen (dispositivischen und ästhetischen) Bedingungen – wird heute das Digitalisat eines Films (aus der analogen Ära) als historischer Film mit Franziska Heller - 978-3-8467-6460-2 Heruntergeladen von Fink.de01/03/2022 12:27:50PM via free access „Why do they keep updating the historic movies …?“ 7 Alters- und Erinnerungswert wahrnehmbar? Und umgekehrt ist ebenso zu fragen: Inwiefern kann das Digitalisat eines historischen Films als Zeugnis eines vorgeblichen mediengeschichtlichen Fortschritts – als Manifestation der Möglichkeiten des Digitalen – wahrgenommen werden? Und welche Folgen zeitigen diese momentanen, aus einer medialen Gegenwart heraus gebildeten Konfigurationen für unsere Wahrnehmung einer zeitlichen Differenz zu Ver- gangenem (und gegebenenfalls einer utopischen Zukunft)? Mit den Termini Erinnerungswert und Alterswert werden Begriffe aus Alois Riegls Überlegungen zum modernen Denkmalkult übernommen. Riegl ent- wirft bereits 1903 die erste geschlossene theoretische Darstellung zur Wert- bestimmung eines Kunstwerkes in verschiedenen Zusammenhängen. Damit liefert er eine begriffliche Basis, die sich in ihrer pragmatischen Ausrichtung wahrnehmungstheoretisch insofern auf den Film anwenden lässt, als damit ein historischer und erinnerungskultureller Wert in seinem zweckbestimmenden Kontext gesehen werden kann. Riegl differenziert zunächst grundlegend zwischen Erinnerungs- und Gegenwartswert. Diese beiden Ebenen werden jeweils ein weiteres Mal mit Unterkategorien versehen. Der Erinnerungswert gliedert sich präzisierend auf in den historischen Wert und den Alterswert.4 Bei dem Gegenwartswert eines Denkmals unterscheidet er den Gebrauchs- und den Kunstwert (Riegl 1903; aus heutiger Perspektive Janis 2005: 22–24). Im Kontext des vorliegenden Gegenstandsbereichs ermöglichen diese Be- griffe, die Ästhetiken von Digitalisaten ehemals analoger Filme dahingehend skaliert einzuordnen, welche Wertematrix den Entscheidungen zur jeweils vorliegenden ästhetischen Erscheinungsform zugrunde gelegen hat: etwa den Film als historisches Dokument heute sichtbar zu machen und dabei seinen geschichtlichen Wert hervorzuheben und zu vermitteln; oder aber die größt- mögliche Übertragung einer aus heutiger Sicht unterhaltenden ästhetischen Erfahrung mittels der überlieferten Bilder und Töne vorzunehmen, die dann auch in ihrer Erscheinungsweise (Farben, Schärfe, Kontraste) an heutige Rezeptionsformen (DVD, TV-Screen, Computer, Smart Phone) angepasst werden. Durch diese Perspektive betone ich die pragmatische Herangehens- weise und modelliere solche Formen der Wertzuschreibungen als einen Effekt der Wahrnehmungskonfigurationen. Es ist nicht das Ziel, Digitalisate qualitativ als richtig oder falsch zu bewerten, sondern vielmehr von den tatsächlichen 4  Der Alterswert entspricht den subjektiven Empfindungen, die sich beim Betrachten eines Denkmals mit typischen Alterserscheinungen einstellen. Der historische Wert sieht das Denkmal als Dokument, das eine bestimmte Entwicklungsstufe des menschlichen Schaffens repräsentiert. Franziska Heller - 978-3-8467-6460-2 Heruntergeladen von Fink.de01/03/2022 12:27:50PM via free access 8 kapitel 1 Phänomenen und Praktiken her heutige Wahrnehmungsbedingungen von Filmen zu untersuchen. Anschauliches Beispiel für die Verwebung von ökonomischen Interessen in diesem Bereich stellt der diffuse Gebrauch der Industrie des Labels remastered dar (Abb. 1.7). Abb. 1.7 Remastered ist als Begriff nicht zu verwechseln mit Restaurierung, wie sie etwa in restaurierungsethischer und quellenphilologischer Perspektive be- sonders von Anna Bohn für den Film definiert wurde (2013a und b; vgl. auch Wallmüller 2008). Remastered beschreibt weniger einen technischen Vorgang als vielmehr ein Vermarktungslabel für re-editierte filmische Werke. Das Label besitzt bislang keine allgemein gültige feste Bedeutung. Einzige Konstante ist, dass es in kommerziellen Kontexten bei der Re-Edition5 von Werken – jeweils 5  An dieser Stelle sei ausdrücklich darauf hingewiesen, dass der Gebrauch der Begriffe ‚Edition‘ und ‚Re-Edition‘ in meiner Studie aus den Marktpraktiken der Filmdistribution auf Franziska Heller - 978-3-8467-6460-2 Heruntergeladen von Fink.de01/03/2022 12:27:50PM via free access „Why do they keep updating the historic movies …?“ 9 umstandslos wertsteigernd konnotiert – verwendet wird (Klinger 2006a: 122 f.). Es stellt somit keinen analytischen Begriff dar, sondern ist vor allem an markt- orientierte Interessen gekoppelt, in denen die Ideologie einer Verbesserung und eines Fortschritts, das heißt eines Updates zugunsten der Präsentation in neuen medientechnologischen Umgebungen vermittelt und auf die konkrete ästhetische Erfahrung der Filme im Rezeptionsprozess projiziert wird. Dies steht in engem Zusammenhang mit digitalen Zirkulations- und Dis- tributionsstrukturen, daraus entstehenden Zugriffsformen und kommerziellen Interessen einer Unterhaltungsbranche. Ich greife deshalb auf den ursprünglich von Horkheimer/Adorno (1971/1947) geprägten Begriff einer Kulturindustrie aus der politischen Ökonomie zurück, passe diesen aber an heutige mediale Strukturen an. So steht unter dem Vorzeichen des Begriffs weniger ein durch Massenmedien induzierter Verblendungszusammenhang als Manipulations- theorem im analytischen Fokus. Vielmehr wird über eine aktualisierende Lektüre von Wolfgang Fritz Haugs Kritik der Warenästhetik (2009/1971) der Warencharakter von Filmen in der digitalen Domäne in den Blick genommen. Darüber hinaus geraten – in einer Anverwandlung von Haugs Ansatz – sinn- liche Ausdrucksformen und Erscheinungen der untersuchten Waren, hier von digitalisierten Filmen, in ihrer ökonomischen Funktionsbestimmtheit in den Blick. Wenn im einleitend zitierten Beispiel die jungen Protagonisten aus South Park angesichts der digital aktualisierten Filmversionen unter lautstarkem Protest das Kino verlassen, weisen sie in ihren Schimpftiraden auf Problem- komplexe hin, die in meinem Forschungsinteresse liegen: Zunächst ist dies die implizite Frage nach der ethischen und kunstpolitischen Definition eines Film- werkes – gerade auch in Relation zu anderen Kunstformen und Zeugnissen des Kulturerbes. Die Empörung entlädt sich in South Park, da die Protagonisten ein bestimmtes Bild von einem historisch stabilen Kunstwerk vertreten: „Films are art and art shouldn’t be modified“. Es wird sarkastisch-ironisch ergänzt, man solle sich vorstellen, das römische Kolosseum wäre jedes Jahr aktualisiert worden – man hätte heute ein weiteres Footballstadion. Das ursprüngliche Werk, hier der Film, sei nicht mehr wiederzuerkennen. Doch die Jungen weisen digitalen Trägern entlehnt ist. Eine Systematik der Editionsformen, wie sie schon lange in der Literaturwissenschaft vorliegt und insbesondere in dem Teilgebiet der Editionswissen- schaft auch unter der Berücksichtigung digitaler Medien weitere Reflexion und Analyse er- fährt, ist für den Film bisher in der Medienwissenschaft nicht in der Breite in Anwendung. Die Filmwissenschaftlerinnen Natascha Drubek-Meyer (u. a. 2007, zusammen mit Nikola Izvolov), Ursula von Keitz (2013) und Anna Bohn (2013b: 341 ff.) haben hier aus philologischer Perspektive für die Edition von Filmen erste Modelle der Übertragung entwickelt. Zur be- sonderen, von amtlichen Regelungen abweichenden Schreibweise des Ausdrucks mit Binde- strichen vgl. die Erläuterungen im Glossar zu dem Begriff. Franziska Heller - 978-3-8467-6460-2 Heruntergeladen von Fink.de01/03/2022 12:27:50PM via free access 10 kapitel 1 auch implizit darauf hin, inwieweit Film, anders als andere Kunstformen, in industrielle (Re-)Produktions- und Distributionsketten eingebunden ist – gerade weil der Unterschied zum steinernen Denkmal des Kolosseums offensichtlich ist. Mit digitalen Möglichkeiten ist – dies stellt dieses Beispiel aus South Park in satirischer Form aus – der Verwertungs- und damit An- passungsprozess von Filmen in neuen Vermarktungs- und Rezeptions- zusammenhängen als ein andauernder und kontinuierlicher zu sehen: „They keep changing them, making them different“. Die Formulierung verweist auf die Tatsache, dass unter diesen Vorzeichen Digitalisierung als ein kontinuier- licher Wandel erscheint – und hier wird bewusst der teleologisch aufgeladene Begriff des Fortschritts vermieden. Die Konsequenzen der Transition in die digitale Domäne können sich bei Filmen als inhaltliche und ästhetische Ein- griffe manifestieren oder auch als neue Zugriffs- und Rezeptionsformen durch veränderte Modi der Distribution und Konsumption. In diesem Horizont ist Digitalisierung als eine soziokulturell wirksame Praxis zu profilieren, die sich in einem andauernden Fluss befindet. Die zugespitzte Dynamisierung der Erscheinungsbedingungen von Film stellt eine besondere Herausforderung der methodologischen Systematisierung von Prozessen von digitalen Wiederaufnahmen heute dar. In  Kap. 3 konzeptualisiere ich dies mit dem Begriff der Reprise – in Anlehnung an den Begriffsgebrauch des französischen Filmwissenschaftlers François Niney und dessen Überlegungen zur Verwendung von Found Footage und Archivbildern. Digitalisate und digitale Editionen unterliegen einem ständigen Wandel, basierend auf sehr kurzen, auch ökonomischen Motiven geschuldeten Ent- wicklungszyklen digitaler Technologien. Das sich im Titel wiederfindende Prinzip des notwendigen ‚Updatens‘ von Systemen, damit Objekte les- und sichtbar in der Medienumgebung bleiben, zeugt von dieser Dynamik. Für den vorliegenden Zusammenhang zeitigt dies eine weitere wichtige Konsequenz für das Erleben von medial vermittelter Differenz zwischen Vergangenem und Aktuellem: Der Begriff des ‚Historischen‘ indiziert unter den Vorzeichen einer solchen Mediendynamik immer kürzere Zeitdifferenzen. Die bereits mehrfach bemühte South-Park-Episode dokumentiert indes noch einen weiteren Aspekt des Problems: Die zwar überzeichnete, aber doch in der Tendenz ernst zu nehmende empörte Reaktion, die den Jugendlichen von der Episode zugedacht wird, weist auf die besondere affektiv-emotionale Bedeutung der beschriebenen Vorgänge, die sich an das Medium Film und dessen Wirkungsdimension über Bewegtbilder zurückbinden. Dies zeitigt er- innerungskulturelle Folgen: Die Jugendlichen aus South Park schimpfen, dass durch die aktualisierenden Veränderungen die Filme aus ihrer Kindheit und Erinnerung nicht mehr wiederzuerkennen seien. Damit verweisen die Franziska Heller - 978-3-8467-6460-2 Heruntergeladen von Fink.de01/03/2022 12:27:50PM via free access „Why do they keep updating the historic movies …?“ 11 Jungen in ihren Aussagen auf Formen des autobiografischen Aneignens von Filmen, über die die eigene Identität in der Selbst-Erzählung einer Vergangen- heit mit medialen Bildern angereichert wird. Genau diese Form des autobio- grafischen Selbstentwurfs über erinnerte Filme wird im Kontext der Praxis eines ‚digitalen Updatens‘ prekär.6 Im Horizont einer wahrnehmungstheoretischen Reflexion dieser Um- stände ist dann in der Folge vor allem die sinnlich-affektive Wirkung von Be- wegtbildern in den Blick zu nehmen und zu modellieren. Hierzu bieten sich (jüngere) theoretische Ansätze in (film)phänomenologischen Perspektiven an, die der sinnlichen und körperlichen Wahrnehmung eine Systemstelle ein- räumen (u. a. Morsch 2010 und 2011). In der Jugendsprache der Protagonisten aus South Park ausgedrückt heißt dies: „The films that you all grew up with, that touched your life and are part of your soul are now being updated and changed“ [Hervorh. FH]. Filme werden als Teil unserer Seele und kulturellen sowie sozialen Identität dargestellt. Ihre Wirkmächtigkeit entwickeln sie vor allem durch die Möglichkeit, über sinnlich-affektive bewegtbildliche Erfahrungsmodi den Zuschauer7 tatsäch- lich ‚zu berühren‘ und konkrete somatische Reaktionen oder gar Interaktionen und Verinnerlichungen (‚part of our soul‘) hervorzurufen. Der hier angedeutete Problemzusammenhang wird im Verlauf meiner Argumentation mit einem filmphänomenologischen Erfahrungs- und Subjektbegriff angegangen, in dem Unmittelbarkeit, Gegenwärtigkeit sowie leibliche Wahrnehmungsformen einen wichtigen Stellenwert einnehmen (hierzu das Zwischenfazit  Kap. 3.9 und ausführlich  Kap. 5). 6  Ein populärkulturelles Beispiel für eine an unterschiedlichen Generationen von Kindern ausgerichtete Distributions- und Re-Editions-Praxis liefert der Konzern Disney – vor allem mit seinen Zeichentrickfilmen etwa der Periode der 1940er bis 1960er Jahre: In regelmäßigen Abständen wurden sogenannte Klassiker wie unter anderem Fantasia (1940) immer wieder, zum Teil technisch wie inhaltlich und ästhetisch aktualisiert – ins Kino gebracht und damit bewusst in immer wieder neue ‚Kindheitserinnerungen‘ und Biografien ein- geschrieben. Heute geschehen die Wiederveröffentlichungen vor allem für den Home-Enter- tainment-Markt, wobei die ‚digitale Qualität‘ der jeweiligen digitalen Edition eine gewichtige Rolle bei der – auch memopolitisch wirksamen – Vermarktung spielt. Vgl. hierzu ausführ- licher die Analyse einer Re-Edition von Peter Pan (1953) in  Kap. 4. 7  Als Hinweis zum Sprachgebrauch dieser Studie: Hier und in der Folge werden Rezeptions- instanzen wie ‚Zuschauer‘, ‚Nutzer‘, ‚User‘ oder ‚Konsument‘ als theoriegeschichtlich auf- geladene, abstrakte Konzepte verwendet und verstanden. Deshalb wird im Verlauf dieser Studie bei diesen Begriffen von einer Anpassung an einen gendergerechten Sprachgebrauch abgesehen, da es sich in diesen Fällen nicht um empirische geschlechtliche Personen handelt. Franziska Heller - 978-3-8467-6460-2 Heruntergeladen von Fink.de01/03/2022 12:27:50PM via free access 12 kapitel 1 Dass die filmtheoretische Lektüre der South-Park-Folge im wahr- nehmungstheoretischen Horizont weiterhin sinnfällig ist, wird deutlich, wenn wenig später in der Fiktion Steven Spielberg und George Lucas auftreten und die aktualisierenden Eingriffe in ihre Werke verteidigen: Sie wollten mit den Aktualisierungen als Macher von Träumen neue Generationen von Zuschauern erreichen. Diese Aussage erinnert an Siegfried Kracauer (1984/1947), der Filme als Ausdruck von kollektiven Träumen und tiefenpsychologischen Dis- positionen bezeichnete und ihnen in diesem Sinne im Modus des Imaginären eine soziale Funktion zugeschrieben hat. Für den vorliegenden Gegenstandsbereich ist über Kracauer weiter hinauszugehen. Denn hier wirken filmische Wahrnehmungsmodalitäten, Projektionen des Imaginären seitens des Zuschauers, technologische Voraus- setzungen und deren kulturelle überformende Images zusammen und sind deshalb in ihren Funktionsweisen zu befragen (vgl. insbes. Perspektivierungen zur Rolle des Imaginären in diesem Zusammenhang  Kap. 6). 1.2 Methodik und Konzepte Zusammengefasst lässt sich die vorliegende Studie als wahrnehmungs- theoretische Untersuchung digitaler Reprisen von Filmen beschreiben, die sich in der bedeutsamen historischen Transitionsphase der letzten 25 Jahre zur digitalen Filmrestaurierung, -distribution, -zirkulation und -rezeption manifestierten. Die Analysen von Digitalisaten (= digitalisierten Filmen),8 digitalen Editionen und digitalen Dispositiven von Filmen nehmen eine zu- sammensehende, vernetzende Perspektive auf die involvierten medien- ästhetischen und wahrnehmungskonfigurierenden Dimensionen ein. Der Ansatz profiliert sich über die analytische Berücksichtigung von drei Ebenen, die im genannten Modus der Reprise das Erleben von medialer und filmischer Zeitlichkeit beziehungsweise zeitlicher Differenzen prägen. So werden die folgenden Ebenen aufeinander bezogen: a. die konkrete, unmittelbare Bewegtbildwahrnehmung sowie b. die medial umgebenden Konfigurationen des jeweiligen Dispositivs als Bedingung der Erscheinung der Bilder und c. die überformenden und rahmenden Diskurse insbesondere im Kontext ihrer technikgeschichtlichen sowie ökonomischen Pragmatik. Insbesondere auf dieser Ebene lässt sich mit dem von H. Böhme 8  Hier wird mit der Unterscheidung operiert zwischen analogen Filmen, die in die digitale Domäne überführt wurden und wodurch Digitalisate dieser Filme entstanden, und so- genannten Digital-born-Filmen, die direkt digital produziert wurden. Franziska Heller - 978-3-8467-6460-2 Heruntergeladen von Fink.de01/03/2022 12:27:50PM via free access „Why do they keep updating the historic movies …?“ 13 aus kulturanalytischer Perspektive geprägten Begriff des Technoimaginären (H. Böhme 2000) operieren, welcher auf seine Bedeutung für die Wahr- nehmung von digitalen Bildern und Dispositiven hin untersucht wird: Dies lässt sich mit bestimmten Wahrnehmungshaltungen und -erwartungen des Rezipienten/Konsumenten an Digitalisate verbinden. Das technologische Fortschrittsnarrativ um die digitale Domäne ist hierbei als ein medialer Wahr- nehmungseffekt zu verstehen. Dies wird – wie bereits mehrfach erwähnt – an einen filmphänomeno- logischen Erfahrungs- und Subjektbegriff gekoppelt angesichts von bewegtbild- lichen, medialen Konfigurationen, welche mit dem Fokus auf die Vermittlung von temporalen Differenzen in ihrer geschichtsbildmodellierenden Wirkung untersucht werden. Damit stellt die Studie Fragen nach medialen Vermittlungs- effekten von Geschichte, Gedächtnis und Erinnerung.9 Wie in den einleitenden Ausführungen schon deutlich wurde, wird ein auf Wahrnehmungstheorien von Bewegtbildern respektive von medialen Konfigurationen ausgerichteter Ansatz verfolgt. Dieser operiert allerdings be- grifflich an den Grenzen zu einer Vielzahl anderer Felder. So werden Termini und Konzepte aus der Zeitphilosophie, Geschichtstheorie beziehungsweise Theorie der Geschichtsschreibung, Wissenschaftsgeschichte, Kulturwissen- schaft und -geschichte sowie aus aktualisierenden Debatten in der Tradition der politischen Ökonomie adaptiert. Die unterschiedlichen Diskurse werden jeweils mit medien- und filmwissenschaftlichen Fragestellungen vermittelt. Nachstehend sollen in diesem Sinne einführend zentrale gedankliche Anleihen als zeitphilosophische, geschichtstheoretische und erinnerungs- kulturelle Prämissen offengelegt werden, welche sich im Design der Studie im Verlauf der Argumentation immer wieder als Voraussetzung finden lassen. Auf diese Weise soll der multiperspektivische Aufbau der Analysen vorab karto- grafiert und verortet werden. Wichtig an dieser Stelle ist, darauf hinzuweisen, dass ich hier nicht von Geschichte und Geschichtsschreibung im Horizont einer disziplinären Geschichtswissenschaft spreche.10 Vielmehr untersuchen die nachstehenden Analysen audiovisuelle Geschichtsbildmodellierungen von filmischen Digitalisaten auf der wirkungsästhetischen Ebene (dies unter der methodischen Maßgabe der oben genannten drei analytischen Ebenen a, b und c). 9  Vgl. grundsätzlich zu der Frage „Geschichte und/oder/als Gedächtnis“ Erll (2011: 41 ff.). 10  Zur Diskussion zum Verhältnis von disziplinärer Geschichtswissenschaft, Theoretisierung historischer Wissensproduktion wie -konstitution und der Untersuchung von Filmen vgl. ausführlicher Rothöhler (2011: 9 ff.) sowie Wendler (2014: 17 ff., 85 ff.). Franziska Heller - 978-3-8467-6460-2 Heruntergeladen von Fink.de01/03/2022 12:27:50PM via free access 14 kapitel 1 So ist mein Ansatz in zeit- beziehungsweise geschichtsphilosphischer Perspektive als eine medientheoretische Variante grundlegender Überlegungen Reinhart Kosellecks zur Semantik geschichtlicher Zeiten zu verstehen. Koselleck stellt die Frage nach den historisch bedingten Vorstellungen von temporalen Differenzen hinsichtlich ‚Vergangenheit – Gegenwart – Zukunft‘ (Koselleck 1989/1979: 9–11). Es ist eine Nähe zu Kosellecks Grundgedanken zu erkennen, indem nicht mit der Vorstellung einer geschichtlichen Zeit gearbeitet wird, sondern mit dem Konzept von pluralen sich überlagernden Zeiten (Koselleck 1989: 11); dies bedingt seinerseits eine pragmatische Perspektive auf zeitliche Verhältnisse. Hier lässt sich Kosellecks mit Blick auf seine Studie Vergangene Zukunft (1989) getroffene Formulierung medienanalytisch für meine Argumentation adaptieren (Koselleck 1989: 11): Durchgängig wird danach gefragt, wie in einer jeweiligen medialen Gegenwart zeitliche Dimensionen der Vergangenheit konstruiert und aufeinander bezogen werden. Die Hypothese ist dabei, dass sich in der Differenzbestimmung zwischen Vergangenheit und Zukunft oder, wirkungsästhetisch11 gewendet, zwischen Erfahrung und Erwartung so etwas wie ‚geschichtliche Zeit‘ fassen lässt. Erfahrung und Erwartung werden hier als zeitlich basierte Kategorien verstanden, in deren Verhältnis sich der Ein- druck von geschichtlicher Wirklichkeit manifestiert. Ein solcher Zugriff nimmt die Bedingungen möglicher Geschichtsmodellierungen in den Blick (Koselleck 1989: 351). Auf die Analyse medialer und filmischer Konfigurationen bezogen, bedeutet dies als Fragestellung: Wie werden Erfahrungen (vergangene und präsentische des medialen Eindrucks) und Erwartungen (auf Kommendes, eventuell geschürt durch diskursive Überformungen) hervorgerufen und vermittelt?12 Insbesondere mit Blick auf digitale Medientechnologien, in deren Kontexten nun Filme in Erscheinung treten, ist der auch bei Koselleck anklingende Zu- sammenhang zwischen kollektiver und persönlicher Sphäre der zeitlichen Verhältnisse zentral. Bei Koselleck geht es um die Verortung von Zeitlichkeit zwischen individuellem Erleben und kollektiven Begriffen von Zeit. Damit gerät das Wechselspiel zwischen Erfahrung und Erwartung in biografischem wie außerbiografischem Horizont in den Blick, welches die endliche Zeit eines persönlichen Lebens relativieren kann. Im gegebenen Kontext sind 11  Die ursprüngliche Formulierung bei Koselleck lautet hier „anthropologisch“ (Koselleck 1989: 11). 12  Ein maßgeblicher Unterschied im Begriffsgebrauch findet sich aber in der Verwendung von ‚Erfahrung‘: Bei Koselleck bezieht sich der Begriff auf vergangene, bereits gemachte Erfahrung, im vorliegenden Zusammenhang auf medial konfigurierte im Zeichen des Präsens, vgl. hierzu u. a.  Kap. 3. Franziska Heller - 978-3-8467-6460-2 Heruntergeladen von Fink.de01/03/2022 12:27:50PM via free access „Why do they keep updating the historic movies …?“ 15 vor diesem Hintergrund Medien – zumal digitale Medien mit ihren allgegen- wärtigen und interaktiven Zugangsmöglichkeiten – als unmittelbar wirkende Transformatoren zwischen individuellen und kollektiven Dimensionen von Erinnern und von Zukunftsentwürfen zu sehen (Erll 2011: 137). So gilt umso mehr Astrid Erlls Aussage, in der sich die Bedeutung von kollektiver Erfahrung in medialen Konfigurationen für die Erinnerungsbildung profiliert: Die erinnerungskulturell wirk- und bedeutsamen Vergangenheiten sind […] den Medien nicht äußerlich. Es sind mediale Konstrukte. Deshalb sind sie nicht falsch oder unwirklich; Medialität stellt vielmehr die Bedingung der Möglichkeit des kollektiven Bezugs auf zeitliche Prozesse dar (Erll 2011: 138). Insbesondere Massenmedien stellen demnach wichtige Konfigurations- horizonte für die Codierung von Lebenserfahrung dar. Wenn solche Codierungen – ob individuell oder kollektiv wirksam – in digitalen Medienumgebungen und ihren Wahrnehmungsbedingungen statt- finden, so sind etablierte Epistemai der digitalen Domäne, hier insbesondere Prinzipien der Entlinearisierung und Verräumlichung, als strukturierend be- sonders in den Blick zu nehmen (u. a. Flusser 1992/1988; Manovich 2001; in aktueller Perspektive Distelmeyer 2012). Vor diesem Hintergrund lässt sich auch konzeptuell Kosellecks spatiales Verständnis von Erfahrung als „Er- fahrungsraum“ und „Erwartungshorizont“ (Koselleck 1989: 354–355) fruchtbar übernehmen, da diese auch zeittheoretische Implikationen bergen. So bedingt dies zuvorderst die Loslösung von einer chronologischen Ordnung. Erfahrung sei, so Koselleck, keine Kontinuitätsstifterin im Sinne einer Addition, vielmehr manifestiere sich hier auch eine Verschränkung zeitlicher Ebenen, in der sich differenziell im Heute Vergangenheit und Zukunft verschränken (Koselleck 1989: 351–359). Wenn dabei im subjektiven Erfahrungshaushalt der betroffenen Zeitgenossen das Gewicht der Zukunft anwächst, so liegt das sicher auch an der technisch- industriell überformten Welt, die den Menschen immer kürzere Zeitspannen aufnötigt, um neue Erfahrungen zu sammeln und sich immer schneller provozierten Veränderungen anpassen zu können (Koselleck 1989: 12). Kosellecks Befund erhält umso mehr Gültigkeit, wenn die Erfahrungsräume und Erwartungshorizonte im Zeichen von digitalen Medienumgebungen gebildet werden, die bereits in ihrer technologischen und ökonomischen Anlage Politiken und Praktiken des Updatens – einer ständigen Veränderung – gehorchen, die ideologisch-diskursiv von Begriffen wie ‚Revolution‘ und ‚Fort- schritt‘ imprägniert sind; Begriffe, wie sie Koselleck schon als zentral für seine Analyse der Semantik geschichtlicher Zeiten ausmacht. So begreift auch Franziska Heller - 978-3-8467-6460-2 Heruntergeladen von Fink.de01/03/2022 12:27:50PM via free access 16 kapitel 1 Koselleck geschichtliche Zeit nicht als „inhaltsleere Bestimmung […], sondern […] [als eine] mit der Geschichte sich wandelnde Größe, deren Veränderungen sich aus der ändernden Zuordnung von Erfahrung und Erwartung“ ableiten lassen (Koselleck 1989: 354). Vor diesem Hintergrund untersuche ich die jeweiligen medialen Konfi- gurationen von Digitalisaten und digitalen Dispositiven von Filmen auf ihre Art und Weise hin, wie sie Erfahrungsräume und Erwartungshorizonte kreieren und prägen; wie in jenen zeitliche Differenzen, mittelbar auch die Erfahrung von geschichtlicher Zeit, erlebbar werden. Da sowohl auf der Analyseebene der Gegenstände mehrere Dimensionen (vgl. oben die Ebenen a, b und c) zu berücksichtigen sind und zugleich das Konzept einer vielschichtigen Zeitlichkeit verfolgt wird, operieren die konkreten Untersuchungen von Phänomenen nach einem Prinzip der Auf- fächerung: Insbesondere aufgrund der vielen konzeptuellen und begriff- lichen Anverwandlungen aus unterschiedlichen theoretischen Zugriffsfeldern werden zu Beginn jedes (Analyse-)Kapitels oft multiperspektivisch die zentralen Termini verortet und mit Blick auf den Gegenstand perspektiviert. Dann folgen konkrete Analysen von Digitalisaten oder von Phänomenen digitaler Dispositive. Insofern verstehen sich insbesondere die Überlegungen zu konkreten Fallstudien ( Kap. 4–7) als Cluster. Die clusterförmige Betrachtung von Phänomenen digitaler Wiederaufnahmen von Filmen ist gewählt, um den be- ziehungssetzenden Wahrnehmungskonfigurationen und deren Erlebensmodi, welche über kopräsente Schichtungen unterschiedlicher Zeitebenen funktionieren, Rechnung zu tragen. So verfolgen sowohl die Makro- als auch die Mikrostruktur innerhalb der Kapitel das bereits genannte Prinzip der Auf- fächerung von möglichen Perspektiven; dies eben auch angesichts der unter- schiedlichen beteiligten Disziplinen und Felder im Bereich der Digitalisierung von Filmen. Zusammenfassend lassen sich als wiederkehrende methodische Grund- elemente hierbei identifizieren und in Variationen verfolgen: – Die Notwendigkeit einer pragmatischen Perspektive: Man kann die unter- suchten Phänomene nur als performativ verstandene Sinn- und Bezie- hungsbildungsprozesse behandeln. Eine spezifische Besonderheit stellt hier dar, dass dies immer wieder auch auf die zweckgerichteten industri- ellen und ökonomischen Zusammenhänge zu beziehen ist und filmische Erfahrungen von Digitalisaten in ihrem Warencharakter mit berücksichtigt werden müssen. – Dies bedingt eine grundsätzliche Perspektive der Verzeitlichung medialer Phänomene – im Zeichen eines Epistems von Entlinearisierung und (sich Franziska Heller - 978-3-8467-6460-2 Heruntergeladen von Fink.de01/03/2022 12:27:50PM via free access „Why do they keep updating the historic movies …?“ 17 als Dispositiv oft tatsächlich konkretisierender) Verräumlichung; dies ver- stehe ich als eine Pragmatik zeitlicher Erfahrungen, welche sich in oft ver- räumlichten Relationsprozessen vollzieht. – Das Erkenntnisinteresse liegt auf den wahrnehmungstheoretischen Konse- quenzen digitaler Konfigurationen von Bewegtbildern. In diesem Kontext wird geschichtliche Zeit als medialer Effekt im Horizont einer medientech- nologischen Transition modelliert, welche häufig nur mittelbar sichtbar und erfahrbar ist. Bewegtbildwahrnehmung wird insbesondere mit Blick auf As- pekte sinnlicher und körperlicher (Raum- und Zeit-)Erfahrung analysiert. 1.3 Aufbau und Vorgehen Konkret setzen sich diese Herangehensweisen an digitale Wiederaufnahmen von Filmen – als Digitalisate und in digitalen Dispositiven – wie folgt um: In  Kap. 2 werden zunächst Merkmale digitaler Bilder, wie sie in kulturellen und ästhetischen (Bild-)Praktiken sichtbar werden, diskutiert. Dabei wird hervorgehoben, dass maßgebliche Imaginationen, die sich um die digitale Domäne ranken und die Anwendungsformen zur Folge haben, durch bestimmte technische Voraussetzungen verstärkt werden. Aber es besteht kein notwendig kausales, zwangsläufiges Verhältnis zwischen technischen Voraus- setzungen und den Anwendungsformen. Kulturelle Projektionen auf die digitale Domäne – etwa eines utopischen Potenzials – verschleiern häufig den konstruktivistischen Charakter des Verhältnisses. Dies spiegelt sich in der Profilierung der pragmatischen Perspektive auf konkrete Phänomene: Digitale Bilder verstehe ich als kulturellen, ästhetischen und technischen – in diesem Sinne zweckgerichteten – Interpretationsvor- gang. Dabei geraten auch die methodologischen Probleme einer film- und medienästhetischen Untersuchung sowie einer Mediengeschichtsschreibung in den Blick – angesichts der technischen Prämissen und der von Interessen ge- leiteten Konkretisierungen von ästhetischen Erscheinungsformen. Es ist eine kulturanalytische Herangehensweise, die stellenweise von Barbara Flückigers „technobolem“ Ansatz ergänzt wird, in dem eine Vermittlung von Prämissen und Fragestellungen aus den Naturwissenschaften und der IT-Domäne in die kulturwissenschaftliche Filmwissenschaft unternommen wird. Dennoch verortet sich meine Studie dezidiert in einer philosophisch-ästhetischen Tradition. Im Laufe der Auseinandersetzung mit Erscheinungsweisen digitaler Film- bilder als Interpretationsvorgänge wird deutlich werden, wie kontextgebunden über ästhetische, diskursive sowie dispositivische Konfigurationen temporale Franziska Heller - 978-3-8467-6460-2 Heruntergeladen von Fink.de01/03/2022 12:27:50PM via free access 18 kapitel 1 Relationen konstituiert werden. Dies wird an verschiedenen (historischen) Beispielen aus der Medien- und Filmpraxis veranschaulicht. Die pragmatische Perspektive setzt sich in  Kap. 3 fort – nun mit Fokus auf die medialen Erfahrungsbedingungen von zeitlichen Differenzen, die als Geschichte wahrgenommen werden können. Die nachhaltigen Über- formungen von Digitalisaten von Filmen im Sinne eines technologischen Fortschrittsnarrativs, welches auf deren Vermarktungsmöglichkeiten als ästhetische Ware zielt, machen es nötig, ebendiesen Warencharakter von Digitalisaten historischer Filme als Erfahrungshorizont zu modellieren. Den ersten theoretischen Zugriff ermöglichen Ansätze aus der politischen Öko- nomie in der Auseinandersetzung mit dem kulturindustriellen Komplex. Digitale Medien sehe ich in diesem Kontext weniger in einem totalitären Verblendungszusammenhang, wie ihn Horkheimer/Adorno (1971) entworfen haben, vielmehr geht es darum, die (filmindustrielle) Kulturproduktion in ihrer Konfiguration von Erfahrung und Erwartung im Warenhorizont zu begreifen. Dies wird kombiniert mit theoretischen Ausführungen zur Erkenntnis- bildung im Zeichen digitaler Medienumgebungen: Ausgehend von Michel Foucaults grundsätzlichen Überlegungen zu Bedingungen eines Archivs und zu einer Vergegenwärtigung von Wissen über Geschichte im Sinne einer Archäologie werden jüngere Anverwandlungen aus der Filmwissenschaft in Form einer Medienarchäologie aufgegriffen. Das Konzept der Archäologie als alineare, räumlich funktionierende, verhältnissetzende Netzstruktur wird dann seinerseits – gemäß dem grundlegenden Ansatz meiner Untersuchung – in der wirkungsästhetischen Dimension verortet. Die besondere Dimension von Bewegtbildern im Horizont ihres zunächst präsentisch-unmittelbar wirksamen Eindrucks macht es in der Folge not- wendig, filmische Wirkungsästhetik im Zusammenhang mit der Vermittlung von Vergangenheitseindrücken respektive ‚Geschichte‘ zu reflektieren. Dabei darf die Zugangsebene zu Bewegtbildern auf der Ebene des jeweiligen Dis- positivs, das die Bedingungen der Erscheinungsformen der Bilder erst definiert, nicht vernachlässigt werden: Deshalb wird zudem die strukturierende Rolle von Distributions- und Rezeptionsformen in die Analyse miteinbezogen. Dies wird zusammengebracht mit semio-pragmatischen Ansätzen in der Tradition von Roger Odin (1990/1984), die insbesondere von der Forschung zum Gebrauch von Archivbildern und Found Footage in Filmen aufgenommen und auf ihre geschichtsbildmodellierenden Wahrnehmungseffekte hin unter- sucht wurden. Ein kurzer Exkurs zu dem Verhältnis von Fiktions-/Spielfilmen und Geschichte ergänzt hier die Frage nach den Wahrnehmungsregistern in Hinblick auf geschichtliche Zeitlichkeit. Dies ist deshalb konzeptuell zentral, da die vorgenommenen Untersuchungen nicht von einem ontologischen Franziska Heller - 978-3-8467-6460-2 Heruntergeladen von Fink.de01/03/2022 12:27:50PM via free access „Why do they keep updating the historic movies …?“ 19 Unterschied von Bildern in der Dichotomie Fiction–Non-Fiction ausgehen. Vielmehr werden Geschichtsbildmodellierungen als ein wirkungsästhetischer Effekt zeitlicher Relationen verstanden. So werden in einem wichtigen Zwischenfazit Bewegtbilder wirkungsästhetisch als präsentische Passagen der Erinnerungs- und Geschichtsbildung konzeptualisiert; in einem zweiten Schritt werden die historiografisch wirksamen Zeitschichten des Komplexes digitaler Reprisen systematisiert und als solche begrifflich für die Studie bestimmt. Die nachstehenden Kapitel  Kap. 4–7 nehmen die Erwartungs- und Rezeptionshorizonte angesichts medienhistoriografisch wirksamer Er- fahrungsbildung in den Blick, indem sie eine Systematisierung des Erlebens und der Erfahrung zeitlicher Differenzen entwickeln. Zunächst stehen zeitliche Differenzerfahrungen und -erwartungen im Modus der Fetischisierung im Mittelpunkt:  Kap. 4 setzt sich anhand von Fall- studien mit ästhetischen Strategien von Werbeclips zu digitalen Re-Editionen historischer Filme auseinander. Dies geschieht in einem bildtheoretischen Horizont, der auf Konzepte von (zeitlich) wechselseitigen Bildern des Philo- sophen Gilles Deleuze rekurriert. Ästhetische Strategien, die mit dem Prinzip von wechselseitigen Bildern aus Erinnerungs- und Affekt-Bildern operieren, sind zentral für die Vermittlung und Funktionalisierung des Alters- und Er- innerungswerts von digitalisierten Filmen. Mit dieser Herangehensweise werden Bewegtbilder als Vollzüge zeitlicher Schichtungen charakterisiert und beschreibbar gemacht, die in nuce das wahrnehmungstheoretische Prinzip von Digitalisaten im Horizont ihres ökonomischen Zwecks – aktuelle und er- innerte Filmerfahrung als Ware – vermitteln. Dabei ist zudem wichtig, dass mit dem Rekurs auf Deleuze die Konzeptionen von Affekten und Sensationen sich von psychoanalytischen Dimensionierungen abgrenzen (vgl. hierzu weiter- führend Morsch 2010 und 2011). Vor dem Hintergrund der Auseinandersetzung mit ästhetischen Strategien mittels wechselseitiger Bilder wird ein Rezeptionshorizont entworfen, der dem einer fetischisierenden Wahrnehmungshaltung entspricht. Eine solche Profilierung der fetischisierenden Wahrnehmungshaltung greift damit in Grundelementen modernitätskritische Positionen von H. Böhme (2012/2006) auf, indem die stattfindende medienhistoriografische Erfahrungsbildung über die Imagologie der Technik (H. Böhme 2000) im wirkungsästhetischen Horizont gesehen wird: Transzendentale Erwartungshaltungen in Form eines Glaubens an die Qualität digitaler Phänomene werden in dieser Perspektive sichtbar und als maßgeblich herausgestellt. Im Horizont des pragmatischen Kontexts von ‚digitalisierte[r] Filmerfahrung als Ware‘ wird ein solcher transzendentaler „diviner Status“ zur notwendigen Erwartungshaltung und Franziska Heller - 978-3-8467-6460-2 Heruntergeladen von Fink.de01/03/2022 12:27:50PM via free access 20 kapitel 1 damit zugleich zum wirkungsästhetischen „Kapital“ – erfährt doch der Film über das tatsächliche mediale Erleben des Zuschauers in der Rezeption die vollziehende Affirmation desselben (zum divinen Status als symbolisches Kapital vgl. H. Böhme 2000). In einem weiteren Schritt werden vor diesem Hintergrund die ästhetischen Strategien der Vermittlung der grundsätzlicheren Differenz von Alt und Neu analysiert. Hier werden vor allem Erfahrungsmodi kollaborativer Vernetzungen virulent, die sich über die Schichtung und Gleichzeitigkeit unterschiedlicher zeitlicher Bezüge entwickeln. An dieser Stelle manifestiert sich die schon in  Kap. 3 modellierte medienarchäologische Perspektive auf Geschichte in der wirkungsästhetischen Dimension. In  Kap. 5 wird der Erwartungs- und Rezeptionshorizont untersucht, der auf dem Prinzip der Erfahrung der prozessualen, unmittelbaren leiblichen Teilnahme und des körperlichen Vollzugs basiert. So beleuchtet  Kap. 5 zunächst in einer theoretischen Diskussion die Vielschichtigkeit des Begriffs Performance für den untersuchten Gegenstandsbereich. Zugleich wird die Kategorie des Performativen methodologisch gewendet, um die phänomeno- logisch imprägnierten Konzepte vom (Zuschauer-)Subjekt und den körper- lichen, räumlichen Erfahrungsmodi zu entwickeln. Auf methodischer Ebene findet so eine Präzisierung der pragmatischen Perspektive in Hinblick auf digitale Reprisen und deren spezifische zeitliche Verhältniskonfigurationen statt, wobei diese nicht nur als koexistierende Schichtungen zeitlicher Ebenen verstanden werden, sondern – gemäß einer Pragmatik von Zeitlichkeit – auch als ein sich erst im Wahrnehmungsakt vollziehender Prozess. Auf bildtheoretischer Ebene ließe sich hier Rodowicks (2001) Formulierung von digitalen Bildern als „Event“ auf Digitalisate und deren Wahrnehmungs- horizonte generell übertragen: Digitalisate und Re-Editionen als Ereignis. Dies wird anhand von aktuellen Praktiken der Wiederaufnahme des frühen Kinos heute illustriert: am Beispiel der performativen Präsentation der Restaurierung eines Werkes aus der ‚pionierhaften‘ Frühphase des Kinos, anhand einer Re- Montage und Re-Edition früher Filme der Brüder Lumière und am Beispiel von Varianten der aktualisierenden Re-Imagination eines nie vollendeten Film- projekts von Orson Welles, das seinerseits pasticheartig Bezug auf das Kino der 1900er und 1910er Jahre nimmt. Das von dem Filmwissenschaftler Frank Kessler (2011) geprägte Konzept zur Beschreibung der zeitlichen Schichtungen und Relationen, die bei der Kuratierung und Vorführung von frühem Film heute zum Tragen kommen – Bridging the gap, marking the difference – wird in der Folge konkretisierend als Wahrnehmungshaltung und -effekt solcher filmischer Konfigurationen und Dispositive begriffen. Franziska Heller - 978-3-8467-6460-2 Heruntergeladen von Fink.de01/03/2022 12:27:50PM via free access „Why do they keep updating the historic movies …?“ 21  Kap. 6 nimmt die Rolle des Imaginären als mediale Erfahrung und Erwartungshorizont in den Blick. Zunächst werden dabei ästhetische Strategien fokussiert, die über die Funktionalisierung filmischer Bilder in Restaurierungsdokumentationen das Imaginäre und Phantastische ausstellen und dies auf Digitalisate und digitale Re-Editionen projizieren. Mit der Ex- ponierung des Phantastischen werden alternative, von der Realität abgelöste raumzeitliche Ordnungen sichtbar und erfahrbar; dies alles sind mediale Wirkungsdimensionen, die das vermittelte Technoimaginäre des Digitalen speisen – mit historiografisch wirksamen Implikationen: In Hinblick auf den medial-konstruktiven beziehungsweise den medial-konfigurativen Aspekt von geschichtlicher Zeit hat insbesondere Hayden White (2008/1973) der Ein- bildungskraft und der Imagination eine zentrale Stellung eingeräumt. Diese seien die treibenden Modi, in denen (alternative) Weltentwürfe und raum- zeitliche Ordnungen überhaupt erst als möglich gedacht werden könnten; die ihrerseits auch Vorstellungen und Darstellungen der Vergangenheit prägten. Hierbei nehmen sprachlich-narrative sowie – entsprechend meiner Perspektive – auch mediale Anordnungen eine zentrale Rolle ein. Die in  Kap. 6 verhandelten Bildkonfigurationen spielen wirkungsästhe- tisch konkret mit dem Imaginären des Zuschauers, indem sie mit der Schau- lust und dem filmischen Spektakel operieren. Das auf diese Weise vermittelte Technoimaginäre ist wiederum im Kontext des ökonomischen Zwecks zu sehen, der auf die Vermarktung des Erfahrungspotenzials digitaler Filme zielt. Mit Rekurs auf die aktualisierende Lektüre des Konzepts von Wolfgang Fritz Haugs Warenästhetik (2009) und mit Fokus auf deren emotive Elemente in dem Ansatz der Soziologin Eva Illouz (2011/2009) wird das Filmisch-Imaginäre hier im Kontext eines sinnlich-affektiven Erfahrungskonsums gesehen, der eine emotionale An- und Einbindung an die Filmerfahrung zusätzlich bedingt. Wie sich vor einem solchen Hintergrund nun zeitliche Differenzen und vor allem historische Fakten und Fiktionen im Modus des Filmischen vermitteln können, wird mittels unterschiedlicher Konzepte zu filmischen Geschichts- bildmodellierungen und zur Erinnerungsbildung verbunden: Die verwendeten Ansätze zu filmischen Geschichtsbildmodellierungen stützen sich auf bereits in  Kap. 3 eingeführte semio-pragmatische Ansätze zu Lektüremodi von Bildern als ‚historiografisch wirksame‘. Dies macht es möglich, die in diesem Kapitel untersuchten Bilder mit ihrer Nähe zum Phantastischen und zum medialen Spektakel als Teil der medienhistoriografischen Erfahrungsbildung zu begreifen. Wichtig ist allerdings an dieser Stelle, dass ich das Konzept der historisierenden Lektüremodi nicht nur auf Filmbilder anwende, sondern auch auf dispositive Konfigurationen im Zeichen digitaler Re-Editionen – dies Franziska Heller - 978-3-8467-6460-2 Heruntergeladen von Fink.de01/03/2022 12:27:50PM via free access 22 kapitel 1 mit besonderem Blick auf sogenanntes Bonusmaterial auf DVDs oder Blu-Ray-Discs. Deshalb stehen auch zunächst in  Kap. 6 sogenannte filmhistorische Dokumentationen als Paratexte und deren ästhetische Strategien und Bild- register im Mittelpunkt der Analyse. Dass in solchen Formaten nachhaltig unterschiedliche Quellenmaterialien aus Spiel- und Non-Fiction-Filmen im Dienste der Promotion für digitale Restaurierungen und digitale Re-Editionen verwendet werden, wird mit dem Konzept der prothetischen Erinnerung (Landsberg 2004/1996, Burgoyne 1999 in Anlehnung an Elsaesser 1996b) zusammengebracht. Auf diese Weise wird die erinnerungs- und erfahrungsbildende Dimension solcher kompilativen filmischen Paratexte modelliert – nicht zuletzt vor dem Hintergrund, dass hier das Technoimaginäre nicht nur konkret im Bild – in der Inszenierung des Phantastischen – sichtbar wird. Darüber hinaus wird die Faszination an der von der Realität losgelösten Vorstellungskraft auch zum wirkungsästhetischen Prinzip, indem über Schau- und Vorstellungslust eine Involvierung des Zu- schauers stattfindet. In dem das  Kap. 6 abschließenden Fallbeispiel werden die Konsequenzen der medialen Erinnerungskultur eines Märchenfilms diskutiert, dessen Nähe zum Phantastischen sowie dessen ritualisierte Aufführungspraxis emotional aufgeladene autobiografische Aneignungen begünstigt haben – eine exemplarische Gemengelage, die in einer publizistischen und juristischen Aus- einandersetzung um digitale Re-Editionen ihren Ausdruck und Höhepunkt fand. So stellt dieses Kapitel wirkungsästhetische Strategien in den Mittelpunkt, die das Filmisch-Imaginäre in mehrfacher Hinsicht nutzen, um das Techno- imaginäre der digitalen Domäne zu vermitteln und damit zugleich medien- historiografische Erfahrungsbildung zu betreiben. Das Filmisch-Imaginäre findet sich im Bild selbst, aber auch als sinnlicher Wahrnehmungseffekt und Involvierungsaffekt beim Zuschauer. Es werden somit zeitliche Relationen mit (medien)historiografischem Anspruch kreiert, in denen Kategorien von Fakt und Fiktion unterlaufen werden – zugunsten einer filmischen Erfahrung mit eigenen zeitlichen Ordnungen und Logiken. Diese werden sogar noch in ihrer Alterität exponiert, da sie den faszinativen Reiz der Erfahrung konstituieren. Das konkrete Erleben wiederum affirmiert das unter diesen Bedingungen ent- worfene mediale Geschichtsbild – und sei es noch so phantastisch. Die Überlegungen dieser Einleitung deuten bereits an, was insbesondere in den Analysen der Kap. 4–6 markant zutage treten wird: nämlich dass in der eingenommenen pragmatischen Perspektive und mit Blick auf (technische) Franziska Heller - 978-3-8467-6460-2 Heruntergeladen von Fink.de01/03/2022 12:27:50PM via free access „Why do they keep updating the historic movies …?“ 23 Voraussetzungen des Gegenstandes Kontextualität und Relativität von Sinn- und Bedeutungsproduktion grundlegende Prinzipien darstellen. Dies spiegelt sich in dem Umfang des die Fallstudien abschließenden  Kap. 7. Dieses widmet sich ebenjenem wahrnehmungskonfigurierenden Prinzip, das ich als Mise en Relation bezeichne: Mise en Relation wird in diesem Sinne als Wahr- nehmungsakt, -haltung und -erfahrung angesichts von zeitlichen Differenzen systemisch gefasst. Dieses Prinzip, gepaart mit Formen der medialen Migration und Zirkulation, stellt ein Kernkonzept dar, das sich anhand einer Vielfalt von Phänomenen in seinen heterogenen Nuancen und Konsequenzen diskutieren lässt. Die Erfahrung der Relativität von filmischen Werken, ihrer textuell-dramaturgischen und ästhetischen Struktur im Horizont der digitalen Domäne wird hier als eine erlebte Form der Konsekration (Bourdieu u. a. 2011c/1977) begriffen, die paradoxerweise die Erwartung und Wahr- nehmung des Erinnerungswerts sowie den Gegenwartswert eines filmischen Werkes nachhaltig prägt. Diese Annahme wird an den unterschiedlichsten Phänomenen mit Blick auf Prämissen der digitalen Domäne untersucht – dies unter den in den vorangegangenen Kapiteln schon eingeführten Epistemai wie Versatilität, Universalität und Random Access einzelner sinn- und erfahrungs- konfigurierender Module (u. a. Manovich 2001; Flückiger 2008; Distelmeyer 2012). Besonders Rezeptions- und Nutzungshaltungen des Vergleichens werden hier für die Vermittlung zeitlicher Differenzerfahrungen funktionalisiert. Eines der markantesten Beispiele hierfür ist sicherlich die Auseinander- setzung mit Konfigurationen, die eine Do-it-yourself-Geschichte suggerieren und in diesem Kontext den Zuschauer als – wenn auch zum Teil sehr limitierten – Nutzer/User zeitliche Veränderungen mit Konnotationen zur (medien)historischen Zeit (nach)vollziehen lassen.  Kap. 7 stellt in der Auseinandersetzung mit dem von mir heraus- gearbeiteten Prinzip der Mise en Relation im Umfang die resümierende Koda der Analysen in  Kap. 4–6 dar.  Kap. 8 formuliert abschließend metatheoretische Bemerkungen und Erkenntnisse zum Argumentationsverlauf der Studie. Unter dem Schlüssel- begriff Digitale Passagen wird noch einmal der Ansatz meiner Studie re- kapituliert, der ganz im Zeichen einer Pragmatik medialer Zeitlichkeit steht, die Geschichtsbilder vor dem Hintergrund der Transition analog/digital bei Filmen in einem warenästhetischen, von der Imagologie der digitalen Domäne geprägten Horizont verortet. Oft zeitigt dies, wie die ausgewählten Beispiele im Verlauf der Kapitel immer wieder aufzeigen, nachhaltige Folgen für reale, (kultur)politisch wirksame Welterfahrungen. Franziska Heller - 978-3-8467-6460-2 Heruntergeladen von Fink.de01/03/2022 12:27:50PM via free access 24 kapitel 1 1.4 Gliederungsprinzip und Korpus Die Argumentation der Studie entfaltet sich – über das vorliegende  Kap. 1 hinaus – in sieben weiteren Kapiteln. Die  Kap. 2–7 gliedern sich jeweils in zahlreiche Unterkapitel. Deren konzeptionelle Anordnung ist nicht strikt hierarchisch: In der Breite des Feldes stehen Problemkomplexe zum Teil nebeneinander und nicht immer in einer durchgängig kausalen oder linear- konsekutiv argumentativen Beziehung zueinander. Diese Anlage soll die ver- schiedenen Aspekte reflektieren, die gleichzeitig nebeneinander existieren (können) und überwiegend als kopräsente theoretisch zu systematisieren sind. Inhaltlich stehen  Kap. 2 und  Kap. 3 im Anschluss an diese Ein- leitung vorrangig, aber nicht ausschließlich im Zeichen der Verortung von Perspektiven und Methoden.  Kap. 2 widmet sich der Perspektivierung von Digitalisierung als kultureller und ästhetischer Praxis. Strukturell weicht das Kapitel insofern ein wenig von den übrigen sieben ab, als es sich aus Gründen der Übersichtlichkeit angesichts der Heterogenität der dargestellten Heran- gehensweisen in wiederum zwei thematische Blöcke teilt: Der erste Teil von  Kap. 2 setzt sich mit technisch orientierten Diskursen, den Begriffen und Konzepten von digitalen Bildern, auseinander, während der zweite Block sich mit eher kulturkritisch argumentierenden Positionen zu Phänomenen und Folgen von Digitalisierung beschäftigt und hier auch eine historisch bewusste Perspektive einzunehmen versucht.  Kap. 3 diskutiert den weiten und viel besprochenen Zusammenhang von Film, Medien, Erinnerung und Wahrnehmung von Geschichte, um vor allem auch den in dieser Studie verwendeten Begriff der Geschichtsbildmodellierung zu entwickeln. Am Ausgang von  Kap. 3 steht ein wichtiges Zwischenfazit, in dem mit Bezug auf Befunde aus  Kap. 2 und  Kap. 3 zentrale weitere Be- griffsformierungen vorgenommen werden – so etwa insbesondere die Begriffe des Clusters und der Reprise. Die darauf folgenden  Kap. 4–7 behandeln – wie auch die Gesamtüber- schrift dieses Abschnitts der Studie anzeigt – Aspekte medienhistoriografisch wirksamer Erfahrungsbildung. Allen Kapiteln ist unter diesem Vorzeichen gemeinsam, dass sie Faktoren und Funktionsweisen digitaler Reprisen in unterschiedlichen Gebrauchszusammenhängen anhand von Fallstudien analysieren. Dabei nehmen die einzelnen Kapitel durchaus abweichende Perspektiven ein und fokussieren damit zum Teil unterschiedliche ana- lytische Ebenen. So umfassen die Untersuchungen unter anderem Ansätze von Filmanalyse, Diskursanalyse, von bild-, wahrnehmungs- und erinnerungs- theoretischen Überlegungen sowie von medienarchäologisch orientierten historischen Tiefenperspektivierungen. Franziska Heller - 978-3-8467-6460-2 Heruntergeladen von Fink.de01/03/2022 12:27:50PM via free access „Why do they keep updating the historic movies …?“ 25 Bei der Auswahl der untersuchten Phänomene lässt sich ein Fokus auf den europäischen Kulturkreis, zumal auf den deutschsprachigen Raum fest- stellen. Dies gilt zwar nicht ausschließlich, liegt aber zum Teil auch in der regionalen Codierung und damit Reglementierung digitaler Distributions- und Editionsformen begründet. Zum anderen bilden wichtige sogenannte Archivfilmfestivals, die in Europa angesiedelt sind, zentrale Diskurs- und Aufführungsräume für die untersuchten Problemstellungen – namentlich Il Cinema Ritrovato in Bologna sowie Le Giornate del Cinema Muto in Pordenone, beide in Italien.13 Des Weiteren sieht sich die Auswahl der besprochenen Fälle durch das Forschungsinteresse an massenmedial wirksamen Strukturen und Funktionsweisen von kulturindustriellen Zusammenhängen geprägt. Im zeitlichen Horizont der Selektion liegt der Fokus auf der Phase der Transition – als analoge Filmtechnik auf allen Ebenen tatsächlich abgelöst wurde –, also auf Fällen aus den letzten 25 Jahren. Meines Erachtens ist dies die zentrale Periode, in der aus der Situation der medientechnischen Entwicklung heraus ohne Standards und Erfahrungswerte praktische Grundlagen und -strukturen für die Imagologie, diskursiv-ideologische Überformung, Nutzung, Anwendung und Rezeption von Filmen in der digitalen Domäne gelegt wurden. Die in dieser Phase etablierten Praktiken und Phänomene sind für die Entwicklungsgeschichte einer digitalen Kultur nicht zu vernachlässigen; einer Medienkultur, in der Bewegtbilder und filmische Formen einen wichtigen Be- standteil ausmachen. Wie schon mehrfach im Verlauf dieses  Kap. 1 formuliert, spielen Zeit und die temporale Dynamisierung konkreter Manifestationen medialer Phänomene eine zentrale und vor allem auch herausfordernde Rolle für eine derartige Untersuchung. Deshalb legt der vorliegende Band auch besonderen Wert auf die methodologischen Formierungen des Problembereichs, der von dem titelgebenden Diktum „Update!“ geprägt ist. 13  Daneben wären des Weiteren regelmäßige Veranstaltungen unter anderem in Europa, aber nicht ausschließlich zu nennen: die Reihen der Retrospektive, der Classics und der Hommage bei der Berlinale, die Internationalen Stummfilmtage in Bonn, das Festival Toute la Mémoire du Monde in Paris, das Slapstick Festival/Silent Comedy Festival in Bristol (UK), das Cinefest. Internationales Festival des deutschen Film-Erbes sowie die Veranstaltung der Stiftung Deutsche Kinemathek Film:ReStored. Das Film-Erbe-Festival. Publizistisch und mit Blick auf entsprechende Vermittlungen über Events in der breiteren Öffentlichkeit sind unter anderem – aber wieder nicht ausschließlich – die Aktivitäten der internationalen Archivverbände (FIAF und ACE) sowie bestimmter europäischer Institutionen zu nennen wie etwa die des Österreichischen Filmmuseums in Wien, des Studienprogramms der Universität Amsterdam in Zusammenarbeit mit dem Eye Film Museum; darüber hinaus Publikationen des British Film Institutes oder die Arbeiten nationaler Archive etwa in Dänemark, Finnland und Schweden. Franziska Heller - 978-3-8467-6460-2 Heruntergeladen von Fink.de01/03/2022 12:27:50PM via free access 26 kapitel 1 So wird in Anlehnung an den Einstieg in diese Einleitung wiederum eine populärkulturell-humoristische Spur des untersuchten Forschungsbereiches zitiert, um das Problem und seine mittlerweile fast sprichwörtliche Präsenz zur Anschauung zu bringen: In einer Folge der Erfolgs-Sitcom Big Bang Theory (2007–2019, hier 2011, S5E9) über eine Wohngemeinschaft von hoch- begabten, aber schrulligen Wissenschaftlern wird der Raketentechniker Howard Wolowitz ungeduldig, als er und seine Freunde einen Filmabend mit Star Wars im Heimkino machen wollen. Als zu viel Zeit vergeht, droht Howard entnervt seinem trödelnden Kollegen Sheldon Cooper: „I’m pushing Play. I mean it. If we don’t start soon, George Lucas is going to change it again.“ Franziska Heller - 978-3-8467-6460-2 Heruntergeladen von Fink.de01/03/2022 12:27:50PM via free access Perspektiven und Methoden Franziska Heller - 978-3-8467-6460-2 Heruntergeladen von Fink.de01/03/2022 12:27:50PM via free access Franziska Heller - 978-3-8467-6460-2 Heruntergeladen von Fink.de01/03/2022 12:27:50PM via free access kapitel 2 Digitalisierung als kulturelle Praxis und ästhetisches Phänomen Die Kultur-, Film- und Medienwissenschaft blickt nun auf mittlerweile über 30 Jahre Auseinandersetzung mit den sogenannten Computertechnologien und den einhergehenden (multi)medialen Phänomenen zurück. Nicht nur innerhalb einer kulturwissenschaftlichen Medienwissenschaft – auch in anderen Bereichen – ist das Feld extrem disparat, heterogen und damit recht unüberschaubar. Gerade deshalb ist es mit Blick auf das spezifische Interesse meiner Untersuchung an geschichtsbildmodellierenden und erinnerungs- bildenden Prozessen digitalisierter Filme zentral, einige Positionen zu be- stimmten medialen und soziokulturellen Entwicklungen und Phänomenen historisch und ideengeschichtlich einzuordnen. Das Kapitel stellt kumulativ ausgewählte Ansätze und Perspektiven unter Berücksichtigung des jeweiligen medienhistorischen Kontextes dar, die für die Gesamtargumentation von Relevanz sind. Es geht weniger um die Entwicklung einer zentralen These als vielmehr um eine Auffächerung der Vielfalt der Betrachtungsmöglichkeiten des Phänomens digital, die von bestimmten technischen Grundbedingungen digitaler Bilder verstärkt werden. Grundlegendes Ziel ist es, den Komplex digital als kulturelle Praxis sowie als vom Kontext abhängiges ästhetisches Phänomen für die anschließenden Kapitel zu würdigen und zudem wieder- kehrende Diskurstopoi zu extrapolieren. Auch gilt es hierbei, entsprechend der Terminologie des kulturgeschichtlichen Ansatzes von H. Böhme (2000) auf die Imagologie der digitalen Domäne, das spezifisch Technoimaginäre, hinzuweisen. Dieses  Kap. 2 gliedert sich in zwei Teile. Der erste Teil beschäftigt sich mit Begriffen und Konzepten. Hier werden die technischen Grundlagen digitaler Bilder und ihrer ästhetischen Erscheinungsformen erläutert. Dies schließt, wie die Argumentation zeigen wird, für den vorliegenden Gegenstandsbereich fundamental an die Verhältnisbildung analog/digital an; zugleich bedeutet dies eine Re-Modellierung von Vorstellungen des Mediums Film im Horizont von Digitalisierungsprozessen, was anschließend erläutert und diskutiert wird. In der Folge wird der Begriff digital aus kulturwissenschaftlicher Perspektive im Horizont medienhistoriografischer Konzepte präzisiert. Dies führt zu methodo- logischen Überlegungen, die nicht abzulösen sind von fachpolitischen und disziplinären Debatten, die sich in der Perspektivierung des Verhältnisses von © Franziska Heller, 2020 | doi:10.30965/9783846764602_003 This is an open access chapter distributed under the terms of the CC BY-NC-ND 3.0 licFerannszeis. ka Heller - 978-3-8467-6460-2 Heruntergeladen von Fink.de01/03/2022 12:27:50PM via free access 30 kapitel 2 Technologieentwicklung, Medienbegriff, kultureller Rahmung, Vorstellungen von historischer Dynamik und ästhetischen Strukturen manifestieren. In diesem Abschnitt wird zum einen der kulturkritische Ansatz der Studie ge- schärft, zum anderen der Begriff der Transition als Konzept von Geschichtlich- keit angesichts von medialen Phänomenen hergeleitet. Der zweite Teil dieses Kapitels (Digitalisierung, Gesellschaft, Ästhetik und Geschichte) markiert vor allem den Übergang zur Beschäftigung mit Positionen, die noch stärker die soziokulturelle Umgebung digitaler Techno- logien untersuchen und diese auf ihre impliziten Ideologien hin analysieren. Hier gilt das besondere Augenmerk den Auswirkungen konkreter Phänomene auf Konzeptionen von Ästhetik, Geschichtlichkeit und Geschichte. Dies wird an einem historischen, vordigitalen Fallbeispiel der marktorientierten ästhetischen Anpassung von Filmwerken angesichts neuer Medien- umgebungen veranschaulicht: konkret am Beispiel der in den USA der 1980er Jahre geführten Colorization-Debatte, die durch die elektronische/maschinelle Nachkolorierung von Filmklassikern für das Fernsehen ausgelöst wurde. Ins- besondere mit diesem historischen Fallbeispiel werden Praktiken der Medien- industrie und deren Konsequenzen für populäre Gedächtnisbildung sichtbar, die noch vor der eigentlichen sogenannten digitalen Revolution grundlegende Fragen aufwarfen. Zudem ermöglicht dieses Beispiel eine Präzisierung des Gegenstandbereiches dieser Studie mit Blick auf den Begriff von Populär- kultur und die dort stattfindenden Geschichtsbildmodellierungen. Auch wird hier deutlich, welch dynamisierende Funktion die Digitalisierung von Filmen aus dem Archiv – in einem weiteren Sinne als das Verfahren der Colorization – als (erinnerungs)kulturelle Praxis für unser Geschichtserleben einnimmt. Zur Veranschaulichung der Thesen schließt das Kapitel mit einem weiteren, dies- mal jüngeren Beispiel aus der deutschen Fernsehpraxis, das sich dezidiert nicht mehr im Bereich von historischen Spielfilmen, sondern im Bereich der Non- Fiction bewegt und damit den Anspruch erhebt, Geschichte wiederzugeben – aktualisiert und ästhetisch angepasst mit digitalen Technologien. Begriffe und Konzepte 2.1 Die Ästhetik digitaler Bilder als Interpretationsvorgang In der Grundlagenliteratur zur digitalen Bild- und Videotechnik aus den 1990er Jahren wie etwa Charles Poyntons Introduction to Digital Video (1996) werden vor allem vier Begriffe als Basisprinzipien genannt: Quantisierung, Auflösung, Franziska Heller - 978-3-8467-6460-2 Heruntergeladen von Fink.de01/03/2022 12:27:50PM via free access Digitalisierung als kulturelle Praxis 31 Kompressionsalgorithmen, Abtastung. Hier wie auch in spezialisierten Handbüchern – etwa zu dem weiteren zentralen Thema der Verarbeitung von Farbinformationen1 – wird deutlich, dass eines der Hauptaugenmerke in der Beschäftigung mit digitalen Bildern die polymorphe Eigenschaft der Informationen ist, wobei digital bedeutet, dass die Informationen im Grund- prinzip in einer binären Struktur – 1 und 0 als diskrete, in sich abgeschlossene Werte – vorliegen. Die jeweilige Verarbeitung, das heißt Interpretation der Informationen in unterschiedlichen Umgebungen sowie die Kommunikation von Daten, stellt das Zentrum der Diskussion dar und wird deshalb in spezialisierten Studien in den Blick genommen.2 Denn dies ist wesentlich für die Vorstellung, dass digitale Informationen immer eines Interpretationsvorgangs bedürfen: Digitale Informationen, als numerische Werte definiert, besitzen keine inhärente visuelle Bedeutung (Stone 2003). Allerdings wird die Abhängigkeit der Interpretation der digitalen Daten von ihrem Kontext in den entsprechenden Einführungen im Rahmen dieses technisch geführten Diskurses nicht auf pragmatische, soziokulturelle Um- gebungen ausgeweitet – wie etwa auch auf eine mögliche Historizität von ästhetischer Wahrnehmung und von Bildkonzepten. Insgesamt herrscht in dieser Form der Einführungsliteratur das Interesse an den technischen Problemen der digitalen Domäne und Bildgebungsverfahren vor, eine sozio- kulturelle und ästhetische Kontextualisierung wird hier kaum unternommen. Eine der wenigen Ausnahmen ist die Arbeit von Barbara Flückiger seit den 2000er Jahren, da sie in ihrem „technobolen Ansatz“ (Flückiger 2008: 16) technische Aspekte mit den ästhetischen Konsequenzen verbindet, die sie unter anderem als historisch geprägt und gewachsen versteht. Insofern ist es schwer – wie Flückiger ausführlich darstellt (2008: 31 ff.) –, grundlegende Eigenschaften von digitalen Bildern überhaupt zu bestimmen.3 Flückiger 1  Handbücher wie das der GretagMacbeth Group (1999) bieten anschauliche Basiserklärungen zur Farbmischung, Farbtemperatur sowie zur Kalibrierung unterschiedlicher Ein- und Aus- gabesysteme (etwa Scanner, Monitor). 2  Diese Elemente spielen in der Digitalisierung beziehungsweise in den Scanprozessen von Filmen eine zentrale Rolle und bestimmen das spätere Digitalisat (Wittmann 1999; zur Licht- bestimmung/zum Grading vgl. Hullfish 2008; Flückiger 2012; Flückiger/Heller/Op den Kamp et al. 2016). 3  Simon Rothöhler hat zuletzt den Diskurs um die grundlegenden Eigenschaften digitaler Bilder in eine bildtheoretisch logistische Perspektive gerückt, indem er digitale Bilder in ihren besonderen mobilen Eigenschaften fasst, die Transportkalkülen gehorchen. Er folgt damit einem Ansatz, der sich von Flückigers „technobolem“ Ansatz vor allem in der theoretischen Reichweite und dem Bezug zur konkreten Populärkultur unterscheidet (vgl. Rothöhler 2018). Eine wichtige Referenz stellt für Rothöhler etwa Claus Pias (2003) dar. Franziska Heller - 978-3-8467-6460-2 Heruntergeladen von Fink.de01/03/2022 12:27:50PM via free access 32 kapitel 2 nennt deshalb nur einige wenige Parameter, die allen digitalen Bildern ge- mein seien: Digitale Bilder bestünden aus diskreten Feldern, den Pixeln, deren Eigenschaften durch einen binär codierten mathematischen Wert definiert seien. Diese Pixel seien gitterförmig – horizontal und vertikal – angeordnet (Flückiger 2008: 31). Um den Gegensatz zur ‚analogen‘ Domäne, das heißt vor allem auch zu fotochemischen bildgebenden Prinzipien hervorzuheben, die im Aufnahme- verfahren tatsächlich fotochemisch und physikalisch mit der außermedialen Realität interagieren, zitiert Flückiger Mitchell (1992). Dieser beschreibt anschaulich die Differenz der Art und Weise, wie eingehende Signale als kontinuierlicher physikalischer Fluss in Informationen und dann über den Kontakt mit einem fotochemischen Material in ein Bild umgewandelt werden: Analoge Signale könnten unendlich viele Werte annehmen, so entsteht ein kontinuierlicher Fluss in den Werten. Wird ein Signal digitalisiert, bedeutet dies eine mathematische Zerlegung des Signalflusses in eine diskrete, binäre Struktur, das heißt, jedem Wert wird ein einzelner, in sich abgeschlossener, von den anderen Werten ab- gegrenzter Wert zugeordnet. Mitchell (1992) illustriert den Unterschied mit dem differenziellen Bild einer Rampe und einer Treppe: „Rolling down a ramp is a continuous motion, but walking down stairs is a sequence of discrete steps – so you can count the number of steps, but not the number of levels on a ramp“ (Mitchell 1992: 4). Diese Stufen werden – dem abstrahierenden Prozess als mathematische Vermessung folgend – durch Bits codiert, die wiederum in Bytes organisiert sind. Ein Bit (binary digit) ist die kleinste Informationseinheit in diesem System, bestehend aus 0 oder 1. Dieser Prozess der Zerlegung in diskrete Werte ist der Prozess der Quantisierung, in dem die Werte mathematisch in einem Intervall eindeutig zugeordnet werden. Die Zuordnung funktioniert nur im Rahmen eines bestimmten, vordefinierten Bereichs. Mit anderen Worten, die Quantisierung erfolgt nach Regeln, die fest- legen, was im darstellbaren Bereich des entstehenden Bildes liegt und was nicht. Was außerhalb des codierbaren Bereichs liegt, wird ignoriert oder den maximalen äußeren Grenzen zugeordnet (Flückiger 2008: 35).4 So zeigt Flückiger nicht nur die technische Bedeutung dieser Prozesse als Grundeigenschaften auf, sondern macht auch auf die kulturellen und memo- politischen Konsequenzen aufmerksam: 4  Als etwas verkürztes Anschauungsbeispiel: Ist etwa der als schwärzester Punkt eines Farb- raumes definierte erreicht, kann er nicht überschritten werden. Vgl. hierzu das Phänomen des Clippings bei Flückiger (2008: 35). Franziska Heller - 978-3-8467-6460-2 Heruntergeladen von Fink.de01/03/2022 12:27:50PM via free access Digitalisierung als kulturelle Praxis 33 Die binäre Kodierung ist nicht nur das entscheidende Grundcharakteristikum aller digitaler Daten und damit selbstredend aller digitalen Bilder, sondern auch der Kern- und Angelpunkt ihrer ästhetischen und kulturellen Wirkung. Aus dieser Darstellung geht hervor, dass Quantisierung ursprünglich eine Verein- fachung darstellt, denn die diskrete Kodierung in Stufen führt zum Verlust aller Nuancen dazwischen (Flückiger 2008: 35). So bieten digitale Bilder gleich auf zwei Ebenen Anlass zur Interpretation: Zum einen auf dem Niveau der ursprünglichen ‚analogen‘ Signalverarbeitung, da sie grundsätzlich eine abstrahierende Zerlegung in mathematische Prinzipien be- deuten. Mit den Worten Flückigers: „Wenn analoge Daten digitalisiert werden, sei das durch digitale Aufnahme oder durch Scannen, findet eine Übertragung nach bestimmten Regeln statt“ (Flückiger 2008: 35).5 Diese Regeln sind zu- nächst mathematisch und durch die Aufnahmeapparatur bestimmt. Wie aber vor allem Flückiger/Heller/Op den Kamp et al. 2016 nachgewiesen haben, können sich diese Vorgänge ebenfalls in einem viel größeren soziokulturellen Netzwerk bewegen, welches mit den technischen Parametern interagiert und jeweils die digitalen ‚Erfassungsregeln‘ bestimmen kann. Zum anderen tragen die Daten keine visuelle Bedeutung in sich, sie müssen erst als Bilder in ihrer Erscheinungsform decodiert werden. Auch dies wird von verschiedenen Faktoren bestimmt, die über den zunächst erst einmal augen- scheinlich computerisierten Vorgang einer Decodierung hinausgehen. So werden etwa in der Festlegung einer Erscheinungsform als Ziel – wie das Bild auszusehen hat, das man aus den Daten extrapoliert – bereits kulturelle und ästhetische Setzungen vorgenommen, was man im gegebenen Kontext unter 5  In Hinblick auf den konkreten Transitionsprozess physikalischer Phänomene in die digitale Domäne weist Flückiger auf die Bedeutung einer Doppelperspektive hin: Nicht nur muss man die digitale Domäne in ihren Funktionsprinzipien verstehen, man muss auch die ästhetischen und wirkungstheoretischen Prämissen des Ausgangsmaterials kennen. Danach gilt es, die Bedingungen (‚Regeln‘) der Transition zu modellieren, wobei sich die ‚Regel- bildung‘ im technischen Ablauf noch einmal aufgrund der Inputdaten wiederholt. Es muss eine Analyse stattfinden, in deren Verlauf das physikalische Phänomen oder die analogen Bilddaten nach vorgeschriebener Routine in die binären Codes transformiert werden. Dazu entnimmt man den zu verarbeitenden Daten in zeitlichen und örtlichen Intervallen Stich- proben. Diesen Vorgang bezeichnet man als Abtastung (sampling). Entweder tastet man mit einer Stichprobe (sample) pro Pixel ab oder mit mehreren Stichproben (oversampling) oder mit weniger als einem Sample (subsampling). Filtern ( filtering) legt die örtliche und zeitliche Verteilung des Abtastens fest und definiert, welche Ausschnitte aus dem Datenfluss welchen Stichproben zugeführt werden, um Zufallsartefakte als Bildfehler zu vermeiden. Die ana- logen Ausgangsdaten des vorliegenden analogen (Film-)Bildes müssen also erst analysiert werden, bevor die Quantisierungsregeln greifen können, nach denen man sie in die binären Codes überträgt. Die Kombination von Abtasten und Filtern stellt einen grundlegenden Prozess der digitalen Bilderzeugung dar (Flückiger 2008: 35–36). Franziska Heller - 978-3-8467-6460-2 Heruntergeladen von Fink.de01/03/2022 12:27:50PM via free access 34 kapitel 2 dem beziehungsweise noch grundsätzlicher einem Bild versteht – unter Um- ständen mit Bezug auf eine Referenz aus der analogen (Medien-)Welt (dazu später mehr). Hier werden vielfältige Mechanismen nachhaltig wirksam, die ich in ihrer kulturgeschichtlich und damit memopolitisch formierenden Dimension untersuche. Die Notwendigkeit, Daten in ihrer Manifestation als Bilder in ihrer ästhetischen Erscheinungsweise einem technischen wie kultur- sowie kunst- politisch geprägten Interpretationsvorgang zu unterwerfen, damit sie sicht- bar und erfahrbar werden, zeitigt Konsequenzen für die Beschäftigung mit dem Phänomen digitaler Bilder in geisteswissenschaftlicher, ins- besondere medienanalytischer und -ästhetischer Perspektive. Flückiger kritisiert hier, dass in der medien- und kulturwissenschaftlichen Literatur vor allem Übergeneralisierungen vorgenommen werden, in denen zu ein- fache Kausalzusammenhänge zwischen dem Darstellungsprinzip digital und produktionstechnischen Praktiken sowie ästhetischen Erscheinungsweisen vorausgesetzt werden. So stellt die Frage nach dem Status des digitalen Bildes – dem ‚digitalen Bild an sich‘ – einen Schwerpunkt der Debatte insbesondere in der deutschsprachigen Forschung dar. Ein solcher Status wurde vor allem über die Konstruktion von Gegensatzpaaren konstruiert (Flückiger 2008: 13 ff.).6 Vor diesem Hintergrund konstatiert Flückiger 2008 mit Blick auf die Forschungsliteratur: 6  Diese methodologische Problematik wird deutlich, betrachtet man Publikationen aus den 2000er und 2010er Jahren. Es gibt zahlreiche Veröffentlichungen in Sammelbänden, die informative Einblicke in Einzelphänomene digitaler Bilder aus unterschiedlichsten Perspektiven liefern (Segeberg 2012a; Schröter/Stiglegger 2011; Slansky 2004). Oft geschieht dies unter unterschiedlichsten Vorzeichen und Perspektiven, was einen allgemeinen Über- blick schwer macht. Ein Problem der fehlenden Übersicht liegt vor allem darin begründet, dass die jeweilige digitale Technik ganz unterschiedlich begriffen werden kann. Je nach Aus- gangsdefinition formiert sich die Idee der technischen Bedingungen, die unter dem Begriff digital gefasst werden. Diese werden in unterschiedliche Kausalitätsketten zwischen techno- logischer Bedingung und der entstehenden Bildästhetik eingeordnet. Dies kann von der Aus- einandersetzung mit den Kameras beziehungsweise den hier verwendeten Sensoren und Chips als Erfassungs- und Transformationssysteme (Hahn 2005) bis hin zur Beschäftigung mit der Mobilität und Handlichkeit der Kameras reichen – auch mit Anbindung an einen Überwachungsdiskurs und soziale Medien (Rothöhler 2013; Kammerer 2008; Kulle 2013). HD als Schlagwort wird wiederholt mit der Bestimmung digitaler Ästhetik in Zusammenhang ge- bracht (Rothöhler 2013; Ritzer 2011); Interaktivität, Immersion (u. a. Neitzel/Nohr 2006) und Echtzeit (Otto/Haupts 2012) als Bestimmung einer sogenannten ‚digitalen Kultur‘/‚Digital- kultur‘ stellen weitere wiederkehrende Topoi dar. Aspekte der Indexikalität beziehungsweise simulatorische und mimetische Eigenschaften von digitalen Daten in Hinblick auf ‚ältere‘ Medienphänomene wie analoge Filmbilder schließen an die Abbildungsproblematik an. Die Abbildungsproblematik ist wohl eine der zentralen (historischen) Topoi in der Auseinander- setzung um digitale Bilder (Doll 2012). Franziska Heller - 978-3-8467-6460-2 Heruntergeladen von Fink.de01/03/2022 12:27:50PM via free access Digitalisierung als kulturelle Praxis 35 Viele Medientheoretiker befassen sich sozusagen mit dem ‚digitalen Bild an sich‘, einer gleichsam überhöhten Simplifizierung des riesigen Gebiets von An- wendungsfeldern des digitalen Bildes, das […], wo immer es erscheint, ebenso sehr von seinem kulturellen Kontext geprägt sein wird, wie es sich wiederum auf diesen Kontext auswirkt (Flückiger 2008: 19). So bringt es Flückiger 2012 auf die Formel: „Es gibt nicht das digitale Bild, sondern nur eine Vielfalt von ihm“ („there is no such thing as the digital image, only a variety thereof“) (Flückiger 2012: 10, Hervorh. FH).7 Maulko teilt Flückigers Abkehr von einem essenzialistischen Konzept von digital, wenn er schreibt: Digitalästhetik ist zu wesentlichen Teilen das, was wir speziell in kulturellen, wahrnehmungsästhetischen und visuellen Diskursen daraus machen, was wir dafür halten und was wir in verschiedenen Phasen der Entwicklung den Visualisierungen zuschreiben (Maulko 2012: 53). Was Flückiger als „Übergeneralisierungen“ beschreibt und worauf auch Maulko mit Blick auf „digitale Ästhetik“ aufmerksam macht, kann als zentrales Problem der Forschung im Zeichen der Medientransition analog/ digital ausgemacht werden: Oft wird in Studien lediglich ein Aspekt digitaler Bilder herausgegriffen und fokussiert. Dieser ausgewählte Aspekt wird als be- stimmendes Charakteristikum begriffen und auf ästhetische Merkmale der konkreten visuellen Manifestation bezogen, was dann unter Umständen zur Behauptung einer kausalen Beziehung zwischen ausgewähltem Aspekt und digitaler Bildtechnologie führt.8 Ich vertrete einen anderen Ansatz: Insbesondere bei mediengeschicht- lichen oder -ästhetischen Fragestellungen ist vor allem die fehlende Stabilität und Identität von digitalen Bildern immer mitzudenken. Dass eine konkrete (audio)visuelle Manifestation bereits die sinnliche Form eines kulturpolitisch wirksamen Diskurses im Modus des Ästhetischen darstellt, ist als eine zentrale Herausforderung dieses Problemfeldes zu sehen. Die vielschichtigen Interpretationsvorgänge, die bestimmen, wie ein digitales Bild zu seiner Erscheinung kommt, sind nachhaltig kontextuell und 7  Flückiger differenziert weiter aus: „There is a big difference whether a digital image is captured with a digital camera or whether it was generated by means of computer software. In addition, there are processes that translate analog images into the digital domain, either to render them with software for compositing, along with other post-production tools such as editing or color grading, and/or to display them on electronic devices“ (Flückiger 2012: 10). 8  Eine Publikation, die sich dieser Problematik bewusst ist, ihr aber trotzdem nicht ganz ent- geht, ist Rothöhlers Buch (2013) zu digitaler Filmästhetik im Horizont von High Definition. Franziska Heller - 978-3-8467-6460-2 Heruntergeladen von Fink.de01/03/2022 12:27:50PM via free access 36 kapitel 2 situativ gebunden. Dies gilt auf der Ebene des Scannens, der Datenverarbeitung wie auch zusätzlich für die Speicher- und Wiedergabegeräte, das heißt für die jeweilige Medienumgebung, in deren Rahmen die Bilder sich manifestieren. Gerade die Wahl und der konkrete Gebrauch des Rezeptionsmediums be- inhaltet einen weiteren, nicht zu vernachlässigenden Interpretationsvorgang. Es enwickelt sich hier eine komplexe Wechselwirkung: Die Bilder und ihre Er- scheinungsformen stehen im Zusammenhang mit (historisch gewachsenen) Vorstellungen etwa von Ästhetik und ,Schönheit‘; gleichzeitig werden diese Vor- stellungen an die Bedingungen gegenwärtiger Medienumgebungen angepasst. Als Teil der aktuellen Medienkultur nehmen die Bilder mit ihren Erscheinungs- weisen dann wieder Einfluss auf die Geschmacksbildung und Erwartung an (historische) Filme und deren Aussehen. Damit findet eine ständige, wechsel- seitig wirkende Aushandlung der Bedingungen der Erscheinungsweisen digitaler Bilder statt – zwischen vergangenen, konditionierend wirkenden medialen Praktiken und gegenwärtigen Manifestationsformen. 2.2 Die Relation analog/digital als Bedingung der Erscheinungsform digitaler Bilder Bei der kulturellen Prägung hinsichtlich des Aussehens medialer, das heißt hier technisch reproduzierter Bilder, nimmt der Begriff analog als historische Referenz eine zentrale Rolle ein. Insbesondere vor dem Hintergrund, dass digitalen Bildern eine visuelle Identität, wie sie ontologisch etwa an analogen Bildern medienhistorisch festgemacht wurde, fehlt, formuliert Schröter die Notwendigkeit der ‚Bändigung‘ dieser Unbestimmtheit durch die historisch gewachsene und konditionierend wirkende Medientechnik des Analogen: [M]an [könnte] mit einem durch die Kittler-Brille gelesenen Luhmann das Digitale als Medium begreifen, welches durch analoge Formen strikter gekoppelt wird, ja werden muss, da es selbst leer und offen, mithin absolut unbestimmt ist. Dann kämen nicht die digitalen nach den analogen Medien, sondern viel- mehr würden die analogen Medien durch ihr digitales Sampling, ihre digitale Simulation zugleich beendet wie fortgesetzt […]: Indem die digitalen Techniken auf die bislang von den analogen Medien gehaltenen, ‚medialen Plätze‘ ein- rücken […], werden sie erst Medien. Die digitalen Medien wären sozusagen nur ein neuer Aggregatzustand ihrer analogen Vorläufer (Schröter 2004a: 24). Mit dem Rekurs auf die Möglichkeiten, mittels digitaler Informationen ana- loge Verfahren simulieren zu können, betont Schröter die Herausforderung, die digitale Daten als ästhetische Ausdrucksform für die Konzeption von Franziska Heller - 978-3-8467-6460-2 Heruntergeladen von Fink.de01/03/2022 12:27:50PM via free access Digitalisierung als kulturelle Praxis 37 mediengeschichtlicher Dynamik darstellen. Nicht nur ist der Übergang von analogen zu digitalen Medientechniken kaum als Bruch anzusehen, vielmehr, so Schröters und Flückigers Argument, werden Erfahrungen aus der ana- logen Mediengeschichte benötigt, um digitale Bilder als solche sicht- und les- bar zu machen. Dies wird in einem weiteren, später folgenden Unterkapitel als medienhistoriografische Herausforderung mit dem Begriff der Transition präzisiert werden.9 Schröter resümiert die Diskurslinien, die sich um das medientheoretisch zentrale Differenzverhältnis analog/digital ranken und in der Unbestimmtheit von digital begründet liegen. Seine Befunde lassen sich in ihrer ideologischen Dimension in Hinblick auf die Vermittlung von temporalen Relationen durch- aus bis heute erkennen: Mit der [seit Beginn der 1990er Jahre, FH] überall ausgerufenen ‚digitalen Revolution‘ kamen die ‚Neuen Medien‘ – und mit diesen die angeblich für immer prosperierende ‚New Economy‘, die ‚Hyperrealität‘ oder doch mindestens das ‚Ende des fotografischen Zeitalters‘. ‚Digital‘ ist mittlerweile ein buzzword ge- worden, das fast jedem Phänomen zugeordnet werden kann. Es konnotiert auf diffuse Weise ‚neu‘, ‚fortschrittlich‘ und ‚computer-technisch‘. Demgegenüber scheint alles Analoge auf unbestimmte Weise hoffnungslos veraltet (Schröter 2004a: 7). Gerade durch seine Unbestimmtheit benötigt digital – nach Schröter – in der mediengeschichtlichen Narration die Differenz zu analog. Die Macht der Unterscheidung liegt vor allem in der ideologisch interessegeleiteten Konstitution einer hierarchischen Opposition. In dieser Verhältnissetzung ist das Analoge10 als das Ursprüngliche, Natürliche, Reale oder kausal mit dem Realen Verbundene, als das Amorphe konnotiert. Das Digitale hingegen steht in dieser Perspektive für das Omnipotente, Universelle, ja Kulturelle (Schröter 2004a: 14). Diese diskursanalytisch ausgerichteten Befunde Schröters sind insofern wichtig, als sie die interessegeleitete, vom Kontext abhängige ideologische Aufladung der Images zweier Medientechnologien aufzeigen, die sich in Bildgebungsverfahren als Praktiken – besonders im Kontext der Debatte um Filmbilder – manifestieren. Begründet in der Unbestimmtheit der einen 9  Schröter diskutiert den historiografisch modellierenden Begriffsgebrauch wie folgt: „Medienumbrüche sind keine absoluten Einschnitte und Risse, sondern Umordnungen komplexer Konstellationen. Deswegen heißen sie auch Umbrüche im Gegensatz zu Brüchen“ (Schröter 2004a: 29). 10  Der substantivierende Begriffsgebrauch wird hier punktuell von der Quelle übernommen, da es hier um die homogenisierend wirkenden Images von Medientechnologien geht. Franziska Heller - 978-3-8467-6460-2 Heruntergeladen von Fink.de01/03/2022 12:27:50PM via free access 38 kapitel 2 (digital), unterliegt die andere (analog) einer Homogenisierung im Sinne einer Festschreibung auf ein differenzielles Prinzip, das in diesem Narrativ die Konnotation eines fass- und fixierbaren Ursprungs vermittelt.11 Hier wird diskursiv die Voraussetzung dafür geschaffen, dass etwa analoge Film- geschichte als etwas natürlich Gegebenes konstruiert werden kann, welches dann technizistisch (= digital) im medientechnologischen Fortschrittsnarrativ kulturell fassbar, aktualisiert und zugänglich gemacht wird.12 2.3 Zwischenfazit: Images, Mythen und Versprechen neuer Medien Mit Blick auf die technologische Entwicklung lässt sich ein historisches Kontinuum vom mechanischen über das elektronische bis hin zum digitalen Zeitalter nachzeichnen. Damit wird ein Trend sichtbar, der weg von dem konkret Haptischen hin zu Modi der Abstraktion führt (Flückiger 2008: 43). Damit einher geht auch die Auflösung der Annahme einer unverbrüchlichen Verquickung von Material und Wahrnehmungsgegenstand hin zu einer eher losen Verbindung, was Le Grice (1998) als akzidentell bezeichnet. Unter diesen Vorzeichen, so meine Konklusion, rücken die Umstände und Kontexte von Wahrnehmungsgegenständen und -phänomenen als sinn- und bedeutungs- konstituierende Faktoren in den Fokus. Im vorangegangenen Abschnitt wurde in mehrfacher Hinsicht hervor- gehoben, wie digitale Informationen an sich polymorph sind. Das heißt je nach Aufnahme-, Speicher-, Wiedergabe- und Ausgabesystem sind die Er- scheinungsformen von digitalen Bildern wandelbar. Damit stellt sich auf 11  Dies zeitigt auch Konsequenzen für das Verständnis der mediengeschichtlichen Dynamik im Horizont eines radikalen Umbruchs: „Sicher hat sich […] die emphatische Reduktion der komplexen medialen Transformationen und Verschiebungen auf eine ‚digitale Revolution‘ überlebt. Das ist schon daher naheliegend, weil die Behauptung eines reinen Übergangs vom Analogen zum Digitalen ausblenden muss, dass analog und digital immer nur differenziell aufeinander bezogen Sinn machen“ (Schröter 2004a: 29). 12  Schröter zeigt in seiner Diskursanalyse, wie nicht nur der Bildästhetik, sondern auch digitalen Speicher- und Wiedergabemedien allgemein ein ‚intensiveres‘ (Abbildungs-) Verhältnis zur Wirklichkeit zugeschrieben wurde – allerdings in einer sich durchaus paradox entwickelnden Spirale der Konnotationen: „Mit der CD wurde die Analog/ Digital-Differenz immer bekannter, ja ganz konkret fassbar, und mit ihr die genealogisch angelegten Konnotationen: Euphorisch wie kulturkritisch etablierte sich die unter- komplexe Dichotomie analog = real, aber auch mit den Trübungen der Welt behaftet vs. digital = hyperreal, also realer als real, aber potenziell auch irreal“ (Schröter 2004a: 16). Franziska Heller - 978-3-8467-6460-2 Heruntergeladen von Fink.de01/03/2022 12:27:50PM via free access Digitalisierung als kulturelle Praxis 39 verschiedenen Ebenen die Frage, wie man den Referenzrahmen setzt, um die Ästhetik der Bilder zu definieren und zu qualifizieren.13 Wie bereits mit Rekurs auf Schröter angedeutet wurde, nun aber noch medienspezifisch erweitert werden muss, bedingen digitale Bilder als Film- bilder ein besonderes Verhältnis zur Medien- und Filmgeschichte, da Film als historisch älteres Medium zu einem heterogenen Referenzrahmen für Ästhetik, Narration und dispositivische Strukturen werden kann. Im diskurs- analytischen Ansatz Schröters wurde deutlich, wie über die diffusen Images von analog wie digital historiografisch wirksame Setzungen vorgenommen werden; dies vor allem mit Blick auf temporale Verhältnisse, insbesondere auf die Konstitution von zeitlicher Distanz. Hierbei entscheidend ist die hierarchische Anordnung von analog/digital, die ihren Ursprung in den technischen Möglichkeiten der digitalen Domäne der Simulation14 und Emulation15 hat, sich aber dann ideologisch in ein Fort- schritts- und Überlegenheitsnarrativ einschreibt – mit praktischen kultur- und memopolitischen Folgen.16 Dies spiegelt sich auch in dem Begriffsgebrauch um die Jahrtausendwende, in dem versucht wird, zum einen den technologischen Images zu entkommen, zugleich aber affirmativ eine zeitlich-hierarchische Ordnung unter der Maß- gabe des ‚Neuen‘ vorzunehmen: Der Begriff ‚Neue Medien‘ wurde vor allem von Lev Manovich stark gemacht. Distelmeyer kommentiert retrospektiv den Begriffsgebrauch zur Hochzeit der grundsätzlichen publizistischen Aus- einandersetzungen mit der digitalen Domäne wie folgt: 13  Der Referenzrahmen kann unter diesen Vorzeichen nicht allein in Hinblick auf die Bild- ästhetik gesehen werden, sondern muss gerade in digitalen Dispositiven als Wiedergabe- und Zugangssysteme (etwa DVD oder Blu-Ray-Disc) auch in der jeweiligen zeiträumlichen verhältnissetzenden Anordnung sowie in den diskursiven oder paratextuellen Kon- textualisierungen verortet werden. 14  Ich folge hier Flückigers (2008: 517) doppeltem Gebrauch von ‚Simulation‘: Zum einen wird der Begriff im Kontext von Computersimulation als regelbasiertes Modell zur Be- schreibung und Entwicklung und/oder zum Verhalten von komplexen Systemen ver- standen; zum anderen aber auch im soziologisch-philosophischen Verständnis etwa bei Baudrillard (1978) als Vorspiegelung oder Vortäuschung eines Sachverhalts oder Vor- wands. Vgl. auf die Simulation analoger Filme im Rahmen digitaler Restaurierungen be- zogen Fossati (2009: 140–145). 15  Unter Emulation wird hier die mögliche Nachahmung verschiedener Eigenschaften eines Geräts oder einer Software mithilfe anderer Programme oder Geräte verstanden. Vgl. zum medienhistorischen Verhältnis im Kontext der Begriffe analog/digital Manovich (2001). 16  Philip Rosen hat dies auch als „digital mimicry bezeichnet“, die – und dieser Aspekt wird in den nachfolgenden Überlegungen noch weiter Thema sein – in ihrer notwendigen Bezogenheit auf ‚ältere‘ Medien „temporal or historiographic conflations“ hervorbringe (Rosen 2001: 314–31). Franziska Heller - 978-3-8467-6460-2 Heruntergeladen von Fink.de01/03/2022 12:27:50PM via free access 40 kapitel 2 Hartmut Winkler (1997) hat in Docuverse angesichts der Hysterie um Multimedia und der Computer-Faszination Einspruch gegen die affirmative ‚Rhetorik des Neuen‘ erhoben, Lev Manovichs Kritik am Mythos des Digitalen führt ihn zur Ver- meidung des Ausdrucks digital und zum – freilich kaum minder strahlenden – Begriff New Media (Distelmeyer 2012: 176, Hervorh. FH). Darüber hinaus hat die Vorstellung Konjunktur, dass – in Abgrenzung zum akzidentiellen Verhältnis von digitalen Informationen und Wahrnehmungs- gegenstand – das Analoge ‚natürlicher‘ und wirklichkeitsnäher sei, weil etwa bei der fotochemischen Aufnahme noch ein indexikalischer Bezug zur und eine Interaktion mit der profilmischen Wirklichkeit vorliegt. Das Verhältnis zwischen Wahrnehmungsgegenstand und analogem Aufnahmeverfahren wird aus diesem Grunde als dem Menschen näher, als natürlicher empfunden, da es angeblich noch auf einer direkten Beziehung beruht und damit auch der menschlichen Wahrnehmung näher ist. Im Verlauf dieser Studie wird gezeigt werden, wie sich dieses Image als Mythos auf die Vermittlung von Bildern aus- wirkt, die analoge Filmgeschichte konnotieren. Die Konnotation, dass analoge Medientechnik einen näheren Bezug zur Wirklichkeit zeitigt, ist vor allem differenziell mit der Vorstellung von digitaler Dematerialisierung und in der Folge dann auch mit Blick auf die Zuschreibung von freier Zirkulation zu sehen. Im Kontext der angenommenen digitalen Zirkulations- und damit omnipräsenten Zugangsmöglichkeiten reiht sich ein weiterer Mythos ein, der mit der numerischen Qualität einhergeht: die Vor- stellung der endlosen, verlustlosen Kopierbarkeit der Informationen (Flückiger 2008: 45). Dass dem nicht voraussetzungslos so ist, sondern dass auch hier das mediale wie soziokulturelle Milieu der Manifestation eines Phänomens mitberücksichtigt werden muss, wird in der Literatur deutlich (siehe aus technischer Perspektive das Problemfeld von Konsistenz von Informationen in verschiedenen Systemen).17 Digitalisate – etwa von analogen Filmen – können in unterschiedlichsten Formen tatsächlich als Zugangselemente dienen und damit das materielle, fotochemische historische Artefakt des analogen Filmstreifens aus der Ge- brauchskette (etwa als Projektionselement) nehmen und deshalb schonen. Hier zeigen sich die besonderen Vorteile einer digitalen Dematerialisierung. 17  Zur irrigen Vorstellung von allumfassender digitaler Verfügbarkeit bei gleichbleibender Qualität: „[Es] müssen digitale Bilddaten bis heute in den meisten Fällen wegen der hohen Datenmengen komprimiert werden, sodass auch die Kompressionsalgorithmen über mehrere Generationen immer deutlicher Fehler nach sich ziehen [können]“ (Flückiger 2008: 46). Flückiger zitiert pointiert Coy (2000): „Eine völlig fehlerfreie (also beliebig korrigierbare) Kodierung ist auch mit digitalen Systemen niemals erreichbar“ (Coy, zit. n. Flückiger 2008: 46). Franziska Heller - 978-3-8467-6460-2 Heruntergeladen von Fink.de01/03/2022 12:27:50PM via free access Digitalisierung als kulturelle Praxis 41 Zudem wird durch digitale Dispositive als Distributions- wie Zugangsmög- lichkeiten ein räumlich diversifizierter Zugriff (etwa über das Internet) auf Digitalisate grundsätzlich eröffnet. Dennoch darf dies nicht darüber hinwegtäuschen, dass hier in mehrfacher Hinsicht Abbildungsprozesse wirksam werden, die formierend auf das er- scheinende Material Einfluss nehmen. Dies kann von Fragen, wie das Digitalisat überhaupt entstanden ist (Scanprozess), über die Frage, ob es in der Post- produktion bearbeitet wurde (Imaging, Color Grading/Lichtbestimmung, neue Rahmungen und Zuschneidungen des Bildformats in Form von Cropping etc.) und inwieweit die Bilder komprimiert wurden, bis hin zur dispositivischen An- ordnung gehen: Sehe ich den entsprechenden Film ohne eindeutige Quellen- angaben auf YouTube oder auf einer kuratierten, mit paratextueller Rahmung versehenen Archivseite?18 Eindrücke von freier Zirkulation und des immer möglichen Zugriffs verschleiern auch technisch bedingte Modifikationen des Materials. Zugleich verstellt die Vorstellung der potenziell unendlichen (ver- lustlosen) Kopierbarkeit auch den Blick auf weitere kontextuelle und mediale Formierungen der Wahrnehmung der Bilder. Flückiger spricht mit Blick auf die zunächst technisch ermöglichte Zirkulation von einem „digitalen Ökosystem“ als Tauschsystem. Damit ver- bindet sie einen weiteren Aspekt des Zusammenwirkens von polymorphen technischenVoraussetzungen und deren praktischen Konsequenzen mit sozio- kulturellen, auch ideologisch wirksamen Überformungen – in diesem Fall der engen Verbindungen von digitaler Zirkulation, Waren- und Wertproduktion auf einem globalen (Kommunikations-)Markt: Da die digitalen Daten in abstrakter mathematischer Form vorliegen, sind sie […] Teil eines digitalen Ökosystems und eignen sich besonders für die Trans‑ mission, die Einspeisung in verschiedene Mediensysteme, und die Trans‑ formation, die Bildbearbeitung oder Wandlung (z. B. Bild in Ton). Damit sind wir wieder bei der Metapher vom Tauschsystem. Bildlich könnte man anführen, dass die binäre Kodierung wie eine universelle Währung funktioniert, welche globale Kommunikation erleichtert (Flückiger 2008: 47). Der Bildkulturwissenschaftler Tom Holert hat die enge Verbindung von digital und dem globalen Markt ideologiekritisch auf der Bildebene untersucht, 18  Insbesondere in der Digitalisierung und Sicherung von analogen Filmen wird die Debatte um unterschiedliche Kompressionsformen heftig geführt (Speicherung ohne vs. mit Verlust). Zum hier anzuwendenden Konzept der archival pragmatics, die unterschied- liche Kompressionsformen in ihrem pragmatischen Zusammenhang modellieren, vgl. Flückiger/Heller/Op den Kamp et. al. (2016). Zu Standardisierungen in der digitalen Lang- zeitsicherung auch digitalisierter Filme vgl. F. Heller (2017). Franziska Heller - 978-3-8467-6460-2 Heruntergeladen von Fink.de01/03/2022 12:27:50PM via free access 42 kapitel 2 indem er an Manovichs Ansatz, Mythen des Digitalen zu dekonstruieren, an- knüpft. Holert begreift insofern ‚Mythos‘ als ein Bildkonzept, welches durch seine überzeitlich fixierende Form der Sinnproduktion ein nachhaltiges Ver- sprechen auf Evidenz vermittelt. Unter diesem Vorzeichen analysiert Holert weit verbreitete Icons und Bilder der Digitalisierung als Elemente semiotischer Codes (u. a. etwa das Icon des Microsoft Internet Explorers). So leitet er die konzeptuelle Verbindung von digitalen Technologien und Kommunikations- formen her – als dematerialisierendes Abbruchunternehmen, das ‚alte‘ Kommunikationsmodelle niederreißt (Holert 2002). Vor diesem Hintergrund modelliert er den Neologismus der (Globo‑)Digitalizität, der auf das Prinzip eines den Globus umfassenden Raumkonzeptes verweist, welches gleichzeitig durch allgegenwärtige Kommunikation kontrolliert wird (Holert 2002). Holerts Thesen sind für meine weiteren Überlegungen insofern interessant, als er über das Bildkonzept im Modus des Mythischen das Evidenzversprechen ableitet: Die Mystifizierung von Images (FH) des Digitalen habe zur Folge, dass man den Eindruck bekomme, die Dinge seien allein aus sich heraus be- deutungsvoll. Wenn man Digitalizität (Holert 2002) untersuche, dann gehe es um den Nachvollzug und die kritische Reflexion einer „euphorischen“ Evidenz der Bilder von Digitalität und deren räumlichen Pendants des globalen Marktes (Holert 2002). Als kurzes Zwischenfazit lässt sich auf der systematischen Ebene fest- halten: Die digitale Domäne, insbesondere in Form von digitalen Bildern und in medialen Praktiken ihrer Zirkulation und Rezeption, weist technische Voraussetzungen auf, die im soziokulturellen Kontext der ersten 15 Jahre des 21. Jahrhunderts spezifische diskursive Images und technoimaginäre Topoi ausgebildet haben, welche auf kommende Nutzungsformen als zukunfts- orientierte Utopien von Potenzialen der Technologien projektiv wirken. Die sich in ästhetischen und distributiven Praktiken manifestierende Imagologie digitaler Bilder beruht im Wesentlichen auf fünf Grundeigen- schaften, wie sie von Manovich ausformuliert, von Flückiger ergänzt und dann unter anderem von Distelmeyer aufgegriffen und kommentiert wurden. Diese Grundeigenschaften zeitigen jeweils Konsequenzen in weiterführenden Dis- kursen und medialen Praktiken. – Programmierbarkeit: Die Programmierbarkeit digitaler Daten bezeichnet ein Set von Handlungsanweisungen, die auf die Ausgangsdaten angewandt werden sollen (zum Beispiel Formen der Bildbearbeitung) oder durch wel- che zwischen verschiedenen Daten neue Beziehungen geschaffen werden, etwa durch Hyperlinks, Montage und Compositing. – Modularität: Das digitale Bild kann aus verschiedenen Bildteilen oder Bild- schichten bestehen, zwischen denen komplexe räumliche oder zeitliche Franziska Heller - 978-3-8467-6460-2 Heruntergeladen von Fink.de01/03/2022 12:27:50PM via free access Digitalisierung als kulturelle Praxis 43 Beziehungen definiert werden. Distelmeyer benennt mit Rekurs auf Ma- novich die zugrunde liegende Computerlogik als „Datenbank-Logik“ (Dis- telmeyer 2012: 111). Diese bedeute keineswegs nur ein gleichberechtigtes Ordnungsprinzip unter vielen, sondern eine symbolische Form, die anstelle des Zusammenhangs das Auswahlprinzip stark mache. Die „Logik des Digi- talen“ sei, so Winkler, „eine Logik der Auswahl“, die einer konkurrierenden Logik, jener der syntagmatischen Reihung eben, gegenüberstehe (Winkler, n. Distelmeyer 2012: 111). – Direktzugriff (Random Access): Durch ihre mathematisch definierte Form lassen sich digitale Daten direkt adressieren. Random Access gilt als Ur- sprung der Auflösung von linearen Denkmustern sowie der Bildung von netzwerkartigen Strukturen, wie sie sich durch Hypertexte mit zahlreichen Links realisieren ließen, so Flückiger mit Rekurs auf Flusser, der dies als neue Form des nichtlinearen, assoziativen Denkens liest (Flückiger 2008: 49). – Interaktivität: Durch Programmierbarkeit und den Direktzugriff eignen sich digitale Daten besonders für interaktive Kommunikation mit dem Rezipi- enten beziehungsweise Nutzer/User (Flückiger 2008: 50). Am Beispiel der zugeschriebenen interaktiven Qualität digitaler Me- dien wird Manovichs Ansatz, Mythen des Digitalen mit ihren kulturell- ideologischen Implikationen zu perspektivieren, besonders deutlich: In seinem viel zitierten Kapitel „The Myth of Interactivity“ (2001: 55 ff.) zieht Manovich zunächst eine historische Linie zu Vorgängermedien. Er zeigt, dass die viel gepriesene scheinbar ‚neue‘ computerbasierte Interaktivität in der Tradition einer massenmedialen Moderne steht, die mentales Leben externalisieren will: „The literal interpretation of interactivity is just the latest example of a larger modern trend to externalize mental life, a pro- cess in which media technologies – photographies, film, VR – have played a key role“ (Manovich 2001: 56). Manovich ordnet diese Entwicklung einer modernen Sehnsucht der Massengesellschaft nach Regulierung des Priva- ten über die Vernetzung mit dem öffentlich Geteilten zu (Manovich 2001: 60).19 Er zeigt, dass Interaktivität nicht nur eine Form der (freien) Teilhabe an kulturellen Phänomenen ist, sondern auch eine Form der Regulierung. Eine (Hyper-)Link-Struktur lässt uns zwar vordergründig die Wahl über den zu folgenden Pfad, der sich alinear präsentiert und dessen Entfaltung von unserer interaktiven Handlung mit dem Medium abhängt; dennoch steht dahinter eine vorprogrammierte Struktur: „In short, we are asked to follow 19  „Hence the objectification of internal, private mental processes, and their equation with external visual forms that can easily be manipulated, mass produced and standardized on their own. The private and the public become regulated“ (Manovich 2001: 60). Franziska Heller - 978-3-8467-6460-2 Heruntergeladen von Fink.de01/03/2022 12:27:50PM via free access 44 kapitel 2 pre-programmed, objectively existing associations“ (Manovich 2001: 61). Insofern steht hinter dem Image von Interaktivität ein komplexes Wech- selspiel aus Internalisierung äußerer Strukturen und umgekehrt: einer teilenden Veräußerung innerer Prozesse – dies im Modus einer alinearen Struktur, welche Nähe zum Assoziativen aufweist. Knotenpunkt der assozi- ativen Struktur ist die Eigenschaft digitaler Daten zu einem Random Access. Vor dem Hintergrund des Austauschverhältnisses zwischen Innerem und Äußerem ist es wichtig, in den folgenden Fallstudien zu beachten, wann welches Image einer Technologie, welche technische Voraussetzung wann in welcher Form wirkungsästhetisch zum Ausdruck kommt. – Versatilität (Distelmeyer 2012: 111) bezeichnet die Eigenschaft der Variabili- tät eines Objekts der ‚Neuen Medien‘. ‚Neue Medien‘ und ihre Phänomene demonstrieren eine charakteristische Instabilität. Distelmeyer macht die Variabilität an der Modularität und numerischen Repräsentation fest. So fungiert die Eigenschaft zugleich als Versprechen: „Ein Objekt der Neuen Medien (zum Beispiel Film auf DVD oder BD) ist nichts ein für allemal Festgelegtes, sondern etwas, das in den unterschiedlichen, potenziell un- endlich vielen Versionen existiert“ (Manovich 2001, zit. n. Distelmeyer 2012: 111). Damit geht auch die Trennung zwischen dem Zugangs-Interface und der zugrunde liegenden, nicht direkt für den Menschen sichtbaren Daten- form einher. Hier greift die Unterscheidung der – von Distelmeyer so be- nannten – „Computer-Ebene“ von der semiotisch und damit auch kulturell codierten Ebene des Zugriffs auf das digitalisierte Material (vgl. insbesonde- re Menü-Interfaces bei Blu-Ray-Discs respektive Streaminganbietern). Die- se Unterscheidung basiert auf dem Problem der Opazität digitaler Daten; dem Phänomen, dass digitale Codes per se nicht für den Menschen wahr- nehmbar sind, sondern immer schon eine Umsetzung in einer Darstellung benötigen. Wie mehrfach hervorgehoben, untersuche ich, wann und unter welchen Bedingungen technologisch gegebene Möglichkeiten in einer bestimmten Perspektive und Kontextualisierung, in einem bestimmten medialen Milieu (Schneider 2012: 100), zum Ausdruck kommen – wobei Ausdruck wiederum als ein zeiträumlicher medialer Vermittlungsakt zu begreifen ist. Die Grund- eigenschaften von digitalen Bildern – gerade mit ihrer Versatilität und Flexibilität – leisten vielfältigen diskursiven, ideologischen Formierungs- möglichkeiten Vorschub; dies sowohl auf der Ebene der Ästhetik als auch auf der der Zugangsform. Deshalb lassen sich bei der Analyse der konkreten, sich situativ entfaltenden medialen Manifestationen die impliziten Geschichts- bildmodellierungen vor allem in der wirkungsästhetischen Dimension heraus- präparieren. Dabei bedeutet der enge diskursive Zusammenhang von (Waren-) Franziska Heller - 978-3-8467-6460-2 Heruntergeladen von Fink.de01/03/2022 12:27:50PM via free access Digitalisierung als kulturelle Praxis 45 Tauschsystemen und Zirkulation mit digital eine wichtige Engführung der Perspektive auf die Digitalisierung von Filmbildern. 2.4 Film im Zeichen von Digitalisierung Grundsätzlich hat die Entwicklung digitaler Medientechnologien das Medium Film auf fast allen Ebenen der Produktion sowie in den Formen der Rezeption verändert.20 Im Wesentlichen zusammengefasst betrifft dies die folgenden Ebenen: – Die Aufnahmetechnik der Filme wurde im Verlauf der 2000er Jahre weitge- hend digital: Die verwendeten Kameras fixieren die einfallenden (Licht-)In- formationen nicht mehr mittels der Interaktion mit einem fotochemischen Filmstreifen, sondern die eingehenden Informationen werden nun über einen Sensor aufgenommen und über einen Chip in der Kamera in binäre, digitale Daten umgewandelt. – Die Postproduktion wurde ebenfalls in die digitale Domäne überführt. Zunächst geschah dies noch in Form des Digital Intermediate Process (DI- Prozess): Ein noch analoger, belichteter Filmstreifen wird gescannt, das heißt in die digitale Domäne überführt. Damit stehen in der Postproduktion alle Bildinformationen unter der Maßgabe der polymorphen Eigenschaften von digitalen Bildern – etwa Modularität und Programmierbarkeit – der Be- arbeitung zur Verfügung. Dies kann die Lichtbestimmung, das Color Timing beziehungsweise Grading, betreffen (‚Pionier‘-Produktionen waren hier O Brother, where Art thou [2000] und die ersten Lord-of-the- Rings-Filme [2001–2003]). Auch das Einfügen beziehungsweise Kreieren von Visual Effects erreicht neue Dimensionen (vgl. ausführlich und diffe- renziert zu den unterschiedlichen Formen Flückiger 2008).21 Letztendlich stehen in der digitalen Domäne die Informationen für jegliche Eingriffe zur Verfügung. Zunächst wurden noch die im DI-Prozess bearbeiteten Fil- me wieder auf Filmstreifen zur Kinodistribution ausbelichtet. Da sich, wie unten erläutert, auch die Projektionstechnik in den Kinosälen in die digi- tale Domäne verlagert hat, werden die Filme für die Kinodistribution mitt- lerweile in einer digitalen Form belassen und standardisiert digital für die 20  An dieser Stelle sei ausdrücklich darauf hingewiesen, dass sich die publizistische und wissenschaftliche Debatte meist auf die visuelle Ebene von Filmbildern bezieht. Der Filmton war bereits seit Anfang der 1990er Jahre digital. 21  So muss man die Begrifflichkeit präzisieren, da es gilt, vor allem zwischen Special Effects und digitalen Visual Effects wie computergenerierten Bildern (CGI) zu unterscheiden (Flückiger 2008: 22–25). Franziska Heller - 978-3-8467-6460-2 Heruntergeladen von Fink.de01/03/2022 12:27:50PM via free access 46 kapitel 2 Kinodistribution als Digital Cinema Package (DCP) komprimiert und ver‑ packt. Dies verändert in der Medientransition der 2000er Jahre ganze Dis- tributionsworkflows, etwa Sicherheitsmaßnahmen gegen Piraterie oder die Gestaltung der Transportwege, da die Filmrollen nicht mehr als materielle Objekte an die Aufführungsstätten versendet werden müssen. – Die Filmdistribution erfolgt mittlerweile – noch differenzierter, als es in der analogen Ära der Fall war (auch hier existierten schon Versionen für die Projektion zu Hause, etwa in kleineren Filmformaten als 35 mm oder dann später in Form der VHS) – neben der Auswertung im Kino auf verschiede- nen Trägern, in verschiedenen Formaten und Editionen für den Heimvideo- markt, für Fernsehen oder Streaming.22 Mit der Digitalisierung der Produktion und Distribution vervielfältigen sich nun die Möglichkeiten der Migration in unterschiedliche Dispositive. Da das Filmmaterial in der digitalen Domäne mittels unterschiedlicher Medien gespeichert werden kann und auf unterschiedlichen Wiedergabegeräten ab- spielbar ist, ergibt sich eine Vielzahl von Rezeptionsmöglichkeiten – jeweils mit spezifischen ästhetischen und diskursiven Formierungen; dies etwa in Form von Anpassungen für Screens, die unterschiedlich in den Alltag einge- bunden sind und deshalb jeweils mit anderen Aufmerksamkeitsstrukturen im öffentlichen, aber auch im privaten Raum konkurrieren. Zugleich, dies kommt mit Blick auf die Variabilität der konkreten Ästhetik noch erschwe- rend hinzu, zeitigen die unterschiedlichen Sichtungsmöglichkeiten wie vor allem Fernsehbildschirme und Computer oft noch eine Vielzahl von Ein- stellungsmöglichkeiten und Parametern, die das erscheinende ästhetische Objekt unter Umständen nachhaltig prägen können. Von den Möglichkei- ten der digitalen Edition und der entsprechenden paratextuellen, kontextu- alisierenden Präsentation wird im Verlauf der Studie noch ausführlich die Rede sein. – Wie schon angesprochen, ist darüber hinaus auch die Projektion im Kino digital geworden. Insbesondere David Bordwell hat 2012 in seiner Studie Pandora’s Digital Box. Films, Files and the Future of Movies die Konsequen- zen dieser zunächst technologisch bedingten Entwicklung als Transfor- mation der historisch gewachsenen kulturellen Praxis der Kinoprojektion untersucht. 22  Historisch ist eine ähnliche Entwicklung mit Blick auf Veränderungen von Filmen zu be- obachten, die zunächst für die Kinoauswertung produziert wurden und dann für die Auf- führung im Fernsehen angepasst wurden (vgl. dazu später insbesondere im vorliegenden  Kap. 2 den Abschnitt zur Colorization-Debatte). Franziska Heller - 978-3-8467-6460-2 Heruntergeladen von Fink.de01/03/2022 12:27:50PM via free access Digitalisierung als kulturelle Praxis 47 – Nicht zuletzt sei hier darauf hingewiesen, dass all die genannten Verände- rungen in der Filmproduktion und -distribution nachhaltige Folgen für die Filmsicherung und -archivierung zeitigen. Filmarchive, die bis dato vor- nehmlich auf die Lagerung von fotochemischem Film und seinen nonfilmi- schen Paratexten und Ko-Texten (Kessler 2010) spezialisiert waren, müssen nun als sogenannte hybride Archive sowohl in der analogen als auch in der digitalen Domäne agieren und Sicherungskonzepte – insbesondere auch für digitale Daten in einer Langzeitperspektive – entwickeln (vgl. hierzu F. Hel- ler 2017). Schon in dieser kursorischen Aufstellung der Veränderungen im Horizont der Medientransition wird deutlich, wie sehr mit dem Medium Film ver- bundene Denkmuster mit digitalen Prozessen eine Re-Formulierung erfahren (müssen) – seien es etwa die Vorstellung vom Filmischen als Aufnahmeprozess oder die Konzeption des Kinodispositivs, dessen Bindung an die traditionelle öffentliche und soziale Institution Kino bereits mit dem Neologismus und Hybridbegriff Heimkino infrage gestellt wird. Dennoch schreibt Ringler (2009) über die populäre Einschätzung der Digitalisierung des Films, dass diese vor allem über die filmische Wahr- nehmungsebene des Zuschauers geprägt sei: Der Begriff Digitalisierung hat sich in den letzten Jahren im Kontext der Film- industrie Hollywoods zu einem mächtigen Schlagwort etabliert, welches sich zu- nächst nur schwer fassen lässt. Wer heute von Digitalisierung spricht, beschreibt zumeist nur das, was der Rezipient letzten Endes im Kino sieht, nämlich Special Effects (Ringler 2009: 13).23 Dies ist an dieser Stelle deshalb hervorzuheben, weil Film als illusions- bildendes und zugleich erzählendes Medium bei der Zukunftsphantasie digital/Digitalisierung eine zentrale Rolle spielt. Mit all den filmischen Möglichkeiten, Traum- und Phantasiewelten zu eröffnen, stellt das Medium Film in der heutigen Populärkultur eine fruchtbare Projektionsfläche dar: als tatsächlich projizierte Bewegtbilder, die zu Imaginationen, zur emotionalen Involvierung und zur illusionären Immersion seitens des Zuschauers einladen. Gleichzeitig sind die jeweiligen digitalen bild- und tongebenden Technologien und Wiedergabesysteme Gegenstand von populärkulturellen Projektionen, die sich zum Teil aus der ersten Ebene – der sensuellen Wahrnehmung von 23  So sehr Ringlers Befund in der Essenz für die populäre Wahrnehmung zutreffen mag, so muss man seine Begrifflichkeit präzisieren, da es gilt, vor allem zwischen Special Effects und digitalen Visual Effects wie computergenerierten Bildern (CGI) zu differenzieren (Flückiger 2008). Franziska Heller - 978-3-8467-6460-2 Heruntergeladen von Fink.de01/03/2022 12:27:50PM via free access 48 kapitel 2 Bewegtbildern – speisen. Wie schon in den obigen Ausführungen deutlich werden sollte, leisten die technologischen Voraussetzungen der digitalen Domäne solchen Projektionen Vorschub. Illustrative Beispiele für die Überlagerung von fiktionalen, ja gar phantastischen Filmwelten und die Zuschreibung magischer Attribute an Ent- wicklungen der digitalen Filmtechnologie lieferten exemplarisch zu Beginn der 2000er Jahre die schon zitierten Lord-of-the-Rings-Filme. Die Ein- schätzung filmtechnologischer Entwicklung als „digital wizardry“ (Klinger 2006a: 122) verband sich als Technoimaginäres (H. Böhme 2000)24 in der Ver- marktung und somit auch im populären Diskurs mit dem phantastischen Inhalt der Reihe. Die Diskussion wurde im Zusammenhang mit der Weiter- führung des Franchisesystems der Hobbit-Filme fortgesetzt. So haben sich in den Jahren 2012 bis 2014 unter dem Stichwort Digitalisierung des Films die einschlägigen populären Debatten vor allem um die konkret sichtbaren und erfahrbaren Bildbeispiele aus dieser Reihe gedreht: etwa um die die mensch- liche Wahrnehmung herausfordernden Massenkampfszenen, die mit neuer Software der Bildgenerierung möglich wurden; die irrwitzigen Drachen- angriffe, bei denen Bewegungen von Feuer und Luftzirkulationen filmbildlich simuliert und mit atmosphärischer Sogwirkung inszeniert wurden – das alles in 3-D-Technik und einer doppelten Bildgeschwindigkeit von 48 Bildern pro Sekunde. Doch insbesondere bei der Frage der Bildgeschwindigkeit fand sich Regisseur Peter Jackson im Zentrum der Kontroverse, die sich um die Frage des Verhältnisses zwischen sich verändernden, digitalen Bildästhetiken und Vorstellungen vom Filmischen, die historisch gewachsen sind, drehte: Nach der Kritik am ersten Teil der Hobbit-Reihe, der Film sehe in der neuen Bild- geschwindigkeit zu sehr nach Video- und Fernsehästhetik aus, versuchte Jackson nach eigener Aussage jedem darauffolgenden Teil „mehr Textur zu geben“ (Jackson, zit. n. Freeman 2014). Der von Jackson gebrauchte Begriff „Textur“ des Films verweist unter anderem auf einen Look des Films, wie wir ihn aus der fotochemischen Ära, vor allem geprägt durch das Filmkorn, kennen, 24  Als Imagologie der Technik bezeichnet H. Böhme ein Forschungsfeld, das die „Leit- bilder der Technik“ (Stöcklein 1969, n. H. Böhme 2000), die technischen Träume und Phantasien, das Wunderbare und Mythische, schließlich die technischen Utopien unter- sucht. Das Technoimaginäre ist für die Kulturgeschichte nicht nur aufschlussreich, weil in alten Gesellschaften technische Praktiken vielfach mit dem Sakralen und Religiösen, dem Phantastischen oder Traumhaften verbunden waren, sondern auch weil es – so ein Befund H. Böhmes – vor allem heute in allen Massenmedien Antrieb hat und Ausdruck findet (H. Böhme 2000: 4 FH. [Die Zitationsweise im Fließtext erfolgt auf der Grundlage des von der Onlinequelle erstellten Dokuments im PDF-Format. Insofern werden zur Präzisierung Seitenzahlen auf dieser Grundlage angegeben, allerdings in dieser Zähl- weise dann mit „FH“ gekennzeichnet]). Franziska Heller - 978-3-8467-6460-2 Heruntergeladen von Fink.de01/03/2022 12:27:50PM via free access Digitalisierung als kulturelle Praxis 49 dessen Simulation in der digitalen Domäne nun – bei aller Unbestimmtheit der Referenz von über 100 Jahren analog geprägter Ästhetikgeschichte – das Filmerlebnis als solches simulieren und wieder nobilitieren sollte. An dem Bei- spiel wird deutlich, wie eng sich tatsächliche technologische Veränderungen in der Produktion und Projektion mit der Rezeptionsebene, der ästhetischen Erfahrung eines spezifischen Filmes – mitsamt dessen erzählter Fiktion –, in überformenden Diskursen und Imaginationen von Technologien vermengen können.25 Dies ist aber nicht abzutrennen von historisch gewachsenen medialen Konditionierungen und Sehgewohnheiten, die die Bereitschaft des Zuschauers zur Immersion in die Fiktion als Erlebnis nachhaltig bedingen. So stellt sich weitergehend die Frage, wie sich Vorstellungen des Labels digital filmisch beziehungsweise kinematografisch in Diskurskreisen und Nutzungsformen konstituieren. Die Debatten, wie sie exemplarisch anhand der Hobbit-Reihe illustriert wurden, zeigen sich in ihren Konfliktlinien und kulturellen Konsequenzen noch deutlicher in den Bereichen, in denen tatsäch- lich analoge beziehungsweise historische Filme im Kontext digitaler Techno- logien und Medienumgebungen (interessegeleitet) wieder aufgenommen werden. (Dies werde ich in der Folge als Praktiken der Reprise bezeichnen – in Anlehnung an das Konzept des Filmwissenschaftlers François Niney zur Wiederaufnahme von Archivbildern: vgl. das Zwischenfazit  Kap. 3.9). Hier artikulieren sich pragmatische Zusammenhänge, in denen die wechsel- seitige Abhängigkeit des historisch gewachsenen, mit der Erfahrung der Moderne verwobenen Mediums Film und digitalen Technologien besonders deutlich wird. Bei der digitalen Wiederveröffentlichung von historischen Filmen entstehen auf der Wirkungsebene sinnliche Konfigurationen, die 25  Damit verfolge ich einen Ansatz, der Annette Kuhns methodische Vorüberlegungen (2002) aufgreift, welche sie in ihrer ethnohistorischen Studie zum Zusammenhang von kulturellem Gedächtnis, Kino, Film und populärer Kultur formuliert hat. Kuhn kritisiert den oft in medienwissenschaftlichen Studien zu findenden Dualismus, entweder eine Filmtextanalyse ohne hinreichende soziokulturelle Rückversicherung durchzuführen oder aber soziokulturelle Erhebungen vorzunehmen, ohne der ästhetisch-textuellen Ebene gerecht zu werden: „This division […] produces a conceptual and methodological dualism of text and context – a divorcing of film texts from their industrial, cultural and historical contexts, and vice versa, and this weakens studies of cinema and other media by ensuring that accounts of media texts and their consumption and reception remain in- complete“ (Kuhn 2002: 4). In der vorliegenden Studie betrifft dieses methodische Problem das Verhältnis zwischen ästhetischen Praktiken (und ihrer Analyse) und der Erhebung und Auswertung soziokulturell funktionaler Vorstellungen von digitalen Technologien. Franziska Heller - 978-3-8467-6460-2 Heruntergeladen von Fink.de01/03/2022 12:27:50PM via free access 50 kapitel 2 unser Erleben von Zeit – Gegenwart und Vergangenheit26 – unter dem Vor- zeichen Film und Filmerlebnis modellieren.27 Dabei ist zu beachten, dass der Begriff digital, wie auch in  Kap. 1 ein- leitend konzeptualisiert, höchst zeit- und kontextgebunden zu verstehen ist: Angesichts der schnelllebigen Entwicklung im Bereich der digitalen Techno- logien befinden sich die technischen Standards und die Möglichkeiten der Datenverarbeitung wie der Bildbearbeitung in einem rasanten Wandel. Umso mehr muss die Frage Was ist Digitalisierung? abgewandelt werden zu Wann ist Digitalisierung?28 Eine ähnliche pragmatisch orientierte Perspektive ergibt sich auch in Hin- blick auf die Frage nach der Referenz auf das historische Medium Film. Dies wird besonders deutlich, wenn man zentrale Werke zu dem Problemkomplex von Autoren wie David N. Rodowick und Giovanna Fossati betrachtet. Wenn man Film digitalisiert, muss man sich zuvorderst fragen, was man unter dem Objekt des Transfers, unter Film, versteht. So nimmt vor allem in Fossatis Studie From Grain to Pixel. The Archival Life of Film in Transition (2009) die Bestimmung von Film in einer pragmatischen Perspektive durch unterschiedliche Frameworks (Film „as Original“, „as Art“, „as Dispositif“, „as State of the Art“) einen breiten Raum ein (Fossati 2009: 117–131). Die das Verständnis von Film bestimmenden Frameworks bedingen – so Fossatis Ansatz – maßgeblich die archivarischen Praktiken beziehungsweise die Anwendungsformen von digitalen Techno- logien in der Filmsicherung, -restaurierung und -rekonstruktion. Fossati be- zieht sich hier, wie es sich dann später in der Rezeption auch bei Flückiger unter anderem 2012 und 2018 fortsetzt, besonders auf Überlegungen aus David N. Rodowicks The Virtual Life of Film (2007), der André Bazins be- rühmte Frage: „What is cinema?“ umformuliert in „What was cinema?“. Die von Rodowick programmatisch gewählte Vergangenheitsform weist auf die historisierenden Kontexte beziehungsweise die zeitliche Abhängigkeit des jeweiligen Verständnisses und der Praktiken hin, in denen jeweils Cinema be- ziehungsweise Film verstanden werden können. 26  Vgl. auch zum grundsätzlichen Ansatz die Ausführungen von Koselleck (1989)  Kap. 1. 27  Hier zeigt sich eine Form der – später noch begrifflich präziser entwickelten – medial aisthetischen Historiografie, die unseren Alltag durchdringt; dies in einem Wechselspiel zwischen massenmedialer Öffentlichkeit und individueller Aneignung im Zeichen unter- schiedlicher digitaler Dispositive. 28  Dies kann als eine erweiterte Auslegung des berühmt gewordenen Ausspruchs „Wann ist Kunst?“ von Nelson Goodman (1997/1968) angesehen werden. In diesem Zusammenhang werden symbolische Funktionen und Rezeptionsweisen in ihrer Zeitgebundenheit ge- sehen, was mithin jeweils die Bestimmung des Kunst-Status beeinflusst. Franziska Heller - 978-3-8467-6460-2 Heruntergeladen von Fink.de01/03/2022 12:27:50PM via free access Digitalisierung als kulturelle Praxis 51 Flückiger (2012: 3 f.) hat die vor allem in der Archiv-Community geführte Debatte um das Verständnis von Film rekapituliert und systematisiert, um die Referenzrahmen der Transition von historischem Material in die digitale Domäne beschreibbar zu machen: Film könne verstanden werden als historisches, materielles Artefakt (Filmstreifen) (Cherchi Usai 2000), als Per- formance (als dispositivisch geprägtes Projektions- und Aufführungsereignis), als konzeptuelle Gestalt (Carroll 1996) und vor allem als Text – also im Hinblick auf seinen Inhalt, seine ästhetische Struktur (ästhetische Imago nach Brandi 1963 beziehungsweise Janis 2005). Fossati fasst die möglichen Perspektiven wie folgt: „The material film artifact is typically the film preserved by the archivist, whereas the conceptual film artifact refers to its abstraction as an historical and aesthetic object“ (Fossati 2009: 105). Die konkreten Gebrauchs- und Nutzungs- zusammenhänge bestimmen, welches Verständnis von Film jeweils zur An- wendung kommt.29 Flückiger/Heller/Op den Kamp et al. (2016) bezeichnen und konzeptualisieren dies mit dem Begriff „archival pragmatics.“ So macht insbesondere Fossati deutlich, wie sehr die pragmatischen Zu- sammenhänge sogar definieren, was man als das eigentliche archivarische (materielle) Objekt begreift. Restaurierung und Sicherung arbeiten mit dem materiellen Artefakt Film, während andere archivarische Aufgaben wie etwa das Ausstellen (exhibition) und die Präsentation (presentation) eher auf der phänomenalen Ebene der Imago wirken. Insbesondere die beiden letzt- genannten Aspekte haben nachhaltigen Einfluss auf die Ästhetik und auf die Wahrnehmung von Filmgeschichte (Fossati 2009: 107).30 Bei digitalen Bildern zeigt sich der Ansatz von „archival pragmatics“ noch deutlicher, da – wie Flückiger/Heller/Op den Kamp et al. (2016) gezeigt haben – aufgrund des nicht zwingenden Zusammenhangs von Code und Erscheinungsform bei digitalen Bildern je nach pragmatischem und archivarischem Kontext und Interesse zwischen dem Bild als information (oben auch „Ebene des Codes“ genannt) und der Ebene der appearance unterschieden werden müsse. 29  So findet sich zum Beispiel auch im Diskurs über das filmische Original die Spannung zwischen materiellem und konzeptuellem Artefakt: „‚The original‘ can indeed be one of the possible conceptual artifacts (e. g. the director’s cut or the film shown to the audience) or one of the possible material artifacts (e. g. the original camera negative or the only existing fragment of a projection print recovered by the archive)“ (Fossati 2009: 106–107). 30  Sie verfährt damit differenzierter als Carroll, von dem sich Flückiger 2012 mit ihrer Hervor- hebung des besonderen Verhältnisses von Trägermaterial der Informationen und der dadurch entstehenden Ästhetik der Bilder noch einmal distanziert: „While digitisation in accordance with Carroll’s observation does not affect film as a text, it transforms the film as a material object and as a performative instance – not only on the level of its physical composition, but also in the sensory domain that affects the aesthetic dimension. Each of these modes of being, or ontologies, has a different history“ (Flückiger 2012: 5). Franziska Heller - 978-3-8467-6460-2 Heruntergeladen von Fink.de01/03/2022 12:27:50PM via free access 52 kapitel 2 Mein Erkenntnisinteresse zielt allerdings weniger auf die Analyse archi- varischer Praktiken von konkreten Institutionen. Vielmehr geht es um die breitenwirksamen, erlebbaren Effekte von Filmen, die im Zeichen einer marktorientierten Zirkulation und im Kontext einer Imagologie der digitalen Domäne zu sehen sind; beides zeitigt Auswirkungen auf mediale Geschichtsbildmodellierungen. Abschließend sei vor diesem Hintergrund zur Illustration ein Beispiel zitiert, in dem deutlich wird, inwieweit sich die diversifizierte Zirkulation von Filmen jenseits des Kinos konkreten Restaurierungsentscheidungen einschreiben kann, die wiederum Einfluss auf die Erscheinungsweise und Ästhetik von Filmen haben. So äußerte Grover Crisp, Seniorvizepräsident für Asset Management, Film Restoration und Digital Mastering bei Sony Pictures Entertainment, die folgende Einschätzung auf die Interviewfrage, wie sehr die Entwicklung der Blu-Ray-Disc Filmrestaurierung beeinflusst habe: Blu-ray is a wonderful format that allows the viewer to experience a film much closer to what the theatrical experience is like. The higher resolution in both picture and sound also means that we need to provide the best quality materials in order to work at its maximum. What this means for restoration is that we can now work to provide better materials than would have been necessary in the past. Blu-ray and restoration go really hand-in-hand in that regard (Crisp, zit. n. B. Hunt 2011). Crisps Aussage deutet auf einen Kreislauf hin, in dem digitale Distributions- und Editionsmöglichkeiten Einfluss auf ästhetische Entscheidungen im digitalen Restaurierungsprozess haben können (genauso gilt dies auch umgekehrt in die andere Richtung, wenn Restaurierungsprozesse zum Beispiel Editionsformen prägen). Die jeweiligen Konsequenzen der ästhetischen Formierungen lassen sich nur noch situativ bestimmen: So gilt es nicht nur danach zu fragen, was jeweils konzeptuell unter Film verstanden wird, sondern auch wie sich dies im konkreten filmischen Phänomen und den Bedingungen seines Erscheinens, seinem Dispositiv, auf unser ästhetisches und zeiträumliches Erleben – die Er- fahrung von Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft – auswirkt. 2.5 Digitalisierung als methodologische und medienhistoriografische Herausforderung In den folgenden Ausführungen wird der Begriff digital aus kulturwissen- schaftlicher Perspektive im Horizont historiografischer Konzepte präzisiert. Dies führt zu methodologischen Überlegungen, die nicht abzulösen sind von Franziska Heller - 978-3-8467-6460-2 Heruntergeladen von Fink.de01/03/2022 12:27:50PM via free access Digitalisierung als kulturelle Praxis 53 fachpolitischen und disziplinären Debatten, die sich in der Perspektivierung des Verhältnisses von Technologieentwicklung, Medienbegriff, Gesell- schaft, Vorstellungen von historischer Dynamik und ästhetischen Strukturen manifestieren. Es geht zum einen um die konzeptuelle Fassbarkeit der Medien- transition und die hier verhandelten Vorstellungen von Geschichtlichkeit; zum anderen ist dies im Zusammenhang mit der geschichtlichen Verortung der Arbeitsweisen von Medien- und Filmwissenschaft zu sehen. Die Bezeichnung digital wird im Folgenden als ein „Set von Praktiken“ (Hediger 2005b) verstanden. Methodologisch wird dies in einer pragmatischen Herangehensweise umgesetzt. So bedeutet die Analyse der jeweiligen Praktiken die kritische Fokussierung auf konzeptuelle Muster, Konfigurationen des Technoimaginären und kulturelle Narrative, die den Anwendungs- und Gebrauchsformen zugrunde liegen und in massenmedial verbreiteten ästhetischen Formen ihren Ausdruck und ihre Vermittlung finden. Die Formen des Gebrauchs interagieren mit Zuschreibungen an die Technik, denen von bestimmten technologischen Grundvoraussetzungen Vorschub geleistet wird. So ergibt sich eine Perspektive, in der digitalisierte Filme als ein komplexes Netz von Sinn- und Bedeutungsproduktionen verstanden werden. In diesem Netz wird das konkret sinnlich erfahrbare mediale Phänomen – inklusive seiner immersiv wirkenden Potenziale – als vielschichtige Ausdrucksform eines weiteren soziokulturellen Prozesses von Geschichtsbildmodellierung gesehen. Digitalisierte Filme werden vor diesem Hintergrund als ein cluster- förmiges Medium impliziter aktueller Geschichtsvorstellungen begriffen. So weist Uricchio (2004: 24) darauf hin, dass Medien aus einer kulturwissen- schaftlichen Sicht nicht nur Technologien, Institutionen oder Texte, sondern vor allem kulturelle Praktiken darstellen, die in einem weiteren gesellschaft- lichen Kontext anzusiedeln sind. Die einzelnen Faktoren und Praktiken innerhalb dieses Netzwerkes, die zu einem digitalisierten Film führen oder dessen Gebrauchsformen bestimmen, können ganz unterschiedlich gewichtet sein. Giovanna Fossati (2009) hat in ihrer Studie den theoretischen Zugang über eine Anverwandlung der so- genannten SCOT-Theorie – Social Construction of Technology – gewählt, um die archivarischen Praktiken unter dem Einfluss der digitalen Technologien konzeptualisieren zu können. Fossati legt einen besonderen Fokus auf die beteiligten Akteure. Sie betrachtet die Anwendung digitaler Technologien als im höchsten Masse abhängig von „major players“ im filmarchivarischen Feld (Fossati 2009: 22), welches insgesamt von einer institutionellen sowie interdisziplinären Heterogenität und Vielschichtigkeit von Interessen ge- prägt sei: „SCOT is a suitable instrument for studying a transitional process at the same time influenced by and influencing a large number of players Franziska Heller - 978-3-8467-6460-2 Heruntergeladen von Fink.de01/03/2022 12:27:50PM via free access 54 kapitel 2 and cutting across various layers (technological, economical, social, cultural, etc.)“ (Fossati 2009: 22). Interessanterweise identifiziert Fossati neben vielen anderen Akteuren im filmarchivarischen Feld31 insbesondere die wachsende Öffentlichkeit von „digital film users“ als einen an Bedeutung gewinnenden Faktor in diesem Netzwerk – weg von einem elitären, cinephilen Experten- nischenpublikum (Fossati 2009: 151). Fossati begreift technologische Ent- wicklung vor allem als einen sozialen Prozess und nicht als ein sich autonom entfaltendes Vorkommnis („autonomous occurrence“, Bijker 1997, zit. n. Fossati 2009: 22, 262, 151). Die Frage, wie technologischer Fortschritt im Verhältnis zum Menschen und dessen sozialem Umfeld einzuschätzen sei, weist in der deutschsprachigen Medien- und Filmwissenschaft zu Beginn der 2000er Jahre nicht nur eine geschichtstheoretische Dimension auf, sondern auch eine disziplinäre: so etwa in dem ‚Selbstverständigungsband‘, welcher dem „Diskurs der methodischen und gegenständlichen Selbstreflexion“ verschrieben ist (H.-B. Heller/Kraus/ Meder et al. 2000: 7). Die Autoren sehen mit Blick auf Entwicklungen in den späten 1990er Jahren die dringende Notwendigkeit einer methodologischen Reflexion des Medienbegriffs und der damit einhergehenden analytischen Modelle des Medienwandels: Die digitale Revolution zeitigt nicht allein neue Praxen, sie zwingt zugleich eine an den traditionellen Leitmedien Film und Fernsehen entwickelte Theorie und Analyse zur kritischen Selbstreflexion, mindestens aber zur Relativierung ihres Medienbegriffs (H.-B. Heller/Kraus/Meder et al. 2000: 7). Anlässlich dieses Befundes diskutiert Hartmut Winkler methodische Tendenzen in der deutschen Medienwissenschaft mit Blick auf die jeweilige Perspektivierung des Verhältnisses von soziokulturellen Bedürfnissen der Menschen, von Gebrauchsformen und medientechnologischen Ent- wicklungen. Letztendlich, so Winkler, gehe es um die Frage, ob Technik in der Medienwissenschaft als Voraussetzung oder als Resultat gewichtet, gedacht 31  Fossati differenziert hier Filmarchive, die kommerzielle Filmindustrie, Politiker und politische Akteure im Kultursektor; dies sowohl national wie international: Sie nennt hier die EU und auf globaler Ebene die UNESCO; darüber hinaus spielen von der Industrieseite Hardware- und Softwareentwickler, Hersteller und Verbraucher von (foto- chemischen) Filmmaterialien, von Laborequipment sowie die Labore selbst eine wichtige Rolle in dem Netzwerk. Hinzu kämen noch verschiedene Interessengruppen wie etwa die Digital Cinema Initative und das European Digital Cinema Forum sowie Fernsehsender, die Archivmaterial verstärkt ausstrahlen – wie zum Beispiel in Europa ARTE (Fossati 2009: 151). Franziska Heller - 978-3-8467-6460-2 Heruntergeladen von Fink.de01/03/2022 12:27:50PM via free access Digitalisierung als kulturelle Praxis 55 und behandelt werde, von welchem Ort und von welcher Ausgangssituation her kommend man Mediengeschichte schreibe (Winkler 2000: 11). Eine exponierte Position der deutschsprachigen Medienwissenschaft para- phrasierend, beginnt Winkler mit Rekurs auf Friedrich Kittler und dessen Diktum „Medien bestimmen unsere Lage“ (Winkler 2000: 10). Winkler fasst in der Auseinandersetzung mit Kittler fachpolitische und methodologische Konsequenzen wie folgt zusammen: Es wird [seitens der Kittler-Schule, FH] als eine kopernikanische Wende an- gesehen – und als Initialzündung der Medienwissenschaft selbst – den Blick umorientiert zu haben von der Ebene der Inhalte und der künstlerischen Formen auf jene Techniken, die keineswegs nur ‚Werkzeug‘ oder ‚Voraussetzung‘ kommunikativer Prozesse sind (Winkler 2000: 11). Diesem technisch oft deterministisch argumentierenden Strang wird die Aus- richtung auf eine einseitig kausale Wirkung der Technik auf den sozialen Prozess vorgeworfen. Darüber hinaus zitiert Winkler einen weiteren Kritik- punkt: Solche Diskurse neigten zur Fetischisierung – Fetischisierung ver- standen im Marx’schen Sinne, dass nämlich damit die fertige Ware den Prozess ihrer Hervorbringung verdecke (Winkler 2000: 13). Im Gegensatz dazu beschreibt Winkler Alternativansätze, die ‚anthropo- logisch‘ genannt werden, weil sie ‚am Menschen‘ als Subjekt der Medien- geschichte festhalten und in den menschlichen Praktiken den Motor der Entwicklung sehen. ‚Anthropologisch‘ seien in diesem Sinne nahezu alle Medientheorien bis zum historischen Bruch bei McLuhan, der neben Walter Benjamin als Hauptzeuge der theoretischen Wende in Anspruch genommen werde: „All diesen [anthropologischen, FH] Ansätzen ist gemeinsam, daß sie ein medientechnisches ‚Apriori‘ kultureller Prozesse vehement bestreiten würden“ (Winkler 2000: 12). Der anthropologisch argumentierende Strang32 erfragt von einer existierenden Technik, „was diese in die Welt gebracht hat“ (Winkler 2000: 13). Technik wird hier nicht als Ausgangspunkt begriffen, sondern als Resultat von sozialen und kulturellen Praktiken; die Hervor- bringung von Technik wird nicht einzelnen Erfindern, sondern einem größeren gesellschaftlichen Entwicklungsprozess zugeschrieben (Winkler 2000: 14). Angesichts der skizzierten Dichotomie schlägt Winkler ein Modell der zyklischen Einschreibung vor: 32  Unter ‚anthropologisch‘ seien auch jene elaborierteren Modelle zu fassen, die von mentalitätsgeschichtlichen oder wunschtheoretischen Prämissen ausgehen (Winkler 2000: 12). Franziska Heller - 978-3-8467-6460-2 Heruntergeladen von Fink.de01/03/2022 12:27:50PM via free access 56 kapitel 2 Technik ist das Resultat von Praxen, die in der Technik ihren materiellen Nieder- schlag finden; Praxen (einige, nicht alle Praxen!) schlagen um in Technik, dies wäre die erste Phase des Zyklus. Und gleichzeitig gilt das Gegenteil: Dieselbe Technik ist Ausgangspunkt wiederum für alle nachfolgenden Praxen, indem sie den Raum definiert, in dem diese Praxen sich ereignen. Dies ist die zweite Phase des Zyklus. Einschreibung der Praxen in die Technik und Zurückschreiben der Technik in die Praxen (Winkler 2000: 14). Damit seien „Diachronie und Synchronie, Diskurs und Struktur […] auf systematische Weise miteinander verbunden“ (Winkler 2000: 15).33 Dieser Be- fund lässt sich produktiv auf unseren Gegenstandsbereich übertragen: Auf der einen Seite stehen im Kontext von digitalisierten Filmen die soziokulturellen Bedürfnisse – etwa des Zugangs –, die digitalen Technologien in Bezug auf Film ihren Wert geben. Dies ist allerdings nicht abgetrennt zu sehen von der voran- gegangenen (analogen) Film- und Mediengeschichte, die eine entscheidende Rolle für die Entwicklung von Ansprüchen und Bedürfnissen etwa angesichts von medialen Erlebnisformen spielen. Jene können wiederum von digitalen Technologien aufgegriffen und bedient werden. So gilt auf der anderen Seite – mit Winkler gesprochen im zweiten Zyklus: Digitalisierte Filme und ihre Nutzungsformen schreiben sich wiederum in die Mediengeschichte ein und schaffen ihrerseits spezifische Bedingungen und Bedürfnisse – vor allem in Hinblick auf die Nutzung und Zuschreibung von Potenzialen von Medien. Digitalisierte Filme definieren darüber den sozialen und kulturellen Raum und Rahmen, in dem wir wiederum Film begreifen und behandeln – was seiner- seits neue Sehsüchte nach medialen Erlebnisformen befördert. Mit Winkler (2000: 22) lässt sich somit kulturkritisch gerade in Diskursen, die technizistisch argumentierend die digitale Qualität der Filme ausstellen, nach den zugrunde liegenden Mustern, verwendeten Bildern und wahrnehmungstheoretischen Implikationen fragen. Daran schließt sich die Untersuchung an, wie sich das Label digital im marktorientierten Kontext in mediale Phänomene übersetzt. Ein solcher kultur- und medienkritischer Ansatz strukturiert mit etwas anderer Begrifflichkeit als bei Winkler auch die Ausgangsüberlegungen des Sammelbandes Digitalität und Kino zur Mediengeschichte (Segeberg 2012a). Der Band stellt die Frage in den Mittelpunkt, ob es möglich wäre, die Medialität der Filmgeschichte jenseits einer immer wieder unterstellten Dichotomie aus 33  Im Folgenden thematisiert Winkler das Problem der wissenschaftlichen Erkenntnis selbst. Besonders interessant ist hier, dass er diese Überlegungen mit (inner)disziplinären und fachpolitischen Entwicklungen verbindet. So diskutiert er die Vorzüge von technik- zentrierten Ansätzen mit Blick auf das herkömmliche Vorurteil von harten (rationalen) Naturwissenschaften vs. weichen Humanwissenschaften und ihren Gegenstands- bereichen, die nicht so klar bestimmbar seien wie in den Naturwissenschaften. Franziska Heller - 978-3-8467-6460-2 Heruntergeladen von Fink.de01/03/2022 12:27:50PM via free access Digitalisierung als kulturelle Praxis 57 Analog und Digital zu bestimmen: „Welchen Beitrag zur Beschreibung [und Konstitution einer Vorstellung, FH] des Digitalen leisten die eher generellen [sich historisch in die Mediengeschichte einordnenden, FH] Diskurstypen zum Digitalen“ (Segeberg 2012b: 13, Hervorh. FH)? Anstatt immer auf die Differenzen hinzuweisen,34 solle man vielmehr den medienhistorischen Kontext und die Genese digitaler Technologien deutlicher verorten und kontextualisieren. Segeberg benennt – ähnlich wie Winkler – zwei Diskursmodelle der Mediengeschichte, zwischen deren Polen sich die Einschätzung der Rolle von Film beziehungsweise Kino bewegt: – Das bellizistische Modell beschreibt die Geschichte der Medien als einen Krieg unter Medien, in dem ein Medium das andere dadurch so gut wie aus- löscht, dass es dessen Leistungen so komplett wie irgend möglich in sich aufnimmt, weiterentwickelt und überbietet (Segeberg 2012b: 15). – Das medienökologische Modell nimmt dagegen an, dass Medien einan- der nicht auslöschen, sondern sich in der Regel im Verbund mit anderen Medien – und das hieße koevolutiv – entwickeln. In diesem Erklärungsmo- dell35 wechseln daher nicht die Medien als ganze, sondern die Leit- oder Führungsrollen. Dabei überleben die zu einem Zeitpunkt nicht dominan- ten Medien nicht selten in „mit Artenschutz versehenen medienökologi- schen Nischen“ und können unter anderen zeitlich-situativen Bedingungen erstaunlich erfolgreich revitalisiert werden (Segeberg 2012b: 15). Im Horizont eines solchen medienökologischen Modells, das von einer koevolutiven Dynamik ausgeht, sind meines Erachtens viel zitierte Ansätze wie vor allem der der Remediation von Bolter/Grusin (vgl. ausführlicher hierzu  Kap. 4) zu sehen, die 1999 auf die sich verdichtende Multimediali- tät von Phänomenen reagierten und suchten, diese konzeptuell und begriff- lich fassbar zu machen. Flückiger konstatiert mit Blick auf die von Bolter/ Grusin fokussierten Phänomene Prinzipien des ständigen Konfigurierens und Umkonfigurierens von Erscheinungsformen und Inhalten in bestimmten kulturellen Rahmungen. Diese (ständigen) Konfigurationsprozesse sind als Netzwerk zu denken, bei dem es keinen Kern, keine irreduzible Essenz mehr gibt, die eindeutig auf ein Ursprungs- beziehungsweise Originalmedium ver- weisen (Flückiger 2008: 400).36 34  Vgl. hierzu auch den Begriff von Belton (2003) einer „digitalen Scheinrevolution“. 35  Dieses wird vor allem von dem Medienökologen Michael Giesecke favorisiert. 36  Nach Fossatis Analyse (2009) archivarischer und restauratorischer Praktiken sind dies Formen der praktischen Umsetzung des Remediation-Modells (2009: 137 f.): Mithilfe eines neuen Mediums (digitale Domäne) wird ein älteres (fotochemischer Abbildungsprozess) simuliert und in der Rezeption (= restaurierter Film) möglichst ununterscheidbar ge- macht (2009: 140, 218). Franziska Heller - 978-3-8467-6460-2 Heruntergeladen von Fink.de01/03/2022 12:27:50PM via free access 58 kapitel 2 Methodisch gewendet heißt dies nach Thorburn/H. Jenkins in Rethinking Media Change (2004), dass man eher eine komparative Herangehens- weise an mediale Phänomene und ihre Aktualisierungen von zeitlich früheren Phänomenen wählt und keine kompetitiv betriebene Suche nach einer Medienspezifik mehr vornimmt37 – dies helfe auch, einseitig utopische wie dystopische Einschätzungen eines Medienwandels zu ver- meiden (Thorburn/H. Jenkins 2004: 1). Vor diesem Hintergrund solle man alt und neu weniger in einem kompetitiven Verhältnis denken als vielmehr als kollaboratives Netzwerk im Kontext einer sich im ständigen Wandel be- findenden medialen und kulturellen Umgebung (Thorburn/H. Jenkins 2004: 3).38 So plädieren Thorburn/H. Jenkins auch für ein Gedankenmodell der Evolution statt der bellizistischen Revolution.39 In diesem Horizont profilieren sie gleichermaßen methodologisch die Notwendigkeit einer pragmatischen Herangehensweise, die eine Kontextualisierung der jeweiligen Bedingungen von technologischem Wandel und Entwicklung bestimmt.40 Als kurzes Zwischenfazit sei darauf verwiesen, dass hier kumulativ ver- schiedene Ansätze vorgestellt wurden, die – in je unterschiedlicher Gewich- tung – das Verhältnis von Technologieentwicklung, erlebbaren Phänomenen und Dynamiken soziokultureller Praktiken zusammendenken: Fossati (2009) mit Blick auf das Modell der SCOT-Theorie mit einem Schwerpunkt auf den beteiligten Akteuren in dem Feld; Winkler (2000), historisch zum Jahr- tausendwechsel eingebunden in eine disziplinäre Methodendebatte der deutschsprachigen Medienwissenschaft, versucht zwei Modelle der Medien- geschichtsschreibung in einer zyklischen Struktur miteinander zu ver- mitteln und profiliert gleichzeitig einen kulturkritischen Ansatz auch bei den technizistisch ausgerichteten Diskursen. Dieser findet seine Wiederauf- nahme bei Segeberg (2012b). Allerdings richtet Segeberg den Fokus auf die 37  „ Medium-specific approaches risk simplifying technological change to a zero-sum game in which one medium gains at the expense of the rivals“ (Thorburn/H. Jenkins 2004: 3). 38  „[T]o focus exclusively on competition or tension between media systems may impair our recognition of significant hybrid or collaborative forms that often emerge during times of media transition“ (Thorburn/H. Jenkins 2004: 3). 39  Nach Thorburn/H. Jenkins (2004) sind entscheidende Prinzipien historiografischer Dynamik, damit sich überhaupt Kategorien wie alt und neu herauskristallisieren können, zum einen die Institutionalisierung, zum anderen die Standardisierung – beides kulturelle, gesellschaftliche und ökonomische Prozesse, gepaart mit Technikentwicklung. 40  „In our current technological transition, there is an urgent need for a pragmatic, historically informed perspective that maps a sensible middle ground between the euphoria and the panic surrounding new media, a perspective that aims to understand the place of economic, political, legal, social and cultural institutions in mediating and partly shaping technological change“ (Thorburn/H. Jenkins 2004: 2). Franziska Heller - 978-3-8467-6460-2 Heruntergeladen von Fink.de01/03/2022 12:27:50PM via free access Digitalisierung als kulturelle Praxis 59 diskursiven und zeitlichen Verhältnisse medialer Phänomene untereinander. Er rekurriert damit auf zentrale Positionen von Bolter/Grusin (1999) sowie Thorburn/H. Jenkins (2004), die angesichts des Multimedialen versuchen, die geschichtliche Entwicklungsdynamik beschreibbar zu machen. Aus dieser Auffächerung der Perspektiven ergeben sich für die vorliegende Studie folgende Konsequenzen: – Angesichts des Phänomens von digitalisierten Filmen wird von der Dyna- mik eines koevolutiven, vielschichtigen Netzwerkmodells ausgegangen. Dies findet sich methodologisch darin umgesetzt, dass die Analysekapitel mit ihren jeweiligen Schwerpunkten zu einem spezifischen diskurskriti- schen und wirkungsästhetischen Topos als Cluster (Spielmann 1998) ver- standen werden, in denen mehrere historiografisch wirksame Schichten als Wahrnehmungsoptionen koexistierend simultan aktiv werden. – In Anlehnung an die oben diskutierten Überlegungen erhält der Begriff der Transition eine zentrale Funktion – in bewusst mehrdeutigem Sinn. Er bezeichnet zum einen die zeitliche Dynamik als Fluss, in dem die Vergan- genheit mit der Gegenwart interagiert und die Zukunft in der Gegenwart schon projektiv enthalten ist.41 Zum anderen wird Transition als ständige Bewegung gedacht, als ständiger Prozess der Aushandlung. Darüber hinaus hat der Begriff der Transition das Potenzial, der immanenten Dynamik des zyklischen Verhältnisses von menschlichen Bedürfnissen und Technologie- entwicklungen Rechnung zu tragen. Digitalisierung, Gesellschaft, Ästhetik und Geschichte In diesem zweiten Abschnitt des  Kap. 2 – der erste widmete sich Begriffen und Konzepten42 – wird die bereits angesprochene kulturkritische Perspektive mit der Darstellung unterschiedlicher Ansätze in ihren Facetten dimensioniert und zugleich mit Blick auf den Gegenstandsbereich der vorliegenden Studie präzisiert. Zunächst werden bereits in Teil I angesprochene technologische Voraussetzungen in ihren Konsequenzen für Welt- und Wahrnehmungskon- zepte erläutert. Daran anschließend wird der Rückgriff auf Fredric Jameson 41  Dies erinnert an das zeitphilosophische Konzept der „gedächtnishaften, erlebten Zeit“, der Dauer/durée nach Henri Bergson (1991/1896), die vom Raum entbunden ist. Vgl. in geschichtstheoretischer Perspektive die Ausführungen zu Konzepten von Koselleck in  Kap. 1. 42  Vgl. den zweiteiligen Aufbau dieses  Kap. 2 in Begriffe und Konzepte und Digitalisierung, Gesellschaft, Ästhetik und Geschichte. Vgl. überblicksartig die Erläuterung zu diesem Gliederungsprinzip in der Einleitung  Kap. 1. Franziska Heller - 978-3-8467-6460-2 Heruntergeladen von Fink.de01/03/2022 12:27:50PM via free access 60 kapitel 2 und seine Kulturdiagnose für ‚postmoderne‘, ‚spätkapitalistische‘ Gesell- schaftsstrukturen seit den 1980er Jahren vorgenommen. Wichtig wird hier insbesondere die Vermittlung Jamesons sein, der ästhetische Prinzipien und Vorstellungen von Historizität aufeinander bezieht. Mit diesem Rekurs wagt meine Argumentation historisch einen Schritt zurück: Zum einen ermöglicht dies das Aufzeigen der historischen Linie von memo- und kulturpolitischen Problemkomplexen und Diskursen, die mit Computertechnologien nicht erst in den 2000ern Jahren aufgekommen sind. Mit der konkreten Verbindung von Jamesons Kulturdiagnose und der Colorization-Debatte der 1980er Jahre können grundlegende Problemstellungen und ästhetische Phänomene in ihrer Entwicklung aufgezeigt werden, die zu Beginn der 2000er Jahre als digitale Tools verbreiteter zum Einsatz kamen, noch prominenter zutage treten. So schließt das Kapitel mit dem Fallbeispiel der deutschen TV-Serie Welten- brand aus dem Jahre 2012, welches das zu beschreitende Spannungsfeld zwischen medientechnologischen und memo- wie kulturpolitischen Dis- kursen einerseits und Modellierungen der medien- und wirkungsästhetischen Dimensionen anderseits am Gegenstand entfaltet. 2.6 Welt- und Wahrnehmungskonzepte im Zeichen des Digitalen. Quantisierung, Vergleichbarkeit und Effizienz Als besonders grundlegend für die Verbindung von Funktionsweisen digitaler Technologien und sozialer, gesellschaftlicher und gedanklicher Konfigurationen gilt eine Studie von Mark J. P. Wolf. Wolf hat in Abstracting Reality. Art, Communication, and Cognition in the Digital Age (2000) gezeigt, wie sich Prinzipien digitaler Ordnungen und Denkmuster in die Kultur ein- schreiben und in Perzeptionsformen übersetzen können. Wolf untersucht die Interaktion zwischen digitaler Aufzeichnung, Wahrnehmung und Kognition. Seine These lautet, dass die Künste und Medien, die ihre Abbildungen durch einen technischen Aufzeichnungsprozess herstellen (wie die Fotografie, der Film, die Tonaufnahme), sich in einem Abstraktions- und Dematerialisierungs- prozess zu einer quantisierten, zunehmend mediatisierten Beziehung zur Wirklichkeit hinbewegen. Mit digitalen Technologien und einhergehenden Denkmustern findet vor diesem Hintergrund eine Verlagerung vom perceptual zum conceptual statt. Eine Ebene der Abstraktion wird eingezogen, denn „ana- log and digital represent concepts“ (Wolf 2000: ix). Dieser Abstraktionsprozess hat Folgen für die Vorstellung von historischer Dynamik: „It extends beyond a form of design into a way of thinking, an attitude towards the world and the future“ (Wolf 2000: xi). Franziska Heller - 978-3-8467-6460-2 Heruntergeladen von Fink.de01/03/2022 12:27:50PM via free access Digitalisierung als kulturelle Praxis 61 Wolfs Überlegungen lassen sich meines Erachtens im Ansatz mit Grund- gedanken des Philosophen Gilles Deleuze vergleichen, wenn es um das produktive Verhältnis der Modellierung von Denken, medialen Formen und Raumzeitlichkeit geht: Ist für Deleuze das (moderne) Filmbild als Zeit-Bild (bes. 1997b/1985), das heißt als eine Gegenverwirklichung modernen Denkens zu verstehen, könnte man weitergehend formulieren, dass Wolf etwas Ähnliches für digitale Technologien vorschlägt: Die raumzeitliche Ordnung digitaler Daten – diskret, diskontinuierlich und vor allem quantisiert – erscheint als eine Gegenverwirklichung aktuell geläufiger Weltkonzeptionen und Geschichtsvorstellungen. Wolf beschreibt die Dynamiken zwischen soziokulturellen und technologischen Entwicklungen als eine komplexe prozessuale Interaktion (Flückiger 2008: 38). Im Horizont des zentralen Prinzips von Quantisierung stellen hierbei die Diskretheit von Werten sowie das Verfahren der (abstrakten) ‚Repräsentation‘ Schlüsselkonzepte dar (Wolf 2000: x). Diese forcieren die kulturelle, diskursive und erkenntnistheoretische Stellung von mathematisch messbarer Welterfassung (hier verweist Wolf auf den von Donna Haraway [1985] benannten „Messwahn“). Ähnlich wie Schröter 2004 konstatiert Wolf hierbei, dass analog und digital zu ideologisch auf- geladenen Synonymen geraten: [A]nother difference between analog and digital is their connotative meaning in popular usage. In common parlance, ‚digital‘ has come to represent the mod- ern, state-of-the-art technology, while ‚analog‘ refers to an older, outmoded and outdated form. […] The term ‚digital‘ is also often associated with a high degree of quality, even though the term refers to a technology and not a specific applica- tion of it (Wolf 2000: x). Vor diesem Hintergrund sind auch digitale Bilder und ihre soziokulturelle Be- deutung einzuordnen. Nach Wolf haben gerade diese Einzug in das alltägliche Leben gehalten, ihre Logik prägt damit einen bestimmten Typus von Gesell- schaft.43 Die wachsende Informationsgesellschaft, die zugleich Bedingung 43  In diesem Horizont hat in jüngerer Zeit auch das Schlagwort Postdigitalität an Populari- tät gewonnen, was einen weiteren Schritt in der kulturwissenschaftlichen Beschäftigung mit digitalen Phänomenen bedeutet. In dem Begriff äußert sich die Vorstellung, dass es weniger gilt, die „disruptiven Folgen der Digitalisierung“ (Settembrini di Novetre 2012: 2) zu benennen, als vielmehr zu konzeptualisieren, dass die Digitalisierung den Alltag er- fasst hat und damit nicht mehr der Sphäre der Virtualität und Dematerialisierung zu- zuordnen ist: „Postdigital heißt gerade nicht, dass digitale Technologien und digitale Medien keine Rolle mehr spielen. Genau das Gegenteil ist der Fall: Die tiefe und nach- haltige Durchsetzung der Digitalisierung ist eine notwendige Bedingung für den post- digitalen Zustand“ (Köhler, zit. n. Settembrini di Novetre 2012: 2). Der Blogger Settembrini weiter: „Oder anders gesagt: post- meint nicht anti-, so wie die Postmoderne ja auch keine Franziska Heller - 978-3-8467-6460-2 Heruntergeladen von Fink.de01/03/2022 12:27:50PM via free access 62 kapitel 2 wie Resultat der Entwicklung ist, bildet hier den „frame of mind“ und liefert „ways of thinking“; diese Denkmuster lassen wiederum digitale Technologien begehrenswert und notwendig für das alltägliche Leben erscheinen (Wolf 2000: xi). Quantisierung strukturiert so vier grundlegende Kategorien unserer Welterfahrung und -verständigung, indem diese in diskrete, abstrakte Werte eingeteilt werden: Zeit, Raum, Wert und Information. Diese standardisierten abstrakten Einteilungen bilden die Grundlage und Voraussetzung für die (stetige) Vereinfachung von Austausch, Kommunikation und Handel (Wolf 2000: 5).44 Für unseren Zusammenhang – gerade auch mit Blick auf die Beschäftigung mit ästhetischen Bildphänomenen und deren Zirkulation – interessiert be- sonders das Austauschverhältnis von Mechanismen der soziokulturellen, vor allem ökonomischen Wertbestimmungen und digitalen Technologien. Die Konsequenzen des Prinzips von Quantisierung werden von Wolf zunächst wie folgt beschrieben: Although value itself is always in flux, just as the values of currencies fluctuate, it is still quantized into numerically expressible amounts. The need to quantify value came about with trade and the need to insure that an equitable exchange had been made, since trade was an impetus for the development of mathematics itself (Wolf 2000: 14). Vor diesem Hintergrund sei an Holert (2002) erinnert, der den Zusammen- hang von neoliberalen, globalisierten Weltkonzeptionen, Finanzsystemen und digitalen Technologien hervorgehoben und damit die (ideologisch-ikono- grafische) Verwebung von marktwirtschaftlichen Prinzipien und Zirkulationen mit der Vermessung von Informationen und Bildphänomenen beschrieben hat. Laut Wolf haben die damit einhergehenden Dematerialisierungs- und Abstraktionsprozesse, denen Informationen und Phänomene unterworfen werden, zum einen De- und Re-Kontextualisierungen ebenjener zur Folge; zum anderen etabliert sich damit (paradoxerweise) ein mathematischer, an Zahlen orientierter Begriff von Objektivität (Wolf 2000: 21), der etwa in öko- nomischen Kontexten als Grundlage der Wertbestimmung funktionalisiert werden kann. Gegenmoderne darstellt, sondern auf den Errungenschaften der Moderne gewisser- maßen aufsetzt.“ (Settembrini di Novetre 2012: 1). In diesem Horizont seien auch „sich überlappende Retro- und Nostalgiewellen“ zu sehen. 44  Die Einführung einer Geldwährung – Münzen als abstrakter Gegenwert für Naturalien – ist hier eines der zentralen Beispiele Wolfs. Franziska Heller - 978-3-8467-6460-2 Heruntergeladen von Fink.de01/03/2022 12:27:50PM via free access Digitalisierung als kulturelle Praxis 63 Schon Wolf warnt hier – und dieses Problem wird sich in meiner Aus- einandersetzung mit Filmen und Filmbildern als ästhetischen Phänomenen noch zuspitzen –, dass die Orientierung an diskreten, kleinen Einteilungen Gefahren birgt, da sie reduktionistisch wirkt45 und die menschliche Existenz in binäre Ordnungsprinzipien presst. Das Denken in der Logik des Digitalen („digital-style“) gehorcht einem utilitaristischen Effizienzgedanken, was zu stereotypen Kategorisierungen und Vereinfachungen führt (Wolf 2000: 22). In Konsequenz leistet dies Denkansätzen Vorschub, bei denen es darum geht, die eine, nämlich „one best solution“ zu finden, um ein Maximum an mess- barer Effizienz und ökonomischer Verwertbarkeit zu erreichen. Und damit verbindet sich auch die Vorstellung von (teleologischem) Fortschritt, der wiederum messbar bleiben muss (Wolf 2000: 23). Vor diesem Hintergrund der Prinzipien der Abstraktion, Dematerialisierung und Repräsentation eröffnen sich mit Blick auf ästhetische Phänomene und den Kunstbegriff, nicht zuletzt im Kontext von Film, nachhaltig Spannungs- felder, da – in Erinnerung an Benjamin und die Aspekte der technischen Reproduzierbarkeit – Begriffe von Authentizität (unter anderem gebunden an ein Konzept von klar verortbarer Urheberschaft) prekär werden. Haupt- referenz an dieser Stelle, auf die sich nicht nur Wolf (2000), sondern auch Rodowick (2007), Flückiger (2008), Fossati (2009) beziehen, sind die symbol- theoretischen Überlegungen des analytischen (Kunst-)Philosophen Nelson Goodman. Dessen berühmt gewordene Unterscheidung zwischen auto- grafischen und allografischen Künsten (Goodman 1997/1968: 122 ff.) weist im Kontext des Films in Hinblick auf Konzepte von Original und Kopie auf schwer zu klärende Fragen hin. Film hat für Rodowick einen hybriden und schwierigen Status (Rodowick 2007: 14–15): Ist für die Identität von autografischen Kunst- werken nach Goodman entscheidend, dass sie an ihre physische Identifikation gebunden sind und damit auch an die Idee eines physischen Erzeugnisses des Künstlers (etwa bei einem Gemälde), so sind allografische Künste zwei- stufig, da der Künstler eine Notation entwirft, auf deren Grundlage das Kunst- werk in verschiedenen Realisationen von ihm emanzipiert aufgeführt werden kann. Zentrales Beispiel ist die Musik, in der die Komposition als individueller, kreativer Akt zeitlich und räumlich getrennt sein kann vom performativen Akt des Kunstwerks – auf der Grundlage des Notationssystems zum Bei- spiel einer Partitur. Bereits der analoge Film mit seinem Prinzip der techni- schen Reproduzierbarkeit verortet sich zwischen den beiden Kategorien, da 45  „Quantization is inherently reductionist; by its very nature it seeks to find or create divisions, its representations are discrete rather than continuous“ (Wolf 2000: 21). Franziska Heller - 978-3-8467-6460-2 Heruntergeladen von Fink.de01/03/2022 12:27:50PM via free access 64 kapitel 2 er offensichtlich zwei- oder gar mehrstufig funktioniert. Doch wo ist beim Film – äquivalent zur Unterscheidung zwischen Komposition/Notation und Performance – die Grenze zu ziehen (Rodowick 2007: 15)? Was ist bei ihm die Vorlage beziehungsweise die Notation, was die Aufführung? Dies verkompliziert sich nun angesichts der Wandlung der Form der Reproduzierbarkeit: The digital image extends these problems […]. Computer generated images are not autographic for two reasons: as ‚synthetic‘ images they cannot be considered the physical act of the author’s hand, nor do they result in an end product. Indeed one of the great creative powers of digital images is their lack of closure, a qual- ity Philip Rosen has characterized as ‚practically infinite manipulability‘: they are easily reworked, reappropriated, and recontextualized (Rodowick 2007: 15). Mit Rekurs auf Stanley Cavell bezeichnet Rodowick dies auch als die Automatis- men der digitalen Künste. In dieser Hinsicht stellen sie sich als antagonistisch zu autografischen Kunstwerken dar. Allerdings ist es in der digitalen Domäne möglich, eine augenscheinlich fast identische Kopie des originalen Kunst- werks herzustellen. Auf der technischen Ebene könnte der zugrunde liegende Algorithmus als Notation des Bildes verstanden werden, seine Sichtbar- machung in Gestalt eines Filmbildes als performativer Akt, als „Aufführung“ (Rodowick 2007: 15–16). Dies kann mit weiteren grundsätzlichen Überlegungen von Goodman (1997) zusammengebracht und methodologisch gewendet werden: Eigen- schaften und Symbolhorizonte, die Kunst und damit auch den digitalen Film ausmachen, sind nicht unabhängig von den jeweiligen Rezeptionskontexten zu sehen. So bedeutet das Wahrnehmungscluster digitalisierter Film zu ver- schiedenen Zeiten verschiedene Konfigurationen von Sinn (vgl. hierzu zum Prinzip der Relationen  Kap. 7). Daher untersuche ich digitalisierte Filme als (Symbol-)Systeme dahingehend, inwiefern Digitalisate und damit implizit auch die vermittelten Geschichtsbildmodellierungen je nach Kontext und Bezugsrahmen als (auch außermedial) bedeutsam und richtig empfunden werden können.46 46  Vor diesem Hintergrund wird auch in  Kap. 7 nach den digitalen Konfigurationen ge- fragt, in denen über verschiedene Symbolsysteme und deren innere Relationen Versionen von Geschichts- und damit auch Weltmodellierungen vermittelt werden. Auch wenn dies von der vorliegenden Studie im phänomenologisch imprägnierten Ansatz nicht grundlegend systematisch übernommen wird, so könnte man die Funktionsweisen eines kognitiven ‚Weltenbaus‘ auf der Grundlage von Symbolen nach einer digitalen Logik in einer solchen Konfiguration mit Nelson Goodman (1990/1978) beschreibbar Franziska Heller - 978-3-8467-6460-2 Heruntergeladen von Fink.de01/03/2022 12:27:50PM via free access Digitalisierung als kulturelle Praxis 65 All die hier vorgestellten Überlegungen eröffnen darüber hinaus noch viel breitere Spannungsfelder – gerade im Zusammenhang mit Denkmustern, die von Logiken der Quantisierung und der Vermessung geprägt sind. Die Friktionen werden besonders offensichtlich, wenn man ebendiese Logiken auf Kulturgüter und Phänomene der ästhetischen Wahrnehmung bezieht (Heller/ Flückiger 2010). In der Praxis haben Versuche, Filmdigitalisierungsprozesse im Dienste von Logiken der Effizienz zu automatisieren, zahlreiche offene methodische Fragen und ethische Herausforderungen zutage treten lassen (u. a. Fossati 2009; Heller/Flückiger 2010; Flückiger 2018). Exemplarisch wird dies deutlich bei der Debatte um den ethisch vertretbaren, bis heute nicht standardisierten Umgang mit den ästhetischen Eigenschaften von historischen Filmbildern, wenn sie automatisiert in die digitale Domäne überführt und damit in ihrer digitalen Qualität potenziell in jeglicher Hinsicht modellierbar werden. Diese Programmierbarkeit beziehungsweise der automatisierte Umgang mit den konkreten Phänomenen steht in vielen Fällen im Kontext einer Einschätzung des (unterhaltenden ästhetischen) Werts für die heutigen Medienumgebung. Ähnliche Probleme ergeben sich aber auch schon vorgelagert, wenn es um die Selektion geht, was überhaupt wert ist, in die digitale Domäne überführt zu werden. Hier kommen weiterhin die (Un-)Möglichkeiten einer messbaren Wertbestimmung von Filmen zum Tragen47 (vgl. hierzu die ausführlicheren Erläuterungen zu Werterelationen des Ästhetischen im Kontext des Films in  Kap. 6 und  Kap. 7). Wichtig ist Wolfs Hinweis an späterer Stelle, dass Ver- messung oft eine Wahrnehmungsformierung und -haltung des Vergleichens bedingt (Wolf 2000: 22; vgl. hierzu auch  Kap. 7). Ein solche Konfiguration des Vergleichens geht auf den hier zum Abschluss profilierten zentralen Diskursstrang im Zeichen digitaler Denkmuster zurück: Als Flusser die Krise der Linearität (1992) anhand der Hypothese untersuchte, dass unser Denken, Fühlen, Wünschen, Handeln, Wahrnehmen und sogar Vorstellen – wie wir die Welt und uns selbst erfahren – durch die Struktur von Codes geformt wird, da hob er besonders das Prinzip hervor, das aus der Möglich- keit des Random Access digitaler Daten entspringt. Gerade hier artikuliert sich die Loslösung von linearen Denkmustern und Repräsentationsmustern. Random Access ermöglicht die Bildung von netzwerkartigen Strukturen: Statt der Logik von Buchstaben in Zeilen zu folgen, zerbröckelt die mathematische machen: Komposition/Dekomposition, Gewichtung, Ordnen, Tilgung und Ergänzung, Deformation. 47  Zur Erinnerung Wolfs grundsätzlicher Befund: „Measurability and exchange value have become too important in the estimation of worth“ (Wolf 2000: 23). Franziska Heller - 978-3-8467-6460-2 Heruntergeladen von Fink.de01/03/2022 12:27:50PM via free access 66 kapitel 2 Logik Oberflächen des Bildes in Punkte und Intervalle (Flusser 1992: 22). Es sei ein „Aufstand der Zahlen gegen die Buchstaben“, der das Denken in Punkte „zerklaubt“ (Flusser 1992: 23). Manovich (2001: u. a. 244–285) hat diesen Ansatz mit den Konzepten der Datenbank weiter ausgebaut und vor allem auch die dadurch ent- stehenden Navigationsräume beschrieben. Distelmeyer (2012) greift seiner- seits den sich darum rankenden Diskursstrang auf und bezieht das Prinzip der Verräumlichung – auch im Vermittlungsmodus einer interaktiven, (nach) vollziehenden Kartografie – auf die konkreten digitalen Erscheinungs- bedingungen von Film in entsprechenden Dispositiven (Distelmeyer 2012: 170 ff.). So verortet er die Vermittlung der Idee von digital in dem Prinzip der Verräumlichung und in dessen oft ostentativem Ausstellen seitens der medialen Anordnungen (zum Beispiel DVD oder Blu-Ray-Disc, Distelmeyer 2012: 172). Die jeweiligen (räumlichen) Konfigurationen sind – unter Bezug auf Wolfs bereits zitierten Hinweis (Wolf 2000: 22) – auf die Art und Weise hin zu prüfen, wie sie Modi des Vergleichs von Phänomenen zum Zwecke einer ökonomisch umsetzbaren Wertzuschreibung gestalten. Solche medialen Ver- mittlungsformen der Vorstellungen und Konzeptionen von ‚digitaler Logik‘ und ‚digitaler Welterfahrung‘ werden wiederkehrend in den Analysekapiteln Gegenstand sein (vgl. insbesondere  Kap. 7 zu digitalen Konfigurationen des Vergleichens; aber auch  Kap. 5 zur historiografisch-performativen Dimension von verräumlichten Vermittlungsformen von Film). 2.7 Postmoderne Strukturen und der Verlust des Historischen Fredric Jameson hat bereits in den 1980er Jahren Gesellschaftsstrukturen als „spätkapitalistische“ in den Blick genommen und dabei die Kategorie Post‑ moderne als „kulturelle Dominante“ benannt.48 Unter diesen Vorzeichen sei ästhetische Produktion zunehmend zu einer Ware, zu einem ökonomisch verwertbaren Gebrauchsgegenstand geworden (Jameson 1991: 4).49 Vor diesem Hintergrund beschreibt Jameson insbesondere die imaginäre und transzendentale Dimension, die in einem solchen gesellschaftlichen Umfeld digitalen Technologieentwicklungen zugeschrieben wird. Diese artikulieren 48  „[I]t seems to me essential to grasp postmodernism not as a style but rather as a cultural dominant: a conception which allows for the presence and coexistence of a range of very different, yet subordinate features“ (Jameson 1991: 4). 49  Einige Kapitel des 1991 erschienenen Buches von Jameson wurden bereits einzeln in den 1980er Jahren publiziert. Franziska Heller - 978-3-8467-6460-2 Heruntergeladen von Fink.de01/03/2022 12:27:50PM via free access Digitalisierung als kulturelle Praxis 67 sich in Form von „[f]antasies about the salvational nature of high technology, from chips to robots“ (Jameson 1991: 46). Jamesons Überlegungen weisen im kulturkritischen Ansatz Gemeinsam- keiten mit bereits diskutierten Positionen auf. In seiner Argumentation zeigen sich ähnliche Schlüsselprinzipien der Haltung zu Geschichte und Ver- gangenheit: Diskontinuität, Dematerialisierung, Abstraktion von Werten und Deterritorialität. Diese Prinzipien werden in Jamesons Perspektive immer wieder mit Strukturen einer kapitalistischen Gesellschaftsordnung und deren Interessen zusammengebracht. Diese Kombination zeitigt gravierende Folgen für das Geschichtsver- ständnis: „For I take it axiomatic that ‚modernist history‘ is the first casualty and mysterious absence of the postmodernism period“ (Jameson 1991: xi). Dadurch, dass ästhetische Produktionen in die Warenproduktion integriert werden (Jameson 1991: 4), erfolge ein Verlust von Historizität (Jameson 1991: x). Die Konsequenz sei eine neue Oberflächlichkeit und damit fehlende Tiefe, die in einer neuen Kultur des (Ab-)Bildes oder des Simulakrums eine Ver- längerung finde, welches in neuer Funktion seinen eigentlichen Wurzeln ent- rissen werde. Dies bedeute [a] consequent weakening of historicity, both in our relationship to public History and in the new forms of our private temporality […]; the deep constitu- tive relationships of all this [relate/go back/refer, FH] to a whole new technol- ogy, which is itself a figure for a whole new economic work system (Jameson 1991: 6). Jameson beschreibt das weite Netzwerk des Zusammenwirkens von neuen Technologien und einer marktwirtschaftlichen ökonomischen Gesellschafts- ordnung, die in Richtung eines globalisierten (Kapital-)Raums strebt, in dem es grundsätzlich – ob im privaten oder im kollektiven, öffentlichen Geschichts- verständnis – zu einem Verlust von historischer Identität kommt. Die Stabilität des historischen Referenten wird dadurch unterminiert. Dies zeitigt seiner- seits kunstpolitische Konsequenzen: „[O]ne fundamental feature of all the postmodernisms enumerated above: namely, the effacement in them of the older (essentially high-modernist) frontier between high culture and so-called mass or commercial culture“ (Jameson 1991: 2). Das Verschwimmen der Grenze zwischen elitärer Hochkultur und massenmedialer Kultur finde in einer be- stimmten Ästhetik, in der Form des Recyclings und Zitierens, seinen Aus- druck. Dies verbinde sich mit den Prinzipien der Dekontextualisierung und kulminiere im ästhetischen Prinzip des Pastiches (Jameson 1991: 16).50 50  „Pastiche is like parody, the imitation of a peculiar or unique, idiosyncratic style, the wearing of a linguistic mask, speech in a dead language. But it is a neutral practice of Franziska Heller - 978-3-8467-6460-2 Heruntergeladen von Fink.de01/03/2022 12:27:50PM via free access 68 kapitel 2 Dadurch, dass historische Identität prekär werde, könne man sich her- gebrachter Motive und Symbole bedienen, die in der Re-Aktualisierung und der Re-Kontextualisierung des (Gebrauchs-)Zusammenhangs imitierend neu perspektiviert würden, wobei der Warenwert in der gegenwärtigen Wahr- nehmung eine dominierende Rolle spiele. Die Erinnerung an den Gebrauchs- kontext und -wert, den das Zitierte ursprünglich gehabt habe, trete zurück: „The culture of the simulacrum comes to life in a society where exchange value has been generalized to the point at which the very memory of use value is effaced“ (Jameson 1991: 18).51 Die Vergangenheit, das, was als ‚historisch‘ wahr- genommen wird, ist nur noch eine weite Sammlung von (Ab-)Bildern, die auf nichts anderes mehr als auf sich selbst verweisen – in einer räumlichen, synchron organisierten Anordnung („the new spatial logic“, Jameson 1991: 18 f.). Nach diesen Überlegungen Jamesons wird im methodischen Horizont meiner Studie nahegelegt, Geschichtlichkeit als Effekt eines konkreten medialen Ausdrucks in den Blick zu nehmen – unter der dominanten Maßgabe des zugeschriebenen Marktwerts.52 Mit Rekurs auf Barthes spricht Jameson hier vom Vergangenheitseffekt, dem Effekt einer pastness (Jameson 1991: 19). Bezogen auf den Gegenstandsbereich meiner Untersuchung lassen sich so Jamesons Überlegungen vielschichtig aufgreifen. Die Destabilisierung der historischen Referenz, der ursprünglichen Zusammenhänge und die pasticheartigen Wiederaufnahmen von historischem Material sind in unter- schiedlichsten (digitalen) Dispositiven zu beobachten, wie sie zum Bei- spiel Broeren (2009) hinsichtlich der Funktion und Bedeutung von YouTube reflektiert. Michael Loebenstein benennt 2009 in einem Vortrag mit Blick auf die unkuratierte Onlinestellung von historischem Material den Prozess der Dekontextualisierung als „Amazonisierung im digitalen Marketplace“ (Loebenstein 2009; Cherchi Usai et al. 2008). Alexander Horwath, ehemaliger Leiter des einflussreichen Österreichischen Filmmuseums, geht noch einen Schritt weiter. Schon 2005 machte er eine „neo-liberale Rhetorik“ aus, die den Begriff digital diskursiv überforme; dieser interagiere mit Ausdrücken wie User‑driven, Content Management, Content on Demand, die bedeuteten, dass such mimicry, without any of parody’s ulterior motives, amputated of the satiric impulse“ (Jameson 1991: 17). 51  Zum Begriff des Simulakrums rekurriert Jameson auf Platons entsprechendes Konzept: „[T]he identical copy for which no original has ever existed“ (Jameson 1991: 18). 52  Die Wahrnehmungskonfiguration in diesen raumzeitlichen Strukturen beschreibt Jameson als „nostalgia modes of reception“ (Jameson 1991: 19). Als ästhetische Zeugnisse hierfür zitiert er Filminhalte. Die Befunde arbeitet Jameson vor allem anhand der Ana- lyse der Storyebene etwa der Filme Something Wild (1986) und Blue Velvet (1986) heraus. Franziska Heller - 978-3-8467-6460-2 Heruntergeladen von Fink.de01/03/2022 12:27:50PM via free access Digitalisierung als kulturelle Praxis 69 allein die Filminhalte (eben nicht Film als historische Praxis oder materielles Artefakt) sich in einem Free Flow befänden, wenn sie etwa online, ohne kuratorische Betreuung oder Rahmung zur Verfügung stünden (Horwath 2005: 7 f.). Die Nachfrage bestimme den Markt und damit dann zusehends das Angebot der Filmgeschichte. Dabei gerieten – und dies ist auch der Unter- suchungsbereich der vorliegenden Studie – die Bedeutung und Referenz- funktion des historischen Materials nachhaltig in Abhängigkeit von seinen augenblicklichen Präsentations- und Distributionsformen. 2.8 Historisches Fallbeispiel: Memopolitik im Zeichen von Computertechnologien und Medienwechseln. Die Colorization- Debatte der 1980er Jahre „The DVD era is resurrecting the great colorization debate of the 1980s“ (Associated Press 2004). Einen besonderen historischen Fall, bei dem die technologische Entwicklung, ökonomische Interessen, neue Medienumgebungen und ästhetische Formen in ein Spannungsfeld gerieten, stellte in den 1980ern die Praxis der sogenannten Colorization oder Color Conversion dar (Klawans 1990: 159). Colorization53 für den amerikanischen Fernseh- und für den Videomarkt war eine historische Praxis, bei der audiovisuelles Erbe als ökonomischer Gebrauchswert ästhetisch verändert und ‚marktgerecht‘ aktualisiert wurde: „Colorization is the computerized process of adding color [sic!] to black and white films. It is employed to re-invent a market for films“ (Acland 1990: 12). Diese Praxis löste eine breite, öffentlich geführte Debatte in den USA aus (Klawans 1990; Acland 1990; Bohn 2013b: bes. 269 sowie Op den Kamp 2015 und 2018 mit Schwerpunkt auf den juristischen Bedingungen). Sowohl die dokumentierten Beweggründe der ausführenden Firmen und Sender (vor allem unter Ted Turner) sowie die (publizistischen) Reaktionen bezeugen die Bandbreite einer Diskussion, die Problemstellungen und Dimensionen digitaler, marktorientierter Eingriffe in historische Filme und deren Ver- marktung bis heute aufwerfen. Was an dem Beispiel sichtbar wird, ist das Zusammenwirken von technologischen und medialen Bedingungen, die mit einem Medienwechsel einhergehen: Filme, die eigentlich primär für die 53  Im Folgenden wird der englische Begriff für die spezifische historische Praxis bei- behalten. Eine Übersetzung ins Deutsche wäre missverständlich – gerade auch mit Blick auf Kolorierungspraktiken in der Stummfilmzeit. Franziska Heller - 978-3-8467-6460-2 Heruntergeladen von Fink.de01/03/2022 12:27:50PM via free access 70 kapitel 2 Kinodistribution produziert worden waren, werden den Marktbedingungen des Fernsehens und des Videomarktes formalästhetisch angepasst. Damit wirft der Vorgang grundsätzlich die Frage auf: „Where does film history really reside?“ (Klawans 1990: 166). Ganz im Sinne der von Jameson diagnostizierten Stellung von ästhetischen Gütern als Waren werden die nachkolorierten Filme – verstanden als Content beziehungsweise Filminhalt – über diese Praxis aus ihrem historischen Produktionskontext gelöst und einer marktwirtschaftlich orientierten Logik unterstellt – mithilfe von frühen digitalen Technologien der 1980er Jahre und ihren Instrumenten zur Veränderung der Bildästhetik und des Looks. Auch wenn Veränderung und Anpassung an neue Distributionsbedingungen und -umgebungen in der Filmgeschichte immer schon stattgefunden haben (etwa in der Frühphase des Films in Form von nach regionalen Vorlieben ein- gefärbten Distributionskopien), so lassen sich dennoch in der Praxis der 1980er Jahre einige wichtige Besonderheiten beobachten. Klawans weist darauf hin, dass hier eine Medientransition – Film zu Videoband – stattfindet. Zudem wird ein computerisierter Bearbeitungsschritt eingeführt. Mit Cesare Brandi gesprochen: Die ästhetische Imago des Films ist bereits vom historischen Träger – dem fotochemischen Filmstreifen – abgelöst und wird in neue mediale Bearbeitungs- und Gebrauchszusammenhänge überführt.54 Die neuen institutionellen Rahmenverhältnisse, etwa des Fernsehmarktes, und die technischen Bedingungen (Format, Auflösung) lassen eigene Kriterien der Selektion und der Wertbestimmung von filmischen Objekten entstehen. Dies verbindet sich mit der Annahme der aktualisierenden Institutionen, dass Farbe eine Erweiterung der Faszination des ästhetischen Erlebnisses bedeute. So hat, gemäß Klawans, historisch die Colorization-Technik dadurch ihren Durchbruch erreicht, dass die Bilder eines der wichtigsten ikonischen zeit- geschichtlichen Ereignisse in den 1960er Jahren zum Zwecke des Fundraisings bearbeitet wurden: Die NASA wollte 1970 mit Bildern von der Mondlandung finanzielle Unterstützung einwerben. Da sie fürchtete, dass die Bilder nicht genug faszinative Wirkung entfalten würden, engagierte sie C. Wilson Markle, den Gründer der Firma Image Transform, „to add excitement to the Apollo 54  In diesem Zusammenhang gilt es zu beachten, dass eine Kopie/Übertragung der ästhetischen Imago allein nicht ausreicht, um ein filmisches Kunstwerk als archi- varisch gesichert zu verstehen: Insbesondere beim Film ist zu berücksichtigen, dass der (historische) fotochemische Filmstreifen ein wichtiges zu überlieferndes und zu be- wahrendes artefaktisches Element des Werkes darstellt. Franziska Heller - 978-3-8467-6460-2 Heruntergeladen von Fink.de01/03/2022 12:27:50PM via free access Digitalisierung als kulturelle Praxis 71 mission footage, using his newly invented process of colorization“ (Klawans 1990: 152–153).55 Der beschriebene Prozess der Colorization wurde 1983 namensgebend für die Firma Colorization Inc mit dem Geschäftsmodell der „Re-Invention“ von Filmen.56 So kauften die Gründer Norman und Earl Glick erst den Bestand der Hal Roach Studios, dann im März 1985 einen Bestand von 200 Schwarz-Weiß- Filmen, die fortan „colorized“ auch auf Videocassetten vertrieben werden sollten. Unter den ersten ‚wiedererfundenen‘ Filmen sollten unter anderem die Laurel-und-Hardy-Komödie Way out West (Horne 1937) und Frank Capras It’s a Wonderful Life (1946) sein. Die Tatsache, dass sich ein Regisseur mit Autorenstatus wie Frank Capra auf der Liste fand, setzte die Debatte in Gang, in der die Trademark Colorization zu einem kunstpolitisch höchst um- strittenen Begriff wurde (Klawans 1990: 153). Aber wie schon der Beginn der Praxis bei den Bildern der Mondlandung zeigt, war nicht nur Fiction-Material per Farbe re-aktualisierbar, sondern auch Non-Fiction-Material wurde als ‚wieder‘erfindbar für den Fernsehmarkt behandelt. Was der kurze historische Abriss deutlich macht, ist die Problematik der Be- wertung des kommerziellen Potenzials ästhetischer Erfahrung, was letztend- lich memo- wie kunstpolitische Folgen zeitigt; dies insbesondere in Fragen der Selektion und Kanonisierung. Die Filme wurden in der Logik der Colorization- Praxis vor allem als Entertainment‑Commodity gesehen, bei der der Gegen- wartswert den Alters- wie Erinnerungswert (vgl. Erläuterungen in  Kap 1) überlagert, um das Oxymoron eines „neuen Klassikers“ zu kreieren: For these interests, colorization is a way to inject the contemporary into the classic, to create the oxymoronic ‚new classic‘, and to sell an old entertainment commodity, for broadcast or video cassette release, with the glittering promise of enhancement through computer technology (Acland 1990: 12). 55  Hier wird deutlich, wie eng die Erfindung der Colorization mit ökonomischen und real- politischen Interessen verbunden ist, die über eine ästhetische Wirkung und Faszination durchgesetzt werden sollten. Auch tritt in dem Fall hervor, dass die Debatte nicht nur Spielfilme betrifft, sondern auch nichtfiktionales Material, dem noch deutlicher ein Gebrauchswert als ‚Dokument‘ zugesprochen wird, das sich aber gleichzeitig von der faszinativen Bewegtbildwirkung der Colorization nicht trennen lässt. 56  „Their idea, apparently, was to treat old footage, particularly that of television, as a natural resource – to process it like crude oil and market it to distributors“ (Klawans 1990: 153). Vgl. hierzu auch Hediger (2006) mit dem sprechenden Titel The Product that Never Dies. Die Entfristung der kommerziellen Lebensdauer des Films. Insbesondere zu den juristischen, urheberrechtlichen Gründen dieses Wertschöpfungsmodells im Kontext der Praxis der Colorization vgl. Op den Kamp (2015 und 2018). Franziska Heller - 978-3-8467-6460-2 Heruntergeladen von Fink.de01/03/2022 12:27:50PM via free access 72 kapitel 2 Klawans macht in seiner Reflexion über die historische Entwicklung des Konzepts von Kanon deutlich, wie bestimmte Werke über Kopiervorgänge und vor allem auch bestimmte dispositivisch-räumliche Anordnungen eine Wertbestimmung des ‚Ausgewähltseins‘ erfahren. Die Funktionalisierung des Begriffs „Klassiker“ reicht in dieser Perspektive von Fragen der Selektion und Best-Film-Listen, der Prägung des Verständnisses von historischer Dynamik bis hin zur Aufwertung von Film in die Reihe der (antiken oder traditionelleren) Künste (Klawans 1990: 170 ff.; H.-B. Heller 1989). „Klassiker“ als [t]hat strange, ahistorical category has dominated the debate over colorization from the beginning – from Capra’s declaration that his pictures ‚are classics be- cause they are superior‘ to the request by the Directors Guide of Great Britain for governmental protection of a limited number of ‚classics‘, to John Huston’s state- ment that colorization was ‚as great an impertinence as for someone to wash flesh tones on a da Vinci drawing.‘ (The more common comparison was with painting a mustache on the Mona Lisa) (Klawans 1990: 170). „New classic“ bedeutet insofern im Rahmen der Colorization-Debatte eine un- bestimmte, aber wertsteigernde, nobilitierende Kategorie, in der der jeweilige Film in seiner neuen Umgebung (Videomarkt oder Fernsehprogramm) als alt und neu zugleich vermittelt wird (vgl. hierzu auch die Analyse von Klinger 2006a zum amerikanischen Fernsehprogramm  Kap. 3). Die konkrete Praxis der 1980er Jahre lieferte den Anlass, um die zentralen erinnerungskulturellen und kunstpolitischen Probleme öffentlich zu dis- kutieren, die für heutige Fragestellungen der digitalen und unter Umständen gar automatisierten Bearbeitungsformen wie Distributions- und Editions- strukturen wegweisend sind: Wie verändert die neue Zugänglichkeit von historischen Filmen das Verhältnis zur Filmgeschichte und zur Vergangenheit generell? Welche Rolle spielen die Normierungsprozesse (technologisch, öko- nomisch, ästhetisch) angesichts des jeweiligen neuen medialen Dispositivs als Bedingung der Sichtbarkeit der Filme? Auch lassen sich noch heute (wie im Verlauf der späteren Analysekapitel  Kap. 4–7 gezeigt werden wird) zentrale Topoi aus der damaligen Diskussion um Vorgehensweisen des Fernsehens über die Colorization-Debatte hinaus feststellen. Hierzu zählen historisch vor allem etwa Formen der Anpassung von Breitwandformaten durch das Pan-und-Scan-Verfahren. So verlor man bei der Praxis des Scannings (aus Sicht der Standards in den 1980ern) einen Teil des Bildes: „In short, they [the technicians, FH] reframe the picture“, um es der Aspect Ratio des TV anzupassen. Panning ist ein ähnliches Verfahren, bei dem vor allem Widescreen-Bilder aufgelöst werden, wenn sich zum Bei- spiel in Dialogen zwei Schauspieler auf den gegenüberliegenden Seiten des Franziska Heller - 978-3-8467-6460-2 Heruntergeladen von Fink.de01/03/2022 12:27:50PM via free access Digitalisierung als kulturelle Praxis 73 ursprünglichen Filmkaders aufhalten und damit außerhalb des im Fern- sehen wiedergegebenen Bildes sind: „So, in the process of transferring the film to videotape, a technician pans back and forth from one actor to the other, introducing a camera movement where before there had been a static shot“ (Klawans 1990: 161). Auch in Fragen der Bildauflösung hat das Fernsehen der 1980er technisch eingegriffen. Klawans weist bereits 1990 hoffnungsvoll auf die Möglichkeiten eines zukünftigen HD-Fernsehens in Fragen der Auflösung, aber auch mit Blick auf die Aspect Ratio hin (Klawans 1990: 161). Interessanterweise – das wird auch in der Fallstudie zu Drei Nüsse für Aschenbrödel (1973) in  Kap. 6 deutlich werden – stellt für historische Filme die Transformation vom lange gebräuchlichen 4:3-Format auf das für digitales Fernsehen normierte 16:9-Format den Dreh- und Angelpunkt einer ähnlichen Debatte um Format- treue in der digitalen Mediendomäne dar. Klawans interessantes Fazit für die erinnerungskulturellen Folgen einer solchen Filmüberlieferung im Fernsehen lautet: „Even an ideal public-tele- vision broadcast of [Battleship, FH] Potemkin – without cuts, without commercials, and without color – would be no more than a reminder of the film“ (Klawans 1990: 162, Hervorh. FH). Mit anderen Worten, die Repräsentation eines historischen Films im Fern- sehen ist eine (mediale) Form der Erinnerung an den Film im Kino, die durch die Bedingungen der Gegenwart geprägt ist. Zugleich ist aber die Erscheinung im Fernsehen eine (notwendige) Neuaufführung, die unter Umständen neue Generationen von Zuschauern erschließt, sich in deren autobiografische Er- innerung, in das kollektive Gedächtnis und zugleich in die Überlieferungs- geschichte des Werks einschreibt (vgl. hierzu besonders die bereits erwähnte Fallstudie zu Drei Nüsse für Aschenbrödel in  Kap. 6). 2.9 Colorized und remastered. Geschichtsbilder im Apparatus TV Wenn oben von einer populären Vorstellung von (Film-)Geschichte gesprochen wird, so geschieht dies in Anschluss an Acland (1990), der die Verbindung vom Dispositiv (hier Fernsehen) mit Konzepten des Populären reflektiert. Acland bringt die Praxis der Colorization in Zusammenhang mit der Ent- wicklung der Populärkultur und ihrem Verhältnis zur Geschichte.57 Er macht 57  So untersucht Acland das Verhältnis von „popular cultural history and the notion of tampering, which at once refers to a contempt for cultural heritage and a sense of playfulness, to insolence as well as fascination“ (Acland 1990: 13). Franziska Heller - 978-3-8467-6460-2 Heruntergeladen von Fink.de01/03/2022 12:27:50PM via free access 74 kapitel 2 darauf aufmerksam, dass „technologischer Fortschritt“ willkürlich im Kontext der Colorization-Praxis als ein Alibi benutzt wird, um die „Verbesserung von kulturellen Gebrauchsgegenständen“ zu rechtfertigen. Dies gehe einher mit einer unklaren Vorstellung von Geschichte, die geprägt ist von simpli- fizierendem Fortschrittsdenken, einem Denken in qualitativen Sprüngen, in dem Maßstäbe der (ökonomischen) Effizienz an ästhetische Wirkung angelegt werden (Acland 1990: 12). Diese „populären“ Formen im Zeichen des Fernsehens und des Heimvideo- marktes grenzt Acland von der Vermittlung von Geschichtskonzepten ab, die sich über die editorische Arbeit von traditionellen Gedächtnisinstitutionen etabliert haben. So beschreibt er Archive und Museen als „eternal resting places“, in denen die Artefakte überzeitlich, jenseits momenthafter Interessen existierten (Acland 1990: 14–15). Als populäre Formen hingegen begreift Acland somit die Produktions- archive des Fernsehens, die ein anderes Konzept von Geschichte vertreten und vermitteln. In diesem Kontext ist auch die Praxis der Colorization zu sehen. Das Fernsehen und sein Umgang mit Archivmaterial machen damit einen wichtigen Teil der Populärkultur und deren Form von Geschichtsschreibung aus (vgl. hierzu auch noch weitergehend zu Geschichte und Mediendis- positiven unter anderem Hickethier 1997 in  Kap. 3). Das Fernsehen bezeichnet Acland in Anlehnung an die englische Über- setzung der Dispositivtheorie zum Kino als Apparatus TV. Dieser Apparatus definiert die institutionellen, ökonomischen, technologischen und ästhe- tischen Bedingungen als Wiederaufführungs- und Re-Aktualisierungsraum von Filmen.58 Mit seiner grundsätzlichen Einschätzung, was die Faszination des Vor- gangs ausmacht und warum die Praxis ökonomisch attraktiv erscheint, nimmt Acland eine entscheidende Präzisierung vor, die das Label remastered als Technoimaginäres auch von digitalen Bildern konzeptuell auf den Punkt bringt, da nicht unbedingt der manifeste Qualitätssprung das Entscheidende ist, sondern das Spektakel der (Möglichkeit der) Verbesserung, des Updates: „Contrary to popular opinion, color per se does not attract audiences. It is the colorized – the spectacle of the refinished product, a creation of technological wizardry – that succeeds in doing so“ (Acland 1990: 15). 58  „Why are film classics colorized? Two reasons are immediately apparent: (1) because it can be done (technological condition) and (2) because it pays (economic context in which the cost of colorization – approximately $250,00 per film and the other determinants of presentation are less than the advertising and video sales possible)“ (Acland 1990, 15). Franziska Heller - 978-3-8467-6460-2 Heruntergeladen von Fink.de01/03/2022 12:27:50PM via free access Digitalisierung als kulturelle Praxis 75 Es ist das Zusammenwirken von ästhetischen Charakteristika mit binnen- ästhetischen und paratextuellen Rahmungen, die das historische Objekt zu etwas ‚(neu) Gemachtem‘ (unter den Prämissen der Gegenwart) werden lassen: Der Begriff des ‚Erneuerten‘ verbindet sich mit einer Vorstellung von technischem Fortschritt, der sich der menschlichen Fassbarkeit entzieht. Digitale Daten beziehungsweise digitale Bilder leisten dieser Vorstellung aufgrund ihrer Opazität – der fehlenden direkten Sichtbarkeit des zugrunde liegenden Codes (vgl. die vorherigen Abschnitte zu Begriffen und Konzepten in  Kap. 2) – Vorschub. Dies verbindet sich mit Topoi der Technikgeschichte, wie sie H. Böhme (2000) zusammenfasst. Die Referenz auf mythische Figuren und die Ver- mittlung eines göttlichen, divinen Status sollen – mit Bourdieu gesprochen – das symbolische Kapital ( Kap. 7) sichern. Das Wunderbare, Traumhafte, Sakrale, Religiöse und Mythische gehören zur Imagologie der Technik. Im Technoimaginären artikulieren sich eschatologische Hoffnungen und Utopien. Hierbei wirken Sehnsüchte nach instrumenteller Rationalität und mythischer Beherrschung der Natur und der Welt paradox zusammen. Zudem kommen Tendenzen der Selbstvergöttlichung zum Ausdruck (H. Böhme 2000: 3–4 FH). So erfolgt insbesondere bei digitalen Technologien die häufige Referenz auf Magie, Zauberei oder Hexerei.59 Bei digitalen Bildern entzieht sich die digitale Qualität der unmittelbaren menschlichen Wahrnehmbarkeit – zu- mindest mit bloßem Auge – und manifestiert sich dafür in der Performanz des fetischisierenden sinnlichen Spektakels: „the spectacle of refinished“ (Acland 1990: 15).60 2.10 Populärkultur und Digitalisierung in der Funktion als Textual Shifter Acland (1990) verbindet die Bedeutung der Colorization-Praxis mit Strukturen und Kennzeichen der Populärkultur. Mit Rekurs auf Bennett/Woollacott definiert hierbei Acland die essenzielle Qualität von Populärkultur als eine dynamische; das „‚incessantly mobile reordering of the relations‘ between texts is an essential quality of popular culture: its movement, and, by the same 59  Bezeichnenderweise lautete auch in den 2000er Jahren ein Werbeslogan des auf Märchen und phantastische Stoffe spezialisierten Disney-Konzerns für seine DVD-Editionen: „Pure Digital Magic“; vgl. Abb. 6.2 in  Kap. 6. 60  Zu der entsprechenden Wahrnehmungsform und -disposition, wie sie mit Blick auf Fetischisierung wirkungsästhetisch modelliert wird, vgl.  Kap. 4. Franziska Heller - 978-3-8467-6460-2 Heruntergeladen von Fink.de01/03/2022 12:27:50PM via free access 76 kapitel 2 token, its resistance to the kind of stability signified by museums, archives, catalogues, artists, and originals“ (Acland 1990: 16). Vor dem Hintergrund dieser sich ständig reorganisierenden und re-formulierenden soziokulturellen Dynamik wird die Frage nach dem Umgang mit der Versatilität (s. später Distelmeyer 2012, bes.  Kap. 5 und  Kap. 7) von filmischen Werken – ins- besondere unter neuen Medienbedingungen – virulent: Acland zitiert hier das Konzept eines „textual shifter“61 (Acland 1990: 16): Er benennt Colorization als ein Phänomen, das als ein solcher Textual Shifter wirke. Der Begriff dient dazu, (interessegeleitete) Faktoren in ihrer Interaktion und Dynamik zu fassen, die bei der Wiederaufnahme und Neukontextualisierung von präexistenten (historischen) Texten und ästhetischen Phänomenen zusammenwirken: Was wird wie in welcher (medialen) Form von wem wiederaufgenommen? Aus dieser Perspektive gilt: Colorization sowie aktuelle weitere Praktiken der Transition etwa auf digitale Träger, Wiedergabe- und Speichermedien wirken als Textual Shifter auf die Filme, die (immer wieder) neu aufgegriffen und re-kontextualisiert werden – unter der Maßgabe dynamischer Tendenzen der Populärkultur. Praktiken wie die Colorization und heutige Verfahrens- weisen der Filmdigitalisierung sowie deren Folgen sind Beispiele, anhand derer das Zusammengehen von technologischer Entwicklung, medialen Erleb- nisformen und soziokulturellen Strukturen deutlich wird; dies gerade deshalb, weil die Phänomene sich an der Schnittstelle zwischen ästhetischer Erfahrung, Gedächtnisformen, abstrakten Geschichtsmodellen und diskursiven und paratextuellen Formationen manifestieren.62 Acland schließt seine Über- legungen programmatisch mit dem Blick auf die Möglichkeiten einer Medien- geschichtsschreibung im Zeichen der computergesteuerten Bearbeitung von Bewegtbildern: Die historische Praxis der Colorization sei emblematisch für die Unmöglichkeit einer stabilen Vorstellung von Geschichte(n) („impossibility of stable histories“). Die Praxis der Colorization nur als eine Banalisierung und Vulgarisierung von Filmen zu sehen, verdeckt die Tatsache, dass das Phänomen – insbesondere auch mit Blick auf die Rolle, den Wert und die 61  Der Begriff Textual Shifter wurde unter anderem zunächst am Beispiel der über Jahr- zehnte präsenten und re-formulierten medialen Figur von James Bond in Anschlag ge- bracht. Das Modell geht ursprünglich zurück auf das linguistische Konzept von Roman Jacobson, in dem, verkürzt dargestellt, eine pragmatische Rückbindung von Bedeutung erfolgt: Die Frage, wer sagt was wann wem. Vgl. Fludernik (1989/99: 97): „The definition provided there identifies as shifters all expressions whose reference can be determined only in relation to the partners of conversation. The referent of I shifts whenever there is a change in the communicative situation, whenever somebody else starts to speak“. 62  „Popular memory and popular history should be seen as discursive constructs and contexts, made up for textual shifters“ (Acland 1990: 18). Franziska Heller - 978-3-8467-6460-2 Heruntergeladen von Fink.de01/03/2022 12:27:50PM via free access Digitalisierung als kulturelle Praxis 77 Stellung von Filmen – auf das dynamisierende Potenzial von Populärkultur ostentativ hinweist (Acland 1990: 18). Dieses Potenzial spiegelt sich – und dies ist für meine Studie hervorzuheben – in dem Verständnis von Vergnügen und (ästhetischem) Genuss. So stellen Praktiken des digitalen Nachkolorierens implizit einen Aushandlungsort über das jeweilige Verständnis von Modi der Weltwahrnehmung, (ästhetischer) Erfahrung und Erwartungen an sinnliche Unterhaltung dar. 2.11 Fallbeispiel aus dem Jahr 2012: Die TV-Serie Weltenbrand Wenn Acland die Verbindung zwischen populärkulturellen Dominanten, ästhetischen Formen, Vorstellungen von (ökonomisch verwertbarer) Unter- haltung und massenmedialer Geschichtsmodellierung hervorhebt, dann lassen sich seine wie auch die weiteren getroffenen Befunde mit einem Bei- spiel aus der jüngsten Zeit auf gegenwärtige Phänomene applizieren: Der populäre und zugleich sehr umstrittene deutsche Historiker im Dienste des Zweiten Deutschen Fernsehens Guido Knopp verantwortete 2012 unter dem Titel Weltenbrand (2012, TV-Serie, 8 Episoden, ZDF) mit groß angelegter Publicity seine Abschiedsproduktion vor dem Eintritt in seinen Altersruhe- stand. Die historische Dokumentationsserie schlägt einen narrativen Bogen zwischen den zwei Weltkriegen und benutzt Non-Fiction-Archivbilder, um eigene Thesen zu illustrieren; die ursprünglichen Schwarz-Weiß-Bilder aus dem Archiv wurden – historische Schablonenkolorierungsverfahren imitierend – digital eingefärbt. Zusätzlich wurden die Bilder in der Ästhetik einer Power-Point-Präsentation folienartig ineinander montiert (Abb. 2.1–2.2); dies alles um eine besonders sinnliche und unmittelbare Wirkung zu erzielen: „Emotional rangezoomt“ schrieb unter diesen Vorzeichen die Süddeutsche Zeitung (Seibt 2012).63 Vor allem die Historiker Bohn/Janz (2012) weisen in ihrer publizistischen Re- aktion unter dem Titel „Kann denn Farbe Sünde sein?“ auf das zentrale Span- nungsfeld eines solchen Vorgehens hin. Die Spannung entfalte sich zwischen quellenphilologischer Korrektheit und der sinnlich-wirkungsästhetischen 63  „[D]as Verfahren der nachträglichen Kolorierung ist nicht neu. Schon die 2003 in Groß- britannien produzierte sechsteilige Dokumentarfilmserie World War I in Color färbte schwarz-weiße Aufnahmen ein. Auch die 2009 ausgestrahlte französische Dokumentar- filmserie Apocalypse über den Zweiten Weltkrieg bediente sich des Verfahrens. Das löste Debatten aus und wurde als Verfälschung historischen Quellenmaterials kritisiert“ (Bohn/Janz 2012). Franziska Heller - 978-3-8467-6460-2 Heruntergeladen von Fink.de01/03/2022 12:27:50PM via free access 78 kapitel 2 Abb. 2.1 Abb. 2.2 Dimension, der im gegebenen Kontext – quotenorientiertes Fernsehen – eine zentrale diskursformierende Rolle zukommt: „Das ZDF koloriert den Ersten Weltkrieg. Das mindert die Authentizität des Materials – und erhöht die Faszination beim Zuschauer“ (Bohn/Janz 2012). So begreifen Bohn/Janz zum einen die nachträgliche Kolorierung als Manipulation von Quellen, was für den Historiker ein Tabu darstellt. Auch „professionelle Hüter des Filmerbes“ wie Restauratoren würden in dem Vorgehen einen Verstoß gegen alle ethischen „Reinheitsgebote“ sehen. Dennoch konstatieren Bohn/Janz zum anderen in der Folge – und ver- schieben damit die Rahmenbedingungen der Einschätzung der Praxis –, dass die Dokumentarreihe des ZDF keine wissenschaftliche Filmedition sei, sondern „Histotainment“, das Interesse an Geschichte wecken und ein breites Publikum mit Geschichte informativ unterhalten will. Hier gelten andere Gesetze. Es ist legitim, unter Ver- wendung historischer Dokumente etwas Neues zu schaffen. Es handelt sich um eine Art Remix (Bohn/Janz 2012). Was bei Bohn/Janz anklingt, ist eine Modifikation des Referenzrahmens, die auf die Rezeptions- und Erwartungshaltung des Zuschauers ange- sichts der Bilder zielt. Tatsächlich geht es um Grundsätzlicheres: Unter der Rahmenbedingung massenmedialer Unterhaltung im Fernsehen, zusätzlich Franziska Heller - 978-3-8467-6460-2 Heruntergeladen von Fink.de01/03/2022 12:27:50PM via free access Digitalisierung als kulturelle Praxis 79 dispositivisch bedingt durch die Programmierung auf einem Hauptsende- platz um 20 Uhr 15 und infolge der diskursiven Zuordnung zu einem anderen Genrerahmen („Histotainment“), verschiebt sich der Status der verwendeten (Archiv-)Bilder vom Dokument, das historische Ereignisse ‚bezeugt‘, hin zu der Funktion eines faszinativen Vehikels sinnlicher Erfahrung, das historische Er- eignisse im Wahrnehmungseindruck buchstäblich vergegenwärtigt und damit zeitliche Distanz überwindet: „Und so rückt alles sehr nahe, was um Weltalter von uns getrennt schien. Unheimlich“ (Jäger 2012 über Weltenbrand). Das Verhältnis der Gegenwart zu Geschichtlichkeit verändert sich über die mediale Vermittlungsform (Abb. 2.3–2.4). Abb. 2.3 Abb. 2.4 Diese Form der sinnlich-emotionalisierenden audiovisuellen Geschichts- bildmodellierung (vgl. ausführlich zu diesem Begriff in semio-pragmatischer Perspektive  Kap. 3 und  Kap. 6) ist paratextuell wie publizistisch eng verwoben mit der Praxis der digitalen Aktualisierung, was seinerseits an ein Narrativ von Modernisierung und Fortschritt geknüpft wird: Die nachträgliche Kolorierung von Schwarz-Weiß-Filmen wird durch die Technologien digitaler Bildbearbeitung ermöglicht. Sie ist Teil eines um- fassenderen Phänomens der ‚Modernisierung‘ von Filmen im Zuge der medien- technologischen Entwicklung und hat oft auch das Ziel, neue kommerzielle Verwertungen zu erschließen (Bohn/Janz 2012). Franziska Heller - 978-3-8467-6460-2 Heruntergeladen von Fink.de01/03/2022 12:27:50PM via free access 80 kapitel 2 So sind hier zwei Phänomene festzustellen, die eng aneinandergekoppelt werden: Zum einen manifestieren sich institutionell und ökonomisch imprägnierte – und deshalb unter Bedingungen der Gegenwart generierte – ästhetische Formen einer sinnlichen Geschichtsbildvermittlung, zum anderen etabliert sich das Narrativ eines (technologischen) Fortschritts, welcher sich wiederum auf der Zuschauerebene im Modus des Sinnlichen in der Steigerung des Eindrucks medialer Unmittelbarkeit und damit in der phänomenalen Überwindung einer zeitlichen Distanz vermittelt.64 Dadurch verweben sich diskursiv und wirkungsästhetisch nicht nur Vorstellungen von Zeit-, Ereignis- und Mediengeschichte, auch der Begriff von physisch manifester und erfahr- barer Wirklichkeit wird zum Objekt der Aushandlung.65 Wie sehr die argumentativen Ebenen verwoben werden, zeigt die – aus film- theoretischer Sicht sehr überraschende – Begründung von Guido Knopp für die „technische Verbesserung“ der Quellen. Diese ziele eben auf die ästhetische Wirkung der Bilder und ihre indexikalische Beziehung zur Wirklichkeit: ‚Diese Bearbeitung des historischen Materials ist keine Manipulation, sondern eine technische Verbesserung‘ […]. Es gehe darum, die Bilder ‚aus der Ver- fälschung der Wirklichkeit, die ja schwarz-weiß bedeutet, in die Wirklichkeit zurück zu holen‘ (Knopp, zit. n. DAPD in Die Welt 2012). Damit wird die noch von Acland so genannte „technical wizardry“ der aus- gestellten Kolorierung in ein überraschendes Verhältnis zu realistischen Darstellungsformen gesetzt: Die digitale Kolorierung stellt angeblich einen größeren Wirklichkeitsbezug her, da das menschliche Wahrnehmungssystem imitiert wird. Das heißt, wo auf quellenethischer Ebene in das Material ein- gegriffen wird, soll – wie oben schon betont – auf der ästhetischen Wirkungs- ebene eine neue Unmittelbarkeit der Wahrnehmung vermittelt werden. Zentral ist aber am Beispiel Weltenbrand, dass der Stil der Nachkolorierung offensichtlich dem historischen Farbverfahren der Schablonenkolorierung nachempfunden ist. Eine solche Farbgebung ist nicht zwingend an einen mimetischen und indexikalischen Begriff von Realismus gebunden. Damit rekurriert die digitale Kolorierung nicht direkt auf die außermediale mensch- liche Wahrnehmungsform, sondern auf eine mediengeschichtlich konnotierte. 64  Dies geschieht bei gleichzeitiger Betonung der historischen Distanz auf der diskursiven und sprachlichen Ebene, etwa über die Voice-Over. Zum zeitlich-wechselseitigen Prinzip der Aktualisierung von Archivfilmen Bridging the gap, marking the difference (Kessler 2011) vgl. die Ausführungen in  Kap. 5. 65  Dieser Problemkomplex, der im Verlauf der vorliegenden Studie immer wieder zum Tragen kommen wird, lässt sich weitergehend und vielschichtig mit Paul Ricœurs (2002/2000) Überlegungen zu Geschichtsschreibung und Repräsentation vermitteln. Vgl. hierzu auch  Kap. 3. Franziska Heller - 978-3-8467-6460-2 Heruntergeladen von Fink.de01/03/2022 12:27:50PM via free access Digitalisierung als kulturelle Praxis 81 Es findet so eine diskursive und wirkungsästhetische Verflechtung von medien- historisch konditionierten und konnotierten Wahrnehmungsformen und direkter, außermedialer menschlicher Wahrnehmung statt. Dahinter stehen noch grundsätzlicher Denkformationen, in denen das Verhältnis von mensch- licher körperlicher Präsenz, physischen Objekten und Geschichtserleben aus- gehandelt wird. Die Verfahrensweise des zugehörigen paratextuellen Making-of von Weltenbrand ist in diesem Kontext aufschlussreich. Über die Kombination aus der dort eingesetzten Voice-Over und der Bildmontage wird das historische Filmmaterial mit der dramatisierend erzählten Geschichte der tatsächlichen Soldatenschicksale verschaltet. Die geschundenen Körper der Kriegsopfer werden in der Narration des Making-of-Films mit dem physisch überlieferten Filmmaterial parallelisiert: Zunächst werden Soldaten an der Front gezeigt, das Filmmaterial – so suggeriert es der dann im Off gesprochene Text – sei auch an der Front gewesen und habe sogar nach seinem langen ‚Dienst‘, Bilder des Krieges zu bewahren, Narben davongetragen. Das (historische, fotochemische) Filmmaterial wird damit diskursiv als Soldat der Geschichte stilisiert und erfährt eine Anthropomorphisierung. Hier finden vielschichtige Übertragungsprozesse statt: Die Einfühlung in die Kriegs- schicksale wird metaphorisch auf das physische Material der Filmstreifen übertragen, was den Film zunächst als Archivfilm, als Filmrolle definiert. Dann wird der Film gescannt und der ‚heilenden‘ Behandlung mit der Soft- ware unterzogen. Das fotochemische Material wird in der Folge nur noch symbolisch sichtbar, repräsentiert durch seine bereits digitalisierte Form: Man sieht das gescannte Archivbild umgeben vom Kader eines Tools zur digitalen Bearbeitung (Abb. 2.5–2.7). Als der ganze Rahmen dann fast vollständig vom Inhalt des Archivbilds ein- genommen wird, erfährt das geschundene Bild eine ‚Heilung‘ seiner Narben: Man sieht, wie ein Bearbeiter über digitale Tools einen Kratzer im Bild ausbessert – so werden die Bilder ‚verarztet‘ (Abb. 2.8). Die ‚Heilung‘ der Narben mit digitalen Tools wird im Prozess gezeigt.66 Die ‚geheilten‘ Bilder können wieder ihre ganze lebendige Wirkung entfalten, wenn sie bearbeitet in den Montagezusammenhang der Serie eingefügt werden: Film wird so zur Chiffre des ultimativen Zugangs zur Gegenwart des Vergangenen, nicht als mimetisches Dokument, sondern als unmittelbares Erlebnis.67 66  Man denke an eine der ursprünglichen Wortbedeutungen von Remediation: ‚remediieren‘ = heilen (siehe zur ursprünglichen Wortbedeutung bei Flückiger 2008 oder Fossati 2009). 67  Die konkreten Vorgänge haben jeweils eine ‚remediierende‘ Wirkung: Über das Scannen, so die Behauptung des Kommentars, erreiche das Material HD-Qualität, visuell wird aus den einzelnen Rollen eine Montage von verschiedenen Transporträdern, die den Film Franziska Heller - 978-3-8467-6460-2 Heruntergeladen von Fink.de01/03/2022 12:27:50PM via free access 82 kapitel 2 Abb. 2.5 Abb. 2.6 Abb. 2.7 Abb. 2.8 Franziska Heller - 978-3-8467-6460-2 Heruntergeladen von Fink.de01/03/2022 12:27:50PM via free access Digitalisierung als kulturelle Praxis 83 Die memopolitischen Implikationen dieser Stilisierung des Filmmaterials im Making-of als Überlebender des Krieges lassen sich dahingehend weiter lesen, dass die Reparatur und Wiederbelebung der Bilder implizit eine Heilung der Erinnerung an die Weltkriege bedeutet: Es geht nicht nur darum, vornehmlich die Geschehnisse zu ordnen und zu erklären; vielmehr erhält die emotionale Faszination, dabei gewesen sein zu wollen, ein ganz besonderes Gewicht. Ist unter diesen Vorzeichen dann nicht hier medial vermittelte Geschichte auf- grund der vielfältig aktivierten Ebenen eher als eine Mediengeschichte zu sehen – nicht Geschichte der Medien, sondern über audiovisuelle Medien ge- schriebene und vor allem sinnlich vermittelte Geschichte? Diese Mediengeschichte ist als intersubjektive Gedächtnisform zu wür- digen – besonders in ihrer Form; gerade weil man sie (massenmedial) über ihre spezifischen Wirkungsdimensionen auch fühlen kann und soll. Und be- deutet dies nicht im konkreten Kontext von Weltenbrand auch ein memo- politisches Statement: Dass es nun, nach drei Generationen überhaupt erlaubt sei und dies als Wunsch der Zuschauer angenommen wird, sich in das Trauma der beiden Weltkriege einfühlen zu wollen? Abschließend lässt sich feststellen, dass eine Diskussion um die Grenz- ziehungen zwischen Unterhaltung und historischem Arbeiten in dem hier vorliegenden Fall den Blick auf die Frage nach der Wirkungsdimension der bearbeiteten Bilder und den darin liegenden ideologischen Implikationen ver- stellt. Prozesse der Digitalisierung, ihre Vermarktung und Funktionalisierung in einer heutigen Erinnerungskultur gehen eine brisante Verbindung ein, die man insbesondere in der wirkungsästhetischen Dimension als geschichts- modellierende Form der Memopolitik ernst nehmen sollte (Haber 2011).68 So stellt Gustav Seibt in der Süddeutschen Zeitung auch die folgende Frage: durch den Scanner führen. Die digitale Entfernung von Kratzern wird, wie oben be- schrieben, inszeniert. So erfährt das Filmmaterial als ‚Überlebender des Krieges‘ seine Heilung in der (symbolischen) Transition in die digitale Domäne, was in der ‚Wieder- belebung‘ durch die Farben kulminiert. 68  Vgl. hierzu auch die Reflexionen von Haber (2011) in Digital Past. Geschichtswissenschaft im digitalen Zeitalter zu dem Verhältnis von Geschichtsforschung und digitalisierten Quellen: „Wo endet die Fachwissenschaft und wo beginnt die sogenannte ‚interessierte Öffentlich- keit‘? Was im analogen Zeitalter sorgsam separierte Bereiche mit verhältnismäßig wenig Kontaktzonen waren, beginnt sich im Zeitalter der Vernetzung zu vermischen […]. Die zahlreichen Web-Portale, Geschichtsmagazine und TV-Dokumentationen veranschau- lichen dies seit Jahren. Entsprechende Ausbildungen im Bereich der Public History be- ziehen deshalb das neue mediale Umfeld immer mehr in ihre Curricula ein“ (Haber 2011: 152–153). Franziska Heller - 978-3-8467-6460-2 Heruntergeladen von Fink.de01/03/2022 12:27:50PM via free access 84 kapitel 2 Wer ist der einflussreichste deutsche Historiker der letzten Jahrzehnte? Hans- Ulrich Wehler, Reinhart Koselleck oder Joachim Fest? Keiner der Genannten ist es, wenn man realistisch ist. Es ist Guido Knopp, der Zeitgeschichts- und History- Direktor des ZDF, der dort seit dreißig Jahren die Abend- und Nachtprogramme füllt und die Sehgewohnheiten einer ganzen Generation bestimmt hat (Seibt 2012: 1). Vor diesem Hintergrund entwickelt meine Studie den Ansatz weiter, der bereits von Klawans mit Blick auf die Colorization-Debatte aufgebracht wurde; näm- lich die Frage zu stellen, wo und wie sich (Film-)Geschichte entfaltet. Unter Rückgriff auf Acland (1990) ließe sich formulieren, dass die digital kolorierten Bilder von Guido Knopp – ähnlich wie es Bohn/Janz in ihrem Beitrag schreiben – ein Ausdruck ihrer Zeit und der Sehgewohnheiten sind. Wie das Beispiel Weltenbrand gezeigt hat, verweben sich an dieser Stelle massen- mediale dispositivische Bedingungen, die wirkungsästhetische Dimension von Bewegtbildern und diskursive, auch paratextuelle Überformungen. Digitale Bildbearbeitung wird zu einem wichtigen Aspekt und Modus der Geschichts- bildmodellierung. Dies ist nicht zuletzt im Zusammenhang mit dem sich steigernden Marktwert dieser Form der Geschichtsbildmodellierung über den Status, etwa digital gefärbt zu sein, zu sehen: Digitale Bildbearbeitungstechno- logien erscheinen aus einem solchen Blickwinkel als ultimative Antwort auf die Beweglichkeit, auf sinnliche Bedürfnisse und Sehsüchte populärer Kultur – damit werden aber zugleich vorwaltende Geschichtskonzeptionen in ungeahnte Bewegung versetzt. Was der Beispielkomplex Weltenbrand (inkl. seiner Paratexte) zusätzlich in seiner Brisanz zum Ausdruck bringt: In dem Cluster aus historischen Filmbildern und digitalen Technologien ver- steckt sich eine Aushandlung von Vorstellungen physisch manifester, er- fahrbarer Realität und der Medialität von Geschichte; dies nachhaltig in der wirkungsästhetischen Dimension, indem der somatisch wirksame Eindruck von Vergegenwärtigung über Bewegtbilder mit dem Technoimaginären von digital verknüpft wird. Was dies für die Konzeption des Zuschauersubjekts be- deutet, wird vor allem Gegenstand der Analysekapitel  Kap. 4–7 sein (bes. ausführlich zum Subjektbegriff vgl.  Kap. 5). Franziska Heller - 978-3-8467-6460-2 Heruntergeladen von Fink.de01/03/2022 12:27:50PM via free access kapitel 3 Mediale Geschichtsbildmodellierungen 3.1 Vorbemerkung: Das Label remastered als historiografisch wirksamer Shifter Im vorhergehenden  Kap. 2 wurden am Beispiel der Praxis computerisierten Nachkolorierens dessen soziokulturelle, memopolitische sowie wirkungs- ästhetische Konsequenzen diskutiert und als beispielhaft für den kulturellen Umgang und die technoimaginären Rahmungen von Digitalisierung profiliert. Mit dem Rekurs auf den Begriff eines Textual Shifter sollten Phänomene wie die Nachkolorierung auch in ihren anhängigen Diskursen um technologischen Fortschritt beschreibbar gemacht werden. Der Begriff dient hier dazu, in kultur- kritischer Perspektive die interessegeleiteten Faktoren in ihrer Interaktion und Dynamik zu fassen, die bei der Wiederaufnahme und Neukontextuali- sierung von präexistenten historischen Artefakten, medientechnischen Ent- wicklungen und ästhetischen Phänomenen zusammenwirken: Was wird wie in welcher (medialen) Form in welchem Kontext wieder aufgenommen und zugänglich gemacht? Das für diese Studie wichtige Label remastered ist ein konkretes Phänomen eines wirksamen Shifters: Remastered beschreibt weniger einen technischen Vorgang als vielmehr ein Vermarktungslabel für re-editierte Werke. Das Label hat keine feste Bedeutung. Einzige Konstante ist, dass es in kommerziellen Kontexten bei der Re-Edition von Werken – jeweils umstandslos wertsteigernd konnotiert – verwendet wird (u. a. Klinger 2006a: 122 f.). Es stellt in Praxis und Gebrauch keinen analytischen oder qualitativ definierten fixen Begriff dar, sondern ist in seinem jeweiligen Kontext an marktorientierte Interessen gekoppelt. In der Praxis kann das Label bezeichnen, a. dass ein Film digitalisiert wurde, wobei es hier weder Normen für die Qualität noch für das genaue Prozedere des Digitalisierungsvorgangs gibt; b. dass der Film in seinen Erscheinungsformen an heutige Sehgewohnhei- ten und Medienumgebungen angepasst wurde. Dieser Vorgang manifestiert sich am deutlichsten – wie in  Kap. 2 erläutert – im Umgang mit der Farbgestaltung und den Formatanpassungen (etwa für die Auswertung im Fernsehen). Vor diesem Hintergrund können in der öffentlichen Wahrnehmung Remastering und Restaurierung leicht zu synonymen Begriffen © Franziska Heller, 2020 | doi:10.30965/9783846764602_004 This is an open access chapter distributed under the terms of the CC BY-NC-ND 3.0 licFerannszeis. ka Heller - 978-3-8467-6460-2 Heruntergeladen von Fink.de01/03/2022 12:27:50PM via free access 86 kapitel 3 verschwimmen, zumal beide Begriffe als Label von Re-Editionen synonym ein- gesetzt werden, um sich differenziell von vorherigen Editionen abzusetzen (Abb. 3.1).1 Abb. 3.1 So gilt es mit Blick auf die Praxis hervorzuheben, dass die Ansprüche und Ziele der jeweiligen konkreten Überführung und Bearbeitung – ob Remastering oder Restaurierung – entscheidend sind. Die zu treffenden Entscheidungen innerhalb des tatsächlichen Überführungsprozesses hängen davon ab, welche Wertematrix, welche Wertmaßstäbe man dem Prozess zugrunde legt: Mit welchem Ziel überführe ich den Film in die digitale Domäne? Und Ziel be- deutet hier: zu welchem Zweck und mit welchem Interesse? Wie definiere ich den Nutzen und Mehrwert des Digitalisats, wobei etwa eine Restaurierung 1  Vgl. zur Definition des Begriffs Edition in der Philologie mit Überlegungen zu seinen An- wendungen auf den Film bei Bohn (2013b: 341 ff.). Franziska Heller - 978-3-8467-6460-2 Heruntergeladen von Fink.de01/03/2022 12:27:50PM via free access Mediale Geschichtsbildmodellierungen 87 sich in ihren Maßstäben an philologischen und restaurierungsethischen Kate- gorien orientieren sollte. Anna Bohn referiert in ihrem Kulturlexikon (2013b: 171 ff.) zum Denkmal Film Definitionen des Restaurierungsbegriffs zunächst für die Denkmalpflege und Kunstwissenschaft, dann differenziert sie den Begriff für den Film aus. So zitiert sie Paolo Cherchi Usai, der Restaurierung bestimmt als eine Sammlung technischer, redaktioneller und intellektueller Verfahren, die darauf zielen, Verlust und Zerfall des Film-Artefakts zu kompensieren, um es in einen Zustand zurückzubringen, der der (hypothetischen) Ausgangsqualität so nahe wie möglich komme (Bohn 2013b: 75). Remastered grenzt Bohn als Verfahren wie folgt ab: Wenn digitale Bearbeitung mit einer Abtastung des Filmmaterials durchgeführt wird, die von der Auflösung weitaus niedriger ist als die in dem ursprünglichen Ausgangsmaterial Film enthaltene Bildinformation, so kann diese nicht als Restaurierung bezeichnet werden, sondern sollte als digitale Bearbeitung mit restauratorischem Anspruch gekennzeichnet werden (z. B. mit dem Hinweis digitally remastered). Eine solche digitale Bearbeitung ermöglicht den Zugang zum Film, stellt aber keine angemessene Sicherung dar (Bohn 2013b: 76). Bohn plädiert für einen vom technischen Verfahren ausgehenden Begriffs- gebrauch, der sich so meines Erachtens in der Praxis der Auszeichnung von Re-Editionen allerdings nicht einheitlich beobachten lässt (vgl. auch Aus- führungen von Schröter 2004 hierzu mit Blick auf die Musik in  Kap. 2). Mein Erkenntnisinteresse fokussiert genau die kulturelle Praxis und deren Implikationen einer solchen Labelisierung ohne stabilen Referenten, um auf die dahinterliegenden technoimaginären Strukturen – insbesondere auch in marktorientierten, kommerziellen Kontexten – zu kommen. Der diffuse Begriff remastered, auch dies hat das vorhergehende  Kap. 2 deutlich gemacht, steht insofern vor allem im Zusammenhang mit einer Einschätzung, in der der Film am Potenzial seines Unterhaltungswertes im Kontext von Affekt- und Effektmaximierung gesehen wird. Insbesondere hier wird das Narrativ einer Fortschrittsideologie von mediengeschichtlicher Ent- wicklung weitergeschrieben. So lässt sich die zugrunde liegende teleologisch ausgerichtete Ideologie des Labels remastered in Thomas Elsaessers Befund einordnen, der bereits auf die Widersprüche zu elaborierteren Geschichtsauf- fassungen verweist: Da uns trotz aller Postmoderne das geradlinige Modell des Fortschritts tief im Bewusstsein sitzt, sind wir geneigt, dennoch eine Art innerer Notwendigkeit oder Optimierung als den Motor der audiovisuellen Medienkultur anzusehen (Elsaesser 2002: 38, Hervorh. FH). Franziska Heller - 978-3-8467-6460-2 Heruntergeladen von Fink.de01/03/2022 12:27:50PM via free access 88 kapitel 3 Eine derart diskursiv imprägnierte Erscheinungsform historischer Filme ist – wie mehrfach betont – nicht abzutrennen von kommerziellen Interessen. Dies hat für diese Studie methodische Konsequenzen: Kommerzielle und markt- orientierte Aspekte der Wiederaufnahme von Filmen werden als Resultate kulturindustrieller Zusammenhänge gesehen. Der ursprünglich aus der politischen Ökonomie stammende Begriff Kulturindustrie von Horkheimer/ Adorno (1971/1947) wird vor diesem Hintergrund aktualisiert.2 Der Begriff fasst Film im Kontext seiner industriellen (Re-)Produktions- wie Distributions- zusammenhänge (basierend auf unterschiedlichen technologischen Prinzi- pien), denotiert darüber hinaus aber auch das mögliche ästhetische Erlebnis, hier begriffen als faszinatives, kommerzielles Unterhaltungspotenzial. Meine Herangehensweise wird später mit Wolfgang Fritz Haug und dem von ihm maßgeblich geprägten Begriff der Warenästhetik präzisiert und verdeutlicht werden ( Kap. 4). In einem solchem Kontext wird digitale Qualität von digitalisierten Filmen als ein Mehrwertversprechen verstanden, wobei implizit die Medientransition als mediengeschichtliche Entwicklung konstruiert und funktionalisiert wird.3 Wie bereits in  Kap. 1 erläutert wird, artikuliert sich das Label remastered kontextuell als zeitliches Differenzverhältnis zu einem medialen Vorher, von dem es sich in der Darstellung absetzen muss. Dies beinhaltet letztendlich implizit eine Modellierung von Historizität über die situative wie räumliche Verortung und Bedeutungskonstitution. Mit anderen Worten, dem – auch 2  Durch die Entlehnung und Adaption des von Horkheimer/Adorno geprägten Begriffs soll der Fokus auf den Warencharakter von Kultur und Medien gerichtet werden. Allerdings wird im Zusammenhang der vorliegenden Studie im Unterschied zu Horkheimers/Adornos Modellierung das Manipulationstheorem im Zeichen des Massenbegriffs im digitalen Zeit- alter anders gesehen. Gerade die Distributions- und Nutzungsformen digitaler Medien lassen sich nicht mehr umstandslos und undifferenziert als totalitär wirksamer Verblendungs- zusammenhang beschreiben. Damit wird der Untersuchungsfokus auf die Implikationen verschiedener in Marktkontexte eingebundener digitaler Konfigurationen gelenkt, die dennoch jenseits eines absoluten ‚Richtig‘ oder ‚Falsch‘ Erfahrungsräume und -horizonte von zeitlichen (historischen) Verhältnissen vermitteln. André Wendler (2014) hat in seiner im Gegenstand anders ausgerichteten Studie zu Historiografie und Kino den Weg über Bruno Latours Actor Network Theory gewählt, in der er – der clusterförmigen Perspektive meiner Studie nicht unähnlich – Filme wie Cleopatra in einem historiografisch wirksamen Netz- werk sieht. Auch wenn mit dem Rekurs auf Latour eine andere theoretische Referenz ge- wählt wird, so stimmen Wendlers und die vorliegende Untersuchung darin überein, dass mit Blick auf das Verhältnis von Film und seinen unterhaltungsindustriellen Zusammenhängen auch paratextuelle Informationen als ‚Konsumideologie‘ auf ihre historiografische Wirksam- keit geprüft werden (vgl. bes. Wendler 2014: 226 ff.). 3  So zitiert auch Distelmeyer (2012) im Kontext von digitalen Dispositiven von Filmen: „Digital bedeutet Fortschritt, und die Zuschauer wollen den Fortschritt“ (2012: 176). Franziska Heller - 978-3-8467-6460-2 Heruntergeladen von Fink.de01/03/2022 12:27:50PM via free access Mediale Geschichtsbildmodellierungen 89 auf Konsummaximierung ausgerichteten – Technoimaginären der digitalen Domäne wird in diesem Kontext eine historiografische Wirkmächtigkeit in der jeweiligen medialen Konfiguration zugesprochen. Insofern ist einer der zentralen Untersuchungsschwerpunkte dieser Studie die Frage nach Formen der medialen beziehungsweise audiovisuellen Geschichtsbildmodellierung; dies im Horizont des Grundanliegens, mediale Phänomene der Digitalisierung von historischen Filmen als geschichtsmodel- lierende Konfigurationen zu untersuchen. Geschichte als mediale Konfigura- tion zu begreifen, bedeutet zum einen, das Prozessuale zu profilieren, zum anderen zudem der hermeneutischen Dimension im Verhältnis von wahr- nehmendem (forschendem) Subjekt und wahrgenommenem (erforschtem) Objekt hinsichtlich des medialen und zeichenhaften Zugangs zur Vergangen- heit Rechnung zu tragen. Vor diesem Hintergrund sei an dieser Stelle auf die Ausführungen in  Kap. 1 zu den Affinitäten meiner Studie zu Reinhart Kosellecks geschichtstheoretischen Überlegungen erinnert: Gemäß dem bereits erläuterten Ansatz frage ich danach, wie in einer bestimmten medialen Gegenwart zeitliche Dimensionen der Vergangenheit konstruiert und auf- einander bezogen werden. Die Hypothese ist dabei, dass sich in der Differenz- bestimmung zwischen Vergangenheit und Zukunft oder, wirkungsästhetisch gewendet, zwischen Erfahrung und Erwartung so etwas wie ‚geschichtliche Zeit‘ fassen lässt. Im Mittelpunkt stehen die medialen Erfahrungsbedingungen von zeitlichen Differenzen, die als Geschichte wahrgenommen werden können. Die nachhaltigen Überformungen von Filmdigitalisaten im Sinne eines technologischen Fortschrittsnarrativs, welches auf die Vermarktungs- möglichkeiten digitalisierter (historischer) Filme als ästhetische Ware zielt, machen es nötig, ebendiesen Warencharakter von solchen Digitalisaten als Erfahrungs- und Erwartungshorizont zu modellieren. Dies wird verbunden mit (bild)theoretischen Überlegungen im Zeichen digitaler Medienumgebungen. Das vorliegende  Kap. 3 argumentiert bewusst kumulativ, um die ver- schiedenen Ansätze involvierter disziplinärer Felder zu perspektivieren, in denen sich Elemente aus Geschichtsphilosophie und -theorie, Medien- und Filmgeschichtsschreibung und Wahrnehmungstheorie artikulieren. Zunächst wird ein methodologisches Modell der Medien- und Film- geschichtsschreibung mit wahrnehmungstheoretischen Überlegungen zu Be- wegtbildern verbunden. Dies wird in den daran anschließenden Abschnitten angesichts des spezifischen Verhältnisses von Film und Geschichte anhand verschiedener Positionen diskutiert und in Beziehung zu übergeordneten Konzepten etwa im Sinne eines Posthistoire gesetzt. Unter dem Stichwort Popularisierung werden vor diesem Hintergrund massenmediale Dispositive in ihrer erinnerungskulturellen Wirkmächtigkeit reflektiert. Insbesondere Franziska Heller - 978-3-8467-6460-2 Heruntergeladen von Fink.de01/03/2022 12:27:50PM via free access 90 kapitel 3 die Filmwissenschaftlerin Barbara Klinger (2006a) hat in diesem Zu- sammenhang für die Periode bis Mitte der 2000er Jahre eine Studie der US- amerikanischen Medienindustrie vorgelegt. Klingers Untersuchungen, die vor allem auf die ideologischen Konsequenzen einer kinematografischen Er- fahrung im heimischen, privaten Raum ausgelegt sind, werden im Kontext meines Forschungsinteresses bild- und wahrnehmungstheoretisch in Hinblick auf mediale Erfahrungen von Zeitlichkeit ausgebaut und weitergeführt: Des- halb folgt im Anschluss die Auseinandersetzung mit semio-pragmatischen Ansätzen zu historisierenden Wahrnehmungseffekten von Bewegtbildern. In diesem Kontext wird auch der Begriffsgebrauch der Geschichtsbildmodel­ lierung erläutert und verortet. Es schließen sich ein Exkurs sowie ein weiteres klärendes Kapitel zu memorialen Begrifflichkeiten (insbesondere Gedächtnis und Erinnerung im Kontext digitaler Technologien) an. Das vorliegende Kapitel geht schließlich über in ein zweiteiliges Zwischen- fazit, das die theoretischen und methodischen Modellierungen sowohl aus  Kap. 2 als auch aus  Kap. 3 zusammenfasst und mit Blick auf die darauf- folgenden  Kap. 4–7, die eine deutlichere medienanalytische Ausrichtung in der Beschäftigung mit konkreten Fallstudien aufweisen, perspektiviert. 3.2 Phänomene der Digitalisierung als historische Konfigurationen. Archäologie in wirkungsästhetischer Dimension Die Frage nach den medialen Bedingungen von Geschichtsbildmodellierungen schließt an grundsätzliche wissenschaftstheoretische Überlegungen von Michel Foucault zum Verhältnis von Geschichte und Repräsentation(sformen) an. Eine solche Untersuchungsperspektive begreift Foucault als Archäologie, die nach den Bedingungen der Erkenntnisbildung fragt, wobei das Prinzip einer Archäologie als System und Modell den Anspruch verfolgt, ‚klassische‘ Formen der Geschichtsschreibung zu ersetzen: Was wir an den Tag bringen wollen, ist das epistemologische Feld, die episteme, in der die Erkenntnisse, ausserhalb jedes auf ihren rationalen Wert […] be- zogenen Kriteriums betrachtet, ihre Positivität eingraben und so eine Geschichte manifestieren, die nicht die ihrer wachsenden Perfektion, sondern eher die der Bedingungen ist, durch die sie möglich werden. […] Eher als um eine Geschichte im traditionellen Sinne des Wortes handelt es sich um eine ‚Archäologie‘ (Foucault 1991/1966: 24–25). Im Folgenden werden vor diesem Hintergrund einige grundlegende Überlegungen von Foucault aufgegriffen, um meine Herangehensweise, Franziska Heller - 978-3-8467-6460-2 Heruntergeladen von Fink.de01/03/2022 12:27:50PM via free access Mediale Geschichtsbildmodellierungen 91 nämlich Phänomene der Digitalisierung von historischen Filmen als geschichtsmodellierende Konfigurationen zu begreifen, methodisch zu ver- orten und zu präzisieren. Wenn man unter diesen Vorzeichen Foucaults grund- sätzliche Überlegungen zur Archäologie und zum Archiv methodologisch modifiziert übernimmt, so geraten Bedingungen des Sagbaren und Voraus- setzungen des Auftauchens von Ausdrucksformen als historische Formationen in den analytischen Blick (Ruoff 2007: 76–77); man betreibt auf diese Weise eine archäologische Untersuchung – man arbeitet sich an der Beschreibung des hier wirksamen Archivs ab.4 Dies bedeutet zugleich, sich an einem Katalog von Maßnahmen zu orientieren, der eine Systematisierung der historischen Formation möglich macht. Es ist das Forschungsfeld der Bedingungen von dem, was sagbar, aber auch – für den medialen Zusammenhang konsequent weitergeführt – sichtbar oder erfahrbar wird. Im vorliegenden Kontext hat dies mit Bezug auf die mediale Ebene als Bedingung der (historischen) Bedeutungsproduktion – im Sinne Foucaults – mehrere Konsequenzen: – Es sind die Grenzen und medialen Formen der Aufbewahrung in den Blick zu nehmen: Welche Äußerungen sind dazu bestimmt, zu vergehen oder weiter zu bestehen? – Die Grenzen und die medialen Formen des Gedächtnisses sind zu fokus- sieren: Unter welchen unterschiedlichen diskursiven und dispositivischen Formen treten Gedächtnisformen in Erscheinung? Was wird als gültige Aus- sage, was als ungültige vermittelt? – Die Grenzen und medialen Formen der Reaktivierung sind zu beobachten: Welche Diskurse und Phänomene werden aus früheren Epochen aufgenom- men? Welche wertet man aus und auf? – Schließlich sind die Grenzen und medialen Formen der Aneignung zu un- tersuchen: Wer erhält wie in welcher Form Zugang? Wie definiert sich das 4  Foucault begreift das Archiv als Voraussetzung und System von Aussagen in einer Kultur: „Das Archiv ist zunächst das Gesetz dessen, was gesagt werden kann, das System, das das Erscheinen der Aussagen als einzelner Ereignisse beherrscht [sic!]. Aber das Archiv ist auch das, was bewirkt, daß all diese gesagten Dinge sich nicht bis ins Unendliche in einer amorphen Linearität anhäufen, sich auch nicht in eine bruchlose Linearität einschreiben und nicht allein schon bei zufälligen äußeren Umständen verschwinden; sondern daß sie sich in distinkten Figuren anordnen, sich aufgrund vielfältiger Beziehungen miteinander verbinden, gemäß spezifischen Regelmäßigkeiten sich behaupten oder verfließen; […] es ist das, was an der Wurzel der Aussage selbst als Ereignis und in dem Körper, in dem sie sich gibt, von Anfang an das System ihrer Aussagbarkeit definiert. […] [E]s ist das, was den Aktuali- tätsmodus der Aussage als Sache definiert; es ist das System ihres Funktionierens“ (Foucault 1992/1969: 187–188). Franziska Heller - 978-3-8467-6460-2 Heruntergeladen von Fink.de01/03/2022 12:27:50PM via free access 92 kapitel 3 Verhältnis des Diskurses/der Erscheinungsform zu (s)einem/ihrem Autor? (Foucault 2001: 869 f.).5 Bezogen auf mediale Prozesse und Praktiken der Wiederaufnahme historischer Filme verweisen Foucaults Parameter auf die modellierenden Faktoren einer historischen Konfiguration. Methodisch setze ich dies vor allem in den Kapiteln 4–7 analytisch um, indem ich – wie auch schon in den anver- wandelnden Formulierungen deutlich werden soll – den Schwerpunkt auf die Medialität der Formen und Konfigurationen lege. Thomas Elsaesser (u. a. 2004) ist aus filmwissenschaftlicher Perspektive ein prominenter Interpret des Foucault’schen Ansatzes im Sinne einer Medien­ archäologie. Insbesondere mit Blick auf Medienentwicklungen unter dem Ein- druck der digitalen Domäne – etwa der einhergehenden Konvergenzen und multi- oder crossmedialen Konstellationen – skizziert Elsaesser ein historio- grafisches Modell, das sich weniger in linearen Strukturen und Narrativen artikuliert und von einem strikt konsekutiv-chronologischen wie auch genea- logischen Ordnungsprinzip abwendet. Vielmehr orientiert es sich – im Sinne einer Archäologie – an Konfigurationen, die sich etwa in sich verzweigenden Netzwerken, achronologischen Zusammenhängen basierend auf Parallelen und Ähnlichkeiten entfalten.6 Elsaesser beschreibt die Zusammenhänge und Konsequenzen mit den Worten We seem to be on an inside for which there is no clear outside, and we seem to be in a now for which there is no clear before or after. Thus, the move to the digital marks a threshold and a boundary, without thereby defining either. A radicalised version of the genealogical way of thinking would lead us, in other words, to a properly archaeological perspective, where no continuity is implied or assumed. The past is recognised as at once irrecoverably other and separate from us, and it can be seized only by a hermeneutics of the fragment, a discourse of metony- mies, and an allegorical view of (always already lost) totalities (Elsaesser 2004: Abs. 32, 10 FH).7 5  Vgl. weiterführend und einordnend mit Blick auf das Gesamtwerk Foucaults auch Ruoff (2007: 76). 6  „In other words, if a genealogical model of film history, whether straightforwardly linear or pictured as a more complexly branching family tree, lands us with far too many black sheep cousins, promiscuous parents or profligate grandparents to create a credible line of descent, the ‚rupture‘ represented by the digital will oblige us to break with the genealogical model as well as the chronological“ (Elsaesser 2004: Abs. 32, 10 FH). 7  Zur Zitationsweise dieses Artikels im Fließtext: Im online veröffentlichten Text sind Ab- schnittsnummern (Abs.) vermerkt, die jeweils als Erstes genannt werden. Darüber hinaus wird die Zitationsweise ergänzt mit Angaben auf der Grundlage des von der Onlinequelle erstellten Dokuments im PDF-Format. Insofern werden zusätzlich zu den Abschnitts- nummern zur Präzisierung Seitenzahlen auf dieser Grundlage angegeben, allerdings in dieser Zählweise dann mit „FH“ gekennzeichnet. Franziska Heller - 978-3-8467-6460-2 Heruntergeladen von Fink.de01/03/2022 12:27:50PM via free access Mediale Geschichtsbildmodellierungen 93 Vor diesem Hintergrund wird auch die Geschichte des Films – verstanden als Einzelmedium – im Kontext seiner jeweils historisch gegebenen Medien- umgebung verortet: „film history as media archaeology“ (Elsaesser 2004: Abs. 3, 2 FH).8 In diesem Sinne gilt auch, dass Geschichte (in der archäologischen Perspektive im Sinne Foucaults) die Annahme von Diskontinuität und Fragmentierung als Modus des Zugangs der Gegenwart zu einer Vergangen- heit bedeutet; einer Vergangenheit unter vielen anderen tatsächlichen oder möglichen Vergangenheiten. Hier nennt Elsaesser als Strukturprinzip auch das eines forking path. Von einer solchen historiografisch wirksamen Struktur wird im  Kap. 7 wieder die Rede sein.9 Elsaessers Überlegungen übertrage ich auf die Medialität und die Erlebnis- dimensionen von ästhetischen Phänomenen im Zeichen von Digitalisierungs- prozessen. Damit werden die Befunde von Elsaesser vor allem auf eine wirkungsästhetische Dimension appliziert. In diesem Zusammenhang wird angesichts von digitalisierten Filmen sowie ihrer digitalen Zugänglichkeit und Zirkulation von einer Medienarchäologie im Modus des Sinnlichen, der medialen Erfahrung10 gesprochen. Mit anderen Worten, Elsaessers Ent- wurf einer archäologischen Perspektive auf Geschichte wird, so meine Modellierung, in der wirkungsästhetischen Dimension von Digitalisaten und ihrer Nutzungsformen verortet. Die in  Kap. 4–7 unter diesen Vorzeichen zu belegende These lautet: Angesichts von Phänomenen digitalisierter Filme und digitaler Dispositive werden fragmenthafte und diskontinuierliche, in 8  Hier steht die vorliegende Studie dem Ansatz von Elsaesser sehr nahe. Zunächst wird Geschichte als Konstruktion begriffen, in der die Trennung einer hierarchischen Trias Geschichte, Mediengeschichte und Filmgeschichte – vom Allgemeinen hin zum Spezi- fischen eines Einzelmediums – auf der Ebene von medialer Wahrnehmung infrage gestellt wird. Vielmehr wird vom Grundansatz her implizit die These verfolgt, dass im Kontext von Prozessen der Digitalisierung von historischen Filmen die Trennung wahr- nehmungstheoretisch nicht mehr aufrechtzuerhalten ist. Vor diesem Hintergrund werden die Wechselwirkungen der drei Ebenen unter den aktuellen medialen Bedingungen in den Blick genommen, was dem medienarchäologischen Verständnis Elsaessers, Film und Kino in historischer Perspektive jeweils zu kontextualisieren, sehr nahe kommt. 9  Zur Zeitlichkeitsstruktur von archäologischen Ansätzen schreibt Elsaesser weiter: „History as archaeology adds to this a further insight: it knows and acknowledges that only a presumption of discontinuity (in Foucault’s terms, the positing of epistemic breaks) and of fragmentation (the rhetorical figure of the synecdoche or the pars pro toto) can give the present access to the past, which is always no more than a past (among many actual or possible ones), since for the archaeologist, the past can be present to the present with no more than its relics“ (Elsaesser 2004: Abs. 41, 12 FH). 10  Zum in dieser Studie verwendeten Begriff von ästhetischer Erfahrung angesichts medialer und filmischer Konfigurationen vgl. eingehender die Darstellung des phänomeno- logischen Ansatzes in  Kap. 5. Franziska Heller - 978-3-8467-6460-2 Heruntergeladen von Fink.de01/03/2022 12:27:50PM via free access 94 kapitel 3 sich zum Teil widersprüchliche Wirklichkeitserfahrungen von Vergangenem (anhand der Vermittlung zeitlicher Differenzverhältnisse) offeriert. Auf diese Weise entstehen im Zusammenspiel mit der Erfahrungsdimension des Zu- schauers beziehungsweise Users angesichts der medialen Konfiguration Geschichtsbilder im Modus des Sinnlich-Assoziativen. Der Zuschauer/User wird zur Vollzugsinstanz – durch seine physische Erfahrung sowie seine pro- jektive, das Konkrete transzendierende Imagination. So ergibt sich eine Perspektive, in der digitalisierte Filme als ein komplexes Netz von Sinn- und Bedeutungsproduktionen beschreib- und erklärbar werden. In diesem Netz werden konkret sinnlich erfahrbare mediale Phänomene – inklusive ihrer immersiv wirkenden Potenziale – als vielschichtige Aus- drucksformen eines weiteren soziokulturellen Prozesses von Geschichtsbild- modellierung gesehen: Digitalisierte Filme und ihre Nutzungsformen werden als ein clusterförmiges Medium heutiger Geschichtsvorstellungen begriffen. Wie bereits in  Kap. 1 eingeführt, wird in einer solchen Perspektive Geschichtlichkeit als spezifischer Wahrnehmungseffekt verstanden. Dies schließt an Jamesons Überlegungen zu grundsätzlichen kulturellen Dis- positionen einer Postmoderne an. Jameson spricht vor dem Hintergrund des ausgemachten Verlusts von Historizität von Vergangenheit als Effekt, einem Effekt von pastness (Jameson 1991: 19) – unter der dominanten Maßgabe des zugeschriebenen Marktwerts; dies habe ich oben auch als Effekt vorwaltender kulturindustrieller Strukturen herauspräpariert.11 Dieses  Kap. 3 weist indes auf die entsprechenden Konsequenzen hin: Wenn Geschichtsbildmodellierungen als Effekte von medialen Praktiken be- griffen werden, dann heißt dies auch, dass sich diese Vorstellungen auf Bilder von Ereignisgeschichte auswirken können. Die Aussage des Historikers Pierre Sorlin muss ernst genommen werden: „Die Geschichte existiert nirgendwo anders als in dem Diskurs, der sie spricht. Sie nimmt verschiedene Formen an, je nach den Mitteln ihrer Überlieferung“ (Sorlin 1996: 25).12 11  Die Wahrnehmungskonfiguration in diesen raumzeitlichen Strukturen beschreibt Jameson als „nostalgia modes of reception“ (Jameson 1991: 19). Als ästhetische Zeugnisse hierfür zitiert er Filminhalte. Die Befunde arbeitet Jameson anhand der Analyse der Storyebene von Filmen wie etwa Blue Velvet heraus. Medienästhetische Aspekte spielen weniger eine Rolle. 12  Zu den medialen Bedingungen von Geschichtsmodellierung schreibt Knut Hickethier (1997), dass das kulturelle Gedächtnis trotz der Dominanz der audiovisuellen Medien am Ende des 20. Jahrhunderts immer noch durch die Schriftlichkeit determiniert sei (Hickethier 1997: 69). Dies gilt es im Folgenden unter bild- sowie wahrnehmungs- theoretischen Prämissen für das vorliegende Erkenntnisinteresse vor allem auch zeit- philosophisch zu modifizieren. Vgl. hierzu auch ähnliche Überlegungen zu Historiografie in (Bewegt-)Bildern bei Wendler (2014: 85 ff.). Franziska Heller - 978-3-8467-6460-2 Heruntergeladen von Fink.de01/03/2022 12:27:50PM via free access Mediale Geschichtsbildmodellierungen 95 Nicht zuletzt ist bei der methodologischen Verortung darauf hinzuweisen, dass der an pragmatischen Ansätzen ausgerichtete Argumentationszusammen- hang an Überlegungen der historischen Pragmatik anschließt, wie sie vor allem Frank Kessler entwickelt (u. a. Kessler 2002b). Dies wird in den  Kap. 4–7 noch deutlicher werden. Grundsätzlich liegt die besondere Nähe darin begründet, Erkenntnisgegenstände zum einen in einer verzeitlichten Perspektive, in der sich Bedeutung situativ konstituiert, anzusiedeln – also etwa zu fragen ‚Wann ist Filmgeschichte?‘. Zum anderen ist das Problem auch topologischer Natur: ‚Wo entfaltet sich Geschichte?‘ Dies ist eine Frage, die sich nicht zuletzt an- gesichts der Ausbildung neuer digitaler Dispositive als Erlebnissphären – wie etwa Heimkinotechnologien – aufdrängt. Diese Problemstellungen werden verbunden mit medientheoretischen Reflexionen zur Wirkungsdimension von Bewegtbildern und Vorstellungen von Geschichtlichkeit. 3.3 Geschichtsmodellierung angesichts des präsentischen Eindrucks des Films Wie bereits die Diskussion um das Fallbeispiel der TV-Serie Weltenbrand aus dem Jahr 2012 in  Kap. 2 gezeigt hat, stellt der präsentische und un- mittelbar wirkende Eindruck von Bewegtbildern eine medienspezifische wahrnehmungstheoretische Problemstellung angesichts der Frage von audio- visuellen Geschichtsbildmodellierungen dar.13 Die Abwesenheit der Vergangenheit ist hierbei ein Schlüsseltopos der Dar- stellung von Geschichte: „So ist der direkte Zugang zum Tatsächlichen ver- gangener Tage beziehungsweise zu den res gestae verdeckt“ (Goertz 2001/1998: 16).14 Nicht zuletzt bei de Certeau (1991/1973), Allen/Gomery (1985) oder Pierre 13  Man könnte auch formulieren, dass sich ein Widerstand von Bewegtbildern in der wirkungsästhetischen Dimension gegen die Vorstellung von Vergangenem manifestiert, welche zunächst im präsentischen Eindruck abwesend ist. Den weiteren Ausführungen schon vorgreifend, sei an dieser Stelle in Anschluss an die Überlegungen zu Elsaesser darauf hingewiesen, dass Vergangenheit hier als Wahrnehmungseffekt verstanden wird, der sich ahierarchisch und netzartig entfaltet. 14  Keith Jenkins paraphrasiert anschaulich ähnliche Überlegungen des Soziologen Tony Bennett zu der Überlieferung von Quellen, welche die Prozesshaftigkeit und die daraus entstehende (zeitliche) Vielschichtigkeit des medialen Zugangs zur Geschichte be- schreiben: „Bennett’s point might be summarised by saying that ‚the past as constituted by its existing traces‘ is always apprehended and appropriated textually through the sedi- mented layers of previous interpretations and through the reading habits and categories developed by previous/current methodological practices. Consequently the status of his- torical knowledge is not based for its truth/accuracy on its correspondence with the past Franziska Heller - 978-3-8467-6460-2 Heruntergeladen von Fink.de01/03/2022 12:27:50PM via free access 96 kapitel 3 Sorlin (1996) wird darauf insistiert, dass beim Erkenntnisprozess angesichts historischer Ereignisse und Konfigurationen das Untersuchungsobjekt nicht anwesend sei. Vor diesem Hintergrund weist das Medium Film – verstanden als bewegtbildlicher Aufzeichnungs- und Wiedergabemechanismus – einige Be- sonderheiten im Verständnis des Verhältnisses von Gegenwart und Vergangen- heit (respektive Zukunft) auf.15 Dies wird schon bei Boleslas Matuszewski in seinem Initialtext aus dem Jahr 1898 für die Gründung von Filmarchiven unter dem Titel Eine neue Quelle für die Geschichte deutlich: So ist der kinematographische Abzug […], der, wenn er sich zwischen Licht- quelle und einem weißen Tuch entrollt, die Toten auferstehen lässt, so ist dieser einfache Streifen bedruckten Zelluloids nicht einfach ein historisches Dokument, sondern ein Stück Geschichte […], die nicht verschwunden ist. […] Sie schlummert nur […] und so genügt ein bisschen Licht, das, von der Dunkel- heit umgeben, durch eine Linse fällt, um die Geschichte wieder zu erwecken und den vergangenen Zeiten neues Leben einzuhauchen (Matuszewski 1998/1898: 9). Damit weist Matuszewski schon auf die doppelte Problematik beim Film: Er bildet vermeintlich ab und zeichnet Ereignisse auf, und bei der Wieder- gabe/Projektion werden die Ereignisse wieder phänomenal lebendig für den Rezipienten. Der Filmwissenschaftler Karsten Witte formuliert dies gut acht Jahrzehnte später thesenhaft wie folgt: „Filmgeschichte ist eine Wiedererweckung schein- toter Mythen, die Vergegenwärtigung von Vergangenem mittels lebendig bleibender Artefakte“ (Witte 1982: 82–83). Daraus ergibt sich für Witte: per se but on the various historicisations of it, so that historiography always ‚stands in for‘ the past, the only medium it has to affect the ‚historical‘ presence“ (Bennett, zit. n. K. Jenkins 1995: 18). Bennett (1995) hat aus einer Perspektive der Cultural Studies unter anderem auch zur kulturellen Funktion, zur Entwicklung und zu performativen Praktiken der Institution des Museums sowie zu Ausstellungsformen in ihrem konstitutiven Ver- hältnis zur Vergangenheit („exhibitionary apparatuses“) gearbeitet. 15  Zum Zusammenhang von Repräsentation und Geschichtsschreibung allgemein vgl. Ricœur (2002); grundsätzlich zum Zusammenhang von Geschichte und technisch re- produzierten Medien vgl. vor allem Walter Benjamin, der nicht nur den Kunstbegriff re- formuliert, sondern auch die geschichtliche Modellbildung und die damit einhergehende Zeitlichkeit überdenkt; sowie darüber hinaus – wie unter anderem Rothöhler (2011: bes. 15–22) aus jüngerer Perspektive darstellt – auch Siegried Kracauer (1971); zu einem relativ aktuellen, umfassenderen Überblick aus medienwissenschaftlicher Perspektive vgl. das ausführliche Forschungsdesign des Graduiertenkollegs Mediale Historiographien (2005– 2013), s.  Literaturverzeichnis. Franziska Heller - 978-3-8467-6460-2 Heruntergeladen von Fink.de01/03/2022 12:27:50PM via free access Mediale Geschichtsbildmodellierungen 97 Es gibt keine Filmgeschichte. Es gibt eine Produktionsgeschichte, und es gibt Filme. Die Produktionsgeschichte kann erforscht, beschrieben und revidiert werden. Die Filme widersetzen sich der historisierenden Rezeption. Sie sind die einzigen Bilder, die dem kollektiven Gedächtnis der Zuschauer im Musée imaginaire gehören (Witte 1982: 82).16 So liegt grundsätzlich das Dilemma der Vermittlung oder Erkenntnis über historische Zusammenhänge mit und über Film im vielschichtigen Quellen­ charakter: Film kann als historisches Artefakt (insbesondere in seiner Materialität als fotochemischer Filmstreifen) begriffen werden, gleichzeitig kann er als audiovisuelles Wiedergabemedium von aufgezeichneten Ereig- nissen (nichtfiktional wie auch fiktional) wahrgenommen und damit aufgrund seiner mimetisch-darstellenden Dimension als Dokument für außermediale Ereignisse verstanden werden.17 Diese Schichtung verkompliziert sich zusätz- lich mit der phänomenalen Gegenwärtigkeit der ästhetischen Erfahrung im Rezeptionsakt (‚zum Leben erwecken‘). Die Vielschichtigkeit der Perspektiven, unter denen das Medium Film zudem in historischen Konfigurationen gedeutet werden kann, klingt bei Wittes Aus- differenzierung zwischen Film- und Produktionsgeschichte an. Heinz-B. Heller fasst das Spektrum des Verständnisses für Film als Quelle und historischen Gegenstand noch weiter: Film könne als ein materielles, technisches, öko- nomisches, sozio- oder kunstpolitisches, ästhetisches, dispositivisches oder performatives Objekt oder Zeugnis konzipiert werden (H.-B. Heller 2002: 177). In der Konsequenz beeinflusst die jeweilige Perspektive von dem, was im ge- gebenen Kontext unter Film verstanden wird ( Kap. 2), auch die Vorstellung von Geschichte, welche die Art und Weise der Konfiguration von Zusammen- hängen strukturiert.18 16  Zum Begriff des „imaginären Museums“ – „musée imaginaire“ – vgl. Malraux (2012/1965). André Malraux entwickelt hier den Begriff in gedanklichem Anschluss an Walter Benjamin zur technischen beziehungsweise fotografischen Reproduktion von Kunst- werken, wonach durch die distributiven und damit zirkulierenden Möglichkeiten eine Loslösung von einem festen Ort erfolgt, womit ein „imaginäres Museum“ geschaffen wird. Zur geistesgeschichtlichen Einordnung – auch mit Blick auf heutige digitale, postfoto­ grafische Bildproduktionen vgl. Schröter (2004b); zur Anverwandlung und Aktualisierung des Begriffs als „virtuelles Museum“ im Zeichen der digitalen Domäne vgl. Niewerth (2018). 17  Zu dem komplizierten Verhältnis von (historischem) Film als Dokument und Monument in der Geschichte vgl. Blümlinger (2009). 18  Hickethier erweitert die Feststellung damit, dass Medien sowohl Vermittlungsinstanzen als auch Speicher der Geschichte seien (Hickethier 1997: 70). Vgl. auch zur Diskussion um Film als „historisches Medium“ Rodowick (2007) sowie Rothöhler (2011). Franziska Heller - 978-3-8467-6460-2 Heruntergeladen von Fink.de01/03/2022 12:27:50PM via free access 98 kapitel 3 Für diese Studie ist das wahrnehmungstheoretische Paradox der Vermittlung von Geschichtlichkeit über den präsentischen Eindruck filmischer Bewegt- bilder eine zentrale Problemstellung. Das vorliegende Kapitel präsentiert insofern Ansätze, mit denen die medienästhetischen und wahrnehmungs- theoretischen Befunde auch geschichtstheoretisch eingeordnet werden können. Vor diesem Hintergrund ist Elsaessers Aussage bedeutsam, in der er zum Ausdruck bringt, wie stark das präsentische Filmerlebnis in jedem Fall auf Haltungen und unmittelbar körperlich-sinnliche Empfindungen bezogen werden kann, „die am Rande des im traditionellen Sinne Historischen liegen“ (2002: 8). So fragt Elsaesser weiter, ob Filmgeschichte nicht der Ort unseres kulturellen Gedächtnisses und lebendiger Beweis einer Vergangenheit ohne Vergänglichkeit sei (2002: 10). Angesichts von Transitions- und Distributionsprozessen im Zeichen von Digitalisierung muss allerdings der Begriff des Präsentischen, von Gegen­ wart als formierender Bedingung und interessegeleiteter Erzählung von Geschichte, aktualisiert werden: Die Digitalisierung von Bewegtbildern er- möglicht eine noch gesteigerte Zirkulation und Allgegenwart in allen Be- reichen des öffentlichen wie privaten Lebens. Der erleichterte und auch veränderte Zugang etablieren eine weitere Ebene der Unmittelbarkeit, des Präsentischen und von Gegenwart. Zudem ist in den Blick zu nehmen, dass über ein verändertes Rezeptionsverhalten hinaus sich auch die ästhetischen Gewohnheiten und Konditionierungen an digitale medientechnologische Zyklen anpassen. So gilt es umso mehr zu beachten, dass Gegenwart abhängig von medialen Konditionierungen zu verstehen ist und darüber auch die Sicht- weise und Bewertung von historischen Bildern geprägt wird; dies ist bereits an- satzweise am Beispiel Weltenbrand deutlich gemacht worden ( Kap. 2). 3.4 Posthistoire, Popularisierung, dispositivische Konfigurationen zeitlicher Verhältnisse Von Thomas Elsaesser (2002: 15) stammt die begriffliche Skizze, das Medium Film, seine Gegenwärtigkeit mit dem Konzept von Geschichte im Horizont eines Posthistoire kurzzuschließen. Kino ermögliche eine Erfahrung, deren Historizität paradoxerweise das Ende des modernen Geschichtsbegriffs in sich trage. Elsaesser beschreibt als Konsequenz, dass die Kategorien Fakt und Fiktion im Zeichen der Medienentwicklungen, die neue Gebrauchsformen und Zirkulationen von Filmen mit sich bringen, verschwimmen. Produktiv führt Elsaesser das allgemeine Nachdenken über Geschichte im Sinne eines Posthistoire und der Dekonstruktion linearer Narrationen (vgl. auch Franziska Heller - 978-3-8467-6460-2 Heruntergeladen von Fink.de01/03/2022 12:27:50PM via free access Mediale Geschichtsbildmodellierungen 99 obige Überlegungen zur Medienarchäologie) mit Spezifika von Bewegtbildern zusammen: Wenn oft von einem Verschwinden der Realität oder einer [sic!] Posthistoire ge- sprochen und damit auf die Gefahr angespielt wird, dass uns die Geschichte zur reinen Fiktion gerinnt, dann hat das bewegte Bild dabei eine besonders ambivalente Rolle gespielt. Einerseits steht es gerade für diesen Entwicklungs- prozess, andererseits ist es dazu prädestiniert, als Dokument der Geschichte diese Realität in einer für die Menschheit bisher unbekannten Erfahrungsdichte und Bedeutungsvielfalt zu bewahren (Elsaesser 2002: 40). Der Film als Massenmedium und als zunehmender Teil des Alltags im Horizont der Medienentwicklung verändert das Geschichtsbild. Hickethier (1997: 70 ff.) weist hier auf die wichtige, auch institutionelle und strukturierende Rolle von (Massen-)Medien – insbesondere von Fernsehsendern – hin. Zudem sieht Hickethier in diesem Zusammenhang eine Tendenz der Popularisierung von Formen der Geschichtsschreibung19 – im Modus des Audiovisuellen: Medien aktualisierten gespeichertes Bewegtbildmaterial und präsentierten es jeweils neu organisiert mit Blick auf die notwendigen Selbstverständigungsprozesse der Gesellschaft. Sie kreierten durch Retrospektiven und historische Reihen eine Vergegenwärtigung des Vergangenen,20 wodurch eine massenmedial de- terminierte Vorstellung von Vergangenem geschaffen werde. Was sich als ‚Geschichte‘ in den Köpfen der Menschen herausbildet, ist – sieht man von speziellen fachwissenschaftlichen Diskursen ab – durch die Massen- medien geprägt. Dabei stellt sich sofort die Frage, ob die audiovisuellen Materialien des kulturellen Gedächtnisses durch ihre mediale Struktur auch Geschichte anders strukturieren und sich deshalb ein strukturell anders ge- formtes Bild von Geschichte als in den rein schriftlichen Vermittlungsformen ergibt. Auffällig ist, dass sich zumindest auf der Programmebene eine neue Gleichzeitigkeit historischer und zeitgenössischer Filmmaterialien ergibt, dass auf der Programmebene eine Art ‚imaginäres Museum‘ des Audiovisuellen ent- steht (Hickethier 1997: 70). 19  Vgl. hierzu die abschließenden Gedanken von Haber (2011) in seiner Studie mit dem Titel Digital Past. Geschichtswissenschaft im digitalen Zeitalter: „Wo endet die Fachwissenschaft und wo beginnt die sogenannte ‚interessierte Öffentlichkeit‘? Was im analogen Zeitalter sorgsam separierte Bereiche mit verhältnismäßig wenig Kontaktzonen waren, beginnt sich im Zeitalter der Vernetzung zu vermischen“ (Haber 2011: 152–153). Vgl. hierzu auch Ausführungen dieser Studie zum Fall und zu den Rezeptions- wie Wahrnehmungsweisen der TV-Serie Weltenbrand in  Kap. 2. 20  Eine das Problem bereits im Titel ganz ähnlich formulierende Studie ist Rainer Rothers (1990) zur Gegenwart der Geschichte, die sich mit den Darstellungsformen von Geschichte in Literatur und Film auseinandersetzt und die damit Bedingungen von historischer Er- kenntnis in diesen Medien untersucht. Franziska Heller - 978-3-8467-6460-2 Heruntergeladen von Fink.de01/03/2022 12:27:50PM via free access 100 kapitel 3 Auf diese Weise würden unsere Vorstellungen von Geschichte nicht nur auf der Ebene der Bewegtbilder geprägt, sondern auch durch ihre jeweilige (Programm-)Struktur und die Anordnung eines Dispositivs. Einerseits, so Hickethier weiter, sei deshalb zu fragen, was davon an Vorstellungen von der Historiografie aufgenommen und als Geschichte überliefert wird. Anderer- seits seien Medien bereits Agenturen des kulturellen Gedächtnisses, indem sie selbst Geschichtsbilder produzieren und das, was sich als Vorstellung von Geschichte in den Köpfen ihres Publikums herausbilden soll, durch fortgesetzte Angebote mitbestimmen (Hickethier 1997: 71). Dabei ist entscheidend – und hier zeigt sich die Nähe von Hickethier zu Elsaesser und dessen medienarchäo- logischem Ansatz –, dass konzeptuell die Formen der Geschichtsschreibung sich im 20. Jahrhundert unter den sich verändernden medialen Bedingungen vom (linearen) Ordnungsprinzip der Schriftlichkeit entfernen.21 Darüber hinaus sei zu beobachten, wie intensiv die Medien selbst an den Vorstellungen von historischen Ereignissen mitwirken. Von den bedeutenden Ereignissen seien die Vorstellungen medial geprägt, oft sogar durch fiktionale Produktionen. Die Erstürmung des Winterpalais in Petersburg 1917 kennen wir ebenso wie das Hissen der roten Fahne durch sowjetische Soldaten auf dem Berliner Reichstag 1945 aus Spielfilmsequenzen, die oft genug als dokumentarische Aufnahmen ausgegeben werden. Die Beispiele lassen sich ergänzen. Geschichte als Ergebnis der Geschichtsschreibung besitzt selbst eine mediale Form. Schon die Schrift- lichkeit der Historiographie (und an sie ist das neuere Geschichtsverständnis gebunden) stellt eine Bindung an Medialität dar, eine audiovisuelle Geschichts- schreibung, die es in der Programmpraxis ja gibt, wird allenfalls peripher zum Problem gemacht. ‚Geschichte als Erzählung‘ erscheint geläufig. ‚Geschichte als Film‘ oder ‚Geschichte als Fernsehen‘ wirkt immer noch ungewohnt. Vor dem Hintergrund einer so verstandenen Medialität der Geschichte stellt sich die Be- deutung des Films in der Geschichte neu (Hickethier 1997: 71). Angesichts der Befunde Hickethiers ist mein Ansatz um die schon mehrfach angesprochene Ebene des jeweiligen Dispositivs, in dem die Bewegtbilder er- scheinen und geschichtsmodellierend wirksam werden, auszuweiten. Wenn 21  Der Ansatz ähnelt im Grundsatz der Fragestellung, die das bereits erwähnte von der DFG geförderte Graduiertenkolleg Mediale Historiographien (2005–2013) als eine ge- meinsame Einrichtung der Bauhaus-Universität Weimar, der Universität Erfurt und der Friedrich-Schiller-Universität Jena verfolgte. In seinem Forschungsprofil wird Walter Benjamins Bedeutung hervorgehoben, der nicht nur mit neuen Techniken der Reproduktion (Fotografie, Film) einhergehende veränderte Wahrnehmungsprozesse und Kunstbegriffe konstatierte, sondern zugleich auch die Notwendigkeit erkannte, historische Modellbildung unter Medienbedingungen zu re-formulieren (Graduierten- kolleg Mediale Historiographien 2005–2013: 44 FH). Vgl. zur ausführlichen Diskussion mit direktem Bezug zum Film Wendler (2014: u. a. 85 ff.). Franziska Heller - 978-3-8467-6460-2 Heruntergeladen von Fink.de01/03/2022 12:27:50PM via free access Mediale Geschichtsbildmodellierungen 101 Geschichtlichkeit als Wahrnehmungseffekt untersucht wird, so bezieht sich dies nicht nur auf die Wirkungsdimension von Bewegtbildern, sondern auch auf die jeweiligen Dispositive – vor allem auch unter Berücksichtigung ihrer massenmedialen und popularisierenden Funktionen. Hickethier beschreibt diesen Prozess am Beispiel der Praktiken und Pro- grammstrukturen des Fernsehens in den 1990er Jahren, die zur Popularisierung einer audiovisuellen Form der Geschichtsschreibung beigetragen hätten. Film- beziehungsweise Fernsehbilder würden zunehmend zum populären Mittel der Geschichtsschreibung. Mit Blick auf die oben bereits problematisierte mediale Formierung der Vorstellung von Gegenwart angesichts der raumzeitlichen Konfigurationen von Heimkinotechnologien und Unterhaltungselektronik der 2000er Jahre sind Sorlins Formulierungen als fast prophetisch anzusehen: „Kann man wirklich ‚historisieren‘, was noch ganz und gar lebendig ist, womit Geschäfte gemacht werden, was Verleiher weiterhin anbieten und verwerten?“ (Sorlin 1995: 28). Was Sorlin hier in den Fokus rückt, ist die herausgearbeitete Spannung zwischen einer Konzeption von Vergangenheit und Gedächtnis und der mehrfachen Gegenwärtigkeit des Films auf verschiedenen Ebenen, die sich vor allem auch aus dem ökonomischen Nutzen heraus bestimmt. Und hier markiert Sorlin die Differenz zwischen den unterschiedlichen Formen der kulturellen Gedächtnisformierung: Hier liegt wahrscheinlich der Hauptgegensatz von Gesellschaftsgeschichte und Kinogeschichte: Im Unterschied zur Gesellschaftsgeschichte kann die Geschichte des Kinos kein Gedächtnis in absentia sein, denn die Filme bleiben bestehen. Durch Fernsehen und Video gehören sie zu unseren täglichen Zerstreuungen, und ihre materielle Fortdauer markiert die unüberwindliche Distanz, die das, was nicht mehr ist, die Vergangenheit, von dem trennt, was noch existiert (Sorlin 1995: 27).22 22  Sorlins Überlegungen (1995) sind ernst zu nehmen, wenn er angesichts der auf Gegen- wärtigkeit ausgelegten Erfahrung von Filmen auf die Aporien mit Blick auf ältere Filme aufmerksam macht: „In welcher Weise betrachten sie [die Kino-/Filmhistoriker, FH] die Filme, die nicht nur Spuren der Vergangenheit sind, sondern eine Karriere bei einem zeit- genössischen Publikum anstreben? Wollen sie sich in die Zeit der Produktion versetzen und den Blick einer vergangenen Zeit wiederherstellen? Oder bekennen sie sich dazu, daß sie Zuschauer von heute sind und daher die alten Filme gleichzeitig zu aktuellen Produktionen sehen, daß also ihr Blick sich in der Gegenwart definiert?“ (Sorlin 1995: 37). Daran anschließend wäre es meines Erachtens bedenkenswert, den Diskurs um die materielle und phänomenale Präsenz von Filmen mit dem Begriff des Überhistorischen nach Nietzsche zusammenzubringen. Die Kategorie des Überhistorischen beschreibt das, was von einer Instanz von der Vergangenheit ausgesucht wird, weil es einen Wert für die Gegenwart zugesprochen bekommt: Das Überhistorische stellt einen historisch nicht relativierten Wert dar, der darüber entscheidet, was vom Vergangenen nützlich ist (Nietzsche, n. Goertz 2001: 18). Man könnte an dieser Stelle darüber nachdenken, ob Filme nicht per se – zumindest auf phänomenaler Ebene – überhistorisch sind. Franziska Heller - 978-3-8467-6460-2 Heruntergeladen von Fink.de01/03/2022 12:27:50PM via free access 102 kapitel 3 Vor dem Hintergrund der Überlegungen zu dem komplizierten Verhältnis von Film, den Dispositiven, in denen er erscheint und zirkuliert, und Vorstellungen von Vergangenem und Geschichtlichkeit sei hier auf eine weitere temporale Dimension aufmerksam gemacht, die im Kontext von digitalen Technologien eine zentrale diskursive Größe darstellt und zugleich auch für die Theorie der Geschichtsschreibung methodische Implikationen zeitigt. Insbesondere in dem Ansatz von Hayden White (2008/1973) zu seiner Metahistory nimmt die mitgedachte utopisch-alternative Dimension der Zukunft eine wichtige Funktion ein (vgl. hierzu ausführlich meine Aus- führungen zur Rolle der Imagination und Einbildungskraft für Darstellungen von Geschichte in  Kap. 6). Aber bereits in den theoretischen Überlegungen zur Geschichtsschreibung von Edward Hallett Carr wird die Vorstellung einer Zukunft als strukturierend für das Verständnis von geschichtlicher Dynamik und zeitlichen Verhältnissen angesetzt. Carrs Interpret Robert William Davies fasst in einer Re-Edition zu What is History (1961) zusammen: „Carr believed in human progress in the past, and that ‚an understanding of the past […] carries with it an enhanced insight into the future‘: our vision of the future influences our insight into the past“ (Davies 1984: lxxvii). Die Vergangenheit selbst ist noch nicht Geschichte, dazu werde sie erst unter dem Eindruck der Zukunfts- erfahrung beziehungsweise -erwartung (Goertz 2001: 20). Wie bereits in  Kap. 1 mit Rekurs auf Reinhart Koselleck dargelegt, werden dessen und ähnliche geschichtstheoretische Überlegungen zum Verhältnis zeitlicher Verhältnisse im Rahmen dieser Studie wahrnehmungstheoretisch gewendet (so bereits im ersten Teil dieses Unterkapitels mit Blick auf die Gegenwärtigkeit des filmischen Eindrucks geschehen). Zur Erinnerung: Kosellecks Modell, welches er in seiner Studie Vergangene Zukunft (1989) entwickelt, wird vor diesem Hintergrund aus medienana- lytischer Perspektive aufgegriffen. In einer Modifikation von Kosellecks Über- legungen wird die Vermittlung einer Differenz zwischen Vergangenheit und Zukunft, zwischen Erfahrung und Erwartung, untersucht, in der ‚geschicht- liche Zeit‘ als Effekt medial erfahrbar wird: Erfahrung und Erwartung werden als zeitliche Kategorien verstanden, in deren Verhältnis sich der Eindruck einer medial konstituierten geschichtlichen Wirklichkeit manifestiert. Auf die Analyse medialer und filmischer Konfigurationen bezogen, führt dies zur Fragestellung: Wie werden Erfahrungen (vergangene und präsentische des medialen Eindrucks) und Erwartungen (auf Kommendes, eventuell geschürt durch diskursive Überformungen) beim Rezipienten hervorgerufen und ver- mittelt? Zu beachten ist allerdings in einer solchen Adaption Kosellecks: Ein maßgeblicher Unterschied liegt im Verständnis von Erfahrung. Bei Koselleck bezieht sich der Begriff auf vergangene, bereits gemachte Erfahrung, im Franziska Heller - 978-3-8467-6460-2 Heruntergeladen von Fink.de01/03/2022 12:27:50PM via free access Mediale Geschichtsbildmodellierungen 103 vorliegenden Zusammenhang bezieht er sich auf medial konfigurierte Erleb- nisse im Zeichen des Präsens beziehungsweise der phänomenalen Gegen- wärtigkeit von Bewegtbildern.23 Ähnlich ist auch der Begriff der Erwartung auf die pragmatischen Kontexte und erwartenden Rezeptionshaltungen ange- sichts medialer Phänomene zu beziehen. Auf den vorliegenden Gegenstand appliziert, haben solche analytischen Fragestellungen zur Folge, dass vor allem diskursive, technoimaginäre Formierungen und verräumlichte Konfigurationen von digitalen Medien- technologien in den Blick genommen werden, die das Zukunftsversprechen einer Revolution (der Sinne) propagieren, damit Erwartungen schüren und zu- gleich diese ästhetisch-sinnlich vermitteln. Pointiert wird diese Politik der Zeit­ lichkeiten, wie ich sie in diesem Zusammenhang nennen möchte, im Horizont des Technoimaginären der digitalen Domäne beispielhaft in dem Werbeslogan zur Blu-Ray-Disc deutlich: „The Future is Blu!“ (Abb. 3.2).24 Abb. 3.2 23  Wie die Historiker Goertz (2001) und Lynn (2001) darstellen, hat vor allem Frank Ankersmit (1994) sich in einer Phänomenologie zur historischen Erfahrung geäußert. Er verwendet den Erfahrungsbegriff, um die poststrukturalistische Einengung der Geschichte auf die von Sprache konstruierte Wirklichkeit im Rahmen des Linguistic Turn zu weiten. Damit gerät die historische Referenzialität, die in einer strukturalistischen Perspektive prekär wird, im Kontext eines unmittelbaren, der Sprache vorgelagerten Erfahrungs- modus wieder in den Fokus (Goertz 2001: 32–33). Lynn (2001) sieht darüber hinaus in Debatten um den Erfahrungsbegriff – zwischen einer individualisierten, psychologischen Perspektive und einer diskursiv-sozial konstituierten und damit kollektiv wirkenden Sichtweise – einen Horizont, in dem die Historizität des ‚Selbst‘ zum Ausdruck kommt (2001: 685–686). Der Filmwissenschaftler Rothöhler (2011: 21) verwendet in medienana- lytischer Perspektive hier das Stichwort „erlebnisorientierter Geschichtsaneignung“ und rekurriert unter anderem auf Landsberg (2004/1996) und ihr Konzept des prosthetic memory, das in  Kap. 6 ausführlicher Thema sein wird. Des Weiteren verweist er in diesem Horizont exemplarisch unter anderem auf Landy (2001) sowie Cook (2005). 24  V gl. Fox-Blu-ray. The Future Is Blu – Trailer (2012)  Filmverzeichnis. Franziska Heller - 978-3-8467-6460-2 Heruntergeladen von Fink.de01/03/2022 12:27:50PM via free access 104 kapitel 3 Vor diesem Hintergrund untersuche ich die jeweiligen medialen Konfi gu- rationen von Digitalisaten und digitalen Dispositiven von Filmen auf ihre Art und Weise hin, wie sie präsentische Erfahrungsräume und Erwartungs- horizonte (auf Kommendes, Zukünftiges) kreieren, in denen zeitliche Differenzen, mittelbar auch die Erfahrung von geschichtlicher Zeit, im Kontext spezifischer Interessen erlebbar werden. 3.5 Barbara Klingers Fallbeispiele: Der TV-Sender America Movie Channel und Heimkinotechnologien als nostalgisch-ideologisch wirkende personal mass culture Insbesondere die Filmwissenschaftlerin Barbara Klinger (2006a) hat unter dem Titel Beyond the Multiplex mit Blick auf neue (digitale) Dispositive eine Studie der US-amerikanischen Medienindustrie zu Beginn der 2000er Jahre vorgelegt; dies im Zeichen neuer Formen der Filmrezeption im heimischen, privaten Raum: (Kabel-)Fernsehen, VHS, DVD und Internet – eben jen- seits des öffentlichen Ortes Kino. Klingers Studie fokussiert mit Rekurs auf kulturkritische Ansätze die ideologischen Konsequenzen und Implikationen einer Filmkultur, die sich im Kontext eines höchst technisierten Heim- kinos etabliert. So beschreibt sie etwa unter der Tagline „Home is where the hardware is“ die Bedeutung einer Filmrezeption, die nicht losgelöst zu sehen ist von einer Entertainment Technology für zu Hause, welche als Spektakel in- szeniert wird (Klinger 2006a: 21 ff.). Dies untersucht sie vornehmlich mit anglo- amerikanischen Analyseansätzen aus den Cultural Studies. Die Perspektive hat zur Folge, dass sich Klingers Überlegungen von meinen im Begriff der Erfahrung unterscheiden. So hat Klinger weniger ein bildtheoretisches oder explizit wahrnehmungstheoretisches Interesse an Vermittlungsprozessen der Digitalisierung. Sie widmet sich kaum grundsätzlichen Fragen der medialen Erfahrung von Zeitlichkeit. Es geht ihr vor allem um die generellen sozio- kulturellen Zusammenhänge und formierenden Narrative mit Blick auf die amerikanische Gesellschaft und Identitätsbildung (u. a. Klinger 2006a: 90).25 Dennoch sind einige Hinweise – gerade auch durch die Ähnlichkeit des Analysegegenstandes – von Klinger fruchtbar zu übernehmen, wenn sie die Praktiken der amerikanischen Medienindustrie untersucht und Formen des Recyclings und Re­purposings von älteren Filmen, die in der häuslichen Sphäre im Alltag ihre Wirkung entfalten, analysiert. Klinger konstatiert eine 25  Klinger untersucht in diesem Sinne die Konsequenz, die „home recycling of Hollywood films has for the public construction of history“ (Klinger 2006a: 90). Franziska Heller - 978-3-8467-6460-2 Heruntergeladen von Fink.de01/03/2022 12:27:50PM via free access Mediale Geschichtsbildmodellierungen 105 Popularisierung von Filmgeschichte – gerade über die dispositive und räum- liche Verortung der Wiederaufnahme zu Hause als besondere Aneignungs- form: Zum einen werden nach Klinger durch die neuen Distributionsformen kanonische Strukturen für Filmgeschichte in neuer populärer Form geschaffen, zum anderen werden aber auch die Erwartungen an das Filmsehen als Konsum verändert – unter dem Vorzeichen der Verfügbarkeit im privaten Raum, was unter anderem ein wiederholtes Anschauen des Materials zur Folge habe (Klinger 2006a: 13; hierzu auch ausführlich  Kap. 7).26 Erinnerungskulturell ist dies im vorliegenden Zusammenhang zum einen als die Etablierung be- stimmter wahrnehmungskonfigurierender Rituale des Filmerlebens zu sehen, zum anderen als eine Verwebung von individuellem, privatem und kollektivem, öffentlichem Gedächtnis. Auf diese beiden Ebenen wird sich im Folgenden mein besonderes wahrnehmungstheoretisches Interesse richten. Klingers Leistung liegt für mich methodologisch vor allem darin, die kommerziell und industriell organisierten Medieninstitutionen mit in ihre Untersuchung einzubeziehen und sie damit als memopolitisch wirksame Akteure für allgemeinere Modellierungen amerikanischer Geschichts- bilder ernst zu nehmen – konkret am Beispiel des America Movie Channel (AMC) und der Hollywood-Studios.27 Diese sich hier in medialen Praktiken äußernden kulturellen Narrative, denen Klingers kulturkritisches Interesse 26  Hinzu kämen darüber hinaus – etwa bezogen auf die DVD – nun Möglichkeiten der Menüauswahl beim Zugriff auf Filme. Hier eröffne sich auch der Konsum von Bonus- materialien und anderen buchstäblich verlinkten Paratexten. Dies wird uns mit Blick auf jüngere Theoretisierungen wie etwa bei Distelmeyer (2012) beschäftigen,  Kap. 4 und  Kap. 5 sowie  Kap. 7. 27  Weitergehend wird von Klinger herausgearbeitet, welche nachhaltigen ideologischen Implikationen – vor allem mit Blick auf die Kategorien von Rasse und Geschlecht – diese technologischen wie kulturellen Transformationen der Medienumgebung des Films zeitigen. So sehe die Medienindustrie als Zielgruppe für den ‚kleinen‘ Fernsehbildschirm und den Heimtechnologienmarkt vornehmlich Jugendliche und männliche Erwachsene („gadgeteers“). Darin liege die Annahme, dass insbesondere Männer technophil seien und sich am schnellsten die jeweils neuesten Technologien aneignen wollten (Klinger 2006a: 13). An dieser Stelle sei auch auf die Arbeit von Newman/Levine (2012) verwiesen. Newman/Levine stellen in ihrem Buch Legitimating Television vor allem in dem Kapitel „The Television Image and the Image of Television“ dar, wie wichtig für die ideologische und ikonische „Imagebildung“ von digitalen (Fernseh-)Technologien die Vorstellungen aus der Medien-, insbesondere der Kinogeschichte sind. Die Kinogeschichte wird – so ließe sich dieser Ansatz erweitern – im Umkehrschluss über diese Einbindung in ideo- logische Überformungen neuer Technologien eben auch von jenen imprägniert. Aus Gründen der Kohärenz lässt sich der interessante Zusammenhang des Technoimaginären digitaler Technologien und genderideologischer Implikationen im Rahmen dieser Studie aufgrund des divergierenden Erkenntnisinteresses nicht ausführlich darstellen. Dies soll an anderer Stelle fortgeführt werden. Franziska Heller - 978-3-8467-6460-2 Heruntergeladen von Fink.de01/03/2022 12:27:50PM via free access 106 kapitel 3 vornehmlich gilt, werden unter Bezeichnungen wie Heritage Business und Massenkultur diskutiert. Mit Bommes/Wright definiert Klinger unter diesen Vorzeichen nationales (Kultur-)Erbe und zeigt, wie insbesondere Fernsehen und Home Cinema Technologies als Dispositive eine modellierende Rolle ein- nehmen können: National heritage culture involves a ‚public articulation or staging of the past […] of immense extent, variety, and ubiquity.‘ […] The acts of selection, contextualization, and preservation are necessarily ideological (Bommes/ Wright, zit. n. Klinger 2006a: 93–94). Wichtig ist hier die Betonung des Zusammenhangs von kommerziellen Strukturen und einer interessegeleiteten, massenwirksamen Inszenierung der Vergangenheit („staging of the past“). Dabei erfüllt etwa der Fernsehsender AMC die Prämisse der Ubiquität – zumindest im Versprechen, dass er die Filme ins Wohnzimmer bringt und damit in den häuslichen Alltag integriert.28 Darüber hinaus verfolgt AMC nach Klinger spezifische Strategien, die Be- deutung der Filme, vor allem ihre historische Position und ihre fundamentale Relevanz für die amerikanische Kultur generell, zu vermitteln (Klinger 2006a: 97). Dazu gehöre die Rechtfertigung der Selektion beziehungsweise diskur- sive Rahmung der getroffenen Auswahl, was Klinger als Konsekrationsstrate- gien im Sinne des Soziologen Pierre Bourdieu beschreibt (vgl. hierzu auch meine Relektüren in  Kap. 6 und  Kap. 7). Diese zeitigen, wie ich noch mehrfach thematisieren werde, wiederum Folgen für die historiografische Erfahrungsbildung. Die Kategorie der Klassiker nimmt als rhetorisches Label eine hervor- gehobene Stellung ein. Am Beispiel des Labels Klassiker wird sichtbar, wie Kategorien der Hoch- und Massenkultur im Prozess einer solchen medialen Popularisierung von Filmgeschichte eine Durchmischung erfahren (hierzu auch schon unter Eindruck der Colorization-Debatte  Kap. 2; Acland 1990: 12). Im Zentrum steht die Konstruktion des historischen Wertes und damit der Relevanz des ausgewählten Films für die Gegenwart – hier würden, so beschreibt es Klinger, auch Werke, die bisher aus verschiedenen Gründen außerhalb des Kanons existiert hätten, in ihrer – auch zeitgeschichtlichen – Bedeutsamkeit inszeniert. 28  Zur entstehenden Problematik in Hinblick auf das Paradox der ubiquitären, gegen- wärtigen Präsenz der Vergangenheit im Alltag als Besonderheit der Distribution und Zirkulation von Filmen vgl. Sorlin (1990). Franziska Heller - 978-3-8467-6460-2 Heruntergeladen von Fink.de01/03/2022 12:27:50PM via free access Mediale Geschichtsbildmodellierungen 107 So fasst Klinger pointiert zusammen: „Classic films are not born, they are made“ (Klinger 2006a: 94).29 Klinger nennt diese medial sich vermittelnde er- innerungskulturelle Praxis Hollywood­Nostalgia, um die ambivalente Wechsel- wirkung zwischen Gegenwart und Vergangenheit zu beschreiben. Diese Form der Nostalgie impliziere und produziere für die zeitgeschichtlichen Zusammenhänge – etwa im Mythos der amerikanischen Nationenbildung – harmonisierende Narrative, in denen Widersprüche und Brüche negiert, Konflikte unterdrückt würden: Nostalgic enterprises […] construct the relationship between the past and the present in a way, that stress continuities rather than ruptures in a nation’s history – a different means of dealing with perceptions of historical disconti- nuity. By showing a linear, rational progression in the nation’s narrative, such enterprises reassure citizens that certain traditions and values that have always held the nation together will continue to do so. In the process, the backward gaze produces historical accounts that enter the field of public memory (Klinger 2006a: 103). Nostalgische Diskurse tendierten als Reaktion auf eine moderne, komplexe Wirklichkeitserfahrung dahin, Vergangenheit „reinzuwaschen“30 und zu ordnen, indem sie Konflikte minimierten oder unterdrückten.31 Zentral ist die folgende Feststellung Klingers, die sich auf die Wahrnehm ung von Filmen als Geschichte richtet: Die besondere Form der Popularisierung der (filmischen) Vergangenheit, die AMC und andere neue Dispositive unter- nähmen, liege vor allem in der Parallelisierung von Hollywood und der US- amerikanischen Nation. Hollywood-Filme würden als „unmediated“, als direkte Dokumente amerikanischen Lebens vermittelt (Klinger 2006a: 103).32 Die 29  „AMC’s use of the classic designation is inflated, a rhetorical gambit designed to canonize all Hollywood products, even those that have long flown under the aesthetic radar, in the hope that their instant value will translate into instant profit“ (Klinger 2006a: 98). 30  Im Original verwendet Klinger den doppeldeutigen und dadurch ideologisch imprägnierten Begriff ‚whitewash‘, der die Überformung der hier konstruierten Geschichtserzählung von Narrativen andeutet, die vom ‚Weiß-Sein‘ als Rassennorm ausgeht und daraufhin alle anderen als Abweichung denkt und konstruiert. 31  Zum weiteren Diskurs um Film und Nostalgie vgl. u. a. Cook (2005) sowie Grainge (2002 und 2003). Explizit zur analogen Nostalgie in einer allgemeineren digitalen Medien- kultur: Schrey (2017). 32  Solche Narrative werden auch in die Promotion von Filmkonservierung und -restaurierung übertragen: Bei einem Film Preservation Festival des Senders äußerte Filmregisseur Martin Scorsese, mit seiner Initiative Film Foundation – Filmmakers for Film Preservation einer der prominentesten Wortführer bis heute in der Restaurierungsdebatte: „Film is history. With every foot of film that is lost, we lose a link to our culture, to the world around us, to each other, and to ourselves“ (Scorsese, zit. n. Klinger 2006a: 104). Franziska Heller - 978-3-8467-6460-2 Heruntergeladen von Fink.de01/03/2022 12:27:50PM via free access 108 kapitel 3 filmische Fiktion verschmilzt mit der Vorstellung von Geschichte: Es bildet sich „[a] conflation, in which history appears to be directly expressed in film narratives“ (Klinger 2006a: 15). Unter diesen Vorzeichen und vor allem auch mit Blick auf die nostalgisch-harmonisierenden Strategien kann man feststellen, dass Geschichte im „Wohlfühlmodus“ („feel good entertainment experience“) vermittelt wird (Klinger 2006a: 103).33 Klingers Analysen sind so für diese Studie in mehrfacher Weise fruchtbar. Dies gilt insbesondere für die methodische Herangehensweise, nämlich den Blick auf erinnerungskulturelle Praktiken im Horizont von sich verlagernden Rezeptionsformen von historischen Filmen zu richten. Die Transformationen, die filmische Gedächtnisformen durch die Home Technologies und die ver- änderten Distributionsstrukturen im Zeichen von Aneignungsstrategien er- fahren (etwa DVD, Internet), könne man, so Klinger, als eine „personal mass culture“ (Klinger 2006a: 133) beschreiben, in der Kollektives und Privates mit- einander verwoben würden: in Form einer Massenkultur, die im Privaten des Heims, integriert in den Alltag, stattfinde und in die persönliche Sphäre des Einzelnen eindringe. Dabei konnte Klinger 2006 noch nicht um die massen- hafte Durchsetzung individuell genutzter mobiler Bildschirme wissen, die auch im öffentlichen Raum präsent sind und verwendet werden. Darüber hinaus sind Klingers Ansätze zu einer ideologischen Lesart der Strategien von medialen Wiederaufnahmen von Filmen wichtig und – wie auch schon im Beispiel zu Weltenbrand – auf andere, zumal europäische Kulturkreise anzuwenden (vgl. etwa auch den in  Kap. 6 besprochenen Fall der digitalen Re-Edition des Münchhausen-Films von 1943). Einen besonderen Anschlusspunkt stellt aber vor allem die Art und Weise dar, wie sie eine massenkulturelle Popularisierung von (Film-)Geschichte konzipiert. Denn hier zeigen sich Konsequenzen für die Einschätzung der Be- deutung der medialen Erfahrung von Filmen zu Hause für die Vorstellungen von Geschichte. Allerdings ist aber auch genau an dieser Stelle über Klinger hinauszugehen, und es sind grundsätzlichere Fragen zu stellen. Nicht nur ist zu untersuchen, wie Vergangenheitsvorstellungen und -erfahrungen von und mit Filmen über 33  Klinger hebt in diesem Kontext hervor, wie bestimmte Masternarrationen einen Trans- fer aus der filmischen Fiktion auf außermediale Gegebenheiten erfahren. Dieser Trans- fer verankere sich im kollektiven Gedächtnis durch die massenmediale Verbreitung. Die Auswahl der auf diese Weise als Dokumente (vgl. später Begriffserklärung Steinle 2005) gelesenen Spielfilme bedeute zusätzlich eine ständige gegenseitige Selbstaffirmation: Die Filme seien apriorisch bedeutsam, deshalb würden sie ausgestrahlt; die Wiederaus- strahlung mache sie wiederum historisch bedeutsam. Franziska Heller - 978-3-8467-6460-2 Heruntergeladen von Fink.de01/03/2022 12:27:50PM via free access Mediale Geschichtsbildmodellierungen 109 industrielle und marktorientierte Interessen medienspezifisch modelliert werden können – noch jenseits von harmonisierenden Narrativen einer Fort- schrittsideologie einzelner Länder und Kulturkreise. Es ist vielmehr grund- sätzlicher medientheoretisch zu analysieren, welche konkrete Bedeutung die Bewegtbildwahrnehmung im Zusammenspiel mit bestimmten dis- positivischen Anordnungen für eine Geschichtsbildmodellierung aufweist – insbesondere auch in der Wirkmächtigkeit, die Klinger lediglich mit dem Begriff „cinematic imagery“ beschreibt, welche sie aber nicht detailliert an filmischen Erlebnismodi festmacht. Der schon mehrfach hervorgehobene wahrnehmungstheoretische Schwerpunkt dieser Studie bedingt die nötige tiefere Auseinandersetzung mit einer an der Medienästhetik des Films aus- gerichteten Modellierung des Subjektbegriffs angesichts einer solchen medialen Geschichtsbildmodellierung, wie sie dann vor allem in  Kap. 5 vorgenommen wird. Um diese Überlegungen vorzubereiten, wird im Folgenden auf filmwissen- schaftliche Ansätze rekurriert, mit denen historisierende Lektüremodi von Bildern in einer an Roger Odin orientierten semio-pragmatischen Perspektive entwickelt werden. Die zitierten Diskurse beschäftigen sich mit Archivbildern als Chiffren und Vehikel für filmisch vermittelte Vergangenheit mit der be- sonderen Facette – etwa nach Matthias Steinle (u. a. 2005; 2007; Maeck/Steinle 2016) –, vor allem ein Wahrnehmungseffekt zu sein. 3.6 Bewegtbilder im Archivdispositiv und im historisierenden Lektüremodus. Zum Begriff audiovisuelle Geschichtsbildmodellierung „Zusammenfassend lässt sich das ‚Archivbild‘ als Zeichenkomplex beschreiben, der aufgrund ästhetischer Markierungen zeitlich in der Vergangenheit und räumlich in einem anderem Kontext situiert wird“ (Steinle 2005: 299). Die Frage, wie sich unter dem Eindruck der Präsenz des audiovisuellen Wahr- nehmungserlebnisses von Bewegtbildern Vergangenheit vor allem (wirkungs-) ästhetisch vermittelt und welchen Einfluss dies auf Erinnerungskultur und Geschichtsbildmodellierungen (zum Begriff vgl. unten) haben kann, hat bereits eine sehr breite Diskussion im Zusammenhang mit der Frage nach Verwendungszusammenhängen von Archivbildern gefunden: Die Kenn- zeichnung von Bewegtbildern als ‚aus dem Archiv kommend‘ stellt eine zentrale ästhetische Strategie dar, um Konnotationen des Vergangenen über Franziska Heller - 978-3-8467-6460-2 Heruntergeladen von Fink.de01/03/2022 12:27:50PM via free access 110 kapitel 3 verschiedene ‚Marker‘ hervorzurufen. Diese können sich materialästhetisch mittels Patina oder inhaltlich manifestieren (Steinle 2005 und 2007). Heinz-B. Heller (2001: 18) hat auf die wechselseitige Abhängigkeit von referenziellen Mehrwertversprechen des Films und der beim Rezipienten evozierten Lektüre (changierend zwischen dokumentarisierendem und fiktio- nalisierendem Modus) hingewiesen. Insofern verlagert sich in Anlehnung an Roger Odins semio-pragmatischen Ansatz die ontologische Frage, ob Film- bilder tatsächlich eine (vergangene) Wirklichkeit abbilden – ob sie nun dokumentarisch oder gar historisierend wirken –, auf die Frage nach dem Lektüremodus. Dieser fußt auf der Bestimmung einer Enunziationsebene, das heißt der Zuschreibung, welche Äußerungsinstanz den Bildern attribuiert wird. Je nachdem, welche Enunziationsinstanz der Bilder angenommen wird, gestaltet sich der Lektüremodus seitens des Rezipienten. Steinle hat diese Überlegungen auf die Lektüremodi von Bildern übertragen, die als Archiv- bilder wahrgenommen werden (Steinle 2005 und 2007): „Externe und binnen- ästhetische Hinweise sollen den Rezipienten zu einer bestimmten Lektüreform bewegen“ (Steinle 2005: 299). Die angebotene Lektüre der offensichtlich als präexistent – als ‚aus dem Archiv stammend‘ – markierten Bilder changiert zwischen den Gesten des ‚Aufgehoben‘- oder ‚Neu-entdeckt-worden-‘ und damit ‚Von-nun-an-aufbewahrenswert-Seins‘ (Steinle 2005: 298). Steinle nennt dieses Changieren Archivdispositiv. Dieses spezifische Dispositiv beschreibt und strukturiert zugleich die Erwartungshaltung beim Zuschauer.34 Hier wird eine enunziative Instanz angesetzt, die der Institution Archiv zugewiesen wird, das heißt, die Bilder werden als präexistent, als vorgefunden gegenüber der gegenwärtigen Aktualisierungsform gelesen – mit geschichtsmodellierender Wirkung: „Das Archivbild hat sich seit den 50er Jahren als Wahrnehmungs- phänomen mit Bildern etabliert, die die Erinnerung an die Zeitgeschichte mit geprägt haben“ (Steinle 2005: 303).35 34  „So schafft das Archivdispositiv den narrativen Rahmen, der dem […] Film Dokument- status verleiht. Aber mit dieser dokumentarischen Selbstevidenz durch die Nobilitierung als Archivbild geht dessen Monumentalisierung zum historischen Artefakt einher, das mehr an Vergangenes erinnert als Konkretes bezeugt. Gerade der scheinbar eindeutige Status bedingt die Offenheit in der Verwendung ebenso wie in der Lektüre“ (Steinle 2005: 299; zur weiteren Differenzierung zwischen Monument und Dokument vgl.  Kap. 6). 35  Der Holocaust stellt in dieser Debatte den Kulminationspunkt und das prekärstes Sujet dar, da in diesem Themenkreis die Möglichkeiten, Geschichte filmisch zu erzählen und darzustellen, an ihre Grenzen kommen: Die Zeig- und Erinnerbarkeit dieser Geschichte stellt Filme vor besondere inszenatorische, konzeptuelle wie ethische Herausforderungen; vgl. u. a. Steinle (2005 und 2007) oder Ebbrecht (2011). Franziska Heller - 978-3-8467-6460-2 Heruntergeladen von Fink.de01/03/2022 12:27:50PM via free access Mediale Geschichtsbildmodellierungen 111 Die wichtigste ästhetische Funktion von Archivbildern liegt Steinle zufolge darin, für Zeitkolorit zu sorgen und ein auf die Mediengeschichte bezogenes Spiel mit Raum und Zeit zu eröffnen: In der Montage signalisieren Archivbilder häufig raumzeitliche Sprünge und dienen der Orientierung. Die Wiederverwendung der Bilder kann dabei deren inhärente Qualitäten oder ihre Bekanntheit zur eigenen Aufwertung nutzen, sei es in Form einer Hommage, sei es als Aneignung (Steinle 2005: 296). Das unter Umständen bereits bekannte und im kollektiven Gedächtnis ver- ankerte Material werde re-kontextualisiert (Steinle 2005: 296). Gerade Archivbilder bieten sich aufgrund ihrer ‚historischen Aura‘ für diesen Un- mittelbarkeits-Diskurs an, dessen zentrale Legitimationsinstanz das Archiv ist – unabhängig davon, ob das Material auch dort aufbewahrt worden ist (Steinle 2007: 246). Klinger (2006a), die mit Blick auf die amerikanische „kommerzielle Er- innerungsindustrie“ argumentiert, hat besonders die aktualisierenden Ver- wendungszusammenhänge der Gegenwart als bedeutungsgebenden Rahmen der Aktualisierung und Kontextualisierung von bekannten Filmbildern aus Spielfilmen hervorgehoben,36 wobei sie aber die wirkungsästhetischen Folgen nicht berücksichtigt, die Steinle mit Bezug auf die angenommene enunziative Instanz ‚Archiv‘ als zentrales Argument für die Wirkmächtigkeit profiliert: „Der Status des Vorgefundenen, bereits Existierenden und unabhängig vom Benutzer Entstandenen fördert die Illusion unmittelbarer und ungefilterter Wiedergabe von Geschichte bzw. vergangener Wirklichkeit“ (Steinle 2005: 296). Steinle hat vornehmlich, aber nicht ausschließlich Found­Footage-Material im Visier, das aus Non-Fiction-Kontexten stammt. Im Gegenstandsbereich meiner Studie werden allerdings im Zusammenhang mit Re-Editionen vor allem Bei- spiele von Spielfilmen in ihrer digitalen Wiederaufnahme und Zirkulation be- sprochen. Insofern gilt es, von Klinger inspiriert und methodisch vor allem an Steinle orientiert, die „Illusion unmittelbarer und ungefilterter Wiedergabe von Geschichte“ angesichts von Fragmenten aus bekannten Spielfilmproduktionen unter Berücksichtigung der jeweils suggerierten Enunziationsinstanz zu reflektieren (ausführlicher in  Kap. 6). Auch die Frage nach der unmittel­ baren Wirkungsdimension ist in den Fallanalysen konkret zu untersuchen. Es wird darum gehen, Steinles zentrale These zu erweitern: Steinle konstatiert 36  Auch Steinle hat die kommerziellen Interessen im Blick, vor allem aber im Non-Fiction- Bereich; vgl. u. a. Steinle (2005 und 2007) bzw. Maeck/Steinle (2016). Franziska Heller - 978-3-8467-6460-2 Heruntergeladen von Fink.de01/03/2022 12:27:50PM via free access 112 kapitel 3 für seinen Forschungsbereich: „Im dokumentarischen Diskurs legitimieren Archivbilder das Gezeigte als Unhinterfragbares ‚So war es‘“ (Steinle 2005: 295). Im Kontext einer Geschichtsbildung im Zeichen einer popularisierten (Film-)Geschichte, auch im bewusst doppeldeutigen Sinne als Geschichts- modellierung mit Filmen, müsste man formulieren: Im populär kommerziellen Erinnerungsdiskurs legitimieren die Archivbilder/vorgefundenen Bilder das Gezeigte als realisierbare Utopie. In einem sich in dieser Form vermittelnden Erinnerungsdiskurs materialisiert sich filmisch Imaginiertes sinnlich im gegenwärtigen Wahrnehmungseindruck – im Dienste des Technoimaginären der digitalen Domäne. So betont Steinle methodisch eine semio-pragmatische Perspektive, die sich fruchtbar auf Phänomene des Gegenstandsbereichs der vorliegenden Studie anwenden lässt – besonders wenn es darum geht, die Initiation von historisierenden Lektüren von Bewegtbildern unter der Bedingung ihres präsentischen filmischen Eindrucks zu untersuchen. Mit Steinle ist zu formulieren, dass es sich insofern beim Archivbild um ein Wahrnehmungs- phänomen handelt, das sich erst im Kommunikationsakt zwischen filmischem Text und Zuschauer konstituiert. Archivbilder werden in der Absicht eingesetzt, eine ‚historisierende Lektüre‘ beim Rezipienten zu provozieren. Um die Bilder aber als ‚Archivbild‘ entziffern zu können, müssen eingeschliffene [historisch gewachsene, FH] Genreerfahrungen vorhanden sein (Steinle 2005: 300).37 Insofern ist auch in den Analysekapiteln ( Kap. 4–7) zu fragen, wann ein Archivbild konstruiert wird, wann historisierende Lektüren wie initiiert werden. Dies werde ich als audiovisuelle Geschichtsbildmodellierung über Bewegt- bilder begreifen und zum Teil – je nach Analysefall – auf dispositive An- ordnungen ausweiten: Wie initiieren diese historisierende Lektüren? Welche Funktion nimmt dann hier etwa die Annahme einer verantwortlichen, editierenden Instanz Archiv ein? Der Begriffsgebrauch dieses  Kap. 3 deutete es schon an und soll an dieser Stelle nachdrücklich definiert werden: In Anlehnung an Sonja Czekaj (2015) – eine Interpretin von Steinles Überlegungen zum Archivbild – werden die zu untersuchenden ästhetischen Praktiken und dispositivischen An- ordnungen, die in unterschiedlichen Verflechtungen in den Fallstudien ana- lysiert werden, als Prozesse der Geschichtsbildmodellierung begriffen. Hierbei konzentriere ich mich vor dem Hintergrund des eigenen Forschungsinteresses 37  Das Verständnis von dem, was Archivbilder sind, hat sich historisch entlang dem Diskurs um den Quellenwert von Bildern und die Funktion von Filmarchiven entwickelt. Franziska Heller - 978-3-8467-6460-2 Heruntergeladen von Fink.de01/03/2022 12:27:50PM via free access Mediale Geschichtsbildmodellierungen 113 vor allem auf die wirkungsästhetische Dimension der Erfahrungsbildung solcher Modellierungen. Ähnlich wie Czekaj begreife ich den Begriff des Geschichtsbildes bewusst als offenen (Czekaj 2015: 14):38 Geschichtsbilder werden als audiovisuelle Formierungen und sinnliche Konkretisierungen von Vorstellungsbildern historischer Vergangenheit im umfassenden Sinne ver- standen. Diese Überlegungen werden noch weiter in  Kap. 6 ausgeführt – vor allem auch mit Blick auf die Tragweite und historiografische Funktion solcher Modellierungen. 3.7 Exkurs: (Fiktionale) Geschichtsfilme, Ästhetik und Historiografie In den vorangegangenen Ausführungen ist immer wieder die besondere Be- deutung von Bildern hervorgehoben worden, die aus fiktionalen Spielfilmen stammen und die in digitalen Medienumgebungen wieder auftauchen, wodurch sie implizit auch eine geschichtsbildmodellierende Wirkung ent- falten. Daher wird zur Einordnung des hier verfolgten Ansatzes an dieser Stelle ein kurzer Exkurs eingeschoben, in dem beispielhaft bestehende Perspektivierungen zum Verhältnis von Spielfilmen, deren illusionsbildender Wirkmächtigkeit und Geschichtsbildmodellierungen thematisiert werden. Der Zusammenhang von Spielfilmen, Illusionsbildung, Spiel mit dem filmisch Imaginären und der Historiografie ist in zahlreichen Studien untersucht worden. Exemplarisch seien im Folgenden einige (jüngere) Ansätze genannt – mit ausschnitthaftem Fokus auf die jeweilige Konzeption von medialer wie filmischer Erlebensdimension und auf die Vermittlungsform von geschicht- licher Dynamik. Anton Kaes (1989) und Saul Friedländer (1984) haben zu filmischen Aus- einandersetzungen mit deutscher Geschichte, insbesondere zum National- sozialismus, gearbeitet. Die Ansätze beider Autoren setzen sich im Speziellen mit filmischen Verhandlungen von zeitlichen Ordnungen wie Kontinuitäten in der deutschen Geschichte auf der Ebene des Imaginären auseinander (vgl. hierzu überblicksartig auch Czekaj 2015: 19 f.). Insbesondere Kaes arbeitet eine Affinität des Spielfilms zu kollektiven Sinnzuschreibungen, Wunschvor- stellungen und Ängsten heraus. 38  Der Begriff wird hier anders als etwa bei Ebbrecht (2011) verwendet, welcher ihn auf ver- eindeutigende und beglaubigende selbstreferenzielle Bilder eingrenzt. Auch der später von mir gebrauchte Begriff des Vorstellungsbildes historischer Vergangenheit orientiert sich an Czekaj (2015), die sich hier in ähnlicher Form von Ebbrecht abgrenzt (vgl. zur generellen Differenzierung Czekaj 2015: 14). Franziska Heller - 978-3-8467-6460-2 Heruntergeladen von Fink.de01/03/2022 12:27:50PM via free access 114 kapitel 3 Jüngere Herausgeberschriften und Sammelbände nehmen vor allem historische Ereignisse im Zusammenhang mit der RAF oder der sogenannten ‚Wende‘ zum Anlass, filmische Einschreibungsprozesse in das kulturelle Ge- dächtnis näher zu untersuchen (Stephan/Tacke 2007, 2008a und 2008b). Wie Czekaj (2015: 20) mit etwas zeitlichem Abstand kritisch resümiert, steht aber eine systematische Untersuchung mit Blick auf die Potenziale der Wahr- nehmungskonfiguration im Zuge spezifisch audiovisueller Geschichtsbild- produktionen aus. Eine ähnliche Kritik findet sich exemplarisch auch an weiteren jüngeren Studien im deutschsprachigen Raum: Inwieweit die Analyse von Spielfilmen über (populäre) medienkulturelle Muster der Geschichtsbildung Auskunft geben kann, untersucht etwa Waltraud ‚Wara‘ Wende 2010 in ihrer Studie Filme, die Geschichte(n) erzählen. Der Band geht von der Prämisse aus, dass universitäre Geschichtswissenschaft und schulischer Geschichtsunterricht ihr Informationsmonopol in Sachen Geschichte verloren haben. Das, was Menschen über politische, soziale, kulturelle und mentale Vergangenheiten wüssten, werde in erheblichem Umfang von der Suggestivkraft der audio- visuellen Medien, die mit ihrer Reiz- und Eindrucksdichte die Zuschauer emotional in den Bann ziehen können, beeinflusst. So produktiv Wendes Ansatz für eine wirkungsästhetisch orientierte Film- analyse mit Blick auf historiografisch wirksame Mechanismen sein könnte, so fasst doch Tobias Ebbrecht anschaulich das Problem der Studie zusammen: Die Autorin stelle zwar die richtigen Fragen, allerdings analysiere sie kaum die ästhetisch-formale Seite von Filmen. Ebbrecht hebt hervor, dass das Problem darin bestehe, dass Wende die – am Material und der Filmsprache durchaus analysierbare – Wechselwirkung zwischen gesellschaftlichen Bedürfnissen (zum Beispiel Nostalgie,39 Selbst-Viktimisierung) und geschichtspolitischen Diskursen nicht weiter nachverfolge (Ebbrecht 2012). Eine konsequentere Verbindung von formalästhetischer Analyse fiktionaler Filme mit einer Metareflexion von Filmgeschichtsschreibung und Problem- stellungen im Umgang mit historischen Zeitlichkeiten findet sich bei Michael Wedel (2011), welcher eine deutsche Filmgeschichte als Krisen­ geschichte modelliert. Der Begriff der ‚Krise‘ im Zentrum der Argumentation ist ein sowohl von Reinhart Koselleck wie von Siegfried Kracauer inspiriertes Konzept von (geschichtlicher) Zeit, das sich linearen Anordnungen – gerade mit Blick auf den Film als soziokulturelles wie zugleich ästhetisch erfahrbares 39  Zum weiteren Diskurs um Film, seine Vermittlungsformen und Nostalgie vgl. u. a. Cook (2005) sowie Grainge (2002 und 2003). Explizit zur analogen Nostalgie in einer all- gemeineren digitalen Medienkultur: Schrey (2017). Franziska Heller - 978-3-8467-6460-2 Heruntergeladen von Fink.de01/03/2022 12:27:50PM via free access Mediale Geschichtsbildmodellierungen 115 Phänomen – widersetzt. ‚Krise‘ beziehungsweise die Metapher der Krise (unter anderem auf den Film bezogen in Anschluss an den Filmhistoriker Rick Altman, vgl. Wedel 2011: 17) wird als ein zeitlich komplexes Analysemodell entworfen, in dem grundsätzlich eine Differenz- und Relevanzeinschätzung der Vergangenheit aus der Gegenwart heraus impliziert ist (Wedel 2011: 10–11). Die ästhetische Verfasstheit, Gestalt und Wirkung von Filmen, spielt hier eine wesentliche Rolle. Insofern finden sich in der Studie filmästhetische Analysen von Spielfilmen – wie etwa Werken von Konrad Wolf oder Tom Tykwer –, die die Grundfrage des Bandes verhandeln, „wie [die ästhetische Produktion eines Films, FH] in der Geschichte steht und diese eigene Geschichtlichkeit ästhetisch verhandelt“ (Hervorh. FH). Nach Wedel ist dies ein Ansatz, der „– in Abwandlung einer Formulierung Siegfried Kracauers – ‚Geschichte‘ auf diese Weise durch die Filme zu denken versucht, anstatt über sie hinweg“ (Wedel 2011: 13). Dabei stellt Jacques Rancière (2003/1998) mit seinen Überlegungen zur „Geschichtlichkeit des Films“ eine wesentliche Referenz dar: So verstanden, meint Geschichtlichkeit den singulären Ort und die singuläre Form der Sichtbarkeit und Präsenz, an dem sich die verschiedenen Zeitmodali- täten ins Verhältnis setzen, sich einander im jeweils gegebenen Film auf dem Feld des Ästhetischen ‚umgreifen‘ (vgl. Rancière, zit. n. Wedel 2011: 14). Auf diese Weise verbinden sich bei Wedel ästhetische Befunde mit einer methodologischen Selbst-Reflexion, die insbesondere die eigene Zeitlich- keit und Gegenwärtigkeit angesichts von Geschichte – vor allem wieder mit Kracauer als zentrale Referenz – kritisch mit in den Blick nimmt. Ein weiterer jüngerer deutschsprachiger Ansatz, der versucht, Spielfilme, ihre Ästhetik und ihr kulturelles und zugleich kommerziell-industrielles Um- feld zusammenzudenken, wird in André Wendlers Studie Anachronismen. Historiografie und Kino (2014) entwickelt. Wendler entwirft – über einzel- ne Spielfilmanalysen hinausgehend – buchstäblich ein breiteres methodo- logisches Netzwerk über Bruno Latours Actor Network Theory, um bildliche und bewegtbildliche sowie darüber hinaus populärkulturelle Formen der Historio- grafie beschreibbar zu machen. Der Autor zeigt etwa in seinen Ausführungen zum „Netzwerk Cleopatra“ (Wendler 2011: 226 ff.) den Zusammenhang von Film und unterhaltungsindustriellen Kontexten und Effekten auf. So entwickelt Wendler ein theoretisches Modell, das auch paratextuelle Informationen als Ausdruck einer „Konsumideologie“ auf ihre historiografische Wirksamkeit prüft (Wendler 2014: 146 ff. sowie bes. 226 ff.). Wendler stellt hier mit Blick auf den Film und dessen Fankultur fest, dass eine „Vermehrung der Akteure“ be- trieben werde, die sich mit den spezifischen kinematografischen Zeittechno- logien und Zeitschichtungen verbinde: Franziska Heller - 978-3-8467-6460-2 Heruntergeladen von Fink.de01/03/2022 12:27:50PM via free access 116 kapitel 3 Mit Jonathan Grary und Gabriele Genge steht aber zu vermuten, dass damit keineswegs die wissensvergessene Populärkultur gegen die wissenschaft- liche Geschichte antritt, sondern dass hier zwei Seiten ein und derselben epistemologischen Transformation auftauchen (Wendler 2014: 230). In einem weiteren Kapitel bei Wendler (2011: 232 ff.) stellt wiederum Kracauer (1971) die Hauptreferenz dar. Wendler weist an dieser Stelle – ähnlich wie schon Wedel in dem seiner Studie vorangestellten Epigraph – auf die von Kracauer entwickelte Phänomenologie historiografischer Zeiten, verstanden als eine (zeitliche) Heterogenität des historischen Universums, hin und verbindet dies mit der Reflexion filmischer Erzählverfahren (Wendler 2011: 237–239). In eine ähnliche Richtung mit Rekurs auf Kracauer argumentiert auch Rothöhler (2011), der sich ebenfalls mit filmischen Vermittlungsformen von ‚Weltgeschichte‘ auseinandersetzt. In seiner Relektüre von Kracauer (1971) versucht er, die Parameter eines filmischen Vermögens für die Historiografie zu fassen (2011: 20–21). So greift Rothöhler Kracauers Idee von spezifischen Erkenntnisressourcen im ästhetischen Feld auf, womit der Film nicht vor- nehmlich als ereignishafter Spektakelraum der Geschichte verstanden wird, sondern „als privilegiertes Medium ihrer Verstehbarkeit“ (Rothöhler 2011: 21). Dies betrifft nach Rothöhler nicht nur den dokumentarischen Zeugnisaspekt filmischer Bilder, sondern auch die interne Multiperspektivität des Mediums. Rothöhler versteht Kracauers Überlegungen insofern in der Folge vor allem als metahistoriografisches Konzept, was nicht zu verwechseln sei mit dem wirkungsästhetischen Konzept einer – wie Rothöhler es nennt – „erlebnis- orientierte[n] Geschichtsaneignung“ (2011: 21). Rothöhler verortet hier unter diesem Stichwort Landsberg (2004) und deren Konzept von prosthetic memory, was in  Kap. 6 ausführlicher Thema sein wird.40 An dieser Stelle werden insofern auch die Unterschiede zwischen den Frage- stellungen der zitierten Studien und meines Forschungsprojekts deutlich: Zwar teile ich zunächst grundsätzliche zeittheoretische Konzepte mit Wedel (2011) und Rothöhler (2011) in der Rezeption von Kracauer (v. a. 1971), aber durch meinen Fokus auf wahrnehmungstheoretische Fragestellungen ver- schiebt sich die Argumentation weg von einer Modellierung metahistorischer Modelle. Mit Wendler hat mein Forschungsprojekt das grundsätzliche Denken in relationalen Verbindungen und Schichtungen gemeinsam, wenngleich 40  Des Weiteren verweist Rothöhler in diesem Horizont exemplarisch auf Landy (2001) sowie Cook (2005). Franziska Heller - 978-3-8467-6460-2 Heruntergeladen von Fink.de01/03/2022 12:27:50PM via free access Mediale Geschichtsbildmodellierungen 117 sowohl im Gegenstandsbereich als auch in den theoretischen Referenzen – gerade mit Blick auf Unterschiede im Erkenntnisinteresse – doch Differenzen bestehen. Im angloamerikanischen Raum findet sich im Anschluss an Diskurse um Postmoderne und New Historicism beziehungsweise New Film History eine Vielzahl von heterogenen Ansätzen. Auch wenn die Filmwissenschaftlerin Linda Williams (2003/1993) zunächst im Horizont des ‚neuen‘, ‚postmodernen‘ Dokumentarfilms argumentiert, so sind doch ihre filmästhetischen Befunde für meine Überlegungen wichtig, da sie die Sinnvermittlung über filmische Potenziale nicht mehr in der vollständigen Rekonstruktion einer bestimmten, objektiven Wahrheit sieht: [Die in den Filmen untersuchten Ereignisse] sind Fragmente, Bruchstücke der Vergangenheit, vom Gedächtnis hervorgerufen, keine einheitlich darstellbaren Wahrheiten, sondern, wie Freud einmal den psychischen Mechanismus der Er- innerung beschrieben hat, ein Palimpsest … (L. Williams 2003: 35). Williams problematisiert den Wahrheitsanspruch und verbindet dies mit der Analyse bedeutungsstiftender Perspektiven in Hinblick auf historische Er- eignisse. Damit geht, wie Czekaj (2015: 22 f.) es in ihrer Lektüre von Williams herausarbeitet, eine Infragestellung der bildlichen, dokumentarischen Selbstevidenz einher. Diese Formierungen hätten rezeptionsästhetisch zur Folge, dass man zwischen relativen und kontingenten Wahrheiten in einem solchen filmischen Sinngefüge auswählen könne und müsse. Solche wirkungs- ästhetischen Überlegungen werden mich in Form der Mise en Relation in  Kap. 7 beschäftigen. Unter den Bezeichnungen Postmoderner Geschichtsfilm und New History Film41 trägt Robert A. Rosenstone (u. a. 2003/1996 und 2006) Phänomene jüngerer selbst-reflexiver Dokumentar- und vor allem auch Spielfilme zu- sammen, die im Wesentlichen mit Williams’ Charakterisierung des ‚neuen Dokumentarfilms‘ übereinstimmen. Rosenstone hebt darüber hinaus die bewusst subjektive Haltung des Filmemachers, eine nichtlineare Erzähl- weise und die Vermischung scheinbar widersprüchlicher Elemente sowie die Fragmentierung als Merkmale solcher filmischer Geschichtsmodellierungen hervor. Wichtig ist an dieser Stelle, dass Rosenstone solchen Filmen historio­ grafische Funktionen zuschreibt – trotz ihres Verzichts auf chronologische, kausallogische Herleitungen und trotz ihrer grundsätzlichen Skepsis gegenüber historischem Material (Rosenstone 1995a). Czekaj (2015: 23) resümiert seinen 41  Rosenstone verwendet die Begriffe Postmodern History Film und New History Film synonym. Franziska Heller - 978-3-8467-6460-2 Heruntergeladen von Fink.de01/03/2022 12:27:50PM via free access 118 kapitel 3 Ansatz zwanzig Jahre später wie folgt: Historiografie weise in Rosenstones Verständnis, angelehnt an Hayden White (2008), einen konstruktiven Charakter auf, ohne damit vollständig in den Bereich der Fiktion überzu- gehen.42 Rosenstone betont die Abhängigkeit des Geschichtsbildes von den verwendeten Medien und zeigt, dass Historiografie „can be a mode of thinking that utilizes elements other than the written word: sound, vision, feeling, montage“ (Rosenstone 1995a: 11, Hervorh. FH). Die bereits hervorgehobenen Aspekte der hier vorgestellten Ansätze werden in den nachfolgenden Analysen in  Kap. 4–7 entsprechend meiner Vorgehensweise und meinem Interesse adaptiert. Neben den Differenzen im Gegenstandsbereich ist vor allem aber eines zu beachten: Meine Fokussierung auf die wahrnehmungsästhetische Dimension zeitigt nicht nur bei der Ana- lyse filmischer Phänomene – gesehen im Horizont kultureller Praktiken und Diskurse um Digitalisierung – methodische Konsequenzen, sondern auch bei der Untersuchung der Bedingungen der Erscheinungsweisen, der jeweiligen digitalen Dispositive. So sind etwa auf beiden genannten Ebenen die entsprechenden Modi der audiovisuellen Montage als Formierungen von Geschichtsbildern zu untersuchen. Der Erfahrungsdimension, die sich mit feeling/Gefühl angesichts solcher Konfigurationen verbindet, wird von dieser Studie ebenfalls ein besonderer Stellenwert eingeräumt, was sie auch von metahistoriografischen Reflexionen wie denen etwa von Rothöhler (2011) unterscheidet. 3.8 Medien, Zeit und Erfahrungsdimensionen. Gedächtnis und Erinnerung Gerade aus deutschsprachiger Perspektive steht die Frage nach Medien, Zeit und Erfahrungsdimensionen als Geschichte, Gedächtnis oder Erinnerung in einem weiten Diskurskreis.43 Dies spielt sogar in den konkreten Begriffs- gebrauch hinein. Insofern sollen im Folgenden einige Ansätze und Begriffe spezifisch für die eigenen Analysen geklärt und verortet werden. 42  In der Auseinandersetzung mit dokumentarischer Selbstevidenz erforscht der New History Film die Grenzen audiovisueller Repräsentation. Drei Hauptmerkmale zeichnen Rosenstone zufolge den Postmodern History Film aus: „contesting“, „visioning“ und „revisioning history“ (Rosenstone 1995b: 8). 43  Vgl. grundsätzlich und überblicksartig zu der Frage „Geschichte und/oder/als Gedächt- nis“ Erll (2011: 41 ff.). Franziska Heller - 978-3-8467-6460-2 Heruntergeladen von Fink.de01/03/2022 12:27:50PM via free access Mediale Geschichtsbildmodellierungen 119 Für die Bestimmung des Verhältnisses zwischen Medien und Gedächtnis- kulturen sowie des Verständnisses von Erinnerungskulturen44 ist die Kate- gorisierung der Kulturwissenschaftler Jan und Aleida Assmann grundlegend: Sie ordnen Gedächtnis und Erinnerung den sozialen Phänomenen zu. Medien fungieren dabei als Organisationsformen von Erinnerung, die bestimmen, was und wie erinnert wird (A. Assmann/J. Assmann 1994, darüber hinaus mit Blick auf digitale Technologien vor allem Dijk 2007).45 Gedächtnis bildet hier- bei einen Zusammenhang von Reproduktion und Rekonstruktion. (Mediale) Reproduktion beinhaltet danach eine Perpetuierung und Strukturierung kultureller Muster über die einzelnen Generationen hinweg (auch Czekaj 2015: 41). Insbesondere A. Assmann hebt die gegenseitige Abhängigkeit und Er- gänzung von Gedächtnis und Geschichte hervor, was strukturelle wie methodische Konsequenzen zeitigt: Mittlerweile habe sich eine Sichtweise durchgesetzt, nach der die Historiografie durch das Gedächtnis in Form von Emotionalität, Individualität, memorialen Funktionen (Geschichte als Ge- dächtnis) und ethischer Orientierung ergänzt werde (A. Assmann 2006: 47 ff. sowie Czekaj 2015: 43). Für die nachfolgenden Überlegungen sind einige grundsätzliche Bestim- mungen, die A. Assmann mit Friedrich Georg Jünger vornimmt, zu den Be- griffen Gedächtnis und Erinnerung von Bedeutung (A. Assmann 2010/1999: 29–30). Dies gilt im Besonderen für die Feststellung der Bedeutung der zeit- lichen Dimensionen. Während Gedächtnis mit Verfahren des Speicherns (mithilfe von Technik) verbunden sei und dieses mit (bereits) ‚Gedachtem‘ identifiziert werde, werde Erinnern vor allem als ein Prozess gesehen. Die prozessuale Zeitdimension wird von A. Assmann betont, gerade auch weil der Prozess des Erinnerns rekonstruktiv funktioniere. Er gehe stets von der Gegenwart aus, es komme unweigerlich zu einer zeitlich bedingten Ver- schiebung, Verformung und Umwertung. Der Prozess sei eng mit persönlichen Erfahrungen assoziiert, und insofern sei dies als ein aktiver Transformations- prozess zu begreifen (A. Assmann 2010: 29).46 44  Vgl. allgemein zum Definitionsproblem dieses Begriffes und zur Verwendung des Plurals Erll (2011: 36 ff.). 45  Daher verstehen J. und A. Assmann Kultur als historisch veränderlichen Zusammenhang von Kommunikation, Gedächtnis und Medien (A. Assmann/J. Assmann 1994: 114). 46  Zum Begriff des kulturellen Gedächtnisses: Der von Maurice Halbwachs geprägte Be- griff (kulturelles Gedächtnis) wird zuweilen – aufgrund der Behauptung, es könne nur erinnert werden, was auch kommuniziert werde – auch als soziales Gedächtnis be- zeichnet. Der Differenzierung zwischen kulturellem und sozialem Gedächtnis folge ich im weiteren Argumentationsverlauf nicht. Entscheidend ist, dass das kulturelle Gedächtnis Franziska Heller - 978-3-8467-6460-2 Heruntergeladen von Fink.de01/03/2022 12:27:50PM via free access 120 kapitel 3 Im Zeichen einer pragmatischen Perspektive ist für den kulturindustriellen Kontext des Weiteren die Unterscheidung zwischen Speicher- und Funktions- gedächtnis wichtig. Als amorphe Masse eines abstrakten Welt- und Menschen- gedächtnisses erfolgt für A. Assmann im Speichergedächtnis keine Selektion von Inhalten. Das Funktionsgedächtnis hingegen – gerade durch seinen pragmatischen und funktionalen Zusammenhang definiert – ist im Horizont von kultur- industriellen Interessen im Kontext digitaler Medien ein anwendbarer Begriff. Nach A. und J. Assmann schafft das Funktionsgedächtnis sinnvolle Zusammen- hänge durch Selektion sowie einen strategischen, perspektivischen Umgang mit Erinnerung. Das Funktionsgedächtnis sei identitätsstiftend: Die Identität eines Kollektivs gründe sich auf ein Funktionsgedächtnis (A. Assmann/J. Ass- mann 1994: 122–123; vgl. unter anderem die Ausführungen am Ende von  Kap. 5 zum Modell eines memophänomenalen Wahrnehmungsmodus).47 Was die Frage der prozessualen Identitätskonstruktion über Erinnerungen und Strukturen von Gedächtnisbildung im Kontext der Anwendung digitaler Medientechnologien bedeuten kann, hat die Medienwissenschaftlerin José van Dijk – über Klingers Ansatz hinausgehend – in der Studie Mediated Memories in the Digital Age (2007) untersucht. Sie analysiert Medien(-praktiken) in ihrer dialektischen Beziehung zur persönlichen Erinnerung und zum Gedächtnis:48 von J. Assmann dem kollektiven Gedächtnis zugeordnet wird. Das kulturelle Gedächt- nis lässt sich vom kommunikativen Gedächtnis unterscheiden, indem zunächst eine Alltagsferne des Ersteren in Kontrast zum Letzteren gesehen wird (Czekaj 2015: 41–42). Das kommunikative Gedächtnis entsteht aus dem lebendigen Gedächtnis, das durch Zeit- genossen über Generationen weitergegeben wird. Das kulturelle Gedächtnis rekurriert auf „schicksalhafte Ereignisse der Vergangenheit“. Aus ihm generiert eine Gruppe ihre Identität in Abgrenzung zu anderen Gruppen (J. Assmann 1988: 12). Mit Blick auf das Forschungsinteresse dieser Untersuchung im Horizont medialer Konfigurationen und deren Formierungsweisen von Erwartungen und Erfahrungen gilt für mich, dass vor- nehmlich mit dem Begriff des kulturellen Gedächtnisses operiert wird, weil – wie in den Analysen deutlich wird – die Annahme einer unpersönlichen, kollektiven Instanz bei der Bewegtbildwahrnehmung eine wichtige Rolle spielen wird (vgl. hierzu die bildtheoretischen Überlegungen in  Kap. 4 sowie  Kap. 6). Vgl. mit Bezug zum Fiktionsfilm (insbes. dem Kriegsfilm) zum Verhältnis zwischen kollektivem Gedächtnis, individueller Erinnerung und kommunikativem Gedächtnis: Kappelhoff (2016: 286 ff.). 47  In diesem Zusammenhang beschreibt Matthias Steinle auch mit Blick auf filmisches Archivmaterial die Bewegung von einem „Speichergedächtnis“ (nach A. Assmann) hin zu einem „Funktionsgedächtnis“ (Steinle 2005: 303–304). 48  Aus grundsätzlicher kulturwissenschaftlicher Perspektive hebt A. Assmann die Rolle der technischen und kulturellen Medien des Gedächtnisses hervor, die, so meine Ergänzung in Anlehnung an Dijk, das Verhältnis der persönlichen Erinnerungs-Bilder zu einer massenmedialen Öffentlichkeit bestimmen. Ein solches Gedächtnis setze sich, so A. Ass- mann (2010: 19), nicht einfach fort, es müsse immer wieder ausgehandelt werden. Hier Franziska Heller - 978-3-8467-6460-2 Heruntergeladen von Fink.de01/03/2022 12:27:50PM via free access Mediale Geschichtsbildmodellierungen 121 „[the] mutural shaping of memory and media“ (Dijk 2007: 21). Dabei richtet sie den Fokus auf die identitätsstiftende Dimension der medialen Praktiken in Hinblick auf die Konstitution eines autobiografischen Selbst als komplexes Wechselspiel aus Erinnerungen von Fakten, Emotionen und Erfahrungen: „Media and memory, however are not separate entities – the first enhancing, corrupting, extending, replacing the second – but media invariably and inherently shape our personal memories, warranting the term ‚mediation‘“ (Dijk 2007: 16). Neben der Fokussierung auf den von digitalen Technologien be- einflussten Transformationsprozess von Praktiken des Selbst gilt Dijks Unter- suchung darüber hinaus den intersubjektiven Beziehungen – auch im Kontext von Massenmedien und Öffentlichkeit. Sie beobachtet eine Dynamisierung der Kategorien von privat/persönlich und öffentlich/kollektiv: „Like memories, media’s dynamic nature constitutes constantly evolving relations between self and others, private and public, past and future“ (Dijk 2007: 21). Mit Blick auf die Konsequenzen für das Verständnis von geschichtlicher Dynamik sei darauf hingewiesen, dass Dijk mediatisierte Erinnerungen verzeitlicht denkt; der unter diesen Bedingungen sich entfaltende zeitliche Fluss konfiguriert zugleich unsere Vorstellungen von Vergangenheit und Gegenwart: „Mediated memory objects never represent a fixed moment; they serve to fix temporal notions and relations between past and present“ (Dijk 2007: 17). Dijks Beobachtungen sind insbesondere auf digitale Dispositive von Filmen zu applizieren; letztere ver- standen als Zirkulations- und Zugangsbedingungen. Für die Ebene der wahrnehmungstheoretischen Dimension von Bewegt- bildern gilt indes: Film als Gegenstand weist in der erinnerungspolitischen Debatte auf medientheoretischer Ebene eine lange und ausdifferenzierte Geschichte auf – gerade auch in seiner besonderen Beziehung zu ver- schiedenen temporalen Dimensionen. Vor allem die Filmwissenschaftlerin Christina Scherer (2001) hat unter dem Eindruck von Essayfilmen den engen Zusammenhang der Modellierung von Gedächtnis und Erinnerung mit Bewegtbildern in einer formal- und wirkungsästhetischen Dimension perspektiviert. Scherer richtet unter diesen Vorzeichen einen Fokus auf die Analogien zwischen Montage, Gedächtnis und Erinnerungen: Ästhetische Verfahren und Strukturen im Zeichen des Fragmentarischen, Vorläufigen und Merkmale von Heterogenität binden – so Scherer (2001: 72 ff.) – wirkmächtig das Erinnerungsvermögen des Zuschauers mit ein. Dies bedeute ein Spiel in der wirkungsästhetischen Dimension mit Annäherung an Vergangenes, hebt sie unter anderem die wichtige Bedeutung von rituellen Wiederholungen hervor. Diese sind in den nachfolgenden Überlegungen für die jeweiligen digitalen Dispositive zu bestimmen (vgl. insbesondere  Kap. 5). Franziska Heller - 978-3-8467-6460-2 Heruntergeladen von Fink.de01/03/2022 12:27:50PM via free access 122 kapitel 3 das immer ein Spannungsverhältnis zwischen Konkretem und Abstraktem aufbaue. Dies bedingt eine filmische Geschichtsbildmodellierung, die auf dem zeitlichen Prinzip der Augenblickhaftigkeit beruht und in wirkungs- ästhetischer Dimension Erinnerungsfunktionen des Zuschauers (stets) mit- einbezieht (Czekaj 2015: 45, vgl. hierzu auch die Ausführungen in  Kap. 6). 3.9 Zwischenfazit 3.9.1 Bewegtbilder als präsentische Passagen des Vergangenen Insbesondere die Filmwissenschaftlerin Christina Scherer (2001) hat, wie auch im vorherigen Abschnitt dargelegt, mit Blick auf den engen Zusammenhang von Gedächtnis, Erinnerung und Bewegtbildern das Prinzip der Montage in einer formal- und wirkungsästhetischen Dimension perspektiviert: Bestimmte filmische Verfahren können das Erinnerungsvermögen des Zuschauers effektiv funktionalisieren (Scherer 2001: 72 ff.). Dadurch entsteht ein Wechselspiel in der wirkungsästhetischen Dimension mit Annäherung an Vergangenes, das immer ein Spannungsverhältnis zwischen Konkretem und Abstraktem ent- wickelt. Scherer (2001: 78 f.) verbindet dies mit Walter Benjamins Begriff der Passage. Bei Benjamin werden Geschichtsschreibung und Erinnerung struktur- analog als archäologische Tätigkeit beschrieben, die sowohl dem Modell einer zeitlichen Schichtung als auch dem Prinzip von Sicht- und Erkennbarkeit im Fluss (der Zeit) verpflichtet ist. Wo Scherer (2001) sich speziell Verfahren des Essayfilms widmet, über- trage ich die Idee des Passagenhaften auf den vorliegenden Gegenstands- bereich. Dies hat zur Konsequenz, dass geschichtsbildmodellierende mediale Konstellationen – in dialektischer Verwebung mit (den Interessen) der Gegenwart – in einem ständigen Fluss als prozessuale Passagen gesehen werden: „Jede Gegenwart ist durch diejenigen Bilder bestimmt, die mit ihr synchronistisch sind: jedes Jetzt ist das Jetzt einer bestimmten Erkennbar- keit“ (Benjamin 1982/1927–1940: 578). So lassen sich Bilder, die als historisch oder gedächtnishaft wahrgenommen werden, als Effekte von momenthaften Fügungen verstehen: „[Das] Bild ist dasjenige, worin das Gewesene mit dem Jetzt blitzhaft zu einer Konstellation zusammentritt“ (Benjamin 1982: 578). Dieses Konzept einer passagenhaften, sich im besonderen Ereignis des Jetzt ergebenden Konstellation, welche zeitliche Relationen aus Vergangenheit und Gegenwart in ein Verhältnis setzt, übertrage ich mit Blick auf den vorliegenden Gegenstandsbereich auf Bewegtbilder, die als historische/ältere wahr- genommen werden. Darüber hinaus werden die jeweiligen (dispositivischen) Konfigurationen als Bedingungen des Erscheinens in den analytischen Fokus Franziska Heller - 978-3-8467-6460-2 Heruntergeladen von Fink.de01/03/2022 12:27:50PM via free access Mediale Geschichtsbildmodellierungen 123 genommen. Hierbei werden von Scherer (2001: 74 f.) und Czekaj (2015: 45) aus- gemachte ästhetische Phänomene des Fragmentarischen sowie auch hetero- gener Zeitlichkeiten einen wesentlichen Aspekt darstellen. Insofern werden in der Folge aktualisierende Dispositive von historischen Filmen in ihrer Wirkungsdimension als präsentische Passagen des Vergangenen verstanden und in ihrem jeweiligen Kontext modelliert. Das vorliegende  Kap. 3 hat diesen Untersuchungsansatz zur medialen Geschichtsbildmodellierung bereits zu Beginn methodologisch an Michel Foucaults Begriff der Archäologie (1991) angeschlossen und mit Thomas Elsaesser (u. a. 2004) auf den Film und auf Perspektiven der Geschichts- schreibung im Horizont jüngerer Medienentwicklungen bezogen. Die sich archäologisch entfaltende Geschichtsmodellierung wird vor allem in der wirkungsästhetischen Dimension gesehen und untersucht: Unter diesen Vor- zeichen wird angesichts von digitalisierten Filmen sowie ihrer digitalen Zu- gänglichkeit und Zirkulation von einer Medienarchäologie im Modus des Sinnlichen, im Modus der medialen Erfahrung49 gesprochen. Mit anderen Worten, Elsaessers Entwurf einer archäologischen Perspektive auf Geschichte verorte ich in der wirkungsästhetischen Dimension von Digitalisaten und ihren Nutzungsformen; dies bedingt etwa das Denken von Zusammenhängen in verzweigenden Baumstrukturen und Netzwerken, von Anordnungen jenseits einer apriorisch angenommenen strikt konsekutiven Chronologie; vielmehr wird hier eine Entfaltungsdynamik basierend auf Parallelen und Ähnlich- keiten gesehen.50 In der Folge wurde in diesem  Kap. 3 das besondere Paradox von Geschichtsmodellierungen und der medienspezifischen Wirkung von Be- wegtbildern als weiterer zentraler Aspekt dieses Problemkomplexes hervor- gehoben: Es handelt sich um das Paradox der Modellierung von Vergangenem angesichts des prinzipiell präsentischen Eindrucks des Films. So liegt grund- sätzlich das Dilemma der Vermittlung und Erkenntnis über historische Zu- sammenhänge mit und über Film im vielschichtigen Quellencharakter von Bewegtbildern. Hickethier fasst dies in der funktionslogischen Formel: Film- bilder seien sowohl Speicher als auch Vermittler von Geschichte. Mit dem Abschnitt Posthistoire, Popularisierung, dispositivische Konfigu­ rationen zeitlicher Verhältnisse wurde dieses wirkungsästhetische Paradox 49  Zum in dieser Studie verwendeten phänomenologischen Begriff von ästhetischer Er- fahrung angesichts von Bewegtbildern und medialen Konfigurationen vgl.  Kap. 5. 50  Als Beispiel einer Studie, die einen solchen Ansatz im zeitlichen Aufbau geschichtlicher Darstellungen metahistoriografisch, methodologisch reflektiert und zugleich umsetzt, ist unter anderem Wedel (2011) exponiert genannt worden. Franziska Heller - 978-3-8467-6460-2 Heruntergeladen von Fink.de01/03/2022 12:27:50PM via free access 124 kapitel 3 zunächst mit dem theoretischen Konzept eines Posthistoire in Verbindung ge- bracht, um dann darauf aufbauend auf Tendenzen einer Popularisierung von Filmgeschichte vor allem angesichts von medialen Dispositiven jenseits des Kinos hinzuweisen. Insbesondere mit Hickethier (1997) sind hier exemplarisch Programmstrukturen des Fernsehens thematisiert worden, die zum Teil Ähn- lichkeiten mit heutigen digitalen Dispositiven aufweisen. Elsaesser beschreibt als eine Konsequenz unter anderem, dass Kategorien von Fakt und Fiktion im Zeichen der Medienentwicklungen, die neue Formen des Gebrauchs und der Zirkulation von Filmen mit sich bringen, verschwimmen. Dies wurde an- hand der Studie von Barbara Klinger (2006a) mit Fokus auf Phänomene der amerikanischen Medien- und Fernsehindustrie reflektiert. Die Folgen von be- stimmten Praktiken der Wiederaufnahme von historischen Filmen wurden hier als Ausprägungen einer personal mass culture beschrieben, die nach Klinger im amerikanischen Kulturkontext einer (Hollywood-)Nostalgie einen spezifisch ideologischen, da harmonisierenden Effekt auf die Geschichtswahr- nehmung haben. Klingers Studie wurde darüber hinaus dazu verwendet, meinen Ansatz zu schärfen und auf eine Forschungslücke hinzuweisen: die unzureichende Reflexion der andernorts vernachlässigten wahrnehmungstheoretischen Dimension. Insofern wurde in der Folge die Frage, wie sich in der Gegen- wärtigkeit des filmischen Erlebnisses Vergangenheit über Bewegtbilder ästhetisch vermitteln kann, mit einem Ansatz angegangen, der sich an semio- pragmatisch orientierten Diskursen um Archivbilder orientiert. Vor diesem Hintergrund wurde Bewegtbildwahrnehmung in einem Archivdispositiv und damit im Zeichen von historisierenden Lektüremodi modelliert. In Anlehnung an Czekaj (2015), eine Interpretin des semio-pragmatischen Ansatzes nach Roger Odin (1990), habe ich anschließend meinen Begriffs- gebrauch methodologisch verortet: Die zu untersuchenden ästhetischen Praktiken und dispositivischen Anordnungen, die in unterschiedlichen Ver- flechtungen in den Fallstudien analysiert werden, sind zu begreifen als Prozesse der Geschichtsbildmodellierung. Hierbei konzentriert sich meine Studie vor allem auf die wirkungsästhetische Dimension der Erfahrungsbildung solcher Modellierungen: Geschichtsbilder werden als audiovisuelle Formierungen und sinnliche Konkretisierungen von Vorstellungsbildern historischer Ver- gangenheit im umfassenden Sinne verstanden. Zur ergänzenden Einordnung dieses Ansatzes erfolgte ein Exkurs, in dem bestehende Herangehensweisen an das Verhältnis von Spielfilmen und deren illusionsbildende Wirkmächtigkeit im Kontext von Geschichtsbild- modellierungen in den Blick genommen wurden. Insbesondere vor dem Franziska Heller - 978-3-8467-6460-2 Heruntergeladen von Fink.de01/03/2022 12:27:50PM via free access Mediale Geschichtsbildmodellierungen 125 Hintergrund filmanalytischer Befunde von Rosenstone (u. a. 1995a) – methodo- logisch inspiriert aber auch von Wedel (2011) und Wendler (2014) – sind Modi der audiovisuellen Montage als Formierungen von Geschichtsbildern an den konkreten Phänomenen zu untersuchen. Der Erfahrungsdimension, die sich mit körperlich-sinnlichen Erlebensformen ( feeling) angesichts solcher Phänomene verbindet, wird dabei ein besonderer Stellenwert eingeräumt. Diese Modellierungen wurden im anschließenden Abschnitt ergänzt durch Begriffspräzisierungen zu Medien, Zeit und Erfahrungsdimensionen im Hori- zont von Gedächtnis und Erinnerung – dies auch im Hinblick auf digitale Medientechnologien. So führte dies, wie eingangs dieses Fazits erläutert, zu dem Konzept, audio- visuelle Geschichtsbildmodellierungen als filmische Passsagen zu begreifen – wobei sich, anders als bei Czekaj, dieser Begriff in meiner Studie nicht nur auf das Auf- und Erscheinen von (wiederaufgenommenen) Bewegtbildern richtet, sondern zudem auch auf ihre dispositivischen Bedingungen als Elemente einer digitalen Zirkulation und Konfiguration. 3.9.2 Ausblick: Digitale Reprisen als Cluster Um das Modell der Passagen im Zusammenhang mit dem kulturellen Komplex Digitalisierung in seiner oben beschriebenen Mehrschichtigkeit weiterführend zu systematisieren, werden hier als Ausblick auf die Analysekapitel  Kap. 4–7 einige Überlegungen aus  Kap. 2 und  Kap. 3 weitergeführt und mit neuen Begriffen für die Untersuchungen geschärft: Mit dem Rekurs auf den Begriff eines Textual Shifters wurden zum Ende des  Kap. 2 sowie zu Beginn von  Kap. 3 Phänomene wie die elektronische Nachkolorierung auch in ihren anhängigen Diskursen um technologischen Fortschritt beschrieben. Der Begriff diente dazu, interessegeleitete Faktoren in ihrer Interaktion und Dynamik zu fassen, welche bei der Wiederaufnahme und Neukontextualisierung von präexistenten, historischen Artefakten und ästhetischen Phänomenen zusammenwirken: Was wird wie in welcher (media- len) Form in welchem Kontext wiederaufgenommen und zugänglich gemacht? Zugleich impliziert der Begriff ein verzeitlichtes, vom (medialen) Kontext ab- hängiges Verständnis des Filmwerkes in seiner ästhetischen Erscheinungsform. Insbesondere die Verflechtung von medialen Reproduktionstechnologien und kommerziellen Interessen einer Unterhaltungsbranche habe ich mit dem Begriff Kulturindustrie aus der politischen Ökonomie zusammengebracht, welchen ich mit Blick auf mein Forschungsinteresse adaptiert habe. Ich ver- stehe Film im Kontext seiner industriellen (Re-)Produktions- wie Distributions- zusammenhänge (basierend auf verschiedenen technologischen Prinzipien); Franziska Heller - 978-3-8467-6460-2 Heruntergeladen von Fink.de01/03/2022 12:27:50PM via free access 126 kapitel 3 darüber hinaus wird das ästhetische Erlebnispotenzial, begriffen als faszi- natives Unterhaltungspotenzial, als Ware gesehen. Diese Herangehens- weise wird später vor allem in  Kap. 4 mit Wolfgang Fritz Haug (2009) und dessen Kritik zur Warenästhetik weiter (methodisch) präzisiert. In einem solchen Kontext wird die digitale Qualität von digitalisierten Filmen als ein ökonomisches Mehrwertversprechen konzipiert, wobei implizit die Medientransition und die mediengeschichtliche Entwicklung konstruiert und funktionalisiert werden. Wie bereits in  Kap. 1 erläutert, bestimmt damit Kontextualität die jeweils medial erfahrbare Konfiguration zeitlicher Differenzverhältnisse eines Vorher, von dem sich die digitale Qualität eines Nachher in der medialen Vermittlung absetzen muss. Insofern wird digital als ein Effekt von ästhetischen und kulturellen Praktiken konzipiert. In  Kap. 2 wurde im ersten Teil über die Darstellung von Begriffen und Konzepten darauf aufmerksam gemacht, dass digitale Bilder in ihren grund- legenden Voraussetzungen – sowohl in ihren Erscheinungs- als auch in den Nutzungsformen – pragmatischen Ansätzen Vorschub leisten. Digitale Bilder sind stets kontextabhängig zu verorten. In bild- beziehungsweise filmtheoretischer Perspektive bedeutet dies, Bilder und ihre historisierenden Wahrnehmungsmöglichkeiten als Effekte in einem semio-pragmatischen Horizont zu sehen und analytisch anzugehen. Wie oben im ersten Teil des Zwischenfazits erläutert, werden durch externe und interne Merkmale Rezeptionsmodi und -erwartungen kreiert, die die Lektüre- wie Erfahrungsmodi der Phänomene (mit)formieren – insbesondere in Hinblick auf die Wahrnehmung der Bilder in ihrem Verhältnis zu historischen Zeitlich- keiten in der Spannung zwischen Referenz und präsentischem Erlebnismodus. Auf den hier besprochenen Gegenstand bezogen heißt dies, nicht nur die historisierenden Lektüremodi audiovisueller Phänomene zu untersuchen; viel- mehr wird darüber hinaus in den Analysekapiteln  Kap. 4–7 deutlich werden, dass es in diesem Kontext einen Modus der digitalisierenden Lektüre von Be- wegtbildern gibt, der sich ebenso aus dem Technoimaginären der digitalen Domäne speist wie er diesem zugleich zuarbeitet und damit die Utopie des Digitalen gar erst affirmiert. Dies vollzieht sich zudem in dem zeitlichen Para- dox (in einer Verwebung von Vergangenheits- und Zukunftseffekten), dass aus- gerechnet als historisch wahrgenommene Filme mit einem digitalisierenden Lektüremodus vermittelt werden. Insofern soll im Folgenden – über den Begriff Textual Shifter als verzeit- lichende Kategorie hinaus – das sich hier manifestierende Prinzip der re- kontextualisierenden und interessegeleiteten Wiederaufnahme mit einem neuen Begriff gefasst werden: In Anlehnung an das Konzept des französischen Franziska Heller - 978-3-8467-6460-2 Heruntergeladen von Fink.de01/03/2022 12:27:50PM via free access Mediale Geschichtsbildmodellierungen 127 Filmwissenschaftlers François Niney (2012/2009: 185 ff.) wird fortan an dieser Stelle der Begriff Reprise verwendet.51 Reprise zeitigt begrifflich den Vor- teil, dass damit sowohl Prozesse der Neu­ und Wiederaufnahme eines prä- existenten Phänomens bezeichnet werden können als auch darüber hinaus eine Erprobung des Materials und seiner Bedeutungshorizonte.52 Formen der Reprise von historischem Filmmaterial stellen in dieser Perspektive medienästhetische Praktiken dar, die unter den Bedingungen neuer Medien- umgebungen (mediale) Erfahrungen ‚von gestern‘ in Erinnerung rufen. Zugleich – so meine Abwandlung von Nineys Konzept – wird durch die Überführung in die digitale Domäne (über Scanprozesse, Bildbearbeitung, Montage, editorische Praktiken, Gestaltung von Zugangsformen, Re- Konfigurationen in digitalen Dispositiven etc.) dem Material eine ‚Stimme von heute‘ verliehen – sowohl unter ästhetischen, (film)philologischen, dis- kursiven als auch besonders ökonomischen Prämissen. Dies kann zum einen innerhalb des Modus des Filmischen erfolgen, das heißt die Medientransition wird innerhalb von (in der vorliegenden Studie vor allem paratextuellen) Dokumentar- und Kompilationsfilmen über Inhalt sowie Ästhetik verhandelt. Zugleich kommt es zu (Um-)Formierungen und neuen Rahmungen durch die Migration älterer Bewegtbilder in unterschiedliche digitale Dispositive, die jeweils eigene Möglichkeiten zur Kontextualisierung durch Paratexte in Form von Re-Editionen mit sich bringen.53 51  Im französischen Original verwendet Niney mit Blick auf dokumentarische Praktiken als Zeitmaschine (etwa in Found Footage-Filmen) den Begriff „reprise de vues“. In der deutschen Übersetzung von H.-B. Heller und Steinle (2012: 185 ff.) wird der Begriff mit Re- Vision übersetzt. Da für den vorliegenden Zusammenhang das Moment der Wiederauf- nahme zentral ist und der Begriff Re-Vision eine bereits fest existierende Vision/Version voraussetzt, wird im Folgenden der Originalbegriff in der Verkürzung verwendet und methodisch adaptiert. 52  Niney (2012: 186 ff.) bezieht sich hier auf den Begiff „Nachleben der Bilder“ von Georges Didi-Hubermann. Dies nehme ich in Anmerkungen in  Kap. 4 auch mit Verweis auf das „Eigen-Leben der Bilder“ bei Aby Warburg (Sierek 2007) wieder auf. 53  In philologischer Perspektive spricht auch Bohn bei der Wiederaufführung einer restaurierten Fassung eines Films von einer Reprise im Kino. Bohn diskutiert hier die Restaurierungsbemühungen, die daraus entstehenden Fassungen und Aufführungs- praktiken von Lawrence of Arabia (Lean, 1962) (Bohn 2013b: 212 ff.). Darüber hinaus zitiert Bohn (2013b: 264 ff.) im Kontext der Frage nach Integrität von Filmwerken und den entsprechenden Formen der Wiederaufnahmen den historischen Slogan für eine nach- kolorierte Version ( Colorization-Debatte  Kap. 2) von Casablanca (Curtiz, 1942), der sogar in einer zeitlichen Vervielfachung auf das filmtechnologisch normierende und formierende Moment der Wiederholung aufmerksam macht: „Play it again Sam, this time in color!“ (Bohn 2013: 269). Franziska Heller - 978-3-8467-6460-2 Heruntergeladen von Fink.de01/03/2022 12:27:50PM via free access 128 kapitel 3 Man könnte in diesem Sinne die obigen Überlegungen erweitern und von Geschichtsbildmodellierungen als digitalen Passagen sprechen, da die jeweiligen Manifestationen digitaler Reprisen sich – wie die Analysekapitel zeigen werden – als extrem zeitgebunden in ihren Erscheinungsdaten er- weisen werden. Insofern wird Re­Edition54 hier als die Veröffentlichung eines Werkes in einem bestimmten Dispositiv zu einem bestimmten Zeitpunkt mit ent- sprechender paratextueller Rahmung verstanden. So stellt zum Beispiel eine DVD eine bestimmte Fassung mit spezifischen Menüstrukturen, Interfaces und (kuratierten) Zusatzmaterialien dar, welche die historisierende Lektüre und Wahrnehmung des editierten Hauptfilms prägen. Wie Anna Bohn (2013b: 74) schon mit Martin Koerber konstatiert hat, haben ähnliche Konfigurationsprozesse auch schon zuvor in der analogen Domäne stattgefunden: Jede Restaurierung eines Films sei eine Re-Edition, gleichsam eine neue Herausgabe, für die ein Bearbeiter verantwortlich zeichne. Dies gilt, so meine These, bei der digitalen Re-Edition von Restaurierungen nun umso mehr, insbesondere durch die ausgeprägteren Möglichkeiten einer netzwerk- artigen paratextuellen Rahmung und Inszenierung einer neuen Herausgabe. Zentral für die folgenden Überlegungen ist Bohns Feststellung, dass jede Re- Edition sich wiederum in die Aufführungs- und Überlieferungsgeschichte des jeweiligen Werkes einschreibt (Bohn 2013b: 74). So ist nicht das Phänomen der Re-Edition in der digitalen Domäne als neu zu betrachten; vielmehr gilt es, ein Augenmerk darauf zu richten, mit welchen medialen Mitteln sich diese digitalen Versionen als Quellen weiterer Geschichtsschreibung und Geschichtsbildmodellierung anbieten und verorten. Vor dem Hintergrund des besonderen Analysefokus auf die wirkungs- ästhetische Dimension und mit Blick auf die Vermittlung heterogener zeit- licher Eindrücke werden in den  Kap. 4–7 die Fallstudien von Reprisen als clusterförmig strukturierte Komplexe angegangen (zum grundsätzlichen 54  An dieser Stelle sei ausdrücklich daran erinnert, dass in dieser Studie der Gebrauch der Begriffe ‚Edition‘ und ‚Re-Edition‘ den nicht standardisierten Marktpraktiken der Film- distribution auf digitalen Trägern entlehnt ist. Eine Systematik der Editionsformen, wie sie schon lange in der Literaturwissenschaft vorliegt und in dem Teilgebiet der Editions- wissenschaft auch unter der Berücksichtigung digitaler Medien weitere Reflexion erfährt, ist für den Film bisher nicht systematisch in Anwendung. Die Filmwissenschaftlerinnen Natascha Drubek-Meyer (u. a. 2007, zusammen mit Nikola Izvolov), Ursula von Keitz (2013) und Anna Bohn (2013b: 341 ff.) haben hier in philologischer Perspektive erste Modelle der Übertragung für die Edition von Filmen entwickelt. Zur meiner besonderen, von amtlichen Regelungen abweichenden Schreibweise des Ausdrucks (wie auch weiterer ähnlicher Komposita) mit Bindestrichen vgl. die Erläuterungen im Glossar zum dem Begriff. Franziska Heller - 978-3-8467-6460-2 Heruntergeladen von Fink.de01/03/2022 12:27:50PM via free access Mediale Geschichtsbildmodellierungen 129 Konzept des Clusters vgl. Spielmann 1998). Die clusterförmige Betrachtung ist deshalb gewählt, weil es sich hier um beziehungssetzende Wahrnehmungs- konfigurationen und Erlebensmodi handelt, die über kopräsente Schichtungen unterschiedlicher Zeitebenen funktionieren.55 Diese Cluster machen so wesentliche Komponenten einer film- wie medienhistoriografisch wirksamen Erfahrungsbildung aus – wobei die phänomenale Bewegtbildwahrnehmung bei der Vermittlung heterogener Zeiterfahrungen und damit bei der Erfahrung dessen, was wir über diese Prozesse als Geschichte erleben, eine zentrale Rolle spielt: Filmische Bilder entwickeln über ihre Erfahrens- wie Erlebensmodi ihre eigenen Konzeptionen von Geschichtsbildmodellierung – und leisten Formen von (impliziter) Geschichtsschreibung im Sinne eines archäologischen Ver- ständnisses Vorschub. Vor diesem Hintergrund steht auch der folgende Teil dieser Studie unter der Gesamtüberschrift Aspekte medienhistoriografisch wirksamer Erfahrungs­ bildung. Damit sollen verschiedene Faktoren, die in dem gegebenen Gegen- standsbereich virulent werden, analytisch aufgefächert und modelliert werden. Dies bedingt auch eine relative Vielfalt der Ebenen und Perspektiven. Ungeachtet aller Multiperspektivität lässt sich indes in seinen Grund- zügen der Ansatz meiner Studie wie folgt charakterisieren: Sie ist vornehmlich eine wahrnehmungstheoretisch angelegte Untersuchung von Phänomenen digitaler Reprisen von Filmen; dies unter Berücksichtigung a. der konkreten Bewegtbildwahrnehmung sowie b. der medial umgebenden Konfigurationen des jeweiligen Dispositivs als Bedingung der Erscheinung und Rezeption der Bilder. Dies wird an einen filmphänomenologischen Erfahrungs- und Subjektbegriff gekoppelt, der Unmittelbarkeit und Gegenwärtigkeit sowie leiblichen Formen von Wahrnehmung einen wichtigen Stellenwert einräumt – angesichts einer be- wegtbildlichen medialen Konfiguration in ihrer geschichtsbildmodellierenden Wirkung. Geschichtsbilder werden als audiovisuelle Formierungen und sinn- liche Konkretisierungen von Vorstellungsbildern historischer Medienver- gangenheit im umfassenden Sinne verstanden und konzeptualisiert. 55  Vgl. die ähnlichen Modelle bei Wedel (2011) und Wendler (2014) mit dem zeit- theoretischen Rekurs auf Siegfried Kracauer. Bei Wedel (2011) erfolgt zudem die Referenz auf Reinhart Koselleck (vgl. auch Ausführungen hierzu in  Kap. 1). Wie bereits im Ex- kurs zum Diskursfeld von Geschichtsfilmen, Ästhetik und Historiografie in Abgrenzung zu bestehenden Ansätzen hervorgehoben, bedeutet die wahrnehmungstheoretische Fragestellung der vorliegenden Studie vor allem, die Rolle des Subjekts genauer zu unter- suchen. Dies gilt auch für die Funktionen des Imaginären und für die Immersionsprozesse angesichts der medial vermittelten zeitlichen Schichtungen im Horizont der kulturellen Praxis Digitalisierung, vgl. bes.  Kap. 5 und  Kap. 6. Franziska Heller - 978-3-8467-6460-2 Heruntergeladen von Fink.de01/03/2022 12:27:50PM via free access Franziska Heller - 978-3-8467-6460-2 Heruntergeladen von Fink.de01/03/2022 12:27:50PM via free access Aspekte medienhistoriografisch wirksamer Erfahrungsbildung Franziska Heller - 978-3-8467-6460-2 Heruntergeladen von Fink.de01/03/2022 12:27:50PM via free access Franziska Heller - 978-3-8467-6460-2 Heruntergeladen von Fink.de01/03/2022 12:27:50PM via free access kapitel 4 Fetischisierung des Filmerlebnisses und der Kinogeschichte (Cluster I) Filmgeschichte erscheint uns als Geschichtsbildmodellierung, die in einem Spannungsfeld steht zwischen der Rekonstruktion von Vergangenem und dem präsentischen filmischen Erlebnis der Bewegtbilder auf der phänomenalen Ebene.1 Praktiken der Digitalisierung von Filmen aus der vordigitalen Produktionszeit – ob in der konkreten Transition, der Bildbearbeitung oder auf der Distributions- und Editionsebene – implizieren die Modellierung von Filmgeschichte und unserer Vorstellung generell von Vergangenem. Damit wird auch unsere Wahrnehmung von Geschichtlichkeit in Gestalt eines Narrativs formiert. Das oben genannte Spannungsfeld resultiert in diesem Fall aus dem Zusammenspiel von rahmenden Diskursen und dispositivischen Konfigurationen, die Vorstellungen des Vergangenen modellieren, sowie dem konkreten präsentischen Erlebnis historischer Filme. Bei Letzterem werden zum einen durch diskursive Rahmungen historisierende Lektüren als Rezep- tionshaltung nahegelegt (vgl. Entwicklung des semio-pragmatischen Ansatzes in  Kap. 3). Zum anderen werden auf Produzentenseite zugleich spezi- fische ästhetische Praktiken angewendet, um die zeitliche Schichtung aus Vergangenem und Gegenwärtigem sinnlich zu vermitteln. Um diese soll es im vorliegenden  Kap. 4 im Besonderen gehen. Als Prämisse dieser Studie gilt, dass die untersuchten Geschichts- bildmodellierungen unter dem Vorzeichen kultureller Praktiken von Digitalisierung geschehen (vgl.  Kap. 2). Insbesondere auf der Distributions- und Editionsebene liegt das Augenmerk in den nachfolgenden Überlegungen auf digitalisierten Filmen, die aus einer vordigitalen Produktionszeit stammen und die unter diesen Vorzeichen als Ware auf dem Markt zirkulieren (sollen). Gemäß der Leitannahme der politischen Ökonomie verspricht Zirkulation Profit, welcher wiederum an ein kommuniziertes und seinerseits zirkulierendes Gebrauchswertversprechen der Ware gebunden ist (vgl. das Zwischenfazit  Kap. 3.9). An dieser Stelle kommt nach Wolfgang Fritz Haug (2009) die 1  G eschichtsbildmodellierung – vor allem auch unter medialen Bedingungen – ist nicht um- standslos mit Filmhistoriografie gleichzusetzen, sondern erfordert eine Präzisierung der Be- griffe, vgl. hierzu  Kap. 3. Dies wird mit Blick auf den Begriff der Historiografie am Ende von  Kap. 5 und  Kap. 6 aufgenommen und erweitert. © Franziska Heller, 2020 | doi:10.30965/9783846764602_005 This is an open access chapter distributed under the terms of the CC BY-NC-ND 3.0 licFerannszeis. ka Heller - 978-3-8467-6460-2 Heruntergeladen von Fink.de01/03/2022 12:27:50PM via free access 134 kapitel 4 Warenästhetik zum Tragen – die sinnliche Erscheinung der Ware in ihrer öko- nomischen Funktionsbestimmtheit und diese im Zusammenspiel mit der Ver- heißung von Mehrwert für den Rezipienten (vgl. weitere Ausführungen hierzu unten). Die warenästhetische Dimension von digitalisierten Filmen wird besonders greifbar im Format des Werbeclips. Deshalb soll es in diesem Abschnitt um die geschichtsbildformierende Kraft von Werbeclips als besondere, zumal populäre Form gehen. Konkret bedeutet dies, dass im vorliegenden Kapitel filmästhetische Phänomene der Reprise als kulturelle Praktiken untersucht werden, welche Bildern unter heutigen medialen Bedingungen und Interessen sowohl eine historische als auch zugleich eine aktuelle Bedeutung verleihen.2 Das Be- sondere der hier untersuchten ästhetischen Praktiken liegt darin, dass sie unter den oben formulierten Vorzeichen vornehmlich Diskurse um Film- restaurierung zur Anschauung bringen – und dies unter ökonomischen Prä- missen der Vermarktung digitaler Neu-Editionen. Weitere Untersuchungen in diesem Kapitel widmen sich den ästhetischen Strategien eines exemplarischen Clips zur Re-Edition eines Klassikers3, der die entsprechende DVD mit all ihren digitalen Qualitäten als Träger wie Nut- zungsform bewirbt. Die letzten beiden Analysen fokussieren die wirkungsästhetische Aus- handlung der Werte von alt und neu in Werbeclips zu digitalen Technologien. An dieser Stelle wird dann ein Exkurs zum hier wirksamen medienhistorio- grafischen Modell unternommen. Bei allen Untersuchungen sind als Grundprinzipien medial vermittelte zeit- liche Differenzerfahrungen entscheidend. Dies hat zur Konsequenz, dass das aktuelle Kapitel unterschiedliche theoretische Konzepte zur medienhistorio- grafisch wirksamen Erfahrungsbildung4 thematisiert: – Zunächst werden die bildphilosophischen und -theoretischen Überlegun- gen von Gilles Deleuze zu Affekt-Bildern sowie zu Erinnerungs-Bildern als 2  Zum Begriff der Reprise nach Niney (2012) vgl. ausführlich die begrifflichen Modellierungen im Zwischenfazit  Kap. 3.9. 3  Vgl. zu Konstitution, Funktionsweisen und Vermittlung des Labels Klassiker auch Acland (1990) beziehungsweise zum Komplex Kanon(bildung) H.-B. Heller (1989) in  Kap. 2 und Klinger (2006a) in  Kap. 3. 4  Zu den methodologischen und wahrnehmungstheoretischen Entwürfen von Verfahren der medienhistoriografisch wirksamen Erfahrungsbildung vgl. die Überlegungen im Zwischen- fazit  Kap. 3.9. Die Kap. 4–7 widmen sich unterschiedlichen Aspekten und Phänomenen von medienhistoriografischer Erfahrungsbildung (zum Überblick vgl. Erläuterungen in  Kap. 1). Franziska Heller - 978-3-8467-6460-2 Heruntergeladen von Fink.de01/03/2022 12:27:50PM via free access Fetischisierung des Filmerlebnisses und der Kinogeschichte 135 jeweils (zeitlich) wechselseitige Bilder wahrnehmungstheoretisch perspek- tiviert (Deleuze 1997: 97; Deleuze greift diesen Begriff von Gaston Bachelard auf). – Dies wird mit Ansätzen zur Kritik einer Warenästhetik und mit Positio- nen zu ästhetischen Strategien von Filmtrailern als Werbefilme für Filme vermittelt. – In einem letzten Schritt der theoretischen Vorbemerkungen werden die obigen Überlegungen mit der Systematisierung eines Wahrnehmungsmo- dus verbunden, der sich bei der spezifischen Problematik eines Warenfeti- schismus von ästhetischen beziehungsweise filmischen Objekten ergibt. Pointiert zusammengefasst: Im Fokus steht im Folgenden die Heterogenität temporaler Horizonte von Filmbildern als (zeitlich) wechselseitige Bilder. Die Funktionalisierung ihrer wirkungsästhetischen Formierungen wird als Prozess der Fetischisierung analysiert und wahrnehmungstheoretisch kon- zeptualisiert. In einem letzten Schritt wird dies auf das Modell der medien- historiografisch wirksamen Erfahrungsbildung bezogen und im Anschluss der Begriff memophänomenal in diesem Kontext eingeführt. 4.1 Ästhetische Strategien der historiografisch wirksamen Erfahrungsbildung. Zeitliche Differenzerfahrung und wechselseitige Bilder Filmgeschichte als Konstruktion der Gegenwart wird im Folgenden unter medialen Aspekten perspektiviert: Digitalisierung vermittelt sich in der be- schriebenen Perspektive als eine ästhetische und diskursive Praxis, die die Medien- wie Filmgeschichte5 unter jeweils spezifischen Interessen wie Be- dürfnissen aktualisiert und zugleich als ständige präexistente Referenz und Differenzgröße benötigt (u. a. Klinger 2006a; F. Heller 2013a). Deshalb bedeutet jeder Kontext, in dem digital und Film diskursiv und ästhetisch aufeinander bezogen werden, eine Vermittlung von zeitlichen Differenzen. Insofern wird Filmgeschichte hier in Form einer clusterartigen Anordnung, als zeitliche Komplexion begriffen. Dies hat mehrere Implikationen: 5  Mediengeschichte wird als erweiterter Kontext begriffen, zu dem relational die historische Dimension des Einzelmediums Films eingebettet gesehen wird. Hier schließe ich an Traditionen medienarchäologischen Denkens an, frage aber vor allem auch nach den gegen- seitigen Einflüssen von Medienumgebungen auf das Verständnis von Film und den Folgen für die Vorstellung von historischer Dynamik; vgl. hierzu Winkler (2000) und vor allem Thorburn/H. Jenkins (2004). Franziska Heller - 978-3-8467-6460-2 Heruntergeladen von Fink.de01/03/2022 12:27:50PM via free access 136 kapitel 4 – Film- und im weiteren Sinne Mediengeschichte wird als ein Konstrukt wie Produkt tatsächlicher medialer Anordnungen von Distributions- und Re- zeptionsmodi gesehen (vgl. oben).6 – In diesem systematischen, weil dispositiven Zusammenhang realisiert sich Historizität auf der Basis von ästhetischen Wahrnehmungseffekten, die in dieser räumlichen Anordnung und zeitlichen Differenzerfahrung vermittelt werden. Dies bedeutet aber auch, die Rolle des wahrnehmenden und nut- zenden Subjekts genauer zu befragen und Funktionen von Immersion beim Zuschauer, des Imaginären wie der Erinnerung mit einzubeziehen. – Historizität wird im vorliegenden Zusammenhang als diskursiver, ästhe- tischer und dispositivischer Wahrnehmungseffekt verstanden.7 So wird davon ausgegangen, dass mehrere Sinnschichten gleichzeitig sinnlich an- geboten werden. Es ist die Idee eines Clusters, in dem mehrere historische Verweismöglichkeiten gleichzeitig und achronologisch offeriert werden. Diese Überlegungen verbinden sich mit den Analyseobjekten: Die Tatsache, dass Werbeclips von Restaurierungen und Neu-Editionen von historischen Werken in den Fokus genommen werden, trägt insofern die Frage nach den historiografisch wirksamen Verhältnismäßigkeiten schon in sich. So stehen in diesem Kapitel mediale und ästhetische Formen im Mittel- punkt, die unterschiedliche zeitliche Horizonte entwerfen und es dem Zu- schauer damit ermöglichen, über Bewegtbilder zeitliche Differenzerfahrungen simultan im Wahrnehmungsakt zu erleben. Dieser Ansatz rekurriert auf wahr- nehmungstheoretische Adaptionen zeitphilosophischer Überlegungen von Gilles Deleuzes zum Film (1991/1985 sowie 1997/1983).8 Der erste von Deleuze entlehnte Begriff bezeichnet die sogenannten Affekt- Bilder: Deleuzes Überlegungen zu Affekt-Bildern als zeitlich heterogene und wechselseitige Bilder sind ein fruchtbarer Ansatz, um Parameter medienhis- toriografischer Erfahrungsbildung beschreibbar zu machen.9 Deleuze bezieht 6  Siehe hierzu etwa den Dispositivbegriff von Distelmeyer mit Blick auf die DVD (2012: 32 ff.). 7  Zum Vergangenheitseindruck als Effekt vgl. grundsätzlich in kulturkritischer Perspektive Jameson (1984) in  Kap. 2 sowie in filmtheoretischer Perspektive im Horizont semio- pragmatischer Ansätze  Kap. 3. 8  Vgl. dazu näher und grundlegender F. Heller (2010a). 9  An dieser Stelle vertrete ich entgegen der herkömmlichen Deleuze-Rezeptionsweise die Position, dass das Bewegungs-Bild (1983) und das Zeit-Bild (1985), wie sie in den gleich- namigen zwei Bänden entwickelt werden, nicht wirklich antagonistische Konzeptionen dar- stellen. Oft wird das Bewegungs-Bild mit seiner Bindung an das ‚sensomotorische Band‘ mit dem narrativen Film identifiziert, während das Zeit-Bild dem modernen Film zugeordnet wird, in dem Zeit nach Deleuze ‚sichtbar‘ wird, nur noch losgelöste Situationen darstellt, die Charaktere sich nicht mehr räumlich verorten können usw. Beiden Konzeptionen wohnt Deleuzes spezifische Denkweise inne, in dynamischen Heterogenitäten und in verzeitlichter Franziska Heller - 978-3-8467-6460-2 Heruntergeladen von Fink.de01/03/2022 12:27:50PM via free access Fetischisierung des Filmerlebnisses und der Kinogeschichte 137 den Begriff im ersten seiner beiden Kinobücher vor allem zunächst auf Groß- aufnahmen, wie sie exemplarisch in Dreyers La Passion de Jeanne d’Arc vorkommen (Deleuze 1991/1983: 144 f.; Abb. 4.1). Abb. 4.1 Später relativiert er diesen Fokus und betont, dass es mehr auf den Kontext als auf die tatsächliche Einstellungsgröße ankomme. Wie Affekte sich filmisch entwürfen, sei nicht an die Bestimmung (‚Größe‘) des Raumes im filmischen Bild gebunden, stelle vielmehr eine Entität, einen konkreten Ausdruck dar (jenseits denotativer Qualitäten). Affekte seien in sich heterogen – es gebe affektive Singularitäten – etwa ein Bild, das dann aber in virtueller Verbindung mit anderen stehe. Affekt konstituiert sich filmisch in einem Wechselspiel aus Moment und virtuellem Zusammenhang, wobei der virtuelle Zusammenhang in der Montage der Bilder im Moment immer als Potenzial, als Möglichkeit, nicht aber als zwangsläufige, fixierte Konsequenz enthalten ist – als Komplexität mit ko- existierenden Schichten. Affekt als Entität, wie Deleuze ihn begreift, hat seine Qualität im „Dividuellen“, ist immer mit einem Potenziellen verbunden (Deleuze 1997a/1983: 147–148). Perspektive zu denken. Deleuze diskutiert die beiden Bildkonzepte in den zwei Bänden an den unterschiedlichsten Konfigurationen und methodischen Vorgaben, wobei oft die Kate- gorien zwischen Bewegungs-Bild und Zeit-Bild in den Befunden anhand der Filmbeispiele verschwimmen. Franziska Heller - 978-3-8467-6460-2 Heruntergeladen von Fink.de01/03/2022 12:27:50PM via free access 138 kapitel 4 Vor diesem Hintergrund nennt Deleuze mit erneutem Rekurs auf Dreyers Jeanne D’Arc die Montage als affektive Szenenaufgliederung („découpage affectif“). Dreyer zitierend spricht er von „fließende(n) Großaufnahmen“: Die Zusammenhänge werden „flüssig“ – alle Einstellungen werden affektiv durch- tränkt (Deleuze 1997a: 150–151). Im Möglichen sind Empfindungsqualitäten an- wie zugleich simultan abwesend. Somit schaffen Affekt-Bilder auch ein vom metrischen System abgelöstes Raum-Zeit-Gefüge (Deleuze 1997a: 153 f.).10 Deleuze denkt so Affekt-Bilder als eine Koaleszenz, als ein ständiges Wechsel- spiel zwischen affektivem Moment und affektiven Potenzialitäten, die einen eigenen Wahrnehmungsraum – losgelöst vom metrischen System – entwerfen. Es entsteht ein filmisches „System der Emotion“ (Deleuze 1997a: 154). Wichtig ist an dieser Stelle hervorzuheben, dass der Affektbegriff nach Deleuze von psychoanalytischen Dimensionierungen abzugrenzen ist (Morsch 2010 und 2011). Bei Deleuze wird der Körper zum Schauplatz von Intensitäten, Affekten, Sensationen und Empfindungen, die die Ordnung der Subjektivität ebenso hinter sich lassen wie das Regime der Repräsentation. Die Perzepte und Affekte, die Bewegtbilder hervorbringen, verdanken sich für ihn nichtmensch- lichen Kräften, sie übersteigen den Horizont anthropozentrischer und psycho- logisch fundiert gedachter Subjektivität. In einer deleuzianischen Lektüre bringt das Kino ‚eigensinnige‘ Perzepte, Affekte und Empfindungskomplexe hervor, die alltagsweltliche Vorstellungen vom Subjekt und dessen Konzepte von Erfahrungshorizonten überwinden (Morsch 2010: 70–74). Dieses Wechselspiel zwischen An- wie Abwesenheit, zwischen Aktuellem und Virtuellem findet sich auch im Konzept Deleuzes zu den sogenannten Erinnerungs-Bildern – hier noch deutlicher auf der Zeitebene angesiedelt (Deleuze 1997b: u. a. 132 ff.): Ausgehend von der Annahme, dass das filmische Bild in sich zunächst keine Zeit-Zeichen trägt (u. a. F. Heller 2010) – das heißt, dass in philosophischer sowie phänomenologischer Perspektive der filmische Wahrnehmungsakt zunächst immer ein präsentischer ist –, lässt sich Vergangenheit als pragmatischer und ästhetischer Effekt beim Zuschauer konzeptualisieren: Die Vergangenheit vermischt sich nicht mit der mentalen Existenz der Er- innerungs-Bilder, die sie in uns aktualisieren. Es ist die Zeit, in der sie sich bewahrt: sie ist das virtuelle Element, in das wir eindringen, um die ‚reine Er- innerung‘ aufzufinden, die sich in einem Erinnerungs-Bild aktualisieren wird. 10  „Es ist ein Raum virtueller Verbindung, der als ein bloßer Ort des Möglichen gefaßt wird. Was sich tatsächlich in der Instabilität, Heterogenität und Bindungslosigkeit eines der- artigen Raums bekundet, ist eine Vielfalt an Potenzialen oder Singularitäten“ (Deleuze 1997a: 153). Franziska Heller - 978-3-8467-6460-2 Heruntergeladen von Fink.de01/03/2022 12:27:50PM via free access Fetischisierung des Filmerlebnisses und der Kinogeschichte 139 Dieses besäße keinerlei Vergangenheitszeichen, hätten wir den Keim davon nicht in der Vergangenheit aufgespürt (Deleuze 1997b: 132). Wahrnehmungstheoretisch auf Filmbilder gewendet, bedeutet dieser philo- sophische Ansatz: Aufgrund der Rahmung sowie der formalästhetischen Manifestation wird der präsentischen Filmerfahrung vom Zuschauer die virtuelle Qualität eines Vergangenheitsbezugs und damit einer Erinnerung zugeschrieben, die nach Deleuze in Anschluss an Bergson zunächst innerlich und subjektiv ist (mentales Bild).11 Die qualitative Einordnung von Bildern als Vergangenheit baut auf der Zuschreibung der Präexistenz der Bilder auf: „Kurz, die Vergangenheit erscheint als die allgemeinste Form eines Schon-da [„déjà- là“], einer allgemeinen Präexistenz, die unsere Erinnerungen voraussetzen“ (Deleuze 1997b: 132). Die Vergangenheit koexistiert mit der Gegenwart, wird von ihr aus gedacht. Die zeitlichen Verhältnisse werden als interagierende Schichtungen12 ge- sehen, die in Erinnerungen angesteuert werden: [D]ie Vergangenheit [erweist sich] als die Koexistenz der […] mehr oder weniger zusammengezogenen Kreise […]. Zwischen der Vergangenheit als allgemeiner Präexistenz und der Gegenwart als unendlich zusammengezogener Vergangen- heit gibt es die Gesamtheit der Vergangenheits-Kreise, die eine Vielzahl von aus- gedehnten oder verengten Regionen, Sedimenten, Schichten bilden: jede Region mit ihren Eigenschaften, ihren Schattierungen, […] ihren Singularitäten, ihren Glanzpunkten […]. Je nachdem welcher Natur die Erinnerung ist, der wir nach- gehen, müssen wir in den einen oder anderen Kreis springen (Deleuze 1997b: 133). Prinzipien der koaleszierenden An- wie Abwesenheit sind maßgeblich für Deleuzes Denken. Aktuelles und Virtuelles koexistieren simultan und stehen damit im Verhältnis der Koaleszenz13: „Es entsteht dabei ein zweiseitiges Bild: ein aktuelles und ein virtuelles“ (Deleuze 1997b: 96, Hervorh. FH). Filmbilder 11  Wie der Lebensphilosoph Henri Bergson schon in Materie und Gedächtnis (1991) anhand seiner zeitphilosophischen Überlegungen erläutert, sind – hier verkürzt dargestellt – Wahrnehmungen der Gegenwart von außen („Wahrnehmungs-Bilder“ bei Bergson) und innerliche Erinnerungen („Erinnerungs-Bilder“ bei Bergson) nicht voneinander zu trennen: Die tagtägliche Wahrnehmung sei durchtränkt von Erinnerungen. Die beiden Bildformen als Modus der Weltbegegnung seien nicht voneinander zu trennen. Vgl. hier- zu überblicksartig, auch in methodologischer und theoriegeschichtlicher Perspektive, Oger (1991: bes. XXXV). 12  In meinem Ansatz werden diese Schichtungen als Cluster bezeichnet und im Analyse- prinzip umgesetzt, vgl. Zwischenfazit  Kap. 3.9. 13  Vgl. auch Kap. 4.3 in F. Heller (2010a: 167 ff.). Franziska Heller - 978-3-8467-6460-2 Heruntergeladen von Fink.de01/03/2022 12:27:50PM via free access 140 kapitel 4 werden also mit Deleuze verstanden als zweiseitige, wechselseitige Bilder zwischen aktuellem Bild und Erinnerungs-Bild. Bei der Untersuchung der zu behandelnden Beispiele stellen sich nun vor dem Hintergrund dieser zeitphilosophischen wie bildtheoretischen Über- legungen folgende Fragen für die nachstehenden filmästhetischen Analysen: – Wie wird diskursiv und ästhetisch das Präexistente der Bilder erfahrbar ge- macht? Wie werden zeitliche Differenzerfahrungen vermittelt – im Hori- zont des Konzepts von wechselseitigen Bildern? – Welche Rolle spielen hierbei die von Deleuze genannten zeitphilosophisch bedeutsamen Begriffe wie etwa „Glanzpunkte“ oder „Singularitäten“ als mögliche sich konkretisierende ästhetische Verfahren in Form von phäno- menal wirksamen (An-)Reizen? – In diesem Sinne ist zudem grundsätzlicher zu fragen: Wie wird auf diese Weise Erinnerung als Lektüre- und Erwartungshaltung beziehungsweise dann als sich konkretisierender Erlebnismodus initiiert? 4.2 Medienhistoriografisch wirksame Erfahrungsbildung im Format Werbeclip. Wirkungsästhetische Verfahren in einem warenästhetischen Horizont Nach Vinzenz Hedigers Studie Verführung zum Film (2001) besteht eine Haupt- funktion des (Film-)Trailers – eines Werbeclips für Filme – darin, Begehren des Konsums zu wecken (2001: 225). Dabei beschreibt Hediger insbesondere zwei interagierende Funktionsweisen: Hier komme es zum Zusammen- wirken von unmittelbaren Schlüsselreizen und virtueller Erinnerung.14 Im Kapitel Nostalgia for the Coming Attraction erläutert der Autor, wie Trailer Er- innerungen an frühere filmische Genüsse und Erlebnisse instrumentalisieren, um sie als Projektion auf das Kommende positiv zu nutzen. Es geht dabei „um die Erinnerung an bestimmte Filme und Kinoerlebnisse, die beim Sehen von Trailern aktiviert wird und die in den Aufbau von Schlüsselszenarien ein- fließt“ (Hediger 2001: 225). Diese Schlüsselszenarien basieren auf sogenannten „narrativen Images“ und deren Interaktion mit der Erinnerung: Das Schlüsselszenario (was ich mir unter dem Film vorstelle, wenn ich ihn sehen will) basiert notwendigerweise auf dem narrativen Image (der Information, die 14  Dies wird hier in  Kap. 4 mit den obigen Begriffen und Konzepten von Deleuze wahr- nehmungstheoretisch präzisiert. Eine andere nuancierte Perspektivierung findet sich in den Ausführungen in  Kap. 6 unter dem Stichwort ‚prosthetic memory‘ im Kontext der Diskussion von Erinnerungskulturen und filmischen Modi der Erfahrung. Franziska Heller - 978-3-8467-6460-2 Heruntergeladen von Fink.de01/03/2022 12:27:50PM via free access Fetischisierung des Filmerlebnisses und der Kinogeschichte 141 mir zur Verfügung gestellt wird) und auf der Erinnerung an die Werbebotschaft (was von dieser Information hängenbleibt) (Hediger 2001: 230). Wenn es um die Vermittlungsform dieser „Images“ mit Blick auf den hier dis- kutierten Gegenstandsbereich geht, wird im Folgenden weniger von Schlüssel- szenarien gesprochen als vielmehr von Schlüsselreizen oder -spannungen: In den folgenden Beispielclips werden nicht nur Filme, sondern vor allem auch Anwendungen digitaler Technologien oder digitale Träger beworben. Wenn nach Hediger Trailer Unterhaltungswerte simulieren (Hediger 2001: 235), so simulieren die hier analysierten Clips das Unterhaltungspotenzial von Filmen auf der DVD beziehungsweise Blu-Ray-Disc. Vor diesem Hintergrund ist das filmisch konstruierte „Image“ nicht allein das einer im Film erzählten Geschichte – etwa in Form einer lückenhaft wiedergegebenen Story –, sondern vielmehr vorrangig das eines sinnlichen Erlebnispotenzials. So funktionieren die Werbeclips für digitale Träger und Distributionsformen als Cluster, in- dem sie extrem kurze Ausschnitte meist bekannter Filmer kompilieren und damit die mitschwingenden Storys der zitierten Produktionen ineinander ver- schachtelt als Bedeutungshorizonte evozieren. Eine solche Gestaltung wird verwoben mit der Vermittlung eines Eindrucks von technologischer Neuerung, die sinnlich erfahrbar werden soll. Verschiedene Filme werden so fragment- haft auf einzelne Bewegungsbilder reduziert und zu einer Metanarration neu montiert. Dadurch entsteht eine ganze Reihe von neuen sinnlichen Reizen und Attraktionen, die in unterschiedlichen Verfahren – hier werden Konzepte der Affekt- und Erinnerungs-Bilder wirksam – viele koexistierende Wahr- nehmungsangebote in einer Clusterstruktur offerieren: zwischen Erfahrungen des Aktuellen und des Virtuellen, in deren Wechselspiel sich die Erfahrung von Differenzen zwischen Gegenwart und Vergangenheit manifestieren. Um dem ökonomischen Kontext der Werbeclips Rechnung zu tragen, werden diese ästhetischen Verfahren als Form der Warenästhetik – in Anschluss an Modelle der politischen Ökonomie15 – kritisch in den Blick genommen. Damit 15  Der Rekurs auf die politische Ökonomie soll den Warencharakter von Kultur und Medien ins Zentrum rücken, wobei es weniger um die Reflexion von Verblendungszusammen- hängen geht, die es zu entlarven gilt. Vielmehr steht die Reflexion der ästhetischen Strategien in diesem nicht von der Hand zu weisenden funktionsbestimmenden Kontext im Mittelpunkt: Das Memopolitische in der Form soll analysiert werden, um die Folgen der medialen Erfahrungsmodi als erinnerungskulturelle Praktiken systematisieren zu können, vgl. hierzu die Erläuterungen in  Kap. 1 sowie  Kap. 3. Die eingeschränkte Perspektive auf die Analyse der ästhetischen Strategien im bild- sowie zeittheoretischen Horizont hat ihren Grund darin, dass die denkbare Einbindung von Ansätzen aus der Werbepsychologie das Untersuchungsfeld an dieser Stelle sprengen würde. An- sätze aus dem Feld der Werbepsychologie entwickeln meist ein anders gerichtetes Franziska Heller - 978-3-8467-6460-2 Heruntergeladen von Fink.de01/03/2022 12:27:50PM via free access 142 kapitel 4 sollen die ästhetischen Praktiken entsprechend dem pragmatischen Kontext in ihren soziokulturellen Abhängigkeiten und ideologischen Implikationen verortet werden. Der Begriff von Wolfgang Fritz Haug (2009) richtet vor allem methodologisch den Fokus auf die Analyse der sinnlichen Erscheinungen von Waren in ihrer ökonomisch spezifischen Form- und Funktionsbestimmtheit. Damit wird das ästhetisch konstruierte und vermittelte Gebrauchswertver- sprechen einer Ware, die der Tauschwertrealisierung vorausgeht, Gegenstand der Untersuchung (Haug 2009: 22 f.). Tatsächlich liegt in den Clips eine ästhetische Metanarration aus (Film-) Fragmenten vor, die eine neue, höchst interessante Form der Warenästhetik mit Blick auf die digitale Domäne entwickelt. Nach Haug zielt der Begriff Warenästhetik auf eine doppelte Präzisierung der Perspektive hinsichtlich der ästhetischen Erscheinungsformen von Waren: einerseits auf ‚Schönheit‘, d. h. auf eine sinnliche Erscheinung, die auf die Sinne ansprechend wirkt; andrerseits auf solche Schönheit, wie sie im Dienste der Tauschwertrealisierung entwickelt und den Waren aufgeprägt worden ist, um beim Betrachter den Besitzwunsch zu erregen und ihn so zum Kauf zu ver- anlassen (Haug 2009: 23). Will man unter diesem Gesichtspunkt das in den Clips formulierte ‚ästhetische Gebrauchswertversprechen‘ etwa der beworbenen DVD und Blu-Ray-Disc genauer untersuchen, so ergibt sich die pikante Pointe, dass der Gebrauchswert ebenfalls in der ästhetischen Dimension liegt: Die Blu-Ray verspricht gegen- über früheren Bildtechnologien ein erweitertes ästhetisches Erleben, ein ge- steigertes Unterhaltungs- und Genusspotenzial der Filmbilder. Die ästhetische Verpackung des Versprechens (Filmbilder) fällt zusammen mit dem Objekt der Vermarktung (den Filmbildern auf Blu-Ray-Disc). Und mit Blick auf die im gegebenen Kontext untersuchte Bewerbung von Unterhaltungspotenzialen digitaler Techniken bestätigt sich: Die Warenästhetik ist gemacht, damit die Bedürfnisse sich in ihr spiegeln. […] Diese Akzeptanz [des Produktes bei den Kunden, FH] wird primär angestrebt durch Gebrauchswertversprechen im Modus der Imagination oder des auf eine Kaufentscheidung hin perspektivierten imaginären Raumes, der die Waren um- gibt. Mehr als im Fordismus verschiebt sich die Darstellung von den Dingen auf die ihnen angedichteten Erlebnisfolgen (Haug 2009: 220). Erkenntnisinteresse – etwa an Kommunikationsmodellen und -mustern in Hinblick auf die kognitiven und emotiven Reaktionen des Subjekts/Konsumenten (vgl. etwa Felser 2007 zu Informationsverarbeitungsmodellen und Einstellungsänderungen durch Werbe- filme beim Konsumenten). Franziska Heller - 978-3-8467-6460-2 Heruntergeladen von Fink.de01/03/2022 12:27:50PM via free access Fetischisierung des Filmerlebnisses und der Kinogeschichte 143 Die besondere Anschlussfähigkeit von Haugs Überlegungen liegt in der Ver- mittlung der Begriffskomplexe des Gebrauchswertversprechens, des Imagi- nären sowie der realen wie versprochenen Erlebensdimension. So liegt in meinem Rekurs auf Haug vor allem der methodische Ansatz, den Blick auf das Verfahren zu richten, wie die Verkaufsargumente des Clips mit den vorgeb- lichen digitalen Qualitäten der beworbenen digitalen Distributionselemente wie Editionsformen wirkungsästhetisch vermittelt werden. 4.3 Medienphänomenologische Prozesse. Warenfetischismus von ästhetischen Objekten Wolfgang Fritz Haug hebt in seinem Konzept der Warenästhetik hervor, welch wichtige Rolle die Vorstellung, die Imagination des Konsumenten, spielt, über die dem Produkt ein Gebrauchswert als Erlebnisfolge zugeschrieben wird. In diesem Modus des ‚Andichtens‘ seitens der Vorstellungskraft des Rezipienten/ Konsumenten kommt dem (ästhetischen) Produkt das Potenzial einer er- weiterten Erfahrungsdimension zu; mit Deleuze gesprochen: In der aktuellen ästhetischen Erscheinungsform ist für den Konsumenten immer das Potenzial eines über das Aktuelle hinausgehenden Erlebnisses enthalten; das Potenzial des ständigen ‚Mehr‘. Dies wird im Folgenden als Prozess der Fetischisierung gefasst, der als spezifischer Wahrnehmungsmodus und als bestimmende Rezeptionshaltung anzusehen ist. Insbesondere der Kulturwissenschaftler Hartmut Böhme (2012) hat sich mit den wissenschaftshistorischen und künstlerischen Prozessen auseinander- gesetzt, die den Fetischismus zu einem Zentrum der europäischen Kultur haben werden lassen. Fetischismus sei oft und lange Zeit als psychopatho- logische, sexuelle wie auch religiös-ethnologische Erscheinung in einer Rand- stellung gesehen und behandelt worden. Erst seit Beginn der 1980er Jahre sei er zunehmend als ein sozialpsychologisch unvermeidliches Phänomen der modernen kapitalistischen (Massen-)Kultur auf allen Ebenen wahrgenommen worden (Maters 1982, n. H. Böhme 2012: 354). Fetischismus ist insofern für H. Böhme analytisch interessant, um die Moderne in einer spezifischen Wider- sprüchlichkeit zu begreifen und zu verstehen. Denn der Selbstentwurf der Moderne beinhaltet eigentlich, dass Kult und Magie zugunsten der Vernunft als erfolgreich überwunden gelten. H. Böhme weist in seinen Überlegungen das Trügerische dieses Selbstentwurfes nach und zeigt die Potenziale dieser Neu- perspektivierung über die kritische Beschäftigung mit Funktionen des Fetischs (vgl. auch kommentierend Konersmann 2006). Es ist ein Ansatz, dem die hier formulierten Thesen folgen (vgl. hierzu vor allem auch die Überlegungen in Franziska Heller - 978-3-8467-6460-2 Heruntergeladen von Fink.de01/03/2022 12:27:50PM via free access 144 kapitel 4  Kap. 7); dies umso mehr, als sich in diesem Horizont auch das bereits in  Kap. 2 entwickelte Technoimaginäre der digitalen Domäne anhand von ästhetischen Phänomenen und Wahrnehmungskonfigurationen in den Blick nehmen lässt. Im Technoimaginären finden eschatologische Hoffnungen, Er- wartungen und Utopien Ausdruck, wobei Vorstellungen von instrumenteller Rationalität, mythischer Begegnung mit der Welt und damit auch Tendenzen der (Selbst-)Vergöttlichung in einem Wechselspiel stehen (H. Böhme 2000: 3–4 FH). In der Beschäftigung mit Fetischismus tut sich darüber hinausgehend nicht nur ein philosophisch-kulturkritisches, sondern auch ein wahrnehmungs- theoretisches Problemfeld auf, welches die entsprechenden Untersuchungen in die Nähe von medienanalytischen Ansätzen rückt: Es geht vor allem um das Verhältnis zur Dingwelt: „Wir [H. Böhme als Autor, FH] untersuchen ‚Objektbeziehungen‘ – und das heißt im modernen Wissenschaftsverständ- nis: Wir analysieren die Stellungen und Relationen, die wir zu den Dingen einnehmen“ (H. Böhme 2012: 14). Dass dabei grundlegende Konfigurationen des Subjekt-Objekt-Verhältnisses ausgehandelt werden – „hier das Subjekt, dort die Objekte; hier die Gesellschaft, dort die Natur; hier der Geist, dort die Dinge“ (Konersmann 2006) –, davon zeugt die Beschäftigung H. Böhmes etwa mit der Phänomenologie von Edmund Husserl oder Maurice Merleau- Ponty (H. Böhme 2012: 58 f., 97 ff.). Aber auch Walter Benjamin wird wieder- holt herangezogen. In Hinblick auf Ware als Fetisch (H. Böhme 2012: 283 ff.) beobachtet H. Böhme einen „seltsamen Doppelstatus“, dessen Besonderheit darin liege, „Ding und Symbol, Immanenz und Transzendenz uno loco zu ver- einen“ (H. Böhme 2012: 287). Dies führt H. Böhme zu der Überlegung, „dass der Fetischismus für das ökonomische System […] eine transzendentale- ökonomische Bestimmung darstellt“ (H. Böhme 2012: 287). Für die nachstehenden Ausführungen ist bei dem Begriff, wie ihn H. Böhme entwickelt, von Bedeutung, dass Fetischismus eine Schichtung verschiedener Funktionsprinzipen umfasst, die zum einen religiöse, „kathektisch-affektive, sexuelle“ sowie vor allem „wahrnehmungsästhetische Elemente“ beinhalten – eben „solche, die nach dem Code bewusst/unbewusst operieren“ (H. Böhme 2012: 288). Dabei kommen im Verhältnis zur kulturindustriellen Fetischisierung von Phänomenen Praktiken des Zurschaustellens, das heißt die ostentative Präsentation („Theatralität“) sowie vor allem Aspekte der Performanz zum Tragen (vgl. hierzu  Kap. 5).16 16  Nach H. Böhme (2012) müssen alle Dinge und Produkte, die als Tauschwerte realisiert werden sollen, „zum Markt gehen“ und dort „auftreten“. Dies kreiert Performanz oder Franziska Heller - 978-3-8467-6460-2 Heruntergeladen von Fink.de01/03/2022 12:27:50PM via free access Fetischisierung des Filmerlebnisses und der Kinogeschichte 145 Fetischismus – im Verhältnis zu einem Ding – bedeutet immer eine Substitution oder Vertretung für etwas anderes. Der Warenfetischismus funktioniert als eine systematisch erzeugte Illusion, die „das Bild einer Welt, die unsere Bedürfnisse erfüllt, [liefert, FH], einer Welt, die immer ‚voll‘, ‚reich‘, ‚großartig‘ und ‚schön‘ ist (und wir sind ein Teil von ihr)“ (H. Böhme 2012: 333). Und weiter: Das macht die Aura des Warenfetischs aus: Der Warenfetisch winkt mit der Partizipation am Schlaraffenland (in allen Varianten). Die Ware ist also der Code einer Utopie. Das ist ihre systematisch erzeugte Illusion. […] Die Ware verleugnet […] die Prosa der Wirklichkeit (H. Böhme 2012: 333–334). Diese Formulierungen sind entscheidend für die Konzeptualisierung eines Warenfetischismus von digitalisierten historischen Filmen und der Funk- tionalisierung für deren Erlebensdimension. Für den Zusammenhang von (Waren-)Fetischismus und historischer wie erinnerungskultureller Dimension sind darüber hinaus H. Böhmes Aus- führungen zu Museen und Sammlungen wichtig (H. Böhme 2012: 352 ff.). Er begreift vor allem das Museum als eine räumliche Anordnung, in der der Fetischismus nach anderen Regeln funktioniert als außerhalb, wo etwa Gesetze des Marktes vorherrschen. Im Bereich der Musealisierung stehen weniger ökonomische, konsumistische, religiöse sowie sexuelle Funktions- weisen im Mittelpunkt (H. Böhme 2012: 355). Vielmehr funktioniert der Fetisch über museale Anordnungen vor allem ästhetisch.17 Auch wenn sich im vorliegenden Gegenstandsbereich, der sich mit Film be- schäftigt, bei den nachfolgenden Analysen die Ebenen vermischen und über- lagern (insbesondere die museale, ästhetische und ökonomische), so sind doch bestimmte Überlegungen H. Böhmes fruchtbar zu verwerten – insbesondere diejenigen, die die Wahrnehmungskonfiguration des Musealen und damit des Theatralität der Waren. Waren müssen ausgestellt werden. Die Entfremdungen in der Produktion und die Mechanismen des Warentauschs erzeugen zusammen den Waren- fetischismus (H. Böhme 2012: 332 f.). 17  Ästhetisierung bedeutet in diesem Kontext nach H. Böhme die Herausnahme eines Gegenstandes aus seinem konkreten Gebrauchszusammenhang. H. Böhme rekurriert hier auf Kant und seine Kritik der Urteilskraft, „wo eine Bedingung der Wahrnehmung und Reflexion des Schönen die Abstandnahme von jedem Gebrauch des sinnfälligen Gegenstandes ist“ (Kant, zit. n. H. Böhme 2012: 355). Ich werde mich im Verlauf der weiteren Argumentation mit diesem Verständnis durchaus mit Blick auf den hier dis- kutierten Gegenstand kritisch auseinandersetzen; vgl. hierzu auch das Fazit zu Aspekten aisthetischer Historiografie in  Kap. 5. Franziska Heller - 978-3-8467-6460-2 Heruntergeladen von Fink.de01/03/2022 12:27:50PM via free access 146 kapitel 4 Erinnerungswürdigen beschreiben (FH mit H. Böhme 2012: 355). Demzufolge wird das ästhetische Objekt zum Fetisch in den folgenden Anordnungen: 1. Durch das spezifische Dispositiv (der Musealisierung im hier gegebenen Fall der ‚Historisierung‘) wird ein Objekt/Phänomen mit einer besonde- ren Ergebenheit (‚Devotion‘) wahrgenommen, die seiner alltagsenthobe- nen, exponierten Attraktion gilt. 2. Das Objekt verursacht eine ambivalente Wahrnehmungshaltung, die zwischen dem sistierten Begehren nach Aneignung und der Angst vor seiner überlegenen, ergreifenden, faszinierenden Qualität oszilliert. 3. Durch ein Wechselspiel zwischen Nähe und Ferne wird das Objekt zum Gegenstand einer Lust: Es bleibt unerreichbar in der Überhöhung, die Überhöhung muss geschützt werden; aber gleichzeitig speist sich die Lust aus der Möglichkeit des Erlebens von Nähe, der Möglichkeit, das Überhöhte und Unerreichbare in einer besonderen Anordnung betrach- ten und sinnlich wahrnehmen zu können (vgl. zur Relationierung von Nähe und Ferne  Kap. 7).18 H. Böhme beschreibt dieses Wechselspiel mit der Formulierung, dass erst die unbedingte Distanz bei gleichzeitig aufrechterhaltener Performanz des Fetischs diesen in ein unverfügba- res Element einer Erfahrung verwandelt. Zentral ist an dieser Stelle H. Böhmes Ergänzung, dass diese Fetischerfahrung sich dadurch auszeich- ne, dass sie der Betrachter nur für und mit sich selbst machen könne (H. Böhme 2012: 257). Das fetischisierte Objekt muss einerseits performativ-rituell in irgendeiner Form dem Betrachter präsent bleiben, andererseits muss es gleichzeitig in einer unbedingten Distanz gehalten werden. Die Erfahrung des Fetischs liegt im Betrachter begründet – wir sind es selbst, die auf diese Weise die Fetische konstituieren („machen“, H. Böhme 2012: 357). Der Betrachter ist demnach konstitutiver Teil des Prozesses der Fetischisierung eines Objekts.19 Durch fetischisierende Rituale der Auratisierung und memorialen Imprägnierung, hervorgerufen durch gewisse (museale) dispositivische und 18  H. Böhmes Referenzanalogie ist hier das Vitrinenglas, hinter dem das Objekt in einem Museum ausgestellt ist (H. Böhme 2012: 355). Die Relevanz der Kategorien von Nähe und Ferne spielt auf das Prinzip der Aura(tisierung) bei Walter Benjamin an; vgl. hierzu aktualisierende Lektüren von Benjamin mit Blick auf die digitale Domäne  Kap. 7. 19  Darüber hinaus schreibt H. Böhme zum kulturkritischen, reflexiven Potenzial des Raumes des Museums: „Museen [Räume des Unveräußerlichen, FH] sind jene Orte, in denen die moderne Gesellschaft den automatisch operierenden Universalfetischismus der Waren sistier[t], indem sie ihn durch Verdopplung manifest, ästhetisch erfahrbar und psychisch wie kognitiv reflektierbar machen. Museen machen und pointieren die Fetische, von denen wir uns, außerhalb der Museen, dirigieren lassen“ (H. Böhme 2012: 357). Franziska Heller - 978-3-8467-6460-2 Heruntergeladen von Fink.de01/03/2022 12:27:50PM via free access Fetischisierung des Filmerlebnisses und der Kinogeschichte 147 ästhetische Praktiken, werden Objekte zu lebendigen Trägern der Erinnerung. Diese Objekte werden zu Medien mit einer spezifischen Funktion der Zeit- lichkeit: Es sind materiale Vermittler der Erinnerung, in diesem Sinne sind sie Medien des Vergegenwärtigens (H. Böhme 2012: 362).20 Vor diesen Hintergrund lassen sich mit Blick auf die Problemstellung des vorliegenden Kapitels – den Zusammenhang von Fetischisierung des Film- erlebnisses und Kinogeschichte – zusammengefasst die folgenden Thesen formulieren: – Die Fetischisierung in einem von H. Böhme als museal beschriebenen Dis- positiv gilt vor allem auch für die Wahrnehmung eines zugeschriebenen Alters- wie Erinnerungswerts von Bewegtbildern. – Der Prozess der Fetischisierung eines historischen Klassikers im Fragment entwickelt ein Wechselspiel zwischen individueller und kollektiver Erinne- rung; dieses Zusammenspiel verbindet sich mit dem konkreten, phänome- nalen Erlebnis der Bilder, wobei sich in ebendiesem konkreten Erlebnis die Utopie einer ultimativen, verbesserten Erinnerung vermittelt. Diese wird als sensuell-begehrenswerte konstruiert. Der Zuschauer wird zur Vollzugsin- stanz des Fetisch. Dabei affirmiert der Zuschauer über den fetischisierenden Wahrnehmungsmodus zugleich den Status der Bilder als erinnerungswürdig. – Für die wirkungsästhetische Dimension gilt: Das Wechselspiel von Nähe und Ferne muss als Spannung ständig erhalten bleiben. Zum einen muss die Lust auf Filmerfahrung partiell befriedigt werden; und zum anderen muss gleichzeitig stets die Überhöhung, das Versprechen auf ein den Mo- ment transzendierendes Filmerlebnis gewahrt werden. Vor allem hier wird der von Deleuze geprägte Begriff der wechselseitigen Bilder wichtig werden. 4.4 Restaurierungsdiskurs und Fetischisierung. Der Werbeclip Restoring the Classics (2012) Das erste Analysebeispiel ist ein Werbeclip zum 100-jährigen Geburtstag des Filmstudios Universal, in dem unter ökonomischen Prämissen der Ver- marktung von Neu-Editionen Filme aus dem Archiv eine ästhetische Reprise erfahren. Der Clip legt einen besonderen Fokus auf die Vermittlung der 20  Dabei gilt wie folgt (dies wird noch präzisierend in  Kap. 7 mit dem Begriff des Glaubens wahrnehmungstheoretisch aufgeschlüsselt): „Das Transzendente ist nie das, was von sich aus immer schon transzendent ist, sondern es muss der Glaube erzeugt werden, dass es so ist“ (H. Böhme 2012: 370). Deshalb nehmen nach H. Böhme Museen in der Moderne einen wichtigen Platz ein: „Museen und Sammlungen der Moderne sind nun Einrichtungen der Transzendenz-Versicherung“ (H. Böhme 2012: 370). Franziska Heller - 978-3-8467-6460-2 Heruntergeladen von Fink.de01/03/2022 12:27:50PM via free access 148 kapitel 4 Restaurierung der Filme. Im Folgenden werden die formalästhetischen Ver- fahren, vor allem die Funktionalisierung von wechselseitigen Bildern sowie von Affekt- und Erinnerungs-Bildern untersucht und in der wahrnehmungs- theoretischen Dimension – insbesondere mit Blick auf sinnliche und feti- schisierende Erlebnisformen – konzeptualisiert. Affekt- und Erinnerungs-Bilder symbolisch in ihrer zeitlichen Konfiguration. Exposition und Titelbild Der Werbefilm startet mit einer Abfolge von Filmzitaten. Schon eingangs steht ein ikonischer Dialog nur noch auf ein Fragment reduziert; im Originaldialog in The Blues Brothers (1980) sagt Elwood (Dan Aykroyd), als die Kult- protagonisten nachts abfahrbereit im Auto sitzen: „It’s a hundred and six miles to Chicago, we’ve got a full tank of gas, half a pack of cigarettes, it’s dark, and we’re wearing sunglasses.“ Jake, gespielt von John Belushi, daraufhin: „Hit it!“ – Los geht’s! Nur diese letzte Zeile ist als Spur des Originaldialogs zu Beginn des Clips von Universal übriggeblieben (Abb. 4.2). Beschwingte Musik setzt ein, eine Montagesequenz entwickelt sich: Ein Auto geht in einem Feuerball auf, Dr. Brown und Michael J. Fox alias Marty McFly (Back to the Future, 1985) schauen sich verblüfft um, Teenager des Breakfast Club (1985) laufen durch die Flure ihrer High School, E. T. radelt mit seinem jungen Freund vor dem Mond den Himmel entlang (Abb. 4.3). Abb. 4.2 Abb. 4.3 Franziska Heller - 978-3-8467-6460-2 Heruntergeladen von Fink.de01/03/2022 12:27:50PM via free access Fetischisierung des Filmerlebnisses und der Kinogeschichte 149 Dann kommt die Handlung noch näher an den Zuschauer: Plötzlich ist man mit Sam Neill in eine Herde Dinosaurier im Jurassic Park (1993) geraten, man weicht mit Roy Scheider alias Brody vor dem weißen Hai zurück (Jaws, 1975): „You’re gonna need a bigger boat“, hört man dazu im Off. Ein Wechsel des Bildregisters auf die Metaebene: Alle diese ikonischen, schnell in ihren Herkunftsfilmen identifizierbaren Szenen materialisieren sich in kleineren Kadern in einer Wand wie aus Bildschirmen neben- und übereinander. Sie spannen so eine Leinwand auf, die eine Fläche aus sich simultan abspielenden Sequenzen auf den einzelnen ‚Bildschirmen‘ ergibt; einer Projektionsfläche gleich, die das Panorama von filmischen Universen aus unterschiedlichen Dekaden entfaltet. Die Fläche zitiert in ihrer Ausrichtung sowohl eine Kinoleinwand (in Form der Gesamtfläche) wie auch Fernseh- monitore. Die koexistierenden vielen kleinen Bildausschnitte nebeneinander erinnern an die Bilderfront in einer Regiekabine (Abb. 4.4). Abb. 4.4 Aus dieser leicht schräg gestellten (Lein-)Wand aus unterschiedlichen Bild- feldern erwachsen hell leuchtende, in glänzendem Weiß erstrahlende Buch- staben: „100 Years of Universal“. Diese verschwinden kurz in einem Lichtspalt in der Fläche aus den lebhaften Bildschirmen, um dann von dem folgenden leuchtend weißen Schriftzug abgelöst zu werden: „Restoring the classics“. Ebenso wie zum einen dieser Schriftzug über die Fläche der aufgespannten Bandbreite hinausweist, so leuchtet er andererseits auch zurück: Er spiegelt sich in der Leinwand aus den hier versammelten ‚Klassikern‘, die alle aus dem Bestand von Universal stammen. Franziska Heller - 978-3-8467-6460-2 Heruntergeladen von Fink.de01/03/2022 12:27:50PM via free access 150 kapitel 4 Der Beginn des Werbeclips formuliert in dieser Konfiguration und ästhetischen Erscheinungsform mehrere für die folgenden Ausführungen kon- zeptuelle wie analytische Kernaspekte: Die historische Dimension der 100 Jahre Universal, um die es in diesem Clip geht, wird in den ersten Sekunden definiert über die Filminhalte, ihre ästhetische und faszinative Kraft, die durch eine die Bewegungen und Dynamik betonende Montage hervorgehoben wird. Die di- egetischen Universen der Filme werden zitiert, es sind Fragmente, die ent- weder über die ikonografische Gestaltung (zum Beispiel E. T., Jaws) und Mise en Scène (Blues Brothers im Auto), über die Wiedererkennbarkeit von Rollen- figuren (Dr. Brown, Marty McFly, Blues Brothers) oder Schauspielern (Gregory Peck, Matt Damon) augenblicklich, im Moment – auch über den Ton! – trotz ihrer höchst fragmentarischen Form sofort identifizierbar sind – oder in ihrer exponiert ausschnitthaften Präsentation dies zumindest suggerieren. Die Frag- mente evozieren im Zusammenspiel mit der dynamischen Montage Momente des Aufbruchs und der Lebendigkeit. Dies geschieht vor allem über die Ver- mittlung von phänomenalen Reizen: plötzlich blendende und glänzende Lichtreflexe, Kombinationen von unterschiedlichen Bewegungsrichtungen und -rhythmen in und zwischen den Bildern in der dynamischen Montage der ohnehin bereits in sich sehr bewegten Bilder. Diese affektiv wirksamen Bilder der Eingangssequenz kreieren über ihre formalen Eigenschaften singuläre, als Glanzpunkte wirkende einzelne Reize, die über ihre Augenblicklichkeit Eindrücke des Fragmentarischen vermitteln. Gleichzeitig weisen sie gerade in ihrer Unabgeschlossenheit auch immer schon über den Moment hinaus – auf ein virtuelles Ganzes, das sich unter Umständen über individuelle Erinnerung (an die Herkunftsfilme) komplettiert. Ähn- lich verhält es sich mit den Schichtungen der unterschiedlichen Bewegungs- richtungen, die über diverse diegetische Universen verschiedene dynamische Ebenen miteinander kombinieren und ein Reizstakkato ergeben, gerade weil sie in sich als Bewegung oder Geste einzeln unabgeschlossen bleiben. Dies wird verbunden mit weiteren (An-)Reizen zur Erinnerungs- aktivität wie dem pointierten Ausstellen bekannter Motive, Figuren oder Schauspielerpersonae in Großaufnahmen. Selbst bei Unkenntnis der Filme wird zumindest formal suggeriert, dass diese Bilder nicht nur in der eigenen Er- innerung vorhanden sind (sein sollten), sondern auch darüber hinausgehend im kollektiven Gedächtnis verankert sind – und damit erinnerungswürdig, wie H. Böhme es nennt. Es ist eine phänomenal vermittelte zeitliche Komplexion aus Affekt- und Erinnerungs-Bildern, die den Zuschauer mit seiner eigenen Dauer als Funktionsgröße miteinbezieht, gleichzeitig aber auch immer über die persönliche Erinnerung hin zu einem institutionalisierten, unpersönlichen Gedächtnis – man kennt die Filme – weist. Franziska Heller - 978-3-8467-6460-2 Heruntergeladen von Fink.de01/03/2022 12:27:50PM via free access Fetischisierung des Filmerlebnisses und der Kinogeschichte 151 Das Titelbild nimmt hier in seiner Gestaltung metaphorisch für das Spiel mit zeitlicher Differenzerfahrung, die in dem Clip zum Tragen kommt, eine zentrale konzeptionelle Rolle ein: Der Schriftzug definiert durch sein Er- scheinen auf der Leinwand den Kontext der Reprise der Filme. Voraussetzung der hier angepriesenen digitalen Reprise ist die bekannte Präexistenz der Filme. Diese Präexistenz findet ihr Motiv bildlich in der aus den zitierten Filmen zusammengesetzten Leinwand. Diese bildet buchstäblich den Hinter- grund für die nun glanzvolle Aktualisierung. Auffällig in der Gestaltung dieses Bildes sind die folgenden Aspekte mit zeit- und geschichtsphilosophischen Implikationen: – Die Filme laufen innerhalb der Bildschirme weiter, die hier entwickelten Universen und Narrationen entfalten sich unabhängig voneinander fort und sind kontinuierlich wahrnehmbar. – Die Filme mit ihrem Eigenleben21 stehen unabhängig von ihrem eigentli- chen (historischen) Produktionszeitraum (1960er, 1980er oder 2000er Jahre) nebeneinander in einer Fläche, koexistierend auf einer Ebene: ‚Geschich- te‘, die historische beziehungsweise zeitliche Differenz wird nicht indiziert durch eine je eigene Zeitlichkeit der einzelnen abgerufenen Filme (etwa durch Angabe von Jahreszahlen), sondern allein durch den Schriftzug der Aktualisierung, die aus dieser Ebene leuchtend herausragt: Restoring the Classics. Mit anderen Worten, die ‚Klassiker‘ sind uniform auf einer 21  Der hier gebrauchte Begriff des ‚Eigenlebens‘ erinnert nicht nur an Georges Didi- Hubermans Überlegungen zum Nachleben der Bilder (2010/2002). Vielmehr scheint vor allem die Quelle seines Begriffsgebrauchs, die Bildforschungen von Aby Warburg, für meine Ausführungen durchaus in vielfältiger Weise anschlussfähig: So sind dies unter anderem die phänomenologischen Tendenzen in Warburgs Überlegungen zur visuellen Raumkonstruktion von Bildern – fotografische Bilder in Stillstand und Bewegung etablieren über eine dynamische Repräsentanz vergangener Ereignisse, des Gewesenen eine besondere Beziehung zum Körper des Betrachters (Sierek 2007: 33–35): „Damit sichern sie das, was Warburg immer wieder als Nachleben in durchaus polemischer Unterscheidung zu Gedächtnis, Erinnerung, Wiedergeburt […] beschrieb“ (Sierek 2007: 35). Mit Blick auf die in diesem  Kap. 4 im Fazit erfolgenden Modellierungen memo- phänomenaler Wahrnehmungsmodi von Filmgeschichte (vgl. Abschluss dieses Kap. 4) wäre insofern Warburgs Ansatz auf die Metaebene des Nachlebens von Filmwerken zu heben. In diesem Sinne ist Siereks grundsätzlicher Befund zu lesen: „In den Analysen aller möglichen kulturellen Äußerungen sucht Warburg das umfassende, ereignishafte Nach- leben eines gewesenen Bildkörpers im Betrachterkörper als schwingenden Zeitkristall in Bild und Ton. Die in den kinematographischen Fluss eingelegten Bewegungsintarsien aus dem historischen Bilderteppich machen aus Ansicht eines Filmes ein Leben des Einst im Jetzt als Daseinsform der Ungleichzeitigkeit, die als differenzielles Ereignis beschreibbar bleibt, aber deswegen seiner flüchtigen Gegenwart nicht verlustig gegangen ist. Es ist das prototypische Erleben des Warburgschen Nachlebens“ (Sierek 2007: 197–198). Franziska Heller - 978-3-8467-6460-2 Heruntergeladen von Fink.de01/03/2022 12:27:50PM via free access 152 kapitel 4 zeitlichen Ebene zu sehen, deren zeitliche Verortung allein in Differenz zur Gegenwart und ihren Bedingungen und Interessen geschieht. Diese Gegenwart – in Form des Schriftzugs – weist zudem über die Fläche in den Bildraum hinaus; zeitlich interpretiert, kann man dies auch als Hinauswei- sen in die Zukunft verstehen: Die Filme werden über die jeweilige – auch kommende – Gegenwart definiert. Ein weiteres formales Detail kann in dieser Lesart des Titelbildes als symbolisch für die Interaktion der zeitlichen Ebenen gesehen werden. Dass der leuchtend helle Schriftzug nicht nur aus der Ebene der präexistenten Film‚klassiker‘ fast schon eine Lichtgeburt erfährt (die Gegenwart erscheint strahlend aus der filmhistorischen Vergangenheit), ist beredt. Dass darüber hinaus sich zugleich auch die Buchstaben „Restoring the Classics“ in der Lein- wand aus einem Mosaik von Filmkadern spiegeln und somit zurückstrahlen, zeigt die Verwobenheit der Zeitebenen. Die (mediale) Geschichte gebiert die Gegenwart, aber die Praktiken der Gegenwart der Restaurierung verändern auch den (aktuellen) Anblick der Filme – sie strahlen zurück. Diese Detail- interpretation gewinnt an Gewicht, wenn man bedenkt, dass man sich in dem Format eines (Werbe-)Clips befindet, der am Ende die zitierten Filme in ihrer nun aktualisierten digitalen Distributionsform auf DVD und Blu-Ray-Disc bewirbt. Die kommerziellen Interessen unter dem Vorzeichen digitaler Dis- tributionsinstrumente und -strukturen bestimmen hier die Gegenwart. Vor diesem Tableau ist nun das Thema des Clips aufschlussreich. Es geht um die Praktiken der Filmrestaurierung beziehungsweise den – im Englischen als Restoring bezeichneten – Prozess des Restaurierens, wobei die Restaurierung und deren Darstellung in diesem Kontext immer vor dem Hintergrund der spezifischen (kommerziellen) Interessen des Werbefilms zu sehen sind: Am Ende des zehnminütigen Werbefilms wird in Texttafeln auf die auf DVD und Blu-Ray-Disc erhältlichen restaurierten Titel von Universal hingewiesen. Dies wird zum Abschluss dieses Kapitels noch einmal mit Blick auf den hier modellierten Begriff der Warenästhetik im Zusammenhang mit Medien- und Filmgeschichte weiter ausgeführt werden. Restaurierungsdiskurs in formalästhetischer Erscheinungsform. Archiv, Maschinen und Affekt-/Erinnerungs-Bilder In dem hier diskutierten Beispiel sticht besonders die filmische Inszenierung der technischen Abläufe von Restaurierungsprozessen hervor, die nachhaltig, so die These, mit dem Einsatz von Affekt- und Erinnerungs-Bildern arbeitet.22 22  Zur Präzisierung der Affekt- und Erinnerungs-Bilder: Aus Gründen der analytischen Schärfe werden sie hier partiell separat behandelt. Der Werbefilm aktiviert allerdings in einer Clusterstruktur immer beide Ebenen gleichzeitig. Weitere Überlegungen zu Franziska Heller - 978-3-8467-6460-2 Heruntergeladen von Fink.de01/03/2022 12:27:50PM via free access Fetischisierung des Filmerlebnisses und der Kinogeschichte 153 Dies geschieht auch ganz maßgeblich über eine hohe Schnittgeschwindigkeit und eine enorme Dichte von vermittelten Informationen. Restaurierung als Modus der begehrenswerten Aktualisierung wird direkt zu Beginn des Clips auf offensichtlicher motivischer Ebene mit dem Versprechen auf die Entdeckung einer neuen Welt, gar eines neuen Universums verbunden. So zitiert der Werbefilm tatsächlich wiederholt das schon im Firmennamen Universal berufene Weltall, indem immer wieder nur für Augenblicke Bilder einmontiert werden, in denen im Weltraum ein gleißendes Licht hinter einem Planeten hervorkommt – ganz so, wie es auch im bekannten Logo des Studios geschieht (Abb. 4.5). Abb. 4.5 Der hier zum Einsatz kommende fragmentarische Ausschnitt des Logos betont die auf der phänomenalen Ebene wirkenden Reizeffekte, indem der Zuschauer für einen Moment vom Lichtstrahl blitzartig geblendet und sogar somatisch affiziert wird. Dies erweckt Aufmerksamkeit und vermittelt zugleich, dass dem Zuschauer nun eine neue Welt von dem Studio Universal eröffnet wird. Diese Reizbilder durchwirken den einsetzenden, zunächst technisch bestimmten Diskurs. Dass die von Universal eröffnete Welt eine historische Dimension be- inhaltet, wird in den ersten Einstellungen nach der Titelsequenz deutlich: Die Bilder des Clips sind mit der – zugegeben sehr künstlichen, aber trotzdem als solche identifizierbaren – Patina eines zerkratzten sepiafarbenen Archivbilds belegt. Neben der Materialästhetik der Bilder führt der Ton ebenfalls in die ana- loge Ära der Mediengeschichte. Man hört das charakteristische Rattern eines Filmstreifens im Projektor. Der Zuschauer wird über die vom 20. Jahrhundert geprägte Vorstellung, was mediengeschichtlich Film bedeutet, ‚abgeholt‘. Die analoge Film(projektions)technik wird als Chiffre für das Medium benutzt. Erinnerungs-Bildern und deren spezifische Wahrnehmungsmodi finden sich in  Kap. 6 unter dem Stichwort „prothetische Erinnerung“ und in  Kap. 7 unter dem Stichwort „mediated memories“. Franziska Heller - 978-3-8467-6460-2 Heruntergeladen von Fink.de01/03/2022 12:27:50PM via free access 154 kapitel 4 Filmästhetisch wird der Entwicklungsprozess von Filmrestaurierung seitens des Werbefilms inszeniert, indem Bob O’Neil, Vizepräsident für Image Assets/ Preservation der Universal Studio Vaults, als Talking Head neben Filmdosen gezeigt wird: „We started preservation and restoration on a film-analog level back in the early 90’s and we have been working on it ever since“ (Hervorh. FH, Abb. 4.6). Abb. 4.6 Gemäß der Storyline des Werbefilms findet das Medium Film nun seinen Weg in die digitale Welt. Dies wird bildlich erzählt, indem eine Filmrolle aus dem Regal genommen und in einen Scanner gelegt wird. Der fließende Übergang von der analogen in die digitale Domäne wird formal über den Ton gelöst: Das rhythmische Rattern des Projektors geht über in das stakkatoartige Blitzen, das digitale Abfotografieren des Filmstreifens im offenen Scanner – visuell noch unterstützt durch das regelmäßige Flackern der Lichtquelle des Scanners. Dass es sich hier um einen organischen, bruchlosen Vorgang handelt, findet sich übersetzt in der Kameraführung. Ein beschwingter Schwenk geht von dem Blitzen des Scanners zur sich immer weiterdrehenden Filmrolle: analoge und digitale Welt vereinigt in einer einzigen Bewegung, in der die Elemente fließend ineinandergreifen, indem das eine in das andere übergeht. So folgt auch ein Match Cut von der Filmrolle im Scanner auf einen kreisrunden Regler an einer Postproduktions-Workstation (Abb. 4.7–4.9). Dazu sieht man weiterhin verschiedene Computerbildschirme und ent- sprechende Tastaturen. Die Filme, die man vorher als Filmrollen in Regalen sah, sind nun in phänomenal-semantischer Form auf den Bildschirmen zu sehen, das heißt, man sieht die ästhetische Imago der Filme. Sinnbildlich ge- lesen drücken diese Bilder bereits Grundaspekte (retro)digitaler Workflows aus: Digitale Restaurierung funktioniert als Simulation, Emulation und Re- mediation23 ursprünglich analog aufgezeichneter Informationen. Allerdings – 23  Vgl. die Definitionen der Begriffe und den Bezug zur Restaurierungspraxis bei Fossati (2009) in  Kap. 2. Franziska Heller - 978-3-8467-6460-2 Heruntergeladen von Fink.de01/03/2022 12:27:50PM via free access Fetischisierung des Filmerlebnisses und der Kinogeschichte 155 Abb. 4.7 Abb. 4.8 Abb. 4.9 und das ist bei diesem Beispiel entscheidend – sieht man in dem vorliegenden Werbeclip den Filminhalt kaum durch den Filmstreifen, sondern vielmehr auf dem Computerbildschirm: Die phänomenale Erscheinung des Films ist schon in der digitalen Domäne und auch von dieser diskursiv gerahmt (Abb. 4.10). Dies wird in der folgenden Einstellung augenscheinlich, wenn ein Schaden, der ursprünglich im fotochemischen Filmstreifen war, nun digital abgebildet auf dem Bildschirm erscheint. Dass es sich um einen Fehler handelt, wird darüber vermittelt, dass mit dem Cursor der digitalen Arbeitsstation eine quadratische Markierung über die Bildstelle gezogen wird und damit der Mauszeiger nachdrücklich auf den Schaden weist. Zu sehen ist ein Riss in einer weiten Einstellung von einem Himmel in der Abenddämmerung. Im über- tragenen Sinne ist dies zu lesen: Die illusionsbildende Harmonie des Bildes ist phänomenal gestört. Franziska Heller - 978-3-8467-6460-2 Heruntergeladen von Fink.de01/03/2022 12:27:50PM via free access 156 kapitel 4 Abb. 4.10 Im Kontext des Werbefilms vermittelt diese Form der Inszenierung eines Bildbearbeitungsprozesses über die Naheinstellungen (und damit über die visuelle Betonung der Schadensidentifikation im Bild) eine Evidenz über die Notwendigkeit, Richtigkeit, gar Überlegenheit des offensichtlichen (Meta-) Eingriffs in das Bild; dies umso mehr, als vorher der nahtlose Anschluss an die analoge Filmtechnik ins Bild gesetzt wurde: eine fließende Bewegung ohne Ver- lust zwischen den zwei Welten von Medientechnik! Wieder wird man für einen Moment von der Sonne hinter dem Universal-Planeten geblendet. Das Bild hat hier eine einigende Botschaft: Das Universal-Universum umfasst sowohl ana- loge als auch digitale Filmtechnik. Diese Montagestrategie changiert insofern zwischen technisch-konkreter und höherer metaphorisch-mythischer Ebene. Fröhliche Klaviermusik setzt ein und zeigt von der Zeit verfärbte Aus- schnitte aus dem Doris-Day-Film Pillow Talk (1959) (Abb. 4.11). Abb. 4.11 Die Bilder sind nicht nur grünlich verfärbt, das Material weist auch deut- liche Risse auf. Die Bildschäden entwickeln aber in den Bewegtbildern einen eigenen phänomenalen Rhythmus, sie ‚tanzen‘ auf dem Bild, was sich in der Wahrnehmung des Zuschauers mit der extradiegetischen Klavier- musik, mit der der Universal-Clip nun unterlegt ist, zu einem organischen, unbekümmerten Ganzen zusammenfügt. Dieser Eindruck wird zudem vom Inhalt des restaurierten Films unterstützt, da es sich um eine verspielte Szene Franziska Heller - 978-3-8467-6460-2 Heruntergeladen von Fink.de01/03/2022 12:27:50PM via free access Fetischisierung des Filmerlebnisses und der Kinogeschichte 157 der Romantic Comedy handelt. Diese affektiv besetzten Bilder ‚durchtränken‘ mit ihrer emotionalen Stimmung die eigentlich heterogene Montage und übertragen den Rhythmus in den Bildern sowie die sorglose Atmosphäre – auch assoziiert mit der Persona Doris Day – auf den Prozess der Restaurierung. Es ist alles eine Bewegung, ein organischer Arbeitsprozess: Die verfärbten Vorher-Bilder werden nun von einem vertikalen Streifen durchfahren, einem Wischer, der dann die Bilder nun klar, mit ‚natürlichen‘ Farben – an Referenz- regionen wie Hauttönen und dem Himmel erkennbar – und ohne Kratzer hinterlässt (Abb. 4.12). Abb. 4.12 Es ist eine prototypische Darstellung von Restaurierungsprozessen (vgl. hier- zu die Ausführungen in  Kap. 7 zur DIY-Restaurierung und zum Modus des vergleichenden Sehens): Der Zuschauer erfährt in der Dauer des Wischens, mit dem Streichen über das Bild, das Resultat der Restaurierung. In diesem Fall wird in der organischen Bewegung und in der besonderen Stimmung eine zeitliche Dynamik spürbar, in deren Entfaltung historische Differenzen ver- schwimmen und Vergangenheit wie Gegenwart kopräsent in der Transitions- bewegung erscheinen, die ein Versprechen auf ein erneuertes Erlebnis des fiktionalen Universums des Films bedeutet. Es ist ein Mehr an Erlebnis, das über das restaurierte Fragment hinausweist. Mit Deleuze lassen sich diese Be- wegtbilder somit als wechselseitige beschreiben.24 24  In ähnlicher Weise wird die Behebung von Flicker anhand von All quiet on the Western Front (1930) erläutert; Jittering wird mit Beispielen aus Out of Africa (1985) über Markierungen von Bildregionen erklärt. Die Color Correction wird an dem ver- färbten Material von Pillow Talk (1959) illustriert. To Kill a Mocking Bird (1962) ist Anschauungsbeispiel, als es um die Behebung von analogen Schäden in der digitalen Repräsentation des Films geht. Hier wird die mehrschichtige Funktion als Bild deutlich – neben der Illustration der Technik: „The tear is directly over Gregory Peck.“ Es wird ex- plizit darauf hingewiesen, welcher Star als Persona in diesem Film wiederzuerkennen ist. Auf diese Weise wird der Status des Films als ‚Klassiker‘ suggeriert. Franziska Heller - 978-3-8467-6460-2 Heruntergeladen von Fink.de01/03/2022 12:27:50PM via free access 158 kapitel 4 Vor diesem Hintergrund ist nun die folgende Sequenz interessant – vor allem auch mit Blick auf die phänomenale Bildwirkung: Die Expertenstimme erläutert aus dem Off: „There is a selected group of titles we are working on now“. Exakt abgestimmt auf das „now“, auf das „Jetzt“, ist ein Bild montiert, in dem ‚der‘ weiße Hai mit weit aufgerissenem Maul aus dem Wasser auf die Kamera und damit auf den Zuschauer zuspringt (Abb. 4.13); ein zutiefst gegen- wärtiger Schock, der auf der Unmittelbarkeit der Affektwirkung von Film- bildern insistiert. Abb. 4.13 Die Einstellung wechselt sofort in eine seitliche Halbtotale, in der man das kleine Boot sieht, das von dem riesigen Haifisch attackiert und fast in die Tiefe gerissen wird. Der Schock, der direkt auf den Zuschauer des Werbefilms ge- richtet ist, wird damit noch um den Eindruck einer unfassbaren Naturgewalt erweitert. Damit aber auch die Wirkung dieser Bilder sofort an die Erinnerung – wenn nicht an die individuelle, so doch zumindest die kulturelle – gebunden werden kann, werden zusätzlich, obwohl doch ikonografisch recht eindeutig, der Titel und das Produktionsjahr dieses filmhistorisch wirkmächtigen Films eingeblendet: Jaws, 1975. So wird nicht nur der Film überdeutlich identifizier- bar, er wird auch in seiner Bekanntheit und kulturellen Bedeutung voraus- gesetzt. Gleichzeitig markiert die konkrete Angabe des Produktionsjahres eine historische Differenz zur Jetztzeit, die aber in der phänomenalen, im gegenwärtigen Moment funktionierenden Wirkung der Bilder aufgehoben wird. Mit anderen Worten, die formalästhetische Gestaltung und die Montage der Bilder vermitteln die höchst aktuelle Wirkmächtigkeit eines Klassikers, eines historischen Films, die sich dank der von Universal durchgeführten Restaurierung entfalten kann. Es kommt zu einem Paradox: Auf der einen Seite ist phänomenal die Nivellierung der markierten zeitlichen Differenz Franziska Heller - 978-3-8467-6460-2 Heruntergeladen von Fink.de01/03/2022 12:27:50PM via free access Fetischisierung des Filmerlebnisses und der Kinogeschichte 159 notwendig, damit der gegenwärtige Unterhaltungswert, die Attraktion für eine heutige Rezeption deutlich wird. Auf der anderen Seite kann die Leistung von Universal in der Restaurierung nur wahrnehmbar und damit gewürdigt werden, wenn die historische Dimension, die Tatsache, dass der ursprüngliche Film ‚älter‘ ist, ein Vorleben im kulturellen Gedächtnis und gar im Kanon innehat, simultan als Folie des Affekterlebens vorhanden ist. Die historische Dimension wird hier nur denotiert, sie wird in das Imaginäre und den Erinnerungsprozess des Zuschauers verlegt: Die historische Dimension bleibt dezidiert unspezi- fisch und konkret phänomenal meist abwesend, oder sie wird ostentativ aus- gelöscht (etwa das ‚Wegwischen‘ von Schäden im Fall der Restaurierung von Pillow Talk). Sie wird aber als virtuelle Folie für die aktuelle Affektwirkung gleichwohl benötigt. Affekt- und Erinnerungs-Bilder konstituieren in ihrem Zusammenwirken und in ihrer Interdependenz die ästhetischen Prinzipien dieses Werbefilms; Affekt-Bilder betonen das Präsentische der audiovisuellen Erfahrung, während Erinnerungs-Bilder über propositorische Strukturen das Wiedererkennen nahelegen: Ob dieses nun individueller oder kollektiver Natur ist – die hier be- schriebenen Bildstrategien arbeiten mit der Suggestion, dass sie im kollektiven Gedächtnis einen Platz als unbedingt erinnerungswürdig innehätten. Affekt- sowie Erinnerungs-Bilder ermöglichen heterogene zeitliche Er- fahrungen, die immer auch mit Erfahrungen des Abwesenden und mit der Aktivierung des Virtuellen spielen. Im Zeichen des in diesem Kontext ent- stehenden Wahrnehmungsmodus einer Fetischisierung gilt es festzuhalten, dass es im Präsentischen des filmischen Eindrucks zu einer Verwebung von persönlicher und kollektiver/allgemeiner Erinnerung kommt. Über die somatisch-affektiv wirkenden Reizbilder werden diese Vergegenwärtigungen von Erinnerung als begehrenswerte vermittelt. Insbesondere Letzteres wird in der folgenden Montagesequenz aus Titeln deutlich, die aus weiteren Fragmenten der von Universal restaurierten Filme besteht (Abb. 4.14–4.15): Abb. 4.14 Franziska Heller - 978-3-8467-6460-2 Heruntergeladen von Fink.de01/03/2022 12:27:50PM via free access 160 kapitel 4 Abb. 4.15 Filmästhetisch werden Topoi wie Freiheit und Aufbruch vermittelt (so etwa im Bewegungssog eines Flugzeugs aus Out of Africa, 1985). Diese werden er- gänzt durch teaserhafte Bilder aus dem Horrorgenre (Bride of Franken- stein, 1935); dann wieder schockhafte, affektsteigernde Einstellungen: Tippi Hedren wird frontal von einem aggressiven Schwarm von Vögeln verfolgt (The Birds, 1963).25 Auditive Affekt- und Erinnerungs-Bilder Eine besondere Rolle spielt der Ton. Im Montagezusammenhang des unter- suchten Werbefilms schafft er in der Narration über Geräusche und Musik wichtige Verbindungen in der Darstellung von analoger und digitaler Film- technik. Im Wahrnehmungshorizont des Zuschauers wird – ähnlich wie es bei den Bildkompilationen der Fall war – eine organische, bruchlose Bewegung von der einen zur anderen kreiert. Die Stimmen der ‚Experten‘, die in Form von Talking Heads als Autoritäten eingeführt wurden, übernehmen die Funktion, als Voice-Over über Montagesequenzen ein einheitliches Narrativ über die Restaurierungsarbeit bei Universal zu konstruieren. Überblendungen, Montage und Kameraführung unterstützen in ihrer Dynamik den Eindruck von fließenden, verlustfreien Übergängen von eigent- lich sehr heterogenem Material – es fügt sich alles zu einem organischen Erleb- nisfluss. Dabei ist wichtig festzuhalten, dass die fragmentarischen Filmzitate in 25  Eine auch bildmotivisch – und nicht nur filmgeschichtlich – historische Dimension wird mit der emotionalisierenden Ebene verknüpft, wenn man am Ende dieser Sequenz sich mitten auf den Schlachtfeldern des Ersten Weltkrieges wiederfindet. Die Kamera wird von flüchtenden Soldaten übersprungen und fast umgerannt, man hört Kampfgeräusche. Eine Totale enthüllt chaotisches Schlachtgetümmel im Grabenkrieg. Bombeneinschläge schleudern Erdfontänen empor, die fast das ganze Bild einnehmen. Zu dieser Montage von Bildern aus All quiet on the Western Front (1930) hört man die Experten- stimme aus dem Off, die die Aufgabe der Filmarchivare und -restauratoren bei Universal beschreibt: die historischen Werke, die Geschichte am Leben zu erhalten und für zu- künftige Generationen zu erhalten. Franziska Heller - 978-3-8467-6460-2 Heruntergeladen von Fink.de01/03/2022 12:27:50PM via free access Fetischisierung des Filmerlebnisses und der Kinogeschichte 161 den emotionalisierenden Montagesequenzen nicht in einer remediatisierten Form – etwa gerahmt von beziehungsweise in Computerbildschirmen – vom Werbefilm gezeigt werden: Die zitierten fiktionalen Erlebniswelten sind in ihren Ausschnitten nicht als Zitat markiert, das heißt im Moment des Zitierens wird die Erlebnisqualität des jeweiligen Fragments als konkret phänomenale Erfahrung funktionalisiert.26 Bei dem Ton wird dieses Verfahren zwischen Hypermediacy und Immediacy noch deutlicher (Bolter/Grusin 1999, vgl. hierzu grundlegende Ausführungen  Kap. 2 sowie den nachfolgenden Exkurs I in diesem  Kap. 4 zu historiografischen Dynamiken). Die organische Einheit, vor allem auch mit Anreizen für eine affektive, un- mittelbare Reaktion seitens des Rezipienten, wird durch die immer wieder eingestreuten Passagen aus den jeweiligen diegetischen Sounddesigns der zitierten Filme gestiftet. Wenn etwa unruhiger, verstörender Flicker als Schaden im analogen Filmstreifen erklärt werden soll, so wird dies mit einer Einstellung auf Draculas Schloss aus der Filmversion von 1931 gezeigt und mit der unheimlichen Originalmusik des Films unterlegt. Diskursiv gelesen ergibt dies als Narrativ: Flicker als Verstörung der Weltwahrnehmung. Ton als sinnliche Vermittlung des Mehrwerts einer Filmrestaurierung findet seinen deutlichsten Ausdruck, wenn der Werbeclip Audiorestaurierung illustriert. Die Wiederbelebung eines historischen Werks durch die Tonres- taurierung wird mit einem Spielfilmfragment zum Ausdruck gebracht: „I am Dracula“ verkündet der ewige Untote in einem Filmausschnitt (Abb. 4.16). Abb. 4.16 26  Dieses wirkungsästhetische Verfahren hat eine restaurierungspolitische Entsprechung: Die Mitarbeiter von Universal formulieren als Talking Heads, dass für sie bei der Restaurierung der Primat des ungestörten audiovisuellen Erlebnisses sowie der der Unterhaltung im Vordergrund steht. Nach dieser Formel würden Entscheidungen in der Restaurierung getroffen werden. Wichtig sei es, dass die Vision des Autors (Regisseurs, Kameramann etc.) beibehalten werde: „We are not altering the filmmaker’s vision but we are removing things that are detrimental for the experience, that are distracting … now we have tools to be able to deal with that.“ Franziska Heller - 978-3-8467-6460-2 Heruntergeladen von Fink.de01/03/2022 12:27:50PM via free access 162 kapitel 4 Die Montage des Werbefilms zeigt hier, dass digitale Technik nicht nur wieder- belebt, sondern bislang Unerhörtes wahrnehmbar macht: eine Tondimension, „that wasn’t really heard in the past“ – so der Expertenkommentar des Clips. Der Zuschauer des Werbefilms kann sich direkt selbst davon überzeugen: Es wird ein Vorher–Nachher der Restaurierung am Beispiel des Fiepens von Mäusen und Ratten in Draculas Keller vorgeführt. Auch hier wird der Zu- schauer mit einem Ausschnitt aus dem Spielfilm von Dracula aufgefordert: „Listen to them!“. Auf diese Weise wird über den Ton eine organische Bewegung zwischen präsentischen Affektstimulationen und ständigen Anreizen zur Modellierung von Erinnerungs-Bildern kreiert. Wieder changieren die initiierten Erinnerungs- Bilder strategisch zwischen individuellen Reaktionen wie Assoziationen und einem suggerierten kollektiven filmhistorischen Wissen. Zeitliche Projektionen in die Zukunft. Ein organisches Ganzes Eine letzte wichtige wirkungssästhetische Funktionsweise des Zusammen- wirkens von beschriebenen Affekt- und Erinnerungs-Bildern ist die Projektion der zitierten fiktionalen Universen nicht nur auf die Restaurierungstätig- keit von Universal, sondern – und damit der kommerziellen Logik folgend – auch auf den Mehrwert der Distribution auf digitalen Trägern wie DVD und Blu-Ray-Disc. Das Ende des Werbefilms weitet die Idee eines organischen Ganzen der von Universal repräsentierten Filmgeschichte auf einen gemeinschaftlichen überzeitlichen Emotionsraum und eine allgemeine Bewegung in die Zu- kunft aus. Nachdem die einzelnen zu lösenden technischen Probleme der digitalen Filmrestaurierung vorgestellt wurden, folgt eine Montagesequenz von Spielfilmfragmenten mit lachenden Protagonisten, meist gebunden an Starpersonae – von Robert Redford und Paul Newman bis hin zu Doris Day und Rock Hudson (Abb. 4.17). Das Gelächter ist laut zu hören. Diese Exaltiert- heit überträgt sich auf die gezeigten Körper: Es folgen Tanz- und Partyszenen aus den 1930er/40er Jahren (Abb. 4.18). Abb. 4.17 Franziska Heller - 978-3-8467-6460-2 Heruntergeladen von Fink.de01/03/2022 12:27:50PM via free access Fetischisierung des Filmerlebnisses und der Kinogeschichte 163 Abb. 4.18 Die Experten-Voice-Over kommentiert: Man könne die Arbeit der Archivare als die eines „caretakers“ (Hüters, Pflegers) bezeichnen. Die Filme, die damals gedreht worden seien, seien nach ihrer Kinoauswertung weggeräumt („put away“) und vergessen worden. Aber sie, die Filmarchivare von Universal, sähen sie als unser aller Erbe an; deshalb liege darin eine überzeitliche Ver- antwortung für spätere Generationen, für unsere Kinder und Enkel – Gregory Peck umarmt hierzu seine Filmtochter in einem Ausschnitt aus To Kill a Mocking Bird (1962); Einstellungen von digitalen Arbeitsplätzen (Scanner, Bildbearbeitung); die Bildschirme zeigen panoramatische Einstellungen von einem Himmel (Abb. 4.19–4.21). Abb. 4.19 Abb. 4.20 Franziska Heller - 978-3-8467-6460-2 Heruntergeladen von Fink.de01/03/2022 12:27:50PM via free access 164 kapitel 4 Abb. 4.21 Letztere öffnen damit metaphorisch den Blick ins Unendliche, in die lebendige digitale Zukunft: Filmrestaurierung wird zugleich erneut mit der Metaphorik phantastischer Wiederbelebung und Wiederauferstehung konnotiert, wenn der Ausschnitt eines Frankenstein-Films gezeigt wird – mit der emotional von einer Figur gerufenen diegetischen Dialogzeile: „It’s alive, it’s alive, it’s alive!“ (Abb. 4.22). Abb. 4.22 Mit Bezug auf den Anfang des Werbeclips wird in einer zyklischen Struktur nun wieder Bob O’Neill gezeigt: Über die Anstrengungen in Restaurierung und Sicherung würde man es ermöglichen, die Filme noch in 50 und 100 Jahren sehen zu können. Mit dem Zitat des Schlussbilds von Jaws schwimmen zwei glücklich Überlebende des Haiangriffs in Richtung des verheißungsvollen Horizonts … (Abb. 4.23). Der Werbefilm endet daraufhin mit der Einblendung von Tafeln, die die gezeigten und zitierten Titel auf DVD und Blu-Ray-Disc ankündigen. Die Schlusssequenz setzt bereits etablierte Verfahren des Werbefilms fort und verdichtet sie: Attraktionen der zitierten fiktionalen Universen und Formen phänomenaler Bild- wie Tonwahrnehmung werden über die Montage auf Franziska Heller - 978-3-8467-6460-2 Heruntergeladen von Fink.de01/03/2022 12:27:50PM via free access Fetischisierung des Filmerlebnisses und der Kinogeschichte 165 Abb. 4.23 den (technischen) Restaurierungsdiskurs projiziert. Eine hohe Frequenz von emotionalisierenden Einstellungen und Aufnahmen ‚durchtränken‘ die Bilder- folgen (vgl. Begriffsgebrauch von Deleuze 1997a: 150–151). Damit erfahren die tatsächlichen Restaurierungspraktiken eine intensive ästhetische Vermittlung, aufgeladen durch ständig kopräsente Stimmungen und Atmosphären der zitierten Filme. Darüber hinaus wird in der Erfahrung des Zuschauers über Schlüsselreize das positive Resultat der Restaurierung nachhaltig affirmiert und aufreizend-lustvoll aufgeladen. Dem Zuschauer werden über die Montage, etwa von Gelächter oder den rhythmischen Tanzszenen, appellativ und ostentativ Emotionen und körperliche Reaktionen auf die zitierten Filme sowie auf die beworbene Aktualisierung nicht nur nahegelegt, sondern fast schon auferlegt. So generiert die ästhetische Struktur den Eindruck einer Ver- heißung – aus dem Moment heraus hin auf die besondere potenzielle Erleb- nisqualität und kommende körperlich fühlbare Vergegenwärtigung der Filme. Filmerlebnis und Filmrestaurierung – und mittelbar auch Film- und Tech- nikgeschichte – werden als ein umfassendes organisches, konfliktfreies be- wegendes Ganzes vermittelt, in dem zeitlose Unterhaltung im Vordergrund steht; dies wird mit universellen Topoi einer generationsübergreifenden globalen Gemeinschaft (man denke an die sich drehende Weltkugel im Logo von Universal) verbunden. Diskursiv wird dies übertragen auf die zwei medientechnischen Welten – analog und digital –, die in einem konflikt- freien Austauschverhältnis stehen und wieder als in einem Universum geeint dargestellt werden. Immersives, von Spannung, Unterhaltung und Affekten tief imprägniertes Filmerleben an sich wird im Kontext dieses Werbefilms zu einem fetischisierten, überhöhten zeitlosen Mythos, den man zu Hause medial individuell verfügbar halten kann. Die Faszination bleibt aber nur dann als Mehrwert bestehen, wenn der Zuschauer/Konsument sich auf das hier ästhetisch zelebrierte Ritual der zeitlichen Vielschichtigkeit der wechsel- seitigen Bilder einlässt und damit stets etwas Abwesendes im Moment mit- spürt – das immer präsente Verlangen auf ein Mehr auf unterschiedlichen Franziska Heller - 978-3-8467-6460-2 Heruntergeladen von Fink.de01/03/2022 12:27:50PM via free access 166 kapitel 4 Ebenen. So versprechen diese Bilder unter anderem auch paradoxerweise – trotz aller möglicher medialer Verfügbarmachung in der Privatheit des eigenen Heimes –, Teil einer virtuellen Erinnerungsgemeinschaft zu werden: Es ist das Versprechen der Teilhabe am kollektiven Gedächtnis der Filme beziehungs- weise der filmischen Universen. Dies sichert einen Wahrnehmungsmodus, welcher die notwendige Überhöhung wahrt, die das sinnliche Gebrauchswert- versprechen der digitalen Edition und Distribution ausmacht. 4.5 Fetischisierung phantastischer Erinnerungs-Bilder. Werbeclip zur Platinum Edition (2007) von Disneys Peter Pan (1953) Die zweite Untersuchung widmet sich exemplarisch den ästhetischen Strategien des Clips zur Re-Edition eines sogenannten ‚Klassikers‘, der die DVD mit all ihren digitalen Qualitäten als Träger wie Zugangsform bewirbt. Ähnlich dem Verfahren des ersten Beispiels werden hierbei Erinnerungs- und Affekt-Bilder funktionalisiert, die sich aber noch stärker als im Werbefilm von Universal auf das ‚Image‘ des beworbenen digitalen Dispositivs richten. Auch in diesem Beispiel finden sich Mechanismen der Fetischisierung, die allerdings deutlicher auf die räumliche Dimension des Dispositivs weisen. Gleichzeitig werden Topoi des Märchen- wie Zauberhaften und Phantastischen in Ver- bindung mit dem digitalen Dispositiv gebracht. Dadurch wird diesem eine die Realität überschreitende und transzendierende Qualität zugeschrieben.27 Das besprochene Beispiel ist ein Werbeclip zu der Platinum Edition von Disneys Peter Pan (1953) in einer 2-Disc-Special-Edition (2007). Der knapp anderthalbminütige Clip ruft zum einen die bekannten Motive des Märchens auf, zeigt aber zugleich die neuen Qualitäten und den Mehrwert der aktuellen Edition. Dabei verwendet er vornehmlich eine Voice-Over, die mit Szenen aus dem historischen Disney-Film montiert werden. So dominieren den Clip von Anfang an ästhetische Gesten, die darauf an- gelegt sind, den Zuschauer in seiner Kenntnis des präsentierten fiktionalen Universums abzuholen beziehungsweise die Präexistenz des Werkes im kulturellen Kanon zu suggerieren. Auf dieser Basis wird dann Aufmerk- samkeit und Neugier auf die kommende Attraktion, auf die Variation in der Aktualisierung, geschaffen.28 27  So lautete auch in den 2000er Jahren ein Werbeslogan des Disney-Konzerns für seine DVD-Editionen: „Pure Digital Magic“. Das entsprechend auch visuell gestaltete Logo ist auf DVD-Editionen zu finden. 28  Hediger (2001: 225 ff.) hat das Wechselspiel zwischen Neugier, Attraktion und Refe- renzierung auf Bekanntes als „Nostalgia for the Coming Attraction“ bezeichnet. Franziska Heller - 978-3-8467-6460-2 Heruntergeladen von Fink.de01/03/2022 12:27:50PM via free access Fetischisierung des Filmerlebnisses und der Kinogeschichte 167 Aus einem blauen Nachthimmel fliegt ein goldener Schriftzug heran: „Coming to Disney DVD“. Ähnlich wie bei dem vertrauten Slogan „bald im Kino“ wird der Erscheinungsort des Films zuerst genannt: Von Beginn an wird der Blick darauf gerichtet, wo, wie, über welche Form der Film zu sehen sein wird. Die Kenntnis des Films wird dabei – wie angesprochen – als selbstver- ständlich vorausgesetzt. Dies wird mit dem Eintritt des Zuschauers in das fiktive Universum gekoppelt: Erst der Establishing Shot auf eine nächtliche Straße in London – man wird räumlich in der Zeichentrickwelt verortet –, dann Peter Pan, der durch ein Fenster in das Dachzimmer einsteigt und seinen kindlichen Mitstreitern das erste Mal begegnet. Die Voice-Over verknüpft auf der extradiegetischen Ebene die visuelle Immersion des Zuschauers in die präsentierten Bilder mit der inneren phantastischen Logik des fiktiven Uni- versums. Das Märchen begann, so die Voice-Over, „because they believed“: Man müsse daran glauben, dann könne man mit Peter Pan Abenteuer erleben – dies gilt für die Kinder in der Geschichte wie für den Zuschauer/zukünftigen Konsumenten, dem das Universum über die DVD zugänglich wird. Die Logik der fiktionalen Welt und die der Nutzung der DVD durchdringen sich hier bereits nachhaltig. Peter Pan formuliert mit seiner diegetischen Stimme in einem zitierten Fragment aus dem Film die Bedingung: „All it takes is a little bit of pixie dust.“ Dies wird nun von dem Clip explizit auf die Archiv- qualität des Films und damit symbolisch auf den Status des fiktiven filmischen Universums als wertvolle kollektive Erinnerung übertragen: Aus Feenstaub heraus materialisiert sich eine Tresortür, die sich langsam zum Zuschauer hin öffnet: „Finally releasing from the Disney vaults: Walt Disney’s Peter Pan.“ Es ist aber kein gewöhnlicher Tresor, sondern der auf diese Weise konnotierte Archivschrank hat die Form des konzerneigenen Markenzeichens (Abb. 4.24). So ist die sich öffnende Tresortür in der Silhouette der weltbekannten Mickey-Mouse-Ohren geformt.29 Dieses Bild offenbart mehrere erinnerungs- politische Dimensionen: Zunächst untermauert es den Status des Films als präexistierend, er hat ein Vorleben in bestehenden Diskursen, symbolisch ver- mittelt über die Institution des Archivs.30 Das Archiv als überindividuelles, kollektives Gedächtnis wird somit in den Vordergrund gestellt und gleichzeitig über die Form des Archivschranks von der Firma Disney motivisch verein- nahmt: Selbst das kulturelle Gedächtnis ist Teil des Disney’schen Universums. 29  H. Böhmes Befund zum Verhältnis von Museen, Fetischisierung und Ästhetisierung ist an dieser Stelle sehr sprechend: „Museen arbeiten gegen den Abfall (das Ausgesonderte der Kultur, das Veralten). Sie folgen der Ökonomie der Schatzkammer. Sie betreiben die An- häufung von stillgelegtem, unproduktivem Kapital“ (H. Böhme 2012: 372). 30  Vgl. hierzu auch Steinle (2005 und 2007). Franziska Heller - 978-3-8467-6460-2 Heruntergeladen von Fink.de01/03/2022 12:27:50PM via free access 168 kapitel 4 Abb. 4.24 Gleichzeitig funktioniert der Archivschrank wie ein Tresor, in dem etwas be- sonders Kostbares gelagert wird. Insofern wird der besondere Wert des Inhalts hervorgehoben. Dadurch, dass aber keine Filmrollen im Tresor liegen, sondern die Tür den Blick in das fiktive Universum immersiv freigibt, wird deutlich: Der Wert liegt in dem Versprechen auf das Erleben der phantastischen Welt von Disney. Dies ist das Ziel der Vermarktung, des warenästhetischen Versprechens auf Mehrwert. Die Filmrollen als historisches Artefakt, die im Archiv liegen, wie es etwa im ersten Analysebeispiel dieses Kapitels der Fall war, sind hier in dem Diskurs mitnichten präsent. Aus einem weiteren Sternenschweif aus Feenstaub offenbart sich nun die hier beworbene Attraktion des neuen Trägers und damit des neuen Zugangs: „Walt Disney’s Classic Peter Pan for the first time on a 2-Disc Special Edition DVD“. Mit Momentaufnahmen aus dem Film werden die gewünschten Zu- schauerreaktionen auf diese Ankündigung antizipiert: „Amazing“ – ein kleiner Junge aus Wendys Familie reibt sich ungläubig die dicken Brillengläser. Die Leitmotivik des Feenstaubes wird nun auch in den eingeblendeten Text- teilen aufgenommen: „Anything can happen … with a little pixie dust“. Über die Montage bekannter ikonischer Bilder aus dem Film wird die Verbindung zur historischen Dimension des Werkes aufrechterhalten: So pendelt der Clip in seiner ästhetischen Struktur zwischen fragmenthaften Anstößen zum subjektiven wie kollektiven Erinnern und der ständigen Suggestion, der Grenz- überschreitung von der Realität hin zum Phantastischen zu folgen. Zugleich wird auf der Basis des Symbolrepertoires dieses fiktiven Uni- versums explizit mit Rekurs auf die materialästhetische Ebene nun die Differenz durch die Neuheit eingeführt. Zur Ankündigung „Newly restored“ sieht man in einem Split Screen eine Aufsicht der phantastischen Welt von Neverland, über das sich ein bunter Regenbogen erhebt (Abb. 4.25). Franziska Heller - 978-3-8467-6460-2 Heruntergeladen von Fink.de01/03/2022 12:27:50PM via free access Fetischisierung des Filmerlebnisses und der Kinogeschichte 169 Abb. 4.25 Das linke Bild, mit „before“ markiert, ist bräunlich verfärbt, die Kontraste sind schwach, das Bild wirkt dunkel und verschmutzt; dagegen wird das rechte Bild gestellt, in dem nun das ‚Nachher‘ zu sehen ist. Die Farben sind intensiv, das Bild wirkt im Vergleich klar, lebendig und scharf. Die Anordnung der Bilder in der Leserichtung von links nach rechts lässt das Auge des Zuschauers den Prozess vom ‚Vorher‘ zum ‚Nachher‘, den des Verbesserns, buchstäblich nach- vollziehen: Die Qualität der Überarbeitung wird im konkreten Vergleich im nachvollziehenden Wahrnehmungsakt erfahrbar gemacht (vgl. grundsätzlich zu dieser Bildkonfiguration die Ausführungen in  Kap. 7, Stichwort „ver- gleichendes Sehen“). Leicht variiert, aber in ähnlicher Weise auf der phänomenalen Ebene funktioniert die Vermittlung der restaurierten Tonqualität. Die eingeblendete Textzeile verkündet: „Newly restored […] with Disney Enhanced Home Theatre Mix Surround Sound“. Auf das von der Voice-Over gesprochene „enhanced“ fliegt plötzlich Peter Pan nah an der Kamera vorbei – Wendy wiederholt seine Bewegung, sie fliegt noch einmal um einen Schornstein herum: exakt ab- gestimmt auf das Stichwort „surround“. Peter Pans plötzliche Bewegung hin zum Bildvordergrund überrascht den Zuschauer zunächst. Dies kann auf der phänomenalen Ebene der Bild- bewegung die erhoffte Überraschung beim Zuschauer über die neue Tonquali- tät vermitteln, die anders als die neue Bildqualität nicht konkret illustriert wird und somit in dem Clip nicht hörbar ist. Wendy wiederholt umkreisende Bewegungen. Damit konnotiert sie auf der Ebene der Bildbewegung die Idee eines immersiv umhüllenden räumlichen Surround-Sounderlebnisses. Diese Franziska Heller - 978-3-8467-6460-2 Heruntergeladen von Fink.de01/03/2022 12:27:50PM via free access 170 kapitel 4 Vermittlungsformen der restaurativen Eingriffe beziehungsweise der An- passung des historischen Films an aktuelle Geschmackspräferenzen über rhythmische Bewegungen der Filmszenen und Montagen in Affekt-Bildern, die unmittelbar wirken, sind Programm dieses Clips. Auf der Ebene der un- mittelbaren Bewegtbildwirkung wird so eine Zuschreibung, ein Mehrwert- versprechen – in diesem Fall eine Qualitätsaussage über den Ton – über das hier vermarktete Trägermedium und dessen räumliches Erlebnispotenzial („surround sound“) zum Ausdruck gebracht. Ein zentraler Mehrwert der DVD als digitales Speicher- und Wieder- gabemedium ist neben der beworbenen verbesserten Bild- und Tonqualität vor allem auch die Anreicherung der Filmedition mit (interaktiven) Bonus- materialien. Auch diese werden in dem Clip mit dem fiktiven Universum gekoppelt. So offeriert die DVD „a treasure chest of bonus features“. Dazu ist die Fee Tinkerbell über einer Schatzkarte zu sehen. Auf diese Weise wird das Abenteuer von Peter Pan in Neverland gleichgeschaltet mit dem phantastischen, die Realität überschreitenden Abenteuerversprechen, das den Konsumenten in der (interaktiven) Nutzung der DVD erwartet. Und nicht zuletzt wird das Bonusmaterial als wertvoller „Schatz“ benannt, den es zu ent- decken gilt.31 Das alles – so die Rhetorik und auf Affekt-Bildern basierende Ästhetik des Clips – kann man nur erleben, wenn man den Regeln des fiktiven Universums folgt. Aus Vogelperspektive verfolgt man den Gleitflug der Kinder über das nächtliche London. Damit kann der Zuschauer diese fliegende, gelöste Be- wegung miterleben. Die Texteinblendung formuliert hierzu die einschwörende Bedingung „Believe“ (Abb. 4.26). Nur Kraft des Glaubens können die Kinder in der Fiktion am Abenteuer von Peter Pan teilnehmen, nur mit dem Glauben an Disneys DVD kann der Konsument Teil dieses Erlebnisses werden, das die Realisierung der Phantasie, des Imaginären verspricht. Mit den Möglichkeiten der Nutzung wie etwa der Navigation und Selektion über das DVD-Menü wird darüber hinaus eine direkte Interaktion zwischen außermedialem Zuschauersubjekt und fiktivem Universum des Abenteuers versprochen. Damit wird implizit zugleich eine Verbindung zur Alltagsrealität des Konsumenten angedeutet. Dies verspricht auch eine räumliche Transgression in das Heim und die Lebenswelt des Konsumenten. 31  Zu den Mehrwertversprechen von Special Features vgl. Distelmeyer (2012: 71). Weiterhin zu der Metaphorik des Entdeckens und der Hebung eines Schatzes: Klinger (2006a) bzw.  Kap. 7 der vorliegenden Studie. Franziska Heller - 978-3-8467-6460-2 Heruntergeladen von Fink.de01/03/2022 12:27:50PM via free access Fetischisierung des Filmerlebnisses und der Kinogeschichte 171 Abb. 4.26 Jan Distelmeyer (2012) hat auf den Zusammenhang von den in Spielfilmen eröffneten fiktiven Universen und ihrer Ausdehnung auf die ästhetische Ge- staltung von DVD-Editionen ausdrücklich hingewiesen: Nicht nur eignet der DVD eine spezifische räumliche Komponente über ihre Präsenz und inter- aktive Nutzung zu Hause, im Rezeptionsraum des Privaten (im Unterschied zum öffentlichen Raum des Kinos, vgl. hierzu Klinger 2006a). Darüber hinaus ist auch die Form der Darstellung sowie die Strukturierung des Zugangs zu den auf der DVD gespeicherten Informationen räumlich zu denken – und dies hängt mit der hier zum Ausdruck gebrachten Vorstellung von digital zusammen (vgl. hierzu Ausführungen unter anderem zu Flusser 1992 und Manovich 2001 in  Kap. 2). Nach Distelmeyer orientiert sich die Ästhetik der DVD auffällig an dem, was Rolf Nohr Raumfetischismus nennt (Distelmeyer 2012: 170–171). Raumfetischis- mus als obsessive Präsenz topografischer Elemente kennzeichnet nicht nur die Entwicklung der Computer- und Videospiele – die Exponierung von Räum- lichkeit betrifft darüber hinaus den allgemeinen Erfolg der digitalen Medien und ihrer diskursiven Überformungen. Lev Manovich beschreibt ‚New Media‘ vor allem über zwei Organisationsformen, über Datenbank und Navigation: „‚Räume der Neue(n) Medien‘ sind für Manovich ‚immer Navigationsräume‘“ (Manovich nach Distelmeyer 2012: 171). Dies findet sich in der Praxis des DVD-Designs: Die Menüs (von DVDs) […] wollen ihre Räumlichkeit auf den ersten Blick und Klick beweisen. Was damit ausgestellt wird, ist die Differenz der DVD zu den früheren (aber nicht nur analogen) Speichermedien für Film und Video: ‚das Digitale‘ der DVD (Distelmeyer 2012: 172). Während sich einerseits die Welt des Hauptfilms auf das Interface-Design der DVD ausdehne, was im Sinne des Immersions-/Involvierungsversprechens als Franziska Heller - 978-3-8467-6460-2 Heruntergeladen von Fink.de01/03/2022 12:27:50PM via free access 172 kapitel 4 Remediationsstrategie der Unmittelbarkeit verstanden werden könne, werde gleichzeitig die damit geschaffene Möglichkeit filmbezogener Raumerfahrung als eigene Attraktion von Interaktivität vor Augen, Ohren und Hände geführt (Distelmeyer 2012: 172). Der Werbeclip bildet also eine Form des Raumfetischismus aus, der über die wirkungsästhetischen Strukturen dem Mehrwertversprechen des digitalen Trägers DVD zugutekommen soll. Raumfetischismus bedeutet hier – in Anlehnung an Nohrs Begriff von der „obsessiven Präsenz topografischer Elemente“ (Nohr, zit. n. Distelmeyer 2012: 170–171) –, dass der Clip eine be- sondere Präsenz von ästhetisch-immersiven Strukturen aufweist, die über das (körperlich) Imaginäre den Prozess des Eintauchens in ein phantastisches Uni- versum stimulieren und simulieren. Dieser permanente Stimulationsprozess einer phänomenalen Eintauchbewegung wird verschaltet mit der räum- lichen Dimension des Dispositivs der DVD – konkret über die Aneignung im Privaten sowie über die Interaktivität (des Entdeckens der zusätzlichen Bonus- materialien). Fetischisiert wird somit das Konglomerat aus phantastischem Er- leben sowie den medialen Möglichkeiten eines digitalen Trägers. Entscheidend wirkt – und dies ist auch für die warenästhetische Vermittlung der Qualität des ‚Digitalen‘ zentral – hierbei die Tatsache, dass der Glaube des Zuschauers/ Konsumenten im Mittelpunkt steht; der Glaube an den Film, die Logik der phantastischen Fiktion und an das Produkt der DVD. An dem Beispiel wird deutlich, wie wiederum wechselseitige Bilder ein- gesetzt werden, um über Wahrnehmungsstrukturen kollektive Erinnerungen zu suggerieren, subjektive Erinnerung zu aktivieren und beides in Kombination mit unmittelbarem Erleben über Affekt-Bilder zu funktionalisieren: Zunächst geht es darum, eine Überlagerung von fiktivem Filminhalt und den Zu- schreibungen an die neue Medienumgebung zu erreichen. Dies dient der sinn- lichen Vermittlung der Überzeugungsstrategie zum Kauf des neuen Trägers, der neuen Fassung des Films. Interessant ist, dass sowohl für die Aktivierung der Erinnerung des Zuschauers als auch zur Inszenierung des Neuen ähn- liche phänomenale wirkungsästhetische Strategien verfolgt werden, die mit der (räumlichen) Immersion in das fiktive Universum interagieren. Es ist ein ähnliches Symbolrepertoire, allein der Rhythmus und die Montage zusammen mit der Voice-Over schaffen eine relative Differenz in dem sinnlichen Erleb- nis von nostalgischem Alt und faszinativem Neu. Was sich der Clip speziell zunutze macht, ist die besondere Rolle der Phantasie und des Imaginären: Im Märchenhaften ist das Potenzial des Unfassbaren, des die Realität Über- schreitenden extensiv präsent. Damit wird der Topos einer Transgression des empirisch Fassbaren etabliert. Dieser Gestus – im Filminhalt bereits angelegt –, dass das Unfassbare erlebbar gemacht werden kann, wird übertragen auf die Erlebensdimension der Re-Edition auf einem digitalen Träger. Franziska Heller - 978-3-8467-6460-2 Heruntergeladen von Fink.de01/03/2022 12:27:50PM via free access Fetischisierung des Filmerlebnisses und der Kinogeschichte 173 Grundsätzlicher formuliert, das Neue wird mit dem Imaginären und den sinnlichen, unmittelbaren Erlebensmodi von Bewegtbildern konnotiert und verschaltet. Der digitale Träger ist der augenblickliche, vorläufige Ort des Films – er erhält aber seinen aktuellen Wert über die Imagination des Zu- schauers und Konsumenten; darüber, dass dieser daran glaubt! Auf diese Weise wird das Warenobjekt der DVD über das phantastische Universum und seine Erlebensformen fetischisiert. So lassen sich die formal- wie wirkungs- ästhetischen Strategien des Clips frei nach H. Böhme mit Blick auf die Funktionsweise des (Waren-)Fetischs pointiert zusammenfassen: Die digitale Qualität eines Filmes ist nie das, was von sich aus immer schon digital ist, sondern es muss der Glaube (als spezifischer Wahrnehmungsmodus, FH) er- zeugt werden, dass es so sei (H. Böhme 2012: 370). 4.6 Fetischisierung des Neuen Die folgenden Abschnitte vertiefen die Reflexion über einen grundlegenden medienhistoriografischen Topos, der implizit bereits in den beiden vor- hergehenden Analysen zum Tragen kam: die ästhetische Vermittlung der Differenz von alt und neu in der Erfahrung von Bewegtbildern. Vor diesem Hintergrund werden im Folgenden Verfahren unter dem Gesichtspunkt ästhetischer Prozesse untersucht, in denen sich der Wahrnehmungsmodus der Fetischisierung auf die Vermittlung einer Qualität des Neuen richtet, was sich paradoxerweise immer im Differenzverhältnis zu etwas als älter Be- stimmtem definiert.32 Wie sich schon in dem Begriff ‚New Media‘ andeutet, wird neu wissenschaftsgeschichtlich wie auch in populären Zusammen- hängen oft synonym für digital gebraucht.33 Es soll deshalb im Folgenden auch nicht darum gehen zu definieren, was an digital essenzialistisch neu sei. Viel- mehr liegt der Fokus genau auf der Offenheit, Vielschichtigkeit und damit Un- bestimmtheit der Kategorie digital, die insofern in pragmatischer Perspektive als Wahrnehmungseffekt diskursiver und ästhetischer Praktiken verstanden wird. Vor diesem Hintergrund steht wieder im Mittelpunkt der Untersuchung, 32  Philip Rosen (2001) spricht im Kontext von digitalisierten analogen Filmen auch von „digital mimicry“. Diese Form der Mimikry bringe in ihrer notwendigen Bezogenheit auf ‚ältere‘ Medien „temporal or historiographic conflations“ hervor (Rosen 2001: 314–331). Zu diesem grundsätzlichen Problem, verstärkt durch die Eigenschaft digitaler Bilder, stets von Interpretationsvorgängen abhängig zu sein, vgl.  Kap. 2. 33  Vgl. zum Zusammenhang von digitalen Medientechnologien und der Zuschreibung des Labels neu unter anderem Hartmut Winkler, der bereits in Docuverse (1997: 11) angesichts des Hypes um Multimedia und der Computerfaszination Einspruch gegen die affirmative „Rhetorik des Neuen“ erhoben hat (vgl. hierzu auch Distelmeyer 2012: bes. 175–176). Franziska Heller - 978-3-8467-6460-2 Heruntergeladen von Fink.de01/03/2022 12:27:50PM via free access 174 kapitel 4 wie der Zuschauer über Affekt-Bilder und Erinnerungs-Bilder als Funktions- größe in mediale Vermittlungsprozesse eingebunden wird. Exkurs I: Historiografische Dynamik der Remediation. Kollaborative Vernetzung von alt und neu Bei dem Problem der ästhetischen Vermittlung des Verhältnisses von alten und neuen Medien sei an dieser Stelle kurz auf das bereits erwähnte Konzept der Remediation von Bolter/Grusin (1999) verwiesen. Im Kern geht es in diesem um die Frage, wie und wann ältere mediale Formen ins Verhältnis zu neueren gesetzt und unter Umständen in ihnen aufgenommen werden – zwischen offen- sichtlichem Zitat, Ausstellen des aufgenommenen Mediums (Hypermediacy) und Funktionalisierung der unmittelbaren Wirkungsstruktur des zitierten Mediums (Immediacy). Bolter/Grusin untersuchen ihre Schlüsselfrage nach Immediacy und Hypermediacy in historischen Konfigurationen wie etwa dem „Cinema of Attractions“ (Bolter/Grusin 1999: 156 ff.). Die Autoren diskutieren so mediengeschichtliche Entwicklungen im Spannungsfeld der Frage, wann etwa technologische Innovationen zur Attraktion und die Remediation Teil der Faszination wird.34 Sie fassen mit Blick auf das Attraktionspotenzial des ostentativen Zitierens älterer Medien zusammen: [T]he amazement […] requires awareness of the medium. If the medium re- ally disappeared, as is the apparent goal of the logic of transparency, the viewer would not be amazed because she [sic!] would not know of the medium’s pres- ence (Bolter/Grusin 1999: 158). Um die Attraktion der Remediation überhaupt würdigen zu können, benötige man ein Bewusstsein davon, die Möglichkeit der Wahrnehmung, dass hier ein älteres Medium aufgegriffen wird. Gleichzeitig bringe das remediierte Medium auch immer wieder eigene Wirkungsstrukturen mit, die ihrerseits unmittelbar Effekte entfalten könnten. Dies sei die doppelte Logik der Remediation (Bolter/ Grusin 1999: 2 ff.). Wie bereits in  Kap. 2 eingeführt, lassen sich vor allem zwei Modelle der geschichtlichen Dynamik im Verhältnis von vordigitalen und digitalen Medientechniken ausmachen, gerade unter dem Vorzeichen der Möglichkeiten digitaler Medien, analoge Medien zu simulieren und in sich aufzunehmen: das bellizistische und das koevolutive Modell (Segeberg 2012b). Insbesondere Thorburn/H. Jenkins (2004) und auch Segeberg plädieren mit Blick auf digitale 34  So verweisen Bolter/Grusin etwa auf Praktiken rund um das Kinobreitwandformat Cinerama und untersuchen dessen Rekurs auf Attraktionen aus den Jahrmarkttraditionen des frühen Kinos. Franziska Heller - 978-3-8467-6460-2 Heruntergeladen von Fink.de01/03/2022 12:27:50PM via free access Fetischisierung des Filmerlebnisses und der Kinogeschichte 175 Technologien für das koevolutive Modell, in dem die vernichtende Ablösung der analogen Medien durch die digitalen nicht als Konkurrenzkampf zweier antagonistischer Kategorien gesehen wird. Alt und neu sollte man weniger in einem kompetitiven Verhältnis denken als vielmehr als kollaboratives Netz- werk im Kontext einer sich wandelnden medialen und kulturellen Umgebung.35 Damit sich überhaupt Kategorien wie alt und neu herauskristallisieren können, bestimmen Thorburn/H. Jenkins als entscheidende Prinzipien histo- riografischer Dynamik zum einen die Institutionalisierung, zum anderen die Standardisierung – beides kulturelle, gesellschaftliche und ökonomische Pro- zesse, gepaart mit Technikentwicklung. So plädieren Thorburn/H. Jenkins für ein Gedankenmodell der Evolution anstelle einer bellizistischen Sichtweise, die eine Revolutionsrhetorik bemüht. Dieser dynamische, koevolutive Netzwerkgedanke geschichtlicher Dyna- mik, der sich auch im Remediation-Konzept im Zeichen des Zitierens und Re- Formulierens wiederfinden lässt, spiegelt sich zudem in meiner methodischen Vorgehensweise, die Fallstudien – gerade im Modus der Reprise – als zeitliche Cluster zu behandeln, in denen mehrere historiografisch wirksame Schichten koexistieren, die simultan wirksam werden können und als Wahrnehmungs- angebote und -möglichkeiten vorhanden sind. Analysebeispiel: Werbeclip Ben Hur vs. Star Wars Das folgende kurze Beispiel um den Filmklassiker Ben Hur (1959) soll in methodologische Überlegungen einleiten, die sich mit der Frage nach der populären Vermittlung von sogenannten neuen Techniken auseinandersetzen. Der diskutierte Werbeclip für die Elektrofachkette Saturn hat unter dem Titel Ben Hur unterliegt Rakete im Jahr 2011 mediale Aufmerksamkeit in Deutschland erregt (Werben & Verkaufen 2011). Es sind bekannte Bilder, allerdings mit einer überraschenden Wendung: Ben Hur alias Charlton Heston treibt sein weißes Pferd kämpferisch an, die antiken Rennwagen jagen nebeneinander her durch die Arena – ganz zur Begeisterung des tosenden Publikums. Der mit dem ‚Klassiker‘ aus den 1950er Jahren ver- traute Zuschauer erkennt im Gegenschuss den arabischen Patron Ben Hurs, wie er aufgeregt gestikulierend den Titelhelden anfeuert. Wieder Nahauf- nahme: Ben Hur schaut sich nach etwaigen Verfolgern um … Von hinten rast plötzlich – begleitet von einem spielerischen Rhythmuswechsel in der Musik – ein Raketenfahrzeug heran. Das antike Publikum auf den Rängen springt in der 35  „[T]o focus exclusively on competition or tension between media systems may impair our recognition of significant hybrid or collaborative forms that often emerge during times of media transition“ (Thorburn/H. Jenkins 2004: 3). Franziska Heller - 978-3-8467-6460-2 Heruntergeladen von Fink.de01/03/2022 12:27:50PM via free access 176 kapitel 4 Totale auf und jubelt begeistert. Durch die Montage scheint das futuristische Fahrzeug Ben Hur und alle anderen antiken Pferdewagen rasant zu überholen und in einem wahren Geschwindigkeitsrausch hinter sich zu lassen. Es rast nun jenseits der Arena in die offene Weite der Landschaft. Als das Raketen- fahrzeug gen Horizont verschwindet, materialisieren die Kondensstreifen sich zu einem Schriftzug. Dieser wird affirmativ von einer Frauenstimme pointiert ausgerufen: „Weil neue Technik besser ist!“ (Hervorh. FH). Mit dem neuen Claim ‚Soo! muss Technik‘ wirbt die Elektrofachmarktkette Saturn im Advent [2011, FH] um Kunden. Nach dem 50. Geburtstag und dem Start des Online-Shops stellt sich das Unternehmen in der Marketingkommunikation neu auf. […] Im ersten Spot der Kampagne […] inszeniert sich Saturn ganz un- bescheiden in der Szenerie des Filmklassikers Ben Hur. Ein Raketenfahrzeug überholt alle Pferdewagen. ‚Verrückt nach Technik zu sein, ist Emotion pur. Das sollen die Filme für Saturn zeigen‘, sagt Martin Pross, Vorstand […] der Scholz & Friends Group. ‚Saturn ist ein Leistungsriese, da hat Hollywood genau das richtige Format‘ (Werben & Verkaufen 2011). Das zitierte filmische Beispiel ist ebenso wie seine öffentliche Wahrnehmung deshalb beredt, weil es nachstehende Aspekte illustriert: Filmhistorisches Material – in diesem Fall Ben Hur – wird aufgrund seines präexistenten, kanonischen Charakters ausgewählt, um auf verschiedenen Ebenen bewusst heterogen das kollektive Gedächtnis und Erlebnis des Publikums anzuspre- chen. Es wird zur Vermittlung der Qualitäten einer neuen Technik eingesetzt. Die doppelte Anmutung von Ben Hur als alt – sowohl mit Blick auf den Film- inhalt als auch auf die Entstehungszeit des Films (1959) – wird über die Bild- Ton-Montage in ein kompetitives Verhältnis zu etwas Neuem gebracht, in dem innerhalb der Diegese eine aus der Zeit fallende Technik bruchlos eingefügt wird. Zudem wird mittels der Ikonografie auf eine weitere Hollywood-Fiktion verwiesen, die ihrerseits Zukunftsvorstellungen konnotiert: Mit der Rakete wird zugleich Star Wars verbunden. Man denke etwa an das Pod-Race- Rennen aus Episode I – The Phantom Menace (1999), das bewusst von George Lucas an das Wagenrennen aus Ben Hur angelehnt wurde und die Szenerie offensichtlich zitiert.36 In dem Zusammenspiel dieser unterschiedlichen Ebenen geht es da- rum, die Differenz, das Neue der Technik, die Saturn verkauft, sinnlich zu 36  Dem cinephilen Betrachter dürfte sich noch eine weitere zeitliche Clusterebene eröffnen, wenn ihm bewusst ist, dass das Wagenrennen in der 1959er Version bereits eine recht nahe Reinszenierung der Sequenz aus dem Ben-Hur-Film von 1925 mit Ramón Novarro in der Hauptrolle und unter der Regie von Fred Niblo ist. 2016 ist nun eine wiederum aktualisierte Version in die Kinos gekommen (Bekmambetov, 2016). Franziska Heller - 978-3-8467-6460-2 Heruntergeladen von Fink.de01/03/2022 12:27:50PM via free access Fetischisierung des Filmerlebnisses und der Kinogeschichte 177 vermitteln. Diese Neuheit wird maßgeblich an die Imaginations- und Illusions- maschinerie von Hollywood und seiner Industrie geknüpft. Sie wird ästhetisch wie entwicklungsgeschichtlich als qualitativer Sprung dramatisch inszeniert: das Monumentale des Hollywoodkinos als sinnliche Analogie zur Größe der Leistung der neuen Technik bei Saturn. Ästhetisch wird dies vor allem im Zusammenspiel aus der narrativen Grundsituation eines hoch emotiona- lisierten Wettkampfs, dem antiken Setting und der kontrastiven Montage realisiert. Hinzu kommt aber auch der Wiedererkennungseffekt des Schau- spielers Charlton Heston im Kontext der Szenerie, der die Präexistenz des Films als Klassiker – auch in der Opulenz der Bilder – unterstreicht. So wird das kurze Filmfragment zur Chiffre der monumentalen Emotionsmaschine Hollywood, die über das pointierte Zitat selbst in ihrer Wirkungskraft und als Geschwindigkeitsrausch ins Unendliche und Unbegrenzte unmittelbar und phänomenal erlebbar wird.37 Die Präexistenz und das Monumentale – als zeit- lose Überhöhung – werden zwischen individuellem Erleben und dem Status als kollektive Chiffre fetischisiert und vermitteln damit das medientechno- logisch Neue als transzendentale Qualität, an der man als aktiver Konsument nun teilhaben können soll. 4.7 Warenästhetik der neuen Technologien in Bewegtbildern. Werbeclip zur Blu-Ray-Disc von Universal (2010) Im Zeichen der Fragestellung nach ästhetischen Praktiken der sinnlichen Ver- mittlung des Differenzverhältnisses von alt und neu sollen in einem letzten Bei- spiel Formen der somatisch spürbaren Bewegungsspannung erläutert werden. Es wird – so die These – in dem Beispiel eine Wahrnehmungshaltung hervor- gerufen, in der das erlebende Subjekt die Neuheit des beworbenen Produktes über phänomenal wirksame (An-)Reize ständig selbst erprobt. Der untersuchte Werbeclip ist als exemplarisch anzusehen, da – wie weitere Ausführungen zu Wahrnehmungs- und Erwartungskonfigurationen der Rela- tivierung und des Vergleichens vor allem in  Kap. 7 zeigen werden – sich die Topoi und die ästhetischen Vermittlungsformen von Werbeclips in diesem Be- reich nicht grundsätzlich verändern, selbst wenn etwa bei der Blu-Ray-Disc neue medientechnologische Entwicklungen hinzukommen. So lassen sich speziell ästhetische Verfahrensweisen, die mit Affekt- wie Erinnerungs-Bildern 37  Vgl. zum Prinzip der phänomenologischen Einbindung des Zuschauers in Bewegtbilder über Unendlichkeit, Unermesslichkeit und Unabgeschlossenheit meine Überlegungen zu Gaston Bachelard (F. Heller 2010a; vgl. bes. Kap. 3). Franziska Heller - 978-3-8467-6460-2 Heruntergeladen von Fink.de01/03/2022 12:27:50PM via free access 178 kapitel 4 arbeiten, in Werbeclips ausmachen, die auch andere digitale Dispositive wie Video-on-Demand bewerben. Exemplarisch sind Clips von Netflix mit den Titeln Hold on (2014) oder Do you want to have an adventure? (2013). Sogar kurze Werbefilme, die sich Virtual Reality Glasses (Virtual-Reality-Brillen) oder Augmented Reality Apps – wie etwa der von Ikea – widmen, weisen ähn- liche ästhetische Strukturen auf. Exkurs II: Alt und neu im Horizont von Heimkinotechnologien. Vorbemerkung zu medienhistoriografischen Konsequenzen Das im Folgenden vorgestellte Beispiel widmet sich der warenästhetischen Dimension des digitalen Dispositivs der Blu-Ray-Disc. Die vor diesem Hinter- grund behandelten ästhetischen Vermittlungsformen des Neuen implizieren auf konzeptioneller Ebene medienhistoriografische Konsequenzen – wie es auch schon der paradoxe Begriff Heimkino nahelegt. Klinger (2006a) hat das Verhältnis von medialer Gegenwart und Geschichte – gerade im Kontext von Heimkinotechnologien – in einer eher koevolutiven und alinearen Perspektive zusammengefasst: „While a focus on technological innovation tends to privilege the new, developments in home film exhibition have always found a significant place for the old“ (Klinger 2006a: 14–15). Betrachtet man die ästhetischen Ver- fahrensweisen der zitierten Werbeclips zur Blu-Ray-Disc, wird deutlich, dass er mehr oder weniger offen auf die Überwältigung, insbesondere mit Rekurs auf die Größe der Kinoprojektion und damit auf eine historisch institutionalisierte Aufführungssituation von Filmen, abzielt. Wie in dem Beispiel deutlich werden wird, nimmt die Vorstellung eines immersiven Erlebens von Bewegtbildern eine wichtige Rolle ein – interessanterweise kommt hier das Wechselver- hältnis zwischen individuellen und kollektiven Rezeptionsmodi zum Tragen. Topoi von besonderer Nähe im ständigen Wechselspiel mit Distanz zum Ge- schehen rücken in den Mittelpunkt. Auf diese Weise wird die emotionale und affektive Ein- und Anbindung in die Bewegtbilder sowohl konnotiert wie zu- gleich provoziert. Vor allem durch eine phänomenale, überraschende, schock- artige Einbindung mittels klassischer Attraktionsmuster wird ein Mehrwert an Erlebniswelt über den Träger Blu-Ray-Disc transportiert und versprochen. Der vermittelte Mehrwert ist das Neue des Trägers und der Zugangsform – dabei erscheint das Differenzielle neu, das sich ästhetisch artikuliert, entscheidender als die tatsächlichen Eigenschaften und (technisch-abstrakten) Definitionen von digital als Qualitätsmerkmal. Somit hat hier die Warenästhetik von digital zwei Dimensionen: Zum einen erweist sie sich als ästhetische Strategie, die auf die unmittelbare Wahrnehmung des Rezipienten wirkt. Zum anderen zeitigt diese Strategie der Warenästhetik historiografisch wirksame Konsequenzen, da sie auf die Differenzerfahrung von alt und neu beziehungsweise vergangen, Franziska Heller - 978-3-8467-6460-2 Heruntergeladen von Fink.de01/03/2022 12:27:50PM via free access Fetischisierung des Filmerlebnisses und der Kinogeschichte 179 gegenwärtig und zukünftig rekurriert und die Ebenen (implizit) einer Aus- handlung anheimstellt. Distelmeyer beschreibt die Neuheit von DVD und Blu-Ray-Disc in einer methodologischen Perspektive. Er stellt die Schlüsselbegriffe Flexibilität, Versatilität und Selektivität in den Mittelpunkt (Distelmeyer 2012: 178; vgl. hierzu auch Ausführungen zu Eigenschaften digitaler Bilder in  Kap. 2). Diese Begriffe sprengen, so Distelmeyer, maßgeblich das Verständnis von der standardisierten, oft in der Forschung angenommenen stabilen und damit idealen Rezeptionssituation im Kino. Distelmeyer verweist auf die kon- zeptuellen Probleme: „In Gegenwart der Heimvideotechnologie lösen sich Kategorien und Denkmuster (weiter) auf“ (Distelmeyer 2012: 40). Dies weist auch auf die von H. Jenkins (2004) viel zitierte Medienkonvergenz hin. So zeichnet Distelmeyer nach, wie sich von der Laserdisc über die DVD vor allem die Vorstellung der digitalen Interaktivität als Zugangsform zu Filmen ent- wickelt habe: „Die DVD hat ganze (Vor-)Arbeit geleistet, auf die sich die Blu- Ray verlassen kann, um an geeigneter Stelle (zum Beispiel bei BD-Live und In-Movie Experience) ihre neuen Formen von Interaktivität hervorzuheben“ (Distelmeyer 2012: 172). Genau dieser Mythos der Interaktivität als eines der Synonyme für digital (vgl. hierzu auch  Kap. 2) wird in der nachfolgenden Untersuchung später eine wichtige Rolle einnehmen. Der ‚technologische Sprung‘ von der DVD zur Blu-Ray-Disc ästhetisch artikuliert Ein Universal-Clip aus dem Jahr 2010 zur Bewerbung der Blu-Ray-Disc als Speicher- und Wiedergabe- sowie als Zugangsmedium von Filmen erweist sich als sinnliches Achterbahnerlebnis, das einen appellativen Exzess38 in nur 1:52 Minuten entwickelt. Es ist der Aufruf an den Konsumenten, die eigene Filmsammlung auf einen weiteren neuen digitalen Träger umzustellen. Besonders hervorzuheben ist die Tatsache, dass der im Folgenden unter- suchte Clip im Gegensatz zu anderen dieser Art keine Voice-Over verwendet, die die technischen Neuheiten und ihre Versprechen erklären würde. Das vorliegende Beispiel verlässt sich nahezu allein auf die sinnliche Kraft audio- visueller Bilder, und dies markiert exemplarisch die besondere Bedeutung der audiovisuellen Bewegtbildwirkung für die Wahrnehmung dessen, was wir als neu oder digital begreifen sollen. 38  Vgl. zu den allgemeinen (formalästhetischen) Verfahren der Werbetrailer: Hediger (2001: 230). Hediger beschreibt die formalen Kennzeichen von Filmtrailern unter anderem mit Redundanzen (semantischer Dichte), hoher Reizdichte, semantischen Kontrasten und hohen Schnittfrequenzen. Franziska Heller - 978-3-8467-6460-2 Heruntergeladen von Fink.de01/03/2022 12:27:50PM via free access 180 kapitel 4 Die erste Einstellung ist schon emblematisch für die Botschaft. Die Augen werden geöffnet für die neue Sichtweise: Wie von einer augenförmigen schwarzen Maske gerahmt, erblickt man einen fahlblauen, luminiszierenden, bühnenartigen runden Raum, in den sekundenschnell aus der Zuschauer- richtung das Universal-Logo rast. Die Lichtreflexionen evozieren Assoziationen von Spotlights. Die momenthafte Blendung des Zuschauerblicks und die Lens Flares einiger dieser Spots erinnern an den Bildstil von Regisseur Michael Bay, wie er sich in dessen technizistischer, artifiziell anmutender Kamerästhetik in seinen Filmen von The Island (2005) bis Transformers (2007) findet.39 Mit einer hellen Lichtkugel, die laserartig über das Logo von der Seite fährt – dies ließe sich auch als verfremdete Anspielung auf die Leseweise der Disc sehen –, wird der Schriftzug gedreht und enthüllt somit die ‚neue‘ Seite von Universal: In dunklerem, leicht schraffiertem Blau manifestiert sich das „Blu- ray-Disc™“-Logo. Das große darüberstehende B ist teilweise gerahmt von einem Halbkreis, der ikonisch die runde Form der Disc zitiert. Über diese Form wird bereits deutlich: Man ist weit entfernt von der linearen Struktur eines foto- chemischen Filmstreifens. Dazu hört man treibende, leicht repetitive Musik. Das Blu-Ray-Disc-Logo materialisiert sich nur für Sekundenbruchteile, bevor wieder ein neuer Schriftzug aus der Zuschauerrichtung auf der horizontalen Achse geflogen kommt. Man liest nun die Bedingung „When Blu-ray joins forces …“ (Abb. 4.27). Der Schriftzug glitzert im Licht in der hellblauen Um- gebung. Er rast nach nur kurzem Stillstand wieder auf den Zuschauer zu. Es folgt die audiovisuelle Vorbereitung auf die Konsequenz dieses Arrange- ments: Russell Crowe in Nahaufnahme aus Ridleys Scotts Robin Hood (2010). Im Bildvordergrund leicht unscharf der gespannte Bogen, Crowes 39  Lens Flare bezeichnet die sichtbare Reflexion und Streuung von Gegenlicht in einem Linsensystem – auch bezeichnet als Blendenflecke oder Linsenreflexion. Beim Film tritt sie meist bei Einsatz mit anamorphotischen Objektiven auf, wenn sich eine helle Licht- quelle knapp außerhalb des Bildes befindet (Flückiger 2008: 511). Diese Reflexionen werden von Regisseuren wie Michael Bay oder J. J. Abrams als Stilmittel eingesetzt. Letzterer be- gründete den exzessiven Einsatz etwa in seinen Star-Trek-Filmen (2009) damit, dass diese Bildästhetik für „episches Kino“ („big Screen“) stehe (vgl. J. J. Abrams Voice-Over in „on lens flare“: http://www.youtube.com/watch?v=hiAToA3qZcI ; 16.01.2012). Interessant ist hier, dass Michael Bay dies auch in seinen Transformers-Filmen nutzt. Denn der Effekt verweist doch eigentlich auf ein tatsächlich anwesendes, optisch aufzeichnendes Linsensystem. Diese ursprüngliche Konnotation wird nun genutzt, um in computer- generierten Bildern (etwa den Autobots-Aufnahmen in der Transformers-Reihe) eine solche Aufzeichnungsinstanz wieder mitzuimplementieren, obwohl diese doch bei den Aufnahmen der Roboter eigentlich abwesend ist. Dies ist ein Verfahren zum Suggerieren einer größeren Wirklichkeitsnähe – scheinbar verweisend auf eine profilmische Realität (Flückiger 2008: 351–352). Franziska Heller - 978-3-8467-6460-2 Heruntergeladen von Fink.de01/03/2022 12:27:50PM via free access Fetischisierung des Filmerlebnisses und der Kinogeschichte 181 Abb. 4.27 konzentriertes Gesicht zur Hälfte mit Blut überströmt (Abb. 4.28). Die Ein- stellung vermittelt vor allem ein Innehalten in der Bewegung. Dies geschieht über die besondere plötzliche, unvorbereitete Nähe zu Crowes Gesicht, dessen Körper sich in extremer Zeitlupe nur minimal zu bewegen scheint. Es bedeutet einen visuellen Rhythmuswechsel im Vergleich zu dem vorher abstrakten Bildraum. Gleichzeitig illustriert das Bild auch motivisch ein retardierendes Spannungsmoment. Der Bogen wird gespannt. Man wartet, bis der Pfeil, das Geschoss, losgelassen, die Kraft entfesselt wird. Es ist die sinnliche Vor- bereitung des Zuschauers auf die Konfrontation mit etwas Unbekanntem. Abb. 4.28 Und der Clip nimmt die Konfrontation entschlossen an: Mit energischem Schritt tritt ein Junge in einer Gasse direkt auf die Kamera zu und reißt sein Hemd auf, um ein Superheldenkostüm zu entblößen (Ausschnitt aus Kick Ass, 2010). Die Bewegung des Jungen in Richtung der Kamera verstellt für kurze Momente deren Blick, um dann identifikatorisch auf Johnny Depp als einen der Protagonisten in Public Enemies (2009) überzugehen, der sich wagemutig an einem Seil in Richtung Kamera schwingt. Der vermittelte Bewegungsdrang findet sein Ziel in der argumentativen Zu- sammenführung („joint forces“) der Techniken: Auf der blauen Bühne wird in einem weiteren Schriftzug der technische Partner der Blu-Ray-Disc im Kampf („Blu-ray joins forces“) vorgestellt, nämlich „with your HD TV“. Zu beachten ist hier, dass HDTV in der Rhetorik des Clips mitnichten als Objekt der not- wendigen Anschaffung erscheint, sondern vielmehr als ein Waffenbruder der Franziska Heller - 978-3-8467-6460-2 Heruntergeladen von Fink.de01/03/2022 12:27:50PM via free access 182 kapitel 4 Blu-Ray-Disc, deren gemeinsame Macht es (in ihrer Wirkungsästhetik) zu ent- decken gilt. Das angenommene Filmpublikum wird kurz darauf thematisiert und in Habachtstellung versetzt. In einer seitlichen Kameradrehung werden Russell Crowe und sein Gefährte in der Gladiator-Arena (2000) umrundet, sie schauen in die Ränge (Abb. 4.29), um sich des Publikums zu vergewissern. Schauen auch alle zu? Die Musik treibt weiter auf den Höhenpunkt zu: Ein Mann springt über ein Hausdach, dann ein anderer über eine Gasse: Der Titelheld aus The Incredible Hulk (2008) attackiert die Kamera frontal (Abb. 4.30). Kurz bevor sein Körper den Kamerablick verdeckt, wird die entscheidende Frage im blauen Raum gestellt: Was gewinnt man bei dieser Revolution? „What do you get?“ Abb. 4.29 Abb. 4.30 Dass hier etwas Neues vermittelt werden soll, wird noch einmal betont: Was bietet uns die Universal-Blu-Ray-Disc technologisch? Der Vater aus Coraline (2009) präsentiert es in einer buchstäblich ausladenden Geste. Mechanische Roboterhände kommen aus einem Piano auf die Kamera zu und öffnen sich bereitwillig (Abb. 4.31). Das, was man zu sehen bekommt, stellt – so das Versprechen – eine neue raumzeitliche Erfahrung dar, in der wir Dinge so sehen, wie es sonst nicht möglich ist. Ja, mehr noch: Es sind Handlungen, die jenseits bekannter menschlicher Fähigkeiten liegen. Dies zeigt das Hit-Girl aus Kick Ass mit ihrer überraschenden Kampfeskunst ebenso wie die Kamera, die uns in der Franziska Heller - 978-3-8467-6460-2 Heruntergeladen von Fink.de01/03/2022 12:27:50PM via free access Fetischisierung des Filmerlebnisses und der Kinogeschichte 183 Abb. 4.31 Vogelperspektive eine Pistolenladung fast zum Greifen nah kommen lässt. Ver- mittelt wird ein qualitativer Sprung in der menschlichen Entwicklung und in der raumzeitlichen Sinneswahrnehmung. Zeitliche Paradoxa und Sinneserweiterung Es ist auch ein chronologischer Sprung. Es fragt sich nur wohin, wenn der folgende Ausschnitt eigentlich filmhistorisch einen Schritt zurück bedeutet. Was man nun sieht, ist nämlich eine seitliche Einstellung auf ein (hinlänglich bekanntes) Auto auf einem Parkplatz, das in einer Feuerwolke aufgeht. Man ist nun „zurück in der Zukunft“ (Back to the Future, 1985): Marty McFly (Michael J. Fox) und Professor Brown (Christopher Lloyd) schauen erstaunt mit einer überdimensionalen Fernbedienung in der Hand, als die Kamera in Untersicht an sie heranfährt (Abb. 4.32); derselbe Ausschnitt wurde bereits in dem zu Beginn des Kapitels analysierten Werbeclip Restoring the Classics aus dem Jahr 2012 von Universal verwendet. Abb. 4.32 Es sind altbekannte Bilder, Impressionen eines ikonischen Films der 1980er Jahre. Diese werden – so der Eindruck – ein wenig länger stehen gelassen als die vorherigen Snippets aus den aktuelleren Filmen. Vielleicht um ein deut- liches Wiederkennen zu ermöglichen? Denn dieser altbekannte, über 20 Jahre alte Filmausschnitt erzählt gerade über seine ikonografischen Kürzel den technologischen Sprung in die Zukunft der Sinneswahrnehmung via Blu-Ray. In der Dramaturgie des Clips ist es der Moment der Einführung des größten qualitativen (technischen) Unterschieds. Denn der blaue Schriftzug liefert Franziska Heller - 978-3-8467-6460-2 Heruntergeladen von Fink.de01/03/2022 12:27:50PM via free access 184 kapitel 4 sofort den Kommentar (und die Antwort auf die zuvor gestellte Frage nach dem Effekt der „joint forces“): „5 x picture quality of DVD“ (Abb. 4.33). Abb. 4.33 Die neue Qualität wird nun auch somatisch-kinästhetisch wirksam ausgestellt: Die fünfmal höhere Bildqualität wird mit einem Point-of-View-Shot (PoV) in einer animierten Welt kommentiert (Ausschnitt aus dem Animationsfilm Despicable me, 2010). Der PoV-Shot lässt den Zuschauer in die Tiefe einer Achterbahnfahrt auf einem Jahrmarkt stürzen (Abb. 4.34–4.35): Abb. 4.34 Abb. 4.35 So radikal soll das neue Seherlebnis sein! Visuell wird dies verstärkt in dem folgenden Gegenschuss auf die schreienden Insassen des Achterbahnwagens. Mit weit aufgerissenen Augen starren sie in das, was da gleich kommen mag. Interessant ist besonders an dieser Stelle, dass ausgerechnet die Blu- Ray-Disc, die sich medienhistorisch so weit von dem, was Film Anfang des vorigen Jahrhunderts bedeutete, entfernt zu haben scheint, nun motivisch sowie konnotativ wieder auf den Jahrmarkt und das Cinema of Attractions Franziska Heller - 978-3-8467-6460-2 Heruntergeladen von Fink.de01/03/2022 12:27:50PM via free access Fetischisierung des Filmerlebnisses und der Kinogeschichte 185 rekurriert.40 Die mit dem filmischen Medium auf den Kopf gestellte mensch- liche Raum- und Zeitwahrnehmung wird in der Zukunftsperspektive von Blu-Ray aktualisiert: Dies zeigt im Clip der folgende PoV-Shot, als die Achter- bahn einen Looping vollführt. Schon Rodowick (2007) hat eine grundsätz- liche medienhistorische Parallele hervorgehoben, als er schrieb, dass das Aufkommen der Nickelodeons einst in ähnlicher Weise die Wahrnehmung der Zeitgenossen verändert habe wie heute die Digitalisierung der Medien (Rodowick 2007: 2; ferner zu narrativen Registern und zur Darstellung von Digitalem in Fiktionsfilmen: Rodowick 2007: 5 f.). Nachdem der Clip also die neue Wahrnehmungsform (via Blu-Ray) als ‚auf den Kopf stellend‘ eingeführt hat, werden alle Kräfte („forces“41) freigesetzt. In Detailaufnahme sieht man nun, wie endlich der eingangs von Russell Crowe gespannte Pfeil in extremer Slow Motion den Bogen verlässt. Einen Beweis für die besondere Bewegungsqualität – und gleichzeitig auch einen Hinweis auf die besondere Detailgenauigkeit der Bildqualität – stellen die Wassertropfen dar, die wie ein Schweif den Moment des Freisetzens begleiten. Sie machen die Bewegung sichtbar. Übermenschliche Kräfte werden freigesetzt – so der Eindruck –, wenn ‚the incredible Hulk‘ über ein Gebäude springt. In einer Großaufnahme bedroht der Hulk uns mit einem Urschrei. Mittlerweile hat sich ein Chor in die trei- bende, archaisch anmutende Musik des Clips gemischt. Die Konsequenzen der Mutation der Wahrnehmung werden momenthaft gezeigt. Eine Pupille verändert sich, eine Großaufnahme zeigt eine Hand, die sich zur tierischen Klaue entwickelt, im Profil fletscht The Wolfman (ge- spielt von Benicio del Toro, 2010) die Zähne. Nicht nur der menschliche Körper wird transformiert, sondern auch sonstige Ordnungen und Formationen – immer unter dem Vorzeichen einer aggressiven, kampfbetonten Grundstimmung. In einer gelben (Wüsten-)Land- schaft mäht ein Flugzeug Bataillone von Soldaten nieder, ein Tank explodiert in der Luft, während er noch über ein weiteres Auto fliegt. Herkömmliche (außerfilmische) raumzeitliche Ordnungen gelten in diesem Universum nicht mehr, Details kommt eine spezifische eigene Dauer und Ästhetik zu: Wenn James McAvoy seine Pistole in Zeitlupe zückt und die Kugel an Angelina 40  Vgl. überblicksartig zu dem von Tom Gunning geprägten Begriff und seiner Rezeption Blom (2005: 178–183). Ferner einführend zum Verhältnis von Achterbahn und Early Cinema: Rabinovitz (2005: 31–32) zu Amusement Parks. 41  Der Wortgebrauch „force“ lässt neben dem offensichtlichen Rekurs auf Kampfmetaphern auch eine Assoziation an die Star-Wars-Filme und den kultischen Satz „May the force be with you“ zu. Franziska Heller - 978-3-8467-6460-2 Heruntergeladen von Fink.de01/03/2022 12:27:50PM via free access 186 kapitel 4 Jolies Gesicht vorbeischwebt, bewegt sich im Hauch nur eine Haarsträhne (Wanted, 2008). Die akustische Überwältigung. Einhüllung, Affizierung Im Folgenden werden nun mit dem Schriftzug „Cinema quality surround sound“ auch die spezifische Tonqualität und ihre affizierenden Potenziale be- worben. Wie zum Beweis der elementaren Ausmaße der neuen Qualität sieht man in Untersicht Peter Jacksons King Kong (King Kong, 2005) sich auf die Brust trommeln und seinen bekannten Urschrei ausstoßen. Kurz darauf wird die Überwältigungsästhetik mit ihrer Wirkung auch im Bild dargestellt: Eine Energiewelle geht von einer Konzertbühne aus und erfasst das gesamte di- egetische Publikum vor der Bühne (Scott Pilgrim vs. the World, 2010; Abb. 4.36). Abb. 4.36 Dies findet sich auch auf der wirkungsästhetischen Ebene des Clips gespiegelt. Das bewusste Setzen auf kollektive Erinnerungsformationen erscheint wie ein aktives Einbinden des Zuschauers. Es wird damit gespielt, dass Erinnerungen an bekannte Filmbilder – ältere wie neuere – aktiviert werden. Denn der Clip geht über in einen der bekanntesten Schreie der Filmgeschichte: Marion (Janet Leigh) unter der Dusche in Alfred Hitchcocks Psycho (1960). Es mutet schon ein wenig makaber an. Ausgerechnet hier, wenn man an einem höchst meisterhaft inszenierten filmischen Mord teilhat, der film- historisch und -theoretisch seine Brisanz eben durch die wirkungsästhetische und psychologische Einbindung des Zuschauers erhält, erscheint der Slogan „interactivity redefined“ (Abb. 4.37–4.39). Wieder wird anschließend die neue Interaktivität an Kampfmetaphern und an die Konfrontation (über)menschlicher Körper gebunden: Aus Scott Pilgrim … wird in einer intermedialen Ästhetik, gespeist aus Computerspiel- elementen und Repräsentationsformen von Sound im Comic, der Impact eines Faustschlags als Schriftzug visualisiert („Kroww“; Abb. 4.40). Franziska Heller - 978-3-8467-6460-2 Heruntergeladen von Fink.de01/03/2022 12:27:50PM via free access Fetischisierung des Filmerlebnisses und der Kinogeschichte 187 Abb. 4.37 Abb. 4.38 Abb. 4.39 Abb. 4.40 Zirkulation der Bilder. U-Control Was nun folgt, beschreibt die Möglichkeiten der (ortsunabhängigen) An- eignung der filmisch induzierten Erlebniswelten. Auf den visuell illustrierten (Pauken-)Schlag aus Scott Pilgrim … folgt ein kurzes Innehalten der Musik. Dann die Aufforderung „Take control of your own movie“. Was das im digitalen Distributionskontext von Blu-Ray bedeuten soll, zeigen die folgenden Bilder. Es werden mehrere verschiedene Kader als Screens gezeigt, die um das „Take control“-Diktum kreisen (Abb. 4.41). Es entstehen Mise-en-Abyme- Bildstrukturen: ‚Bild-in-Bild‘- oder, neologistisch im digitalen Vokabular, Franziska Heller - 978-3-8467-6460-2 Heruntergeladen von Fink.de01/03/2022 12:27:50PM via free access 188 kapitel 4 ‚Picture-in-Picture‘-Konfigurationen werden vorgeführt. Einer der Bild- schirme, in dem die Funktionsbezeichnung „U-Control“ („You control“) steht, rast in den Vordergrund. Abb. 4.41 In den nun wild rotierenden Bildschirmen erscheinen die unterschiedlichen anwählbaren Ebenen wie etwa „Video Commentaries“ mit Moderatoren. Es ent- steht der Eindruck von einer clusterförmigen Vervielfältigung der Bewegung. Die Gleichzeitigkeit der Ebenen wird in der Kopräsenz der Bildschirme und damit Bildfenster vorgeführt. Von oben fliegt nun ein Smartphone ins Bild: „Bonus content to go – interact with your mobile device“. In dem Bildschirm des Smartphones scrollen, nun um 90 Grad gedreht, wieder The-Wolfman-Bilder. Die Features werden visuell vorgeführt: Mehrere Frames illustrieren die Chapter Selection. Aneignung, Kontrolle, Live, Remediation42 Der Screen des Smartphones wird im Folgenden zur Fernbedienung: „Remote Control and more“. Das für die Blu-Ray entscheidende Mantra „Take control of your own movie“ rauscht unablässig vorbei. Die Fernbedienung wird als medienhistorisches Artefakt zitiert. Sie konnotiert symbolisch die mögliche Verfügbarkeit und Steuerbarkeit von Bildern: Zum einen kann man in den Bildern navigieren. Zum anderen wird damit auf die räumliche Verlagerung der ehemaligen Kinobilder aus dem öffentlichen Raum in den Home-Bereich ver- wiesen.43 Zugleich ist das Smartphone aber auch eine aktualisierte Version der früheren TV-Fernbedienung: Interaktion, Bildaneignung und Kommunikation 42  Vgl. das bereits oben besprochene Konzept von Bolter/Grusin (1999). Zur Kritik an diesem Konzept vgl. u. a. Flückiger (2008: 400 ff.). 43  Vgl. hierzu die Studie von Winkler (1991). Ausgangspunkt von Winklers Überlegungen zu Switching-Zapping ist die Trennung der Bedienungselemente von den (TV-)Geräten und die Platzierung der Fernbedienung beim Rezipienten (Winkler 1991: 10). Ähnlich wie der vorliegende Ansatz untersucht Winkler die Folgen der technischen Modifikationen Franziska Heller - 978-3-8467-6460-2 Heruntergeladen von Fink.de01/03/2022 12:27:50PM via free access Fetischisierung des Filmerlebnisses und der Kinogeschichte 189 kommen in einem Gerät zusammen. Die Fernbedienung ist nur noch ein Tool innerhalb des Smartphones (Abb. 4.42). Abb. 4.42 Unter den Schlagworten Aneignung und Kontrolle über Bilder wird nun die Lebendigkeit und Unmittelbarkeit des Mediums beworben. Die eingeführte Funktion BD-Live steht für die neue Interaktivität, in der man sich über Internetkonnektivität zusätzliche ‚Bonus‘materialien herunterladen kann. Bedenkt man, dass zu Beginn des vorigen Jahrhunderts die Lebensnähe des Mediums Film vor allem ob seines Abbildungscharakters gepriesen wurde, so verlagert sich nun die Idee auf live. In der Verbindung der Begriffe live und interaktiv wird eine Vorstellung von Anwesenheit und Kopräsenz vorgegaukelt, die eine Interaktion in der alltäglichen außermedialen Wirklichkeit zum Vorbild hat. Die neue Nähe entsteht aber hier zu exklusivem Content und zu Previews – zu einem exklusiven Zugang zu neuem Material und Wissen. Live bedeutet nicht die Nähe zu einem spezifischen außermedialen Ereignis, sondern man verbleibt in einem selbstreferenziellen medialen Universum, das (in diesem Falle) von ökonomischen Interessen strukturiert ist. Wichtig ist insofern, dass man mit diesem Livegedanken in ein eigenes sinn- liches Universum eintaucht. Emblematisch visualisiert wird die bizarre Ver- bindung von Interaktivität und Immersion in ebenjenes Universum mit einem freien Fall in die Tiefe. Ein Superheld im roten geflügelten Kostüm schwingt sich vom Dach (Kick Ass): „You’ve got the HDTV“ – dafür gibt es Applaus mit Bildern aus Despicable me (2010) (Abb. 4.43–4.44). Es folgt die humorvolle Antizipation des augenöffnenden Effekts, wenn man sich denn der Technik hingibt: Der nackte Alec Baldwin fragt: „What?“, Steve Martin entfährt ein staunendes „Wow!“ (Abb. 4.45), und Meryl Streep hält sich überwältigt die Hand vor den Mund (alle aus It’s Complicated, 2009). in ihren Wechselwirkungen mit gesellschaftlichen, ökonomisch-politischen, kommu- nikativen und pragmatischen Aspekten. Franziska Heller - 978-3-8467-6460-2 Heruntergeladen von Fink.de01/03/2022 12:27:50PM via free access 190 kapitel 4 Abb. 4.43 Abb. 4.44 Abb. 4.45 Unleashing Moments. Das Potenzial erleben „Now unleash its full potential“ – es folgen kraftvolle Bilder, die jeweils das Be- wegungsmoment von sich entfaltender Kraft vermitteln: Hit Girl führt einen martialischen Tritt aus, ein bewaffneter Mann wird überwältigt durch einen Gegner, der durch ein Fenster springt. Es sind allesamt Snippets, die Über- menschliches zitieren, das über die normale physische Kraft gegenüber den Gegenständen und über physikalische Gesetze hinausgeht. Dies führt zur zentralen Botschaft und (Kauf-)Aufforderung: „Join the Blu Revolution“ (Abb. 4.46). Abb. 4.46 Franziska Heller - 978-3-8467-6460-2 Heruntergeladen von Fink.de01/03/2022 12:27:50PM via free access Fetischisierung des Filmerlebnisses und der Kinogeschichte 191 Zwei übermenschliche Fäuste prallen in einer Großaufnahme aufeinander (Hellboy 2: The Golden Army, 2008): „For true High-Definition“. Es er- scheint wie eine antizipierte Verbeugung vor der technischen Leistung und der Wahrheit („true“): Der Zirkusdirektor in Coraline verbeugt sich, Kinder applaudieren. Die nun gezeigte Konsequenz versinnbildlicht Freiheit und Hin- gebung an das Gefühl: Mama-Mia!-Meryl-Streep (2008) springt von einem Hafenpier ins Meer. In Zeitlupe fliegen ihre Haare, sie schwebt, bevor sie eintaucht. Nun werden Gesten des ‚Erfasstwerdens‘ montiert: Bei Scot Pilgrim … schaltet buchstäblich das Gehirn von „no clue“ auf „gets it“ (Abb. 4.47). Es folgen ‚Erfassungsmomente‘, in denen plötzlich ein Objekt energisch an- gegriffen wird: Brad Pitt aus Ingloriuos Basterds im weißen Smoking wird seitlich von einem Nazi umgerissen; ein Flugzeug schwebt über dem Empire State Building, um – auch diese Szene ist bekannt – unvermittelt von King Kong (2005) attackiert zu werden (Abb. 4.48). Abb. 4.47 Abb. 4.48 Am Ende schließt sich der Kreis: Die Kraft ist entfesselt, der Kampf, die Über- wältigung angesichts der neuen technischen Qualität kann beginnen: Russell Crowes Robin Hood taucht in Zeitlupe aus dem Wasser auf und erhebt mit einem lauten, hallenden Schrei sein Schwert (Abb. 4.49). Die Revolution, die Auflehnung hat begonnen: „For true High Definition.“ Franziska Heller - 978-3-8467-6460-2 Heruntergeladen von Fink.de01/03/2022 12:27:50PM via free access 192 kapitel 4 Abb. 4.49 4.8 Fetischisierung des Neuen in der filmischen Erfahrung. Modellierung memophänomenaler Wahrnehmungsmodi Mit Blick auf die hier untersuchten Problemaspekte spreche ich – wie eingangs des Kapitels erwähnt – in Anlehnung an Hedigers Studie zum Trailer, wenn von ‚Schlüsselszenarien‘ die Rede ist, von Schlüsselreizen oder -spannungen als ästhetischen Verfahren (dies auch mit Anlehnung an Deleuzes zeitphilo- sophische Konzeption der „Glanzpunkte“, die als strahlende Elemente die Interaktion verschiedener Zeitschichten im Bild markieren).44 Einer der wichtigsten Aspekte in den entfalteten Überlegungen ist die Tatsache, dass in dem zuletzt behandelten Beispielclip kein singulärer Film, sondern eine Technologie beziehungsweise – abstrakter formuliert – das Differenzverhältnis älter vs. neu beworben wird. Wenn nach Hediger Trailer Unterhaltungswerte simulieren (Hediger 2001: 235), so simuliert der Universal- Clip das Unterhaltungspotenzial der Blu-Ray-Disc auf einer übergeordneten Ebene, und zwar in Form einer Zitat- und Fragmentstruktur. Diese wird über die fiktionalen, extrem kurzen Filmausschnitte und über ein ineinander ver- schachteltes Cluster von mitschwingenden Storys der zum Teil sehr aktuellen Produktionen (aus dem Zeitraum von 2010) geschaffen – ganz ähnlich dem ersten Fallbeispiel aus Restoring the Classics. Die Filme werden auf einzelne Affekt-Bilder reduziert, sie konstruieren persönliche wie kollektive Erinnerungs-Bilder und montieren diese neu.45 Dadurch entsteht eine ganze Reihe von neuen sinnlichen Reizen und Attraktionen.46 Die einzelnen zitierten 44  Vgl. zu Beginn dieses  Kap. 4 die Ausführungen zu Affekt- und Erinnerungs-Bildern bei Gilles Deleuze. 45  An dieser Stelle ließe sich weiter erörtern, ob nicht das von Deleuze konzipierte reflexive Potenzial ästhetischer Erfahrung (Morsch 2010), das darin liegt, sich von einem anthropo- zentrischen Verständnis, von einem psychoanalytisch definierten Subjekt abzulösen, hier produktiv weiterzudenken ist – gerade in dem stattfindenden Wechselspiel zwischen individuellen und kollektiven Wahrnehmungen und Erinnerungen. 46  In diesem Falle ist es schwierig, zwischen Erinnerungs- und Affekt-Bildern auszu- differenzieren. In dem Universal-Clip gibt es nur wenige Momente, in denen die Franziska Heller - 978-3-8467-6460-2 Heruntergeladen von Fink.de01/03/2022 12:27:50PM via free access Fetischisierung des Filmerlebnisses und der Kinogeschichte 193 Filme fügen sich zu einem panoramahaften Erlebnisuniversum. Im Unter- schied zum ersten Beispiel Restoring the Classics, in dem das Thema der digitalen Filmrestaurierung über wechselseitige Bilder vermittelt und damit das Zeitlose der filmischen Klassiker als Erfahrung fetischisierend profiliert wurde – analoge und digitale Filmgeschichte wurden zu einem organischen Erlebnisuniversum verschmolzen –, richtet sich im letzten Beispiel die zeit- liche Wechselseitigkeit der Bilder auf die Brüche in der Medienentwicklung zu- gunsten einer omnipräsenten Transzendenz und Zukunftsutopie. Das Erleben von Differenzen, das Spielen mit sinnlichen Erwartungen an Zukünftiges, steht im Mittelpunkt. Die Reduktion auf Bewegung und Rhythmus, die immer wieder auf die sinnliche Affizierung, wenn nicht gar Überwältigung des Zuschauers, im wahrsten Sinne ‚auf ihn‘ zielt, findet visuell ihre Entsprechung im Leitmotiv des gespannten Bogens von Robin Hood, bei dem es in der auf Rhythmus basierenden Dramaturgie des Clips darum geht, somatisch wirksame Kraftent- fesselung zu übertragen. Diese Bewegungsspannung in Richtung einer Entladung der Kräfte steht im Dienste der sinnlichen Vermittlung einer sich vollziehenden Revolution. Diese Umwälzung zur Durchsetzung der Blu-Ray-Disc hat vielfältige Implikationen. Ästhetisch wird sie transponiert über eine Revolution der medialen und menschlichen Wahrnehmung. Das Versprechen eröffnet ein neues (Wahrnehmungs-)Universum. Hinter ihm steht indes die Formierung einer neuen (Kauf-)Gemeinschaft. Bereits die ersten Bilder im abstrakten Raum wie auch die Schriftzüge erscheinen als Enter-Befehle (Hediger 2001: 233). Wirkungsästhetisch artikuliert sich dies als revolutionäre Mobilisierung, als Aufbruchsbewegung: Eine alte Ordnung (in diesem Zusammenhang das ältere Medium) wird überholt und in der Utopie einer besseren Zukunft an- gesiedelt (am Ende eines ähnlichen Clips von Fox steht: „The Future is Blu“47; vgl. auch die Analyse des Werbeclips von Saturn). Die Zukunft ist mehrfach präsent – ob in Back to the Future oder in der Verwendung der sprach- lichen Formel „force“, über den das Sci-Fi-Märchen Star Wars konnotiert wird. Hier verbleibt man stets in einer mediatisierten, fiktionalisierten Vor- stellungswelt. Über die Vielzahl der Action- und Kampfbilder wird man zum imaginären Waffenbruder, da man immer mehr in den Sog des Bewegungs- Bekanntheit der Filme explizit suggeriert wird. Vielmehr vertrete ich die These, dass in diesem Clip das Erleben der Gegenwärtigkeit – mit dem Potenzial eines sinnlich attraktiven ‚Mehrwerts‘ (vgl. meine Ausführungen zum Fetischismus) – im Vordergrund steht. 47  „The future is blu. The best way to watch movies at home. Ever“. Vgl. Fox-Blu-Ray: The Future Is Blu – Trailer (2012)  Filmverzeichnis. Franziska Heller - 978-3-8467-6460-2 Heruntergeladen von Fink.de01/03/2022 12:27:50PM via free access 194 kapitel 4 exzesses mit hineingezogen wird; der einsetzende Chor verleiht ihm hymnisch ritualisierende, gemeinschaftsbildende Weihen. Auch der menschliche Körper mutiert und transzendiert seine physischen Grenzen: Superhelden und ihre übermenschlichen Fähigkeiten werden filmisch formelhaft zitiert. Zugleich stellen die (digitalen) Special Effects an sich eine Attraktion und Demonstration aktuellster Filmtechnik dar. Vor allem die aufgebaute Bewegungsspannung arbeitet dem Reprisemodus der Erprobung zu: Die ästhetische Struktur dieses Clips ist darauf angelegt, dass man als Zuschauer ständig das Neue der Blu-Ray-Disc überprüft und in seiner emotionalen, faszinativen Reaktion/Involviertheit affirmiert. Diese Über- prüfung geschieht im Erleben der ständigen Reizüberflutung und appellativen Addressierung. Die so etablierte Spannung dient als phänomenales Mittel, den Zuschauer immer wieder einzubinden. Über den Bewegungssog und über dramaturgische Steigerungsmomente, die mit retardierenden Elementen durchsetzt sind, wird das Bedürfnis auf Lösung der Spannung formiert. Diese eigentlich unspezifischen, auf der phänomenologischen Ebene evozierten Empfindungen übertragen sich auf den Zweck dieses Clips: Es wird ein Bedürf- nis auf dieses Mehr an Erleben, das Neue stimuliert. Zwischen der phänomeno- logischen Vermittlungsstruktur und der inhaltlichen Botschaft kommt es nun allerdings zu einigen Paradoxa: Auf der einen Seite steht die ästhetische und damit affektive Überwältigung. Anderseits wird inhaltlich aber die Aneignung gerade ebenjener Erlebniswelten beworben – vor allem wird deren Kontrolle und Beherrschung nahegelegt. Ästhetisch-narrativ wird die Zugehörigkeit zu einer Gemeinschaft be- ziehungsweise Bewegung („Join the revolution“) vermittelt. Das Verkaufs- versprechen der Blu-Ray-Disc beinhaltet aber auch, dass man nun die Erlebniswelten bei sich zu Hause im Privaten durchleben kann. Daraus ergibt sich eine paradoxe Situation – zwischen Aneignung im Wohnzimmer mit dem Versprechen auf exklusiven, individuellen Zugang zu Bonuswissen; zugleich ereignet sich eine Öffnung des privaten Raums über die Chatfunktion hin zu einer virtuellen Kommunikationsgemeinschaft. Es ist ein Spannungsverhält- nis zwischen Exklusivität, die einem als häuslicher Konsument zugänglich wird, und dem, was Klinger im memopolitischen Horizont „personal mass culture“ genannt hat (vgl.  Kap. 3). In Klingers Formulierung wird erneut die Widersprüchlichkeit der verschiedenen Sphären deutlich: zwischen persön- licher Aneignung sowie Teilhabe an Kollektivität über offene Marktstrukturen und der An-/Einbindung an kollektive Erinnerungspraktiken in Form von kanonisiertem und fetischisierendem Gedächtnis (im Falle der Vermarktung der Re-Edition von alten Filmen). Franziska Heller - 978-3-8467-6460-2 Heruntergeladen von Fink.de01/03/2022 12:27:50PM via free access Fetischisierung des Filmerlebnisses und der Kinogeschichte 195 Es gibt zwar Topoi, die im Kontext des Diskurses um die Blu-Ray-Disc immer wiederkehren – in Distelmeyers Begrifflichkeit hieß dies Flexibilität, Versatilität und Selektivität sowie Interaktivität. Gleichwohl kann die Werbe- rhetorik der Blu-Ray-Disc nicht auf den Dienst der unmittelbaren Wirkung der von ihr re-editierten Filme verzichten: Sie benötigt den Modus der Reprise, um ihre Neuheit vor allem phänomenal als zeitliches Cluster entwickeln zu können. Die dazugehörige Erwartungshaltung sowie die sich vollziehende Wahrnehmungserfahrung sind die einer Fetischisierung von Filmerlebnissen, welche sich wiederum, dies ist ein weiteres Paradox, wirkungsästhetisch auf das Erlebnis von Filmen im Kino bezieht. So stellt sich letztendlich – angesichts all dieser Widersprüche – die Frage nach dem spezifischen Mehrwert der Blu-Ray-Disc gegenüber anderen Trägern. Die Pointe meiner Untersuchung liegt darin, dass die Argumente für die Blu-Ray-Disc in medienhistorischer Sicht im rhetorisch-formalen Kern – betrachtet man die Diskursgeschichte um den Film im Kontext anderer technischer Neuerungen und AV Medien – sich nicht wesentlich von ästhetischen Strategien der Vermarktung früherer medientechnologischer Entwicklungen unterscheiden; so sind solche zu beobachten etwa bei der Promotion der DVD gegenüber der VHS-Kassette, der VHS gegenüber dem Kino oder auch schon früher bei der Vermarktung von 3-D-Technik oder der des Cinerama gegenüber normalen Projektionsformen und Formaten im Kino.48 Einen in diesem Kontext immer wieder auftauchenden audiovisuellen Topos filmischer Attraktion stellt die Evozierung einer Achterbahnfahrt dar.49 Tatsächlich liegt hier eine ästhetische Metanarration aus (Film-)Frag- menten (wie auch schon im einführenden Beispiel!) vor, die eine neue, höchst interessante Form der Warenästhetik mit Blick auf die digitale Domäne ent- wickelt. Will man unter diesem Gesichtspunkt das „ästhetische Gebrauchs- wertversprechen“ der Blu-Ray-Disc (oder anderer aktueller und womöglich zukünftiger digitaler Dispositive von Filmen) nach Haug in den Fokus nehmen, so ergibt sich die pikante Pointe, dass der Gebrauchswert ebenfalls in der ästhetischen Dimension liegt: Die Blu-Ray-Disc verspricht ein erweitertes ästhetisches Erleben, ein gesteigertes Unterhaltungs- und Genusspotenzial. Die ästhetische Verpackung des Versprechens (Filmbilder) fällt zusammen mit 48  Vgl. hierzu etwa die Dokumentation This is Cinerama (1952), die 2012 auf DVD und Blu-Ray veröffentlicht wurde. Vgl. zur Restaurierung von Cinerama-Filmen: http:// www.in70mm.com/news/2011/cinerama/index.htm und http://dvdbiblog.wordpress. com/2011/09/05/cinerama-wird-restauriert/ (alle Abrufe 09.07.2019). 49  Vgl. hierzu: Schweinitz (2006: 135–152, hier bes. 142 ff. – auch mit direktem Bezug zu Cinerama). Franziska Heller - 978-3-8467-6460-2 Heruntergeladen von Fink.de01/03/2022 12:27:50PM via free access 196 kapitel 4 dem Objekt (die wiederaufgenommenen, re-aktualisierten Filmbilder auf Blu- Ray) der Vermarktung.50 Umso mehr gilt hier: Die Warenästhetik ist gemacht, damit die Bedürfnisse sich in ihr spiegeln. […] Diese Akzeptanz [des Produktes bei den Kunden, FH] wird primär angestrebt durch Gebrauchswertversprechen im Modus der Imagination oder des auf eine Kaufentscheidung hin perspektivierten imaginären Raumes, der die Waren um- gibt. Mehr als im Fordismus verschiebt sich die Darstellung von den Dingen auf die ihnen angedichteten Erlebnisfolgen (Haug 2009: 220, Hervorh. FH). Insbesondere auch mit dem Beispiel zu der Re-Edition auf DVD von Peter Pan habe ich hier die Rolle des Glaubens hervorgehoben. Die angedichteten Erlebnisfolgen müssen im gegebenen Kontext dem Modus der Fetischisierung unterliegen, der grundlegend auf dem Prinzip des Wechselspiels – mit Deleuze gesprochen – von Aktuellem und Virtuellem basiert. H. Böhme nennt dies beim Fetisch eine „Kompromissfigur“, welche die heterogene Haltung beschreibe: Diese markiert ebenso die Abwesenheit des Initialobjekts (des Fetischs), das oft der Amnesie unterliegt, wie sie zugleich das Abwesende, als Deckerinnerung, in eine seriell verlängerbare Präsenz zwingt – in jedem neuen Fetisch-Schuh ist die verdrängte Szene aufgerufen, von der der erregende Zauber seinen Ausgang nahm (H. Böhme 2012: 394). Dieser „erregende Zauber“ schafft einen sinnlichen Erfahrungshorizont, der nach den obigen Ausführungen die warenästhetische Dimension digitaler Film- bilder mit Alterswert belegt. Dem arbeiten ästhetische Praktiken zu, die – in Anschluss an Konzeptionen von Deleuze – mit affektiven und erinnerungs-bild- lichen Potenzialen von Bewegtbildern arbeiten. Diese sinnlich-unmittelbare und zugleich zeitlich heterogene Wirkungsdimension von Bewegtbildern, die mit individuellen wie kollektiven Erinnerungsprozessen spielen, bezeichne ich fortan als memophänomenal. Bewegtbildliche ästhetische Praktiken im Zeichen einer memophänomenalen Wirkung machen einen entscheidenden Aspekt von audiovisueller Geschichtsbildmodellierung aus. In  Kap. 6 wird dies in Zusammenhang mit dem Begriff des Filmisch-Imaginären noch weiter 50  Haug ist vor diesem Hintergrund zuzustimmen, wenn er schreibt: „Die Warenästhetik selbst […] ist in vorher ungekannter Weise selbst zum Gegenstand eines paradoxen ‚Konsums‘ geworden, indem ihre Grenzen zum Gebrauchswert der Waren, aber auch zu Information und Unterhaltung und allgemein zu den Produkten der Kulturindustrie durchlässig geworden sind“ (Haug 2009: 219). Franziska Heller - 978-3-8467-6460-2 Heruntergeladen von Fink.de01/03/2022 12:27:50PM via free access Fetischisierung des Filmerlebnisses und der Kinogeschichte 197 diskutiert – nicht zuletzt auch unter Berücksichtigung metatheoretischer Implikationen für Formen der Geschichtsschreibung; hierbei gilt es, das charakteristische Verhältnis von Vorstellungs- und Wahrnehmungsbildern des Filmisch-Imaginären mit in die Überlegungen mit einzubeziehen. Speziell wird dies virulent in Hinblick auf fiktive wie nichtfiktionale Repräsentationsformen filmischer Paratexte, die in besonderer Beziehung zum Technoimaginären der digitalen Domäne stehen.51 Prozesse einer solchen Geschichtsbildmodellierung benötigen grundsätz- lich einen spezifischen Subjektbegriff. Dieser wird insofern zunächst unter dem Stichwort Performance im nachstehenden  Kap. 5 näher präzisiert und theoretisch verortet. 51  Zu dem phänomenologisch ausgerichteten Wahrnehmungsmodell und der Vorstellung eines körperlich erfahrenen ‚Nachlebens‘ oder ‚Eigenlebens‘ von Filmbildern vgl. die ergänzenden Anmerkungen zum ersten Fallbeispiel in diesem  Kap. 4; zu einer mög- lichen Anschlussfähigkeit an Konzepte Aby Warburgs vgl. Sierek (2007). Franziska Heller - 978-3-8467-6460-2 Heruntergeladen von Fink.de01/03/2022 12:27:50PM via free access Franziska Heller - 978-3-8467-6460-2 Heruntergeladen von Fink.de01/03/2022 12:27:50PM via free access kapitel 5 Aspekte digitaler Performance und der Zuschauer als Vollzugsinstanz. Erfahrungsmodi von frühem Kino heute (Cluster II) Im vorangegangenen  Kap. 4 wurde Fetischisierung als ästhetische Strategie analysiert. Kennzeichen war hier, dass die untersuchten Verfahren im Horizont des Technoimaginären der digitalen Domäne eine spezifische, eben fetischisierende Wahrnehmung etablieren. Ein solcher Wahrnehmungsmodus leistet unter den Vorzeichen marktorientierter Interessen einer medien- historiografisch wirksamen Erfahrungsbildung Vorschub. Der vorliegende Abschnitt beleuchtet den zugrunde liegenden Subjektbegriff einer solchen Wahrnehmungsform näher und expliziert den dafür konstitutiven Begriffs- komplex einer – wie ich sie nennen möchte – digitalen Performance.1 Ausprägungen des Performativen kommen auf mehreren Ebenen der he- r auspräparierten Schlüsselverfahren medienhistoriografisch wirksamer Er- fahrungsbildung zum Tragen. Sie sollen im Folgenden anhand heterogener Beispiele methodologisch sowie gegenständlich eingeordnet und erläutert werden. Konkret bedeutet dies, in einem ersten Schritt Erscheinungsweisen historischer Bewegtbilder im Kontext digitaler Medienumgebungen und -technologien unter performativen Aspekten in den Blick zu nehmen. Ins- besondere Wiederaufnahmen von Filmen aus der Frühphase des Kinos in digitalen Medienumgebungen stehen aus unten näher erläuterten Gründen im Mittelpunkt (F. Heller 2014; F. Heller 2013a; zum Begriff der Reprise: das 1  Hier wird an spezifischen Stellen absichtlich der Anglizismus benutzt, um über den Be- griffsgebrauch die technologische Dimension zu konnotieren. Im Kontext von Computer- technologien wird der Begriff gebraucht, um vor allem die Prozessleistung von Tools und Programmen zu beschreiben. Insofern nutze ich bewusst die Vieldeutigkeit des Begriffs. Die nachstehende theoretische Dimensionierung des Begriffes trägt zur Präzisierung der Konzepte der nachfolgenden Kapitel bei. Insbesondere im anschließenden  Kap. 6 wird der Begriff des Imaginären zum einen für die Theorie der Historiografie, zum anderen für die wahrnehmungstheoretische Dimension historischer Filme in Konfigurationen der Reprise erläutert. Das Kap. 6 nimmt, ähnlich wie das vorliegende  Kap. 5, eine begrifflich spezi- fizierende Brückenfunktion ein; dies vor allem mit Blick auf verwendete Konzepte im aus- führlichen  Kap. 7, welches den Abschluss der analytischen Überlegungen anhand von Fallbeispielen darstellt und welches das grundlegende Prinzip relationaler Konfigurationen – von mir als Mise en Relation bezeichnet – wirkungsästhetisch modelliert. © Franziska Heller, 2020 | doi:10.30965/9783846764602_006 This is an open access chapter distributed under the terms of the CC BY-NC-ND 3.0 licFerannszeis. ka Heller - 978-3-8467-6460-2 Heruntergeladen von Fink.de01/03/2022 12:27:50PM via free access 200 kapitel 5 Zwischenfazit  Kap. 3.9). Solche Reprisen werden verstanden als kult urelle Praktiken, die unter heutigen medialen Bedingungen und Interessen den auf- genommenen medialen Phänomenen eine aktuelle Bedeutung wie zugleich eine historische Dimension verleihen. In einem zweiten Schritt werden exemplarisch aktuelle performative Auf- führungspraktiken als Formen einer Filmgeschichtsschreibung besprochen; diese werden vor dem Hintergrund ihrer Stilisierung zum Ereignis mittelbar als Konsequenz der sich ausdifferenzierenden digitalen Medienumgebung gewertet, die im Zeichen einer scheinbar allgegenwärtigen Verfügbarkeit von Filmen steht („myth of availability“, Hagener 2016). 5.1 Aspekte des Performativen im Kontext digitaler Reprisen. Theoretische Dimensionen Konzepte des Performativen lassen sich im vorliegenden Gegenstandsbereich auf unterschiedlichen Ebenen theoretisch ausmachen:2 – Auf der methodologischen Ebene weisen Denkformen des Performativen auf semio-pragmatische Ansätze der Konstitution von Geschichtsbildern hin (vgl. unter dem Begriff Geschichtsbildmodellierung ausführlich  Kap. 3 sowie  Kap. 6). So werden im Folgenden sowohl medienhistorische als auch -technologische Zuschreibungen als kontextabhängige (Wahrneh- mungs-)Effekte von Praktiken diskursiver, ästhetischer, textueller Strategien und dispositivischer Strukturen verstanden.3 Dies gilt vor allem für das je- weils zur Anwendung kommende Verständnis von digital.4 2  Vgl. grundsätzlich zum Konzept des Performativen in der deutschsprachigen Forschung die Ausführungen der Theaterwissenschaftlerin Erika Fischer-Lichte (2004). Insbesondere deren Verständnis von (medialen) Phänomenen als Ereignis (und nicht nur als kulturell les- barer Text) im Horizont von situativen Aufführungspraktiken bietet methodische Anschluss- punkte an die vorliegende Untersuchung. 3  Dies schließt an Überlegungen aus  Kap. 2 an, in denen die unterschiedlichen Möglich- keiten, wie das Medium Film je nach Kontext verstanden werden kann, dargestellt wurden. Flückiger (2012: 3 f.) hat die vor allem in der Archiv-Community geführte Debatte um das Verständnis von Film rekapituliert, um die Referenzrahmen der Transition von historischem Material in die digitale Domäne beschreibbar zu machen: Film könne verstanden werden als historisches, materielles Artefakt beziehungsweise als Filmstreifen (Cherchi Usai 2000), als sein Filminhalt, seine ästhetische Struktur (ästhetische Imago nach Brandi 1963 bzw. Janis 2005) – und eben vor allem als Performance: als dispositivisch geprägtes Projektions- und Aufführungsereignis. 4  Vgl. hierzu jüngst überblicksartig zum Zusammenhang von semio-pragmatischen Ansätzen und (Film-)Historiografie: Czekaj (2015: 24–27) bzw. unten nachstehend Kap. 6. Franziska Heller - 978-3-8467-6460-2 Heruntergeladen von Fink.de01/03/2022 12:27:50PM via free access Aspekte digitaler Performance 201 Ein weiteres Beispiel in diesem Zusammenhang liefert die pragmatische Bestimmung dessen, was ein filmisches Original ist. Hier spricht insbeson- dere Fossati (2009) von verschiedenen Frameworks, die über den pragmati- schen Kontext das Verständnis von Film sowie eines Originals bestimmen. So findet sich die methodologische Tendenz, pragmatische Perspektiven zu Fragen der Filmkonservierung, -archivierung und -restaurierung einzu- nehmen, (implizit) in jüngeren theoretischen Untersuchungen zur Filmres- taurierung wie etwa bei Gracy (2007) und Wilkening (2014); grundsätzlich methodologisch modelliert dies der Filmwissenschaftler Frank Kessler mit seiner Wendung von Roger Odins Ansatz hin zu einer historischen Pragma­ tik (Kessler 2002b und 2010). – Das Konzept Performance kann zudem technologisch in den bildgebenden Prinzipien digitaler Bilder verortet werden. Digitale Daten müssen immer erst von einem Programm, einem Code und mittelbar einem Akteur als Bild oder Film (interessegeleitet) interpretiert werden, um ihre audiovisuell wahrnehmbare Erscheinungsform anzunehmen (vgl. dazu die Ausführun- gen in  Kap. 2). Rodowick (2007) spricht in seiner Reflexion des virtuellen ‚Lebens‘ von Film in der digitalen Domäne hier auch bildtheoretisch von dem Prinzip eines „digital event“:5 As befits the mathematical basis of information processing, the digital event corresponds less to the duration and movements of the world than to the control and variation of discrete numerical elements internal to the computer’s memory and logical processes (Rodowick 2007: 166). – Im wahrnehmungstheoretischen Horizont kommen performative Aspekte in dem hier untersuchten Bereich mit Blick auf spezifische dispositivische Anordnungen zum Tragen, die sich im Kontext des (Waren-)Fetischismus ( Kap. 4) mit Formen des Rituellen verbinden. Dabei rücken vor dem Hintergrund kulturindustrieller Fetischisierung Praktiken des Zurschau- stellens von (historischen) Filmen in den analytischen Fokus; dies gilt vor- rangig für Aspekte der Performanz, die sich mit der räumlichen Anordnung der Präsentation verbinden. Nach der kulturwissenschaftlichen Analyse von H. Böhme (2012: 332) im Zusammenschluss mit soziologischen Über- legungen von Pierre Bourdieu ( Kap. 7) müssen alle Phänomene, die als Tauschwert symbolisch realisiert werden sollen, auf dem Markt auftreten. 5  „A digital event […] is any discrete alteration of image or sound data at whatever scale inter- nal to the image“ (Rodowick 2007: 167). Franziska Heller - 978-3-8467-6460-2 Heruntergeladen von Fink.de01/03/2022 12:27:50PM via free access 202 kapitel 5 Dies kreiert die Performanz oder Theatralität der Waren.6 Die spezifischen räumlichen Bedingungen, die in der Ausstellung, der theatralen Präsenta- tion (der Filme) geschaffen werden, bedingen den nach H. Böhme fetischi- sierenden Wahrnehmungsmodus. Wie in  Kap. 4 dargelegt, beschreibt H. Böhme diesen als Wechselspiel: Erst die Etablierung einer unbedingten Distanz – bei gleichzeitig aufrechterhaltener Performanz des Objekts – ver- wandelt dieses in das unverfügbare Element der Erfahrung, die den Modus der Fetischisierung konstituiert. Zentral ist an dieser Stelle H. Böhmes Er- gänzung, dass diese Fetischerfahrung sich dadurch auszeichne, dass sie der Betrachter nur mit sich selbst machen könne (H. Böhme 2012: 257). Das heißt – und dies wird unten beim Erfahrungsbegriff wichtig werden –, die fetischisierende, performative Wahrnehmungsordnung bedingt ein spezifi- sches Subjekt-Objekt-Verhältnis, das (wie H. Böhme auch in seiner Studie anführt) an phänomenologische Modelle anknüpft (vgl. unten meine Aus- führungen zu Morsch 2011).7 Ich werde dies auf fetischisierende und zu- gleich museale Aufführungspraktiken von Filmen, deren Historizität über ebenjene rituellen Praktiken konstituiert wie ausgestellt wird, applizieren. – Den wahrnehmungstheoretischen Bezug zu digitalen Dispositiven in die- sem  Kap. 5 stellt insbesondere der Rekurs auf den Filmwissenschaftler Francesco Casetti (2010) her, der Performance als zentrale Konsumerwar- tung und Rezeptionshaltung in digitalen Wahrnehmungsformen jenseits des Kinos ausmacht. Er entwirft diese als Gegenbegriff zur Attendance im Kino: Der Zuschauer/Rezipient werde aktiv, er eigne sich etwa über das Internet die Bewegtbilder nach dem Muster eines ‚relationalen Tuns‘/ ‚Handelns‘ an (zum Begriff der Relation vgl.  Kap. 7 zur Mise en Relation). In diesem Sinne wird auch im Folgenden je nach medialer Konfiguration und Wahrnehmungs- beziehungsweise Interaktionsform vom Rezipienten, Zuschauer und auch Nutzer/User gesprochen werden. In Anschluss an die Debatte um das Schlagwort ‚Interaktivität‘ im Kon- text neuer beziehungsweise digitaler Medien, wie sie von Manovich (2001) und Distelmeyer (2012) diskutiert werden, wird in  Kap. 6 und besonders in  Kap. 7 der Rezipient in seiner Funktion als Nutzer zur performativen, 6  Waren müssen ausgestellt werden. Die Entfremdungen in der Produktion und die Mechanis- men des Warentauschs erzeugen zusammen den Warenfetischismus (vgl. hierzu auch die ausführlichen Erläuterungen zu Beginn von  Kap. 4). 7  Zur Erinnerung und Präzisierung im Kontext der Reprise von historischen Filmen: H. Böhme beschreibt Praktiken der Musealisierung und Erinnerung als solche spezi- fischen wahrnehmungsformierenden (räumlichen) Anordnungen, die einen performativen Erlebensmodus hervorbringen und/oder einfordern (vgl. hierzu weiterführend die ein- leitenden Ausführungen in  Kap. 7 zum Status eines „digitalen Kunstwerks“). Franziska Heller - 978-3-8467-6460-2 Heruntergeladen von Fink.de01/03/2022 12:27:50PM via free access Aspekte digitaler Performance 203 sinnlichen Vollzugsinstanz erklärt werden. Dies impliziert, wie oben schon mit H. Böhme diskutiert, ein spezifisches Verständnis des Verhältnisses von (medialem) Objekt und Subjekt. Dazu gehört, die leibliche Positionie- rung zur und in der Welt als Wahrnehmung zu verstehen; eine Verortung, der unter anderem im Anschluss an phänomenologische Konzepte von Maurice Merleau-Ponty das Prinzip der Verzeitlichung des Subjekt-Objekt- Verhältnisses zugrunde liegt. Dieses soll an dieser Stelle mit Blick auf das hier verwendete theoretische Verständnis von Performativität ausführlicher diskutiert werden und mit den Überlegungen zu Aufführungspraktiken von Filmen im (kulturellen) Kontext der digitalen Domäne und ihrer Verspre- chen vermittelt werden. 5.2 Zum phänomenologischen Subjektbegriff im Horizont von Geschichtsbildmodellierungen Theoriegeschichtlich ist zu beobachten, dass das Aufkommen digitaler (Medien-)Technologien Folgen für die Modellierungen filmischer und ästhetischer Wahrnehmung zeitigte, weil sie dazu nötigten, die leibliche Ver- ankerung des Menschen in der physischen Realität in mehrfacher Weise zu re-formulieren. So hat Hartmut Winkler schon 1997 darauf hingewiesen, „dass die gleichzeitige Entfaltung der Computerdebatte und der Körperdebatte kein Zufall ist“ (Winkler 1997, zit. n. Morsch 2011: 13).8 Vor allem im Anschluss an Maurice Merleau-Ponty haben sich in der Film- wissenschaft seit den 1980ern, allen voran mit Vivian Sobchack, phänomeno- logische Wahrnehmungsmodelle entwickelt, die – bei allen Nuancen und unterschiedlichen Argumentationskontexten – zunächst die gegenseitige Konstitution von Subjekt und Objekt im Wahrnehmungsakt zum Kern haben (vgl. etwa Shaviro 1993; Barker 2009; Heller 2010). Es ist eine verzeitlichte Vor- stellung des Verhältnisses des Subjekts zur Welt. Subjekt und Objekt befinden sich in einem fortlaufenden Aushandlungsprozess, im ständigen wechsel- seitigen Vollzug, sie existieren nicht außerhalb von diesem. Die Dinge und man selbst konstituieren sich im Wahrnehmungsakt. Die Wahrnehmung „voll- zieht sich dauernd und konstitutiv in unserem Bewusstsein. Wir sind ein Inter- aktionsgeschehen“ (Schweidler 1999: 502, Hervorh. FH). Diese Verzeitlichung verursacht ein Paradox, denn nach Merleau-Ponty ist Wahrnehmung nicht als 8  So sieht auch Morsch (2011: 13) die kulturwissenschaftliche Konjunktur des Körpers nicht zuletzt als eine Reaktion auf die unterstellte Konsequenz einer medientechnologischen Ent- wicklung: den vermeintlichen Bedeutungsverlust des Körpers. Franziska Heller - 978-3-8467-6460-2 Heruntergeladen von Fink.de01/03/2022 12:27:50PM via free access 204 kapitel 5 Phänomen isolierbar und deshalb nicht gänzlich erfassbar: Wir leben in der Wahrnehmung (Bermes 2003: XI). Damit geht eine notwendige Auseinander- setzung mit der leiblichen Verfasstheit des Menschen in der Welt einher. Der Körper fungiert als maßgebliches Referenzzentrum: Aus phänomeno- logischer Perspektive ist das eigentliche Subjekt der Wahrnehmung der Leib (Stoller, n. Morsch: 60). Er ist der Ort eines eigenständigen Sinnbildungs- prozesses, der im wahrnehmungstheoretischen Begriff der Verkörperung seinen Ausdruck findet. Um den Begriff der Verkörperung versammeln sich Auffassungen, die mit dem cartesianischen Dualismus von Geist und Körper brechen und im Körper das Fundament von Wahrnehmung, Erkenntnis, Ge- fühlen, Sprache und Sozialität erkennen (Morsch 2011: 12). An diese Über- legungen knüpft Thomas Morsch weiterhin den Begriff der Erfahrung. Dabei gilt: „[D]as Performative ist durch die Thematisierung pragmatischer Vollzüge als Kern medialer und ästhetischer Prozesse auch mit der Frage des Körpers aufs engste verknüpft“ (Morsch 2011: 12). Morsch schlägt zur Konzeptualisierung von Medienästhetik vor, den ana- lytischen Fokus auf jene Formen des ästhetischen Ausdrucks zu richten, die auf Körperlichkeit und ‚aisthetischer Performativität‘ (Morsch 2011: 15) be- ruhen. Solche Analysen zielten unmittelbar ins Zentrum einer körperlichen Ästhetik von Bewegtbildern: auf hyperbolische Körper- und Geschwindig- keitsinszenierungen und somatische Adressierungen. Die phänomenologische Theorie erschließt, so Morsch (2010: 69–70), das Medium über die Frage der Erfahrung, die mit einer doppelten – vom Film performativ hergestellten wie gleichzeitig vom Zuschauer mitkonstituierten – Wahrnehmung identifiziert werde. Diese werde wiederum mit der Körperlichkeit – der verkörperten Wahrnehmung des Films und des Zuschauers – in eins gesetzt. Phänomenologische Ansätze sowie die Modellierungen von Morsch möchte ich für die vorliegende Untersuchung wie folgt aufgreifen und kon- zeptua lisieren:9 – Der Zuschauer als (Nach-)Vollzugsinstanz wird im Zusammenhang mit sei- nen sinnlichen beziehungsweise somatischen Wahrnehmungen begriffen. – Wenn es um Historiografie im Audiovisuellen geht, ist weiterhin zu fragen, wie man diese mit Vorstellungen eines verkörperten Wahrnehmungsmodus 9  Der Begriff der ästhetischen Erfahrung soll im Sinne Morschs verstanden werden. Mithin wird dessen Fragestellung nach dem „reflexiven Mehrwert“ (Morsch 2010) im Modus des Sinn- lichen implizit in den Überlegungen weiterverfolgt. Wenn Morsch fragt, wo die reflexiven Potenziale von ästhetischer Filmerfahrung liegen, so knüpfen meine Überlegungen inso- fern daran an, als untersucht wird, wo die (medien)historiografischen Potenziale in den (ästhetischen) Strategien der Vermittlung der Medientransition analog/digital liegen. Franziska Heller - 978-3-8467-6460-2 Heruntergeladen von Fink.de01/03/2022 12:27:50PM via free access Aspekte digitaler Performance 205 vermitteln kann. Insofern gilt: Audiovisuelle Historiografie wird als körper- licher (Nach-)Vollzug performativ gedacht. Im Kontext dieser beiden Prämissen kann man mit Czekaj (2015), die eben- falls filmästhetische Verfahren als Vermittlungsformen historiografischer Zusammenhänge untersucht, den Blick darauf richten, wie geschichtliche Zu- sammenhänge im Wahrnehmungsprozess – im Austauschprozess zwischen Bildern und Wahrnehmendem – ausgehandelt und als somatisches Ereig- nis manifest werden (vgl. hierzu auch die Überlegungen zur Erfahrung des Filmisch-Imaginären in  Kap. 6). Vor diesem Hintergrund lässt sich die Analyse der Fallstudien als Unter- suchung zeitlicher Verhältnisse verstehen, die sich (nur) als audiovisuelle präsentische Passagen vom Analogen ins Digitale im Moment ihrer Aufführung realisieren.10 Die historisierende Referenzierung eines Vorher und Nachher wird – so mein Ansatz – damit immer wieder performativ konstituiert und im Somatisch-Sinnlichen erlebt. Dies beschreibe ich in der Folge als aisthetische Historiografie. Der von dem Technikphilosophen G. Böhme (2001) aufgegriffene Begriff der Aisthetik löst die Vorstellung der ästhetischen Wahrnehmung aus dem dominanten Anwendungsfeld der Kunst und Kunstkritik. G. Böhme verleiht der Aisthetik als analytische Perspektive eine aktuelle Bedeutung für lebensweltliche Zu- sammenhänge und Phänomene: als kritische Theorie der Ästhetisierung gesellschaftlicher Wirklichkeit, Politik und Ökonomie. Insbesondere im Zu sammenhang der ästhetischen Ökonomie spricht G. Böhme vom Insze­ nierungswert von Waren, wobei er auf die von mir ebenfalls bemühte Kritik der Warenästhetik von Wolfang Fritz Haug (2009) rekurriert (G. Böhme 2001: u. a. 18 ff. sowie 32 ff. mit Überlegungen zur Wahrnehmung). Vor diesem Hintergrund schließt mein Ansatz begrifflich an G. Böhmes Überlegungen an. Erinnerungskulturelle Phänome der digitalen Reprisen historischer Filme werden in aisthetischer Perspektive gesehen und in eben- diesen aisthetischen Wirkungsformen als geschichtsbildmodellierend – über eine abstrakt medienhistoriografische Wirksamkeit hinaus – konzeptualisiert. In einem letzten Schritt wäre eine solche performative (Film- und Kino-) Geschichtsbildmodellierung im Zusammenhang mit der Ausbildung eines rituellen Funktionsgedächtnisses (Assmann 1999; Czekaj 2015) zu begreifen – erweitert um eine somatisch erlebbare und auch vom Körper her gedachte Dimension, die einen Teil der besonderen Wirkmächtigkeit ausmacht. 10  Vgl. zu der Adaption von Benjamins Passagenkonzept das Zwischenfazit  Kap. 3.9. Franziska Heller - 978-3-8467-6460-2 Heruntergeladen von Fink.de01/03/2022 12:27:50PM via free access 206 kapitel 5 5.3 Performance und Präsentation von frühem Kino heute. Methodische und theoretische Ansätze Im Folgenden werden vor dem Hintergrund der obigen Überlegungen digitale Reprisen von frühem Kino exemplarisch analysiert. Das Cluster11 frühes Kino digital funktioniert dabei über die Verwebung von Topoi, die sowohl Kenn- zeichen des frühen Kinos als auch zugleich der aktuellen digitalen Medien- umgebung sind. Dadurch ist von vornherein eine zeitliche Schichtung aus Gegenwärtigem und medienhistorisch Vergangenem im Gegenstand gegeben. Vor dem Hintergrund spezifischer Besonderheiten von frühem Kino werden strukturelle Parallelitäten zu heutigen Phänomenen anschaulich, die das Prinzip historiografisch wirksamer zeitlicher Schichtung sinnfällig machen. Dabei wird das Kino der Attraktionen, ähnlich wie es von den Filmhistorikern Tom Gunning (1986) und Frank Kessler (2011) konzipiert wird,12 als ein Dis- positiv verstanden, das in einer räumlichen Anordnung im Zusammenspiel mit filmischen Inhalten einen jeweils spezifischen Modus der Adressierung konfiguriert – und dies unter den Bedingungen der jeweiligen (medien-) historischen Situation (Kessler 2011: 139). Die Produktivität dieses Ansatzes liegt in dem methodologischen Zu- sammendenken von Attraktionen der (präsentischen) Bewegtbildwahr- nehmung mit Fokus auf Ästhetiken somatisch wirksamer Schauwerte auf der einen – und der Annahme von nicht institutionalisierten Rezeptions- situationen auf der anderen Seite. Das heißt, es geraten alternative räumliche Anordnungen der Filmerfahrung in den Blick – jenseits des Kinos, wie sie heute im Kontext von mobilen Bildschirmen und dem technischen Hochrüsten von Heimkinos zunehmend die Bewegtbildwahrnehmung prägen. Der in diesem Zusammenhang verwendete Anglizismus Performance ver- weist auf die mehrschichtigen methodologischen wie technoimaginären Implikationen der Attraktion medientechnologischer Neuheiten. Deshalb verwende ich ein Konzept der Attraktion (digitaler Performance), das ich sowohl auf den Inhalt und die Ästhetik von Filmen aus der frühen Kinozeit beziehe als auch auf die konkrete (räumliche) Rahmung und performative Präsentation; dies 11  Die Fallstudien in Kap. 4–7 werden grundsätzlich als Cluster verstanden und untersucht. Der Begriff modelliert somit digitale Reprisen von Filmen als clusterförmig strukturierte Komplexe. Die clusterförmige Betrachtung ist deshalb gewählt, weil es sich hier um beziehungsetzende Wahrnehmungskonfigurationen und Erlebensmodi handelt, die über kopräsente Schichtungen unterschiedlicher Zeitebenen funktionieren. Zum Begriff des Clusters vgl. ausführlich das Zwischenfazit  Kap. 3.9. 12  Vgl. überblicksartig zu dem von Tom Gunning geprägten Begriff und seiner Rezeption Blom (2005: 178–183, bes. 178 f.). Franziska Heller - 978-3-8467-6460-2 Heruntergeladen von Fink.de01/03/2022 12:27:50PM via free access Aspekte digitaler Performance 207 gilt umso mehr für die situative Inszenierung von technologisch-apparativen Neuerungen in einem bestimmten medienhistorischen Kontext. Insofern widmet sich dieses Kapitel der Mehrschichtigkeit und wirkungs- ästhetischen Attraktion des digitalen Dispositivs von frühem Kino heute – im Horizont des Konzepts einer digitalen Performance: das Dispositiv verstanden als eine performativ erlebte Konfiguration, die über digitalisierende und zu- gleich historisierende Lektüre- und Erlebensformen im Austausch mit dem Zuschauenden/Erlebenden/Nutzenden funktioniert.13 Auf der rhetorischen Ebene einer Mediengeschichtsschreibung nimmt das frühe Kino zudem eine zentrale, selbst-reflexive Rolle ein, wie in system- theoretischer Perspektive vor allem Lorenz Engell (1995) dargelegt hat. Das frühe Kino sei die Konstruktion eines ‚Nullpunkts‘: „Der Anfang eines Systems [hier verkürzt, „Sinnsystem Film“, FH] ist eine Konstruktion durch einen äußeren Beobachter oder durch Selbstbeobachtung“ (Engell 1995: 99). Die von mir vorgenommene Engführung von frühem Kino und dessen (Re-)Präsentationsformen heute schließt an einige Vorarbeiten und aktuelle medienarchäologisch ausgerichtete Forschungstendenzen an (vgl. ähn- liche Ansätze gesammelt exemplarisch unter dem Titel Cinema of Attraction Reloaded: Strauven 2006a; desgleichen zu digitalen Dispositiven von frühem Kino: Broeren 2009). Besonders sprechend hat 2012 die Gesellschaft zur Erforschung des frühen Kinos Domitor eine Konferenz unter dem für dieses  Kap. 5 mehrdeutigen Titel Performing New Media abgehalten (Askari/Curtis/Gray et al. 2014), wobei sie performativen Aspekten von Kino – damals wie heute – eine zentrale Rolle zuwies und sich in die methodengeschichtliche Entwicklung der Film- und Kinohistoriografie wie folgt einordnete: [E]arly venues were […] active sites for the exhibition of films within multi- media performances. Exploring the nature and uses of these hybrid and multi- faceted new media performances at this pivotal historical moment (‚the inven- tion of cinema‘) and analysing their social, cultural, economic and ideological meanings provides this conference with its subject and purpose. By engaging 13  Dabei nehmen die besonderen somatischen Adressierungsmodi der in einer spezifischen Anordnung aufgeführten Filme einen wichtigen Platz ein, weil sie die Attraktion in dem Zusammenspiel ausmachen (vgl. hierzu Strauven 2006b: 21). Entscheidend hierbei ist, dass Kessler „Dispositiv“ als spezifische Form der Adressierung versteht. Unter dieser Maßgabe beschreibt er das „Kino der Attraktionen“ als ein solches Dispositiv (vgl. Kess- ler 2011 zur französischen Schreibweise in Form von „dispositif“). Methodologisch folgt daraus für Kessler der Ansatz, Filminhalt, ästhetische Struktur sowie wirkungsästhetische Dimension mit der performativen Aufführungssituation und deren Rahmenbedingungen (ob technologisch oder institutionell) zusammenzudenken. Franziska Heller - 978-3-8467-6460-2 Heruntergeladen von Fink.de01/03/2022 12:27:50PM via free access 208 kapitel 5 these concerns in Brighton three and a half decades after the famous 1978 FIAF conference, we wish to address and expand the historiography of early cinema in light of recent explorations of the intermedial and performative nature of contemporary new media (Domitor CfP 2012 sowie Askari/Curtis/Gray et al. 2014: 3 f.). Eine ähnliche Perspektive wählte auch die 2011 erschienene KINtop- Buchausgabe, die sich insbesondere der Reflexion und Konzeptualisierung heutiger Aufführungsformen und deren Implikationen verschrieben hat: Early Cinema Today. The Art of Programming and Live Performance (Loiperdinger 2011). Der Band formuliert in unterschiedlichen Beiträgen die These, dass eine heutige Programmierung frühen Kinos in ihrer Planung die Bedürfnisse und mediale Konditionierung des heutigen Publikums antizipiere und im Dis- positiv zeiträumlich verankere. Damit würden – mehr oder weniger explizit – Annahmen über mögliche, notwendige Aktualisierungen des historischen Materials im heutigen Aufführungsmodus getroffen. Methodisch bedeutet dies, so Loiperdinger (2011: 3), die heute dringend notwendige Auseinander- setzung mit dem „performative turn of today’s early cinema presentations“ zu unternehmen.14 Hier ordnet sich in mehrfacher Hinsicht das vorliegende  Kap. 5 ein. 5.4 Memophänomenal wirksames Clustering. Bridging the gap, marking the difference Der von Loiperdinger (2011) formulierte Ansatz wird wahrnehmungstheo- retisch mit Frank Kesslers weiteren Überlegungen zum Dispositivbegriff zusammengebracht. Kessler (2011) entwirft das Modell eines zeitlichen Clus terings – wie ich es fortan nenne – für die Programmierungsstrategien musealer Screenings. Es ist – so meine Adaption dieses Ansatzes – ein wir- kungsästhetisches Modell zeitlicher Differenzerfahrung im ereignishaften Er- leben historischer Filme heute. Der Begriff der Attraktion(en) ist in diesem Kontext in einer transhistori- schen wahrnehmungstheoretischen Perspektive zu sehen – eng verbunden 14  In dem zitierten Band wird dieser performative Turn ab 2007 mit der Etablierung des Events des Crazy Cinématographe auf dem Luxemburgischen Jahrmarkt Schueberfouer festgestellt. Der Crazy Cinématographe imitierte und aktualisierte das Schausteller- dispositiv eines Kinos inklusive eines Filmerklärers (Loiperdinger 2011). Zur digitalen Edition der Filme auf DVD in der Edition Filmmuseum vgl. Edition Filmmuseum 18 (2012/2007)  Filmverzeichnis. Franziska Heller - 978-3-8467-6460-2 Heruntergeladen von Fink.de01/03/2022 12:27:50PM via free access Aspekte digitaler Performance 209 mit somatischen und sinnlichen Erlebens- und Erfahrungsmodi. In der historischen Sicht haben, wie oben bereits eingeführt, Gunning (1986) und Kessler (2011) darauf hingewiesen, dass es räumliche Anordnungen und In- szenierungsformen gibt, die die ästhetischen Adressierungsmodi der Bewegt- bilder unterstützen und hervorheben. Ich verwende den Begriff der Attraktion(en) bewusst mehrschichtig: sowohl als Beschreibung eines (auch somatisch wirksamen, nicht narrativ ‚gebändigten‘) filmischen Adressierungsmodus, der durch bestimmte Auf- führungssituationen verstärkt werden kann, aber auch als Verweis auf (dis- kursive) Rahmungen durch das Zurschaustellen neuer apparativer medialer Anordnungen und Technologien (vgl. auch oben den Begriff der digitalen Performance). Darüber hinaus kann die Aufführung eines historischen Films das Potenzial zusätzlicher Attraktion(en) bergen; dies umso mehr, wenn sich die Ästhetik des Films für ein heutiges Publikum als fremdartig erweist (nach Gaudreault/ Simard [1995] die „extranéité“, Kessler 2011: 138). Haller/Loiperdinger (2011: 11 ff.) beschreiben dies als einen Wahrnehmungseffekt der Überraschung, der von unmittelbaren visuellen Stimuli provoziert wird. Es entsteht ein Erleb- nis der Fremdheit, was wiederum die spezifische Form des Dispositivs frühes Kino, so Kessler (2011: 39), zu einem wichtigen Teil ausmacht.15 Die Erfahrung der Fremdartigkeit vermittelt eine historische Distanz aufgrund der offen- sichtlichen Abweichung von heutigen bildlichen Darstellungsweisen sowie in Form inhärenter alternativer narrativer Muster. Der Eindruck einer zeitlichen Differenz kann zudem auf der materialästhetischen Ebene zusätzlich durch eine erkennbare Patina und durch sichtbare Gebrauchsspuren vermittelt werden (Schweinitz 2012). Für Kessler (2011) hat die mehrschichtige ästhetische Differenzerfahrung nachhaltige Folgen für die Konzeptualisierung heutiger Präsentationsformen von Filmen aus dem frühen Kino: [The] alien-ness […] needs to be attenuated to some degree in order to make possible an appreciation by the spectators, and on the other hand it needs to be foregrounded to some degree, for otherwise they will indeed be viewed as primi- tive forerunners of a cinema to come (Kessler 2011: 138). So entwirft Kessler für museale Screenings als Dispositive die folgende (auch zeitlich) dialektische Formel: Bridging the gap, marking the difference. 15  „At a more conceptual level it can be useful to address early cinema’s alien-ness in terms of dispositifs“ (Kessler 2011: 138). Franziska Heller - 978-3-8467-6460-2 Heruntergeladen von Fink.de01/03/2022 12:27:50PM via free access 210 kapitel 5 Wahrnehmungstheoretisch gewendet, im Modell eines temporalen Clusterings, bedeutet dies daher für meine Überlegungen, dass museale Programmierungen und Aufführungen (insbesondere) von frühen Filmen heute einen Rezeptionshorizont eröffnen, der auf zwei koexistierenden zeit- lichen Ebenen als interagierendes Netzwerk funktioniert: „The dispositifs of archival or museological screenings, per definitionem, function in a profoundly different way, as they have to both bridge and mark the historical gap“ (Kessler 2011: 139, Hervorh. FH).16 Es geht um das Wechselspiel zwischen dem Eindruck von Nähe – konkretes ästhetisches Erleben und Unterhaltung – und gleich- zeitiger Fremdheit.17 Im gegebenen Untersuchungskontext vermittelt sich dieses Prinzip mit Formen der digitalen Reprise, welche als spezifisches Dis- positiv im Modus der Unterhaltung mit der Lust und Faszination am (Wieder-) Entdecken von fremdem Vergangenen und neuem Technologischen spielt. Unter diesen Vorzeichen erweist sich das Konzept von frühem Kino heute qua Präsentation als ein komplexes Wahrnehmungs- und Erlebensdispositiv. Dieses arbeitet mit sinnlich vermittelter zeitlicher Heterogenität. Einer solchen Konfiguration schreibe ich in besonderem Maße – gemäß meinen Ausführungen in  Kap. 4 – memophänomenale Funktionsweisen zu, die mit dem (leiblichen) Vollzug des Zuschauers arbeiten. In der Folge wird dies an den Fallbeispielen ausgeführt und mit dem zu Beginn dieses  Kap. 5 entworfenen Subjektbegriff vermittelt. Konkret be- deutet diese Herangehensweise, dass die besprochenen Beispiele als sinnlich erfahrbare und zugleich faszinativ wirksame kollaborative Schichtungen unter- sucht werden – in spezifischen Wahrnehmungsanordnungen von digitalen Dispositiven18, die performative Aspekte explizit zur Anschauung bringen. 16  Den diskursiven und kuratorischen Rahmungen kommt hier eine besondere Bedeutung zu: „On the one hand, they pursue a didactic or scholarly project of providing a framework for today’s spectators to appreciate these films as historical objects, that is with regard to their original viewing context, their functions and what they may have meant to their audience at the time. On the other hand, such screenings also want to offer a specific aesthetic experience, which is obviously different from the one viewers are used to nowadays when going to the movies, but which for that very reason should give them a new and unexpected kind of pleasure“ (Kessler 2011: 139, Hervorh. FH). Kessler hebt hier die Bedeutung des Vergnügungs- und Unterhaltungswerts eines derart zu kuratierenden Programms hervor, indem die Andersartigkeit explizit auch für ein Nichtexperten- publikum zum zentralen Aspekt wird. Haller/Loiperdinger (2011) beschreiben dies mit dem Begriff der Surprise. 17  Hier ließe sich auch an bildtheoretische Überlegungen in Anlehnung an die Philosophie von Gilles Deleuze (1997a und b) zur Zeitlichkeit filmischer Bilder anschließen unter dem Stichwort „wechselseitige Bilder“  Kap. 4. 18  Vgl. zum Begriff des digitalen Dispositivs im Kontext des frühen Kinos Broeren (2009: 164). Franziska Heller - 978-3-8467-6460-2 Heruntergeladen von Fink.de01/03/2022 12:27:50PM via free access Aspekte digitaler Performance 211 Vor diesem Hintergrund wird die Frage nach dem Zusammenhang von heutigen Aufführungspraktiken von frühem Film und digitalen Techno- logien gestellt – mit besonderem Fokus auf die Vermittlung eines Attraktions- potenzials, das in beide Richtungen, eben auch in Hinblick auf das Technoimaginäre der digitalen Domäne, wirkt: Even though, once again, the ‚death of cinema‘ is being proclaimed as digital images conquer our media environment, animated photographies from the years around 1900 can work their magic in many and sometimes unexpected ways (Kessler 2011: 145, Hervorh. FH). 5.5 Performance einer Restaurierung. Die Wiederentdeckung von The Soldier’s Courtship (1896) Die folgenden Überlegungen werden anhand einer zeitlich eingegrenzten exemplarischen Fallstudie entwickelt. Das Beispiel dokumentiert, wie eine Restaurierung diskursiv und dispositivisch performativ vermittelt wurde und heute noch wird. Die Praktiken prägen das konkrete Filmerleben, welches – so mein Befund – wiederum das implizit modellierte Geschichtsbild phänomenal in spezifischer Weise affirmiert. Auch wenn es sich bei der hier geführten Diskussion um ein singuläres Exempel handelt, so lässt sich dennoch die Methodik auf ähnliche Fälle aktueller Filmrestaurierung übertragen. Es geht in meinem Ansatz darum, die Geschichte der Präsentation einer Restaurierung auf ihre performativen und damit historiografisch wirksamen Elemente hin zu analysieren. Meine These lautet, dass gerade in der Transition von analogen Filmrestaurierungen in die digitale Domäne in den letzten Jahren (2000–2015) die Dimension des Performativen aus mehreren Gründen an Bedeutung ge- wonnen hat. Zwar sind ähnliche Verfahren der (öffentlichen) Vermittlung neuer techno- logischer Entwicklungen in der Filmrestaurierung schon zu analogen Zeiten zu beobachten. Doch im Zusammenhang digitaler Technologien wandeln sich die diskursiven, technoimaginären Überformungen, die zudem eine extreme Verzeitlichung erfahren: Aufgrund der sich dynamisch entfaltenden Techno- logien ändern sich die Möglichkeiten und damit Details und Standards von Filmrestaurierungen rasant – bedingt durch die kurzen Innovationszyklen und die schnelllebige, sich immer weiter ausdifferenzierende Medienumgebung. Der in der Fallstudie besprochene Film steht aus heutiger Perspektive bereits in einem zeitlichen Paradox seiner digitalen (Wieder-)Entdeckung: Der Film The Soldier’s Courtship von 1896 erlebte seine zweite ‚Premiere‘, Franziska Heller - 978-3-8467-6460-2 Heruntergeladen von Fink.de01/03/2022 12:27:50PM via free access 212 kapitel 5 seine Wiederaufführung, auf dem Festival Le Giornate del Cinema Muto in Pordenone 2011. Paratextuell wurde er wie folgt angekündigt: Most sensational is the reappearance, after some 115 years, of one of Britain’s (and one of the world’s) first fiction films, Robert Paul’s The Soldier’s Court- ship (1896). Known till now only from a few surviving frames and a ‚flip-book‘ extract, the film was found in the Cineteca Nazionale of Rome, and will be un- veiled, almost complete and painstakingly restored, in the Giornate (Robinson/ Jacob 2011: 4). Bei dem Film handelt es um einen kurzen Sketch (1’18“ bei 15 Bildern pro Sekunde) über einen liebestrunkenen Soldaten, der seine Herzensdame trifft und sie leidenschaftlich umarmt, wobei andere Passanten in Mitleidenschaft gezogen werden. Der Film wurde 2011 in der Hauptspielstätte des cinephilen Festivals in Pordenone als erster in einem zweistündigen Programm von frühen Filmen unter dem Rahmentitel Rediscoveries gezeigt. Dies war eine von wenigen Möglichkeiten überhaupt, den restaurierten Film – von einer Film- kopie projiziert – in einem Kino vor großem Publikum zu sehen. Vor allem in den Festivalkatalogtexten des Filmhistorikers Ian Christie sowie der Kuratorin Irela Núñez von der Cineteca Nazionale di Roma wurde die historische Bedeutung des Films hervorgehoben: „Newly discovered in the Cineteca Nazionale of Rome, after long being considered definitively lost, The Soldier’s Courtship restores a vital missing link in the early history of ‚animated photography‘“ (Christie 2011: 137). Beide Texte – Núñez befasste sich eher mit der Restaurierungsgeschichte, während Christie all- gemeiner über den Film sprach – konstruieren die historische Bedeutung über verschiedene Narrative, wobei die Einordnung, dass der Film als einer der ersten fiktionalen Filme überhaupt anzusehen sei, eine der wichtigsten Aus- zeichnungen darstellte. Diese Würdigung als ‚Erstling‘ wird von den Autoren mit der Pionierstellung des Regisseurs Robert Paul in filmtechnologischen Be- langen verbunden. Die Popularität des Films zur Zeit seiner Uraufführung fungiert als eine weitere Säule der Argumentation in der publizistischen Präsentation. Im Festivalkatalog spielt zudem die Betonung des hohen Unterhaltungspotenzials des Films eine wesentliche Rolle. Dieses wird insbesondere über die Hervor- hebung der performativen Elemente, mit denen der Film dereinst gezeigt wurde, illustriert. Die körperliche Ästhetik des slapstickhaften Films sei bei den konkreten Vorführungen in Music Halls und Varietétheatern etwa mit Ge- räuschen bewusst hervorgehoben worden (Abb. 5.1–5.2). So wird mit Verweis auf den Filmhistoriker Amandino Videira Santos die Situation wie folgt beschrieben: „[C]ontemporary screenings of the film Franziska Heller - 978-3-8467-6460-2 Heruntergeladen von Fink.de01/03/2022 12:27:50PM via free access Aspekte digitaler Performance 213 Abb. 5.1 Abb. 5.2 were accompanied with the sound of kisses and of someone being brusquely thrown to the ground“ (Núñez 2011: 138). Die zeitgenössische Attraktion des Films gründete auf der Intention „to put a few laughs into the programme“ (Christie 2011: 137). Mit der Themenwahl und Darstellungsform sollte an erfolg- reiche Modelle aus dem Theater angeschlossen werden, was sich auch bei dem Einsatz des Schauspielerpersonals äußerte. Die lebendige Performance der Schauspieler wird bei Christie von den Wurzeln der Darsteller im Panto- mimenspiel und Tanz hergeleitet. Solche und ähnliche Sketche seien „vehicles for inventive comic actors to deliver the lively action that made them vital part of the Victorian theatre“ (Christie 2011: 137). Die so beschriebene historische Aufführungspraxis liefert nun 2011 über die Einträge im Festivalkatalog die diskursive Einordnung des Films sowie zu- gleich die Rechtfertigung dafür, dass der Film für die Restaurierung und für die Wiederaufführung (zumindest in Pordenone ohne die historische ‚Geräusch- kulisse‘) ausgewählt wurde: Es seien vor allem seine zeitgenössische Populari- tät und die Unterhaltungsqualitäten, die den Film so ‚wertvoll‘ für die heutige Wiederaufführung machten. Dies wird mit einem weiteren Aspekt aus der konkreten Projektionsgeschichte des Films belegt. Der Filmstreifen sei schon Franziska Heller - 978-3-8467-6460-2 Heruntergeladen von Fink.de01/03/2022 12:27:50PM via free access 214 kapitel 5 nach wenigen Jahren von den unzähligen Vorführungen so in Mitleidenschaft gezogen gewesen, dass er bereits um 1900 manuelle Retuschen erfahren habe (Núñez 2011: 138).19 Diese Bearbeitungsspuren in der ästhetischen Imago als Geschichte der Aufführungspraktiken zu bewerten, stellte eine zentrale memo- politische und ethische Entscheidung im Prozess der Restaurierung dar.20 Letztendlich haben sich die restaurierenden Institutionen dazu entschlossen, vor allem das Unterhaltungspotenzial des Films und damit seine ästhetische Struktur weitgehend wiederherzustellen.21 Größere, von der Handlung ab- lenkende materielle, fotochemische Schäden oder Fehler wurden entfernt. Allerdings beließ man einige der Spuren der zeitgenössischen manuellen Retusche als Teil der Überlieferungsgeschichte. Diese offensichtlichen Spuren in der Fassung von 2011 kann man als materialimmanenten symbolischen Hin- weis auf die Restaurierungsgeschichte lesen. Auf einer konzeptuellen Ebene lässt sich zusammenfassen, dass die Be- wertung der performativen zeitgenössischen Aufführungspraxis im Zu- sammenspiel mit der Einschätzung der Popularität des Films sich mit den Restaurierungsentscheidungen verwoben haben und dass diese dann wiederum Eingang in die Aufführungspraxis heute finden: zum einen in Form der Rahmung der Premiere in einem Kino als Teil des Programms eines Archiv- filmfestivals, zum anderen als Element von Präsentationen der Restaurierung. In verschiedenen Restoration Talks wurde in der Folge die Anwendung der digitalen State­of­the­Art-Technologien aus dem Jahre 2011 vorgestellt, wobei der Film als Beleg der erfolgreichen Anwendung von digitalen Tools gezeigt wurde. 19  So schreibt Núñez (2011: 138–139): „A measure of the success The Soldiers Courtship must have enjoyed is evinced by the print in our archive: more than 100 years ago, wear and tear on the negative already required extensive manual retouchings.“ 20  Vgl. Núñez (2011: 138–139) beziehungsweise den Restoration Talk von Hendrik Teltau, zu dem Zeitpunkt Restaurator der ausführenden Firma Omnimago in Wiesbaden. Großer Dank gilt an dieser Stelle sowohl Irela Núñez wie Hendrik Teltau für die Hilfe bei den Recherchen zu dieser Fallstudie. 21  Die Restaurierung wurde vom Centro Sperimentale di Cinematografie in Zusammen- arbeit mit der Firma Omnimago durchgeführt. Im vorliegenden Fall war die Über- führung in die digitale Domäne aufgrund der fehlenden Bildinformationen (Lacunae) im Ausgangsmaterial nötig, da man nur digital die ehemals fotochemisch gespeicherten Informationen ‚simulieren‘ konnte. Nach Fossatis Modell (2009) archivarischer und restauratorischer Praktiken ist dies die praktische Umsetzung des Remediation-Modells (Fossati 2009: 138 f.) – mithilfe eines neuen Mediums wird ein älteres (fotochemischer Abbildungsprozess) simuliert und für die Rezeption möglichst ununterscheidbar ge- macht (Fossati 2009: 140 und 218). Franziska Heller - 978-3-8467-6460-2 Heruntergeladen von Fink.de01/03/2022 12:27:50PM via free access Aspekte digitaler Performance 215 Exemplarische Chronik der Aufführungskontexte 2011–2016. Erinnerungskulturelle Frameworks digital Es ist eine methodische Besonderheit meines Ansatzes, die bereits erwähnten Restoration Talks als Teil heutiger Aufführungspraktiken eines (historischen) Films in seiner digitalen Reprise zu begreifen und diese Form der Aufführung als erinnerungskulturell wirksam zu verstehen – unter spezifischen diskursiven und dispositivischen Vorzeichen. In der Folge wird eine exemplarische Chronik der Aufführungskontexte im Framework digital des ausgewählten Falls The Soldier Courtship gegeben. Die jeweiligen Präsentationsweisen und Auf- führungszusammenhänge werden als performative Praktiken der geschichts- bildmodellierenden Wahrnehmung konzipiert; dies unter dem Eindruck der grundsätzlicheren Annahme, dass sich ein solcher Zugang auf ähnliche Fälle heutiger Präsentationsformen von Filmrestaurierungen methodisch durchaus übertragen lässt.22 Vor dem Hintergrund der eingangs dieses  Kap. 5 unternommenen Über- legungen werden anhand des Beispieles The Soldier’s Courtship der Internetauftritt sowie vor allem die Restoration Talks als performativ in- szenierte und erlebte dispositivische Formierungen von medienhistorio- grafisch wirksamen digitalen Passagen begriffen.23 Dies gilt in mehrfacher Hinsicht: Zunächst sind grundsätzlich solche Prä- sentationen von Restaurierungen, in deren Rahmen das Filmmaterial für ein bestimmtes Publikum kommentiert zu sehen ist, an spezifische, raumzeitlich 22  Ähnliche, wohl breiter bekannte Phänomene zum Einblick in filmtechnologische Produktionsprozesse stellen Werkstattgespräche mit Filmschaffenden dar; oder in mediatisierter Form das Genre von Making-of-Filmen etwa als sogenannte Bonus- materialien oder als TV-Features, vgl. zu solchen Filmen und vor allem zu den ver- wendeten rhetorischen Strategien: Hediger (2005a). Sogenannte Restoration Talks, gesehen als Variante eines Making-of einer Restaurierung, entwickeln in diesem Kontext einen kulturellen und vor allem memopolitisch wirksamen Diskurseinfluss, da sie mit Rhetoriken der Editionsphilologie spielen, obgleich sie ebenfalls nicht losgelöst sind von – wenn auch nicht immer dominanten – ökonomischen Überlegungen und finanziellen Zwängen. 23  Zur Erinnerung: Benjamins Begriff der Passage greife ich auf, indem ich geschichtsbild- modellierende, mediale Konstellationen in einem ständigen Fluss – in dialektischer Verwebung mit (den Interessen) der Gegenwart – als prozessuale Passagen sehe. So kann auch für die Konfiguration in Restoration Talks gelten: „Jede Gegenwart ist durch diejenigen Bilder bestimmt, die mit ihr synchronistisch sind: jedes Jetzt ist das Jetzt einer bestimmten Erkennbarkeit“ (Benjamin 1982: 578). Das Konzept einer passagen- haften, sich im besonderen Ereignis des Jetzt ergebenden Konstellation, welche zeitliche Relationen aus Vergangenheit und Gegenwart in eine Verhältnis setzt, übertrage ich auf Aufführungen und Erklärungen einer Filmrestaurierung (vgl. grundsätzlich zum Begriff der Passage auch das Zwischenfazit  Kap. 3.9). Franziska Heller - 978-3-8467-6460-2 Heruntergeladen von Fink.de01/03/2022 12:27:50PM via free access 216 kapitel 5 singuläre Ereignisse gebunden (zumeist Festivals): Ein als Experte vor- gestellter Vertreter der restaurierenden Institution erklärt/erzählt die ge- wählte Vorgehensweise beim Digitalisierungs- und Restaurierungsprozess. Die historisierende Referenzierung eines Vorher und Nachher wird performativ im Präsentationsakt vermittelt und damit zugleich vom leiblich-präsenten Zuschauenden (nach)vollzogen: Die restaurierten Bewegtbilder, die zur Illustration dieses Bearbeitungsprozesses meist herangezogen werden, ent- wickeln über die Funktion der Veranschaulichung filmtechnologischer Prozesse hinaus eine ästhetische Wirkung im Präsentisch-Somatischen, die sich dem Zuschauer bei allen überformenden technizistischen und editions- philologischen Diskursen sinnlich vermittelt. So lässt sich die Wirkungs- ästhetik der in einem solchen Dispositiv aufgeführten Filmbilder beschreiben als eine Wechselwirkung zwischen Wissensvermittlung und nachvollzogener Performance der restaurierten Filme im Modus unmittelbarer Bewegtbild- wahrnehmung, die in diesem Kontext als ‚Beweis‘ für die Restaurierungs- leistung gezeigt werden. Dies begreife ich als Teil erinnerungskultureller Praktiken – in dieser Konfiguration nachhaltig geprägt von der extrem zeitgebundenen Vermittlung eines technologischen State­of­the­Art-Diskurses (Fossati 2009), der sich eben aber auch über filmische Erfahrungsmodi vermittelt, wenn die ästhetische Dimension der Bilder performativ zur Affirmation der Technologien ein- gesetzt wird. Wie zeitgebunden die Sichtbarkeit und die Attraktion der Restaurierung von The Soldier’s Courtship ist, wird zunächst am Beispiel der Zugänglichkeit im Internet deutlich. Denn der Film war hier nur in fragmentarischer Form für eine beschränkte Zeit – paratextuell gerahmt – sichtbar: Soweit von uns heute noch nachprüfbar, war der Film im Zeitraum von 2011 bis 2013 als kleiner Ausschnitt (sowohl in Länge wie in Format) auf der Webseite der Cineteca Nazionale di Roma abbrufbar.24 Die Cineteca machte die ersten 30 Sekunden als Fragment auf ihrer Webseite zugänglich. Der begleitende Text dort setzte die Präsentation des Films direkt in den Kontext seiner Restaurierung. Er beginnt mit den Worten „Tra i restauri …“ („Durch die Restaurierungen …“). Das Narrativ der Restaurierung, an dessen Beginn ursprünglich die Popularität des Films als Selektionsargument stand, dominierte die Wahrnehmung. Aus dem ursprünglichen zeitgenössischen Erlebnis im Kino war nun ein inter- aktives anwählbares Erlebnis (kuratorisch das pull­model) geworden: Man 24  2019 findet sich ebenjener Ausschnitt etwa auf YouTube  Filmverzeichnis. Allerdings fehlen hier explizite rahmende oder verortende Paratexte. Franziska Heller - 978-3-8467-6460-2 Heruntergeladen von Fink.de01/03/2022 12:27:50PM via free access Aspekte digitaler Performance 217 konnte als Nutzer den Anfang des Films über den Link „web TV“ auswählen und anschauen (Abb. 5.3). Abb. 5.3 Die ursprüngliche humoristische Slapstickhandlung als Attraktion trat in dieser Konfiguration hinter der Attraktion der digitalen Restaurierung und der Wiederentdeckung zurück. So waren das konkrete Dispositiv und die Bild- ästhetik vor allem von dem kleinen Fenster und der Kürze des Ausschnitts dominiert. Der Clip begann mit dem Erscheinen des Archivlogos. Dann war eine Restaurierungstafel zu sehen: Robert William Paul (1896), Paul Animato- graph Works (GB)/ritrovamento e restauro Cineteca Nazionale 2011. Der Clip war von keiner Musik und keinem Ton begleitet. Vom Filminhalt sah man nur, wie die Frau von rechts ins Bild kommt und sich umschaut. Dann tritt von der- selben Seite selbstbewusst der Soldat auf, greift sie beim Arm, sie wehrt leicht ab, er nimmt seine Zigarre aus dem Mund und küsst sie. Dann bricht das Frag- ment ab. Die eigentliche Slapstickhandlung und der Humor vermittelten sich über diesen Clip in dieser Form mitnichten. Der kurze Ausschnitt ist wenige Jahre später online zumindest auf dieser Seite nicht mehr unmittelbar auffindbar, was hier dagegen noch leicht zu finden ist, sind die begleitenden Paratexte.25 Der Rahmentext legt den Fokus auf die internationale Resonanz des Films im Kontext seiner Restaurierung im Jahr 2011 und der entsprechenden Präsentationen im Rahmen von Restoration Talks. Mit Fossati (2009) lässt sich dies als ein weiteres Dispositiv beschreiben: Die Restaurierung liefert den Anlass und die diskursiven Bedingungen der heutigen kurzzeitigen Zugänglichkeit. Der eigentliche Film als ästhetisches Erlebnis tritt in der Vermittlung im Internet zurück. So überdauern vor allem 25  Vgl. die Meldung „Web TV Server down“, letzter Aufruf 09.09.2016; der Paratext fand sich noch hier: http://www.fondazionecsc.it/ct_home.jsp?ID_LINK=7& (09.09.2016). Franziska Heller - 978-3-8467-6460-2 Heruntergeladen von Fink.de01/03/2022 12:27:50PM via free access 218 kapitel 5 die Technoimaginationen und Diskurse um die Restaurierung den konkreten Filmausschnitt. Die ‚Öffentlichkeit‘ des Films hat sich seit 2011 dennoch multipliziert und ausdifferenziert – wenn auch unter anderen dispositivischen Vorzeichen. Zu einigen wenigen Zeitpunkten (unter anderem in Rom und in Belgrad, 2016 in Pordenone26) war das Kinoerlebnis des Films exklusiv und befristet erneut im Rahmen einer historisierenden Retrospektive möglich; zudem – darum soll es nun ausführlicher gehen – war der Film mehrfach im Kontext der Präsentation seiner Restaurierung zu sehen. Dabei war das Filmerleben innerhalb einer Power-Point-Präsentation Beleg für die erfolgreiche Anwendung von digitalen Restaurierungstools. Das Dispositiv digitale Restaurierung wirkt – wie einleitend ausgeführt – über seine vor allem performative Dimension in diesen Restoration Talks, die zeiträumlich an spezifische Events und Zuhörerschaften gebunden sind. Nach der Vorführung des Films im Rahmen des im Kino gezeigten Programms des Archivfilmfestivals in Pordenone und einer begleitenden Master-Class-/Collegium-Session in Form eines Restoration Talks folgten ähn- liche Präsentationen des Films – ebenfalls durchgeführt von Hendrik Teltau – bei verschiedenen Events. Dies war etwa der Fall in London anlässlich des Archiv-Symposiums Large Scale Digitization of Cultural Heritage (13.10.2011). Beim Blick in das Programm27 wird deutlich, dass auf der Veranstaltung vor- nehmlich Produktionsarchive über ihre Probleme sprachen und Projekte der Massendigitalisierung vorgestellt wurden. Dies bildete die Rahmung für das singuläre und aufwändigere Restaurierungsprojekt von The Soldier’s Courtship. Der Kontext für die performative Vorstellung der Restaurierung war insofern der Diskurs um existierende State­of­the­Art-Technologien (im Jahre 2011) mit deutlichem Schwerpunkt auf den technischen Neuerungen des Restaurierungsprojekts. Am Tag des audiovisuellen Erbes am 27.10.2011 in Wiesbaden bei der Murnau- Stiftung wies die Präsentation der Restaurierung und des Films hingegen einen stärker nationalen, kultur- und memopolitisch geprägten Kontext auf. Der besondere Termin des Welttages sollte das audiovisuelle Kulturerbe und die Arbeit von Filmarchiven stärker in das öffentliche Bewusstsein bringen. Auch wenn bei der Präsentation der Restaurierung wieder die Details der technologischen Leistungen im Vordergrund standen, so ist doch die filmische Kontextualisierung über die gemeinsame Programmierung mit dem zu diesem Zeitpunkt prestigeträchtigsten deutschen Restaurierungsprojekt – Fritz Langs 26  Vgl. hierzu die ausführlicheren Darstellungen und Überlegungen unten. 27  Vgl. http://www.dft-film.com/archive/symposium (11.06.2012). Franziska Heller - 978-3-8467-6460-2 Heruntergeladen von Fink.de01/03/2022 12:27:50PM via free access Aspekte digitaler Performance 219 Metropolis aus dem Jahr 1927 – zu bemerken. Auf diese Weise wird die Präsentation stärker in den diskursiven Kontext von Film als (nationales) Kulturerbe gebracht.28 Ähnlich memopolitisch, vor allem auf die Situation in Deutschland bezogen, fand auch eine weitere Aufführung des Films im Rahmen einer Präsentation der Restaurierung am Cinefest 2011 statt, dem internationalen Festival des deutschen Filmerbes in Hamburg (2.–20.11.2011).29 Das Forum Zelluloid und Bits. Möglichkeiten und Grenzen digitaler Restaurierung bildete die Plattform, um Potenziale der digitalen Restaurierung exemplarisch vorzustellen.30 Zusammenfassend lässt sich feststellen: Bei den Veranstaltungen – vor allem in Deutschland – wurde eine breitere, wenn auch cinephil interessierte Öffentlichkeit durch meist technizistisch dominierte Erklärungen am Film- material angesprochen. Wie einleitend ausgeführt, begreife ich dies als erinnerungskulturelle Praktiken mit medienhistoriografischer Wirksamkeit. Die Wirkung entfaltet sich im Dispositiv von Restoration Talks als zeitlich mehrschichtige digitale Passagen, die in der situativen Ereignishaftigkeit vom Zuschauer erlebt werden; zugleich wird das implizit Technoimaginäre, die digitale Leistung der Restaurierung, nachvollzogen. Die enge Bindung vieler Restoration Talks an State­of­the­Art-Diskurse der digitalen Domäne bedingt auch, dass die Ereignisse solcher Restaurierungen meist sehr kurz, oft nur über ein bis zwei Jahre, ihre Aktualität und damit Attraktivität behalten. Ein zentraler wirkungsästhetischer Aspekt ist zudem, dass man die Er- klärungen und wiederum performativ-medial aufbereiteten Bildvergleiche (vorher/nachher), die von einem kommentierenden Erzähler (meistens dem Restaurator) erklärt werden, benötigt, um die digitale Performance des Restaurierungsprozesses wahrnehmen zu können. Ohne trainiertes Auge wird es schwer, etwa die digital bearbeiteten Bildteile zu erkennen.31 28  „ [D]as Murnau-Filmtheater zeigte die […] restaurierte Fassung von Metropolis (1927) von Fritz Lang, der als erster Film überhaupt in das Weltdokumentenerbe der UNESCO aufgenommen wurde“ (Moneva-Enchev 2011). Zu der kanonisierenden Bedeutung des Restaurierungsprojekt von Fritz Langs Metropolis für die deutsche Restaurierungs- politik vgl. C. Wahl (2014). 29  Eine Veranstaltung von CineGraph und des Bundesarchiv-Filmarchivs. 30  Unter dem klingenden Titel Neue Form für alte Schätze sollte einen Tag später über Fragen informiert werden wie „Wer digitalisiert wie und warum?“, „Wie werden die zu digitalisierenden Filme ausgesucht?“, „Wie wird vermarktet?“. 31  Einfacher zu erkennen ist die Stabilisation des Bilds, aber weitere Bearbeitungen sind gleichwohl schwerlich ohne Vergleiche auszumachen (vgl. auch  Kap. 7 und die Be- deutung der Mise en Relation für die medienhistoriografische Erfahrungsbildung). Franziska Heller - 978-3-8467-6460-2 Heruntergeladen von Fink.de01/03/2022 12:27:50PM via free access 220 kapitel 5 Im Horizont der digitalen Domäne kommt dem performativen Aspekt inso- fern noch eine weitere wichtige Rolle zu: Gerade digitale Tools sind darauf aus- gerichtet, fehlende analoge Bildinformationen zu simulieren, fotochemische bildgebende Verfahren, Charakteristiken und Ästhetiken zu remediieren (Fossati 2009 bzw.  Kap. 2). Im besonderen Falle von The Soldier’s Courtship findet sich, wie oben bereits angedeutet, eine symbolische Spur des Restaurierungsprozesses, in dem bereits frühere, zeitgenössische Restaurierungsversuche in Form von historischen Retuschen im Bild als Un- regelmäßigkeiten in der heutigen Fassung belassen wurden. Damit aber weisen die heute noch sichtbaren Unregelmäßigkeiten phänomenal auf Be- arbeitungsstufen hin, wobei die aktuellen digitalen eben nur als Konnotation vermittelt werden können. So gibt das ‚unsichtbare‘ Resultat der Anwendung digitaler Tools eine Illusion von dem historischen Original – mit einer ent- sprechenden, zeitlich mehrschichtigen Patina, die zeichenhaft mit analogen Artefakten arbeitet.32 Dafür, dass bei der Filmerfahrung diese Bedeutungs- und Wahrnehmungsebenen in den Vordergrund rücken, bedarf es etwa der performativen Aufführung und (an)leitenden Erzählungen im Rahmen eines Restoration Talks. Restaurierung als Event oder Spektakel.33 Digitale Performance im (Nach-)Vollzug und das Dispositiv der digitalen (Wieder-)Entdeckung Was bedeuten die obigen Ausführungen für die konkrete Wahrnehmung von The Soldier’s Courtship als Beispiel sehr frühen Kinos in diesem scheinbar alles überlagernden Diskurs- und Aufführungskontext digital? Frei öffentlich zugänglich war der Film in der Webseitenversion indes – wie oben genauer beschrieben – für einen bestimmten Zeitraum lediglich als fragmenthafter Teaser zu sehen, der ironischerweise in seinem begleitenden Paratext wieder auf die kuratierte Vorführung und damit auf performative Präsentationsmodi im Kino und während Restoration Talks verwies. Die ursprüngliche performative 32  Vgl. zu rhetorischen Strategien um den schwierigen Begriff des filmischen Originals Hediger (2005b). Hediger beschreibt hier kulturkritisch das filmische Original als ein „Set von Praxen“. 33  Die Formulierung „Restaurierung als Spektakel“ greift eine sprachliche Wendung von Pescetelli (2010) auf. Pescetelli beschreibt mit der Formulierung die Inszenierung einer analogen Filmrestaurierung im Kontext einer Aufführung mit Orchesterbegleitung. Pescetellis Überlegungen zum ‚Spektakel‘ bzw. zum ‚Spektakulären‘ werden im Zeichen meines Forschungsinteresses mit Blick auf leibphänomenologische Erfahrungsmodi als Art des (Nach-)Vollzugs mit medienhistoriografischer Wirksamkeit für den Komplex der digitalen Attraktion adaptiert. Franziska Heller - 978-3-8467-6460-2 Heruntergeladen von Fink.de01/03/2022 12:27:50PM via free access Aspekte digitaler Performance 221 Erlebnisdimension dieses Films hatte sich verlagert von der historischen Un- termalung und Verstärkung der Slapstickgestik hin zu der Performanz seiner eigenen Restaurierungsgeschichte in Form von Restoration Talks – mit einem besonderen Fokus auf der digitalen Qualität der Restaurierung. Erlebt man den Film heute, stellt somit der Inhalt des Films nur eine Ebene dar; daneben kommt der Geschichte seiner Erscheinungs-/Präsentations- formen eine mindestens gleichberechtigte Bedeutung zu. Dies wird allein dadurch deutlich, dass der Film nicht mehr ohne die dem Film vorangestellten Restaurierungscredits zu sehen ist. Das Phänomen wurde insbesondere deut- lich, als der Film 2016 innerhalb eines Programms zu Robert-Paul-Filmen am Festival Le Giornate del Cinema Muto in Pordenone gezeigt wurde (Screen- shot des Programms vgl. Abb. 5.4): Der eigentlich vorgesehene Programmfluss aus frühen Kurzfilmen Pauls als amüsante Erfahrung von nummernhaftem Attraktionskino wurde in der Mitte von The Soldier’s Courtship im Rhythmus sinnlich jäh dadurch unterbrochen, dass dem Film ausführliche Informationstafeln zur Restaurierung als Credits vorgeschaltet waren. Dadurch wurde aus editionsphilologischer Sicht zwar transparent die Meta- ebene der Überlieferung dokumentiert und illustriert, allerdings bedeutete dies auf der Ebene des sinnlichen Erlebens des Programmflusses der Bewegt- bilder eine spürbare Unterbrechung. Damit wurde wiederum die nachhaltige Einschreibung des aktuellen digitalen Restaurierungsdiskurses in die konkrete Wahrnehmung der restaurierten Filmbilder forciert.34 Der Fall von The Soldier’s Courtship ist insgesamt deshalb an- schaulich, weil seine Sichtbarkeit und seine Zugänglichkeit so eng mit der performativen Präsentation der Restaurierung verknüpft war. Diese ist ihrerseits extrem zeitgebunden an den Gebrauch von augenblicklichen 34  Ein ähnliches Argument brachte die Kuratorin Mariann Lewinsky mehrfach in Dis- kussionsrunden anlässlich ihres jährlich stattfindenden, prestigeträchtigen Programms Cento Anni fa/A hundreds years ago im Rahmen des Festivals Il Cinema Ritrovato in Bologna. Sie wies mehrfach darauf hin, dass die Logos der jeweiligen Herkunftsarchive den (historischen) Programmfluss der Filmnummern des frühen Kinos unterbrechen würden. Es geht mir an dieser Stelle nicht darum, die Praxis als angemessen oder nicht zu bewerten. Vielmehr möchte ich die wirkungsästhetischen Konsequenzen der jeweiligen Praktiken beschreiben. Zusätzlich – und dies ist tatsächlich als ein Desiderat über diese Studie hinaus zu benennen – weisen die Umstände und die Auseinandersetzungen über dieses Thema darauf, dass es bis heute beim Film keine verbindlichen editionsphilo- logischen Standards zur Vermittlung von Transparenz über Restaurierungsprozesse und -quellenmaterialien gibt. Den Credits hinzugefügte oder vorgeschaltete Texttafeln haben sich hier in der Praxis mittlerweile verstärkt als Verfahrensweise eingebürgert, um die Ausgangs- und Materiallage dem Publikum vor der Filmrezeption zu vermitteln. Diese Praxis ist aber bisher nicht offiziell standardisiert. Franziska Heller - 978-3-8467-6460-2 Heruntergeladen von Fink.de01/03/2022 12:27:50PM via free access 222 kapitel 5 Abb. 5.4 Franziska Heller - 978-3-8467-6460-2 Heruntergeladen von Fink.de01/03/2022 12:27:50PM via free access Aspekte digitaler Performance 223 State­of­the­Art-Digitaltechnologien im Jahr 2011 geknüpft. Damit war die Restaurierung nur für eine bestimmte Zeit attraktiv. Zugespitzt formuliert könnte man dieses Dispositiv als digitale (Wieder­)Entdeckung benennen, das sich aus (vielschichtigen) performativen Elementen zusammensetzt, sich aber auch rasant in der Zeit verändert. Das Dispositiv der digitalen Wiederentdeckung gewinnt seine Komplexität aus der Interaktion verschiedener medien- und filmgeschichtlicher Narrative, vor allen denen, die mit sogenannten ‚Erstlingen‘, Pionierleistungen (‚Personen- und Geniekult‘) und technologischen Innovationen spielen – insbesondere in der Parallelisierung der Phase des frühen Films mit dem Einsatz digitaler Technologien in seiner Restaurierung. Die historischen technologischen Er- findungen werden gekoppelt mit dem Narrativ der digitalen Restaurierungen und dem momentanen State­of­the­Art-Equipment, das zu diesem Zeitpunkt benutzt wird. Wirkungsästhetisch bedeutet dies, dass sich im Erlebnis und Genuss des heute restaurierten Films die Leistung der (weitgehend unsichtbar gemachten) digitalen Bildbearbeitung vermittelt, die allerdings insbesondere über die Credits nun an den Film buchstäblich gebunden ist. Diskursiv wird zugleich immer die Verbindung zur historischen Aufführungspraxis des Films und seiner zeitgenössischen Popularität mit in die Gegenwart transponiert. Somit konkretisiert sich in der Ausdifferenzierung der Räume, in denen man den Film heute unter bestimmten Bedingungen erleben kann, die Kopräsenz unter- schiedlicher zeitlicher Schichten des Films und seiner Aufführungspraktiken. Die anhaltende Attraktion – neben dem historischen Narrativ, der erste fiktionale Film zu sein – speist sich zudem aus dem Filminhalt: ein Slapsticksketch, dessen Humor nichts an Wirkung eingebüßt hat, weil er mit den heute noch aktuellen konfliktträchtigen Kategorien von intimer, privater und öffentlicher Sphäre spielt. Der englische Titel verweist auf die Kern- funktionsweise des Sketches: „Animated Kiss in Public“. Ein Gegensatz, der heute noch funktioniert und gerade dann, wenn er im Kino oder zu anderen öffentlichen Anlässen gezeigt wird, eine pikante Pointe erhält. Das an diesem Exempel entwickelte Modell vom Dispositiv der digitalen (Wieder-)Entdeckung lässt sich mit dem eingangs erläuterten Konzept von Kessler zur Aktualisierung des frühen Kinos heute als zeitliches Cluster präzisieren. „Bridging the gap, marking the difference“ (Kessler 2011: 137 f.): Die Fremdartigkeit und oft überraschende ästhetische Form von frühem Kino etabliert eine solche historische Distanz auf verschiedenen Ebenen, sodass diese eben gerade dadurch paradoxerweise das Narrativ der Effizienz digitaler Technologien affirmiert. Gleichzeitig entfaltet der Sketch auch heute noch – wenn er denn in seiner Gesamtlänge zu sehen ist – eine humoristische Franziska Heller - 978-3-8467-6460-2 Heruntergeladen von Fink.de01/03/2022 12:27:50PM via free access 224 kapitel 5 und unterhaltende Wirkung. So bedingen die Erfahrungen von historischer Differenz und überdauerndem Unterhaltungspotenzial unsere sinnliche Imagination von digital. Diese Überlegungen führen zurück zum Modell der Remediation, wie es Bolter und Grusin 1999 entwickelt haben (Bolter/Grusin 1999). Wie bereits in  Kap. 4 erläutert, diskutieren die Autoren das Schlüsselkonzept der Unmittel- barkeit (Immediacy) sowie der Hypermedialität (Hypermediacy) mit Blick auf das Kino der Attraktionen. Sie fassen zusammen, dass in diesem Kontext the amazement […] requires awareness of the medium. If the medium really dis- appeared, as is the apparent goal of the logic of transparency, the viewer would not be amazed because she would not know of the medium’s presence (Bolter/ Grusin 1999: 158). So lässt sich präzisieren: Die Faszination, die Attraktion und die Unter- haltung von frühem Kino in digitalen Dispositiven ist eine komplexe memo- phänomenale Erfahrung im Wechselspiel zwischen Entdecken und suggerierter Wiederentdeckung (von Geschichte). Das frühe Kino, die Unmittelbarkeit des Erlebnisses seiner besonderen, durchaus fremdartigen Bildinhalte sowie seiner überlieferten (Material-)Ästhetik spielen darin eine zentrale Rolle für das Differenzerlebnis. Im Dispositiv der digitalen Wiederentdeckung kommt es nun zu einer Verschiebung ins Sinnlich-Imaginäre der hypermedialen Attraktion: Während man im frühen Kino die Erfahrung neuer Wahrnehmungsformen unmittelbar über die Bewegtbildwirkung machte, wird indes heute in dem digitalen Dispositiv des Wiederentdeckens – paradoxerweise – die Erfahrung des Neuen in gleicher Weise über die phänomenale Wirkung der historischen Bilder wie durch die performative und kontextuelle Rahmung vermittelt. Das performative Restaurierungsdispositiv benutzt den Inhalt des Films und dessen ästhetische Attraktion und präsentische Wirkung. Wenn man also den Film faszinativ erlebt, vollzieht man auch sinnlich die Leistung des Restaurierungsprozesses nach. Die Erfahrung des Films wird zur sinn- lichen Performance des Zuschauers als Vollzugsinstanz. Die Historizität wie Aktualität des Films wird vom Zuschauer verkörpert: Dies ist ein Modus der medienhistorischen Erfahrungsbildung. Die Wahrnehmungsform eines solchen Clusters aus institutionellen, memopolitischen, diskursiven und ästhetischen Praktiken, etwa der Restoration Talks, funktioniert in meiner Modellierung als eine Form der aisthetischen Historiografie, deren Schwer- punkt auf performativen Elementen liegt. Restoration Talks – so das ab- schließende Plädoyer – sind nicht einfach als historischer oder technologischer interessegeleiteter Wissenstransfer abzutun, sondern als Teil aktueller Franziska Heller - 978-3-8467-6460-2 Heruntergeladen von Fink.de01/03/2022 12:27:50PM via free access Aspekte digitaler Performance 225 Dispositive medienhistoriografischer Erfahrungsbildung ernst zu nehmen – in ihrer besonderen passagenhaften, da performativen Form. 5.6 Wiederentdecken mit einer DVD (1998). The Brothers’ Lumière First Films Die Entscheidung, im Folgenden die DVD The Lumière Brothers’ First Films (1895–1905) aus dem Jahre 1998 als exemplarisches Cluster für Aspekte des Performativen vorzustellen, ist aus verschiedenen gewichtigen Gründen getroffen worden. Mit diesem Beispiel werden Kernpunkte und vor allem Schwierigkeiten der verschiedenen historischen Schichtungen im Modus der Re-Edition einer DVD als digitalem Träger und als besonderer Zugangsform deutlich. Es zeigt zudem, dass auch digitale Dispositive in ihrem historischen Kontext zu sehen sind, denn die vorliegende Edition aus dem Jahr 1998 ist, vom heutigen Standpunkt aus betrachtet, für eine DVD als Träger relativ alt. Darüber hinaus zeigt der Fall verschiedene Elemente des Performativen, die in der medienhistoriografischen Erfahrungsbildung wirksam werden. Grund- sätzlich sei vorab festgehalten, dass mit dem Fokus auf ein Fallbeispiel des digitalen Dispositivs DVD die Frage nach dem Zuschauer, der als Nutzer/ User zur Vollzugsinstanz wird, sich anders stellt als bei der ersten Fallstudie zu The Soldier’s Courtship, in der vor allem das Dispositiv und Ereignis Restoration Talks zum frühen Kino mit Blick auf die performative Konstitution von digitalen State­of­the­Art-Technologien untersucht wurde. Im nun be- sprochenen Beispiel schließe ich in der Modellierung des wahrnehmenden Subjekts zum einen an Francesco Casetti (2010) und sein Konzept des relationalen Handelns als Performance angesichts digitaler Dispositive an. Ich werde dies aber im Anschluss an phänomenologische Wahrnehmungsmodelle koppeln. Die DVD wird als digitale Form des Zugangs betrachtet, wobei digital hier zunächst die Speicherform, die Abspielmöglichkeiten sowie zugleich die Nutzungsbedingungen meint, die sich zum Teil auch aus Praktiken digitaler Technoimagination speisen. Wichtig an dieser Stelle ist zu betonen, dass die DVD und ihre Modi, Filme zu re-editieren und erfahrbar zu machen, als kulturelle und ästhetische Praxis verstanden werden (vgl. hierzu auch ins- besondere die Ausführungen zur Ästhetik der Menügestaltung). Eine Fortsetzung der Überlegungen zur vorhergehenden Fallstudie findet sich im Gebrauch eines zentralen filmhistorischen Narrativs, das sich mit der Profilierung von digitalen Editionen verbindet. Es ist der diskursive Topos der ‚Neuheit‘ eines Mediums oder einer Technologie, welche sich hier in doppelter Form findet: zum einen in dem Titel des editierten Materials The Lumière Franziska Heller - 978-3-8467-6460-2 Heruntergeladen von Fink.de01/03/2022 12:27:50PM via free access 226 kapitel 5 Brothers’ First Films. Hierbei geht es nicht nur um die Tatsache, dass es sich um die ersten Filme der ‚Autoren‘ Lumière handelt, sondern implizit wird auch das Wissen darum konnotiert, dass die Lumières landläufig in der populären Wahrnehmung als die (technischen) Pioniere der Erfindung des Mediums Film an sich gelten (dies wird an anderer Stelle der DVD auch inhalt- lich ausgiebig betont und von mir insofern thematisiert werden).35 Die editierten Filme unterliegen einem bestimmten Präsentationsmodus – in Teilen auch unabhängig von ihrer Speicher- und Distributions- form.36 Die einzelnen Filme der Lumières sind zu einem einzigen Film zusammenmontiert – bei der DVD gebunden wahlweise durch eine kohärente Musikspur oder einen Off-Kommentar in zwei möglichen Versionen. Das (englischsprachige) Menü der DVD selbst bietet einem als Abspielmöglichkeit die Option Begin Feature an. Da die Montagepraxis und der Präsentations- modus als zusammenhängendes „Feature“ den Sammlungscharakter zunächst zu überformen scheinen, das DVD-Dispositiv dies aber über seine Kapitel- struktur dann unter anderen Vorzeichen wieder (bedingt) auflöst und damit weitere Rezeptionsmöglichkeiten zulässt, wird auf diesen Aspekt noch aus- führlicher an anderer Stelle eingegangen. Hier deutet sich aber schon an, was Distelmeyer zu den Kernkonzepten der DVD zählt: nämlich Flexibilität und Versatilität des editierten Materials (Distelmeyer 2012). Dies findet sich gepaart mit dem zentralen filmhistorischen Narrativ, hier den Beginn der Filmgeschichte erzählen zu wollen. Aus all diesen Gründen konstituiert die besprochene DVD einen interessanten Analysefall für performative medien- historiografisch wirksame Erfahrungsbildung im Zeichen digitaler Dispositive. Wiederentdecken mit einer DVD. Vorbemerkungen zu den Bedingungen Vor allem der Medienwissenschaftler Jan Distelmeyer hat das Dispositiv der DVD generell als wichtige medienhistorische Bedingung für Film für die Zeit 35  Interessanterweise kommt es bei dieser DVD-Edition zu einer weiteren Parallelität, da es sich hierbei mediengeschichtlich gesehen um ein verhältnismäßig frühes Beispiel einer DVD – zumindest für Europa – aus dem Jahr 1998 handelt. Das heißt, auch die DVD als Speicher- und Wiedergabemedium an sich stellt eine relative medientechnologische ‚Neuheit‘ Ende der 1990er Jahre dar. Wie Distelmeyer (2012: 63) betont, gibt (und gab) es keine Standards, wie DVDs in ihrer Präsentation des Hauptfilms/editierten Materials aus- zusehen haben. Umso mehr lohnt es sich aus meiner Sicht, die einzelnen Erscheinungs- formen analytisch genauer zu betrachten. 36  Die Filme sind in demselben Montagezusammenhang in den 1990ern auch auf VHS erschienen. Franziska Heller - 978-3-8467-6460-2 Heruntergeladen von Fink.de01/03/2022 12:27:50PM via free access Aspekte digitaler Performance 227 der beginnenden 2000er Jahre hervorgehoben: Es sei wichtig, sich mit der DVD analytisch auseinanderzusetzen, [i]nsbesondere darum, weil die Ästhetik der DVD Zeugnis einer Entwicklung ist, die nichts Geringeres als den Versuch unternimmt, Film mit dem zu versöhnen oder besser: zu verbinden, was als Kern der attestierten digitalen Revolution an- genommen wird. Die DVD gibt uns somit über beide Seiten Auskunft: sowohl über den Status ‚des Digitalen‘ als auch den Status ‚des Films‘ im sogenannten digitalen Zeitalter (Distelmeyer 2012: 14). Dabei macht Distelmeyer darauf aufmerksam, dass die DVD entscheidend für unsere Filmrezeption in den 2000er Jahren gewesen ist, was letztendlich auch darüber hinaus zwangsläufig das populäre Verständnis von Film – und damit auch Filmgeschichte – mitgeprägt hat.37 Distelmeyer versteht insofern seine Studie als Plädoyer, die ästhetische Ana- lyse nicht nur auf den jeweils edierten Hauptfilm zu beschränken, sondern sie auch auf die Menüstruktur und deren Applikationsmöglichkeiten aus- zuweiten; nämlich als Bedingungen der Erscheinungsweise des jeweiligen Hauptfilms vor allem in Hinblick auf seine sinnlichen, diskursiven und ideo- logischen Formierungen. In dieser Perspektive hat das Dispositiv DVD nach- haltige Konsequenzen für die Vorstellung vom Film als integralem, stabilem Kunstwerk. Schlüsselbegriffe sind hier, wie auch bereits in  Kap. 2 und  Kap. 4 ausgeführt: Flexibilität, Versatilität und Selektivität (Distelmeyer 2012: 178). Durch die erforderliche Navigation und Selektion über das Menü, über das der Hauptfilm überhaupt erst sichtbar wird, wird das editierte Film- werk variabel und versatil – abhängig von unserem aktuellen, relationalen Handeln. Dies bedeutet in meiner Begrifflichkeit, dass die Selektion als per- formativer Akt beschreibbar ist, die bestimmte medienhistoriografisch wirksame Wahrnehmungsmodi zur Folge hat und zugleich den Zuschauer als Nutzer als eine tatsächlich auch körperlich handelnde Vollzugsinstanz modelliert (vgl. hierzu auch in  Kap. 7 die Effekte der Mise en Relation). 37  Diese Betrachtungsweise ist umso legitimer, wenn man berücksichtigt, wie audiovisuelle Bewegtbilder in den 2000er Jahren von einem breiten Publikum rezipiert und konsumiert wurden: „Wichtig ist […] diese Auseinandersetzung [mit der DVD, FH] nicht allein des- halb, weil damit einem Dispositiv begegnet wird, das über 110 Jahre nach der ersten öffentlichen Filmvorführung täglich erheblich mehr Menschen mit Filmen konfrontiert als das Kino; spätestens seit 2002, als die weltweiten Einnahmen durch DVD-Verleih und -Verkauf erstmalig die Einnahmen an den Kinokassen übertrumpften, kommt eine Be- schäftigung mit Film und Filmrezeption nicht mehr an der DVD vorbei“ (Distelmeyer 2012: 24–25). M. E. gilt es, diese Aussage vor allem für die medienhistorische Phase der 2000er Jahre zu sehen. Franziska Heller - 978-3-8467-6460-2 Heruntergeladen von Fink.de01/03/2022 12:27:50PM via free access 228 kapitel 5 In Hinblick auf die DVD-Menü-Struktur ist weiterhin wichtig, dass sie schon in ihrer Gestaltung wie auch in der Darstellung ihrer Selektionsmöglichkeiten als kulturelle Praxis verstanden wird, die nicht allein technisch determiniert ist.38 Vielmehr nehmen Menüs über ihre Ästhetik und Gestaltung ideologische Zuschreibungen an das Image digitaler Technologien vor: In den Menüs lebt das Versprechen von Versatilität als Gestus der selektiven Interaktivität. Mit ihnen (und ihren Konsequenzen) tritt die hypermediale Strategie der remediation [sic!] in den Vordergrund: Als Ausstellung von Mediali- tät, die ihre Vorbilder hat (Distelmeyer 2012: 156). Distelmeyers grundsätzliche Analysen zum DVD-Dispositiv werden für mein Forschungsinteresse modifiziert – um die in der Struktur und Ästhetik implizit mitangelegten Nutzungs- und Erfahrungsformen in einer historio- grafisch wirksamen Dimension lesen zu können.39 Durch die hier vorgestellte Re-Edition der Lumière-Filme werden Aufbau und Ästhetik der besprochenen DVD Teil eines zeitlich verortbaren (DVD-Editionsjahr 1998), medial ver- mittelten historiografischen Aktes zum frühen Kino. Navigation der DVD. Das Ereignis der historischen Referenzierung Das Dispositiv der DVD mit seiner Menüstruktur legt in der Navigation per- formative und selektiv wirksame Handlungen durch einen Zuschauer, der auch als Nutzer/User verstanden wird, nahe. Insbesondere angesichts der Ton- spuren hat Distelmeyer (2012: 99 f.) auf den Effekt der Selektion hingewiesen, die nachhaltig die Filmbilder und deren Rezeption prägt. Für die Kategorie Audiokommentar wird dies in einer spezifischen Form bei der vorliegenden Edition der Lumière-Filme wesentlich. Hier offenbart sich der mittelbar Er­ eignischarakter des Films auf DVD – auch als Produkt der navigierenden Vor- arbeit (vgl. allgemeine Überlegungen hierzu: Distelmeyer 2012: 173). 38  So schreibt Distelmeyer: „Man muss Menüs dezidiert wollen und bauen, sie sind kein Effekt ‚des Digitalen‘. Gleiches gilt für Inhalte wie Kapiteleinteilungen und -sprünge, diverse Sprachen, Untertitel und Formate, Multi-Angle […], Präsentationsmodi des Hauptfilms“ (Distelmeyer 2012: 155–156). Der Audiokommentar – hier dezidiert von der vorliegenden DVD als „Narrator“ benannt – spielt bei meiner Analyse eine zentrale Rolle. Audiokommentare sind Teil der medialen ‚Praxis‘ DVD. 39  Daneben findet gerade mit Blick auf die Formierung eines filmhistorischen Kanons bereits über Selektions-, Editions- und Publikationsentscheidungen auf DVD oder Blu-Ray-Disc eine Form der Geschichtsschreibung statt – gerade indem ‚Klassiker‘ entweder (neu) aus- gerufen oder affirmiert werden. Vgl. hierzu grundsätzlich zum Kanon H.-B. Heller (1989); desgl. etwa mit Blick auf die Selektionsfunktion von Copyright Op den Kamp (2018). Franziska Heller - 978-3-8467-6460-2 Heruntergeladen von Fink.de01/03/2022 12:27:50PM via free access Aspekte digitaler Performance 229 Im konkreten Fall der DVD-Edition der Lumière-Filme, die selbst nicht Gegenstand von Distelmeyers Überlegungen ist, fällt zunächst die (narrative) Formierung des ‚Ereignisses‘ der Wahloptionen auf: Die Filme der Lumières sind nicht einzeln anzuwählen, sondern die Menüstruktur offeriert nur zwei Versionen, in denen die einzelnen Filme ihrerseits bereits in filmische Erzählungen eingebunden sind:40 Sie werden von der Form der Kompilation der einzelnen Filme sowie einer jeweiligen Voice-Over geprägt. Somit erscheint eine weitere Enunziationsebene, die als Äußerungs- instanz eine historisierende Lektüre der medialen Anordnung beim Nutzer/ Rezipienten strukturiert: Es wird vom Menü eine Version des bereits kompilierten Filmes offeriert, in der der heute bekannte Filmregisseur und Leiter des Institut Lumière, Bertrand Tavernier, die zusammenmontierten Filme der Lumières über die Tonspur begleitend erzählt. Über die Auswahl – mit der expliziten Entscheidung für diese Version und nicht für die Tonspur mit reiner Pianomusik – wird der Nutzer Teil der historisch referenzierenden Narration, die von Tavernier enunziiert wird. Wie auch schon im Kapitel zu The Soldier’s Courtship bietet methodisch Kessler (u. a. 2002a und 2002b) mit dem Konzept einer historischen Pragmatik einen Ansatz, solche performativen Gebrauchsformen, die den Wahrnehmungsgegenstand – auch in der Bestimmung seiner historischen Dimension – mitmodellieren, als Teil des Zugangs zur Vergangenheit zu be- trachten: Filme hätten noch nie gesicherte Texte dargestellt. Insofern stelle sich diese Frage bei historischen Filmen, zu denen eine noch größere zeitliche Distanz bestehe, noch deutlicher: Daß ‚der Film‘ keinen gesicherten Text darstellt, ist ja letztlich nur scheinbar ein Problem. […] Daß wir also, zumindest in einer gewissen Hinsicht, jede Kopie als ein Original betrachten können, daß wir – gerade was das Kino der Frühzeit betrifft – bei der konkreten Arbeit stets mit Kopien betraut sind und nicht mit ‚dem Film‘, all das wird für die Arbeit des Filmhistorikers keinesfalls zu einem unüberwindlichen Hindernis (Kessler 2002a: 208). Für Kessler folgt daraus, dass man in der Beschäftigung mit historischen Filmen sich als Betrachter/Forscher seiner eigenen (historischen) Position, der eigenen (medialen) Bedingungen des Zugangs bewusst sein und diese Rahmenbedingungen transparent dokumentieren muss. Denn die Zugangs- bedingungen prägen nachhaltig, wie man das Objekt in seiner historischen Referenz- und Quellenfunktion wahrnimmt und definiert. 40  Grundsätzlich ist dies auch als eine performative Modifizierung des filmischen Werk- begriffs zu sehen – gebunden an die Handlungsautonomie des Nutzers. Franziska Heller - 978-3-8467-6460-2 Heruntergeladen von Fink.de01/03/2022 12:27:50PM via free access 230 kapitel 5 Dies gilt umso mehr, wenn in einer digitalen Medienumgebung ein Werk zunehmend versatil, ohne noch klar zu verortende historische Referenz, in der Zirkulation aufgeht (hierzu ausführlicher  Kap. 7). Die DVD respektive die Blu-Ray-Disc ist Teil eines solchen Systems: Sie zwingt den Rezipienten als Nutzer, sich sein ‚Original‘ durch den relationalen Akt der Navigation und der Auswahl als Referenz situativ und nach eigenem Bedürfnis zu konstituieren (vgl. zum „relationalen Handeln“ Casetti 2010). Dadurch schreibt sich der gegenwärtige persönliche Kontext über die Hand- lung in die derart konstituierte Referenz ein. Hier ließe sich auch – ähnlich wie es Distelmeyer tut – mit Altmans Formulierung von „cinema as event“ anschließen, um das Ereignishafte der Werkkonstitution in einer solchen Medienumgebung zu beschreiben. Altmans Terminologie rekurriert auf die Schwierigkeit der Bestimmung des einen filmischen Werkes (Altman 1992: 6; Distelmeyer 2012: 100). Der Begriff des ‚Originals‘ als ein zentraler Aspekt traditionellen Kunstdenkens der bildenden Kunst werde in diesem Zu- sammenhang zum Fetisch.41 Zusammenfassend lässt sich formulieren, dass in der umrissenen Perspektive die Geschichtsbildmodellierung als (Wahrnehmungs-)Effekt zu sehen ist, der durch das Zusammenwirken der digitalen (interaktiven) Nutzungsoptionen, der Struktur und (Menü-)Ästhetik der DVD, der Patina der konkreten Materialästhetik der editierten Bewegtbilder sowie von narrativen und formalästhetischen Merkmalen der jeweiligen Filmbilder zustande kommt. Es zeichnet sich somit ein medialer Akt der Geschichtsbildmodellierung ab, der sich aus mehrschichtigen performativen Elementen zusammensetzt. Analyse des Menüs als immersiver und emotionaler (Vor-)Raum Um das besondere Zusammenspiel von Nutzungsoptionen der vorliegenden Lumière-DVD und den entsprechenden Wahrnehmungseffekten in Hinblick auf aisthetische, medienhistoriografisch wirksame Erfahrungsbildung zu untersuchen, werden im Folgenden die Menüinszenierung und -struktur mit Fokus auf erwartungsmodellierende Potenziale, die emotional stimulierend und räumlich immersiv wirken, analytisch angegangen.42 41  Distelmeyer (2012: 100) greift hier Altman (1992) mit der Feststellung auf, dass die ‚Originalversion‘ zu einem wahren Fetisch geworden sei. In anderen argumentativen Zusamenhängen wird ‚Original‘ auch als rhetorische Strategie beschrieben (Hediger 2005b). Giovanna Fossati (2009) konzeptualisiert diese Überlegungen weiter archiv- politisch in pragmatischer Perspektive zu einem institutionellen wie ideellen ‚Framework des Originals‘, das Präservations- wie Restaurierungspraktiken und -strategien prägt. 42  Distelmeyer (2012:109) hebt in seiner Untersuchung die Bedeutung des Menüdesigns be- sonders hervor. Stärker als bei allen anderen Features der DVD würden die Menüdesigns Franziska Heller - 978-3-8467-6460-2 Heruntergeladen von Fink.de01/03/2022 12:27:50PM via free access Aspekte digitaler Performance 231 Die Auswahllogik der Menüstruktur determiniert die Einbindung des Nutzers und die Vergegenwärtigung des Materials.43 Dabei spielt das Prinzip der Verräumlichung als Modus der Präsentation und Bedingung der Zugangs- form eine zentrale Rolle.44 Distelmeyer skizziert ein historisches Tiefenperspektiv, das Hinweise auf das dialektische historiografische Verhältnis von früher Kinogeschichte und aktuellen Diskursen andeutungsweise erkennen lässt. Denn [e]s scheint, als erinnere sich die Filmindustrie in dem Augenblick, in dem ihre Produkte das Kino verlassen, um mehr denn je mit anderen Medien des Home Entertainment zu konkurrieren, jener Tradition, mit der sich Film und Kino einst institutionell etablierten (Distelmeyer 2012: 163). Die Aussage zielt auf die historische Praxis der szenischen Prologe. Die szenischen Prologe dienten dazu, die Zuschauer in die Stimmung des Films meist vorbereitend eintauchen zu lassen (Hediger 2003: 75): Mitte der Zehnerjahre […] taucht ein Element der theatralischen Darbietung in den Programmen auf, das mit der neuen Hauptattraktion, dem Langfilm, in einem engen Zusammenhang steht. Es handelt sich um Bühnenpräsentationen einzelner Szenen und Motive aus dem Film unmittelbar vor dessen Beginn, zum Zweck der Einstimmung des Publikums (Hediger 2003: 70).45 den Status als digitale Datenträger (ästhetisch) profilieren. Sie stellten das Digital der ‚Versatile/Video Disc‘ aus; dies unter anderem deshalb, weil die Menüs sich von den Vorgängermedien VHS-Kassette und der ansonsten in vielerlei Hinsicht ähnlich er- scheinenden Laserdisc unterscheiden. 43  Nach Distelmeyer (2012: 114) manifestiert sich insbesondere in dieser interaktiven Menüstruktur der „Mythos des Digitalen“. Dies gilt es, vor dem Hintergrund meiner Dis- kussionen des von Lev Manovich ausgemachten „Mythos der Interaktivität“ in  Kap. 2 durchaus kritisch als programmierende Formierung des Nutzenden zu sehen: Interaktivi- tät kann als eine Form der subtilen Einbindung verstanden werden, die Freiheit in vor- programmierten Strukturen suggeriert, aber gleichzeitig den User zur Partizipation an den vorgegebenen Strukturen und Hierarchien verführt und ihn so zu deren Teil macht. 44  Distelmeyer (2012: 162) spricht bei der Diskussion von Prinzipien der Verräumlichung in Menüstrukturen als Zugangs-Interface zu Filmen auch von der Gestaltung eines an- gemessenen emotionalen Vorstellungsraums. Ein solcher Vorstellungsraum sei als Hin- führung zum Hauptfilm zu verstehen, oft würden Orte und Objekte aus der Filmdiegese in Navigationsräume verwandelt. Dies geschehe mit dem Ziel, „Zuschauer eintauchen zu lassen in die Umgebung des Films“ (Van Ling, zit. n. Distelmeyer 2012: 162). 45  Distelmeyer rekurriert auf Hediger (2003), wenn er Menüarchitektur und -inszenierung der DVD in ihrer Scharnierfunktion als szenische Prologe zwischen theatralem und filmischem Raum beschreibt. Distelmeyer begreift das DVD-Menü als eine Remediation der szenischen Prologe der Stummfilmära (Distelmeyer 2012: 164). Franziska Heller - 978-3-8467-6460-2 Heruntergeladen von Fink.de01/03/2022 12:27:50PM via free access 232 kapitel 5 Damit betonen sowohl Distelmeyer als auch Hediger den Aspekt der ostentativen Präsentation eines Films, der a. performativ von einer Instanz moderiert wird; b. einen räumlichen Erlebensmodus bedingt, der in spezifischer Form die Vorstellung des kommenden Films prägt; dies meist mit Bezug zu dem fiktionalen Filminhalt in Form einer Verräumlichung des diegetischen Universums; c. die körperliche Positionierung des Zuschauers/Users mitimpliziert. Das Menüdesign der DVD The Lumière-Brothers’ First Films präsen- tiert sich vielschichtig – als konkrete (kino-/theater)räumliche Anordnung sowie als Zitat eines historischen Paratextes in Form eines verfremdeten Plakats. Unmittelbar zeigt es von leicht rechts hinten versetzt zwei Publikums- reihen, deren Figuren im Stile populärer Bildergeschichten gezeichnet sind. Die augenscheinlich angeregt auf eine Leinwand reagierenden Figuren wirken mit ihren Handbewegungen und Körperhaltungen animiert. Die Kinder, Frauen und Männer unterschiedlichen Alters tragen Kleidung der Jahrhundertwende, sie sitzen in Stuhlreihen vor einem roten Hintergrund, den sie wie eine Lein- wand anschauen. Darauf prangt rechts oben das Logo der Produktionsfirma der DVD. Die Anordnung erinnert sehr an einen Kinosaal (Abb. 5.5). Abb. 5.5 Und der Eindruck ist richtig: Es handelt sich bei dem Bild um eine Bearbeitung des ersten Plakats für den Cinématographe Lumière – für L’Arroseur arrosé, wie man in der Originalaufnahme sieht. Dieser Film ist eigentlich im bekannten Originalplakat auf der Leinwand zu sehen, was allerdings in Franziska Heller - 978-3-8467-6460-2 Heruntergeladen von Fink.de01/03/2022 12:27:50PM via free access Aspekte digitaler Performance 233 dem DVD-Menü herausretuschiert ist. Stattdessen findet sich an der Stelle, wo ursprünglich in der Zeichnung die Leinwand war, das DVD-Menü. Aus der Attraktion der Bewegtbilder im Kinosaal der Jahrhundertwende ist für das Publikum auf diese Weise heute so das Menü zum Anziehungs- punkt geworden – und so auch für den Nutzer, dessen Attraktion neben dem Rezeptionsgenuss des editierten Films auch in der Auswahlmöglichkeit darin besteht, was man sich nun auf der DVD anschauen kann. So prangt auch links neben dem Menü der Titel der DVD-Edition. Die auf dem neutralen roten Hintergrund erscheinenden (englischsprachigen) Menüoptionen be- stehen aus Begin Feature, Chapter Stops, Soundtrack Options und Resume Feature. Auf diese Weise wird ein (medien)selbstreferenzieller Raum zitiert und in- szeniert, in dem sich mehrere Ebenen überlagern: Nicht nur wird die Menü- auswahl zur motivischen wie tatsächlichen interaktiven Attraktion, sie ersetzt die historische filmische Attraktion, die aber immer noch als Zitat und Andeutung vorhanden ist. Auch die Autorschaft wird clusterartig. Die Produktionsfirma der DVD erscheint genauso wie der Name der Lumières als Gegenstand der Edition. Das Menü vermittelt die Überlagerung und Gleichzeitigkeit von medien- historischen Stationen: Zum einen wird das historische Kinodispositiv als Attraktion zitiert. Zum anderen wird die Faszination der DVD mit ihrem para- digmatischen Interaktivitätsversprechen als Mythos des Digitalen (Manovich 2001;  Kap. 2) ins Bild gesetzt. Das Bemerkenswerte an diesem Beispiel ist, dass sich dieses digitale Versprechen auf Interaktivität in einem historischen Clustering über einen bildlichen Paratext aus der Gründungsepoche der Film- geschichte vermittelt. Der Gestus, der sich über diese Verflechtungen vermittelt, ist in mehr- facher Hinsicht einer des Entdeckens.46 Hier wird eine besondere, aufregende, entdeckende historische Aufführungssituation dargestellt, der Erstling der Lumières wird zitiert und über das Aufgreifen des Kinodispositivs als Auf- führungssituation verräumlicht. Dies wird in der DVD-Nutzer-Positionierung gedoppelt; der Nutzer wird von der Blickrichtung her wie ein Zuschauer positioniert. Man entscheidet sich mit seiner Auswahl, etwas zu schauen, was motivisch und über den Titel (‚Firsts‘ als Ursprungsmythos) eine historische Position zugewiesen bekommt; etwas, das bereits im Kanon existiert und dadurch mit historischer Bedeutung aufgeladen wird. Die Pionierstellung 46  Zur Modellierung des Nutzers als (cinephiler) Entdecker angesichts von DVDs vgl. Klinger (2006a: 161). Ausführlicher wird dies in der wirkungsästhetischen Dimension diskutiert in  Kap. 7. Franziska Heller - 978-3-8467-6460-2 Heruntergeladen von Fink.de01/03/2022 12:27:50PM via free access 234 kapitel 5 wird zeichenhaft ausgestellt. Die hervorgehobene historische Bedeutung steigert das Versprechen auf Schau- und Genusswerte in der Rezeption.47 Die Fetischisierung des Anfangs der Filmgeschichte über das Dispositiv DVD wird theatral in Szene gesetzt, erlebt in den Nutzungsmöglichkeiten des Menüs seine Performanz. Ich verstehe in diesem Sinne den evozierten Gestus des Wiederentdeckens als eine sinnliche Konditionierung des Nutzers angesichts der Wahl und des Materials: Neugier auf etwas (ästhetisch) Neues, was wiederum dezidiert schon als historisch fixiertes Objekt im Kanon verortet ist.48 So wird das Menü – auch in seiner farblichen, aufmerksamkeitsheischenden und abstrahierenden Wirkung aufgrund des plakathaften Stils – als ein Raum begriffen, der eine animierte, spielerische Stimmung vermittelt. Zugleich ist es ein Raum für Erinnerungen an historische Aufführungspraktiken sowie an ästhetische Praktiken (der Filmplakate). Durch die Motivik der Publikumsreihen, in die auch noch der Nutzer, der aktuelle Rezipient, qua Blickrichtung miteingereiht wird, wird auch er Teil einer Gruppe. Die evozierte Kinosituation einer kollektiven Rezeption sowie der aus- gestellte individuell mögliche Zugriff und die Aneignung über das Menü kreieren eine Wahrnehmungshaltung, die zunächst suggeriert, dass die Kino- geschichte für den Nutzer verfügbar geworden ist. Der besondere Mehrwert des Verfügbarwerdens bleibt aber nur bestehen, wenn die ‚Geschichtlichkeit‘ des Moments – der erinnerungskulturell wertvolle Gründungsmythos der Filmgeschichte – außerhalb dieser aktuellen Aneignung als überzeitlich vom Nutzer angenommen wird – was letztendlich eine affirmative Performanz des Mythos bedeutet. Angebote des Clusters. Der Film-Lecturer und Audiokommentar Wie oben bereits eingeführt, liegen die First Films der Brüder Lumière nicht einzeln auf der DVD anwählbar vor, sondern sind in einem Feature zusammen- montiert, das man als solches auch auswählen kann (in der englischsprachigen Menüversion). Über die Soundtrack Options sind folgende Möglichkeiten gegeben, dieses Feature zu rezipieren: Narration by Bertrand Tavernier 47  In einem historischen Tiefenperspektiv gesprochen: „Die Prologe ‚verdoppelten‘ die Wirkung des Films nicht nur deshalb, weil sie den Einstieg in die fiktionale Welt er- leichterten, sondern auch, weil sie den Schau- und Genusswert der Show als solcher ver- stärkten“ (Hediger 2003: 86). 48  Vgl. grundsätzlich zur Figur des Entdeckers in seiner Bedeutung für die Vermittlung kultureller Wertigkeiten die weiteren Ausführungen in  Kap. 7. Franziska Heller - 978-3-8467-6460-2 Heruntergeladen von Fink.de01/03/2022 12:27:50PM via free access Aspekte digitaler Performance 235 with Musical Score oder French Narration by Thierry Fremaux oder Musical Score by Stuart Oderman. Im Folgenden werden die ersten Filme der Lumières als Feature, erzählt von Bertrand Tavernier, fokussiert. In diesem Kontext eröffnet sich ein Cluster, das Aufführungspraktiken in den ersten (zwei) Dekaden der Kinogeschichte und heutige mediale Formen verknüpft. Das clusterförmige historische Tiefen- perspektiv richtet sich auf das Phänomen des Kinoerzählers, des Film­Lecturers, aus der Frühphase des Mediums. In ihm verkörpert sich auf besondere Weise der performative Charakter in der Bedeutungszuweisung von Bewegtbildern – gebunden an einen offenkundig enunziativen Akt, der in Variation, so die These, heute unter Bedingungen digitaler Reprisen eine Aktualisierung erfährt. Eine solche medienarchäologische Perspektive der Ähnlichkeiten schärft den Blick für die Spezifik einzelner Erscheinungsformen des Phänomens. Zur historischen Praxis schreibt Filmhistoriker André Gaudreault: Before cinema’s arrival, magic lantern shows were generally accompanied by commentary by the lanternist, who could thereby announce or explain the views he was presenting or provide verbal narration for the images. An analogous situ- ation prevailed for the projection of the first moving pictures, a practice which continued into the 1910s. […] In addition to this role as a ‚voice over narrator‘, the lecturer could also elect to personify the characters on the screen (by acting out their dialogue) or provide the film with sound effects (Gaudreault 2005: 379, Hervorh. FH). Die Praxis diente vor allem dem Zweck, über die Performanz einer Erzählung durch eine anwesende Person ein vergegenwärtigendes menschliches Element in die Aufführung zu implementieren, das die Unterhaltungsqualität und das Attraktionspotenzial durch Wahrnehmungsführung noch steigern sollte (Gaudreault 2005: 380). Im Kontext von Vermarktungsstrategien des Dispositivs DVD stellt die Bei- gabe eines Audiokommentars als Bonusmaterial allgemein einen Versuch der Wertschöpfung dar. Medienhistorisch gesehen trat der Unterhaltungsgedanke allerdings bei der DVD zunächst bei den Audiokommentaren zurück, da zu Beginn der Gestus eher intellektueller und filmhistorischer Natur war: So bilanziert Distelmeyer die Entwicklung mit Blick auf die ursprüngliche Ein- führung der Audiokommentars bei der Laserdisc von der Firma Criterion, dass das, was damals als Hintergrundinformation für Akademiker gegolten habe, nun längst mit der Erweiterung von Kommentaren der Regisseure, Dreh- buchautoren und Produzenten zu einer beliebten und institutionalisierten, wenn auch nicht in der Form standardisierten Beigabe der DVD respektive der Blu-Ray-Disc geworden sei. Mit den Audiokommentaren gehe auch eine Franziska Heller - 978-3-8467-6460-2 Heruntergeladen von Fink.de01/03/2022 12:27:50PM via free access 236 kapitel 5 Zuschreibung einher, wer die Autorität über die Bilder habe (Distelmeyer 2012: 73 ff.).49 Im Falle der Editionen von historischen Filmen behauptet der Audio- kommentar nicht nur die autorisierende Sinngebung über die Bilder, er be- stimmt auch deren historische Dimension und Einordnung – etwa über das Konstruieren von Kausalitäten und Kontinuitäten, aber auch in der Wahr- nehmungslenkung des Zuschauers. Im vorliegenden konkreten Beispiel erfolgt eine Schichtung der kulturellen Autoritäten und Sprecherstimmen.50 Zum einen stehen die Lumières als Ur- heber deutlich im Mittelpunkt der Edition – sie sind sogar titelgebend! Gleich- zeitig wird aber die Präsentation überlagert von der Neumontage der Filme in ein Feature; darüber hinaus bieten sich gerade bei diesem Feature zwei unter- schiedliche Sprecherstimmen an: zum einen Bertrand Tavernier, Präsident des Lyoner Instituts Lumière, zum anderen Thierry Fremaux auf der französischen Tonspur.51 So werden der Film wie seine Geschichte zum performativen Ereig- nis im Vollzug zweier unterschiedlicher Erzähl- und Äußerungsakte. Die performativen Qualitäten von Bertrand Tavernier als emphatischem Filmerzähler werden umso deutlicher, wenn man den Film im Vergleich mit dem Kommentar von Thierry Fremaux rezipiert. Letzterer ist wesentlich autoritärer, weniger emphatisch und gleicht im Stil eher einem Dozenten, der einen abgelesenen Vortrag präsentiert, zumal auch die unterlegte Piano- begleitung hier fehlt, welche wiederum einen fließenden Klangteppich unter Taverniers Erzählung legt. Bei der Version mit der Stimme von Fremaux fehlen Elemente der Unmittelbarkeit, Rhythmisierung und Improvisation. Bei Fremaux gibt es keine Wiederholungen und keine Versprecher, wie sie den be- sonderen Stil von Tavernier prägen. Die DVD-Struktur mit dem Angebot zur 49  Zur Bedeutung der Re-Autorisierung von Kunstwerken in kunstsoziologischer Perspektive vgl. ausführlicher  Kap. 7. 50  So schreibt Distelmeyer (2012: 74) zur veränderten Autorenproblematik angesichts von DVD und Blu-Ray-Disc, dass sowohl die Ästhetik des Audiokommentars als auch das kaum zu überblickende Programm dieses Bonusmaterials etliche Störungen einer klassischen Autorenpolitik bereithalte. Aus meiner Perspektive gilt dies umso mehr im Zeichen von performativen Praktiken und Formen der Sinnkonstitution. 51  Bei Stummfilmeditionen geschieht dies ähnlich, wenn auch weniger offensichtlich: So werden bei den Auswahlmöglichkeiten unterschiedliche Musikscores offeriert. Ein reflektiertes und gut dokumentiertes Beispiel ist hier Beyond the Rocks (vgl. grund- sätzlich zu der Thematik auch Distelmeyer 2012: 76, insbes. Fußnote 9); vgl. auch ausführ- licher aus meiner Perspektive den Fall des Films Varieté in  Kap. 7. Franziska Heller - 978-3-8467-6460-2 Heruntergeladen von Fink.de01/03/2022 12:27:50PM via free access Aspekte digitaler Performance 237 Alternative Tavernier/Fremaux macht die Differenz der Versionen prägnant spürbar ( Kap. 7, insbes. die Ausführungen zum vergleichenden Hören).52 Im Folgenden sollen die performativen Elemente anhand der Tavernier- Erzählung exemplarisch illustriert und auf ihre Funktionsweisen hin ana- lysiert werden. Ein besonderes Augenmerk gilt hierbei der Konstruktion von Kausalzusammenhängen und Kontinuitäten zwischen filmgeschichtlicher Vergangenheit und Zukunft. Zunächst wird deshalb mit Blick auf den Bild- eindruck der DVD ein kurzer Exkurs zu den materialästhetischen Voraus- setzungen unternommen. Exkurs I: Erlebnis Film(geschichte). Zu den materialästhetischen Voraussetzungen der DVD Eine Rezension der vorliegenden DVD-Edition beschreibt die Bildqualität53 wie auch die ‚digitalen‘ Potenziale der DVD-Edition – und damit die Trans- formation des historischen Materials in digitale Form – wie folgt: The program features high quality video transfers from original Lumière nega- tives, with some from the original prints, in windowboxed format. The DVD uti- lizes the same transfers as the Laserdisc and videotape editions from Kino. For the DVD edition, and for the first time, three stereo audio options are available. A user can select commentary on the films in English by filmmaker Bertrand Tavernier with music score, commentary in French by Institut [sic!] director Thierry Fremaux, or an isolated piano score by Stuart Oderman (Bennett 1999). Für die Ästhetik der Patina des historischen Filmmaterials auf der DVD ist zentral, dass sich die Herausgeber dafür entschieden haben, Schäden und Mängel im Material in der digitalen Abbildung zu belassen. Der Rezensent der Webseite Silent Era (Bennett/Silent Era Company 1999–2017) bewertet interessanterweise das Belassen des Alterswertes im Material als positiv: Es sei 52  Eine in Hinsicht auf die hier genannten DVD-Audiokommentare interessante Ver- schiebung ergab sich als Ereignis am filmhistorischen Festival Il Cinema Ritrovato in Bologna 2017: Am 27.07.2017 wurden als Vorfilme des Abendfilms auf der prestige- trächtigen Open-Air-Hauptspielstätte der Piazza Maggiore einige der auf der vorliegen- den DVD editierten Filme der Lumières gezeigt. Thierry Fremaux war selbst anwesend und kommentierte live von der Bühne vor der Leinwand aus die Filme auf Englisch. Dabei reanimierte er im Wortlaut sowie vor allem im performativen Rhythmus – auch in Hinblick auf humoristische Effekte – fast exakt den Audiokommentar von Bertrand Tavernier: Der DVD-Audiokommentar von 1998 fand somit seine Aktualisierung in der tatsächlichen Liveperformance eines Kinoerzählers im Jahr 2017. 53  Vgl. die Diskussion der technizistischen Rezeption und diskursiven Einbettung von DVD und Blu-Ray-Disc in Kritiken im Internet in  Kap. 7. Franziska Heller - 978-3-8467-6460-2 Heruntergeladen von Fink.de01/03/2022 12:27:50PM via free access 238 kapitel 5 in Ordnung, da es nicht von dem Filminhalt und dessen Unterhaltungswert ablenke.54 Wahrnehmungstheoretisch ist dies für meinen Begriff der historiografischen Erfahrungsbildung wichtig, da über solche Merkmale der Schädigung, des Ver- schleißes und der Alterung – wie Schweinitz (2012) feststellt – dem historischen Material eine besondere historisierende Patina sinnlich-atmosphärisch zu- geschrieben wird. So fasst auch der Rezensent das Konglomerat der zusammen- wirkenden Faktoren zusammen – gegenwärtiger Unterhaltungsanspruch, historischer dokumentierender Wert und daraus resultierender kanonhafter Wert für eine eigene Sammlung zu Hause: „Although this DVD program is short in length it is nevertheless a valuable and entertaining document of the Lumière films. The quality of the film materials […] and Tavernier’s commentary make this disc a worth while addition to a silent film collection“ (Bennett 1999).55 Im Folgenden werden diese Befunde an eine filmästhetische Analyse des ‚Textes‘ zurückgebunden und die entsprechenden filmhistorio- grafisch wirksamen Mechanismen untersucht. Verfahren aisthetischer Historiografie. Suspense und Unterhaltung. Die DVD-Kapitel LumiÈre – The First Films & Childhood Der Feature-Film, der Hauptfilm der DVD, beginnt mit den Credits der heraus- gebenden Institutionen.56 Es folgt der Schriftzug „Institut International, The Lumière Brothers Association presents …“ Damit schiebt sich in den filmischen Präsentationsmodus eine weitere Ebene beanspruchter Autorschaft ein: „Edited by Thierry Fremaux of the Institute Lumière and the Archive du Film du Centre National de la Cinématographie“; und für die performative Ebene entscheidend: „Narrated by Bertrand Tavernier“. Der eigentliche Beginn des Films wirkt wie ein Prolog. Die Erzählerstimme holt das Publikum in dem Rekurs auf eine kollektive Gemeinschaft ab: „We are at the end of the 19th century …“ (Hervorh. FH). Taverniers Stimme etabliert den mediengeschichtlichen Kontext: Am Ausgang des 19. Jahrhunderts habe es mehrere Versuche gegeben, Fotografien zu animieren. Zu dieser Aussage werden keine Bewegtbilder, sondern passenderweise Standbilder gezeigt. Sie zeigen Außenaufnahmen, in denen auf einer Wiese ein großes Feuer 54  Eine ähnliche Argumentation findet sich übrigens auch in den Restaurierungsent- scheidungen bei The Soldier’s Courtship; vgl. Núñez (2011). 55  In der Rezension der Hompage von Silent Era wird der Kommentar von Thierry Fremaux im Vergleich zu dem von Bertrand Tavernier als wesentlich konventioneller, da weniger lebhaft und eher nüchterner beschrieben, wodurch Fremaux’ historiografische Erzählung autoritärer wirke (Bennett 1999). 56  Vgl. weiterführend Grant (2009). Franziska Heller - 978-3-8467-6460-2 Heruntergeladen von Fink.de01/03/2022 12:27:50PM via free access Aspekte digitaler Performance 239 entfacht ist, Männer stehen davor, dann eine Frau mit Schaufel. Die gezeigten historischen Fotografien haben gemeinsam, dass die angehaltene Bewegung sichtbar wird: Die riesige Rauchsäule des Feuers wirkt in ihrer Dynamik suspendiert. In der Montage findet sich dies gespiegelt, indem die Fotos durch Schwarzblenden deutlich voneinander getrennt gezeigt werden, was den Fluss der Bilder immer wieder unterbricht. Auf der phänomenalen Ebene für den Zuschauer vermittelt dies eine fühlbare Notwendigkeit, die gezeigten Phasen- bilder in Bewegung zu setzen; die Bewegung zwischen den Phasenbildern sinnlich zu entbinden. Bevor sich aber dies ereignen kann, werden die Namen der innovativen Vor- gänger und Zeitgenossen zitiert: Renaud, De Prince, Muybridge, Skladanovsky, Edison etc. Taverniers Erzählung wird inhaltlich zunehmend faktenreicher – greifbar in der Tendenz, Daten zu registrieren – bis hin zu singulären Tageszeiten. Dies sowie die anekdotenhafte Beschreibung von Wetterbedingungen, die nicht zu- letzt wegen der Ausleuchtung wichtige technische Bedingungen der frühen historischen Filmaufnahmen bargen, kreieren eine Ereignisfolge pionierhafter Erfindungen. Taverniers Sprechstil wirkt dabei sehr lebendig, spontan und improvisierend, da sich immer wieder Versprecher oder Wiederholungen und Korrekturen ein- schleichen. Auch inkarniert Tavernier stimmlich unterschiedliche Personen und spielt mit emphatischen Betonungen. Inhaltlich setzt Tavernier eine fundamentale Zäsur, die als sprachlicher Topos immer wieder in der Dokumentation wiederkehren wird: „The history of invention stop [sic!] there, the history of filmmaking begins“. Zu diesem – für die Montage wichtigen Satz – wird das (bekannte) Foto der Brüder Lumière im Profil gezeigt, sie schauen nach rechts aus dem Kader hinaus (Abb. 5.6). Abb. 5.6 Franziska Heller - 978-3-8467-6460-2 Heruntergeladen von Fink.de01/03/2022 12:27:50PM via free access 240 kapitel 5 Es scheint fast so, als würden sie – über das gegenwärtig Sichtbare hinaus – in die Zukunft sehen und über ihre Blickachse schon eine Verbindung mit mediengeschichtlich Kommendem herstellen. Es folgt die Titeltafel: The Lumière Brothers’ First Films.57 Dass die Brüder Lumière mit ihrem Filmschaffen bereits das folgende Jahrhundert antizipieren, wird eine Behauptung der DVD-Editoren sein, die sich durch die ganze Kompilation zieht und die sich in den unterschied- lichsten Formen äußert. Es ist eine zentrale mehrschichtige, clusterhafte Vergegenwärtigungsstrategie, Filmwissen über tatsächliche wie mentale Erinnerungs-Bilder aus dem gesamten 20. Jahrhundert abzurufen und in direkte – differenzielle wie wiederholende – Relation zu den Filmen der Lumières zu setzen; es ist eine Form der performativen Wiederholung, da sie gebunden an die Erzählerstimme bleibt. Auf diese Weise werden sowohl die Aktualität der Filme in Hinblick auf ihre historische Distanz und Andersartig- keit als auch ihr immer noch abrufbares Potenzial zur Unterhaltung vermittelt; dies ganz gemäß Kesslers Prinzip Bridging the gap, marking the difference. Die Distanz wird über die Inszenierung des pionierhaft Exzeptionellen in der Geschichte etabliert. Immer wieder wird der Premierencharakter der ge- zeigten Filme hervorgehoben. Zu diesem Zweck wird prominent Sortie de l’usine gezeigt. Was nun geschieht, ist ein Wechselspiel im Spannungsfeld von historischer Originalität und Überlieferung in verschiedenen Versionen. Zugleich wird dies über das Informationsmanagement und die Gestaltung des Blickregimes in die heutige Zuschauerwahrnehmung übersetzt. Tavernier weist nämlich bei be- stimmten Bildern von Sortie de l’usine darauf hin: „This is the first film, the first version“ (Hervorh. FH). Man wisse dies, so Tavernier, weil ein Journalist und Augenzeuge des ersten Drehs einen anwesenden Hund, ein Fahrrad und ein Pferd beschrieben habe. Der Hund, das Fahrrad und das Pferd sind aber in den nun ablaufenden Bildern nicht sofort auszumachen. So baut Tavernier Suspense und Neugier auf. Er schürt beim heutigen Zuschauer Erwartungs- haltungen und weist auf womöglich Kommendes im Bild hin. Er verleitet uns, die genannten Objekte im Bild zu suchen, sie dann schließlich im Bild wiederzuentdecken. Dies wird umso interessanter, als damit auch zu einem Versionenvergleich angeregt wird: Es werden mehrere Versionen der An- sichten von Arbeitern gezeigt, die die Fabrik verlassen (Abb. 5.7–5.9). 57  Interessant an dieser Stelle ist, dass in der französischen Version, gesprochen von Thierry Fremaux, der Kommentar bis dahin fehlt, er setzt erst beim Film nach der Titeltafel ein. Unter diesen Bedingungen gleicht die französische Version der Kompilation zu Beginn in der Präsentation der Stills eher einer Diaschau. Franziska Heller - 978-3-8467-6460-2 Heruntergeladen von Fink.de01/03/2022 12:27:50PM via free access Aspekte digitaler Performance 241 Abb. 5.7 Abb. 5.8 Abb. 5.9 Franziska Heller - 978-3-8467-6460-2 Heruntergeladen von Fink.de01/03/2022 12:27:50PM via free access 242 kapitel 5 Damit findet gleichzeitig die Überschreibung eines eindeutigen Ursprungs- mythos statt: Denn nun wird eine Version gezeigt, von der – wie Tavernier erzählt – man immer dachte, sie sei die erste, die originale. Tavernier fordert den Zuschauer auf, das Pferd zu suchen. Es stellt sich dann heraus, dass es in dieser Version fehlt. Der Zuschauer kann sich aufgrund der eigenen ver- gleichenden Beobachtung dazu verhalten und damit den Ursprungsmythos – welche Version nun die erste sei – überprüfen. So gerät hier das Konzept des Erstlings, des ‚First‘, des historischen Ursprungs paradox, denn es findet sich gekoppelt an den konkreten Enunziations- wie Monstrationsakt der Bilder. Die Lenkung von Blickrichtungen über den Erzählakt Taverniers findet sich mehrmals wieder. So ordnet Tavernier etwa bei Déjeuner du bébé die ‚Protagonisten‘ der Familie Lumière namentlich zu (links Auguste, rechts seine Frau Marguerite). Darüber hinaus lenkt er den Blick auf Details, die er gleich- zeitig auch als historische Attraktion ausweist: Das, was die Leute am meisten bei dem Film beeindruckt habe, sei der Wind in den Blättern im Hintergrund gewesen (Abb. 5.10). Als Zuschauer wird man dazu verleitet, dieses Phänomen tatsächlich im vermeintlich unscheinbaren Bildhintergrund zu suchen und als (historische) Attraktion der frühen Filmkunst nachzuvollziehen. Abb. 5.10 Eine weitere Strategie, den gegenwärtigen, heutigen Zuschauer einzubinden, ist die freimütige Anwendung von modernen Begriffen der Genrezuordnung. Nicht nur bezeichnet er Déjeuner du bébé als „First Home Movie“. Die Lumières hätten auch „the first film and the first remake“ gemacht (mit Remake bezeichnet Tavernier die Versionen des Fabrikfilms). Ähnlich verhält er sich beim Arroseur arrosé, der die „first comedy“ sei. Und hier ver- weist er direkt auf die kanonische Position des Films: „It is so well known it doesn’t have to be commented.“ Abgesehen von diesem direkten Verweis auf Franziska Heller - 978-3-8467-6460-2 Heruntergeladen von Fink.de01/03/2022 12:27:50PM via free access Aspekte digitaler Performance 243 ein kollektives filmhistorisches Gedächtnis etabliert Tavernier darüber hinaus eine Verbindung zur Gegenwart über den überzeitlichen Unterhaltungswert des Films: Er sei heute noch lustig – und ernte noch heute viele Lacher. Nach einigen anderen Filmen kommt ein weiteres von Tavernier aus- gerufenes „Masterpiece“: Arrivée d’un train à La Ciotat. Und hier gerät die Genrezuordnung nicht minder pikant und überraschend – und dadurch umso amüsanter aus einer heutigen Zuschauerperspektive: „This is the first horror movie“ (Abb. 5.11). Dadurch deutet Tavernier implizit an, dass diese Zugeinfahrt im Adressierungsmodus somatisch wirkend auf den Zuschauer gerichtet war. Und wieder findet eine unzeitgemäße Aneignung durch ver- marktungstechnische Gattungsbezeichnungen statt. Abb. 5.11 Amüsant wird dieser Kommentar gerade durch die empfundene Ahistorizität. Für einen heutigen Zuschauer, zumal wenn ihm die bekannte Aufnahme schon vertraut ist, haben die Bilder des Zuges zunächst nichts Furchtein- flößendes. Aber dadurch, dass Tavernier trotzdem die Verbindung zu dem populären Horror-Genre herstellt, wird nahegelegt, Details oder Strukturen in dem Bild zu suchen, die zu dieser Einordnung passen. So könnte eine Reaktion sein, dass man versucht zu antizipieren, wie das historische Publikum die Attraktion – einen Zug auf sich direkt zukommen zu sehen – empfunden hat.58 Derart disponiert, versucht der heutige Zuschauer die damalige Attraktion als spektakuläres Ereignis unmittelbar nachzuempfinden – bei gleichzeitiger Ver- gegenwärtigung der historischen Relativität. 58  Vgl. grundsätzlich zu dem mit diesem Film verbundenen ‚Gründungsmythos‘ des Kinos Loiperdinger (1996). Franziska Heller - 978-3-8467-6460-2 Heruntergeladen von Fink.de01/03/2022 12:27:50PM via free access 244 kapitel 5 Tavernier gibt sich alle Mühe, die Attraktion der eigentlich für ein heutiges Publikum doch recht simplen Aufnahme spannungsdramaturgisch und sinn- lich zu vermitteln – und dies über den Modus der ästhetischen Wertschätzung: Tavernier weist auf die „striking composition“ in dem an eine Diagonale an- gelehnten Bildaufbau hin. Darüber hinaus lobt er den Einsatz der Kontraste von Schwarz und Weiß. Damit hebt er aber genau das als Qualität hervor, was vor allem für ein Nichtexperten-Publikum als besonderes Merkmal der historischen Dimension, als Patina, wahrnehmbar ist. Die Themen der Kapitel des Films folgen einer Linie, die man metaphorisch als ein ‚Aufwachsen‘ (des Kinos) bezeichnen kann: von der Geburt (Lyon the Birthplace of the Cinematographe), über die Kindheit (Childhood) zu den Lehr- und Wanderjahren (France at play, France at work, the world nearby) bis hin zu einem Ausblick in die Zukunft zur Anbindung an die Gegenwart (Mitte der 1990er Jahre), aus der heraus erzählt wird. Insbesondere im Kapitel Childhood baut Taverniers Erzählweise die schon ausgemachten Verfahren der historiografischen Erfahrungsbildung spannungsdramaturgisch weiter aus. So sieht man etwa einen Lumière-Film, in dem ein kleines Kind, das gerade Laufen gelernt hat, auf einem Bürgersteig von seiner Gouvernante auf seine Füße abgesetzt wird (Abb. 5.12). Abb. 5.12 Das Kind, gekleidet in ein unförmiges, bauschiges weißes Kleid, das es noch tapsiger aussehen lässt, fängt an, ein paar unsichere Schritte zu machen. Taverniers Stimme lädt nun diese Betrachtungsperspektive mit einem aus der Filmgeschichte und der Narrations- wie Wahrnehmungstheorie wohl- bekannten Begriff auf: „This is the first suspense film ever made“ (Hervorh. FH). Franziska Heller - 978-3-8467-6460-2 Heruntergeladen von Fink.de01/03/2022 12:27:50PM via free access Aspekte digitaler Performance 245 Mit dem Rekurs auf das Hitchcock’sche Suspenseprinzip – den Zuschauer mehr wissen zu lassen als die Protagonisten59 – sieht man diese Non-Fiction- Bilder buchstäblich mit einer neuen Anspannung. Als Zuschauer gerät man tatsächlich in die Warteposition: Wird das Kind am Ende über den Bordstein direkt vor uns stolpern oder nicht? Durch dieses geschickte Einbeziehen der Zuschauererwartung kommt diesen Aufnahmen ein aktualisierter narrativer und sinnlicher Attraktionswert für den heutigen Zuschauer zu. Ein weiteres ikonisches, filmhistorisch und populärkulturell aufgeladenes Cluster wird in dem Film Baby Parade von Tavernier kreiert (Abb. 5.13): Wie- der in einer – auch von Tavernier annotierten – diagonalen Bildkomposition zieht schräg durchs Bild eine Reihe von Krankenschwestern mit weißen Kleidern – jede einen Kinderwagen vor sich herschiebend: „It should be dedicated to W. C. Fields“ – so wieder ein leicht amüsierter Kommentar Taverniers, in dem er wohl auf die notorisch zur Schau getragene Kinder- phobie des bekannten Komikers anspielt. Abb. 5.13 Aber dann, als die Parade eigentlich schon aus dem Bild verschwunden ist und der Blick auf der leeren Straße verharrt, hält uns Taverniers Stimme noch einen Moment zurück. Er kündigt an, dass noch etwas am Ende passiert … und tatsächlich kommt noch ein kleines Kind von links ins Bild und nimmt genau zu der vorherigen Parade den gegenläufigen Weg an den diagonalen Bäumen entlang in die Bildtiefe (Abb. 5.14). Als die kleine tapsende Gestalt sich immer 59  Vgl. ausführlich auch zu Suspense als Erfahrung filmischer Dauer nach Alfred Hitchcock F. Heller (2015; bes. Kap. 1). Franziska Heller - 978-3-8467-6460-2 Heruntergeladen von Fink.de01/03/2022 12:27:50PM via free access 246 kapitel 5 weiter im Bildhintergrund in der Rückenansicht entfernt, schafft Tavernier – er- neut augenzwinkernd – den Anschluss an die bekanntesten Endeinstellungen der Filmgeschichte, die auch ins kollektive Bildgedächtnis eingeschrieben sein dürften: „Maybe Chaplin saw this film …“. Abb. 5.14 Wieder bindet Tavernier damit den heutigen Zuschauer mit seinem populär- kulturellen und filmhistorischen Wissen über das 20. Jahrhundert ein – nicht in einem didaktischen, ernst gemeinten, faktografischen Sinne, sondern über motivische, atmosphärische und erinnerungskulturelle Assoziationen und Anschlüsse. Durch seinen selbstironischen und pointiert rhythmisierten Erzählstil schafft er ein spielerisches Verhältnis zu den Bildern. Diese Strategie erlaubt es, die Bilder in neuen Kombinationen oder erinnerungstechnischen Montagen – auch beim Zuschauer selbst – zu sehen. Der Zuschauer wird darüber eingeladen, nicht nur der Wahrnehmungslenkung der Stimme Taverniers zu folgen, sondern seiner eigenen (filmhistorischen) Imagination freien Lauf zu lassen. Dies wird durch den zum Teil improvisiert und assoziativ wirkenden Sprech- und Performanzstil Taverniers möglich.60 60  D as Kapitel See you soon, Lumière bildet in vielerlei Hinsicht den Abschluss: Am Ende weisen die Kompilation und der Erzähler Tavernier von den Lumières in unsere Zukunft. Zunächst werden die Programme der Lumières dahingehend zitiert, dass das historische Programmende gezeigt wird. Aber Tavernier weist darauf hin, dass die Ur- heber des Kompilationsfilms (als Re-Programmierung der Filme im Jahr 1995/1998, FH) dies nicht so machen: Sie beenden ihr Programm/ihre Kompilation nicht mit dem historischen Ende, sondern mit einer Aktualisierung: „We have chosen another film“. Mit 40 heute (sprich: in den 1990er Jahren) bekannten Regisseuren als Darstellern reinszeniert Franziska Heller - 978-3-8467-6460-2 Heruntergeladen von Fink.de01/03/2022 12:27:50PM via free access Aspekte digitaler Performance 247 Zwischenfazit zur DVD-Edition von The LumiÈre Brothers’ First Films In dieser Fallstudie der DVD-Edition von The LumiÈre Brothers’ First Films werden zentrale Aspekte der verschiedenen historischen Schichtungen im Modus der Re-Edition einer DVD deutlich, die zu einer über ein (zeit- liches) Cluster funktionierenden medienhistoriografischen Erfahrungsbildung führen. Nicht nur die Gestaltung des Menüs repräsentiert die Verschmelzung unterschiedlicher medienhistorischer Stationen – historisches Filmplakat, das Kinodispositiv abbildend, kombiniert mit digitaler Interaktivität; vor allem der editorische Eingriff in Form der kompilierenden Montage der Einzelfilme der Lumières im Zusammenspiel mit der (jeweils gewählten) Tonspur entfalten eine audiovisuelle Geschichtsbildmodellierung mit Blick auf das bedeutsame Anfangsnarrativ der Kino- wie Filmgeschichte. Diese funktioniert grundlegend über Aspekte des Performativen – in seinen unterschiedlichen Dimensionen. Im Besonderen sind die Aspekte auf der Ebene der Zugangsform zu finden, aber auch auf der Ebene der metahistorischen Montage- und Präsentationsmodi unter den Vorzeichen eines buchstäblichen Filmgeschichtserzählers. Wesent- lich für die Erfahrungsbildung ist, dass aus dem präsentischen medialen und filmischen Erlebnis heraus – über die Lenkung und Rhythmisierung der Wahr- nehmung – der Zuschauer/User memophänomenal involviert wird. Die Ein- bindung wird zugunsten der Attraktion ‚Filmgeschichte‘ sowie zudem der Attraktion ‚Filmgeschichte auf DVD‘ funktionalisiert. 5.7 Ein re-imaginierter Film zwischen Internet, DVD und Bühnenperformance. Too Much Johnson (1938) – heute In den ersten beiden Fallstudien wurden aktualisierende Wiederaufnahmen von Filmen aus der Frühphase des Kinos in digitalen Medienkontexten mit Blick auf ihre performativen Elemente hin analysiert.61 Ein letztes Beispiel soll die performativen Aspekte memophänomenaler Erfahrungsbildung insofern ergänzen, als es sich in dem spezifischen Fall der Reprise (vgl. Zwischenfazit  Kap. 3.9) um die offensichtlich hypothetische (Re-)Konstruktion eines film- historischen Phänomens in Form eines unfertig überlieferten Fragments han- delt; ein Fragment, das seinerseits inhaltlich und formal bereits pasticheartig der Kompilationsfilm in Schwarz und Weiß den Sortie à l’usine. Der Wunsch für die Zukunft wird geäußert: „We wish you with that film a happy 2nd century of filmmaking.“ 61  Vgl. auch F. Heller (2014 und 2013a), zum Begriff der Reprise vgl. Zwischenfazit  Kap. 3.9. Franziska Heller - 978-3-8467-6460-2 Heruntergeladen von Fink.de01/03/2022 12:27:50PM via free access 248 kapitel 5 aus der Perspektive der 1930er Jahre bewusst und ostentativ (ästhetische) Elemente des frühen Kinos und der Stummfilmkomödie spielerisch aufnimmt. Eigentlich war Too Much Johnson 1938 von Orson Welles als ein multi- mediales Theaterprojekt geplant, das – so Chuck Berg (2003: 381) –, wenn es denn je in vollem Umfang öffentlich zu sehen gewesen wäre, eine höchst ein- flussreiche, breitenwirksame Theaterinnovation im Geiste eines ‚expanded theatre‘ dargestellt hätte. Aber die Produktion Too Much Johnson hat den Broadway nie erreicht. Trotz allem, so Berg 2003 weiter, bleibt die Produktion ein Meilenstein in Welles’ Schaffensbiografie, gerade weil sie den Übergang seiner Karriere vom Theater, Hörspiel zum Film markiert. Man bedenke zur zeitlichen Verortung, dass das fulminante Spielfilmregiedebut 1941 mit Citizen Kane nur drei Jahre später folgte. Aufgrund der spezifischen Überlieferungslage und der Voraussetzungen ist Too Much Johnson ein für meinen Zusammenhang äußerst interessanter Fall, in dem sich gegenwärtige Praktiken des Aktualisierens spannungsgeladen in mehrfach bedeutungsgenerierender Form in heutige Zugangs- und Auf- führungsweisen einschreiben. So wird in diesem Kontext unter anderem die Vorläufigkeit des Resultats der jeweiligen (Re-)Konstruktion zum Teil der Attraktion. Too Much Johnson (Welles, 1938) existiert eben von vornherein nur als filmisches Fragment, als nur teilweise geschnittenes Filmmaterial.62 Dies bedeutet, dass jede Form von Aktualisierung eine Konstruktion von innerfilmischen Kausalitäten und raumzeitlichen Zusammenhängen darstellt. Gleichzeitig nimmt jedes aktualisierende Dispositiv unter seinen eigenen Be- dingungen eine historische Kontextualisierung und Dimensionierung vor. Insofern stehen historiografisch wirksame Aufführungspraktiken und damit wirkungsästhetische Konfigurationen in Wechselwirkung mit den Be- dingungen der Überlieferungslage von Too Much Johnson: Zum einen lassen sich spezifische formalästhetische Elemente und Bewegungen in den überlieferten Bildern feststellen, die manifest sind – und sich je nach Perspektive dem Auteur Orson Welles zuschreiben lassen. Aktualisierende 62  Eine erläuternde Anmerkung zu editionsphilologischen Perspektiven auf die oben be- schriebene Quellenlage – die Praxis betreffend, die eigentlich fragmentarisch über- lieferten Filmmaterialien heute als einen Film zu präsentieren: Beim Film gibt es bisher keine Standards und einheitliche Praktiken, wie sie die aus der Editionsphilologie be- kannte Unterscheidung einer historisch-kritischen Edition, einer Studienfassung und/ oder Lesefassung etabliert (vgl. zur Definition eines Fragments und einer möglichen ‚Ästhetik des Fragments‘ beim Film: Bohn 2013b: 297–314). Unter den Vorzeichen medien- spezifischer Attribute und einer oft nachhaltigen unterhaltungsindustriellen Einbindung wird beim Film in heutigen Re-Editionen zumeist ein möglichst zusammenhängendes, ästhetisch erfahrbares Werk erstellt (das man vage als das Pendant einer Lesefassung be- schreiben könnte). Franziska Heller - 978-3-8467-6460-2 Heruntergeladen von Fink.de01/03/2022 12:27:50PM via free access Aspekte digitaler Performance 249 Praktiken interagieren mit dieser ersten Ebene der Bilder. Sie schreiben sich aber zum anderen darüber hinaus vor allem in den raumzeitlichen Montage- zusammenhang ein, der über weite Teile Ergebnis einer vom (zeitlichen) Kontext geprägten hypothetischen Rekonstruktion und Interpretation ist (vgl. zur konkreten Quellenlage unten). Ähnlich verhält es sich mit den jeweiligen Dispositiven, in denen die montierten Bilder dann aufgeführt werden. Die jeweiligen situativen räumlichen Konfigurationen einer heutigen Aufführung bilden ein spatiales, historiografisch wirksames Verhältnis im Zusammenspiel mit den Bildern und deren Inhalten aus. Sie können bereits, wie unten gezeigt werden wird, in den (Einzel-)Bildern angelegte (medienreflexive) Elemente verstärken – ob als Teil einer Theateraufführung in Interaktion mit einem Bühnenraum oder als ein zusammengeschnittener Film als Projektion in einem Kinoraum. Dies ist zumal vor dem Hintergrund zu sehen, dass die überlieferten Film­ bilder von der eigentlich multimedial angelegten Produktion Too Much Johnson eine außerordentlich komplexe Schichtung von Elementen auf- weisen, die – aus einer Perspektive, die von einer formalästhetischen Analyse ausgeht – Fragen nach filmischer Wahrnehmung in Raum und Zeit aufwerfen (vgl. hierzu die Beschreibungen unten). Zur näheren Erläuterung des historischen Hintergrundes dieser heutigen Ausgangssituation und Problemstellung: Das eigentlich geplante Projekt be- stand 1938 darin, die Theaterinszenierung des dreiaktigen Bühnenstückes von William Gillette aus dem Jahre 1894 zu Anfang jedes Aktes mit Filmsequenzen zu durchsetzen (vgl. auch Simmon 2013 und 2014b). Das ursprüngliche Bühnen- stück ist eine romantische Komödie um zwei Liebeskonstellationen. In dem einen Erzählstrang soll eine junge Tochter mit einem reichen Verehrer in Kuba verheiratet werden, die junge Dame (Virgina Nicholson) will aber lieber mit ihrem jungen Geliebten zusammen sein (vgl. auch Berg 2003: 301–302). Dies wird mit einer zweiten Parallelhandlung verwoben, in der sich eine ver- heiratete Frau mit ihrem Geliebten (in Orson Welles’ Inszenierung gespielt von dem jungen Joseph Cotten) vergnügt; der Ehemann (Edgar Barrier) überrascht das Paar, und es entfaltet sich eine wilde Verfolgungsjagd der beiden Rivalen. In der Folge kommt es zu zahlreichen Verwechslungen, ständig wechselnden Figurenkonstellationen und Allianzen, die sich in der Bühnenversion von Gillette dialoglastig in Form von Rapid-Fire-Dialogen vermitteln.63 63  Die Theaterproduktion scheiterte wohl auch, weil Welles den filmischen Sequenzen in Produktion und Schnitt im Gegensatz zu der Inszenierung des Bühnengeschehens zu viel Aufmerksamkeit und Zeit schenkte. „Welles’ absorption with the filmic aspects of Too Franziska Heller - 978-3-8467-6460-2 Heruntergeladen von Fink.de01/03/2022 12:27:50PM via free access 250 kapitel 5 Das Gesamtkunstwerk von Welles’ theatraler Produktion ist im zeit- genössischen Zusammenhang nur schwer greifbar, auch da es nach zwei Wochen abgesetzt wurde. Zudem wurde es nie mit den Filmaufnahmen ge- zeigt, da die Projektion sich nicht mit den konkreten räumlichen Gegeben- heiten des vorgesehenen Bühnenraums vereinbaren ließ (Berg 2003; Simmon 2013). So wurden die Filmaufnahmen von Welles nie komplett fertiggeschnitten und über Jahrzehnte hinweg nicht öffentlich aufgeführt. Bis vor wenigen Jahren galten Welles’ erste filmische Experimente als von einem Feuer zer- stört.64 Erst 2012 wurden die Filmrollen in einer Lagerhalle in Pordenone/ Italien identifiziert. Zur Wiederentdeckung der Fragmente des Filmes und zur überlieferten Materiallage schreibt Scott Simmon 2014: Never finished and long presumed lost, the film survives as 10 reels of an aban- doned, partially edited 35mm nitrate work print created in the summer of 1938 by the 23-year-old Orson Welles. The footage was most fully edited by Welles in its opening reel – the first seven minutes here – but most is a rough assemblage, and all of it lacks the intertitles he planned to write. The 66-minute print went unseen publicly until its rediscovery in a warehouse in Pordenone, Italy, and its preservation in 2013 through an international collaboration among the National Film Preservation Foundation, George Eastman House, the Cineteca del Friuli, and Cinemazero (Simmon 2014a). Diese Erklärungen bilden den rahmenden Begleittext auf der Webseite der US- amerikanischen National Film Preservation Foundation, auf der der Film heute in einer Schnittversion als Streaming oder Download öffentlich zugänglich ist (Abb. 5.15; Screenshot des sprechenden Designs der Website von 2017). Autor Scott Simmon betont die besondere Vorläufigkeit und imaginäre Qualität des hier präsentierten „work print“ – deutlich markiert als eine Version des Jahres 2014: „This 2014 edit of the Too Much Johnson work print is one rough guess at how the three films […] might have looked“ (Simmon 2014a).65 Unter einem weiteren Link werden von der National Film Preservation Foundation die begleitenden Film Notes auch als Aufsatz angeboten unter Much Johnson is also significant in that it signals a shift in Welles’ thinking beyond radio and theatre to film – and to Hollywood“ (Berg 2003: 382). 64  Erste filmische Gehversuche deshalb, da in Welles’ Filmografie lediglich ein 8-minütiger Kurzfilm in Form einer Satire auf Robert Wienes expressionistischen Klassiker Das Cabinet des Dr. Caligari und auf andere europäische Avantgardefilme voran- gegangen war (The Hearts of Age, 1934). 65  „Still, if this edit is only a guess, it strives to be an educated one, informed by research into the unpublished play scripts left behind by Welles and the Mercury Theatre company“ (Simmon 2014). Franziska Heller - 978-3-8467-6460-2 Heruntergeladen von Fink.de01/03/2022 12:27:50PM via free access Aspekte digitaler Performance 251 Abb. 5.15 dem sprechenden Titel Too Much Johnson: The Films Reimagined (Simmon 2014a). Eine in der zentralen Verfolgungsjagd etwas anders geschnittene re- imaginierte Version des Films ist mittlerweile ebenfalls erhältlich auf einer DVD (Mr. Bongo 2015). Die DVD ist in ihren Menüoptionen recht einfach aus- gelegt und enthält kein weiteres Bonusmaterial. Beiden Präsentationsformen – im Netz wie auf DVD – ist gemein, dass die jeweilige Version des Films nur mit begleitender Musik zu sehen ist, die sich in den beiden Versionen unter- scheidet. Insbesondere diese Beobachtung ist wichtig, wenn es um die dritte Form der Aktualisierung im Verhältnis zu den eben beschriebenen gehen soll. Bevor jedoch die Rede von der dritten Form der aktualisierenden Präsentation aus dem Jahr 2013 sein wird, vorab noch einige Präzisierungen zu Motivik, Ästhetik und Stil des filmischen Projekts von Orson Welles. Die Ankündigung des Films als „gleeful experiment in silent cinema pastiche“ (Mr. Bongo)66 beschreibt die Eigenheiten der von Orson Welles ge- drehten Szenen sehr treffend: Bereits auf der Bildebene entwickeln die Bilder ein komplexes Spiel mit Motiven sowie ästhetischen Verfahren aus der Zeit des Stummfilms. Zum einen gilt dies inhaltlich, wenn die Story mit Slapstick- elementen à la Harold Lloyd oder Buster Keaton durchsetzt wird; etwa in Form 66  Abgedruckter Kommentar auf Umschlagtext unter Angabe der Quelle The Guardian (Mr. Bongo 2014). Franziska Heller - 978-3-8467-6460-2 Heruntergeladen von Fink.de01/03/2022 12:27:50PM via free access 252 kapitel 5 von wilden Verfolgungsjagden in der Tradition von Mack-Sennett-Komödien und den Keystone Kops. So wird der Humor über das Ausstellen gegenläufiger Bewegungsrhythmen im labyrinthischen Stadtraum New Yorks generiert. Das Austesten und In-Gefahr-Geraten des menschlichen Körpers profiliert sich als humoristisches Prinzip, indem es filmisch-performativ Sinn und Logik aus den Angeln hebt: Jedes Objekt, jede Häuserfassade (im Erbe von Harold Lloyd) kann ein Eigenleben und damit ungeahnte Tücken entwickeln. Ein kohärenz- gebender Rahmen von zeiträumlichen Zusammenhängen und kausallogischer, narrativer Ökonomie wird zugunsten von nummernhafter Anarchie außer Kraft gesetzt. Zugleich finden sich auch auf der Ebene des Schauspielstils zitathafte und überzeichnende parodistische Züge – etwa mit Blick auf die Ikonen des Stummfilms der 1910er Jahre. Auch wird Komik erzeugt über den Rekurs auf Produktionsunzulänglichkeiten des frühen Kinos: Kulissen von Innenräumen wackeln und flattern übertrieben im Wind – eine offensichtliche Anspielung auf die Tatsache, dass aufgrund des damals verwendeten Filmmaterials wegen des notwendigen Lichteinfalls meist draußen bei Tageslicht gedreht werden musste. Des Weiteren weisen die von Welles gedrehten Szenen eine hohe mediale Selbstreferenzialität und -reflexivität auf – insbesondere mit Blick auf die Be- deutungskonstitution durch Bilder. So verbindet sich das inhaltliche Motiv der Liebesrivalen, der wechselnden Liebhaber, mit der Geste der jungen Frau, die Fotos der Männer in dem Bilderrahmen neben ihrem Bett einfach situations- bedingt auszutauschen. Dies ist der Fall, als der Geliebte überhastet fliehen muss. Der reiche Rivale stürmt in das Boudoir und entdeckt das Foto, das die junge Frau gerade verschwinden lassen will. In der Rangelei mit der Frau zer- reißt das Bild. Schimpfend hält sich nun der Gehörnte das Fragment des Bildes wie eine Maske vor einen Teil seines Gesichts (Abb. 5.16). Abb. 5.16 Franziska Heller - 978-3-8467-6460-2 Heruntergeladen von Fink.de01/03/2022 12:27:50PM via free access Aspekte digitaler Performance 253 So spielt der Film offensichtlich für den Zuschauer mit bildlichen Identitäten, was sich inhaltlich wiederum mit dem weiteren Verlauf der Verwechslungs- komödie verbindet. So sind spielerische Infragestellungen von Prinzipien des Sehens, des Augenscheins, der Schaulust und des Voyeurismus in den Bildern allgegenwärtig, was sich wiederum mit der unmittelbaren filmischen Raum- wirkung verbindet. Der Zuschauer wird mehrfach desorientiert über wieder- kehrende Aufsichten auf labyrinthische Strukturen. Dies kreiert Bilder, in denen sich der Zuschauer erst im Verfolgungschaos räumlich orientieren und die rivalisierenden Protagonisten förmlich erst suchen muss (Abb. 5.17). Abb. 5.17 Auch finden sich im Bild immer wieder Formen, die räumliche wie zeitliche Prinzipien der Serialität und Zirkularität thematisieren – etwa wenn die Ver- folgung über Dächer mit ganzen Reihen von gleich aussehenden Schorn- steinen führt (Abb. 5.18–5.19). Abb. 5.18 Franziska Heller - 978-3-8467-6460-2 Heruntergeladen von Fink.de01/03/2022 12:27:50PM via free access 254 kapitel 5 Abb. 5.19 Selbst wenn sich also über den Montagezusammenhang aufgrund der Aus- gangslage des überlieferten Filmmaterials schwerlich das Spiel mit serieller Differenz und Wiederholung am konkreten Beispiel eindeutig auflösen lässt, so ist dennoch anhand der beschriebenen Bildstrukturen zu erkennen, wie bereits im Bild das Prinzip der Wiederholung als desorientierendes und humoristisches Element eingesetzt wird. Auf diese Weise werden im Zusammenspiel mit der aus der Vaudeville- Tradition entlehnten nummernhaften Struktur herkömmliche Logiken und narrative Ökonomien unterlaufen. Gerade über plötzliche narrative Um- schwünge und über das Spiel mit Beschleunigungen in den Verfolgungsjagden werden Formen des Attraktionskinos evoziert. Eine weitere Verweigerung, das filmische Spiel der Bilder einer kausal- logischen, klaren narrativen Ordnung sinngebend zu unterwerfen, zeigt auch die Nähe zu den Formexperimenten der europäischen Avantgarde. Es finden sich Anlehnungen an den Surrealismus respektive Dadaismus, an René Clairs Entr’acte (1924) oder an Hans Richters Vormittagsspuk (1928) – wenn zum Beispiel während der Verfolgungsjagd reihenweise Hüte, vor allem Melonen, in allen möglichen Einstellungen von Köpfen gerissen werden und die Hüte dadurch filmästhetisch ein Eigenleben entwickeln. Zu dieser pasticheartigen Ästhetik mit zahlreichen filmhistorischen Refe- renzen gesellt sich nun im Horizont der Überlieferungsgeschichte der Status der Vorläufigkeit und Unabgeschlossenheit des Films: Schnittfolge und (inhaltliche) Zusammenhänge bleiben, selbst unter Berücksichtigung nicht- filmischer, ergänzender Quellen („informed guess“, Simmon 2014) eine Hypo- these, was auch in den digitalen Dispositiven – meist über die paratextuelle Rahmung – nicht verhehlt wird. Franziska Heller - 978-3-8467-6460-2 Heruntergeladen von Fink.de01/03/2022 12:27:50PM via free access Aspekte digitaler Performance 255 Performative Räume im Jahr 2013 Vor dem Hintergrund des oben beschriebenen, bereits in den Bildern an- gelegten Prinzips des sich performativ entfaltenden Räumlichen ist die dritte Form der Sichtbarkeit des Films heute – neben den genannten digitalen Dis- positiven – im Jahre 2013 ein analytisch interessanter Aufführungszusammen- hang: Am 09.10.2013 im Rahmen des Festivals Le Giornate del Cinema Muto in Pordenone/Italien wurde eine montierte Version des Films in einem anlässlich des Festivals zum Kino umfunktionierten Theatersaal aufgeführt.67 Dies markierte ein singuläres Ereignis, nämlich die Weltpremiere des montierten Materials – und verwies mehrschichtig auf Aufführungspraktiken des frühen Kinos sowie auf den Theaterhintergrund des ursprünglichen Projekts von Welles. ‚Aufgeführt‘ ist hier deshalb buchstäblich zu verstehen, weil Paolo Cherchi Usai, damals Senior Curator am Moving Image Department des George Eastman Museums, in einer durchorchestrierten Liveperformance als Filmerzähler auftrat, der das Geschehen auf der Leinwand kommentierte. Cherchi Usai beschränkte sich hierbei nicht auf Erläuterungen in Hinblick auf die erzählte Handlung, vielmehr reicherte er durch seine Ausführungen das Filmerlebnis mit zahlreichen Informationen zu Welles und den historischen Produktionsbedingungen und vor allem auch -orten an. Damit wurde in der Wahrnehmung der Zuschauer das (Wieder-)Erkennen von Schauspielern oder Dreh- wie Handlungsorten zur Attraktion und zum unterhaltenden Faszinosium in der Filmrezeption. Cherchi Usai verdoppelte aus heutiger Perspektive die metafilmische und selbst-reflexive historische Referenzierung von Film- und Kinogeschichte auf der Ebene der Zuschauererfahrung, die in den Bildern von Welles schon angelegt war. Auf dieser Ebene rhythmisierte Cherchi Usai in ähnlicher Weise wie Tavernier in der vorherigen Fallstudie das Spannungserleben der Zuschauer, indem er Erwartungen auf Kommendes hervorrief, Zeit beschleunigte oder retardierend dehnte und Bilder durch bewusste Anreize zu Erinnerungs-Bildern beim Zuschauer werden ließ – etwa eben in Form der Einbindung über den Anreiz des Wiedererkennens von Schauspielern, von Orten der Produktion im historischen New York etc. Die Filmrestauratorin Daniela Currò schrieb zu dieser Aufführungsform 2013, dass diese ein fruchtbarer, gar notwendiger Weg zukünftiger Präsentations- formen für filmhistorische Funde – gerade im Fragmentstatus – sei, um die Attraktion solchen Materials für ein heutiges Publikum zu vermitteln: 67  Zum Komplex der Eventisierung einer bestimmten Version von Filmen auf Filmfestivals – vor allem bei Archivfilmfestivals wie in Pordenone und Bologna – vgl. die Ausführungen von Di Chiara/Re (2011) zum Festival Il Cinema Ritrovato in Bologna. Franziska Heller - 978-3-8467-6460-2 Heruntergeladen von Fink.de01/03/2022 12:27:50PM via free access 256 kapitel 5 Images on screen were accompanied by an English live commentary by Paolo Cherchi Usai […] introducing the audience to the world of Too Much Johnson. The commentary, integrating research conducted by the Motion Picture Department during the past few months, seems to pave the way for a new mode of presenting images that have reached us in a somewhat raw state, and con- sequently might need to be contextualized to be fully appreciated by an audi- ence. And the audience of the festival was well aware of the privilege of being the first ever seeing Too Much Johnson, since the film was never completed by Orson Welles and shown in public before (Currò 2013, Hervorh. FH). Wie Currò ausführt, wurden neben der kommentierenden Pointierung der Narration auch das augenblickliche Wissen und der Forschungsstand um die Produktions- wie Überlieferungsgeschichte in die Performance von Cherchi Usai verlegt. Dies hatte zum einen Folgen für die historiografisch wirksamen Wahr- nehmungsmodi der Bilder: In dieser Präsentationsform wurde den Bildern über den Erzählakt Cherchi Usais ein Dokumentstatus zu- und auf diese Weise eine historische Referenz eingeschrieben. So wurden entsprechende Lektüremodi den Zuschauern nahegelegt. Damit wurde eine historiografisch wirksame Erfahrung vermittelt, die sich auf die Zeugenschaft der Bilder etwa für die historischen Personae der Schauspieler oder den historischen Stadt- raum New Yorks richtete. Im Falle dieser Form der Aufführung von Cherchi Usai wurde die Prozessualität von Filmgeschichte in einen Erfahrungsmodus verlegt, der in der Liveanordnung auf räumlicher Unmittelbarkeit, körperlicher Gegen- wärtigkeit und Gemeinschaftlichkeit des Liveerlebnisses basierte. Dies lässt sich in seiner historiografischen Wirkungsdimension mit dem von Kessler (2011) formulierten Prinzip historischer Filme als Dispositive Bridging the gap, marking the difference beschreiben. Gemäß diesem wird im Falle von Too Much Johnson das Fremde – hier (historische, per se schon filmhistorisch pasticheartige) Bildinhalte und das Unabgeschlossene des Fragments – mit Narrativen des heutigen Wissenstandes um die Produktionsumstände und die historische Stadttopografie New Yorks verwoben und zudem mit der Erfahrung der lebendigen Gegenwärtigkeit des Erzählenden vermittelt. Dies sprach die Wahrnehmung und memophänomenale (Wieder-)Erkennungsaktivität jedes einzelnen Zuschauers an und band damit zugleich auch auf besondere Weise das Publikum – im Modus eines Gemeinschaftserlebnisses – ein. Die grundsätzliche Faszination der Welles’schen Fragmente liegt vor allem an den schon angelegten ästhetischen Strukturen, die sich insbesondere durch ihre spielerische, medienreflexive Haltung auszeichnen und die den jeweiligen Zuschauer zu jeder Zeit dazu einladen, zeitliche und räumliche Referenzen Franziska Heller - 978-3-8467-6460-2 Heruntergeladen von Fink.de01/03/2022 12:27:50PM via free access Aspekte digitaler Performance 257 und Zusammenhänge auszumachen und zu bilden. Diese Anlage wurde durch die tatsächliche komplizierte Überlieferungsgeschichte noch verstärkt. Deshalb lässt sich feststellen, dass das grundsätzlich Performativ-Potenzielle des Filmisch-Historischen in der Reprise anhand des Fragments Too Much Johnson deshalb so anschaulich – insbesondere auch in einer historio- grafisch wirksamen Erfahrungsdimension – wird, weil es offensichtlich keine verlässliche Urfassung – zumal in dem ursprünglichen intermedialen, räum- lichen Kontext – gibt. Die Eventisierung einer solchen Performance scheint aus heutiger Pers- pektive nicht zu trennen zu sein von der digitalen Zirkulation von Filmen, die allgemeine Omnipräsenz und dauerhafte, unbegrenzte Zugriffsmöglich- keiten verspricht.68 Pointiert wird dies wiederum vom Fall Too Much Johnson, dessen Status im Potenzialis gerade über die Koexistenz und Ko­ zugänglichkeit zum Ausdruck kommt und erfahrbar – da etwa im Internet performativ abruf- und auswählbar – wird. Erneut zu betonen ist, dass die historische Einordnung hier, wenn überhaupt, über schriftliche Paratexte, aber nicht über eine kommentierende Erzählung zu den Bildern geleistet wird. Der Fall Too Much Johnson liefert somit einen anschaulichen Anlass, Aufführungsformen als performative Erinnerungspraktiken angesichts von Film- und Kinogeschichtsbildmodellierung zu denken und unter Umständen sogar als einen Beitrag zur Konstitution eines rituellen Funktionsgedächt- nisses zu verstehen, das sich je nach medialem und pragmatischem Kontext anders (sinnlich) vermittelt (Czekaj 2015; Steinle 2005 mit Rekurs auf A. Ass- mann; vgl. Erläuterungen in  Kap. 2). Hier gilt es, die wichtige Funktion von Restaurierungs‚premieren‘ im Kino als kollektiv und körperlich-somatisch miterlebte und damit mitgestaltete Rituale zu begreifen – gerade angesichts ihrer performativen Aspekte und Konsequenzen für historisierende Kon- textualisierungen seitens des Zuschauers: Sowohl das Filmerlebnis als auch die konkrete Raumerfahrung als Teil der gegenwärtigen Gemeinschaft im Kino/Theatersaal sind entscheidende Elemente. Diese Einschätzung ist nicht losgelöst zu sehen von der mittelbar Einfluss nehmenden digitalen Medien- umgebung, die eigene Riten der Filmerinnerung und der filmhistorischen Er- fahrungsbildung kreiert.69 68  Mit etwas anderem Argumentationsschwerpunkt spricht Pescetelli (2010) von den Auf- führungspraktiken von Filmrestaurierungen mit Orchesterbegleitung als einer „resto- ration as a spectacle“. Vgl. darüber hinaus zum Zusammenhang einer Eventisierung des Kinoerlebnisses und der Digitalisierung beziehungsweise digitalen Medienumgebungen u. a. Abelmann (2011); generell Steinmetz (2011). 69  Die Version mit der Liveperformance von Paolo Cherchi Usai weist in ihrer Einmalig- keit des Ereignisses, der Einmaligkeit der spezifischen Erzählung der Geschichte (im Franziska Heller - 978-3-8467-6460-2 Heruntergeladen von Fink.de01/03/2022 12:27:50PM via free access 258 kapitel 5 Grundsätzlich lässt sich zunächst festhalten, dass die Kopräsenz der unter- schiedlichen Zugänge und möglichen Formen der Vergegenwärtigung (im Kinoerlebnis, zu Hause im Heimkino) einer Vorstellung des kontext- und zweckgebundenen Funktionsgedächtnisses von Film- und Kinogeschichte Vorschub leistet. Methodologisch – so das Plädoyer dieses gesamten  Kap. 5 – ist dies vor allem unter performativen Aspekten zu begreifen, bei denen das wahrnehmende und konsumierende Subjekt in unterschiedlichen Zusammen- hängen und Formen zur präsenten ‚Verkörperungsinstanz‘ wird. Es wird – in bestimmten Kontexten sogar sehr gezielt und zweckorientiert – mit allen Sinnen Teil des Prozesses einer wirkungsästhetischen Form der historischen Situierung. Allen/Gomery haben bereits 1985 aus wissenschaftstheoretischer Pers- pektive Filmgeschichtsschreibung als Handlungsakt begriffen und von „Doing Film History“ gesprochen, um in Anschluss an E. H. Carr (vgl.  Kap. 3) den Forschenden, seine Gegenwart, seine Interessen und historische Verfasstheit als Faktor der jeweiligen Geschichtsbildmodellierung zu pointieren. Meine These lautet, dass Orson Welles bereits mit den überlieferten Bildern von Too Much Johnson eine filmische Form der Film- und Kino-Geschichts- bildmodellierung betrieben hat – sogar höchst elaboriert weitergedacht in einer intermedialen Konfiguration mit dem Theater, die in besonderem Maße Möglichkeiten der räumlichen Wahrnehmung reflektiert. Das Grund- prinzip realisiert sich heute noch in den einzelnen Bildern: den Zuschauer sinnbildend-phänomenal aktiv mit einzubinden. In The Guardian (2014) wurden dann auch die Form und Struktur der offenen Deutungsangebote ganz im Sinne eines Welles’schen „Do-it-yourself- Spirit“ eingeordnet (Riefe 2014). In meinem wahrnehmungstheoretischen An- satz bedeutet dieses Doing eine Aktivität seitens des Nutzers oder Zuschauers in dem Sinne, dass er sowohl kognitiv wie auf der Ebene des sinnlichen Er- lebnisses Mitkonstituent des performativen Vollzugs (medien)geschichtlicher Zusammenhänge wird. Auf der ganz praktischen Ebene, der Ebene der Restaurierungs- und Editionspraxis, erfolgt von Simmon (2014a) mit Blick auf Too Much Johnson ebenfalls die Aufforderung, aktiv handelnd in den Film, seine Wahrnehmungsstrukturierungen und damit auch in die Filmgeschichte ein- zugreifen: „This reimagining of the Too Much Johnson films is necessarily only one guess among many. Now that the work print is available for streaming doppelten Sinne) von TOO MUCH JOHNSON ex negativo auf die potenziell anderen Versionen auf Trägern in anderen, dann digitalen Dispositiven. Franziska Heller - 978-3-8467-6460-2 Heruntergeladen von Fink.de01/03/2022 12:27:50PM via free access Aspekte digitaler Performance 259 and downloading, let’s hope that other reconstructions will follow“ (Simmon 2014a). 5.8 Aspekte aisthetischer Historiografie In diesem  Kap. 5 wurden Reprisen historischer Bewegtbilder im Kontext digitaler Medienumgebungen und -technologien unter performativen Aspek- ten, das heißt als konkrete geschichtsbildmodellierende Praktiken in den Blick genommen. Dies geht einher mit einem spezifischen phänomenologischen Subjektverständnis, das ebenfalls unter performativen Bedingungen gesehen wird (vgl. die einleitenden Modellierungen dieses  Kap. 5). Prozesse der Geschichtsbildmodellierung wurden hierbei gemäß dem ele- mentaren Ansatz dieser Studie (vgl. meine Ausführungen zu Reinhart Koselleck in  Kap. 1)70 auf der wahrnehmungstheoretischen Ebene untersucht, in der insbesondere in diesem  Kap. 5 der Begriff der Erfahrung beziehungs- weise Formen von Erfahrungsräumen im phänomenologischen Horizont modelliert wurden. Darüber hinaus wurden zudem wiederholt im Verlauf dieses  Kap. 5 paratextuelle und kontextuelle Formierungen mitberück- sichtigt, die die Erwartung an Filme in der jeweiligen digitalen Reprise prägen, wodurch die Wahrnehmung zeitlicher Verhältnisse maßgeblich konfiguriert wird. Deutlich wurde an dieser Stelle die besondere Zeitgebundenheit (vor allem in den Ausführungen zu The Soldier’s Courtship) der jeweiligen Erwartungs- und Erfahrungskonfiguration im Horizont der digitalen Domäne: In Anschluss an Koselleck wird somit deutlich, wie Geschichte in solchen situativen Konstellationen zur „wandelnden Größe, deren Veränderungen sich aus der ändernden Zuordnung von Erfahrung und Erwartung“ ableiten lassen (Koselleck 1989: 354), gerät. Die grundsätzlichen methodologischen und wahrnehmungstheoretischen Überlegungen wurden in diesem  Kap. 5 zugespitzt auf Praktiken, frühes Kino in der heutigen Medienumgebung wieder aufzunehmen und – unter Maßgabe seiner historischen performativen Aspekte – auch wieder öffentlich aufzuführen oder zugänglich zu machen. Ein zentraler Aspekt beider medien- historischen Phasen – frühes Kino und Digitalisierung – ist die Verbindung von somatisch wirksamen Adressierungsmodi der Bewegtbilder und deren 70  Zur Erinnerung: Grundsätzlich untersucht die vorliegende Studie die jeweiligen medialen Konfigurationen von Digitalisaten und digitalen Dispositiven von Filmen auf ihre Art und Weise hin, wie sie Erfahrungsräume und Erwartungshorizonte kreieren, prägen und zu- gleich vermitteln (vgl. hierzu die Einführungen in  Kap. 1). Franziska Heller - 978-3-8467-6460-2 Heruntergeladen von Fink.de01/03/2022 12:27:50PM via free access 260 kapitel 5 Verstärkung in spezifischen räumlichen Anordnungen. Hierbei wird dieses Zusammenspiel der genannten Ebenen mit dem Begriff Dispositiv gefasst (u. a. Kessler 2011). Dies wurde verbunden mit dem clusterhaften Konzept der Attraktion; dieses bezieht sich eben nicht nur auf die Schauwerte der ästhetischen Struktur, sondern auch auf das Ausstellen apparativer medialer ‚Neuerungen‘ (Stichwort ‚Neue Medien‘). Konkret bedeutet dies für meine Untersuchung, dass in der ersten Fall- studie zur Wiederaufführung von Robert Pauls The Soldier’s Courtship die historische Aufführungssituation in den Blick genommen wurde sowie zu- gleich deren Instrumentalisierung im Kontext heutiger Reprisen. Eine Besonderheit dieser Fallstudie ist es, dass sogenannte Restoration Talks insbesondere mit Blick auf die Zeitperiode der letzten Jahre als Teil einer performativen und extrem situationsgebundenen Form der historischen Kontextualisierung modelliert werden. Vor diesem Hintergrund ergibt sich eine Perspektivierung, in der sich das Restaurierungsnarrativ mit dem Inhalt des Films, dessen ästhetischer Attraktion und der präsentischen Bewegt- bildwirkung in der heutigen Wahrnehmung verwebt. Wenn man den Film faszinativ erlebt, vollzieht man auch sinnlich die Leistung des Restaurierungs- prozesses nach. Die Erfahrung des Films wird zur körperhaften Performance des Zuschauers als Vollzugsinstanz der Restaurierung, aber auch der Techno- imagination von digital – so die entwickelte phänomenologisch imprägnierte Modellierung. In der exemplarischen Fallstudie der DVD-Edition von The LumiÈre Brothers’ First Films werden Kernpunkte der verschiedenen historischen Schichtungen im Modus der Re-Edition und Nutzung einer DVD deutlich. Der editorische Eingriff in Form der kompilierenden Montage der Einzelfilme der Lumières im Zusammenspiel mit der (jeweils gewählten) Tonspur entfaltet eine audiovisuelle Geschichtsbildmodellierung mit Blick auf das bedeutsame Anfangsnarrativ der Kino- wie Filmgeschichte. Diese funktioniert grundlegend über Aspekte des Performativen – im Zusammenspiel mit dem (interaktiven) Dispositiv der DVD. Der Fall Too Much Johnson liefert ein anschauliches Beispiel dafür, dass heutige Aufführungsformen als performative Erinnerungspraktiken an- gesichts von Film- und Kinogeschichtsbildmodellierung zu verstehen sind. In diesem Kontext spreche ich von der prozessualen Konstitution eines rituellen Funktionsgedächtnisses. Dabei liegt die Besonderheit des Ansatzes darin, dass heutige Dispositive als Konfigurationen der Reprise über die sinnliche und auch räumliche Erfahrung gedacht werden, die als medienhistoriografisch wirksam zu konzipieren sind. Franziska Heller - 978-3-8467-6460-2 Heruntergeladen von Fink.de01/03/2022 12:27:50PM via free access Aspekte digitaler Performance 261 In Anschluss an Morschs (2010) Überlegungen zur ästhetischen Erfahrung wird insofern ein reflexiver Mehrwert im Modus des Phänomenal-Sinnlichen ausgemacht – ich beschreibe dies in wahrnehmungstheoretischer Dimension als wesentlichen Teil medienhistoriografisch wirksamer Erfahrungsbildung. Im Kontext der Reprise alter Filme in digitalen Umgebungen wird von nun an mit G. Böhme (2001) von Formen aisthetischer Historiografie gesprochen. Wie in  Kap. 4 hervorgehoben, ist historiografische Wirksamkeit bei digitalisierten Filmen im kulturindustriellen, warenästhetischen Kontext zu verorten und kann mit dem Wahrnehmungsmodus einer Fetischisierung ein- hergehen. Dies verbindet sich mit der Argumentation dieses  Kap. 5 in- sofern, als Fetischisierung nicht ohne die theatrale Inszenierung und damit Performanz von ästhetischen Waren in spezifischen apparativen, medialen Konfigurationen zu denken ist (H. Böhme 2012: 332). Performanzen von Filmen in der digitalen Reprise verstehe ich aus zeit- und geschichtstheoretischer Perspektive in diesem  Kap. 5 als audiovisuelle präsentische Passagen (vom Analogen ins Digitale), deren historiografische Wirkung sich im Moment ihrer Aufführung (räumlich) vermittelt.71 Die historisierende Referenzierung eines Vorher und Nachher wird immer prozess- haft konstituiert und damit zugleich vom Wahrnehmenden im Somatisch- Sinnlichen, im Erlebnis vollzogen. Um eben eine solche Form der Historiografie zu beschreiben, bietet sich der bereits genannte Begriff der Aisthetik von G. Böhme (2001) an, da G. Böhme mit diesem Begriff eine Vorstellung von ästhetischer Wahrnehmung produktiv macht, die sich über den Kunstbereich hinaus auf lebensweltliche – zumal kulturindustrielle – Zusammenhänge beziehen lässt. Hier schließt mein Ansatz begrifflich an G. Böhmes Überlegungen an: Erinnerungskulturelle Phänomene der digitalen Reprise historischer Filme werden in aisthetischer Perspektive gesehen und in ebendiesen aisthetischen Wirkungsformen als geschichtsbildmodellierend – über eine abstrakt medienhistoriografische Wirksamkeit hinaus – begriffen. Sowohl auf der Ebene der Theoretisierung bewegtbildlicher Wahrneh- mungsmodi als auch auf der Ebene audiovisueller Geschichtsbildmodel- lierungen als Praktiken aisthetischer Historiografie nehmen Aspekte des Imaginären – so meine These – an dieser Stelle eine zentrale Position ein; dies sowohl im Zeichen der ästhetischen Strategien zur Illustration des utopisch wirksamen Technoimaginären als auch auf der Ebene spezifisch filmischer Wahrnehmungsmodi. Wie sich in einem solchen Kontext das 71  Vgl. zur Adaption von Benjamins Passagenkonzept das Zwischenfazit  Kap. 3.9. Franziska Heller - 978-3-8467-6460-2 Heruntergeladen von Fink.de01/03/2022 12:27:50PM via free access 262 kapitel 5 Verhältnis von historischen Fakten und Fiktionen über den Modus des Film- ästhetischen vermittelt, ist insofern Gegenstand des nachfolgenden  Kap. 6. Vor diesem Hintergrund stehen im  Kap. 6 sogenannte filmhistorische Dokumentationen als audiovisuelle Paratexte digitaler Träger und deren ästhetische Strategien wie Bildregister im Mittelpunkt der Analyse. Damit er- gänzt das  Kap. 6 Modelle der fetischisierenden Wahrnehmungsmodi aus  Kap. 4 und operationalisiert die in diesem  Kap. 5 entwickelten Konzepte des Zuschauers/Users als performativer (Nach-)Vollzugsinstanz für Ästhetiken des Technoimaginären mit historiografisch-utopischer Wirkmächtigkeit. Franziska Heller - 978-3-8467-6460-2 Heruntergeladen von Fink.de01/03/2022 12:27:50PM via free access kapitel 6 Funktionalisierung des Imaginären in aisthetischer Historiografie. Praktiken der Konfiguration von Fakt und Fiktion (Cluster III) Vor dem Hintergrund des im vorhergehenden  Kap. 5 entwickelten Konzepts einer aisthetischen Historiografie digitaler Reprisen werden im Folgenden Dimensionen des Imaginären für den vorliegenden Gegenstandsbereich systematisiert. Dieses  Kap. 6 nimmt insofern die Rolle des Imaginären als medialen Erfahrungs- und Erwartungshorizont in den Blick und präzisiert damit die Mehrschichtigkeit des Begriffs, der bereits Bestandteil des hier zentralen Konzepts des Technoimaginären ist.1 Vor diesem Hintergrund werden dabei ästhetische Strategien zur Ver- mittlung von utopisch wirksamem Technoimaginärem untersucht und auf ihre spezifisch filmischen, geschichtsbildmodellierenden Wahrnehmungsmodi hin analysiert. Dies bedeutet, dass insbesondere filmische Bilder in Restau- rierungsdokumentationen, die oft als audiovisuelle Paratexte digitaler Dis- positive fungieren, erstmals unter erinnerungskulturellen wie filmanalytischen Fragestellungen in den Fokus genommen werden. Solche Dokumentationen arbeiten im Kontext von Digitalisaten und vor allem digitalen Re-Editionen mit Bildregistern und -konfigurationen, die häufig das Phantastische ausstellen. Damit machen diese audiovisuellen Paratexte – so meine These – alternative, von der Realität abgelöste raumzeitliche Ordnungen geschichtsbildmodellierend anschaulich und erfahrbar – und bedienen auf diese Weise die Vermittlung des Technoimaginären des Digitalen. Die in diesem  Kap. 6 verhandelten Bildkonfigurationen spielen wirkungs- ästhetisch konkret mit dem Imaginären des Zuschauers, indem sie mit der 1  Zur Bedeutung eines „technological imaginary“ für die Erfindung des Kinos, vor allem auch seiner Etablierung und kulturellen Akzeptanz in der Anfangszeit vgl. Punt (2000). Punt argumentiert mit Blick auf das frühe Kino zum Teil ähnlich wie die vorliegende Studie: Technologische Entwicklung wird nicht nur als Ergebnis von technisch Möglichem begriffen, das von einzelnen Pionieren vorangetrieben wird. Entwicklung und Erfindungen werden überdies als Konsequenz von kontingenten Reaktionen und Interessen von Individuen und Gruppen gesehen. In einer solchen Perspektive werden jenseits von linearen Entwicklungs- sprüngen soziale wie kulturelle Kontexte und Imaginationen als einflussnehmende Faktoren in ihrer Vernetzung beschreibbar. Interessanterweise ist eine Fallstudie von Punt an Robert Paul orientiert, der unter anderem Gegenstand auch von  Kap. 5 ist. © Franziska Heller, 2020 | doi:10.30965/9783846764602_007 This is an open access chapter distributed under the terms of the CC BY-NC-ND 3.0 licFerannszeis. ka Heller - 978-3-8467-6460-2 Heruntergeladen von Fink.de01/03/2022 12:27:50PM via free access 264 kapitel 6 Skopophilie und dem filmischen Spektakel operieren. Damit ergänzt dieses  Kap. 6 auch Modelle der fetischisierenden Wahrnehmungsmodi aus  Kap. 4: Sowohl Schaulust an der Erfahrung von Imaginär-Phantastischem als auch Projektion, Transzendenz und Glaube sind zentrale Aspekte der Rezeptionserfahrungen und -erwartungen angesichts von Filmen in der digi- talen Reprise. Tatsächlich sind die Modi medienhistoriografischer Erfahrungs- bildung – Wahrnehmungshaltungen der Fetischisierung und Erfahrungsmodi der Funktionalisierung des Imaginären – nicht grundsätzlich zu trennen, verhalten sich vielmehr strukturell analog. Sie binden sich allerdings an graduell unterschiedliche filmästhetische Verfahren und fordern methodo- logisch etwas anders nuancierte begriffliche Perspektivierungen und Kon- textualisierungen heraus. Die Differenz zum Modell der Fetischisierung liegt in der graduell unterschiedlichen funktionalen Einbindung. Fetischisierung ist stärker in warenästhetischen Zusammenhängen zu sehen, während das Imaginäre grundsätzlich an ästhetische Wahrnehmung gebunden ist. Mit anderen Worten ließe sich pointiert formulieren: Jede Form des Fetischismus beruht auf Wirkmechanismen des Imaginären, aber nicht alle Formen des Imaginären sind eingebunden in Formen des Fetischismus. Gemeinsam ist den entworfenen Wahrnehmungsmodellen, dass sie sich produktiv mit dem in  Kap. 5 entwickelten Konzept des Zuschauers/Nut- zers als performativer (Nach-)Vollzugsinstanz verknüpfen lassen, um die geschichtsbildmodellierenden Implikationen beschreibbar zu machen. Das in diesem Zusammenhang vermittelte Technoimaginäre ist zudem im Zeichen der Vermarktung des Erfahrungspotenzials digitaler Filme zu sehen. Insofern wird das Filmisch-Imaginäre im vorliegenden  Kap. 6 in Verbindung mit der Haltung eines sinnlich-affektiven Erfahrungskonsums konzipiert. Der Begriff des Erfahrungskonsums wird hier von der Soziologin Eva Illouz (2011) übernommen, die Wolfgang Fritz Haugs Konzept der Waren- ästhetik (2009) einer aktualisierenden Lektüre unterzieht und dabei ins- besondere dessen emotiv-imaginäre Elemente hervorhebt. Sinnlich-affektiven Erfahrungskonsum verstehe ich vor diesem Hintergrund als eine emotionale An- und Einbindung, die die Filmerfahrung in der digitalen Reprise zusätzlich prägen kann: Illouz modelliert Aspekte des Erfahrungskonsums, in denen dem Imaginären im Zusammenhang mit der emotionalisierenden Wahrnehmung von (ästhetischen) Waren eine zentrale Rolle für das jeweils entwickelte Ge- brauchswertversprechen zukommt. Das Produktive der Imagination und des Imaginären bildet zudem die Folie für den Rückbezug der Überlegungen auf die metatheoretischen Strukturen von Geschichtsschreibung – dies nicht zuletzt mit Rekurs auf Studien Hayden Whites (2008/1973). In Hinblick auf den medial-konstruktiven beziehungs- Franziska Heller - 978-3-8467-6460-2 Heruntergeladen von Fink.de01/03/2022 12:27:50PM via free access Funktionalisierung des Imaginären 265 weise den medial-konfigurativen Aspekt von geschichtlicher Zeit hat ins- besondere White der Einbildungskraft und der Imagination eine zentrale Stellung eingeräumt, da sie die treibenden Elemente seien, in denen (alter- native) Weltentwürfe und raumzeitliche Ordnungen überhaupt erst als mög- lich gedacht würden – die ihrerseits auch Vorstellungen und Darstellungen der Vergangenheit prägten. Hierbei nehmen narrative – in meiner Adaption mediale – Anordnungen eine wesentliche Rolle ein. Die Diskussion der wahrnehmungstheoretischen Dimension des Imagi- nären mit Konsequenzen für audiovisuell erlebte Medienhistoriografie wird als Anschlusspunkt genutzt, um das bereits von mir entworfene Modell der verkörperten Erfahrung aus  Kap. 5 mit Modellen aus der „erlebnis- orientierten“ Geschichts- und Gedächtnistheorie (Rothöhler 2011), namentlich der prothetischen Erinnerung, zu erweitern. Der erste Teil dieses  Kap. 6 dient vor diesem komplexen Hintergrund der genaueren Erläuterung der Zusammenhänge der unterschiedlichen Diskurs- kreise, die durch den Begriff des Imaginären beziehungsweise der Imagination verbunden sind. Der zweite Teil des  Kap. 6 widmet sich den konkreten Analysen des hier verhandelten Gegenstandes: Insbesondere in dem Format der filmhistorischen Dokumentationen als Paratexte digitaler Dispositive (Internet, DVD, Blu-Ray- Disc) kommt dem Imaginären eine zentrale doppelte Funktion zu. Zum einen spielen die verwendeten Bilder aus Spielfilmen in solchen Dokumentationen häufig mit phantastischen Bildinhalten, die fiktionalisierende Elemente betonen; zum anderen werden insbesondere über die Montage und weitere (sinnliche) Lektüreanweisungen Kategorien von Fakt und Fiktion legiert, was – so ein weiterer Befund – das filmisch Imaginär-Utopische als Bestandteil des vermittelten Geschichtsbildes nicht nur annimmt, sondern sogar ausstellt. So soll das Verfahren genauer beleuchtet werden, wie inszenatorisch, ästhetisch und narrativ verdichtete Bilder, die oft ihren Zitatstatus aus be- kannten Spielfilmen betonen, in ihrer ästhetisch-sinnlichen Wirkung in solchen Bonusmaterialien eingesetzt werden, um in ihrer Erlebensdimension einen technologischen Fortschrittsdiskurs zu vermitteln. Im Kontext einer solchen kulturindustriellen Geschichtsmodellierung mit (Archiv-)Filmbildern gilt für mich insofern: Im populären kommerziellen Erinnerungsdiskurs legitimieren die vorgefundenen Bilder aus Spielfilmen das Gezeigte als realisier- bare Utopie. In einem sich in dieser Form vermittelnden Erinnerungsdiskurs materialisiert sich im gegenwärtigen Wahrnehmungseindruck sinnlich filmisch Imaginiertes – im Dienste des Technoimaginären der digitalen Domäne. Zum Abschluss dieses  Kap. 6 soll die erinnerungskulturelle Dimension eines über 40 Jahre alten und europaweit bekannten Märchenfilms diskutiert Franziska Heller - 978-3-8467-6460-2 Heruntergeladen von Fink.de01/03/2022 12:27:50PM via free access 266 kapitel 6 werden. An diesem letzten Beispiel wird vor allem die Bedeutung der regel- mäßigen medialen Reprise als Ritual besprochen – in dessen Konsequenzen für eine nachhaltige emotionale An- und Einbindung in eine imaginäre Autobiografie der Rezipienten. Diese Bindung wird im wahrnehmungs- theoretischen Horizont dieser Studie verstanden als – im paradoxen Sinne – prothetisch-autobiografische Einverleibung. 6.1 Ansätze zu audiovisuellen Geschichtsbildmodellierungen. Tragweite, historiografische Funktionen Mit Blick auf den in diesem Kontext von der Forschung bisher kaum be- achteten Gegenstandsbereich der filmhistorischen Dokumentationen greife ich in diesem  Kap. 6 Sonja Czekajs (2015) Fragestellungen auf, wie mithilfe von Filmen gesellschaftliche Geschichtsvorstellungen und -interpretationen diskursiv ausgehandelt werden. Czekaj untersucht, wodurch filmische For- men als kulturelle Praxis Bedeutung an öffentlicher Geschichtskultur er- langen (2015: 13). Sie profiliert – ähnlich wie ich es bereits in  Kap. 3 getan habe – angesichts des Problemkomplexes von Historiografie in filmischer Form ein pragmatisches Verständnis geschichtskultureller Praktiken, die in den öffentlichen Wahrnehmungsraum wirken. So können Verfahren und Strategien filmischer Gestaltung als konkrete Organisationsformen sowohl von Geschichte – im Sinne der beschriebenen diskursiven Aushandlung – als auch von Gedächtnis betrachtet werden. Ich übertrage diesen Ansatz nun im Folgenden, inspiriert von Czekaj (2015) und von Dörner/Weiß (2013), auf film- historische Dokumentationen. In einer solchen Perspektive werden bestimmte narrative und ästhetische Konfigurationen untersucht, die sinngebende Zu- sammenhänge von Bildern und Ereignissen konstituieren – immer unter der Prämisse eines (impliziten) Adressaten und eines Zwecks der Erzählung von Geschichte. Unter diesen Vorzeichen wird nach Modi der Formierung von Er- fahrung und Erwartung gefragt – gemäß dem grundsätzlichen Ansatz meiner Studie (vgl. mit Rekurs auf Koselleck [1989]  Kap. 1 und  Kap. 3). Im vorliegenden Gegenstandsbereich ist die Untersuchung von einzelnen narrativen und ästhetischen Praktiken auf Fragen nach dispositivischen Be- dingungen hin auszuweiten. Insofern muss die Analyse der Geschichtsbild- modellierungen mehrere Ebenen vor Augen haben, die letztendlich in ihrer Verwebung als Cluster funktionieren: – Es ist auszugehen von einem Filmwerk als Referenz, dem ein historischer Produktions- und Distributionskontext eignet. Franziska Heller - 978-3-8467-6460-2 Heruntergeladen von Fink.de01/03/2022 12:27:50PM via free access Funktionalisierung des Imaginären 267 – Dieses Werk sowie dessen historischer Kontext werden unter den Vor- zeichen digitaler Dispositive wieder aufgenommen und aktualisierend (nach)erzählt; dies zum einen über dispositivische Strukturen, zum an- deren durch wiederum filmische Formen (sogenannte filmhistorische Dokumentationen), die die Geschichte des Films in der Medien- und Er- eignisgeschichte audiovisuell im gegebenen Kontext konfigurieren. Solche Dokumentationen zirkulieren in verschiedenen medialen Dispositiven und formieren jeweils eine Beziehung und Funktion in Hinblick auf das aktua- lisierte Werk (die Prinzipien der Beziehungen und Bezugsetzungen werden in  Kap. 7 Thema sein, vgl. den Begriff der Mise en Relation). Im Kontext von filmhistorischen Dokumentationen lässt sich mit Dörner/Weiß (2013) eine Popularisierung (vgl. hierzu auch  Kap. 3) von film- wie medien- geschichtlichen audiovisuellen Narrativierungen konstatieren, die sich ihrer- seits wieder in die Überlieferungs- und Re-Editionsgeschichte des jeweiligen (Referenz-)Werkes einschreiben (vgl. hierzu auch Beispiele und Ausführungen in  Kap. 7). In Anlehnung an Czekaj werden im Folgenden die Strategien der unter- suchten ästhetischen Praktiken als Prozesse der Geschichtsbildmodellierung begriffen, wobei ich mich gemäß meinem Ansatz vor allem auf die wirkungs- ästhetische Dimension solcher Modellierungen konzentriere. 6.2 Hybridisierung von Fakt und Fiktion. Historisierende Lektüremodi In den paratextuellen filmhistorischen Dokumentationen ist eine Hybri- disierung von fiktionalen und dokumentarischen Formen zunächst vornehm- lich im Dienste eines medienhistorischen Diskurses zu beobachten. So werden nun an dieser Stelle die (wirkungs)ästhetischen Verfahren und Prozesse geschichts- und bildtheoretisch systematisiert. Zu Recht hat der Filmwissenschaftler und Dokumentarfilmer François Niney (2012: 187) – offensichtlich mit Blick auf Christian Metz’ Überlegungen zur filmischen Erzählung (F. Heller 2010: 27) – darauf hingewiesen, dass der grundsätzliche Unterschied zwischen Fiktion und Non-Fiction darin liege, dass die Fiktion über ihre Erzählung und die Diegese eine eigene Zeit konstruiere, die einen Zwischenraum in unserer realen Welt kreiere. Umgekehrt bringen dokumentarische Bilder oder solche, die als dokumentarisch erachtet werden, selbst wenn sie in einen zeitlichen Erzählzusammenhang gebracht werden, mit ihrer historisch homogenen Zeit auch die des Zuschauers hervor: Als dokumentarisch wahrgenommene Bilder „gelten [sie] als Zeugen unserer Zeit, Franziska Heller - 978-3-8467-6460-2 Heruntergeladen von Fink.de01/03/2022 12:27:50PM via free access 268 kapitel 6 unserer Vergangenheit – und dies in einem bruchlosen Zusammenhang mit unserer alltäglichen Welt“ (Niney 2012: 187). Nach Niney bindet sich insofern bei der Geschichtsbildmodellierung die Formierung referenzieller Mehrwertver- sprechen2, die letztendlich den jeweiligen Lektüremodus graduell bestimmt, an die Konstruktion einer ‚homogenen Zeit‘, die in einen ‚bruchlosen Zusammen- hang‘ mit der außerfilmischen Alltagswahrnehmung gesetzt wird. Werden also Bewegtbilder in einem dokumentarisierenden oder historisierenden Modus gelesen (wie etwa im Archivbildmodus, vgl. unten), ermöglicht die audio- visuelle Geschichtsbildmodellierung eine (Re-)Konfiguration3 geschichtlicher Erfahrung, Zusammenhänge und Erwartungen. Heinz-B. Heller (2001a: 18) hat auf die wechselseitige Abhängigkeit von referenziellen Mehrwertversprechen des Films und dem – zwischen doku- mentarisierend und fiktonalisierend changierenden – Lektüremodus seitens des Rezipienten angesichts von Bewegtbildern hingewiesen. Insofern ver- lagert sich die Frage nach der Genrezugehörigkeit von Filmbildern, ob sie nun dokumentarisch oder fiktionalisierend wirken, auf die Frage nach dem Lektüremodus. Dieser fußt auf der Bestimmung beziehungsweise der Zu- schreibung einer Enunziationsebene. Je nachdem, welche Enunziations- instanz der Bilder angenommen wird, gestaltet sich der Lektüremodus. Wie in  Kap. 3 bereits erläutert, hat Matthias Steinle (2005 und 2007) diese Über- legungen auf die Lektüremodi von Bildern übertragen, die als Archivbilder wahrgenommen werden: Hier wird eine enunziative Instanz angesetzt, die der Institution Archiv zugewiesen wird. In dieser Betrachtungsweise ist medien- theoretisch kein prinzipieller Gegensatz zwischen Dokumentar-, Fiktions- oder Archivbildern anzunehmen (schon gar nicht in einem indexikalischen Bezug zu einer profilmischen Wirklichkeit).4 Jede Form von Bewegtbildern ist danach dazu geeignet, als Dokumentarfilm gelesen zu werden (H.-B. Heller 2001a: 18). 2  Der Begriff referenzieller Mehrwert bezieht sich an dieser Stelle ausdrücklich auf die semio- pragmatische Modellierung der Initiierung dokumentarischer Lektüremodi von Bildern. Der Begriff steht hier in einem film- und bildanalytischen Diskurskontext. Deshalb ist ‚Mehrwert‘ situativ zu differenzieren von dem Begriff ‚Wert‘, wie er auch im Kontext kulturindustrieller Zusammenhänge zur Anwendung kommt. 3  Niney (2012) verwendet hier ursprünglich den Begriff der Re-Vision. Vor dem Hintergrund meiner mehrschichtigen Methode, die auch dispositivische Konstellationen miteinbezieht, spreche ich an dieser Stelle und in der Folge von ‚(Re-)Konfigurationen‘, um auch die räumlich-performativen Aspekte zu betonen. 4  Nach H.-B. Heller (2001a) ist der Eindruck des Dokumentarischen weniger vom Verhältnis zwischen dem Gefilmten und den Filmbildern abhängig, sondern vielmehr von etablierten und erwarteten Präsentations-, Darstellungs- und Verstehenskonventionen. Franziska Heller - 978-3-8467-6460-2 Heruntergeladen von Fink.de01/03/2022 12:27:50PM via free access Funktionalisierung des Imaginären 269 Für den vorliegenden Gegenstandsbereich gilt mit H.-B. Heller (2001a) und Steinle (2005 und 2007) – beide Interpreten von Roger Odins semio- pragmatischem Ansatz ( Kap. 3) – insofern auch: Jede Form von Bewegt- bildern ist dazu geeignet, historisierend, also als ein historisches Ereignis referenzierend, gelesen zu werden. Der referenzielle – oder in meiner Modi- fikation: der historisierende Mehrwert – vermittelt sich weniger über die manifesten Bildinhalte als vielmehr über die (filmischen) Formen der Kon- textualisierung. Insofern richte ich bei der Analyse der filmhistorischen Dokumentation und ihrer Verfahren der filmischen Geschichtsbild- modellierung den Blick auf die Untersuchung referenzieller Mehrwertver- sprechen und dispositivischer sowie textueller Lektüreanweisungen, wie sie Steinle in seinen Ergänzungen zu Odin um einen historisierenden Modus aufzeigt. Bei Steinle wird, wie oben erwähnt, konkretisierend die Institution Archiv als Enunziator angesetzt. Darüber hinaus formuliert Steinle noch grundsätzlicher: „Der historisierende Modus zeichnet sich dadurch aus, dass er auf der Zeitleiste zurück- und auf ‚die Geschichte‘ als realen Enunziator ver- weist“ (Steinle 2007: 263–264). 6.3 Filmhistorische Dokumentationen als Bonus. Überlegungen zur Enunziationsebene Im Kontext der filmhistorischen Dokumentationen wird – so meine Skizze des semio-pragmatischen Archivbilddiskurses – Geschichte als fixe, unpersönliche, abstrakte Entität ästhetisch und dispositivisch konstruiert und vom Zuschauer mit spezifischen Erwartungen besetzt; dies geschieht unter der Bedingung eines kulturindustriellen Kontextes. Bei filmhistorischen Dokumentationen, die als Paratexte fungieren, hat dies zur Folge, etwa beim digitalen Dis- positiv DVD oder der Blu-Ray-Disc, dass man die hier erzählte Geschichte, die historische Kontextualisierung des editierten Films, als Bonus erwartet und erlebt. Diese Positionierung und Einordnung als Bonus leistet – so meine These – eine affirmierende und verobjektivierende Wirkung für die Annahme eines nicht an ein Subjekt gebundenen Enunziators Geschichte Vorschub.5 5  Der Filmwissenschaftler Frank Kessler (2009: 192) hat mit Blick auf digitale Bilder hervor- gehoben, wie wichtig hier eine pragmatische Perspektive ist, um den ‚Effekt‘ der Bilder in ihrer jeweiligen Referenzbeziehung zur Wirklichkeit fassbar machen zu können. Dies gilt, da digitale Bilder eben keinen (zwingenden) indexikalischen Bezug zum Profilmischen mehr haben müssen. Damit kommt auch dem Zuschauer eine zentrale Rolle zu: Der Zuschauer konstruiert den Enunziator des digitalen Bildes, wodurch definiert wird, was das Bild mit welchem Referenzanspruch zeigt (Kessler 2009: 12). Franziska Heller - 978-3-8467-6460-2 Heruntergeladen von Fink.de01/03/2022 12:27:50PM via free access 270 kapitel 6 Dabei sind wiederum zwei Kategorien der Bildwahrnehmung zu unter- scheiden, wie es Steinle mit Anlehnung an Überlegungen von Christa Blümlinger (2003) formuliert. Der Status von Bildern changiere, ausgehend von einem historisierenden Dispositiv als diskursivem Rahmen, zwischen Dokument und Monument: Aus der ‚Nobilitierung‘ zum Archivbild resultiert eine dokumentarisierende Selbstevidenz, mit dem paradoxen Effekt einer Monumentalisierung dieser Bildklasse zum historischen Artefakt, das mehr an Vergangenes erinnert als Konkretes bezeugt, ja für Vergangenheit per se steht. Gerade der scheinbar ein- deutige Status bedingt die Offenheit sowohl in der Verwendung als auch in der Lektüre. Monument und Dokument sind dabei die funktionalen Pole, zwischen denen Archivbilder changieren (Steinle 2007: 266, Hervorh. FH). Steinle identifiziert drei wesentliche Funktionen von Archivbildern im Rahmen der historisierenden Lektüre: „Vorgefundene Bilder 1) als Beweis im Sinne eines zeithistorischen Dokuments, 2) als Verweis auf etwas Vergangenes im Sinne eines Monumentes und 3) als Illustration ohne referenziellen Mehr- wert“ (Steinle 2007: 262). Insbesondere die letzte Funktion werde ich mit Blick auf meinen Unter- suchungsbereich der filmhistorischen Dokumentationen erweitern. Die Bilder der Dokumentationen, die eine historisierende und zugleich eine digitalisierende Lektüre anregen, sind im vorliegenden Zusammenhang nicht nur Illustration (des Technoimaginären), sondern vermitteln – so meine Perspektivierung – als kontextgebundene ästhetische Konfiguration eine somatisch wirksame Erfahrung. In diesem Horizont, auch im Zusammenspiel mit der Funktion von Bildern aus Spielfilmen als Monument im kulturellen Gedächtnis, als sinnliche, semantisch nicht eindeutig fixierte Chiffre für Er- innerung, für Vergangenheit, modelliere ich den Modus der prothetischen Erinnerung als memophänomenalen Wirkungshorizont (vgl. zu dem Begriff meine Konzeptualisierung im Fazit von  Kap. 4). Dies wird gemäß dem Schwerpunkt dieses  Kap. 6 mit Funktionen des Imaginären produktiv vermittelt, um dessen Bedeutung für Formen aisthetischer Historiografie zu profilieren. 6.4 Historiografie und Funktionen des Imaginären Die grundsätzliche Herangehensweise, Historiografie in ihrem medial- konstruktiven Charakter zu untersuchen, weist methodisch auf Hayden White (2008) zurück. In seinem Standardwerk Metahistory untersucht er Geschichts- schreibung als poetischen Akt anhand narrativer und sprachlicher Muster, um Franziska Heller - 978-3-8467-6460-2 Heruntergeladen von Fink.de01/03/2022 12:27:50PM via free access Funktionalisierung des Imaginären 271 die Art und Funktionsweise historischer Erkenntnistätigkeit zu analysieren (White 2008: 16). Sprachliche Muster präfigurieren nach White nicht zuletzt Kausalitäten und raumzeitliche Ordnungen, worüber sich Bilder der Welt und Positionen zur und von Wirklichkeit konstituieren. White sieht Historiografie- und Geschichtsphilosophie eng verwoben. Mit anderen Worten, Geschichts- schreibungen hätten einen tiefenstrukturellen, poetischen und sprachlichen Gehalt, der als vorkritisch akzeptiertes Paradigma definiere, wie eine spezi- fische historische Erklärung auszusehen habe (White 2008: 9). Insofern ent- wirft Whites Studie eine Theorie der Struktur von Denkweisen dessen, was man als historisch begreift (White 2008: 15). Welche wichtige, produktive Rolle die Imagination im Horizont der Vor- stellung des Möglichen in der Konzeption von Geschichtsschreibung als Welt- entwurf spielt, zeigt das Epigraph von Gaston Bachelard, das White seiner Studie vorangestellt hat: „Man kann nur untersuchen, wovon man zuvor geträumt hat“ (Bachelard 1990). Nach Hans Kellner (2013) weist dieses Epi- graph auf die Relevanz von Träumen für jede Art und Weise von (Welt-)Kon- zeptualisierung. Dabei seien Vorstellungen einer alternativen Zukunft oder von alternativen Weltordnungen, die nicht an die narrativen Zwänge eines einzigen, fixierten Realitätsprinzips gebunden sind, von zentraler Bedeutung – auch mit Blick auf den Entwurf von Vergangenheit: „replotting the past in the interest of other realities“ (Kellner 2013: 157). Der Entwurf des Verhältnisses zwischen Vergangenheit und Zukunft impliziert demnach nachhaltig eine Konzeption von Welt, wobei in dem pro- jektiven Prozess der Schaffung zeitlicher Zusammenhänge dem Imaginären ein zentraler Platz eingeräumt wird – jenseits linear aufgebauter, vermeint- lich ‚realistischer‘ raumzeitlicher Ordnungen, die sich in der gegebenen empirischen Welt verorten. Frei nach White mit Bachelard: Im Traumhaften liegen strukturell die (raumzeitlichen) Alternativen zur realen Welt. Dies führt zurück zum Verständnis des Enunziationsaktes von Geschichte und dem Verhältnis des Geschichtsschreibers zu den Ereignissen, die dieser in einen raumzeitlichen Zusammenhang bringt: Es ist öfter gesagt worden, das Ziel des Historikers sei es, die Vergangenheit zu erklären, in dem er die ‚Geschichten‘, die in den Chroniken verborgen liegen, ‚findet‘, ‚erkennt‘ oder ‚entdeckt‘, und der Unterschied zwischen ‚Historie‘ und ‚Fiktion‘ bestehe darin, daß der Historiker seine Geschichten ‚finde‘, während z. B. der Romancier die seinen ‚erfinde‘. Diese Vorstellung verschleiert jedoch, in welchem Ausmaß die ‚Erfindung‘ auch die Arbeit des Historikers prägt (White 2008: 20).6 6  Vor dem Hintergrund einer solchen Perspektive wird vor allem auch in  Kap. 7 nach den digitalen Konfigurationen gefragt, in denen über verschiedene Symbolsysteme und Franziska Heller - 978-3-8467-6460-2 Heruntergeladen von Fink.de01/03/2022 12:27:50PM via free access 272 kapitel 6 Nach White impliziert Geschichtsbildung einen nachhaltig konstruktiven Charakter. Ihre Form und ihr Inhalt beziehungsweise ihre Hervorbringungen sind bestimmt von dem, was vorstellbar oder sprachlich ausdrückbar ist. In- sofern werde ich danach fragen, was nun im speziellen Fall von filmischen Bildern passiert, die das Vorstellbare, auch das Phantastische, als alternative Weltentwürfe in Wahrnehmungsbildern konkretisieren.7 6.5 Zwischenfazit I Als Zwischenfazit meiner einleitenden Ausführungen zu diesem  Kap. 6 lassen sich die nachstehenden film- und bildanalytischen Punkte rekapi- tulierend festhalten, die in der Folge für den Gegenstandsbereich der film- historischen Dokumentationen produktiv gemacht werden: – Wiederaufgenommene, re-kontextualisierte Bewegtbilder aus Dokumen- tar- und Spielfilmen unterscheiden sich nicht grundsätzlich auf einer medientheoretisch-ontologischen Ebene. Stattdessen ist – wenn über- haupt – von graduellen Differenzen auf der Ebene ästhetischer und narra- tiver Verdichtungen, die die Schaulust in unterschiedlicher Art und Weise animieren, auszugehen, welche wiederum in Verbindung mit pragmati- schen Verstehens- und Wahrnehmungskonfigurationen zu sehen sind. – Der wirkungsästhetische referenzielle Mehrwert als Bedingung und zu- gleich Resultat der Lektüremodi von Bewegtbildern – ob dokumentarisch, historisch oder technoimaginär – entsteht als Wahrnehmungseffekt. Dieser ist abhängig von dispositivischen sowie ästhetischen Strategien, die einen bestimmten Lektüremodus nahelegen. – Die Annahme der Enunziationsinstanz spielt eine entscheidende Rolle für die historiografische Wirksamkeit von Bildern: Wird die unpersönliche In- stanz Geschichte angenommen, wird einem historisierenden Lektüremodus Vorschub geleistet. Dabei kann die Wahrnehmung der Bilder changieren: deren innere Relationen Versionen von Geschichts- und damit auch Weltmodellierungen vermittelt werden. Auch wenn dies von der vorliegenden Studie im phänomenologisch imprägnierten Ansatz nicht grundlegend systematisch übernommen wird, so könnte man die Funktionsweisen eines auf dieser Basis erfolgenden kognitiven ‚Weltenbaus‘ mit Rekurs auf Nelson Goodman (1990) systematisieren; dies auf der Grundlage von Symbolsystemen, etwa aufgebaut nach Epistemai der digitalen Domäne (vgl. überblicksartig  Kap. 1). Mit anderen Worten, man könnte mit den Goodman’schen Kategorien die einzelnen Schritte des Rezipienten angesichts von digitalen Konfigurationen der Geschichtsbildmodellierung mit den folgenden Schritten beschreiben: Komposition/Dekomposition, Gewichtung, Ordnen, Tilgung und Ergänzung, Deformation (vgl. hierzu auch die Überlegungen in  Kap. 7). 7  Zur Bedeutung eines „technological imaginary“ für die Erfindung des Kinos, vor allem seiner Etablierung und kulturellen Akzeptanz in dessen Anfangszeit vgl. Punt (2000). Franziska Heller - 978-3-8467-6460-2 Heruntergeladen von Fink.de01/03/2022 12:27:50PM via free access Funktionalisierung des Imaginären 273 zwischen einer Lesart als Dokument oder der als Monument. Diese hier von Steinle (2005 und 2007) aufgegriffene Unterscheidung8 wird im Folgenden übernommen. Allerdings wird den pragmatischen Implikationen der ausge- machten Ambivalenz – Bilder als historische Dokumente beziehungsweise Monumente – in diesem spezifischen Zusammenhang noch weiter reflexiv nachgegangen. Gerade die Funktion dieser Bilder als womöglich interesse- und umstandslose sinnliche Chiffren für Erinnerung und Vergangenheit schlechthin ist im Sinne ihrer konkreten Verwendungsweise in kulturindus- triellen Kontexten genauer zu betrachten. – Theoriegeschichtlich weist mein Ansatz unter anderem zurück auf Hayden White (2008). Insbesondere mit White wird noch einmal die Bedeutung der Imagination und des Imaginären deutlich. Das Imaginäre wird als Vehikel der Vermittlung alternativer utopischer Weltentwürfe verstanden.9 Für den vorliegenden Gegenstandsbereich gilt, dass die Formen des Filmisch-Imagi- nären als wirkungsästhetische Vergegenwärtigung utopischer Bilder zu se- hen sind. Die sich über die Filmbilder vermittelnde Utopie steht im Kontext der Vermarktung des Technoimaginären der digitalen Domäne. Insofern wird das Filmisch-Imaginäre hier in Verbindung mit der Haltung eines sinn- lich-affektiven Erfahrungskonsums konzipiert, der seinerseits eine historio- grafische Wirkung zeitigt. 6.6 Ästhetische Erfahrung und die Rolle des Imaginären im warenästhetischen Kontext. Erfahrungskonsum Im Mittelpunkt der Überlegungen in diesem  Kap. 6 stehen Verfahren filmhistorischer Dokumentationen, Bilder aus Spielfilmen in ihrer Erlebnis- dimension zu funktionalisieren. Mit der Funktionalisierung von Bildern aus Spielfilmen und ihren oft phantastischen Bildinhalten machen diese audio- visuellen Paratexte alternative, von der Realität abgelöste raumzeitliche Ord- nungen sichtbar und erfahrbar. Auf diese Weise bedienen die paratextuellen Dokumentationen die Vermittlung des Technoimaginären des Digitalen. Solche Dokumentationen rahmen den editierten (Haupt-)Film als so- genanntes wertsteigerndes Bonusmaterial und kontextualisieren diesen unter dieser Maßgabe historisch: Die filmhistorischen Dokumentationen beein- flussen damit die historiografische Wirkung des re-editierten Films im Modus 8  Steinle rekurriert seinerseits unter anderem auf Blümlinger (2003), die wiederum die beiden Begriffe von Michel Foucault mit Blick auf den Archivkunstfilm entwickelt. 9  Zum Verhältnis von Fiktion, Spielfilmen und Geschichte vgl. meinen Exkurs: (Fiktionale) Geschichtsfilme, Ästhetik und Historiografie  Kap. 3.7. Franziska Heller - 978-3-8467-6460-2 Heruntergeladen von Fink.de01/03/2022 12:27:50PM via free access 274 kapitel 6 des Audiovisuellen. Hierbei wenden sie ästhetische Verfahren der Kompi- lation an. Die kompilierten Bilder in den Dokumentationen erhalten ihren referenziellen, dokumentarisierenden Mehrwert in Hinblick auf Geschichte aufgrund dispositivischer sowie textueller Strategien, die einen historisierenden Lektüremodus als Wahrnehmungseffekt initiieren. Eine solche Geschichtsbildmodellierung ist nicht losgelöst von ihrem kultur- industriellen Kontext zu sehen: Entweder das re-editierte, digitalisierte Werk und/oder das aktualisierende digitale Dispositiv sollen über solche film- historische Dokumentationen unter anderem auch als Produkt auf den Markt gebracht werden und dort bestehen. Geht man nun von dem letztgenannten Punkt aus, filmhistorische Dokumentationen als wertsteigernden Bonus auf digitalen Trägern von Re- Editionen zu verstehen, so lassen sich produktive Bezüge zur Theoretisierung erfahrungsbezogener Konsumentenpraktiken herstellen (Illouz 2011: 60). Die Soziologin Eva Illouz (2011) leistet in ihrer aktualisierenden Lektüre von Wolfgang Fritz Haug (2009) eine Profilierung der emotionalen und imaginären An- und Einbindung der Konsumenten an Waren. Schon Haug (2009) hat die Rolle des Imaginären in seinen kritischen Analysen zum High-Tech- Kapitalismus insbesondere mit Blick auf digitale Technologien und deren warenästhetische Komponenten hervorgehoben.10 Der Gebrauchswert wird hier insbesondere im Imaginären verortet.11 Illouz (2011) untersucht vor allem Emotionen und emotionale Bindungen in der Konsumsoziologie – und dies ausdrücklich im Zusammenhang mit dem Begriff der Erfahrung. Ihre Ausführungen lassen sich fruchtbar auf Film als kulturindustrielles Produkt anwenden: Gebrauchsgüter sind insofern ‚emotional‘, als sich die Konsumentenkultur durch die Herstellung von erfahrungsbezogenen Konsumentenpraktiken auszeichnet, das heißt durch den Konsum von Gegenständen, die nicht materiell sind, sondern sich vielmehr als Formen der Erfahrung verstehen lassen (Illouz 2011: 60). 10  Vgl. grundsätzlich zur Warenästhetik und zu meinen Übertragungen auf den Kontext von medialen Geschichtsbildmodellierungen  Kap. 3 und mit Bezug zum Fetischismus  Kap. 4. 11  Ein aus Gründen der argumentativen Kohärenz wichtiger Aspekt soll hier nicht un- erwähnt bleiben: Nicht nur weisen Haug (2009) und Illouz (2011) auf die zentrale Rolle des Imaginären gerade auch mit Blick auf digitale Technologien und Medien hin, sie sprechen in diesem Kontext außerdem von einem Prinzip der Verzeitlichung des Ge- brauchswerts: Vor allem Haug benennt die von der Industrie oft kreierte ‚künstliche Obsoleszenz‘ digitaler Technologien, die immer neue Migrationen der Daten und/oder neue Hardware erfordere. Dies spiegelt sich im titelgebenden Prinzip der vorliegenden Studie: dem kulturindustriell vorangetriebenen Zwang zum Update! Franziska Heller - 978-3-8467-6460-2 Heruntergeladen von Fink.de01/03/2022 12:27:50PM via free access Funktionalisierung des Imaginären 275 Die Anwendung auf das filmische Erlebnis als Verwirklichung von Erfahrungs- konsum ist umso naheliegender, wenn Illouz weiter schreibt: „Die Emotionen von Konsumenten müssen nicht das Ergebnis konkreter sozialer Beziehungen sein, vielmehr sind sie häufig das Resultat der Interaktion von Konsumenten mit dem Reich der Zeichen und Bilder“ (Illouz 2011: 76). Dem Imaginären räumt Illouz hierbei eine Schlüsselfunktion ein: Ein Großteil der emotionalen Macht der zeichenhaften und damit auf ästhetische Erlebnisse bauenden Konsum- kultur beruhe auf dem Umstand, dass selbst reale Emotionen im Modus des Imaginären erfahren würden (Illouz 2011: 76). Illouz versteht Imagination als Modus der Vergegenwärtigung, durch den Absentes als präsent vorgestellt und erlebt wird (Illouz 2011: 78). Illouz rekurriert in ihrem Verständnis von Imagination ebenso wie Hayden White grundsätzlich auf Gaston Bachelard. Imagination stellt nach Bachelard die Fähigkeit dar, konkrete Wahrnehmungsbilder im Kontext der eigenen Vorstellungen und Projektionen zu (de)formieren. Über den Modus der Imagination lassen sich Waren und Bilder mit dem Wahrnehmungs- akt sinnlich-emotional und vor allem begehrend verflechten. In diesem Zu- sammenhang benennt Illouz die Qualitäten von Emotionen angesichts von zeichenhaften und ästhetischen Waren als magisch: Sie kombinierten die Realität frei mit imaginären Begierden, Sehnsüchten und Projektionen (Illouz 2011: 79 und 82). Im Kontext meines Forschungsinteresses ist ein solcher Erfahrungskonsum, der mit den Phantasien und Projektionen des Konsumenten/Filmzuschauers spielt, in seinen Konsequenzen für eine mögliche historiografische Wirksam- keit hin zu reflektieren. Mit Blick auf Illouz (2011) und dem Verständnis, dass im hier diskutierten Gegenstandsbereich die historische Dimension von Filmen im Horizont einer erfahrungsbezogenen Konsumentenkultur zu sehen ist, entwickelt sich eine paradoxe Verflechtung der Wahrnehmungsmodi: Die präsentische emotionale An- und Einbindung des Erfahrungskonsums wird verknüpft mit dem in der historischen Dokumentation angelegten historisierenden Lektüremodus. Und umgekehrt gilt: Die (film)historische Dokumentation mit dem Gestus, Vergangenes zu objektivieren, bedient sich einer Ästhetik der präsentischen imaginären Involvierung und Einbindung des Zuschauers, die auf dessen Er- lebnismaximierung zielt und zugleich von ihm begehrt sein will.12 12  Hier kommt ganz konkret auf der wirkungsästhetischen Ebene das Spiel mit den an- genommenen Enunziationsebenen zum Tragen, das die Erzählinstanz Geschichte im Horizont kulturindustrieller Interessen funktionalisiert. Franziska Heller - 978-3-8467-6460-2 Heruntergeladen von Fink.de01/03/2022 12:27:50PM via free access 276 kapitel 6 Diese Überlegungen gilt es nun, weiterführend mit bestehenden Erfahrungs- modellen von mediatisierten Erinnerungen zu verbinden. 6.7 Medien, Zeit und Erfahrungsdimensionen. Mediatisierte Erinnerung und prothetische Erinnerung Meine weiterführenden Präzisierungen der wahrnehmungstheoretischen Di- mension für audiovisuell erlebte Gedächtnis- und Geschichtsmodellierungen schließen an das bereits entworfene Konzept der verkörperten Erfahrung an (vgl.  Kap. 5). Wie auch schon einleitend zu diesem  Kap. 6 angesprochen, werden an dieser Stelle mit Blick auf das Medium Film Ansätze zu erfah- rungsorientierten Erinnerungs- und Geschichtsbildmodellierungs-Praktiken herangezogen.13 Im Besonderen wird hier die Wechselwirkung diskutiert, die zwischen individueller Erinnerungsaktivität angesichts von Filmbildern und der Funktionalisierung des Eindrucks einer kollektiven Gedächtnisinstanz entsteht.14 Ich verbinde an dieser Stelle mein memopänomenales Modell mit Ansätzen zur mediatisierten Erinnerungsbildung.15 Vor diesem Hintergrund wird der Be- griff der prothetischen Erinnerung operationalisiert.16 13  F ilm weist im erinnerungspolitischen Diskurs auf medientheoretischer Ebene eine lange und ausdifferenzierte Geschichte auf (vgl.  Kap. 3). In zeitphilosophischer Perspektive mit Rekurs auf Gilles Deleuze ist – auch mit der Anlehnung an den Lebensphilosophen Henri Bergson – eine in den letzten Jahren prominente theoretische Referenz bereits in  Kap. 4 eingeführt und bildtheoretisch wie wirkungsästhetisch adaptiert worden (vgl. etwa die Begriffe Affekt- und Erinnerungs-Bilder). Vgl. weitergehend zu dem Verhältnis Film, Geschichte und Erfahrung u. a. mit dem besonderen Fokus auf Ton und die auditive Dimensionen den Sammelband González de Reufels/Greiner/Pauleit (2015); außerdem mit Blick auf das phänomenologische Konzept eines „verleiblichten Zuschauers“ in An- wendung auf Ernst Lubitschs Madame Dubarry (1919): Allred (2015). 14  Grundsätzlich hat die Filmwissenschaftlerin Christina Scherer (2001) mit Fokus auf die Möglichkeiten der filmischen Montage den engen Zusammenhang von Gedächt- nis, Erinnerung und Bewegtbildern in formal- und wirkungsästhetischen Dimensionen herauspräpariert (vgl. auch  Kap. 3): Ästhetische Verfahren und Formen im Zeichen des Fragmentarischen und Merkmale von Heterogenität binden wirkmächtig das Er- innerungsvermögen des Zuschauers mit ein (Scherer 2001: 72 f.). Dies geht nach Scherer einher mit einer filmischen Geschichtsbildmodellierung, die auf dem zeitlichen Prinzip der Augenblickhaftigkeit beruht. Vor diesem Hintergrund habe ich bereits aktualisierende Dispositive von historischen Filmen als präsentische Passagen des Vergangenen ver- standen und in ihrem jeweiligen Kontext konzeptualisiert (vgl. hierzu grundsätzlicher  Kap. 3 und  Kap. 5). 15  Vgl. Erll (2011: 157 f.); sowie Dijk (2007) bzw. meine Ausführungen in  Kap. 3. 16  Zum Begriff vgl. Landsberg (2004); Burgoyne (1999) resp. Elsaesser (1996b). Franziska Heller - 978-3-8467-6460-2 Heruntergeladen von Fink.de01/03/2022 12:27:50PM via free access Funktionalisierung des Imaginären 277 Der Begriff beschreibt Erinnerungen, die in massenmediatisierter Form vermittelt werden, die nicht auf selbst er-/gelebten Momenten gründen, aber trotzdem biografisch-identitätsbildend auf das Subjekt wirken. Prothetisch auch deshalb, weil der Prozess auf sinnlicher Erfahrung und somatischer Ein- verleibung des vermeintlich Erlebten gründet. Burgoyne (1999) fasst das ur- sprünglich vor allem von Alison Landsberg (2004/1996) formulierte Konzept mit eigenen Worten zusammen: Landsberg beschreibe the concept of prosthetic memory as ‚memories that circulate publicly, that are not organically based, but that are nonetheless experienced with one’s own body – by means of a wide range of cultural technologies,‘ Landsberg argues that prosthetic memories, especially those afforded by the cinema, ‚become part of one’s personal archive of experience‘ (Burgoyne 1999: 138). Burgoyne hebt hierbei insbesondere die sinnliche Einbindung in diese Form der eigentlich ‚fremden‘ Erinnerung hervor – was wichtig wird bei der wahr- nehmungstheoretischen Modellierung des Verhältnisses von Zuschauer und Bewegtbildern – zumal solchen aus Spielfilmen. Gleichzeitig verweist Burgoyne mit Landsberg damit auch auf den in prothetischen Erinnerungen überbrückten Widerspruch zwischen der äußer- lichen und damit auch kulturellen, kollektiven Erinnerung und der Einver- leibung in die individuelle Erinnerung: „[P]rosthetic memories also enable a sensuous engagement with past lives and past experiences that, Lands- berg argues, can serve as ‚the basis for mediated collective identification‘“ (Landsberg, zit. n. Burgoyne 1999: 138–139, Hervorh. FH). Eine zentrale Rolle nimmt an dieser Stelle das Zusammenspiel von kulturellem Gedächtnis und Massenmedien ein. Massenmediale Technologien würden strukturell andere erzählerische beziehungsweise historiografische Dynamiken bedingen. Bur - goyne schreibt hierzu mit Rekurs auf Thomas Elsaesser (1996b): In Elsaesser’s formulation, the mass media create cultural memories that resist the kind of narrative closure associated with story-telling, with narrative history. […] Taking White’s hypothesis one step further Elsaesser suggests that the lack of closure in modernist historical events may be a property of mass media itself and its take on history (Burgoyne 1999: 140).17 17  Würde man dies ausgehend von den Epistemai der digitalen Domäne weiterdenken, dann könnte man strukturell mit Mitchell (1992: 53) die Idee einer Unabgeschlossenheit auf der theoretischen Ebene digitaler Bilder finden – nämlich in deren „mutability and lack of closure, their tendency to proliferate limitless variants“. Diese Qualität bedingt dann auch die „unkonventionellen Kanäle der Distribution“. Franziska Heller - 978-3-8467-6460-2 Heruntergeladen von Fink.de01/03/2022 12:27:50PM via free access 278 kapitel 6 Ich übernehme Elsaessers respektive Burgoynes Überlegungen insofern, als ich die von ihnen ausgemachte fragmentarische Offenheit massenmedialer Ge- dächtnisformen als strukturellen Befund begreife, der meines Erachtens eine Erweiterung des Verhältnisses von Medien und Rezipient um phänomenale Aspekte notwendig macht. So ergänzen die vorliegenden Überlegungen den in  Kap. 5 modellierten Erfahrungsbegriff im Sinne einer verkörperten Wahrnehmung im Vollzug. Auch schließt die hier vorgenommene Modellierung von prothetischer Erinnerung angesichts von Filmbildern an Überlegungen aus  Kap. 4 zu ästhetischen Strategien der Fetischisierung mittels ‚wechselseitiger Bilder‘ an. Doch im Horizont des in diesem  Kap. 6 im Mittelpunkt stehenden Be- griffes des Imaginären ist eine Verschiebung der Perspektive im Vergleich etwa zum  Kap. 4 zu beobachten: In den hier in  Kap. 6 diskutierten Bei- spielen wird das offensichtlich Filmisch-Phantastische in den Bildern und im kompilativen Montagezusammenhang als manifestes Element hervor- gehoben und analysiert. Dies hängt mit dem Gegenstand der filmhistorischen Dokumentationen zusammen, in denen die Frage nach Bildregistern und ihren Lektüremodi sich anders stellt als in  Kap. 4, in dem primär Werbetrailer den Analysegegenstand darstellten. In einem weiteren Schritt wird im  Kap. 6 das Imaginäre als Wahr- nehmungsmodus und damit als Form der emotionalen An- und Einbindung des Zuschauers gesehen, wie es strukturell analog schon für den Modus der Fetischisierung entwickelt wurde. Tatsächlich sind die Modi medienhistorio- grafischer Erfahrungsbildung – Wahrnehmungshaltungen der Fetischisierung und Erfahrungsmodi der Funktionalisierung des Imaginären – nicht grund- sätzlich zu trennen, sie binden sich vielmehr graduell an unterschiedliche film- ästhetische Verfahren und fordern methodologisch etwas anders nuancierte begriffliche Perspektivierungen und Kontextualisierungen heraus. Im Falle einer Funktionalisierung des Imaginären zeigt sich in der Folge anhand der untersuchten kompilativen Montageverfahren, dass in diesen Beispielen ostentativ die Enunziationsinstanz Geschichte vermittelt und zweckorientiert inszeniert wird, aber – paradoxerweise – im Zusammenhang mit dem Ausstellen des Filmisch-Imaginär-Phantastischen. Zusammengefasst und auf den vorliegenden Gegenstandsbereich zu- gespitzt, haben die oben ausgeführten Überlegungen ihren Fluchtpunkt in einem spezifischen Umstand: Durch die strukturell in massenmedial verbreiteten Bewegtbildern angelegten Vermittlungsformen werden im (individuellen) Zuschauer Erlebens- und Erinnerungsmodi kreiert, die das Potenzial für körperliche wie empathische Identifikation mit Sphären eines Franziska Heller - 978-3-8467-6460-2 Heruntergeladen von Fink.de01/03/2022 12:27:50PM via free access Funktionalisierung des Imaginären 279 kollektiven Gedächtnisses freisetzen,18 das in der Geschichtsbildmodellierung bewusst nicht auf „Abschluss“ („closure“) setzt, das nicht als ein großes, lineares Narrativ funktioniert (Burgoyne 1999: 140). Die Identifikation mit einer äußer- lichen Gedächtnisformation wird über die subjektive Sphäre des Einzelnen – wie Burgoyne an einem Spielfilmbeispiel nachweist – ästhetisch initiiert. Auf diese Weise werden aber auch individuelle Erinnerungen durch das Bild von Geschichte im Zeitalter des Kinos geprägt.19 In Abgrenzung zu Burgoyne, der diesen emotionalen und körperlichen Ein- bindungsprozess in ein fiktionales Universum am Titelhelden von Forrest Gump (1994) festmacht, werde ich im Folgenden das Augenmerk intensiver auf die Verfahren richten, über die historisierende wie digitalisierende Lektüremodi in Hinblick auf Geschichte mittels dispositivischer wie textueller Strategien hervorgerufen werden.20 6.8 Spielfilme als Erinnerung Im Horizont des vorliegenden Forschungsbereichs stellen Spielfilme in der digitalen Reprise, die in dieser Konfiguration eine erinnerungspolitische und historiografische Wirkung entwickeln, einen zentralen Aspekt dar. Insofern sollen an dieser Stelle – im Anschluss an einführende Überlegungen zu diesem 18  Burgoyne (1999: 138) beschreibt hier, dass „the somatic powers of mass technology to produce something like symptoms in the spectator create the potential for empathic identification, for new collective frameworks, for public spheres based on memory“. 19  „[T]he cinema is […] revealed, in the most emphatic way, to be an instrument that allows individuals to ‚experience a bodily, mimetic encounter with a collective past they never actually led‘. This suturing of the spectator, through identification with the character For- rest Gump, into an actual historical scene collapses the distinction between the personal and the historical and foregrounds the multiple and complicated relations between indi- vidual and collective memory and history in the age of cinema and media culture“ (Bur- goyne 1999: 139). 20  Die Überlegungen Aby Warburgs bieten sicherlich einen produktiven Anschluss für eine weitergehende phänomenologisch ausgerichtete wahrnehmungstheoretische Dis- kussion. So sind Tendenzen bei Warburg besonders interessant, wenn er die visuellen Raumkonstruktionen von Bildern reflektiert: Fotografische Bilder in Bewegung etablierten über eine dynamische Repräsentanz vergangener Ereignisse eine besondere Beziehung zum Körper des Betrachters (Sierek 2007: 33–35). Der Filmwissenschaftler Karl Sierek (2007) fasst Warburgs Überlegungen zum Nachleben von historischen Bildern im Betrachterkörper zusammen: „In den Analysen aller möglichen kulturellen Äußerungen sucht Warburg das umfassende, ereignishafte Nachleben eines gewesenen Bildkörpers im Betrachterkörper als schwingenden Zeitkristall in Bild und Ton“ (Sierek 2007: 197–198). Franziska Heller - 978-3-8467-6460-2 Heruntergeladen von Fink.de01/03/2022 12:27:50PM via free access 280 kapitel 6 Thema in  Kap. 3 – Spielfilme als mediatisierte Erinnerungen zwischen Individuum und Kollektiv über das Konzept der prothetischen Erinnerung in ihren (Langzeit-)Konsequenzen für das kulturelle Gedächtnis21 noch deut- licher eingeordnet werden. Wie sehr sich mediale Bilder über kommunikative Tradierung in persön- liche Erinnerungen und in das soziale Gedächtnis einschreiben können, haben Welzer/Moller/Tschugnall (2002) in einer Studie zu Zeitzeugenaus- sagen nachgewiesen und wiederum an bestimmte strukturelle Eigenschaften der Erzählung geknüpft. Sie konstatieren, dass es bei der kommunikativen Tradierung von Vergangenheit im sozialen Gedächtnis einen Raum für die aktive Aneignung durch den Zuhörer geben müsse. Das heißt, die Erzählung müsse Lücken und Leerräume aufweisen.22 Die Lückenhaftigkeit der Erzählung von Vergangenheit arbeite der aktiven Aneignung und Gestaltung des Erzählten durch den Rezipienten zu. Beim Füllen der Leerstellen bediene sich der Rezipient, so die Studie, medialer Produkte, aus denen er sein Bild von der Vergangenheit generiere: Dabei ist insbesondere deutlich geworden, dass die Gestalt der weitererzählten Geschichte umso reichhaltiger und plastischer wird, je deutlicher und ein- drucksvoller die filmischen Vorlagen sind, die zur Bebilderung der erzählten Geschichte herangezogen werden (Welzer/Moller/Tschugnall 2002: 199). Czekaj (2015) hebt hervor, dass weniger der (narrative) Inhalt der filmischen Vorlagen hier eine tradierende Rolle spielt als tatsächlich ästhetisch- strukturelle Elemente, die durch ihre Erscheinungsform als Bewegtbild prä- figurierend für die Erzählung wirken (Czekaj 2015: 103). Dies ist des Weiteren im Zusammenhang mit der Frage nach der zu- geschriebenen Enunziationsinstanz der Bilder zu sehen. Dieser Aspekt spielt 21  Zur Erinnerung zum Begriff des kulturellen Gedächtnisses: Der von Maurice Halbwachs (1985a und b) geprägte Begriff des kulturellen Gedächtnisses wird zuweilen – aufgrund der Behauptung, es könne nur erinnert werden, was kommuniziert werde – auch als soziales Gedächtnis bezeichnet. Der Differenzierung zwischen kulturellem und sozialem Gedächtnis folge ich im Argumentationsverlauf nicht (vgl. hierzu auch  Kap. 3). Ent- scheidend ist, dass das kulturelle Gedächtnis von J. Assmann dem kollektiven Gedächtnis zugeordnet wird. 22  „Die Erzählung muss Raum für die aktive Aneignung durch den Zuhörer geben, das heißt sie muss Lücken und Leerräume beinhalten, die der Hörer mit Elementen aus seiner eigenen Vorstellungswelt und mit Fragmenten seines Wissens auffüllen kann“ (Welzer/Moller/Tschugnall 2002: 199). Vgl. hierzu auch die obigen Überlegungen zum Fragmentarischen und Unabgeschlossenen im Zusammenhang mit der prothetischen Erinnerung („lack of closure“; Burgoyne 1999; Elsaesser 1996b; Landsberg 2004). Franziska Heller - 978-3-8467-6460-2 Heruntergeladen von Fink.de01/03/2022 12:27:50PM via free access Funktionalisierung des Imaginären 281 eine zentrale Rolle dafür, wie sich Bilder aus Spielfilmen als ‚wirklichkeits- haltig‘ in die Erinnerungstätigkeit einschreiben – gerade weil im illusions- bildenden Modus keine didaktische oder absichtsvolle Enunziationsinstanz angenommen wird. So stellen Welzer/Moller/Tschugnall (2002) fest, dass gerade die fiktionalen Quellen als solche erfahren und gedeutet werden, die die Wirklichkeit eins zu eins und scheinbar absichtslos wiedergeben. Be- sonders der dem Spielfilm eigene Evidenzcharakter, dass er ohne didaktische Absicht Geschichten und Geschehensabläufe erzählt, scheint ihn gegen- über den absichtsvollen Vermittlungsformen in […] Dokumentarfilmen […] attraktiver und wirklichkeitshaltiger zu machen: Während die pädagogischen Geschichtsdarstellungen […] regelmäßig daraufhin abgeklopft werden, wer die jeweilige Quelle erstellt und welche Absicht er damit verfolgt hat, ob der Bericht tendenziös, langweilig oder eine Zumutung war, bleiben die Film- und Roman- erzählungen weitgehend unbewertet und gerade darum als Dokumente dafür im Bewusstsein, wie es wirklich gewesen ist (Welzer/Moller/Tschugnall 2002: 133, Hervorh. FH). Es wird in den nachstehenden Analysen zu klären sein, inwieweit sich dieser Lektüremodus im vorliegenden Gegenstandsbereich tatsächlich etabliert. Dabei wird Steinles (2005 und 2007) Konzept des Bildes als Monument (Bilder, die umstandslos als Vergangenheit oder Geschichte gelesen werden) aufgegriffen. Barbara Klinger widmet in ihrer Studie Beyond the Multiplex (2006a) dem Zusammenhang von individueller Erinnerung und Spielfilmen und deren sinn- licher Dimension ein eigenes Kapitel unter dem sprechenden Titel „The Time Machine“. Sie betrachtet Spielfilme vor allem als „memory catalyst“, wobei sie sich auch auf die Arbeiten von Annette Kuhn (u. a. 2002) bezieht. In Klingers Ansatz steht der Begriff der Nostalgie im Mittelpunkt. Nostalgie wird von ihr begriffen als sinnlicher Wahrnehmungsmodus, als „wistful or excessively sentimental yearning for return to some past period“ (Klinger 2006a: 174; vgl. auch  Kap. 3). Insofern betont Klinger den Fluss der unmittelbaren Ein- drücke, die ein Film wirkungsästhetisch zu vermitteln und zu initiieren in der Lage ist; ein Fluss, der sich mit einer sehnsuchtsvollen Haltung (nach Ver- gangenem) verbindet. Diesen Fluss aus Gegenwart und Erinnerungen bindet Klinger explizit an das Proust’sche Zeitkonzept der erlebten Dauer, in der unterschiedliche zeitliche Schichten ineinanderfließen: [S]eeing a film again can trigger a flood of impressions that illuminate moments from one’s history with unexpected vividness. In Proustian fashion, sensory im- pressions associated with the first time the film was seen rush in […] reminding the viewer of the person he or she once was (Klinger 2006a: 174). Franziska Heller - 978-3-8467-6460-2 Heruntergeladen von Fink.de01/03/2022 12:27:50PM via free access 282 kapitel 6 Auf Filme zugespitzt, begreift Klinger ähnlich wie Dijk (2007) die mediale Er- fahrung als autobiografische Erfahrung (vgl. auch  Kap. 3). Klinger spricht hier von einer „regressive self-awareness“ (2006a: 180): Sie beinhalte einen Vergleichsmodus zwischen damals und heute anhand der eigenen Person („inherent comparative dimension“, Klinger 2006a: 180).23 Durch die gleich- zeitige massenmediale und damit imaginär soziokulturell verbindende Di- mension der Erinnerung gerate dieses autobiografisch wirksame Erleben von Historizität in ein dialektisches Spannungsverhältnis zum „popular memory“ (ähnlich wie es auch Dijk [2007] an ihren Gegenständen beschreibt).24 Vor diesem Hintergrund wird in den folgenden Analysen zu prüfen sein, ob und wie über spezifische dispositivische und ästhetische Strategien nostalgische Schaulust sowie zugleich historisierende Lektüremodi an- gesichts von (bekannten) Bildern mit phantastischen Elementen initiiert werden, wodurch sich Formen prothetischer Erinnerung ergeben – zwischen individueller, präsentischer Erlebnislust und einem in diesem Kontext sich selbst affirmierenden kulturellen, kollektiven Gedächtnis. 6.9 Exkurs: (Marktorientierte) Werterelationen des Ästhetischen im Feld des Filmerbes Da es in diesem  Kap. 6 um Wiederaufnahmen und Editionen von Spielfilmen in digitalen Dispositiven geht, soll in diesem kurzen Exkurs auf zwei Probleme hingewiesen werden: Hinter der digitalen (Re-)Edition eines Films steht meist auch die marktorientierte Annahme, dass dieser in seinen (ästhetischen) Schauwerten,25 seinem Potenzial zur Unterhaltung, noch heute eine Attraktion darstellt (man denke an die Fetischisierung des [historischen] Filmerlebnisses, vgl.  Kap. 4). Diese Annahme führt mitunter zu nicht unproblematischen Selektionsmechanismen, was heute überhaupt an historischen Filmen in der digitalen Domäne wieder aufgenommen und damit sichtbar wird. 23  Vgl. auch zu ästhetischen Verfahren und zu entsprechenden Wahrnehmungshaltungen des Vergleichens  Kap. 7. 24  So stellt Klinger in diesem Kontext das Erleben von Zeitlichkeit, von zeitlichen Differenzen in den Mittelpunkt, welche ein historisches Bewusstsein zur Folge hätten: „As Henry Jenkins and Lynn Spigel have argued, the goal of research on mass culture and popular memory is not to obliterate the ‚distorted‘ memories from the historical record, but to account for their construction of historical consciousness‘“ (H. Jenkins/Spigel, zit. n. Klinger 2006a: 180). 25  Hier erneut der deutliche Hinweis zur Unterscheidung: Der an dieser Stelle verwendete Begriff ‚Wert‘ bezieht sich auf den ökonomischen Wert und ist nicht zu verwechseln mit dem der wahrnehmungstheoretischen Kategorie eines ‚referenziellen Mehrwerts‘. Franziska Heller - 978-3-8467-6460-2 Heruntergeladen von Fink.de01/03/2022 12:27:50PM via free access Funktionalisierung des Imaginären 283 Der ‚neue‘ digitale Träger wird in diesem marktorientierten Kontext eben- falls selbst zur Attraktion: Vor allem durch strukturelle Vernetzungspotentiale und Speicherkapazitäten ermöglicht er über Politiken etwa des ‚Bonus- materials‘ eine Kommentierung und eine Promotion in audiovisueller Form: der sogenannten filmhistorischen Dokumentation. Grundsätzlich kann man feststellen, dass durch die Selektion, was überhaupt als Ware infrage kommt, der durch den editierten (Haupt-)Film eröffneten ästhetischen Erfahrung eine marktdienliche Werterelation beigemessen wird. Funktionsweisen der marktbestimmten Definition des Werts von kulturellen Objekten zu untersuchen, führt zu dem generellen Problem, dass vom öko- nomischen System Preis und Wert mit Blick auf kulturelle Objekte gleich- gesetzt werden (Gracy 2007: 50).26 Im Bereich der kulturellen Ökonomie umreißt William D. Grampp (1989) einen Marktkontext, der sich über die Relation von Angebot und Nachfrage bestimmt; der Wert sei extrinsisch, der Preis sei der beste Indikator für ästhetischen Wert: „An object – good, service, or whatever – has economic value if it yields utility. If it is a work of art, the utility is aesthetic“ (Grampp, zit. n. Gracy 2007: 51). In dieser Perspektive werden ästhetische Qualitäten marktwirtschaftlich funktional konzipiert, sie müssen also bestimmbar oder messbar sein. Wie stark insbesondere im Zusammenhang der monetären Wertschöpfung des Ästhetischen zwei konkurrierende Gratifikationsmechanismen auf- einanderprallen, zeigt die Geistesgeschichte. Bei Kant (2015/1790) stand die Kunst beziehungsweise das Ästhetische noch als interesseloses Wohl- gefallen dem pragmatischen Handeln und Interesse gegenüber. Seit Schillers (1993/1793) Kantkritik kann man drei Maßstäbe mit Blick auf das Ästhetische unterscheiden, die als Matrix möglicher Gratifikation dienen können: Zunächst kann das Ästhetische am Unterhaltungspotenzial, am möglichen Vergnügen bei der Rezeption beurteilt werden. Als zweites lässt sich das Ästhetische in Beziehung zu seinen erkenntnisfördernden Funktionen setzen: Was leistet es kognitiv für den Rezipienten? Drittens eröffnet das Ästhetische auch Raum für die Entfaltung von gedanklichen Utopien beziehungsweise imaginären Gegen- entwürfen zur Wirklichkeit, deren Qualitäten dann zum kritischen Maßstab des Realen werden können. Nun verkompliziert sich im Kontext der Wiederaufnahme von Filmen in digitalen Medienumgebungen ein solches Framework der Wertschöpfung von Filmen: Denn die drei – hier skizzenhaft zitierten – Kategorien können sowohl unter dem Signum des Erinnerungswerts in einem historischen 26  Vgl. hierzu weiterführend meine Ausführungen in  Kap. 2, insbes. in dem Unterkapitel zu Welt- und Wahrnehmungskonzepten im Zeichen des Digitalen. Franziska Heller - 978-3-8467-6460-2 Heruntergeladen von Fink.de01/03/2022 12:27:50PM via free access 284 kapitel 6 Zusammenhang gesehen werden als auch insbesondere im Bereich des Gegen- wartswerts (Riegl 1903, nach Janis 2005).27 Die im Augenblick wirksamsten Konstruktionen des Gegenwartswerts von historischem Film orientieren sich dann auch erstaunlich nah an den geistes- geschichtlichen Vorbildern. So beschreibt Gracy (2007: 90–91), wie von US- Studios und auch Archiven der Wert von Filmen an sogenannten ‚Filmtypen‘ festgemacht wird: an Feature Films, Silent Films, Non-Fiction (zum Beispiel Newsreels) sowie Avant-Garde Films. Hier werden ästhetische Qualitäten und kontextuelle wie extratextuelle Merkmale (zum Beispiel prominente Autor- schaft) als ökonomische Mehrwertversprechen gesehen. Beim Feature Film, um den es in diesem Kapitel geht, stehen die Unterhaltung und das Vergnügen als Maßstab der ästhetischen Qualität im Vordergrund: The mass production system must produce cultural objects imbued with high entertainment value in order to attract a wider audience, thus they strip the cul- tural product of its original aesthetic position, offering instead the benefits of new technology (i. e. digital enhancement of image and sound) or the pleasures of a nostalgic backward glance (Gracy 2007: 94). Wie diese Überlegungen zeigen, scheint es angebracht oder gar notwendig, die Inkongruenzen in den konkurrierenden Wertmaßstäben aufzuzeigen. Vielleicht ist die wichtigste Konsequenz, grundsätzlich festzustellen: Wert – insbesondere bei Filmen – hat keinen universellen ontologischen Referenten (Gracy 2007: 53). Vielmehr sind ökonomische Wertzuschreibungen das Ergeb- nis (erinnerungs)kultureller Praktiken und pragmatischer Zusammenhänge, in denen filmästhetischer Erfahrung ein Unterhaltungspotenzial – oft in der Überschreitung einer Alltagserfahrung – zugeschrieben wird.28 27  Der Begriff Gegenwartswert wird hier im Sinne von Alois Riegl (1903) – ähnlich wie die schon in  Kap. 1 eingeführten Begriffe Alterswert und Erinnerungswert sowie Gebrauchs- wert – aus der Denkmalpflege und -theorie übernommen. Die Begriffe beschreiben die jeweilige Perspektive, in der Kunstwerke in ihrer historischen Dimension gesehen werden, das heißt, welche Wertematrix zugrunde gelegt wird. Dies hat Konsequenzen für die Bearbeitungsentscheidungen in restauratorischen, konservierenden oder auch aktualisierenden Kontexten. Bei der Anwendung des Gegenwartswerts werden Wert- maßstäbe mit deutlichem Bezug zu gegenwärtigen Verwendungs- und Erscheinungs- zusammenhängen relational angesetzt. 28  Vor allem im Bereich der Feature Films wie aber auch der Non-Fiction (vor allem der Newsreels) zeitigt die Frage des Copyrights einen besonderen ökonomischen Aspekt: Ins- besondere die großen Filmstudios betrachten Filme oft als physische Manifestationen von intellektuellem Eigentum und ökonomischem Gut (Hediger 2005; Gracy 2007: 45). Nimmt man die Besitzlage der Rechte als Orientierungsmarke der Wertschöpfung, ver- lagert sich die Argumentationsebene vom Film weg auf eine abstraktere Ebene, die Franziska Heller - 978-3-8467-6460-2 Heruntergeladen von Fink.de01/03/2022 12:27:50PM via free access Funktionalisierung des Imaginären 285 Wie auch in  Kap. 7 im Kontext des von mir modellierten Verfahrens einer digitalen Mise en Relation deutlich werden wird, bedeutet diese Aussage von Gracy ein pragmatisches, über den soziokulturellen Kontext etabliertes Ver- ständnis der Konstitution von Wert. Wie der Wert, auch der ästhetische, eines re-editierten Films auf einem digitalen Träger über ästhetische Strategien einer filmhistorischen Dokumentation als (historische) Kontextualisierung vermittelt werden kann, wird im Folgenden Gegenstand der Analyse sein. 6.10 „Ohne Méliès hätte es keine Mondlandung gegeben“. Fakt und Fiktion in der digitalen (Film‑)Geschichtsschreibung. Die Re‑Edition Le voyage dans la lune (2011) Produktive Beispiele für (unterschiedliche) dispositivische sowie paratextuelle, audiovisuelle Kontextualisierungen stellen grundsätzlich die verschiedenen Re-Editionen der Filme von Georges Méliès dar – einem der Väter des phantastischen Films. Jede Re-Edition schreibt unter anderen Vorzeichen Filmgeschichte und definiert damit – ähnlich wie es auch bei den Re-Editionen der Werke der Lumières der Falls ist ( Kap. 5) – die Anfänge des Mediums.29 2012/2013 ist in Deutschland bei Arthaus eine Sammel-DVD-Box der bis dahin überlieferten Filme von George Méliès erschienen (Schönfelder 2013); in Frankreich gibt es schon länger eine entsprechende Box von Lobster Films (2008), hier inzwischen sogar schon wieder in einem erweiterten Upgrade mit einer sechsten DVD. Zusätzlich gibt es in Einzeleditionen die Restaurierung von Le voyage dans la lune (Die Reise zum Mond; in Frankreich: Lobster Films 2011 sowie in Deutschland: Arthaus 2012). Der ursprüngliche Film von Méliès aus dem Jahr 1902 wird auf dem Klappentext der deutschen Editionen als erster Science-Fiction-Film und Welterfolg der Filmgeschichte gefeiert. Die Analogie zu dem jüngeren Block- buster Avatar (Cameron, 2009) wird, auch wegen der jeweiligen State-of-the- Art-Tricktechnologie, im öffentlichen Diskurs immer wieder bemüht. nicht mehr in ihren gedanklichen Grundprinzipien medienspezifisch ist: Film wird zu- nächst als Eigentum, als Besitztum begriffen, die ästhetische Dimension des Films tritt in dieser Matrix zurück. Dennoch bestimmt dieses Denken, welche Filme tatsächlich für ein Massenpublikum ‚sichtbar‘ gemacht werden. An dieser Stelle kommt besonders deut- lich die Verquickung von Film als ein ästhetisches und industrielles Produkt (mit all den institutionellen Begleiterscheinungen) zum Tragen. Vgl. u. a. Op den Kamp (2018) und Bohn (2013a und b). 29  Vgl. zur systemischen Implikation der filmhistoriografischen Narration des ‚Nullpunkts‘ Engell (1995). Franziska Heller - 978-3-8467-6460-2 Heruntergeladen von Fink.de01/03/2022 12:27:50PM via free access 286 kapitel 6 Insbesondere dieser Entwicklungsschub in der Filmtechnik im Jahr 1902, der dem Werk von Méliès heute zugeschrieben wird, verwebt sich in der Edition des Films in den 2010er Jahren mit seiner jüngsten Restaurierungsgeschichte: In „Kleinstarbeit“ – so die eigens 2011 von Serge Bromberg und Jacques Lange gedrehte begleitende filmhistorische Dokumentation30 – habe man ab 1999 zunächst nach dem Fund (1993) die einzelnen Frames digital abfotografiert. Erst als 10 Jahre später die Digitaltechnik entsprechend entwickelt gewesen sei, habe man die Informationen wieder zusammensetzen, Bildteile kombinieren und rekonstruieren können.31 Aus heutiger Sicht gilt die gefundene Fassung des Films, die hier wiederher- gestellt wurde, deshalb als so ‚wertvoll‘, weil sie besser – so die implizite An- nahme – zu unserem aktuellen ästhetischen Attraktionsempfinden passt: Die neue Fassung simuliert auf Basis des überlieferten Materials die Erscheinungs- weise von Handkolorierungen und damit historische Farbverfahren. Sie wird als „Entdeckung einer handcolorierten Fassung“ angepriesen (vgl. Lobster Films 2011).32 Eine weitere aktualisierende Zusatzattraktion bietet darüber hinaus die eigens neu komponierte Musik der französischen Band Air, deren Sound von Elektronik und Synthiepop geprägt ist (vgl.  Kap. 7 zum ver- gleichenden Hören).33 Die angesprochene filmhistorische Dokumentation als Bonus auf den entsprechenden Editionen des Films auf DVD und Blu-Ray-Disc (Lobster Films 2011; Arthaus 2012) reiht sich als audiovisueller Beitrag in die (kultur- industriellen) Aktualisierungs- und Kontextualisierungspraktiken ein. Inte- ressant sind an dieser Stelle die offerierten Möglichkeiten des Zugriffs über das jeweilige Menü. Sowohl die französische als auch die deutsche Ausgabe 30  Diese Dokumentation ist einigen französischen wie deutschen Méliès-Editionen ‚bei- gelegt‘; etwa Lobster Films (2011) und Arthaus (2012);  Filmverzeichnis. 31  Vgl. hierzu auch die zusätzlich eigens produzierte Buchpublikation über die Restaurierung zur „couleur retrouvée du Voyage dans la Lune“: Fondation Groupama Gan pour le Cinéma, La/La Fondation Technicolor pour le Patrimoine du Cinéma (2011). 32  Dass sich aber bei jeder Neu-Edition auch immer wieder die grundsätzliche Frage nach der Referenz beziehungsweise dem originären Status der spezifischen überlieferten Fassung stellt, zeigt in diesem Fall die hitzige Kontroverse um die Restaurierung und Re-Edition, die von Roland Cosandey und Jacques Malthête als Wortführer angestoßen wurde. Die beiden Filmhistoriker stellten öffentlich-publizistisch die Frage, ob man hier nicht eine zeitgenössische Raubversion/Piratenkopie des Films restauriert habe, die nicht selbst von Méliès stamme. Vgl. hierzu ausführlich FIAF (2012): Der erste Teil dieser Aus- gabe des Journal of Film Preservation widmet sich mit verschiedenen Beiträgen aus unter- schiedlichen Perspektiven allein dieser Debatte. 33  Vgl. hierzu weiterführend: Bopp (2012). Franziska Heller - 978-3-8467-6460-2 Heruntergeladen von Fink.de01/03/2022 12:27:50PM via free access Funktionalisierung des Imaginären 287 zitieren das bekannte Universum von Méliès mit dessen ikonischer Bildwelt.34 Beide Menügestaltungen evozieren das Weltall und spielen auf diese Weise mit dem Topos, dass die digitale Edition Initiationsort für einen Aufbruch in eine neue, unerforschte Welt ist. Darüber hinaus ist aber die Präsentation des Verhältnisses der edierten Filme zueinander auffallend: Hauptfilm und Dokumentation stehen neben- einander zur Auswahl. In der deutschen Fassung wird sogar auf dem Titel- blatt der Edition die Dokumentation als nahezu gleichwertig zum ‚Hauptfilm‘ präsentiert (Abb. 6.1). Sie erscheint somit mehr als eine Zugabe zum Haupt- film, sie gibt sich als eine fast gleichwertige Attraktion. Abb. 6.1 34  Vgl. an dieser Stelle die Ausführungen zum DVD-/Blu-Ray-Disc-Menü als immersivem ‚Vorraum‘ in  Kap. 5.6. Franziska Heller - 978-3-8467-6460-2 Heruntergeladen von Fink.de01/03/2022 12:27:50PM via free access 288 kapitel 6 Le Voyage extraordinaire (2011). „Wer erinnert sich? Wir befinden uns …“ Die filmhistorische Dokumentation Le voyage extraordinaire erzählt, wie Méliès mit seinen Filmen sowohl die filmtechnologischen Möglichkeiten als auch Formen des Imaginären erforscht hat. Méliès hätte damit – so die These der Dokumentation – den Verlauf der Geschichte, das heißt die Mond- landung sowie die Eroberung des Weltraums, imaginativ vorweggenommen und damit später realiter erst möglich gemacht. Die hier editierte restaurierte Fassung, so die Argumentation weiter, lässt das filmische Handwerk von Méliès in einem neuen Licht erscheinen – vor allem auch dank der Entdeckung einer kolorierten Version in den Archiven, die mit digitalen Tools restauriert wurde. Die Exposition dieser „außergewöhnlichen Reise“ beginnt mit dem Gestus, uns – als heutige Zuschauer – in unserer Gegenwart abzuholen: Das erste Bild zeigt fotografisch-mimetisch den Mond an einem Nachthimmel. Die darauffolgenden Bilder sind Zeichnungen einer fiktionalisierten, phantasie- vollen Repräsentation des Mondes. Diese Bilder werden als populärkulturelle ikonische Darstellung der Eroberung des Weltalls bezeichnet (zur Rolle der Voice-Over später mehr). Der Zuschauer (der DVD) wird sogleich per Frage- form in den bedeutungskonstituierenden Prozess miteinbezogen, indem ge- fragt wird, wer eigentlich den Film kennt, aus dem das Bild stammt? Und die Bedeutung des Quellenfilms wird noch weiter affirmiert. Er sei der erste große weltweite Erfolg der Kinogeschichte gewesen. Es folgt ein Ausschnitt, der ebenfalls den Mond zeigt, diesmal tatsächlich aus Méliès’ Film – in Schwarz- Weiß (Abb. 6.2–6.3). Über die Montage der Zeichnungen des Mondes wird so ein wichtiger Effekt erzielt; obwohl vom Bildinhalt her offen phantastisch-fiktional (der Mond hat ein Gesicht), erscheinen die Méliès’schen Bewegtbilder in ihrer Qualität Abb. 6.2 Franziska Heller - 978-3-8467-6460-2 Heruntergeladen von Fink.de01/03/2022 12:27:50PM via free access Funktionalisierung des Imaginären 289 Abb. 6.3 dennoch konkreter und unmittelbarer als die Zeichnungen. So ist bereits nach den ersten Bildern erreicht, dass die phantastischen Bilder als Konkretion des Erzählten – und damit als affirmierende Dokumentation – funktionieren, zu- mal sie von tatsächlich fotografischen Bildern des realen Mondes eingeleitet werden. Außerfilmische Wahrnehmung und fiktives filmisches Universum werden hier in ein direktes Verhältnis gebracht. Im Folgenden wird das Prinzip des Clusterings von präsentischen Passagen (Czekaj 2015) und medienhistorischen Reminiszenzen noch deutlicher um- gesetzt: Es wird eine lange Bildersequenz aus Archivmaterial in Form eines Phantomride eingesetzt, um den Zeitkontext von Méliès zu vermitteln (Abb. 6.4). Diese Einstellung ruft bewusst die Attraktion der filmischen Be- wegung mit immersiven Effekten ab: „Wir sind …“, spricht hierzu die Voice- Over. Man soll als Zuschauer in das Zeitkolorit tatsächlich mit eintauchen. Hier wird ein historisches Attraktionsverfahren in seiner phänomenalen Wirkung und zugleich aber auch in der Konnotierung eines historischen, damit zeitlich differenzierenden Verfahrens funktionalisiert. Abb. 6.4 Franziska Heller - 978-3-8467-6460-2 Heruntergeladen von Fink.de01/03/2022 12:27:50PM via free access 290 kapitel 6 Das Fiktive beziehungsweise die Imagination erfüllen somit eine wichtige Funktion: Bilder, die offensichtlich aus Spielfilmen stammen, werden der Narration der Voice-Over und der Montage untergeordnet, sie geraten zum Dokument dessen, was demonstriert werden soll. Gleichzeitig werden durch die bildinhärenten Qualitäten der Bilder phantastische Schauwerte und Attraktionen als präsentisch-emotionalisierende Faktoren genutzt. Es entsteht damit eine komplexe Mehrstimmigkeit, in der das Imaginäre eine Schlüssel- rolle einnimmt. Zugleich wird über das Zusammenspiel der – paradoxer- weise subjektivierenden – Bilder und der Voice-Over die Enunziationsinstanz ‚Geschichte‘ angenommen, unter deren Vorzeichen sich die Unterscheidung ‚real‘ und ‚phantastisch‘ nivelliert. Von Méliès über Kubrick zu Cameron Im folgenden Abschnitt geht es um das Oszillieren, das in dieser Dokumenta- tion nun zwischen Fakt und Fiktion der Geschichte(n) entsteht. Dabei wird das in der Exposition schon aufgemachte Spiel zwischen medialer Vergangen- heit und konkretem Gegenwartserlebnis des Zuschauers beziehungsweise DVD-Nutzers als Form der projektiven und emotiven Ein- und Anbindung weiter ausgebaut. Man sieht Tom Hanks als Starpersona, hier assoziiert mit Apollo 13 (Howard, 1995), in einer Mondkulisse sitzen. Als Talking Head spricht er über die Bedeutung von Méliès: Dieser habe gezeigt – und zwar im wirkmächtigen Medium Film –, dass eine Reise zum Mond möglich sei. Er habe durch die phantastische Inszenierung der Reise, durch das Imaginieren, erst die später reale Mondlandung möglich gemacht (Abb. 6.5). Abb. 6.5 Und weiter: Prof. Barnaboulis, Protagonist in Méliès’ Film, sei ein Vorgänger von Neil Armstrong. Mit diesem Ausspruch wechselt die Bildästhetik. Es wird ein Re-Enactment von Méliès’ Dreharbeiten zu Le voyage dans la lune Franziska Heller - 978-3-8467-6460-2 Heruntergeladen von Fink.de01/03/2022 12:27:50PM via free access Funktionalisierung des Imaginären 291 gezeigt.35 Tom Hanks ist in diesen Bildern nun verkleidet als Méliès, der wiederum seinen Film in Szene setzt (Abb. 6.6). Dadurch wird die Ikonografie des historischen Films in die Gegenwart transponiert. Die ‚modernisierten‘ Bilder verleihen der Motivik des Méliès’schen Films einen Effekt von Unmittel- barkeit. Dies wirkt wie eine performative Aktualisierung.36 Was nun folgt, ist ein höchst interessanter Twist: Die tatsächliche Mondlandung im Jahr 1968 wird indes von der Voice-Over fiktionalisiert – und dies über Filmgeschichte: Es gebe das Gerücht, Stanley Kubrick habe den ersten Mondflug von Armstrong inszeniert (… so wie Méliès seine Filme inszeniert habe …). Dies wird über die Inszenierung von Tom Hanks gesprochen. Die Aussagen sind nicht unerheb- lich für die Wahrnehmung der später gezeigten tatsächlichen Archivbilder von realen Raketenstarts und Mondmissionen (Abb. 6.7). Abb. 6.6 Abb. 6.7 35  Ähnlich wie es dann 2011 in Hugo Cabret bei Martin Scorsese zu sehen ist. 36  Die Bilder stammen ihrerseits aus der Mini-TV-‚Dokudrama‘serie von HBO (1997): From the Earth to the Moon, in der Tom Hanks neben seinem Re-Enactment von Georges Méliès unter anderem auch Regie führte. Franziska Heller - 978-3-8467-6460-2 Heruntergeladen von Fink.de01/03/2022 12:27:50PM via free access 292 kapitel 6 Auf diese Weise gehen Bilder von Filmgeschichte und allgemeiner Zeit- geschichte ineinander auf. Filmische Fiktion und außermedialer Fakt inter- agieren. Die filmische Imagination und deren zur Realität alternative Wahrnehmungsformen werden profiliert – vor allem im Hinblick auf das Phantastische des Films als (technisches) Spektakel, als Voraussetzung für tatsächliche Ereignisse. Dies wird mit einer Gegenwartsanalogie noch zusätz- lich aktualisiert. Regisseur Costa-Gavras als Talking Head zieht anschließend in seinen Aussagen die Verbindung von Méliès zu Camerons Avatar (2009), dem Inbegriff von zu diesem Zeitpunkt neuen digitalen Technologien im Kino der 2000er Jahre. Besonders deutlich sticht an diesem Beispiel hervor, wie offensichtlich hetero- gene Bildregister in der filmischen Erfahrung zum Vehikel einer prothetischen Erinnerung seitens des Zuschauers werden. Es wird eine emphatische Identifikation des Zuschauers mit Bildern unterschiedlicher historischer und modaler Provenienz ermöglicht. Die Bilder stimulieren wiederum im Montagezusammenhang über unterschiedliche Stufen der medialen (Selbst-) Referenzialität innerhalb der Dokumentation Erinnerungsaktivitäten (Méliès- Film in unterschiedlichen Versionen, Re-Enactment des Méliès-Films mit Tom Hanks etc.). Zugleich werden die Bilder in einen Kontext von Ereignisgeschichte gesetzt; dies alles im Dienste einer allgemeinen Geschichtsbildmodellierung, in der dem Filmisch-Imaginären inhaltlich und formal – hier vor allem über die Montage von Bildregistern – eine produktive Funktion zukommt. Restaurierung und Féerien In der beschriebenen Sequenz geht es darum, die außermediale Geschichte infrage zu stellen, nur um die Macht der filmischen Inszenierung und dadurch konkretisierten Vorstellungskraft zu affirmieren. Das verstärkt die Bedeutung des Werks von Méliès für den Verlauf der allgemeinen Ereignisgeschichte. Dies ist entscheidend für den folgenden Abschnitt der Dokumentation, der die schwierige und extrem aufwändige Restaurierung der hier editierten Fassung von Le voyage dans la lune erzählt. Ich beschränke mich auf den Abschnitt der Dokumentation, der den zweiten Teil des Restaurationsprozesses erzählt. Zu diesem Zeitpunkt ist eine für lange Zeit verloren geglaubte kolorierte Fassung von Méliès’ Film im Jahr 1993 bereits aufgefunden worden. Doch aufgrund mangelnder Möglichkeiten der Be- arbeitung in analoger Restaurierung kann der Film zunächst nur mühsam ab 1999 digital Einzelbild per Einzelbild abfotografiert werden.37 Diese digitalen Einzelbilder werden dann für zehn Jahre auf einer Festplatte gespeichert. 37  Das Material war in einem solch schlechten Zustand, dass es kaum Möglichkeiten gab, die fehlenden Bildinformationen zu ersetzen, geschweige denn den Filmstreifen zu scannen. Franziska Heller - 978-3-8467-6460-2 Heruntergeladen von Fink.de01/03/2022 12:27:50PM via free access Funktionalisierung des Imaginären 293 Das Vergehen von Zeit und damit der Fortschritt der Digitaltechnik in diesen zehn Jahren des Wartens werden ironischerweise von der Dokumentation mit einem Archivbild illustriert. Man sieht ein Labor mit lauter Kabeln, eine ana- loge Uhr läuft im Zeitraffer. Die in den Raum hängenden Kabel konnotieren komplexe Verbindungen und suggerieren die Idee eines Netzwerks. Die Ver- mittlung erfolgt zeichenhaft über analoge Technik als Chiffre der Vergangen- heit, um digitale Speicherung und Vernetzungsmodalitäten zu illustrieren. Auf diese Weise zeitigt die Dokumentation einen spielerischen und fiktionalisierenden Gestus im Verhältnis zu der Technik, von der sie eigentlich erzählt. Und ebendiese Technik – die digitale – hat ein zentrales, grundsätz- liches medientheoretisches wie konkret filmästhetisches Problem, das hier deutlich wird. Sie ist per se nicht sichtbar, an sich nicht sinnlich vermittel- bar. Sie braucht den Rekurs auf andere Medien und Künste als bildgebende Verfahren – oder ältere Techniken. Genau dies wird im Anschluss besonders sichtbar, wenn es zum „2. Akt der Restauration“ geht. Die Dokumentation erklärt, dass nun, also um 2010, endlich die Technikentwicklung so weit gewesen sei, dass man das Projekt zu einem Ergebnis habe bringen können. Man sieht hierzu in Bildern aus einem fiktionalen Quellenfilm des frühen 20. Jahrhunderts, wie ein Gelehrter in einer Schreibstube von einer allegorischen Erleuchtung heimgesucht wird. Die Voice-Over erzählt, dass man die Restaurierung diesmal nun richtig angehen wolle: Dazu erscheint ein apotheotisches Bild im überbordenden Ornament der Méliès’schen Féerien (Abb. 6.8). Abb. 6.8 Franziska Heller - 978-3-8467-6460-2 Heruntergeladen von Fink.de01/03/2022 12:27:50PM via free access 294 kapitel 6 Die Effekte sind vielfältig: Inhaltlich wird wieder das Phantastische, das Zauber- hafte, das Übernatürliche, das jenseits empirischer Logik Liegende vermittelt, das scheinbar unlösbare Probleme lösbar macht. Gleichzeitig wird über die historische und zeitgebundene Ästhetik der filmischen Frühphase eine deut- liche nostalgische Verbindung zur Vergangenheit geschaffen, was wichtig für den gegebenen diskursiven Kontext ist. Es geht um eine Restaurierung, die nun mit neuester Technik möglich ist. Das ‚Neu‘ entspricht hier der faszinativen Zauberkraft, demjenigen, was jenseits der Sichtbarkeit liegt, was ‚neu‘ für die Vorstellung ist. Danach gerät das Problem der technischen Reproduzierbarkeit des Films und der Fassungsvielfalt in den Fokus: Die Restauratoren wollen eine syn- thetische Fassung des Films Le voyage dans la lune erstellen – aus bereits vorhandenen Elementen und Kopien. Das Ergebnis dieser Rekonstruktion muss gleichzeitig als ‚historisch richtig‘ vermarktbar sein. Der Vergleich der Versionen und Fassungen wird filmästhetisch in Split-Screen-Konfigurationen vermittelt (vgl. hierzu Ausführungen zum vergleichenden Sehen in  Kap. 7). So erfahren die Méliès’schen Filmbilder eine Verdoppelung, ihre Versionen existieren gleichzeitig nebeneinander. Der Zuschauer der Dokumentation auf DVD (oder Blu-Ray-Disc) betrachtet sie in einem vergleichenden Modus – sie verweisen nur noch aufeinander – in Inhalt und materieller Beschaffenheit. Im Vergleich wird der Zuschauer in Bewertungsprozesse hinsichtlich der Bild- qualität phänomenal und imaginär mitinvolviert (Abb. 6.9). Abb. 6.9 Illusion der Restaurierung. Finale Nachdem nun in der filmhistorischen Dokumentation versucht wurde, die Leistung und Arbeit mit digitalen Tools und in der digitalen Domäne zu illustrieren und zu versinnbildlichen, kommt in der finalen Partie das Paradox Franziska Heller - 978-3-8467-6460-2 Heruntergeladen von Fink.de01/03/2022 12:27:50PM via free access Funktionalisierung des Imaginären 295 der digitalen Technik und ihres Einsatzes in der Restaurierung zum Tragen: Man setzt sie ein, aber danach soll sie als technisches Verfahren der Be- arbeitung tunlichst nicht mehr vom Zuschauer wahrnehmbar sein (Abb. 6.10). Gleichzeitig bleibt sie aber die beworbene imaginäre Attraktion der vor- liegenden Edition. Abb. 6.10 Für die Restaurierung gilt: Die „digitale Technik war nur ein Mittel, die Spuren der Zeit auszulöschen“, so die Voice-Over. Der sogenannte Gegenwartswert als Unterhaltungswert, das ungetrübte ästhetische Erleben des restaurierten Filminhalts ist das Ziel. Um die Unterhaltungsqualität auch für heutige Zu- schauer zu vermitteln, werden gegenwärtige Formen der öffentlichen Wert- schätzung zitiert: Die Voice-Over nennt aktuelle bedeutsame Filmfestivals wie etwa Cannes, auf denen die restaurierte Fassung des Films 2011 gelaufen ist. Das Ende der Dokumentation speist sich vor allem aus Bildern der Méliès’- schen Voyage, die eine feiernde und tanzende Menge angesichts der erfolg- reichen Mondmission zeigen – nur augenblickhaft wird kurz Archivmaterial der tatsächlichen Mondlandung einmontiert. In der Logik der Dokumentation artikuliert sich hier das ostentative Selbstlob anlässlich der erfolgreichen Restaurierung – der Zuschauer kann sich selbst von der neuen Bildqualität überzeugen, indem er nun die Filmszenen von Méliès in Farbe konsumiert. Darüber hinaus werden wieder die Bilder des phantastischen Geschehens und das filmische Universum zentral. Auf diese Weise vermittelt sich phänomenal die Feierstimmung und Eroberung einer neuen Welt – jenseits der Vorstellung. Die Dokumentation endet in der exaltierten Fiktion (Abb. 6.11). Die Bilder der Fiktion – und deren Zuschauererlebnis – beweisen in der wirkungsästhetischen Dimension, was zu vermitteln ist: die filmtechnische und die kreative Leistung von Méliès, die in der heutigen Restaurierung Franziska Heller - 978-3-8467-6460-2 Heruntergeladen von Fink.de01/03/2022 12:27:50PM via free access 296 kapitel 6 Abb. 6.11 weitergeführt wird. Damit werden die Bilder aus dem phantastischen Film – so meine Modellierung – selbst zum wirkungsästhetischen Monument. Über die Patina und Ästhetik der aufgegriffenen Szenen aus einem frühen phantastischen Film wird Vergangenes konnotiert; allerdings nur als sinnliche Chiffre, scheinbar losgelöst von jeglicher (didaktisch) absichtsvollen Instanz. Zugleich werden im Zusammenspiel mit der Gegenwärtigkeit des bewegt- bildlichen Eindrucks memophänomenale Effekte wirksam, in deren Folge im Modus des Phantastischen prothetische Erinnerungsformen generiert werden: Der Zuschauer erinnert die Mondlandung über die Bilder von Méliès.38 Méliès – so das rhetorische und wirkungsästhetisch umgesetzte Muster – hat technisch und ästhetisch neue phantastische Perspektiven eröffnet, die über die Vorstellungskraft neue technische Entwicklungen erst ermöglicht hatten, die mit der digitalen Re-Edition des Filmes nun weitergeführt werden: Der heutige Zuschauer erlebt diese Leistung über die Immersion in das digital präsentierte Universum. Entscheidend ist hierbei, dass der emotionalisierende Erfahrungsmodus das eigentlich nicht konkret Sichtbare – etwa die Leistung der digitalen Technologien – über das Filmisch-Imaginäre präsent werden lässt. Mit Illouz (2011) ließe sich formulieren, dass hier medientechnische Entwicklungen mit der Schaulust (an den phantastischen Bildinhalten) als imaginäre Begierden nahegelegt und aktualisiert werden – im Kontext der Ver- marktung der Edition einer Restaurierung. Vor diesem Hintergrund lässt sich auch die von Klinger (2006a) nur ober- flächlich kommentierte technikgeschichtlich wiederkehrende Kopplung von 38  Mit Welzer/Moller/Tschuggnall (2002) und Czekaj (2015) ließe sich hier weitergehend konzeptualisieren, wie diese Bilder dann tatsächlich als Erinnerungen in das soziale und kulturelle Gedächtnis aufgrund ihrer dichten ästhetisch-faszinativen Vermittlungsmodi einfließen. Franziska Heller - 978-3-8467-6460-2 Heruntergeladen von Fink.de01/03/2022 12:27:50PM via free access Funktionalisierung des Imaginären 297 Abb. 6.12 „Zauberei“ und „digital“ (engl. auch „digital wizardry“, Klinger 2006a: 122) wahr- nehmungstheoretisch präziser fassen. Nach H. Böhme (2000: 3–4 FH) gehören das Wunderbare, Traumhafte und Mythische zur Imagologie der Technik. Im Technoimaginären artikulieren sich eschatologische Hoffnungen und Utopien, wobei Phantasien einer mythischen Beherrschung der Welt und Tendenzen der Selbstvergöttlichung in einem Wechselspiel stehen (Abb. 6.12)39. Für das vermittelte Geschichtsbild mit Blick auf filmhistorische Dokumen- tationen, die das Filmisch-Imaginäre anschaulich und sinnfällig machen, be- deutet dies eine Form der Geschichtsbildmodellierung, die die technizistischen Hoffnungen mit dem emotionalen Hunger nach Erlebnismaximierung eines filmischen Erfahrungskonsums eschatologisch zusammenführt: Es ist die er- lebnishafte Affirmation eines mythischen Geschichtsbildes, in dem Fakt und Fiktion in der medialen Performance und Rezeption verschmelzen. 6.11 Filmrestaurierung als phantastische Reise. The Restoration of Oz (2005) Das Motiv der digitalen Restaurierung als phantastische Reise in neue Welten der Vorstellungskraft findet sich wiederholt in filmhistorischen Do- kumentationen.40 Damit einher geht das wirkungsästhetische Prinzip, den 39  Dies ist insbesondere in der Re-Editions-Praxis etwa von Disney zu beobachten, bei der den DVDs oder Blu-Ray-Discs oft das Logo „pure digital magic“ vorangestellt wird. Hier lässt sich auch produktiv an die bereits vorgenommene Modellierung der erinnerungs- kulturell wirksamen Wahrnehmungshaltung der Fetischisierung anschließen (vgl. zur Fetischisierung  Kap. 4). 40  Man kann in filmhistorischen Dokumentationen generell auf der formalen Ebene eine Verwebung der Fiktion aus dem restaurierten Film und dem Narrativ des Restaurierungs- prozesses feststellen. So ist eine weitere Erzählstruktur, die von Dokumentationen häufig aus dem Referenzfilm übernommen wird, die der Detektivgeschichte, in der die Geschichte (des Films) erst mühsam decodiert und zusammengesetzt werden muss: so etwa bei Dokumentationen zu Fritz Langs M (1931) unter dem Titel The Hunt for M Franziska Heller - 978-3-8467-6460-2 Heruntergeladen von Fink.de01/03/2022 12:27:50PM via free access 298 kapitel 6 Zuschauer über das Spiel mit den konkret filmisch realisierten alternativen Weltordnungen anzusprechen: Er muss sich in den phantastischen Welten orientieren und wird damit direkt eingebunden. Dies wird mit der Vermittlung einer Erzählung von Fortschritt gekoppelt, die sich allerdings, und hier liegt eine weitere Verwebung mit dem Zuschauer als Erinnerungs- und Nachvoll- zugsinstanz vor, mit dem Gestus eines Wiedersehens beziehungsweise -ent- deckens verbindet. Exemplarisch verfährt so die Dokumentation Prettier than Ever. The Restoration of Oz, produziert von Turner Entertain- ment 2005. Diese Dokumentation ist als Paratext der Collector’s Edition von The Wizard of Oz aus dem Jahr 2005 auf der ersten von drei DVDs ‚bei- gelegt‘ (Abb. 6.13).41 Abb. 6.13 Das schon im Titel der Dokumentation anklingende Versprechen lautet: Digital bearbeitet – und schöner und sichtbarer als je zuvor: „We are not doing digital enhancement […], we are not creating false information, we are peeling away the layers that have prevented you from seeing what has been on these negatives all these years.“42 Zu melodramatischer Hollywood-Musik eröffnet eine Irisblende den (bekannten) Blick auf Dorothy, das Hündchen Toto, den Löwen und die gute Hexe des Nordens. Im Hintergrund hört man das ver- traute Geräusch, mit dem der fotochemische Film durch den Projektor rattert beziehungsweise The Hunt for the FilM Elements (Universum Film/Thorsten Kaiser, 2011); oder zu Alfred Hitchcocks Vertigo, hier unter dem Titel Obsessed with Vertigo (Engle, 1997). Diese Restaurierung fand noch in der analogen Domäne statt, zirkuliert aber immer noch im Kontext jüngerer digitaler Editionen. 41  The Wizard of Oz (Fleming 1939. DVD. Three-Disc Collector’s Edition: Warner Bros./ Turner Entertainment 2005)  Filmverzeichnis. 42  Diese Aussage gehört zu den ersten gesprochenen Sätzen in der zitierten filmhistorischen Dokumentation. Franziska Heller - 978-3-8467-6460-2 Heruntergeladen von Fink.de01/03/2022 12:27:50PM via free access Funktionalisierung des Imaginären 299 Abb. 6.14 und die Ränder des Filmstreifens sich am Transportmechanismus reiben. Die Filmstreifen, die auf diese Weise auditiv abgerufen werden, werden dann auch sichtbar, in collagenhaften Schrägstellungen übereinandergelegt (Abb. 6.14). In dem mittleren Frame erscheint der Titel der filmhistorischen Doku- mentation: Prettier than Ever. The Restoration of Oz. Interessant ist schon an dem Titel, dass nicht der genaue wörtliche Filmtitel als Objekt der Restaurierung genannt wird, sondern nur verkürzt das Land „Oz“. Neben der pragmatischen Entscheidung, den Filmtitel abzukürzen, suggeriert dies in dieser Form darüber hinaus die Evokation des märchenhaften Landes Oz, das als emblematische imaginäre Landschaft in der kollektiven Wahrnehmung seine mediale, an den Film gebundene Präsenz überschreitet: Nicht ein Film wird hier restauriert, sondern ein kollektiver, traumhafter Mythos und ein phantastisches Universum, das die Frage der Transition unterschiedlicher Räume auch inhaltlich thematisiert. Der filmhistorische Beitrag präsentiert sich als ästhetisches Konglomerat aus Zitaten von medienhistorischen Stationen der Produktionsgeschichte, der Technologieentwicklung – hier besonders das Technicolor-IV-Verfahren – und von Anspielungen aus der fiktionalen Welt des Zauberers von Oz. Darin eingebunden verkündet Rob Hummell (VP Technical Operations), ge- zeigt als Talking Head, den eingangs zitierten besonderen Zusammenhang von digita len (Bildbearbeitungs-)Techniken und dem gealterten Filmmaterial (Abb. 6.15). Kurz darauf wird ein Ausschnitt aus dem Film gezeigt, in dem der Zauberer von Oz in seinen Heißluftballon steigt und pathetisch verkündet: „We are Franziska Heller - 978-3-8467-6460-2 Heruntergeladen von Fink.de01/03/2022 12:27:50PM via free access 300 kapitel 6 Abb. 6.15 Abb. 6.16 about to embark upon a hazardous and technically unexplainable journey.“ Diese kurze Szene ist wiederum deutlich als altes, physisches Filmmaterial markiert: Perforationen rahmen die Bilder (Abb. 6.16). Formal wie inhaltlich vermittelt diese Exposition der Restaurierungsdo- kumentation einige zentrale Aspekte. Der Film artikuliert äußerst prägnant die Versprechen, die digitalen Technologien zugeschrieben werden: So ver- weist er überdeutlich auf der symbolischen Ebene auf die medienhistorische Dimension von fotochemischem Film, um diese als materielle Quelle und historisch fixierte Essenz des Films The Wizard of Oz zu etablieren. Hier drängt sich der Schluss auf, dass die motivische Evokation von fotochemischem Filmstreifen und seiner Projektion nicht nur zur Chiffre, sondern sogar als bild- liches Symbol zum Monument wird, dem die Enunziationsinstanz Geschichte zugeschrieben wird. Diese filmästhetisch vermittelte Essenz wird so zur historischen Referenz der Bearbeitung. Deren diskursive Überformung sucht den Rekurs auf tat- sächliche körperliche Interaktion zwischen Subjekt und realem, materiellem Franziska Heller - 978-3-8467-6460-2 Heruntergeladen von Fink.de01/03/2022 12:27:50PM via free access Funktionalisierung des Imaginären 301 Objekt: Digitale Restaurierung wird beschrieben als handwerkliches Verfahren und als Leistung, mit der tatsächliche ‚Schichten‘ von dem Ursprungsmaterial abgekratzt werden („peeling away“). Das evozierte Vorstellungsbild erinnert bewusst an das Handwerk der Gemälde- oder Gebäuderestaurierung, in der die Patina der Zeit abgeschabt wird, unter der wieder der ‚alte Glanz‘ zum Vorschein kommt. Zugleich wird mit dem Kommentar gegen die Vorstellung gearbeitet, dass man bei der Restaurierung durch den Transfer in die digitale Domäne – was ja eine Ablösung vom physischen Trägermaterial bedeutet – verfälschende Informationen kreiere. Argumentativ und diskursiv wird auf diese Weise linear eine historisch fixierbare, materielle Qualität des Films behauptet, die die digitale Bearbeitung legitimiert und an die außermediale, reale Objektwelt anbindet. So ist es aber umso überraschender – wenn auch deshalb nicht weniger wirksam –, dass in der filmisch-sinnlichen Vermittlung der Dokumentation die Szenen aus dem fiktionalen Filmtext als argumentative und ästhetische Illustration des innovativen Restaurierungsprozesses – „a hazardous and technically unexplainable journey“ – genutzt werden. Es fällt auf, dass hier eine Verflechtung unterschiedlichster Diskurse stattfindet. Die sinnliche Er- fahrung des fiktionalen und explizit märchenhaft aufgeladenen (Film-)Inhalts wird verbunden mit dem filmhistorischen Mythos des Films im kollektiven Ge- dächtnis. Es wird so ein Modus der prothetischen Erinnerung beim Zuschauer kreiert, in dem persönliche Erinnerung an den Film – oder zumindest an dessen Ruf – und kollektives Gedächtnis, affirmiert durch den kanonhaften Charakter, untrennbar verknüpft werden. So entsteht ein spezifisches Funktionsgedächt- nis. Dieses ist gekoppelt an die Promotion digitaler Technologien – im Modus des Erfahrungskonsums: Die Gegenwärtigkeit des filmischen Eindrucks wird verwoben mit bildlichen Utopien, welche zum einen sich als vorgefunden und damit scheinbar absichtslos vermitteln. Sie konnotieren als Monumente eine sinnliche Chiffre der Erinnerung von semantisch nicht fixiertem Vergangenem. Zugleich stellen sie sich zum anderen als für die Vorstellungskraft begehrens- wert aus. Es entsteht ein vielschichtiger, eigentlich in sich paradoxer sinnlicher Eindruck einer Instanz Geschichte. 6.12 Geschichte(n) im Zeichen von Münchhausen (1943). Der nationalsozialistische Mythos von Agfacolor im Jahr 2005 Die DVD zu Josef von Bakys Münchhausen (1943) aus dem Jahre 2005 (Friedrich-Wilhelm-Murnau-Stiftung/Transit Classics ) beinhaltet – neben der digital restaurierten Fassung – ebenfalls eine filmhistorische Dokumentation. Damit wird die Dokumentation zum Paratext, der Film Münchhausen zur Franziska Heller - 978-3-8467-6460-2 Heruntergeladen von Fink.de01/03/2022 12:27:50PM via free access 302 kapitel 6 Referenz (Abb. 6.17). Vor dem Hintergrund der vorherigen Ausführungen stellt sich nicht nur die Frage, wie sich Paratext und Referenzfilm wechselseitig narrativ zueinander auf der DVD verhalten, sondern auch, wie sich – gerade mit Blick auf den Produktionszeitraum des Films in der Kriegsphase zu Beginn der 1940er Jahre – die geschichtsbildmodellierenden Praktiken heute gestalten. Abb. 6.17 Filmimmanent gesehen, bietet Münchhausen – wie schon Knuth Hickethier (1995) eindrücklich beschrieben hat – eine Vielzahl von Wahrnehmungs- angeboten mit einem hohen medial selbst-reflexiven Potenzial: Doch sind es heute weder die tollwütigen Kleider, das eingefrorene Posthorn, aus dem beim Auftauen Töne kommen, noch der Flug auf der Kanonenkugel […], die faszinieren, sondern filmisch-erzählerische Irritationen, die an Truffauts Amerikanische Nacht erinnern (Hickethier 1995: 462). Der Film offeriert eine Fülle an Deutungsangeboten, was bereits – abgesehen von dem offensichtlichen Sujet einer nicht verlässlichen Lügengeschichte – anhand des Filmanfangs deutlich wird: Schon die Exposition, die zuerst mit einem stilistisch deutlich abgesetzten Gemälde des Barons von Münchhausen (Hans Albers) im Filmbild beginnt, etabliert die besondere Bedeutung von innerfilmischen Blickstrukturen und thematisiert darüber hinaus auch die Gegenwärtigkeit der Beobachterdispositionen des Filmzuschauers. Die ersten diegetischen Figuren, die man als Gäste eines barocken Festes im Anschluss an das Gemälde sieht, beobachten ein Schauspiel, das für den Zuschauer zunächst im Hors-Champ bleibt. Man hört nur die Musik. Erst Franziska Heller - 978-3-8467-6460-2 Heruntergeladen von Fink.de01/03/2022 12:27:50PM via free access Funktionalisierung des Imaginären 303 betrachtet der Zuschauer also direkt das (zurückschauende!) Gemälde, um dann seine eigene Beobachterposition bei dem nun folgenden ‚Schauspiel‘ durch die Gäste als Publikum in der Diegese gespiegelt zu sehen. Hinzu gesellt sich der besondere Eindruck des Settings: Es ist ein Überschuss an Stilisierung, markiert über die pompösen Perücken und die opulente Kleidung (dieser Ein- druck verstärkt sich natürlich später noch mehr, wenn deutlich wird, dass es sich tatsächlich um eine Maskerade handelt). Nach wenigen Einstellungen sind Lug und Schein als Bildprinzipien im sinnlichen Überschuss etabliert, ohne dass die das Sujet dominierende Lügen- geschichte bereits erwähnt worden wäre. Es wird Misstrauen gegenüber der Evidenz filmischer Bilder erweckt. Die Blickstrukturen des Zuschauers wie aber auch die der innerdiegetischen Figuren werden zusätzlich akzentuiert und irritiert, wenn Spiegel, Fensterglas und Kader merklich die räumliche Wahrnehmung formieren. So findet sich das Prinzip des Spielens – als Motiv der Nichtverlässlichkeit der gezeigten Gegebenheiten – zum einen inhaltlich (Billard, Kinderspiele) in den Dialogen, zum anderen aber auch als dem Zu- schauer implementierte Wahrnehmungsdisposition. Das Verhältnis zu den Bildern wird zunehmend – auch im weiteren Verlauf – spielerischer. Seinen Höhepunkt findet dies am Ende des Films, wenn der Baron Münchhausen als Tableau vivant dem Zuschauer vom Gemälde her zuzwinkert und sich auf diese Weise mit dem Zuschauer über den Konstruktcharakter der intra- diegetischen Erzählwelt komplizenhaft-entlarvend verständigt. Diese Ein- stellung wird auch als Eröffnung für die Restaurierungsdokumentation verwendet (Abb. 6.18). Abb. 6.18 Franziska Heller - 978-3-8467-6460-2 Heruntergeladen von Fink.de01/03/2022 12:27:50PM via free access 304 kapitel 6 So etabliert der Film Münchhausen bereits in den ersten Sequenzen einen sinnhaften wie sinnlichen Überschuss als sein Funktionsprinzip, was eine besondere Vielfalt an Wahrnehmungs- und Rezeptionsangeboten zur Folge hat. Dies, hier nur sehr verkürzt dargestellt, scheint eine Ursache für die zum Teil widersprüchliche Rezeption zu sein, die der Film auch mit Blick auf seine Produktionsphase in den 1940er Kriegsjahren und seinen Status als NS-Auftragsfilm hervorgerufen hat: von eskapistischen Einschätzungen bis hin zu systemkritischen Interpretationen. Der Film erweist sich als offen für verschiedene Interpretationsansätze – auch und vor allem wegen seiner ästhetischen und medienreflexiven Komplexität. Nun stellt sich die Frage, wie sich die 2005 veröffentlichte DVD-Edition dazu verhält und als Zeugnis in die Interpretationsgeschichte im Horizont digitaler Restaurierungspraktiken und Editionsbedingungen einfügt. Die filmhistorische Dokumentation Ein Mythos in Agfa-Color (G. Koshofer/N. Koshofer, 2005) ist als Bonus dem Film als historisch einordnender Kommentar beigefügt. Die nachstehenden Überlegungen fokussieren nun die ästhetisch vermittelte Argumentation und die Frage, wie der Beitrag als filmische historiografische Narration die Wahrnehmung des komplexen Referenzfilmes formiert. Ein Fest für die Augen und orgiastische Phantasien. Historische Schaulust heute Die Einblendung Opfergang 1943 in der Mitte der Dokumentation ist Teil einer Kontextualisierung von Münchhausen, in der Farbfilme rekapituliert werden, die im Dritten Reich entstanden sind. Zu ebenjener Einblendung erfolgt der Kommentar: „In Opfergang […] setzte Harlan ganz gezielt die Farben zum Zwecke der Suggestion ein.“ Dazu wird ein kurzer Ausschnitt präsentiert, der Kristina Söderbaum beim Bogenschießen im Garten zeigt (Abb. 6.19). Ihr knallrotes Kleid sticht in der vegetativen, sattgrünen Umgebung sinnlich hervor. Umschnitt auf eine andere Szene des Films: Eigentlich war der Karneval während des Krieges verboten, doch im Kino spielte die Realität keine Rolle. Farbenpracht und unverhüllte Todeserotik waren die Merkmale des Films. Zeitgenössische Kritiker bezeichneten Opfer- gang als Fest für die Augen. Bruno Mondi wurde zu dem führenden deutschen Farbkameramann. Die dazu ablaufende Filmszene aus Opfergang zeigt ein Karnevalsfest, bei dem die tanzende Menge um einen übergroßen Clownskopf in der Mitte herum- tollt, die Zunge des Kopfes ist eine Rutsche, auf der sich jauchzende Menschen hinabgleiten lassen. Kreisbewegungen dominieren und verstärken den Ein- druck von orgiastischer Dauerbewegung. Auch in näheren Einstellungen sind Franziska Heller - 978-3-8467-6460-2 Heruntergeladen von Fink.de01/03/2022 12:27:50PM via free access Funktionalisierung des Imaginären 305 Abb. 6.19 ekstatische Bewegungen omnipräsent im Bild, gepaart mit den surrealen Ein- drücken von Masken und verfremdenden Kostümen. Die Voice-Over liegt über der Musik und dem Partylärm. Neben einer Kette von tanzendem, eine Treppe herabstürmendem Partyvolk steigen ein Mann und eine Frau – umfangen von Luftschlangen – ebenfalls die Stufen hinab (Abb. 6.20–6.21). In dieser Sequenz der Dokumentation geraten die sinnliche Dimension der Spielfilmbilder, die ihnen unterstellte Evidenz und die Voice-Over in ein Spannungsverhältnis. Zunächst fällt es schwer, die genannte „unver- hüllte Todeserotik“ in den konkret gegebenen Bildern zu sehen;43 zumal der Kommentar zugleich affirmativ das tatsächlich stattfindende „Fest für die Augen“ beschreibt, ohne den Kontext der eskapistischen oder ideologischen Hintergründe genauer zu benennen.44 Man gewinnt den Eindruck, dass zwischen kritischer Reflexion des schwierigen Verhältnisses von Film als sinn- licher Unterhaltung und zeitgeschichtlicher Einordnung die Dokumentation faszinativ der Wirkung der exzessiven Bilder selbst erliegt. Denn sie benötigt 43  Es ist unbestreitbar, dass dieser Tenor in dem Film vorhanden ist und insbesondere in Kristina Söderbaums Sterbeszene am Ende exzessiv auch formalästhetisch zum Aus- druck kommt. Doch im konkreten Argumentations- und Montagezusammenhang der Dokumentation ist dies – vor allem nicht ohne Kenntnis des ganzen, vollständigen Films – nicht nachvollziehbar. 44  Später in der Dokumentation wird auf den „Totalen Krieg“ und das Durchhaltedogma in den letzten Kriegsjahren hingewiesen. Allerdings sind diese Punkte argumentativ in dem Beitrag (zeitlich) weit entfernt von der Darstellung von Harlans Motiven, den ästhetischen Vorzügen und vor allem ihren Effekten in bestimmten ideologischen Kontexten. Franziska Heller - 978-3-8467-6460-2 Heruntergeladen von Fink.de01/03/2022 12:27:50PM via free access 306 kapitel 6 Abb. 6.20 Abb. 6.21 diese, um die Qualität des Farbenspiels für einen heutigen Zuschauer zu illustrieren, koppelt dies aber von dem zeitgenössischen Kontext dieses spezi- fischen ästhetischen Erlebnisses ab. Ein Mythos in Agfa-Color (2005). Nationalsozialistische Überlegenheit Der Titel der Dokumentation lässt sich in den beschriebenen Kontext ein- ordnen: Ein Mythos in Agfa-Color. Der Mythos ist der Film Münch- hausen. Der Film wird über seine technischen und insbesondere farblichen Franziska Heller - 978-3-8467-6460-2 Heruntergeladen von Fink.de01/03/2022 12:27:50PM via free access Funktionalisierung des Imaginären 307 Vorzüge und Besonderheiten identifiziert und somit der Mythos inszeniert. Dies will die Dokumentation filmisch – über die ästhetisch verdichteten Szenen aus dem Film – belegen. In dem diskutierten Ausschnitt zu Opfer- gang wird der nicht unumstrittene Regisseur Veit Harlan durch die Voice- Over als geschickter Künstler beschrieben, der die Farben zur Kraft der Suggestion einsetze. Welche Form der Suggestion, in welchem Kontext – dies wird nicht erwähnt. Stattdessen werden die Spielfilmszenen als vermeintlich selbstevidente Dokumente verwendet. Die Formen der Zuschreibungen, die sich der ästhetischen Kraft der filmischen Bilder implizit bedienen, setzen sich fort: Der Kommentar schafft eine zeitliche und logische Linearität, die die Ambivalenzen in den Bildern auf eine Perspektive – die technische Entwicklung – beschränkt: Die Farbfilm- beispiele und -tests bei der Rekapitulation der Entwicklung des AGFA-Color- Verfahrens zeigen Hakenkreuze. Diese Motivik wird von der Voice-Over der Dokumentation lediglich als „Zeitgeschmack“ abgetan (Abb. 6.22). Abb. 6.22 Die Kontextualisierung, dass mit der Entwicklung des deutschen Farbfilms implizit die Ideologie einer deutschen (technologischen) Überlegenheit demonstriert werden sollte, die einen spezifischen Fortschrittsgedanken transportiert, wird allenfalls am Rande kurz erwähnt.45 Stattdessen wird, in- dem die Technikentwicklung gefeiert wird, in nicht unbeträchtlichem Maße diese Ideologie reproduziert, und das – und dieser Aspekt ist das eigentlich 45  Vgl. zu dem Zusammenhang von filmtechnischer Entwicklung und nationalsozialistischer Ideologie und Propaganda die Arbeiten von Alt (2009 und 2013). Franziska Heller - 978-3-8467-6460-2 Heruntergeladen von Fink.de01/03/2022 12:27:50PM via free access 308 kapitel 6 Überraschende aus heutiger Sicht – verbindet sich mit der Rechtfertigung und Hervorhebung der Leistung in der heutigen digitalen Restaurierung. Diese er- scheint wie eine logische Fortschreibung des technischen Fortschritts, der mit dem Film Münchhausen erreicht wurde. Zugleich ist der technische Gehalt des Films auch die Argumentationsgrundlage für die Auffassung, der Film sei „schön“ und ein (monumentales) Meisterwerk – wie am Ende beschrieben wird. Andere ästhetische Werte werden ausgeblendet. Technischer Fortschritt und logistischer wie ökonomischer Produktionsaufwand sind die filmhistorischen Narrationsvehikel.46 Die digitalen Techniken dienen zur Festigung, zum Er- halt, aber auch der Weiterverwertung des Mythos des Münchhausen-Films: Zum einen wird in Anspruch genommen, dass die ‚originalen‘ Qualitäten des Films bewahrt bleiben, gleichzeitig soll die Qualität für heutige Zuschauer akzeptabel sein, angepasst an den heutigen Geschmack – wiederum bei gleichzeitigem Bewahren der historischen Atmosphäre. Nun ist zu fragen, wie sich eine solche historische Dimension bestimmt. Denn diese Aura des Historischen dient nicht zuletzt als Vermarktungsargument und gedankliches Framework. Sie formiert die digitale Bearbeitung und damit die Erscheinungs- weise des Films heute. Diese Problematik wird verschleiert zugunsten des Versprechens von und des Drängens auf Sichtbarkeit des historischen Materials und der Zugänglich- keit als Primat digitaler Distributionsmechanismen. Vor diesem Hintergrund ist generell zu sehen, dass Singularitäten (in Form von Meisterwerken) und Eindeutigkeiten (etwa finale, definitive Editionen) in der Filmgeschichte geschaffen werden müssen, damit das Produkt als einzig- artig vermarktbar wird. Dafür bedarf es der Konstruktion eindeutiger kausaler Zusammenhänge und einer klaren verortbaren und damit instrumentalisier- baren historischen Position des Referenzwerkes. Die Vorläufigkeit einer solchen Argumentation sowie die besondere zeitliche Dynamik in diesem Feld – gemäß meines titelgebenden Prinzip des Updates – wird aus heutiger Sicht augenfällig, wenn man bedenkt, dass 2017 ein weiteres Restaurierungsprojekt von Münchhausen mit der zu diesem Zeitpunkt aktuellen Technik zum 100sten Geburtstag des Films durchgeführt worden ist.47 Die DVD aus dem Jahre 2005 von Münchhausen ist kein Einzelfall, und mit Blick auf die Dokumentation und ihre argumentative Stringenz scheint es 46  Hediger (2005a) hat dies schon in Bezug auf den Making-of-Film eindrücklich vorgestellt. Ein weiterer, sehr informativer überblicksartiger Beitrag zu filmhistoriografischen Narrativen unter dem Stichwort „Filmgeschichte als eine Funktion der Fragen, die man an sie stellt“ ist das einleitende Kapitel von Elsaesser (2002: 7–19). 47  Vgl. hier zu weiteren Informationen https://filmcolors.org/2017/05/18/color-consulting- for-the-restoration-of-munchhausen/ (08.06.2017). Franziska Heller - 978-3-8467-6460-2 Heruntergeladen von Fink.de01/03/2022 12:27:50PM via free access Funktionalisierung des Imaginären 309 in mancher Hinsicht legitim, sich nur auf bestimmte Aspekte der Produktions- und Materialgeschichte – etwa die Entwicklung der Farbverfahren – zu konzentrieren. Meine kritischen Anmerkungen zielen vielmehr auf eine generelle Symptomatik für den weit verbreiteten Umgang mit Film und seinen unterschiedlichen Dimensionen, der in der historischen Einordnung und Ein- schätzung – gerade im Kontext von digitalen Re-Editionen – zutage tritt.48 Hier werden die politisch-ideologischen Implikationen der untersuchten Formen einer aisthetischen Historiografie deutlich: Historische Kontextualisierungen über filmästhetische Praktiken, die bestimmte Zitate aus Spielfilmen mit ihren Wirkungspotenzialen nicht nur zu Dokumenten, sondern zu Monumenten werden lassen, haben zur Konsequenz, dass diese der Enunziationsinstanz Geschichte zugeordnet werden. Die Schauwerte der Spielfilmzitate, die er- fahrungsbildende Dimensionen wirken nachhaltig auf die Vorstellung von Geschichte – über die Filmgeschichte im engeren Sinne hinaus.49 Letztere ist gerade aufgrund der sinnlichen Vermittlungsformen auf das Engste mit dem Zuschauer leiblich-prothetisch verknüpft. Und gerade weil Geschichte auf diesem Wege medial einverleibt wird, sich aber zugleich der jeweilige Zuschauer in ein solches Geschichtsbild einschreibt, relativiert sich die Unterscheidung von (historischem) Fakt und Fiktion. In der Rückbindung an die filmischen Möglichkeiten der Vermittlung von realitätsübersteigenden, sinnlich-exzessiven raumzeitlichen Erfahrungen wird das Politische des Filmisch-Imaginären kenntlich. Das Beispiel der Kontextualisierung im Rahmen der digitalen Re-Edition des Films von Münchhausen ist deshalb so sinnfällig und eindringlich, weil der Referenzfilm bereits filmästhetisch die Vorläufigkeit von Weltordnungen und Geschichtsversionen thematisiert und Fakt und Fiktion ununterscheidbar werden lässt – zugunsten des Spiels mit der Vorstellungskraft. Diese Eigenschaften bedingen bereits die Überlieferungs- und Rezeptionsgeschichte des Films, die sich mit all ihren Ambivalenzen – so 48  Schaut man ähnliche Bonusmaterialien an, ist es dann nicht überraschend – sarkastisch formuliert –, wie viele Meisterwerke die Filmgeschichte hervorgebracht hat. Dies ist nicht neu im Filmmarketing, aber es ist doch erstaunlich, wie die historische Bedeutsamkeit von Spielfilmen in Paratexten argumentativ begründet wird – und insbesondere im Kontext des Fortschrittsnarrativs digitaler Technologien lohnt sich weiter ein genaueres, durchaus selbstkritisches Hinsehen als Filmwissenschaftler. 49  Wenn dies dann zudem noch in dem diskursiven Kontext steht: „The end result is a resto- ration which combines the best of our past with our digital present“ (Gitt 2009), dann wirkt sich der warenästhetische beziehungsweise technoimaginäre Gestus digitalisierter Filme nicht nur auf die selegierten Werke und deren ästhetische wie editorische Er- scheinungsform aus, sondern hat auch umgekehrt Konsequenzen für die allgemeine Wert- wie Gedächtnisbegriffsbildung. Franziska Heller - 978-3-8467-6460-2 Heruntergeladen von Fink.de01/03/2022 12:27:50PM via free access 310 kapitel 6 meine These – in erfolgte oder kommende digitale Reprisen und deren techno- imaginäre Komponenten geschichtsbildmodellierend immer wieder ein- schreibt beziehungsweise einschreiben wird. 6.13 Zwischenfazit II Gegenstand dieses  Kap. 6 ist die Mehrschichtigkeit der Begriffe des Ima- ginären und der Imagination. Vor dem Hintergrund meines Modells einer aisthetischen Historiografie werden dabei ästhetische Strategien zur Illus- tration und Monumentalisierung des utopisch wirksamen Technoimaginären in den Blick genommen und auf die spezifisch filmischen geschichtsbild- modellierenden Wahrnehmungsmodi hin analysiert. Dies geschieht am bisher wenig untersuchten Gegenstandsbereich von filmhistorischen Doku- mentationen als audiovisuelle Formen der Kontextualisierung insbesondere bei digitalen Trägern und digitalen Restaurierungen. Solche Dokumentationen arbeiten mit Bildregistern und -konfigurationen, die häufig das Imaginäre, Sinnlich-Exzessive und Phantastische ausstellen. Damit machen diese audio- visuellen Paratexte alternative, von der Realität abgelöste raumzeitliche Ordnungen sichtbar und erfahrbar – und bedienen auf diese Weise die Ver- mittlung des Technoimaginären des Digitalen. Die in diesem  Kap. 6 ver- handelten Bildkonfigurationen spielen wirkungsästhetisch konkret mit dem Imaginären des Zuschauers, indem sie auf die Schaulust und das filmischen Spektakel setzen: Im Falle der Restaurierung und Re-Edition von Méliès’ Le voyage dans la lune im Jahr 2011 suggerieren ad ocolus in der anhängigen filmhistorischen Dokumentation etwa Bilder aus den Méliès’schen Féerien über die wirkungsästhetische Dimension, was zu vermitteln ist: die film- technische und die kreative Leistung der Imagination von Méliès, die die späteren zeitgeschichtlichen Ereignisse wie die Mondlandung erst möglich ge- macht hätten. Méliès’ filmische Konkretisierung des Imaginären mit all ihren zeitgeschichtlichen Konsequenzen – so das rhetorische und auch formal- ästhetisch vermittelte Muster – wird in der heutigen digitalen Restaurierung weitergeführt und aktualisiert. So lässt sich an filmhistorischen Dokumentationen, die das Filmisch- Imaginäre anschaulich und sinnfällig machen, eine Form der Geschichtsbild- modellierung feststellen, die technizistische Hoffnungen mit dem emotionalen Hunger nach Erlebnismaximierung eines Erfahrungskonsums eschatologisch zusammenführt: Es ist erlebnishafte Affirmation eines mythischen Geschichts- bildes, in dem Fakt und Fiktion in der medialen Performance und Rezeption legiert sind. Franziska Heller - 978-3-8467-6460-2 Heruntergeladen von Fink.de01/03/2022 12:27:50PM via free access Funktionalisierung des Imaginären 311 Im Falle der Kontextualisierung von Münchhausen (1943) durch eine paratextuelle filmhistorische Dokumentation wird das Spannungs- feld zwischen unmittelbar wirkender sinnlicher Unterhaltung der zitierten Spielfilmbilder und kritischer Reflexion der zeitgeschichtlichen Einordnung deutlich. Das Beispiel zeigt besonders die spannungsreiche Mehrschichtig- keit eines Geschichtsbildes, welches mit der unmittelbaren, die Schaulust ansprechenden Bewegtbildwirkung arbeitet – zumal in einem erfahrungs- konsumorientierten Zusammenhang, in dem der Zuschauer emotional- imaginär an den digitalisierten Film gebunden werden soll. Zum Abschluss dieses  Kap. 6 zur Funktionalisierung des Imaginären in Formen aisthetischer Historiografie soll ergänzend die erinnerungskulturelle Dimension eines über 40 Jahre alten, europaweit bekannten Märchenfilms diskutiert werden. An diesem letzten Beispiel wird die Bedeutung der regel- mäßigen medialen Reprise als Ritual besprochen – mit den Konsequenzen für eine nachhaltige emotionale Einbindung in eine imaginäre Autobiografie der Rezipienten. Diese Bindung wird im wahrnehmungstheoretischen Horizont dieser Studie verstanden – im wahrsten, paradoxen Sinne – als prothetische Einverleibung, als autobiografisch-prothetische Erfahrung. 6.14 Memopolitische Rituale. Ein Kultmärchen und seine Dispositive. Der Fall Drei Nüsse für Aschenbrödel (1973) Welchen sogar juristischen Sprengstoff eine mögliche imaginäre Einverleibung von Filmen als Erinnerung in die eigene subjektive Biografie bergen kann, soll das folgende Beispiel illustrieren, das in engem Zusammenhang mit der ritualisierten Aufführungsform des jeweiligen Dispositivs zu sehen ist. Die besondere emotionale Dimension der einverleibenden Erinnerungen an Filme – und damit die weitergehende Frage ‚Wem gehört der Film?‘ – hat sogar Eingang in die Populärkultur und in das Fernsehprogramm gefunden: Wie bereits zu Beginn von  Kap. 1 eingeführt, stellt eine gesamte Epi- sode der zynisch-satirischen Comicserie South Park unter dem deutschen Titel Grösser, Digitaler und Umgeschnitten (S6E9) den emotionalen Aufruhr und die Empörung der Protagonisten in den Mittelpunkt, als diese im Kino sitzend feststellen müssen, dass sowohl Steven Spielberg wie vor allem George Lucas ihre bekannten Filme nicht nur technisch remastered, sondern auch inhaltlich – natürlich im South-Park-Stil überzogen absurd – verändert haben. Die Empörung bei Eric Cartman und seinen Freunden ist so groß, dass sie zunächst einen Klub zum „Schutze der Filme vor ihren Regisseuren“ gründen. Franziska Heller - 978-3-8467-6460-2 Heruntergeladen von Fink.de01/03/2022 12:27:50PM via free access 312 kapitel 6 Als dies scheitert, wollen sie die Originalnegative der Filme stehlen, damit die Werke nicht mehr verändert werden können. Signifikant ist die Argumentation, die sie hier in Anschlag bringen: Die Filme (Star Wars [1977, 1980, 1983] und vor allem Raiders of the Lost Ark [1981] – beide interessanterweise ebenfalls mit phantastischem Inhalt und Hang zum Märchenhaften) gehörten den jugendlichen Protagonisten, da es sich um die Filme ihrer Kindheit, ihrer Erinnerung handle. Deshalb dürften die Werke keineswegs – auch nicht von den Autoren – verändert werden.50 Hier finden nicht nur das Problem des filmischen ‚Originals‘, sondern auch die Frage nach der Autorschaft ihre popkulturelle Wiederaufnahme. Darüber hinaus bindet sich der Begriff der (Kindheits-)Erinnerung – und damit die Vorstellung einer eigenen medialen Biografie – an mediale Dispositive und ihre Aufführungspraktiken.51 Dies zeigt sich besonders, wenn man den Blick nach Deutschland auf eine konfliktbeladene und ebenfalls sehr emotional geführte Debatte aus dem Jahr 2012 richtet. Es ging um die Re-Edition eines Märchenfilms,52 der sich durch ein alljährliches Aufführungsritual im Fern- sehen zu Weihnachten in Deutschland und anderen Ländern Europas in das kulturelle Gedächtnis nachhaltig eingeschrieben hat (Acland spricht im memopolitischen Kontext auch von einem „apparatus of television“).53 Mit Drei Haselnüsse für Aschenbrödel (1973) von Václav Vorlíček 50  Hier nimmt die South-Park-Episode Bezug auf die tatsächliche Praxis des Digital- pioniers George Lucas, seine eigenen Filme für verschiedene Wiederveröffentlichungen – im Kino wie für den Heimvideomarkt – zu aktualisieren, zum Teil dramaturgisch umzubauen und ihnen atmosphärisch wirkende Bildteile hinzuzufügen (vgl.  Kap. 1). Aufgrund der Popularität des Star-Wars-Universums ist George Lucas mittlerweile zur populärkulturellen Chiffre der Praxis geworden, bei der ein ‚Autor‘ sein Werk ständig unter der Maßgabe neuer Technologien und Medien verändert und anpasst. Dies steht aber auf Rezipientenseite in Konflikt mit den Erinnerungen an die Filmerlebnisse verschiedener Generationen von zunächst Kinogängern, dann Konsumenten des Heimvideomarktes. 51  Ähnliche populärkulturell geführte Debatten angesichts von (phantastischen) TV-Serien und ihren digitalen Restaurierungen, Überarbeitungen und Re-Editionen finden sich etwa bei Buffy the Vampire Slayer (1997–2003), die in einer HD-Edition massive ästhetische Mängel aufwies: „Whats wrong with Buffy’s HD“: https://www.youtube.com/ watch?v=F28XcxHxH6k ; oder bei der Kultserie Star Trek. The Next Generation, in deren Fall insbesondere die Überführung der visuellen Effekte im Mittelpunkt stand (1987–1994): FXguide TV, Episode 161: https://www.youtube.com/watch?v=dPHP5izB8MU (beide Abrufe zuletzt 14.07.2017). 52  Zur Diskussion der Genrebestimmung des Märchenfilms vgl. Liptay (2004: 47 ff.). Zum Verhältnis des Märchenfilms zu den Begriffen Imago und Imagination vgl. Liptay (2004: 31 ff.). 53  Vgl. hierzu weiterführend Acland (1990) und Klawans (1990), die sich mit den memo- politischen Konsequenzen von Praktiken der Anpassung von Filmen im Zeichen des „apparatus of television“ in den 1980er Jahren auseinandersetzen (vgl. hierzu auch die Colorization-Debatte  Kap. 2). Franziska Heller - 978-3-8467-6460-2 Heruntergeladen von Fink.de01/03/2022 12:27:50PM via free access Funktionalisierung des Imaginären 313 handelt es sich um einen Film, der sich dezidiert im Märchenhaften verortet. Er markiert den Höhepunkt des tschechischen Märchenfilmschaffens und wurde im Jahr 2000 – rund dreißig Jahre nach seiner Produktion – beim Inter- nationalen Kinder- und Jugendfilmfestival von Zlín zum „Märchenfilm des Jahrhunderts“ gekrönt (Liptay 2004: 205). Die rituelle Ausstrahlungspraxis, der spezielle Zeitpunkt (Abb. 6.23)54, der Filminhalt und die dadurch etablierte nostalgische Erinnerung und affektive Bindung der Zuschauerschaft an den Film scheinen die Emotionalität des Konflikts, der im Jahr 2011 ausbrach, befeuert zu haben: 2010 wurde der seit Jahrzehnten alljährlich im Fernsehen ausgestrahlte Film erneut auf DVD in Deutschland publiziert. In der Folge berichtete die Filmzeitschrift epd Film im Januar 2012 über einen Disput, den die Reaktion eines ungehaltenen Kunden ausgelöst hatte. epd Film betitelte ihren Artikel „Klappe halten, Kunde! Die Firma Icestorm ver- stümmelt Filme und droht unzufriedenen Kunden“: Der Vertrieb hat den Film [Drei Haselnüsse für Aschenbrödel, FH] vom Format 4:3 auf 16:9 umgewandelt, dem heute gängigen TV-Format, um zu verhindern, dass links und rechts schwarze Streifen entstehen. Dadurch ver- schwinden Bildinformationen, es ist nicht mehr der Film, den Vorlícek gedreht hat. Ein epd-Film-Leser, der die DVD kaufte, hat sich daraufhin bei Icestorm be- schwert […]. Der Leser monierte die Verstümmelung durch die Formatänderung, die ein Betrug am Kunden und anderseits ein Verbrechen am Film bedeute. Allerdings bekam er keine Antwort von Icestorm, sondern von deren Anwalt […]. Die Kanzlei fand strafrechtliche Tatbestände wie Beleidigung erfüllt, ver- zichtete aber, großzügigerweise, auf Strafverfolgung (Worschech 2012: 5). Es ist bemerkenswert, dass der Streit um die Authentizität eines filmischen Kunstwerks auf DVD Gegenstand einer juristischen Auseinandersetzung zu werden drohte; dies umso mehr angesichts der Tatsache, dass solche Format- änderungen seit jeher im Fernsehen stattfinden ( Kap. 2). Auffällig ist allerdings nicht nur die überzogene Reaktion des DVD-Herstellers, sondern auch dass der unzufriedene Kunde von einem „Verbrechen“ spricht. Er wollte das sehen, was der Regisseur zeigen wollte – also alle Bildinformationen. Worschech (2012: 5) verweist in seinem Artikel nachdrücklich auf die durch das Weihnachtsfernsehprogramm geprägte Erinnerung an den Film von Vorlíček: „Und wenn Ihnen dann beim Betrachten [des Films auf DVD, FH] 54  Vgl. zur rituellen Ausstrahlungspraxis des Films den Post auf Facebook des MDR (Mittel- deutscher Rundfunk) vom 26.10. 2016: Er kommentiert hier Ende Oktober 2016 eine zahlenmäßig beeindruckende Auflistung der Sendetermine des Films mit den folgenden Worten: „Jetzt können Sie planen, die ersten Termine für das Märchen der Märchen sind da!“. Franziska Heller - 978-3-8467-6460-2 Heruntergeladen von Fink.de01/03/2022 12:27:50PM via free access 314 kapitel 6 Abb. 6.23 etwas anders als früher vorgekommen ist …“ dann sei das richtig, denn „es ist nicht mehr der Film, den Vorlícek gedreht hat“ (2012: 5). Aber die Frage, was denn eigentlich das ‚Original‘ beziehungsweise das ‚authentische‘ Format des Films ist, gestaltet sich umso pikanter, wenn man Er- kenntnisse berücksichtigt, die sich bei der historischen Recherche des National Film Archive (NFA) in Prag im Rahmen eines jüngeren Digitalisierungsprojekts des Films ergeben haben.55 Bei der Studie der historischen Produktionsnotizen und -dokumente fand man die Information, dass der Film ursprünglich doch in dem breiteren Format 1,66:1 geplant war und mutmaßlich auch in diesem 55  Die rituelle Wirkung und Nachhaltigkeit dieses Films ist ein transeuropäisches Phänomen. Interessant ist an dieser Stelle das gemeinsame Digitalisierungsprojekt dieses Films von Norwegen und der tschechischen Republik. Vgl. hierzu die Erklärungen der norwegischen Regierung: Government.no (2014). Franziska Heller - 978-3-8467-6460-2 Heruntergeladen von Fink.de01/03/2022 12:27:50PM via free access Funktionalisierung des Imaginären 315 Format in die Kinos gekommen ist. Es steht zu vermuten, dass die Version im 4:3-Format erst in der späteren Auswertung für das Fernsehen entstand; diese Version wurde dann wiederum über die ritualisierte Ausstrahlungspraxis zur ‚Referenz‘ der Erinnerung. Frei nach H. Böhme (2012: 370): Die Ausstrahlungs- praxis und der -zeitpunkt ‚kreierten‘ die Aura durch Weihungen und Riten.56 Der Streit um die DVD-Edition ist zudem deshalb so eindrücklich, weil die Einschätzung auf der Hand liegt, dass die emphatische Identifikation des Zuschauers mit dem Film über dessen Erinnerung, dessen Integration und Aneignung in der eigenen Biografie zusätzlich emotional aufgeladen wurde. Dies mag zum einen in der alljährlichen Wiederholung des Filmmärchens be- gründet liegen: So gehört es zur feierlichen Ausstattung des Weihnachtsfestes. Durch die zeitliche Wiederholung findet eine Festigung des kultischen Status statt, befördert durch das gemeinschaftsbildende Erlebnis, dass dieser Film die Weihnachtsmedienerfahrung ganzer Generationen geprägt hat – etwa mit den romantisierten Bildern von verschneiten Landschaften, der phantastischen Lösung der Konflikte und vor allem der eingängigen, sich auch im Film immer wiederholenden Erkennungsmelodie. Mit Blick auf das Zusammenwirken von filmischer Erfahrung, dem märchen- haften Filminhalt und rituellen Wiederholungen zu einer emotional und spirituell aufgeladenen Zeit kann man hier von einer affektiven Erinnerungs- bildung sprechen, die die Bindung an den Film – in der entsprechenden Version der Ausstrahlung – noch verstärkt und sich im kultischen Status des Films objektiviert sieht. Dies gerät nun mit der Wiederaufnahme in Form der Re-Edition auf DVD in Konflikt: einerseits der Kunde, der den Film seiner Erinnerung als vermeintlich integrales Werk (wieder)sehen möchte; auf der anderen Seite der Anbieter, der es möglicherweise als Dienstleistung ver- standen hat, das Format zu ändern, um den Konsumenten nicht aus seinen Sehgewohnheiten der 16:9-TV-Ära zu reißen. Wahrscheinlich wurde dies sogar als warenästhetisch wirksames – der Film wurde für die aktuelle Medien- umgebung angepasst – Mehrwertversprechen gewertet.57 56  Vgl. grundsätzlicher Fahlenbrach/Brück/Bartsch (2008) zu Medienritualen beziehungs- weise zu den Dimensionen der rituellen Performanz in Film, Fernsehen und neuen Medien. Im Kontext von filmisch vermittelten Ritualen – insbesondere im Spiel- be- ziehungsweise Kriegsfilm – erscheint es mit Blick auf eine mögliche Erweiterung der vorliegenden Überlegungen vielversprechend, an Studien von Kappelhoff (2016) anzu- schließen. Kappelhoff (2016: 288 f.) analysiert mit dem Begriff der „Erinnerungsdichtung“ rituell wirksame poetische Praktiken im Modus des Filmischen und reflektiert in diesem Horizont das Verhältnis von individueller Erinnerung, Geschichte und Gemeinschaft. 57  Vgl. ähnliche Überlegungen im Zusammenhang mit der Colorization-Debatte in  Kap. 3. Franziska Heller - 978-3-8467-6460-2 Heruntergeladen von Fink.de01/03/2022 12:27:50PM via free access 316 kapitel 6 Von einer theoretischen Metaebene aus gesehen, könnte man hier in Anlehnung an A. Assmann (2010) wieder von einem Funktionsgedächtnis sprechen. Die historischen Filme werden in einen zweckorientierten, prag- matischen Zusammenhang gebracht. Ihre Form und in diesem Fall auch ihr Inhalt werden den augenblicklichen Medienbedingungen unterworfen – auf der mittlerweile erschienenen Blu-Ray-Disc sind beide Bildformate vorhanden. Allerdings zeigt der Vorfall, dass gerade die Imagination und die Phantasie befeuernde Filme – im Zusammenspiel mit bestimmten Aufführungs- praktiken – mit einem emotionalen Speichergedächtnis verwechselt werden – gerade weil sich die filmische Erfahrung prothetisch mit der eigenen medial entworfenen Biografie imaginär verwebt. Eine solche Einbindung filmischer Erfahrungen in die am eigenen Leib erlebte Zeitlichkeit ermöglicht nach Klinger (2006a: 180) eine „regressive self-awareness“: Es sei ein Vergleichs- modus zeitlicher Differenzerfahrung der eigenen Person zwischen damals und heute – nachvollzogen an der imaginär entworfenen Erzählung des Selbst („inherent comparative dimension“, Klinger 2006a: 180).58 Dies verstärkt sich über die Ritualisierung durch Alltagsmedien, wodurch unser Erleben von Zeit – die Erfahrung von Gegenwart und Vergangenheit – geprägt wird.59 Umso mehr sollte man ein Bewusstsein dafür entwickeln, welche wieder aufgenommenen Filme wie ihren Unterhaltungswert, ihre Potenziale der Stimulation von Affekten und prothetischer Erinnerung, unter welchen Bedingungen entfalten. Meine bereits formulierte These ist, dass Filme mit inhaltlicher wie formalästhetischer Nähe zum Phantastischen und Märchenhaften sich hier aus zahlreichen Gründen besonders anbieten – nicht zuletzt, weil sie aufgrund der Zielgruppe (früh)kindliche Erinnerungen von Mediennutzern bereits prägen und die (autobiografisch wirksame) Vor- stellungskraft befeuern. An die grundsätzlichen Fragen nach den erinnerungskulturell und ge- schichtsbildmodellierend wirksamen Konfigurationen von relationalen Be- ziehungen schließt der analytische Ansatz des nachfolgenden  Kap. 7 an: Es werden konkrete Bedingungen medialer Konstellationen der digitalen Reprise als Mise en Relation in den Blick genommen und in wirkungsästheti- scher Perspektive analysiert; dies ausgehend von dem medienhistorischen 58  Vgl. auch zu ästhetischen Verfahren und zum Wahrnehmungsmodus des Vergleichs  Kap. 7. 59  Vgl. zu den Implikationen von ‚Alltagsmedien‘ respektive Möglichkeiten der ‚Aneignung im Privaten‘ von Filmen über Träger wie etwa DVD oder Blu-Ray-Disc zu Hause u. a. Distelmeyer (2012) und Klinger (2006a), hier unter dem Stichwort „personal mass culture“. Franziska Heller - 978-3-8467-6460-2 Heruntergeladen von Fink.de01/03/2022 12:27:50PM via free access Funktionalisierung des Imaginären 317 Phä nomen der Versionenhaftigkeit von Filmen, welche sich unter anderem auf die schon immer gegebene Reproduzierbarkeit – ob nun ‚technisch‘ oder digital – gründet. Diese Eigenschaft des Films verbindet sich nun mit Grund- prinzipien der digitalen Domäne – insbesondere mit verräumlichten Netzwerk- strukturen. Vor diesem Hintergrund gilt bei heutigen Konfigurationen digitaler Reprisen von Filmen – im Zeichen des Konzepts der Mise en Relation – meine besondere Aufmerksamkeit Wahrnehmungs- und Erwartungshaltungen des Vergleichens (zwischen konkret Präsentischem und alternativ Imaginiertem). Diese stellen spezifische Haltungen und Dispositionen dar, die ich als letzte Aspekte medienhistoriografisch wirksamer Erfahrungsbildung – als Formen einer aisthetischen Historiografie – untersuchen werde. Franziska Heller - 978-3-8467-6460-2 Heruntergeladen von Fink.de01/03/2022 12:27:50PM via free access Franziska Heller - 978-3-8467-6460-2 Heruntergeladen von Fink.de01/03/2022 12:27:50PM via free access kapitel 7 Mediale Zirkulation und Mise en Relation. Relationales Geschichtserleben: Do-it-yourself-History!? (Cluster IV) Die Darstellungen der  Kap. 4–6 haben deutlich gemacht, dass aus der von mir entwickelten pragmatischen Perspektive auf digitale Reprisen von Filmen und deren Formen von aisthetischer Historiografie – auch unter der Berück- sichtigung der technischen Voraussetzungen von digitalen Bildern ( Kap. 2) – Kontextualität und Relativität als grundlegende Prinzipien der Bedeutungs- produktion anzusehen sind.1 Dieses  Kap. 7 widmet sich jenem wahrnehmungskonfigurierenden und damit auch geschichtsbildmodellierenden Prinzip, welches ich als Mise en Relation bezeichne: Mise en Relation wird als Wahrnehmungsakt, -erfahrung und -haltung angesichts von zeitlichen Differenzen verstanden. Diese Unter- suchungsperspektive bindet sich in diesem  Kap. 7 an ein spezifisches Phänomen, das dem Film als Medium und Kunstform schon seit seinen An- fängen aus produktions- und distributionstechnischen Gründen innewohnt und heute unter den Vorzeichen der digitalen Domäne eine Aktualisierung mit wahrnehmungstheoretischen Konsequenzen durchläuft: Es geht um die Versionenhaftigkeit filmischer Werke, welche sich vor allem auf deren Re- produzierbarkeit gründet; das Phänomen der Versionenhaftigkeit war schon in der analogen Domäne in Form einer technischen beziehungsweise foto- chemisch basierten Reproduzierbarkeit gegeben, in der digitalen Domäne wird es nun umso mehr augenscheinlich. Zur Erinnerung: Der besondere Ansatz dieser Studie liegt darin, nicht vordringlich den Fokus auf das ontologisch Neue von digitalisierten Filmen zu richten und dieses bestimmen zu wollen; vielmehr stehen die Konzep- tualisierungen filmischer Wahrnehmungsformen in der Reprise als geschichts- bildmodellierende Prozesse im Zentrum des Interesses. Gegenstand sind insofern konkrete Praktiken und Phänomene der digitalen Reprise, an die nicht allein die Frage gestellt wird, was an ihnen neu ist, sondern darüber hinaus, wie sie uns unter bestimmten Bedingungen vermitteln, dass sie neu seien. 1  Diese Grundsätzlichkeit spiegelt sich in dem etwas größeren Umfang dieses die Fallstudien abschließenden  Kap. 7. © Franziska Heller, 2020 | doi:10.30965/9783846764602_008 This is an open access chapter distributed under the terms of the CC BY-NC-ND 3.0 licFerannszeis. ka Heller - 978-3-8467-6460-2 Heruntergeladen von Fink.de01/03/2022 12:27:50PM via free access 320 kapitel 7 Mein Ansatz ist nachhaltig geprägt durch ein Geschichtsbild im Zeichen interagierender zeitlicher Schichtungen (methodologisch von mir auch Cluster genannt, vgl.  Kap. 3), welches einem medienarchäologischen Prinzip ver- pflichtet ist. Damit wird das Narrativ eines technologischen, teleologisch ausgerichteten Fortschritts, in dem die Ansicht vertreten wird, die digitale Revolution habe einen Bruch in den Erscheinungs- und Wirkungsformen von Bewegtbildern herbeigeführt, in einer kritischen, zumal pragmatischen Perspektive gesehen. Heutige Phänomene der Aktualisierung und der Reprise von Filmen in der digitalen Domäne sind in ihrer dynamischen und extrem zeitgebundenen Dimension zu fassen: Sie unterliegen den meist von Marktinteressen ge- prägten und daher bewusst sehr kurzen Entwicklungszyklen digitaler Techno- logien, welche ständige Migrationen und Updates er- und einfordern. Auch dies fließt in meine Analyse der erinnerungskulturellen und geschichtsbild- modellierenden Wirkungs- und Wahrnehmungsweisen ein und führt zu der Profilierung der Reprisen als Passagen ( Kap. 3 und  Kap. 5). Das zentrale Interesse dieses  Kap. 7 gilt vor diesem Hintergrund der Erfahrung der raumzeitlichen Relativität von Filmen, welche – so die paradoxe These dieses Kapitels – insbesondere in der digitalen Domäne zum kulturindustriellen Argument der Konsekration gerät – zum Vehikel der Weihung als Kunst- werk.2 Relativität analysiere ich gemäß meinem wahrnehmungstheoretischen Ansatz als Erfahrung beziehungsweise – im Anschluss an  Kap. 6 – auch als Form eines Erfahrungskonsums. Vor allem Letzterer zeitigt den Effekt von emotionalen Ein- und Anbindungen, wodurch Erwartungen an den Erinnerungs- wie den Gegenwartswert eines Filmes nachhaltig beeinflusst werden können. Die in diesem  Kap. 7 behandelten Ausprägungen von Mise en Relation stellen somit den letzten zu untersuchenden Aspekt von aisthetischer Historiografie und medienhistorisch wirksamer Erfahrungs- bildung dar. Insofern gilt zur generellen Einordnung dieses  Kap. 7: Die  Kap. 4–6 weisen grundsätzlich eine doppelsträngige Argumentationsstruktur auf, in- dem sie jeweils a. ausgewählte ästhetische Strategien anhand von Phänome- nen digitaler Reprisen herauspräparieren und b. die entsprechenden, auch von kulturindustriellen Kontexten imprägnierten Erfahrungs- und Erwartungs- horizonte in Hinblick auf ihre Geschichtsbildmodellierungen dimensionieren. Dies führt überblicksartig zu der – auch methodologisch aufgeschlüsselten – Matrix: 2  Vgl. auch unten die Ausführungen zum Begriff der Konsekration bei Bourdieu (2011c). Franziska Heller - 978-3-8467-6460-2 Heruntergeladen von Fink.de01/03/2022 12:27:50PM via free access Mediale Zirkulation und Mise en Relation 321  Kap. 4: Es werden wechselseitige Bilder im Format Werbeclip in den Blick genommen, die zunächst aus einer zeit- und filmbildtheoretischen Perspektive heraus Ausprägungen und (memo)phänomenale Effekte der Fetischisierung digitaler Reprisen beschreibbar machen.  Kap. 5: Die pragmatische Analyse performativer Aufführungskontexte und Bedeutungsproduktionen von Reprisen frühen Kinos wird verbunden mit einem phänomenologischen, auf die leibliche Gegenwärtigkeit hin aus- gelegten Wahrnehmungsmodell – dies seinerseits gekoppelt an die Vorstellung interagierender, differenzieller Zeitschichten: Bridging the gap, marking the difference (Kessler 2011). Die Überlegungen führen zu einer Modellierung des Zuschauers als körperliche (Nach-)Vollzugsinstanz von medial vermittelten Eindrücken von Geschichtlichkeit.  Kap. 6: Hier wird die Legierung der Register von präexistenten, re- kontextualisierten Spielfilmbildern und Non-Fiction-Bildern aus semio- pragmatischer Perspektive als funktionale Inkorporierung des Imaginären in Geschichtsbildern herauspräpariert und über eine Vorstellung des Pro- thetischen wiederum an die präsentisch-leibliche Dimension des die Bilder erlebenden Rezipienten geknüpft. Das vorliegende  Kap. 7 untersucht nun vor diesem Hintergrund – wie einleitend ausgeführt – als ästhetische Strategie Formen und Effekte der Mise en Relation verschiedener Filmversionen zueinander. Aufgrund der generellen Bedeutung dieses Prinzips für die bereits genannten Aspekte medienhistorio- grafischer Erfahrungsbildung hat das  Kap. 7 somit synthetisierenden und resümierenden Charakter. In der Analyse konkreter Phänomene greift inso- fern das  Kap. 7 auf die unterschiedlichen Gegenstände der vorherigen Ana- lysekapitel zurück: Sowohl Werbeclips, filmhistorische Dokumentationen und performative Aufführungskontexte als auch Formen der Reprise werden in der Perspektive einer Mise en Relation untersucht. Inhaltlich ergeben sich damit nachhaltige Ergänzungen zu bereits ent- worfenen Konzepten. Das Prinzip des Performativen wird – über das bisherige Modell einer filmphänomenologisch verstandenen Interaktion mit Bewegt- bildern hinausgehend – nun an einigen Beispielen als tatsächliche körper- lich-leibliche Handlungsgeste ausgeführt.3 3  Die in  Kap. 6 bereits in Aspekten diskutierte Problemstellung der Modellierung des Ver- hältnisses von (sinnlich) wahrnehmendem Subjekt und Bewegtbildern, welche Geschichte als überzeitliche und unpersönliche Instanz vermitteln, wird in diesem  Kap. 7 in einer weiteren Variation aufgegriffen: Auf welche Weise kann man unter diesen Bedingungen eine Form von Do-it-yourself-Geschichte mit Bewegtbildern angehen, wie sie als Phänomen an manchen Konfigurationen zu beobachten ist? Franziska Heller - 978-3-8467-6460-2 Heruntergeladen von Fink.de01/03/2022 12:27:50PM via free access 322 kapitel 7 Funktionale Zusammenhänge des Imaginären und Utopischen ( Kap. 6), die sich mit Formen der Fetischisierung verbinden können ( Kap. 4), werden in diesem  Kap. 7 um einen weiteren, bisher meist nur implizit benannten Aspekt erweitert: Der Begriff der Konsekration als Weihung in Hinblick auf die Erfahrung eines Kunstwerks schließt an das Modell des Warenfetischismus an. Allerdings werden an dieser Stelle die medialen Erwartungs- und Erfahrungs- horizonte um Konzepte des Soziologen Pierre Bourdieu (u. a. 2011c) ergänzt und erweitert: namentlich um die Idee des symbolischen Kapitals, des Prestiges und der kulturellen Autorität. Auf diese Weise werden Ausprägungen der Mise en Relation als Elemente der erlebnisorientierten Vermittlung kultureller Wertigkeiten systematisiert. Grundsätzlich lassen sich vor diesem Hintergrund meine Darstellungen in den analytischen  Kap. 4–7 als Auslegungen von medienhistoriografisch wirksamen Aspekten begreifen, die zusammen ein gemeinsames pragmatisches und phänomenologisches Wahrnehmungsmodell entwerfen. In den einzelnen Kapiteln wird durch die Unterschiede in dem jeweiligen ästhetischen Ana- lyseobjekt, welches jedes für sich andere Aspekte fokussiert, die Aufmerksam- keit auf unterschiedliche funktionale Einordnungen und damit verschiedene Diskurskreise gelenkt. Hier wird deutlich, dass das Problemfeld der digitalen Reprisen nur in einer polyperspektivischen Herangehensweise in seinen zahl- reichen Facetten und Implikationen fassbar gemacht werden kann. Ent- sprechend der Denkfigur eines Clusters sehe ich die jeweiligen Möglichkeiten der theoretischen Auseinandersetzung mit Phänomenen digitaler Reprisen als ein Netz von Begriffen, die zunächst ahierarchisch nebeneinanderstehen und situativ, je nach Kontext, für die analytische Profilierung eines Aspekts aufeinander bezogen werden wollen. Obwohl die in Anschlag gebrachten An- sätze sich zum Teil unterschiedlichen Voraussetzungen verdanken, weisen sie eben doch auch wichtige Schnittmengen auf: Dazu zählen die Betonung performativer Wahrnehmungs- und Sinnbildungsprozesse sowie die wieder- kehrende Bedeutung der Wechselwirkungen zwischen Aktuell-Präsentischem und Virtuell-Imaginärem. In diesem  Kap. 7 werden bereits eingeführte grundsätzliche Epistemai der digitalen Domäne (bes.  Kap. 1,  Kap. 2,  Kap. 4,  Kap. 5) wieder aufgenommen und als Erfahrungs- wie Erwartungshorizonte auf ihre medien- historiografische Wirksamkeit hin reflektiert. Vor dem Hintergrund der Be- schäftigung mit dem Phänomen der Relativität geraten vor allem Begriffe wie Versatilität und Universalität einzelner sinn- und erfahrungskonfigurierender Module in den Blick (u. a. Manovich 2001; Flückiger 2008; Distelmeyer 2012). Dies geht zurück auf die Eigenschaft digitaler Codes des Random Access, die Franziska Heller - 978-3-8467-6460-2 Heruntergeladen von Fink.de01/03/2022 12:27:50PM via free access Mediale Zirkulation und Mise en Relation 323 Möglichkeit des Direktzugriffs auf einzelne Codes ( Kap. 2). Dieser gilt als Ursprung der mit der digitalen Domäne verbundenen Auflösung von linearen Denkmustern, die in netzwerkartigen Strukturen aufgehen, welche sich etwa durch Hypertextstrukturen mit zahlreichen Links realisieren lassen: Als Flusser die Krise der Linearität (1992/1988) anhand der Fragestellung untersuchte, wie unser Denken, Fühlen, Wünschen, Handeln und Wahrnehmen durch die Struktur von Codes geformt wird, hob er besonders ebenjenes Prinzip hervor, das aus der Möglichkeit des Random Access digitaler Daten entspringt.4 Manovich (2001: u. a. 244–285) hat diesen Ansatz mit den Konzepten von Datenbankstrukturen weiter ausgebaut und die dadurch entstehenden Navi- gationsräume beschrieben. Distelmeyer (2012) greift seinerseits diesen Dis- kursstrang auf und bezieht das Prinzip der navigierend zu erschließenden Verräumlichung – auch im Vermittlungsmodus einer interaktiven Karto- grafie – auf die konkreten digitalen Erscheinungsbedingungen von Film in entsprechenden Dispositiven wie Blu-Ray-Disc oder DVD (Distelmeyer 2012: 170 ff.). Diese räumlichen Strukturen als bedeutungsgenerierende sowie als sinn- lich erlebte phänomenale Erfahrungshorizonte mit medienhistoriografischer Wirksamkeit zu begreifen, macht den mehrfach hervorgehobenen Ansatz meiner Studie aus. Das vorliegende  Kap. 7 richtet dementsprechend seinen Fokus auf Erfahrungen und Haltungen des Vergleichens, in denen Aktuell- Präsentisches immer in Relation zu etwas Abwesendem – sei es Vergangenes oder eine synchrone, mögliche Variation des Anwesenden – erlebt wird. 4  Zur Digitalisierung als einem mathematischen Abstraktionsprozess von Denken und Wahrnehmung vgl. Flusser (1992: 22 f.) respektive Wolf (2000: 23). Letzterer benennt eine „Vermessung der Welt“, aufgrund derer Paradigmen der Effizienz – etwa nach empirisch-mathematisch bestimmbaren Best Practices – maßgeblich an Bedeutung für unsere Weltwahrnehmung gewinnen. Hier spricht Wolf auch von einer Denk- und Wahr- nehmungshaltung des Vergleichs (auf der Grundlage abstrakter Daten, unterschiedlicher mathematischer Werte; vgl.  Kap. 2). Dies ist nicht zu verwechseln mit meiner Unter- suchung des vergleichenden Sehens oder vergleichenden Hörens, bei der es vordringlich um den Einfluss bestimmter dispositivischer, medialer Anordnungen auf die Wahrnehmung von (Film-)Bildern und auf die erkenntnis- und geschichtsbildmodellierende Wirkung geht (vgl. weiter unten  Kap. 7.11 und 7.12). Franziska Heller - 978-3-8467-6460-2 Heruntergeladen von Fink.de01/03/2022 12:27:50PM via free access 324 kapitel 7 7.1 Digitale Zirkulation. Kunstwert als ästhetischer und dispositivischer Effekt Benjamin (1977a/1936) beschreibt im Vorwort zu seinem berühmten Kunstwerk- Aufsatz die dort formulierten Überlegungen als Thesen über die Entwicklungstendenzen der Kunst unter den gegenwärtigen Produktionsbedingungen. Deren Dialektik macht sich im Überbau nicht weniger bemerkbar als in der Ökonomie. Darum wäre es falsch, den Kampfwert solcher Thesen zu unterschätzen. Sie setzen eine Anzahl überkommener Begriffe – wie Schöpfertum und Genialität, Ewigkeitswert und Geheimnis – beiseite (Vorwort von Benjamin 1977a: 9, Hervorh. FH). So erklärt Walter Benjamin bereits einleitend zu seinem folgenreichen Auf- satz die Begriffe Schöpfertum, Genialität, Ewigkeitswert und Geheimnis für die Konzeption von Kunst des 20. Jahrhunderts angesichts der neuen technischen Reproduktions- und Distributionsmöglichkeiten, die der Film bietet, für über- kommen. Das vorliegende  Kap. 7 widmet sich an dieser Stelle zunächst der Frage, inwieweit ebendiese von Benjamin für obsolet erklärten Begriffe als dis- positivische wie ästhetische Praktiken entgegen der Prognose in der digitalen Domäne weiterbestehen und Erwartungshorizonte wie Erfahrungsräume prägen. Es wird deshalb in den nachfolgenden Überlegungen um die Ko- existenz und die Wechselwirkungen verschiedener Konzepte und Praktiken gehen, in denen zum einen Traditionen und Vorstellungen zum Kunst- begriff aus dem 19. wie 20. Jahrhundert weiterbestehen; zum anderen ist dem Fakt Rechnung zu tragen, dass diese immer wieder unter den neuen (Reproduktions-)Bedingungen neu konfiguriert werden müssen. Damit werden in meiner Perspektive kulturelle Wertigkeiten als Effekte von sich nur passagenhaft konstituierenden Relationen entwickelt. Davon, dass Benjamins Überlegungen angesichts der digitalen Reproduzier- barkeit eine breite aktualisierende Rezeption und Rekonzeptualisierung er- fuhren, zeugen zahlreiche Publikationen seit Mitte der 1990er Jahre (vgl.  Kap. 2). Insbesondere Manovich (1994), Mitchell (1992), aber vor allem Wolf (2000) und Rodowick (2007)5 haben grundsätzlich über die kulturellen Folgen 5  Rodowick (2007) etwa appliziert Nelson Goodmans (1997: 122 ff.) grundlegende Über- legungen zum autografischen und allografischen Kunstwerk vor dem Hintergrund der digitalen Reproduzierbarkeit auf Problemstellungen digitaler Bilder ( Kap. 2): „Computer generated images are not autographic for two reasons: as ‚synthetic‘ images they cannot be considered the physical act of the author’s hand, nor do they result in an end product. Indeed one of the great creative powers of digital images is their lack of closure, a quality Philip Franziska Heller - 978-3-8467-6460-2 Heruntergeladen von Fink.de01/03/2022 12:27:50PM via free access Mediale Zirkulation und Mise en Relation 325 des Prinzips digital nachgedacht und sich auch in den Diskurs um digitale Bilder eingeordnet (vgl. auch Flückiger 2008, vgl.  Kap. 2). In seinem Buch Abstracting Reality hat Wolf ein ganzes Kapitel der Frage nach dem Kunstwerk im digitalen Zeitalter gewidmet (2000: 51 ff.). Er macht auf das bestehende Paradox aufmerksam, dass gerade die fehlende physische Präsenz, die Opazi- tät und die Notwendigkeit einer technischen Anordnung zur Sicht- und Hör- barmachung des digitalen oder digitalisierten Kunstwerks zu einer Rückkehr der Aura geführt habe (Wolf 2000: 65). Dies bedinge die besondere Bedeutung des Kultwertes, gebunden an Rituale, die sich mehr denn je als kulturelle wie mediale, das heißt auch an Dispositive gekoppelte ästhetische Praktiken manifestieren (vgl. hierzu auch das Ende von  Kap. 6). Dies geht einher mit den Möglichkeiten der digitalen Reproduktion,6 einer daraus entstehenden Versionenhaftigkeit von Phänomenen und der Distribution.7 Insbesondere den Begriff der Zirkulation hat Elsaesser (2002) als synonym mit Digitalisierung identifiziert. Im Folgenden wird mitunter auch der Begriff mediale Migration verwendet, der im gegebenen Kontext analytisch produktiv gemacht wird.8 Methodologisch kann dies als eine aktualisierte Auslegung der berühmt ge- wordenen Fragestellung „Wann ist Kunst?“ von Nelson Goodman (1997) an- gesehen werden, in deren Kontext in verzeitlichter Perspektive symbolische Funktionen und Rezeptionsweisen als bestimmend für die Einschätzung eines Werkes herausgestellt werden (vgl. hierzu auch  Kap. 2). Die Zirkulation und ständige Re-Kontextualisierung von digitalisierten Kunstwerken bedeutet methodologisch, dass die jeweiligen zeitlichen, das heißt situativen und räumlichen Kontexte eines Phänomens (beziehungs- weise eines digitalen, als Kunst identifizierten Werkes) konstitutiv für dessen Wahrnehmungs- und Erfahrungshorizonte werden. Ähnlich argumentiert auch schon Wolf (2000), wenn er „Aura“ als Resultat kultureller Praktiken beschreibt. Mit Patrick Frank (1989) erweitert Wolf den Aurabegriff von Benjamin: Aura wird bei Wolf zu einem Produkt, das aus funktionalen Konstellationen von Rosen has characterized as ‚practically infinite manipulability‘: they are easily reworked, reappropriated, and recontextualized“ (Rodowick 2007: 15). Hervorzuheben bei Rodowick ist an dieser Stelle die Vorstellung der ständigen, bedeutungskonfigurierenden ‚Re-Kon- textualisierung‘ eines Kunstwerks in der digitalen Domäne; vgl. hierzu weiter unten die Überlegungen – auch zur Rolle des ‚Schöpfers‘ bei digitalen Re-Editionen. 6  Vermeintlich ohne Generationsverlust, vgl. hierzu die Diskussion bei Flückiger (2008: 46). 7  Schon Mitchell (1992: 53) formuliert dies mit der mehrschichtigen Vorstellung einer grund- sätzlichen Unabgeschlossenheit digitaler Codes, manifest etwa bei digitalen Bildern: in deren „mutability and lack of closure, their tendency to proliferate limitless variants“. Diese Qualität bedinge auch die „unkonventionellen Kanäle der Distribution“. 8  Dieser Begriffsgebrauch spielt unter anderem auf den technischen Ablauf des digitalen Datenaustausches an. Franziska Heller - 978-3-8467-6460-2 Heruntergeladen von Fink.de01/03/2022 12:27:50PM via free access 326 kapitel 7 kultureller Autorität und Konsensus resultiert (Wolf 2000: 67).9 Meinem Ansatz gemäß werde ich im Folgenden von der Aura als einem (Wahrnehmungs‑)Effekt medialer Anordnungen und Vermittlungsformen sprechen.10 Ein solcher Effekt ist mit Blick auf meine bisherigen Modellierungen – etwa von historisierenden hin zu digitalisierenden Lektüremodi – auch als auratisierender Lektüre‑ be‑ ziehungsweise Erfahrungsmodus zu begreifen (vgl. insbes.  Kap. 3 und  Kap 6). Vor dem Hintergrund der einleitend erwähnten (und von Benjamin für obsolet erklärten) Begriffe hat dies Konsequenzen: Die aufgrund der kollektiven Produktionszusammenhänge sowie der technischen Reproduzier‑ barkeit ohnehin schon prekäre Frage nach dem Autor eines Films wird nun an‑ gesichts der digitalen Domäne noch verkompliziert: „Digital reproduction […] has also displaced aura onto its creator (the cult of the author or star performer) or its exchange value […] both of which are enhanced by publicity“ (Wolf 2000: 67, Hervorh. FH). Damit hebt Wolf zwei wichtige Aspekte hervor: Zu‑ nächst verweist er auf die Tatsache, dass der Begriff eines Schöpfers oder eines verantwortlich zeichnenden Genius als Urheber eines Werkes keineswegs obsolet ist. Vielmehr erlange umso nachhaltiger im Zeitalter der Zirkulation das Singularitätslabel ‚Autor‘ oder ‚Starschöpfer/Performer‘ Bedeutung und kompensiere damit die fehlende physische Einmaligkeit eines Kunstwerks. Darüber hinaus, und dies stellt den zweiten wesentlichen Punkt dar, wird aufgrund der Zirkulation der Kontext für die Konstitution der jeweiligen kulturellen Autorität (des Schöpfers, des Genius, des verbundenen, nobi‑ litierenden Stars) entscheidend. Das heißt, die kulturelle Autorität muss auf‑ grund des fehlenden fixen ‚Ursprungs‘, des fehlenden festen Ursprungsortes 9  Mit Frank (1989) formuliert Wolf (2000: 67): „If we see aura as a by‑product of cultural authority rather than as genius, we will see that mechanical reproduction need [sic!] not take away from the aura, but today helps to create it“. 10  Im Zusammenhang mit den Epistemai der digitalen Domäne – Abstraktion, De‑ materialisierung und Repräsentation – ergeben sich speziell in Fragen der schöpferischen, kreativen Hervorbringung und des Kunstbegriffs nachhaltig konzeptuelle Heraus‑ forderungen, da – auch in Erinnerung an Benjamin und die Aspekte der technischen Re‑ produzierbarkeit – Begriffe von Authentizität und Urheberschaft (s. u.) prekär werden. Hauptreferenz an dieser Stelle, auf die sich Wolf (2000), Rodowick (2007), Flückiger (2008) und Fossati (2009) beziehen, sind die symboltheoretischen Überlegungen des analytischen Philosophen Nelson Goodman ( Kap. 2). Grundsätzlich lässt sich von Goodman (1997) die Vorstellung übernehmen, der zufolge Eigenschaften, welche Kunst und damit auch digitalen Film ausmachen, nicht unabhängig von der jeweiligen Rezeption zu sehen sind. So symbolisiert das Wahrnehmungscluster digitalisierter Film zu unter‑ schiedlichen Zeiten variante Sinnkonfigurationen (vgl. zum Prinzip der Relationen die Ausführungen weiter unten in diesem  Kap. 7). Franziska Heller - 978-3-8467-6460-2 Heruntergeladen von Fink.de01/03/2022 12:27:50PM via free access Mediale Zirkulation und Mise en Relation 327 oder -zeitpunkts angesichts der Zirkulation jeweils über den Kontext konstituiert und (öffentlich wirksam) vermittelt werden. Gerade durch die polymorphe Qualität und die Universalität digitaler Bilder und Kunstwerke (Flückiger 2008) sowie durch die fehlende unmittelbare physische Sichtbar- keit eines ‚Werkes‘ erhalten die kontextuellen und diskursiven Konstitutions- mechanismen eine zentrale Bedeutung. Dies gilt vor allem auch für den wichtigen zum Schöpferkonzept gehörenden Begriff der Einzigartigkeit. Wie im Verlauf dieses Kapitels anhand der Fallanalysen deutlich werden wird, kommen hier rhetorische und wirkungsästhetische Muster zum Einsatz, die gerade im Horizont digitalisierter historischer Filme die Instanz eines neuen schöpferischen „Entdeckers“ vermitteln (Bourdieu 2011c: 103; vgl. hierzu weiter unten). Ein anderes Verfahren zur Nobilitierung eines Werkes im Horizont digitaler Zirkulation ist die bewusste künstliche Limitierung des Zugangs zum Werk im Gegensatz zu dessen totaler Verfügbarkeit (Wolf 2000: 69; zu den wahrnehmungstheoretischen Konsequenzen vgl. unten).11 Grundsätzlich bedeutet dies, dass die Art und Weise der Ausstellung und Präsentation den kulturellen Wert eines medialen Phänomens konfiguriert. Im Folgenden wird deshalb untersucht, wie über bestimmte dispositivische und ästhetische Verfahrensweisen das digitalisierte Werk und seine Aura als Effekte performt werden. Der Begriff der Performance knüpft hier in mehr- facher Weise an das in  Kap. 5 entworfene Modell des Verhältnisses zwischen dem als Ereignis inszenierten ästhetischen Phänomen und dem raumzeitlich phänomenal erlebenden Subjekt an. Das Verhältnis zwischen Phänomen und Subjekt wird als kontinuierlicher, wechselseitiger Austauschprozess gesehen, in dem der Rezipient/Konsument gleichzeitig als Vollzugs- wie Nachvollzugs- instanz funktioniert (dies wird etwa am Modell des oben genannten „Ent- deckers“ als Element der erfahrenen Konsekration noch entwickelt). 11  Der Konzern Disney liefert in mehrfacher Hinsicht anschauliche Beispiele für die be- schriebenen Konsekrationspraktiken. Zunächst hat Disney vor allem seit den frühen 2000er Jahren immer wieder verschiedene Nobilitierungslabels für Heimkinoeditionen seiner bekanntesten Filme auf DVD und Blu-Ray-Disc entworfen: etwa die Platinum- Edition, die Diamond-Edition oder die Special Collection. Diese Editionen waren immer nur für kurze, sehr begrenzte Zeit auf dem Markt. Auf diese Weise sollte ein hoher Sammler- und auch Marktwert generiert werden. Ähnlich agierte Disney aber auch bereits im Rahmen der Kinodistribution – etwa in der Periode der 1940er bis 1960er Jahre: In regelmäßigen Abständen wurden sogenannte Klassiker wie etwa Fantasia (1940) immer wieder – zum Teil aktualisiert unter der Maßgabe unterschiedlicher Normierungs- prozesse (Begriff nach Garncarz 1992) – ins Kino gebracht und damit bewusst in immer wieder neue Kindheitserinnerungen und Biografien von Generationen als ‚Erfahrungs- schatz‘ eingeschrieben. Franziska Heller - 978-3-8467-6460-2 Heruntergeladen von Fink.de01/03/2022 12:27:50PM via free access 328 kapitel 7 Mediale Phänomene der Reprise verstehe ich in diesem Zusammenhang als audiovisuelle präsentische Passagen, die Sinn- und Bedeutungskonfigurationen im Moment ihrer Aufführung vermitteln ( Kap. 3 und  Kap. 5). Mögliche historisierende Referenzierungen eines Vorher und Nachher werden damit immer wieder performativ konstituiert und im Somatisch-Sinnlichen erlebt.12 In diesem  Kap. 7 steht nun die Untersuchung der Erfahrung von Relativi- tät im Mittelpunkt: namentlich die relationale Versionenhaftigkeit des Films als geschichtsbildmodellierende Erfahrung. Der in meiner Argumentation all- gegenwärtige kulturindustrielle Kontext wird in  Kap. 7 insofern einbezogen, als die Relativität von Filmen als Konsekrationserfahrung verstanden wird. Damit gewinnen die Begriffe Sinn, Bedeutung, Prestige und kulturelle Autori- tät eine prozessuale und verzeitlichte Qualität. Das heißt, sie befinden sich in einem ständigen Wandel, sie sind abhängig von den jeweiligen (medialen) Bedingungen und Anordnungen und werden von dem Rezipienten/Nutzer als sinnliche Eindrücke (nach)vollzogen. Darüber hinaus bindet ebendiese Form der prozessualen Bedeutungs- konstitution den Rezipienten beziehungsweise Konsumenten in den Prozess ein – etwa im Moment der situativ geforderten Auswahl einer Filmversion.13 Dies wird durch digitale Dispositive begünstigt oder gar initiiert. Allerdings, und das ist einer der spezifischen Effekte, geschieht dies immer im Bewusst- sein der (virtuellen) Koexistenz einer alternativen Möglichkeit. Auch hier kommt die charakteristische performative Rezeptionshaltung und sinnliche Erlebnisform zur Geltung. 12  Hier wird noch einmal meine Abgrenzung zu anderen Studien in diesem Gegenstands- bereich deutlich, denen es im Anschluss an Bourdieu (2011a/1971; 2011b/1972; 2011c; 2011d/1994) um die Aufschlüsselung der Verantwortlichkeiten der beteiligten Akteure, Institutionen und Instanzen der Konsekrationsakte geht – eine Perspektive, wie sie etwa Fossati (2009) einnimmt; wie vielfach betont, stehen bei mir die medialen Phänomene und ihre wirkungsästhetische Dimension im analytischen Fokus; vgl. weiterführend zu der praktischen, netzwerkartigen Interaktion verschiedener Instanzen und Institutionen in der Filmkonservierung und -Re-Edition Heller/Flückiger (2010), Cherchi Usai (2012) sowie Flückiger/Heller/Op den Kamp et al. (2016) bzw. Gracy (2007). 13  Vor diesem Hintergrund wird in  Kap. 7 nach den digitalen Konfigurationen gefragt, in denen über verschiedene Symbolsysteme und deren innere Relationen Versionen von Geschichts- und damit Weltmodellierungen vermittelt werden. Auch wenn ich dies in meinem phänomenologisch imprägnierten Ansatz nicht grundlegend systematisch übernehme, so könnte man weiterführend die Funktionsweisen eines kognitiven ‚Weltenbaus‘ von medialen Konfigurationen mit Nelson Goodman (1990) beschreibbar machen: Komposition/Dekomposition, Gewichtung, Ordnen, Tilgung und Ergänzung, Deformation. Franziska Heller - 978-3-8467-6460-2 Heruntergeladen von Fink.de01/03/2022 12:27:50PM via free access Mediale Zirkulation und Mise en Relation 329 7.2 Die Relativierung von Prestige und kultureller Autorität als Erfahrungsmodus Konsekration als wesentlichen Teil der Erfahrung eines Werks in den Blick zu nehmen, schließt in mehrfacher Hinsicht an meine Überlegungen zum Warenfetischismus in  Kap. 4 an. In der Folge wird über den Rekurs auf die Begrifflichkeit von Pierre Bourdieu (2011a; 2011b; 2011c; 2011d) die Idee des symbolischen Kapitals, des Prestiges und der kulturellen Autorität – ergänzend zu den Überlegungen in Kap. 4 zum Fetischismus – als Erwartungs- und Er- fahrungshorizont angesichts von Ausprägungen der Mise en Relation dis- kutiert. Auf diese Weise sollen auch Aspekte eines kulturellen ‚Werte‘begriffs in mein Modell der aisthetischen Geschichtsbildmodellierung digitaler Reprisen erweiternd integriert werden. In dem Zusammenhang werden einige zentrale strukturelle Befunde von Bourdieu aufgegriffen, die sich – abweichend von Bourdieus ursprünglich kultursoziologischem Kontext – in einer wirkungs- ästhetischen Analyse digitaler Reprisen produktiv machen lassen. Im Feld der kulturellen Produktion geht es nach Bourdieu (etwa 2011c) vor allem um die Akkumulation von symbolischem Kapital. Allerdings unter- liege die Akkumulation von Kapital – im Gegensatz zu anderen Feldern der Produktion – im kulturellen Feld spezifischen Leugnungen und damit Formierungen der Wahrnehmung: Da der Kunsthandel (respektive die Kultur- industrie, FH) per se mit Dingen handle, die nicht handelbar seien, lasse sich in diesem Feld oberflächlich die Logik einer vorkapitalistischen Ökonomie verfolgen.14 Das bedeute, dass im Kontext der Vermarktung von Kultur der öko- nomische Kontext geleugnet und vordergründig dem Kommerz eine Absage erteilt werde (Bourdieu 2011c: 98).15 Stattdessen stünden die Akkumulation von „Prestige“ und „Autorität“ als Ziel und Währung im Mittelpunkt, die dann – so Bourdieus kultursoziologischer Befund – allerdings ihrerseits als symbolisches Kapital fungierten und nicht minder in tatsächlichen Gewinn umgesetzt werden könnten (Hafke 2012). Bourdieu bezeichnet dies als „Konsekrations- kapital, das die Macht beinhaltet, Dingen (durch Marken- oder Signatureffekt) oder Personen (durch Veröffentlichung, Ausstellung usw.) die Konsekration und damit einen Wert zu verleihen“ (Bourdieu 2011c: 99). 14  Da die Praktiken im kulturellen Feld „als praktische Leugnungen [der ökonomischen Ziele, FH] funktionieren, kann man nur tun, was man tut, indem man so tut, als täte man es nicht“ (Bourdieu 2011c: 98). 15  Die Leugnung der ökonomischen Interessen im Feld der kulturellen Produktion be- zeichnet Bourdieu als mauvaise foi („schlechter Glaube“, hier übersetzt mit „Unaufrichtig- keit“ [Bourdieu 2011c: 100 f.]). In den weiteren Ausführungen beschreibt Bourdieu diese Zusammenhänge als eine in sich sehr widersprüchliche „ideologische Maske“. Franziska Heller - 978-3-8467-6460-2 Heruntergeladen von Fink.de01/03/2022 12:27:50PM via free access 330 kapitel 7 In meiner wahrnehmungstheoretisch ausgerichteten Untersuchung wer- den die genannten Bourdieu’schen Aspekte des symbolischen Kapitals als erfahrenes Kapital verstanden. Dies schließt wiederum an die Analysen einer Warenästhetik digitaler Reprisen ( Kap. 4) an, bei der Gebrauchswertver- sprechen in den ästhetischen Erlebnisversprechen liegen. Dies führt weiter zu der Idee eines imaginär emotional bindenden Erfahrungskonsums angesichts von ästhetischen Objekten als Waren ( Kap. 6). In Anknüpfung an diese bereits genannten kulturindustriell geprägten Wahr- nehmungsmodi aus  Kap. 4 und  Kap. 6 werden Prestige und kulturelle Autorität als mediale Erwartungs- und Erfahrungshorizonte perspektiviert, die – um mit meinem Gegenstand zu argumentieren – unsere Erlebnisse von digitalisierten Filmen konfigurieren. Da im vorliegenden  Kap. 7 die Versionenhaftigkeit von Filmen im Mittelpunkt der Analyse steht, sind insofern Horizonte von Prestige und kultureller Autorität in ihrer Funktionalisierung in den entsprechenden relationalen, verhältnissetzenden Konfigurationen zu untersuchen. Bourdieus sprechender Titel seines zentralen Textes (2011c) weist in diesem Zusammenhang auf die besondere Bedeutung der Erwartungshaltung des Rezipienten beziehungsweise Konsumenten hin: Die Produktion des Glaubens ist Dreh- und Angelpunkt für die Art und Weise, wie wir etwas als bedeutsames Kunstwerk (ästhetisch) erleben. Daher spielen – aus meiner Perspektive – die Erwartungshaltungen sowie die Wahrnehmungsmodi für die Vermittlung des kulturellen Wertes eine wesentliche Rolle. Dies knüpft in gewisser Weise an meine Überlegungen in  Kap. 4 an, denen zufolge H. Böhme zum Fetischis- mus eine ähnliche Wahrnehmungshaltung entwarf: Ein Fetisch kann nur dann seine Wirkung als solcher entfalten, wenn man daran glaubt. In meinem An- satz gilt dies umso mehr für die digitale Qualität von Bildern (vgl.  Kap. 4): Die digitale Qualität eines Filmes ist nie das, was von sich aus immer schon digital ist, sondern es muss der Glaube als spezifischer Wahrnehmungsmodus erzeugt werden, dass dem so sei (F. Heller mit H. Böhme 2012: 370). Bourdieus Konzepte und H. Böhmes Verständnis vom Fetischismus haben insofern eine gemeinsame Schnittmenge, als sie die (Wahrnehmungs-)Haltung des Rezipienten und Konsumenten in die Bestimmung eines Kunstwerkes und des Wertes einbeziehen. Dennoch sind auch die diskursiven Differenzen in ihren Nuancen zu be- rücksichtigen. Der Begriff des Fetischismus ist vor allem psychoanalytisch und triebstrukturell besetzt, da er Verschiebungsmechanismen und Aspekte der Ersatzbefriedigung thematisiert. Im medialen (Wahrnehmungs-)Kontext führt dies vor allem zur Verhandlung von voyeuristischer Schaulust. Insofern Franziska Heller - 978-3-8467-6460-2 Heruntergeladen von Fink.de01/03/2022 12:27:50PM via free access Mediale Zirkulation und Mise en Relation 331 vermitteln fetischisierende mediale Strukturen Erwartungs- und Erfahrungs- haltungen der Bedürfnisbefriedigung. Die zitierten Modelle des Soziologen Bourdieu operieren hingegen im Be- reich der kritischen Analyse des Feldes der Kunstproduktion. Die sozialen Praktiken werden auf ihre hegemonialen Geltungsansprüche hin untersucht. Damit ergänzen Bourdieus Ausführungen an dieser Stelle meine Überlegungen in  Kap. 4 um Aspekte der Bedeutung der dispositivischen und ästhetischen Inszenierung von kultureller Autorität für das Erlebnis eines Filmwerkes in der digitalen Reprise. Insbesondere hier wird, mit Bourdieu (2011c: 101) gesprochen, eine „Ideo- logie des Charismas“ wirksam. Die „Ideologie des Charismas“ – etwa das eines genialen Schöpfers – sei der eigentliche Ursprung des Glaubens an den Wert des Kunstwerks (Bourdieu 2011c: 101).16 So gelte es, in der Zirkulation von ästhetischen Objekten kritisch das omnipräsente Konzept des Autors als Schöpfer zu hinterfragen: Es gehe darum, die Faktoren, die eine Instanz im Kontext eines Werkes „autorisieren“, kritisch in den Blick zu nehmen (Bourdieu 2011c: 101).17 Bourdieu hat an dieser Stelle namentlich Kunsthändler und Ver- leger und deren gesellschaftliche Rolle im Blick. Gerade bei der digitalen Zirkulation und Re-Edition von Filmen lassen sich diese Überlegungen produktiv adaptieren. Der anschlussfähige Grund- gedanke liegt darin, dass das Werk eines Schöpfers von jemand anderem als Handelsware verwendet wird. Bei der Vermarktung des Werkes eines anderen 16  Diese „Ideologie des Charismas“, die auf den einen kreativen Schöpfer des Kunstwerks zielt, stellt sich beim Film doppelt kompliziert dar, da er von vornherein das Ergebnis ge- meinschaftlicher und industrieller Zusammenhänge ist. 17  Hier ließe sich fruchtbar ein weiteres Diskursfeld zur partizipatorischen Medienkultur – insbesondere auch mit Blick auf die digitale Medienumgebung – anschließen: Der vor allem von Henry Jenkins (1992) unter dem Begriff „textual poachers“ geprägte Ansatz, Fankulturen und die daraus resultierenden medialen Praktiken zu untersuchen, hat viel- fach Resonanz in Studien zu einer partizipatorischen Digitalkultur gefunden. In einer solchen Perspektive wird die Entscheidungs- und Handlungsmacht der Produktions- seite der Medienindustrie über Angebote und Produkte relativiert, indem sie nicht mehr als alleinig bestimmende Faktoren gesehen werden. Vielmehr werden Fankulturen als auf die Medienindustrie Einfluss nehmende, produktive Akteure herausgestellt; etwa indem sie selbst zu (Ko-)Autoren von zirkulierenden audiovisuellen Paratexten, Fort- schreibungen und Kommentaren werden (zum hier in Anschlag gebrachten Begriff des Produsers vgl. später weiterführende Anmerkungen). Nichtsdestotrotz hat H. Jenkins aus- drücklich darauf hingewiesen, dass ein Fanpublikum nicht automatisch gleichzusetzen sei mit einem (inter)„aktiven Zuschauer“. Aus einer jüngeren Perspektive hat etwa Ein- wächter (2014) H. Jenkins und seine Interpreten auf ihre rhetorischen und methodischen Muster hin überblicksartig aufgearbeitet (2014: 158 f.). Franziska Heller - 978-3-8467-6460-2 Heruntergeladen von Fink.de01/03/2022 12:27:50PM via free access 332 kapitel 7 wird aber gerade das „Heilige“ des Werkes (Bourdieu 2011c: 101), das sich durch den ursprünglichen Autorenmythos konstituiert, instrumentalisiert und re- konfiguriert. Dies verbindet sich mit dem Narrativ eines „Entdeckers“, der ein Werk, das andernfalls im Zustand einer natürlichen und ungenutzten Ressource geblieben wäre, „zu ‚entdecken‘ verstanden hat, indem er es durch eine Ausstellung, Veröffentlichung oder Inszenierung auf den Markt bringt“ (Bourdieu 2011c: 101). Solche Verfahrensweisen fasst Bourdieu als Konsekrationsakte, die sich in der Interaktion verschiedener Akteure im Feld der kulturellen Produktion entfalten und wirksam werden. Im Horizont meiner Fragestellungen rücken aber, anders als bei Bourdieu, die erinnerungskulturellen und geschichtsbildmodellierenden Konsequenzen in den Fokus, welche in einem besonderen Spannungsfeld stehen. Spezifische Widersprüchlichkeiten sind nicht zu übersehen: Auf der einen Seite geraten Konsekrationsakte als pragmatisch operierende Prozesse in den Blick, die mit Eindrücken von Prestige und kultureller Autorität den Glauben an ein auratisches, einzigartiges Kunstwerk vermitteln; auf der anderen Seite ent- faltet sich die paradoxe Situation, dass die Konsekration eines Filmwerkes sich gerade des Reichtums seiner koexistierenden Versionen und Variationen verdankt. Dies hat auf Seiten des Zuschauers eine Wahrnehmungsdis- position zur Voraussetzung wie zur Folge, in der ständig der Glaube an eine imaginär präsente Alternative – eine mögliche andere Version – evoziert und als Erwartungshaltung eingefordert wird. Nicht mehr nur die singuläre Fassung eines Werkes zieht die Aufmerksamkeit auf sich, sondern das cluster- förmige Ensemble an (auswählbaren) Varianten begründet den Eindruck von kultureller Werthaltigkeit. Selbst das ästhetische Vergnügen basiert zu einem beträchtlichen Teil auf der Mise en Relation und Differenzqualität der ver- schiedenen Versionen. Dies wird insbesondere in den Auswirkungen auf die Wahrnehmung konkreter Filme und ihrer diegetischen Universen zu unter- suchen sein. Nicht zuletzt sei in diesem Kontext des vorliegenden  Kap. 7 auf zwei weitere Widersprüche dieses Diskurskreises mit Blick auf die digitale Domäne hingewiesen: Ähnlich, wie es H. Böhme schon für den Fetisch beschrieb, gilt schon grundsätzlich bei Benjamin (1977a) eine bestimmte raumzeitliche An- ordnung als notwendige Voraussetzung, um ein auratisches Kunstwerk als solches zu erleben: Die Definition der Aura als ‚einmalige Erscheinung einer Ferne, so nah sie sein mag‘, stellt nichts anderes dar als die Formulierung des Kultwerts des Kunst- werks in Kategorien der raum-zeitlichen Wahrnehmung. Ferne ist das Gegenteil von Nähe. Das wesentlich Ferne ist das Unnahbare. In der Tat ist Unnahbarkeit eine Hauptqualität des Kultbildes (Benjamin 1977a: 14, Fußnote 7). Franziska Heller - 978-3-8467-6460-2 Heruntergeladen von Fink.de01/03/2022 12:27:50PM via free access Mediale Zirkulation und Mise en Relation 333 Wie bereits in  Kap. 4 entwickelt, bedeutet dies zum einen, dass der Glaube an ein auratisches Phänomen durch raumzeitliche Unerreichbarkeit situativ etabliert wird; zum anderen bedingt dies gleichzeitig einen Wahrnehmungs- modus (beim Fetisch noch deutlicher um den Aspekt der sexuellen Lust erweitert), der über die Performanz der Überhöhung den Rezipienten/Konsu- menten als Teil des Prozesses benötigt. So findet man im Kontext der digitalen Distributionsformen in unterschied- lichen Variationen den Topos der Aneignung (Klinger 2006a; Wortmann 2010; Distelmeyer 2012; F. Heller 2013a): Insbesondere bei digitalen Dispositiven wie DVD und Blu-Ray-Disc wird die Suggestion von possessiver Nähe zu Filmen im privaten Bereich hervorgehoben. Video-on-Demand stellt hierbei vor dem Hintergrund der suggerierten Personalisierung des Angebots durch Algorithmen, welche die Auswahl des sichtbaren Menüs strukturiert, eine be- sonders spannungsgeladene, zugespitzte Variante dar (Keiper 2014b). Im Folgenden geht es deshalb um Erfahrungen von Relativität im Horizont potenziell unbegrenzter, allgegenwärtiger Zugriffsmöglichkeiten, Aneignungs- versprechen und auratisierender Ferne. Die jeweiligen ästhetischen wie dis- positivischen Konfigurationen spielen eine zentrale Rolle für geschichtsbild- modellierende Prozesse. Zu der beschriebenen räumlichen Spannung gesellt sich in der analytischen Betrachtung auch eine zeitliche. H. Böhme weist auf das kulturpolitische Konstrukt von Ewigkeit hin – gerade wenn es um den musealen und er- innerungskulturellen Bereich geht: Wir [H. Böhme] glauben, dass die Gesellschaften, je mehr sie ins Zeichen neo- liberaler Globalisierung und der digitalen Immaterialität treten, desto stärker jener zeitstillenden Zonen bedürfen, in denen die Dinge […] eine Sphäre der Zeitlosigkeit erhalten, die der Tauschsphäre entgegengesetzt ist, umzirkelt vom Noli me tangere der musealen Ordnung. Die gesammelten Dinge stellen die Transzendenz der Moderne dar, die annahm, Transzendenz entbehren zu können (H. Böhme 2011: 369–370). In diesem von H. Böhme entworfenen grundsätzlicheren Kontext erhält die Konstitution von „zeitstillenden Zonen“ anthropologische und auch kultur- politische Bedeutung. Aus wahrnehmungstheoretischer Perspektive mit Blick auf den Film impliziert die Vorstellung von „zeitstillenden Zonen“ einen be- sonderen Erfahrungshorizont, der sich zwischen den Polen der Erinnerung an Vergangenes und der dem Medium eigenen präsentischen Eindrücklichkeit aufspannt. Vor diesem Hintergrund sind auch die Implikationen von Barbara Klin - gers (2006a) Aussage genauer zu perspektivieren, wenn sie schon für den Franziska Heller - 978-3-8467-6460-2 Heruntergeladen von Fink.de01/03/2022 12:27:50PM via free access 334 kapitel 7 amerikanischen TV-Kabelsender AMC befindet: „The channel asserts the value of its artifacts as timeless classics“ (Klinger 2006a: 99, Hervorh. FH). Des- halb geht es nachstehend darum, die Erfahrung von Relativität in digitalen Reprisen in aller Widersprüchlichkeit aufzuspüren und (kultur- und memo- politisch) einzuordnen. 7.3 Mise en Relation als Verfahren der Konsekration Im Zusammenhang mit heutigen Ausprägungen der Mise en Relation im Zeichen digitaler Dispositive ist einführend ein kurzer Exkurs zur generellen Versionenhaftigkeit von Film vonnöten – insbesondere auch in der Ausweisung der Konsequenzen. Stefan Drößler, Filmhistoriker und Direktor des Film- museums München, merkte 2004 eindrücklich an, dass die Film- respektive Medienwissenschaft bisher kaum Kenntnis davon genommen habe, dass das Material, mit dem sie arbeite, sich durch ständig wandelnde technische und dadurch auch ästhetische Bedingungen in der Zeit verändere. Diese grund- sätzliche Beobachtung hat nachhaltige Folgen für (bestimmte) filmanalytische Fragestellungen. Es wird zunehmend schwierig, einen singulären ‚Referenztext‘ zu bestimmen. Die Präsenz von Filmen auf verschiedensten digitalen Platt- formen und Speichermedien schafft immer neue Kontexte und Anordnungen, die – so meine These zur Wirkungsästhetik dieses Phänomens – eine spezi- fische mediale Erwartungshaltung über Prozesse der Mise en Relation kreieren. Insbesondere mit dem Vertrieb von filmhistorischem Material über digitale Dispositive und digitale Derivate (unterschiedliche Ausgabeformate) potenziert sich die bisherige Problematik der Filmfassungen als vermeintlich verlässliche Referenz (der Forschung) enorm. Es gibt in wissenschaftlichen Zusammenhängen meines Erachtens aktuell kaum das Bewusstsein für die Disparität digitaler Filmquellen. Dies wiegt umso schwerer – und das ist ja der Fokus dieser Studie und insbesondere des vorliegenden  Kap. 7 –, als die Relativität und Versatilität von filmischen Texten und Werken auch auf phänomenaler Ebene nachhaltige Konsequenzen zeitigen. Das Phänomen der Versionenhaftigkeit von Filmen – Chris Wahl (2009) spricht auch von einer „generellen Versionenhaftigkeit des Films“ (C. Wahl 2009: 10, Hervorh. FH) – existiert seit Beginn der Film- und Kinogeschichte. Zum einen sind unterschiedliche Fassungen18 eines Films ein Produktions- effekt (nach C. Wahl auch Präversionen). So war es etwa insbesondere in der 18  Zum Begriff der Fassung vgl. grundsätzlich Garncarz (1992): „Filmfassungen sind Ergeb- nisse von Variationsprozessen, in denen Filme signifikant variiert werden“ (1992: 13). Franziska Heller - 978-3-8467-6460-2 Heruntergeladen von Fink.de01/03/2022 12:27:50PM via free access Mediale Zirkulation und Mise en Relation 335 früheren Phase der Filmproduktion bis in die 1920er Jahre hinein gängige Praxis, gleichzeitig mit mehreren Kameras zu drehen, um mehr Kamera- negative für Kopien, auch für den Export, zur Verfügung zu haben (s. unten auch das Beispiel Die Nibelungen).19 Gleichzeitig entstanden verschiedene Fassungen ebenso als Distributionseffekt (C. Wahl nennt es unter anderem Post- versionen): In unterschiedlichen geografischen Regionen wurden und werden andere technologische, kulturelle, moralische, ideologische, ästhetische Normierungsprozesse wirksam, an die der jeweilige Film von verschiedenen Instanzen und Akteuren („Spezialisten“) angepasst wird (Garncarz 1992: 18 ff.). Im vorliegenden Kontext sind vor allem die Formatfassungen/-versionen (zur Begriffsunterscheidung vgl. C. Wahl 2009: 26) interessant, die techno- logischen Normierungsprozessen unterliegen – etwa in der Migration eines Films aus dem Kino in das Fernsehen, auf eine DVD oder in das Angebot eines Streamingdienstleisters. Inwieweit solche technologischen Normierungen neue Formatversionen kreieren können,20 die signifikant auch ästhetischen Variationen unterworfen werden, habe ich in  Kap. 2 anhand der Praxis der Colorization im amerikanischen Fernsehen der 1980er Jahre mit seinen er- innerungspolitischen Konsequenzen für das kulturelle Gedächtnis diskutiert.21 Ein ähnliches Verfahren der Veränderung von Filmwerken im Horizont der Ver- schiebung der Aufführungsdispositive – vom Kino als Ort der Filmaufführung hin zur Ausstrahlung im TV – wäre das Pan-und-Scan-Verfahren ( Kap. 2). Das Verhältnis zweier Fassungen oder Versionen zueinander bestimmt Garncarz (1992) mittels der Überprüfung des sogenannten Konstanzverhält- nisses – wie hoch oder wie niedrig jeweils die Summe an Gemeinsamkeiten oder Differenzen zwischen den jeweiligen Filmen einzuschätzen ist (1992: 15). Der Weltverband der Filmarchive FIAF22 hielt 2013 zu dem Problem- komplex sein jährliches Symposion unter dem Titel Multiversions ab – unter anderem weil die Existenz von verschiedenen Versionen eines Films eine Herausforderung sowohl für die bibliothekarisch-archivarische Erfassung als auch für die Sicherung darstellt. Außerdem ist das Phänomen von hoher Relevanz für Restaurierungen und Rekonstruktionen, die in ihrem jeweiligen 19  Garncarz (1992: 16) und C. Wahl (2009: 27) nennen 1914 als Startdatum der Praxis, Berriatúa (zit. n. Riambau 2013: 96) kommt zu einem anderen Ergebnis: „[F]ilming with more than one camera was widespread throughout the entire silent period“. 20  Hier wird Garncarz’ Begriffsgebrauch im Kontext von Filmfassungen (1992) modifiziert. 21  Zur Frage, inwieweit die Praxis der Colorization auch als juristische Normierungspraxis verstanden werden kann, vgl. Op den Kamp (2018). 22  F IAF = Fédération Internationale des Archives du Film. Weitere Informationen zur hier zitierten Konferenz sind zu finden unter http://www.fiafcongress.org/2013/programa. php?lang=en (15.07.2016). Franziska Heller - 978-3-8467-6460-2 Heruntergeladen von Fink.de01/03/2022 12:27:50PM via free access 336 kapitel 7 Arbeitsprozess zwangsläufig eine Referenz für die Fassung, die sie wieder- herstellen wollen, wählen müssen. Oft führen die Überlieferung und damit das Vorhandensein von verschiedenen Kopien und Fassungen, das heißt von unterschiedlichen Quellmaterialien, zu synthetischen, hypothetischen Restaurierungen (vgl. Bohn 2013b: 399 ff.). Solche Restaurierungen entstehen auch unter dem Narrativ der ‚komplettesten‘ Fassung; eine solche wird dabei aus verschiedenen überlieferten Filmkopien, die unter Umständen auf ästhetischer und dramaturgischer Ebene variieren, hergestellt. Das Vorhandensein von Versionen offenbart grundsätzlich eine Flexibili- tät des (historischen) Films – ob ästhetisch oder textuell auf der Storyebene. In digitalen Distributionskanälen können weitere Versionen eines Werkes in neuen Relationen ein ökonomisches sowie sinnliches Mehrwertversprechen darstellen. Wie in den theoretischen Vorbemerkungen dargelegt, werde ich dies als Teil einer Konsekration untersuchen, die sich in das mediale Erlebnis des Zuschauers – auch verstanden als Nutzer – übersetzt. Riambau (2013: 97) schreibt im Vorwort der Begleitpublikation zum FIAF- Kongress, dass das Aufkommen der DVD den Zugang zu verschiedenen Versionen desselben Films oder zu zusätzlichem Material (Outtakes, alter- native Enden) multipliziert habe. Das hier wohl populärkulturell bekannteste Phänomen von Film-Re-Editionen – die Vermarktung als Director’s Cut – impliziert ideell diskursive Verschiebungen: Das Label Director’s Cut bekräftigt, so Riambaus Beobachtung, den moralischen Sieg über die vom Produzenten auferlegten Zwänge. Damit – so meine Formulierung – spielt das Label mit der Freisetzung einer konsekrativ wirksamen Autorenintention. Interessant ist an Riambaus Aussage nicht nur die Tatsache, dass er den Zu- sammenhang zwischen der medienhistorischen Versionenhaftigkeit des Films generell und der Entwicklung der Laserdisc respektive später der DVD und der Blu-Ray-Disc deutlich macht. Darüber hinaus schließt Riambau gedanklich an meine These an, die einleitend in der Auseinandersetzung mit Benjamin zur Stellung des Kunstwerks im 20. Jahrhundert formuliert wurde: Riambau beschreibt die Bedeutung des Autorenkonzepts als wichtiges Narrativ für die Bestimmung des einen Films, dessen Autor/Regisseur als ‚Schöpfer‘ über das Dispositiv DVD mit den Möglichkeiten der Kontextualisierung durch audiovisuelle Paratexte eine Möglichkeit erhält, ‚selbst zu Wort zu kommen‘ (am bekanntesten ist hier wohl der Fall von Blade Runner [1982], s. u.). Dass die DVD respektive die Blu-Ray-Disc hier als Trägermedium mit seiner Speicherkapazität – und damit mit der Möglichkeit, verschiedene Versionen gleichzeitig präsentieren zu können – eine widersprüchliche Rolle als Dis- positiv von Reprisen spielt, wird im Folgenden an den Beispielen illustriert. Diese Anordnung hat aber auch grundsätzliche Konsequenzen für die Wahrnehmung des editierten Films als Werk: Wenn Jan Distelmeyer (2012) Franziska Heller - 978-3-8467-6460-2 Heruntergeladen von Fink.de01/03/2022 12:27:50PM via free access Mediale Zirkulation und Mise en Relation 337 seine umfassende Studie dem Dispositiv der DVD und Blu-Ray-Disc unter dem Titel Das flexible Kino widmet, so richtet er vor allem den Blick auf die Flexibilität der Filme im Kontext der genannten Dispositive. Distelmeyer hebt an dieser Stelle die oft mit editierten Outtakes und Deleted Scenes/Nicht ver- wendete(n) Szenen hervor, die über DVDs beziehungsweise Blu-Ray-Discs zu- gänglich gemacht werden. Diese seien „das wichtigste Extra, ein Herzstück der weiteren Existenz des Films auf DVD“ (Zion 2002, zit. n. Distelmeyer 2012: 90). In solchen Anordnungen sei das, was als Film auf der DVD oder Blu-Ray-Disc erscheine, Verhandlungs- und Entscheidungssache des Users. Dies verbindet Distelmeyer unter Rekurs auf Gwóźdź (2009) mit dem Begriff der Selektivi- tät (Distelmeyer 2012: 140). Konzeptionell habe solch rahmendes Material für die Filmwahrnehmung zur Folge, dass die Versatilität des Filmtextes sichtbar werde. Gerade bei Editionen von als älter empfundenen Filmen werde mit geschichtlich argumentierenden Paratexten (Bonusmaterialien etwa in Form von filmhistorischen Dokumentationen) die Wandelbarkeit von Filmen zu unterschiedlichen Zeitpunkten ausgestellt. Die Möglichkeit der Koexistenz verschiedener Versionen auf unterschiedlichen Plattformen oder gar zu- sammen auf einem zirkulierenden Träger wie der DVD oder Blu-Ray-Disc hat – so Riambaus Formulierungen (2013: 97 f.) zugespitzt gewendet – auch historiografische Folgen, denn die Existenz verschiedener Versionen affiziere den Filmhistoriker. Nicht nur müsse man darauf achten, welche Version vor- liege, über die man schreibe. Darüber hinaus sei die daraus entstehende zeit- liche Komplexität der Zusammenhänge als eine Topografie, als ein Netzwerk zu begreifen, das schon lange aufgehört habe, linear zu sein (Riambau 2013: 97). Angesichts der Koexistenz von Versionen verdichtet sich so unter den neuen Re-Editions-, Präsentations-, Zirkulations-, Zugangs- und Rezeptions- bedingungen die Vorstellung einer Filmgeschichtsschreibung hin zu einer Kartografie, in der die einzelnen Elemente – gerade angesichts der extrem kurzen Entwicklungszyklen digitaler Medientechnologien – sich nur momentan in einer Relation zueinander (im Raum) konstituieren. In einer solchen Konfiguration koexistieren alternative Möglichkeiten eines Film- werkes nebeneinander. Dies erinnert an Thomas Elsaessers Modell (2004) einer medienarchäologischen Perspektive auf filmhistorische Phänomene, wenn er von einer Vergangenheit unter vielen anderen möglichen Vergangenheiten spricht. Schon in  Kap. 3 wurde Elsaessers methodologisches Modell auf die wahrnehmungstheoretische Ebene übertragen: Angesichts digitalisierter Filme sowie ihrer digitalen Zugänglichkeit und Zirkulation spreche ich von einer Medienarchäologie im Modus der medialen Erfahrung. Das vorliegende  Kap. 7 setzt dies um, indem es konkrete Varianten der Mise en Relation einzelner Phänomene in den Blick nimmt und nach den Dimensionen medialer Erfahrungen fragt, die als historiografisch wirksam begriffen werden. Franziska Heller - 978-3-8467-6460-2 Heruntergeladen von Fink.de01/03/2022 12:27:50PM via free access 338 kapitel 7 Will man in diesem Kontext zudem die Konsekrationsmechanismen, etwa die Konstruktions- und Vermittlungsformen von kultureller Autorität, die hier manifest werden, analysieren, so wird der Begriff der relationalen Rhetorik, wie sie Distelmeyer mit Manovich (2001) der DVD zuordnet, wichtig (Distelmeyer 2012: 113).23 Die Effekte des Relationalen sind im wirkungsästhetischen Horizont zu untersuchen. Zur Erinnerung: Casetti (2010) hat für die Rezeptionsseite ange- sichts digitaler Dispositive die Begriffe relationales Tun und Performance durch den Rezipienten als aktiv Handelnden und Nutzenden ins Spiel gebracht (  Kap. 5). Dies bringe ich im weiteren Argumentationsverlauf dieses  Kap. 7 mit wissenschaftshistorischen und erkenntnistheoretischen Überlegungen aus der Kunstgeschichte zum vergleichenden Sehen zusammen; namentlich mit Positionen von Heinrich Dilly (1995), der seinerseits grundsätzliche Über- legungen Heinrich Wölfflins aufgreift und aktualisiert. Alle diese Ebenen sind in den Untersuchungen einer Mise en Relation zu berücksichtigen. Als weitere methodologische Einordnung sei an dieser Stelle kurz ab- schließend noch darauf hingewiesen, dass diese Herangehensweise im An- schluss an Kesslers historische Pragmatik (u. a. Kessler 2002b; Kessler 2010), die er auch am Fassungsphänomen des Films erläutert (Kessler 2002a), als digitale Pragmatik begriffen werden kann. Dies bindet sich, wie auch schon einleitend zu diesem  Kap. 7 dargestellt, in mehrfacher Hinsicht an technische Voraussetzungen und daraus entstehende Epistemai der digitalen Domäne zurück: so etwa die mehrschichtige „Unabgeschlossenheit“ digitaler Codes und Bilder nach Mitchell (1992: 53), die in deren „mutability and lack of closure, their tendency to proliferate limitless variants“ zu suchen ist. Gerade aufgrund der polymorphen Qualität und der Universalität digitaler Bilder und Kunstwerke (Flückiger 2008) sowie infolge der fehlenden unmittelbaren physischen Sichtbarkeit (= Opazität) eines ‚Werkes‘, dessen Sichtbarmachung immer erst eines (technischen und kulturellen) Interpretationsvorgangs be- darf, kommt den kontextuellen und diskursiven Konstitutionsmechanismen zentrale Bedeutung zu. Hier wird das grundlegende Epistem der digitalen Domäne verräumlichter Netzwerkstrukturen virulent, die aus dem bereits thematisierten Random Access, der Möglichkeit des Direktzugriffs auf einzel- ne Codes und Module, resultieren ( Kap. 2). Dieser gilt als Ursprung der mit der digitalen Domäne verbundenen Auflösung von linearen Denkmustern, die in netzwerkartigen Strukturen aufgehen, welche sich etwa durch Hyper- textstrukturen mit zahlreichen Links realisieren lassen. Zur Erinnerung: Distelmeyer (2012) hat mit Blick auf Erscheinungsformen von Filmen in 23  Vgl. hierzu auch die Analysen zur ästhetischen Vermittlung des Verhältnisses von alt und neu in den Überlegungen des  Kap. 4. Franziska Heller - 978-3-8467-6460-2 Heruntergeladen von Fink.de01/03/2022 12:27:50PM via free access Mediale Zirkulation und Mise en Relation 339 digitalen Dispositiven mit Manovich (2001) in diesem Kontext die Vorstellung von Navigationsräumen entwickelt. 7.4 Konsekration des Vergleichs. Change the way to watch movies. Editor’s guide (2012) In der Annahme, dass es gerade in der digitalen Re-Edition von Filmen zu einer verstärkten Wiederaufnahme von Konsekrationsmechanismen kommt, die eigentlich von Benjamin für obsolet erklärt wurden, richten die folgenden Überlegungen den Blick auf ein Beispiel, in dem gerade das Prinzip des ‚Ent- deckens‘ eines Geheimnisses sowie das Spiel mit Nähe und Ferne als wahr- nehmungsästhetische Vermittlungsmodi zur Anwendung kommen. Wie bereits in den Ausführungen in  Kap. 4 am Exempel der medien- historiografisch wirksamen Erfahrungsbildung in Form von Fetischisierung dargelegt, basiert die Aushandlung und Vermittlung der Differenz von alt und neu auf ästhetischen Verfahren, die gemäß einer relationalen Rhetorik funktionieren und zudem eine spezifische Erlebnisform schaffen; das heißt, es wird momenthaft, im Augenblick, das Erlebnis einer zeitlichen Differenz kreiert. Allerdings ist diese relationale Rhetorik in der Vermittlung von so- genannten Entwicklungssprüngen vergleichsweise unabhängig von den jeweiligen tatsächlichen Medientechnologien, die hier in ein Verhältnis gesetzt werden.24 Im Folgenden ist es wichtig, die Produktion des Glaubens auf die Neuheit hin, die in diesem Kontext noch widersprüchlicher zu sein scheint, kritisch zu beleuchten. Ein Widerspruch ist bereits offensichtlich: In der Denotation möglicher Qualitäten der Blu-Ray-Disc lassen sich neuere Eigenschaften des Trägers erkennen, die aber mit bekannten ästhetischen Mitteln, Topoi und Motiven beworben werden. Der Glaube an die Neuheit wird in einem – etwa durch Attraktionsmontage – auf Überwältigung angelegten filmischen Erleb- nis vermittelt ( Kap. 4). Das hier besprochene Beispiel ergänzt insofern die entsprechenden Ana- lysen, die im Kontext von ästhetischen Strategien der Fetischisierung in  Kap. 4 vorgenommen wurden, nun mit dem Fokus auf der Vermittlung von Relativität als Konsekrationserfahrung. 24  Die rhetorischen wie filmisch-formalästhetischen Muster zur Promotion einer DVD unterscheiden sich grundsätzlich in entsprechenden Clips wenig von denen zur Blu-Ray- Disc oder zum VoD. Über digitale Speichermedien hinaus lassen sich ähnliche rhetorische Figuren und Motive auch durch die ganze Bildmediengeschichte verfolgen; vgl. ausführ- licher  Kap. 4. Franziska Heller - 978-3-8467-6460-2 Heruntergeladen von Fink.de01/03/2022 12:27:50PM via free access 340 kapitel 7 Bei dem Untersuchungsgegenstand handelt sich um einen Trailer für Blu- Ray-Discs als Speichermedium von Sony aus dem Jahre 2012, einen Clip, dessen Struktur und Form sich in zahlreichen ähnlichen Werbefilmen auf YouTube wiederfinden lässt.25 Hier werden die bereits im  Kap. 4 beschriebenen Ver- fahren um das Ausstellen einer besonderen Mise en Relation anschaulich er- weitert. Erneut steht am Anfang die im Vergleich zu bisherigen Seherfahrungen differenzielle Rezeptions- und Erlebnisform von Filmen durch diesen digitalen Träger als Dispositiv: „Sony Pictures and Blu-ray-Disc are changing the way you watch movies“; diese grafische Tagline wird als sich aufbauende Schriftein- blendung zudem von einer autoritären männlichen Off-Stimme, die diesen Satz ausruft, affirmiert. Es folgt die bekannte formalästhetische Überlegenheitsrhetorik in Hinblick auf die Auflösung und Wiedergabequalität in Bild und Ton: „Look for these High Definition movies on Blu-ray“. Und auch der Mythos der Interaktivität wird beschworen – interessanterweise immer noch durch die zwischenzeitlich schon selbstverständliche alineare, sprunghafte Anwählbarkeit von Kapiteln und die Möglichkeit des Vor- und Zurückgehens im zeitlichen Verlauf des Films. Mit der Einführung des Videorecorders und der VHS-Kassette wurde dieser Entwicklung Vorschub geleistet, spätestens mit der Durchsetzung der DVD etablierten sich solche alinearen Zugriffsmodi als normalisierte Rezeptionsformen (Corrigan 1991; Hickethier 1995; Zielinski 2003; Distelmeyer 2012). Wichtig für den folgenden Zusammenhang ist das Versprechen einer Blu-Ray-Disc, das fiktionale Universum eines Films um weitere räumlich immersive Dimensionen zu erweitern (Distelmeyer 2012: 162 ff.); ein Ver- sprechen, das suggeriert, man könnte Zusatzfunktionen (Special Features) mit erweiterndem (Meta-)Wissen über den Film rezipieren, „without ever to leave the movie“. Visuell wird dies mit extrahierten und damit stillgestellten, ver- fügbar gemachten Standbildern von Hauptfiguren aus dem beworbenen Film umgesetzt. Die Verräumlichung zielt auch auf die Gestaltung des Menüs als Navigationsraum, der die Bedingung definiert, wie man den Film und sein Uni- versum ‚betritt‘. Besonders deutlich wird die Überlagerung von Fiktion, beworbener Tech- nologie und der auf Einbindung des Nutzers/Users ausgelegten Mise en Relation in dem Teil des Clips, in dem die Re-Edition von close encounters of the third kind (Spielberg, 1977) vorgestellt wird. Der Titel und das Thema des Films – die Begegnung mit extraterrestrischen Lebensformen, die alles verändert – wird auf die Rezeptionsform übertragen. Die Blu-Ray-Disc mit ihren Features ermögliche eine noch nähere Erfahrung des Films in der 25  Change the way to watch movies. Editor’s guide (2012). Sony Pictures: https:// www.youtube.com/watch?v=16h56tTC47M (17.07.2016)  Filmverzeichnis. Franziska Heller - 978-3-8467-6460-2 Heruntergeladen von Fink.de01/03/2022 12:27:50PM via free access Mediale Zirkulation und Mise en Relation 341 Rezeption im heimischen Raum: „Get close and personal with close encounters of the third kind“ (Hervorh. FH). Diesmal werden (im Unterschied zu den Clips, die in  Kap. 4 besprochen wurden) Fragmente aus dem Film eingeführt und kombiniert mit einer kleinen Abbildung der Ver- packung der Blu-Ray-Disc mit dem zeitgenössischen Filmplakat auf dem Cover unten rechts im Bild: Fiktionales Universum und die neue Zugangsform sowie zeitgenössische Paratexte (Filmplakat) werden symbolisch zusammen in einem Bild vereint. Das Versprechen eines Eintretens in eine neue Wahr- nehmungsdimension des Films, der selbst die Geschichte einer Veränderung der Weltwahrnehmung erzählt, wird über die zitierten Filmfragmente ver- mittelt: Türen werden geöffnet, in Großaufnahmen sieht man Figuren aus dem Film überrascht die Augen weiten (Abb. 7.1–7.2). Abb. 7.1 Abb. 7.2 Die Re-Edition dieses Films und seine Fassungsgeschichte26 werden mit der neuen Speicherkapazität der Blu-Ray-Disc verbunden – unter dem Titel des neuen Features eines Editor’s Guide: „With Blu-ray’s unmatched storage 26  Es gibt mittlerweile drei Versionen des Films: 1977 erschien der sogenannte Theatrical Cut, der damals in die Kinos mit einer Dauer von 135 Minuten kam. 1980 drehte Steven Spiel- berg selbst Material nach und schnitt den Film um. Die sogenannte Special Edition kam mit 132 Minuten Länge in demselben Jahr erneut in die Kinos und wurde Grundlage für den ersten Home Video Release. Diese Version war bis 1998 die einzige, die über den Home- Video-Markt im Umlauf war. 1998 schnitt Steven Spielberg den Film erneut um. Diese Schnittversion erschien in jenem Jahr unter dem Label Director’s Cut (Foster 2007). Alle drei Versionen wurden dann 2007 auf einer Blu-Ray-Disc als 30th Anniversary Ultimate Edition wieder veröffentlicht. Diese Edition wird nun hier in dem Clip beworben. Franziska Heller - 978-3-8467-6460-2 Heruntergeladen von Fink.de01/03/2022 12:27:50PM via free access 342 kapitel 7 capacity see all three versions on a sci-fi classic on a single disc“. Zu diesem aus dem Off gesprochenen (Werbe-)Text sieht man ein Menü, das in kleine Bildschirme zerlegt ist, die wiederum ein großes Bild zusammensetzen. Die einzelnen Fenster blinken unterschiedlich in verschiedenen Farben auf und zitieren damit die in dem Film gezeigte Lichtorgel, die das Kommunikations- instrument mit den Außerirdischen darstellt. Darunter befindet sich eine beschriftete Menüleiste: „Play Movie – Director’s Cut – Special Edition – Original Version“ (Abb. 7.3). Abb. 7.3 Dann folgen wieder Filmfragmente, der Ausschnitt eines Dialogs aus dem Film ist zu hören: „You recently had a close encounter.“ – „I wanna speak to someone in charge!“. Der aus der Diegese des Films entnommene Dialogfetzen überträgt sich in der Montage auf die sich nun eröffnenden Möglichkeiten der zukünftigen Nutzung durch einen Zuschauer/Konsumenten: Dieser habe – so die assoziativ vermittelte Botschaft des Clips – mit dem neuen Träger die Möglichkeit, eine Erfahrung zu machen, die seine Wahrnehmung verändert. Der Blu-Ray-Disc-Nutzer könne die Kontrolle übernehmen. Die akusmatische Voice-Over des Clips fährt suggestiv fort: Man könne einen „View from above“ einnehmen in dem sogenannten Editor’s Guide. Vor den blinkenden einzelnen Fenstern der Lichtorgel erscheinen nun bei der Anwahl des ent- sprechenden Features in der Menüzeile darunter drei nebeneinanderstehende Textblöcke, die die jeweilige Einstellung in Textform verorten: Activating View from Above provides In-Movie-Pop-Up Graphics which point out differences in the Special Edition and Director’s Cut, as compared to the Original Version of the film. Look for the icons below as you are watching the version of your choice (Hervorh. FH). Franziska Heller - 978-3-8467-6460-2 Heruntergeladen von Fink.de01/03/2022 12:27:50PM via free access Mediale Zirkulation und Mise en Relation 343 Der Vergleich, so die Darstellung in dem Clip, funktioniert über Texttafeln, die jeweils Zusatzinformationen zu der gezeigten Szene enthalten – die Szene in Beziehung setzend zu den anderen auf der Disc enthaltenen Versionen: „This scene/shot does not appear in the original version“ oder „the original version contains a scene which is not in the currently viewed version (a short scene description of the missing scene is provided)“ (Abb. 7.4–7.5). Abb. 7.4 Abb. 7.5 Das Beispiel changiert zwischen Auratisierung und digitalen performativen Aneignungsversprechen. Der hier dispositivisch angepriesene Mehrwert der Blu-Ray-Disc findet sich in der Verheißung auf die Einbindung des Zu- schauers über den Modus des Vergleichens: Nicht nur das Filmerlebnis steht Franziska Heller - 978-3-8467-6460-2 Heruntergeladen von Fink.de01/03/2022 12:27:50PM via free access 344 kapitel 7 im Mittelpunkt, sondern das differenzielle Erlebnis dreier Versionen – an- gepriesen als seinerseits neue Wahrnehmungsform, die weniger quellen- philologisch reflektierend wirkt, als vielmehr ein auf Variation aufbauendes vertieftes Eintauchen in das Universum der Fiktion verspricht; die Fiktion ist nicht mehr allein die lineare Erzählung, sondern umfasst nun einen ganzen Erlebnisraum des Vergleichs von narrativen und atmosphärischen Konstanten und Variationen. Dadurch erhält der Film als verlässliches Werk und als Text einen prekären Status – und dies, obwohl er von der Off-Stimme gleichzeitig als „Sci-Fi-Classic“ tituliert wird und damit diskursiv einen über- zeitlichen ‚Ewigkeitswert‘ zugeschrieben bekommt. Allerdings – und dies ist eine neue (paradoxe) Wendung – lässt sich nun die Erfahrung, dass es ver- schiedene historische Versionen des Films gibt, als sinnliche Vermittlung der Konsekrationserfahrung begreifen, die sich an der Relativität des Filmwerkes und dessen Erfahrung festmacht. Für die Wahrnehmung der Filmerzählung in einer Version bedeutet dies: Sie ist immer eine der möglichen Optionen, es könnte auch anders sein. Damit erhält der Film als Werk und als diegetisches Universum etwas Mystisches, das sich dem Zuschauer, immer über das Aktuelle hinausweisend, entzieht. Der Zu- schauer kann zwar mit der Blu-Ray-Disc zum Entdecker des Geheimnisses des filmischen Universums werden: „Versions of your choice“; das heißt, zum einen wird Nähe mit der geheimnisvollen filmischen Story versprochen. Aber gleich- zeitig – durch den ständig möglichen alternativen Filmtext – verweist die Ko- existenz der Versionen immer über die aktuelle Wahl hinaus und erweitert das fiktive Universum in einer Projektion auf dieses unbestimmte Mehr. Gerade in der ständigen Präsenz der Möglichkeit einer imaginären Alternative – in der Relativierung des aktuell präsenten diegetischen und ästhetischen Gefüges – vermittelt sich die Erfahrung einer nach wie vor bestehenden Unerreichbar- keit. Hier zeigt sich das Paradox in Benjamins Theorem, wenn man es auf aktuelle digitale Distributions- und Zirkulationsprozesse anwendet: Gerade das Erlebnis der Versionenhaftigkeit trägt zur Auratisierung von Filmen in der digitalen Reprise bei. Es fällt auf, dass der Clip, ähnlich wie die bereits in den Analysen in  Kap. 4 besprochenen Beispiele, insbesondere mit fragmentarischen Filmausschnitten arbeitet, die Superhelden oder Mutanten zitieren. Die narrativen Implikationen einer solchen Bebilderung der Qualitäten einer Blu-Ray-Disc verweisen somit erneut auf das Versprechen einer neuen Wahrnehmungsform, die das mensch- liche Wahrnehmungsvermögen übersteigt und transformiert. Es zeigt sich das Versprechen der Transzendierung des eigenen Körpers – zunächst über die sinnliche Erfahrung eines Films auf Blu-Ray-Disc. Daneben kommt aber eine weitere Ebene hinzu: Dem Zuschauer als aktivem Nutzer wird suggeriert, dass Franziska Heller - 978-3-8467-6460-2 Heruntergeladen von Fink.de01/03/2022 12:27:50PM via free access Mediale Zirkulation und Mise en Relation 345 er das Filmerlebnis um die Metaebene des Versionenvergleichs – wiederum eine eigene mediale Erfahrung über den reinen kognitiven quellenphilo- logischen Erkenntnisgewinn hinaus – relational noch erweitern kann. Man könnte in diesem Sinne in einer etwas weiteren Auslegung die eigentlich metafilmisch gemeinte Bezeichnung der Funktion View from Above nicht nur als neue Perspektive auf den Film im Modus des Vergleichs von Versionen begreifen. Vielmehr legt der Begriffsgebrauch überdies eine mystifizierende Lesart nahe, die auf eine unsere (Wahrnehmungs-)Welt transzendierende höhere Macht deutet. So erhält die eigentlich quellen- philologisch sich strukturierende Funktion eine fast sakrale Bedeutung: Die Produktion des (buchstäblichen) Glaubens findet beim nutzenden Konsu- menten in der performativen Erfahrung der Mise en Relation statt, in der der jeweilige Montagezusammenhang einer Version nur eine augenblickhafte Manifestation zwischen anderen möglichen darstellt. Unter diesen Vorzeichen imprägnieren die Wahl- und Nutzungsmöglichkeiten eines alternativen Film- erlebnisses die aktuelle Version mit Elementen des Transzendenten. Über die diskursive Bezeichnung als Filmklassiker hinaus wird auf diese Weise dispositivisch-räumlich die Konsekrationserfahrung vermittelt, die auf die Relativierung einer Version setzt. Der wählende und vergleichende Zuschauer performt somit kulturhistorische Bedeutsamkeit, wenn er sowohl sich selbst wie auch die Filmversionen zueinander in einer Haltung der Mise en Relation erlebt. 7.5 Voyeuristische Versprechen des Dispositivs. Fifty Shades of Grey (2015) und Dressed to Kill (1980) „As media industries offer consumers the rhetoric of intimacy (i. e., ‚secrets‘ of the cinema) and mastery (i. e., technological expertise of media knowledge), they enhance the sense of owning a personal product“. (Klinger 2006a: 89) Eine Variation der Funktionalisierung von vergleichenden Wahrnehmungs- haltungen in digitalen Dispositiven stellt die bewusste Verführung zum wieder- holten Schauen eines Werkes dar.27 Insbesondere im Rahmen des heimischen Raumes kann dies als eine tatsächlich spatiale Form der intimen Aneignung und Bindung an das filmische Werk und dessen Erfahrung verstanden werden. 27  Zum Zusammenhang und zur Bedeutung von Mehrfachschauen und Fankulturen vgl. H. Jenkins (1992: 68 ff.). Franziska Heller - 978-3-8467-6460-2 Heruntergeladen von Fink.de01/03/2022 12:27:50PM via free access 346 kapitel 7 Dabei kann das Mehrfachschauen als Gestus der Einweihung in ein Geheim- nis vom Dispositiv evoziert und provoziert werden.28 Die folgenden Beispiele machen dies mit ihren spezifischen wirkungsästhetischen Strategien sinnfällig und zeigen dabei zugleich die Inkorporierung der Relativität von Filmwerken in kulturindustriell geprägte, geschichtsbildmodellierende mediale Prozesse. Letzteres ist bei dem ersten Beispiel insofern interessant, als es sich bewusst um einen relativ jungen Film handelt. Das Exempel zeigt, wie sehr die hier grundsätzlich formulierten Problemstellungen häufig auch bei Editionen aktueller Filme virulent werden, wenn sie in die digitale Zirkulation eintreten. Mittelbar wird darüber deutlich, dass damit die Vorstellung einer zeitlichen Differenz zwischen ‚älter‘ und ‚aktuell‘ im Zeichen einer solchen dynamischen Medienumgebung für Filme sich extrem verkürzt und in höchstem Maße relational-kontextuell zu denken ist. Wichtig ist zudem zu berücksichtigen, was eigentlich der Konsekration und Auratisierung unterliegt: der Film oder das spezifische filmische Erlebnis in der digitalen Reprise durch und mit der DVD oder in einem anderen digitalen Dis- positiv? Im Falle der DVD-Edition 2015 (Universal) des sogenannten Skandal- films Fifty Shades of Grey (Taylor-Johnson, 2015) wird augenscheinlich zunächst auf ähnliche Mechanismen, wie anhand des zuletzt behandelten Beispiels beschrieben, gesetzt, wenn es um den Mehrwert einer DVD in der Offerierung einer weiteren Version geht: Auf der deutschen DVD steht oben auf dem Cover in großer Schrift „Unveröffentlichte Filmversion“, darunter in etwas kleinerer Schrift „Original-Kinofassung“. Was in diesem Beispiel aber als Variante der Konsekrationsakte hinzukommt, ist die Provokation sexuell auf- geladener, voyeuristischer Rezeptionserwartungen, die sich vom Filminhalt auf das Dispositiv und damit auch auf die editierten Versionendifferenzen überträgt.29 Der Film erzählt die Geschichte der Beziehung zwischen einer jungen Uni- absolventin und einem Millionär, die sexuelle Grenzen in ihrer Explizitheit vor allem mit BDSM-Praktiken scheinbar überschreitet. Zusammen mit der jungen Protagonistin soll der Zuschauer in diesen neuen sexuellen Lifestyle eingeführt werden. Im Deutschen trägt der Film insofern den ergänzenden Zu- satztitel „Geheimes Verlangen“. Auf der Inhaltsebene spricht der Film bereits Schaulust, eine suggestive Rezeptionserwartung an, die auf die fetischisierende 28  Vgl. grundsätzlicher zum Zusammenhang von Mehrfachschauen und dem Markt für das Heimkino Barlow (2005) und Klinger (2006a). 29  Zur generellen „Rhetorik der Intimität“ im Kontext von Heimkinodispositiven und ent- sprechenden Filmeditionen: Klinger (2006a: 89). Franziska Heller - 978-3-8467-6460-2 Heruntergeladen von Fink.de01/03/2022 12:27:50PM via free access Mediale Zirkulation und Mise en Relation 347 Ersatzbefriedigung durch den kinematografischen Voyeurismus ausgelegt ist. Die englische Tagline des Films richtet sich noch deutlicher an die Neugier des Zuschauers: „Are you curious?“.30 Im Dispositiv der DVD aus dem Jahre 2015 überträgt sich dies wie folgt auf die Präsentationsform mit Blick auf die Versionenhaftigkeit von Film: Zu- nächst sieht man sich einem inszenatorisch relativ zurückgenommenen Menü gegenüber. Einzelne Stills aus dem Film sind in einer Collage miteinander kombiniert, die Farben sind den Bildern entzogen und betonen – auf den Titel verweisend – die Grautöne. Im Fokus steht eine größere Aufnahme der beiden Protagonisten, die sich in einem Close-up in einer Profilaufnahme aufeinander fixiert in die Augen schauen (Abb. 7.6). Abb. 7.6 Darüber ist die junge Protagonistin lasziv nackt auf dem Rücken liegend zu sehen, ihre Augen mit einer Maske verbunden. Sie präsentiert ihren Kopf der Kamera. Die simplen Menü-Icons befinden sich rechts oben in Schwarz auf weißem Grund: Play – ein Buch (= Kapitel) – ein Lautsprecher und ein Icon für die Sprachwahl. Was dann aufgrund der simplen Gestaltung der DVD über- raschen mag: Wenn man das Play-Icon anwählt, eröffnen sich gleichberechtigt zwei Optionen (Abb. 7.7). In einer weißen Mittelspalte erscheinen untereinander die beiden anwähl- baren Schriftzüge „Kinofassung“, darunter „unveröffentlichte Filmversion“ (wie die DVD-Packung anzeigt: mit alternativem Ende). Die beiden seitlichen rahmenden Bilder aus dem Film erscheinen wie ein Kommentar zu dem, was 30  Vgl. http://www.imdb.com/title/tt2322441/taglines (19.07.2016). Die 2017 erschienene deutsche DVD-Edition des zweiten Teils von Fifty Shades Darker (Foley, 2017) wirbt ihrerseits in Anspielung auf den Maskenball, der in diesem Teil der Trilogie einen tat- sächlichen Schauplatz der Handlung darstellt, neben der Originalkinofassung mit einer weiteren „unmaskierten Filmversion“. Franziska Heller - 978-3-8467-6460-2 Heruntergeladen von Fink.de01/03/2022 12:27:50PM via free access 348 kapitel 7 Abb. 7.7 die jeweiligen Versionen versprechen. In der Lese- und damit Schaurichtung von links nach rechts sieht man zunächst auf der linken Seite einen männ- lichen Torso im Anzug, der um seine Hand eine Krawatte gewickelt hat (eine Andeutung möglicher Fesselspiele). Das wohlgeformte, markante Gesicht des Mannes ist bewusst der begehrlichen Projektion des DVD-Nutzers überlassen, indem es knapp über der Nase abgeschnitten ist und damit die Augen ins Hors- Cadre des Bildes verlegt sind. Ähnlich mit Andeutungen spielend erscheint das Bild auf der rechten Seite, das ebenfalls in einem grau-schwarzen Farb- spektrum in einer seitlichen Nahaufnahme ein weibliches Gesicht zeigt, dessen Mund lustvoll leicht geöffnet ist; Finger streichen sanft über seine Lippen. Der Fokus liegt in vollem Umfang auf dem geheimnisvollen sinnlich-körperlichen Ausdruck, da wieder die Augen außerhalb des Bildes liegen. Buchstäblich in diesem Rahmen wird man – im Vergleich zu anderen DVD-Menüs – relativ hierarchiefrei vor die Wahl gestellt, welche Version man nun schauen möchte: Die Kinofassung, die als distribuierte Fassung in der öffentlichen Wahrnehmung die maßgebliche Referenz, auch die der öffentlichen Diskussion um den Film, darstellt? Oder aber eine Fassung, die einem als Eigentümer der DVD zu Hause, in dem Aneignungsmodus des Privaten einen exklusiven Einblick in sexuelle Geheimnisse verspricht? Dies bedeutet – eben in Verbindung mit dem Filminhalt – ein zusätzliches voyeuristisches Versprechen auf einen Blick durch das ‚Schlüsselloch‘, hier in Form der DVD als digitalem Dispositiv, dieses vermeintlich neue sexuelle Horizonte zeigenden Films. Das in dieser Art gestaltete Menü verführt von vornherein dazu, den Film in verschiedenen Fassungen mehrfach anzusehen und nicht nur aus der Narration Unterhaltung zu ziehen, sondern aus der Franziska Heller - 978-3-8467-6460-2 Heruntergeladen von Fink.de01/03/2022 12:27:50PM via free access Mediale Zirkulation und Mise en Relation 349 Erfahrung der aktiven Suche nach Differenz und Wiederholung zwischen den einzelnen Versionen. Hierbei ist interessant festzustellen, dass es – anders als im vorigen Beispiel – keine interaktive Vergleichsoption gibt. Das Menü legt die mediale Erfahrung auf die Sukzession fest. Die Versionen müssen zunächst unabhängig voneinander linear rezipiert werden.31 Somit verlegt sich der Vor- gang des Vergleichens in die Erinnerung und die Vorstellung des Zuschauers. Dadurch dient die Kopräsenz der Versionen auf einem Träger wieder dem Ge- fühl der Erweiterung des fiktiven Universums, des tieferen Eintauchens. Die Konsekration vermittelt sich hier im Versprechen der Befriedigung von Schau- lust. Es wird der Glaube produziert, man werde in ein sinnliches Geheim- nis eingeweiht und erlebe dessen Offenbarung. Damit trägt die DVD zur Auratisierung des fiktiven filmischen Universums bei. Über die differenzielle Relation der unterschiedlichen Filmversionen wird das diegetische filmische Universum mit einem lustvollen Potenzial weiterer verheißungsvoller An- und Einsichten aufgeladen. Gleichzeitig wird mit Blick auf den Zuschauer/DVD-Nutzer und die Funktionalisierung seiner Wahrnehmung eine bedeutsame Verschiebung er- kennbar. Im Unterschied zu Re-Editionen, die mit ihrem Begleit- beziehungs- weise Bonusmaterial, dem präsentierten Reichtum an filmischen Varianten, letztlich auf den cinephilen Fetisch eines quellenphilologisch formal mög- lichst vollständigen Werkes setzen, wird bei der hier analysierten Edition von Fifty Shades of Grey das Dispositiv der formalen Zugriffsmöglichkeiten überlagert und bestimmt von der Zurichtung der sexualisierten Schaulust, die sich mit dem spezifischen Sujet des Films verbindet: Voyeurismus und SM-Fesselspiele (in des Wortes doppelter Bedeutung). Dadurch kommt dieser Edition eine Autorität der Sinnlichkeit zu, die die skopophile Neugier und die Wahrnehmung des Zuschauers mit dem Sujet des Films konfiguriert und zum Objekt des Fetischismus selbst werden lässt. Gleichzeitig entscheidet der Zu- schauer/DVD-Nutzer über die Selektion im Menu, in welcher Form er der Ver- führung nach- und sich einer Version der Filmerfahrung hingibt. Das Versprechen eines Vergleichs im Modus der sexualisierten Schaulust lässt sich mit der Fassungs- wie (digitalen) Editionsgeschichte von Dressed to Kill (De Palma 1980) analytisch weitergehend ausführen, wobei hier auf- grund des größeren zeitlichen Abstands zur Produktionszeit des Films film- historiografische Aspekte deutlicher in den Blick geraten. Darüber hinaus 31  Zur Erinnerung: Beim Film gibt es keine Standards und einheitlichen Praktiken, wie sie die aus der Editionsphilologie bekannte Unterscheidung einer historisch-kritischen Edition, einer Studien- und/oder Lesefassung etwa vermittelt; vgl. grundsätzlich zu dem Problem der Re-Edition älterer Filme Bohn (2013b: 297–314). Franziska Heller - 978-3-8467-6460-2 Heruntergeladen von Fink.de01/03/2022 12:27:50PM via free access 350 kapitel 7 speist sich inhaltlich gesehen der pasticheartig angelegte Erotikpsychothriller Dressed to Kill narrativ, motivisch und formalästhetisch aus Zitaten und Anspielungen auf bekannte Hitchcock-Klassiker wie Rear Window (1954), Vertigo (1958) und Psycho (1960). In einer filmhistoriografisch wirksamen Dimension erfüllt De Palmas Film mit seiner Fassungsgeschichte und seinen digitalen Re-Editionen somit eine doppelte Funktion: Zum einen hat er inhaltlich schon ein postmodernes Verhältnis zur Film- und Kinogeschichte, zum anderen zeitigt seine eigene Editionsgeschichte Zeitschichtungen aus Aktualisierungen und Neukonfigurationen bestimmter Narrative aufgrund von Zensureingriffen.32 2001 brachte MGM eine DVD des Films heraus, die mit dem Label Special Edition versehen war. Diese Edition vereinte sowohl die anfänglich öffentlich gezeigte „R-rated theatrical cut“-Version wie auch die explizitere „unrated extended cut“-Version zusammen auf einer Disc (Suarez 2001).33 Die un- geschnittene Fassung ist nur 30 Sekunden länger als die zensierte Version und wird von dem Kritiker Suarez wie folgt beschrieben: „What you get with the unrated version is a bit more nudity in the opening shower scene (below the waist), and a few more explicit slashes with the killer’s straight razor. Each added shot lasts for a matter of seconds“ (Suarez 2001). Lobend hebt Suarez besonders das „full-on special edition treatment“ hervor, das MGM auf der DVD 2001 dem Film habe zukommen lassen. Insbesondere gebe es A Film Comparison: The 3 Versions of Dressed to Kill. In diesem Vergleichsclip werden Split-Screen-Konfigurationen gezeigt, in denen Frag- mente der verschiedenen Versionen gleichzeitig ablaufen. Sie sollen die ver- schiedenen inhaltlichen Differenzen zwischen der R-rated, der Unrated und dann (später) der Network-Television-Version des Films illustrieren (Abb. 7.8). Dieser Zusatz vermittelt als eigener Filmclip nicht nur das philologisch interessante kognitive Wissen um von der Zensur vorgenommene Kürzungen. Vielmehr verspricht der Clip auch gleichzeitig eine Befriedigung der Schau- lust auf ein Mehr der unzensierten Fassung – und das bei einem Film, bei dem es inhaltlich ebenfalls um voyeuristische Perversionen und über Blicke ausgelöste Mordphantasien geht. Der Vergleichsclip entwickelt eine ganz eigene Wirkung, da die gezeigte Sequenz, die schon zu Beginn vergleichend aus beiden Versionen (zensiert und unzensiert) simultan abläuft, ganz im Stile seiner filmhistorischen Referenz Psycho (1960), einen lustvoll konnotierten, 32  Zu einem ähnlichen Zensurfall vgl. unten die Analyse von Die Schönste  Kap. 7.7. 33  Zur Erklärung der für Editionen wichtigen Speicherkapazität von digitalen Trägern und zu dem Begriff des hier zum Einsatz kommenden Seamless Branching vgl. http://www. bluray-disc.de/lexikon/seamless-branching (19.07.2016). Franziska Heller - 978-3-8467-6460-2 Heruntergeladen von Fink.de01/03/2022 12:27:50PM via free access Mediale Zirkulation und Mise en Relation 351 Abb. 7.8 fragmentierten Frauenkörper in Nahaufnahme inszeniert. Der Ausschnitt aus De Palmas Film, der hier aufgenommen wird, spielt mit verschiedenen Blick- positionen und -winkeln. Unterstützt wird die sinnliche Wirkung dadurch, dass diese Split-Screen-Konfiguration mit diegetischem Ton versehen ist – zunächst mit einer erotisierenden Melodie, dann in der unzensierten Version bis hin zum Schrei der blonden Frau, die plötzlich unter der Dusche mit dem Rasiermesser angegriffen wird. Es scheint fast paradox: Stilistisch setzt der eigentlich metafilmische Fassungsvergleich – ‚verpackt‘ als DVD-Zusatzbeigabe – fort, was stil- und filmgeschichtlich bei Hitchcock anfing. Hitchcocks berühmte Duschszene fragmentierte über die Montage und die Bildgestaltung den Frauenkörper unter der Dusche, um die Zensur zu umgehen und zugleich den Zuschauer mit seiner Schaulust und sexualisierten Phantasie einzubinden. De Palma greift dies motivisch in postmodern-manieristischer Art und Weise auf (Allen 2014/2011) und stilisiert die angelegten wirkungsästhetischen Elemente. Diese werden nun unter der Maßgabe eines neuen Dispositivs und der damit ein- hergehenden Warenästhetik, die zunächst einmal quellenphilologisch an- mutet, in eine neue Bildkonfiguration – die des Split Screens – überführt. Im Zusammenspiel einer Reprise und der damit einhergehenden Re-Montage generieren die einzelnen wirkungsästhetischen Elemente eine spezifische mediale Erfahrung, die die Fragmentierung des Frauenköpers verdoppelt, wenn nicht gar vervielfacht. Unterstützt durch die Musik ergibt sich so eine neue Wahrnehmungsform des weiblichen Körpers, der auf diese Weise zum multidimensionalen Lustobjekt wird und der multiplizierten Schaulust des Franziska Heller - 978-3-8467-6460-2 Heruntergeladen von Fink.de01/03/2022 12:27:50PM via free access 352 kapitel 7 Zuschauers anheimgegeben ist. Dies findet sich noch unterstützt durch bild- gestalterische Elemente, die bereits im Film enthalten sind, wie etwa in Form von Spiegelungen oder Aufnahmen durch den Wasserschleier des Dusch- strahls. Insofern ist Suarez’ Fazit zu der DVD-Edition 2001 sehr wörtlich zu nehmen: Still, long time fans of this film will be more than pleased with MGM’s work with this DVD. The audio and video presentation of this disc are exceptional given the film’s age […] and the quality of the supplements make the disc even more attractive (Suarez 2001, Hervorh. FH). Was hier deutlich wird: Der Fokus der Auratisierung hat sich verschoben. Es ist nicht nur das historische Filmwerk Dressed to Kill, das Objekt der Begierde wird. Vielmehr ist es nun auch die (digitale) Überlieferungs- geschichte des Werks als Cluster, die neue mediale Phänomene ausbildet, welche ihrerseits Sehsüchte kreieren. Was eigentlich als warenästhetisches Mehrwertversprechen des Trägers und der Zugangsform gedacht war, trägt zur Fetischisierung bestimmter exklusiver ästhetischer Aspekte des Films bei und überträgt diese – ohne die in De Palmas Film angelegten kritischen selbst-reflexiven Brechungen – in eine neue mediale Konfiguration: Der Film, spezifische Wahrnehmungsstrategien, seine Überlieferungsgeschichte und Zugangsform gehen wirkungsästhetisch eine Symbiose ein, wobei gerade in der Vervielfachung der Perspektiven die wechselseitige Auratisierung liegt. Hervorzuheben an dem Fall ist darüber hinaus, dass sich diese Form der clusterförmigen Auratisierung in digitalen Distributionskanälen in der Zeit fortschreibt – was wiederum neue ästhetische Formen der Verhältnissetzung kreiert, die ich in ihren Effekten als die Konsekrationserfahrung begreife. 2015 hat Criterion dann eine Blu-Ray-Special-Edition des Films veröffent- licht, in deren Rahmen der oben beschriebene Clip über die Zensur des Films aufgegriffen und re-kontextualisiert wurde.34 Mit Bezug auf diese Edition von Criterion wird von der Rezensionswebseite DVDBeaver.com besonders betont, was auch das entsprechende Begleitheft der Blu-Ray-Disc selbst in Hinblick auf Autorschaft hervorhebt: „Transfer supervisor: Brian De Palma; Colorist: Lee Kline/Criterion, New York“ (Tooze 2011–2015). An dieser Darstellung fällt auf, dass De Palmas Autorschaft35 sich in diesem Diskurs nicht mehr nur auf die Inszenierung des Films selbst, sondern auch auf den digitalen Reproduktions- 34  Die Edition beinhaltet – so die Beschreibung von Criterion selbst – „[p]ieces from 2001 about the different versions of the film and the cuts made to avoid an X rating“; vgl. die Criterion-Website https://www.criterion.com/films/28686-dressed-to-kill (19.07.2016). 35  Vgl. zum weiteren Diskurs um DVDs und auteurism Grant (2009). Franziska Heller - 978-3-8467-6460-2 Heruntergeladen von Fink.de01/03/2022 12:27:50PM via free access Mediale Zirkulation und Mise en Relation 353 prozess des Films – den Transfer in die digitale Domäne – bezieht. Durch die weiteren genauen Angaben der verwendeten Ausgangsmaterialien und der Aufnahmeapparatur (Scanner etc.) vermittelt Criterion eine aus quellenphilo- logischer Perspektive zu lobende Transparenz im Vergleich zu sonst meist nur bedingt informativen Angaben in der digitalen Filmdistribution.36 Gleichzeitig geraten diese Informationen zu warenästhetischen Elementen der Edition des Films und tragen zu dessen Konsekration bei. Das Prestige – die kulturelle Autorität – wird durch das Versprechen der vom Autor bezeugten historischen Authentizität kreiert. Gleichzeitig werden alle Entscheidungen – so die öffentlich sichtbare Darstellung von Criterion – dem Ziel untergeordnet, ein möglichst ungebrochenes immersives ästhetisches Er- lebnis des Filminhalts zu ermöglichen.37 So wird auch der Verantwortliche für die digitale Licht- und Farbbestimmung (Color Grading) zum nobilitierenden Koautor, da er die Farbanpassung unterschiedlicher, hier zusammengeführter Versionen vorgenommen hat – zugunsten einer möglichst in sich kohärenten ästhetischen Erscheinung des Films.38 Das ausgewählte filmrestauratorische 36  Der Kritiker Tooze (2011–2015) zitiert das Begleitheft von Criterion noch ausführlicher, in dem wie folgt geschrieben wird: „The version of the film included here is director Brian De Palma’s original and preferred unrated cut. Supervised by De Palma, this new digital transfer was created in 4K resolution on a Scanity film scanner from the 35mm original camera negative; a 35mm interpositive was also used for additional footage for this cut. […] Thousands of instances of dirt, debris, scratches, splices, and warps were manually removed using MTI’s DRS, while Digital Vision’s Phoenix was used for small dirt, grain, noise management, jitter, and flicker“ (Hervorh. FH). Hier wird in vielerlei Hinsicht deut- lich, wie bei aller Dokumentation der Quellenlage, der verwendeten Technologien und damit des Digitalisierungsdispositivs auch in den Formulierungen Konsekrationsrhetorik zum Tragen kommt: etwa die unter anderem an der Person Brian De Palmas festgemachte Re-Autorisierung des Digitalisierungsprozesses, die Vermittlung des großen Aufwands des Restaurierungsprozesses u. v. m. 37  Dies geschah vor allem durch das Anpassen der Farben, sodass die unterschiedlichen filmischen Quellenmaterialien nicht mehr im Fluss des Films zu unterscheiden sind. In- sofern sind auch Gebrauchsspuren (Fehler und Schäden) entfernt worden. 38  Vgl. ähnliche Praktiken in Hinblick auf die Nobilitierung einzelner analoger Film- kopien. Solche Praktiken der personenorientierten Konsekration sind im Kontext der Deterritorialisierung von Filmen im digitalen Zeitalter zu sehen: So wurde etwa auf dem Festival Il Cinema Ritrovato in Bologna im Jahr 2016 nicht nur die Aufführung des Films The Band Wagon als Starmusical mit Fred Astaire und als ein Zeugnis des Technicolor-Farbverfahrens anlässlich eines Screenings auf der prestigeträchtigen Open-Air-Vorführstätte der Piazza Maggiore präsentiert; zudem wurde vor allem die Be- sonderheit prominent ausgestellt, dass die projizierte Vorführkopie aus der Sammlung von Martin Scorsese stammte. Insofern fungierte – ganz im Sinne Bourdieus (2011c) – der Sammler beziehungsweise der Besitzer des Kunstobjekts in diesem Kontext als wert- steigernde Größe zum Zweck der Bildung von symbolischem Kapital. Franziska Heller - 978-3-8467-6460-2 Heruntergeladen von Fink.de01/03/2022 12:27:50PM via free access 354 kapitel 7 Wissen, das sich hier mitteilt, ist als Teil von Konsekrationsakten im Zeichen von Digitalisierungsprozessen und digitalen Editionen zu verstehen. Dies ist wiederum im Austauschverhältnis mit dem Filmerlebnis zu sehen. In  Kap. 5 habe ich bereits im Kontext von Restoration Talks zu digitalen State-of-the-Art-Technologien entwickelt, wie der Zuschauer über den lustvoll-immersiven Konsum des digitalisierten Films ebensolche Formen der Konsekration (nach)vollziehend affirmiert. Ich habe diese Form der wir- kungsästhetischen Vergegenwärtigung des Technoimaginären digitaler Res- taurierungen, welche sich über das Erleben des restaurierten Filmes vermittelt, auch digitale Performance genannt ( Kap. 5). In der digitalen Überlieferungsgeschichte von Dressed to Kill zeigen sich darüber hinaus noch weitere Phänomene, die den Zuschauer/Nutzer als (Nach-)Vollzugsinstanz in Vermittlungen digitaler Qualitäten des Films einbinden – wieder vorrangig über Modi des Vergleichens: Auf DVDBeaver.com vergleicht Tooze 2015 nicht mehr nur die (analogen) Filmversionen, sondern der Fokus verschiebt sich auf die digitalen Versionen, die sich wiederum im Zeichen ihrer Dispositive in die Fassungs- und Versionengeschichte ein- schreiben. Hierbei werden neue Bildregister kreiert. Zum einen sind dies vergleichende Konfigurationen von Graphen und Bitraten, die in abstrakt- technizistischer Form illustrieren sollen, wie viel Information, welche Daten- mengen sich auf der DVD als Film befinden und wie sich diese in der Zeit verhalten und verteilen (Abb. 7.9).39 39  Hier sei erneut darauf hingewiesen, dass etwa die ästhetischen Ausprägungen von ‚Metatexten‘ zu Filmen auf Webseiten fruchtbar mit Debatten um die Produktivität einer cinephilen, partizipatorischen Fankultur (u. a. H. Jenkins 1992) in der Digital- kultur weiterzudenken wären. Eine vertiefende Einlassung würde aber an dieser Stelle den Argumentationsrahmen in Hinblick auf meine spezifische Fragestellung sprengen; vgl. einführend zu dem Zusammenhang von digitaler Fankultur, Produktion, Ökonomie, Kulturindustrie und Konsum überblicksartig in einer ethnografisch imprägnierten Perspektive Einwächter (2014: bes. einführend 9 ff.). Den Schlüsselbegriff stellt hier – ins- besondere in einer digitalen Medienumgebung – der Neologismus Produser beziehungs- weise Produsage dar (Bruns 2008). Zu den Aspekten solcher Erscheinungen in Bezug auf Fragen der Erinnerungskultur im Kontext des Internets als „Archive des Affekts“ vgl. Gehl (2011), zit. n. Einwächter (2014: 190). Zu den abstrakten Bildregistern der im vorliegenden Gegenstandsbereich ent- stehenden Darstellungsmodi von ‚digitalen Eigenschaften‘ – etwa in Form von Graphen – wären erweiternde Anschlüsse an Überlegungen der Diagrammatik denkbar: So hat etwa Krämer (2009) über die visuelle Epistemologie der abstrakten Darstellungsformen nach- gedacht. Flückiger (2011) reflektiert Rodowick (2007), wenn sie die Präsentation von Problemstellungen in Diagrammen angesichts filmischer Phänomene als „metaphorische Vermittlungsinstanz“ zwischen Bildlogik und Sprachlogik beschreibt: als einen „Schritt Franziska Heller - 978-3-8467-6460-2 Heruntergeladen von Fink.de01/03/2022 12:27:50PM via free access Mediale Zirkulation und Mise en Relation 355 Abb. 7.9 Auf der wirkungsästhetischen Ebene werden somit neuartige Bildvergleiche kreiert, die nur noch im pragmatischen Kontext mit dem Film als Digitalisat zusammengebracht werden können. Aber auch hier wird in der Abstraktion ein vergleichender Blick etabliert, der eine Aussage über die Qualität des Films als Digitalisat vermitteln soll. Damit schreibt sich dieses technizistisch argumentierende Bildregister in den warenästhetischen Diskurs um die heutige Zugangsform des Films ein. Auf der anderen Seite werden auf (solchen) Foren und Rezensionsweb- seiten neue metafilmische Bildserien produziert, die sich im Gegensatz zu der abstrakten Visualisierung allerdings noch im mimetischen Bereich bewegen. Es werden konkrete Bildvergleiche verschiedener Filmeditionen konfiguriert (Tooze 2015). Hier werden einzelne Stills des Films aus den jeweiligen Versionen und Editionen neben- oder untereinander dem Benutzer der Webseite zum Nachvollzug des Vergleichs offeriert (Abb. 7.10). zwischen konkreter Anschaulichkeit hin zur konzeptuellen Abstraktion“ (Flückiger 2011: 59–60). Vgl. zu Visualisierungsstrategien von filmischen Strukturen im Kontext filmwissenschaftlich ausgerichteter Digital Humanities Heftberger (2016). In dem hier diskutierten Zusammenhang werden die Bildserien im kulturindustriellen Kontext allerdings vornehmlich als Teil der Warenästhetik und damit Konsekrationserfahrung in wahrnehmungstheoretischer Perspektive gesehen. Franziska Heller - 978-3-8467-6460-2 Heruntergeladen von Fink.de01/03/2022 12:27:50PM via free access 356 kapitel 7 Abb. 7.10 Es ist eine spezifische Art und Weise der Evidenzproduktion, die die Bilder buchstäblich einer warenästhetischen Revision unterzieht, indem sie still- gestellt, neu und selbstreferenziell – aus ihrem narrativen Kontext gerissen – montiert werden. Die Projektion des Lesers erfüllt in dieser Konfiguration eine wichtige Funktion. Es geht darum, den Fortschritt der Technik des digitalen Transfers tatsächlich in den Bildvergleichen zu suchen und wiederzufinden. Hier überlagern sich verschiedene Diskursebenen. Zum einen sind es Diskurs- formationen, die sich auf den faktischen Digitalisierungsprozess (Qualität des Transfers), auf das Speichermedium oder das Wiedergabegerät40 beziehen. Zum anderen sind auch pragmatische Aspekte der Diskursbildung im seiner- seits digitalen Medium des Internets mit seinen Darstellungs- und speziellen Kommunikationsformen von Bedeutung. Was bleibt nun festzuhalten über den Film Dressed to Kill heute? Die Fassungsgeschichte, die mit der kulturellen Praxis der moralischen Normierung – der Zensur – begann, entwickelte zunächst im Kontext digitaler Dispositive als Distributionsmedien einen Paratext mit eigener Ästhetik, die die im Film bereits angelegte postmodern-manieristisch angelegte Schaulust in ein neues Format überführt – allerdings eher unfreiwillig. Die in De Palmas Film erkenn- baren medienkritischen Brechungen der Bilder gehen in der Re-Konfiguration des Vergleichsclips weitgehend verloren. Mit weiteren digitalen Versionen des Films gehört dieser ästhetisch vermittelte Versionenvergleich allerdings nun zum Dispositiv und unterliegt selbst einer Reprise. 40  D VDBeaver.com ist hier bemerkenswert transparent und gibt darüber Auskunft. Franziska Heller - 978-3-8467-6460-2 Heruntergeladen von Fink.de01/03/2022 12:27:50PM via free access Mediale Zirkulation und Mise en Relation 357 Darüber hinaus gesellt sich mit den nach 2001 folgenden Versionen ein weiterer Aspekt der Warenästhetik des Films unter den Vorgaben des technizistischen Diskurses im Internet um digitale Qualität hinzu. Dabei entstehen neue Bildregister und -serien, die wiederum in der Öffentlichkeit des Internets einer ständigen Mise en Relation im Dienste einer Evidenz- konstruktion über das Verhältnis der Versionen zueinander unterliegen. Es entfalten sich hier und auch über andere intermediale Paratexte immer wieder neue Zuschreibungen an Instanzen einer Urheber- beziehungsweise Autorschaft, welche für die diskursive Konsekration und Auratisierung des Films sowie der jeweiligen Edition funktionalisiert werden – dies gilt auch für die Re-Autorisierung des digitalen Transfers und der entsprechenden Be- arbeitung. Gleichzeitig wird etwa auf Webseiten versucht, über metafilmische Bildregister in der mathematischen Abstraktion von Diagrammen eine desanthropomorphisierte, objektivierende Instanz zu etablieren, die über technizistische Evidenzkonstruktionen die Bedeutungsautorität zur digitalen Qualität des Films vermitteln soll.41 Der Rezipient steht in all diesen Konfigurationen als affirmierende (Nach-) Vollzugsinstanz des dispositivisch und ästhetisch inszenierten Vergleichs im Zentrum der nachhaltigen Wirkung des medienhistorischen und filmischen Clusters Dressed to Kill, bei dem es zunehmend schwierig wird, einen stabilen (historischen) Ausgangspunkt festzulegen. Letzterer Befund ist bewusst allgemein formuliert, weil es hier nicht allein um das Problem der Bestimmung eines eindeutigen, historisch fixierbaren und verortbaren filmischen Originals gehen kann. Vielmehr legen meine Überlegungen nahe, das Augenmerk auf die wirkungs- ästhetische Dimension zu richten, in deren Rahmen es zu einer nachhaltigen, clusterhaften Verwebung des fiktiven Universums des Filminhalts mit werk- spezifischen ästhetischen Elementen des Films sowie der Warenästhetik der jeweiligen Form der digitalen Reprise kommt. Dies zeitigt Folgen für die Wahr- nehmung des Films sowie seiner Geschichte(n). Wenn De Palma in seinem Film über Prinzipien des Pastiches und des Zitats einen neuen, re-konfigurierenden Blick auf Hitchcock und damit auf die Geschichte der filmischen Schaulust ermöglichen will, so liest sich vor diesem Hintergrund Toozes Fazit zu seiner Editionskritik als Fortschreibung dessen 41  Zur Bedeutung einer partizipatorischen Fankultur in diesem Zusammenhang vgl. die ausführlichen Anmerkungen oben etwa zu H. Jenkins (1992) und Einwächter (2014). Zu abstrahierenden Bildregistern im Feld der Diagrammatik vgl. Krämer (2009) und Flückiger (2011). Zu weiteren Visualisierungsstrategien im filmwissenschaftlichen Kontext und einer an den Formalismus angelehnten Filmanalyse vgl. Heftberger (2016). Franziska Heller - 978-3-8467-6460-2 Heruntergeladen von Fink.de01/03/2022 12:27:50PM via free access 358 kapitel 7 auf der Metaebene – und damit als ein überraschendes Zeugnis der Ver- schmelzung von filmischer Fiktion und digitaler Überlieferung: Die Blu-Ray- Disc-Criterion-Ausgabe von 2015 sei aufgrund ihrer Gestaltung und Austattung zu empfehlen „to those fans looking for a new angle of their viewing“ (Tooze 2015, Hervorh. FH). Hier gilt insofern: Eine bereits in sich pasticheartige filmästhetische Aus- einandersetzung mit der Geschichte kinematografischer Skopophilie und voyeuristischer Bedürfnisbefriedigung bildet in ihrer Überlieferung in der digitalen Domäne auf der Ebene des Dispositivs weitere Elemente aus, die den Filmzuschauer und Dispositivnutzer dazu verführen, zur (Nach-)Voll- zugsinstanz medienhistorischer Referenzen und kultureller Bedeutsamkeit zu werden – und dies dezidiert im Modus des Sinnlich-Begehrenden: der Lust an der Mise en Relation. 7.6 „That is how it could have happened … but how about this“. Möglichkeitsdimensionen eines Filmwerks. Clue (1985), Memento (2000) und Blade Runner (1982) Nachstehend werden einige Fälle besprochen, die aufgrund ihrer varianten- reichen Fassungs-, Überlieferungs- und Distributionsgeschichte erst in be- stimmten Dispositiven und Zugangsformen ihre spezifische Wirkung entfaltet und damit ihr heutiges Prestige erlangt haben.42 Gemeinsam ist den Beispielen, dass die von ihnen erzählte Geschichte sich jeweils im Kontext variierender Formen der Mise en Relation verändert. Diese Versatilität der filmischen Erzählung gerät in der Folge zum Mehrwert im DVD-/Blu-Ray-Dispositiv.43 So realisiert sich etwa im offensiv eingeforderten seriellen Mehrfachschauen, im aktiven Aufsuchen von Differenzen und Wiederholungen seitens des Zu- schauers der auratisierende Mehrwert der Filmwerke, die – so meine These – in medialen Clustern aufgehen. Es geht in den nachstehenden Überlegungen insofern darum, die Konsequenzen für das Erlebnis des Films (beziehungs- weise Filmwerks) fassbar zu machen. Dabei sei an dieser Stelle erneut mein Ansatz hervorgehoben, die Verschmelzung narrativer und filmästhetischer Merkmale des digitalisierten Films mit der jeweiligen Versionengeschichte und deren Aktualisierung in digitalen Dispositiven in den Fokus zu nehmen und als medienhistoriografisch erfahrungsbildend zu verstehen. 42  Für den Hinweis auf das Beispiel Clue danke ich Celia Geering. 43  Zum Problem des Zugangs über Internet, Streaming und VoD vgl. weiter unten. Franziska Heller - 978-3-8467-6460-2 Heruntergeladen von Fink.de01/03/2022 12:27:50PM via free access Mediale Zirkulation und Mise en Relation 359 Im Folgenden werden nun Filme in ihrer digitalen Reprise untersucht, die mit Blick auf ihre Erzählhaltung und narrative Struktur von vornherein mit alternativen Möglichkeitsdimensionen spielen und damit grundsätzlich ein eindeutiges, verlässlich dechiffrierbares zeichenhaftes Verhältnis zur Welt infrage stellen. Es sind Filme, die auf ihrer Inhaltsebene alternative Plotent- wicklungen durchspielen. Eines der bekanntesten und wohl elaboriertesten Beispiele hierfür ist Alain Resnais’ Zwillingsfilm Smoking/No Smoking (Resnais, 1993),44 dessen narrativer Aufbau sich nicht linear entwickelt, sondern – abhängig von der Entscheidung, ob die Protagonistin sich am An- fang eine Zigarette anzündet oder nicht – sich wie ein Entscheidungsdia- gramm entfaltet. Anschaulich ist diese Struktur in grafischer Form im Booklet der DVD-Edition (Pathé Video, 2004) erklärend aufbereitet (Abb. 7.11). Abb. 7.11 Im Verlauf von Resnais’ Film wird die Handlung mit ziemlicher Regelmäßig- keit in Entscheidungssituationen angehalten, wird der Erzählfluss durch Zwischentitel – wie in der Stummfilmpraxis – unterbrochen und die Option auf 44  Zum ästhetischen Vorbild der sogenannten „potenziellen Literatur“, deren strukturellen Merkmalen und Funktionsweisen vgl. auch H.-B. Heller (2001b). Dies schließt auch an meine Ausführungen zu (Erzähl-)Formen des Offenen als Modi der Einbindung des Rezipienten über Erinnerungsaktivitäten an, vgl. Scherer (2001). Franziska Heller - 978-3-8467-6460-2 Heruntergeladen von Fink.de01/03/2022 12:27:50PM via free access 360 kapitel 7 potenzielle Alternativen der Handungsfortführung markiert („ou bien“/„oder auch“) – um sich dann zunächst für eine bestimmte Variante zu entscheiden. Resnais’ Film wird – unter anderen – von David Bordwell in dem Aufsatz „Film Futures“ (2007/2002: 185) zitiert, in welchem der Filmwissenschaftler mit Rekurs auf erzählerische Strukturexperimente des Schriftstellers Jorge Luis Borges das Modell eines sich labyrinthisch entfaltenden forking path für den Film entwickelt. Vor dem Hintergrund der vielfältigen Rezeption von Bordwells Überlegungen in der Filmnarratologie fasst Britta Hartmann 2012 die Merkmale der entsprechenden filmischen Erzählungen wie folgt zusammen: Geschichten mit alternativen Plotentwicklungen, die nacheinander durch- gespielt werden. […] Gemeinsam ist diesen Filmen, dass hier von verschiedenen möglichen Entwicklungen der gleichen dramatischen Grundkonstellation erzählt wird, die von einem gegebenen Zeitpunkt und einem alltäglichen Ereig- nis ihren Ausgang nehmen und zufalls- oder schicksalsgesteuert sind. Doch wo es keine ‚richtigen‘, sondern lediglich alternative, bestenfalls ‚wünschenswerte‘ Plotentwicklungen gibt, kann es auch keine ‚falschen‘ geben. Der Wahrheits- und Geltungsanspruch der Geschichten ist ausgesetzt, wird möglicherweise überlagert von der subjektiven Beurteilung des Geschehens (Hartmann 2012). Was bei Bordwell schon angelegt ist (2007 und 2006), findet unter anderem bei Buckland (2009) und vor allem bei Elsaesser (2009) in Verbindung mit Begriffen wie multiple-draft-narratives, puzzle film und mind-game-film (auch übersetzt mit „Gedankenspielfilm“, Schmerheim 2014) weitere Ausformulierungen: Diese gestalterischen Ausprägungen werden in direktem Zusammenhang mit digitalen Medienumgebungen und den dadurch geförderten Kompetenzen der Rezipienten/Nutzer gesehen. Schon Bordwell verweist auf Computer- und Videospiele (2007: 187) und deren Einfluss auf erzählerische Logiken mit ver- schiedenen Handlungsoptionen und -levels. Daran anknüpfend greift Klinger (2006a: 157) den Begriff puzzle film auf, um strukturelle Eigenschaften auszu- machen, die besonders im Heimkinobereich zum mehrfachen Ansehen eines Films anregen (u. a. auch Schmerheim 2014) und die sich dadurch besonders in die persönliche Erinnerung des Rezipienten einschreiben. Damit wird deutlich: Neben der Einschätzung etwa einer Forking-path- Struktur als inhaltliche Kategorie in Form eines Entscheidungsmoments innerhalb der Narration (ob vom Zufall oder Schicksal gesteuert) werden explizit solche Ausprägungen des Erzählens im Kontext digitaler Medien- technologien und ihrer Möglichkeiten der entlinearisierten, vernetzten Hyper- linkverknüpfungen gesehen. Der auch für elektronische Literatur gebrauchte Begriff des Hypertextes beziehungsweise der Hyperfiktion (Mahne 2007 und 2006; Suter 2000), welche sich eben nicht mehr linear, sondern interaktiv rezipierbar über verräumlichte Linkstrukturen entfaltet, wurde in diesem Zu- sammenhang von Espen Aarseth (1997) als Variante von ergodischem Erzählen Franziska Heller - 978-3-8467-6460-2 Heruntergeladen von Fink.de01/03/2022 12:27:50PM via free access Mediale Zirkulation und Mise en Relation 361 bezeichnet; dieses setze einen aktiveren Rezipienten voraus, welcher sich auf die spielerischen Formmuster, die die Wahlmöglichkeiten eröffneten, einlässt. Wie zu Beginn dieses  Kap. 7 bereits ausgeführt, kommt auf der technisch- epistemischen Voraussetzungsebene der digitalen Domäne an dieser Stelle besonders jenes Prinzip nach Flusser (1992) zum Tragen, das auf der Möglich- keit des Random Access digitaler Daten basiert. Vor allem Distelmeyer (2012) leistet den Transfer dieses Diskurses auf das Prinzip der zu navigierenden Verräumlichung auf die konkreten digitalen Erscheinungsbedingungen von Film in entsprechenden Dispositiven wie Blu-Ray-Disc oder DVD (Distelmeyer 2012: 170 ff.). Im Folgenden untersuche ich solche dispositivisch wirksamen Netzwerk- strukturen, welche bestimmte Ausprägungen der sinnkonfigurierenden Mise en Relation eröffnen und die sich wiederum mit dem Inhalt sowie dem formalen Aufbau des editierten Films verweben, der seinerseits mit Forking- path-Mustern arbeitet. Zusammen, verstanden als Cluster, tragen solche Netz- werkstrukturen dergestalt bei zur Konsekration im Erfahrungsmodus der Relativierung. Das zunächst diskutierte Beispiel beginnt mit seiner Fassungs- und Versionengeschichte schon im vordigitalen Zeitalter, was es für meine Frage- stellung als historisches Exemplum besonders interessant macht. Als der Film Clue unter der Regie von Jonathan Lynn 1985 als Verfilmung des gleich- namigen bekannten Detektivbrettspiels in die Kinos kam, waren – um den Möglichkeitsdimensionen des Spiels Rechnung zu tragen – bereits ursprüng- lich vier verschiedene Enden der Whodunit-Story gedreht worden; vier unter- schiedliche Versionen des Schlusses, in denen jeweils eine andere Figur der Mörder war. Allerdings wurde das vierte Ende bereits während der Schnitt- phase verworfen, insofern kamen nur drei verschiedene Schlüsse in Um- lauf, was 1985 unter anderem aus ökonomischen Erwägungen heraus in eine spezifische Distributions- und Präsentationspolitik umgesetzt wurde: „Three different endings, all of which plausibly work, were ultimately filmed. Theaters were then sent a copy of the movie containing either ending A, B or C. In theory, it would have allowed superfans to go see the film multiple times“ (Rawden 2015). Aber dieses Distributionsmodell scheiterte, offensichtlich waren die Zu- schauer nicht bereit, mehrfach den Kinoeintritt für unterschiedliche Enden zu bezahlen (Rawden 2015). Laut eigenen Aussagen des Regisseurs Jonathan Lynn wurde dann auf sein Betreiben hin schon für die erste Veröffentlichung auf dem Home-Video-Markt auf VHS eine neue Version erstellt,45 die Rawden 2015 rückblickend wie folgt beschreibt – und womit er gleichzeitig die Über- lieferungslinie von VHS zu den digitalen Trägern zieht: „[W]hen [Clue] was 45  Vgl. E-Mail-Verkehr von Celia Geering mit dem Regisseur am 30.05.2016 (Geering 2016). Franziska Heller - 978-3-8467-6460-2 Heruntergeladen von Fink.de01/03/2022 12:27:50PM via free access 362 kapitel 7 finally released on VHS, DVD and Blu-Ray, the endings were compiled together and shown one after another rapid fire style“ (Rawden 2015). Zum genaueren Verständnis: Bis zu einem gewissen Punkt ist die Geschichte, das Mordrätsel in allen Versionen identisch. Eine Gruppe verschiedener Figuren trifft sich in einem genrestereotypen Haus im Tudorstil auf eine mysteriöse Einladung hin zu einem Dinner: Mrs. Peacock (Eileen Brennan), Mrs. White (Madeline Kahn), Professor Plum (Christopher Lloyd), Mr. Green (Michael McKean), Miss Scarlett (Leslie Ann Warren) und Colonel Mustard (Martin Mull). Arrangeur der Situation scheint zunächst der Butler Wadsworth (Tim Curry) zu sein, der als Erster auf dem Anwesen eintrifft. Unterstützt wird er anfangs von dem übersexualisierten Hausmädchen Yvette (Colleen Camp). Keiner der Gäste weiß, warum sie zu diesem Treffen mit einem anonymen Brief eingeladen wurden. Sie sind angehalten, ihre wahren Identitäten und Lebens- geschichten nicht zu offenbaren. Die oben genannten Namen sind auferlegte Pseudonyme (die den Spielfarben der Figuren im Brettspiel entsprechen). Als Mr. Boddy (Lee Ving) schließlich zu der Gesellschaft stößt und sich als einzige Bezugsperson aller Protagonisten entpuppt, wird er sogleich in einem Moment der Dunkelheit – das Licht geht tatsächlich aus – zur ersten Leiche („body“). Danach entwickelt sich aus den Vermutungen über Hintergrundgeschichten, Täterschaft, Verhältnisse und Motive ein rasantes Spiel mit kognitiver wie räumlicher Verwirrung: Der Aufbau des Hauses ist angelegt wie das Tableau eines Brettspiels, in dem die verschiedenen Räume die Spielzüge zueinander definieren. Es kommt zu temporeichen Raumwechseln jeder einzelnen Figur, wobei immer wieder die zwischenmenschlichen wie auch die tatsächlichen räumlichen Beziehungen neu definiert werden. Konkretisiert wird dies etwa in den Geheimpassagen als Verbindungen zwischen eigentlich getrennten und nicht zugänglichen Räumen. Dieser spielerische Umgang in der Erzählweise wird unterstützt durch ein äußerst theatral-expressives und körperbetontes, auf Slapstick angelegtes Schauspiel der Darsteller, die das Spiel mit dem Schein zur Schau stellen. Dies wird ergänzt durch den omnipräsenten Einsatz von doppeldeutigen Sprachspielen – bis hin zur mehrdeutigen Selbst-Reflexion des drama- turgischen Aufbaus als Whodunit, wenn wiederholt der Begriff Red Herring zitiert wird. Der Begriff ist bekanntlich im Kontext von Spannungsdrama- turgien über Äußerungen von Alfred Hitchcock populär geworden (Truffaut 2010/1966: 263). Er bezeichnet das Verfahren, den Zuschauer über gezielte Informations-, Aufmerksamkeits- und Sympathielenkung an eine Figur oder an eine Situation emotional zu gewöhnen, um dann auf der Basis dieser Ge- wöhnung einen Umschlag oder Entzug von Sicherheit erfolgen zu lassen – zu- gunsten einer erhöhten Schockwirkung und Irritation. Das wohl bekannteste Franziska Heller - 978-3-8467-6460-2 Heruntergeladen von Fink.de01/03/2022 12:27:50PM via free access Mediale Zirkulation und Mise en Relation 363 Beispiel einer Red-Herring-Dramaturgie ist das gewaltsame Verschwinden von Marion Crane aus der Erzählung von Psycho (Hitchcock, 1960) durch ihre Ermordung unter der Dusche. Ihr Tod kommt umso überraschender und schockierender, als Marion zuvor als Protagonistin und Identifikationsfigur in- szeniert wurde.46 Am Ende von Clue behauptet der Butler Wadsworth, er wisse, wer die ganzen Morde im Haus begangen habe. In einer rasanten Jagd durch die verschiedenen Räume der Handlung wiederholt Wadsworth im Modus des Re-Enactment die Taten, bis er schließlich mit Ankündigung den Stromaus- fall erneut herbeiführt und damit ostentativ-theatral – wie auch schon beim ersten Mord – das Filmbild in Dunkelheit taucht. Damit wird der Zuschauer zum spekulierenden Mitspieler gemacht, indem die Sichtbarkeit des Schau- spiels mit Leerstellen durchsetzt wird. Auf diese Weise liefert der Butler zu- dem metaphorisch die narrative Ausgangssituation, nun Licht ins Dunkel des Rätsels bringen zu können. Ab hier offeriert die DVD/Blu-Ray-Disc – auch im Unterschied zur VHS – nun diverse Optionen. Bereits vor der Filmsichtung bietet sich etwa in der DVD von Paramount (2008, Region 1) im Top-Menü zunächst die Option, aus den in einem ovalen Kreis angeordneten (gegen den Uhrzeigersinn laufenden) Schriftzügen Play – Scene Selection – Theatrical Trailer – Set Up zu wählen (Abb. 7.12). Wählt man Play,47 erhält man nebeneinander die Optionen View movie with one of its three theatrical endings (at random) oder View the home video version of the movie with all three endings (Abb. 7.13). Abb. 7.12 46  Gleichzeitig weckt der Begriff ‚Red Herring‘ Assoziationen an die Auseinandersetzungen in der McCarthy-Ära um ‚rote‘, das heißt kommunistische Umtriebe in den USA. 47  Zur Form des Icons s. unten. Franziska Heller - 978-3-8467-6460-2 Heruntergeladen von Fink.de01/03/2022 12:27:50PM via free access 364 kapitel 7 Abb. 7.13 Hat man sich vor dem Schauen des Films für die zweite Option entschieden, so wird nun, als Wadsworth nach der Verdunkelung des Bildes zur finalen Auf- klärung ansetzt, tatsächlich zunächst eine Version – mit handlungswieder- holenden Rückblenden – erzählt. Wenn diese Version endet, erscheint ein Zwi schentitel im Stil der Stummfilmpraxis: „That’s how it could have happened“. Dann ein nächster Zwischentitel: „But how about this?“ (Abb. 7.14–7.15). Abb. 7.14 Abb. 7.15 Franziska Heller - 978-3-8467-6460-2 Heruntergeladen von Fink.de01/03/2022 12:27:50PM via free access Mediale Zirkulation und Mise en Relation 365 Danach wird – erneut bei dem Wiederanschalten des Lichts beginnend – das zweite Ende mit einem anderen Täter erzählt. Nach dieser Version folgt erneut ein Zwischentitel: „But here’s what really happened“. Dieser Zwischentitel überschreibt die vorher in der Kinodistribution gegebene Koexistenz ver- schiedener gleichberechtigter Lösungen und privilegiert inhaltlich das Ende, in dem alle Figuren an den Morden beteiligt sind. Damit wird – im Gegen- satz zu dem, was Hartmann noch als Potenzial einer Forking-path-Struktur be- tont – das Spiel mit der multiplen Möglichkeitsdimension der Geschichte und mit der Versatilität des fiktiven Universums zurückgenommen. Allerdings nur in dieser Version. Betrachtet man das Dispositiv DVD, offeriert es ja gleich- berechtigt noch die Möglichkeit, den Film mit nur einem der drei Schlüsse über eine Zufallsfunktion zu sehen. Insofern stellt die DVD/Blu-Ray-Disc in der Ver- vielfachung der Optionen eine Nähe zur ursprünglichen Distributionspolitik im Kino her – auch wenn der Raum der Filmerfahrung zwischen Kino und der Rezeption zu Hause über einen Heimkinoträger sich nachhaltig unterscheidet. Insofern wäre die Edition des Films nach Distelmeyer (2012), der allerdings den Fall von Clue nicht ausführlich analysiert, ein Paradebeispiel für die Kon- vergenz von Brettspiel, DVD und digitalem (Computer-)Spiel, definiert über die Interaktivitäts- beziehungsweise Wahlmöglichkeit des Nutzers/Users (in Abgrenzung zur Rezeptionshaltung im Kino). Die Tagline des Films weist fast prophetisch auf diesen intermedialen Kreislauf hin: Clue. The Movie – It is not a game anymore. Dies vielleicht umso mehr, als das Menüdesign (dies gilt sogar für verschiedene Editionen) sich mit dem Genre der Detektivstory verbindet und das Thema der medialen und zeichenhaften Dechiffrierbarkeit der Welt omnipräsent ist. Besonders augenscheinlich wird dies bereits in der Gestaltung des Menüs, in der die Lupe als optisches Gerät das Auswahl-Icon darstellt. Des Weiteren sind auch die gezeigten Filmstills von Lupen gerahmt. Dies lässt sich auf der Metaebene als eine symbolische Problematisierung der Dechiffrierbarkeit der Filmbilder lesen. Der Film, sein fiktives Universum, spielt mit einem Überfluss von flottierenden Zeichen und Zitaten, wodurch eine verlässliche Interpretation von Spuren innerfilmisch sowie auf der metafilmischen Ebene infrage gestellt wird. Dies gilt auch in kulturhistorischer Perspektive: Der Film stellt narrativ wie formalästhetisch seine genretypischen Funktionsmechanismen aus. Er hat bereits inhaltlich ein pasticheartiges, spielerisches Verhältnis zu seinen literarischen, filmischen und auch theatralen Vorläufern – man denke etwa an The Mousetrap (1950) von Agatha Christie. Das Dispositiv der DVD begradigt augenscheinlich zunächst die eigentlich zeitgenössische Versionenhaftigkeit des Films in Hinblick auf sein Ende – in der Franziska Heller - 978-3-8467-6460-2 Heruntergeladen von Fink.de01/03/2022 12:27:50PM via free access 366 kapitel 7 Weiterschreibung der Überlieferungsvariante der VHS, die über die Montage und die Ergänzung der Zwischentitel ein Ende zur finalen Auflösung erklärte. Allerdings sind doch die Eindrücke in der Erfahrung der Dauer des Films widersprüchlicher. Hier prägen sich insbesondere der unbekümmerte und kontinuierlich spielerische Umgang mit jeglicher Form von Bedeutungs- produktion im gesamten Filmverlauf und die an den Slapstick angelehnte Darstellungsform ein. Unter diesen Vorzeichen tritt eine auf die Narration fokussierende Filmwahrnehmung, die sich auf das kognitiv zu lösende Rätsel des Whodunits konzentriert, in den Hintergrund. Ganz im Sinne eines all- gemeinen Verständnisses von ‚Spiel‘ wird aus Lust an der Unterhaltung und an dem (Wieder-)Erkennen von Situationen die Frage, wer den Mord eigentlich begangen hat, sekundär. Vielmehr entwickelt sich ein Spektakel, in dem die Performanz von potenziellen Bedeutungsdimensionen ostentativ ausgestellt wird. Der Zweck, den Mörder zu finden, relativiert sich im Verhältnis zum Spaß an der Möglichkeit, es könnte sogleich immer alles ganz anders sein. Insofern verstärkt die DVD diesen Charakter – auch weil sie in die dis- positivische Anordnung verlegt, dass die Geschichte per Random Funktion auch anders ausgehen könnte: Wenn man denn diese Funktion wählt. Dass aber die Home Video Version und die Random-Version beide auf einem Medium vereinigt werden, welches man im privaten Raum rezipiert, kreiert einen besonderen Modus der Aneignung, der sich mit der Versatilität des Film- werks verbindet. Das Potenzial zur Wahl der Alternative kann eine Praxis der wiederholten Rezeption des Films befördern. Vor diesem Hintergrund erklärt sich dann auch der nachträgliche Erfolg des Films in Dispositiven jenseits des Kinos, in denen die Verfügbarkeit im heimischen Raum gegeben ist. Dies hatte seinerseits wiederum eine interaktive Metarezeption zur Folge, die in der Öffentlichkeit des Internets ausgetragen wurde: „Thanks to cable re-runs and incredible word of mouth, however, the film slowly built a giant following to the point [that, FH] random Internet outlets were writing overly long stories about its endings three decades later“ (Rawden 2015).48 Grundlage dieser Metarezeption war – so mein Befund – die 48  H. Jenkins (1992: 68 ff.) weist mit Blick auf fankulturelle Praktiken bereits medien- historisch auf die Bedeutung von Videorecordern (VCR) hin. Hier sind insbesondere die Möglichkeiten der Aufnahme und der ‚Kontrolle‘ über die Rezeptionsformen von Filmen und von TV-Serien zentral, wodurch auf unterschiedlichen Ebenen Aneignungsmodi im privaten Raum wirksam werden. Auch Wiederholungen im Fernsehen sind für Formen der Aneignung wichtig (was an meine Überlegungen zum Abschluss von  Kap. 6 anknüpft). Nach H. Jenkins werden über diese medialen Praktiken Re-Readings, das heißt Bedeutungsmodulationen, forciert. Der Videorecorder als ein Vorläufer digitaler Nutzungs- und Rezeptionsformen habe so eine Verfügungsmacht der Rezipienten über Franziska Heller - 978-3-8467-6460-2 Heruntergeladen von Fink.de01/03/2022 12:27:50PM via free access Mediale Zirkulation und Mise en Relation 367 Möglichkeit des Vergleichs der drei editierten Enden, den die Heimkinoversion ermöglichte. Im heimischen Dispositiv arbeiteten der Aneignungsgestus des Vergleichens und die freiere – im Vergleich zum Kino weniger disziplinierte Rezeptionshaltung (Hansen 1993) – der spielerischen Erzählstruktur des Films zu. Für die Vorstellung von Filmgeschichte bedeutet dieser neu gewonnene Kultstatus des Films, dass heute meist die Fassung für das Heimkino als Referenz betrachtet wird – allein durch die Praktiken der Zugänglichkeit. In- sofern hat sich diese dispositivisch angepasste Version in die Überlieferungs- geschichte nachdrücklich eingeschrieben.49 Der Modus der Aneignung über spielerische Formen des Vergleichens (der Enden) gehört nun zur ein- kalkulierten Rezeptionshaltung des Films. So realisiert sich etwa auch im vom Dispositiv offensiv provozierten seriellen Mehrfachschauen, im aktiven Suchen von Differenzen und Wiederholungen seitens des Zuschauers der auratisierende Mehrwert von Clue. The Movie, der maßgeblich das heutige Prestige und den Status des Films begründet. In wahrnehmungstheoretischer Perspektive gerät das Filmwerk zu einem medialen Cluster, in dem die gegenwärtig rezipierte Version immer schon mit ihrer potenziellen Alternative im Erlebnis des Zuschauers koexistiert. Dieses spezifische Erlebnis im Falle von Clue muss im Zusammenspiel mit dem Filminhalt und seiner Wirkungsästhetik gesehen werden: Mediale Zeichen- haftigkeit wird als performatives Zitatespiel der Kultur- und Mediengeschichte vermittelt. Damit birgt der Film schon an sich die Erfahrung der spielerischen Relativierung von verlässlich dechiffrierbaren Bedeutungen und Zeichen; je nach getroffener Wahl etablieren sich nur situativ augenblickhaft Sinn- zusammenhänge. In Wechselwirkung mit dem Dispositiv DVD, in dem die Distributionsgeschichte in einem Navigationsraum konfiguriert und als inter- aktiv auswählbar präsentiert wird, bedeutet dies einen Erfahrungshorizont von zeitlichen Differenzen, der in hohem Maße die Erinnerungsaktivität und zugleich körperliche Präsenz des Zuschauers (ein)bindet. Forciert durch ein (digitales) Dispositiv, das Kontrolle und Aneignung von Filmen suggeriert, erhält diese zeitliche Komponente auch in der mög- lichen Serialität des Rezeptionserlebnisses eine gewichtige Rolle: Barbara Klinger (2006a) markiert hier – wie bereits oben erwähnt – die Verbindung die filmische Erzählung ermöglicht: „These viewing strategies, made possible by the technology’s potentials, extend the fans’ mastery over the narrative and accommodate the community’s production of new texts from the series materials“ (H. Jenkins 1992: 74). 49  Eine neue Verfilmung des Spiels ist angekündigt (Stand 2019). Gleichzeitig gab es auch eine TV-Miniserie mit fünf Episoden, die 2011 in den USA lief. Franziska Heller - 978-3-8467-6460-2 Heruntergeladen von Fink.de01/03/2022 12:27:50PM via free access 368 kapitel 7 von strukturellen Merkmalen des puzzle films und den dispositivischen Implikationen des Heimkinos (2006a: 135 ff.). Sie hebt insbesondere den Zusammenhang von Anreizen, die solche Filme als Interaktion mit dem Zuschauer einfordern,50 und dem möglichen mehrfachen Schauen über Heim- kinotechnologien im aneignenden Modus des privaten Raums hervor (Klinger 2006a: 157). Dies habe für den Rezipienten beziehungsweise Nutzer zur Folge, dass er funktional zu verstehen sei als a savvy decoder of a text’s mysteries, the viewer becomes something of an authority – an intrepid explorer who has discovered a terra inocgnita. […] Mastery is a steadfast component of home film reception in the digital era, given to different articulations by the discourses that seek to define domestic space as a special viewing territory. Here, the pleasure of repeat viewing lies in the viewer’s ability to unearth visual details and layers of meaning that cannot be fully apprehended in initial screenings (Klinger 2006a: 161, Hervorh. FH). Klinger verschiebt die Vorstellung von der Autorität der Industrie – oder eines hochstilisierten Autors – über das mediale Produkt hin zum Konzept von filmischen wie dispositivischen Rahmungen, die den Rezipienten im häus- lichen Kontext des Filmeschauens zum Koautor und zur machtvollen Instanz über die medialen Phänomene werden lassen.51 Allerdings – und dies ist nun ein entscheidender Unterschied zwischen Klingers Überlegungen und meinen – geht Klinger dabei vom wiederholten Schauen ein und desselben Films zu Hause aus, nicht von unterschiedlichen Versionen.52 In dem vorliegenden spezifischen Zusammenhang beschränkt sich aber die Vorstellung des zu lösenden Puzzles nicht nur auf den zu ent- schlüsselnden Inhalt eines Films, sondern darüber hinaus auf die jeweiligen Formen der Mise en Relation der (historischen) Versionen in den digitalen 50  „The idea that a film cannot be adequately consumed on the first viewing is the bedrock proposition of aesthetic motivations for re-viewing“ (Klinger 2006a: 157). 51  Hier sei weiterführend auf Begriffskomplexe im Diskurs um Digitalkulturen verwiesen: das Konzept des Produsers beziehungsweise der Produsage (Bruns 2008). In diesem Horizont verschwimmen die Grenzen von Produktion und Rezeption, und Fragen der hegemonialen Bedeutungsproduktion stellen sich neu. Hier ließe sich mit Rekurs auf Manovich (2001) eine ambivalente, durchaus kritische Sicht der den Nutzer er- mächtigenden Wirkung von digitaler Interaktivität weiterdiskutieren – ähnlich wie es etwa schon Distelmeyer (2012) mit Blick auf die ideologischen, machtstrukturellen Implikationen der Programmierung von Wahlmöglichkeiten („Spiel der Macht“, 2012: u. a. 47 ff.) einer DVD beziehungsweise Blu-Ray-Disc ausführlich getan hat. 52  Mit Blick auf die digitale Ära sieht Klinger dies besonders bei Filmen von Steven Spielberg und George Lucas gegeben, vor allem bei Filmen mit Fokus auf Special Effects und mit Blick auf eine (damit) vervielfachte, kompliziertere Bildebene, die zu einer wiederholten Rezeption in der heimischen Sphäre einlädt (Klinger 2006a: 161). Franziska Heller - 978-3-8467-6460-2 Heruntergeladen von Fink.de01/03/2022 12:27:50PM via free access Mediale Zirkulation und Mise en Relation 369 Dispositiven. Damit enthält meine Perspektive die Frage nach den sich hier entfaltenden Aspekten der medienhistoriografischen Wirksamkeit, die nicht losgelöst zu sehen ist von den präsentischen Rezeptions- und Selektionsakten des Zuschauenden/Nutzenden. Somit geht es in meiner Sicht nicht nur um die Beschreibung kognitiver Entschlüsselungsprozesse, sondern vor allem auch um die Konzeption leiblicher Erlebnishorizonte von zeitlichen Differenzen angesichts von Filmen und ihren Fiktionen in verschiedenen Versionen. Filmästhetische und dispositivische Verunsicherung von Wahrnehmung. Relativierung verlässlicher Subjektpositionen Phänomene der Legierung von Filminhalt, -struktur und metafilmischer Fassungsgeschichte im Horizont digitaler Reprisen53 weisen weitere inte- re ssante Effekte auf, gerade wenn die editierten Filme selbst-reflexiv Be- deutungsproduktion über Bilder und Zeichen inhaltlich infrage stellen und dies ostentativ in ihrer Motivik, Ästhetik und Struktur umsetzen. Da die Filme oft auch am exponierten Beispiel der Gestaltung ihrer Protagonisten verläss- liche Identitäten prekär erscheinen lassen, verhandeln sie damit auch grund- sätzlicher das Verhältnis des Subjekts zur Welt. Der Fall der Blu-Ray-Edition des Films Memento (Nolan, 2000) offenbart in diesem Kontext eine interessante Verschmelzung von Inhalt, filmischer Form und dispositivischer Warenästhetik. Grundsätzlich attestieren Kiefer/ Große (2006) dem Film Memento, dass er „die entscheidenden Merkmale des Film noir im instabilen Charakter des Protagonisten, der verschachtelten Rückblendenmontage, des Einsatzes der Voice Over […] bis zur vollkommenen Verunsicherung treibt“ (Kiefer/Große 2006: 253). In der wissenschaftlichen Rezeption stellt der Film ein paradigmatisches Exempel der narratologischen Diskussion um Strukturelemente des bereits genannten puzzle films dar (in Auseinandersetzung mit Bordwell 2006, vgl. bes. Buckland 2009: 5). Vor allem Ghislotti (2009: 104) hat den Film auf seine „mnemonic devices“ hin untersucht – sowohl auf der Ebene des Inhalts (dazu später mehr) als auch auf der Ebene der notwendigen Erinnerungsaktivität des Zuschauers angesichts der puzzleartigen Erzählform. So stellt der Film Leonard Shelby (Guy Peirce) in den Mittelpunkt, der seine Frau durch einen Mord verliert. Bei der Tat fügt der Mörder Shelby eine schwere Kopfverletzung zu, die bei diesem zum Verlust seines Kurzzeitgedächtnisses führt. Trotzdem begibt Shelby sich auf die Jagd nach dem Mörder. Intermediale und selbst-reflexive Bezüge sowie Versuche, über Medien der Welt und der eigenen Geschichte habhaft zu werden, sind allgegenwärtig in 53  Zum digitalen Dispositiv von Streamingdiensten vgl. den Abschluss von  Kap. 7. Franziska Heller - 978-3-8467-6460-2 Heruntergeladen von Fink.de01/03/2022 12:27:50PM via free access 370 kapitel 7 dem Film. Shelby benötigt mediale Erinnerungsstützen wie Fotografien und Niederschriften auf Papier. Darüber hinaus benutzt er selbst seinen eigenen Leib, konkret seine Haut, als letztes Mittel der Selbst-Vergewisserung, um über Tätowierungen als Einschreibungen sich seines Körpers zu versichern. Besonderes strukturelles Merkmal des Films ist der komplexe Aufbau der Zeitstruktur, weil sich Schwarz-Weiß-Bilder, die in einer fortschreitend chrono- logischen Ordnung montiert sind, mit farbigen Sequenzen verweben, die in umgekehrter Logik geschnitten sind und damit die Amnesie des Protagonisten vermitteln. Auf diese Weise entsteht ein Weltbild, in dem Shelby nichts auf- klären kann, sondern [in dem sich, FH] nur die Brüchigkeit und Unzuverlässigkeit einer subjektiven Weltwahrnehmung offenbaren. Memento überführt die detek- tivische Suche nach komplexer Wahrheit in die Frage nach Illusion und Konstruktion im Akt des Erinnerns (Kiefer/Große 2006: 253). Damit unterminiert Memento – so Kiefer/Große – alle Gewissheiten des filmischen Erzählens, der Motivationen von Handlungen, der erinnernden Vergegenwärtigung der ‚wahren‘ Ereignisse und am Ende sogar die personale Identität des Erzählers. So ist der Zuschauer herausgefordert, selbst Sinn- zusammenhänge zu konstruieren (2006: 255–256). Die plurale Montage unterschiedlicher Wahrnehmungs- und Interpretationsmuster bindet den Zuschauer wirkungsästhetisch nachhaltig ein: „The whole film is immersed in the past, and we can say that it is entirely based upon a memorial dimension, structured and reconstructed on the basis of the viewer’s memory of selected images“ (Ghislotti 2009: 105). Die Dispositive von DVD und später auch Blu-Ray-Disc-Editionen (u. a. Columbia Tristar, 2002)54 verstärken diese im Film angelegten strukturellen Elemente weiter. Damit, so meine These, erklären sie den Film an sich als un- verlässlich – in seinem Status als Werk und als Text. Dies wird in bestimmten Editionen mit einem Entdeckungsgestus verbunden, dass man einen Pfad im DVD-/Blu-Ray-Disc Menü erst finden muss, um den Film in einer anderen Version sehen zu können. Zu einer solchen zusätzlichen Funktion der DVD und der damit eingeforderten Rezeptionshaltung beziehungsweise dem ent- sprechenden Nutzerverhalten schreibt Distelmeyer: „Easter Eggs variieren die hypermediale Struktur der Menüs nur insofern, als die gelegten Links be- ziehungsweise ihre Zeichen im Interface erst noch gefunden, das heißt: als 54  Vgl. DVD-Forum zu Memento/Easter Egg (2002)  Literaturverzeichnis. Franziska Heller - 978-3-8467-6460-2 Heruntergeladen von Fink.de01/03/2022 12:27:50PM via free access Mediale Zirkulation und Mise en Relation 371 solche erkannt werden müssen“ (Distelmeyer, 2012: 118).55 Distelmeyer spricht in diesem Kontext mit Blick auf Memento von einem „berüchtigten“ Easter Egg (Distelmeyer 2012: 118), in dem der für seine nonlineare Montage be- rühmte Film in der sukzessiv chronologischen Schnittfolge präsentiert werde.56 Zunächst erscheint dies als eine Variante der Konsekrationsstrategie nach Bourdieu (2011c: 101–102), in der der DVD-Nutzer als Entdecker einer sonst un- genutzten Ressource in Szene gesetzt wird, wodurch – im Zusammenspiel mit der „Rhetorik der Intimität“ von Insiderwissen (Klinger 2006a: 89) – Eindrücke von Prestige und symbolischem Mehrwert erzeugt werden sollen. Doch ist der Fall der digitalen Reprisen von Memento wirkungsästhetisch komplexer. Über die motivische Gestaltung und Ästhetik der Menüs wird die Pro- blematisierung der Entzifferbarkeit der Welt aufgegriffen. Vor allem werden Polaroidfotos zitiert, wobei die Augenblickhaftigkeit von Erscheinungen in der Inszenierung betont wird:57 Die Bilder und Schriftzüge gehen auf in einem Wechselspiel aus Erscheinen und Verblassen (Abb. 7.16). Abb. 7.16 55  An dieser Stelle ließen sich auch fruchtbar Ansätze zum Hypertext beziehungsweise zur Hyperfiktion anschließen; etwa Überlegungen, ob diese Formen der verlinkten Er- weiterung des filmischen Textes nicht eine hyperfiktionale Variante des diegetischen Uni- versums darstellen. 56  Dies veranlasst Distelmeyer zu einem neuen qualitativen Urteil über den Film. In dieser chronologisch erzählten Version werde die Ansammlung von Klischees, die eigentlich in dem Film bereits vorhanden sei, aber aufgrund der Montage verdeckt, nun unverstellt sichtbar. Es wäre sicher interessant, diesem Urteil filmanalytisch weiter nachzugehen; im gegebenen Kontext aber sollen Formen und Effekte der Mise en Relation im Fokus stehen. 57  Vgl. zur augenblickhaften Passagenhaftigkeit von Erinnerungen nach Benjamin: Scherer (2001) und Czekaj (2015);  Kap. 3,  Kap. 5. Franziska Heller - 978-3-8467-6460-2 Heruntergeladen von Fink.de01/03/2022 12:27:50PM via free access 372 kapitel 7 Der Zugriff auf den Film wird dem Nutzer bereits in einem instabilen Uni- versum präsentiert. Die strukturell notwendige Handlung zum Entziffern der Zeichen und zum Aufspüren des Easter Eggs vollzieht der Nutzer in einer auf ähnlichen Wahrnehmungsprinzipien basierenden Spurensuche, wie sie der labile Protagonist unternimmt. Interessant ist die Dopplung: Der Protagonist ist amnesisch, auf der Suche nach der eigenen Erinnerung, und damit wird seine Weltwahrnehmung, die uns filmisch erzählt wird, unverlässlich. Mediale Bilder sind in diesem Universum nur trügerische Versprechen auf Bedeutung. In eine vergleichbare Wahrnehmungsdisposition wird der Nutzer versetzt, be- gibt er sich auf die Suche nach den auf der Film-DVD tiefer liegenden Geheim- nissen. Für die Wahrnehmung des editierten (Haupt-)Films gilt aber damit auch, dass der Status der filmischen Fiktion als Werk mit spezifischen Struktur- elementen in dieser Form der Mise en Relation als nicht fixiert wahrgenommen wird. Im Dispositiv der DVD steht er zumindest potenziell zur Disposition. Wichtig ist zudem – darauf weist auch Distelmeyer hin, der im Übrigen die Wahrnehmungsdisposition dieser spezifischen Edition nicht thematisiert –, dass es oft zum Entdecken solcher Easter Eggs der entsprechenden Seiten im Internet als Hinweisgeber bedarf, damit der Recherchegestus intermedial in eine breitere Öffentlichkeit getragen wird.58 Filminhalt, seine (interaktive) Zugangsform, die Ästhetik des Menüs und dispositivische Konventionen (zu entdeckende Easter Eggs und alternative Versionen als warenästhetischer Mehrwert einer DVD) sowie damit einher- gehende, mittlerweile ritualisierte Metadiskurse (über die Institution ent- sprechender Webseiten) prägen das Werk als zeitlich heterogenes Cluster. Dabei kreiert das Cluster einen Erwartungs- wie Erfahrungshorizont, der auf unterschiedlichen Ebenen mit der destabilisierenden Wirkung einer sich nur augenblickhaft vermittelnden Erkennbarkeit arbeitet. Damit werden Subjektpositionen als abhängig von zeitlicher Mise en Relation inszeniert: Die besondere Rolle der Zeit und der Erinnerung, die in dem Film verhandelt wird und sich als wirkungsästhetisches Prinzip umgesetzt sieht, wird im digitalen Dispositiv auf die Zugriffsformen des Films als Werk übertragen. Der Effekt: Der Zuschauer verfügt zwar als Besitzer und Nutzer formal über die DVD, 58  Distelmeyer entwirft hier unter anderem eine Öffentlichkeit, die sich zum einen als populärkulturelle, cinephile Expertengruppe versteht; dies auch angesichts des An- eignungsgestus im Besitzen und Sammeln von Home-Video-Trägern; vgl. hierzu weiter- führend: u. a. Wortmann (2010), Balcerzak/Sperb (2009 und 2012); zu einer Liste der möglichen entsprechenden Webseiten Distelmeyer (2012: 118). Zu Überlegungen von cinephilen Filmfans in Video-on-Demand-Medienumgebungen vgl. vor allem Hagener (2016) sowie kleinere Beiträge wie etwa VanDerWerff (2016). Franziska Heller - 978-3-8467-6460-2 Heruntergeladen von Fink.de01/03/2022 12:27:50PM via free access Mediale Zirkulation und Mise en Relation 373 angesichts der ostentativen Subjektivierung von Zeit erscheint er verfangen und relativiert zwischen Erinnerung und Gegenwart. Das digitale Cluster Memento ist darüber hinaus ein so interessanter Fall, weil es sich auch in den theoretisch-analytischen Diskurs um puzzle films methodologisch eingeprägt hat: Die auf das narratologische Konzept aus- gerichtete, bereits zitierte ausführliche Analyse von Ghislotti (2009) arbeitet explizit mit der auf DVD-Editionen (u. a. Columbia Tristar 2001) als Bonus- material veröffentlichten Version des Films in der chronologischen Schnitt- folge (Abb. 7.17; vgl. letzter Menüpunkt ganz unten59). Abb. 7.17 Ghislotti unternimmt dies mit dem Anliegen, die komplizierte Fabula des Films analysierbar zu machen und die Bedeutung von Erinnerung in der um- gekehrten Schnittfolge profilieren zu können.60 Bei Ghislotti (2009) wird allerdings die konkrete Zugangsform über das digitale Dispositiv und die Positionierung als paratextuelles ‚Bonusmaterial‘ – zumal wie oben ausgeführt – in ihren formierenden Konsequenzen kaum themati siert und mitberücksichtigt. Vornehmlich die Zugänglichkeit einer anderen Version wird bei Ghislotti zum analytischen Tool des narratologischen Erkenntn isprozesses im Modus des Vergleichs. Die dispositivischen und 59  Bemerkenswert ist hier, dass der Menüpunkt, unter dem man diese Version anwählen kann, mit Otnemem betitelt ist. 60  „As an effect of the backward narration it is very difficult for the viewer to have a clear idea of what actually happens. We’ll try to understand how this effect is obtained by comparing two versions of Memento: the original release, screened in movie theaters, and the chronological version, provided as bonus material in the DVD edition. We have to deal firstly with the chronological version, the film that many viewers were probably expecting during the screening of the actual version of Memento“ (Ghislotti 2009: 90). Franziska Heller - 978-3-8467-6460-2 Heruntergeladen von Fink.de01/03/2022 12:27:50PM via free access 374 kapitel 7 ästhetischen Bedingungen, die diesen Vergleich allerdings erst möglich machen und die das rezipierende Subjekt in seiner Zeitwahrnehmung des Films selbst formieren wie funktionalisieren, werden weitgehend ausgespart. Kurz sei vor diesem Hintergrund schließlich auf eines der bekanntesten Beispiele hingewiesen, das sowohl in der Kinodistribution als auch in der be- gleitenden Home-Video-Distribution zahlreiche Versionen hervorgebracht und damit in der Folge den wohl bekanntesten populärwissenschaftlichen Metadiskurs über Filmversionen kreiert hat. Die Rede ist von Blade Runner (Scott, 1982). Sowohl in wissenschaftlichen Publikationen (vgl. bes. ausführ- lich Relinger 2009, aber auch Bohn 2013b: 391 ff.) als auch auf verschiedenen Internetseiten (vgl. etwa Schnittberichte oder DVD-Forum.at61) finden sich entsprechende Dokumentationen und auch Illustrationen mit eigenen ver- gleichenden Bildserien und -gegenüberstellungen. Im Folgenden soll es vor allem um die Five Disc Ultimate Collector’s Edition (Warner Bros., 2007) als Box gehen. Hier gilt nicht mehr, dass mehrere Versionen auf einem digitalen Medium Platz finden, sondern die Versionen werden diesmal kompakt zusammen editiert in einer ganzen Box, die beworben wird mit dem Slogan „erstmals fünf Versionen des Films zusammen“62 (Abb. 7.18). Abb. 7.18 61  DVD-Forum.at zu Blade Runner (2010). 62  „Given the different versions of Blade Runner that have been available over the years, including them all in a single disc release is a challenge. Thankfully, Warner has used the seamless branching capabilities of DVD, Blu-ray Disc and HD-DVD to include all three legacy versions of the film on this one disc. Available here are the 1982 U. S. Theatrical Cut (117 minutes), the 1982 International Cut (118 minutes) and the 1992 Director’s Cut (117 minutes). You simply select the one you want from the disc’s opening menu. That takes you to a submenu where you can select the various options, start the film or watch Scott’s introduction (available for each version)“ (B. Hunt 2007). Franziska Heller - 978-3-8467-6460-2 Heruntergeladen von Fink.de01/03/2022 12:27:50PM via free access Mediale Zirkulation und Mise en Relation 375 Damit greift die Box die bisherige Fassungsgeschichte auf, denn sie enthält Versionen, die jeweils verschiedenen Normierungsprozessen unterlagen – ob ökonomisch motiviert, als Reaktion auf Äußerungen eines Testpublikums ver- ändert, ob auf Grund geopolitischer kultureller Anpassungen („domestic and international versions“), über Formatnormierungen (Fernsehfassung) oder über die von einer Auteur-Politik getragenen und zugeschnittenen Versionen. Namentlich sind dies die folgenden Fassungen: Work Print, Sneak-Peak- Version, Theatrical US-Version, Theatrical International (1982), Broadcast (1986), Director’s Cut (1992), Final Cut (2007) (vgl. zu den Entstehungsgründen auch Bohn 2013b: 391 ff.). Insbesondere die formalen wie inhaltlichen Differenzen zwischen der 1980er Kinofassung und dem Director’s Cut haben zu vielen öffentlichen Diskussionen geführt, weil sich – neben der Darstellung von Gewalt – vor allem folgende Variationen be- obachten lassen: a. Die Geschichte und die moralisch-ideologische Botschaft ändern sich; dies insbesondere durch das alternative Ende und das Einfügen einer Se- quenz, die eine Schlüsselfunktion für die Identität des Protagonisten hat. b. Insofern gilt auch, dass sich die Problematisierung der Erkennbarkeit und Verstehbarkeit der Umwelt je nach Version unterscheidet. Dies gilt umso nachhaltiger für die jeweilige Auseinandersetzung mit Fragen nach der Verlässlichkeit des (erzählenden) Subjekts und mit den Relativierungen von Identitäten. Dies geht mit strukturellen Variationen der formalästhe- tischen Genreelemente des Film Noir einher, unter deren Maßgabe in der ersten Kinofassung das Verwenden einer Voice-Over des Protagonisten erfolgte, die für die Filmwahrnehmung inhaltliche und atmosphärische Konsequenzen zeitigte. c. Die Schnittrhythmik und dadurch die schon angesprochene atmosphäri- sche Wirkung variieren zum Teil signifikant in den einzelnen Versionen. Worum es vor diesem Hintergrund gehen soll, ist die implizite serielle Filmer- fahrung, die die Blade-Runner-Five-Disc-Collector’s-Box offeriert und die ich als zeitliches Differenzerlebnis und als medienhistoriografisch wirk- sam begreife. Alle fünf Fassungen werden zusammen unter dem Titel Blade Runner räumlich in der Box aufeinander bezogen angeboten. Man kann also eine Version linear rezipieren, danach in einer Variation – so das waren- ästhetische Versprechen des Dispositivs. Sollte man den Modus des wieder- holten Schauens wählen, so manifestiert sich eine womöglich nur nuancierte Differenzerfahrung (v. a. Voice-Over, Ende, einige eingefügte Einstellungen), die sich aus der subjektiven Erinnerung an eine andere Version speist (geht man von einer normalen Rezeptionssituation aus: ohne einen zusätzlichen Aufbau von zwei Bildschirmen, der eine Parallelsichtung möglich machen Franziska Heller - 978-3-8467-6460-2 Heruntergeladen von Fink.de01/03/2022 12:27:50PM via free access 376 kapitel 7 würde). Die Filme lassen sich nur hintereinander anschauen, dispositivisch – wie etwa im Beispiel zum Editor’s Guide bei Close Encounters of the Third Kind – wird kein direkter Vergleich angeboten. Aber durch die editorische Mise en Relation der Box ergibt sich die potenzielle und waren- ästhetisch suggerierte Serialität. Dieses Potenzial hat wieder die Überlagerung der Wahrnehmungsebenen zur Folge. Es verweben sich thematische wie wirkungsästhetische Angebote, die der Film(text) selbst macht, welche sich aus einer dystopischen Film-Noir-Welt speisen und nachhaltig das Motiv des Auges thematisieren und dabei die Unterscheidbarkeit von Realität, Traum und Simulation infrage stellen. In Verbindung mit der Koexistenz der Versionen im digitalen Dispositiv der DVD/Blu-Ray-Disc erhält der Film als definierter Text zusätzlich einen unsicheren Status – selbst wenn gewisse Hierarchien durch Benennungen („Director’s Cut“ oder „Final Cut“) sowie durch Nummerierungen über Menüanordnungen nahegelegt werden. Die Bedeutungsdimension des an sich schon ambivalenten Films wird über die Editionsform dennoch erweitert. Sollte man einen solchen seriellen, wiederholenden Rezeptionsmodus wählen, formuliere ich mit Blick auf die konkrete Filmerfahrung die These, dass die narrative Dimension des Films (Was passiert …?) in diesem Fall zurücktritt zugunsten eines graduell ver- dichteten Erlebnisses von atmosphärischen und rhythmischen Elementen der entsprechenden Version. Die Lust entsteht im Modus des sinnlich erlebten und erinnerten Bildervergleichs. Das kulturelle Prestige und die sinngebende Autorität verschieben sich somit generell über die Nutzungs- und Rezeptionsform in das Erlebnis der subjektiv empfundenen Dauer und der Erinnerungsaktivität. Ideell und memotechnisch, aber auch ganz konkret auf der praktischen Ebene wird der Nutzer/Konsument zum bewahrenden, sammelnden Archivar (auch nahe- gelegt durch die Betitelung der Box als Collector’s Edition).63 In diesem Zusammenhang betont erneut die Relativierung des einen Werkes – auch als Rezeptionserfahrung – paradoxerweise den kulturellen Wert des Clusters Blade Runner. Dies kann ergänzt werden durch die Kenntnisnahme des im Internet ge- führten Metadiskurses, der sich faktografisch der Ergründung der Varianzen 63  Für weitergehende Analysen von Fankulturen stellt in diesem Kontext ergänzend der Zusammenhang von Cinephilie und Konsekrationsakten einen fruchtbaren Diskurs- kreis dar; vgl. hierzu generell Valck/Hagener (2005). Hier ist für meine Argumentation insbesondere der Beitrag von Robnik (2005: 55–64) zu „Mass Memories of Movies“ an- schlussfähig; oder auch grundsätzlicher zur digitalen Kultur Balcerzak/Sperb (2009 und 2012). Franziska Heller - 978-3-8467-6460-2 Heruntergeladen von Fink.de01/03/2022 12:27:50PM via free access Mediale Zirkulation und Mise en Relation 377 und der Suche nach Fixierung einer zeitüberdauernden, definitiven Version verschrieben hat (vgl. exemplarisch B. Hunt [2007] oder Moviecensorship.com zu Blade Runner;  Literaturverzeichnis). Verallgemeinernd lässt sich sagen: Begreift man darüber hinaus die ein- zelnen Versionen (hier konkret von Blade Runner) als wirkungsäs the- tisch funktionierende sinnliche Puzzleteile, entstanden aus bestimmten historischen, ökonomischen, ideologischen und medialen Kontexten heraus, so konstituiert der Zuschauer über die serielle Erfahrung zwischen Differenz und Wiederholung seine Geschichte des Films – das heißt, diese Form von subjektiver Filmgeschichte wird ohne historische Kontextualisierung als präsentische Filmdifferenzerfahrung erlebt; über den Modus des Vergleichs, in dem die Erinnerung an andere Filmerlebnisse eine zentrale Rolle ein- nimmt, wird eine eigene, autobiografische Versionengeschichte kreiert. Die Unterhaltung und die Lust basieren hierbei auf dem Prozess der subjektiv erfahrenen Zeit, der Dauer im Bergson’schen Sinne. Selbst wenn diskursiv von den Produzenten beziehungsweise den Herausgebern eine Fassung zur ‚finalen‘ Version erklärt wird, bleibt zumindest für die Wahrnehmung das Potenzial der Variation bestehen. Zudem wird das Filmerlebnis mit weiteren Anreizen des Begehrens auf- geladen: Wie in den Ausführungen in  Kap. 4 mit H. Böhme ausführlich erläutert, geht damit eine bestimmte fetischisierende Rezeptionshaltung und (räumliche) Anordnung der fetischisierten Objekte einher. Dies hat die folgenden Implikationen: 1. Durch das spezifische Dispositiv, das heißt hier das Angebot einer Samm- lung möglichst vieler alternativer Versionen, wird der Film mit einer be- sonderen kulturaffinen Überhöhung wahrgenommen, welche seiner nichtalltäglichen, herausgehobenen Attraktion gilt, die eben in diesem spezifischen Kontext der Box-Edition darin liegt, (historisch) variant zu sein. 2. So verursacht der als versatil verstandene Film eine auf potenzielle Alter- nativen angelegte Wahrnehmungshaltung, die zwischen dem Begehren nach Aneignung und der Faszination einer sich immer in der Alternative entziehenden Qualität oszilliert. 3. Durch ein Wechselspiel zwischen Nähe und Ferne wird der Film zum Gegenstand von Lust: Zum einen muss die Überhöhung zementiert wer- den, das Werk muss also möglichst schwer fassbar bleiben; gleichzeitig speist sich aber die Lust aus der Möglichkeit des Erlebnisses von Nähe in der Aneignung (etwa des wiederholten Schauens). Dieses Wechsel- spiel wird über die gemeinsame Edition, die räumliche Bezogenheit über die Box als besondere Anordnung wirksam (vgl. Dispositive des Fetischs, Franziska Heller - 978-3-8467-6460-2 Heruntergeladen von Fink.de01/03/2022 12:27:50PM via free access 378 kapitel 7 Kap. 4).64 Mit H. Böhmes Worten: „Die unbedingte Distanz bei gleichzei- tig aufrechterhaltener Performanz des Fetisch verwandelt diesen in ein unverfügbares Element einer Erfahrung, die der Betrachter nur mit sich selbst machen kann“ (H. Böhme 2012: 357). Insofern wird hier im Horizont der Mise en Relation von filmeditorischen Praktiken ein auf der medialen Erfahrung basierendes Konzept von Film- historiografie entworfen, das eine Referenz und einen Bezug auf die außer- mediale Ereignisgeschichte weit in den Hintergrund treten lässt. Dies obwohl doch die Ursachen der Varianz in verschiedenen historischen – technischen, ökonomischen oder ideologischen – Umständen begründet liegen. Das Werk Blade Runner wird in einer heutigen, fetischisierten Zugangsform zum Cluster, dessen einzelne Schichten sich historisch deterritorialisiert präsentieren. Die historische Dimension findet allenfalls noch ihre Spur in dem präsentischen Wählen einer Version, dem potenziellen Erlebnis von Varianzen in einer zeitlichen Dauer; eine Form der zeitlich subjektivierten Filmhistorio- grafie, die sich lediglich augenblickhaft konstituiert und mit bewegtbildlichen, sinnlichen Erlebnisformen verbindet, ohne unbedingt eine außerfilmische Referenz zu denotieren. Interessanterweise ist dies ein Geschichtsbild, das dem Subjekt und seiner nicht verlässlichen Erinnerung einen zentralen Platz zuspricht und damit auch ein gesamtheitliches, in irgendeiner Weise fixier- bares Weltbild negiert. Die Anwendung des Begriffs der Filmhistoriografie ist im Kontext des Bei- spiels von Blade Runner in meinem spezifischen Verständnis zu sehen – vor allem auch in einem populären, auf die massenmediale Erfahrung hin ausgerichteten (vgl. hierzu die Erläuterungen zur Tragweite von Filmen als Formen der Erinnerungsbildung wie Historiografie in  Kap. 6). Diese Er- fahrung gründet nur implizit auf geschichtlichen Konfigurationen, da sie sich vor allem in den Normierungsprozessen manifestierten und heute lediglich noch als Spuren in Form des Erlebnisses von (filmgestalterischen) Differenzen, die aus den historischen Produktions- und Distributionspraktiken resultieren, wahrnehmbar werden.65 64  H. Böhmes (2012: 355) Referenzanalogie ist hier das Vitrinenglas, hinter dem das Objekt in einem Museum ausgestellt ist. Das Vitrinenglas suggeriert zwar Nähe durch die mög- liche Betrachtung eines Objekts dahinter, allerdings markiert es auch immer die Grenze, die nicht überwunden werden kann, wodurch das Objekt seinen musealen Status aufrechterhält. 65  Wo ich allgemein industriell zirkulierende Formen digitaler Reprisen als medienhistorio- grafisch wirksam untersuche, hat der Medienwissenschaftler Matthias Christen (2011) DVD-Editionen verschiedenen Paradigmen zugeordnet, nach denen diese historisches Wissen vermitteln: dem ökonomischen und dem philologischen Paradigma. Selbst Franziska Heller - 978-3-8467-6460-2 Heruntergeladen von Fink.de01/03/2022 12:27:50PM via free access Mediale Zirkulation und Mise en Relation 379 Vor dem Hintergrund dieser Überlegungen soll ein letztes Beispiel ge- sondert vorgestellt werden, bei dem die Überlieferungsgeschichte von ideo- logischen Vorgaben und Eingriffen geprägt ist. Diese bestimmen nachhaltig die Bedingungen der heutigen Sichtbarkeit des Werks, welche ihrerseits einen historiografisch wirksamen medialen Erfahrungshorizont aufspannt: Erst in den 2000er Jahren ist das Werk, ursprünglich Ende der 1950er Jahre in der DDR gedreht, vor allem über die Edition auf DVD der breiteren Öffentlichkeit zu- gänglich gemacht worden. Dabei ist der Film schon in seiner grundsätzlichen Anlage als Cluster aus zensierten Fragmenten zu sehen. So ergibt sich aus heutiger Sicht eine clusterhafte Mise en Relation, die auf die historische Praxis der Zensur in der DDR verweist beziehungsweise über die DVD und ihre Para- texte eine mediatisierte, implizite Vorstellung der Zensurprozesse vermittelt. 7.7 Sinnlicher Eindruck von Zensurprozessen. Alternativen deutscher Geschichte. Die DVD Die Schönste (1957–1959/2003) „Verboten, verstümmelt und rekonstruiert – ein spannendes Kapitel deutscher Filmgeschichte.“ Mit diesem Schriftzug hat die Firma Icestorm 2003 ihre DVD- Edition von Die Schönste (1957–1959) versehen.66 Wie ein Label prangt er sowohl auf dem Cover als auch auf den begleitenden Heften der Edition, welche unter der Redaktion von Ralf Schenk entstanden sind. Damit wird das erste Mal für den Heimkinobereich, aber auch generell für ein breiteres Publikum das Werk zugänglich (s. Veröffentlichungsgeschichte unten). Das zitierte Label beschreibt in drei Schritten die Bedingungen für die aktuelle Edition auf DVD, welche das Werk bereits als historisches Cluster präsentiert. Denn diese bietet verschiedene Alternativen des Zugriffs an, die dem Zuschauer zur Auswahl stehen. Die DVD enthält als editiertes Hauptwerk zwei Fassungen: Sowohl die Ur- als auch die Zensurfassung mussten rekonstruiert werden, da der Film seit seiner Produktionszeit 1957–1959 in der DDR aufgrund ideologischer Christen gesteht ein, dass diese Distinktion nicht mit absoluter Trennschärfe zu halten ist. Er kommt zu dem Schluss, dass filmrestauratorisches und quellenphilologisches Wissen zum Zwecke der Vermarktung eingesetzt werde – gerade im ökonomischen Paradigma. Ich wähle hier einen anderen Argumentationsverlauf, da ich aufgrund der eingeschränkten Möglichkeiten der Abgrenzung und generell angesichts der fehlenden Standards für Filmeditionen die These vertrete, dass gerade in der massenmedialen Zirkulation sich eine (medien)historiografische Wirksamkeit entfaltet und deshalb die Phänomene erinnerungskulturell in ebendiesem Horizont als bedeutsam zu begreifen sind. 66  Für den Hinweis auf den Fall von Die Schönste danke ich Evelyn Strahm. Franziska Heller - 978-3-8467-6460-2 Heruntergeladen von Fink.de01/03/2022 12:27:50PM via free access 380 kapitel 7 Bedenken und sich verändernder politischer Konstellationen im Ostblock verboten war. Nach den ersten Dreharbeiten 1957 wurden immer wieder Um- schnitte und Nachdrehs – auch mit Wechseln bei der Regie – vorgenommen, um das Projekt noch zu retten (vgl. hierzu als Übersicht die Zeitleiste im Booklet der DVD: 4–5). Der Film, ursprünglich ein Bühnenstück von Ilse Langner, hatte inhaltlich von vornherein mit dem Paradox zu kämpfen, eine kritische Haltung gegenüber dem bürgerlichen Westen und dem sogenannten ‚Wirtschaftswunder‘ einnehmen und zugleich ein Unterhaltungsfilm für die Familie sein zu wollen. Im Mittelpunkt steht die Aushandlung von Schein und Sein. Es ist die Geschichte einer Wette zwischen zwei Jungen, welche Mutter die schönere sei. Zur Probe entwenden sie jeweils ein Schmuckstück, um zu beweisen, dass die Mütter auch ohne ihren Schmuck schön sind. Diese narrative Grundsituation bedingte, dass man als Negativfolie den Luxus des westlichen Bürgertums zeigte und daraus gleichzeitig unter- haltende Schauwerte zog. Es ergab sich damit nach Rudolf Böhm, damaliger Chefdramaturg der DEFA, im Laufe der Zensurmaßnahmen eine angespannte Erzählhaltung gegenüber dem eigentlich zu kritisierenden Gegenstand: „Wenn man die Brüchigkeit [der westdeutschen Gesellschaft, FH] zeigen will, kann man sie nicht inmitten des Glanzes zeigen, der die Kritik überdeckt“ (Böhm, zit. n. Schenk 2002c: 8). Zugleich, und dies erhöhte noch die Spannungen, sollte – so die ursprüngliche Planung in der Phase des ‚Tauwetters‘ Mitte der 1950er Jahre – der Film in den Westen exportiert werden (deshalb waren auch zunächst ein Autor und Darsteller aus Westdeutschland möglich). Doch diese Stimmung schlug bereits Mitte 1957 schon wieder aufgrund weltpolitischer Ereignisse, etwa des Aufstands in Ungarn, um. Trotz weiterer Kürzungen und der Einfügung neuer Szenen sowie des Einschubs von an Brecht’sche Ver- fahren angelehnten didaktischen Zwischendialogen, die die Doppelmoral des ‚Wirtschaftswunders‘ verdeutlichen sollten, kam der Film nie auf die Lein- wand. Das Projekt verschwand in den Archiven.67 Selbst zur Wende 1989, als eine Kommission sich den Verbotsfilmen der DDR widmete – so Ralf Schenk in seiner Dokumentation –, sei der Film unbeachtet geblieben, weil er der Legende nach als relativ unpolitischer bürgerlicher Unterhaltungsfilm galt. Erst nach der Gründung der DEFA-Stiftung 1999 wurde das Werk im Zeit- raum 2000–2002 zusammen mit dem Bundesarchiv-Filmarchiv unter den 67  Die Zensurabnahmen des Films dauerten bis Januar 1958. Hochrangige SED-Politiker und Kulturfunktionäre waren in den Prozess einbezogen. Die Meinungen waren weitgehend negativ: Eine Entlarvung des Wirtschaftswunders sei nicht zu erkennen gewesen, statt- dessen wirke der Film ideologisch indifferent, wie ein ‚Produkt der Traumfabrik‘ (Schenk 2002a: 8). Franziska Heller - 978-3-8467-6460-2 Heruntergeladen von Fink.de01/03/2022 12:27:50PM via free access Mediale Zirkulation und Mise en Relation 381 veränderten institutionellen und politischen Bedingungen auf der Grund- lage seiner unterschiedlichen Materialien und Manifestationen in einer ‚Ur- fassung‘ und ‚Zensurfassung‘ rekonstruiert. 2002 erfolgte die Uraufführung im Filmkunsthaus Babylon in Berlin (Schenk 2002a und b).68 Die Zensur- und Überlieferungsgeschichte der Versionen sind insofern eng an deutsche Er- eignisgeschichte geknüpft, die jeweils ideologische Normierungen des Film- materials zur Folge hatte. Unter der Redaktion von Ralf Schenk wurde Anfang der 2000er Jahre das Konvolut von überlieferten Materialien zu einer DVD editiert: So enthält die DVD die zwei rekonstruierten Fassungen sowie rahmende, ergänzende, kommentierende und kontextualisierende Zeugnisse und Dokumente, die sich über schriftliche wie audiovisuelle Formen vermitteln. Die auf diese Weise multimedial vermittelten historischen Prozesse und Praktiken bilden die wichtigsten Bezüge für die Herstellung des Verhältnisses – die Mise en Relation – der Filmfassungen zueinander. Die beiden Fassungen werden im Menü der ersten DVD wie folgt kopräsent angezeigt – unter der Maßgabe einer Auteur-Kategorisierung mit Blick auf den jeweiligen Regisseur; dies vor dem Hintergrund einer Menügestaltung, die in das Thema des Films einführt: Die Protagonistin Frau Berndorf, als Unternehmergattin und Mutter Projektionsfläche für die titelgebende Schönheit, die allerdings an den Besitz eines Perlenkolliers gebunden ist, steht im Mittelpunkt. Das glänzende Perlen- kollier stellt auch gleichzeitig das Icon zur Auswahl des jeweiligen Schriftzugs der Fassung dar. Auszuwählen sind (Abb. 7.19): – die Urfassung Ernesto Remani, – die Zensurfassung Walter Beck, Man kann also beide Fassungen linear in ihrer Rekonstruktion von Ralf Schenk als integrale (eigenständige) Filme anschauen. Gleichzeitig bekommt man allerdings unter dem Menüpunkt der Zensurfassung nun die Variationen noch einmal in Einzelkapiteln offeriert – also als Fragmente ohne den narrativen Zusammenhang der Story (nur angedeutet über ‚Kapiteltitel‘). Es ist strukturell zunächst eine vor allem auf den Regisseur bezogene Aufschlüsselung der Unterschiede. Der Nutzer kann also wie folgt auf die narrativen Fragmente zu- greifen (Abb. 7.20): 68  „Zum ersten und einzigen Mal in der DEFA-Geschichte wurden an einem Abend zwei komplette Fassungen ein- und desselben Films gezeigt. Die überlieferten Materialien hatten sowohl die Rekonstruktion der ersten, dem Drehbuch entsprechenden Urfassung von 1957 als auch der stark gekürzten, durch neue Szenen erweiterten Zweitfassung ge- stattet“ (Schenk 2002c: 9). Franziska Heller - 978-3-8467-6460-2 Heruntergeladen von Fink.de01/03/2022 12:27:50PM via free access 382 kapitel 7 Abb. 7.19 Abb. 7.20 – neu inszenierte und eingefügte Szenen von Walter Beck, die dann numme- riert in einer Liste einzeln anwählbar sind. Die Szenen haben jeweils kurze, inhaltsangebende Titel; – bereits von Ernesto Remani nachinszenierte/gedrehte Szenen. Diese Überlieferungsgeschichte wird auf mehreren Ebenen ergänzend nar- rativiert und unter anderem in einen Kontext gesetzt: – durch das ausführliche Booklet, das wiederum über eine Zeitleiste eine chronologisch geordnete Übersicht schafft unter dem Titel Chronik eines Franziska Heller - 978-3-8467-6460-2 Heruntergeladen von Fink.de01/03/2022 12:27:50PM via free access Mediale Zirkulation und Mise en Relation 383 Filmverbots sowie über einen Fließtext, der die Geschichte des Films erzählt (Schenk 2002a: 6–9); – durch den filmisch erzählenden Paratext Die Schönste – Rückblick und Restaurierung einer filmhistorischen Dokumentation, in der der verantwortliche Redakteur meist als Talking Head die Zusammenhänge noch einmal in Vortragsform performativ vermittelt. Auch Zeitzeugen der Produktion (Szenenbildner, Aufnahmeleiterin, zweiter Autor für Änderun- gen, Schauspielerin) kommen zu Wort und stellen über ihre Erinnerungen eine Verbindung zwischen den Filmbildern und der Gegenwart her. Insbe- sondere die Schauspielerin Gisela May betont das Unbehagen, sich selbst als jugendliche Schauspielerin noch einmal auf der Leinwand zu sehen – in Filmbildern, die sie vorher nie hat sehen können. Ihre Person, Biografie und Lebensdauer schaffen die Verbindung zu dem Film, der nun erst ‚das Licht der Welt‘ – so die Implikation der Dramaturgie der Dokumentation – er- blickt. Die visuelle Inszenierung unterstützt die doppelte neue Sichtweise des Films, die sich metaphorisch hier andeutet: Talking Heads der Zeitzeu- gen und Stills aus dem Spielfilm werden in einer fenster- oder leinwandähn- lichen Mise-en-Abyme-Struktur zusammen im Bild gezeigt. – Auf der zweiten DVD finden sich noch diverse nichtfilmische Materialien, etwa Informationen zu Produktionsbeteiligten, aber auch weitere Archiv- materialien wie Fotos, Zulassungsprotokolle, das Drehbuch oder Partituren. Im begleitenden Booklet steht unter der Auflistung der ganzen Zusatzma- terialien „Viele Dokumente zum Ausdrucken und Archivieren!“. Auf diese Weise wird zum einen der Gestus des Entdeckens, des Recherchierens beim Nutzer angeregt, zum anderen setzt sich auch der Aneignungsgestus des Me- diums der DVD fort: Es geht nicht mehr nur darum, die Box oder den Film zu besitzen,69 sondern zugleich über die Praxis des Sammelns auch histo- rische Zusammenhänge selbst zu entdecken und konstruieren zu können.70 Die Überlieferungsgeschichte als Cluster wird zum Mehrwert des Films. Die DVD wird in ihrer medialen Erfahrung zum Medium der Vermittlung der Rekonstruktion, die sich nicht nur philologisch affirmativ verhält, sondern in der Intermedialität, in dem Dazwischen der Montage der Materialien, Projektionen des Nutzers auf die historische Dimension des editierten Wer- kes zulässt. Dies überträgt sich auf das Erlebnis der jeweiligen Filmfassung, 69  Zur Fetischisierung des Archivs – auch in seinem Sammlungsgestus – vgl. H. Böhme (2012) in  Kap. 4. 70  Wieder sei an dieser Stelle auf die Zusammenhänge von Sammlerpraktiken und Dis- kursen um Cinephilie verwiesen; vgl. hierzu grundsätzlich Valck/Hagener (2005). Franziska Heller - 978-3-8467-6460-2 Heruntergeladen von Fink.de01/03/2022 12:27:50PM via free access 384 kapitel 7 wo anhand der ästhetischen Erfahrung immer das Moment der möglichen Alternativen kopräsent ist. Dass ein vermeintlich ‚bürgerlicher Unterhaltungsfilm‘ solche historischen Transformationsprozesse durchlaufen hat, lenkt den Blick auch auf die inhä- renten Ambivalenzen der filmischen Bilder selbst. In der Mise en Scène setzt sich das Thema des (falschen) Scheins vor allem in der Darstellung der Lebens- verhältnisse der Familie des Geschäftsmannes um. Die Räume in der aus- ladenden Villa haben eine symbolisch aufgeladene Ausstattung, die fast an die Hollywood-Melodramen von Douglas Sirk erinnert, die Kostüme schillern in Agfacolor (Abb. 7.21). Abb. 7.21 Der Glanz und Schein der Oberflächen überträgt sich in den Aufbau der Räumlichkeiten: Oft ist nicht klar zu erkennen, wo in den Boudoirs die Türen in den Wänden und Spiegeln der üppigen Wanddekorationen versteckt sind. Der Reichtum, der eigentlich entlarvt werden soll, verleiht gerade in solchen Bildern dem Film seinen Schauwert und unterläuft so im Sinnlichen die eigentliche antikapitalistische Botschaft. Diese sollte entsprechend in den Nachdrehs von Walter Beck, basierend auf extra angefertigten Texten vom Brecht-Schüler Heinz Kahlau, mit einer ‚agitatorischen Kommentierung‘ über eine Rahmenhandlung zweier Maler und eines Bänkelsängers (gespielt von dem jungen Manfred Krug) deutlicher hervorgebracht werden – der ganze Schein ist Fassade, die letztendlich immer zerbröckeln wird; kulminierend im hinzugefügten letzten Bild des Films: Die Maler überstreichen das Blickfeld der Kamera (Abb. 7.22). Franziska Heller - 978-3-8467-6460-2 Heruntergeladen von Fink.de01/03/2022 12:27:50PM via free access Mediale Zirkulation und Mise en Relation 385 Abb. 7.22 Man könnte dies wiederum metaphorisch wenden und angesichts der ständi- gen Veränderung des Films die These formulieren, dass in den historischen Praktiken versucht wurde, die Schauwerte des Filmbildes palimpsestartig zu überschreiben – was nun die DVD räumlich und zeitlich aufschlüsselt und auffächert. Für meine Argumentation bedeutet dies, dass der Prozess der Rekonstruktion und der Überschreibung sich wirkungsästhetisch in der sinn- lichen Wahrnehmung beim Nutzer als (Nach-)Vollzugsinstanz vollzieht. Entsprechend verhalten sich dann auch die beiden unterschiedlichen Enden: Entweder wird der Schein aufrechterhalten. Die bourgeoise Unter- nehmerfamilie bleibt zusammen, Lug und Betrug sind vergeben. Oder aber Mutter und Sohn verlassen gemeinsam den betrügerischen Vater und Ehemann. In Anlehnung an vorherige Beispiele könnte man in dem Dispositiv dieser DVD mit ihren explizit historischen Referenzen die Struktur einer historio- grafischen Multiple-draft- oder auch Forking-path-Narration ausmachen;71 weder die eine noch die andere ist falsch. Oder mit Hartmann (2012) ge- sprochen: Der Geltungsanspruch der Geschichte ist ausgesetzt, wird mög- licherweise überlagert von der subjektiven Beurteilung des Geschehens. 71  Dieser Ansatz versteht sich als Versuch, im Anschluss an Hayden White (2008) poeto- logische und narrative Strategien der (mediatisierten) Historiografie zu untersuchen; im vorliegenden Fall sind es Modelle aus filmnarratologischer Perspektive. Des Weiteren ver- weist ein solches Muster der Geschichtsschreibung respektive des Geschichtserlebens auf medienarchäologische Modelle, wie sie mit Elsaesser (u. a. 2004) in  Kap. 3 be- schrieben worden sind. Franziska Heller - 978-3-8467-6460-2 Heruntergeladen von Fink.de01/03/2022 12:27:50PM via free access 386 kapitel 7 Erneut profiliert meine Perspektive die medienhistoriografische Wirksam- keit im Erlebnismodus des Vergleichs über die spezifische Mise en Relation, wobei Thema, Struktur und Ästhetik des editierten Spielfilms wiederum eine wichtige Rolle einnehmen: Der historisierende Nachvollzug von möglichen Zusammenhängen (im Sinne einer historisierenden Lektüre in Anlehnung an Odin) geschieht in Verbindung mit dem Modus der Unterhaltung im Glanz der ambivalenten, ästhetisch exzessiven Bilder. So wird Geschichte ohne festen Referenten sinnlich-medial als Praxis von filmisch-atmosphärischen Differenzen erfahrbar. Der Nutzer kann über den imaginären Vergleich, die mögliche Varianz der rezipierten Fassung die historische Zensurpraxis ex negativo aufgrund des offenen Ensembles in der Konfiguration der DVD er- fahren – auch im Modus der Re-Montage und des Fragmentarischen. Letzteres gilt insbesondere für die einzeln editierten Sequenzen. Die historische Praxis wird so auch für die (Markt-)Öffentlichkeit individuell interpretierbar – je nach persönlicher Wahl und entsprechender Mise en Relation; dies allerdings immer im Modus der unterhaltsamen Spurensuche mit überbordenden Schauwerten, wodurch das Beispiel ein „spannendes Kapitel“ der deutschen Filmgeschichte bleiben wird. Die historische Spurensuche verwebt sich in diesem Fall anschaulich und nachdrücklich mit der Wahrnehmung der filmischen Fiktion, die auf den melodramatischen Exzess baut und damit einen sinnlichen Überschuss produziert (vgl.  Kap. 6). Die DVD auratisiert das historische Cluster, der Nutzer betreibt – zugespitzt zusammengefasst – als Projektionsinstanz die Rekonstruktion von historischen Zusammenhängen im Erfahrungsmodus des filmästhetischen Exzesses. Eine pikante Pointe ist nicht zu übersehen: Der Exzess der Bilder sollte ursprünglich eigentlich ge- sellschaftliche Verblendungszusammenhänge ausstellen (woran er schon zu seiner Produktionszeit scheiterte). Heute trägt der Glanz der Bilder nicht nur zur faszinativen Wirkung und zum kulturellen, erinnerungswürdigen Status des Films bei. Darüber hinaus vermittelt der schöne Schein der Bilder implizit ausgerechnet historische sozialistische Denk- und Wahrnehmungsweisen, die sich in der Erfahrung der Mise en Relation der Versionen und/oder der jeweiligen Fragmente beim nutzenden Zuschauer einstellen können. 7.8 Mise en Relation der Mythen I. Die Nibelungen (1924) und die Überlieferungsgeschichte in heutiger audiovisueller Perspektive Die Auratisierung von Filmen als filmhistorische Cluster in digitalen Dis- positiven soll in der Folge in einer weiteren Analyse eines DVD-Paratextes, einer filmhistorischen Dokumentation, erläutert werden, die den editierten Franziska Heller - 978-3-8467-6460-2 Heruntergeladen von Fink.de01/03/2022 12:27:50PM via free access Mediale Zirkulation und Mise en Relation 387 Film als sogenanntes Bonusmaterial rahmt und kommentiert. Die an dieser Stelle untersuchte Ausprägung der Mise en Relation liegt vor allem in filmi- schen Konfigurations- und Vermittlungsformen: Die Relativierung von hist o- rischer Wahrnehmung wird audiovisuell verhandelt und für den Zuschauer in spezifischer Weise sinnlich erfahrbar gemacht. In diesem Fall soll – im Zeichen von Formen der Mise en Relation – das Moment der Legierung von filmischer Fiktion und Non-Fiction-Material72 als ästhetische Ausprägung einer historio- grafisch wirksamen Relativierung von Geschichtsbildmodellierungen hervor- gehoben werden. Das besprochene Exempel ist die Dokumentation Das Erbe der Nibelungen, die der Eureka-DVD-Edition 2012 von Fritz Langs Die Nibelungen (1924) beigelegt ist. Die Dokumentation verhandelt Versionenhaftigkeit als filmhistorische Konfiguration auf mehreren Ebenen: Zum einen zeigt sie das Problem ver- schiedener Fassungen als Referenzen im Restaurierungsprozess auf. Zum anderen werden verschiedene Fassungen als Effekt von – in diesem Falle – ideologischen Normierungen, die Überlieferungsvarianten zur Folge haben, illustriert. Die dynamische zeitliche Dimension einer solchen Überlieferungs- geschichte, in der historische Umstände das Filmwerk inhaltlich, formal- wie rezeptionsästhetisch prägen, steht in einer Spannung zu dem Thema des Films und dem damit auch verwobenen, sich mehrfach re-konfigurierenden Status des Werks als überzeitlichem Mythos. Die tatsächliche Fassungsgeschichte zeitigt deutliche Folgen für die vor- liegende DVD-Edition und den Film, der über sie zugänglich wird: Zum einen gilt dies für den materialästhetischen Restaurierungsprozess in Fragen der Bildgestaltung und -qualität. Zum anderen haben die Überlieferungs- und Rezeptionsgeschichte Einfluss auf die Story, wenn es um Aspekte der dramaturgischen Rekonstruktion einer möglichst kompletten Version geht. Dass es dann dazu eine filmische Ab- und Aushandlung im Format einer Dokumentation gibt, die als Bonusmaterial eines digitalen Dispositivs funktioniert, macht den Fall als jüngere Aktualisierungspraxis auf mehreren Ebenen interessant. Wie bereits einleitend erwähnt, stellen inhaltlich die beiden Teile von Die Nibelungen ein eindrückliches Beispiel für Zeitkonzeptionen und Geschichtsbilder aufgrund der inhaltlichen Thematik dar. Der Stoff ist ein archaischer deutscher Mythos, der schon, bevor er verfilmt wurde, auf viele verschiedene Weisen in unterschiedlichen Medien und Kunstformen auf- gegriffen und erzählt wurde (u. a. H.-B. Heller 1991). Im Anschluss daran wurde 72  Vgl. zu diesem Verfahren ausführlich  Kap. 6. Allerdings erfolgten dort die Analysen mit Fokus auf die Bedeutung des Imaginären und der Imagination. Franziska Heller - 978-3-8467-6460-2 Heruntergeladen von Fink.de01/03/2022 12:27:50PM via free access 388 kapitel 7 der Film von Fritz Lang selbst ein Mythos – auch unter den Vorzeichen einer (retrospektiven) Nobilitierung durch eine Auteur-geprägte Perspektive mit Blick auf den Regisseur Lang. Die Dokumentation Das Erbe der Nibelungen (Altendorf/Wilkening, 2011) beginnt mit der Frage, was von dem Filmset aus den 1920er Jahren über- lebt hat, als Lang entschied, alle Dekorationen des Films zu zerstören. Dies findet in der Dokumentation sein ikonisches Bild, in dem der Brand der Kulisse der Etzelburg auf dem Filmgelände in Babelsberg gezeigt wird (das gleichsam Eingang in den zweiten Teil, Kriemhilds Rache, und somit in die filmische Fiktion fand, Abb. 7.23). Abb. 7.23 Die männliche Voice-Over der Dokumentation fragt anhand dieser Bilder, was eigentlich noch an sichtbaren Spuren des Films in Babelsberg übrig geblieben sei. Das hier etablierte diskursive Leitmotiv der Frage nach sichtbaren Formen und Monumenten der Erinnerung – hier am konkreten Beispiel der Gebäude- kulissen – wird visuell und rhetorisch immer wieder von der Dokumentation aufgegriffen. Dies gilt insbesondere eben auch für die komplizierte Frage, wie Bilder eines Filmes überleben, wie die Bilder unter wechselnden historischen Bedingungen zirkulieren und ihre Bedeutung verändern. Zunächst wird das Problem der Überlieferung von der Dokumentation in einen restaurationspraktischen Kontext gesetzt: Es werden die besonderen Umstände der Filmproduktion von Die Nibelungen erklärt – und dies wird bedeutsam für die Frage nach der Referenz und nach der Bestimmung eines Originals, was zentral für jeden Restaurierungsprozess ist. Zur Er- innerung: Jede Restaurierung, so jüngere pragmatische Ansätze zur Theorie der Filmrestaurierung, kreiert ein eigenes Dispositiv (Fossati 2009, Wilkening Franziska Heller - 978-3-8467-6460-2 Heruntergeladen von Fink.de01/03/2022 12:27:50PM via free access Mediale Zirkulation und Mise en Relation 389 2014). Damit bringt jede Restaurierung die Voraussetzungen, unter denen sie ihr Original definiert, selbst hervor – über die jeweiligen institutionellen, technologischen, ästhetischen und ethischen Entscheidungsprozesse als Be- dingungen der Referenz und des Restaurierungsresultats. Die Nibelungen sind hier ein besonderer Fall: Der Film wurde mit mehreren Kameras gedreht, wodurch es somit mehrere ‚Original‘kameranegative gibt, die sich leicht im Bildwinkel unterscheiden. In der Dokumentation wird dies vergleichend über einen Split Screen mit Fragmenten aus dem Film illustriert (Abb. 7.24–7.26). Abb. 7.24 Abb. 7.25 Abb. 7.26 Franziska Heller - 978-3-8467-6460-2 Heruntergeladen von Fink.de01/03/2022 12:27:50PM via free access 390 kapitel 7 Wie schon an anderer Stelle erwähnt (vgl.  Kap. 4 und  Kap. 6), nehmen Split-Screen-Konfigurationen eine wichtige Funktion in filmhistorischen Doku- mentationen ein – insbesondere in der Vermittlung von Restaurierungs- praktiken. Sie sind ein wichtiges wirkungsästhetisches Mittel der Mise en Relation (vgl. auch unten die weitere Konzeptualisierung des Split Screens als Wahrnehmungsdispositiv). Eine Split-Screen-Konfiguration macht in einem solchen filmischen Kontext die Varianz von materialästhetischen Merkmalen und Bildqualitäten für den Zuschauer – gemäß meinem Sprachgebrauch – sinn- lich nachvollziehbar: Auf diese Weise, wie etwa auch schon im Zusammenhang der Re-Editionen von Peter Pan oder Le Voyage dans la lune erläutert (vgl.  Kap. 4 und  Kap. 6), wird der Zuschauer zur performativen (Nach-) Vollzugsinstanz nicht nur des Unterschieds, sondern – je nach Kontext – auch des qualitativen Sprungs (einer Verbesserung). Über den Modus des Vergleichs wird der Zuschauer angehalten, die visuelle Evidenz nachzuverfolgen und damit zu affirmieren, dass eine Veränderung stattgefunden hat. Ähnliche Ver- fahren kommen zur Anwendung, wenn verschiedene Fassungen inhaltlich verglichen werden: Welche Bilder sind in welcher Version vorhanden? Auch dies wird über Bildmontagen in Form von Split-Screen-Anordnungen dem Zu- schauer anschaulich und zugleich erfahrbar gemacht. Im Falle der Einschätzung der überlieferten filmischen Quellmaterialien von Die Nibelungen, die hier in der Dokumentation in verschiedenen Split- Screen-Konfigurationen einer Mise en Relation unterzogen werden, geht es vornehmlich darum, die Schwierigkeiten der Bestimmung eines Originals und damit auch das Problem der Versionenhaftigkeit von Filmen zu vermitteln, was letztendlich den Zuschauer für die notwendigen Entscheidungsprozesse in der Filmrestaurierung sensibilisiert. Im Fortgang der Dokumentation verlegt sich das Verfahren der Mise en Relation und der Kontextualisierung mit Blick auf die weitere Überlieferungs- geschichte von Die Nibelungen allerdings zunehmend auf das Prinzip des linearen Montageflusses unterschiedlicher Bildregister, was in Kombination mit den Inhalten der Bilder spezifische Folgen für das vermittelte Geschichts- bild zeitigt. Die Rezeption des Films wurde – so erzählt es die Dokumentation – in den 1930er Jahren äußerst ideologisch und damit politisch aufgeladen.73 Goebbels, so zitiert die Dokumentation, bezeichnete Die Nibelungen zu dieser Zeit als einen Schicksalsfilm mit Vorbildfunktion („das deutsche 73  Der Film hatte schon zu dieser Zeit – neben anderen Veränderungen – eine techno- logische Normierung durchlaufen: Ab Mai 1933 gab es auch eine Tonfilmfassung des ersten Teils, der in den Kinos in Deutschland lief. Franziska Heller - 978-3-8467-6460-2 Heruntergeladen von Fink.de01/03/2022 12:27:50PM via free access Mediale Zirkulation und Mise en Relation 391 Schicksal schlechthin“), der die Zeit überdauere: „Wie alt ist dieser Film schon, und doch, wie modern“.74 Diese Tendenzen, den Film ideologisch und erinnerungspolitisch als Mythos zu funktionalisieren, werden von der Dokumentation durch spezi- fische ästhetische Verfahren aufgegriffen und vermittelt. Die Aneignung des Films durch den Nationalsozialismus wird über eine Montage umgesetzt, die zeitgenössische Non-Fiction-Archivbilder mit Fragmenten aus den Lang’schen Nibelungen-Spielfilmen verschmilzt. Dies wird auditiv auf zwei Ebenen er- gänzt, indem zum einen die Voice-Over bedeutungsgebende Verbindungen schafft. Zum anderen wird O-Ton etwa von Goebbels über die Bilderfolgen gelegt. Somit liegt ein argumentativer und ästhetischer Schwerpunkt der Dokumentation auf der Demonstration der Legierung von Realität und filmischer Fiktion in Hinblick auf die Etablierung eines kollektiven, kultischen Gedächtnisses, das die Massen ergreift. Die Voice-Over der Dokumentation hebt in diesem Sinne die grundsätzliche Bedeutung eines Spielfilms für die Geschichtsbildung und Identität der nationalsozialistischen Ideologie hervor: „Tonscherben taugen nicht als Zeichen des heldischen Aufbruchs, […] das NS-Kino bedient sich des Nibelungen-Films. Seine Bilder werden verein- nahmt, kopiert und übersteigert. Mit Pomp werden Tote ausgegraben, um- gebettet und zu Helden erklärt.“ In der Aneignung der Bilder des Spielfilms wird ein mehrdeutiger ritueller Erinnerungskult aufgebaut, der sich aus einem das Individuum übersteigenden Zeitbegriff speist – so die Erklärungen des Kommentars. Die Dokumentation greift dies formal auf, indem zu diesen Worten Bilder aus Die Nibelungen montiert werden mit Non-Fiction-Material, das natio- nalsozialistische Massenaufmärsche und öffentlich inszenierte Beerdigungen zeigt (Abb. 7.27). Auf diese folgen wiederum offensichtlich inszenierte Szenen von ger- manisch-archaischen Beerdigungsritualen aus dem Film Ewiger Wald (Springer/Sonjevski-Jamrowski, 1936). Die Referenz auf diesen Film wird kenntlich gemacht durch die schriftliche Einblendung seines Titels (Abb. 7.28– 7.29). Dazu hört man den diegetischen Ton weihevoller Chorgesänge. Kultur- historisch ist der hier einmontierte, heute kaum mehr bekannte Film Ewiger Wald einzuordnen als „(g)roßangelegter Versuch, im Sinne der ‚Blut und Boden‘-Ideologie der Nationalsozialisten die Geschichte des deutschen Volkes als Geschichte des deutschen Waldes zu erzählen, hergestellt im 74  Zu dem historischen wie in jüngerer Zeit geführten Diskurs um den Nibelungen-Film im Zeichen des Zusammenhangs von ‚Mythos‘ und aktuellem ‚Zeitbild‘ (Fritz Lang) vgl. – auch mit Bezug auf Langs explizite Selbstkommentierungen – H.-B. Heller (2003). Franziska Heller - 978-3-8467-6460-2 Heruntergeladen von Fink.de01/03/2022 12:27:50PM via free access 392 kapitel 7 Abb. 7.27 Abb. 7.28 Abb. 7.29 Franziska Heller - 978-3-8467-6460-2 Heruntergeladen von Fink.de01/03/2022 12:27:50PM via free access Mediale Zirkulation und Mise en Relation 393 Auftrag der NS-Kulturgemeinde“ (Filmportal.de zu Ewiger Wald). Ewiger Wald arbeitete selbst mit der Vermischung verschiedener Bildregister und propagierte damit ein auch außermedial wirksames Geschichtsbild im Sinne der Naziideologie: „In einer Mischung aus Dokumentar- und Spielszenen spannt der Film seine Handlung von der Bronzezeit bis in die Gegenwart“ (Filmportal.de zu Ewiger Wald). Diese mythische Zeitideologie wird – so die Argumentation der Doku- mentation der DVD aus dem Jahr 2011 – immer mehr mit der Fiktion des Mythos verwoben: Siegfrieds Schwert werde immer weiter geschmiedet. Daran schließt eine Montage von Filmausschnitten unterschiedlicher Provenienz an, die alle ikonografisch auf Siegfrieds Waffe rekurrieren (Abb. 7.30–7.33) – bis hin zu dem Zitat eines „Kurz-Dokumentarfilms“ (Filmportal.de), dessen Titel auch den wirkungsästhetischen Zweck der Aneignung der filmischen Bilder beschreibt: Deutsche Vergangenheit Wird Lebendig (Kifo/Hellmut Bousset, 1936). Abb. 7.30 Abb. 7.31 Franziska Heller - 978-3-8467-6460-2 Heruntergeladen von Fink.de01/03/2022 12:27:50PM via free access 394 kapitel 7 Abb. 7.32 Abb. 7.33 Die DVD-Dokumentation zeigt über die Montage verschiedener Materialien, wie der Nibelungen-Film, insbesondere der erste Teil, als eine steinbruchartige Quelle für symbolische Bilder verwendet wurde, um ein die Zeit und das Individuum überdauerndes mythisches Geschichtsbild und Selbstverständnis zu etablieren. Angesichts eines solchen Montageflusses wird der Zuschauer ständig mit der Notwendigkeit konfrontiert, zwischen den unterschiedlichen Bildregistern zu unterscheiden beziehungsweise sie einer entsprechenden Lektüreform zuzuordnen. Meine These ist allerdings, dass – aufgrund der pasticheartigen Montageform im Zusammenspiel mit der präsentisch wir- kenden Eindrücklichkeit und ästhetischen Dichte bestimmter Bilder – in der Dauer des Montageflusses apriorische Distinktionsgrenzen zwischen den Lektüreformen verschwimmen. Der Zuschauer muss für sich ständig selbst die Bilder vergleichend bewerten, er muss zwischen erkennbaren Implikationen der zitierten Ausgangsfilme, ideologisch überformten Aneignungsformen und Franziska Heller - 978-3-8467-6460-2 Heruntergeladen von Fink.de01/03/2022 12:27:50PM via free access Mediale Zirkulation und Mise en Relation 395 kritisch-diskursiver Narration aus heutiger Sicht mit restaurationspraktischem Interesse komparatistisch und situativ abwägen. Für die Fassungsgeschichte des Films haben die nationalsozialistischen Aneignungsformen zur Folge, so argumentiert die Dokumentation von 2011 weiter, dass der Nibelungen-Film von Fritz Lang zu einem gefledderten Torso reduziert wurde, der hochgradig ideologisch kontaminiert war. Dies, so die Logik und Narration der Dokumentation, sei einer der Gründe für die Existenz verschieden überlieferter Versionen von Langs Nibelungen, für deren unterschiedliche, zumal kontrovers beurteilte Wertigkeit und damit nicht zuletzt für die insgesamt problematische Ausgangssituation eines jeden Restaurierungsprojekts dieses Werkes: Der NS-Kulturfilm stellt Die Nibelungen als ausgeweideten Torso ins Regal der Filmgeschichte […]. Der Nibelungen-Film ist geplündert und hinter den nationalsozialistischen Zitaten und Plagiaten verschwunden. Was für lange Zeit geblieben ist, sind ideologisch belastete Trümmer, die nicht mehr zusammenzu- setzen sind (VO der Dokumentation). Um den Weg in die Gegenwart der Restaurierung zu finden, fragt die Dokumentation in der Folge, was unter diesen Vorzeichen von dem Film nach dem Krieg übrig geblieben sei. Die Antwort überrascht, da sich der Mythos des Films in den 1950ern in einer neuen performativen Aktualisierungsform wieder zeigte. Die DVD-Dokumentation führt vor, wie in einer Vaudeville- Show (1958) der Film in Kompilation, in Form von kommentierten Versatz- stücken zur Aufführung kam: Unter dem Titel ‚Das gab’s nur einmal …‘ Hans Albers präsentiert die schönsten Filme unseres Lebens … führt der berühmte Schauspieler als Moderator durch ein Showprogramm mit Filmzitaten. Hans Albers, selbst noch gefeierter Darsteller unter den Nationalsozialisten, wurde nun zum (Kino-)Erzähler des Filmmythos Die Nibelungen. Ein Sprung zum Heimkinomarkt: Die DVD-Dokumentation erklärt weiter- hin, dass die Filme unter den oben beschriebenen Vorzeichen in verschiedenen, oft gekürzten Fassungen in Umlauf gekommen sind, was sich auf dem Heim- kinomarkt über den VHS-Vertrieb fortgesetzt habe. Mit Bezug auf die Aussagen der Friedrich-Wilhelm-Murnau-Stiftung wird darauf hingewiesen, dass im Ausland Die Nibelungen, vor allem über die Arbeit von Goethe-Instituten, als wichtiger Bestandteil der deutschen Kultur und des Erbes etabliert wurde. Ähnlich wie bei dem oben beschriebenen Fall von Die Schönste brachte die deutsche Wiedervereinigung auch in der Archivlandschaft Veränderungen, die Zugang zu neuem Material förderten. So beendet die für die vorliegende DVD produzierte Dokumentation ihren ‚Marsch durch die Geschichte‘ mit Franziska Heller - 978-3-8467-6460-2 Heruntergeladen von Fink.de01/03/2022 12:27:50PM via free access 396 kapitel 7 der hier editierten Fassung auf DVD. Die editierte Restaurierung wird mit der Restaurierungsgeschichte des Films verglichen. Das heißt, frühere restaurative Eingriffe werden in die Überlieferungsgeschichte integriert und als deren Be- standteil gesehen – womit gleichzeitig auch die zeitliche Gebundenheit von Ergebnissen solcher Arbeiten deutlich gemacht wird.75 Die Nibelungen ist vor dem Hintergrund meiner Ausführungen zu sehen als ein Film der Filmgeschichte, als ein Film in der Geschichte (des Films). Das Werk steht besonders im Kontext seiner gesellschaftlichen wie politischen Gebrauchsweisen und Funktionalisierungen. Die Überlieferung ist Produkt und Faktor der geschichtlichen Entwicklung: Insofern vermittelt die Dokumentation ein Bild von Filmgeschichte, das von vornherein die Reprise, die eine politische Re-Vision zur Folge hat, mitdenkt. Als ästhetische Verfahren der Dokumentation sind vor allem die Formierungen der Bilder der Geschichte hervorzuheben, die ständig in verschiedenen Formen über die aktuelle Montage relativiert und in neuen, vervielfachten Zusammenhängen gezeigt werden. Diese Pluralität wird als Bedingung und Problem der Zugänglich- und Sichtbarkeit heute ausgestellt. Gleichzeitig, narrativiert und illustriert durch die Dokumentation, wird diese Pluralität zum Konsekrationsargument in der digitalen Edition. Durch den Paratext der Dokumentation thematisiert die DVD die Bedingungen in ästhetisch ausgeprägter Form, die hybridisierenden Verfahren verschrieben ist; hybridisierend in dem Sinne, dass die Bedeutungs- produktion über Bilder in doppelter Ebene koexistierend (nebeneinander) wirkt: – Zum einen beschreibt das Verfahren der Hybridisierung der Register das Prinzip der Bilder- und Symbolaneignung der Nazis inhaltlich. Das ideolo- gisch intendierte Geschichtsbild wird illustriert. – In diesem Prozess der Illustration und damit der Reprise wiederholt die Dokumentation zum einen hybridisierende Verfahren zwischen Fakt und medialer Fiktion, die dem filmischen Material inhärent sind, und verstärkt diese noch im eigenen Montagezusammenhang (vgl. zu ähnlichen Verfah- ren der Legierung von Bildregistern und zu ihren Effekten  Kap. 6). 75  Für die vorliegende Fassung gilt, wie es Anke Wilkening, bis 2019 Restauratorin der Friedrich-Wilhelm-Murnau-Stiftung selbst in der Dokumentation formuliert: „[I]nsofern denke ich, ergibt sich dadurch die Möglichkeit, wirklich nochmal Nibelungen neu zu entdecken, weil jetzt vielleicht so richtig zum ersten Mal die Leistungen des Films in ästhetischer Hinsicht deutlich werden.“ Dies gilt vor allem für das besondere Tinting, die Einfärbung dieser restaurierten Version, zu der sich Wilkening auch publizistisch mit ihren Forschungsbefunden zum Umgang mit historischen Farbverfahren im Rahmen des Restaurierungsprozesses geäußert hat; vgl. Wilkening (2009). Franziska Heller - 978-3-8467-6460-2 Heruntergeladen von Fink.de01/03/2022 12:27:50PM via free access Mediale Zirkulation und Mise en Relation 397 In dem Prozess der Reprise kommen sinnliche Schauwerte, vor allem des Lang’schen Spielfilms, zum Tragen, die die Attraktion des präsentischen Er- lebnisses vermitteln. Die Form der Montage in der Dokumentation lässt die Bilder als fragmenthafte Passagen eines filmischen Spektakels wirken – im Sinne Benjamins (1982, vgl.  Kap. 3). Dabei vermittelt sich eine Mise en Relation, die auf eine mit der sinnlichen Attraktion operierende Geschichts- bildmodellierung zielt und zugleich eine mehrschichtige historisierende Lektüre der Bilder initiiert. Thematisch wird die Idee eines Mythos in seinen Ambivalenzen verhandelt, der die Zeit überdauert. Allerdings wird der Mythos des Lang’schen Films von der Dokumentation nicht näher bestimmt – es bleibt letztendlich unklar, ob die Story des Films und ihr Sujet, der Film selbst als Medienereignis oder die Ikonografie der Bilder gemeint sind. So begründet die interagierende Überlagerung der Bedeutungsebenen, die Heterogenität des überlieferten Torsos, den schemenhaften Mythos, was wiederum eine Funktion in Hinblick auf die aktuelle Edition erfüllt. Die Funktionalisierung historischer und symbolischer Wandelbarkeit macht das Erzählen der Geschichte im Modus des Audiovisuellen attraktiv. Dabei wird zugleich eine interesselose Enunziationsinstanz von Geschichte etabliert. Dies ist paradox, da es ja gerade inhaltlich um die Wandelbarkeit der Sinnhaftigkeit und der möglichen ideo- logischen Vereinnahmung von Bewegtbildern geht. Es bleibt die ambivalente Situation bestehen, dass im kulturindustriellen Kontext der hier editierten Version die Heterogenität der Bedeutungsschichten von Bewegtbildern zum Mythos des editierten Films nachhaltig beiträgt. Gleichzeitig wird zudem über die Legierung von historisierenden Referenzen und präsentisch wirkenden filmischen Schauwerten eine interessegeleitete Narration in Hinblick auf die Restaurierungsleistung sinnlich vermittelt. Auf einer grundsätzlicheren Ebene stellt somit die Dokumentation über ihr ästhetisches Verfahren die Relativität historischer Bedeutungsproduktion über Bilder und Konzepte geschichtlicher Zeitlichkeit auf der Erlebnisebene des Zuschauers aus – allerdings in einem Spannungsfeld, das aufzeigt, dass genau diese Komplexitäten für die heutigen Restaurierungsmaßnahmen nachhaltige Probleme darstellen. Aber – so die Argumentation der Doku- mentation – diese seien mit der vorliegenden digitalen Edition (vorläufig) gelöst. So ist die Vermittlung der Clusterhaftigkeit des historischen Werks Die Nibelungen mit Blick auf seine filmhistorische Bedeutsamkeit und Kanonisierung eine zentrale Konsekrationsbedingung. Der Zuschauer wird über die heterogene Montage der unterschiedlichen Bildregister in eine Haltung versetzt, in der er ständig seine Lektüreformen – tatsächliche Geschichte referenzierend oder fiktionalisierend – vergleichend abwägen muss. Damit wird wirkungsästhetisch ein synthetisches Geschichtsbild modelliert, Franziska Heller - 978-3-8467-6460-2 Heruntergeladen von Fink.de01/03/2022 12:27:50PM via free access 398 kapitel 7 in das die mythenhaften Bilder der Spielfilme je nach Mise en Relation des Zuschauers historisierend wirken – oder aber gerade im Kontext der aktuellen Restaurierung als Ausdruck einer Fassbarmachung des Filmmythos erlebt werden – im Zeichen eines diffusen Erwartungshorizonts von Moderne. 7.9 Mise en Relation der Mythen II. Metropolis (1927), ein mythisch- modernes filmhistorisches Cluster Der Fall Metropolis ist eines der prominentesten Beispiele der deutschen Filmrestaurierung und stellt damit ein weiteres sehr populäres Exempel eines sich in der Zeit wandelnden filmhistorischen Clusters dar: Seit Jahrzehnten ist Fritz Langs Werk Objekt restauratorischer wie rekonstruktiver Bemühungen und hat verschiedene Formen der Edition durchlaufen (Bohn 2005: 8). Dies gibt Anlass, weiterführend nach den spezifischen Ausprägungen der Mise en Relation sowie nach den umgebenden Diskurskontexten und ihren geschichts- bildmodellierenden Konsequenzen zu fragen. Dies schließt nicht zuletzt an Überlegungen im vorherigen Abschnitt an, in denen es um die clusterhafte Verwebung von Diskursen und medialen Vermittlungsformen von Zeitlich- keiten ging, die sich insbesondere bei Filmen auftun, die inhaltlich und über- lieferungsgeschichtlich mit Konnotationen des mythenhaft Überzeitlichen in Verbindung gebracht werden. In den 1980er Jahren hatte Enno Patalas sich mit seiner philologischen Quellenarbeit zu Metropolis hervorgetan und die sogenannte Münchner Fassung erstellt (Worschech 2010: 32). Seine Vorarbeiten hatten lange Zeit Referenzfunktion. 2001 folgte dann die digitale Restaurierung – mitgetragen von der Friedrich-Wilhelm-Murnau-Stiftung, der Deutschen Kinemathek in Zusammenarbeit mit der Firma Alpha Omega Digital. Mehrere Jahre war die editierte Fassung in Deutschland die bekannteste zirkulierende DVD von diesem Film.76 2005 folgte dann die bemerkenswerte kritische Studien- fassung, die auf DVD die Rekonstruktionsgeschichte strukturell in den Modus der Filmrezeption einbaute – dazu später mehr. Die Geschichte der 2010 re- konstruierten Fassung, in die das bis dahin verschollen geglaubte Material aus Argentinien integriert wurde, ist weithin in der Presse kommentiert worden. Als Basis dieser Rekonstruktion wurde das 2001 digital restaurierte Material verwendet. Die publizistische und diskursive Rahmung dieser Rekonstruktionsge- schichte, die auch in einigen filmhistorischen Dokumentationen weiterge- 76  DVD: Friedrich-Wilhelm-Murnau-Stiftung/Transit Film, Deutsche Kinemathek 2003  Filmverzeichnis. Franziska Heller - 978-3-8467-6460-2 Heruntergeladen von Fink.de01/03/2022 12:27:50PM via free access Mediale Zirkulation und Mise en Relation 399 schrieben wird, zeigt vor allem eines: Das historische Werk Metropolis wird auf ganz unterschiedlichen Ebenen begriffen, narrativ konstruiert und instrumentalisiert. Die Komplexität liegt zum einen in dem industriellen, ins titutionellen wie ästhetischen Objekt begründet, das der (historische) Gegenstand Film darstellen kann. Über was redet man, wenn man über den historischen Film redet? Fokussiert man den Inhalt, das historische filmmaterielle Dokument oder Artefakt, die institutionellen und produktions- geschichtlichen Umstände? Und mit wachsender zeitlicher Distanz multi- plizieren sich auf allen Ebenen die entsprechenden Narrative. Mit Blick auf die Überlieferungsgeschichte von Metropolis bedeutet dies,77 dass die immer wieder vorgenommene Zuschreibung von Modernität an das Werk zunächst auf die inhaltliche Ebene (der Story) sowie auch auf die historischen filmtechnischen Innovationen der Spezialeffekte und Trick- techniken bezogen wird. Diese beiden Ebenen werden bereits miteinander vermengt – wie anlässlich der Restaurierung 2010 noch einmal publizistisch deutlich wurde: „Alchimie für die Zukunft“ (Süddeutsche Zeitung 2010: 15). Die phantastischen Modernitätsattribute erfahren dann eine Übertragung auf die heutige Wirkung. Sie liefern in der Verlängerung der Argumentation die Begründung der heutigen Aktualität des Films und seiner Bedeutung als kulturelles Erbe. Interessanterweise scheint der Film gerade durch seine Geschichte in der Zeit seine zusätzliche Bedeutung erworben zu haben: „Bei seiner Premiere war Metropolis ein Film der Superlative. Aber noch kein Meisterwerk“ (Worschech 2010: 30). Dies wird zusätzlich überlagert von der abenteuerlich narrativierten Ge- nese des Films sowie seiner mittlerweile nun über 80-jährigen Fassungs- und Versionsgeschichte, deren Varianten mit dem Gestus einer archäologischen Schatzsuche nach den verschollenen Partien nachhaltig weitergeschrieben werden. Etwa werden Archivare zu Entdeckern: So erzählt Karen Naundorf 2008 eindrücklich in ihrer Reportage zu der „Reise nach Metropolis“: Paula Félix Didier hatte geahnt, dass ihr niemand glauben würde. Sie saß an dem Schreibtisch in ihrem kalten Büro in Buenos Aires und wartete auf eine Mail aus Deutschland. Doch es kam – nichts. Warum auch sollte irgendein Experte glauben, dass sie […] gefunden hatte, wonach Forscher und Restauratoren seit Jahrzehnten vergeblich in den Archiven der Welt suchten? […] Aber in der kleinen Kammer hinter der grünen Metalltür gleich neben ihrem Büro lagen sie: drei große Rollen, vorsichtig in silbrig schimmernden Blechdosen verstaut (Naundorf 2008). 77  Vgl. hierzu auch Elsaesser (2001a). Franziska Heller - 978-3-8467-6460-2 Heruntergeladen von Fink.de01/03/2022 12:27:50PM via free access 400 kapitel 7 Eine digitale, ideelle, zeitlich vorgelagerte Reaktion auf diese grundsätz- liche Problematik ist die bereits erwähnte kritische Studienausgabe von Metropolis aus dem Jahr 2005. Sie übersetzt die Werkgenese und Über- lieferungsgeschichte in eine „digitale Wissensarchitektur“ (Völckers 2005: 4). Strukturell heißt dies, dass in dieser Ausgabe nicht mehr eine lineare Auf- fassung von Filmgeschichte und dem Werk vorherrscht, sondern ein zeitliches Konzept von Simultaneität umgesetzt wird: Über horizontale und vertikale Rezeptionsmöglichkeiten können die clusterartigen Überformungen der Zeit und auch in der Zeit als Verweisungsstruktur über die DVD-Architektur er- fahren werden. In der literarischen Editionsgeschichte sind solche Verfahren schon lange etabliert. Für das Medium Film existiert aber – so betont Friede- mann Beyer von der Friedrich-Wilhelm-Murnau-Stiftung 2005 – bisher keine standardisierte vergleichbare Methode (Beyer 2005: 5).78 Die kritische Studien- ausgabe versucht nun im Jahr 2005, gerade über das Medium der DVD79 die Arbeit der Rekonstruktion und Filmhistoriografie zu problematisieren: Die Arbeit der Rekonstruktion ist […] wesentlich auch die des Erkennens eines komplexen, prozesshaften Geschehens, das es auf einer Zeitschiene – linear und zugleich simultan – zu begreifen gilt. Die Konsumentenvorstellung einer in geregelten Bahnen und in abgeschlossenen Einheiten rekonstruierbaren Film- geschichte muss zwangsläufig enttäuscht werden; es kann sie logisch gar nicht geben (Emigholz 2005: 3). Insbesondere mit den digitalen Möglichkeiten beschleunigt sich die Tendenz: „Alte Filme, neue Lektüre“ – so lautet Enno Patalas’ (2005) Überschrift zu dem Problem, dass digitale Technologien die Komplexität grundsätzlicher Frage- stellungen, die sich per se schon beim Film ergeben, steigern. Autor, Werk, Original – diese Grundbegriffe des bürgerlichen Kunstdenkens seien – so Patalas – durch die auf technischer Reproduzierbarkeit basierenden Medien mächtig ins Rutschen gekommen. Vor allem beim Film habe man es weniger mit Werken als mit Serien zu tun: mit Fassungen, Kopien, Aufführungen 78  Beim Film gab es zu dem Zeitpunkt (2005) oft nur quellen- und editionskritische Informationen und Dokumentationen in Form schriftlicher und grafischer Rekons- truktions- wie Restaurationsberichte – und hier muss man bei der Quellenlage bedenken, dass es sich um Arbeitsberichte von Firmen handelt, die mit ihrem Produkt und ihrer Handfertigkeit werben wollen. Das heißt, die hergestellte Version muss eine gewisse materialinhärente Zwangsläufigkeit vermitteln. 79  Vgl. grundsätzlich zu anderen, jüngeren Formen der historisch-kritischen Filmedition in digitalen Medien am konkreten Beispiel des Werks von Dziga Vertov – auch mit wissen- schaftsgeschichtlicher Reflexion von jüngeren Digital-Humanities-Ansätzen: Heftberger (2016). Franziska Heller - 978-3-8467-6460-2 Heruntergeladen von Fink.de01/03/2022 12:27:50PM via free access Mediale Zirkulation und Mise en Relation 401 (Patalas 2005: 6). Wie bereits einleitend zu diesem  Kap. 7 ausführlicher kontextualisiert und theoretisiert, stellen diese Begriffe und Problemstellungen tatsächlich die kritischen Dreh- und Angelpunkte für die Erfahrung des Status eines Kunstwerks in der digitalen Domäne dar. Die kritische Studienfassung von Metropolis sticht hier hervor. Denn man hat sich für die Edition eines Torsos entschieden.80 Sie legt offen, dass das filmische Werk nicht vollständig überliefert ist. Metropolis wird bewusst – eingedenk seiner tatsächlichen Überlieferungsgeschichte – als Fragment belassen. Mit meiner Terminologie könnte man dies auch als einen Versuch beschreiben, für den Film eine alternative „Ästhetik des Fragments“ (Bohn 2013b: 297–314) zu entwerfen – mit ambivalenten Folgen für die konkrete Film- erfahrung: Die Fehlstellen werden als solche deutlich gekennzeichnet und mit Verweisen auf mögliche außerfilmische Quellen optional angereichert. Das bewusst von dem anschaulichen Begleitheft reflektierte Konzept der Lacunae wird aus den Editionswissenschaften übernommen (Bohn 2005: 9).81 Damit wird sich einer linearen Konstruktion des ästhetischen Textes, die die Frag- menthaftigkeit der Quellenlage und des Wissenstandes um die fehlenden Bilder verschleiern würde, verweigert. Man akzeptiert, dass das ästhetische Er- 80  Ein weiteres interessantes Beispiel für die digitale Edition von Fragmenten etwa aus derselben Zeit (2006) wie die Metropolis-Studienfassung stellt die DVD-Edition von Charles Taits The Story of the Kelly Gang aus dem Jahr 1906 dar (National Film and Sound Archive Australia). Der Film gilt als einer der weltweit ersten narrativen Langfilme. Er wurde lange als verschollen behandelt, ab den 1970er Jahren tauchten aber immer mehr Fragmente des Films auf – zusätzlich zu weiteren nichtfilmischen Quellenmaterialien wie Programmheften und Filmpostern. All diese Quellen wurden in der Edition – zusammen mit einer digitalen Restaurierung des Fragments – zusammengeführt. Von dem ursprüng- lich rund einstündigen Film sind etwa 17 Minuten Bewegtbilder erhalten. Auf der DVD- Edition von 2006 sind die Fragmente als Restored Version zu sichten. Zur Auswahl stehen hier zwei verschiedene Musikbegleitungen, eine davon modern-experimentell. Darüber hinaus wird vom Menü auch eine Study Version angeboten, die dem Projekt der Studienfassung von Metropolis in gewisser Weise ähnelt: Hier wird versucht, die Narration beziehungsweise den narrativen Rhythmus mit der Markierung der ent- sprechenden Lücken zu rekonstruieren und damit auch einen Eindruck der eigentlichen Dauer des Films erfahrbar zu machen. Die Lacunae sind zum Teil mit ergänzten – vom Archiv als solche ausgewiesenen – rekonstruierten Zwischentiteln und auch anderen Quellen gekennzeichnet. Zusätzlich kann man diese Version mit einem kuratorischen Kommentar anschauen. 81  Vgl. hier auch den restaurationsethischen Umgang mit antiken Statuen: Bis zum 19. Jahrhundert war es üblich, die verstümmelten Statuen mit Ersatz-/Füllmaterial zu komplettieren. Heute ist die gängige Praxis in kunstwissenschaftlicher Restaurierung, dass nicht eine ‚Ergänzung‘ oder ‚Komplettierung‘ erfolgt, sondern die Praxis besteht in der Konservierung des Torsos als Fragment ohne imaginative Ergänzungen (vgl. auch aus- führlich Bohn 2013a und 2013b). Franziska Heller - 978-3-8467-6460-2 Heruntergeladen von Fink.de01/03/2022 12:27:50PM via free access 402 kapitel 7 lebnis in der Zeit eine (nonlineare) fragmentierte Geschichte hat. So wird film- historisches Arbeiten offen gelegt und digital editiert. Allerdings tritt damit die ästhetische Filmerfahrung von Langs Film nachdrücklich in den Hinter- grund. Der Modus des Vergleichens verlegt sich für den Nutzer/Rezipienten vollkommen in den Dienst eines kognitiven, quellenphilologisch orientierten Erkenntnisgewinns. Der zeitliche Fluss des Mediums Films in seiner linearen Form der Entfaltung wird unterminiert. Historiografisch ist interessant – und hier hat die Causa Metropolis sich selbst überholt –, dass nun die Fassung von 2005 ein Zeitdokument über die Forschung und das Wissen in jenem Jahr ist. Damit und mit dem techno- logischen Stand sowie den restaurativen und rekonstruktionseditorischen Entscheidungen schreibt sich der Moment der DVD-Produktion in die Film- historiografie ein. Im Sinne Deleuzes könnte man wissenschaftshistorisch fast feststellen: Hier liegt ein digitales Zeugnis vom filmhistoriografischen Wissensstand von 2005 vor – in Form eines clusterförmigen, auf Simultaneität bauenden Zeitbildes. Das hier vermittelte Wissen setzt sich aus verschiedenen (Forschungsstand-)Schichten und Bildbearbeitungsphasen zusammen. Die Studienfassung stellt somit ein Beispiel dar, in dem das Cluster Metropolis mitsamt seiner Überlieferungsgeschichte und seinen dis- kursiven Zuschreibungen eine Konsekration erhält, die sich im Feld einer akademischen Editionsphilologie bewegt. Vor diesem Hintergrund tritt aber die sinnliche Erfahrung von Fritz Langs Film zurück – zugunsten einer medialen Konfiguration der Überlieferungsgeschichte im Zeichen einer Mise en Relation des Nebeneinanders heterogener Quellen. Damit ist die DVD aus dem Jahre 2005 ein Zeugnis der Konsekration des Films als Kulturerbe im akademischen und kulturpolitischen Diskurs. Darüber hinaus wird der Mythos der Überlieferungsgeschichte des Clusters Metropolis um eine Ebene er- weitert – namentlich um das Diskursfeld neuerer, moderner, da zukunftsver- sprechender digitaler Restaurierungs- und vor allem Editionsmöglichkeiten. Insbesondere Letztere werden wohl in nächster Zeit noch vermehrt im Kontext der sich entwickelnden sogenannten Digital Humanities in konkreten Praktiken weitere Ausformulierungen finden.82 Gerade auch unter der Maßgabe meines Ansatzes wäre bei dieser Zukunfts- prognose mein Plädoyer – auch in Anbetracht des Falles Metropolis –, bei Filmanalysen die Frage nach der Re-Konfiguration filmästhetischer 82  An dieser Stelle sei weiterführend erneut auf Heftberger (2016) hingewiesen, die sich in einer Monografie detailliert mit den Möglichkeiten einer von Digital Humanities ge- leiteten Analyse und der Publikation von filmhistorischen Erkenntnissen am Beispiel des Werks von Dziga Vertov auseinandersetzt. Franziska Heller - 978-3-8467-6460-2 Heruntergeladen von Fink.de01/03/2022 12:27:50PM via free access Mediale Zirkulation und Mise en Relation 403 Erfahrungen in neuen (Untersuchungs-)Kontexten nicht aus den Augen zu verlieren und spezifische Fragen der Bewegtbildwahrnehmung in neu kreierten (Wissens-)Dispositiven weiterhin im Blick zu behalten; dies zumal auch unter dem Vorzeichen, dass diese Dispositive in der digitalen Domäne Elemente einer zeitlich sehr dynamischen (technischen) Entwicklung sind. Vor diesem Hintergrund ist eine kritische Perspektive auf die jeweiligen Aus- prägungen und Konfigurationen von Wahrnehmungsdispositionen einer Mise en Relation – auch jenseits von den hier besprochenen Dispositiven wie DVD respektive Blu-Ray-Disc – von großer Bedeutung.83 7.10 Körperlich-gestisch erlebte Mise en Relation. Split Screen und Do-it-yourself-(DIY-)Restaurierungen Split-Screen-Konfigurationen habe ich bereits mehrfach in unterschiedlichen Kontexten als ästhetische Vermittlungsform von medien- und filmhistorio- grafisch wirksamer Erfahrungsbildung beschrieben. Solche Bildkonfiguratio- nen funktionalisieren den Zuschauer als performative (Nach-)Vollzugsinstanz. Die Ein- und Anbindung des Zuschauers geschieht entprechend meinen Fest- stellungen in  Kap. 5 sowohl kognitiv wie vor allem phänomenal. Meine Modellierung rekurriert hier auf Konzepte der Filmphänomenologie, die das Verhältnis zwischen Zuschauern und Bewegtbildern entwerfen. Im Folgenden soll es um eine dispositivische Variante von Bildkonfi- gurationen gehen, die dem Split-Screen-Verfahren strukturell ähnlich ist. In diesem Zusammenhang behandelt der vorliegende Abschnitt den historio- grafisch wirksamen Prozess einer Mise en Relation; ein Prozess, in dem der Modus des Vergleichs sich dezidiert in einer tatsächlich körperlich-gestisch (nach)vollzogenen zeitlichen Differenz vermittelt, die ich an dieser Stelle als Ausprägung einer erlebten Mise en Relation konzeptualisiere. 83  Zur Erinnerung an eine wichtige Voraussetzung meiner Studie (vgl.  Kap. 1): Auch wenn mein Fokus gegenständlich auf der Untersuchung der zentralen Phase der Transition analog/digital in den letzten 25 Jahren liegt, so vertrete ich die These, dass hier praktische Grundlagen und -strukturen für die Imagologie, diskursiv-ideologische Überformung, Nutzung, Anwendung und Rezeption von Filmen in der digitalen Domäne gelegt wurden. Die in dieser Phase etablierten Praktiken und Phänomene sind nicht zu vernachlässigen für die Entwicklungsgeschichte einer digitalen Kultur, in der Be- wegtbilder einen wichtigen Bestandteil ausmachen. Insofern lassen sich grundlegende methodologische Systematiken, wie sie meine Studie entfaltet, auch auf zukünftige Ent- wicklungen digitaler Dispositive von Filmen anwenden. Franziska Heller - 978-3-8467-6460-2 Heruntergeladen von Fink.de01/03/2022 12:27:50PM via free access 404 kapitel 7 Entsprechende Phänomene lassen sich bei jüngeren medialen Vermittlungs- formen von Film- wie auch von Fotogeschichte beobachten. So erschien etwa im Juli 2016 auf Spiegel Online ein fotogeschichtlicher Artikel mit dem Titel „Plötzlich ist die Welt ein bisschen bunter“ (Grothe 2016). Er war ein Beitrag zur Arbeit eines amerikanischen Archivars, der historische Schwarz-Weiß- Fotos mittels eines Computerprogramms nachkolorierte. Zur Erinnerung (vgl. hierzu auch die Ausführungen in  Kap. 2): Die nachträgliche Kolorierung von Archivmaterial ist kein neues Phänomen. Insbesondere seit der Colorization-Debatte bei Spielfilmen in den 1980er Jahren entfachten sich um die elektronisch vorgenommenen nachträg- lichen ästhetischen Eingriffe in historisches Bildmaterial ausgeprägte und bis heute emotional geführte memopolitische, ethische und denkmalpflege- theoretische Debatten. Neben den in  Kap. 2 besprochenen Beispielen aus der amerikanischen Fernsehindustrie wurde in Frankreich diese Diskussion anhand der Serie Apocalypse über den Zweiten Weltkrieg geführt (Clarke/ Costelle, Mini, TV-Serie 2009; vgl. u. a. Psenny 2014). In Deutschland gab es 2012 einen ähnlichen Fall mit einem breiten Medienecho im Kontext von Guido Knopps Weltenbrand (vgl. die Ausführungen hierzu in  Kap. 2). Jüngst brandete die Debatte international angesichts von Peter Jacksons Um- gang mit Archivmaterial aus dem ersten Weltkrieg in They Shall not Grow Old (2018) wieder auf (F. Heller/Ruedel 2019). An dieser Stelle soll allerdings ein besonderes Augenmerk auf die mediale und dispositivische Vermittlungsform der Problematik von Nachkolorierung gelenkt werden: Denn der eingangs zitierte Beitrag in der Internetzeitschrift Spiegel Online (Grothe 2016) ist mit den im Text erwähnten Fotos illustriert, die interaktiv vom Nutzer veränderbar sind. Sie enthalten die Bildunterschrift und damit die Aufforderung an den Leser/Nutzer: „Vorher – nachher: Ver- schieben Sie den Regler auf dem Bild.“ So lässt sich etwa das Bild mit dem Titel Mai 1945. Amerikanische Truppen befreien das KZ Wöbbelin bei Ludwigslust von Schwarz-Weiß zu Farbe mittels eines vom Cursor geführten Striches ver- ändern – mit spielerischem Wischen kann man die Bewegung von links nach rechts (von Schwarz-Weiß zu Farbe) und zurück von rechts nach links (von Farbe zu Schwarz-Weiß) vollziehen. So findet sich hier medial in einer Handbewegung umgesetzt, worum es inhaltlich in dem Artikel geht: den Prozess der Veränderung – und die kontroverse Debatte darum,84 in deren Mittelpunkt die diskursive Prämisse steht, „[d]as Bild als Farbphoto glaubhaft [zu] machen“ (Grothe 2016). Die 84  In diesem Zusammenhang zitiert der Artikel Anton Holzer (Fotohistoriker, Herausgeber der Zeitschrift Fotogeschichte): „Die nachträgliche [digitale, FH] Kolorierung historischer Franziska Heller - 978-3-8467-6460-2 Heruntergeladen von Fink.de01/03/2022 12:27:50PM via free access Mediale Zirkulation und Mise en Relation 405 editorische Aufbereitung dieser Diskussion von Spiegel Online über die Web- seite verlagert die Frage ‚Wird das Bild lebendiger? Historisch glaubhafter?‘ in die Entscheidungshoheit des lesenden Nutzers, der im Prozess des Bildver- änderns graduell seine Wahrnehmungsveränderung vergleichen kann. Hinter der Frage nach ‚Glaubhaftigkeit‘ verbirgt sich nichts anderes als das Mehrwertversprechen, dass das Bild einer historischen Referenz zugeordnet wird. Dies erfolgt als ästhetische Strategie über die Konditionierung heutiger Wahrnehmungsmuster, die Bewegtbildern in Farbe eine höhere mimetische Qualität zuschreiben. Dies liegt auch in der Konditionierung von sinnlicher Un- mittelbarkeit der Bildwirkung, die hier mit einer interaktiven Handbewegung verbunden wird: Zentral an der Präsentationsform der Bilder ist die Vermittlung des Veränderungsprozesses unter Einbindung des nutzenden Rezipienten. Medial wird dies erfahrbar gemacht, indem der Spiegel-Online-Leser als Nutzer die Veränderung tatsächlich gestisch (nach-)vollzieht. Es geschieht eine Geschichtsbildmodellierung im Prozess der Variation des Bildes. Was inhalt- lich über die nachträgliche Kolorierung durchaus kritisch diskutiert wird – Wünsche und Sichtweisen vergangener Zeiten lebendig machen zu wollen –, wird über die Vermittlungsform in den präsentischen Handlungsprozess des Nutzers verlegt, er wird aktiv Teil der medienhistoriografischen Erfahrungs- bildung. Das Prinzip des Performativen ( Kap. 5) wird mit diesem Beispiel – über mein bisheriges Modell einer filmphänomenologisch verstandenen Interaktion mit Bewegtbildern hinausgehend – mit Blick auf die tatsächlich körperlich-leibliche Handlungsgeste erweitert. In den bisherigen Beispielen zu Split-Screen-Verfahren in den anderen Kapiteln (etwa  Kap. 4 und auch in dem vorliegenden  Kap. 7, vgl. insbesondere Analysen zu Dressed to Kill oder Die Nibelungen) wurden stets nur Vergleichsformationen inner- halb von Filmen untersucht. Die an dieser Stelle behandelten Beispiele gehen in den Möglichkeiten der Interaktivität darüber hinaus. Die hier formulierten Überlegungen führen damit die bereits in  Kap. 6 diskutierten Problem- stellungen der Modellierung des Verhältnisses zwischen (sinnlich) wahr- nehmendem, erfahrendem Subjekt und Bewegtbildern weiter, in denen es um das zentrale Spannungsverhältnis zwischen den folgenden Polen geht: Auf der einen Seite wird Geschichte verstanden als Wahrnehmungseffekt, wobei sich dies unter anderem nach Steinles Konzept (2005) nachhaltig mit der Annahme einer abstrakten, unpersönlichen (Enunziations-)Instanz verbindet. Auf der anderen Seite formiert sich aber das phänomenologisch gedachte Subjekt, das relational über sein zeitliches Erleben im Wahrnehmungsakt Teil Fotos hingegen verändere die Bildaussage – wir überziehen sie mit einer Lasur heutiger Wahrnehmungswünsche.“ Franziska Heller - 978-3-8467-6460-2 Heruntergeladen von Fink.de01/03/2022 12:27:50PM via free access 406 kapitel 7 dieser Instanz wird. Die hier angeführten Beispiele spitzen das Vexierspiel zwischen Geschichte als medialem Wahrnehmungseffekt und Geschichte als medial-leiblichem Vollzugseffekt (wenn nicht gar -affekt) zu – mit besonderem Fokus auf Modi einer Mise en Relation. Wie sehr in einer solchen Anordnung die Grenzen zwischen der Geschichte von Filmbildern und Geschichte an sich, vermittelt als diffuses Erleben zeitlicher Differenzen anhand von Bildern, memopolitisch wirksam ver- schmelzen, zeigen Konfigurationen auf der Webseite der amerikanischen Film Foundation im Jahr 2016, die denen auf Spiegel Online ähneln.85 Im Zuge ihres dort formulierten Leitfadens zur allgemeinen Bedeutung von Filmsicherung präsentiert die Stiftung zur Illustration eine sogenannte Do-it-yourself-(DIY-) Filmrestaurierung. In diesem Kontext zeigte die Webseite lange Zeit Filmstills aus prestigeträchtigen Restaurierungen (zu Beginn 2016 ist es etwa ein Bild aus The Life and Death of Colonel Blimp von Powell/Pressburger, 1943; Abb. 7.34). Auch hier konnte man mit dem Cursor über das Bild wischen und es damit vor allem farblich ‚restaurieren‘. Abb. 7.34 Wieder liegt in der interaktiven Bewegung des Nutzers die Erfahrung der Überschreibung und Aktualisierung: Man kann in der ausgeführten Be- wegung die Versatilität der Patina des hier als ‚ursprünglich‘ konnotierten 85  Film Foundation, The. Website. (2016). Abruf am 03.01.2016  Literaturverzeichnis. Die Stiftung wurde von Martin Scorsese 1990 ins Leben gerufen und unternimmt vielseitige Aktivitäten im Bereich der Restaurierung, Konservierung und Weiterbildung zu Themen der Erhaltung des Filmerbes. Dabei beschränken sie sich nicht nur auf Projekte um das amerikanische Filmerbe, sondern haben dezidiert auch das World Cinema im Blick, vgl. http://www.film-foundation.org/world-cinema (09.07.2017). Franziska Heller - 978-3-8467-6460-2 Heruntergeladen von Fink.de01/03/2022 12:27:50PM via free access Mediale Zirkulation und Mise en Relation 407 Bild-/Filmzustands wahrnehmen, man erlebt vergleichend den Prozess der Veränderungen – deren Zeitlichkeit man selbst bestimmt. In einem Bild wird die notwendige Gleichzeitigkeit und Relationierung von Altem und Neuem, zwischen Aktuellem und Restaurierungspotenzialen zum Ausdruck gebracht. Die mediale Anordnung lässt es allerdings zu, dass man als Nutzer spielerisch die Veränderung rückgängig machen kann, dass man die Bewegung wieder- holend hin und zurück ausprobieren und damit den Veränderungsprozess in seiner Wirkung immer wieder erproben kann. Vor- und Rückwärtsbewegung in der Zeit koexistieren potenziell in einem Bild, jeder Zustand ist nur ein vorläufiger. Somit wird im Bearbeitungsprozess der Bilder dessen Relativi- tät körperlich-gestisch erfahrbar. Deshalb spreche ich oben auch in Hinblick auf das Wischen mit dem Cursor von einem gestisch-manifesten (Nach-) Vollzugsaffekt. Die offizielle Webseite des Archivfilmfestivals Il Cinema Ritrovato erklärte 2016 und 2017 mit ähnlichen Wischbildern das Prinzip von Filmrestaurierung (Abb. 7.35). Abb. 7.35 Mit der Beschreibung, man gebe den Filmen in der Restaurierung „[a] new life“,86 legierte die Webseite meines Erachtens die Vorstellung eines in der Restaurierung wiederbelebten Filmwerks mit der interaktiven Veränderungs- möglichkeit des Bildes seitens des Internetusers (Abb. 7.36–7.37). In diesem Horizont erhielt auch der begleitende Paratext der Webseite eine Bedeutung auf der inhaltlichen wie rezeptionsästhetischen Ebene, wobei grundsätzlich die zeitliche Relativität von Restaurierungen respektive 86  Vgl. Cinema Ritrovato, Il. Website. Restoration. (2016).  Literaturverzeichnis. Weitere interessante, ähnliche Beispiele liefert die Webseite des niederländischen Eye Film Museums in Amsterdam zur Vermittlung seiner Arbeit; etwa das für junge Leute ent- wickelte Film restoration activity programme, vgl. Eyefilm.nl. Website. Restoration and Digitization (o. J.)  Literaturverzeichnis. Franziska Heller - 978-3-8467-6460-2 Heruntergeladen von Fink.de01/03/2022 12:27:50PM via free access 408 kapitel 7 Abb. 7.36 Abb. 7.37 digitalen Bildbearbeitungen sowie die Abhängigkeit von den jeweils beteiligten Subjekten hervorgehoben wurden: „Every restoration is a child of its time. It is subject to the limitations and possibilities of the technologies employed, but also to the interpretation of the work by those individuals carrying out the res- toration“ (Cinema Ritrovato, Il. Website. Restoration. 2016).87 Im übertragenen Sinne auf die Rezeptionsform der medialen Vermittlung von Filmrestaurierung bezogen, könnte man formulieren, dass die Einbeziehung des Internetnutzers in die Bewegung der Veränderung ideell zumindest ansatzweise auf die be- sondere Bedeutung des Subjekts für die Bestimmung der historischen Position und Erscheinungsweise der Bilder hinweist. Somit lassen solche Wischbilder als mediale Vermittlungsform von Film- geschichte emblematisch in ihrer Anordnung das Grundproblem manifest werden: Ausgehend von der schon in  Kap. 2 entwickelten Position, dass jede Erscheinungsform von digitalen Bildern – vor allem auch die ehemals analoger Bilder, welche nun digitalisiert und restauriert werden – das Resultat eines situativ, in der Gegenwart verhafteten Interpretationsprozesses dar- stellen, muss für die vermittelten Geschichtsbildmodellierungen eine stets 87  Abruf am 21.07.2016  Literaturverzeichnis. Franziska Heller - 978-3-8467-6460-2 Heruntergeladen von Fink.de01/03/2022 12:27:50PM via free access Mediale Zirkulation und Mise en Relation 409 prekäre Vorläufigkeit integral mitgedacht werden. Es sind nachhaltig über den augenblicklichen (technologischen, ökonomischen) Kontext und über situ- ative Entscheidungsprozesse definierte Manifestationen von Bildern. Dies gilt im Besonderen für die Ergebnisse von Filmrestaurierungen. Die Möglich- keit einer zukünftigen Veränderung und Wiederbearbeitung ist immer schon (spielerisch-potenziell) vorhanden.88 Die Wischbilder, die über eine Hand- bewegung zeitliche Veränderungen historischer Zustände von Bildern thematisieren, stellen ein interessantes Medium dar, welches über seine Nutzungsform zeit- und geschichtstheoretische Dimensionen implizit er- fahrbar macht. Dabei werden allerdings auch die Widersprüche von Bild- konfigurationen deutlich, die mit der diskursiven und wirkungsästhetischen Legierung der Ebenen a. Geschichte mit Bildern, b. Geschichte der Bilder und c. Bilder in der Geschichte entstehen. Die Legierung dieser Ebenen hat eine Diffundierung des eindeutigen historischen Bezugs zur Folge. So gilt bei diesen Wischbildern: Das vollziehende Subjekt wird in den mehrschichtigen historiografischen Prozess mit der körperlichen Geste der Handbewegung und der entstehenden Bildvariationen zeitlich ein- gebunden. Gleichzeitig wird die Enunziationsinstanz Geschichte dem Bild von seiten des Nutzers zugeschrieben. Es entsteht damit das Paradox einer Do-it-yourself-(DIY-)Geschichte. Das Paradox entfaltet sich im Spektrum der Wahrnehmungspole zwischen Fremdheit und Nähe im Ausprobieren der graduellen Veränderung etwa vom schwarz-weißen Archivbild zum farbigen Bild beziehungsweise vom zerstörten zum restaurierten Bild. Man kann hier von einer dispositivisch-medialen Variante des historiografisch wirksamen Er- fahrungsprinzips Bridging the gap, marking the difference sprechen ( Kap. 5). Oder anders ausgedrückt: Dieses operative Verfahren der Bildbearbeitung und deren Veranschaulichung erscheinen im gestisch-körperlichen Nachvoll- zug als verzeitlichte Varianten dessen, was im Split-Screen-Verfahren statisch konfiguriert wird. 88  Die zeitliche Dimension, die in solchen Bildkonfigurationen konzeptionell, auf geschichtstheoretischer Ebene zum Ausdruck kommt, könnte man mit dem zeitphilo- sophischen Begriff des Werdens von Gilles Deleuze beschreiben (Deleuze 1997a und b). Das Konzept des Werdens bedeutet eine Prozessualisierung der Denkformen. An- gewendet auf die Implikationen der interaktiv veränderbaren Bilder und in Hinblick auf die verschiedenen temporalen Referenzen und Zustände lassen sich die Schichtungen von koexistierenden Zeiten, in denen Vergangenes und Kommendes immer im Gegen- wärtigen schon kopräsent sind, analytisch fassbar machen. Franziska Heller - 978-3-8467-6460-2 Heruntergeladen von Fink.de01/03/2022 12:27:50PM via free access 410 kapitel 7 7.11 Exkurs: Theoretische Einordnung Split Screen. Vergleichendes Sehen Es ist bereits mehrfach auf das ästhetische Potenzial von Split-Screen- Konfigurationen hingewiesen worden, insbesondere mit Blick auf deren Wirkungsdimension, in welcher der Zuschauer zur Nachvollzugsinstanz wird, die gleichsam als sinnliche Entscheidungsinstanz im kulturindustriellen Interesse funktionalisiert werden kann. Solche Konfigurationen stellen be- deutsame Exempel von Verfahren der Mise en Relation im Dienste medien- historiografischer Erfahrungsbildung dar. Vor diesem Hintergrund soll deshalb in einem kurzen Exkurs zum Split Screen das Phänomen theoretisch verortet werden – damit werden bereits an den Beispielen ausgemachte Befunde er- gänzend vertieft (Abb. 7.38)89. Abb. 7.38 89  Grundsätzlich kann man diese Konfiguration auch für andere Medienprodukte fest- stellen. Etwa bei Computerspielen stellt sich die Frage nach dem ‚Remastering‘ noch Franziska Heller - 978-3-8467-6460-2 Heruntergeladen von Fink.de01/03/2022 12:27:50PM via free access Mediale Zirkulation und Mise en Relation 411 Überdies wird unten die wirkungsästhetische Dimension methodologisch und wissenschaftsgeschichtlich eingeordnet. Letzteres ist vor allem für Fragen dispositivischer Anordnungen von Relevanz. Insbesondere der Filmwissenschaftler Malte Hagener (u. a. 2008) hat zur mediengeschichtlichen Bedeutung und Einordnung des Split Screens ge- arbeitet. Unter anderem in seinem Text The Aesthetics of Displays. How the Split Screen Remediates Other Media (2008) bezieht sich Hagener auf die remediierenden Qualitäten von Kino, indem er eine Genealogie des Ge- brauchs von Split Screens in Reaktion auf andere Medienentwicklungen wie Telefon, TV oder CCTV als digitale Bilderscheinungsweisen beschreibt. Wenn Hagener im Gebrauch des Split Screens immer einen inhärenten Metadiskurs zwischen Immersion in die Illusionsbildung der Bilder und dem Hinweis auf die artifizielle Natur des Filmbildes ausmacht,90 so gibt es Anschlussmöglich- keiten an den vorliegenden Gegenstandsbereich. Im Restaurierungsdiskurs bewegen wir uns immer schon auf einer Metaebene, die Film, vornehmlich im Zeichen digitaler Medienentwicklungen, retrospektiv vor allem über die Materialebene, dann aber auch in seinem Kunstwerkcharakter und in seinen ästhetischen Eigenschaften zu bestimmen sucht. Hageners Argumentation ist deshalb interessant, weil er versucht, die Brüche, die der Split Screen mit Regeln der Fiktionsbildung verursacht, ein- zuordnen und medienhistorisch zu erklären. Er denkt über den Zusammen- hang von Form, Stil und zugleich fiktionalem Inhalt und wirkungsästhetischer Dimension nach. Daran lehnt meine Vorgehensweise an, um Split-Screen- Konfigurationen – die entstehenden Vergleichsbilder – nicht nur als Illustration eines (materialästhetischen) Differenzverhältnisses zu sehen, sondern auch Angebote der Illusionsbildung und Immersion in eine fiktionale Welt über den Bildinhalt als filmische Erfahrung für den Rezipienten mit zu berücksichtigen. Grundsätzlich hat die Konfiguration eine Wahrnehmungsmodellierung zur Folge: A frame within a frame draws attention to the act of framing itself by visibly displaying the basic principle that forms the condition of possibility for the deutlicher, da ‚ältere‘ Spiele in immer neueren Umgebungen und Konsolen gespielt werden wollen, damit sie den sich ständig wandelnden ästhetischen Ansprüchen der Spieler an den immersiven Charakter genügen. Vgl. exemplarisch die Darstellung von der „Flut von Remastered-Versionen“ im play4-Magazin (09.2016: 90) für die Playstation von Sony (Abb. 7.38). Auch in diesen Kontexten wird immer wieder in der Promotion mit Split-Screen-Konfigurationen gearbeitet. 90  Eigentlich stellt der Split Screen eine ‚Gefahr‘ für die immersiv wirkende Continuity im diegetischen Universum dar: Er unterminiert „the seemingly unmediated display of story information because it foregrounds the artificial nature of the image“ (Hagener 2008: 1 FH). Franziska Heller - 978-3-8467-6460-2 Heruntergeladen von Fink.de01/03/2022 12:27:50PM via free access 412 kapitel 7 image: the frame draws a distinction between inside and outside, between image and non-image (Hagener 2008: 1–2 FH).91 Dies habe ich etwa in  Kap. 4 am Beispiel des Werbeclips zur DVD-Edition von Peter Pan erläutert: Vorher und Nachher sind in einem umgebenden Filmframe vereinigt. Unterschiedliche zeitliche Zustände werden gleichzeitig dargestellt und ohne eine weitere Referenz als Differenzverhältnis aufeinander bezogen. Wenn in einer filmhistorischen Dokumentation oder in digitalen Wissens- architekturen Bilder in einer Form vergleichend aufeinander bezogen werden, wie es etwa in Das Erbe der Nibelungen (2011), bei der Blu-Ray-Funktion der Edition (2007) von Close Encounters of the Third Kind oder bei der Studienfassung (2005) von Metropolis der Fall ist, dann ergibt sich die Relation Bild–Nichtbild, wie sie Hagener (2008) nennt. Bei einem solchen medial inszenierten Versionenvergleich werden nun zwei eigentlich räumlich getrennte filmische Objekte (zum Beispiel zwei Filmversionen be- ziehungsweise stellvertretend zwei Filmkader aus den jeweiligen Versionen) ästhetisch aufeinander bezogen.92 Die Dimensionen des Memopolitischen und Kulturindustriellen liegen dann in der situativen bildlichen Anordnung, die bestimmt, wie die Bilder zueinander in Bezug gesetzt werden. Dies ist, wie oben mehrfach betont, aber nicht nur auf die Materialästhetik zu beziehen, sondern der Bildinhalt grundiert zusätzlich den bildlichen Eindruck. Das an seinen konkreten Analysebeispielen festgestellte Wechselspiel zwischen Präsentem und Absentem, Aktuellem und Virtuellem beschreibt Hagener (2008: 2 FH) angesichts von Split-Screen-Konfigurationen als spielerisches Verhältnis in den Raum- und Zeitkonstellationen: Es gebe eine An- und Ab- wesenheit sowohl in der Diegese wie aber auch in der Situation des Zuschauers zwischen Nähe und Distanz zu den filmischen Ereignissen.93 Angewendet auf Restaurierungsdokumentationen kann dies ein spielerisches Verhältnis zu der aktuellen Erscheinungsweise der Bilder bedeuten, welches durchaus 91  Zu Seitenzählungsangaben, die mit „FH“ gekennzeichnet sind, vgl. Erklärungen im  Literaturverzeichnis. 92  Hier adaptiere ich Hageners Argumentation für den metafilmischen Diskurs. Zur Distinktion: Bei Hageners Analyse (2008) sind es räumlich getrennte Orte innerhalb einer filmischen Fiktion, die vor allem narrativ auf diese Weise aufeinander bezogen werden. 93  „Moreover, the graphic set-up alludes to the playful shifting of distance and proximity in another more oblique way as the split screen allegorises the spectatorial situation in the cinema which is similarly characterised by an oscillation between presence and absence, between proximity and distance“ (Hagener 2008: 2 FH). Franziska Heller - 978-3-8467-6460-2 Heruntergeladen von Fink.de01/03/2022 12:27:50PM via free access Mediale Zirkulation und Mise en Relation 413 medienhistoriografische Implikationen zeitigen kann.94 In Abwandlung der Überlegungen Hageners kann man insofern formulieren, dass über die Bezugsetzung von einem Filmbild zu einem anderen die medienreferenzielle Ebene eingezogen wird, über die im speziellen Falle einer Restaurierungs- dokumentation mittels der mehrschichtigen Bedeutungsdimensionen der Bilder der digitale Fortschritt dem Zuschauer vermittelt wird. Dies hat bereits in meinen konkreten Analysen entsprechender Beispiele etwa in  Kap. 4 oder  Kap. 7 seine Umsetzung gefunden. Um die wirkungsästhetische Dimension methodologisch und in Fragen dis- positiver Anordnungen einzuordnen, wird zudem an dieser Stelle der Begriff des vergleichenden Sehens in seiner Funktion für meine Argumentation kurz näher beleuchtet. Nicht zuletzt der Kunsthistoriker Heinrich Dilly reflektiert den von Heinrich Wölfflin profilierten Begriff (Dilly 1995: 41), der sich mit den metho- dologischen Konsequenzen des Einsatzes von Diaprojektoren in der kunst- und bildwissenschaftlichen Forschung – sozusagen einer wissenschafts- historischen Variation eines filmbildlichen Split Screen – auseinandersetzt.95 Wölfflins Leistung habe für die kunsthistorische Forschung darin bestanden, „daß er dem ersten Projektor einen zweiten beistellte und somit jeweils zwei an die Wand geworfene Reproduktionen miteinander verglich“ (Dilly 1995: 41).96 So lassen sich dispositivische Implikationen von Bildkonfigurationen des Vergleichens präzisieren und schließlich methodische Parameter für meine Studie ableiten: In diesem Sinne erscheinen Wölfflins respektive Dillys Über- legungen als historische Ausformulierungen meines Konzeptes der Mise en Relation avant la lettre. Interessant ist dies deshalb, da vor allem Dilly dann die Konsequenzen für die Disziplin und Arbeitsweise der Kunstgeschichte reflektiert. Seine Aufarbeitung beginnt mit Verfahren der öffentlichen Projektion von Bildern mit erkenntnisleitendem Ansinnen: 1880 stellte bereits Bruno in seinem Karlsruher Hörsaal den ersten kunsthistorischen Projektor auf (Dilly 1995: 39). Nachfolger Grimm rechtfertigt die Projektion von Bildern im Hörsaal nicht nur aufgrund der gleichzeitigen und gleichmäßigen Anschaulichkeit, sondern 94  „The strategy of negotiating one medium (telephone) via another (cinema) is telling, as it provides the audience with a model for making sense of technological shifts“ (Hagener 2008: 3). 95  Vgl. grundsätzlich zum bildwissenschaftlichen Diskurs um Differenzbestimmungen Böhm (2001/1994: bes. 29 ff.); zudem zu Aspekten des vergleichenden Sehens Bader/ Gaier/Wolf (2010). 96  Zur geistesgeschichtlichen Einordnung von Dilly auch mit Blick auf heutige digitale, post- fotografische Bildproduktionen vgl. Schröter (2004b). Franziska Heller - 978-3-8467-6460-2 Heruntergeladen von Fink.de01/03/2022 12:27:50PM via free access 414 kapitel 7 auch methodologisch (Dilly 1995: 39). So entstehen etwa ästhetische Ver- suchsreihen, wodurch sich stilistische Kontextualisierungen über die Bilder- relationen eröffnen. Die Möglichkeiten von Collagen erlauben Denkspiele, das Format der Anordnung erhält zunehmend Bedeutung (Dilly 1995: 40). Solche bildlichen Montageexperimente bedingen ästhetische Argumentationen, Kontextualisierungen erfolgen über Formen und Stil und nicht nur über sozialhistorische Hintergründe. Neue Ordnungssysteme werden über die dis- positivische Anordnung der Relationierung möglich. Nach Dilly erfolgt durch neue Reproduktionen97 eine Monumentalisierung („Purifikation“) der Kunst- werke, die einer Dekontextualisierung nahekomme: „Großes noch größer er- scheinen zu lassen“ (Dilly 1995: 41). Zentral an diesen Ausführungen ist für mich die Beschreibung der erinnerungspolitischen Wirkung von solchen Bild- anordnungen, die dann Kunst- oder Mediengeschichte nach neuen Ordnungs- und Erlebnissystemen vermitteln: Das geradezu sakrale Erlebnisangebot enthält nämlich immer auch ein großes Enttäuschungsrisiko. Denn die makellos immateriellen Reproduktionen bleiben, wie Herman Grimm bereits 1893 feststellte, besser im Gedächtnis haften als die Originale (Dilly 1995: 42). Aus einer dispositivkritischen Perspektive sind die möglichen ideologisch und historiografisch wirksamen Implikationen solcher Bildkonfigurationen – im Modus der Reproduktion – nachdrücklich zu reflektieren. Schröter (2004b) hat die Ausführungen von Dilly mit den Möglichkeiten post- fotografischer Bildproduktion und deren Zirkulation und Deterritorialisierung zusammengebracht. Seine Überlegungen verbindet Schröter mit dem Begriff des „imaginären Museums“ von André Malraux (2012/1965); einem Begriff, der seinerseits bereits in gedanklichem Anschluss an Walter Benjamin zur technischen Reproduktion von Kunstwerken entwickelt wurde. Vor dem Hintergrund dieses breiten und methodisch vielfältigen Diskurs- feldes (Bader/Gaier/Wolf 2010: 14) sind die im Kontext digitaler Filmreprisen zirkulierenden vergleichenden Bildformationen als grundlegende Kultur- technik eines erinnerungspolitisch wirksamen Denkens und Handelns zu be- trachten; dies in der besonderen Ausprägung als phänomenales Erlebnis unter den Vorzeichen kulturindustrieller Formierungen, konstituiert von der Mise en Relation zeitlicher Verhältnisse. 97  Zur erkenntnisbildenden Dimension von (wissenschaftlich-performativen) Dispositiven schreibt Dilly in diesem Zusammenhang: „Darin liegt wohl die Faszination kunst- historischer Vorträge: Was auch immer gesagt wird, jede Reproduktion hat ihre, wenn auch nur auf einen allerersten Moment konzentrierte Epiphanie“ (Dilly 1995: 42). Franziska Heller - 978-3-8467-6460-2 Heruntergeladen von Fink.de01/03/2022 12:27:50PM via free access Mediale Zirkulation und Mise en Relation 415 7.12 Erlebte Mise en Relation. Vergleichendes Hören. The Lodger (1927), Moroder’s Metropolis (1984), Le voyage dans la lune (1902), Varieté (1925) Was für das vergleichende Sehen gilt, kann entsprechend – da man es hier mit audiovisuellen Bildern zu tun hat – auch für die Mise en Relation auf der auditiven Ebene modelliert werden. In diesem Fall handelt es sich dann etwa um auditive Begleitungen und Präsentationsformen, die eine Mise en Relation konstituieren (vgl.  auch Kap. 5 zum Beispiel der Re-Edition von Lumière- Filmen). Im Dienste einer Konsekration kann der Glaube als Funktionsprinzip des (ökonomischen) Mehrwerts, der dem editierten Werk zugeschrieben werden soll, als ästhetische Strategie und als Effekt über die Tonspur kreiert werden. Dies ist eine gängige Praxis der Aktualisierung von Werken im Zeichen einer zeitgenössischen Popkultur.98 Für den hier diskutierten Gegenstandsbereich ist zu bemerken, dass die Medientransition in die digitale Domäne sich bei der Tonwiedergabe im Kino und auch in der Restaurierung wesentlich unbemerkter vollzogen hat als auf der visuellen Ebene. Interessanterweise verliefen die restaurations- ethischen Debatten mit Blick auf die Transition des Tons insgesamt weit- aus weniger folgenreich und emotional, als es beim Filmbild der Fall war und ist. Dennoch gab und gibt es Ausnahmen, die die Regel bestätigen: Ein exponiertes Beispiel liefert, wie es Leo Enticknap (2004) in seiner methodo- logisch argumentierenden Analyse für die Folgen in der Filmwissenschaft be- schrieben hat, die Restaurierung von Vertigo in der (Re-)Konstruktion von Tonspuren (F. Heller 2015: 114 f. bzw. Enticknap 2004).99 Stummfilme und ihre Musikbegleitung sind die deutlichsten Beispiele für Praktiken der Aktualisierung von Filmen und für die mittelbar historiografisch 98  Dass Musikbegleitung zum einen als Spektakel, aber auch auf der Metaebene zur Konsekration und kulturellen Aufwertung eines Filmes beitragen kann, hat Hansjörg Pauli (1981) eindrücklich für die frühe Phase der Kino- und Filmgeschichte in seiner Studie beschrieben. 99  Die von Robert Harris und James Katz im Auftrag von Universal durchgeführte Restaurierung wurde 1996 abgeschlossen. Generelles Ziel war laut Harris/Katz, den Film an die zwischenzeitlich neu entwickelten technischen Bild- und Tonstandards in Produktion und Projektion anzupassen. Hintergrund der Überarbeitung war unter anderem der ursprüngliche Ton und Sound im nur einkanaligen Monosystem. Das Resultat der Restaurierung von Harris/Katz stellt nun eine Bearbeitung dar, in der eine aus den ursprünglich vorhandenen Materialien dekonstruierte und neu synthetisierte sowie extrapolierte Ton- und Soundmischung mit Sechskanaltechnik vorgenommen wurde. Leo Enticknap (2004) hat sich detailliert kritisch mit den daraus folgenden Trans- formationen auseinandergesetzt. Franziska Heller - 978-3-8467-6460-2 Heruntergeladen von Fink.de01/03/2022 12:27:50PM via free access 416 kapitel 7 wirksame Formierung ihrer Wahrnehmung in der Geschichte.100 Beispielhaft kann dies für Hitchcocks Werk gelten, bei dessen Reprise man eben nicht nur von einem ‚vergleichenden Sehen‘, sondern, wie exemplarisch bei der Edition aus dem Jahr 2012 von The Lodger (1927) auszumachen, auch von einem ‚ver- gleichenden Hören‘ gesprochen werden kann. So nennt Ivan Radford (2012) in einem Wortspiel den neuen Score von 2012 des Komponisten Nitin Sawhney zu The Lodger, der auf der Blu-Ray-Disc editiert wurde, „post-herrmodern“. Radford wählt diese Formulierung, weil sich in der Musik von Sawhney viele Anspielungen auf Bernard Herrmanns Kompositionen für Hitchcock-Klassiker aus den 1950er und 1960er Jahren finden (Radford 2012). Der Soundtrack von Nitin Sawhney ist auf der 2012 herausgebrachten Blu-Ray-Disc-Edition aus- wählbar und sogar als Extra-CD der Edition beigelegt. Generell galt für die in Auftrag gegebenen Neukompositionen im Rahmen des öffentlich breit rezipierten Restaurierungsprojekts von Hitchcocks Stummfilmen unter dem Titel Hitchcock 9: All three [composers, Sawhney, Cohen, Davies; FH] have named Bernard Herrmann, whose music was integral to Hitchcock’s late masterpieces, as an in- spiration and the results promise at the very least to reveal connections between the silent films and the better known works that followed (Miller 2011). Damit ist strukturell in den Kompositionen schon angelegt, dass Rezipienten diese beim Hören mit der vermutlich bekannten Begleitmusik späterer Hitchcock-Filme in Beziehung setzen. Der Filmzuschauer kann so zur Instanz der auditiv erlebten filmhistoriografischen Mise en Relation werden.101 100  Vgl. Pauli (1981) grundsätzlich zur historischen Entwicklung, den Aufführungspraktiken und den jeweiligen Musikstücken im Vaudeville-Theater, Zirkus und (später) Kinosälen – etwa unter anderem zur Etablierung des ‚Manns am Klavier‘ als verbreitete Form der Filmbegleitung (etwa 68 ff.). Vgl. darüber hinaus mit Blick auf die jüngere Medien- umgebung (DVD etc.) den Sammelband von Donnelly/Wallengren (2016) mit zahl- reichen Fallbeispielen. 101  Im Kino wie zu Hause mag bei der Sichtung des Films The Lodger dieser Soundtrack Be- fremden hervorrufen, da etwa in einer Schlüsselszene – der Liebesszene zwischen Daisy und dem Mieter – die Zweideutigkeit der Situation über gesungene Liedtexte gedoppelt wird; die Annäherung und zugleich evozierte Gewalt wird in einem Duett besungen: „Blue eyes as cold as ice, cut through me like a knife“. Die plötzliche Wahrnehmung von Ge- sang bricht mit dem herkömmlichen und bis dahin nur vom instrumentalen Soundtrack etablierten Rezeptionsmodus: „[T]he ambition of the curators is to give contemporary composers a free hand in producing soundtracks. […] There is room for invention“ (Miller 2011). Franziska Heller - 978-3-8467-6460-2 Heruntergeladen von Fink.de01/03/2022 12:27:50PM via free access Mediale Zirkulation und Mise en Relation 417 Der bekannte Stummfilmpianist, Filmemacher und Autor Neil Brand,102 unter anderem 2012 Komponist des neuen Scores von Blackmail (und zahl- reicher anderer Stummfilmscores wie etwa für Chaplins The Gold Rush [1925] auf der MK2/Warner-Home-Video-DVD-Edition aus dem Jahre 2003, vgl. auch unten) hat die Funktion seiner Musik bei Stummfilmbegleitungen damit beschrieben, dass er nicht historisierend spielen würde. Generell gelte für ihn: „There is no definitive score“. Vielmehr folge er dem Prinzip, einen Mix zu finden, der die Distanz zu der vielleicht fremden Ästhetik oder Erzählweise der Filme für ein heutiges Publikum zu überbrücken suche, die Filme aber in ihren ästhetischen Eigenheiten ernst nehme. Damit kommt Brand Kesslers Konzept zum Wiederaufführungsdispositiv historischer Filme heute nicht nur begrifflich, sondern auch in der Funktions- und Wirkungsweise nahe: Bridging the gap, marking the difference (vgl. hierzu meine Ausführungen zum Begriff des Performativen in dieser Studie in  Kap. 5). Eines der bekanntesten Beispiele eines Versuchs, über die musikalische Begleitung eine solche aktualisierende Brückenwirkung im Zusammenspiel mit Stummfilmästhetik zu schaffen, stellt Giorgio Moroders Version von Metropolis dar, die bewusst die Aktualisierung der filmischen Bildwahr- nehmung über zum Produktionszeitpunkt aktuelle, zeitgenössische Popkultur gesucht hat.103 Dies macht diesen Fall aus heutiger Perspektive zu einem sehr anschaulichen Beispiel für die (erlebbare) Historizität von musikalischer ‚Kuratierung‘. Moroder unterlegte eine geschnittene und nachkolorierte Version von Fritz Langs Metropolis mit Musik der Stars der 1980er wie Freddie Mercury, Pat Benatar, Adam Ant, Bonnie Tyler, Loverboy, Billy Squier. Das Werk kam erst 2011 unter dem Titel Giorgio Moroder presents: Metropolis auf DVD wieder in Umlauf, da es bis dahin rechtliche Probleme um die Musiklizenzen gab. Auf der DVD von Kino Lorber wird die ästhetisch- akustische Aktualisierungspolitik Mordoders mit den folgenden Worten beschrieben: In 1984, Academy Award-winning composer Giorgio Moroder (Midnight Ex- press, Flashdance) introduced Fritz Lang’s science fiction epic Metropolis to a new generation of moviegoers. Working in collaboration with film archives around the world, he supervised a special reconstruction of the film, with color tinting, fewer inter-titles, and newly restored footage. […] Unavailable on home 102  Vgl. http://www.neilbrand.com/ (11.10.2016). Neil Brand ist darüber hinaus Autor von Radiostücken, Drehbüchern sowie vor allem von einem Buch mit dem Titel Dramatic Notes. Foregrounding Music in the Dramatic Experience (1998). Vgl. weiterführend zur künstlerischen Arbeitsweise von Neil Brand: Wallengren (2016). 103  Weiterführend zum zeitgenössischen Produktionskontext sowie zur detaillierten Analyse des Scores von Moroder vgl. Smith (2016). Franziska Heller - 978-3-8467-6460-2 Heruntergeladen von Fink.de01/03/2022 12:27:50PM via free access 418 kapitel 7 video for more than two decades, Kino Classics is now proud to revive the 1984 edition of Metropolis, an historic achievement in film restoration (Klappen- text, Kino Lorber 2011).104 Die DVD von 2011 gerät zu einem Zeugnis der Vorläufigkeit von ‚restaurativen‘ Versionen105 als ein Cluster, dessen Historizität sich vor allem über die Musik der 1980er Jahre vermittelt. Dies verbindet sich mit einer Re-Autorisierung des Werks mit Fokus auf den Komponisten, der eine persönliche, signierte Nachricht der Box beilegt106 – immer das Ziel hervorhebend, den Film für neue Zuschauer bekannt machen zu wollen („introducing“). Dabei erscheint interessanterweise seine Version von Metropolis zusätzlich als Zeugnis digitaler Tontechnikentwicklung – so die paratextuelle Auteur-orientierte Selbst-Stilisierung: „I should also note that my score for Metropolis was one of the first uses of digital recording of music, which has become the standard today.“ Moroder ordnet sich selbst in die philologische Überlieferungsgeschichte des Films ein und kommentiert implizit die Clusterbildung: Seit 1984 sei der Film 2002 und dann noch einmal 2010 restauriert worden, seine Version sei lange von der Zirkulation ausgenommen gewesen – aufgrund der oben ge- nannten rechtlichen Probleme. Dabei gilt es zu beachten, dass der Begriff der ‚Restaurierung‘ hier von Moroder selbst benutzt wird. Unter restaurierungsethischen Gesichts- punkten gibt es gerade in Diskursen aus dem Archivfeld große Vorbehalte dieser Version gegenüber.107 Dennoch bleibt sie ein interessantes Phänomen und Zeugnis, das heute die Vorläufigkeit und Zeitgebundenheit von auditiven Aktualisierungspraktiken veranschaulicht. Die Historizität dieser Version wird auf höchst subjektivierende Weise auf der auditiven Ebene erfahrbar, 104  Vgl. auch Kino Lorber. Website. Giorgio Moroder’s Metropolis ( Litera- turverzeichnis). 105  Die Edition im Jahr 2011 von Moroders Film wirbt damit, materialästhetisch auf der visuellen Ebene ein ‚authentisches‘ Zeugnis von Moroders Version aus den 1980er Jahren zu sein: „Rather than substitute digitally enhanced footage from one of the restorations that have occurred in the 27 years since the release of Moroder’s Metropolis, Kino Classics has chosen to present the film exactly as it appeared in 1984, mastered from an archival 35mm print“ (Kino Lorber. Website. Giorgio Moroders Metropolis;  Literaturverzeichnis). 106  Mittlerweile hat sich – hierzu sprichwörtlich sehr passend – im digitalen Vertriebskontext auch das Label ‚Signature Edition‘ gebildet. 107  Zur kritischen Sichtweise aus Archivperspektive von Moroders Version vgl. Bromberg (2012: 12). Franziska Heller - 978-3-8467-6460-2 Heruntergeladen von Fink.de01/03/2022 12:27:50PM via free access Mediale Zirkulation und Mise en Relation 419 gerade weil die verwendeten Popklassiker stilistisch erkennbar die 1980er Jahre evozieren. Im heutigen zeitlichen Abstand können die bekannten Songs darüber hinaus für verschiedene Generationen von Zuschauern – je nach Alter in unterschiedlicher Form und Intensität – zu einem Erfahrungshorizont zwischen präsentischem audiovisuellem Erlebnis, Wiedererkennen (des Films, der Musik) und Erinnerung in einer autobiografischen Zeitdimension führen; einem Erlebensmodus, der eine auf die eigene Lebenszeit bezogene Mise en Relation – der eigenen Person damals und heute – sinnlich-rhythmisch profiliert.108 Ein jüngeres, etwas anders gelagertes Beispiel ist die Re-Edition und Reprise in der Kinovorführung von Georges Méliès Le voyage dans la Lune (vgl. hierzu auch die Analyse der DVD-Blu-Ray-Disc-Edition in  Kap. 6). Die Restaurierung aus dem Jahre 2011 wurde nicht nur auf dem Filmfestival in Cannes gezeigt, sondern darüber hinaus auch in einer interessanten Programmierung auf dem Festival Il Cinema Ritrovato in Bologna. Als Teil des Eröffnungsabends im Kontext der Vorführung von Murnaus Nosferatu (1922) als Hauptfilm wurde Le voyage dans la Lune (1902) zunächst mit der modernen, mit elektronischen Elementen spielenden Filmmusik von Air gezeigt. Diese Musikbegleitung kann aus heutiger Sicht auf den in den Bildern angelegten Science-Fiction-Inhalt des Films verstärkend wirken. Der Film wurde aber dann darüber hinaus im Vergleich ein weiteres Mal in einer Orchesterbegleitung des Teatro Communale di Bologna unter der Leitung von Timothy Brock nach der Operette von Jacques Offenbach präsentiert. Dies ermöglichte einen Vergleich, in dem die Konditionierung der Zuschauer durch heutige Konventionen der Stummfilmbegleitung auf die Probe gestellt wurde. Die Orchesterversion entsprach hier einer traditionelleren, da ritualisierten musikalischen Begleitung. Insbesondere auch über die performative Gegen- überstellung der aufeinanderfolgenden Präsentationen wurde die Fremdartig- keit, da mit den Konventionen brechend, des neuen, elektronischen Scores von Air hervorgehoben.109 An dieser Stelle bietet es sich an, das bereits in Überlegungen zum Performati- ven (vgl.  Kap. 5) dargestellte Konzept von Pescetelli (2010), Filmrestaurierung 108  Zur Erinnerung: Mit einer Abwandlung von Barbara Klinger (2006a: bes. 180) – die sich allerdings mit dem Phänomen des Mehrfachschauens ein und desselben Films aus- einandersetzt – sind Formen der autobiografischen, memophänomenalen Einverleibung bereits in  Kap. 6 thematisiert worden. 109  Ein paar Monate später im selben Jahr wurde im Rahmen des Festivals Le Giornate del Cinema Muto in Pordenone der Film nur mit dem neuen Score gespielt, wodurch er weniger zur Disposition gestellt schien. Franziska Heller - 978-3-8467-6460-2 Heruntergeladen von Fink.de01/03/2022 12:27:50PM via free access 420 kapitel 7 unter den Vorzeichen einer Aufführung mit Orchesterbegleitung als er- eignishaftes Spektakel zu begreifen, im Zeichen des vergleichenden Rezeptionsmodus zu adaptieren: Hier war nicht allein der neue Score von Air das Spektakel, sondern der programmierte Vergleich, der mit der Quali- tät des Liveevents verbunden wurde, stellte die Attraktion dar. Damit wurde aber auch die Variabilität der Aufführungsformen von historischen Filmen ausgestellt.110 Mit anderen Worten, der performative Aspekt von früher Film- geschichte vermittelte einen Unterhaltungsmodus, der sich aus der Varianz der Dimension des Historischen speiste. Eine Variante dieser Problematik ist der Fall der Restaurierung und Re- Edition von Ewald André Duponts Varieté (1925). Der Fall ist deshalb so lehrreich, weil er auf die memopolitischen Implikationen unterschiedlicher diskursiver Frameworks und Dispositive zu verweisen scheint, die unter Um- ständen durchaus zu äußerst emotionalen Reaktionen führen können (vgl. hierzu ähnlich das Ende von  Kap. 6). Die Restaurierung des Films Varieté hatte 2015 auf der Berlinale Premiere – mit der musikalischen Begleitung war das im Zirkus-Vaudeville-Stil zu verortende britische Trio The Tiger Lillies beauftragt. Wie die verantwortliche Restauratorin der Friedrich-Wilhelm- Murnau-Stiftung während ihrer Masterclass 2015 am Stummfilmfestival Le Giornate del Cinema Muto berichtete, waren die Reaktionen auf die Auf- führung durchaus positiv. Anke Wilkening stellte die These auf, dass dies wohl daran lag, dass Besucher nicht nur primär wegen des Films als Attraktion und Spektakel gekommen seien, sondern wohl auch und vor allem wegen der Tiger Lillies, wobei der Film dann als Vehikel der Livemusik gesehen worden sei. Diese Gewichtung kehrte sich allerdings um, als die Restaurierung des Films für den Heimvideomarkt auf DVD von NFP/Friedrich-Wilhelm-Murnau- Stiftung herausgebracht wurde – mit ebenjener Musikbegleitung. Diese ist zum einen gekennzeichnet von einem Falsettgesang, zum anderen gibt es auch gesungene Textzeilen, die zum Teil die Handlung vorwegnehmen und damit in den Spannungsaufbau und den Rhythmus der Narration des Films eingreifen. Bei Erscheinen der DVD – so berichtete Wilkening – habe sie extrem negative Reaktionen und Beschwerden über diese Musik erhalten, die äußerst emotional unter anderem im Internet und entsprechenden Foren ausgetragen wurden. Dispositivisch wurde die in den Vordergrund rückende Wahrnehmung der Musik dadurch verstärkt, dass der Hauptfilm nur mit der Musik der Tiger Lillies 110  Zur Geschichte und zu den historischen Bedingungen der jeweiligen Wahl von Stumm- filmbegleitungen vgl. Pauli (1981). Franziska Heller - 978-3-8467-6460-2 Heruntergeladen von Fink.de01/03/2022 12:27:50PM via free access Mediale Zirkulation und Mise en Relation 421 anzuwählen ist. Allerdings – darauf wies Wilkening hin – ist unter Extras be- ziehungsweise Bonus die US-Version des Films auswählbar, die mit einer eher den heutigen Stummfilmrezeptions-Gewohnheiten entsprechenden Kino- orgelbegleitung versehen ist. Vor dem Hintergrund der von Wilkening formulierten Überlegungen bleibt so die interessante Beobachtung einer Verschiebung des Attraktions- wertes der Musikbegleitung in unterschiedlichen Dispositiven: vom Mehrwert hin zum Makel und Anstößigen. Insbesondere im Kontext der sammlungs- affinen, cinephilen Aneignung der restaurierten Version für die Rezeption zu Hause artikulierte sich in der ablehnenden, emotionalen Reaktion implizit die Vorstellung eines Werks in einer historischen Integrität, die sich wohl unter anderem mit dem ungebrochenen Genuss des Dramas der erzählten (Mord-)Geschichte verband. Die Musik mit gesungenen Textzeilen galt als zu dominant angesichts der Bilder. So ist letztendlich die Diskussion um Varieté meines Erachtens ein eindrückliches Zeugnis für die unterschied- lichen historiografischen Wirkungsweisen verschiedener Dispositive und ihrer jeweiligen diskursiven, ökonomischen oder sinnlichen Mehrwertver- sprechen. Umso mehr gilt: Die momentane Mise en Relation beeinflusst die Wahrnehmung des Films, was wiederum – im Kontext der Reprise eines Films mit zugeschriebenem Alters- oder Erinnerungswert – zugleich eine sinnliche Formierung von Historizität bedeutet.111 111  Weiterführende interessante Beispiele von Ausprägungen der Mise en Relation stellen in diesem Kontext etwa digitale Editionen dar, in denen Stumm- und Tonfilmfassungen von ein und demselben Film aus heutiger Sicht in einem bestimmten Verhältnis zueinander veröffentlicht werden. Bemerkenswert ist hier, dass meist die eigentlich historisch früheren Stummfilmversionen auf den DVD-Editionen als ‚archivarischer Bonus‘ – da weniger heutigen Sehgewohnheiten entsprechend – den Tonversionen beigegeben werden. Im Fall der DVD-Edition (MK2/Warner Bros. Home 2003) von The Gold Rush mit der Stummfilmfassung aus dem Jahr 1925 und der Tonfilmfassung von 1945 – beide unter der Regie von Charlie Chaplin entstanden – wird tatsächlich die ältere Fassung als ‚Archivversion‘ und Zusatzbeigabe inszeniert. Ähnliche Fälle stellen DVD-Editionen von Alfred Hitchcocks Blackmail (1929) dar (u. a. Arthaus 2010). Hier zeigt sich die Pointe, dass sowohl Stummfilm- wie Tonfilmfassung aus demselben Produktionsjahr – eben gerade während der historischen technologischen Umbruchphase – stammen. Zu DVD- Editionen von Mehrsprachenversionen vgl. Distelmeyer (2012: 98–99). Franziska Heller - 978-3-8467-6460-2 Heruntergeladen von Fink.de01/03/2022 12:27:50PM via free access 422 kapitel 7 7.13 Filmgeschichte(n) im Fluss? Dispositivische Konfigurationen am Beispiel von Video-on-Demand (VoD) „We’re moving away from a hard-media society. In the future, there will be only images stored on hard drives, in clouds, and in our memories, as we watch the digital transformation of the cinema“. Dixon 2013, Kap. 1: 16 Im Mittelpunkt dieses  Kap. 7 standen bislang Prozesse der Mise en Rela- tion im Horizont von medienhistoriografisch wirksamer Erfahrungsbildung. Im Zuge dessen spielte der Zuschauer/Nutzer/Konsument als Nachvoll- zugsinstanz eine zentrale Rolle, wobei dispositivische wie filmästhetische Formen der Erinnerungsbildung in ihren medialen Formen und zeitlichen Dimensionen reflektiert wurden. Dabei stammen die meisten der bisher beschriebenen Beispiele aus den ersten fünfzehn Jahren des 21. Jahrhunderts, welche ich als wichtigen Teil der historischen Phase der Transition hin zu einer digitalen Medienumgebung von Film verstehe. Ich habe zunächst Fälle aus Diskursen, Rezeptions- und Nutzungsformen von DVD und Blu-Ray-Disc erörtert, da ich diese als vor- herrschende Trägermedien des historischen Übergangsprozesses vom ana- logen zum digitalen Film und der impliziten (Film-)Geschichtsbilder begreife. Aus heutiger Perspektive stellen DVD und Blu-Ray-Disc medienarchäo- logische Zeugnisse einer spezifischen historischen Phase dar, die Zukunft solcher Trägermedien ist aus der Sicht des Jahres 2019 ungewiss und unabseh- bar. Es stellt sich nun die Frage, wie sich meine bisherige Methodik frucht- bar auf andere Dispositive, die Teile einer digitalen Filmkultur sind oder sein werden, übertragen lassen. So bilden zum gegenwärtigen Zeitpunkt vor allem Streaming- und Onlineportale ein heterogenes Feld der Zugriffsformen auf Filme und Filmgeschichte. Dies gilt sowohl für Anbieter aus dem Profit- als auch aus dem Non-Profit-Bereich (etwa Archive, die ihr Material zugäng- lich machen. Ich haben mich in diesem Zusammenhang bewusst auf stärker kulturindustrielle Kontexte fokussiert).112 112  Vgl. zur kritischen Diskussion einiger Plattformen im Zusammenhang mit cinephilen Interessen die Aufstellung von Hagener (2016). Hagener unterscheidet generell bei Plattformen drei Kategorien: 1. Plattformen wie YouTube, Vimeo, Dailymotion, die bei- tragsfrei sind und sich zu einem großen Teil aus nutzergenerierten Inhalten speisen. 2. Kommerzielle Plattformen, basierend auf einem Abonnementbezahlsystem, mit professionell produzierten Inhalten wie etwa Netflix, Amazon, Mubi, Hulu. 3. Die il- legal operierenden Plattformen. Als nichkommerzielle ‚webbasierte‘ Ressourcen nennt Hagener unter anderem archive.org/The Internet Archive wie auch UbuWeb. Vgl. zu einer Franziska Heller - 978-3-8467-6460-2 Heruntergeladen von Fink.de01/03/2022 12:27:50PM via free access Mediale Zirkulation und Mise en Relation 423 Dazu, ob die DVD beziehungsweise die Blu-Ray-Disc tatsächlich einer Krise unterliegen und generell demnächst als Trägermedien abgelöst werden, gibt es unterschiedliche Positionen und Einschätzungen.113 Dixon etwa sieht schon 2013 die DVD und Blu-Ray-Disc als obsolet an (vgl. unten; Dixon 2013, Kap. 1: 2). Aktuell finden sich immer wieder unterschiedliche Formen des Abgesangs auf physische Trägermedien (vgl. hierzu zum europäischen Filmmarkt die Studie European Audiovisual Observatory/Europäische Kommission 2016).114 Es kann in einer Untersuchung wie der vorliegenden nicht darum gehen, eine prophetische Prognose für die Zukunft über Medienentwicklungen zu erstellen – oder zu versuchen, in einer derart sich im Fluss befindenden netz- werkartigen und „entropischen“ Medienumgebung (Andrews, n. Hagener 2016: 191) immer neue Phänomene und digitale Dispositive kausallogisch an einige wenige Epistemai fixierend zurückzubinden; ganz zu schweigen davon, der Versuchung nachzugeben, die Digitalisierung in ihren (film-) kulturellen Konsequenzen grundsätzlich, ontologisch oder überzeitlich, bestimmen zu wollen. Man liefe Gefahr, in der analytischen Auseinander- setzung mit konkreten Phänomenen den technologischen Entwicklungen mit all ihren technoimaginären und warenästhetischen Implikationen hinter- herzurennen und damit – gerade in dem Versuch, über technizistische Dis- kurse Erscheinungsformen in einem Ursache-Wirkungs-Modell herleitend etwas anderen Systematisierung, aber ebenso überblicksartigen Aufstellung von Portalen Krautkrämer/Kirsten/Vonderau (2017). 113  Besonders eindrücklich ist die 2017 zu der Preisverleihung für DVD-Editionen des film- historischen Festivals Il Cinema Ritrovato (Bologna, IT) veröffentlichte Stellungnahme zur Situation der sogenannten ‚cinephilen‘ Filmdistributionsfirmen im Zeitalter des Streaming. Der Vizepräsident von Milestone Film &Video, Dennis Doros, formuliert hier seine Erfahrung und Einschätzung. Die amerikanische Firma Milestone Film & Video ist spezialisiert auf die Auffindung, Restaurierung und Distribution von Filmen, die in ge- wöhnlicher Filmgeschichtsschreibung oft als randständig behandelt werden – so geben sie etwa Filme von Regisseurinnen sowie Filme aus LGTBQ-Kontexten heraus. Doros schreibt nun 2017 zu der Arbeit seiner Firma im Zeichen des Streamings: „For the first time in many years, a sizable part of our income is coming from streaming, particularly from Turner Classic Movies’ Filmstruck. There are also hundreds of other companies around the world that are seeking the rights to our titles for SVOD [Subscription-Video- on-Demand = Abonnementmodell, FH]. So the writing is definitely on the wall. However, we pride ourselves in doing the years of research for each film, finding the bonus features that put our films into context, and create learning tools for professors and their students to better understand our films. I think most of the companies that do this – such as Criterion, the BFI, Flicker Alley and the rest of our ilk – find this to be the artistic side of film distribution. So there are selfish professional reasons why I hope Blu-ray and DVD distribution will last“ (Doros 2017). 114  Weitere grundsätzliche, exemplarische Onlinebeiträge zu der Diskussion sind etwa Spira (2017) unter dem sprechenden Titel The Death of DVD Will Haunt Us. Vgl. auch ähnliche Artikel von Brew (2017) und Latchem (2015). Franziska Heller - 978-3-8467-6460-2 Heruntergeladen von Fink.de01/03/2022 12:27:50PM via free access 424 kapitel 7 zu erklären – unter Umständen unkritisch die Neuheit erst festzuschreiben. Letztendlich zwingt eine solche Situation insbesondere die medien- und filmwissenschaftlich Forschenden zu einer noch stärkeren Reflexion und Verzeitlichung ihres Gegenstandes; dieser als Produkt und Faktor einer vor- gängigen ästhetischen wie medial dispositivischen (Neu-)Interpretation. Dazu gehört auch eine kontinuierliche selbstkritische Auseinandersetzung mit den methodologischen Implikationen einer sich ständig wandelnden Medien- umgebung und ihrer ausgemachten Horizonte. Ich folge deshalb grundsätzlich Dixons (2013) These – bezüglich der Frage, ob DVD und VoD sich verlässlich und lange in der Zukunft halten –, dass Filme per se phänomenal erhalten bleiben werden; die Plattformen aber – und damit auch die Vielfalt der Dispositive und der anhängigen Diskurse – werden einem ständigen Wandel und der Flüchtigkeit unterliegen. So ist meines Erachtens die Vielfalt und Kopräsenz von Zugangs- und Rezeptionsformen konzeptionell anzunehmen: „Audiences have adjusted to viewing moving images in a variety of different ways“ (Dixon 2013, Kap. 1: 12). Allerdings sind bei film- und medien- wissenschaftlichen wie vor allem -historischen Fragestellungen die jeweils formierenden Bedingungen der Erscheinungsform jedes digitalisierten Films – insbesondere, wenn es sich um historische Reprisen handelt – in Zukunft noch nachhaltiger mitzudenken und die Bedingungen und der Zeitpunkt der Wissensproduktion zu dokumentieren und zu reflektieren. Bei aller zeitlichen Gebundenheit an sich ständig vollziehende (Medien-) Technologieentwicklungen und an ökonomische Verdrängungskämpfe, die im Austauschverhältnis mit medialen (Nutzungs-)Bedürfnissen seitens der Konsumenten stehen, lassen sich insofern im Rahmen meiner Argumentation folgende grundlegende Tendenzen in einer dezidiert verzeitlichten Perspektive festhalten: Es besteht, wie die Ausführungen in  Kap. 7 zeigen, eine Ko- existenz verschiedener, zum Teil gegenläufiger Konzepte und Denkmodelle, die sowohl diskursiv, dispositivisch wie ästhetisch in ihrer Relation stets funktional und im Verhältnis zueinander re-konfiguriert und neu ausgehandelt werden. Diese Konfigurationen im Zeichen der digitalen Domäne gehorchen nicht einer Logik oder einer Ideologie (auch wenn sie vom Fortschrittsnarrativ zunächst oberflächlich dominiert erscheinen), vielmehr funktionieren sie als vieldeutige und -schichtige Cluster. Dies gilt grundlegend für das Prinzip der situativ gebundenen Konstruktion von symbolischem Kapital, bei der sowohl kulturelle Autorität als auch der basale (Kunst-)Werkbegriff immer wieder zur Disposition stehen. Die sich ausbildenden momentanen medialen Konfigurationen schreiben sich in je unterschiedliche Erfahrungsdimensionen der Filmbilder ein, konstituieren mit Blick auf den Zuschauer auf diese Weise einen Subjektbegriff, der in seiner leiblichen Präsenz als integraler Bestandteil Franziska Heller - 978-3-8467-6460-2 Heruntergeladen von Fink.de01/03/2022 12:27:50PM via free access Mediale Zirkulation und Mise en Relation 425 der Konfigurationen zu sehen ist. Wenn in irgendeiner Form der Mehrwert eines Films in seinem historischen Alterswert zum Tragen kommt, dann ist dies als mediale Geschichtsbildmodellierung zu verstehen, die nicht mehr zwischen Fakt, Fiktion und medialer Erfahrung unterscheidet. Mediale Geschichtsbild- modellierungen sind performativ, das wahrnehmende und nutzende Subjekt wird auf unterschiedlichen Ebenen eingebunden; dies unter der besonderen Betonung dessen, dass es immer zum Zusammenspiel der präsentischen Wahrnehmung mit (illusionsbildender) Bewegtbildwahrnehmung kommt. Das zeitigt die Konsequenz, dass der Enunziator Geschichte mit Erinnerungs- funktionen und präsentischen ästhetischen Erlebnisformen des Rezipienten/ Konsumenten verknüpft wird. Dabei muss aus analytischer Sicht immer be- rücksichtigt werden, was in dem jeweiligen (kulturindustriellen) Kontext situativ die digitale Qualität eines Phänomens in welcher Funktion und mit welchen Konsequenzen vermittelt. Unter diesen Vorzeichen sind Tendenzen des Video-on-Demand zu sys- tematisieren. Video-on-Demand (VoD) bezeichnet als Oberbegriff die Mög- lichkeit, über einen Videodienst auf Abruf beziehungsweise Verlangen individuell und zeitunabhängig audiovisuelle Inhalte zu betrachten, indem die digitalen Videodateien etwa zum Herunterladen oder für einen Videostream bereitgehalten werden (Eberle 2007, zit. nach Stegmann 2013: 51).115 Dixon konstatiert bereits 2013 aus amerikanischer Perspektive, dass Streaming als die Übertragung und Wiedergabe von Video- beziehungsweise Audiodateien über ein Netzwerk der dominante Modus der Filmdistribution geworden sei (Dixon 2013, Kap. 1: 2). Dies transportiere die Vorstellung von Omnipräsenz von Material – räumlich wie zeitlich. Hagener (2016) greift implizit in diesem Kontext Manovichs (2001) entmystifizierende Sicht digitaler Interaktivität auf, wenn er mit Blick auf Videoplattformen vom „Mythos der Verfügbarkeit“ spricht („myth of availability“, Hagener 2016: 185). Insbesondere die zeitliche Nähe, die Unmittelbarkeit des Zugriffs – aus jeder alltäglichen Situation heraus – und die Direktheit beschreibt Dixon als entscheidend für die entsprechende Erwartungshaltung der nutzenden Zu- schauer: „For today’s audiences, everything has to be instant“ (Dixon 2013, Kap. 1: 3). Neben dem sofortigen Zugriff etabliert sich eine weitere zeitliche 115  Dixon kommentiert von der technischen Seite her: „The concept of ‚streaming‘ of course, is nothing new. Early television was essentially streaming video, raw and unprocessed, with plenty of airtime and minimal commercial interruption“ (Dixon 2013, Kap. 1: 4). Unter heutigen Bedingungen kommt allerdings die zeitliche und räumliche Ungebundenheit der Abruf- und Rezeptionsmöglichkeiten hinzu, die wesentlich variabler sind als noch bei dem von Dixon zitierten Fernsehen. Franziska Heller - 978-3-8467-6460-2 Heruntergeladen von Fink.de01/03/2022 12:27:50PM via free access 426 kapitel 7 Perspektive, indem verschiedene Zugriffsmöglichkeiten durch immer weiter verknüpfende Vorschläge eine eigene Programmstruktur entwickeln; dies ist vordergründig gekoppelt an bisheriges Sehverhalten von Nutzern eines Streamingangebots, das algorithmisch, das heißt rechnerisch analysiert wird. Das Dispositiv offeriert aufgrund von bisherigen Selektionen eine algorithmisch bestimmte Auswahl, die auf der Rezeptionsebene des Nutzers einen Fluss (Flow)116 von audiovisuellen Angeboten kreiert (dessen Zustande- kommen aber letztlich weitgehend opak bleibt). Bei kommerziellen Anbietern wie Netflix findet sich der nie endende Fluss- gedanke übersetzt in das gewünschte und suggerierte Konsumverhalten, das in Profit umgemünzt wird. Das zumeist angebotene Abonnement- be- ziehungsweise Flatratemodell ist auf eine möglichst lange Kundenbindung und Konsumhaltung ausgerichtet (Keiper 2014a, Stegmann 2013: 54–56). Der unter diesen Bedingungen entstehende Programmfluss aus unter- schiedlichsten Angeboten ist ein schwer einzusehendes Zuordnungsver- fahren. Es wird nicht deutlich, wie ‚Personalisierung‘ eigentlich vom Anbieter definiert wird.117 Keiper hat dies mit dem Begriff des „kulturellen Kreisver- kehrs“ charakterisiert:118 Eine Institution und ein Dispositiv definieren unsere Bedürfnisse nach sinnlicher Erfahrung und Unterhaltung, wir wählen aus und speisen damit wieder das Angebot (Keiper 2014a und 2014b). 116  Weiterführend und ausführlich zum Begriff des Flows im Kontext von Streamingpraktiken und -kontexten vgl. Denecke (2017); in Auseinandersetzung mit seriellen Formen des Fernsehens: Zündel (2017). 117  Diese Form der auf Filme ausgerichteten algorithmisch konstituierten Bedürfnis- personalisierung und -strukturierung ließe sich unter Umständen weiterführend mit Diskursen um ein ‚quantisiertes Selbst‘ verknüpfen, in denen es zunächst – zumindest bei Abend/Fuchs (2016) – um die Vermessung etwa der eigenen körperlichen Verfasst- heit (etwa beim Sport o. Ä.) mittels entsprechender Technologien und Programmen zur Datenakquisition geht. 118  Der Filmwissenschaftler David Bordwell hat die Konsequenzen von solchen Zugängen in Hinblick auf eine mögliche historische Filmbildung lakonisch in einem Interview auf den Punkt gebracht: „This is the great paradox of classic film in the age of streaming. If you already know you’re a film history buff, it’s never been easier to devour title after title. […] But the gap between ‚casual film fan‘ and ‚film history buff‘ has never been harder – or more expensive – to bridge“ (Bordwell, n. VanDerWerff 2016). Im An- schluss an Diskussionen um Filterblasen (Pariser 2012) und Echokammern des Internets, die versuchen zu vermessen, was man finden möchte, könnte man hier eingedenk von Bordwells Aussage auch von einer filmhistorisch bildenden Filterblase sprechen, die solche Personalisierungen zur Folge haben. Generell zur ‚neuen Cinephilie‘ auch mit Blick auf das Internet und die Blogosphäre vgl. Balcerzak/Sperb (2012). Franziska Heller - 978-3-8467-6460-2 Heruntergeladen von Fink.de01/03/2022 12:27:50PM via free access Mediale Zirkulation und Mise en Relation 427 Mit Blick auf die Reprise und längere, kontinuierliche Verfügbarkeit von älteren Filmen in solchen Dispositiven schreibt Keiper (2014a): Obwohl sich VoD immer mehr durchsetzt, ist es sehr stark auf neue Produktionen beschränkt. Eine retrospektive Erfassung des filmischen Erbes ist nicht in Sicht. Allerdings zeigt sich die digitale Ökonomie dieses eine Mal nachhaltiger. Der long tail, also der rentable Abverkauf auch kleiner Lagerbestände, ist in der digitalen Ökonomie mit sehr geringen Kosten verbunden. Sind die Filme erst einmal auf den Servern, ist das Entfernen aufwändiger als der Verbleib – zu- mindest wenn die Verträge entsprechend konzipiert sind (Keiper 2014a). Giovanna Fossati beschrieb in diesem Zusammenhang schon 2009 aus der Archivsicht die langfristigen Möglichkeiten der Sichtbarmachung in einem solchen Long-Tail-Ansatz. Sie rekurriert bereits auf den begriffsbestimmenden Aufsatz von Chris Anderson, den dieser unter dem Titel The Long Tail in Wired (2004) veröffentlicht hatte. Fossati beschreibt die Kernaspekte des Modells wie folgt: The Long Tail model comprises a worldwide distribution system in which the current, relatively small number of mainstream hits – the head of the demand curve (the blockbusters, in film terms) – is substituted by a large number of niches – the tail (the art film, but also the archival film). Thanks to the new ways of on-line distribution this system is becoming economically viable. The need for a large number of people in one place (the film theater) to justify high production and distribution cost, is replaced by the need to satisfy the largest number of individual users spread world-wide with (cheaper) niche products (Fossati 2009: 97). Insbesondere bei der Wiederaufnahme von historischen Filmen sieht Fossati eine Möglichkeit der Distribution – auch in der Konstitution kleinerer (cinephiler und historisch interessierter) Nischen.119 Allerdings sei dies nach- haltig unter der Berücksichtigung von Copyright und Urheberrechtsfragen zu sehen, was sich vor allem auch bei den jeweiligen Katalogen/Angeboten von 119  Vgl. hierzu oben meine Anmerkung zu der Aussage von David Bordwell (n. VanderWerff 2016). Ein weiteres, in diesem Sinne mögliches Diskussionsfeld stellen im Horizont von Onlinevideotheken sogenannte ‚Quasiarchive‘ dar, die – unterhalb des Wahrnehmungs- schirms der Öffentlichkeit – als invite-only, als geschlossene (Geheim-)Gemeinschaften dezentral und am Rande der Legalität den Zugang zu „einer beachtlichen Zahl film- historisch relevanter Werke“ bieten (Kirsten/Schmidt 2017: 59). Im Horizont meines Ansatzes könnte auch ein solches Dispositiv auf seine inhärenten (historiografisch wirksamen) Konsekrationsmechanismen untersucht werden, wenn etwa, wie Kirsten/ Schmidt schreiben, „die Netzwerke die Chance [bieten, FH], historisch relevantes Material in qualitativ hochwertigen Digitalisaten nicht nur zu bewahren, sondern ihren Mitgliedern auch ohne Mühe zugänglich zu machen“ (2017: 79). Franziska Heller - 978-3-8467-6460-2 Heruntergeladen von Fink.de01/03/2022 12:27:50PM via free access 428 kapitel 7 Onlinediensten wiederspiegele, die sich auch regional unterscheiden.120 So hebt auch Spiegel Online zu Netflix 2016 noch einmal hervor: „Der Netflix- Katalog unterscheidet sich von Land zu Land zum Teil erheblich. Das liegt daran, dass Netflix die Rechte für Sendungen für verschiedene Regionen einzeln aushandeln muss“ (Spiegel Online 2016). Für meine Überlegungen sind vor allem Verfahren wichtig, die Keiper (2014b) mit Blick auf Netflix unter der Tagline einer „Vermessung der Seh- erfahrung“ beschreibt. Gerade bei Netflix – aber diese Tendenz lässt sich auch allgemein beobachten – soll mit der suggerierten Personalisierung des Angebots über eine statistische Interpretation auch des Verhaltens anderer, ähnlich eingeschätzter Nutzer eine Typologie von Wünschen und (Konsum-) Bedürfnissen (Keiper 2014b) vorgenommen werden. Algorithmen analysieren und bestimmen Produktion und Angebot, das in den entsprechenden Inter- faces in eigens kreierten Programmreihen über symbolische, auf ein Still oder Plakat reduzierte bildhafte Zeichen als Werk offeriert wird. Wirkungs- ästhetisch soll dies – im Zusammenspiel mit dem Abonnementmodell – eine Form des seriellen binge watching beziehungsweise Komaglotzens (u. a. Zündel 2017: 29) hervorrufen, in dem aufgrund von algorithmisch errechneten und dann vorgeschlagenen Serien von Filmen und tatsächlichen seriellen Formaten eine inhaltsindifferente lange Bindung in dem sinnlichen Erleb- nis von Bewegtbildern hervorgerufen wird. Mittell (2011) hatte eine ähnliche Rezeptionshaltung schon dem Dispositiv der DVD-Box zugeordnet, die die kulturelle Wertigkeit von editierten Werken beeinflusse (auch weil, so Mittell, dieses Prinzip an den Roman erinnert). In diesem konkreten Fall der DVD-Box erfolgt eine Konsekration; bei VoD gilt es, dies anders zu perspektivieren. Denn gerade unter dem Vorzeichen der Personalisierung des Angebots verhalten sich die Konsekrationsmechanismen anders als bei einem singulär editierten und zu erwerbenden Werk. Es gibt im VoD-Dispositiv zwar oft noch eine paratextuelle Auteur-Zuschreibung – gegebenenfalls auch den Hinweis auf institutionelle Auszeichnungen wie Festivalteilnahmen oder Preise. Aber darüber hinaus wird jedes Werk in der Präsentation – etwa im Falle von Netflix in der Schweiz – vor einem einheit- lichen Hintergrund gezeigt; Credits und paratextuelle Informationen sind nur eingeschränkt zu finden. Damit einher geht auch, dass das Menü und ent- sprechende Bonusmaterialien eines DVD- oder Blu-Ray-Disc-Dispositivs hier mitnichten im Vordergrund stehen. Die eigentlich mögliche, von Distelmeyer (2012) hervorgehobene Flexibilität und die Selektivität digitaler Dispositive 120  Vgl. hierzu weiterführend Op den Kamp (2018) beziehungsweise Fossati (2009: u. a. 97) sowie einführend zum Geoblocking als (regionale) Kontrolle des Angebots Krautkrämer/ Kirsten/Vonderau (2017: 10). Franziska Heller - 978-3-8467-6460-2 Heruntergeladen von Fink.de01/03/2022 12:27:50PM via free access Mediale Zirkulation und Mise en Relation 429 werden auf dieser Ebene zurückgenommen. Der Fokus verlagert sich vielmehr auf den Eindruck eines personalisierten Angebots, das auf einer statistischen Hypothese über Wünsche und bisheriges Auswahlverhalten funktioniert (vgl. oben). Dies wird mit einer relationalen Rhetorik verknüpft, die sprachlich eine künstliche Kausallogik vermittelt, die aber die eigentliche Opazität der Verbindungen verschleiert. Es werden in kurzen Ausdrücken Begründungs- und sogar Bedürfniszusammenhänge konstruiert wie etwa „title related to“ oder „Der Film könnte Ihnen gefallen, weil …“.121 Auf diese Weise werden die sowohl genremäßig wie auch inhaltlich zum Teil recht arbiträr erscheinenden Gruppierungen und Reihungen als vermeintlich ‚sinnvoll‘ vermittelt. Und auch hier setzt der „interaktive Kreisverkehr“, wie Keiper (2014b) es nennt, ein – allerdings unter klaren Vorgaben und (Zeichen-)Reglementierungen: Die Anordnungen von Werken können Ratings berücksichtigen, welche die Nutzer für entsprechende Inhalte abgeben, und beeinflussen – diesmal unter Konformitätsdruck – die Rangordnung sowie die Gruppierung der Inhalte innerhalb der entsprechenden Reihen (Alvino/Basilico 2015). Der Flow des Angebots soll gleichzeitig stets in Bewegung bleiben, die Bindung darf nicht erlahmen, Empfehlungen können sich deshalb regelmäßig – je nach Zu- griffsform – schon nach wenigen Sekunden ändern. Das Zurücktreten einer Menüstruktur mit Paratexten stellt eine Herausforderung für filmhistorische Angebote dar, vor allem wenn es um kuratierte, historisch kontextualisierende Rahmungen geht.122 Als kurzes Zwischenfazit ist festzuhalten: Um der Vielfalt der Ausprägun- gen von VoD123 unter den momentanen Gegebenheiten gerecht zu werden, 121  Hier gilt mein Dank Joel Singh für Anregungen in der Diskussion. 122  Vgl. zum Verhältnis von DVD und Streaming in Fragen des Begleitmaterials Doros (2017). Zur theoretischen Diskussion der hier anklingenden kuratorischen Prinzipien entweder a. eines Push-Modells, in dem von einer Institution (etwa Firma oder Archiv) etwas kommentiert zugänglich gemacht wird; oder b. eines Pull-Modells, das eher dem Ideal eines individuellen, unmittelbaren und instantanen, spontanen bedürfnisbefriedigenden Zugangs zum Film(inhalt) entspricht, vgl. Fossati/Verhoeff (2007: 331). Vgl. darüber hinaus die Beiträge in Paneldiskussionen in den Jahren 2015 und 2016 im Rahmen des Archiv- festivals in Bologna, bei denen DVD- und Blu-Ray-Disc-Herausgeber eben genau diese Problematik zur Sprache brachten; vgl. auch die Webseite von alleskino.de, wo die Ver- antwortlichen damit werben, dass sie Filme historisch kontextualisieren: https://www. alleskino.de/alleskino_die_idee (10.07.2017). 123  Keiper (2014a) notiert nicht zufällig: VoD zerfällt in unzählige Initiativen und Einzel- projekte. Netflix als eine der heutigen (2019) Marktgrößen stellt nur eine der bekanntesten Ausformungen dar, aber in meiner Untersuchung kann es nicht um eine umfängliche Er- fassung der Vielfalt auch anderer Online-/Streamingportale gehen; vgl. zu einer genaueren Systematisierung der Bezahl- und Finanzierungstrukturen Krautkrämer/Kirsten/ Vonderau (2017: 8 f.). Um weitergehend nur einige Beispiele aus dem archivarischen Kontext zu nennen: European Film Gateway, The Internet Archive; werbefinanziert: Franziska Heller - 978-3-8467-6460-2 Heruntergeladen von Fink.de01/03/2022 12:27:50PM via free access 430 kapitel 7 fokussiere ich die dispositivischen Mehrwertversprechen, die eine vermeint- liche Aneignung des Materials über Instantanität, Personalisierung und mög- lichst lange (emotionale) Bindung des Zuschauers verheißen – wobei dies je nach Zugriffsmodell variiert. Mit anderen Worten, VoD kreiert eigene Formen von Kausalitäten und Serialitäten, die – einer Programmstruktur ähnlich – werkübergreifend funktionieren und zur Formierung einer längerfristigen Zuschauerwahrnehmung beitragen. Es entsteht ein Fluss, der allerdings, so die dispositivischen Versprechen, sich auf die Nutzungsvergangenheit jedes einzelnen Nutzers bezieht, zugleich aber von äußeren Begrenzungen wie der regionalen Kataloggestaltung, der zeitlichen Determinierung der Verfügbarkeit von Filmen und der opaken, nicht einsichtigen algorithmisch bestimmten Be- dürfnisformierung und -suggestion des Konsumenten abhängig ist. In meinen Augen ist dies eine kulturindustriell höchst ausgeprägte Aus- und Zurichtung einer Wahrnehmungshaltung der Mise en Relation. Werbeclips des Dispositivs, wie sie bereits im Zusammenhang mit der DVD und Blu-Ray-Disc ausführlich besprochen wurden, formulieren mit sehr ähnlichen ästhetischen Strategien nun diese dispositivischen Mehrwertver- sprechen. Im Fall von Netflix geschieht dies etwa in einem Clip unter dem auf Bindungen zielenden Titel Hold On (entsprechende Lyrics auch im Text des beschwingten begleitenden Songs).124 Vor allem wird unter der im Clip prominent auftauchenden Tagline „unlimited stories“ die Vielfältigkeit und unendlich werkübergreifende Dauer des Erlebnisses filmischer Geschichten angepriesen. Es eröffnet sich ein Erlebnisuniversum (aus vielen Einzel- geschichten), auf das man immer und überall Zugriff hat und das damit in vielfältiger Weise die Erfahrung der eigenen Lebenszeit prägt. Mit Blick auf die Filmgeschichte beschreibt Dixon die raumzeitlichen Dimensionen und zugleich die technoimaginären Implikationen des Instan- tanen und Omnipräsenten, die mit der Vorstellung von Zukunft identifiziert werden, wie folgt: „Everyone is headed full force into the future, and no one has time for the past“ (Dixon 2013, Kap. 1: 22). So macht Dixon auf die Selektions- mechanismen des jeweiligen Katalogs aufmerksam. Zu Netflix stellt er fest: What about all the classic films that aren’t available as streaming video? In es- sence, they will cease to exist. Netflix is on the fact that most people have no real knowledge of film history, so they’ll content themselves with streaming only the most recent and popular films (Dixon 2013, Kap. 1: 5). YouTube; Abonnement-/Bezahlmodelle: Filmstruck, Mubi, Hulu, Realeyz, Maxdome, Amazon, Alleskino.de u. v. m. 124  Für wertvolle Anmerkungen danke ich hier Andreas Schmunk; weitere Angaben zum Clip  Filmverzeichnis. Franziska Heller - 978-3-8467-6460-2 Heruntergeladen von Fink.de01/03/2022 12:27:50PM via free access Mediale Zirkulation und Mise en Relation 431 Dixon sieht gerade bei Netflix eine nachhaltige Affirmation des ohnehin existierenden Kanons (auch Hagener 2016: 184–185). Dabei spielt die Ge- wöhnung an den Direktzugriff eine wichtige Rolle, der die zeitliche Schwelle, die früher vor der Befriedigung jedes medialen Konsumbedürfnisses und -zu- gangs lag, schwinden lässt. Dixon spielt in seinem illustrativen Zitat auf die Vorgeschichte des Video-on-Demand, insbesondere bei Netflix, als einem postalischen Videoversand an: What will be lost in the process is not only the physical reality of books and DVDs; many titles won’t make it to Kindle or streaming video, simply because they’re not popular enough. In short, we’ll have the ‚top ten‘ classics, and the rest of film history – many superb, remarkable films – will gather dust on the shelf. If you can just click and stream, why wait for the mailman? (Dixon 2013, Kap. 1: 6).125 Auch wenn es mittlerweile andere Anbieter und Webseiten gibt, über die man zu weniger kanonisierten Werken Zugang erhält (Doros 2017; Krautkrämer/ Kirsten/Vonderau 2017; Hagener 2016), so bleibt doch vor allem Dixons (2013) Argument126 ernst zu nehmen, dass eine Institution oder eine Firma erst Geld investieren und damit technische wie inhaltliche Entscheidungen selektiv treffen muss, um einen Film – etwa aus dem Archiv – in die digitale Domäne zu transferieren und damit dort sichtbar und zugänglich zu machen. Es bleibt eine historiografisch wirksame Auswahl und Formierung nach einer Vielzahl von heterogenen Kriterien (ökonomisch, juristisch, kultur- und erinnerungs- politisch, materialästhetisch-quellenphilologisch, technologisch uvm.). Die mit Streaming verbundene Technoimagination des instantanen und omni- präsenten Zugangs verschleiert dies nachdrücklich und nachhaltig. 125  Dixon zitiert hier das folgende Beispiel: „The film (L’immortelle, Robbe-Grillet 1963) is unavailable on DVD, Blu-ray, or even VHS, much less 16mm; it’s available only in 35mm. To convert it to a digital master and then release it would apparently cost too much money – even with a down-and-dirty transfer – to make the investment back, so the film will remain in limbo, in-accessible to all but the most dedicated historians“ (Dixon 2013, Kap. 1: 22). Erneut sei hier auf meine These einer filmhistorisch bildenden Echokammer in Anschluss an Bordwell (n. VanDerWerff 2016) erinnert, die im Horizont des hetero- genen Netzwerks von Streamingportalen entsteht: Wer gezielt sucht, findet historische Filme und entsprechendes Material wesentlich schneller und leichter als zuvor; aber die breitere, nichtspezialisierte Sichtbarkeit von historischen Filmen und vor allem auch von verlässlichen und nachzuvollziehenden Kontextualisierungen nimmt ab, beziehungs- weise die jeweiligen kanonisierend wirkenden Selektionsmechanismen werden vom Mythos und der Erwartungshaltung der Omnipräsenz von Material überlagert. Auch werden digitale Derivate von Filmen als Analysegegenstand in ihrer Herkunft immer schwerer verortbar. 126  Ähnlich, etwas grundsätzlicher argumentiert Hagener (2016). Franziska Heller - 978-3-8467-6460-2 Heruntergeladen von Fink.de01/03/2022 12:27:50PM via free access 432 kapitel 7 Zugleich ändert sich die Vorstellung vom Erwerb respektive vom tatsäch- lichen Besitztum eines künstlerischen Objekts, eines Werks – was auch das Verständnis eines (Kunst-)Sammlers beeinflusst: „But as events have proved, with streaming technology, even when you buy something, you don’t really own it“ (Dixon 2013, Kap. 1: 8).127 Dies schließt an Diskussionen um DVDs und Blu-Ray-Discs und deren Bedeutung für sammlungsaffine, auf persönliche Archive ausgelegte Cinephilie an und zeigt die Variation von Konsekrations- mechanismen an dieser Stelle (u. a. Wortmann 2010).128 Diese Gemengelage um die Zugriffsform über Streaming und den prekären ‚Objekt‘-Status von Film (Film verstanden als „content“, Cherchi Usai 2012) zeitigt Konsequenzen; dies nicht zuletzt, weil der Gebrauchswert von Filmen in anderen Relationen werkübergreifend nun in dem seriellen Modus, in mög- lichst extensiver Unterhaltung gesehen wird – im Horizont ästhetischen enter- tainments als commodity in einer vom Anbieter kreierten Dauer: ‚Watch it and forget it‘ is a reasonable model of consumption. Collectors may want to hold on to their DVDs for a variety of reasons – some sort of fleeting permanence being one of them – but for most viewers, the idea is to watch it now and then move on (Dixon 2013, Kap. 1: 24). Insbesondere die über diese Form der Filmerfahrung kreierte Serialität impli- ziert wahrnehmungstheoretische Konsequenzen – gerade mit Blick auf die Erinnerungsaktivität und -praxis des Rezipienten/Konsumenten.129 Sowohl für die memotechnische Komponente als auch für die Zeiterfahrung als (über)filmische Dauer im Sinne einer subjektiv erlebten Zeit (Henri Bergson) assoziiert Dixon das Bild von fließendem Wasser. Mit dieser Metapher ver- anschaulicht er zugleich die Rezeptionshaltung und die Wertschätzung von 127  „An early har-binger of this was Amazon’s now famous (and all too obviously ironic) deletion of George Orwell’s 1984 from Kindles around the United States when the company discovered it had accidentally uploaded an unauthorized version of the novel“ (Dixon, Kap. 1: 8). 128  Dixon (2013, Kap. 1: 11) macht in diesem Kontext auf die Problematik der nötigen Pflege der digitalen Daten und auf die Ungelöstheit der Probleme digitaler Langzeitsicherung aufmerksam: „[S]torage of digital imagery is a never-ending process of maintenance and upgrading“. Damit spricht er einen wesentlichen, oft übersehenen Kernaspekt be- ziehungsweise eine Bedingung der Sichtbarkeit von Filmen an, da die nachhaltige Ver- fügbarkeit in der digitalen Domäne keineswegs gelöst ist und tatsächlich einer aktiveren Strategie zur Sicherung und Archivierung bedarf. Vgl. insbesondere hierzu sowie zu den notwendigen, auch praktischen wie kulturpolitischen Konsequenzen F. Heller (2017). 129  Vgl. zur grundsätzlichen Auseinandersetzung von VoD im Verhältnis zur Serialität des Fernsehens Zündel (2017). Franziska Heller - 978-3-8467-6460-2 Heruntergeladen von Fink.de01/03/2022 12:27:50PM via free access Mediale Zirkulation und Mise en Relation 433 ästhetischer Erfahrung über VoD:130 „In short, we live in a streaming world where everything, inevitably, will be available like running water – all you have to do is pay the utility bill“ (Dixon 2013: 24).131 Nicht nur dokumentiert Dixons Bild den kulturindustriellen Gebrauchszusammenhang von Filmen als ästhetischem Erlebnisfluss. Man ist darüber hinaus versucht, dieses Bild mit Heraklit zeitphilosophisch und damit erinnerungspolitisch zu wenden: „Man kann nicht zweimal in denselben Fluss steigen.“ Aus erinnerungskultureller Perspektive scheint somit VoD eine Mise en Relation zu etablieren, die auf ein ständiges Fließen ausgelegt ist. Bedeutungsgenerierende Konfigurationen manifestieren sich hier nur situativ, sie sind wenig fixiert und stellen damit permanent neue (historische) Zusammenhänge her. 7.14 VoD und Versionenhaftigkeit. Das Boot (1981/1985) als amphibischer Film Unter den oben formulierten Vorzeichen und Selektionsmechanismen ist im Kontext dieses  Kap. 7 abschließend nach der Bedeutung des für die Film- geschichte und die entsprechende Geschichtsbildmodellierung konstitutiven Phänomens der Versionenhaftigkeit zu fragen. Das mögliche Fehlen einer Menüstruktur, die unter Umständen den Zugriff auf unterschiedliche Versionen eines Werkes ermöglicht hätte, impliziert, wie oben mit Rekurs auf Distelmeyer (2012) schon angesprochen, dass Formen der audiovisuellen werkspezifischen Kontextualisierungen zurückgenommen werden: So wird, um wieder eines der populärsten Versionenphänomene der 130  Theoriegeschichtlich ist die Begriffswahl von Dixon angelehnt an Raymond Williams’ Begriff vom Flow; der über Zapping von Rezipienten hergestellten (eigenen) Programm- struktur des Fernsehens. Die Metapher des Flusses ist in diesen Zusammenhängen all- gegenwärtig, ob als Programmfluss oder auf der Ebene der zirkulierenden Ausbreitung; vgl. Denecke (2017) sowie Hagener/Hediger/Strohmaier (2016). Im letztgenannten Band wird allerdings das Bild des Wassers als Metapher der ausströmenden Zirkulation ver- wendet. Auch wird das Bild des Flusses für die besondere Flüchtigkeit der Verweildauer des Materials in der Streamingdomäne bemüht. 131  Dies ist auch auf der Ebene der konkreten Selektion für den Katalog zu sehen: „Of course, there are still large gaps – films […] that haven’t entered the streaming era: films that are too marginal or are strictly controlled by their makers; ‚orphan‘ films that have no legal copyright status or no living owners and have thus entered the public domain, making them available to anyone but significantly diminishing their potential for corporate profits“ (Dixon 2013: 24). Vgl. weiterführend zum Problem insbesondere von ‚Orphans‘/ verwaisten Filmen und Copyright – und damit ihrer Sichtbarkeit in der digitalen Domäne Op den Kamp (2018). Franziska Heller - 978-3-8467-6460-2 Heruntergeladen von Fink.de01/03/2022 12:27:50PM via free access 434 kapitel 7 jüngeren Filmgeschichte zu zitieren, etwa auf Netflix/Schweiz im Herbst 2015 von Blade Runner nur der Final Cut – dieser aber zumindest über den Titel ausgewiesen, aber ansonsten unkommentiert – zugänglich gemacht. Dem generellen Design und Interface des Anbieters unter- und eingeordnet erfolgte hier nur eine minimale Angabe der Produktionsdaten. Dazu in einer zeitlich limitierten Form: 2017 existieren der Final Cut sowie der Theatrical Cut lediglich nur noch als Suchbegriffe in der Maske – ansonsten wird uns eine auf den ersten Blick doch in Thematik und Genre zum Teil überraschende Produktpalette vermeintlich ähnlicher Filme angeboten, zu der nur text- sprachlich suggeriert wird, dass sie mit Ridley Scotts Film in einem – wie auch immer gearteten – Verhältnis stünde: „Titles related to“ (Abb. 7.39). Abb. 7.39 Bei einem schon vom historischen Produktionskontext her clusterhaften, gar als „amphibisch“ zu bezeichnenden Werk wie Das Boot (Kinofassung 1981) von Wolfgang Petersen hat das zur Folge, dass in der Zuschneidung und Nichtkontextualisierung der komplexen Überlieferungs- und Produktions- geschichte des Films zugleich auch die Wahrnehmung des auf Zeitgeschichte referenzierenden Filminhalts formiert wird. Zur Erinnerung:132 Das Boot ist zu sehen als eine „Sonderform des amphibischen Films“; ein Begriff, den der Produzent Günter Rohrbach mit Blick auf die Zusammenarbeit von Film und Fernsehen geprägt hatte (Scherfer 1998: 132  Für Anregungen in der auf das Dispositiv bezogenen Analyse der Versionen von Das Boot danke ich Petra Uphues. Franziska Heller - 978-3-8467-6460-2 Heruntergeladen von Fink.de01/03/2022 12:27:50PM via free access Mediale Zirkulation und Mise en Relation 435 218). Das Ergebnis der koproduzierenden Zweckgemeinschaft aus privaten Filmgesellschaften und öffentlich-rechtlichen Fernsehanstalten waren unter- schiedliche Versionen: Eine Kinofassung, die 1981 in die Kinos kam, sowie die Version in Form einer TV-Miniserie (erst 1985 drei-, dann 1987 sechsteilig aus- gestrahlt). Die Versionen entstanden aus Material, das im selben Produktions- prozess gedreht wurde. Als Veröffentlichung weiterer Versionen folgte zunächst 1997 die Fassung Das Boot. The Director’s Cut mit einer Distribution im Kino sowie auf DVD – eine der ersten DVDs in Deutschland überhaupt. 2011 erschien eine Blu-Ray-Disc, über die der Film als Jubiläums-Edition erneut auf den Markt gebracht wurde (Distelmeyer 2012: 21–23). 2004 wurde auch die TV-Filmfassung als DVD veröffentlicht. Auf zwei DVDs wurden „[f]ast 5 Stunden Spannung und Dramatik pur“ versprochen. Die ursprüngliche TV-Miniserie ist für diese Edition verändert worden. Die einleitende ‚Rückblende‘ als Wiederholung am Anfang jeder Folge wurde weg- gelassen und das Material zu einem Film aneinandergereiht (Relinger 2009: 80). 2014 erschien die TV-Serie in der sechsteiligen Version auf Blu-Ray-Disc (Eurovideo, 2014) – vermarktet unter der Tagline „Das Boot taucht wieder auf – in voller Länge!“. Die einzelnen Versionen – die Fernsehserien auf der einen und die Kino- fassungen auf der anderen Seite – unterscheiden sich in der narrativen und ästhetischen Struktur grundlegend dahingehend, dass sie – zudem bedingt durch die unterschiedliche Laufzeit und dispositivische Rahmung (TV vs. Kino) – eine alternative erzählerische Dynamik und zeitliche Rhythmik auf- weisen (Relinger 2009: 82). Vor allem wird in der Serie inhaltlich-atmosphä- risch den Wahrnehmungsveränderungen angesichts der räumlichen Enge an Bord, dem veränderten Raum- und Zeiterleben der Matrosen im U-Boot-Krieg mehr Platz eingeräumt. Durch die Einstreuung von entschleunigenden, hand- lungsarmen Bildern wird eine nachdenklichere Stimmung erzeugt, als es in der Version für das Kino der Fall ist, die im Vergleich mehr auf die Kriegshandlung ausgelegt ist (Uphues 2016). So beeinflusst die jeweilige Version deutlich die filmische Darstellung und Vermittlung einer historischen Kriegserfahrung, die gerade in Hinblick auf Das Boot oft in einem dokumentarischen Referenz- modus gelesen und somit in enger Beziehung zur Ereignisgeschichte des Zweiten Weltkriegs wahrgenommen wird (Uziel 2001). Auf die Präsentation und Zugangsform über Netflix in der Schweiz bezogen, ist vor diesem Hintergrund festzuhalten, dass diese Formen der sowohl film- wie mittelbar ereignisgeschichtlichen Formierung in keinem entsprechenden Kontext der Versionenhaftigkeit des Films wahrnehmbar wird.133 Im Juli 2017 133  Interessant ist in diesem Kontext, dass auf der frei zugänglichen Webseite von Alleskino.de, die explizit mit einem filmhistorisch bewussteren Umgang und der Franziska Heller - 978-3-8467-6460-2 Heruntergeladen von Fink.de01/03/2022 12:27:50PM via free access 436 kapitel 7 etwa bekommt man über die Titelsuchfunktion „Das Boot“ letztendlich die TV-Miniserie angeboten (Abb. 7.40); diese wird paratextuell ausgezeichnet als die Version von 1985: „The original television mini series version of the classic war thriller about a German U-Boat crew’s harrowing, deadly mission in World War II“. Abb. 7.40 Erst bei der Anwahl der einzelnen Episoden wird deutlich, dass es sich um die sechsteilige Serienversion handelt (Abb. 7.41). Es ist somit die Version von Das Boot, die die fließende epische Dauer der seriellen Produktion am meisten ausspielt. Die zeitliche Entfaltung passt sich hiermit der Erwartung an den vom Dispositiv gewollten Erlebnisfluss an – bei gleichzeitiger mehrschichtiger Kontextualisierung der von ihr zugänglich gemachten deutschen Filme wirbt, aus- gerechnet in der Selbstbeschreibung in der Rubrik „Über uns“ im Hintergrund ein Filmstill aus Das Boot zu sehen ist, das auch textsprachlich als Director’s Cut gekenn- zeichnet wird (zuletzt gesehen am 12.07.2017). Ich begreife dies als eine spezifische Form eines vielschichtigen filmhistorischen Konsekrationsakts, in dem die Selbstdarstellung des Anbieters mit quellenphilologisch geprägtem Bewusstsein, Autorisierungsstrategien und zudem mit der filminhaltlich verhandelten realgeschichtlichen Dimension sowie dem internationalen Erfolg von Petersons Film assoziiert werden soll. Franziska Heller - 978-3-8467-6460-2 Heruntergeladen von Fink.de01/03/2022 12:27:50PM via free access Mediale Zirkulation und Mise en Relation 437 Abb. 7.41 Assoziierung einer bedeutungstragenden, historischen Dimension. Hier- bei verweben sich die filmische Metaebene der Überlieferung und deren auf den historischen Status des Werkes ausgerichtete Konsekrationsrhethorik – „original“ und „classic“ – mit dem die Erwartung formierenden inhaltlichen Label „Zweiter Weltkriegsthriller“. Zugespitzt könnte man formulieren, dass die auszuwählende Version mit ihren jeweiligen historisierenden Lektüremodi – in der Verwebung von metafilmischem Status und Filminhalt – Teil des kontinuierlichen Flusses einer Bewegtbildgegenwart wird. In einem solchen Kontext könnte man von einer Variante der zeitlich personalisierten Geschichtsbildmodellierung sprechen, die den nutzenden Zuschauer viel- schichtig – nicht zuletzt auch über die mobilen Zugriffsmöglichkeiten auf VoD – in seiner Lebens- und Alltagsdauer einbindet, funktionalisiert und affiziert. Das kurz behandelte Beispiel Das Boot auf Netflix verdeutlicht im vor- liegenden Zusammenhang Tendenzen, die man grundsätzlich dispositivisch und erinnerungskulturell einordnen kann: Zum einen suggeriert das Dis- positiv Video-on-Demand eine an den Nutzer gebundene Dauer, die vor allem werkübergreifend funktioniert. Die Erinnerungsfunktion des Nutzers wird im Fluss des personalisierten Programms zum Mitkonstituens der seriellen An- ordnung von Filmen. Wenn in solchen Kontexten einem Werk dann ein Alters- oder Erinnerungswert zugeschrieben wird – in dem Sinne, dass es historisch referenzierend (ob metafilmisch oder ereignisgeschichtlich gelesen) wird – dann finden eine Vielzahl von historiografisch wirksamen Formierungen Franziska Heller - 978-3-8467-6460-2 Heruntergeladen von Fink.de01/03/2022 12:27:50PM via free access 438 kapitel 7 statt. Einmal mehr kommt das Zusammenspiel von Erwartung und konkreter Erfahrung zum Tragen. Allerdings sind diese Ausprägungen der zeiträum- lichen Mise en Relation nur noch schwer inhaltlich in vollem Umfang zu systematisieren. Dijk (2007) hat in ihrer Reflexion zur Rolle von digitalen Medien für Er- innerungspraktiken und -funktionen gerade auch mit Blick auf die Zugriffs- formen von einer googlization von Gedächtnis und Erinnerung gesprochen. Sie stellt in diesem Zusammenhang die Frage nach der Re-Definition des Verhält- nisses von Gehirn und Maschine (Dijk 2007: xvi): Die Maschine erkenne Muster und interagiere damit von außen mit unseren Erinnerungen und Handlungen, die unser Selbst konstituierten. Kulturelle und mediale Phänomene verbänden sich so mit persönlichen Erinnerungen und damit mit der Selbstkonstitution. Öffentlich und privat seien als Kategorien nicht mehr voneinander zu trennen: Es finde ein mutual shaping statt; Öffentliches werde verinnerlicht, und um- gekehrt werde über persönliche Erinnerungsprozesse kulturelles Gedächtnis affirmativ konstituiert. Dies habe im Horizont der digitalen Medienumgebung einen performativen Charakter (Dijk 2007: 169). Angesichts dieser Überlegungen haben Bewegtbilder aufgrund ihrer sinn- lichen Erlebnisqualitäten sowie ihrer Möglichkeiten zur narrativen Illusions- bildung das besondere Potenzial, sich in die kulturelle Gedächtnisbildung einzuschreiben (Welzer/Moller/Tschuggnall 2002). Bewegtbilder nehmen da- mit über ihre spezifischen raumzeitlichen Vermittlungsmodi Geschichtsbild- modellierungen vor, in denen Fakt und Fiktion – Reales und Imaginäres – sich jeweils abhängig von der medialen und ästhetischen Konfiguration konstitu- ieren. Dies verbindet sich wirkmächtig mit der Zirkulation und den Zugriffs- formen zwischen öffentlicher und privater Gedächtnisbildung. Der sich auf eine privatwirtschaftliche Firma beziehende Begriff der googlization deutet schon darauf hin, dass der gesamte Komplex zudem nicht losgelöst zu sehen ist von den ökomischen Interessen des jeweiligen Dispositivs.134 Insofern scheinen kritische filmanalytische Ansätze zu heutigen Formen der Waren- ästhetik digitaler Dispositive höchst aktuell und notwendig. Dies wird umso anschaulicher, wenn unter den Maßgaben der Interessen von kulturindustriell betriebenen Dispositiven filmische Geschichtsbildmodellierungen – etwa über die Auswahl von Filmen und re-kontextualisierten Filmversionen – Erwartungen und Erfahrungen der personalisierten oder interaktiven Mise 134  Vgl. konkret zu Google als Institution, die kulturelle Praktiken des Wissens kreiert, die Studie von Röhle (2010) zum „Google-Komplex“. Franziska Heller - 978-3-8467-6460-2 Heruntergeladen von Fink.de01/03/2022 12:27:50PM via free access Mediale Zirkulation und Mise en Relation 439 en Relation vermittelt werden. Dies hat eine zeiträumliche Relativierung historischer Wahrnehmungsmodi und damit verbundener historiografisch wirksamer (leiblicher) Erfahrungsbildung des Subjekts zur Folge. So hat das Versprechen der Do-it-yourself-History wahrnehmungstheoretische, darüber hinaus aber auch grundsätzlichere geschichtspolitische Konsequenzen, die stets im Blick behalten werden müssen. So ist mein Fazit vor allem ein methodisches: Diese Aspekte sind weiterhin in jedem gegebenen Kontext in ihrer Funktionsweise kritisch zu hinterfragen. Dies gilt besonders für die Konstitution eines historischen Subjekts angesichts von extrem dynamischen und flüchtigen medialen Konfigurationen, die mit Bewegtbildern arbeiten. Solche sind jeweils sowohl als Erwartungshorizonte, in denen sich Techno- imaginationen digitaler Medien spiegeln, als auch als unmittelbare körper- liche Erlebnissphären zu konzipieren. Franziska Heller - 978-3-8467-6460-2 Heruntergeladen von Fink.de01/03/2022 12:27:50PM via free access Franziska Heller - 978-3-8467-6460-2 Heruntergeladen von Fink.de01/03/2022 12:27:50PM via free access kapitel 8 Digitale Passagen und ihre Widersprüche. Ein Fazit Die vorliegende Studie setzt sich mit medialen Phänomenen auseinander, die sich aus Praktiken der Digitalisierung von Filmen aus einer vordigitalen Produktionszeit ergeben. Gemeint sind Digitalisierungsphänomene von Fil- men, die unter anderem als Archivfilme oder analoge beziehungsweise von mir als historische Filme bezeichnet werden; historisch deshalb, weil sie dem Zusammenhang einer früheren, zumeist vordigitalen Mediengeschichte ent - stammen. Es geht um Filme, denen ein Alters- oder Erinnerungswert zu- geschrieben wird. Ansatz der vorliegenden Studie ist es, unter diesen Vor- zeichen die Folgen und Konsequenzen für das Konstrukt ‚Filmgeschichte‘ im Sinne von medialen Geschichtsbildmodellierungen aus medien- und film- wissenschaftlicher Sicht beschreibbar zu machen. Die entwickelten Formen medialer Geschichtsbildmodellierungen verstehe ich in mehrfacher Hinsicht als Produkt und Faktor einer medienspezifischen Erinnerungskultur von und mit Filmen. Besondere Herausforderung ist hier zuvorderst, Phänomene der Aktua- lisierung und der Wiederaufnahme – in meiner an Niney (2012) angelehnten Terminologie: Reprisen – von Filmen in der digitalen Domäne in ihrer dynamischen und nachdrücklich zeitgebundenen Dimension zu begreifen und analytisch fassbar zu machen: Digitalisate von Filmen und deren Editionen unterliegen den zumeist von Marktinteressen geprägten und daher auch bewusst sehr kurzen Entwicklungszyklen digitaler Technologien, welche ständige Migrationen und Updates er- und einfordern. Zudem treten die digitalisierten Filme auf der Distributionsebene aufgrund der sich aus- differenzierenden, ihrerseits sich wandelnden Kanäle (DVD, Blu-Ray-Disc, Streaming, VoD) und Rezeptionsformen (Kino, Heimkino, Fernsehen, mobile Endgeräte) in eine sehr dynamische Zirkulation ein. Meine Studie versteht sich vor diesem Hintergrund als eine medien- archäologische Untersuchung und zugleich als methodologische Reflexion der historischen Transitionsphase der letzten 25 Jahre, in der Praktiken und Anwendungen im Zusammenhang mit digitalen Technologien Einzug in die Filmrestaurierung, -archivierung, -distribution sowie -rezeption hielten. Auf- grund fehlender Standards und mangelnder Erfahrungen wurden in dieser Periode zwar zahlreiche ungelöste Fragen öffentlich diskutiert und vor allem auch implizit in den sich manifestierenden Phänomenen von digitalen Wiederaufnahmen von ‚älteren‘ Filmen ausgehandelt. Viele (kultur)politische © Franziska Heller, 2020 | doi:10.30965/9783846764602_009 This is an open access chapter distributed under the terms of the CC BY-NC-ND 3.0 licFerannszeis. ka Heller - 978-3-8467-6460-2 Heruntergeladen von Fink.de01/03/2022 12:27:50PM via free access 442 kapitel 8 Implikationen und Konsequenzen wurden und werden aber erst nach und nach deutlich. Dies gilt insbesondere für das Verhältnis analog/digital, das ich weniger im Zeichen oppositioneller Begriffe und Verfahren sehe als vielmehr im Zusammenhang mit differenztheoretisch begründeten medialen Verhält- nissen. Ausgangspunkt ist das grundsätzliche Problem, wie sich die Sichtbar- keit und Erfahrbarkeit der suggerierten digitalen Qualität von digitalisierten Filmen sinnlich vermitteln. Vor diesem Hintergrund hebt sich die vorliegende Studie vor allem methodisch von Untersuchungen ab, die ähnliche Gegenstandsbereiche be- rühren; hier sind etwa Studien zu nennen zur Digitalisierung von Filmen respektive zu Praktiken der Filmarchivierung und -restaurierung (u. a. grund- sätzlicher Rodowick 2007, konkreter Fossati 2009); Analysen der Veränderungen der Filmrezeption insbesondere durch den Heimvideo- und Heimkinobereich (etwa Klinger 2006a; Distelmeyer 2012); Arbeiten zu den Konsequenzen in jüngerer digitaler Filmkultur (etwa Krautkrämer 2017; Hagener/Hediger/Stroh- maier 2016; Einwächter 2014; Balcerzak/Sperb 2012 und 2009); nicht zuletzt Publikationen zu Fragen der Medien- und Filmgeschichtsschreibung (u. a. Elsaesser 2004 und 2002; Kessler 2011, 2006, 2002a und b, 2011; Schröter 2004a; Winkler 2000 und 1997) und zur mediatisierten Erinnerungskultur (Dijk 2007; Landsberg 2004/1996; Burgoyne 1999; Elsaesser 1996b). Die vorliegende Studie greift gezielt spezifische Positionen und Erkennt- nisse der angesprochenen Diskurse auf und entwickelt darüber anhand eigens recherchierten, ausgewählten und kompilierten Bildmaterials ihren analytischen Ansatz. Dieser ist dem Gegenstand entsprechend bewusst netz- werkförmig angelegt, stratisch-mehrdimensional ausgerichtet und clusterhaft organisiert, um letztendlich eine wahrnehmungstheoretische und -analytische Untersuchung durchzuführen, in der Fragen nach Erwartungshaltungen und Erfahrungsmodi konkreter Phänomene im Mittelpunkt stehen. Aus zeit- beziehungsweise geschichtsphilosophischer Perspektive stellen mein Grundgedanke und auch die Begriffe Erwartung und Erfahrung eine medienwissenschaftliche Entlehnung von bestimmten Elementen aus Rein- hart Kosellecks Überlegungen zur Semantik geschichtlicher Zeiten (1989) dar. Meine Untersuchung folgt im Argumentationsverlauf im Grundsatz einer ähn- lichen Fragestellung wie Kosellecks Studie Vergangene Zukunft (1989: 11): So frage ich durchgängig danach, wie in einer bestimmten medialen Gegenwart zeitliche Dimensionen der Vergangenheit konstruiert und aufeinander be- zogen werden. Die Hypothese ist dabei, dass sich in der Differenzbestimmung zwischen Vergangenheit und Zukunft – aus wirkungsästhetischer Perspektive: zwischen Erfahrung und Erwartung – eine Art ‚geschichtlicher Zeit‘ fassen lässt. Franziska Heller - 978-3-8467-6460-2 Heruntergeladen von Fink.de01/03/2022 12:27:50PM via free access Digitale Passagen und ihre Widersprüche. Ein Fazit 443 Die beiden Begriffe Erwartung und Erfahrung werden, so mein besonderer Ansatz, in einem phänomenologischen Horizont verortet; dies dahingehend, dass zwischen wahrnehmendem Subjekt und medialem Objekt ein gegen- seitiges, sich prozessual entfaltendes Austauschverhältnis angenommen wird; ein in der Zeit dynamisches Verhältnis des gegenseitigen und gleichzeitigen Ergreifens wie Ergriffenwerdens. Eine solche der Filmphänomenologie entlehnte Perspektive hat in den oben skizzierten Forschungsbereichen bisher kaum eine Rolle gespielt. Für den vorliegenden Erkenntniszusammenhang sollen dabei die Dimensionen der Verzeitlichung von Wahrnehmung, die meinen Befunden nach angesichts der Dynamik von Phänomenen und Entwicklungen als Denkmodelle unabding- bar sind, fassbar gemacht werden. Dieser Ansatz ist zugleich offen für jüngere leibphänomenologische Fragestellungen mit Blick auf das nutzende Subjekt. Dies ist auch zu sehen vor dem Hintergrund eines grundlegenden, bereits oben angedeuteten Abbildungs- und Wahrnehmungsproblems, das sich im Kontext der Digitalisierung von ehemals analogen Filmen ergibt: Insbesondere bei der Digitalisierung von Filmen – so die ausdrückliche These dieser Studie – bleibt die ‚digitale Qualität an sich‘ oft implizit und vor allem nicht unmittel- bar sichtbar oder kognitiv fassbar – jedenfalls nicht ohne die Inszenierung eines differenziellen medialen ‚Vorher‘ –, weshalb die Transition auf wirkungs- theoretischer Ebene als mediales Vermittlungsproblem begriffen und unter- sucht wird. Es wird angenommen, dass hier implizit eine mediengeschichtliche Entwicklung konstruiert und funktionalisiert wird – als Erwartungs- und Er- fahrungshorizont. Im wahrsten Sinne des Wortes finden hier über filmische Erlebnisformen zeitlicher Differenzen Geschichtsbildmodellierungen statt. In der Auseinandersetzung mit medialen Geschichtsbildmodellierungen im Horizont der Digitalisierung von Filmen ergibt sich eine weitere Besonderheit, die aus der Eigenschaft des Films entspringt, ein industriell (re)produzierbares und distribuierbares Medium zu sein, das zudem noch nachhaltig in Netz- werke einer kommerziellen Unterhaltungsindustrie eingebunden ist. Somit ist die Digitalisierung von Filmen nicht losgelöst von kulturindustriellen Interessen und ökonomischen Zwängen zu sehen. Dies beginnt mit der um- standslosen Nobilitierung und Aufwertung von digitalisierten Filmen unter dem nicht standardisierten, diffusen Güteetikett remastered. Digitale Qualität erfüllt somit als kulturelle Manifestation eines Techno- imaginären (H. Böhme 2000) die Funktion eines warenästhetischen Labels, das seinerseits zum Signifikanten einer teleologischen Fortschrittsideologie wird. Digitalisierungsprozesse, digitale Distributionsstrukturen, daraus entstehende Zugriffsformen und kommerzielle Interessen einer Unterhaltungsbranche werden vor diesem Hintergrund mit dem tradierten, für den vorliegenden Franziska Heller - 978-3-8467-6460-2 Heruntergeladen von Fink.de01/03/2022 12:27:50PM via free access 444 kapitel 8 Zusammenhang indes zu aktualisierenden Begriff Kulturindustrie aus der politischen Ökonomie zusammengebracht. Ich richte hierbei den Fokus vor- nehmlich auf den Zusammenhang von Kultur und Medien; mir geht es dabei weniger um den Nachweis eines totalitären Manipulationsmechanismus. Viel- mehr interessiert hier die Modellierung der ästhetischen Dimension von Film als Ware, wobei auf grundsätzliche Überlegungen in Wolfgang Fritz Haugs Kritik der Warenästhetik (2009/1971) rekurriert wird. Haugs Analyse richtet den Fokus auf sinnliche Erscheinungen von Waren in ihrer ökonomisch spezifischen Form- und Funktionsbestimmtheit. Damit wird das ästhetisch konstruierte und vermittelte Gebrauchswertversprechen einer Ware, das der Tauschwert- realisierung vorausgeht, Gegenstand der Untersuchung (Haug 2009: 22 f.). In einem weiteren Schritt (hier insbesondere in  Kap. 6) wird dies mit Eva Illouz, einer Interpretin Haugs, um sinnlich-affektive Aspekte im Sinne eines ‚Erfahrungskonsums‘ erweitert. Der Begriff wird in meiner Gedankenführung aus medienwissenschaftlicher Perspektive wirkungsästhetisch gewendet. Die Studie verfolgt insofern das Ziel, den Prozess der Medientransition nicht lediglich als eine technologische von analogem zu digitalem Film anzugehen, sondern vielmehr dessen vielschichtige, medienspezifisch erin- nerungs kulturelle Dimension – verstanden als filmisch-medialer Erlebnis- horizont – beschreibbar zu machen. Dies grundiert die grundsätzlichen – in den  Kap. 2–7 diskutierten – Ausgangsfragen: – Wie lässt sich digitale Qualität von (Bewegt-)Bildern überhaupt fassen? – Über welche Formen und unter welchen Bedingungen wird digitale Qualität eines historischen Films wahrnehmbar (gemacht)? Wie vermittelt sich in Differenz dazu eben auch eine Dimension der Geschichtlichkeit des wie- deraufgenommenen Films? – Welche Rolle spielt hierbei die Vermittlung eines differenziellen Vorher und Nachher beziehungsweise des Gegensatzes von alt und neu, der oft auch mit analog/digital identifiziert wird? Gegenstand sind insofern konkrete Phäno- mene der digitalen Wiederaufnahmen, an die nicht allein die Frage gestellt wird, was an ihnen neu ist, sondern darüber hinaus, wie sie uns unter be- stimmten Bedingungen vermitteln, dass sie neu seien. – Welche Funktion übernimmt jeweils die mediale Konfiguration und Ver- mittlung des Differenzverhältnisses? Und daran anschließend: – Welche Konsequenzen zeitigt dies in der wirkungsästhetischen Dimension für die Erfahrung zeitlicher Verhältnisse – nicht nur auf einer medienhisto- riografisch lesbaren und wirksamen Ebene, sondern generell auch mit Blick auf ein medial modelliertes Bild von Geschichte? Franziska Heller - 978-3-8467-6460-2 Heruntergeladen von Fink.de01/03/2022 12:27:50PM via free access Digitale Passagen und ihre Widersprüche. Ein Fazit 445 Hervorzuheben ist: Bei der Beschäftigung mit diesen Fragen bediene ich mich eines medien-, vor allem filmwissenschaftlichen Instrumentariums, wobei Verfahrensweisen und Positionen der Film- und Bewegtbildanalyse verbunden und auf Dispositive und Aufführungsformen von Filmen heute ausgeweitet werden. Die Analysen von Digitalisaten (= digitalisierten Filmen), digitalen Editionen und digitalen Dispositiven von Filmen nehmen insofern eine ver- flochtene, vernetzende Perspektive auf die involvierten medienästhetischen und wahrnehmungskonfigurierenden Dimensionen ein. Der Ansatz profiliert sich konkret über die analytische Berücksichtigung der Kombination von drei Schichten, die im Modus der digitalen Wiederaufnahme die Erfahrung von medialer und filmischer Zeitlichkeit beziehungsweise zeitlicher Differenz prägen. So werden die folgenden Ebenen aufeinander bezogen: a. die konkrete, unmittelbare Bewegtbildwahrnehmung; b. die medial umgebenden Konfigurationen des jeweiligen Dispositivs als Bedingung der Erscheinung der Bilder; c. die überformenden und rahmenden Diskurse ins- besondere im Kontext ihrer technikgeschichtlichen sowie ökonomischen Pragmatik. Grundsätzlich lassen sich meine Darstellungen in den Analysekapiteln  Kap. 4–7 als Auslegungen von medienhistoriografisch wirksamen Aspekten begreifen, die zusammen ein gemeinsames pragmatisches und phänomeno- logisches Wahrnehmungsmodell angesichts von digitalen Reprisen von Filmen entwerfen. In  Kap. 4, 5, 6 und 7 wird durch die Unterschiede in den Gruppen ästhetischer Analyseobjekte, welche jeweils andere Aspekte fokussieren und sichtbar machen, die Aufmerksamkeit auf unterschiedliche funktionale Ein- ordnungen und damit verschiedene Diskurskreise gelenkt. Hier wird deut- lich, dass das Problemfeld digitale Reprisen nur in einer polyperspektivischen Herangehensweise in seinen zahlreichen Facetten und Implikationen fassbar gemacht werden kann. Ich sehe die theoretische und kulturkritische Auseinandersetzung mit Phänomenen digitaler Reprisen bestimmt von einem Netz von Begriffen. Letztere stehen zunächst ahierarchisch nebeneinander und wollen situativ, je nach Kontext für die analytische Profilierung eines Aspekts, aufeinander be- zogen werden. Obwohl die in Anschlag gebrachten Ansätze sich zum Teil unter- schiedlichen Voraussetzungen verdanken, weisen sie eben doch auch wichtige Schnittmengen auf: Dazu zählen die Betonung performativer Wahrnehmungs- und Sinnbildungsprozesse sowie die wiederkehrende Bedeutung der Wechsel- wirkungen zwischen Aktuell-Präsentischem und Virtuell-Imaginärem. So zeitigen die  Kap. 4–7 grundsätzlich eine doppelsträngige Argumen- tationsstruktur, indem sie jeweils a. ausgewählte ästhetische Strategien anhand Franziska Heller - 978-3-8467-6460-2 Heruntergeladen von Fink.de01/03/2022 12:27:50PM via free access 446 kapitel 8 von Phänomenen digitaler Reprisen untersuchen und herauspräparieren und b. die entsprechenden, auch von kulturindustriellen Kontexten imprägnierten Erfahrungs- und Erwartungshorizonte in Hinblick auf ihre Formen von Geschichtsbildmodellierungen dimensionieren. Vor diesem Hintergrund lassen sich die folgenden Befunde zur Wahr- nehmungsmodellierung angesichts digitaler Reprisen von Filmen, denen Alters- und Erinnerungswerte zugeschrieben werden, zusammenfassen: – Es drängt sich auf, digitale Wiederaufnahmen von Filmen insbesondere in ihrer Schichtung verschiedener zeitlicher Ebenen als eine spezifische Aus- prägung von Zeitbildern im Deleuze’schen Sinne zu konzeptualisieren: In zeit- und filmbildtheoretischer Perspektive lassen sich Funktionsweisen von zeitlich wechselseitigen Bildern beobachten, die memophänomenale Effekte beim Zuschauer mit Erwartungshaltungen und Erfahrungsmodi ge- nerieren. Eine solche medienhistoriografische Erfahrungsbildung verbindet sich mit einer spezifischen wirkungs- und rezeptionsästhetischen Fetischi- sierung von Bewegtbildern. Besonders augenscheinlich wird dies in Filmfor- maten, die neue Bildtechnologien bewerben (vgl. die Analysen in  Kap. 4). – Filme sind in ihrer situativen Erscheinungsform im Horizont digitaler Wiederaufnahmen als performativ-ereignishaft zu verstehen. Dies wird besonders deutlich bei den in  Kap. 5 besprochenen Beispielen, die in unterschiedlichen Variationen jeweils eine tatsächliche Aufführung von (frühen) Filmen thematisieren und problematisieren. Dies wiederum weist auf die Bedeutung des konkret körperlich miterlebenden Zuschauers, was für mich zu der Modellierung eines phänomenologischen, auf die leibli- che Gegenwärtigkeit hin ausgelegten Wahrnehmungsmodells angesichts digitaler Wiederaufnahmen (hier auch als digitale Performance bezeich- net) führt. Mein Wahrnehmungsmodell ist einmal mehr gebunden an die Vorstellung performativ interagierender, differenzieller Zeitschichten, die Dimensionen des Gegenwärtigen und Vergangenen bestimmen. Ein kurato- risches Konzept wird hier von mir wirkungsästhetisch gewendet: Bridging the gap, marking the difference (Kessler 2011). In dieser Perspektive wird der Zuschauer als körperliche (Nach-)Vollzugsinstanz von medial vermittelten Eindrücken von Geschichtlichkeit konzipiert. Die historisierende Referen- zierung eines Vorher und Nachher wird immer prozesshaft konstituiert und damit zugleich vom Wahrnehmenden im Somatisch-Sinnlichen – im Erlebnis – vollzogen. Dies bezeichne ich in Anschluss an G. Böhme als For- men einer aisthetischen Historiografie im Horizont ereignishafter Wieder- aufnahmen von Filmen. G. Böhmes Konzept von Aisthetik (2001) erscheint mir in Verbindung mit Phänomenen der ästhetischen Wahrnehmung auch deshalb produktiv, weil es sich über den Kunstbereich hinaus auf Franziska Heller - 978-3-8467-6460-2 Heruntergeladen von Fink.de01/03/2022 12:27:50PM via free access Digitale Passagen und ihre Widersprüche. Ein Fazit 447 lebensweltliche – zumal kulturindustrielle – Zusammenhänge beziehen lässt. Hier setzt meine Formulierung an: Erinnerungskulturelle Phänomene der digitalen Reprise historischer Filme werden in aisthetischer Perspektive gesehen und in ebendiesen aisthetischen Wirkungsformen als geschichts- bildmodellierend – über eine abstrakt medienhistoriografische Wirksam- keit hinaus – begriffen. – Digitale Wiederaufnahmen von Filmen sind auf jeweils bildlich-manifeste Funktionalisierungen des Imaginären zu untersuchen. Denn: Jeder Film basiert – spätestens seit Christian Metz – auf dem Imaginären. Besonders gilt dies für illusionsbildende Spielfilme. Jede Wiederaufnahme von Filmen funktionalisiert Erfahrungen von Zeitdifferenz. Digitale Reprisen vermitteln Zeitdifferenzen konnotiert mit dem Technoimaginären des Digitalen. So gilt es, den Fokus vor allem auf Phänomene zu richten, wenn das Technoimagi- näre der digitalen Reprise gekoppelt wird mit illusionsbildendem Potenzial von Filmen. So bereichert das Imaginäre, das seine Qualität als illusions- bildende Kraft im Spielfilm am stärksten zur Geltung bringt, Vorstellungen raumzeitlicher Ordnungen von Geschichte und Zukunft um das Hypotheti- sche, Utopische, Spekulative, Phantastische, Virtuelle in besonderer Weise. – Solche Geschichtsbildmodellierungen funktionalisieren das Imaginäre als Grundprinzip filmischer und bildlicher Darstellung und Wahrnehmung. Ich analysiere dies konkret anhand audiovisueller Paratexte in digitalen Editio- nen. Hier wird über die Anwendung semio-pragmatischer Ansätze die Legie- rung der Register von präexistenten, re-kontextualisierten Spielfilmbildern und Non-Fiction-Bildern deutlich. Über Beispiele, in denen Bildzitate aus phantastischen Spielfilmszenen nicht nur zur sinnlichen Vermittlung des Technoimaginären beitragen, sondern zudem auch noch als mediatisierte, mit utopischen Elementen aufgeladene prothetische Erinnerungen dieses erlebbar machen, werden Funktionsweisen der Inkorporierung filmischer Fiktionen anschaulich. Dabei ist die Verschränkung von individueller und kollektiver Erinnerung im Wahrnehmungsakt als besonders bedeutsam anzusehen. – Digitale Wiederaufnahmen von Filmen in ihrem Status als filmische Kunst- werke sind von Erwartungshaltungen und Erfahrungsmodi der Relationalität geprägt. Konkret bedeutet dies, dass in dem ausgreifenden abschließenden  Kap. 7 die Bedingungen medialer Konstellationen der digitalen Reprise als – wie ich es nenne – Mise en Relation in den Blick genommen werden. In wirkungsästhetischer Perspektive werden Kontextualität und Relatio- nalität als medienhistoriografisch erfahrungsbildend analysiert. Dabei wird von dem medienhistorischen Phänomen der Versionenhaftigkeit von Fil- men ausgegangen, welche unter anderem auf der schon immer beim Film Franziska Heller - 978-3-8467-6460-2 Heruntergeladen von Fink.de01/03/2022 12:27:50PM via free access 448 kapitel 8 gegebenen Reproduzierbarkeit – ob nun ‚technisch‘ oder digital – gründet. Diese Eigenschaft des Films verbindet sich nun mit Grundprinzipien der digitalen Domäne – insbesondere mit verräumlichten Netzwerkstrukturen. Vor diesem Hintergrund legt das  Kap. 7 anhand unterschiedlichster Bei- spiele dar, dass die Erwartungshaltung, aber auch das tatsächliche Erlebnis des Vergleichens eine entscheidende Rolle für die jeweilig vom Zuschauer/ Nutzer erlebte Geschichtsbildmodellierung einnimmt. Dabei besteht ein- mal mehr mein besonderer Ansatz darin, die Formierungen nicht allein auf der metafilmischen Ebene – etwa der Überlieferungsgeschichte von Filmen – zu sehen. Darüber hinaus werden auch die strukturellen und äs- thetischen Eigenschaften der wiederaufgenommenen Filme – unter Ein- schluss der in ihren diegetischen Universen verhandelten Themen – als Erlebnishorizont(e) nicht außer Acht gelassen; im Gegenteil: Filmwerke als mehrschichtig zu verstehende Cluster sind integraler Bestandteil der von mir profilierten Aspekte medienhistoriografischer Erfahrungsbildung, das heißt mithin der jeweiligen Geschichtsbildmodellierungen. Vor dem Hintergrund dieser Befunde aus  Kap. 4–7 sind noch zwei grund- sätzlichere konzeptionelle Bemerkungen zu dem Verständnis des unter- suchten Gegenstandes, zu der methodisch-begrifflichen und strukturellen Auseinandersetzung mit ihm von Bedeutung: Zunächst verstehe ich die jeweiligen Phänomene und Konfigurationen digitaler Wiederaufnahmen in Anlehnung an Benjamin (vgl. Zwischenfazit in  Kap. 3.9) als prozessuale Passagen. Bei Benjamin (1982) wird die Auseinandersetzung mit Erinnerung und Geschichtsschreibung als archäologische Tätigkeit beschrieben, die sowohl dem Modell einer zeitlichen Schichtung als auch dem Prinzip von Sicht- und Erkennbarkeit im Fluss der Zeit verpflichtet ist. Dies übernehme ich, da, wie einleitend zu diesem  Kap. 8 konstatiert, geschichtsbildmodellierende mediale Konstellationen in einem ständigen Fluss gesehen werden müssen – in dialektischer Verwebung mit den Tendenzen und Interessen der Gegenwart. Um insofern der vielschichtigen Zeitlichkeit der Phänomene digitaler Reprisen Rechnung zu tragen, werden in den  Kap. 4–7 die Fallstudien von Wiederaufnahmen als clusterförmig strukturierte Komplexe untersucht. Die clusterförmige Betrachtung ist deshalb gewählt, weil es sich um beziehungs- setzende Wahrnehmungskonfigurationen und Erlebensmodi handelt, die über kopräsente Schichtungen unterschiedlicher Zeitebenen funktionieren. So entwickeln sich sowohl die Makro- als auch die Mikrostruktur innerhalb der Kapitel nach dem Prinzip der Auffächerung von möglichen Perspektiven und theoretischen Zugriffsmöglichkeiten. Angesichts der unterschiedlichen beteiligten Disziplinen und Bereiche von Digitalisierung und digitaler Dis- tribution/Edition/Zirkulation von Archivfilmen lässt sich das Feld nicht linear Franziska Heller - 978-3-8467-6460-2 Heruntergeladen von Fink.de01/03/2022 12:27:50PM via free access Digitale Passagen und ihre Widersprüche. Ein Fazit 449 darstellen und argumentativ entfalten. Vielmehr scheint eine Struktur an- gemessen, die emblematisch im Bild eines Kristalls gefasst werden kann: Je nach Standort variieren die Lichtbrechungen und bringen andere Reflexions- linien zur Anschauung. Dies wird im Argumentationsaufbau besonders deutlich, wenn Begriffe unterschiedlich akzentuiert und auf verschiedenen analytischen Ebenen diskutiert werden (vgl. v. a. Performance und Imagination,  Kap. 5 und  Kap. 6). Auch wird dies sichtbar in der netzartigen Verweis- struktur, in der immer wieder versucht wird, auf Querverbindungen der einzel- nen Kapitel untereinander hinzuweisen. Inhaltlich schließt die vorliegende Studie in ihrer Grundtendenz an den kulturkritischen Ansatz H. Böhmes (2012) mit seiner Analyse der Moderne im Zeichen des Fetischismus an. Moderne – in der vorliegenden Studie ver- standen im Horizont gegenwärtiger medialer Praktiken und Phänomene – ist in ihrer Widersprüchlichkeit zu begreifen. Im Folgenden sollen exemplarisch einige dieser Widersprüchlichkeiten, die bei der Untersuchung von medien- historiografisch wirksamer Erfahrungsbildung in Hinblick auf das Konstrukt Filmgeschichte zutage traten, zusammengefasst werden: – Bei den untersuchten Funktionsweisen fällt auf, wie sehr ganz unterschied- liche Ausformungen und Variationen Wahrnehmungsmodi offerieren, die im Dienste des Technoimaginären fetischisierende und mystifizierende Elemente zeitigen. Dies steht in einer Linie mit Diagnosen H. Böhmes zur Kulturgeschichte der Technik und den sich dort artikulierenden eschato- logischen Fortschrittshoffnungen – mit der spezifischen Verbindung von instrumenteller Rationalität und mythischer Beherrschung der Natur. Mei- nes Erachtens ist dies im Zusammenhang mit einer Technikgeschichte, die sich filmbildlich vermittelt, wahrnehmungstheoretisch zu re-formulieren. Im vorliegenden Gegenstandsbereich werden Bildformen und Anordnun- gen beschworen, die digitale Versionen von Filmen als die Realität trans- zendierende Erfahrung präsentieren. Dies ist aufschlussreich, da damit, wie in jeweils unterschiedlichen Facetten im  Kap. 4 und  Kap. 7 erläutert, dem Glauben als sakralisierender Wahrnehmungshaltung seitens des Kon- sumenten/Nutzers/Rezipienten angesichts digitaler Bilder und Phänomene eine wesentliche Rolle zukommt – auch in der historisierenden und ästhe- tischen Wertzuschreibung an die Filmbilder. Mit dem Technoimaginären der digitalen Domäne verbindet sich im Zusammengehen mit Filmbildern einerseits eine auf Kommendes ausgerichtete Erwartung; andererseits ist es ein sich der filmischen Bewegtbildillusion und -wirkung verdankender me- dialer Wahrnehmungs- und Erlebnishorizont. In Anlehnung an H. Böhme formuliert: Die digitale Qualität eines Filmes und einer Zugriffsform ist nie das, was von sich aus immer schon digital ist, sondern es muss der Glaube Franziska Heller - 978-3-8467-6460-2 Heruntergeladen von Fink.de01/03/2022 12:27:50PM via free access 450 kapitel 8 als spezifischer Wahrnehmungsmodus erzeugt werden, dass die Qualität mehr ist als nur ein numerisches Prinzip der Datenverarbeitung. Erst eine solche Fetischisierung mit ihrem – bei jedem Fetischismus wirksamen – „erregenden Zauber“ (H. Böhme 2012: 394) schafft jenen sinnlichen Erwar- tungshorizont, der sich dann mit dem Filmisch-Imaginären überlagert, das seit jeher von dem Doppelcharakter geprägt ist, sowohl Wahrnehmungs- als auch Vorstellungsbilder gleichzeitig dem Zuschauer zu offerieren. Der hier bemühte Glaube ist, so mein Modell, auch mehr als eine Lek- türeanweisung, denn Glaube als Wahrnehmungsmodus bezieht sich auf eine zum Teil tatsächliche körperliche Erfahrung der transzendental auf- geladenen Überschreitung. Insofern dienen hier Überlegungen aus der Filmphänomenologie dazu, die präsentisch-leibliche Sinndimension in ein Wirkungsmodell von Geschichtsbildmodellierungen im Zeichen einer tech- nikgeschichtlichen Transition zu integrieren. Dies ist umso pikanter, als es sich um eine Medientechnologie handelt, die schon früh im Zeichen eines „Mythos der Interaktivität“ stand (Manovich 2001). – Darüber hinaus – dies steht in engem Zusammenhang mit dem vorherigen Punkt – zeichnen sich in allen Kapiteln immer wieder Übertragungsmecha- nismen aus der bewegtbildlich vermittelten Fiktion auf die metafilmische Überlieferungsgeschichte sowie die aktuellen Erscheinungs- und Nutzungs- formen ab, die zusammen ein Cluster ausbilden. Über die gegenwärtigen Gebrauchs- und Zugriffspraktiken erfahren diese Cluster, so die Befunde, zum einen zunächst eine diskursive Ausdehnung auf lebensweltliche Be- reiche (oder gar Anthropomorphisierung wie im Beispiel Weltenbrand: Film als Soldat an der Geschichtsfront). Darüber hinaus werden aber auch über verschiedene wirkungsästhetische Strategien, über die Vermittlung prothetischer Erinnerungen Geschichtsbildmodellierungen vorgenommen. Vor allem in  Kap. 6 wurde die Verbindung von Méliès’ Le Voyage dans la Lune mit der tatsächlichen Mondlandung beschrieben, die über ganz unterschiedliche Bildregister vermittelt ist. Variiert findet sich dieses Prin- zip in  Kap. 7 diskutiert, wenn über die DVD-Edition von Die Schönste und deren Schauwerte ex negativo auf historische Zensurpraktiken und den Wandel im politischen Klima geschlossen werden soll/kann. Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang (insbesondere etwa in den Fallstudien  Kap. 6), dass das in Bildern zum Teil spektakulär ausgestellte Filmisch-Imaginäre zur Geschichtsbildmodellierung verwendet wird. Kra- cauer (1984/1947) hat mit Blick auf Filme das Produktive vor allem auch da- rin gesehen, dass diese als Ausdruck tiefenpsychologischer Dispositionen und Bedürfnisse einer Gesellschaft gelesen werden könnten, da sie das Ge- sellschaftlich-Imaginäre vermitteln (Kracauer 1984: 7). Eine These meiner Franziska Heller - 978-3-8467-6460-2 Heruntergeladen von Fink.de01/03/2022 12:27:50PM via free access Digitale Passagen und ihre Widersprüche. Ein Fazit 451 Studie lautet, dass sich dies wie folgt in einer Variation produktiv für die Disposition angesichts von Phänomenen der Digitalisierung des Filmerbes modifizieren lässt: Digitalisate und digitale Dispositive inkorporieren das filmisch Imaginäre als prothetische Erinnerung und vermitteln diese als Geschichte; ein Zusammenhang, der immer kritisch in seinem spezifischen kulturindustriellen und erfahrungskonsumistischen Kontext zu reflektieren ist. – Dies führt zu einer widersprüchlichen Konfiguration, die sich bereits im Ti- tel des zentralen und ausführlicheren  Kap. 7 wiederfindet: Wie ist mit der Spannung umzugehen, wenn bestimmte mediale Konfigurationen im Sinne einer Do-it-yourself-Suggestion zeitliche, (historisch) bedeutsame Veränderungen in den Nachvollzug eines Nutzers verlegen? Dies wurde besonders deutlich in Bildkonstellationen, die in  Kap. 7 als erlebte Mise en Relation angesichts von Split-Screen-Konstellationen thematisiert wur- den, in denen historische Veränderungen über den Nachvollzug seitens des Nutzers mit dem Cursor auf der Bildebene herbeigeführt werden. Dies hat eine zeiträumliche Relativierung historischer Wahrnehmungsmodi und der damit verbundenen historiografisch wirksamen (leiblichen) Erfahrungsbil- dung des Subjekts zur Folge. So hat das Versprechen Do-it-yourself-History wahrnehmungstheoretische, darüber hinaus aber auch grundsätzlichere geschichtspolitische Konsequenzen, die stets im Blick behalten werden müssen. Mein Fazit ist vor allem ein methodologisches: Die genannten Aspekte sind in jedem gegebenen Kontext in ihrer Funktionsweise und mit Blick auf die Konstitution eines historischen Subjekts kritisch zu hinterfragen – nicht zu- letzt angesichts von extrem dynamischen und flüchtigen medialen Konfi- gurationen. Dabei gilt es, die zweifache Schichtung im Blick zu behalten: Die medialen Konfigurationen generieren sowohl Erwartungshorizonte, in denen sich Technoimaginationen digitaler Medien spiegeln, als auch darü- ber hinaus immer wieder unmittelbar wirksame Erlebnissphären. Inwiefern eine solche mediale Vermittlung von zeitlicher Veränderung als Nachvollzug brisante politische Dimensionen in sich birgt, soll ein letztes Beispiel aus der jüngsten Zeit aufzeigen, in dem ein Bild in einer geschichts- politischen Dimension zum Bewegtbild sowie – in meiner Lesart – zum den Zuschauer bewegenden Bild wird. Mit diesem Beispiel verlasse ich ab- schließend den Bereich der Filmtheorie und -geschichte und erweitere mein Instrumentarium punktuell auf lebensweltliche Zusammenhänge. Eine der in  Kap. 7 beschriebenen Bildkonfigurationen zur Foto- und Filmgeschichte ähnliche Konstellation wurde am 13.11.2016 auf der Webseite von Human Rights Watch veröffentlicht unter der Überschrift „Iraqi Kurdish Forces’ Destruction Franziska Heller - 978-3-8467-6460-2 Heruntergeladen von Fink.de01/03/2022 12:27:50PM via free access 452 kapitel 8 of Villages, Homes in Conflict with ISIS“. Man kann hier auf der Webseite von Human Rights Watch die Satellitenbilder vom 14. Februar 2015 eines noch aus augenscheinlich bewohnten Häusern bestehenden kurdischen Dorfes durch eine wischende Cursorbewegung mit einem weiteren Satellitenbild ‚über- schreiben‘, das am 20. Mai 2015, also Monate später, aufgenommen wurde. In diesem sind keine Gebäude mehr zu sehen (Abb. 8.1). Abb. 8.1 Durch diese Veränderung des Bildes kann man vergleichend nachvollziehen – so die diskursiv-paratextuelle Rahmung –, dass das Dorf in dem angegebenen Zeitraum zerstört worden ist. Für den nutzenden Leser vermittelt sich die Be- deutung über das Intervall, die zeitliche Leerstelle in der leiblich-physischen Wischbewegung zwischen einem bildlichen Vorher und einem Nachher. Dies zeitigt höchst brisante politische Implikationen, da über diese Bild- konfiguration die Zerstörung kurdischer Dörfer durch die irakische Armee dokumentiert werden soll. Die Referenz wird medial vom Nutzer gestiftet durch die Handbewegung von links nach rechts. Allerdings würde eine Be- wegung nach links den Aufbau ebendieses zerstörten Dorfes nahelegen – eine andere Geschichte. Was hier zum Ausdruck kommt, ist das implizit Politische der medialen Konfiguration und der Modellierung eines Nachvollzugs zeitlicher Differenz im Modus des Transitorischen angesichts der Veränderbarkeit von Bildern. Dies geht historisch zurück auf das Medium Film, das bereits – wenn auch unter etwas anderen Vorzeichen – aufgrund seiner bewegtbildlichen Qualität, Franziska Heller - 978-3-8467-6460-2 Heruntergeladen von Fink.de01/03/2022 12:27:50PM via free access Digitale Passagen und ihre Widersprüche. Ein Fazit 453 der damit einhergehenden Erfahrung einer präsentischen Bewegung und der Möglichkeiten der Montage Kategorien von Zeit- und Geschichtlichkeit neu konfiguriert hat. Nun erfahren Bewegtbilder Wiederaufnahmen und zusätz- liche Re-Konfigurationen im Zeichen ihrerseits modellierender Dispositive, die sich wiederum selbst nur als mediale Passagen entpuppen. Vor diesem Hintergrund ergeben sich meine Schlussfolgerungen aus der Betrachtung gerade der letzten 25 Jahre, aus der Reflexion des Umgangs mit dem überlieferten Reservoir an (unterhaltungs)industriell hergestellten und zirkulierenden Bewegtbildern; einer Phase der technologischen Um- wälzung, welche nachdrücklich auch von kulturellen Imaginationen und Selbstentwürfen befeuert wurde und immer noch wird. Grundlegend für mich ist: Das politisch-ideologisch Formierende der jeweiligen sicht- und wahr- nehmbaren Phänomene von Film- und Bildgeschichte ist zu suchen a. in der jeweiligen Konzeption unterschiedlicher (auch digital-technoima- ginär geprägter) medialer Dispositive, b. in den Praktiken der Mise en Relation von leiblicher Präsenz, zeitlicher Nähe und Distanz, c. in der situativen Etablierung einer unpersönlichen, geschichtsevozierend wirksamen (Enunziations-)Instanz. In diesem dreidimensionalen Gefüge sind die jeweiligen Konfigurationen stets auf ihre Modi der bewegtbildlichen Illusionsbildung hin kritisch zu über- prüfen. Dies gilt ebenfalls für zukünftige mediale Entwicklungen und deren Formen der Wiederaufnahme von Filmgeschichte(n). Erkenntnistheoretisch gesehen, geht es um die Bedeutung situativer, interessegeleiteter Konfigurationen von historischer Zeit. Diese unterliegen, um in digitalen Medienumgebungen sicht- und erfahrbar zu bleiben, immer einem kontinuierlichen differenziellen Wandel. Davon betroffen ist auch das Konzept eines sich als historisch, zeitlich verortet erlebenden Subjekts ange- sichts von Bewegtbildern und filmischen Formen. All die genannten Parameter sind in ihrer zeitlichen Dynamik zu sehen – eingebunden in das kulturindustrielle Prinzip ‚Update!‘. Franziska Heller - 978-3-8467-6460-2 Heruntergeladen von Fink.de01/03/2022 12:27:50PM via free access Franziska Heller - 978-3-8467-6460-2 Heruntergeladen von Fink.de01/03/2022 12:27:50PM via free access Anhang Franziska Heller - 978-3-8467-6460-2 Heruntergeladen von Fink.de01/03/2022 12:27:50PM via free access Franziska Heller - 978-3-8467-6460-2 Heruntergeladen von Fink.de01/03/2022 12:27:50PM via free access kapitel 9 Glossar zu methodologisch relevanten Begriffen Das Glossar erläutert in Auswahl und Kurzform zentrale Begriffe der Studie, wie sie im Kontext der Argumentation verstanden und gegebenenfalls modi- fiziert werden. Aisthetische Historiografie: Begriffssetzung, um die Form der untersuchten  medialen Geschichtsbildmodellierung zu fassen. Aisthetik wird von dem Technikphilosophen Gernot Böhme (2001) aufgegriffen, welcher Konzepte ästhetischer Wahrnehmung auf lebensweltliche Zusammenhänge überträgt. Die vorliegende Studie untersucht insofern medienästhetische Konfiguratio- nen, die zeitliche Differenzverhältnisse (eines Vorher/Nachher) räumlich- präsentisch vermitteln.  Kap. 5.8;  Performance;  Erfahrung Archäologie/Medienarchäologie: Begrifflichkeit von Michel Foucault zum Verhältnis von Geschichte und ihrer Repräsentation. Unter dem Eindruck der digitalen Domäne skizziert Thomas Elsaesser (2004) im Anschluss an Foucault eine Medienarchäologie als historiografisches Modell, das sich von einem strikt konsekutiv-chronologischen Ordnungsprinzip abwendet – zugunsten von sich verzweigenden Netzwerken und achronologischen Zusammenhängen.  Kap. 3.2;  aisthetische Historiografie Bridging the gap, marking the difference: Ein von dem Filmwissenschaftler Frank Kessler (2011) zur Beschreibung von zeitlichen Relationen profiliertes Konzept, das bei der Kuratierung und Aufführung von frühem Film heute zum Tragen kommt. Das Konzept wird nun wahrnehmungstheoretisch gewendet, es schließt an das Prinzip koexistierender Schichtungen an.  Kap. 5.4;  Cluster;  aisthetische Historiografie;  Performance Cluster: Die Fallstudien zu  Reprisen von historischen Filmen werden als clusterförmig strukturierte Komplexe angegangen; diese begriffen als beziehungssetzende Wahrnehmungskonfigurationen, die über kopräsente Schichtungen unterschiedlicher Zeitebenen funktionieren.  Kap 3.9.2;  Erfahrung;  Dauer Dauer (la durée): Philosophisches Konzept von Henri Bergson (1991/1896) zur subjektiv erlebten Zeit als einem kontinuierlichen Fluss. Die Dauer © Franziska Heller, 2020 | doi:10.30965/9783846764602_010 This is an open access chapter distributed under the terms of the CC BY-NC-ND 3.0 licFerannszeis. ka Heller - 978-3-8467-6460-2 Heruntergeladen von Fink.de01/03/2022 12:27:50PM via free access 458 Glossar unterscheidet sich von der temps, die physikalisch messbar ist. Dauer bedeutet ständige Veränderung (changement) und ist gedächtnishaft.  Kap. 4.1;  Erfahrung Digitale Dispositive: Der Medienwissenschaftler Jan Distelmeyer (2012) hat ausgehend von Jean-Louis Baudry DVDs und Blu-Ray-Discs als digitale Dis- positive theoretisiert. Der analytische Fokus richtet sich auf die räumlichen wie technischen Voraussetzungen des Erscheinens von Filmen. Übertragung der Ansätze auf jüngere Anordnungen, in denen Filme zugänglich werden (unter anderem VoD, Internet): Dies bedingt die Problematisierung fester Zu- schreibungen von Rezeptionsbedingungen und ihren Effekten auf Publikums- subjekte.  Kap. 5.6;  Kap. 7.3;  Performance;  Mise en Relation Digitalisierung: Hat die Filmproduktion, -rezeption und -distribution auf allen Ebenen verändert. Schon Lev Manovich (2001) weist auf die methodo- logisch notwendige Differenzierung der Ebenen hin: Ursprünglich bezeichnet Digitalisierung den Prozess der Konversion von analog zu digital, die Um- wandlung in binäre Codes. Die vorliegende Studie untersucht filmästhetische Phänomene und Dispositive als Ergebnisse von interessegeleiteten Inter- pretationen der numerischen Repräsentationen, in denen soziokulturelle Praktiken, (dominante) Denkmuster und (Zukunfts-)Phantasien kontext- gebunden historiografisch wirksam werden.  Kap. 1;  Kap. 2 Enunziation (bei Bonusmaterialien/filmhistorischen Dokumentationen): Bezeichnet in Anlehnung an die struktural-linguistische Begrifflichkeit (Émile Benveniste) die Ebene des konkreten kommunikativen Äußerungs- aktes, auf der sich Modi der Adressierung des Rezipienten textuell ein- schreiben. In filmhistorischen Dokumentationen tritt – in meiner Adaption des semio-pragmatischen Archivbilddiskurses ( Lektüremodi) – Geschichte ästhetisch und dispositivisch als unpersönliche, abstrakte Äußerungsinstanz in Erscheinung. Filmhistorische Dokumentationen in digitalen Dispositiven werden zudem als Bonus vermarktet. Dieses Mehrwertversprechen beein- flusst die historiografisch wirksame Rezeptionserwartung des Zuschauers.  Kap. 6 Erfahrung: Ein für phänomenologisch ausgerichtete Wahrnehmungstheorie in Anschlag gebrachter Begriff (Morsch 2010), der mit Rekurs auf Gilles Deleuze Repräsentation sowie Subjektivität jenseits von psychoanalytischen und kognitiven Modellen verortet. Verzeitlichte Vollzugsprozesse werden Franziska Heller - 978-3-8467-6460-2 Heruntergeladen von Fink.de01/03/2022 12:27:50PM via free access Glossar 459 zentral für filmästhetische Wahrnehmung, was mit Fragen des Körpers ver- knüpft wird: Erfahrung wird mit einer vom Film performativ hergestellten wie gleichzeitig vom Zuschauer mitkonstituierten Wahrnehmung identi- fiziert. Insofern wird audiovisuelle Historiografie als körperlicher (Nach-) Vollzug performativ konzipiert.  Kap. 5.2;  aisthetische Historiografie;  Performance;  Mise en Relation Erfahrungskonsum: Begriffliche Anlehnung an die Soziologin Eva Illouz (2011/2009), die das Konzept der  Warenästhetik (Haug 2009/1971) aktualisiert. Sie untersucht die Funktion von Emotionen in der Konsum- soziologie. Übertragung auf das kulturindustrielle Produkt Film: Erfahrungs- konsum wird als eine sinnlich-emotionale An- und Einbindung verstanden, die die Filmerfahrung in der digitalen Reprise zusätzlich prägen kann.  Kap. 6.6;  Imaginäres;  Warenästhetik;  aisthetische Historiografie Fetischisierung: Anschluss an Hartmut Böhmes Kulturanalyse: Spezi- fische mediale Praktiken, die eine fetischisierende Wahrnehmungshaltung (Empfindung von „erregendem Zauber“) von digitalisierten Filmen aus dem Archiv und digitalen Dispositiven zur Folge haben. Fetischisierte Objekte müssen einerseits performativ-rituell dem Betrachter präsent gehalten werden, andererseits müssen sie gleichzeitig in einer Distanz verbleiben, sich dem Zugriff entziehen. Diese zweisträngigen Rezeptionsbedingungen sind zentral für mediale Formen, die Filmgeschichte fetischisieren.  Kap. 4.3;  Warenästhetik;  wechselseitige Bilder Filmedition (DVD, Blu-Ray-Disc, Internet): Der Gebrauch der Begriffe Edition/Re-Edition ist den Marktpraktiken der Filmdistribution auf digitalen Trägern entlehnt, bei denen bisher keine verbindlichen Systematiken vor- liegen, wie sie schon lange in der Literaturwissenschaft existieren (Aus- nahmen: Drubek-Meyer/Izvolov 2007; Keitz 2013; Bohn 2013b; sie haben verschiedene philologische Ansätze zur Übertragung auf filmische Medien aufgezeigt). Um die Verwendung von Re-Edition jenseits editionswissenschaft- licher Normen zu markieren, ist die kompositorische Schreibweise mit Binde- strich gewählt; dies ist zugleich Hinweis auf die zeitliche Schichtung aus Wiederaufnahme und Neuschöpfung. Diese von amtlichen Regeln bewusst abweichende Schreibweise wird auch bei ähnlichen Kompositbegriffen wie etwa Re-Montage oder Re-Kontextualisierung verwendet.  Kap. 3.9.2 Franziska Heller - 978-3-8467-6460-2 Heruntergeladen von Fink.de01/03/2022 12:27:50PM via free access 460 Glossar Imaginäres/Imagination: Mehrschichtiger Begriffskomplex in der Studie; allgemein verstanden als Synonym des Fiktiven; die filmische Erzählung als Fiktion, die eine imaginäre Welt zur Anschauung bringt. Filmtheoretisch: Nach Christian Metz ist der Film für den Zuschauer ein imaginärer Signifikant: Bilder und Töne, die konkret wahrnehmbar, aber zugleich nur mimetische Substitute real abwesender Personen/Objekte sind. Filmanalytisch/Bild-(Inhalts-)Ebene: Ästhetische Strategien, die in Restaurierungsdokumentationen das Phantastische ausstellen und damit das Technoimaginäre des Digitalen speisen ( Imagologie der Technik). Metatheoretische Dimension: Bei Hayden White (2008/1973) kommt der Vorstellungskraft eine wichtige Funktion für die Organisation von geschichtsbildenden Weltentwürfen zu. Warenästhetik und das Imaginäre:  Erfahrungskonsum;  Fetischisierung. Grundsätzlich:  Kap. 6 Imagologie der Technik (auch Technoimagination): Vor allem von dem Kulturwissenschaftler Hartmut Böhme skizziertes Forschungsfeld, das mythisierende Leitbilder der Technik, technische Phantasien untersucht, die heute in Massenmedien Ausdruck finden. Beispiele im Kontext von digitalen Technologien sind häufige Referenzen auf Magie und Zauberei.  Kap. 2.9;  Imaginäres;  Fetischisierung Konsekration/(Kunst-)Wert: Nach dem Kultursoziologen Pierre Bourdieu (2011c/1977) geht es in der kulturellen Produktion um die Akkumulation von symbolischem Kapital; Prestige und Autorität fungieren als Währung. Marken-, Signatureffekte, Personen können Dingen ‚Wert‘ verleihen, was Konsekrations- kapital bedeutet (Konsekration = Weihung). In wahrnehmungstheoretischer Perspektive wird dies als erfahrene Wertzuschreibung verstanden.  Kap. 7.2;  aisthetische Historiografie;  Warenästhetik;  Fetischisierung;  Erfahrungskonsum;  Erfahrung Lektüremodi (hier auch historisierende Lektüremodi): Bestimmung des Verhältnisses zwischen Bewegtbildern, ihren Referenzdimensionen und Rezeptionsmodi; dies angelehnt an semio-pragmatische Ansätze von Roger Odin. Mit dem Konzept ist kein prinzipieller Gegensatz zwischen Dokumentar-, Fiktions- oder Archivbildern anzusetzen: Die ontologische Frage, ob Filmbilder tatsächlich eine (vergangene) Wirklichkeit abbilden, verlagert sich auf die Frage nach dem Lektüremodus. Dieser fußt auf der Zuschreibung, welche Äußerungsinstanz den Bildern attribuiert wird.  Kap. 3.6;  Enunziation Franziska Heller - 978-3-8467-6460-2 Heruntergeladen von Fink.de01/03/2022 12:27:50PM via free access Glossar 461 Mediale Geschichtsbildmodellierung: Formel, die den AV-medienana- lytischen und wahrnehmungstheoretischen Fokus der Studie betont, dass nicht von Geschichtsschreibung im Horizont einer disziplinären Geschichts- wissenschaft gesprochen wird.  Kap. 3;  aisthetische Historiografie; medialen Geschichtsbildmodellierungen wird im Kontext der digitalen Medientransition im Sinne einer Public History (Haber 2011) historiografische und erinnerungskulturelle Wirksamkeit zugeschrieben.  Kap. 6.1 Mediatisierte Erinnerung: Kulturwissenschaftlicher Problemkomplex zum Verhältnis von (Massen-)Medien und Erinnerungen. Nach Dijk (2007) findet eine wechselseitige Konstruktion statt – zwischen der autobiografischen Identitätsbildung des Subjekts und der Dynamisierung der Kategorien von privat/persönlich und öffentlich/kollektiv. Dijks Überlegungen werden wahr- nehmungstheoretisch gewendet.  Kap. 3.8;  prothetische Erinnerung;  aisthetische Historiografie Memophänomenal: Beschreibung der wirkungsästhetischen Dimension von Affekt- und Erinnerungsbildern (wechselseitige Bilder), die bei  Reprisen historischer Filme in der digitalen Domäne zur Vermittlung der  Waren- ästhetik eingesetzt werden. Die zeitlich heterogene Wirkungsdimension zwischen Präsenz/Unmittelbarkeit und Vergangenheitseindrücken spielt mit individuellen wie kollektiven Erinnerungsprozessen.  Kap. 4.8 Memopolitik: Helvetischer Begriff für Gedächtnispolitik, der im Rahmen einer Initiative zur Pflege des nationalen Erbes mit Blick auf die fort- schreitende Digitalisierung geprägt wurde. Er wird in dieser Studie gegen- über äquivalenten Komposita bevorzugt.  Kap. 2.8 und die nachfolgenden Unterkapitel Mise en Relation: Begriffssetzung zu den Implikationen der Versionen- haftigkeit von Film. Mise en Relation wird verstanden als Gestaltungsform sowie als Erwartung, Wahrnehmungsakt und -erfahrung; Formen, die sowohl innerhalb von Filmen (z. B. in filmhistorischen Dokumentationen) als auch auf der Ebene des Dispositivs (z. B. Ästhetik der Menüstruktur) die Relativität mediengeschichtlicher Zusammenhänge ausstellen.  Kap. 7;  vergleichendes Sehen;  Konsekration/(Kunst-)Wert;  digitale Dispositive;  Erfahrung Franziska Heller - 978-3-8467-6460-2 Heruntergeladen von Fink.de01/03/2022 12:27:50PM via free access 462 Glossar Passagen: Begrifflicher Rekurs auf Christina Scherers filmwissenschaftliche Ausführungen (2001) zu Walter Benjamin: Erinnerung und Geschichts- schreibung werden als archäologische Tätigkeiten beschrieben, die dem Modell einer zeitlichen Schichtung und dem Prinzip von Erkennbarkeit im Fluss (der Zeit) verpflichtet sind. Scherer sieht hier filmische Strukturen des Fragmentarischen und Heterogenen im Zusammenspiel mit der wirkungs- ästhetischen Dimension – etwa mit dem Erinnerungsvermögen des Zu- schauers.  Kap. 3.9 Performance (auch digitale Performance): Vielschichtig gebrauchter Begriff: Methodologisch schließt performative Sinnproduktion an pragmatische Zu- gänge an. Der Anglizismus assoziiert technische Prozessleistungen von Tools und Programmen.  Kap. 5 Prothetische Erinnerung: Die Formulierung (Landsberg 2004/1996, Elsaesser 1996b, Burgoyne 1999) beschreibt Erinnerungen in massenmediatisierter Form, die sich nicht auf selbst er-/gelebte Momente gründen, aber trotz- dem biografisch-identitätsbildend auf das Subjekt wirken.  Kap. 6.7;  mediatisierte Erinnerungen;  memophänomenal;  aisthetische Historiografie Remastered: Vermarktungslabel für die digitale  Re-Edition filmischer Werke. Trotz einiger Definitionsversuche wurde der Begriff in den ersten Dekaden der 2000er Jahre diffus eingesetzt: Er bezeichnet keinen technisch standardisierten Vorgang; zugleich ist er aber umstandslos wertsteigernd konnotiert. Implizit wird ein teleologischer Fortschrittsgedanke von Medien- geschichte transportiert.  Kap. 3.1;  Warenästhetik;  Fetischisierung Reprise (dt. hier Wiederaufnahme): Begriffskomplex des Film- wissenschaftlers François Niney (2012/2009), der pointiert zur Analyse der soziokulturellen Folgen der Filmdigitalisierung herangezogen wird; bezeichnet sowohl Prozesse der Wiederaufnahme eines präexistenten Phänomens als auch eine Erprobung des Materials hin auf Bedeutungs- potenziale in neuen Kontexten.  Kap. 3.9 Update: Titelgebendes Prinzip, das die technologischen, ökonomisch orientierten Politiken der Transformation heutiger digitaler Medien- umgebungen zugespitzt fasst; ideologisch-diskursiv geprägt von der Vorstellung einer ständigen Verbesserung.  Kap. 1;  Remastered Franziska Heller - 978-3-8467-6460-2 Heruntergeladen von Fink.de01/03/2022 12:27:50PM via free access Glossar 463 Vergleichendes Sehen: Von dem Kunsthistoriker Heinrich Dilly (unter Rekurs auf Heinrich Wölfflin) reflektiertes Verfahren: die methodischen Konsequenzen der vergleichenden (Dia-)Projektion zweier Bilder für die Kunstwissenschaft; Übertragung dieses Ansatzes auf Bildkorrelationen zur Veranschaulichung der Qualitäten von Digitalisaten: z. B. medial inszenierte Split-Screen-Konfigurationen, die Vorher/Nachher-Bilder in eine historio- grafisch und erinnerungspolitisch wirksame Beziehung zueinander setzen.  Kap. 7.11;  Mise en Relation;  aisthetische Historiografie Warenästhetik: Aktualisierte Begrifflichkeit nach Wolfgang Fritz Haugs Kritik der Warenästhetik (1971 und 2009) zur spezifizierten Analyse des ästhetischen Warencharakters von Filmen in der digitalen Domäne.  Kap. 4.2;  Fetischisierung;  wechselseitige Bilder;  memophänomenal;  Erfahrungskonsum Wechselseitige Bilder: Wahrnehmungstheoretische Adaption von Gilles Deleuzes Überlegungen zu Affekt- und Erinnerungsbildern als temporal heterogene Phänomene (koaleszierend zwischen Aktuellem und Virtuellem).  Kap. 4.1;  Fetischisierung;  memophänomenal;  mediale Geschichtsbildmodellierung Franziska Heller - 978-3-8467-6460-2 Heruntergeladen von Fink.de01/03/2022 12:27:50PM via free access Franziska Heller - 978-3-8467-6460-2 Heruntergeladen von Fink.de01/03/2022 12:27:50PM via free access kapitel 10 Literaturverzeichnis 10.1 Verwendete Literatur Die nachstehende Liste verzeichnet die benutzte wissenschaftliche Literatur, zitierfähige Texte aus dem Internet sowie zitierfähiges Begleitmaterial (Para‑ texte) zu veröffentlichten Filmeditionen und ‑aufführungen. 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Heller (2012a; 2013a; 2016a). Kap. 5: vgl. F. Heller (2013a; 2014). Kap. 6: vgl. F. Heller (2012b; 2013b; 2015; 2016a) sowie F. Heller/Flückiger (2010). Kap. 7: vgl. F. Heller (2012b). Franziska Heller - 978-3-8467-6460-2 Heruntergeladen von Fink.de01/03/2022 12:27:50PM via free access Franziska Heller - 978-3-8467-6460-2 Heruntergeladen von Fink.de01/03/2022 12:27:50PM via free access kapitel 11 Film‑, Editions‑ und Zugriffsverzeichnis 11.1 Besprochene Filme und Editionen ausergewöhnliche Reise, Die (Serge Bromberg/Eric Lange 2011. Filmhistorische Dokumentation). In: Georges Méliès. Die Magie des Kinos (DVD. Doppel- DVD: Arthaus 2012). Beyond the Rocks (Sam Wood 1922. DVD: Nederlands Filmmuseum/Milestone Film & Video 2006). Blackmail (Alfred Hitchcock 1929. DVD. Stumm- und Tonfilmfassung: Arthaus 2010). Blade Runner (Ridley Scott 1982. DVD. Five Disc Ultimate Collector’s Edition. Inkl. der Versionen: Work Print/Sneak Peak-Version/Theatrical US-Version/Theatrical International/Broadcast [1986]/Director’s Cut [1992]/Final Cut 2007]: Warner Bros. 2007). Boot, Das (Wolfgang Petersen 1981. Blu-Ray-Disc. Kinofassung [1981]/Director’s Cut [1997]: Jubiläumsedition. Steel-Book: EuroVideo 2011). Boot, Das (Wolfgang Petersen 1985. TV-Serie. DVD: Euro Video 2004). Boot, Das (Wolfgang Petersen 1985. TV-Serie. VoD: Netflix/Schweiz 2017. Letzter Abruf 16.07.2017). Carmen (Cecil De Mille 1915. DVD. Als Bonusmaterial). In: Charlie Chaplins Carmen Parodie (Charlie Chaplin 1916. DVD: Great Movies 2012). Charlie Chaplins Carmen Parodie (Charlie Chaplin 1916. DVD: Great Movies 2012). Close Encounters of the Third Kind (Steven Spielberg 1977. Blu-Ray-Disc. 30th Anniversary Ultimate Edition: Sony 2007). Clue (Jonathan Lynn 1985. DVD: Warner Bros./Paramount 2008). Crazy Cinématographe. Europäisches Jahrmarktkino 1896–1916 (DVD: Edition Filmmuseum Nr. 18. 4. Aufl. 2012 [2007]). Drei Haselnüsse für Aschenbrödel (Václav Vorlíček 1973. DVD/Blu-Ray-Disc: Icestorm 2010/2011). Dressed to Kill (Brian De Palma 1980. Blu-Ray-Disc. Special Edition: Criterion 2015). Dressed to Kill (Brian De Palma 1980. DVD. Special Edition: MGM Home Enter- tainment 2001). Ein Mythos in Agfa-Color (Gerd Koshofer/Nina Koshofer 2005. Filmhistori- sche Dokumentation). In: Münchhausen (Josef von Báky 1943. DVD: Friedrich- Wilhelm-Murnau-Stiftung/Transit Classics 2005). Franziska Heller - 978-3-8467-6460-2 Heruntergeladen von Fink.de01/03/2022 12:27:50PM via free access 500 Film-, Editions- und Zugriffsverzeichnis Erbe der Nibelungen, Das (Guido Altendorf/Anke Wilkening 2011. Filmhistori- sche Dokumentation). In: Die Nibelungen (Fritz Lang 1924. DVD. Special Two- Disc Edition: Eureka 2012). Fifty Shades of Grey (Sam Taylor-Johnson 2015. DVD. Unveröffentlichte Filmver- sion/Original Kinofassung: Universal 2015). Film Comparison: The 3 Versions of Dressed to Kill, A. (o. A. Bonusmate- rial/Comparison Featurette). In: Dressed to Kill (Brian De Palma 1980. Blu-Ray- Disc. Special Edition: Criterion 2015). Film Comparison: The 3 Versions of Dressed to Kill, A. (o. A. Bonusmate- rial/Comparison Featurette). In: Dressed to Kill (Brian De Palma 1980. DVD. Special Edition: MGM 2001). Georges Méliès. Die Magie des Kinos (DVD-Box. Doppel-DVD: Arthaus 2012). Georges Méliès. Le Premier Magicien du Cinéma. 1896–1913 (DVD: Lobster Films 2008). Giorgio Moroder Presents: Metropolis (Fritz Lang/Giorgio Moroder 1927/1984. DVD: Kino Lorber 2011). Gold Rush, The (Charlie Chaplin 1925/1942. DVD. Stummfilmfassung/Tonfilmfas- sung: MK2/Warner Bros. Home 2003). Hunt for M, The/The Hunt for the FilM Elements (Universum Film/Thors- ten Kaiser. Filmhistorische [Restaurierungs-]Dokumentation 2011). In: M – Eine Stadt sucht einen Mörder (Fritz Lang 1931. Blu-Ray-Disc. 80th 2-Disc Anni- versary Edition: Universum Film 2011). Lodger, The (Alfred Hitchcock 1927. DVD/Blu-Ray-Disc. Includes Soundtrack by Nitin Sawhney. A BFI National Archive Restoration: Network 2012). Lumière Brothers’ First Films, The (Brüder Lumière 1895–1897. DVD: The Institute Lumière/Kino International 1998). M – Eine Stadt sucht einen Mörder (Fritz Lang 1931. Blu-Ray-Disc. 80th 2-Disc Anniversary Edition: Universum Film 2011). Making-of Weltenbrand (ZDF 2012. Nicht mehr verfügbar. Im Mai 2013 noch ab- rufbar in der ZDF-Mediathek). Memento (Christopher Nolan 2000. DVD/Blu-Ray-Disc: Columbia Tristar 2001/2002). Metropolis (Fritz Lang 1927. DVD: Friedrich-Wilhelm-Murnau-Stiftung/Transit Film/Deutsche Kinemathek 2003). Metropolis/The Complete Metropolis (Fritz Lang 1927. Blu-Ray-Disc: Special, Limited Edition: Kino Lorber 2010). Metropolis (Fritz Lang 1927. Restaurierung 2010. Fernsehausstrahlung der Weltpre- miere der Wiederaufführung am 12.02.2010 auf ARTE). Metropolis. Kritische Studienfassung (Fritz Lang 1927. DVD: Universität der Künste 2005). Münchhausen (Josef von Báky 1943. DVD: Friedrich-Wilhelm-Murnau-Stiftung/ Transit Classics 2005). Franziska Heller - 978-3-8467-6460-2 Heruntergeladen von Fink.de01/03/2022 12:27:50PM via free access Film‑, Editions- und Zugriffsverzeichnis 501 Nibelungen, Die (Fritz Lang 1924. DVD: Eureka 2012). O Brother, Where Art Thou? (Joel Coen/Ethan Coen 2000. DVD: Touchstone Home Video et al. 2000). Obsessed with Vertigo. New Life for Hitchcock’s Masterpiece (Harrison Engle 1997. Filmhistorische Dokumentation). In: Vertigo (Alfred Hitchcock 1958. DVD: Universal Pictures 1997). Painting with Pixels (Touchstone Home Video 2000. Filmtechnische Dokumen- tation). In: O Brother, Where Art Thou (Joel Coen/Ethan Coen 2000. DVD: Touchstone Home Video et al. 2000). Peter Pan (Clyde Geronimi/Wilfred Jackson 1953. DVD. 2-Disc-Special Edition: Dis- ney DVD 2007). Prettier than ever. The Restoration of Oz (Warner Bros. Turner Entertain- ment 2005. Filmhistorische Dokumentation). In: The Wizard of Oz (Victor Fleming 1939. DVD. Three-Disc Collector’s Edition: Warner Bros./Turner Entertain- ment 2005). Reise zum Mond, Die (Georges Méliès 1902). In: Georges Méliès. Die Magie des Kinos (Doppel-DVD: Arthaus 2012). Rückkehr des Königs, Die. Der Herr der Ringe (Peter Jackson 2003. DVD. Special-Extended-Edition: 2006). Schönste, Die (Ernesto Remani/Walter Beck 1957/1959. DVD: Icestorm Entertain- ment 2003). Schönste, DIE – Rückblick und Restaurierung (Studio Fünf Fernsehproduk- tion Babelsberg/Schenk et al. 2003). In: Die Schönste (Ernesto Remani/Walter Beck 1957/1959. DVD: Icestorm Entertainment 2003). Smoking/No Smoking (Alain Resnais 1993. DVD. 3 DVD-Set: Pathé Video 2004). Soldier’s Courtship, The (Robert Paul 1896); ursprünglich als Fragment abruf- bar in der Web-TV-Funktion vom Centro Sperimentale di Cinematografia unter http://www.fondazionecsc.it/ct_home.jsp?ID_LINK=7&. Mittlerweile findet sich der Ausschnitt des Films auf YouTube (Stand Mai 2019): https://www.youtube.com/ watch?v=6P8PuaeEDdM. In seiner Gesamtheit war der Film auf verschiedenen Festivals sowie im Rahmen von Restaurierungsvorträgen zu sehen. Es gibt darüber hinaus eine Sammlerbox von Robert Pauls Filmen vom BFI (2006). In der Beschrei- bung wird The Soldier’s Courtship allerdings noch als vermisst genannt. Star Wars. Empire of Dreams. The Story of the Star Wars Trilogy (Edith Becker/Kevin Burns 2004. Making-of-Dokumentation). In: Star Wars Trilogy (George Lucas/Irvin Kershner/Richard Marquand 1977/1980 /1983. DVD-Box. Bonus Material: Lucasfilm 2004). Story of the Kelly Gang, The (Charles Tait 1906. DVD: National Film and Sound Archive 2006). This is Cinerama (Merian C. Cooper/Gunther von Fritsch et al. 1952. DVD/Blu-Ray- Disc: Flicker Alley 2012). Franziska Heller - 978-3-8467-6460-2 Heruntergeladen von Fink.de01/03/2022 12:27:50PM via free access 502 Film-, Editions- und Zugriffsverzeichnis Too Much Johnson (Orson Welles 1938. DVD. Work Print: Mr. Bongo 2015). Alterna- tive Schnittversion: National Film Preservation Foundation. Website. http://www. filmpreservation.org/preserved-films/screening-room/too-much-johnson-work- print (19.10.2016). Live-Performance mit Paolo Cherchi Usai, Le Giornate del Cinema Muto in Pordenone/Italien am 09.10.2013. Varieté (Ewald André Dupont 1926. DVD. Deluxe Edition: Friedrich-Wilhelm-Mur- nau-Stiftung 2015). voyage dans la lune, Le. Le voyage extraordinaire (Georges Méliès 1902. DVD/Blu-Ray-Disc. Einzeledition des Films inkl. der filmhistorischen Restaurie- rungsdokumentation von Serge Bromberg/Eric Lange: Lobster Films 2011). voyage extraordinaire, Le (Serge Bromberg/Eric Lange 2011. Filmhistorische Do- kumentation). In: Le voyage dans la lune (Georges Méliès 1902. DVD. Einzel- edition des Films: Lobster Films 2011). Weltenbrand (ZDF/Guido Knopp et al. 2012. TV-Serie. 8 Episoden. DVD. Teil 1–3: Studio Hamburg Enterprises/ZDF Enterprises 2014). Wizard of Oz, The (Victor Fleming 1939. DVD. Three-Disc Collector’s Edition: War- ner Bros./Turner Entertainment 2005). zwei Türme, Die. Der Herr der Ringe (Peter Jackson 2002. DVD. Special-Exten- ded-Edition. Inkl. Boni zu visuellen Effekten: New Line Home Entertainment 2003). 11.2 Weitere, im Internet zugängliche Filme und Clips Ben Hur unterliegt Rakete – die neue Kampagne von Saturn. In: Werben & Verkaufen. Veröffentlicht am 05.12.2011 auf http://www.wuv.de/nachrichten/unter nehmen/ben_hur_unterliegt_rakete_die_neue_kampagne_von_saturn (20.01.2012). Change the way to watch movies. Editor’s guide. Sony Pictures (2012): https://www.youtube.com/watch?v=16h56tTC47M (29.07.2019). Do you want to have an adventure? Netflix (2013): https://www.youtube.com/ watch?v=SnMnjw14OGc (03.04.2017). Fox-Blu-Ray. The Future Is Blu – Trailer. Fox (2012): http://www.youtube.com/ watch?v=mfSNZtLc3is (20.08.2013). Hold On. Netflix (2014): https://www.youtube.com/watch?v=0H47tAeAcu8 (11.10.2016). On lens flare. J. J. Abrams (o. J.): http://www.youtube.com/watch?v=hiAToA3qZcI (16.01.2012). Restoring the Classics. Universal (2012): https://www.youtube.com/watch?v= XXnu58AwvME (03.04.2017). Star Trek. The Next Generation (1987–1994). FXguide TV, Episode 161 (2013): https://www.youtube.com/watch?v=F28XcxHxH6k (16.06.2017). Franziska Heller - 978-3-8467-6460-2 Heruntergeladen von Fink.de01/03/2022 12:27:50PM via free access Film‑, Editions- und Zugriffsverzeichnis 503 Universal Commercial Blu-Ray-Disc. Universal Pictures (2009): http://www. youtube.com/watch?v=Kc3C5Lq3i9Q (27.07.2019). Universal Pictures International Blu-Ray Trailer. Universal Pictures (2010): http://www.youtube.com/watch?v=3YgkHPcr2I4&feature=related (11.07.2013). Whats wrong with Buffy’s HD. SunnydaleArchives (2015): https://www.youtube. com/watch?v=F28XcxHxH6k (27.07.2017). 11.3 Sonstige erwähnte Filme und Serien All Quiet on the Western Front (Lewis Milestone 1930). Apocalypse. Mini-TV-Serie (Isabelle Clarke/Daniel Costelle 2009). Apollo 13 (Ron Howard 1995). Avatar (James Cameron 2009). Back to the Future (Robert Zemeckis 1985). Band Wagon, The (Vincente Minnelli 1953). Battleship Potemkin/Panzerkreuzer Potemkin/Bronenosec Potemkin (Sergej Eisenstein 1925). Ben Hur (Timur Bekmambetov 2016). Ben Hur (William Wyler 1959). Ben Hur. A Tale of the Christ (Fred Niblo 1925). Big Bang Theory. TV-Serie (Chuck Lorre/Bill Prady [Creators] 2007–heute. Hier: 2011, S5E9). Birds, The (Alfred Hitchcock 1963). Blue Velvet (David Lynch 1986). Blues Brothers, The (John Landis 1980). Breakfast Club, The (John Hughes 1985). Bride of Frankenstein (James Whale 1935). Casablanca (Michael Curtiz 1942). Coraline (Henry Selick 2009). Despicable me (Pierre Coffin/Chris Renaud 2010). Deutsche Vergangenheit wird lebendig (Kifo/Hellmut Bousset 1936). Dracula (Tod Browning 1931). E. T. – The Extraterrestrial (Steven Spielberg 1982). Entr’acte (René Clair 1924). Ewiger Wald (Hanns Springer/Rolf von Sonjevski-Jamrowski 1936). Fantasia (James Algar/Samuel Armstrong et al. 1940). Flashdance (Adrian Lyne 1983). Forrest Gump (Robert Zemeckis 1994). Franziska Heller - 978-3-8467-6460-2 Heruntergeladen von Fink.de01/03/2022 12:27:50PM via free access 504 Film-, Editions- und Zugriffsverzeichnis From the Earth to the Moon. Mini-TV-Serie (David Frankel/David Carson et al. 1998). Gladiator (Ridley Scott 2000). Grösser, Digitaler und Umgeschnitten (OT: Free Hat). In: South Park. TV-Serie (Trey Parker/Matt Stone/Brian Graden [Creators] 1997–heute. Hier: 2002, S6E9). Hearts of Age, The (Orson Welles 1934). Hellboy 2. The Golden Army (Guillermo del Toro 2008). Hugo (Martin Scorsese 2011). Incredible Hulk, The (Louis Leterrier 2008). Ingloriuos Basterds (Quentin Tarantino 2009). Island, The (Michael Bay 2005). It’s a Wonderful Life (Frank Capra 1946). It’s Complicated (Nancy Meyers 2009). Jaws (Steven Spielberg 1975). Jurassic Park (Steven Spielberg 1993). Kick Ass (Matthew Vaughn 2010). King Kong (Peter Jackson 2005). Lawrence of Arabia (David Lean 1962). Life and Death of Colonel Blimp, The (Michael Powell/Emeric Pressburger 1943). Mama Mia! (Phillyda Lloyd 2008). Midnight Express (Alan Parker 1978). Nosferatu (Friedrich Wilhelm Murnau 1922). Opfergang (Veit Harlan 1943). Out of Africa (Sydney Pollack 1985). Passion de Jeanne d’Arc, La (Carl Theodor Dreyer 1928). Pillow Talk, The (Michael Gordon 1959). Psycho (Alfred Hitchcock 1960). Public Enemies (Michael Mann 2009). Raiders of the Lost Ark (Steven Spielberg 1981). Rear Window (Alfred Hitchcock 1954). Reise nach Metropolis, Die (Artem Demenok 2010). Robin Hood (Ridley Scott 2010). Saving Private Ryan (Steven Spielberg 1998). Scott Pilgrim vs. the World (Edgar Wright 2010). Something Wild (Jonathan Demme 1986). Star Wars (George Lucas 1977). Star Wars. Episode I: The Phantom Menace (George Lucas 1999). Star Wars. Episode V: The Empire Strikes Back (Irvin Kershner 1980). Franziska Heller - 978-3-8467-6460-2 Heruntergeladen von Fink.de01/03/2022 12:27:50PM via free access Film‑, Editions- und Zugriffsverzeichnis 505 Star Wars. Episode VI: The Return of the Jedi (Richard Marquand 1983). They Shall not Grow Old (Peter Jackson 2018). To Kill a Mocking Bird (Robert Mulligan 1962). Transformers (Michael Bay 2007). Vertigo (Alfred Hitchcock 1958). Vormittagsspuk (Hans Richter 1928). Wanted (Timur Bekmambetov 2008). Way out West (James W. Horne 1937). Wolfman, The (Joe Johnston 2010). Franziska Heller - 978-3-8467-6460-2 Heruntergeladen von Fink.de01/03/2022 12:27:50PM via free access Franziska Heller - 978-3-8467-6460-2 Heruntergeladen von Fink.de01/03/2022 12:27:50PM via free access kapitel 12 Abbildungsnachweise Wenn nicht anders nachgewiesen, beruhen alle verwendeten Abbildungen auf Screenshots, Scans und Fotografien, die die Verfasserin (FH) anhand der im Film- und Literaturverzeichnis aufgeführten Quellen (an den gegebenenfalls aufgeführten Abrufdaten beziehungsweise in den genannten Zeiträumen) an- gefertigt hat. Ausnahmen: Abb. 6.23: Ankündigung zum TV-Weihnachtsprogramm für Drei Nüsse für Aschenbrödel: Facebook-Seite des MDR–Mitteldeutscher Rundfunk: https://www.facebook.com/mdr/photos/a.10150276743608184.352611.21540730 3183/10154715604193184/?type=3 (25.07.2016); Screenshot FH. Abb. 7.21: Bildkader aus dem Film Die Schönste: Screenshot (FH) basierend auf der Fotografie eines Filmstreifens aus dem Bundesarchiv-Filmarchiv (BAFA: B66967, Rolle 1) von Josephine Diecke. Grundsätzliche Anmerkung zur Gestaltung der Abbildungen: Aufgrund von verschiedenen Bildformaten bei den historischen (Archiv-) Filmbildern, die in den untersuchten digitalen Dispositiven aufgenommen und mit anderen (jüngeren) Quellenmaterialien kompiliert wurden, finden sich in der digitalen Reprise immer wieder Formen von Letter- oder Pillar- boxing; oder das Format des Ursprungsfilms wurde bei der Wiederaufnahme nicht gewahrt. Bei der Gestaltung der Abbildungen im Buch mussten der jeweilige Argumentationszusammenhang, die konkrete analysierte Zugangs- form (das heißt etwaige Zuschneidungen des aufnehmenden Dispositivs), der phänomenale Eindruck und die Lesedramaturgie/-pragmatik berücksichtigt werden. Deshalb ergeben sich zuweilen unterschiedliche und variierende Ab- bildungsformate in Bildsequenzen. Franziska Heller - 978-3-8467-6460-2 Heruntergeladen von Fink.de01/03/2022 12:27:50PM via free access