Audiovisuelle Atmosphären, Stimmungen und metaphorische Räume in komplexen Fernsehserien1 Kathrin Fahlenbrach Aktuell erleben wir eine Konjunktur seriellen Erzählens, zu der jüngst besonders Streaming-Plattformen beigetragen haben. Um diese langlau- fenden Serien von anderen Serien herkömmlicher Fernsehproduktion zu unterscheiden, werden sie gerne als «Qualitätsserien» oder als «kom- plexe Serien» bezeichnet. Während der erste Begriff aufgrund seiner normativen Wertung problematisch ist, birgt der zweite Begriff zumin- dest einige objektivierbare Aspekte. So argumentieren einige Studien überzeugend (z. B. Mittell 2015; Bruun Vaage 2016), für die Erfahrung der Komplexität von Serien sei entscheidend, dass sie ihre Betrachter mit verzweigten Plots, unerwarteten Ereignisverläufen sowie ambivalenten Charakteren und moralischen Szenarien konfrontieren. Die Zuschauer werden im Verlauf solcher Serien regelmäßig mit Perspektivwechseln herausgefordert und müssen ihre Erwartungen und Bewertungen der Ereignisse und Figuren immer wieder anpassen. Komplexität wird vor allem als eine narrative Qualität aufgefasst, die ihre Betrachter kognitiv und emotional herausfordert. Aber wie trägt die audiovisuelle Ästhetik von Serien zur Erfahrung von Komplexität bei? In diesem Beitrag verfolge ich die These, dass narrative Komplexi- tät häufig flankiert wird von ästhetisch reichhaltigen Ausdrucksformen in der Mise en Scène.2 Besonders dicht komponierte Stimmungen, 1 Dieser Beitrag geht auf einen englischsprachigen Vortrag zurück, den die Verfasserin im November 2017 auf der Tagung Aesthetics of Television Serials an der Universitat Politècnica de València in Gandia, Spanien, gehalten hat. 2 Die grundlegende Unterscheidung von Komplexität und Reichhaltigkeit (engl. richness) in Serien greife ich von Héctor Pérez (2018) auf. 46 montage AV 27 / 2 / 2018 Atmosphären und sensoriell reizintensive Ausdrucksformen in der Gestaltung von Handlungsräumen können das Erleben und Verstehen von Serien komplex gestalten (vgl. auch Jacobs/Peacock 2013; Guffey 2014). Damit verbunden ist häufig auch eine erhöhte Wertschätzung. Die Medienpsychologinnen Mary Beth Oliver und Anne Bartsch (2010) sprechen von «appreciation», die sowohl auf die Inhalte als auch auf die Ästhetik eines medialen Artefakts bezogen sein kann. Das Erleben ‹tieferer Einsichten› sowie eines kulturellen und ästhetischen Mehrwertes von Serien geht einher mit emotionalen Gratifikationen. Wertschätzungen entstehen, so die beiden Autorinnen, durch heraus- fordernde, zuweilen gar negative und frustrierende Erfahrungen einer fiktionalen Welt (ibid.). Bartsch erklärt sie als «an experiential state that is characterized by the perception of deeper meaning, the feeling of being moved, and the motivation to elaborate on thoughts and fee- lings inspired by the experience» (2010, 76). Reichhaltige Ästhetik kann dabei nicht nur die kognitive und emotionale Herausforderung von Zuschauern intensivieren, sondern auch Gegenstand genussvoller Bewunderung sein. Vor diesem Hintergrund wird hier die besondere Rolle von Erzählräumen in seriellen Erzählungen betrachtet. Komplexe Serien, so meine Argumentation, schaffen über ihren Verlauf ästhetisch reich- haltige Topografien und Topologien, welche die verzweigte Narration reflektieren; daneben prägen sie durch ihre jeweiligen Ausdrucksfor- men die Atmosphären und Stimmungen der erzählten Welt auf globa- ler und lokaler Ebene, wie dieser Beitrag am Beispiel von Bloodline (Netflix 2015–2017) darlegen wird. Ebenen ästhetischer Erfahrung mit Serienräumen Jeremy Butler unterscheidet in seiner Studie Television Style verschie- dene Dimensionen von Fernsehästhetik, die mit spezifischen Funk- tionen verbunden sind (2010, 11). Während Butler in seinem Buch die ganze Bandbreite an Stilen und Ausdrucksformen in unterschiedli- chen Fernsehgenres behandelt, greife ich hier vier Aspekte auf, die ich für die Betrachtung von Räumen in komplexen Serien für besonders wichtig erachte: ihre denotative, ihre emotionale, ihre symbolische und ihre expressive Ebene. In ihrem Zusammenwirken tragen diese verschiede- nen Dimensionen entscheidend zum kognitiven, affektiven und senso- riellen Zuschauererleben von Komplexität einer Serie bei. Bezogen auf Erzählräume in Serien handelt es sich bei der denotati- ven Ebene um die Konstruktion basaler Topografien durch Architektur, Fahlenbrach: Metaphorische Räume in komplexen Fernsehserien 47 Set Design und räumliche Motive. Auch Montage und Bildkomposi- tion tragen zur raumzeitlichen Grundstruktur bei. Wie beim Film (vgl. Wulff 1999, 103 ff.) entwickelt sich die Topografie einer Serie in der Interaktion von Gestaltern, bewegten Klangbildern und Zuschauern. Die so entstehenden ästhetisch und mental fundierten Räume bilden die Grundlage für emotionale, symbolische und expressive Topologien, die im Folgenden betrachtet werden. Emotionale Topologien, Stimmungen und Atmosphären Erzähldramaturgie und Ästhetik unterhaltender Bewegtbildmedien zielen bekanntlich besonders auf die Erzeugung von Emotionen. Wie Greg M. Smith (2003) argumentiert, schaffen sie dabei meist kurze, intensive emotionale Momente, die durch einen dramatischen Konflikt oder einen Emotionsausbruch zwischen Figuren evoziert werden. Carl Plantinga nennt Momente, in denen Emotionen durch Nahaufnah- men des Gesichts vermittelt werden, «Szenen der Empathie» (2004), da sie darauf abzielen, bei den Zuschauern starke empathische Gefühle für eine Figur hervorzurufen. Demgegenüber gibt es aber auch Sze- nen, in denen der gesamte audiovisuelle Raum die emotionale Epi- sode reflektiert (vgl. Fahlenbrach 2008). Fernsehserien bedienen sich dieses Mittels in besonderem Maße, um innerhalb der fiktionalen Welt eine übergreifende emotionale Topologie zu erschaffen. Emotionale Topologien erwachsen im dynamischen Verlauf der Serienerzählung durch das Zusammenspiel von (a) emotionalen Ereignissen an spezi- fischen Handlungsorten, (b) der Art und Weise, in der Ästhetik und Narration auf diese Bezug nehmen, und (c) den mentalen und affek- tiven Karten der Zuschauer von diesen Orte (vgl. Fahlenbrach 2016). Wie Filme zielen Fernsehserien nicht allein darauf ab, punktuell intensive Emotionen zu evozieren. Vielmehr etablieren sie durchgängig Stimmungen über längere Episoden, die emotionale Momente vorbe- reiten (Smith 2003). Stimmungen sind nicht notwendigerweise an ein- zelne Figuren und deren Emotionen gebunden sind, sondern fungieren als deren affektive Hintergründe, als «the Background against which we are able to recognize, align and ally ourselves with particular characters within specific narrative scenarios» (Sinnerbrink 2012, 152). Auch die Psychologie fasst Stimmungen als affektive Hintergründe auf. Sie benö- tigen keine konkreten Auslöser, sondern sind kontinuierlicher Bestand- teil unseres Lebens, verbunden mit vitalen körperlichen und affektiven Erfahrungen. Der Psychologe Daniel Stern (1999) nennt sie Vitali- tätsaffekte, da sie mit Prozessen wie Atmen, Schlafen und jeder Art der körperlichen und mentalen Aktivität verbunden sind (z. B. sich ruhig 48 montage AV 27 / 2 / 2018 oder erregt fühlen). Vitalitätsaffekte haben eine gestalthafte Kompo- nente (Koppe/Harder/Vaever 2008, 170), die mit dem gesamten Kör- per erfahren und ausgedrückt werden kann. Diese affektiven Zustände können etwa als ‹aufsteigend›, ‹fließend›, ‹schwindend› oder ‹explodie- rend› empfunden werden (vgl. Stern 1999, 68); bei ihrer gestalthaften, cross-modalen Erfahrung sind potenziell alle Sinne involviert. Die von Filmen und Fernsehserien erzeugten Atmosphären und Stimmungen greifen diese Eigenschaften von Vitalitätsaffekten in ihrer Mise en Scène auf. Die affektive Gestalt ihrer Erzählwelten und -räume wird geprägt durch Bildkomposition, Sounddesign und Bewe- gungen, die darauf abzielen, beim Betrachter multisensorielle Assozia- tionen und Erfahrungen hervorzurufen. Cross-modale, also audiovisu- elle Gestalten, die sich in der Topografie, den materiellen Oberflächen, in den Farben, im Licht, in den Klängen und allen anderen gestalt- basierten Eigenschaften von Erzählräumen manifestieren, schaffen die Basis für Atmosphären und Stimmungen, die wesentlich zum affek- tiven Erleben einer seriellen Welt beitragen. Plantinga argumentiert, dass sie daneben auch die moralische Bewertung und Haltung von Zuschauern gegenüber den Figuren und Ereignissen beeinflussen: «If a film […] triggers powerful and memorable moral intuitions, then a story can be effective in affirming and/or altering our moral intui- tions about types of characters and situations» (2014, 155). Wir kön- nen demnach eine narrativ angelegte Weltsicht bereits intuitiv durch die Stimmungen erfassen. Dies betrifft selbst ambivalente moralische Haltungen, etwa wenn die Stimmung der Moral einer Figur und ihren Handlungen zuwiderläuft. Ein Beispiel hierfür sind die Mordszenen in der Serie Dexter, die von einer fröhlich-erhabenen Stimmung gerahmt werden. Komplexe Fernsehserien schaffen Räume mit kognitiv, sensoriell und affektiv reichhaltigen Atmosphären und Stimmungen, die den Zuschauern in der ästhetischen Erscheinung körpernahe und affek- tive Reize bieten und darüber das Erleben wie die Bewertung der fiktionalen Welt prägen. In ihrer zeitlichen Ausdehnung können sie ausgefeilte dramaturgische Strategien entwickeln und die Zuschauer mit verschiedenen emotionalen Schattierungen und Perspektiven der Erzählung konfrontieren. Symbolische und metaphorische Topologien Serienräume weisen in der Regel eine symbolische Dimension auf, welche die in der Narration verankerten, abstrakten und konzeptu- ellen Bedeutungen reflektiert. Wie im Film kann dies Bedeutungen Fahlenbrach: Metaphorische Räume in komplexen Fernsehserien 49 betreffen, die mit der Wahl eines räumlichen Motivs verbunden und in einer Kultur oder auch über Medienkonventionen etabliert sind (vgl. Wulff 1999, 122 ff.). Daneben vermögen Serien über ihre spezi- fischen Raumstrukturen eigene symbolische Bedeutungen zu gene- rieren. Im wiederholten Gebrauch, über die ästhetische Inszenierung und Re-Kontextualisierung können räumliche Motive, die zunächst vorwiegend denotativ aufgefasst werden, langfristig eine symbolische Bedeutung entfalten. Ein einschlägiges Beispiel ist Breaking Bad, wo regelmäßig ein zunächst kontextfreies Insert eingefügt wird, das einen angesengten rosa Teddybären in einem Pool zeigt. Erst im späteren Verlauf der Serie erkennen die Zuschauer den Zusammenhang des Motivs, mit dem Wissen um die tragische Flugzeugkatastrophe wird der Teddy zum Symbol für das Schicksal von Walter White (vgl. Zün- del 2016, 233 f.). Symbolische Bedeutungen von Fernsehserienräumen werden zudem häufig über audiovisuelle Metaphern gestaltet (vgl. Fahlenbrach 2016). Filme und Serien schaffen sinnbildliche Räume oder Raum- strukturen, die es den Zuschauern erlauben, symbolische Bedeutun- gen in einer körpernahen Weise zu erfassen. Kanonische Beispiele sind etwa die Darstellung sozialer Hierarchien mittels räumlicher Hierar- chien (z. B. ‹oben ist mächtig/reich› – ‹unten ist schwach/arm›) oder die Darstellung von Figuren im Regen, die ‹emotional überwältigt› sind. Die kognitive und emotionale Prägekraft solcher metaphorischer Szenarien sei mit Bezug auf die kognitive Metapherntheorie (vgl. Johnson 1987; Lakoff 1987) kurz erläutert: Demnach sind Metaphern nicht nur symbolische Formen, sondern zugleich mentale Mechanis- men, die es uns ermöglichen, abstrakte und komplexe Konzepte, Ideen und Beziehungen sowie ‹unsichtbare› Zustände bildhaft aufzufassen. Dies gelingt, indem wir körpernahe Vorstellungsschemata wie ‹Kraft›, ‹Weg› oder ‹Behälter› aktivieren und mentale Metaphern evozieren wie ‹das Leben ist eine Reise› oder ‹eine Gesellschaft ist ein Gebäude›. Film- und medienwissenschaftliche Studien zeigen (vgl. Forceville 2008; Fahlenbrach 2008; 2016; Coëgnarts/Kravanja 2014), dass Meta- phern ein fester Bestandteil audiovisueller Medienästhetik sind. Fil- memacher und -gestalter greifen sie intuitiv oder bewusst für die Ver- mittlung narrativer oder anderweitiger Bedeutungen auf. Dabei kann es sich um mental und kulturell bereits etablierte Metaphern handeln. Daneben schaffen audiovisuelle Medien aber auch spezifische Meta- phern im Zusammenwirken von Bildern, Klängen und Bewegungen sowie übergeordneten Bedeutungen. In Twin Peaks etwa wird der Wald als wiederkehrendes Leitmotiv als ‹intelligentes Wesen› inszeniert 50 montage AV 27 / 2 / 2018 und strukturiert so die Erfahrung und das Verstehen der Zuschauer (vgl. Fahlenbrach 2016). In komplexen Fernsehserien können Metaphern konzeptuellen Bedeutungen über Staffeln hinweg eine kohärente Gestalt verleihen. Die Bedeutung wiederholt gezeigter Orte kann dabei durchaus erst im langfristigen Handlungsverlauf offenbar werden (ibid.). Breaking Bad etwa entwickelt eine globale metaphorische Raumstruktur, indem Walter Whites Haus in der Mise en Scène als ein Familienort etabliert und zunächst durch Walter als ‹interne böse Kraft› bedroht wird. Spä- ter, nach seinem Auszug, wirkt Walter als ‹externe böse Kraft› auf die Familie ein (dargestellt in seinem heimlichen Einbruch in das Haus, nachdem ihm Hausverbot erteilt wurde, siehe S3E2) und schließlich nach seiner Rückkehr ins Haus als eine ‹böse Kraft von unten› (wenn der Kriechkeller als Versteck dient, siehe S4E11). Jedes Mal nutzt die Mise en Scène das Haus, um eine in der Narration verankerte abs trakte Idee zu vermitteln: Die Hauptfigur dringt als das ‹ambivalente Böse› in den heilen Familienraum ein und kontaminiert ihn. In der symbolischen Topologie kann die Inszenierung zentraler Handlungsorte globale metaphorische Netzwerke entfalten, wodurch narrative Bedeutungen in kohärent konzeptueller Gestalt sinnfällig werden. Expressive Topologien Ein charakteristisches Merkmal komplexer Fernsehserien der letzten Jahre ist ihre exponierte Entwicklung audiovisueller Stile und Aus- drucksformen. Mittell (2015) spricht von der Tendenz zu ‹spekta- kulären Momenten›. Gleichwohl hat ein expressiver Stil keine rein dekorative Funktion. Wie Vermeulen und Rustad (2013) treffend beobachten, kann der spezifische visuelle Stil einer Serie eine auto- nome, intrinsische Qualität entfalten, welche sich teilweise von der Narration löst. Bilder und Klänge stehen damit nicht mehr nur im Dienste der Erzählung, sondern etablieren eine eigenständige Bedeu- tung. Beispielhaft wären autonome Inserts zu nennen, Match-Cuts oder spezifische Bildkompositionen. In ihrer Analyse von Mad Men etwa betrachten die Autoren sogenannte «late-cuts». Die Montage befördert mit diesem Verfahren die Präsenz des Raumes, etwa indem Orte gezeigt werden, nachdem die handlungstragenden Figuren sie bereits verlassen haben, an denen keine Handlung mehr stattfindet oder noch nicht stattgefunden hat, oder indem die Aufmerksamkeit auf für die Narration irrelevante Details gelenkt wird. Gerade das Hervorheben solcher inhaltsleerer Momente leistet einem intrinsisch Fahlenbrach: Metaphorische Räume in komplexen Fernsehserien 51 ästhetischen Erleben Vorschub, das die Wertschätzung der Serie erhö- hen mag (ibid.). Die ästhetische Charakteristik einer Serie wird geprägt durch Wie- derholung und Variation solcher expressiven Elemente. Im Anschluss an Jacobs und Peacock (2013) vertrete ich die These, dass komplexe Serien häufig ein selbstreferenzielles System stilistischer Formen und Konventionen entwickeln, das die Zuschauer im Verlauf zu verstehen und zu schätzen lernen. Diese Formen können eine zentrale Rolle einnehmen, und zwar sowohl für das affektive Erleben als auch für das kognitive Verständnis. Sie tragen wesentlich zur Erfahrung ästhetischer Reichhaltigkeit und Komplexität bei. Die Gestaltung ästhetisch dichter Räume bietet den Betrachtern intensive affektive und mentale Reize, welche die Erfahrung narrativer Komplexität verstärken. Dies geschieht besonders im Zusammenspiel mehrerer Dimensionen: der Vermittlung denotativer Informationen, der Genese lokaler und globaler Atmosphären, Stimmungen und emo- tionaler Topologien, der Inszenierung symbolischer und metaphori- scher Räume sowie der Entwicklung eines selbstreferenziellen Netz- werkes expressiver Formen. Rauminszenierung in BLOODLINE Im Mittelpunkt von Bloodline steht die Rayburn-Familie, die auf den Florida Keys lebt, bestehend aus den Eltern Sally und Robert und ihren Kindern John, einem Polizist, Meg, einer Anwältin, Kevin, Besitzer eines kleinen Yachthafens, und Danny, dem Außenseiter der Familie. Im Verlauf der Erzählung erfahren wir, dass sie alle unter dem traumatischen Verlust ihrer Tochter bzw. Schwester Sarah leiden. Diese starb als Kind während einer Bootstour mit Danny. Während die meis- ten Familienmitglieder offenbar gelernt haben, mit dem Trauma zu leben, gerät das psychische und soziale Gleichgewicht ins Wanken, als Danny nach langer Abwesenheit ins elterliche Haus zurückkehrt und bekundet, bleiben zu wollen. Diese Entscheidung löst eine Reihe tra- gischer Ereignisse aus, welche die verdrängten Gefühle von Schuld und Schmerz bei den Familienmitgliedern hervorbrechen lassen. Die Zuschauer werden Zeugen der schuldhaften Verstrickungen aller Beteiligten in die Katastrophe und ihrer Versuche, dies, auf teilweise kriminelle Art, zu verdecken. Im Anschluss an die oben eingeführten Kategorien werde ich nunmehr darlegen, wie die ästhetische Inszenie- rung der Räume dazu beiträgt, die Betrachter mental und emotional in die traumatischen Erinnerungen und psychologischen Konflikte der Figuren zu involvieren. 52 montage AV 27 / 2 / 2018 Beginnend mit der denotativen Ebene lassen sich zunächst die fol- genden zentralen topografischen Merkmale festhalten: Das Handlungs- geschehen findet hauptsächlich auf den Florida Keys statt, einer Insel- kette an der südlichen Küste von Florida. Die Handlungsorte liegen um den Ort Islamorada. Dessen Topografie wird im Verlauf der Serie mehrfach durch eine Kamerafahrt hervorgekehrt. Schon die ersten Bilder zeigen in einer Kamerafahrt von hoch oben eine lange, schmale Landstraße, die einzige, die zum Festland führt, eine fragile Verbindung. Solche Top-Shots betonen zugleich die geografische Umgebung von Islamorada: die Mangrovensümpfe auf der Insel und das umgebende Meer. Auch das Rayburn-Hotel als maßgeblicher Schauplatz wird bereits in der ersten Sequenz (S1E1) und dann mehrmals während der drei Staffeln von oben gezeigt. Die Einstellungen betonen die Nähe des Hauses zum Meer und zeigen es dicht umgeben von Palmen und Büschen. Weitere zentrale Handlungsorte sind etwa Kevins Büro am Hafen, die Bar in Islamorada oder Johns Familienhaus. Ähnlich wie in anderen Serien (z. B. Twin Peaks, vgl. Fahlenbrach 2016), bleiben die geografischen Verhältnisse zwischen diesen Orten im Vagen. In Anbe- tracht der generellen Topografie von Islamorada ist jedoch offensicht- lich, dass sie nah beieinander liegen müssen. Im Gegensatz dazu steht nur Miami mit Dannys verlassenem Apartment und Restaurant als der am weitesten entfernte Schauplatz. Symbolische und metaphorische Topologie Die Topografie lässt die symbolische Topologie bereits erahnen. Die geografischen Eigenschaften von Islamorada werden in der Mise en Scène ästhetisch eingesetzt, um den diegetischen Raum einer weitge- hend isolierten und engen Gemeinschaft zu schaffen. Dies betrifft vor allem die Rayburn-Familie, deren Mitglieder als mehr oder weniger gefangen auf der Insel gezeigt werden. Die Eingangssequenz der Serie verfolgt Danny, der sich Islamorada mit dem Bus nähert. Mit Zweifeln hinsichtlich seiner Rückkehr kämpfend, verlässt er den Bus an einer früheren Station – um gegen Ende der ersten Folge schließlich doch im Elternhaus anzukommen und, mit kurzen Unterbrechungen, für immer dort zu bleiben. Andere Familienmitglieder wie Sally, Meg und John versuchen in Momenten tiefer Krise vergeblich, den Ort zu ver- lassen. Erst nach einem existenziellen Bruch mit den Familienbanden gelingt Einzelnen am Ende die Flucht. Die Insel wird als ein zentrales Raummotiv damit metaphorisch in Szene gesetzt: ‹Familie ist ein von Natur umschlossener Ort›. Mit Blick auf die durch die Kamera hervor- gehobene Fragilität der schmalen Insel und der omnipräsenten Macht Fahlenbrach: Metaphorische Räume in komplexen Fernsehserien 53 des umgebenden Meeres generiert die Mise en Scène ein weiteres metaphorisches Konzept: ‹Familie ist ein Ort, der von einer flüssigen natürlichen Kraft umgeben ist›. Die zuvor erwähnten Kamerafahrten auf das Rayburn-Hotel und die Narration unterstützen dies. Während der zweiten und dritten Staffel steigt das Wasser zunehmend durch den Hausboden herauf, und in der letzten Folge sagt ein Experte voraus, dass das Haus im Laufe der nächsten zehn Jahre untergehen werde. Dies wird von Sally mit den verzweifelten Worten kommentiert: «The sea takes everything! My children, my home …». Auf der globalen Ebene der Serienerzählung wird damit das zentrale metaphorische Raummotiv immer weiter spezifiziert: ‹Familie ist ein Ort, der durch eine aufsteigende flüssige Kraft bedroht wird›. Das regelmäßig gezeigte Meer bietet sich als ein symbolisches Raummotiv an, um die destruktiven Kräfte sinnfällig werden zu lassen, welche die Familie von innen heraus zerstören. Bezeichnenderweise sind alle traumatischen Ereignisse auf dem Meer verortet: Die kleine Sarah ertrinkt während einer Bootstour, Vater Robert erleidet eine Herzattacke an Bord; wird schließlich am Ende der ersten Staffel von seinem Bruder John ertränkt. Das Meer wird damit symbolisch und konzeptuell verbunden mit dem Familientrauma. Narration und Mise en Scène schaffen metaphorische Bedeutungen, wie ‹Familientrauma ist ein Sturz ins Meer›, ‹ist der Verlust von Körperkontrolle in einem flüssigen Raum›. Dies wird unterstützt durch wiederkehrende Flash- backs der traumatischen Ereignisse, die in Zeitlupe das ‹Ins-Meer-Fal- len› betonen – etwa in Erinnerungen von Danny und John an den Tod Sarahs. Das Wasser als filmische Metapher (vgl. Urios-Apararisi 2016) ver- sinnbildlicht in solchen Szenen die Kraft von Emotionen und spezi- ell den emotionalen Kontrollverlust der Figuren. Das Meer als rie- siger, eigendynamischer Raum macht die unvorhersehbaren und oft destruktiven Kräfte emotionaler Dynamiken in der Familie affektiv erlebbar. Expressive Topologien Wie andere komplexe Serien verwendet auch Bloodline eigene Aus- drucksformen, die im Erzählverlauf selbstreferenzielle Bedeutungen entfalten. Dies gilt besonders für das System aus Flashbacks, Flashfor- wards und Epiphanien toter Figuren sowie Detailaufnahmen, deren Bedeutungen sich erst nach und nach erschließen. Während der ers- ten Folgen erscheinen die integrierten Fragmente noch als dekon- textualisierte Segmente. Der erste Flashback zum Tod von Sarah etwa 54 montage AV 27 / 2 / 2018 1–3 Traumati­ taucht in S1E1 auf, während eines nächtlichen Tauchgangs von Danny. sche Flashback­ Die Montage verbindet sein aktuelles Tauchen mit einem anderen bei Erinnerungen Tageslicht, bei dem er Sarahs Kette unter Wasser findet, daneben wer- (BLOODLINE, S1E1). den verschwommene und bläuliche Bilder eines kleinen Mädchens gezeigt, das am Strand auf die Kamera zuläuft. Durch die Wiederholung dieser Erinnerungsbilder und die Ergän- zung um weitere Flashbacks zu Sarahs Tod, die unterschiedliche Erin- nerungen einzelner Figuren zum Ausdruck bringen, lassen sich die verschiedenen Momente schrittweise zu einem kohärenten Bild des damaligen Geschehens zusammenfügen. Die Montage erzeugt sol- cherart Erinnerungsdiskurse um dieses und weitere traumatische Erlebnisse, die sich mit den Ereignissen in der Gegenwart vermischen. Diese Erinnerungsdiskurse sind charakteristischerweise nun nicht auf einzelne Figuren bezogen, sondern es handelt sich dabei um einen Diskurs geteilter Erinnerung innerhalb der Familie. Dazu wird zuweilen ein und derselbe Flashback verbunden mit Erinnerungsbildern unter- schiedlicher Figuren. So sehen wir etwa in einer Sequenz in S1E2, wie Kevin Danny niederschlägt, weil er ihm die Schuld daran gibt, dass ihr Vater eine Herzattacke erlitten hat. 4–9 Geteilte Erinnerung Einstellungen von John, der dem Kampf der beiden zuschaut, wech- (BLOODLINE, S1E1) seln sich ab mit Einstellungen von Sally, die Robert im Krankenhaus Fahlenbrach: Metaphorische Räume in komplexen Fernsehserien 55 besucht. Eingefügt werden dann Bilder von Danny als Kind in dem- selben Krankenhaus – diese Erinnerung Sallys berührt ein weiteres Familientrauma: Danny wurde nach Sarahs Tod von seinem Vater krankenhausreif geschlagen, was von den behandelnden Ärzten und der Familie geheim gehalten wurde. Nach Sallys Epiphanie kehrt die alternierende Montage zurück zu John, der sich ebenfalls erinnert und im gegenwärtigen Kampf der Brüder plötzlich seinen prügelnden Vater über dem jungen, ihn hilfesuchend anschauenden Danny sieht. Die Flashbacks und Epiphanien verschmelzen zu einem Moment geteilter Erinnerung. Offensichtlich bezieht die Montage die Betrachter in die psycholo- gische Dynamik der Familie mit ein, indem sie diese mit verschiedenen und geteilten Perspektiven und Erinnerungen konfrontiert. Sie schafft damit eine spezifische raumzeitliche Ordnung, die weniger an einer linearen Chronologie von Handlungen und Ereignissen orientiert ist, als dass sie der assoziativen und emotionalen Dynamik traumatischer Erinnerungen und ihrer Bewältigung folgt. Der narrative Diskurs, der sich wesentlich in der Montage entfaltet, wird daneben strukturiert von Johns retrospektiver Voice-over-Erzählung – erst in der dritten Staffel offenbart sie sich als sein Geständnis gegenüber einem Poli- zeikollegen. Indem sie die verschieden perspektivierten Erinnerungen verbindet, erschafft die Montage in der globalen, staffelübergreifenden Erzählstruktur eine metaphorische Ausdrucksform: ‹Familientrauma ist gemeinsames fragmentiertes Sehen›. Dieses In-Szene-Setzen der Erinnerungen prägt wesentlich die emotionale Topologie. Vor allem das Rayburn-Haus wird wiederholt vor Familientreffen als deren Zen- trum gezeigt, oft in der Obersicht. Als eine zentrale Raummetapher (‹Familie ist ein Haus›) wird es in der Montage als ein Ort vorgeführt, an dem vergangene und gegenwärtige Traumata bzw. Konflikte kul- minieren. Die assoziative Struktur der Montage reichert das mentale Bild des Hauses also kontinuierlich mit Erfahrungen von Angst, Trauer und Schuldgefühlen an. Emotionale Topologien, Atmosphären und Stimmungen Die emotionalen Topologien der Serie erweisen sich somit als in den bisher aufgezeigten Dimensionen verankert. Dies gilt insbesondere für die traumatisch aufgeladenen Erinnerungsdiskurse und die mit ihnen verbundenen Orte. Im Folgenden sollen weitere Aspekte berücksich- tigt werden, welche die spezifisch emotionale Qualität der Räume und ihre ästhetische Inszenierung auszeichnet. Wie oben argumentiert, können affektive Gestalten von Atmosphären die Basis für lokale und 56 montage AV 27 / 2 / 2018 globale Stimmungen schaffen. Auf der globalen Ebene lassen sich zwei unterschiedliche Grundatmosphären um das Rayburn-Hotel beob- achten: Zunächst eine helle Atmosphäre bei Tageslicht, die uns die Familie in harmonischen Zusammenkünften zeigt; der sonnige Strand und das blaue Meer werden als Setting für eine positive, fröhliche Stimmung genutzt, verbunden mit dem Lachen und Reden der Figu- ren als Stimmungsreize. Allerdings beschränkt sich dies weitgehend auf die ersten zwei Folgen, denn danach wird das Haus zunehmend bei Nacht gezeigt und, vor allem in dramatischen Szenen, bei starkem Regen. Diese dunkle Atmosphäre legt die Grundlage für bedrückende, teilweise katastrophische Stimmungen, verbunden mit Konflikten, Krisen und neuen traumatischen Ereignissen. Eine stark verdichtete Komposition von Atmosphären, Stimmun- gen und emotionalen Topologien wird am Übergang von der zweiten zur dritten Staffel geschaffen. Am Ende von S2E10 wie zu Beginn von S3E1 wird ein und dieselbe Nacht geschildert, in der ein weiteres traumatisches Ereignis stattfindet und John versucht, von Islamorada zu fliehen. Die Montage alterniert zwischen Kevin während und nach seiner Ermordung des Polizisten Marco, Johns Flucht auf dem High- way sowie Meg, die in ihrem Elternhaus Sally die Wahrheit über Dan- nys Ermordung durch John offenbart. Diese drei Handlungsstränge werden über den Episodenwechsel hinaus durch die Montage auch zeitlich gedehnt und ihnen somit als dramatischem und emotionalem Kulminationspunkt eine besondere Bedeutung zugeschrieben. Mise en Scène und Montage verdichten 10–15 Expres­ die globale bedrückende Stimmung als affektiven Hintergrund für die siver Montage­ raum (BLOODLINE, in Mimik und Körpersprache der Schauspieler ausgedrückte Angst, S2E10 u. S3E1). Panik und Resignation. Abermals akzentuiert wird die psychische Fahlenbrach: Metaphorische Räume in komplexen Fernsehserien 57 Dynamik zwischen den Familienmitgliedern durch die verdichtete Inszenierung dreier Handlungsräume: das Haus des ermordeten Poli- zisten Marco, der Highway, über den John flieht, und das Rayburn- Hotel mit Meg und Sally. Alle drei sind atmosphärisch durch audio- visuelle affektive Gestalten verbunden, die sich über cross-modale Intensitäten und Tempi vermitteln: Nachdem Kevins Tat als starker Emotionsauslöser gezeigt wurde, wird das Tempo von Kamera- wie Figurenbewegungen und der Musik an allen drei Orten für einen Moment verlangsamt. Selbst das Tempo der Flucht ist subjektiv ver- mindert, indem die Kamera John bewegungslos in seinem Wagen zeigt, regungslos auf die Straße starrend. Im Kontrast zu den vorausge- gangenen dramatischen Ereignissen und dem emotionalen Stress der Figuren intensiviert diese Verlangsamung affektiv die Spannung, die sowohl aus der globalen Entwicklung der Serie hervorgeht als auch aus den lokalen Ereignissen. Ihre Intensität wird unterstützt durch die Musik und weitere Klänge: Einzelne Geräusche wie ein leises, kon- stantes Wummern, das Herzschlag oder Atmen assoziiert, wie die lang- sam ansteigenden hochfrequenten Töne evozieren eine übergreifende affektive Anspannung. Daneben vermitteln Grillenzirpen und andere Tiergeräusche die durchgängige Präsenz wilder Natur als eines poten- ziell bedrohlichen Raums. Außerdem wird die Montagesequenz musi- kalisch stellenweise begleitet von einem getragenen Choral, der eine religiöse Schicksalsergebenheit vermittelt und eine Stimmung trauri- ger Resignation schafft. Das Tempo der Montagesequenz wird leicht erhöht, als Kevin nach dem Mord aus Marcos Haus flieht und durch die Sumpfwälder in Richtung des Hotels rennt. Dazwischen geschnitten sind Einstellungen eines Krokodils, das langsam an Land geht und dann Richtung High- way kriecht. Die Montage alterniert schließlich zwischen dem Kro- kodil und John im Auto als zwei sich konstant vorwärts bewegenden Kräften, die kollidieren, als das Tier auf dem Highway von John über- fahren wird. Das cross-modale Tempo und die Anspannung erhöhen sich dann noch einmal gegen Ende der Sequenz durch andere Inserts, als ein Hotelgast von Sally seinen Hund sucht. Während wir sehen, wie der bellende Vierbeiner Kevins Fußspuren folgt, hören wir aus dem Off seine Besitzerin mit wachsender Ungeduld nach ihm rufen. Die Montage intensiviert damit auch immer wieder die Komposition von Spannung, Atmosphären und Stimmungen durch Momente dra- matischer Unterbrechung. Dies wird besonders wirksam eingesetzt, als Sally erkennt, dass ihr Sohn John tatsächlich seinen eigenen Bruder umgebracht hat. Nachdem Meg sie mit dieser Wahrheit konfrontiert 58 montage AV 27 / 2 / 2018 hat, zwingt sie ihre Mutter, diese selbst auszusprechen. Die Kamera zeigt Sally von vorne, aus dem Fenster schauend, visuell gerahmt vom Fenstergitter und akustisch begleitet von einem ansteigenden, hoch- frequenten Klang. Während wir auf ihre Reaktion warten, erklingt das Läuten eines Mobiltelefons. Die Montage wechselt zu John, der auf sein Display schaut, das den Anruf seiner Frau anzeigt, den er unter- drückt. Dann wird der kleine, in hohem Ton bellende Hund gezeigt, der immer noch von seiner Besitzerin gerufen wird, darauf folgt ein kurzes Insert des langsam an Land gehenden Krokodils, und erst dann kehrt die Montage zu Sally am Fenster zurück, die endlich leise flüs- tert: «John – John killed him.» Sallys aufsteigende Erkenntnis vom Ausmaß der Schuld in ihrer Familie wird durch die Montage zeitlich gedehnt, wobei die verschiedenen Orte und Szenarien als affektiver Hintergrund verschmelzen. Durch die ästhetisch reichhaltige, metaphorisch genutzte Mise en Scène macht die Serie in ihren übergreifenden Atmosphären, Stim- mungen und Topologien tiefere Erkenntnisse und moralische Ein- sichten räumlich sinnfällig. Thematisch behandelt sie psychologische, teilweise psychotische Dynamiken innerhalb von Familien und zeigt, wie Rollen durch unausgesprochene Erwartungen, Vorurteile und tief verankerte Bedürfnisse der einzelnen Mitglieder entstehen kön- nen. Dabei greift sie moralisch aufgeladene biblische Stoffe auf wie die von ‹Kain und Abel›, der ‹Rückkehr des verlorenen Sohnes› oder der apokalyptischen Sintflut. Die reichhaltige Ästhetik der Räume trägt wesentlich dazu bei, dass die Zuschauer solch kollektiv veranker- tes Mythenwissen und damit verbundene tiefere Erkenntnisse sinn- haft erfahren. Dies betrifft etwa die Inserts mit dem Krokodil: Als ein wildes, kaltes, gefährliches, aus dem Wasser auftauchendem Tier ist es ein weiteres metaphorisches Motiv für die Macht von Schuld und Angst, die innerhalb der Familie hervorbrechen. Über den Verlauf einer Serie ist es gerade das langsame Gewahr-Werden der symboli- schen und emotionalen Bedeutungen von Räumen, welche diese als reichhaltig und komplex erleben und schätzen lassen. So erzeugen die Rauminszenierungen und der Stil der Montage in Bloodline eine metareflexive Ebene, die diese semantischen Netzwerke durchdringt: Die kollektive Familienschuld wird als ein ‹geteilter affektiver Raum› vermittelt. Bildkomposition und Sounddesign schaffen eine langsame, aber konstant ansteigende Anspannung, welche den Hintergrund bil- det für die Inszenierung von Angst und Trauer. Fahlenbrach: Metaphorische Räume in komplexen Fernsehserien 59 Literatur Bartsch, Anne (2010) Embodied Emotion Metaphors in Moving Images. In: Embodied Metaphors in Film, Television, and Video Games: Cognitive Approaches. Hg. v. Kathrin Fahlenbrach. London/New York: Routledge, S. 202–217. Bruun Vaage, Margrethe (2016) The Antihero in American Television. New York: Routledge. Butler, Jeremy (2010) Television Style. New York: Routledge. Coëgnarts, Maarten / Kravanja, Peter (Hg.) (2014) Metaphor, Bodily Mean- ing, and Cinema. Themenheft von Image and Narrative 15,1, S. 1–4. 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