ffk Journal Film- und Fernseh- wissenschaftliches Kolloquium Lars Robert Krautschick/Julian Neckermann München Zeitpunkte, an denen das Blut strömt Beobachtungen zur Entwicklung einer kleinen ‚Geschichte des Blutes‘ Abstract: In diesem Artikel werden ausgewählte Zeitpunkte innerhalb der Filmgeschichte markiert, die entscheidende Beobachtungen über die Entwicklung des Splattergenres zulassen. So wird ver- sucht, mit den Positionen Distribution, Rezeption und Ästhetik drei Forschungsansätze vorzufor- mulieren, mit denen sich die Entwicklung des Splattergenres und damit eine mögliche Bewegung dieses Genres vom ‚I-Stream‘ zum ‚Mainstreamgenre‘ nachzeichnen lässt. Somit kann wiederum eine weitere Perspektive auf das Thema ‚I-Stream‘ selbst eröffnet werden. _______ Lars Robert Krautschick (Dr. phil.), Wissenschaftlicher Mitarbeiter sowohl am Institut für Theaterwissenschaft als auch bei dem Lehrqualifikationsprogramm PROFiL der Ludwig-Maximilians-Universität München. Promo- tion in Kulturwissenschaften & Ästhetische Kommunikation an der Universität Hildesheim mit der Publikation Gespenster der Technokratie (Bertz+Fischer 2015). Aktuelle Forschungsschwerpunkte sind Hyperrealismus in Film und Theater, Satire und Parodie, Medienreflexionen sowie Blended Learning. Julian Neckermannn (M. A.), Drehbuchagent in der Agentur Free X, München. Master of Arts in Theaterwis- senschaft (Schwerpunkt Film) am Institut für Theaterwissenschaft der LMU mit der Arbeit Corporeal Collective – Überlegungen zur Subjekt-/Objektkonstitution, zum Science-fiction-Film und zur postkapitalistischen Bildökonomie. Fachliche Schwerpunkte: Performance Art, Affekttheorie und Horrorfilm der 1970er bis 1990er Jahre. Letzte Veröffentlichung: „Zum Körper wird hier die Zeit“. In: Drewes, Miriam et al. (Hrsg.): (Dis)Positionen Fernsehen & Film. © AVINUS, Hamburg 2017 Curschmannstr. 33 20251 Hamburg Web: www.ffk-journal.de Alle Rechte vorbehalten Lars Robert Krautschick/Julian Neckermann | Zeitpunkte, an denen das Blut strömt 1. Eine ‚kleine Geschichte des Blutes‘ Der Begriff I-Stream zielt auf das Verständnis einer massenhaften Bewegung ab, in der Strategien zur Indivi- dualisierung künstlerischer Medieninhalte von Usern (oder Rezipienten) herangezogen werden, um sich paradoxerweise von der Masse abzugrenzen. Diese verstärkt auftre- tende Tendenz endet in einer Massenbewegung vieler Individuen hin zu Subkulturen und bildet damit eine kulturelle Hauptströmung (Mainstream)1. In der Vorbereitung zum Vortragspanel „Mainstream ≈ I-Stream: Positionsmarkie- rung zu (un)populären Phänomenen“ für das 28. FFK in Mannheim haben wir uns die Frage gestellt, inwiefern eine ‚kleine Geschichte des Blutes‘ dazu beitragen kann, dieses Phänomen des I-Stream engzufassen. Wir haben uns letztlich in unse- rer Untersuchung darauf fokussiert, die Sichtweisen auf I-Stream um die kulturge- schichtliche Entwicklung eines Genres von der Subkulturalität zum Mainstream zu erweitern. Als Fallbeispiel dient uns hierfür in diesem Artikel das Splattergenre, das mit seinen visualisierten ‚Blutströmen‘ eine mit Augenzwinkern gemeinte Pa- rallele zum Wortteil ‚Stream‘ bietet. Ein allumfassender Überblick kann bei der Kürze des Artikels nicht gegeben werden, wenn dabei noch etwas theoretischer Tiefgang vermittelt werden soll, weshalb unsere Auswahl auf spezifisch ausge- wählte ‚Zeitpunkte, an denen das Blut strömt‘ gefallen ist, die stellvertretend für einen Überblick eine Auswahl an Entwicklungsstadien beinhaltet. Somit werden zumindest entscheidende technische wie auch ästhetische Paradigmenwechsel des 55 Genres von seinen Anfängen bis in das 21. Jahrhundert hinein reflektiert. Zu genannter Auswahl gehören schließlich auch die oftmals beschworenen Anfän- ge mit frühen Stummfilmen wie Mysterien eines Frisiersalons (DE 1923), in dem üb- rigens – neben Karl Valentin und Liesl Karlstadt – der Vampirdarsteller Max Schreck auftritt, dessen spezifische Physiognomie zusätzlich den erhabenen Mo- ment in dieser ansonsten heiter-surrealen Groteske unterstreicht. Im Film säbelt der Barbier (Valentin) seinem Kunden – statt ihn einer ordentlichen Rasur zu un- terziehen – versehentlich den Kopf vom Rumpf. Unter anderem mit dieser Szene wird der Splatter zu Beginn des 20. Jahrhunderts in den Film hinein geboren: ein Genre also, das sich über den ästhetischen Umgang mit visuell präsentierter Ge- walt sowie mit veranschaulichten Gewaltresultaten definiert2 und dessen Fortent- wicklung mit der Perspektive I-Stream auf den nächsten Seiten eingehender be- handelt werden soll. 2. Nur für Sadisten geeignet Zwar spielt das Blut in Mysterien eines Frisiersalons gegenüber der komikbehafteten Gewalt eine untergeordnete Rolle, zumal es im Schwarzweißfilm farblich nicht 1 Krautschick 2015: Anm. 15. 2 Köhne/Kuschke/Meteling 2012: 9–16, hier 10. ffk Journal | Dokumentation des 28. Film- und Fernsehwissenschaftlichen Kolloquiums Vol. 1 (2017) Lars Robert Krautschick/Julian Neckermann | Zeitpunkte, an denen das Blut strömt hervorsticht. Zumindest ist jedoch am jeweiligen Halsende des Enthaupteten ein dunkler Fleck zu erkennen, der vermuten lässt, dass sich wohl auch zu diesem Zeitpunkt Gedanken gemacht werden, wie Blut auch in schwarzweiß visualisiert werden könne. Letztlich ist es in dieser Szene wie auch in allen Folgefilmen des Splattergenres (trotz der grotesken Situationskomik) der Anspruch, die Gewalt so realistisch wie möglich aussehen zu lassen, selbst wenn die Situation noch so ab- surd wirkt.3 Dabei sind Regisseure teilweise auf ebenso absurde Experimente ver- fallen, um Blut im Schwarzweiß-Film auch wie Blut wirken zu lassen. Alfred Hit- chcock verwendet bspw. nach heutigen Erkenntnissen für die bekannte Duschsze- ne in Psycho (USA 1960) Bosco-Schokoladensirup, um einen Blutstrom zu simulie- ren, da ihm alles weitere auf Film gebannte anscheinend zu wenig authentisch er- scheint.4 Dieses Experiment gelingt ihm allerdings drei Jahre nachdem Blut bereits erstmalig rot über die Leinwand geflossen ist, denn 1957 eröffnet Hammer Film Productions Ltd. mit roten Blut in Eastmancolor seinen Horrorfilmreigen in Groß- britannien: The Curse of Frankenstein (GB 1957) ist damit als stetig wiederzitierter Meilenstein in die Splatter-Historie eingegangen.5 Nicht allein deshalb weil das erste Mal rotes Blut in einem Film fließt, sondern auch weil er „im Jahr seiner Erst- aufführung 1957 weltweit ein riesenhafter Kassenerfolg [ist] und […] Peter Cushing und Christopher Lee zu internationalem Starruhm [verhilft]“.6 Hammer wird mit diesem und den Hammer-Folgefilmen zu einer Marke in Sachen Horror und beweist v. a. mit den Arbeiten von Regisseur Terence Fisher in East- mancolor, dass Leinwandblut durchaus eine Materialität vortäuschen kann. „Fis- 56 her frönte dem Naturalismus mit einem Blutrot von Eastmancolor, das die Labor- szenen herrlich ausschmückt. In der Zelebrierung von Blut und Gewalt näherte er sich stark dem Grand Guignol oder den blutig-bunten Filmcomics an. Denn bunt sollte es sein und aufdringlich“.7 Gleichzeitig „legte [Fisher] großen Wert auf die Glaubwürdigkeit der Darstellungen. Zumindest während der Vorstellung soll der Zuschauer der Illusionsbilder auf der Leinwand vollständig erliegen.“8 Beinahe ebenso aufdringlich wie Oetjen die Farbe beschreibt, erscheint sie trotz veränderter technischer Verhältnisse noch heute: Ausnahmslos jede rote Flüssigkeit in Ham- mers Filmen – von Soße bis Rotwein – wirkt Blut-rot, weshalb jedwede rote Flüs- sigkeit wirkungsvoll zu einer Grundstimmung von omnipräsentem Blut beiträgt. Auf diese Weise verdient sich Hammer den Ruf, einen unverwechselbaren Stil zu besitzen – den ‚Hammer-Stil‘9, wozu definitiv das Eastmancolor-Rot zählt, in das 3 Vgl. Krautschick 2016: 12 & Anm. 32. 4 Jackson 2010. 5 Zitiert wird Christopher Lees Performance als monströse Kreatur in Filmen wie Day of the Dead (USA 1985) durch Sherman Howard (vgl. Oetjen 1995: 40). Aber auch insgesamt be- einflusst Hammer mit seinen Filmproduktionen heutige Splatterfilmemacher wie Eli Roth (vgl. Forshaw 2013: 36). 6 Oetjen 1995: 9. 7 Ebd.: 33 f. 8 Ebd.: 157. 9 Vgl. Hutchings 1993: 5; Oetjen 1995: 151. ffk Journal | Dokumentation des 28. Film- und Fernsehwissenschaftlichen Kolloquiums Vol. 1 (2017) Lars Robert Krautschick/Julian Neckermann | Zeitpunkte, an denen das Blut strömt selbst die Titeleinblendungen gefärbt sind – und ebenso verdient sich Hammer das von Kritiker Campbell Dixon im Daily Telegraph (4. Mai 1957) eigens für Hammer erdachte Prädikat „‚SO‘ […]; for Sadists Only“10. Dieses Prädikat findet Anklang bei einer größeren Publikumsschicht, nachdem dessen Verlangen nach Science-Fiction-Filmen, die das Genre des Fantastischen Films in den 1950er Jahren dominierten, abgeklungen ist und Horror diese als si- chere Einnahmequelle ersetzt, wodurch die kleine Produktionsfirma Hammer ge- nug Geld für mehrere Filmproduktionen einnehmen kann. Allerdings – und dies liest man aus den divergenten Meinungen von Publikum und Kritik heraus – be- wegt sich der Splatter mit dem Hammer-Stil noch tief im Bereich des B-Movies und erreicht deshalb allein einen erweiterten Kreis an individuellen Liebhabern, aber eben doch kein Mainstream-Publikum. Aus Hammers Aufstieg lassen sich je- doch drei Dispositive der Splattergenre-Entwicklung bis zum Ende der 1960er Jah- re ablesen: (1) die filmtechnische Weiterentwicklung (Eastmancolor), (2) eine un- verwechselbare Ästhetik (Hammer-Stil) und (3) eine veränderte Rezeptionshaltung bezüglich filmischer Inhalte sowie eine damit einhergehende Schaulust auf Seiten mehrerer Individuen. Hammer erzielt letztlich mit dem Zusammenwirken dieser drei Dispositive durch- aus Gewinne; zumindest bis zur Liquidation der Partner-Verleihfirma Exclusive 1968. Denn ab diesem Zeitpunkt fällt es Hammer schwer, überhaupt noch Publi- kum für die eigenen Filme zu gewinnen. Dies mag einerseits daran liegen, dass gleichzeitig eine Krise die gesamte britische Filmindustrie erfasst,11 andererseits 57 kommt es nach einem Jahrzehnt voller Hammer Horror beim Rezipienten sicher- lich zu einer Hammer-Übersättigung, die dadurch bekräftigt wird, dass der Ham- mer-Stil bereits Ende der 1960er Jahre von einer anderen Art Film – dem Splatter – abgelöst wird, die wesentlich expliziter Gewalt und Sexualität miteinander zu kombinieren weiß. 3. Vom Verbergen zum Zeigen: Die Betonung des versehrten Körpers Eine wichtige Weiterentwicklung des Splatters findet schließlich sechs Jahre nach Curse of Frankenstein statt. Bereits dieser Hammer-Film geht sprichwörtlich an das ‚Eingemachte‘, denn neben leuchtend rotem Blut bekommt man aus dem Schädel entfernte Augen und auch ein Gehirn zu sehen. Weniger drastisch fällt dahinge- hend Hitchcocks Psycho aus. Was jedoch beide Filme gemein haben und was sich schließlich 1963 mit Blood Feast (USA 1963) ändern soll, ist, dass der Akt der Ver- wundung und die offene Wunde eben nicht gezeigt werden. Zwar wird auf Fran- kensteins Monster geschossen, aber ein zu erwartendes, klaffendes und blutendes Einschussloch bleibt aus. Und Hitchcock schneidet so geschickt, dass zwischen die 10 Zit n: Oetjen 1995: 30; vgl. Forshaw 2013: 39. 11 Oetjen 1995: 21. ffk Journal | Dokumentation des 28. Film- und Fernsehwissenschaftlichen Kolloquiums Vol. 1 (2017) Lars Robert Krautschick/Julian Neckermann | Zeitpunkte, an denen das Blut strömt Ursache einer Verwundung (in Form eines herabsausenden Messers) und den Ef- fekt (also die Verwundung) eine Leerstelle tritt, die letztlich die Zuschauer_innen imaginativ ausfüllen. Nur das abfließende Blut in der Duschwanne zeugt davon, dass tatsächlich eine Verwundung stattgefunden haben mag. 1963 wird nun Blood Feast veröffentlicht. Der Film beginnt damit, dass eine Frau ein Bad nimmt; Morde an Frauen in Badezimmern scheinen aus dramaturgischen Gründen äußerst beliebt, da man bei der Waschung in der Wanne aus plausiblen Gründen nackt ist und die Tötungen so sexuell aufgeladen werden – ein Umstand, auf den auch die Herausgeber des von der Humboldt-Universität geförderten Ta- gungsbands Splatter Movies hinweisen.12 Während der Duschszene in Blood Feast wird im Radio eine Warnung gesendet, dass Frauen nach Anbruch der Dunkelheit nicht allein unterwegs sein sollen. Es dauert gerade mal eine Minute und 51 Se- kunden bis das erste Auge ausgestochen wird. Danach beginnt der psychopathi- sche Mörder, das linke Bein seines Opfers abzutrennen. Aber auch hier bleibt der Akt der Verwundung aus. Der Prozess der Körperversehrung wird durch die Montage repräsentiert. Was Blood Feast hierbei von seinen Vorgängern unterschei- det, ist der Zeigevorgang der körperlichen Wunde. Zweimal erfolgt ein Schnitt auf das ausgestochene Auge, wobei die Umsetzung dieser Wunde in ihrer technischen Ausgestaltung noch sehr unbeholfen wirkt – vielmehr erkennt man im Gesicht der Frau ein rotes undefinierbares Etwas und an der Waffe des Mörders ein Augen- unähnliches Stück Fleisch, das allerhöchstens an ein Stück Leber in Kombination mit Erdbeermarmelade erinnert. Das abgetrennte Bein hat hingegen aufgrund des 58 nacherlebbaren Abtrennvorgangs wie auch der wiedererkennbaren Gliedmaßen- verstümmelung eine realistischere Wirkung. Damit kann zu diesem Zeitpunkt be- reits von der Ausdifferenzierung zweier ästhetischer Modi gesprochen werden. Splatter bezeichnet lautmalerisch das Spritzen des Blutes und verlagert den Fokus auf die „Materialität und Medialität des Körpers“.13 Eine Konkretisierung des Splatter-Modus ist dem Gore-Film inhärent, der den Akt der Versehrung und die maximale Sichtbarmachung der Wunde wie auch des Körperinneren auf die Lein- wand bannt. Der Gore-Film kommt mit seiner Zeige-Ästhetik dem Pornofilm noch am nächsten.14 Und tatsächlich sind die ersten filmischen Gehversuche des Blood Feast-Regisseurs, Herschell Gordon Lewis, Sexfilme. Von diesen wendet er sich je- doch ab, sobald er die höhere Verkaufbarkeit von Gewalt erkennt.15 Doch wie kommt es eigentlich dazu, dass immer mehr Explizites gezeigt wird? Zum einen ist nur bis in die späten 1950er Jahre der sogenannte Hays- oder Pro- duction Code in Kraft, der die sexuellen und gewalttätigen Filminhalte reguliert. Die Durchsetzung des Codes wird aber stetig schwieriger. Gerade aufgrund der Nachwirkungen der Wirtschaftskrise wächst in Künstlern das Bedürfnis, die poli- tisch pessimistische Stimmung in ebenso pessimistische Bildsprache zu übersetzen 12 Köhne/Kuschke/Meteling 2012: 9–16, hier 11. 13 Ebd.: 11. 14 Vgl. Höltgen 2012: 23; Meteling 2003. 15 Vgl. Meteling 2003. ffk Journal | Dokumentation des 28. Film- und Fernsehwissenschaftlichen Kolloquiums Vol. 1 (2017) Lars Robert Krautschick/Julian Neckermann | Zeitpunkte, an denen das Blut strömt – wie es bspw. auch im Film-noir der Fall ist – oder – im Falle der Zuschauer_innen oder Betrachtenden – diese pessimistische Bildsprache zu rezipieren. Zum anderen verbessert sich die Technik, die es ermöglicht, Gewaltauswirkungen überhaupt glaubwürdig vorzuführen. Exakt darum geht es: Die Bilder sollen so authentisch wie möglich wirken. Dabei spielen sicher auch vergleichbare reale Gewaltbilder aus Kriegsberichterstattung über z. B. den Vietnam- oder später auch den Kosovo- krieg eine Rolle, die nachahmbare Vorlagen für Make-up-Artists etc. mit hohem Wiedererkennungswert schaffen. Wozu jedoch benötigt der Rezipient unbedingt originäre Bilder? Als Beweis, dass wirklich ein Krieg herrscht? Oder sind sie nicht selbst ein Spektakel, eine Sensation? Hand aufs Herz: Die wachsende Produktion von Splatter- und Gore-Filmen steigt nicht deshalb an, weil es die Produzenten aus reinem Spaß an der Freude machen, vielmehr reagieren sie damit auf eine wachsende Nachfrage, die stetig da gewesen ist: Schließlich bedienen die Schindung des Marsyas bei Ovid und deren bildliche Umsetzungen durch die Jahrhunderte hindurch ebenfalls eine Schaulust: Es kann ein Blick auf etwas geworfen werden, was die Haut eigentlich verschleiert. Darstel- lungen der Häutung und der Folter und deren Funktion der Lustbefriedigung fol- gen schon seit Jahrhunderten – wenn nicht sogar Jahrtausenden – einem Bedürfnis, das womöglich zum Menschsein dazugehört.16 So konstatiert Kunsthistoriker und Kultursoziologie Roland Seim in einer schriftlichen Stellungnahme, die u. a. auch zur Streichung des Films Texas Chainsaw Massacre (USA 1974) von der Liste ju- gendgefährdender Medien der Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien 59 (BPjM) geführt hat: „Vor allem körperbetonte Genres wie Horror und Pornogra- phie erregen schwer kontrollierbare Gefühle wie Angst oder Lust. Sie rühren damit an den tendenziell ebenso anarchischen wie archaischen Faszinosa Sex und Tod, die die stärksten Reize darstellen. Da man den eigenen Tod nicht (bzw. nur einmal) erleben kann, stillen wir unsere Neugier darüber durch das Betrachten im Film“.17 Er führt jedoch weiter aus, dass es Jugendschützer und Juristen für sich beanspru- chen, „die Gesellschaft vor solchen medialen Exzessen zu bewahren. Man wendete die für das soziale Zusammenleben gültigen Moralvorstellungen auch auf fiktive Kulturobjekte an“.18 Gabriele Meierding äußert sich dazu wie folgt: „Über die Kon- trolle der Bilder glaubt man eine Kontrolle über die Wirklichkeit zu bekommen“.19 4. Video Nasties Gerade in den 1970er Jahren – und vermehrt noch in den 1980er Jahren – greift das sogenannte Exploitation-Genre20 auf das asiatische Kino über: Diese ‚J-ploitation- 16 Ebd. 17 Seim 2008: 62. 18 Ebd.: 2 & 60. 19 Meierding 1993: 73. 20 Zu Exploitation vgl. den folgenden Abschnitt „5. Verfemung und Rehabilitation: Der Splatterfilm hält Einzug in das Mainstreamkino“ in diesem Artikel. ffk Journal | Dokumentation des 28. Film- und Fernsehwissenschaftlichen Kolloquiums Vol. 1 (2017) Lars Robert Krautschick/Julian Neckermann | Zeitpunkte, an denen das Blut strömt Filme‘ bereichern schließlich das Rape-&-Revenge-Kino bspw. mit dem Sasori- Zyklus (JP 1972–73), mit Produktionen wie Shurayukihime (JP 1973) oder in den 1980er Jahren mit der noch bekannteren Guinea Pig-Reihe (JP 1985–89), indem sie Sexualität und Gewalt in direktem Zusammenhang vorführen. Als Eastern- Zitation nehmen derartige Filme wiederum Einfluss auf das europäische wie auch das US-amerikanische Kino. Selbst Hammer folgt mit The Legend of the 7 Golden Vampires (GB/HK 1974) dem Trend, den Eastern zu kopieren, stürzt damit aller- dings tiefer ins wirtschaftliche Verderben.21 Das einschneidenste Dispositiv für den Splatterfilm in den 1980er Jahren ist jedoch definitiv die Weiterentwicklung der Kaufvideokassetten auf dem VHS-Markt, der 1956 mit dem Videorekorder-Modell Ampex seinen Ausgang nimmt. In den 1980er Jahren schießen schließlich Videotheken wie Pilze aus dem Boden. Gleichzeitig werden gewisse Vorwürfe gegenüber dem damals neuen Medium Video laut, die Kate Egan mit dem Schlagwort „Video Nasties“22 betitelt. Tobias Haupts resümiert: Bekam die Debatte um das Genre des Horrorfilms gerade in den 1980er Jahren durch die Vermarktung der Filme auf Videokassette eine politische und soziokulturelle Brisanz, so wurde dabei stets das Schreckgespenst des Horrorfilmfans beschworen, der Filme nicht mehr als ganzen Medientext rezipiert, sondern die Filme in einem Modus der Stellenlek- türe aufnimmt.23 Das breitere Angebot an Splatterfilmen bzw. der vereinfachte Zugang zu diesem Genre per Videokassette und per Videothek vergrößert ebenfalls den Konsumen- tenkreis. Die Ursache dafür, dass die Rezipientenwahl überhaupt auf den Splatter 60 fällt, findet man in Stigleggers Seduktionstheorie: Film ist durch eine Vielzahl von seduktiven Mechanismen [...] in der Lage, den Zu- schauer selbst in eine ethisch problematische Situation zu bringen [...] [, die] den Zu- schauer zu einer souveränen Position verführen soll, ihm scheinbar die ‚Verfügungsge- walt‘ über Schicksal und Körper der Protagonistinnen [...] verleiht.24 Zudem bleibt den Genrefans kaum eine andere Möglichkeit als kontinuierlich zu konsumieren, denn die Splatterfilme zitieren sich unaufhörlich gegenseitig. Um diese Zitate in Bezug setzen zu können und zu kontextualisieren, muss dem Rezi- pienten die Bezugsquelle bekannt sein, d. h. in diesem Fall: Es müssen stets neue Splatterfilme angeschaut werden, die entweder selbst eine Bezugsquelle darstellen, weil sie zitiert worden sind, die andere Filme zitieren oder aber potenzielle zu- künftige Bezugsquellen darstellen könnten. Aus dieser Kultur entwickelt sich eine Community, die sich, um mit diesen Zitationen diskursiv umzugehen, zu Video- abenden etc. verabredet. Für diese Subkultur der Video-Communities besitzt die FSK-18-Wertung viel weniger eine abschreckende als eine verlockende Wirkung. 21 Oetjen 1995: 21. 22 Vgl. Egan 2007. 23 Haupts 2012: 60 f. 24 Stiglegger 2010: 21 f. ffk Journal | Dokumentation des 28. Film- und Fernsehwissenschaftlichen Kolloquiums Vol. 1 (2017) Lars Robert Krautschick/Julian Neckermann | Zeitpunkte, an denen das Blut strömt Denn die adoleszenten Sensation Seekers25 – so die Initiationsthese26, nach der Hor- rorfilmrezeption u. a. als Initiationsritual fungiert – suchen gerade diese als nicht- altersgerecht eingestuften Filme aus, um ihre unabhängige Individualität unter Beweis zu stellen. Deshalb ist dieses in den 1980er Jahren zu beobachtende Mas- senphänomen in dieser Konstitution auch wiederum dem I-Stream zuzuordnen. Vor allem das massenhafte Auftreten einzelner Video-Communities, die unabhän- gig voneinander agieren, dabei jedoch dem einen Genre ‚Splatter’ anhängen, be- schreibt das Phänomen I-Stream, bei dem verschiedene Individuen in Massen einer Subkultur folgen. Zuletzt soll noch ein weiteres phänomenales Verhältnis in Bezug zu Splatter in den 1980er Jahren adressiert werden: ein Verhältnis von Kritik und Filmen, das sich am ehesten als zirkulär oder spiralenförmig darstellt. Wie bereits bei Haupts und Egan anklingt, ist die öffentliche Kritik an den ‚Video Nasties‘ in den 1980er Jahren über- ragend. Insbesondere wird von Seiten pädagogischer Institutionen und gleicher- maßen von politischen Einzelstimmen die Gefahr betont, Jugendliche würden auf- grund der Rezeption von Splatterfilmen verdummen, vereinsamen, emotional ab- stumpfen oder eine höhere Gewaltbereitschaft an den Tag legen. Gerade diese öf- fentlich geäußerte Kritik bietet allerdings Regisseuren wie Michael Haneke oder David Cronenberg einen Anlass, diese Kritik kinematografisch umzusetzen. In Filmen wie Benny’s Video (AT/CH 1992) oder Videodrome (USA 1983) stehen daher Videos als Ursache für gewalttätige Reaktionen der Protagonisten im Handlungs- mittelpunkt. Die explizit visualisierte Gewalt in solchen Produktionen bietet jedoch 61 Kritikern wiederum einen Anlass, die Filme für ihre Gewaltdarstellung zu kritisie- ren… daraufhin reagiert wiederum das Splattergenre mit einem weiteren Filmout- put usw. Die ablehnende Haltung der Kritik wird neben der FSK-Kennzeichnung zu einem weiteren Prädikat für die Sensation Seekers. In den 1980er Jahren werden massenweise Filme – vor allem B- und C-Movies – auf den Markt gebracht, bei de- nen die Attraktionskompetenz von blutigen Bildern gegenüber einer narrativen Feingestaltung obsiegt. Unfreiwillige Komik oder fehlende Ernsthaftigkeit sind dabei oftmals die Folge, woraus sich in den 1990er Jahren schließlich das Genre in eine Richtung weiterentwickelt, die als Cool Violent Fun charakterisiert werden könnte und die dank Regisseuren wie Quentin Tarantino oder Robert Rodriguez letztlich auch für die große Leinwand tauglich scheint. 5. Verfemung und Rehabilitation: Der Splatterfilm hält Einzug in das Mainstreamkino Ein Begriff, der Hand in Hand mit Splatterfilmen geht, ist der der Exploitation. Hier drängt sich zwangsläufig die Frage auf, um wen oder was es sich da handelt, der oder das ausgebeutet werden soll: doch höchstens der Verbraucher, wenn ihm 25 Vgl. Zuckerman 1996: 147–160. 26 Vgl. Raschke 1996: 67–70; Twitchell 1985: 7 f.; Dietze 2006: 90 & 92 f. ffk Journal | Dokumentation des 28. Film- und Fernsehwissenschaftlichen Kolloquiums Vol. 1 (2017) Lars Robert Krautschick/Julian Neckermann | Zeitpunkte, an denen das Blut strömt ständig neue Schnittversionen präsentiert werden, die einen erneuten Kauf recht- fertigen. Dieser Begriff wirft ein Licht auf derartige Filme, als würden mit der Sen- sationslust des Publikums diese Menschen tatsächlich ausgebeutet, obwohl es sich – wie mit Seim im Folgenden deutlich wird – um fiktive Kulturobjekte und damit um fiktive Figuren handelt, die die Neugier der Rezipienten befriedigen. Beide Sei- ten – Produktions- wie auch Rezeptionsseite – erleiden somit keinen Schaden, son- dern erhalten gegenteilig exakt das, wonach es sie verlangt, weshalb schwerlich von Ausnutzung die Rede sein kann. Auf die Splatterwende der späten 1980er und 1990er Jahre soll an dieser Stelle aus Platzgründen nicht ausführlicher eingegangen werden. Doch es sind komikbehaf- tete Filme wie The Evil Dead (USA 1981), Return of the Living Dead (USA 1985) oder Braindead (NZ 1992), die uns mit den von Seim beschriebenen archaischen Reizen konfrontieren, welche so sehr mit dem Menschen verbunden sind. In ihrer grotes- ken Gewaltdarstellung sind sie schon fast über jedes Urteil erhaben. Was zählt, ist ein karnevalistisches Besudeln; was bleibt: lautes Lachen! Aber was uns als Forscher dabei verstärkt fasziniert, sind die Rückkopplungen, die in den 1990er und frühen 2000er Jahren stattfinden. Auch populäre Hollywoodfil- me wie Silence of the Lambs (USA 1991) oder Se7en (USA 1995) bedienen einen Splat- ter- bzw. sogar einen Gore-Kanon. Das wirkt sich jedoch wieder auf ältere soge- nannte ‚Schmuddelproduktionen‘ aus, die dadurch eine Rehabilitation erfahren.27 So wird der bereits angesprochene Film The Texas Chainsaw Massacre nach 25 Jah- ren vom Index gestrichen und ist 2012 erstmals ungeschnitten in Deutschland zu 62 sehen. Der Film ist auch deshalb indiziert worden, weil er die Zerteilung eines Menschen und das Aufhängen einer Frau an einem Fleischerhaken zeigt. So ist es zumindest der Begutachtung der Bundesprüfstelle 1982 zu entnehmen.28 Anschei- nend entfaltet der Film eine derartig intensive Wirkung, dass die Fantasie Szenen hinzu erfindet, obwohl es eine Tatsache ist, dass diese Szenen im Film selbst gar nicht vorkommen. Selbst Arno Meteling schreibt in seinem Essay „Wundfabrikati- on“, dass bei Blood Feast in Nah- und Großaufnahme die blutige Zerstückelung der nackten Frau gezeigt wird und sich die Badewanne mit dem austretenden Blut füllt.29 Auch diese Beobachtung erweist sich als falsch. Wie bereits weiter oben ausgeführt, ist die Zerstückelung nicht zu sehen und des Weiteren wird erstens gar nicht so viel Blut vergossen und zweitens dauert die Einstellung nicht lang genug, dass ein Befüllen der Wanne mit Blut zu sehen wäre. Dieses Weiterdenken von vi- sualisierter Gewalt durch den Perzipienten zeigt unserer Meinung nach, dass sol- che Bilder – kultur- und mediengeschichtlich bedingt – schon längst in uns existie- ren. Der Film und dessen dazugehöriges Splattergenre ist nicht das erste Medium, das derartige Phantasien bedient. Seine Verurteilung und Verfemung als Exploita- tion scheint uns daher nur schwer nachvollziehbar. 27 Vgl. Köhne/Kuschke/Meteling 2012: 10. 28 o. A. 1982: 24. 29 Vgl. Meteling 2003. ffk Journal | Dokumentation des 28. Film- und Fernsehwissenschaftlichen Kolloquiums Vol. 1 (2017) Lars Robert Krautschick/Julian Neckermann | Zeitpunkte, an denen das Blut strömt An dieser Stelle soll noch einmal das Gutachten von Seim herangezogen werden, der dazu anmerkt, dass The Texas Chainsaw Massacre explizit einen Fall darstellt, der paradigmatisch für das alte Dilemma beim Thema Horrorfilm, Mediengewalt, Jugend- schutz und Zensur [ist]. Jeder sieht solche Filme durch seine spezifische Berufsbrille: Für Fans und geneigte Filmwissenschaftler sind sie eine authentische Kulturform; für post- moderne Kunsthistoriker und Bildwissenschaftler können sie im Sinne eines erweiterten Kunstbegriffes des iconic turn phänomenologisch oder semantisch interpretierbare Pri- märdokumente der Kulturgeschichte sein; während Juristen darin Strafrelevantes und Jugendschützer bedenklichen Verrohungsschund erkennen. Dabei vermag niemand zu definieren was Kunst ist, wie etwa der Umstand zeigt, dass in Amerika ‚Das Kettensä- gen-Massaker‘ ins Museum [nämlich in das Museum of Modern Art in New York; Anm. d. V.], in Deutschland hingegen in die Asservatenkammer kam.30 Und tatsächlich scheint sich die Rezeption geändert zu haben: So beobachtet die FSK 2006, 2007 und 2008 einen deutlichen Anstieg der Zuschauer_innenzahlen in Kinos, die Filme zeigen, die dem Torture Porn zuzurechnen sind.31 Gerade ein Film wie Saw (USA/AT 2004) beeindruckt nicht allein durch seinen Einfallsreichtum, was die Tötungsarten von Menschen anbelangt, sondern auch durch dessen visuel- le Darstellung. Mit derlei Filmen scheint zu Anbeginn der 2000er Jahre ein Damm gebrochen: Die Besucherzahlen stimmen, das ehemalige ‚Schmuddelkino‘ wird zum Instrument der massentauglichen Befriedigung von Schaulust. 63 6. Fazit Ein letztes Mal sei aus Seims Gutachten zitiert, der für diese Entwicklung folgen- des fordert: „Sinnvoller als Verbote sind [...] aber eine Förderung der Medienkom- petenz und damit eine Auseinandersetzung mit dem Grundmysterien des Daseins, zu dem auch tabuisierte Grenzbereiche wie Tod und Gewalt gehören“.32 Und die Grenzbereiche sind nicht wegzudenken oder zu leugnen, sondern gehen Alle an; sie sind der Mainstream des Daseins und konstituieren unser Selbst als I-Stream. Der Begriff I-Stream eröffnet folglich mitunter eine neue Perspektive auf die Zu- sammenhänge von subkulturellen Phänomenen und deren Etablierung als Be- standteil einer Mainstream-ähnlichen Kultur. Ob der Begriff weitere Schlüsse über kulturelle oder soziale Zusammenhänge zulässt, muss sich noch erweisen. Der Splatter durchläuft in jedem Fall seit seiner Entstehung Prozesse, die ihn zu be- stimmten Zeitpunkten Mainstream-tauglicher werden lassen. Eine gegenläufige Bewegung ist ebenfalls feststellbar: Unbestreitbar lässt sich bspw. die Star Wars- Reihe zum Mainstream rechnen, was sich daran bemisst, dass ihr Bekanntheitsgrad nahezu omnipräsent ist, wohingegen ein Detailwissen über z. B. intradiegetische 30 Seim 2008: 61. 31 Goehlnich 2008. 32 Seim 2008: 61. ffk Journal | Dokumentation des 28. Film- und Fernsehwissenschaftlichen Kolloquiums Vol. 1 (2017) Lars Robert Krautschick/Julian Neckermann | Zeitpunkte, an denen das Blut strömt Figuren- oder Planetennamen, Robotermodelle etc. aus dieser Reihe nur einer we- sentlich kleineren Fancommunity innerhalb der gesamten Rezipientenschaft be- kannt ist. Das bedeutet, dass das Star Wars-Universum aufgrund seines allgemei- nen Bekanntheitsgrades durchaus als Mainstream charakterisiert werden kann, es gleichermaßen jedoch innerhalb dessen eine I-Stream-Bewegung gibt, durch deren Detailverliebtheit und genauere Beschäftigung mit dem Artefakt sich in Filmkos- tümen gekleidete I-Stream-Fans gemeinsam mit durchschnittlichen Mainstream- Zuschauer_innen zur Premiere des neuesten Star Wars-Teils einfinden. I-Stream selbst – und das lässt sich anhand der Entwicklung des Splattergenres nachzeichnen – setzt sich aus verschiedenen Individuen (sowohl Produzenten als auch Rezipienten) zusammen, die alle in Richtung einer kulturellen Ausprägung strömen. Mit der Zeit bildet sich somit eine breitere Fanbase/-community heraus, die Mainstream-ähnliche Züge aufweist, sich vom Mainstream jedoch durch ihr Detailwissen abhebt. An bestimmten Zeitpunkten befördern Dispositive diese Entwicklung, so dass sich der Strom erweitern kann. Für den Splatter ist schließ- lich ein entscheidender Schritt gewesen, vom Mainstream nicht mehr länger als unmoralisches Genre, sondern für seine Ästhetik bewertet zu werden, was ihn mitunter konsumierbarer werden lässt. Dementsprechend bildet das passende kurzgefasste Fazit für unsere Betrachtungen zum Splatter als I-Stream-/Mainstream-Phänomen letztlich ein Zitat von Thomas de Quincey, der in seiner recht amüsanten Vorlesung „Der Mord als eine schöne Kunst betrachtet“ Folgendes festhält: „Im übrigen aber hat jedes Ding zwei Seiten. 64 Den Mord z. B. kann man von seiner moralischen Seite betrachten, wie dies ge- wöhnlich von der Kanzel herab und im Old Bailey geschieht, oder man kann ihn ästhetisch würdigen, wie die Deutschen es nennen würden, d. h. mit Rücksicht auf den künstlerischen Geschmack“.33 Literatur Dietze, Gabriele (2006): „Bluten, Häuten, Fragmentieren: Der Splatterfilm als Schwellen- raum am Beispiel von THE TEXAS CHAINSAW MASSACRE und THE TEXAS CHAINSAW MASSACRE 2“. 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The Man Who Doesn’t Die/Guinea Pig 3: He Never Dies). JP 1986, Masayuki Kusumi, 39 min. Ginî piggu 4: Pîtâ no akuma no joi-san (Guinea Pig 4: Devil Woman Doctor), JP 1986, Hajime Tabe, 52 min. Za ginî piggu 5: Nôtoru Damu no andoroido (The Guinea Pig 5: Android of Notre Dame). JP 1989, Kazuhito Kuramoto, 51 min. Ginî piggu: Manhôru no naka no ningyo (The Guinea Pig 6: Mermaid in a Manhole). JP 1988, Hideshi Hino, 63 min. Gîni piggu: Zanatsu supesharu (The Guinea Pig 7: Slaughter Special). JP 1988, 73 min. Joshû 701-gô: Sasori (Sasori: Scorpion/Female Prisoner #701: Scorpion). JP 1972, Shunya Itô, 87 min. Joshû sasori: Dai-41 zakkyo-bô (Sasori: Jailhouse 41). JP 1972, Shunya Itô, 90 min. Joshû sasori: Kemono beya (Sasori: Den of the Beast). JP 1973, Shunya Itô, 87 min. 66 Joshû sasori: 701-gô urami-bushi (Sasori: Grudge Song). JP 1973, Yasharu Hasebe, 89 min. The Legend of the 7 Golden Vampires (Die sieben goldenenVampire). UK/HK 1974, Roy Ward Baker/Cheh Chang, 83 min. 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