IV S;enisc/Je Medien -B7 Udo Göttlich, Jörg-Uwe Nieland, Heribert Schatz: Kommunikation im Wandel. Zur Theatralität der Medien Köln: Halem 1998 (Fiktion und Fiktionalisierung; Bd. l ). 264 S„ ISBN 3-931606-26-0. DM 48.- Der vorliegende Sammelband dokumentiert einen Workshop. der unter dem Titel Zur Theatralität der Öffentlichkeit und ihrer Medien der Frage nachgehen sollte. inwiefern das Konzept der Theatralität geeignet ist. die zunehmende Durchdrin- gung alltäglicher Realität mit medialen Inszenierungen und Dramatisiefllngen zu erfassen. Gleich der erste Beitrag von Rüdiger Ontrup macht deutlich. daß die An- wendung dieser theaterwissenschaftlichen Begriffe keineswegs darauf zielt. mit .. einem demonstrativ aufklärerischen Blick hinter die Kulissen·· ( S.20) unangebrach- te Schauspielerei zu entlarven. Vielmehr liegt das Potential der gewählten Perspek- tive darin. daß die .. Beweglichkeit und Dynamik \'On Zeichenkonfigurationen·· (S.22). die die Grenze zwischen ·Realität' und "Fiktionalität' außer Kraft setzen. in den Mittelpunkt des Interesses rückt. Als zentralen Aspekt des Theatraliüits- konzepts für die Medienanalyse benennt Ontrup dm·über hinaus die .. Berechnung auf Publikumswirkung .. (S.2.J.) sowie die Plurimedialität und Mobilitüt der theatralen Elemente. Damit wird Theatralitüt automatisch über den Rahmen klar abgegrenz- ter Inszenierungen hinaus bedeutsam. Dies \\ ird u. a. im Beitrag von Joan Kristin Bleicher deutlich. der .. Aspekte der intentionalen Programmplanung-· ( S.5-1-l ana- lysiert und dabei gleichermaßen die Imagebildung der Sender in ihren Programmtrailern. die Ansprache rnn Zielgruppen und die zeitliche Programm- strukturierung als theatrale Elemente anführt. Ein Effekt des Ordnungsprinzips Pro- --138 MEDIENll'issenschafi 4/99 gramm bestehe dabei darin, daß alltagsrelevante Themen in „verschiedenen lnsze- nierungsformen" präsentiert und somit „dem Zuschauer verschiedene Erlebnis- möglichkeiten" eröffnet werden (S.72). In eine ähnliche Richtung argumentieren Udo Göttlich und Jörg-Uwe Nieland, wenn sie feststellen, daß Jugendliche, die ein geringeres Interesse an lnfonnationssendungen zeigen, sich keineswegs gänzlich aus den Öffentlichkeitsbeziehungen entfernen, da andere Genres - z. B. die Soap - analoge Funktionen übernehmen können. Dabei garantiere gerade das „Kult-Mar- keting" (S.41 ), das beispielsweise aus der Inszenierung vielfältiger Wechselbezie- hungen zur Popmusik resultiert, eine fortlaufende Vermittlung zwischen Serienwelt und Zuschauern und somit die Möglichkeit „selbstreflexiver Entscheidungen" (S.49). Daß solche Anwendungen des Theatralitätskonzepts auf die Medien zugleich eine Dehnung und Veränderung des Konzepts mit sich bringen, führt Mike Sandbothe in seinem Beitrag zum Internet explizit aus. Denn zwei zentrale Merk- male von Theatralität - die Simultaneität von Hervorbringung und Rezeption eine- r::;eits, die Körpergebundenheit andererseits - sind von den technischen Medien außer Kraft gesetzt. Dennoch sieht Sandbothe in der „um Gunst und Schätzung werbenden Selbstinszenierung" (S.216), die im World Wide Web immer mehr um sich greift, oder auch in der zunehmenden Ästhetisierung der (Schrift-) Zeichen theatrale Aspekte. Gerade die wechselseitige Durchdringung von Bild und Schrift weise darauf hin, daß „Theatralität in den Fundamenten unseres Zeichengebrauchs selbst verankert wird" (S.218). Weniger aufschlußreich sind die Beiträge des Sammelbandes zu Fragen jour- nalistischer Qualität und zu Modellen der Politikvermittlung; Hier wird - zum Teil trotz gegenteiliger Beteuerungen - 'Inszenierung' weitgehend in Gegensatz zu In- formation gestellt und folglich eine strikte (Selbst-) Beschränkung eingefordert. Auch die schlichte Anwendung des Theatralitätskonzepts auf Erscheinungsfonnen „symbolischer Politik" ist m. E. wenig aufschlußreich, solange nicht tatsächlich die theatralen Elemente und Aspekte differenziert analysiert werden. Eine schöne Ausnahme ist hier der Aufsatz von Christine Kugler, die die unterschiedlichen Sen- dungen und Formate des Fernsehens als strukturierte Vorgaben für Politikerauftritte schildert. auf denen diese sich keineswegs grenzenlos selbst inszenieren können. da sie sich auf die Regeln des jeweiligen Genres einlassen und einstellen müssen. Auch wenn es dem Band in seiner enormen thematischen Vielfalt nicht unbe- dingt gelingt, die Produktivität des Konzepts der Theatralität für die Medienanalyse systematisch aufzuweisen, so versammelt er doch eine Reihe von Beiträgen, die eine neue Sicht der theatralen Ve1i'ahren der Medien ermöglichen. Nebenbei legt der Beitrag von Herbert Willems und Martin Jurga zu theatralen Aspekten der Wer- bung eine (Wieder-) Lektüre von Erving Goffmanns Geschlecht und Werhw1g nahe. das die Geschlechterverhältnisse in Werbung und Alltag als je unterschiedliche Ausarbeitungen eines identischen Repertoires an (Selbst-) Darstellungen versteht. Markus Stauff (Bochum)