www.medienobservationen.de 1 Dieser Artikel erschien im April 2020 in der Zeitschrift Medienobservationen. Er ist durch die DNB archiviert. urn:nbn:de:101:1-2020041116133332739986 Jennifer Münster Belebte Fakes – Architekturnachbildungen in China In China werden immer wieder westliche Städte und Denkmäler nachgebaut, doch sie sind mehr als nur ein weiteres Beispiel für Chinas Kopierfertigkeiten. Vielmehr ent- puppen sich die Städte als Erlebnisse, in denen der Fake im Prozess des Medienwerdens nach Josef Vogl nachvollzogen werden kann. Die Fake-Orte sind keine Zeugen einer Verwestlichung Chinas, sondern generativ. 1. Stadt – Land – Fake Paris hat es schon getroffen. Und auch London, Venedig, Las Vegas und sogar Hannover. Sie alle wurden von als Touristen getarnten chinesischen Architekten über Jahre ausspioniert und dann im Reich der Mitte nachge- baut.1 Zwar beschränkten sich die chinesischen Baufirmen zumeist auf exemplarische Stadtviertel mit herausragenden Denkmalen, die sie nach- bauten, doch das reicht bereits, um in unseren Medien seit einigen Jahren immer wieder aufzutauchen und ein allgemeines Kopfschütteln auszulö- sen. Der Kopierweltmeister China hat es schon wieder getan!,2 heißt es in Zeitungsartikeln und Dokumentationen und es wird ein Stereotyp entwi- ckelt, das es im Folgenden zu hinterfragen gilt, indem wir es uns explizit 1 Vgl.: Galileo: das ProSieben Wissensmagazin: Hallstatt-Kopie: China klont ös- terreichisches Alpen-Dorf. Veröffentlicht durch: Reisefieber. https://www.y- outube.com/watch?v=B0LHOunu86Q, TC: 00:00:49-00:01:53, (21.01.2019). 2 Vgl.: bspw. folgende Zeitungsartikel und Dokumentationen: (Anon.): Österrei- chische Fake-Stadt in China. https://www.20min.ch/living/reportagen/story/- sterreichische-Fake-Stadt-in-China-19996648, (zit. 21.01.2019); Galileo: das ProSieben Wissensmagazin: Chinas Fake-Städte. Staffel 2015, Ep. 33, https://www.prosieben.de/tv/galileo/videos/201533-chinas-fake-staedte- clip, (21.01.2019); Bob Woodruff, Karson You, Alexa Valiente: China’s 'Fake' Cities Are Eerie Replicas of Paris, London and Jackson Hole, Wyoming. https://abcnews.go.com/International/chinas-fake-cities-eerie-replicas-paris- london-jackson/story?id=36525453, (21.01.2019); Anne Lachmann: So kopiert China ganze europäische Städte. https://www.welt.de/finanzen/immobilien/ar- ticle147906970/So-kopiert-China-ganze-europaeische-Staedte.html, (21.01.2019). www.medienobservationen.de 2 vor Augen führen. Denn haben wir es in diesen von den Medien so ge- nannten ›Fake Städten‹ bzw. Fake-Orten3 tatsächlich mit einer Verwestli- chung Chinas durch die Praxis des Kopierens zu tun? Die chinesische Bevölkerung weiß mit den Architekturnachbildungen zumeist nichts anzufangen. Die wenigsten (er)kennen die europäischen Städte und nur die allerwenigsten haben die Originalstädte schon einmal besucht, denn für Chinesen ist es generell schwierig, ein europäisches Vi- sum zu bekommen.4 Kleinere Fehler fallen ihnen daher nicht unbedingt auf: Der chinesische Eiffelturm misst zum Beispiel gerademal ein Drittel der Originalhöhe, die London Tower-Bridge wird von vier Türmen statt von zweien getragen und das kleine Dorf Hallstatt aus Österreich ist ei- gentlich genau spiegelverkehrt aufgebaut worden.5 Die Fake-Orte sind zumeist in der Nähe großer Ballungszentren wie Shanghai anzutreffen. Geplant ist mit den Fake-Orten die Urbanisierung zu kontrollieren, die chinesischen Großstädte also zu entzerren und gleichzeitig auch europäische Firmen anzuziehen.6 Weitestgehend sind die chinesischen Fake-Orte allerdings Geisterstädte. Nur etwa 2 000 Einwoh- ner hat das chinesische Paris, obwohl es seit 2004 Platz für 100 000 hätte und die Mieten günstig sind.7 Das nachgebaute Alpendorf Hallstatt hinge- gen ist ein Luxusimmobilienmarkt.8 Aber auch hier stehen die meisten Häuser leer.9 3 Es wird der Begriff Fake-Orte verwendet, da bei Fake-Städte das Missver- ständnis auftauchen könnte, dass es sich um ›gefakte‹ Städte inklusive Infra- struktur usw. handelt, dabei sind die Fake-Orte funktionierende Stadtteile. 4 Vgl.: Galileo: das ProSieben Wissensmagazin: Chinas Fake-Städte (wie Anm. 2), TC: 00:02:17-00:02:24. 5 Vgl.: Galileo: das ProSieben Wissensmagazin: Chinas Fake-Städte (wie Anm. 2), TC: 00:01:34- 00:01:42, TC: 00:07:14-00:07:25, TC: 00:09:44-00:09:48. 6 Vgl.: Jana Wochnik-Sachtleben: Hannover wird in China nachgebaut. Veröffent- licht durch: DW Deutschland. https://www.youtube.com/watch?v=Ycek- KbmJF_8, TC: 00:01:16-00:02:02, (21.01.2019). 7 Vgl.: (Anon.): China: Boomende Geisterstädte. https://www.daserste.de/informa- tion/politik-weltgeschehen/weltspiegel/videos/china-boomende-geistersta- edte-100.html, TC: 00:01:17-00:01:44, (21.01.2019). 8 Vgl.: Galileo: das ProSieben Wissensmagazin: Chinas Fake-Städte (wie Anm. 2), TC: 0010:17-00:11:14. 9 Vgl.: Galileo: das ProSieben Wissensmagazin: Hallstatt-Kopie: China klont öster- reichisches Alpen-Dorf (wie Anm. 1), TC: 00:07:50-09:00. www.medienobservationen.de 3 1.1 Fake-Orte als Nicht-Orte Zu großen Feierlichkeiten werden die Läden mit Waren bestückt, Touris- ten reisen an und es kommt Leben in die Fake-Orte.10 Das erinnert an die hier bekannteste Kulissenstadt, den Europapark. In ihm finden sich auch Architekturnachbildungen wie das Colosseum. Oder, ein anderes Beispiel: Das Venetian Hotel in Las Vegas mit seiner Nachbildung Venedigs (die China in seinem Las Vegas-Nachbau übrigens auch mitkopierte)11. In den Europapark geht man, um sich zu amüsieren und zu konsumie- ren. Der Anthropologe Marc Augé charakterisiert Freizeitparks daher als Nicht-Orte.12 Augé versteht einen Ort nicht nur geografisch, sondern nimmt auch an, dass sich in Orten soziale Strukturen und Identität mani- festieren. Ein Nicht-Ort schafft hingegen keine besondere Identität und keine besondere Relation wie beispielsweise die Unterscheidung in das Ei- gene und das Fremde. Was Augé also in seiner Unterscheidung in den Vordergrund rückt ist die Wechselwirkung von Ort und Mensch.13 Die chinesischen Stadtnachbildungen sind nicht mit derartigen Frei- zeitparks gleichzusetzen, denn sie sind zum Verweilen gedacht und nicht bloße Touristenattraktionen. In den Stadtvierteln leben, wohnen und ar- beiten Menschen, wenn auch noch nicht viele. In diesem Sinne als Orte, an denen sich soziale Strukturen manifestieren und die identitätsstiftend wirken, sind die chinesischen Stadtnachbildungen keine Fakes, keine Schauspielerei. Die anthropologische Definition eines Ortes nach Augé beinhaltet je- doch auch, dass ein Ort eine Geschichte hat, die den Ort kulturell und sozial verankert.14 Die Geschichte des österreichischen Alpendorfs Hall- statt reicht über 3000 Jahre zurück; das Dorf ist mit der Zeit mit seinen Bürgern gewachsen und verändert sich natürlich auch noch immer. Der Jetzt-Zustand von Hallstatt kann zwar nachgebaut werden, doch bei aller 10 Vgl.: Marco Heuer: Hannover… made in China: Kaffee und Currywurst fürs Land der Mitte. https://www.ndr.de/fernsehen/sendungen/die_reportage/Hannover- made-in-China,diereportage1124.html, TC: 00:14:05-00:14:16, (21.1.2019). 11 Vgl.: Galileo: das ProSieben Wissensmagazin: Chinas Fake-Städte (wie Anm. 2), TC: 00:03:57-00:03:14. 12 Marc Augé: Orte und Nicht-Orte. München 2014; siehe auch Stephanie Weiß: Orte und Nicht-Orte: Kulturanthropologische Anmerkungen zu Marc Augé. In: Mainzer kleine Schriften zur Volkskultur, Bd. 14 (2005), S. 31–32. 13 Vgl.: Marc Augé: Orte und Nicht-Orte (wie Anm. 12), S. 63–66. 14 Vgl.: Ebd. S. 92–93. www.medienobservationen.de 4 Liebe zum Detail können die historischen Hintergründe und kulturellen Strukturen nicht mitgeklont werden. Wenn dem so wäre, könnten wir Städte wie Franchise-Unternehmen denken. Aber eine Stadt besitzt einen gewissen Flair, vielleicht einen Ruf, der ihr voraus eilt. Und anscheinend sind die nachgebauten Fachwerkhäuser im chinesischen Hallstatt nicht Anreiz genug, um sich in vergessene Zeiten zurückversetzt zu fühlen, denn immer mehr Chinesen, die ihr Fake-Hallstatt besucht haben, setzen sich jetzt doch ins Flugzeug, um das Original in den österreichischen Al- pen zu besuchen. Inzwischen wird das Dorf täglich von 7 000 chinesische Besucher heimgesucht, wobei hier auf die buchstäbliche Bedeutung des Wortes heimsuchen verwiesen ist, schließlich vergleichen diese chinesischen Besucher gezielt das heimische Hallstatt mit dem fremden.15 Das Original scheint also etwas zu besitzen, das der Nachbau nicht kopieren kann, eine gewisse Anziehungskraft oder eben, in Walter Benjamins Worten, eine Aura, eine Einmaligkeit, die sich aus der Einbettung in eine Tradition speist.16 1.2. Fake-Orte als Medien Eine Kopie einer Originalstadt kann sich folglich niemals vollständig her- stellen, da sich die Aura nicht kopieren lässt. Und der Ort der Originalstadt verschwindet niemals vollständig hinter den nachgebauten Fassaden. Das nachgebaute Paris wird immer auf das Original zurückverweisen, die Re- ferenz lässt sich nicht auflösen und im Akt der Betrachtung oszillieren Original und Nachbau – sofern der Rezipient ein Wissen um Paris in sei- nem kulturellen Gedächtnis parat hat. Nur dann kann er den Nachbau schließlich als solchen enttarnen. Das bedeutet, der Betrachter ist komplizenhaft an der Konstruktion bzw. Dekonstruktion der Fake-Orte beteiligt. Ein Fake selbst ist eine Täu- schung, deren entscheidendes Charakteristikum die Ent-Täuschung ist. Das heißt, im Moment der Enttarnung eines Fakes als solchen wird der Fake erst konstruiert. Und da Fake immer eine Relation zu einem Original 15 Vgl.: Bernd Steinle: Falsche Freunde im echten Hallstatt. https://www.faz.net/ak- tuell/stil/drinnen-draussen/hallstatt-kopie-china-eroeffnet-nachbau-eines-o- esterreichischen-dorfs-15205080.html, (21.01.2019). 16 Vgl.: Walter Benjamin: Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbar- keit. In: Texte zur Medientheorie. Hrg. v. Günter Helmes u. Werner Köster, Frankfurt am Main 2002, S. 163-189, hier insb. S. 165–169. www.medienobservationen.de 5 ist, wird im Erkennen des Fakes auch dessen Ursprung erkannt. Der Fake entsteht, wird konstruiert, weil seine Referenz erkannt und somit die Täu- schung dekonstruiert wird. Fake ist also zunächst einmal eine Relation. Genauer gesagt: Eine Man- gel-Relation, denn das Original besitzt etwas, das der Fake nicht hat. Ohne den Fake als Pendant zum Original fällt dieses Charakteristikum zumeist nicht auf, es ist eine anästhetische Komponente, die mit dem Fake zur wahrnehmbaren Unsichtbarkeit wird oder erst entsteht. Was der Fake also leistet ist letztendlich eine Verschiebung unserer Weltwahrnehmung. Folgen wir dieser Argumentation, so folgen wir dem Medienbegriff Jo- seph Vogls. Die Wahrnehmungsverschiebung entsteht in der Wechselwir- kung von Medium und Betrachter, sprich: Von Fake und Betrachter.17 In der Offenlegung des Referenzcharakters des Fakes erkennen wir, dass das Verständnis von Fake und Original letztendlich kulturell kodiert und ge- gebenenfalls verschieden ist. Das bedeutet, dass wir uns selbst in der Of- fenlegung eines Fakes innerhalb einer Kultur verorten und unsere eigenen Klassifizierungsstrategien von Fake und Original beobachten können. Die berüchtigte kulturelle Brille wird sichtbar, die unserer Wahrnehmung für gewöhnlich entzogen ist. In dieser Konstellation sind Fakes Medien. Als Klassifizierungen wer- fen sie unser Klassifizierungsvorgehen auf uns selbst zurück, sie sind selbstreferentiell. 1.3 Fake-Orte als Stereotype Die Stadt hinter der Stadt wird also erkannt, ebenso wie unsere Strategien des Abgleichens und des Kategorisierens von Fake und Original. Wir er- kennen ein Spiel, das China in den Fake-Orten mit Identität und Relatio- nen spielt. Wir können uns selbst dabei beobachten, wie wir das Eigene in der Fremde Chinas wiederentdecken und neu verhandeln. Ein Reporter sagte beispielsweise über die Chinesinnen in Tracht und bei Blasmusik in dem auch sonst europäisch anmutenden Alpendorf Hallstatt: „[Sie] wirken irgendwie deplatziert.“18 Und deplatziert wirken sie nicht deswegen, weil 17 Vgl.: Joseph Vogl: Medien-Werden: Galileis Fernrohr. In: Mediale Historiographien 1. Hrg. v. Lorenz Engell u. Joseph Vogl, Weimar 2001, S. 115–123, hier insb. S. 116–118, 122. 18 Galileo: das ProSieben Wissensmagazin: Chinas Fake-Städte (wie Anm. 2), TC: 00:10:01-00:10:05. www.medienobservationen.de 6 sie Trachten tragen, sondern weil wir die Originalstadt und damit auch die Originalbewohner durch den Fake hindurchsehen. Denn drehen wir den Spieß um und betrachten einen Europäer im Kimono in China Town. Würden wir da auch von einer Deplatzierung sprechen? In China Towns leben noch immer überwiegend Immigranten aus China und anderen asiatischen Ländern. Dabei gehören China Towns schon lange zum Stadtbild vieler westlicher Städte dazu. Entgegen der chi- nesischen Fake-Orte sind die frühen China Towns nicht nach dem Vor- bild konkreter Städte nachgebaut worden. Beim Betreten des China Towns fühlt man sich aber doch an Chinas Städte erinnert. China Towns können zwischen Kopie, Original und Fake als Simulakra19 beschrieben werden, als ‚Kopien ohne Original‘. Der Begriff ist hier der Kunstwissen- schaft entnommen und beschreibt die Referenzlosigkeit von Kunstwer- ken, die in der Betrachtung sofort an das kulturelle Gedächtnis des Rezi- pienten appellieren und ihn somit an ein Original erinnern, das aber ei- gentlich gar nicht als solches existiert. Und ebenso erinnern die China Towns an chinesische Städte, obwohl sie gar nicht nach dem Vorbild einer konkreten chinesischen Stadt gebaut wurden. Als Simulakra verhandeln China Towns ihre Referenzlosigkeit immer mit. Das bedeutet, sie verhandeln die Vermittlungsstrategien mit, die beim Betrachter dazu führen, dass er bestimmte Städte aus seinem kulturellen Gedächtnis als Pendants heranzieht. Diese Vermittlungsstrategien sind im Fall der China Towns die stereotypen Darstellungen. In China Towns er- kennen wir China durch die stereotypen Architekturen hindurch, und wir sind uns diesen Stereotypen bewusst. Anders als Fakes sind Stereotype zunächst keine Verschleierungsstra- tegien, sondern verhelfen gemeinhin einer einfachen und schnellen Klas- sifizierung. Die Trachten der Chinesinnen in den Fake-Orten sind zwar auch Stereotype, doch sie sind noch immer in die Fake-Rahmung des Or- tes, also in die Referenz auf ein Original, eingebettet. Man fragt sich sofort: Ob die Kellnerinnen im echten österreichischen Alpendorf wohl dieselbe Trachten-Uniform tragen? Ein Europäer im Kimono in China Town hin- gegen bedient sich eines Stereotyps an einem Ort, der von Stereotypen beherrscht wird, und fügt sich daher doch ganz gut in das Stadtbild ein. 19 Vgl.: Julika Griem: Simulakrum. In: Metzler Lexikon Literatur- und Kulturtheorie. Hrg. v. Ansgar Nünning, Heidelberg 2013, S. 285f. www.medienobservationen.de 7 1.4 Das generative Potential der Fake-Orte Zu China Towns gehört traditionell auch der Paifang, das Eingangstor. Es zeigt dem Besucher deutlich: Hier beginnt eine separate, unabhängige Welt im Verhältnis zum Rest der Stadt. Dieser Abgrenzungsgestus fehlt bei den Fake-Orten.20 Die Chinesen brauchen die Trennung zwischen Westlich und Heimisch offensichtlich nicht, dabei war China eigentlich jahrelang das Land der Abschottung. Die Chinesische Mauer ist dafür Symbol und Beleg zugleich. Das Fehlen dieser Schwellenhervorhebung zeigt, dass wir es nicht mit einer Verwestlichung Chinas zu tun haben, sondern dass die Fake-Orte generativ sind. Nicht der Westen wird ins Land der Mitte geholt, sondern China baut sich seinen eigenen, chinesi- schen Westen. Ein ähnliches Phänomen fand im Viktorianischen Zeitalter statt, als die Imperialmacht Großbritannien exotische Waren aus aller Welt impor- tierte wie Tee, Seide oder auch Schrumpfköpfe. Damals befürchtete man eine Beeinträchtigung der britischen Kultur durch die Importwaren, doch der Westen hat sich diese vielmehr einverleibt und zum Teil der Kultur seiner Zeit gemacht. Auch China gilt heute als aufstrebende Imperialmacht. Die mediale Er- fahrung der Fake-Orte, die Rückführung auf ein Original, zeigt, dass sie nicht die europäischen China Towns von morgen sind. Sondern sie sind Palimpseste: Auf einem bereits beschriebenen Untergrund entsteht etwas Neues, indem das Alte ausgewaschen wird. Und so mussten die Fake-Orte auch zunächst kopiert und dabei ihrer Historie und ihrer Kultur beraubt werden, um Raum zu schaffen für den chinesischen Westen. 20 Das chinesische Hallstatt ist an der Zufahrtsstraße mit einer Schranke verse- hen, die von einem Beamten überwacht wird. Vgl.: Galileo: das ProSieben Wissensmagazin: Chinas Fake-Städte (wie Anm. 2), TC: 00:08:42-00:08:48. Da- bei handelt es sich jedoch vermutlich um die in China übliche Personenkon- trolle. Somit wird die Grenze zwar durch diese Kontrollmaßnahmen betont, doch findet dabei für den Besucher keine Transgression von der einen Kultur in die andere statt. Der Paifang hingegen ist der traditionellen Tempelarchitek- tur entnommen, betont folglich kulturelle Werte und dient keiner Grenzüber- wachung. www.medienobservationen.de 8 2. Fazit Die chinesischen Fake-Orte sind weitaus mehr als nur ‚billige Kopien‘, wie es uns Zeitungsartikel und Reportagen immer wieder glauben machen wollen. Sie sind generativ und stellen keinesfalls eine Verwestlichung Chi- nas dar. In ihnen vollzieht sich eine außergewöhnliche mediale Erfahrung, die für weitere Untersuchung des Fakes in der Architektur einen Aus- gangspunkt bietet.