Fotografie und Film 441 Fotografie und Film Günter Agde und Alexander Schwarz (Hg.): Die rote Traumfabrik. Meschrabpom-Film und Prometheus 1921-1936 Berlin: Bertz + Fischer 2012, 264 S., ISBN 978-3-86505-214-8, € 29,90 Filme standen ursprünglich nicht auf onalsozialisten ging in den 1930er dem Programm: Um die Dürre- und Jahren der wichtigste Auslandsmarkt Hungernot im Wolgagebiet durch inter- für die sowjetischen Filme verlo- nationale Kooperation, Spendenwerbung ren. 1936 schloss in der Sowjetunion und Hilfslieferungen zu bekämpfen, rief auch Meschrabpom, nach mehreren Lenin im August 1921 die Internationale Namensänderungen und politischen Arbeiterhilfe, (IAH, auf Russisch abge- Umwälzungen, seine Türen. Das Stu- kürzt Meschrabpom) ins Leben. Für die dio hatte in der Zwischenzeit fast 600 Organisation dieses Projekts beauftragte Filme produziert und zählte noch 1934 der sowjetische Anführer den deutschen 1015 Mitarbeiter (vgl. S.131). „roten Medienzaren“ Willi Münzen- Die Geschichte dieses ersten Joint- berg, den er noch aus dem Schweizer Ventures des sowjetischen Kinos, Exil kannte (vgl. S.25). Bald erfasste dessen Filme und Mitarbeiter mit- dieser die Vorteile einer filmischen samt deren politischen und kulturge- Dokumentation der Arbeiten von der schichtlichen Verflechtungen steht im IAH für propagandistische Zwecke; So Zentrum der dreizehn Beiträge, welche wurde 1922 in Berlin eine selbständige diesen Band ausmachen und sowohl auf Filmstelle gegründet, die für die Distri- eine Retrospektive der 62. Berlinale bution dieser Dokumentationen zustän- 2012 als auch indirekt auf eine frühere dig war und die, um die Wirksamkeit Konferenz (März 2011) im Deut- der Kampagne zu erhöhen, auch bald schen Historischen Institut in Moskau Spielfilme in ihr Programm aufnahm. zurückgehen. Das Projekt hatte auch Es folgte 1923 die Kooperation mit dem ein audiovisuelles Pendant: Im Februar letzten privaten russischen Filmstudio 2012, parallel zu der Berliner Ausstel- Rus, die Gründung des gemeinsamen lung, lief auch eine Dokumentation Studios Meschrabpom-Rus sowie der desselben Titels auf dem Fernsehsen- deutschen Firma Prometheus (1925), der ARTE. die den Verleih sowjetischer Filme und Die Publikation lässt drei Schwer- die Produktion eigener Werke bis 1931 punkte erkennen. Die ersten fünf in Deutschland übernahm. Durch die Kapitel widmen sich den medienstruk- Schließung der Berliner Zentrale und turellen Aspekten und persönlichen ihrer Verleihfirmen durch die Nati- Netzwerken, welche die Arbeit an den 442 MEDIENwissenschaft 4/2012 Produktionen und ihre öffentliche filmtheoretischen Zwischenstopp, bevor Aufnahme bestimmten. Als Ein- der Band seinen Blick auf produktions- stieg beschäftigt sich Reiner Rother spezifische Aspekte richtet. Bezüglich in seinem Beitrag mit der Rezeption dieses Schwerpunkts zeigen die Beiträge sowjetischer Filme in der Weimarer zur Einführung des Ton- und Farbfilms Republik, bevor der Mitherausgeber (Valérie Pozner resp. Wiktor Beljakow), Alexander Schwarz die in den ersten als auch des Dokumentar-, Kultur- und Jahren von Meschrabpom vollzogene Animationsfilms, wie sich die Produk- Evolution von einer Hilfsorganisation tionsfirma auf ganz verschiedenen Ebe- zum Filmstudio sowie dessen inter- nen und mit ganz unterschiedlichen nationale Verflechtungen beleuchtet. Produkten zwischen künstlerischen Die Figur des künstlerischen Direktors Ansprüchen und kommerziellem Sinn Moisej Alejnikow steht im Zentrum zu bewegen versuchte. In den Filmen des Beitrags von Aleksandr Derjabin, gab es somit Platz für Repräsentanten während Jekaterina Chochlowa, Direk- der avantgardistischen Filmkunst (Kule- torin der Filmbibliothek S. Eisenstein schows Frühwerk Die kaukasischen Mine- in Moskau, in ihrem sehr informa- ralquellen, 1923, oder Pudowkins Das tiven Beitrag „Filme und Schicksale“ Ende von Sankt Petersburg, 1927, sowie (S.62ff) die Personalpolitik des Stu- Sturm über Asien, 1929), aber auch für dios und ihrer Auswirkungen auf die populäre Genre-nahe Produkte wie der Filmproduktion erklärt. Neben dieser Science-Fiction-Aelita – Der Flug zum Auseinandersetzung mit der Rolle der Mars (Jakow A. Protasanow, 1924) sowie Einzelakteure steht in diesem ersten für die Produktion sowjetischer Lehr- Teil des Buches ein zweiter Aspekt und populärwissenschaftlicher Filme; besonders im Vordergrund: Die kom- ein Bereich, in dem das Studio beson- plexen Beziehungen zum sowjetischen ders erfolgreich war (Vgl. den Beitrag Vertriebsmonopolisten Sowkino kom- von Barbara Wurm, S.120ff). men bei Wolfgang Mühl-Benning- Der internationale Charakter des haus (S.48ff) besonders zur Geltung, Unternehmens und seine besondere Rolle werden allerdings auch in anderen in den deutsch-russischen Beziehungen Beiträgen immer wieder aufgegrif- während der Zwischenkriegszeit wer- fen: Meschrabpom musste ständig den in den meisten Beiträgen betont. Im mit Konflikten mit Sowkino rechnen, letzten Teil der Publikation beschäftigen seine Verbindung mit der IAH sicherte sich zwei Artikel dezidierter mit diesen allerdings einen bestimmten Grad an Internationalisierungsaspekten, indem Selbständigkeit und Schutz in seiner sie die Aktivitäten der Firma allgemein alltäglichen Arbeit. im „Westen“ (im Günter Agdes Beitrag Günter Agdes Reflexionen zu den „Mit dem Blick nach Westen“ – S.140f in den Meschrabpom-Filmen dar- –, der sich leider vor allem weiter auf gestellten Topoi und Utopien (Mas- Deutschland beschränkt) und konkret sendemonstrationen und moderne in den USA, Frankreich und Öster- Maschinen) markieren ab S.76 einen reich behandeln (in einem gemeinsamen Fotografie und Film 443 Aufsatz von Alexander Schwarz, Valérie (aus dem Studio, von Dreharbeiten Pozner und Thomas Tode, S.148f). In sowie Plakate und Film Stills); zweitens diesem Zusammenhang würde der Leser eine Sammlung wichtiger Dokumente sich allerdings Überlegungen wünschen, in der Geschichte des Studios, inklusive welche die Rolle dieser Firmen auf einer einem ausführlichen Kommentar und breiteren internationalen Basis beleuch- einer umfangreichen Chronik seiner ten (z.B. in Bezug auf die Verbindungen Existenz; sowie drittens ein Anhang, zu verschiedenen Ausprägungen einer der ein ausführliches Personenverzeich- proletarischen Filmkultur in anderen nis, Filmografie, Register u.a. enthält. europäischen Ländern wie Großbritan- Die gut lesbaren Kapitel weisen nien, Belgien oder den Niederlanden). einen unterschiedlichen Umgang mit Die thematischen Wiederholungen den Endnoten auf: Während einige in vielen der Beiträge, nicht selten in Beiträge in der Ausführlichkeit der Publikationen dieser Art, sind desto Zitation wissenschaftlichen Texten auffälliger, da sie auch mit der Vernach- gleichen (z.B. Rainer Rothers Beitrag lässigung eines anderen selbst im Titel zur Rezeption sowjetischer Filme in der angekündigten thematischen Schwer- Weimarer Republik), verzichten andere punktes einhergehen: Denn obwohl auf diese (z.B. Valérie Pozners Beitrag sowohl der deutschen als auch der sowje- zur Einführung des Tonfilms im Stu- tischen Seite des Joint-Ventures dieselbe dio). Ansonsten verbinden die Aufsätze Bedeutung beigemessen werden sollte in ihrer textuellen „Doppelnatur“ wis- (vgl. z.B. auch das Vorwort auf S.6 und senschaftliche Gründlichkeit in ihrer 7), stellt der russische Teil das unange- Analyse mit der Lesbarkeit eines Aus- fochtene Zentrum der Überlegungen stellungsbegleittextes in ihrer schrift- dar. Wolfgang Mühl-Benninghaus’ Text lichen Umsetzung. Trotz der bereits zur Geschichte von Prometheus GmbH oben erwähnten Kritikpunkte gelingt und Film-Kartell Weltberlin (S.48ff) es somit dem Band, dieses frühe und bildet in seiner Beschäftigung mit den selten erforschte Kapitel internationa- institutionellen Aspekten der deutschen ler filmgeschichtlicher Verflechtungen Firmen die einzige deutliche Ausnahme überzeugend zu beleuchten. Besonders zu dieser Tendenz: In Anbetracht der die facettenreiche und zugleich genaue tiefen Auseinandersetzung mit dem rus- Analyse des russischen Unternehmens sischen Pendant stellt dies einen eher liefert sehr wertvolle Ergebnisse, aus bescheidenen Anteil am Gesamtumfang denen zahlreiche neue Denkanstöße des Buches dar. gewonnen werden können. Die Aufmachung und der Anhang Fernando Ramos Arenas dieser Publikation sind besonders her- (Leipzig) vorzuheben: erstens die gelungene Gestaltung des großformatigen, quadra- tischen Bandes mit zahlreichen Bildern