232 MEDIENwissenschaft 02-03/2018 Sammelrezension: Medienkrise Stephan Russ-Mohl: Die informierte Gesellschaft und ihre Feinde: Das Ende der Aufklärung. Warum die Digitalisierung unsere Demokratie gefährdet Köln: Herbert von Halem 2017, 367 S., ISBN 9783869622743, EUR 23,– Siegfried Weischenberg: Medienkrise und Medienkrieg: Brauchen wir überhaupt noch Journalismus? Wiesbaden: Springer VS 2018, 286 S., ISBN 9783658177973, EUR 19,99 Über die Krise von Printmedien und überhaupt noch Journalismus?" eigent- Journalismus ist schon viel debattiert lich nur rhetorisch, um sie sogleich zu und publiziert worden – auch von den beantworten: Ja, wir brauchen professi- beiden Autoren der hier besprochenen onellen Journalismus, „dessen Akteure Bände, Stephan Russ-Mohl und über Kompetenz und Autonomie ver- Siegfried Weischenberg. Geforscht fügen“, wofür dringend „neue Finan- und expliziert wurde freilich weniger zierungsmodelle“ (S.16) gebraucht empirisch-analytisch denn essayistisch, werden. Damit sind die argumentativen mit dem freieren, nicht immer syste- Leitplanken schon vorgespurt und die matischen Gestus der zeitgenössischen weiteren Ausführungen erahnbar, allein Beobachter, was auch bei diesen beiden auf die konkreten und aktuellen Details aktuellen Bänden der Fall ist. Schon die darf man gespannt sein. etwas reißerisch gewählten Titel deu- ,Feinde‘ sieht Russ-Mohl, der mit- ten darauf hin: Russ-Mohl bedient sich unter zur polemischen Wortwahl – für Die informierte Gesellschaft und ihre auch gegen den Kollegen Weischenberg Feinde zweier famoser Vorbilder, näm- (vgl. S.169) –, neigt, nahezu überall: in lich der Streitschrift des Philosophen der anhaltenden Digitalisierung, den Karl Popper (vgl. Die offene Gesellschaft sozialen Netzwerken und ihren mäch- und ihre Feinde. München: Francke, tigen globalen Betreibern, den Inter- 1957) und des Prognose-Bestsellers netkonzernen, aber auch in den daraus des Informatikers Karl Steinbuch (vgl. resultierenden Trends der Aufmerk- Die informierte Gesellschaft: Geschichte samkeitsökonomie, des Sensationalis- und Zukunft der Nachrichtentechnik. mus und der Boulevardisierung, der Stuttgart: DVA, 1969); Weischenberg politisch wie journalistisch bewirkten stellt die zentrale Frage: ,,Brauchen wir Desinformation, der Verschmelzung Buch, Presse und andere Druckmedien 233 von Marketing, Public Relations und und „Qualität der Berichterstattung“ Journalismus sowie in den politisch, sind die bearbeiteten Themen, die nach populistisch wie autokratisch gegän- einer ähnlich zeitgemünzten Einfüh- gelten Medienregimen eines Donald rung, in der das „Geschäftsmodell der Trump, Recep Erdoğan oder V ladimir ‚Lügenpresse‘“ (S.1) entlarvt wird, die Putin. Diese verheerenden Trends ,Lage des Journalismus‘ umreißt: „Das macht Russ-Mohl gleich in seinen Internet lässt die Auflagen, Reichweiten ersten Kapiteln klar, die mit „Pest der und Werbeeinahmen schrumpfen“ (S.4), Desinformation“ überschrieben sind. und es gibt „einen Zusammenhang […] An den dafür angeführten symptoma- zwischen einer zunehmenden Medien- tischen Beispielen lässt sich zum einem verdrossenheit und Qualitätseinbußen der aufmerksame Zeitbeobachter, zum bei den journalistischen Medien“ (S.6). anderen der theoretisch Versierte erken- Wiederholt schweift Weischenberg in nen, der die Vorfälle und Verwerfungen den einzelnen Kapitel ein wenig vom kategorisch einzuordnen weiß. Grund- angekündigten Leitfaden ab, bevor- legender und allgemeiner fallen die zugt zu den mehr oder weniger großen nächsten Abschnitte über den schon seit Skandalen der (jüngsten) Pressege- Jahrzehnte anhaltenden ,Vertrauensver- schichte: Spiegel-Affäre, Watergate, lust‘ in den Journalismus aus, über nicht Bill Clintons erotische Abenteuer, aufzuhaltende „Beschleunigung durch Gerhard Schröders und Barack Obamas die Digitalisierung“ und – noch mora- Wahlkämpfe, die Klüngeleien der lischer – über die „verlorene Unschuld Elitej ournalist_innen in Bonn und des Mainstream-Journalismus“, die erst recht in Berlin und noch viele sol- durch „Elitenarroganz“, „Systemversa- cher Events mehr – sie alle werden mit gen“, „Eigentore“ sowie „autoritäre und vielen Quellen illustriert und profund feudale[r] Herrschaft“ (S.125ff.), letz- kommentiert, was das Buch kurzwei- tere eher in den politischen Systemen lig, aber auch sprunghaft, eindring- gegenwärtiger Populisten angesiedelt, lich, aber auch ein wenig überheblich bewirkt werden. So durcheinander macht. W eischenberg kann schreiben gehen mitunter die markanten Argu- (wie ein Journalist), und in jeder Zeile mentationen. lässt er es die Leser_innen merken, Stärker auf den Journalismus fokus- wie gern er es tut. Besagte Krise des siert und damit im Überblick systema- Print-Journalismus und letztlich auch tischer geht Weischenberg vor, so dass sein Ende haben, so diagnostiziert der zunächst die Vermutung nahe liegt, kompetente Journalismuskenner, nicht es handele sich um eine aktuelle und erst das Internet und die sozialen Netz- kompakte Version seiner umfänglichen werke bewirkt, sondern sie schwelen dreibändigen Journalistik (Wiesbaden: schon seit den 1980er Jahren, ohne dass Springer, 1992; 1995; 1998): „Funktion die Verleger_innen angemessen reagiert des Journalismus“, „Technologie und hätten (vgl. S.104ff.). Nach goldenen Ökonomie“, „politische Kommunika- Jahren hohen Profits hätten die Zei- tion“, „Medienethik und Medienkritik“ tungsverleger_innen – so der Vorwurf 234 MEDIENwissenschaft 02-03/2018 – der Erosion des Geschäftsmodells Entwicklung weniger pessim istisch und damit der Untergrabung des Qua- und bietet in seinem dritten Teil litätsjournalismus tatenlos zugesehen; „Möglichkeiten des Gegensteuerns“ sie hätten Kommerzialisierung, Depro- eine ganze Reihe von Reaktionen und fessionalisierung und Arbeitsplatzab- Strategien: Da geht es um ökonomische bau sogar kurzsichtig forciert und die Anreize, die sich jedoch meist als nicht schwindende Prosperität der Presse auf zielführend herausstellen, insofern sie das journalistische Personal abgewälzt. ausschließlich privatwirtschaftlich Redaktionen wurden einfach geschlos- sind. Andere Ansätze lehnt er jedoch sen, ohne tragfähige Gegenkonzepte ab. Ferner sind politische, aber letztlich zu entwickeln. Die herrschenden ungewollte Regulierungen sowie eine Strukturen des Mediensystems und Langzeitstrategie der Medienerzie- damit auch seine Grenzen und Risiken hung in der Überlegung. Die Branche kennt Weischenberg genau und pran- selbst stehe in der Pflicht einer Co- und gert sie immer wieder, mit der gebote- Selbstregulierung, die Medienwissen- nen geschärften Sachkenntnis, an. Da schaft müsse Konzepte und Erkennt- fällt es am Ende schwer, einen posi- nisse der besseren Professionalisierung tiven Ausblick zu formulieren. An die der Praxis aufbieten und sich nicht viel beschworenen Selbstheilungskräfte länger im gemütlichen Elfenbeinturm der Branche glaubt Weischenberg der unbeteiligten Distanz einigeln. jedenfalls nicht mehr (vgl. S.276). Ins- Schließlich seien Netzwerke mit der besondere ging und geht es dem regio- Praxis zu bilden. Doch Patentrezepte, nalen Journalismus an den Kragen, wie „Desinformation und Gegenauf- dessen tradi tionelles Geschäftsmodell klärung zu bekämpfen“ (S.33) sind, nicht mehr zu retten ist und der daher bleibt unbeantwortet. Sie seien eher mehr und mehr verschwindet. Aber er „unterkomplex“; vielmehr müsse es ist und bleibt relevant und notwendig weiterhin „mündige Bürgerinnen und für die konkret erfahrbare Demo- Bürger, Menschen mit Rückgrat“ kratie. Auch der vielfach gefeierte (ebd.) geben, „die für ihre Freiheits- ,Cyber-Journalismus‘ und der anfangs rechte, für Meinungs-, Presse- und hochgelobte lokale ,Weblog‘ kommen Versammlungsfreiheit, aber auch für mit geringerem, weniger qualifiziertem das Recht auf Privatsphäre und für die Personal, das zudem weltweit agiert, Rechte Andersdenkender immer wie- aus. So bleiben nur die Hoffnung auf der einstehen“ (S.330ff.). Da scheinen und der Appell an die Köpfe der Rezi- sich zwischen den beiden im Disput pient_innen, das sie weiterhin eine nicht zimperlichen Zeitkritikern Russ- bürgerliche Öffentlichkeit, demokra- Mohl und Weischenberg doch einige tische Verhältnisse und mithin qua- evidente wie fundamentale Überein- lifizierte und qualitativ gute Medien stimmungen abzuzeichnen. wertschätzen und für sie – auch finan- ziell – einstehen. Russ-Mohl sieht die Hans-Dieter Kübler (Werther)