Lights, Camera, Action! 21 Dominik Schmitt, Stephanie Blum (Hg.): ‚Sorry, you just got Coened’: Das postmoderne Kino der Coen Brothers Würzburg: Könighausen & Neumann 2015 (Saarbrücker Beiträge zur vergleichenden Literatur- und Kulturwissenschaft, Bd.67), 237 S., ISBN 9783826053948, EUR 38,– Mit ihrer Aufsatzsammlung Sorry, you Im Großteil der Beiträge werden just got Coened haben die Herausgeber_ im Laufe der Texte Merkmale des innen Dominik Schmitt und Stepha- postmodernen Kinos benannt, die mit nie Blum 16 Essays veröffentlicht, die den Inhalten des Films abgeglichen die Filme der Coen Brothers auf den werden. So geschieht dies zum Bei- Aspekt der Postmodernität hin unter- spiel im ersten Aufsatz „‚The Same Old suchen und von denen jeder zwischen Song’: Blood Simple zwischen Spielfilm zehn und 20 Seiten lang ist. Zwar gäbe und postmodernem Filmspiel“ von es an anderer Stelle vereinzelt Aufsätze, Jonas Nesselhauf. Nach einer kurzen die sich mit dem Thema befassen, aber Zusammenfassung der Handlung des eine eingehende Analyse stehe noch aus, Films (vgl. S.13f.) und der Herausstel- so Schmitt und Blum in ihrer kurzen lung des Missverständnisses als tra- Einleitung (vgl. S.10). Zu dieser Ana- gendem Element (vgl. S.15ff.) bennent lyse wollen sie mit ihrem Band, der auf Nesselhauf den Film als „typisches einer Vorlesungsreihe an der Universität Beispiel für den postmodernen Film“ des Saarlands fußt, beitragen. (S.18), woraufhin er den Film gezielt Auf die kurze Einleitung, in der auf Aspekte des postmodernen Kinos die Relevanz der Coen Brothers für untersucht, zum Beispiel das Spiel mit die Popkultur und der Gedanke hinter Genre-Konventionen oder Filmzi- dem Band kurz erläutert werden, folgt taten. Dabei wird hier und in den fol- zu jedem Film der Brüder seit ihrem genden Texten immer auch Bezug auf Debüt Blood Simple (1984) bis zu ihrem, andere Wissenschaftler_innen genom- zum Zeitpunkt der Veröffentlichung, men, wobei man aufgrund des einge- letzten Film Inside Llewyn Davis (2013) schränkten Blickfeldes auf die Filme jeweils ein Aufsatz, der sich mal mehr, und der (vermutlich) fehlenden Masse mal weniger direkt mit dem Aspekt der an relevanter Literatur häufig auf die Postmodernität im jeweiligen Film aus- selben Autor_innen stößt, auf deren einandersetzt. Texte in den Fußnoten verwiesen wird. Dabei steht jeder Text hier grund- Im Rahmen seiner Analyse kommt sätzlich für sich, also nur für einen Nesselhauf also zu dem Schluss, dass Film, oft erwähnen die Autor_innen Blood Simple in jedem Fall dem post- aber, inwiefern die Coens ein Stilmit- modernen Kino zuzuordnen sei und tel oder bestimmte Handlungsaspekte als Debüt-Film bereits viele, von den auch in anderen Filmen genutzt oder Brüdern oft genutzte Stilmittel, ent- perfektioniert haben. hält (vgl. S.21f.). 22 MEDIENwissenschaft: Studentische Sonderpublikation 2017 Der zweite Text „Of Woodpeckers wie in Cartoons nur als humoristisches and Men – Raising Arizona zwischen Mittel eingesetzt wird (vgl. S.33f.). Zeichentrick und Literaturadaption“ Der dritte Text von Robert Fre- von Herausgeber Schmitt rückt das derick und Blum mit dem Titel „‚Do Adaptionsverhalten der Coens in den you always know why you do things?’ Fokus. Ihr zweiter Spielfilm Raising – Hard-boiled Kontemplationen in Arizona (1987) sei demnach der Ver- Miller’s Crossing“ beschäftigt sich mit such gewesen, dem düsteren Erstling dem Genre des film noir und wie die eine Komödie auf Grundlage der Loo- Coens sich dieses aneignen, um es ney Tunes (1930-1969) enstammenden anschließend zu hinterfragen und des- Zeichentrick-Charaktere Road Runner sen Grenzen auszuloten. So spielen die und Wile E. Coyote entgegenzusetzen Coens hier mit zahlreichen Genre-Kli- (vgl. S.23). Hier wird sich also ganz schees, ihr Protagonist entspricht dem gezielt mit einem Merkmal des post- genreverhafteten hard-boiled-Typus, modernen Kinos befasst: dem Spiel mit also einem cleveren, toughen Prinzipi- Vorlagen. enmann (vgl. S.40). Die Postmoderne Während die Coens die Road- wird wieder relevant, wenn solche Runner-Cartoons als Inspiration oder Genre-Klischees nicht nur präsentiert, Vorlage zwar verneinen, kann Schmitt sondern auch reflektiert werden, wenn auch in Rekurs auf andere Studien zum Beispiel der Hut des Protagonisten plausibel darlegen, dass der Cartoon symbolhaft für seine Identität steht und hier mehr oder minder direkt zu adap- der Verlust dieses für den Verlust seines tieren versucht wurde (vgl. S.23f.). Im hard-boiled-Charakters stehen würde Folgenden stellt Schmitt bisherige (vgl. S.44). Der Charakter ist sich sei- w issenschaftliche Untersuchungen vor, ner eigenen Rolle also bewusst und fällt von denen manche nur in einzelnen so aus der reinen Fiktion heraus (vgl. Szenen die Vorlage erkennen, während ebd.). andere behaupten, hier wäre die Zei- Anhand dieser drei Analysemuster chentrickserie systematisch adaptiert lassen sich im Grunde auch die ande- worden. Schmitt selber führt noch ren Texte des Sammelbandes ordnen. eine zweite wahrscheinliche Vorlage Entweder wird erstens ohne weitere ein: das Buch Of Mice and Men (1937) Fokussierung ein Film auf seine Post- von John Steinbeck, in dem der Cha- modernität untersucht, er wird zwei- rakter L ennie Smalls vorkommt, dessen tens auf seine Vorlagen und deren Namen auch der Antagonist in Raising Um setzung untersucht oder er wird Arizona tragen darf. Der postmoderne drittens als Reflexion eines bestimmten Aspekt wird erst gegen Ende wieder ins Genres analysiert. Auge gefasst, wenn Schmitt beschreibt, Der vierte Text „Anmerkungen zum wie die immer mehr zu Zeichentrick- Barton Fink-Gefühl“ von Marc Vet- figuren verkommenden Filmcharaktere ter fällt in die erste Kategorie. So wird damit konfrontiert werden, dass Gewalt hier die Handlung um einen Drehbuch- tatsächlich Konsequenzen hat und nicht autoren, der für sein erstes Theaterstück Lights, Camera, Action! 23 gefeiert wurde und in Hollywood eine Van Ronk abgeglichen. Hier gibt es also Schreibblockade erleidet, zwar erst als keine fiktive Vorlage, mit der die Coens postmodernes Künstlerdrama unter- spielen, sondern zwei reale Personen, sucht, im Anschluss aber auch einzelne die zwei Seiten einer Medaille verkör- Sequenzen quasi mit einer Merkmal- pern. Dylan als der Erfolgreiche, Van liste des postmodernen Kinos abgegli- Ronk als der Mann, der nicht Dylan chen (vgl. S.47-58). ist – und Llewyn wird so auch in erster Ein Text mit dem Titel „The Dark Linie in seiner Abgrenzung zu Dylan Side of the Dude – Cutter’s Way als Vor- dargestellt (vgl. S.220). lage für The Big Lebowski“ vergleicht in Das Buch ist als 67. Band der „Saar- seinem Anfangsteil die Handlungen brücker Beiträge zur vergleichenden und Charaktere der beiden im Titel Literatur- und Kulturwissenschaft“ erwähnten Filme, um aufzuzeigen, erschienen, und wenn man sich im inwiefern Cutter’s Way (1981) die ersten Moment auch fragen möchte, moderne Variante und The Big Lebow- warum ein Buch über Filme in einer ski (1998) die postmoderne Variante der Literaturwissenschaftsreihe erscheint, selben Handlung erzählt. Hier vermi- wird diese Frage schon beim Durch- schen sich erstes und zweites Analyse- blick der Aufsatz-Titel beantwortet: muster. Die meisten Filme der Coen Brothers Der einzige Beitrag, der sich einge- haben eine oder mehrere literarische hend mit zwei Filmen der Coen-Brot- Vorlagen, deren Adaption hier unter- hers befasst, ist Schmitts „‚Compared sucht wird. to what?’ – No Country for Old Men als Was in dem Buch also geboten Rekonstruierung und Dekonstruktion wird, ist ein eingeschränkter, wenn- von Raising Arizona“ und nimmt sich als gleich auch bisher wenig behandelter Schwerpunkt, inwiefern die Coens ihren Blick auf das Werk der Gebrüder, der eigenen Film als Vorlage für ihren Neo- zwar keine erschöpfenden Filmanaly- noir-Western No Country for Old Men sen bietet, aber zumindest interessante (2007) genutzt haben (vgl. S.161-174). Ansatzpunkte für weitere Beschäfti- Etwas aus der Reihe fällt der ebenso gungen mit dem postmodernen Kino von Schmitt verfasste Aufsatz „‚The liefert. Leser_innen, die ohne Kenntnis Man who wasn‘t Bob Dylan’ – Spie- der Filme an dieses Buch geraten, wer- gelungs- und Abgrenzungstechniken den es vermutlich schwer finden, dem in Inside Llewyn Davis“. Der Film ist Geschriebenen zu folgen, da selten die eine Milieu studie der Folkszene im Handlung ausführlich erklärt und man Greenwich Village in New York, und sofort in einzelne Szenen geworfen die Hauptfigur Llewyn Davis wird wird, die analysiert werden. in Schmitts Aufsatz mit ihren beiden realen Vorbildern Bob Dylan und Dave Simon Conrads