Universität Münster AUTORIN Louisa Melzow TITEL Skurril, experimentell und einzigartig. Komposition und Arrangement der Wallace-Filmmusik ERSCHIENEN IN Edgar Wallace – ‚German Grusel‘: Zwischen Popkultur und Sittengemälde der 1960er-Jahre. Ein kritischer Blick auf Deutschlands längste Kinofilmreihe (= Paradigma. Studienbeiträge zu Literatur und Film 4/2021), S. 43–49. EMPFOHLENE ZITIERWEISE Melzow, Louisa: „Skurril, experimentell und einzigartig. Komposition und Arrangement der Wallace-Filmmusik“. In: Edgar Wallace – ‚German Grusel‘: Zwischen Popkultur und Sittengemälde der 1960er-Jahre. Ein kritischer Blick auf Deutschlands längste Kinofilmreihe (= Paradigma. Studienbeiträge zu Literatur und Film 4/2021), S. 43–49. IMPRESSUM Paradigma. Studienbeiträge zu Literatur und Film ISSN 2567-1162 Universität Münster Abteilung Neuere deutsche Literatur - Literatur und Medien - Germanistisches Institut Schlossplatz 34 48143 Münster Herausgeber: Andreas Blödorn, Stephan Brössel Redaktion: Eve Driehorst, Niklas Lotz 43 Skurril, experimentell und einzigartig. Komposition und Arrangement der Wallace-Filmmusik Louisa Melzow Musik als gestisches Muster des Films Filmmusik ist in der semiotischen Betrachtung von Filmen von großer Bedeutung. Denn auch sie dient als ein Kommunikationssystem. Sie kann Informationen und Be- deutungen vermitteln, Emotionen freisetzen oder manipulieren und sogar physika- lisch messbare Reaktionen, wie eine Veränderung der Herz- oder Atemfrequenz bei den Rezipienten auslösen (vgl. Gräf u. a. 2017: 250). Während das Auge ein aktives, gerichtetes Sinnesorgan ist, ist das Ohr ein passives, unbewegliches, welches die Um- welt ganzheitlich wahrnimmt. Über das Sehen können wir einen Film rational erfas- sen, über das Hören in erster Linie emotional. Meist wird Musik aber unbewusst re- zipiert, obwohl sie einen großen Anteil an der Wahrnehmung und emotionalen Wir- kung eines Films hat. Darum sind die Komposition und das Arrangement von Film- musik auch ein zentraler Bestandteil einer Filmproduktion: Vorrangig Regisseur und Komponist, aber auch Tonmeister und Cutter legen die Aufga- ben bzw. ‚Funktionen‘ fest, die Filmmusik im Rahmen der Gesamtdramaturgie eines Films und seiner Vermarktung erfüllen soll. Ihre Hoffnung ist es, mit dem Einsatz von Musik bestimmte Wirkungen beim Filmbetrachter zu erzielen. (Bullerjahn 2018: 185) Die Wirkung der Filmmusik ist dabei nicht trennbar von der gesamtheitlichen Wir- kung des Films und zudem auch noch abhängig von diversen subjektiven Faktoren. Denn welche Interpretation aus der Beziehung von musikalischen und nicht-musi- kalischen Zeichen folgt, ist stark von der individuellen Biografie und persönlichen Einstellungen, aber auch von den kulturellen und historischen Einflüssen des Ent- stehungsrahmens bestimmt (vgl. Gräf u. a. 2017: 251). Der kultige Sound der Edgar Wallace-Reihe Die Soundtracks der Edgar Wallace-Filme werden als besonders auffällig wahrge- nommen, der Mix aus Beat, Jazz, Orchestersound und skurrilen Klängen durchzieht die ganze Reihe der Kriminalgeschichten. Die Musik von insgesamt 18 Filmen stammt von Peter Thomas, dessen Kompositionen die markantesten und dominan- testen der Reihe sind. Die Soundtracks der anderen Filme, komponiert unter anderem von Martin Böttcher, Willy Mattes oder Peter Sandloff, sind eher geprägt von einem ‚Easy-Listening‘-Charakter und klassischem Orchestersound. Einige Komponisten wie Heinz Funk und Oskar Sala haben sich in ihren Werken mehr mit neuen Techni- ken der elektronischen Musik und experimentellen Kompositionen beschäftigt. Auch Oscar-Preisträger Ennio Morricone ist für die Musik in einem Edgar Wallace-Film Louisa Melzow 44 verantwortlich, der deutsch-italienischen Koproduktion DAS GEHEIMNIS DER GRÜNEN STECKNADEL (BRD/I 1972). Die Filmmusiken erlangten unter Fans einen besonderen Stellenwert, einige CDs und Platten erschienen mit der Kompilation verschiedener Soundtracks aus den Fil- men. Besonders das Intro mit den zwölf Pistolenschüssen und der Stimme aus dem Off, die sagt: „Hallo, hier spricht Edgar Wallace!“, ist Kult und wird bisweilen sogar als Handy-Klingelton verwendet, was den/die Besitzer*in des Mobiltelefons sofort als Fan der Krimi-Reihe entlarvt. Die Filmmusiken tragen entscheidend zu der Wirkung der Wallace-Reihe bei, die einzigartig und unverkennbar ist. Da besonders Peter Thomas durch die Anzahl und die Beschaffenheit seiner Kompositionen die musika- lische Seite der Edgar Wallace-Reihe geprägt hat, wird im Folgenden speziell der von ihm musikalisch inszenierte Film DER UNHEIMLICHE MÖNCH (BRD 1965) untersucht. Jazz im Spukschloss DER UNHEIMLICHE MÖNCH beginnt zunächst ohne musikalische Untermalung. Ledig- lich die Geräusche eines Gewitters erschaffen die düstere Spukschloss-Atmosphäre, ein beliebtes Motiv in Literatur und Kunst des Mystery-Genres. Der Schlossherr Sir Darkwood liegt im Sterben, er hinterlässt das Schloss seiner Tochter Patricia, Leiterin eines Mädcheninternats. Alles weitere vererbt er seiner Enkelin Gwendolin, seine Söhne Sir Richard und Sir John gehen leer aus, was ihnen offenkundig nicht gefällt. Darkwood stirbt, der Notar mit dem Testament verlässt das Schloss. Musik setzt dann plötzlich mit dem Schnittwechsel zum auf der Straße warten- den Sohn Sir Richard ein (vgl. 00:02:54). Sie ist geprägt von einem jazzigen Big-Band Charakter, in dem die Kernmelodie einiger Blechbläser dominiert. Kurz vor dem Auf- prall eines Steines, den Richard auf die Windschutzscheibe des im Wagen fahrenden Notars wirft, ist ein schriller Ton zu hören und ein Klang eines Bläsers, der an ein doppeltes Hup-Signal eines Autos erinnert (vgl. 00:03:04). Das Auto fährt gegen ei- nen Baum und geht in Flammen auf. Richard entwendet das Testament aus dem Wa- geninneren und die Musik endet jäh mit dem dissonanten hohen Ton eines Blasin- strumentes (vgl. 00:03:15). Kurz darauf folgt das Intro, eingeleitet durch zwölf extra- diegetische, erst langsam, dann schneller aufeinanderfolgende Schüsse und die Stimme von Alfred Vohrer aus dem Off, die den prominenten Satz sagt: „Hallo, hier spricht Edgar Wallace!“ Sobald der Titel des Films in Schriftzeichen auf dem Bild- schirm erscheint, im Hintergrund ist noch das Knistern des Feuers zu hören, beginnt ein sakrales Orgel-Solo (vgl. 00:03:28–00:03:39) – das musikalische Motiv des Mön- ches, der sein Unwesen in dem Schloss treibt und einige der dort im Internat woh- nenden Mädchen auf dem Gewissen hat. Es war die Verwendung von Bachs Toccata und Fuge d-Moll in diversen Gruselfilmen, unter anderem in DAS RÄTSEL DER UNHEIM- LICHEN MASKE (THE PHANTOM OF THE OPERA, GB 1962), die eine Verknüpfung von Or- gelmusik und Grusel fest im kulturellen Gedächtnis verankert hat. Darum reichen auch in diesem Film wenige langgezogene Töne der Orgel aus, um den atmosphäri- schen Rahmen, den zuvor die Gewitter-Geräusche und die Inszenierung des Raums Komposition und Arrangement der Wallace-Filmmusik 45 ‚Schloss‘ geschaffen haben, zu vervollständigen und bei den Rezipienten die Erwar- tung eines Gruselfilms zu wecken. Doch bevor sich diese aufgebaute Spannung etab- lieren kann, kommen weitere Instrumente zu der Orgel dazu und das Grundtempo der gespielten Melodie wird deutlich erhöht (vgl. 00:03:39). Gemischt mit einer Frau- enstimme, die mit Hall unterlegt abstrakte Töne singt, wird die Titelmusik zu einer bunten, skurrilen, experimentellen Komposition mit jazziger Big-Band-Anmutung. Die Klänge der Orgel haben durch den Tempoanzug an Schaurigkeit verloren und sind zu einer grotesk-fröhlichen, anregenden Melodie mit Ohrwurmcharakter gewor- den. Der Klang ist leicht dissonant und grell, der weibliche Gesang erinnert durch einen Hall-Effekt an Gespenster-Geheule – die gesamte Titelmelodie, bestehend aus sich abwechselnden Motiven von Orgel, Gesang und Blechbläsern, zielt auf die Her- vorrufung emotionaler Diffusität und Unsicherheit bezüglich des Genres – eine in der Wallace-Reihe intendierte Wirkung zur Überschreitung klassischer Genre-Gren- zen. Raumsemantisch ruft die Titelmusik, wie schon erwähnt, die Assoziation eines Geisterschlosses auf, aber auch der Raum ‚Kirche‘ wird zeichenhaft eröffnet. Bei ge- nauerem Hinhören ist zudem eine Art Glockenschlag in der Melodie zu hören (vgl. 00:03:50), der diesen Raum bestätigt, aber auch an das Läuten von Big Ben erinnert und ‚London‘ als Raum der Handlung markiert. Das wird später auf visueller und nar- rativer Ebene bestätigt, denn London stellt sich als der Ort heraus, an dem die Mäd- chen während ihrer Ausflüge entführt werden. Glockenläuten wird außerdem ge- meinhin in der Musikkomposition oder im Sounddesign eingesetzt, um bedeutungs- volle Ereignisse zu markieren, denn der Klang von (Kirchturm-)Glocken ist mit Initi- ations- und Übergangsriten, wie Beerdigungen, Hochzeiten und Firmungen assozi- iert. So ist das Läuten von Glocken auch in diesem Wallace-Film ein auditives Symbol für Schicksal und Vergänglichkeit (vgl. Görne 2017: 133). Durch die ungewöhnliche Zusammensetzung der Titelmusik wird eine neue Form von Spannung generiert. Sie funktioniert nicht im klassischen Sinne, in wel- chem die Musik die auf visueller Ebene erzeugte Spannung unterschwellig unter- stützt; in diesem Fall überlagert die musikalische Ebene alles Visuelle und kann ganz für sich allein stehen und wirken. Den Erwartungen der Rezipierenden eines gruseli- gen Horrorfilmes, die durch die ersten Szenen geschaffen wurde, wird mit dieser Ti- telmelodie entgegengewirkt. Stattdessen entsteht allein beim Anblick des Vorspanns der Eindruck eines unterhaltenden, leicht grotesken und temporeichen Films mit un- geahnten Wendungen. Wiederkehrendes Thema als Relevanzsignal Die Klänge der Orgel werden als wiederkehrendes Motiv genutzt, um das Erscheinen des Mönchs zu markieren. Dieselbe Tonfolge, die schon in der Titelmelodie genutzt wurde, setzt jäh ein, wenn der Mönch im Bild zu sehen ist (vgl. z. B. 00:17:24). Hier arbeitet Komponist Peter Thomas mit dem Moment der surprise, dem Erzeugen von Spannung durch eine plötzliche unerwartete musikalische Aktion, die Erschrecken Louisa Melzow 46 auslösen kann (vgl. Gräf u. a. 2017: 265). Das Mönch-Thema dient als Relevanzsignal für das Anzeigen zentraler Momente im Film. Der Spannungsbogen, den die Musik schafft, überträgt sich auch auf die anderen Sinneseindrücke, dramatisiert das Er- scheinen des Mönchs und macht es zum zentralen Moment der Handlung. Durch die zuvor erläuterte affektive Verknüpfung mit Orgelklängen wird der Figur des Mönches eine Geisterhaftigkeit zugesprochen, die mit dem visuellen, doch sehr körperlichen Erscheinungsbild konterkariert. Vor dem letzten Erscheinen des Mönches, bei dem er stirbt und seine Gestalt enthüllt wird, setzt die Orgel-Melodie bereits nach der An- kündigung des Butlers „Der Herr!“ (01:20:22) ein. Das musikalische Zeichen ‚Orgel‘ ist durch die Verknüpfung im Film mit dem visuellen Zeichen ‚Mönch‘ aufgeladen. So verweist die Musik zeichenhaft auf den Mönch als den besagten Herrn, bevor die- ser überhaupt zu sehen ist. Die Rezipienten wissen nun also, was kommt: Durch das Abweichen von der bis dahin zeitgleichen Verwendung beider Zeichen gibt es zwar keinen Moment der surprise, stattdessen verläuft die Spannungskurve im Sinne von suspense – eine erahnte Bedrohung, die sich aber noch nicht bestätigt oder aufgelöst hat (vgl. ebd.). Das führt für einen kurzen Moment zu einer Asymmetrie des Wissens, denn auf Bildebene ist die Bedrohung, die wir durch die Musik begreifen und fühlen, noch nicht erkennbar. Musikalisches Motiv der Liebe In den Edgar Wallace-Filmen ist es oft gängiger Teil der Dramaturgie, dass der Er- mittler ein romantisches Interesse an der weiblichen Protagonistin zeigt. Auch in DER UNHEIMLICHE MÖNCH springt bei Inspector John Bratt und Gwendolin der sprich- wörtliche Funke schon bei der ersten Begegnung über. Dass die Rezipienten dies spü- ren, ohne dass es verbalisiert wird, liegt an der Inszenierung des langen Blickkontakts sowie an dem Einsatz der extradiegetischen Musik in dieser Szene (vgl. 00:43:00). Langsam spielt ein Streichinstrument, vermutlich ein Cello, eine sanfte, leise Melo- die. Die tiefen Töne in Moll geben der Szenerie eine bedeutungsschwere Anmutung. Streichinstrumente werden der Epoche der Romantik zugeordnet und werden tradi- tionell zur Unterstützung und Generierung emotionaler Szenen verwendet. Die Mu- sik korreliert hier mit der visuellen Ebene, da Gwendolin und John auffällig lange Blickkontakt halten, wodurch ebenfalls eine tiefergehende Verbindung beider Cha- raktere symbolisiert wird. Bei den Rezipienten wird durch das visuelle und auditive Zusammenspiel die Erwartung einer Liebesbeziehung geweckt. Im Laufe der Szene gibt es zunächst aber keine weiteren Hinweise auf eine Entwicklung in diese Rich- tung. Zwar wird die Romantisierung der Situation zunächst verstärkt, nachdem Gwendolin und John allein im Raum sind und die Streichmelodie an Lautstärke zu- nimmt, doch sobald der Inspektor beginnt, Gwendolin zu befragen, endet die Musik und auch Gwendolins Tonfall wird ruppig. Das Symbol ‚Romantik‘ rückt zunächst wieder in den Hintergrund und die ge- sprochenen Inhalte werden durch die Stille auf musikalischer Ebene akzentuiert. Erst nachdem Gwendolin sagt: „Aber wenn Sie es unbedingt wissen wollen: Ja, ich lebe Komposition und Arrangement der Wallace-Filmmusik 47 allein“ (00:44:16), setzt erneut Musik ein. Diesmal sind es allerdings keine romanti- schen Streicher, sondern es ist eine Klavier-Melodie mit jazzigem Charakter und ho- hem, sanften Klang, welche uns in den semantischen Raum einer Piano-Bar versetzt. Sie weckt zusammen mit Gwendolins Bekenntnis, nicht vergeben zu sein, die Erwar- tung eines Flirts und erschafft eine unbeschwerte, an Koketterie erinnernde Atmo- sphäre. Diese steht jedoch in Dissonanz zu dem Gesprochenen, denn anstatt zu flir- ten, erzählt Gwendolin Inspektor John von der Verurteilung ihres Vaters wegen Mor- des. Auch auf visueller Ebene ist nichts zu erkennen, was das musikalisch affektiv hervorgerufen Flirt-Symbol unterstützen würde. Diese Unstimmigkeit versetzt die Rezipienten in ein Stadium der Ungewissheit bezüglich der gemeinsamen Zukunft der Charaktere und baut über diese Unklarheit Spannung auf. Auf verbaler Ebene ste- hen Information und Ernst, auf musikalisch-auditiver Ebene Lässigkeit, Geheimnis und Reiz. Betont wird dies, sobald John den Raum verlässt, durch das Enden des Kla- vierspiels mit einem aufsteigenden Akkord (vgl. 00:45:18), dessen letzter Ton kurz in der Luft stehen bleibt und als Symbol für die noch in der Luft hängende Frage nach der Beziehung der beiden Figuren und als Ankündigung einer Fortsetzung interpre- tiert werden kann. Zwischen Genretypisch und -atypisch Auch über die Titelmelodie, das Mönch-Thema und die musikalische Romantik hin- aus gibt es in DER UNHEIMLICHE MÖNCH eine Vielzahl an Kommunikation über die Filmmusik. Zum Beispiel ist bei Gwendolins erster Begegnung mit den anderen Mäd- chen des Internats oder bei der Fahrt mit dem Bus in die Stadt ein in die Musik inte- griertes Vogelgezwitscher zu hören, das mit Blick auf den Fortgang des Filmes als erster Hinweis auf die Rolle der Brieftauben bei der Entführung der Mädchen gedeu- tet werden kann. Das Glockenleuten der Titelmelodie ist unter anderem erneut zu erkennen, wenn die Leiche der Schülerin Lola abtransportiert wird oder auch in Kom- bination mit dem Mönch-Thema und fungiert hier ebenfalls als Markierung eines für das Erzählverfahren wichtigen Moments und als Symbol für Vergänglichkeit und Tod. Gleiches gilt für den Glockenschlag, der in jener Szene zu hören ist, in der der vorgebliche Französischlehrer seine wahren Beweggründe preisgibt. In Verbindung mit der Figur Gwendolin taucht zudem immer wieder der abstrakte weibliche Gesang auf. Dadurch werden die Szenen mit Gwendolin auditiv miteinander verbunden und markiert, außerdem können mit der Melodie und dem Klang des Gesangs Attribute wie ‚Sinnlichkeit‘ und ‚Weiblichkeit‘ assoziiert werden, die durch die Korrelation von visueller und auditiver Ebene auf Gwendolin übertragen werden. Peter Thomas ar- beitet in DER UNHEIMLICHE MÖNCH viel mit einem synchronen Bild-Ton-Geschehen, einer Technik die auch Micky-Mousing genannt wird, das heißt: Die Musik verläuft größtenteils parallel zur Schnitttechnik beziehungsweise zu den Bewegungen der Fi- guren. Schließt sich zum Beispiel auf visueller Ebene eine Tür, bricht die extradiege- Louisa Melzow 48 tische Musik abrupt ab, in Dialogen wird sie in die Sprechpausen eingespielt und un- terstreicht den Rhythmus des Gesprächs, oder es gibt mit dem Schnitt einen Orts- wechsel und zeitgleich dazu setzt ein neues musikalisches Thema ein. In vielen Fällen korreliert Peter Thomas’ Filmmusik mit der filmischen Erzäh- lung und entspricht den gängigen musikalischen Genre-Attributen. Genauso häufig widerspricht die gestische Form der Musik aber der Dramaturgie. Ein Beispiel hierfür ist die jazzige Klaviermusik in der Szene, in der Inspektor John und sein angeschos- sener Kollege in einer Fallgrube festsitzen, oder auch die Stille während des anschlie- ßenden Kampfes. Beides ist für das Krimi- und Horrorgenre ungewöhnlich. Dieser auditive und dramaturgische Widerspruch verhindert in vielen Fällen, dass Span- nungsaufbau und Gruselfaktor dem Krimi-/Horror-/Psycho-Genre entsprechen. Er gibt den Edgar Wallace-Filmen stattdessen jenen charakteristischen Zug von Kla- mauk und Absurdität, der die Reihe von anderen Filmen mit ähnlicher Storyline un- terscheidet. Auch in anderen Filmen der Reihe gibt es musikalische Auffälligkeiten. In DER HUND VON BLACKWOOD-CASTLE (BRD 1968) wird zum Beispiel an vielen Stellen mit den klassischen auditiven Elementen des Krimi- und Horrorgenres gearbeitet, wie den hohen, dissonanten Tönen eines Synthesizers oder einer Geige, die den Augen- blick des Erschreckens verstärken sollen, oder dem typischen, gedämpften staccato- Trompetenspiel, das typischerweise eine Form des humoresken Anschleichens un- termalt. Aber auch in diesem Film bedient sich Peter Thomas gleichzeitig der skurri- len und einzigartigen Kombination aus jazzigen, orchestralen und experimentellen Musikelementen. Auffällig ist unter anderem das irre Lachen und der gesprochene Text in der Titelmusik, die auf den Gitarristen Joe Quick zurückzuführen sind. In ei- nigen Themen sind außerdem die Paukenschläge einer Ruderflotte zu erkennen, die kulturell auch als Totentrommeln bekannt sind und die zeichenhaft auf den ver- meintlich verstorbenen Kapitän und seine Mannschaft referieren. Erwähnenswert ist außerdem Martin Böttchers Einsatz von Musik in DIE BLAUE HAND (BRD 1967), wenn das Mordopfer, an der Orgel sitzend, diegetisch den Soundtrack zur eigenen Ermor- dung spielt. Es könnten an dieser Stelle noch viele ähnliche musikalische Auffällig- keiten in den Filmen der Edgar Wallace-Reihe genannt werden. Vorläufig kann aber resümiert werden, dass die Filmmusik in diesen für die deutsche Filmgeschichte so prägnanten Produktionen maßgeblich zu der reißerischen, skurril-grotesken atmo- sphärischen Wirkung beiträgt, die auch noch heute die Filme einzigartig macht. Filme DER UNHEIMLICHE MÖNCH (BRD 1965, Harald Reinl). Der Hund von Blackwood-Castle (BRD 1968, Alfred Vohrer). Die blaue Hand (BRD 1967, Alfred Vohrer). Komposition und Arrangement der Wallace-Filmmusik 49 Forschungsliteratur Bullerjahn, Claudia (2018): „Psychologie der Filmmusik“. In: Frank Hentschel u. Peter Moormann (Hg.): Filmmusik: Ein alternatives Kompendium. Wiesbaden, S. 181–229. Görne, Thomas (2017): Sounddesign: Klang, Wahrnehmung, Emotion. München. Gräf, Dennis u. a. (2017): Filmsemiotik. Eine Einführung in die Analyse audiovisueller Formate (= Schriften zur Kultur- und Mediensemiotik 3). 2. Aufl. Marburg. DB_Melzow edgar_wallace_paradigma_4_aus_2021 Titelseite-nn