386 MEDIENwissenschaft 03/2025 Neuerscheinungen: Besprechungen und Hinweise Im Blickpunkt Ronald Röttel: Verpackungen der Literatur: Typografische und materielle Oberflächen literarischer Texte seit 1960 Bielefeld: transcript 2024 (Literatur – Medien – Ästhetik, Bd.8), 312 S., ISBN 9783837671391, EUR 52,- (Zugl. Dissertation an der Universität zu Köln, 2022) Wie bei kaum einem anderen kultu- rellen Artefakt wird im Fall des Buches die Tatsache, dass es sich auch um ein Produkt handelt, mit einem gewissen Unbehagen betrachtet. Vor allem die ‚Verpackungen‘ der Literatur scheinen dabei das Überhandnehmen von öko- nomischen über künstlerische Inter- essen zu bezeugen und waren daher wiederholt Anlass für kulturpessi- mistische Klagen – von Theodor W. Adorno über Hans Magnus Enzens- berger und Max Frisch bis zu Gérard Genette. Gerade diesen Oberflächen, wo der Hiatus von Kunst und Kommerz besonders sichtbar austariert wird, widmet sich Ronald Röttel in seiner Monografie Verpackungen der Litera- tur: Typografische und materielle Ober- flächen literarischer Texte seit 1960 und legt hierfür seinen Fokus auf Layout und Typografie im Zusammenhang mit dem Phänomen des Pop. Röttel geht es dabei nicht darum, „Dichtung und Warenzeichen“ (vgl. Wegmann, Thomas: Dichtung und Warenzeichen: Reklame im literarischen Feld 1850- 2000. Göttingen: Wallstein, 2011) als kontradiktorische Pole zu verstehen, die notgedrungen miteinander in Einklang gebracht werden müssten. Vielmehr zeigt seine medienhistorische Unter- suchung typografische Oberflächen als einen Schauplatz diskursiver Aushand- lung und künstlerischer Innovation. Es läge nahe, für eine solche Studie die Popliterat:innen der 2000er Jahre in den Blick zu nehmen, bezogen diese doch werbende Oberflächen gezielt in medienübergreifende Autorschaftsin- szenierungen ein (man denke etwa an den Prospekt von Peek & Cloppen burg mit Christian Kracht und Ben- jamin von Stuckrad-Barre 1999). Im Blickpunkt 387 Diese werden zwar gestreift, jedoch wählt Röttel die 1960er und 1980er Jahre als zeitliche Schwerpunkte und gliedernden Rahmen seiner Unter- suchung. Während dieser Phasen erfuhr die ‚Verpackung von Literatur‘ eine doppelte Aufwertung: In Konkurrenz zu anderen Medien und durch den Einfluss von Popmusik und Pop Art gewann sie zum einen für die Lite- raturproduktion an Bedeutung. Zum anderen und parallel dazu wurde das Verhältnis von inhaltlicher Tiefe und typografischer Oberfläche intensiv dis- kutiert, sowohl von verlegerischer und wissenschaftlicher als auch von aukto- rialer Seite (neben den eingangs er- wähnten u.a. Ralf-Rainer Rygulla, Rolf Dieter Brinkmann, Rainald Goetz oder Diedrich Diederichsen). Röttel zeichnet theoretisch und analytisch fundiert nach, wie sich beide Diskur- slinien entwickelten und mitunter auch kreuzten. So sprach beispielsweise Roland Barthes im Kontext der Typo- grafie von einer Erweiterung des klas- sischen Autorschaftskonzeptes zum „Textperformator“ (S.49), dessen Hand- lungsspielraum sich auf die Materialität von Texten ausdehne – entgegen seiner berühmten Schrift „Der Tod des Autors“ (In: Jannidis, Fotis/Lauer, Gerhard/ Martínez, Matías/Winko, Simone [Hg.]: Texte zur Theorie der Autorschaft. Stuttgart: Reclam, 2000, S.185-193). Diese wurde 1967 interessanterweise zuerst in englischer Übersetzung im hochexperimentellen Aspen-Maga- zin publiziert. Die Texte von Adorno erschienen wie auch die Veröffentli- chungen von Barthes in der Taschen- buchreihe edition Suhrkamp und gingen damit selbst in jener ‚Kulturin- dustrie‘ auf, die Adorno kritisierte. In seinen Analysen konzentriert sich Röttel auf jene Zeitschriften- Formate, Verlage und Autor:innen, die die Hierarchien von typografischer Oberfläche und inhaltlicher Tiefe, von Kunst und Kommerz, von Werk und Beiwerk besonders produktiv auslo- teten. Dazu gehören unter anderem Buchreihen wie edition Suhrkamp oder rororo, weiterhin Verlage wie März oder KiWi, Punk-Fanzines sowie Popmusik- beziehungsweise ‚Zeitgeist‘-Zeitschriften (allen voran Spex, Elaste, Tempo) und deren Adap- tionen in Buchform. Indirekt zeigt sich dabei, dass Genette mit seiner demonstrativen Missachtung verle- gerischer Paratexte – die er in seiner wegweisenden Studie Paratexte: Das Buch vom Beiwerk des Buches (Frank- furt am Main: Campus, 1989) damit begründete, dass Autor:innen „vor den aufwertenden Hyperbeln, die das Geschäft verlangt, offiziell die Augen“ (Paratexte, S.331) verschlös- sen – einem Irrtum unterlag. Denn anhand zahlreicher Beispiele weist Röttel nach, wie virulent die Frage der Oberflächenästhetik für die Literat:innen der Pop-Szene war, wie sie diese ironisch reflektierten und mitunter als Teil ihres (Gesamt-) Werks begriffen. Durch Röttels medienhistorischen Blick auf Layout und Typografie erfahren die ‚Verpac- kungen der Literatur‘ eine Aufwer- 388 MEDIENwissenschaft 03/2025 dazugehörigen Layout-Ästhetik. Beide Perioden befruchteten wiederum die spätere Pop-Phase um Kracht und Stuckrad-Barre, wie im letzten Kapitel gezeigt wird. Popliteratur erweist sich somit als Netz von paratextuellen Ver- weisen und ist ein eindrückliches Bei- spiel dafür, wie Pop- beziehungsweise Fankultur nicht nur über verschiedene mediale Formate hinweg verbreitet wird, sondern sich über ihre Medien affinität zuallererst konstruiert und definiert. Autor:innen sind in diesem Sinne weder als Produzent:innen von rein textimmanenter Bedeutung zu verstehen, noch als bloße Projektions- figuren eines personalisierten Lite- raturbetriebs. Sie sind – der Begriff des ‚Textperformators‘ legt es nahe – vielmehr Akteure in einem medialen Dispositiv, das ästhetische, verlegeri- sche, gestalterische und ökonomische Parameter verbindet. In dieser Hin- sicht ist Röttels Studie eine sub- stanzielle Ergänzung zum Feld der Autorschaftstheorie, indem aufgezeigt wird, dass Autorschaftskonzepte nicht ohne die medialen und betrieblichen Praktiken ihrer Zeit zu denken sind. Die Untersuchung von Medien- praktiken im vordigitalen Zeitalter bietet darüber hinaus interessante Anknüpfungspunkte für die medien- wissenschaftliche Analyse gegenwärti- ger Phänomene: Wie verhält sich die Beziehung von Kunst und Kommerz etwa im Hinblick auf Cover-Reveals bei Instagram, Buchpräsentationen bei BookTok oder die aufwändig designten Farbschnitte aktueller Young-Adult- tung vom zweckgerichteten Beiwerk zu einem eigenständigen Medium, das selbst Bedeutung erzeugt. Rolf Dieter Brinkmann etwa maß diesen sowohl beim Schreibakt als auch werkpolitisch eine so hohe Bedeutung bei, dass eine Neuerung des Bucheinbandes bei März ihn zu einem Verlagswechsel veranlasste. Denn bei KiWi genoss er die Freiheit, die Um- schläge seiner Bücher selbst gestalten zu können. Wie das Beispiel Brink- mann andeutet, erfolgte die multime- diale Erweiterung von Autorschaft auf die Hüllen von Literatur zudem oftmals in engem Austausch mit Verleger:innen, Herausgeber:innen und Grafiker:innen. Es ist ein Gewinn von Röttels Studie, dass er den übli- chen auktorialen Fokus aufbricht und diese Akteure angemessen würdigt (zu nennen sind hier neben Fleck- haus v.a. Jörg Schröders Arbeiten für Kiepenheuer & Witsch und Melzer). Dabei bildeten beispielsweise Willy Fleckhaus’ Layouts für die Zeit- schrift Twen und für Suhrkamp, die psychedelischen Hippie-Typografien der 1960er Jahre oder absichtlich dilet- tantische Gestaltungspraktiken von Punkzines in den späten 1970er Jahren wichtige Bezugspunkte für die Pop-Ästhetik von Zeitschriften der 1980er Jahre. Für die bekannten Namen dieses Genres (Rainald Goetz, Thomas Meinecke, Christian Kracht) bildeten Publikationsorgane wie Spex, Tempo, Elaste und Wiener den Start- punkt ihrer sich anschließenden Karrieren als Buchautoren, mitsamt der Im Blickpunkt 389 Bücher? Dass solche Ästhetiken kei- neswegs neu sind, zeigt ein Blick auf die von Fleckhaus entworfene edition suhrkamp: Nebeneinandergestellt bil- den die Buchrücken das Farbspek- trum des Regenbogens ab. Die Reihe sprengte damit bereits in den 1960er Jahren die Grenze zwischen litera- rischer sowie bildender Kunst und Konsumästhetik – lange bevor ‚Regen- bogenregale‘ in heimischen Wohn- zimmern zum viralen Trend in den sozialen Medien wurden. Das alles erzählt Röttel anekdo- tenhaft und unterhaltsam. Er gewährt damit Blicke durch das Schlüssel- loch in den Raum der verlegerisch- auktorialen Diskussionen, ohne die nötige analytische Tiefenschärfe zu vernachlässigen. Röttels Studie bietet ertragreiches Material für literatur- soziologische Untesuchungen, etwa im Anschluss an Pierre Bourdieus Überlegungen zum literarischen Feld (vgl. Die Regeln der Kunst: Genese und Struktur des literarischen Feldes. Frankfurt am Main: Suhrkamp, 2001). Interessant ist sie auch für medienwissenschaftliche Fragestel- lungen – etwa aus der Designfor- schung oder der Mediengeschichte. Die interdisziplinäre Metho- dik, die eine umfangreiche Material analyse mit theoretischer Tiefen- schärfe und auflockernden Anekdoten verbindet, eröffnet außerdem interes- sante Ansatzpunkte für die medien- wissenschaftliche Lehre – geeignetes Anschauungsmaterial findet sich hier allemal! Insgesamt zeigt Röttel, dass typografische Oberflächen nicht nur Hüllen, sondern auch integraler Bestandteil von Kunst sein können, der Ort nämlich, „an dem Kunst wirk- sam ist, da sie dort die Wahrnehmung verändern kann“ (S.266). Hanna Maria Rompf (Limerick)