Im Film nacherlebt FUSSBALL WELTMEISTERSCHAFT 1954 (BRD 1954) FilmDokument 74, Kino Arsenal, 27. Mai 2005 In Zusammenarbeit mit den Freunden der Deutschen Kine- mathek und dem Bundesarchiv-Filmarchiv Einführung: Jeanpaul Goergen Sechs Tage nach dem dramatischen Finale am 4. Juli 1954 in Bern lässt ein abendfüllender Dokumentarfilm die Spiele der Fußballweltmeisterschaft in der Schweiz Revue passieren: Für die meisten damals die einzige Gelegenheit, die Spiele und Tore zu sehen.! Heute wird der Film FussBALL WELTMEISTERSCHAFT 1954 nur noch als Bilderbruch für Fernsehdokumentationen benutzt. Als zeittypi- sche Sportreportage mit eigenen Genremerkmalen ist er wiederzuentdecken. „Vielleicht kommt Deutschland bei dem Film von der Fußballweltmeister- schaft 1954 etwas zu kurz weg, [...] aber internationale Abmachungen und gewisse Mängel bei dem vorliegenden Filmmaterial erschwerten uns die Zu- sammenstellung.“? Sammy Drechsel, damals Sportreporter beim Bayerischen Rundfunk und für die sportliche Gestaltung des Films verantwortlich, spricht in einem Interview zwei zentrale Punkte an, die in die Bewertung des Films einfließen müssen: Die Frage der Filmrechte und die damalige Aufnahme- und Kameratechnik. Um die Film- und Wochenschaurechte an der Fußballweltmeisterschaft 1954 gab es in der Schweiz einen „Zelluloid-Skandal”?, der in der Presse für einige Aufregung sorgte. Ein „Schrotthändler” aus München hatte für 250.000 Schweizer Franken die Exklusiv-Wochenschaurechte erstanden. Die Schweizer waren vermutlich „in erster Linie ergrimmt, daß nun die Ausübung dieser ex- clusiven Wochenschaurechte mit Hilfe der Polizei gesichert wurde.”* Ein ent- sprechender Bericht der Schweizer Wochenzeitschrift Die Tat wird auch in Deutschland ausgiebig zitiert: „Diese deutsche Firma besaß nun während sämtlicher Spiele der Fußball-Weltmeisterschaft das alleinige Recht, Filmauf- nahmen zu machen. Sowohl die Schweizerische Filmwochenschau wie die ' In der Bundesrepublik gab es damals erst rund 20.000 Fernsehgeräte. ? Fußball-Weltmeisterschaft im Film nacherlebt. In: Der Tagesspiegel, 14.7.1953. (Filmmuseum Potsdam, Zeitungsausschnitt-Sammlung). ? Luzerner Neueste Nachrichten, 7.7.1954, zitiert in: Filmpress, Nr. 27, 14.7.1954, 5. 3. * Zeltuloid-Skandal um die FuRball-Weltmeisterschaft. Schweizer Groll gegen die deutschen Wochenschauen. In: Filmpress, Nr. 27, 14.7.1954, 5. 3. 19 ausländischen Wochenschauen waren gezwungen, die von ihnen gewünschten Streifen dieser deutschen Firma abzukaufen. Es muß dabei betont werden, daß diese deutsche Firma absolut korrekt vorging und das von ihr bestens ausgesuchte Filmmaterial zu einem durchaus tragbaren Preis weiterverkaufte. Unsere Kritik gilt denn auch nicht dieser Firma, sondern der Art und Weise, wie hier aus dem Sport unter Außerachtlassung schweizerischer und allge- meiner Interessen ein Geschäft gemacht wurde. Man scheute sich auch nicht, durch Polizei und Sekuritas auf den Fußballplätzen ein höchst strenges Re- gime auszuüben und rigoros alle übrigen Filmaufnahmen, sei es durch Berufs- operateure oder durch Amateure, zu verbieten. Wer es wagte, trotzdem Film- aufnahmen zu machen, dem wurden kurzerhand die Kamera samt Film be- schlagnahmt.” Die Tat spricht dann von „Polizeiterror um des lieben Geldes willen“ und fährt fort: „Wenn ein Sportzweig zum Massensport geworden ist und eine gewisse Machtposition erreicht, wie der Fußball, dann verkauft er seine Veranstaltungen, wie dieser Vorfall zeigt, skrupellos und ungeachtet ir- gendwelcher nationaler oder allgemeiner Interessen an den Meistbietenden!”® Offenbar war es das erste Mal, dass die Kommerzialisierung eines bedeutenden Sportereignisses derartige Dimensionen erreicht hatte und der Konflikt zwischen Exklusivrechten und dem Recht auf freie Berichterstattung so deutlich aufbrach. Diese Vereinbarungen erklären auch, warum von den Spielen, insbesondere auch vom Endspiel, nur wenige Aufnahmen außerhalb der genehmigten Berichterstat- tung überliefert sind. So wunderte sich bereits 1954 ein Kritiker, „daß alle Wo- chenschau-Reporter die gleichen Zuschauer aufs Korn nahmen.“ Bei dem oben erwähnten „Schrotthändler“ handelte es sich um den Altwa- renhändler Hans Schubert aus München, der für die Auswertung der Exklusiv- rechte die Sport Film GmbH ins Leben rief. Da zahlreiche ausländische Wo- chenschauen beliefert werden mussten, insbesondere natürlich mit Aufnah- men der Tore, bot es sich geradezu an, aus diesem Filmmaterial eine Chronik der Weltmeisterschaft zu montieren. Eine Woche nach dem spektakulären Sieg der deutschen Mannschaft am 4. Juli 1954 über die favorisierten Ungarn war der Film vorführbereit. Als Kommentatoren konnten die renommierten Reporter Heribert Meisel aus Österreich und der Deutsche Herbert Zimmer- mann gewonnen werden. Der Prisma Filmverleih aus Frankfurt am Main setz- te den Film vor allem in Matineen, Nachmittags- und Spätveranstaltungen ein.’ 1954 lief er auch in der DDR; Aufführungsdaten und Kritiken konnten > Zit. nach: Fußbaltfilm mit „Blauem Wunder“. In: Östfriesen Zeitung, 3.9.1954.Vgl.: „Geschäftli- macher“. Skandal um den Film über die Fußball-Weltmeisterschaft. In: Frankfurter Nachtaus- gabe, 12.7.1954; Der Job des Herrn Thommen. In: Hamburger Volkszeitung, 27.8.1954 sowie weitere Presseausschnitte im Deutschen Filminstitut — DIF. ° Bohlius, in: Film-Echo, Nr. 29, 17.7.1954, 5. 806. 7 Wie Anm. 2. Diese Art von Sonderveranstaltungen sind in ihrer Entwicklung und inhaltli- chen Ausgestaltung insgesamt noch unerforscht. 20 aber nicht nachgewiesen werden. In der Progress Filmillustrierten Nr. 51/54 wird dem offiziellen DDR-Sprachgebrauch folgend „Westdeutschland“ als Welt- meister vorgestellt.° Im November 1954 brachte Globus-Film aus München die FUSSBALL WELTMEI- STERSCHAFT 1954 auch in einer 16mm-Fassung heraus. Zusätzlich wurden die wichtigsten Szenen in Ausschnittsfassungen für das Heimkino vermarktet. Die Globus Filmothek verkaufte die FUSSBALL-WELTMEISTERSCHAFT 1954 in 3 Tei- len sowohl im 8mm- als auch im 16mm-Format: I. Teil: DIE SCHWEIZ, SCHAU- PLATZ DER FUSSBALLWELTMEISTERSCHAFT 1954. WELTMEISTER URUGUAY SCHLÄGT ENGLAND 4:2, II. Teil: DEUTSCHLANDS SIEG ÜBER JUGOSLAWIEN UND ÖSTERREICH!, IIL. Teil: Das ENDSPIEL IN BERN! DEUTSCHLAND WIRD WELTMEISTER! Die stummen 16mm-Kopien umfassten rund 40 Meter (= ca. 4 Minuten) und kosteten 25 DM.’ Klappte die Verwertung 1954 bestens und konnte der Film 1956 erneut in die Kinos gebracht werden, '? so ist die weitere Vermarktung eher schleppend verlaufen. Im Fernsehen ist die FUSSBALL WELTMEISTERSCHAFT 1954 allem An- schein nach noch nicht ausgestrahlt worden. Erst 1994 erschien bei PolyGram eine VHS,'! auf der allerdings nicht mehr Heribert Meisel und Herbert Zimmermann kommentieren, sondern - laut Cover - Emil Fersil.’? Dessen Kommentar ist distanziert und nüchtern, wodurch der besondere Charme dieses Sportfilms weitgehend verloren geht. Der Vorspann ist aber mit der Kopie des Bundesarchiv-Filmarchivs identisch. Dieser Vorspann fehlt ganz auf der DVD, die 2004 von der britischen Firma Mastersound heraus- gegeben wurde. Auf dem Cover heißt es dazu: „The original FIFA film, narrated by Emil Fersil.“ Aber weder war FUSSBALL WELTMEISTERSCHAFT 1954 ein offizieller FIFA-Film, noch wird diese Edition von dem geheimnisvollen Emil Fersil, son- dern von einem nicht genannten englischen Sprecher kommentiert!" FUSSBALL WELTMEISTERSCHAFT 1954 ist eine Sportreportage, durchsetzt mit typi- schen Kulturfilm-Elementen (Landschafts- und Städtebilder aus der Schweiz, Aufnahmen aus den Mannschafts-Quartieren, Eindrücke vom Training und der Freizeitgestaltung der Spieler) sowie eine knapp gehaltene Spielhandlung. „Die kritischen Einwände werden sich hauptsächlich gegen die hausbackene ‚Rah- menhandlung’ richten, die die Abenteuer eines Genfer Jungen zeigt, der sich ® Progress Filmillustrierte Nr. 51/54 (Schriftgutsammlung, Bundesarchiv-Filmarchiv). ° Globus-Filmothek 1955/56. Eine Sammlung interessanter und ausgewählter 8- und I6mm- Schmalfilme für Ihr Heim [Gesamt-Programm]. München 1956, 5.21 [Archiv Goergen]. '% Durch Bernstein-Cortina aus Mannheim. ' Offizieller Film FIFA 1954. Weltmeisterschaft Deutsche Giganten. 1954 Weltmeisterschaft in der Schweiz. Weltmeister Deutschland. VHS Polygram Video 632 362-3, s/w, ca. 89". '? Über Emil Fersil ist nichts bekannt.Vielleicht handelt es sich um eine Verwechslung oder Verballhornung des Komponisten Emil Ferstl. 3 THE 1954 WORLD CUP FINALS - THE FINAL STAGES IN SWITZERLAND. Mastersound. DVD MSDVD.548, 2004, 105’. http!//www.mastersound !.com. 21 einen Platz beim Berner Endspiel schwer erkämpfen muß. Offenbar wollte man den Sportbericht auf diese Weise auflockern, man übersah aber dabei, daß das Publikum dieses Films Fußball und Fußballer sehen will und keine noch so gut- gemeinten Spielfilmeinlagen und daß die durchweg sehr netten Berichte aus den Trainingslagern dem Auge des Zuschauers oft genug den gewiß nötigen De- korationswechsel bieten.“”!* Die Besprechungen waren durchweg positiv, wobei zu berücksichtigen ist, dass sich Rezensionen von dokumentarischen Filmen häufig auf eine Nacherzählung des Inhalts beschränkten. Bemängelt wurde noch das Fehlen von Tabellen und Ergebnislisten. Der Film lebt von den Aufnahmen der Spiele und der Tore, unterstützt und vorangetrieben durch flotte Musik, die mit Zuschauerjubel abgemischt ist. Insbesondere in dramatischen Situationen oder Sprechpausen wird die Musik als Akzent hochgezogen. Der permanent vorwärts treibende Gestus der akus- tischen Ebene wirkt auf die Dauer monoton. Insgesamt hinterlässt der Film den Eindruck, als seien alle Wochenschau-Einzelsujets der Spiele aneinander- gereiht worden. Die eingestreuten Kulturfilmbilder retardieren zwar die Handlung, aber die bieten auch notwendige Ruhepole, die sich gegen die übersteigerte Reportagetechnik wohltuend absetzen. Dennoch wirkt die Kon- zentration auf Torsituationen auf die Dauer monoton. Gemessen an den Standards heutiger Fernsehübertragungen bringen die mit 35mm-Kameras aufgenommenen Fußballbilder einen uns heute fremd gewor- denen Medienfußball. So zeigt die Kamera häufig den ballführenden Spieler fast bildfüllend, was zwar dynamisch wirkt, die Mit- und Gegenspieler und somit das Spielgeschehen jedoch weitgehend aus dem Blickfeld verliert. Spielzüge im Torraum sind verschiedentlich sogar aus mehreren Einstellungen montiert: so wird - mitten im Torschuss - von einer Habtotalen aus erhöhter Position auf eine Halbtotale auf Spielfeldhöhe geschnitten. Die Aufnahmen werden insgesamt auf Dynamik und Rhythmus getrimmt. Typisch für die Sportberichterstattung der Wochenschau sind zudem häufige Zwischenschnit- te auf die Zuschauer. Insbesondere Nahaufnahmen von begeistert oder ent- setzt reagierenden Zuschauern sollen das Geschehen auf dem Rasen zusätz- lich dramatisieren. Ganz modern muten dagegen reaction shots auf die Trai- ner am Spielfeldrand an. Auch die hinter den Toren platzierten Kameras konnten zahlreiche gute Szene einfangen. Dagegen wurden nur erstaunlich wenige Zeitlupenaufnahmen eingesetzt; sie waren bereits Ende der 1920er Jahre ein unverzichtbarer Bestandteil von Sportfilmen. Heribert Meisel und Herbert Zimmermann kommentieren den Kampf um die Coupe Jules Rimet mit gelassener Routine und kokettieren auch gelegentlich mit ihrer Situation als Sprecher in einem Filmstudio. Dennoch pflegen sie ih- ren gewohnten Live-Sprechstil und sorgen mit ihrer Begeisterung und ihrem '* Herzbersg, In: Film-Echo, Nr. 29, 17.7.1954, 5. 806. 22 Wortwitz dafür, dass die Kinobesucher das Geschehen auf der Leinwand nicht nur als spannend, sondern auch als unterhaltsames Vergnügen miterleben. Insbesondere der Österreicher Meisel zelebriert seine Kommentare als kaba- rettreife Nummern (Torschüsse bezeichnet er als „Bummerl”), während Her- bert Zimmermann dramatischer kommentiert, verständlicherweise ohne den großen emotionalen Überschwang seiner legendären Live-Reportage im Radio. Auf diese greift der kurze Animationsfilm DIE HELDEN VON BERN (2002) zurück: Studenten der Fachhochschule Offenburg stellen die letzten Minuten des „Wunders von Bern“ mit Lego-Figuren nach. Da dies mit einer fein dosierten Portion Ironie passiert, und zudem der ungewöhnliche Lego-Trick handwerk- lich bestens ausgeführt ist, ist auch dieser Film eine äußerst unterhaltsame Angelegenheit und ein großes Sehvergnügen. DIE HELDEN Von BERN (2002) Gestaltung: Florian Plag, Martin Seibert, Ingo Steidl / Kommentar: Herbert Zimmer- mann / Produktion: FH Offenburg, Mainz (Projektarbeit bei Götz Gruner) Lego-Animationsfilm, L: 10’29“. Ausbelichtung auf 35mm-Film http://www.wmS54.de.vu/ FUSSBALL WELTMEISTERSCHAFT 1954 / DIE WELT SPIELT FUSSBALL [Titeländerung 1956] Prisma [Marke] Filmverleih zeigt / FUSSBALL WELTMEISTERSCHAFT 1954 / Eine Hans Schu- bert-Produktion der Sport Film G.m.b.H. / Text: Josef Kirmaier / Sportaufnahmen: Heinz Sasse, Eisemann, Alexandre, (Ernst ?) Wild, (Benno ?) Stinauer, Hartmann, Fridli / Erich Stoll, Hanjo Essmann, Hafner / Zeitlupen-Aufnahmen: Horst Grund / Sonder-Aufnahmen: (Kurt ?) Pfändler, Porchet, Rischmüller / Musik: Emil Ferstl / Sprecher: Heribert Meisel, Herbert Zimmermann / Aufnahmeleitung: Harald Bosüner / Sportliche Gestaltung: Sammy Drechsel / Filmische Gestaltung: Gerhard Grindel, Horst Wigankow / Weltver- trieb: Pegasus-Film G.m.b.H.'® Verleih BRD: Prisma Filmverleih GmbH, Frankfurt/Main (1954), Bernstein-Cortina-Film, Mannheim (1956); Globus-Film, München (Verleih der |6mm-Fassung) Verleih DDR: Progress-Film Freigabe: 9.7.1954/28.5.1956, FSK 8136, 35mm, s/w, 2.530 m, ab 6 Jahre, nicht feiertags- frei / 9.7.72.11.1954, FSK 8136-S, [|6mm, s/w, 1.140 m, ab 6 Jahre, nicht feiertagsfrei. Uraufführung: 10.7.1954, Berlin (Gloria-Palast, 22.30 Uhr); Großstart am 10./11.7.1954 Kopie: Bundesarchiv-Filmarchiv, 35mm, s/w, Ton, 2.531 m (= 92°) Literatur: Das neue Filmprogramm, '® Illustrierte Film-Bühne, Nr. 2416, Progress Filmillustrier- te, Nr. 51/54 % Credits laut Vorspann. Nicht alle Vornamen der Kameramänner waren zu ermitteln. '* Führt als weiteren Sprecher noch Peter Glas an. 23 Tobias Bremser (Lutz Stückrath) hält den Siegeszug des Sozialismus mit einer engagier- ten nichtssagenden Rede auf. - Auch auf dem Fußballplatz bringt t.b. mit Begeisterung den geordneten Spielfluss durcheinander. (Bundesarchiv-Filmarchiv. Fotos aus der Kopie: Marian Stefanowski, © DEFA-Stiftung, Berlin)