232 MEDIENwissenschaft 02/2017 Richard Weihe (Hg.): Über den Clown: Künstlerische und theoretische Perspektiven Bielefeld: transcript 2016 (Edition Kulturwissenschaft, Bd.77), 284 S., ISBN 9783837631692, EUR 29,99 Der Tagungsband Über den Clown der Herausgeber seinen Beitrag am kombiniert kulturhistorische Texte mit Buch nicht auf Vor- und Schlusswort Berichten und Interviews zum Thema beschränkt, wirkt der Tagungsband ‚Clown‘, in denen berühmte Clow- konsistent und schlüssig. Gerade der ninnen und Clowns aus ihrer Praxis erste Teil, die Clownberichte, sind auf- berichten. Das Buch zeigt diese viel- grund ihrer essayistischen Sprache auch schichtige Figur mit der „kleinsten für ein Nicht-Fachpublikum gut lesbar. Maske der Welt“ (S.14) in verschie- Wie die Figur des Clowns changiert denen kulturellen, künstlerischen und dieser Band zwischen poetischer und historischen Kontexten und Räumen. kulturwissenschaftlicher Existenz. Herausgeber Richard Weihe verwen- Von Barloewen, dessen Buch Clown: det den Terminus ‚Clown‘ als Sam- Zur Phänomenologie des Stolperns (König- melbegriff für „Spaßmacher, Gaukler, stein: Athenäum, 1981) die Clownfor- Schelm, Hofnarr, Trickster, Zanni, schung begründete, sieht zu Beginn Comico, Bouffon, Tramp, Zirkuskunst- des theoretischen Teils den Clown als figur“ (S.265). Vom Theater kommend homo ludens, somit als Verknüpfung des wurde der Clown lange mit dem Zirkus Menschlichen mit dem Spielerischen. assoziiert, um sich dann ab Mitte des Der Clown, zwischen Poesie und kon- 20. Jahrhunderts auch in den populären struktiver Anarchie, sei „Beobachter Medien Comic, Film und TV wieder- und Kritiker der Gesellschaft“ (S.17). zufinden. Etymologisch ist der Clown Demis Quadri betrachtet Clowns im ein ungehobelter Landbewohner, der in Kontrast mit comici, Figuren der Com- der Stadt lächerlich auffällt. media dell‘Arte. Deren lazzi und die Im ersten Teil des Bandes beant- Gags der Clowns betreiben „Wahnsinn worten Clowns Weihes Leitfragen: mit Methode“; ihre Prinzipien sind „Wie sind Sie Clown geworden? „Übertreibung, Überraschung, Miss- Wie arbeiten Sie als Clown? Was ist verständnis oder Inkongruenz“ (ebd.). für Sie das Wesentliche am Clown?“ Geistesgegenwart und Fantasie als (S.13). Weihes Beiträge sind die wis- Aspekte clownesker Komik in Char- senschaftlich lesenswertesten dieses lie Chaplins Tramp-Figur stehen im Bandes. Er fasst zudem Gespräche mit Mittelpunkt von Renate Jurziks Bei- den Clowns Leo Bassi und Dimitri zu trag. Der lustige Stummfilm-Clown Texten zusammen und führt Inter- verwandelt sich in einen satirischen view-Gespräche mit dem Kulturwis- Hofnarren in Chaplins ambivalenteren senschaftler Constantin von Barloewen Tonfilmen, insbesondere in Limelight und dem Philosophen Rafiu Raji. Weil (1952). Jurzik beschreibt in kurzweiliger Medien / Kultur 233 Sprache und diskutiert Film-Szenen, menschlichen, poetischen Clown ver- geht jedoch eher Chaplin und seinem körpert diese Form des Tricksters die Tramp nach, aber weniger dem Clown. Inhumanität. Weihe schlägt den Begriff Laut Anne-Sophie Jürgens, die neu- „Schwarzclown“ (S.273) vor, in Anleh- ere Romane aus dem Zirkusmilieu nung an den Weißclown, der Normen untersucht, ersetzte eine „clowneske und Gesellschaft repräsentiert und den Zirkuskunstfigur“ (S.173) traditionelle Rotclown, der ‚Dumme August‘, wel- Clownfiguren. cher Anarchie und Narrsein verkörpert. Matthias Christen und Lena Sharmas Zentrale Begriffe in allen Beiträgen Beiträge beschäftigen sich mit dem sind ‚Maskierung‘ und ‚Spiel‘, zudem, düsteren Kino-Clown zwischen laut Weihes Schlussbemerkungen, Stummfilm und Heath Ledgers Joker- das „Gelingen des Nicht-Gelingens“ Figur in Christopher Nolans The Dark (S.20), da der Clown eine paradoxe Knight (2008). Christen greift in seinem Denkfigur sei, die Gegensätze, Wider- klar strukturierten und differenziert sprüche, Dialektik in sich vereint. Er ausgearbeiteten Beitrag immer wieder ist sowohl diesseits und jenseits von auf Konzepte des Zirkus semiotikers Grenzen, Kind und Erwachsener, Paul Bouissac (Circus and Culture: ungeschickt und körperbeherrscht, A Semiotic Approach. Bloomington: männlich und weiblich, löst Lachen Indiana UP, 1976) zurück. Im Film und Weinen aus, ist sprachlos und beginnt der Clown als glückloser Lieb- sprachbeherrschend, gut und böse. haber und wird zum heimlichen Ver- Was diese widerstrebenden Vorstel- brecher in den 1950er Jahren oder zur lungen eint, ist das Spiel. Weihe sieht Hommage an bereits bekannte Clowns den Clown, in seiner Funktion als und Komödiant_innen. Ende des 20. Pausenfüller, zwischen Entrée und Jahrhunderts ist der ‚böse Clown‘ in falschem Abgang auch als Metapher allen Pop-Medien präsent – in diesem für das Leben: „Der Clown will nicht Band schlägt sich dies insbesondere gehen. Aber er muss“ (S.93). im Film nieder, in dem der Clown selten komisch ist. Im Gegensatz zum Ulrich Blanché (Heidelberg)