Oliver Schmidtke, Frank Schröder Die Bedeutung der Dialoganalyse für die Interpretation der visuellen Ausdrucksmittel von aus Stanley Kubricks THE SHINING Zusammenfassung: In unserem Beitrag möchten wir anhand der Sequenz- analyse einer ausgewählten Szene aus dem Film THE SHINING von Stanley Kubrick aufzeigen, von welch zentraler Bedeutung die Dialoganalyse für die - tieren wir, dass Interpretationen, die den Dialog vernachlässigen, die Bedeu- Die Interpretationstechnik folgt den Regeln der Objektiven Hermeneutik. * * * Sprachliche Dialoge und Interaktionen werden nicht selten als eine lediglich angesehen und daher in ihrer ästhetischen Bedeutung für die Filmanalyse vernachlässigt. Diese Vernachlässigung zeigt sich etwa in zahlreichen Einführungsbüchern zur Filmanalyse.1 rubriziert beispielsweise Korte Filmdialoge unter die «auditiv gegebenen Informationen», die die visuellen Informationen «ergänzen und effektvoll unterstreichen oder auch konterkarieren, ironisch oder ahnungsvoll zuspitzen können.»2 In gleicher Weise wie Korte rubriziert auch Bienk Sprache unter die 1 Vgl. Hickethier, Knut: Film- und Fernsehanalyse Werner: Grundkurs Filmanalyse Einführung in die Film- und Fernsehanalyse. der Übermittlung von Informationen und der Kommunikation zwischen den Handelnden, sondern durch Stimmlage und Sprechweise werden Figuren auch charakterisiert und Aussa- 2 Korte, Helmut: Einführung in die systematische Filmanalyse. Berlin: Schmidt 2010, S. 15. 224 Oliver Schmidtke, Frank Schröder 3 Bienk gesteht den im Film gesprochenen Dialogen immerhin eine szenische Bedeutsamkeit zu, die die menschlichen Beziehungen interpretiere und «Gefühle und Motivation der Sprechenden» deutlich werden lasse.4 Bei Monaco wird den Filmdialogen kein eigenes Kapitel gewidmet, so dass ihre Bedeutung für das Verständnis von Filmen bei ihm als vernachläs- sigbar erscheint.5 Borstnar u.a. heben zwar insgesamt die Zeichenhaftigkeit des Filmes hervor, gestehen aber den durch die Protagonisten vollzogenen Sprechakten keine eigene, auf die anderen Ausdrucksmittel bezogene, Zeichen- haftigkeit zu.6 Keppler betont zwar, dass die Sprache «eine integrale Dimen- nur reduktionistischen Bestimmung der Bedeutung der Sprache: Sprache und Musik «transportieren Stimmungen, vermitteln Informationen, geben Rätsel auf oder führen in die Irre, beruhigen oder beunruhigen, wiegeln auf oder wiegeln ab, stellen klar oder lassen im Unklaren.» Somit verbleibt die Funk- tion der Sprache in der Ergänzung der visuellen Ebene. Allein Kanzog gesteht der Dialoganalyse eine grundlegende Bedeutung für die Analyse von Filmen zu. - pretation des Filmes als Zeichenzusammenhang begründet, spielt die Analyse von Dialogen nur eine äußerst untergeordnete Rolle. In der «qualitativen Dialoganalyse»9 wird die Figurenrede als eine bestimmt, welche «verschiedene Bewußtseinsschichten, Seinsmöglichkeiten oder Rollen des Sprechers»10 zum 3 Vgl. Bienk, Alice: S. 99. 5 Vgl. Monaco, James: Film verstehen: Kunst, Technik, Sprache, Geschichte und Theorie des Films und der Neuen Medien. Reinbek: rororo 2009, S. 161ff. Einführung in die Film- und Fernsehwis- senschaft. - disziplinäre Positionen, Analysen und Zugänge. Köln: Halem 2006, S.69. Allerdings stimmen wir mit Keppler überein, wenn sie schreibt: «Die sozialwissenschaftliche Filmanalyse muss stärker als bisher eine Detailanalyse der verbalen und nonverbalen Elemente sowie der bildsprachlichen - schen Ansatz für die Filmanalyse vor. MORGENROT (D 1933) von Gustav Ucicky. Kanzog, Klaus: Einführung in die Filmphilologie Hermeneutische Theorie des Films 10 Ebd., S. 226. Die Bedeutung der Dialoganalyse 225 und Verständigungsdialoge unterscheiden.11 die Analyse der Filmdialoge allenfalls als ein ergänzendes, für die Konstitu- tion der Bedeutungsstruktur des Filmes randständiges Phänomen analysieren, nicht jedoch als eigene Ausdrucksdimension, die den Filmgegenstand12 ganz wesentlich konstituiert. Auch im Handbuch Qualitative Medienforschung wird der Analyse von sprachlichen Sequenzen (Filmdialogen oder auch Dialogen in Fernsehsendungen) keine eigenständige, für die visuelle Darstellung grund- legende Bedeutung zuerkannt.13 Somit kann festgehalten werden, dass die Bedeutung des gesprochenen Wortes im Film und der Sprechakte als Han- dlungen der Protagonisten für die Konstitution des Films in der einschlägi- wird.14 Analyse einer ausgewählten Filmszene Die folgende Sequenzanalyse wird die Dialoganalyse ins Zentrum rücken und von den Protagonisten sprachlich Artikulierten erheblich erschwert wird.15 Wir stellen Ausschnitte aus unserer vollständigen Sequenzanalyse des Films THE SHINING 16 Die folgende Analyse legt den Zusam- 11 12 Wir gehen davon aus, dass jedes Kunstwerk einen Gegenstand mit den ästhetischen Mit- teln, die durch das gewählte Ausdrucksmaterial zur Verfügung stehen, zur Darstellung bringt. Dieser Gegenstand wird durch eine Vielzahl von sinnlichen Entsprechungen innerhalb des 13 oder der öffentlichen Rede von Medienschaffenden einen eigenen bedeutungsgenerierenden Wert zubilligt. 14 Bohnsack bezieht das wörtliche Protokoll der mündlichen Rede in die Analyse von Videose- quenzen ein. Vgl. Bohnsack, Ralf: Qualitative Bild- und Videointerpretation. Opladen, Farmington Bohnsack nicht thematisiert. 15 Aufenanger an, die ebenfalls die Interpretation der Sprache als das «Kernstück der Filmana- - Handlung und Sinnstruktur: Bedeutung und Anwendung der objektiven Hermeneutik S. 132. 16 Analyse von Stanley Kubricks «The Shining». Frankfurt a.M.: Campus 2012. 226 Oliver Schmidtke, Frank Schröder menhang von Dialogverlauf und Kameraposition dar, wobei deutlich wird, ohne eine Analyse des Dialoges interpretiert werden kann, da sie eine Entspre- chung zu letzterem herstellt. Wendy und seinen Sohn Danny zu töten und damit seine Familie auszulöschen. Die vorangehende Handlung wird im Film als eine tragische, sich dramatisch zuspitzende Krise der Familie gezeigt, die über den Winter in einem Hotel isoliert ist. Die Eskalation ist im Wesentlichen ein Resultat der innerfamilialen die Rekonstruktion der für den Zuschauer diffus bleibenden Prozesse anhand der sequenzanalytischen Interpretation der Filmdialoge. von seiner Frau Wendy mit dem Vorschlag konfrontiert wurde, das von ihnen bewohnte Hotel aufgrund des Gesundheitszustands von Danny, der aufgrund einer Misshandlung – vermutlich durch Jack – stark traumatisiert ist, zu ver- lassen. Dieser Szene wiederum geht die Begegnung von Jack mit dem Ober- kellner auf einem Ball voraus, die aufgrund der ansonsten unterstellten Abwe- senheit anderer Personen als realistisch inszenierte Darstellung der irrealen Halluzination Jacks interpretiert werden muss. Der Ober kollidiert im Festsaal Diese trachtet der Ober in der Szene, die nachfolgend gezeigt und die hier ana- lysiert wird, zu beseitigen. Hierzu ziehen sich Jack und der Ober in den Raum eines Herren-WCs zurück. Die Musik der Feier ist im Verlauf der Szene nach wie vor hörbar. Der Interpretation wird jeweils eine Beschreibung der zu interpretie- renden Sachverhalte innerhalb des Filmes sowie ein Protokoll der Dialoge vorangestellt. Die Interpretation folgt den Prinzipien der objektiv hermeneu- tischen Sequenzanalyse. Für diese Methode ist die Annahme zentral, dass keine nachfolgende Sequenzstelle zur Interpretation einer vorangegangenen Sequenzstelle herangezogen werden darf. Auf diese Weise lässt sich auch die Bedeutung, die ausschließlich aufgrund der Sequenzposition eines Interakts erzeugt wird, rekonstruieren. Es wird darüber hinaus unterstellt, dass die Bedeu- Oevermann, Ulrich: «Die Methode der Fallrekonstruktion in der Grundlagenforschung sowie Die Fallrekonstruktion Die Bedeutung der Dialoganalyse 18 Schnitt auf eine Totale des Toilettenraums. Die Wand am linken Bildrand ist mit einer Reihe von Urinalen bestückt, die am rechten Bildrand mit einer Reihe von Waschbecken, Spiegeln und Einbuchtungen, in denen Handtücher gelagert werden. Man sieht Jack im Hintergrund den Raum seitwärts betreten. Er hält dem Ober, der zügig den Raum betritt, die Tür auf. Beide werden in einer Totalen gezeigt. Jack: I’ll just hold this for you there, Jeevesy. - - ners eines Protagonisten darstellt. Jack degradiert den Ober, indem er ihn Jeevesy nennt und darüber hinaus seine Hilfsbereitschaft beim Offenhalten wird nicht mit eindeutigen Markierungen, wie einer farblichen Absetzung von der Gestaltung der ‹realistischen› Szenen des Filmes oder einer verschwom- menen Aufnahme dargestellt, sondern mittels Inkonsistenzen in der Mise-en- - onierung der Waschbecken direkt gegenüber den Urinalen in der Realität eher vermieden wird. Der Ober geht zügig zu einem der Waschbecken, stellt das Tablett ab und dreht den Wasser- Grady: with a little water, Sir. Jack: All right. I’ll just set my bourbon and advocaat down right there. Jack wendet sich den Urinalen zu, stellt das Glas auf das obere Ende der Urinalteiler, tritt dann dem Ober gegenüber, der sich ihm zuwendet und lässt sich von diesem die Kleidung reinigen. Dabei breitet er die Arme aus. Wir sehen beide Protagonisten in einer Totalen. Jack wippt während des Reinigungsvorgangs mit den Füßen auf und ab. Wernet, Andreas: Einführung in die Interpretationstechnik der Objektiven Hermeneutik. Wiesbaden: VS-Verlag 2006. Die Filmbeschreibung protokolliert einen Ausschnitt aus folgender in Europa im Handel erhältlichen DVD: Stanley Kubricks Shining, Stanley Kubrick Collection. Restauriert und digital Formate stehen für eine detaillierte Analyse nicht zur Verfügung, daher stützen wir uns auf die DVD-Version. Oliver Schmidtke, Frank Schröder Grady: Won’t keep you a moment. Jack: Fine. What do they call you around here, Jeevesy? Grady: Grady, Sir. Delbert Grady. danach, wie er in dem Hotel genannt werde. Zugleich nennt er ihn wiederholt Jeevesy und setzt sich damit über eine Antwort des Obers von vornherein hinweg. Sowohl der Inhalt (Jeevesy) als auch der Vollzug des Sprechakts (die eine Degradierung des Gegenübers aus. - wärtig zugewandten Ober. Die Kameraperspektive springt um 180 Grad auf die gegenüber- liegende Position. Jack blickt in den Spiegel. Jack: Grady? Grady: Jack: Delbert Grady. Grady: Der Dialog nimmt eine überraschende Wendung, denn indem der Ober seinen - wie der Zuschauer zu Beginn des Filmes erfährt, seine Familie in einem erwei- terten Selbstmord ausgelöscht hat. Jack scheint also einen Dialog mit seinem Vorgänger zu imaginieren. Diese grundlegende Veränderung der Positionen innerhalb des Dialoges wird auf der Ebene der bildlichen Darstellung über einen Achsensprung, bei dem die Kamera die Personen aus der gegenüberlie- genden Perspektive zeigt, markiert. Ein weiteres visuelles Bedeutungselement, das die Szene als Halluzination erscheinen lässt, besteht darin, dass Jack in den Spiegel schaut. Somit werden die realistische Außenperspektive, die Jack im Gespräch mit sich selbst vor dem Spiegel zeigt, und seine halluzinatorische - schränkt. Um den Unterschied zwischen einer Herangehensweise, die die Dialogana- Ausdrucksmittel nicht auf die Dialoge bezieht, zu markieren, sollen hier zwei Deutungen des gezeigten Achsensprungs angeführt werden. So wählt Bienk - Die Bedeutung der Dialoganalyse 229 Prinzip verbietet den Achsensprung, da dieser dem Zuschauer abverlangt, sich hinsichtlich der räumlichen Positionen der Protagonisten neu zu orientieren, und dadurch die unmerkliche Kontinuität der Schnittfolge gebrochen wird. Bienk konstatiert, dass durch den hier gezeigten Achsensprung bewusst ver- mieden werde, «eine klare mimische Reaktion des Barmanns zu zeigen, etwa - Gesicht ablesen kann.»19 Zweifellos wird durch den Achsensprung die Mimik von Grady nicht gezeigt. Diese Analyse formuliert jedoch eher eine Folge des - mung des Filmgegenstandes her motiviert würde. Erst wenn man die Bedeu- tungsstruktur des Dialogs analysiert, wird deutlich, dass der Achsensprung eine Entsprechung zum Dialogverlauf herstellt. Bienk äußert sich nicht dazu, aus welchem Grund die Rätselhaftigkeit der Figur von Grady aufrechterhalten - rung der grundlegenden Veränderungen innerhalb des Dialoges wird dieses Mittel eindeutig motiviert. Auch die folgende Bestimmung von Kaul und Palmier lässt die Chancen der Dialoginterpretation ungenutzt: «Der Achsensprung, der im konventio- nellen Filmerzählen aus Irritationsgründen vermieden wird, betont die Aus- Auftritte, und vermittelt gleichzeitig ihre geteilte charakterliche Bösartigkeit.»20 Die Austauschbarkeit der Figuren müsste selbst wiederum interpretatorisch motiviert werden, wenn damit die ästhetische Bedeutung des Achsensprungs bestimmt werden soll. Die Figuren sind im Film jedoch keineswegs austausch- bar, sondern ihnen ist innerhalb der Filmhandlung eine präzise Position zuge- wiesen. Dass es sich um Rollen handelt, ist keine Besonderheit dieser Szene, sondern eine Voraussetzung der Fiktionalität des Filmes. Jack: Uh… Mr. Grady (räuspert sich) haven’t I seen you somewhere before? Die von Jack gewählte Formulierung unterstellt, dass er Grady erkannt hat. Dies widerspricht allerdings der Überraschung, mit der Jack auf die Offenba- rung, dass der Ober Delbert Grady heißt, reagiert. Jack konstruiert also – ent- gegen der Darstellung im bisherigen Verlauf der Interaktion – den Sachver- halt in der Weise, dass unterstellt wird, sie seien beide einander schon einmal 19 Bienk: Filmsprache, S. 155. 20 Stanley Kubrick. München: Fink 2010, S. 94. 230 Oliver Schmidtke, Frank Schröder - mes gezeigten Dialog kennt. Darüber hinaus betont Jack, dass er Grady an irgendeinem Ort gesehen habe, das heißt möglicherweise nicht in dem Hotel. Ferner kann Grady die Frage gar nicht beantworten, da sie wörtlich darauf abzielt, ob Jack sich daran erinnern könne, Grady schon einmal gesehen zu haben. Die Frage ist als Fangfrage formuliert. Wenn Grady sie bejahen muss, Sachverhalte eröffnet. Da Grady nicht erkennen lässt, dass er Jack seinerseits bereits kennt, könnte es sein, dass Jack Grady zuvor bereits einmal aufgefallen Grady unterstellte Motiv, unerkannt zu bleiben. Dem widerspricht jedoch, dass des Filmes durch den Hotelmanager geschilderten, von Grady begangenen, grausamen Morde beziehen. Jack unterstellt daher, dass Grady glaubt, für seine Mordtat nicht zur Verantwortung gezogen werden zu können. Er tritt als Ermittler auf, der um die geheim gehaltene Straftat Gradys weiß und diese aufzudecken versucht. Darin kann er sich wiederum als überlegene Person inszenieren. Grady: Why, no, Sir. I don’t believe so... It’s coming off now, Sir. Jack: Uh… Mr. Grady weren’t you once the caretaker here? Grady reinigt weiterhin die Kleidung von Jack an dessen rechtem Oberschenkelansatz. Grady: Why, no, Sir. I don’t believe so. Jack: Grady: Jack: And, uh, where are they now? Grady: Ah, they’re somewhere around. I’m not quite sure at the moment. Jack entzieht Grady das Handtuch, das dieser zur Reinigung von Jacks Kleidung verwendet hat, und wischt sich damit die linke Hand ab. Grady verharrt in seiner Haltung und folgt Jack schaut in den Spiegel. Nachdem er seine Hand gereinigt hat, hält er das Handtuch in beiden Händen. Jack: Die Bedeutung der Dialoganalyse 231 Jack lächelt triumphierend. Jack: chopped your wife and daughter up into little bits. And then you blew your brains out. Jack schaut auffällig in den Spiegel und grinst bei der Schilderung der Art und Weise, in der Grady seine Familie getötet hat, genüsslich. Weiterhin grinsend wirft Jack das Handtuch provozierend ins Waschbecken. Die Kameraperspektive springt um 180 Grad auf die gegenüberliegende Position. Die Pro- tagonisten verharren bewegungslos in ihrer Position. Es ist erkennbar, dass sie die identische Körpergröße aufweisen. Jack geriert sich als jemand, der seinem Gegenüber endgültig überlegen - formation innerhalb des Dialogs wird erneut durch einen Achsensprung mar- kiert. Dialoggeschehen und Kameraposition werden systematisch zueinander ins Verhältnis gesetzt. Dies lässt sich verdeutlichen, wenn man den Dialog sequenzanalytisch interpretiert, da sich die durch die Kameraachsensprünge sequentiellen Ablauf ergeben. Die Protagonisten verharren weiterhin bewegungslos in ihrer Position. Grady Jack: Mr. Grady, you were the caretaker here. zu sehen ist. Die Kameraperspektive springt um 180 Grad auf die gegenüberliegende Posi- tion. Es wird deutlich, dass Jack weiterhin in den Spiegel schaut. Es folgt eine fünfsekündige Pause. Grady: I’m sorry to differ with you, Sir, but you are the caretaker. Jack blickt nicht mehr triumphierend, sondern sein Gesichtsausdruck transformiert sich und bringt mehr und mehr Irritation und Skepsis zum Ausdruck. Grady: Grady bekundet im Widerspruch zu seiner vorherigen Äußerung, dass er Jack ebenfalls kennt. Die Dynamik des Dialoges offenbart somit Jacks Machtlo- 232 Oliver Schmidtke, Frank Schröder sigkeit, die mit seiner inszenierten Überlegenheit kontrastiert. Als Jack gegen- über Grady ein argumentatives Übergewicht erwirkt zu haben scheint, kon- tert Grady mit der Feststellung, Jack sei schon immer der Caretaker gewesen und lässt die bisherigen Äußerungen Jacks als unwahrhaftig erscheinen. Somit erscheint nun Jack als derjenige, der etwas zu verbergen hat. Der Dialog voll- zieht also erneut eine Wendung, die ebenfalls eine Entsprechung in der visuel- len Darstellung des Kameraachsensprungs aufweist. Grady: I should know, Sir. I‘ve always been here. Höhe von Jacks Nase. Er lacht auf. Naheinstellung in leichter Untersicht. Er blickt Jack kühl und durchdringend an. immer der Caretaker gewesen sei, durch den Verweis auf seine fortgesetzte Anwesenheit im Hotel begründet hat, ändert sich die Darstellung des weiteren Dialoges, der im Rahmen dieses Aufsatzes nicht weiter detailliert interpretiert werden kann. Von diesem Zeitpunkt an werden Jack und Grady nicht mehr gemeinsam in einer Einstellung, sondern im Schuss-Gegenschuss-Verfahren gezeigt. Die abwechselnden Einstellungen heben die Asymmetrie hervor. Obwohl vorher beide sichtbar die gleiche Körpergröße aufweisen, wirkt Grady nun größer und dominant, während Jack in die Position eines Unterlegenen verwiesen wird. Dieser Eindruck wird durch verschiedene Darstellungsmittel etwa auf Höhe der Oberlippe, der der Einstellung von Jack auf Höhe der vorn. 4. Der Spiegel im Hintergrund der Grady-Einstellung, der scharf fokus- ist, die Horizontale. Die Dialogpositionen haben sich also umgekehrt. Dies setzt allerdings vor- aus, dass sie als Figuren gerade nicht austauchbar sind, so dass die Deutung Kaul und Palmiers, der Achsensprung visualisiere die Austauschbarkeit der Personen, begründet zurückgewiesen werden kann. Während bislang Jack die Initiative innehatte, stellt nun Grady Fragen. Im weiteren Verlauf des Dialoges wird Jacks Sohn von Grady als eine Gefahr für Jack dargestellt. Daraus ergibt sich schließlich für diesen das Motiv für den Mordversuch an Danny. Grady Die Bedeutung der Dialoganalyse 233 ergänzt die Äußerung Jacks und erweitert den Vorwurf, womit er die Beleidi- der Probleme. Diese Äußerung bestätigt einerseits die Aussage Gradys über Danny, impliziert jedoch auch, dass er Grady dahingehend korrigiert, Danny nicht als den Alleinverantwortlichen zu betrachten. Das innerpsychische Motiv für diese Aussage kann darin gesehen werden, neben dem Motiv für Dannys Ermordung auch eines für die von Wendy zu konstruieren. Abb. 1–4: Screenshots der analysierten Szene Gesamtdeutung der Szene Die drei Achsensprünge der Kamera sowie der Übergang zum Schuss-Gegen- schussverfahren im Verlauf des Dialoges visualisieren die Bedeutung der sprachlichen Äußerungen. Diese Bedeutung lässt sich erst dann bestimmen, wenn man sie in ihrer Sequenzposition innerhalb des Filmplots und auf den Die Szene stellt eine Halluzination des Protagonisten dar, die in ihrem Verlauf Jack dazu bewegt, den am Ende des Filmes gezeigten Mordversuch 234 Oliver Schmidtke, Frank Schröder zu verüben. Wie erwähnt ist Jack vor dieser Szene von seiner Gattin mit der Aussage konfrontiert worden, dass es notwendig sei das Hotel zu verlassen. Wesentlichen die Möglichkeit, sich seiner Verantwortung als Familienvater in Jack ist bestrebt, diese Position der vollständigen Entlastung von jeglichem Bewährungsdruck nicht mehr zu verlassen. Er bekundet in einem vorangegan- genen Dialog mit seinem Sohn, für immer in dem Hotel bleiben zu wollen. Da Hotels notwendig geworden ist, kann sich Jack der Konsequenz abzureisen, nur dadurch entziehen, dass er den Grund für die Abreise beseitigt. Jack fasst im Film jedoch keinen diesbezüglichen Entschluss, sondern imaginiert in einer Gegensatz zu seiner Position als Familienvater steht und somit die sittliche - selbst angesichts des Widerstandes seiner Familie gehandelt habe, von einer aktiven Position in eine passive und weiß sich dadurch darüber hinaus von der Verantwortung für sein Handeln zu entlasten. Dieser Zusammenhang, der die Bedeutung des Dialoges konstituiert, kann erst auf der Grundlage einer Gesamtdeutung des Filmes entfaltet werden, in deren Zentrum die Analyse der Dialoge im Film steht.