Medien / Kultur 553 Der Band Auf den Kopf gestellt: Inter- disziplinäre Betrachtungen der Trickster- Figur, herausgegeben von Hannah Michel, Lisa und Rafaela Rettinger, bietet eine umfassende Untersuchung der Trickster-Figur aus verschiedenen disziplinären Perspektiven. In seiner Interdisziplinarität liegt genau auch die Stärke des Bandes. Michel, Ret- tinger und Rettinger vereinen Perspek- tiven aus der Literaturwissenschaft, Anthropologie, Kulturwissenschaft und Medienwissenschaft. Im Zentrum steht mit dem Trickster eine Figur, die in zahlreichen Kulturen und Epochen auftritt und in Mythen, Literatur, Kunst und Popkultur präsent ist. Ziel der Publikation ist es, den Trickster für eine „subversive Heuristik“ (S.21) nutzbar zu machen. Der Band ist in drei thematische Schwerpunkte gegliedert: „Poetik der Trickster“, „Fremdkörper“ und „Grenzüberschreitungen“. Ein besonders aufschlussreiches Kapitel beschäftigt sich mit der soge- nannten Crazy Cat Lady als „trickster- hafte Grenzgängerin“ (S.163). In „Von den Cyborgs zur Crazy Cat Lady: Über Grenzfigurationen des Weiblichen“ verhandelt Anna Rabe die Crazy Cat Lady als Lebensentwurf in einem Span- nungsfeld ganz ähnlich dem Cyborg – einer Figur, die „die Frage nach den Bedingungen des Zusammenlebens mit menschlichen und nichtmenschlichen Anderen“ (S.163) stellt. Die Verhand- lungen weiblicher Trickster-Figuren stechen in diesem Band besonders hervor. Rafaela Rettingers Beitrag „When the Moon Turns Trickster: The Goddess Chang’e and Her Jour- ney to Immortality“ ist im Abschnitt „Poetik der Trickster“ verortet und widmet sich vorrangig der Frage, ob und wie Trickster-Figuren eine spezi- fische Sprache erzeugen, die zu einem integralen Bestandteil der narrativen Struktur wird. Auffällig sei, dass das Sprechen über Trickster-Figuren eine besondere Art des Sprachgebrauchs hervorbringe, die im jeweiligen Kon- text als innovativ zu beschreiben sei. Im Kontext einer vermeintlichen Uni- versalität der Trickster-Figur kommt Rettinger zu dem Schluss, dass es notwendig sei, von der Bezeichnung ‚Trickster‘ abzurücken, und sie schlägt stattdessen vor, das Tricksterhafte als Motiv zu verwenden, da „cultural and gender-specific differences call for a new critical examination of the current trickster definition“ (S.47). Eine stärkere Berücksichtigung nicht-westlicher Perspektiven über Rettingers Beitrag hinaus wäre eine wünschenswerte Bereicherung für die Publikation gewesen, insbeson- dere im Hinblick auf das formulierte Ziel, „den Blick auf scheinbare, kul- Hannah Michel, Lisa Rettinger, Raffaela Rettinger (Hg.): Auf den Kopf gestellt: Interdisziplinäre Betrachtungen der Trickster-Figur Baden-Baden: Nomos 2024, 206 S., ISBN 9783968219998, EUR 39,- 554 MEDIENwissenschaft 04/2024 turübergreifende Trickster zu schär- fen und voreilige Kategorisierungen zu hinterfragen“ (S.17); es würde doch gelten, „Trickster als relational in ihrer kulturellen, politischen sowie historischen Umgebung zu erforschen“ (ebd.). Diesem Anspruch werden die Autor:innen und Herausgeberinnen besonders in Bezug auf die vorherr- schende Lesart der Trickster als männ- lich gerecht. Sowohl die Einführung der Herausgeberinnen im einleiten- den Kapitel „Trickster tricksen“ als auch die Beiträge von Anna Rabe, Rafaela Rettinger und Simon Probst lesen weibliche Trickster-Figuren, ohne auf die seit Beginn der Trick- ster-Forschung beliebten Listen von Trickster-Merkmalen einzugehen, die wesentlich zur Lesart der Trick- ster als inhärent männlich beigetragen haben. Im Gegenteil: Die Autor:innen verstehen es geschickt, den Trick in den Fokus zu rücken und sich so vom normativen Verständnis einer univer- sell-männlichen Trickster-Identität zu lösen (vgl. S.19). Der Band Auf den Kopf gestellt lie- fert wertvolle Beiträge zur Trickster- Forschung und ist besonders für jene Leser:innen von Interesse, die sich mit Figurentypen und deren subver- sivem Potenzial befassen, unabhängig von ihrer vermeintlich archetypischen Ausprägung. Die im Band dargestell- ten und diskutierten Theorien und Analysen knüpfen innovativ an bereits existierende Forschung an und bie- ten darüber hinaus weitere Anknüp- fungspunkte für zukünftige Studien, insbesondere im Hinblick auf die Kon- zeption des Tricksterhaften. Veronika Rudolf (Bayreuth)