Isabell Otto Aggressive Medien Formationen der Mediennutzung Herausgegeben von Irmela Schneider I Band 4 Isabell Otto ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am kulturwissen- schaftlichen Forschungskolleg »Medien und kulturelle Kommunika- tion« und am Institut für Theater-, Film- und Fernsehwissenschaft der Universität zu Köln. Ihre Forschungsschwerpunkte sind Medien in der Wissenschaftsgeschichte, Mediendiskurse und Medientheorie. IsABELL Ono Aggressive Medien. Zur Geschichte des Wissens über Mediengewalt [ transcript] Zugl. Diss. Univ. Köln, Phil. Fak., 2007 Gedruckt mit freundlicher Unterstützung der Studienstiftung Niessen. Bibliografische Information der Deutschen Bibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http:/ jdnb.ddb.de abrufbar. © 2oo8 transcript Verlag, Bielefeld This work is licensed under a Creative Commons Attribution-NonCommerciai-NoDerivatives 3.0 License. Umschlaggestaltung: Kordula Röckenhaus, Bielefeld Umschlagabbildung: Nauman: AnthrojSocio. Rinde Spinning; Bildquelle: Hamburger Kunsthalle, Hamburg, Germany / Bridgeman Berlin; © VG Bild-Kunst, Bonn 2007. Lektorat & Satz: Isabell Otto Druck: Majuskel Medienproduktion GmbH, Wetzlar ISBN 978-3-89942-883-4 Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier mit chlorfrei gebleichtem Zellstoff. Besuchen Sie uns im Internet: http:jj www. transcript-verlag.de Bitte fordern Sie unser Gesamtverzeichnis und andere Broschüren an unter: info@ transcript-verlag.de INHALT Die Formel >Mediengewalt< 11 Die Kontroverse der Experten 13 Die diskursive Regulation von Mediengewalt 26 TEIL 1: WIRKUNGSKONTROLLE 39 1 Wirkung: Epistemologie des Messens 45 Sozialstatistische Positivitäten und die Objektivierung der Gesellschaft 45 Experimentelle Beobachtung und kontrollierte Kausalität 58 2 Propaganda: Politik der Beeinflussung 77 Techniken politischer Gewaltkommunikation 80 Die Mission der Persuasionsforschung 91 3 Werbung: Ökonomie der Suggestion 101 Anzeigen und ihre mediale Umgebung 110 Die Rationalisierung negativer Werbewirkung 114 Wirkungsforschung im Werbemedium 122 4 Erziehung: Pädagogik der Gefährdung 131 Die Rückseite des Erziehungsmediums 134 Die Delinquenz des unschuldigen Mediennutzers 137 Die Medien der Lerntheorie 146 5 Heilung: Therapie der Mediengewalt 159 Zur Genealogie medizinischer Reinigungskonzepte 162 Mediengewalt als kathartische Arznei 169 Die Widerlegung der Katharsisthese 175 Sozialhygienische Regulation 182 Das Wissen über Mediengewalt: Zwischenbilanz 189 Wirkungsstabilisierende Zähmung 189 Das Moralische der Regulation 193 Die moralische Regulation von Mediengewalt 199 TEIL 2: REGIERUNG DER MEDIENNUTZUNG 203 Kontexte der Wissensproduktion 207 Rhetoriken der Beweisführung 211 Regulation statt Kontrolle 217 Die sozialhygienische Institution als Ort der Wissensproduktion 222 Justierung des Experimentalsystems 232 2 Formatierung der Wissensordnung 235 Von der Gewalttat zum alltäglichen Normverstoß 239 Dispersion des gefahrliehen Mediums 252 a) Fernsehen als Messproblem 254 b) Korrelation in Zeitsprüngen 255 c) Muster der Rezeption 261 Die Überwachung gewalttätiger Mediennutzer 263 3 Diffusion des Wissens 271 Die Irrwege publizierter Daten 274 Staatspolitische Handlungsohnmacht 280 Schließung des Forschungskreislaufs 290 Rezeptionspolitiken 295 Die Offenheit der Mediengewalt-Frage 301 Killerspiele verbieten: Die Sackgasse der Restriktionen 303 Schau hin! Der Appell an autonome Subjekte 309 Literaturverzeichnis 313 VORBEMERKUNG Bei der vorliegenden Studie handelt es sich um die gekürzte und leicht überarbeitete Fassung meiner Dissertation, die ich im Februar 2007 an der Philosophischen Fakultät der Universität zu Köln eingereicht habe. Die Arbeit hat sehr profitiert von dem Kontext, in dem sie entstanden ist. Ich möchte an erster Stelle Professor Irmela Schneider danken, die das Projekt intensiv betreut hat. Mein Dank gilt des Weiteren Professor Lutz EHrich für sein Zweitgutachten und der Studienstiftung Niessen für die Unterstützung der Publikation. Ganz herzlich möchte ich meinen Kolleginnen und Kollegen am kul- turwissenschaftlichen Forschungskolleg Medien und kulturelle Kommu- nikation, am Institut für Theater-, Film- und Fernsehwissenschaft und den Teilnehmern des Doktorandenkolloquiums von Irmela Schneider für zahlreiche Diskussionen und Anregungen danken. Besonders hervorhe- ben, weil sie mir in entscheidenden Situationen zur Klärung verholfen haben, möchte ich Christina Bartz, Christoph Neubert und Gabriele Schabacher. Mein Dank gebührt außerdem meinen Eltern Hanna und Winfried Otto, die den Prozess dieser Arbeit mit Interesse verfolgt und mir da- durch stets Rückhalt gegeben haben. Danken möchte ich auch Familie Arends für ihr beständiges Interesse. Ganz besonders danke ich Nicole Spekat für ihren vielfaltigen und humorvollen Beistand. Schließlich gilt mein Dank Anna Bienefeld, Daniela Franke, Tobias Haupts, Katharina Otto und Tanja Weber für ihre Hilfe beim Korrekturlesen. Köln, Februar 2008 IsabellOtto DIE FORMEL >MEDIENGEWAL T< Was ist Mediengewalt? Welchen Stellenwert hat die Rede von Medien- gewalt in öffentlichen Debatten über Medien und ihre Nutzer? Auf den ersten Blick scheint sich die Bezeichnung ausschließlich auf die darge- stellte Gewalt in den Medien zu beziehen: Sie taucht auf, wenn es um Massaker in Horrorfilmen, Schießereien in Fernsehkrimis oder virtuelle Bluttaten in Computerspielen geht. Doch schon solche Auseinanderset- zungen legen nahe, dass sich Mediengewalt nicht auf die Darstellungs- ebene beschränkt. Wenn von Mediengewalt gesprochen wird, ist immer mehr als die bloße Inhaltsseite gemeint. Es handelt sich um eine Argu- mentationskette, die sich zu einem Begriff verdichtet. Mediengewalt kann als Formel im Sinne einer abkürzenden Verdichtung- und in die- sem Sinne als Kurzschlussformel - bezeichnet werden. Sie verweist be- reits auf Sorgen und Befürchtungen, die mediale Gewaltdarstellungen auslösen, und ruft auf diese Weise kausale Hypothesen unmittelbar auf: Medien bzw. bestimmte Medienprogramme - so die Implikation der gängigen Rede über Mediengewalt - haben eine schädliche Wirkung auf ihre Nutzer, sie steigern die Aggressivität des Film- und Fernsehzu- schauers oder Computerspielers, verleiten möglicherweise zu Gewalt- taten und haben vielleicht sogar zur Folge, dass die Gewalt in der Gesell- schaft zunimmt. Die Kurzschlussformel >Mediengewalt< ist keine ein für alle Mal ge- sicherte Diagnose. In ihr äußert sich vielmehr der Wunsch, den Kausal- zusammenhang zwischen Medium und Nutzer klar zu bestimmen. Me- diengewalt stellt aus diesem Grund eine wissenschaftliche Heraus- forderung dar. Als offene Frage formuliert, bildet sie ein Forschungs- problem, das bis heute als ungelöst, keineswegs aber als unlösbar gilt. Seit um die Mitte des 20. Jahrhunderts erste empirische Untersuchungen der Mediengewalt-Frage nachgegangen sind, also den kausalen Zusam- menhang zwischen medial dargestellter Gewalt und aggressiven oder gewalttätigen Handlungen des Mediennutzers auszuloten versucht haben, sind unterschiedliche Antworten auf diese Frage formuliert, kritisiert und wieder verworfen worden. Unbeirrt von dieser wechselhaften Geschichte hofft die Mediengewaltforschung, sich ihrer Forschungsfrage immer wei- ter anzunähern, ohne allerdings den Eindruck zu erwecken, dass eine endgültige Antwort in absehbarer Zukunft zu erreichen wäre. In der vorliegenden Untersuchung geht es nicht darum, eine neue Antwort auf die Mediengewalt-Frage zu finden. Ziel ist es auch nicht, die 11 AGGRESSIVE MEDIEN Antwortsuche als sinnloses Unterfangen zu entlarven. Mediengewalt wird in der medienkulturwissenschaftlichen Perspektive der folgenden Ausführungen als kulturelle Objektivation verstanden, die entscheidend dazu beiträgt, Medien und Mediennutzung in gesellschaftlich relevanter Weise zu bestimmen. Die Rede über Mediengewalt, so die Ausgangs- überlegung, impliziert Vorstellungen, die für das soziale Verständnis von Medien und Mediennutzung prägend sind. Im Fokus der Untersuchung steht dabei die sozialwissenschaftliche Mediengewaltforschung, mit de- ren Hilfe die Kurzschlussformel mit zwar umstrittener, aber dennoch ein- flussreicher wissenschaftlicher Autorität ausgestattet wird.' In punktuellen historischen Einzelanalysen, die nicht auf ein voll- ständiges Bild einer Geschichte der Mediengewaltforschung zielen, wird beleuchtet, warum das Wissen über Mediengewalt gleichermaßen ein- flussreich wie unsicher ist. Am Ausgangspunkt dieser Untersuchung steht die Frage, ob nicht eben die Unsicherheit der Diagnose >Medien- gewalt< ihre Relevanz in öffentlichen Debatten ausmacht. Gerade die Ungelöstheit des Mediengewalt-Problems, die immer wieder neue Ver- suche, wissenschaftliche Antworten zu finden, herausfordert, soll im Folgenden als diskursive Praxis der Regierung von Mediennutzung un- tersucht werden. >Regierung< wird dabei im Anschluss an Michel Fou- caults späte Ausführungen zum Konzept der Gouvernementalität und dessen Weiterentwicklung in den so genannten governmentality studies als Prozess verstanden, der sich nicht auf den engeren staatspolitischen Bereich begrenzt, sondern Praktiken des Regierens in unterschiedlichen - pädagogischen, wissenschaftlichen oder ökonomischen - Feldern um- fasst. Das so verstandene Konzept des Regierens bezieht sich des Weite- ren nicht nur auf die Regierung der anderen, sondern auch auf die Regie- rung des Selbst.2 Die diskursiven Praktiken, die sich um die Formel >Me- Die Perspektive der Untersuchung ist in diesem Sinne wissenschaftshisto- risch geprägt. Sie unterscheidet sich damit von Studien, denen es um eine kulturwissenschaftliche Reformulierung der Konzepte >Mediengewalt< und >Medienwirkung< geht bzw. die eine kulturwissenschaftliche Publikums- forschung unternehmen. V gl. Martin Andree: Archäologie der Medienwir- knng. Faszinationstypen von der Antike bis heute, München: Wilhelm Fink Verlag 2005; ders.: Wenn Texte töten. Über Werther, Medienwirkung nnd Mediengewalt, München: Wilhelm Fink Verlag 2006. Die vorliegende Un- tersuchung nimmt stattdessen eine Rekonstruktion der Mediengewalt- Formel vor, wie sie durch Forschungspraktiken der empirischen Wirkungs- forschung hergestellt wird nnd in dieser Form kulturelle Relevanz gewinnt. 2 Vgl. zusammenfassend Michel Foucault: »Die Gouvemementalität« [1978], in: ders., Analytik der Macht, Frankfurt/Main: Suhrkamp 2005, S. 148-174; als exemplarischen Beitrag aus dem Forschungsbereich der go- vernmentality studies, der dieses Konzept aufgreift nnd weiterentwickelt, vgl. Mitchell Dean: »>A Social Structure of Many Souls<: Moral Regulati- on, Govemment and Self-Formation«, in: Mariana Valverde (Hg.), Studies 12 DIE FORMEL >MEDIENGEWALT< diengewalt< gruppieren, so die zentrale Hypothese, die im Verlauf der vorliegenden Studie geklärt werden soll, fordern den Mediennutzer zur autonomen Regulierung seines eigenen Rezeptionsverhaltens auf. Bevor der theoretische Rahmen und die Fragestellung der vorliegen- den Studie eine gerrauere Bestimmung erhalten, erfolgt ein Sprung in medias res: Die Beschreibung des Erfurter Amoklaufs im Frühjahr 2002 als eine medieninduzierte Tat ist eine prominente Ausformulierung der Kurzschlussformel >Mediengewalt<, die mittlerweile auch in medien-und kulturwissenschaftlichen Untersuchungen vielfaltig reflektiert wurde.3 Die Diagnose >Mediengewalt< - so lässt es sich am Erfurter Amoklauf zeigen - erweist sich nicht nur in der publizistischen Debatte, sondern auch in sozialwissenschaftliehen Abhandlungen, wenn diese einen fun- dierten empirischen Beweis zu liefern versuchen, als außerordentlich prekär. Die Kontroverse der Experten Drei Tage nach dem 26. April 2002, nach dem Tag also, an dem der 19- jährige Robert Steinhäuser 16 Menschen und sich selbst in seiner ehema- ligen Schule, dem Erfurter Gutenberg-Gymnasium, erschießt, titelt das Nachrichtenmagazin Der Spiegel »Tod in der Schule« und begibt sich auf die Suche nach Ursachen für die >Unfassbare< Tat. Das Magazin zi- tiert »den Augsburger Medienexperten und Schulpädagogen Werner Glogauer«,4 der über computerspielende Jugendliche folgenden Befund äußert: »Sie üben die Morde in ihrer Phantasie immer und immer wieder ein, auch, wenn sie nicht am Monitor sitzen. Und irgendwann kommt das, was Kriminalisten den >Realitätsdurchbruch< nennen. Dann wird aus der Mordphantasie blutige Wirklichkeit.«5 in Moral Regulation. The Two Paths. Sonderheft des Canadian Journal of Sociology 19 (1994), H. 2, S. 145-168. 3 Vgl. Christina Bartz: »Der >Mike Mendez Killers-Coolness-Faktor<. Wa- rum Robert Steinhäuser Amok läuft«, in: Irmela Schneider/Christina Bartz (Hg.), Formationen der Mediennutzung 1: Medienereignisse, Bielefeld: transcript 2007, S. 229-243; Christof Bey er: Der Erfurter Amoklauf in der Presse. Unerklärlichkeit und die Macht der Erklärung: Eine Diskursanalyse anhand zweierausgewählter Beispiele, Hamburg: Verlag Dr. Kovac 2004; Lothar Mikos: »Amok in der Mediengesellschaft«, in: Archiv der Jugend- kulturen (Hg.), Der Amoklauf von Erfurt, Berlin: Tilsner 2003, S. 46-74; Susanne Regener: »Masken des Bösen: Der Erfurter Amokläufer in den Medien, N -Nachricht«, in: Albert Kümmel/Erhard Schüttpelz (Hg.), Sig- nale der Störung, München: Wilhelm Fink Verlag 2003, S. 199-207. 4 Klaus Brinkbäumer u.a.: »Mörderischer Abgang«, in: Der Spiegel 56 (2002), H. 18, S. 80-92, hier S. 83. 5 Wemer Glogauer, zit. ebd. 13 AGGRESSIVE MEDIEN Was macht den Spiegel so sicher, dass sich der Amokläufer als Me- diennutzer beschreiben lässt? Diese Beschreibung ist nicht die einzige Form, in der die gesellschaftliche Öffentlichkeit ihrem Erklärungsnot- stand, in den sie der Gewaltausbruch geführt hat, zu begegnen versucht. Die Mediendebatte nach der Erfurter Bluttat - für die Der Spiegel hier exemplarisch steht - 6 diskutiert ebenso Fehler im Bildungssystem, das Versagen der Familie und Roberts Mitgliedschaft in einem Schützenver- ein als mögliche Ursachen für das unerklärte Ereignis. Die Identi- fizierung der Gewalttat als Medienwirkung ist außerdem keineswegs eindeutig. Oft wird die Identifizierung der Gewalttat als Medienwirkung im Bereich einer Vermutung, eines Verdachts belassen: »Machen Baller- spiele wirklich aggressiv?«7 - »Vom Gewaltvoyeur zum virtuellen Tä- ter?«8 - »Fernsehen macht gewalttätig. Oder auch nicht.«9 Die öffentli- che Debatte befindet sich nicht nur hinsichtlich des unfassbaren Amok- laufs, sondern auch im Hinblick auf ihr Erklärungsmodell Medienwir- kung in einem Erklärungsnotstand. Der Spiegel bemüht sich, wenn er den Medienexperten Glogauer zitiert, diesen Erklärungsnotstand zu be- seitigen, indem er den vagen Verdacht gegen eine wissenschaftliche Di- agnose austauscht. Es handelt sich dabei um eine gängige Praxis publi- zistischer Debatten: Die Befragung des Experten dient zur argu- mentativen Unterfütterung eines Verdachts. Der zitierte Experte Glogauer gilt als »Hardliner unter den Medien- kritikern«. Er sieht die Wirkung von Mediengewalt als derart einleuch- tend bewiesen an, dass er Forderungen nach »Produkthaftung« bzw. »Schadensersatz und Schmerzensgeld« für gerechtfertigt hält. 10 Während der Expertenstatus Glogauers- auch wenn dieser in publizistischen Tex- 6 Nahezu die gesamte Presse war beteiligt. Vgl. z.B. die zitierten Titelbilder von Spiegel, Stern, Focus und Super illu in: Archiv der Jugendkulturen (Hg.): Der Amoklaufvon Erfurt, Berlin: Tilsner 2003, S. 15-17; oder die Auseinandersetzung mit der Debatte in der Frankfurter Allgemeinen Zei- tung und im Spiegel in: C. Bey er: Erfurter Amoklauf. 7 So schon vor dem Erfurter Amoklauf Steffen Haubner: »Krieg auf dem Monitor«, in: Hamburger Abendblatt vom 20.11.2001. 8 Hans-Dieter Kühler: »Vom Gewaltvoyeur zum virtuellen Täter? Gewalt- forschung bei Ego-Shootem«, in: medien praktisch. Zeitschrift fiir Me- dienpädagogik 27 (2003), H. 1, Themenschwerpunkt Gewalt und Medien 3, s. 4-12. 9 Berliner Zeitung: »Medienforschung. Fernsehen macht gewalttätig. Oder auch nicht«, in: Berliner Zeitung vom 30.4.2002. 10 Lars-Olav Beier u.a.: »Die freie Hasswirtschaft Unterhaltungsindustrie«, in: Spiegel Online vom 7.5.2002, unter http://www.spiegel.de/kultur/gesell- schaft/0,1518,194999,99.html vom 8.8.2005. Vgl. zu den Thesen Glogau- ers seine Monografie: Kriminalisierung von Kindem und Jugendlichen durch Medien. Wirkungen gewalttätiger, sexueller, pornographischer und satanischer Darstellungen, Baden-Baden: Nomos 31993. 14 DIE FORMEL >MEDIENGEWALT< ten immer wieder zitiert wird - unsicher ist und seine Studien häufig als populärwissenschaftliche Hysterisierungen kritisiert werden, 11 so ist dies weitaus schwieriger für jene Wissenschaftler, die am Kongress Medien- gewalt. Handeln statt Resignieren! an der Universität München beteiligt sind. In dessen Rahmen werden drei Monate nach dem Amoklauf, mit der Autorität von Psychologie- und Pädagogikprofessoren aus der ganzen Republik, ähnliche Postulate verlautbart. 12 Ziel der Zusammenkunft sei es, »unter dem Eindruck der tragischen Ereignisse von Erfurt die längst bekannten und gesicherten, doch oft ignorierten Erkenntnisse der Me- dienwirkungsforschung vorzustellen.«13 Der Kongress verabschiedet eine Resolution, die das Erklärungsmodell Medienwirkung als wissenschaft- lich sicher belegt darstellt und jeden Zweifel als interessegeleitet be- zeichnet: »Die Behauptung, dass die bisherigen Forschungsergebnisse widersprüchlich seien, ist gezielt falsch. Diese Verfälschung wird von mediennahen Wissen- schaftlern, Politikern und Medienvertretern systematisch öffentlich wiederholt, damit das Geschäft mit der Gewalt weitergehen kaun.«14 Der Leiter der beteiligten Schulberatungsstelle Oberbayem-Ost, Rudolf Hänsel, stellt die Gefahrlichkeit von medialer Gewaltdarstellung nicht mehr in Zweifel: »Wie schaffen wir es, bei den Kindem einen inneren Schutzwall gegen das >innenweltverschmutzende< Gift der Mediengewalt aufzubauen?«15 Die Diagnose >Mediengewalt< ist hier derart deutlich, dass die »wissenschaftliche Belegführung« tatsächlich als »fundierte Handlungsanweisung« dient. 16 Auch wenn selbst diese Resolution nicht 11 Vgl. Manfred Riepe: »Wer die Toten zählt«, in: Die Tageszeitung vom 24.4.2003. 12 Der Kongress ist ein Kooperationsprojekt der Universitäten München und Regensburg mit der Staatlichen Schulberatung Oberbayern-Ost 13 Für die Familie e.V.: »Mediengewalt: Handeln statt resignieren. Ergebnisse der Medienwirkungsforschung - Politische und pädagogische Konsequen- zen«, in: Für die Familie e.V., Infobriefvom 4.12.2002, unter http://www. fuerdiefamilie.de/MediengewaltHandelnStattResignieren.html vom 7 .12. 2004 (Kursivierung im Original). 14 Werner Hopfu.a.: »Resolution. Kongress Mediengewalt Handeln statt Re- signieren! Ergebnisse der Medienwirkungsforschung - Politische und pä- dagogische Konsequenzen«, 25.7 .2002, unterhttp://www .pluspunkt-online. de/download/hopf_k ongress.doc vom 28.9 .2005. 15 Rudolf Hänsel: »Stellungnahme zum Kongress >Mediengewalt: Handeln statt Resignieren! Ergebnisse der Medienwirkungsforschung - politische und pädagogische Konsequenzen<, LMU München, 25.7.2002«, unter http: I /www .schulberatung.bayern.de/erfurtl.htm#stellkongr vom 28.9.2005. 16 C. Beyer: Erfurter Amoklauf, S. 56. Im Folgenden wird sich zeigen, dass der empirische Beweis keineswegs immer so eindeutig ist. Beyers Darstel- 15 AGGRESSIVE MEDIEN davon ausgeht, dass alle Mediennutzer latente Gewalttäter sind, versorgt der Münchener Kongress die öffentliche Debatte mit Zahlen, die eine ge- sellschaftliche Gefahr eindeutig belegen sollen: Mediengewalt erhöhe »Aggressivität und Gewalttätigkeit bei 10-15% der Kinder und Jugendli- chen. Das sind in Deutschland rund 1,5 Millionen. In Risikogruppen ist die Wirkung noch stärker.«17 Nur konsequent ist vor dem Hintergrund dieser Gefahr, dass die Forderungen des Kongresses noch viel weiter ge- hen als die politischen Maßnahmen, die von der Bundesregierung in die Wege geleitet werden. Unter anderem nennt die Resolution: »Ein Verbot der Produktion (national) und des Vertriebs von gewaltverherrlichenden Filmen und Video-/PC-Spielen. Ein Gesetz zur Haftung für Medienpro- dukte.«18 Auf dem Kongress informiert der Regensburger Experimentalpsy- chologe Helmut Lukesch, der im Auftrag der bayerischen Landesregie- rung seit 2001 eine inhaltsanalytische Untersuchung zum Weltbild des Fernsehens unter besonderer Berücksichtigung der Gewaltdarstellung durchführt, 19 über den Ergebnisstand der Mediengewaltforschung. Die wissenschaftlichen Befunde für die Wirkung von medialer Gewaltdar- stellung und somit die »Risiken des Medienkonsums«, so Lukesch, sind zwar bekannt, aber »ein Großteil der Diskutanten will davon nichts wis- sen und setzt anstelle der Ergebnisse empirischer Forschung subjektive Evidenzerlebnisse.«20 Nur nach Ereignissen wie Erfurt komme es zu ei- ner öffentlichen Erregung, die schnell wieder vergessen werde. Das Risi- kobewusstsein in der deutschen Gesellschaft bezüglich der Gefahren von Mediengewalt sei erstaunlich gering. Lukesch stellt die >objektive< Evi- denz des empirischen Beweises über die >überwältigende Menge< bereits lung, der zufolge die Vertreter der Medienwirkungsforschung generell als »Normalitätsrichter« (e bd.) fungieren, muss also differenziert werden. 17 W. Hopfu.a.: »Resolution«, S. 1 (die Seitenzahlen bei Internetseiten bezie- hen sich im Folgenden immer auf das ausgedruckte Dokument). 18 Ebd, S. 2. 19 Vgl. Helmut Lukesch u.a.: Das Weltbild des Fernsehens. Eine Untersu- chung der Sendungsangebote öffentlich-rechtlicher und privater Sender in Deutschland, 2 Bde, Regensburg: S. Roderer Verlag 2004. 20 Helmut Lukesch: »Mediengewaltforschung: Überblick und Probleme. Vor- trag auf dem Kongress >Mediengewalt. Handeln statt Resignieren!<, LMU München, 25.7.2002«, unter http://rpss23.psychologie.uni-regensburg.de/ download/lukesch/kongress _ mediengewalt_2 002.pdf vom 7 .12.2004, S. 1. Lukesch thematisiert nicht, dass jede konsequente politische >Lösung<, die in ihrer radikalsten Form in einem Verbot von medialer Gewaltdarstellung bestünde, in Kollision mit den Grundrechten der Presse- und Meinungs- freiheit geraten würde. Das Spannungsfeld zwischen gouvernementaler Regulation und liberalen Medienrechten, das >objektive Evidenzerlebnisse< verhindert, wird im Teil Regierung der Mediennutzung ausfiihrlicher the- matisiert. 16 DIE FORMEL >MEDIENGEWALT< erbrachter wissenschaftlicher Beweise dar. Er kennzeichnet seine Ver- fahrensweise als >Metaanalyse< - der Versuch, »auf methodisch nach- vollziehbarem Weg die Ergebnisse der empirischen Medienforschung zu sichten«.21 Was Lukesch de facto unternimmt, ist eine Metaanalyse zwei- ter Ordnung: Er referiert vier angloamerikanische Analysen und kumu- liert deren Ergebnisse. Auf diese Weise kann Lukesch auf einer Basis von etwa 400 Primärstudien argumentieren. Es handelt sich hierbei um Feldstudien und Laborexperimente, die in einem Zeitraum von 1956 bis 1990 versucht haben, eine kausale Korrelation zwischen medialer Ge- waltdarstellung und Aggressivität des Mediennutzers statistisch nachzu- weisen. Insgesamt seien damit etwa eine halbe Million Probanden ver- messen worden. Ebenso kumulativ verfahrt Lukesch mit den Ergebnis- sen: Er berichtet über die Durchschnittswerte, mit denen die vier Meta- analysen den statistischen Zusammenhang der jeweils berücksichtigten Primärstudien angeben, und kommt zu dem Schluss: »Zusammenfassend findet sich als Globaleffekt ein deutlicher Beleg für die aggressions- steigernde Wirkung des gewalthaltigen Medienkonsums«.22 Die Vorge- hensweise einer Metaanalyse ist bei Lukesch von der Überzeugung moti- viert, der Beweis sei längst erbracht: »In der Tat, es braucht hierzu keine neuen Studien mehr. Der kausale Nachweis den [sie] Einflusses der gewalthaltigen medialen Darstellungen auf die Rezi- pienten ist unter Einbezug vieler differenzierender Bedingungen gefiihrt. Ge- nauso wie in der medizinischen Forschung der Dosis-Wirkungs-Zusammen- hang zwischen Rauchen und der Entstehung von Lungenkrebs gut abgesichert ist und die Forschung zu anderen Themen übergehen kann, so ist dies auch im Medienbereich zu sehen. Und hier gibt es sicherlich mehr als genug weitere Themen.«23 Um den Einwand abzuwehren, nach dem der statistische Zusammenhang zwischen medialer Gewaltdarstellung und Aggressivität des Nutzers nur ein sehr geringer sei, vergleicht ihn Lukesch nicht nur mit der Korrelati- on von Rauchen und Lungenkrebs, sondern auch mit anderen Ursache- Wirkungs-Zusammenhängen. Der gemessene Zusammenhang von Ag- gressivität und Medienkonsum läge »durchaus im gleichen Bereich« wie der Zusammenhang von Aggressivität und Geschlecht, Sozialschicht oder Alkoholgenuss.24 Diese Rhetorik einer längst erbrachten Beweisführung bleibt die Antwort auf die Mediengewalt-Frage schuldig, indem sie den wissen- schaftlichen Beleg in der Vergangenheit verortet und so die gegenwärtig gestellte Frage als unsinnig herausstellt. Diese Argumentation kann sich nur gegen Bestreiter dieser >Tatsache< richten. Lukesch findet seine 21 H. Lukesch: »Mediengewaltforschung«, S. 4 22 Ebd., S. 6. 23 Ebd., S. 13. 24 Ebd., S. 6. 17 AGGRESSIVE MEDIEN Feindbilder weniger in der aufgeregten Öffentlichkeit als in Kollegen der deutschen Mediengewaltforschung. Er erklärt deren Ignoranz gegenüber der Schädlichkeit von Mediengewalt mit einer »Abschottung gegen in- ternationale Befunde«25 . In der Schusslinie von Lukeschs Polemik gegen »Diskutanten, die zwar als Wissenschaftler in der Öffentlichkeit auftre- ten, die Befundlage zu dem Thema aber nicht kennen«,26 stehen die Kommunikationswissenschaftler Michael Kunczik (Mainz) und Klaus Merten (Münster). Beide werden zitiert, um zu zeigen, wie wenig die deutsche Kommunikationsforschung sich in Fragen der Mediengewalt- forschung auskennt. Was Kunczik betrifft, so ist Lukeschs Kritik auf den ersten Blick nicht einleuchtend, denn der Professor des Mainzer Publizistikinstituts streitet die Wirkung von medialer Gewaltdarstellung keineswegs ab. Kunczik gibt in einem Vortrag kurz nach dem Erfurter Amoklauf einen Überblick über die Wirkungsforschung, in dem er betont, »die Darstel- lung von Gewalt in den Medien habe eindeutig negative Auswirkungen auf bestimmte sozial isolierte Problemgruppen«. Er »sei überzeugt, dass Gewaltdarstellungen zur Abstumpfung führen und Nachahmungstäter auf den Plan rufen könnten.«27 Kuncziks 1975 erschienene Dissertation Ge- walt im Fernsehen28 hat maßgeblich zur Rezeption von angloamerikani- schen Studien im deutschsprachigen Raum beigetragen. Von dieser ers- ten Untersuchung an bis hin zu gegenwärtigen Expertisen und For- schungsbeiträgen29 gilt Kunczik als zentraler Gewährsmann für die Me- diengewaltforschung in Deutschland. Eine >Unkenntnis der Befundlage< unterstellt die Fachwelt Kunczik also größtenteils nicht.30 In einem Ge- spräch noch vor dem Erfurter Amoklauf macht Kunczik deutlich, er habe zwar in den 70er Jahren die damals >sehr populäre< These vertreten, dass Fernsehgewalt keine Wirkung hat, aufgrund »eigener Untersuchungen, aber auch anderer Forschungsreihen«, sei er aber »mittlerweile« davon überzeugt: 25 Ebd., S. 3. 26 Ebd. 27 Associated Press: »Bergmann nennt neues Jugendschutzgesetz dringend notwendig. Erste Zusammenfassnng. Schutz von Kindem und Jugendlichen vor Gewalt in Medien soll oberste Priorität haben«, in: Associated Press Worldstream- German vom 28.5.2002. 28 Michael Kunczik: Gewalt im Fernsehen, Köln: Böhlau 1975. 29 Sein Studienbuch Gewalt und Medien ist in Co-Autorschaft mit Astrid Zi- pfel 2006 in einer fiinften, vollständig überarbeiteten Auflage erschienen. Vgl. Michael Knnczik/Astrid Zipfel: Gewalt und Medien. Ein Studien- handbuch, Köln, Weimar, Wien: Böhlau 52006. 30 Vgl. etwa die Überblicksdarstellnng »Gewalttätig durch Medien?« in einer Publikation der Bnndeszentrale fiir politische Bildung: Michael Knn- czik/Astrid Zipfel: »Gewalttätig durch Medien?«, in: Das Parlament 52 (2002), H. 44, Beilage: Aus Politik und Zeitgeschehen, S. 29-37. 18 DIE FORMEL >MEDIENGEWALT< »Für die überwiegende Anzahl von Kindem und Jugendlichen ist Medienge- walt eher unbedenklich, was die negativen Auswirkungen betrifft, bei Problem- gruppen allerdings sind ganz eindeutig negative Effekte zu erwarten. Es gilt nun herauszufinden, wo und wie diese Problemgruppen zu lokalisieren sind.«31 Kunczik führt hier ein Argument an, das Lukesch in seinem Vortrag zwar nicht explizit kritisiert, das aber doch sehr von der Programmatik des Münchener Kongresses abweicht. Lukeschs Kritik an Kunczik wird so plausibler: Mediale Gewaltdarstellung sei zwar ganz eindeutig, aber nur für Problemgruppen, die überhaupt erst aufgefunden werden müssen, schädlich. Diese Einschränkung markiert nicht nur die Differenz zwi- schen Kunczik und Lukesch, sondern sie erlaubt auch - so lässt sich vermuten-, dass Kunczik in den Debatten nach Erfurt sowohl als Exper- te zitiert werden kann, der das Erklärungsmodell Medienwirkung stützt, als auch von Lukesch als Verleumder dieser >Tatsache<. Mit einer sol- chen Doppelinterpretierbarkeit von Aussagen deutet sich ein zentrales Spannungsmoment an, das in den folgenden diskurshistorischen Be- leuchtungen der Mediengewaltforschung noch eingehender zu diskutie- ren sein wird. In polemischer Abwertung anderer Auffassungen zur Mediengewalt- Frage und zur Beurteilung ihres Forschungsstands steht Kunczik dem Regensburger Kollegen in keiner Weise nach. Auch Michael Kunczik und Astrid Zipfel organisieren ihre zahlreichen und vielfach veröffent- lichten Forschungsüberblicke in der Rhetorik einer Anklagerede, wobei nicht immer ganz deutlich wird, gegen wen sich diese richtet: »Obwohl es keinen Bereich der Medienwirkungsforschung gibt, zu dem mehr Studien vorliegen, ist die Publikationsflut ungebrochen. [ ... ] Schätzungen ge- hen von inzwischen über 5000 Studien zur Gewaltthematik aus, wobei die Quantität der Veröffentlichungen allerdings wenig über die Qualität der For- schungsergebnisse aussagt[ ... ].«32 Die Qualität lasse vielmehr zu wünschen übrig, denn die einzelnen Stu- dien seien disparat, der Forschungsstand nicht ausreichend entwickelt. Insgesamt gelte »noch immer ein Resümee, das die DFG-Kommission >Wirkungsforschung< im Jahr 1986 gezogen hat: Man wisse zuwenig über den Zusammenhang zwischen Massenkommunikation und Gesell- 31 Michael Kunczik/Joachim von Gottberg: »Normativ vorgehen. Was kann der Jugendschutz mit der Wirkungsforschung anfangen?«, in: TV-Diskurs 4 (2000), H. 14, S. 38-43, hier S. 39. 32 Michael Kunczik/ Astrid Zipfel: »Wirkungen von Gewaltdarstellungen«, in: Walter Klingler/Gunnar Roters/Oliver Zöllner (Hg.), Fernsehforschung in Deutschland. Themen - Akteure - Methoden, Bd. 1, Teilbd. 2, Baden- Baden: Nomos 1998, S. 561-577, hier S. 561. 19 AGGRESSIVE MEDIEN schaft, über die Wirkungsgesetze der Medien«. 33 Anstatt Sicherheiten der Wirkungsforschung herauszustellen, wenden sich Kunczik und Zipfel - und hier konturieren sie ein klares Feindbild- gegen vermeintliche Klar- heiten, die populärwissenschaftliche Studien postulieren: »Eines der Hauptprobleme der Kommunikationswissenschaft besteht in diesem Kontext auch darin, den Einfluß populärwissenschaftlicher Vorstellungen (zum Beispiel auf medienpolitische Entscheidungen) zurückzudrängen. Gemeint ist damit die Traktätchen-Literatur, wie sie etwa von Neil Postman (>Das Ver- schwinden der Kindheit<, >Wir amüsieren uns zu Tode<) stammt [ ... ]. Auch Mary Wiun (>Die Droge im Wohnzimmer<) oder Jerry Mander (>Schafft das Fernsehen ab<) verdienen Erwähnung. Diese Werke sind wissenschaftlich nur aus einer Warte interessant: Ihre hohe Popularität ist ein Indikator für weitver- breitete kollektive Ängste hinsichtlich möglicher negativer Wirkungen des Fernsehens. Der Erfolg solcher Publikationen liegt darin begründet, daß einfa- che, fiir jedermann leicht nachvollziehbare, monokausale (wenngleich auch fal- sche) Erklärungen fiir die Problematik der Medienwirkung angeboten wer- den.«34 Im Gegensatz zur >Traktätchen-Literatur< plädieren Kunczik und Zipfel fiir eine differenzierte Wirkungsthese. Sie schließen sich dem Konsens der zuvor noch heftig kritisierten Forschung an, »daß durchaus eine ne- gative Wirkung von Gewaltdarstellungen anzunehmen ist, zumindest was bestimmte Individuen und Problemgruppen angeht«,35 lehnen aber eine grundsätzliche Korrelation von Medienkonsum und Gewalt »nicht nur in Einzelflillen, was unumstritten ist, sondern regelmäßig, monokausal und direkt«36 als unwissenschaftlich ab. Kunczik und Zipfel fuhren hiermit neue Kriterien ein, nach denen sich die Wissenschaftlichkeit einer Aussage zu schädlicher Medienwir- kung bemessen lässt. Sie plädieren fiir eine differenziertere Betrachtung, ohne jedoch ganz auf das Wirkungskonzept zu verzichten. Schädliche Wirkung wird den >Einzelflillen< zugeschrieben und damit das eigene wissenschaftliche Unternehmen von seiner Nähe zu >Traktätchen< gerei- nigt, die nur kollektive Ängste bedienen. Im Unterschied zum Münche- ner Mediengewalt-Kongress geht dem wissenschaftlichen Entwurf von Kunczik und Zipfel aber die Fähigkeit ab, als >fundierte Handlungsan- 33 Ebd., S. 562f. Vgl. den Kommissionsbericht: Deutsche Forschungsgemein- schaft (Hg.): Medienwirkungsforschung in der Bundesrepublik Deutsch- land, Teil I. Berichte und Empfehlungen. Enquete der Senatskommission für Medienwirkungsforschung unter dem Vorsitz von Winfried Schulz und der Mitarbeit von Jo Groebel, Teil II. Dokumentation. Katalog der Studien, Weinheim: VCH-Verlagsgesellschaft 1986. 34 M. Kunczik/A. Zipfel: »Wirkungen«, S. 573f. 35 Ebd., S. 562. 36 Ebd., S. 566. 20 DIE FORMEL >MEDIENGEWALT< weisung< auftreten zu können. Warum sollten politische und pädagogi- sche Maßnahmen nötig werden, wenn nicht klar ist, wer überhaupt zu dieser >Problemgruppe< gehört, die auf mediale Gewaltdarstellung ag- gressiv reagiert? Kunczik weist konsequenterweise zurück, dass die Wir- kungsforschung in der Lage wäre, Entscheidungen im Bereich Jugend- schutz zu erleichtern: »Jugendschützer möchte ich nicht sein, wenn ich wissenschaftliche Kriterien anlegen müsste. Jugendschützer kann man eigentlich nur sein, wenn man die Haltung hat: Ich bin ein unvollkommener Mensch mit unvollkommenen Kennt- nissen der Wirkungsforschung, muss aber Entscheidungen fallen - wobei man hinzufugen sollte, dass die Wirkungsforschung zum gegenwärtigen Zeitpunkt allerdings auch keine Entscheidungshilfe bieten könnte.«37 Auf die Frage »Was kann der Jugendschutz mit der Wirkungsforschung anfangen?« entgegnet Kunczik deshalb: »Da müsste ich passen.«38 Das Kriterium Wissenschaftlichkeit setzt auch Klaus Merten, dessen Überlegungen von Lukesch ebenfalls polemisierend verhandelt werden,39 in Kontrast zu kausalen Erklärungsmustern und konkreten Handlungs- anweisungen. Er spitzt dies folgendermaßen zu: »Je wissenschaftlich red- licher Untersuchungen zur Wirkung angelegt sind, desto weniger ergeben sich daraus Hinweise für einen direkten Zusammenhang zwischen Ge- waltbereitschaft und medialer Gewaltdarstellung.«40 Als eher im Randbe- reich der empirischen Sozialforschung situierter41 und einen konstrukti- vistischen Wirkungsansatz vertretender42 Kommunikationsforscher posi- tioniert sich Merten in noch schärferem Kontrast zur Resolution des Münchener Kongresses als Kunczik. Merten hat schon in den 70er Jahren 37 M. Kunczik/J. v. Gottberg: »Normativ vorgehen«, S. 43. 38 Ebd., S. 42. 39 Ein Beispiel fiir diese Polemisierung: Im Anschluss an ein Zitat, in dem Merten den Mangel eines klaren Ergebnisses in der Mediengewaltfor- schung beschreibt (»Klaus Merten gibt folgendes zum Besten«), fragt Lu- kesch: »Was ist im Unterschied zu diesen Äußerungen aber Tatsache?« H. Lukesch: »Mediengewaltforschung«, S. 5. 40 Klaus Merten: Gewalt durch Gewalt im Fernsehen?, Opladen, Wiesbaden: Westdeutscher Verlag 1999, S. 159 (im Original fett). 41 In seinem Standardwerk Medienwirkungsforschung gesteht Michael Schenk Mertens konstruktivistischer Wirkungsforschung die Fähigkeit zu, »durch interessante Uminterpretation bekannter Fälle von starken Medien- wirkungen ihr theoretisches Erklärungspotential unter Beweis [zu] stellen«, ihr mangele es aber »an einer breiten empirischen Fnndierung«; Michael Schenk: Medienwirknngsforschnng, Tübingen: Mohr Siebeck 22002, S. 56. 42 Vgl. Klaus Merten/Siegfried J. Schmidt/Siegfried Weisehenberg (Hg.): Die Wirklichkeit der Medien. Eine Einfiihrung in die Kommunikationswissen- schaft, Opladen: Westdeutscher Verlag 1994. 21 AGGRESSIVE MEDIEN die »Ideologie in der Kommunikationsforschung« kritisiert, die den dy- namischen Kommunikationsprozess auf einfache Beschreibungsformeln reduziere,43 und weist immer wieder auf den >mnbefriedigende[n] Zu- stand der Wirkungsforschung«44 hin. Der traditionellen Wirkungsfor- schung wirft Merten vor, sie würde immer noch das aus der Physik stammende >Stimulus-Response-Modell< verwenden, das der Propagan- daforscher Harold LassweH Ende der 20er Jahre als Wirkungsmodell in die Kommunikationsforschung eingeführt habe. »[I]n direkter Analogie zum Einwirken einer physikalischen Kraft auf einen Gegenstand« un- terstelle dieses Modell: »Der Kommunikator >zielt< auf den Rezipienten. Wenn und sofern es ihm gelingt, diesen zu >treffen< (d.h. zu erreichen, daß der Rezipient sich dem Medium resp. der Aussage aussetzt), muß er [ ... ] Wirkungen erzielen.«45 Diesen stark vereinfachten Wirkungsbegriff bemüht sich Merten immer wieder zu modifizieren und in >trimodalen< oder gar >pentamodalen<46 Wirkungsmodellen zu beschreiben, in denen er die Selektion des Rezipienten ebenso berücksichtigt wie die reflexive, sich in Feedback-Schleifen selbst verstärkende Struktur des Wirkungs- prozesses. Da der Wirkungsprozess sehr viel komplexer gedacht werden müsse, als es die klassische Wirkungsforschung tut- und hier ist Lukesch sicher- lich eingeschlossen-, glaubt Merten, »nicht mehr von den starken, direk- ten Wirkungen der Massenmedien sprechen«47 zu können. Interessanter- weise - denn darin wird deutlich, dass er sich alles andere als außerhalb des sozialwissenschaftliehen Diskurses befindet,48 sondern durchaus ge- mäß den Regeln dieses Diskurses argumentiert - schlussfolgert Merten hieraus nicht, dass mediale Gewaltdarstellungen keine starken oder keine messbaren Wirkungen haben. Merten negiert den Zusammenhang nicht, 43 Vgl. Klaus Merten: »Vom Nutzen der Lasswell-Formel- oder Ideologie in der Kommunikationsforschung«, in: Rundfunk und Fernsehen 22 (1974), H. 2, S. 143-165. Merten kritisiert hier die viel zitierte und einflussreiche Formel, die Harold LassweH 1948 erstmals vorgestellt hat: »Who Says What in Which Channel to Whom With What Effect«. Vgl. Harold D. Lasswell: »The Structure and Function of Communication in Society«, in: Lyman Bryson (Hg.), The Communication of Ideas, New Yo rk: Rarper & Bros. 1964, S. 37-51. 44 Klaus Merten: Einfiihrung in die Kommunikationswissenschaft, Münster: LIT Verlag 1999, S. 341. 45 Dieses und das vorangehende Zitat ebd., S. 334. 46 Vgl. ebd., S. 357 u. S. 359. 47 K. Merten: Gewalt, S. 82. 48 Hier zeigt sich ein zentrales Spannungsmoment, das im Laufe dieser Studie noch genauer zu untersuchen sein wird: Wer positioniert sich mit welchen Diskursbeiträgen iunerhalb des etablierten Diskursfeldes und welcher For- scher oder welche These muss als unwissenschaftlich ausgeschlossen wer- den? 22 DIE FORMEL >MEDIENGEWALT< sondern argumentiert vielmehr, dieser sei noch nicht wissenschaftlich bewiesen, es fehle die »wissenschaftliche Evidenz«.49 Gemessen an den »Kriterien der Wissenschaft« gelte: »Es liegen bislang keine harten Er- gebnisse, die diese These stützen könnten, vor.«5° Klar wird hier, dass es Merten nicht nur darum geht, das Erklärungsmodell Medienwirkung in- frage zu stellen, sondern auch- oder sogar noch mehr- darum, die >Kri- terien der Wissenschaftlichkeit< und deren >Evidenz< zu schärfen und zu verteidigen. Auch wenn Merten Vereinfachungen der traditionellen Wir- kungsforschung kritisiert, ist ihm nicht daran gelegen und kann ihm als Mitglied der community nicht daran gelegen sein, von jeder empirischen Wirkungsforschung Abstand zu nehmen. Merten plädiert für eine bessere Forschung und lässt die grundsätzliche Annahme einer Messbarkeit von Wirkungen unangetastet. Indem er für die Mediengewaltforschung kons- tatiert, »[j]e weniger valide die angewandte Methodik, desto beängsti- gender die festgestellten Wirkungen«,51 argumentiert er gleichzeitig ge- gen das vereinfachte Erklärungsmodell Medienwirkung und für die grundsätzliche Erforschbarkeit von Wirkungen. Ähnlich wie bei Kunczik geschieht dies zum einen in der Abgren- zung der soliden Forschung- gekennzeichnet als »[e]chte Wirkungsun- tersuchungen«- von pseudowissenschaftlichen und pädagogischen For- schungen.52 Aber Merten geht noch einen Schritt darüber hinaus, indem er die öffentliche Debatte zum Angriffsziel macht. Er beschreibt die De- batte um Medien und Gewalt im Anschluss an Niklas Luhmann unter dem Stichwort >Risikokommunikation<:53 Ausgangspunkt ist ein Gewalt- ausbruch in der Gesellschaft, der eine soziale Irritation und eine rational nicht begründbare Sorge auslöst. Diese Sorge lässt sich nach Merten als »Urfurcht vor den Wirkungen von Kommunikation und deren Medien« historisch mindestens bis zu Platons Warnung vor schädlichen Wirkun- gen der Ilias oder Odyssee zurückdatieren.54 Diese öffentliche Erregung veranlasst die Wissenschaft dazu, zu den Risiken von Gewalt in den Me- dien im Rahmen von Untersuchungen Stellung zu nehmen. Jedoch be- steht im wissenschaftlichen Bereich Uneinigkeit. Dies wiederum wird vonseiten der >Laien<, Merten nennt hier »Publikum, Eltern, Pädagogen, Politiker«, als mangelnde Glaubwürdigkeit interpretiert. Das »Lager der Laien«, so Merten, ist sich im Gegensatz zu dem der Wissenschaft sehr einig. Es lässt sich von einer rein vom Alltagswissen geprägten Argu- mentation, wie »Mediengewalt erzeugt reale Gewalt«, leiten und erweist sich hinsichtlich der fehlenden wissenschaftlichen Evidenz als unbelehr- 49 K. Merten: Gewalt, S. 12. 50 Ebd., S. 258. 51 Ebd. (im Original fett). 52 Vgl. ebd., S. 155-159, Zitat: S. 157. 53 Vgl. Niklas Luhmann: Soziologie des Risikos, Berlin, New York: Walter de Gruyter 1991, S. 165-168. 54 K. Merten: Gewalt, S. 160 (Kursivierung im Original); Verweis auf Platon ebd., S. 161. 23 AGGRESSIVE MEDIEN bar. Die Medien selbst - Merten lässt den Aspekt der Mediendifferenz hier unreflektiert - verstärken diese Auffassung noch, indem sie beson- dere Emphase auf bedrohliche Aussagen von Experten setzen, in denen die Schädlichkeit der medialen Gewaltdarstellung konstatiert wird. Das >Lager der Laien< ist aufgrund seiner >Urfurcht vor Medienwirkungen< rationaler Argumentation wenig zugänglich und ängstigt sich daraufhin noch mehr. Auch diese Angst finde wiederum Eingang in die Medienbe- richterstattung. Die Experten, so Merten, können dann kognitiv argu- mentierend an diese Kritik nicht anschließen. Die Verängstigung ver- stärkt sich weiter, schlimmstenfalls wird sie von Wissenschaft oder Poli- tik instrumentalisiert, die kognitive Argumentation kommt zum Erlie- gen. 55 Diese scharfe Kontrastierung von emotionaler und unbelehrbarer Öf- fentlichkeit und kognitiv-rationaler Wissenschaft ruft Topoi auf, in denen die Diskursmacht der empirischen Wirkungsforschung verborgen bleibt. Merten konzipiert im Gegensatz zu Lukeschs Verweis auf die erdrücken- de bereits erbrachte Beweislast eine >ohnmächtige< Forschung, die sich unfahig sieht, die Unbewiesenheil der Mediengewalt-Wirkung zu vermit- teln. Er beschreibt eine >Urfurcht< der Öffentlichkeit, um die Diskrepanz zwischen - aufgrund von Kriterien der Wissenschaftlichkeit notwendi- gerweise ergebnislosen- empirischen Gewaltforschungen und der Ver- unsicherung im >Lager der Laien< als eine endlos recycelbare Debatte zu erklären. Ziel dieser Argumentation ist es, den Status des wissenschaftli- chen Beweises - paradoxerweise als einer, der eben nicht erbracht wer- den kann, - umso mehr zu erhöhen und ihn als unwissenschaftlichen Spekulationen überlegen zu profilieren. Die empirische Gewaltforschung wird hier zu einem Rationalisierungsprogramm.56 In einem Punkt zumindest ist Merten in seiner Beschreibung des Verhältnisses von Wissenschaft und Öffentlichkeit zuzustimmen: Die >Experten< präsentieren sich uneinig und hinterlassen die öffentliche De- batte ratlos, ohne die Kontroverse beenden zu können. Was in der Me- diengewalt-Debatte - ob vor, nach oder veranlasst durch den Erfurter Amoklauf-immer wiederkehrt, ist der Verweis auf den >Streit der Ex- perten<.57 Die Debatte kann dabei auf so prominente Vertreter wie Platon und Aristoteles zurückgreifen. Platon wird als Vertreter der Stimulations- 55 Vgl. ebd., S. 222-227, Zitate: S. 226. 56 Prominent wurde die Auffassung, dass die empirische Forschung als Ra- tionalisierung einer übersteigerten Furcht vor Medienwirkungen fungiert, durch den Kommunikationsforscher Denis McQuail, der erstmals 1977 ein Phasenmodell der Wirkungsforschung vorgestellt und damit die Lehrbuch- geschichtsschreibung entscheidend geprägt hat. V gl. Denis McQuail: » The Influence and Effects of Mass Media«, in: James Curran/Michael Gure- vitch/Janet Woollacott (Hg.), Mass Communication and Society, London: Amold 1977, S. 70-94. Dieses Phasenmodell wird im nächsten Kapitel ge- nauer erläutert. 57 Vgl. S. Haubner: »Krieg«. Vgl. auch Berliner Zeitung: »Medienforschung«. 24 DIE FORMEL >MEDIENGEWALT< these angeführt - Gewaltdarstellungen führen zu sozialer Gewalt - und Aristoteles als Vertreter der Katharsisthese - Gewaltdarstellungen haben eine von Aggressionen >reinigende< Wirkung.58 Die Positionen von Lu- kesch (der Beweis ist erbracht und Handeln ist dringend nötig), Kunczik (der Beweis ist für Einzelfalle zwar erbracht, diese sind aber nicht leicht zu identifizieren, was konkretes Handeln schwierig macht) und Merten (der Beweis ist noch nicht erbracht, die Forschung ist ohnmächtig, Hand- lungsanweisungen sind unmöglich) fachern in einer Beobachtung zweiter Ordnung das Spektrum auf, in dem sich diese Uneinigkeit situiert. Des- sen ungeachtet forciert der wissenschaftliche Diskurs - und hier spricht er durchaus mit einer Stimme - die Vermutung, dass der empirische Be- weis einen Ausweg aus der prekären Verdachtssituation der öffentlichen Debatte bietet. Dies geschieht, indem selbst Skeptiker des Erklärungs- modells >Medienwirkung<, die Merten repräsentiert, betonen, dass der Beweis noch nicht erbracht ist und damit gleichzeitig versprechen, dass er grundsätzlich erbracht werden kann. Auch in die Kontroverse, ob am Erfurter Amoklauf die Medien Schuld haben, findet dieses als rationalisierende Entwarnung getarnte Versprechen Eingang, das die Erwartung reproduziert, »daß alles erklärt werden kann«:59 »Gesicherte wissenschaftliche Erkenntnisse gibt es noch nicht«.60 Oder: »Die Forschung zu diesem Thema steht noch ganz am Anfang und hat bisher keine wirklichen Einsichten in diese komplexen Zusammenhänge bringen können«.61 Der Wunsch einer Lösung des sozi- alen Problems >Mediengewalt< erfüllt die sozialwissenschaftliche Exper- tise also nicht. Die Debatte wird in ihrer irritierten Schwebe gehalten, der wissenschaftliche Beleg kann sie nicht stillstellen. Mit der Zeit ebbt die Irritation ab, um beim nächsten unerklärbaren Gewaltausbruch in exakt der gleichen Weise wieder aufzubranden und erneut eine wissenschaft- lich-objektive Antwort zu fordern. Die aufgeschobene Antwort führt zu einem unendlichen Regress. Doch selbst in Mertens' Kritik bleibt unhinterfragt, da im blinden Fleck eines Beobachters, der sich im >Diskursinneren< der empirischen Sozialforschung situiert, in welchem Verhältnis sich die Mediengewalt- 58 Vollständig ausgeblendet bleibt dabei, dass die Thesen Platons und Aristo- teles' noch vor der Ausdifferenzierung technischer Verbreitungsmedien formuliert wurden und daher nur mit großen Einschränkungen vergleichbar mit Debatten sind, wie sie in der modernen Mediengesellschaft gefiihrt werden. 59 Niklas Luhmann: Die Wissenschaft der Gesellschaft, Frankfurt/Main: Suhrkamp 21994, S. 624. 60 Karsten Weber: »Gewalt und Medien. Gesicherte wissenschaftliche Er- kenntnisse gibt es noch nicht«, in: Telepolis vom 3.5.2002, unter http: I /www .heise .de/tp/d eutschlinhalt/ co/1245 9/ l.html vom 28.2.2003. 61 Tilman Baumgärtel: »Fighter mit Gefiihl. Mehr Medienkompetenz für Poli- tiker und Journalisten! Neue Studien über den Zusammenhang zwischen Computerspielen und Jugendgewalt«, in: Die Tageszeitung vom 4.12.2002. 25 AGGRESSIVE MEDIEN forschung zu jener sozialen Irritation befindet, für die sie sich als - zwangsläufig scheitemde - Lösung anbietet. Auch wenn die Medienge- waltforschung für die kontroverse Debatte, ob Mediennutzer zu Gewalt- tätern werden können, ein breites Spektrum an Antwortmöglichkeiten be- reithält, beschreibt sie sich selbst - und so versteht sie auch die Öffent- lichkeit- als potenziellen, verbesserungsbedürftigen, überforderten oder zu wenig beachteten Lieferanten von Beweisen, der seine Lieferung spä- testens in einer fernen Zukunft ausführt. In dieser fest gefügten Gewiss- heit produziert der bestehende Diskurs um die Wirkung von medialer Gewaltdarstellung trotz seiner Disparatheit ein allgemein akzeptiertes Wissen: Könnte der Beweis erbracht werden, dass Medienkonsum ag- gressiv und gewalttätig macht, oder könnte das Gegenteil wissenschaft- lich belegt werden, dann wäre die Antwort gefunden und die Jahrtausen- de währende Debatte endlich stillgestellt Diese allgemeingültige Akzep- tanz des Medien-Gewalt-Diskurses, diese Diskursregel, lässt sich nur kri- tisch beobachten, wenn die Unschuld der empirisch gemessenen Me- diengewalt selbst irrfrage gestellt wird, ihre anerkannte Objektivität als historische Gewordenheit ausgewiesen und damit einerseits ihre Kontin- genz herausgestellt und sie andererseits als Produkt einer spezifischen Machtkonstellation ausgewiesen wird. Dies ist das Vorhaben der vorlie- genden Untersuchung. Die diskursive Regulation von Mediengewalt Um die >Unschuld< des empirischen Beweises als die akzeptierte Wis- sensformation des bestehenden, Forschung und öffentliche Debatte um- fassenden, Mediengewalt-Diskurses irrfrage zu stellen, lohnt es, die An- lass-Reaktions-Struktur, in der die Verflechtung von realer Gewalttat und Identifizierung ihrer Ursache in den Massenmedien gängigerweise be- schrieben wird, einmal umzukehren: Die Mediengewaltforschung ist dann nicht als Reaktion auf eine öffentliche Irritation zu beschreiben, die ihrerseits durch einen unerklärten Gewaltausbruch veranlasst ist, sondern es geht vielmehr darum, auszuloten, welchen Anteil die Forschung an der >Umschrift< des Gewaltausbruchs in ein Diskursereignis hat und welches Potenzial ihr zukommt, auf diese Weise Auslöser der öffentlichen Beun- ruhigung zu sein. Inwiefern fungiert die Mediengewaltforschung als Ini- tiator der Debatte um Mediengewalt? Warum gelingt es ihr nicht bzw. warum strebt sie überhaupt nicht an, die soziale Irritation, die sie ausge- löst hat, wieder zu beruhigen? Wie wird über die vorgeblich objektiv- unschuldige Empirie der Forschung eine soziale Gewalttat zur Medien- wirkung programmiert? Wie und mit welcher Zielrichtung werden Me- dien zur Gefahr? Wie und mit welchem Gewinn wird der Mediennutzer mit einem Gewalttäter identifizierbar? Und warum handelt es sich dabei immer um umstrittenes, unsicheres Wissen? Diese Fragestellungen finden eine theoretische Rahmung in der grundsätzlichen Überlegung, inwiefern die Mediengewalt-Formel Teil ei- 26 DIE FORMEL >MEDIENGEWALT< ner diskursiven Praxis der Regulation ist. Mediengewalt ist auch in der Wirkungsforschung meist als die mediale Gewaltdarstellung bestimmt und der Gewalttat in der Gesellschaft bzw. der Gewalttätigkeit des Me- diennutzers als möglicherweise verursachende Größe gegenübergestellt. Für beide >Gewaltformen< gilt, dass in der Forschung keine Einigkeit über deren definitorische Bestimmung herrscht. Was mediale und was soziale Gewalt jeweils ist, bleibt häufig im Ermessen jeder einzelnen Stu- die. Die vorliegende Untersuchung versucht nicht, die beiden einander gegenübergestellten Gewaltbegriffe zu klären, sondern nimmt jeweils das als >mediale Gewalt< bzw. >soziale Gewalt< an, was die Forschung darun- ter versteht. Allerdings soll - wie bereits einleitend verdeutlicht - dem Begriff >Mediengewalt<, wie er als Gegenstand der Mediengewalt- forschung verhandelt wird, unterstellt werden, dass er nicht allein die dargestellte Gewalt meint, sondern schon eine abkürzende Verdichtung ist, also Wirkungsthesen impliziert. Ohne diese implizite Annahme wür- de die mediale Gewaltdarstellung gar nicht erst zum Gegenstand der For- schung werden. Mediengewalt - so die Ausgangsüberlegung - bezieht sich immer schon auf die Möglichkeit einer schädlichen Wirkung der medialen Gewaltdarstellung. Dieses Verständnis der Rede von Medien- gewalt wird im Folgenden durch die Beschreibung von Mediengewalt als einer Kurzschlussformel kenntlich gemacht. Unter der Bezeichnung >aggressive Medien< wird ein - neben darge- stellter und sozialer Gewalt - dritter Gewaltaspekt angesprochen, der den Medien unabhängig von ihrer Darstellungsebene diskursiv zugeschrieben wird. >Aggressive Medien< soll einerseits auf die- chemischen Substan- zen analoge - Fähigkeit zu einer schnellen und heftigen Wirkung ver- weisen, andererseits auf die Potenzialität von Mediengewalt, also einer schädlichen Wirkung auf den Mediennutzer, referieren. Als leitendes Konzept findet sie im Laufe dieser Untersuchung eine gerrauere Klärung. Wenn von Mediengewalt-Diskurs die Rede ist, kennzeichnet der As- pekt des Diskursiven, dass die Regulationspraktiken der Forschung nicht auf den Bereich der wissenschaftlichen Disziplin im engeren Sinn be- schränkt bleiben, sondern sich mit politischen, ökonomischen, pädagogi- schen und medizinischen Diskurssegmenten sowie mit deren Zirkulati- onsformen in der Öffentlichkeit verschränken. In diesem Sinne wird der Mediengewalt-Diskurs als Menge aller Aussagen einer »diskursiven Formation«62 nach Michel Foucault verstanden, in der Wissen über Messbarkeit und Messung von Mediengewalt ausgehandelt bzw. formiert wird. Die diskursive Praxis der Mediengewaltforschung - verstanden in diesem erweiterten Sinne - wäre dann eine »Gesamtheit von anonymen, historischen, stets im Raum und in der Zeit determinierten Regeln«,63 nach denen die Aussagen über Mediengewalt konstituiert werden. Die >Unschuld< des empirischen Beweises kann beispielsweise als eine zerrt- 62 Michel Foucault: Archäologie des Wissens, Frankfurt/Main: Suhrkamp 81997, S. 156 (Kursivierung im Original). 63 Ebd., S. 171. 27 AGGRESSIVE MEDIEN rale Regel des Diskurses im historischen Einsatzpunkt des Erfurter Amoklaufs betrachtet werden. Die Verhandlung der Mediengewaltforschung als eine Regulierungs- praxis impliziert auch, dass die Begriffe >Regulierung< bzw. >Regulation< sich nicht, wie die Thematik >Medien und Gewalt< zu vermuten Anlass geben könnte, auf selbst- und fremdkontrollierende Maßnahmen zur Ein- schränkung von Gewaltdarstellungen in den Medien beziehen, die unter dem Stichwort »Rundfunkregulation«64 geläufig sind. Es geht vielmehr um ein weiter gefasstes, nicht im engeren Sinn juristisches Verständnis von Regulation, das diese Maßnahmen einschließt, aber nicht deckungs- gleich mit ihnen ist. Regulation von Mediengewalt, wie sie in der vorlie- genden Untersuchung verstanden wird, impliziert Verfahren der Forma- tion, verweist also nicht nur auf Prozesse der Zähmung, sondern hat auch einen produktiven Anteil: Wenn Mediengewalt reguliert wird, wird sie gleichzeitig formiert, und sie wird ihrerseits zu einem Verfahren, das Medien und Mediennutzer auf eine spezifische Weise sichtbar macht und damit zuallererst herstellt. Das Konzept >Regulation< soll die Beobachtung des Mediengewalt- Diskurses in die Nähe von Diskussionen um Regierungstechniken inner- halb einer liberalen Rationalität rücken, wie sie von Foucault in seinen späteren Schriften und Vorlesungen angestoßen wurden und im Rahmen der governmentality studies65 weitergeführt werden. Die Untersuchung erhebt dabei nicht den Anspruch, sich in dem Sinne streng an Fou- cault'schen Konzepten wie >Diskursformation< oder >Gouvemementali- 64 Jessica Eisermann: Mediengewalt Die gesellschaftliche Kontrolle von Gewaltdarstellungen im Fernsehen, Wiesbaden: Westdeutscher Verlag 2001, S. 14. Eisermann hat sich in ihrer Untersuchung mit dem Thema Mediengewalt in diesem Verständnis von Regulation beschäftigt. 65 Zu dem aus Regieren (to govern/gouvemer) und Denkweise (mentali- ty/mentalite) zusammengesetzten Begriffvgl. Michel Foucault: Geschichte der Gouvemementalität I. Sicherheit, Territorium, Bevölkerung, Frank- furt/Main: Suhrkamp 2004, S. 162-165; zum Stellenwert des Konzepts in Foucaults Arbeiten und zu der sich daraus entwickelnden, seit den 1990er Jahren zunehmend Bedeutung gewinnenden Forschungsrichtung vgl. Tho- mas Lemke: »Räume der Regierung. Kunst und Kritik der Menschenfiih- rung«, in: Peter Gente (Hg.), Foucault und die Künste, Frankfurt/Main: Suhrkamp 2004, S. 162-180; Ulrich Bröckling/Susanne Krasmann/Thomas Lemke (Hg.): Gouvemementalität der Gegenwart. Studien zur Ökonomi- sierung des Sozialen, Frankfurt/Main: Suhrkamp 2000; Thomas Lemke: Eine Kritik der politischen Vernunft. Foucaults Analyse der modernen Gouvernementalität, Berlin, Hamburg: Argument 1997. Als einflussreiche Startstudie der governmentality studies ist zu nennen: Graham Bur- chell/Colin Gordon/Peter Miller (Hg.): The Foucault Effect. Studies in Governmentality With Two Lectures and an Interview With Michel Fou- cault, Chicago: University of Chicago Press 1991. 28 DIE FORMEL >MEDIENGEWALT< tät< zu orientieren, dass alle Implikationen dieser Konzepte fruchtbar gemacht werden können. Außerdem muss davon abgesehen werden, dass diese Konzepte in Foucaults Texten in unterschiedlicher Weise verwen- det werden und als kohärente Analyseinstrumente problematisch sind, zumal aufgrund ihrer Verortung in unterschiedlichen Schaffensperioden Foucaults. Hier geht es lediglich um den heuristischen Wert, der sich für eine Beobachtung der Mediengewaltforschung aus einer mit Fou- cault'schen Konzepten informierten theoretischen Rahmung ergibt. Aus der Perspektive einer bestimmten Akzentuierung der Foucault- Rezeption könnte die Rede einer so verstandenen, an Foucaults Konzept der Gouvemementalität anschließenden >diskursiven Regulation< insbe- sondere deshalb irritieren, weil sie Ansätze aus frühen, diskursanalyti- schen, und späten, machttheoretischen, Schriften und Vorlesungen Fou- caults zusammenbindet. Aus der Sicht zahlreicher Foucault-Lektüren lässt sich eine frühe, archäologische Phase ausmachen, deren zentrale methodologische Studie Archäologie des Wissens die >diskursive Forma- tion< als zentrales Konzept konturiert, und eine zweite, genealogische oder machtanalytische Phase, die Foucaults spätere Schriften nach 1970 umfasst und in der das Konzept der >Gouvemementalität< eine zentrale Stellung gewinnt.66 Während das Projekt der Archäologie den Zusam- menhang von Diskurs und Macht ausschließlich >negativ< im Sinne einer Verknappung von Aussagemöglichkeiten versteht, fragt die Genealogie danach, welche Produktivität im Verhältnis von Macht und Wissen liegt.67 Problematisch könnte ein Zusammendenken von Diskursanalyse und Analyse von Regierungstechniken deshalb sein, weil es in der >ar- chäologischen Phase< um die Analyse von Aussageformen geht, um die Regeln, die das Sprechen über bestimmte Gegebenheiten festlegen, in der >genealogischen Phase< dagegen um gesellschaftsstrukturelle Aspekte der Macht und der Formierung von Subjekten. Die vorliegende Untersuchung folgt jedoch der Ansicht, dass sich historische Diskursanalyse und Beobachtung von Regierungstechniken nicht antagonistisch gegenüberstehen müssen. Der Diskurs über Medien- gewalt wird im Folgenden nicht als folgenloses Sprechen aufgefasst. Als Mediendiskurs wird ihm vielmehr unterstellt, dass er ein performatives 66 Vgl. exemplarisch: Martin Kusch: Foucault's Strata and Fields. An Investi- gation into Archaeological and Genealogical Science Studies, Dordrecht, Boston, London: Kluwer Academic Publishers 1991. Die Foucault-Rezep- tion bestimmt gemeinhin die subjekttheoretischen Arbeiten des späten Foucault als eine dritte Phase. Vgl. hierzu die Aufteilung der Hauptwerke Foucaults nach den Begriffen >Diskurs<, >Macht< und >Ethik des Selbst< in: Michael Ruoff: Foucault-Lexikon, Paderbom: Wilhelm Fink Verlag 2007. Diese dritte Phase Foucaults ist fiir das Konzept der moralischen Regulati- on entscheidend, das im Folgenden kurz skizziert und im Kapitel Das Wis- sen über Mediengewalt: Zwischenüberlegungen eingehender verhandelt wird. 67 Vg l. T. Lemke: Kritik der politischen Vernunft, S. 53. 29 AGGRESSIVE MEDIEN Potenzial hat, also Medien und Mediennutzung in einer spezifischen Weise herstellt.68 Auf der anderen Seite wird Regulation bzw. Regierung der Mediennutzung nicht in der Hinsicht untersucht, ob sie gesellschaft- liche Gegebenheiten tatsächlich ändert und in diesem Sinne auf gesell- schaftsstruktureller Ebene am Werk ist. Ebenso wie das Sprechen über Mediengewalt eine Praxis der formierenden Regulation ist, lässt sich die Regulierung von Mediengewalt als eine diskursive Technik betrachten. Die Analyse einer Regulation von Mediengewalt wird in diskursiven Appellen identifiziert, die Mediennutzer zur Selbstregierung auffordern. Ob der Mediennutzer dieser Aufforderung in seinem Verhalten nach- kommt, liegt außerhalb des Interesses der vorliegenden Untersuchung. Eine ständig mitlaufende, grundsätzliche Frageperspektive der fol- genden Analysen lautet: Worin gerrau besteht die diskursive Regulation von Mediengewalt und was leistet sie? Welchen Stellenwert hat die in einem Spektrum von Lukesch über Kunczik bis hin zu Merten beschrie- bene >Uneinigkeit der Experten< für diese Regulierungspraxis? Um die- sen Fragen nachzugehen, verfolgt die Untersuchung eine diskurs- historische Perspektive. Sie versucht, in Aushandlungsprozessen und zentralen historischen Formationsereignissen die >Gewordenheit<69 der Mediengewalt-Formel aufzuzeigen, um die Selbstverständlichkeit ihres gegenwärtigen Prozessierens irrfrage zu stellen. Ein zentrales Anliegen dieser V orgehensweise ist, das Verhältnis zwischen dem wissenschaftlichen Wissen über Mediengewalt und der öf- fentlichen Debatte über Mediengewalt neu zu perspektivieren: Es lässt sich die Geschichte einer moralischen Entrüstung über Medien und ihre 68 >Mediendiskurs< meint also mehr als die bloße Thematisierung von Medien in Medien: Mediendiskurse leisten eine kulturelle Formation von medialen Dispositiven und entwerfen Konzepte der Mediennutzung: »Diskurse sind [. .. J performativ, also folgenreich in doppelter Hinsicht: für die Ereignisse, Themen, Sachverhalte, für die Informationen, die sie vermitteln und für die Medien, die die Mitteilung vollziehen. Mit Mediendiskursen wird die kul- turelle Stellung der Medien ausgehandelt. Mediendiskurse formieren im- mer auch Medien.« Irmela Schneider: >»Rundfunk für alle<. Zur Paradoxie von All-Inklusion und Differenzkonstruktion durch Verbreitungsmedien« [unveröffentlichtes Vortragsmanuskript]. Workshop »Achsen der Differen- zen. Soziale Ungleichheit und Medien«, Frankfurt/Main, 7./8.10.2005, S. 4. V gl. zum Begriff des Mediendiskurses auch: Irmela Schneider/Peter M. Spangenberg (Hg.): Medienkultur der 50er Jahre. Diskursgeschichte der Medien nach 1945, Bd. 1, Wiesbaden: Westdeutscher Verlag 2002 (Einlei- tung). 69 Zur »Gewordenheitskritik« in Foucaults historischem Konzept der >Genea- logie< vgl. Martin Saar: »Genealogie und Subjektivität«, in: Axel Ho- neth/Martin Saar (Hg.), Michel Foucault. Zwischenbilanz einer Rezeption. Frankfurter Foucault Konferenz 2001, Frankfurt/Main: Suhrkamp 2003, S. 157-177, hier S. 171. 30 DIE FORMEL >MEDIENGEWALT< Produkte, insbesondere über die Darstellung von Gewalt erzählen, die in Kampagnen gegen Brutalität auf der Theaterbühne, Schundliteratur und -film oder gegen blutrünstige Computerspiele einzelne Etappen ausbil- det, >moralische Paniken< auslöst und sich in gesetzlichen Bestimmungen der Medienregulation niederschlägt.70 Die folgenden Ausführungen folgen der Überlegung, dass die Ge- schichte des Wissens über Mediengewalt nicht unabhängig von morali- schen Fragen gesehen werden kann. Dieses Wissen, das sich zu einem bestimmten historischen Zeitpunkt als wissenschaftliches Wissen zu for- mieren beginnt und sich im Rahmen der Mediengewaltforschung im wis- senschaftlichen Feld etabliert, steht der aufgebrachten Debatte gerade nicht unschuldig gegenüber. Der empirische Beweis ist in seinem Ver- such, eine öffentliche Sorge durch wissenschaftliche >Fakten< zu erset- zen, nicht unbetroffen von einer moralischen Beobachtung von Medien- gewalt. Wenn es die Mediengewaltforschung als diskursives Regulierungs- verfahren zu beobachten gilt, ist es aufschlussreich, dass ein Forschungs- segment innerhalb der governmentality studies den Aspekt der Morali- sierung durchaus auch in Praktiken der Regulation beobachtet hat: »Die scheinbar neutralen maschinellen Technologien der Verhaltenssteuerung verbinden sich mit moralischen Regulationsmechanismen, die an jene anschlußfahig oder sogar in sie eingewoben sind.«71 Studien zu Praktiken der moralischen Regulation teilen - ohne eine einheitliche theoretische Perspektive zu Grunde zu legen - ein gemeinsames Interesse an post- religiösen Formen der moralischen Regulierung des Alltagslebens, die eng mit politischen und ökonomischen Machttechniken verschaltet sind. Bei solchen Verfahren der Moralisierung handelt es sich keineswegs aus- schließlich um viktorianische Praktiken, die in der Gegenwart nicht mehr anzutreffen sind. Stattdessen ist vielfach gezeigt worden, dass Prozesse der Moralregierung als Technologien der Subjektivierung auch gegen- wärtig noch am Werk sind. Sie beziehen sich des Weiteren nicht nur auf Kampagnen gegen Schmutz und Schund, sondern sind auch in wissen- schaftlichen Verfahren zu finden. 72 70 Vgl. Thomas Hausmanninger: Kritik der medienethischen Vernunft. Die ethische Diskussion über den Film in Deutschland im 20. Jahrhnndert, München: Wilhelm Fink Verlag 1992; John Springhall: Youth, Popular Culture and Moral Panics. Penny Gaffs to Gangsta-Rap, 1830-1996, New York: St. Martin's Press 1998; Chas Critcher: Moral Panics and the Media, Buckingham, Philadelphia: Open University Press 2003. 71 Susanne Krasmann: »Kriminelle Elemente regieren - nnd produzieren«, in: Honneth/Saar (Hg.), Michel Foucault (2003), S. 94-114, hier S. 101. Vgl. auch ebd., Anm. 24. 72 Vgl. Mariana Valverde (Hg.): Studies in Moral Regulation. The Two Paths. Sonderheft des Canadian Journal of Sociology 19 (1994), H. 2 (Editor's Introduction). 31 AGGRESSIVE MEDIEN Der Begriff der Moral ist innerhalb der moral regulation studies nicht unumstritten und wirft auch, wenn er mit der Mediengewaltfor- schung in Verbindung gebracht wird, einige Fragen auf. Ist nicht die mit Methoden des statistisch-experimentellen Messens, auf Mittel- und Durchschnittswerte zielende empirische Forschung eher Verfahren der Normalisierung zuzuordnen, die -wie Jürgen Link immer wieder zeigt- sich gerade im Unterschied zu Normen und Moral vollzieht?73 Das Span- nungsfeld zwischen Normalisierung und Moralisierung, in dem die Me- diengewaltforschung operiert, wird im Verlauf der folgenden Ausfüh- rungen zu klären sein. Indem die Mediengewaltforschung im Rahmen von Praktiken einer moralischen Regulation von Mediengewalt in den Blick genommen wird, kann die häufig vorgenommene Zweiteilung des Mediengewalt-Diskur- ses in eine emotional-moralisierende öffentliche Debatte und eine ratio- nalisierende Forschung irrfrage gestellt werden.74 Gerade die vermeint- lich unabhängig von Wertvorstellungen und normierenden Standards operierende empirische Forschung soll als eine Machttechnologie in den Blick rücken, die Entwürfe von richtiger und falscher Mediennutzung herstellt, ohne die Akzeptanz dieser Entwürfe zu erzwingen, die Medien- gewalt bekämpft, ohne sie zu beseitigen und die Mediengewalt gerade auf diese Weise beständig reproduziert. Indem die Mediengewalt- forschung im Rahmen einer moralischen Regulation von Mediengewalt beobachtet wird, soll der Unschuld des empirischen Beweises von Me- diengewalt ihre Selbstverständlichkeit entzogen werden. Die vorliegende Untersuchung unternimmt dies in zwei Schritten: Bevor die Operationsweise der Mediengewaltforschung im Rahmen von Praktiken der moralischen Regulation gerrauer in den Blick genommen wird, untersucht der erste Hauptteil Wirkungskontrolle wie sich Medien- gewalt als Bezugsproblem der Regulation historisch formiert. Wie ent- steht überhaupt der Bedarf, so die Fragestellung des ersten Teils, Prakti- ken, die Mediennutzung mit Unterstützung von wissenschaftlichen Ver- fahren moralisch regulieren, in Gang zu setzen? Ausgangsüberlegung ist dabei nicht die weit verbreitete Annahme, dass sich eine Sorge vor schädlichen Medienwirkungen durch die gesamte Mediengeschichte hin- durch und bei jeder Einführung eines neuen Mediums wieder beobachten lässt. Die historische Untersuchung verfolgt keine Geschichte der öffent- lichen Erregung über mediale Gewaltdarstellung, der sich eine objektive Forschung rationalisierend entgegenstellt. Vielmehr unternimmt sie eine 73 Vgl. Jürgen Link: Versuch über den Normalismus. Wie Normalität produ- ziert wird, Göttingen: Vandenhoeck und Ruprecht 32006, S. 33-35. 74 Vgl. die oben skizzierte Darstellung von Merten. Ähnlich argumentieren auch J. Eisermaun: Mediengewalt, insbesondere S. 127-134, oder Thomas Hausmanninger: »Die Geschichte der ethischen Debatte über Gewalt im Film«, in: ders./Thomas Bohrmann (Hg.), Mediale Gewalt. Interdisziplinä- re und ethische Perspektiven, München: W. Fink (UTB) 2002, S. 37-50. 32 DIE FORMEL >MEDIENGEWALT< Diskurskritik, die ihren Bezugspunkt im wissenschaftlichen Kern des Diskurses selbst findet. Die Untersuchung setzt in unterschiedlichen Diskurssegmenten an, in denen Medienwirkung epistemologisch, politisch, ökonomisch, pädago- gisch bzw. medizinisch konzeptualisiert wird. Die Ausgangshypothese dieser Vorgehensweise lautet: Mediengewalt geht aus Praktiken der Wir- kungskontrolle hervor, die auf Adressierungsprobleme technischer Ver- breitungsmedien antworten.75 Da unter den Bedingungen von Massen- kommunikation zunehmend unsichtbar bleibt, wie der einzelne Medien- nutzer an die mediale Kommunikation anschließt, werden Verfahren entwickelt, die den Prozess der Nutzung wieder sichtbar und kontrollier- bar machen.76 Diese Verfahren der Sichtbarmachung umfassen Prakti- ken, die spezifische Wirkungen der Medien sicherzustellen und zu kon- trollieren versuchen. Diese Praktiken der Wirkungskontrolle - so die Überlegung - fungieren als Machttechniken bzw. als Maßnahmen der Regierung von Mediennutzern. Mediengewalt wird in der vorliegenden Untersuchung nicht als klar bestimmbare Positivität verstanden, um die sich in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts eine wissenschaftliche Disziplin herauszubilden be- ginnt, sondern als ein Prozess, der ohne diskursive Ereignisse und Prak- tiken nicht existieren würde.77 Ausgangspunkt dieser Bestimmung ist die Beobachtung, dass der Begriff >Mediengewalt< oder media violence im Diskurs sich höchstens vorgeblich ausschließlich auf mediale Gewaltdar- 75 Mit Niklas Luhmann geht die vorliegende Untersuchung davon aus, dass Verbreitungsmedien »den Empfängerkreis einer Kommunikation« durch die Verbreitung von Informationen »bestimmen und erweitern«. Schon mit der Erfindung der Druckerpresse und verstärkt mit der Einfiihrung der Massenmedien Presse, Radio und Fernsehen tauchen dadurch neue Prob- leme auf: »Es sind zu viele, unübersehbar viele beteiligt, und man kaun nicht mehr feststellen, ob und wozu eine Kommunikation motiviert hatte.« Niklas Luhmann: Die Gesellschaft der Gesellschaft, 2 Bde, Frank- furt/Main: Suhrkamp 1999, Bd. 1, S. 202 u. 203. Mit dieser Bezugnahme auf Luhmauns Begriff der Verbreitungsmedien ist aber keine Verschaltung von Systemtheorie und Diskurskritik angestrebt. 76 Vgl. Irmela Schneider/Christina Bartz (Hg.): Formationen der Mediennut- zung 1: Medienereignisse, Bielefeld: transcript 2007 (Einleitung). 77 Vgl. Michel Foucault: Geschichte der Gouvemementalität II. Die Geburt der Biopolitik, Frankfurt/Main: Suhrkamp 2004, S. 38f. Diese Bestimmung erfolgt in Anlehnung an Foucaults Diskursanalysen des Wahnsinns, der Krankheit, der Delinquenz und der Sexualität, in denen es ihm um den Nachweis geht, »wie die Koppelung einer Reihe von Praktiken mit der Herrschaft der Wahrheit ein Dispositiv des Wissens und der Macht bildet, das das Nichtexistierende in der Wirklichkeit tatsächlich in Erscheinung treten läßt und es auf legitime Weise der Unterscheidung zwischen dem Wahren und dem Falschen unterwirft.« Ebd., S. 39. 33 AGGRESSIVE MEDIEN stellungen meist fiktionaler Art bezieht. Implizit, oft sogar explizit ist in diesem Begriff nämlich immer schon ein kausaler Zusammenhang zur konkreten physischen Gewalttat oder zu einer grundsätzlichen Gewaltbe- reitschaft in der Gesellschaft vorhanden. Mediengewalt ist also eine ab- kürzende Verdichtung, eine Kurzschlussformel, die immer schon eine unterstellte Wirkung medialer Gewaltdarstellungen mit sich führt. Der Begriff meint mehr als reine Gewaltdarstellungen, die in Inhaltsanalysen zu untersuchen sind. Er bezeichnet einen Prozess, der im Moment des diskursiven Prozessierens hergestellt wird und deshalb >in gewissem Sinne< keine Existenz hat. Was Mediengewalt ist, wird immer nur punk- tuell ausformuliert, der Diskurs kommt nie zu einer eindeutigen und län- gerfristig stabilen Bestimmung darüber, ob ein Zusammenhang - und wenn ja, welcher- zwischen der medialen Gewaltdarstellung und der so- zialen Gewalt besteht. Mediengewalt ist außerhalb des Diskurses nichts als eine diffuse Unterstellung. Innerhalb des Diskurses behauptet die Formel in mehr oder weniger starkem Sinne eine Wirkung der Medien und stabilisiert damit das aporetische Kausalitätsmodell der sozialwis- senschaftliehen Wirkungsforschung. Für die historische Analyse des Mediengewalt-Diskurses bedeutet diese >Nichtexistenz< seines Gegenstandes eine Untersuchung von ver- schiedenen »Ereignissen« und »Praktiken«, die sich um die »unterstellte Sache« gruppieren.78 Bei den Ereignissen und Praktiken, die sich um die Kurzschlussformel >Mediengewalt< versammeln, so die These der vorlie- genden Untersuchung, handelt es sich um eben jene Resultate oder Ne- benprodukte, die mitgeführt werden, wenn wirkungsstabilisierende Ver- fahren in der Medienwirkungsforschung installiert werden. Der diskursi- ve Prozess >Mediengewalt< greift diese Resultate und Nebenprodukte auf und die Mediengewaltforschung entsteht in gewisser Hinsicht in Bearbei- tung von Folgelasten, die sich aus den Stabilisierungsverfahren der Wir- kungsforschung ergeben. Ausgangsüberlegung ist, dass der Mediengewalt-Diskurs sich for- miert, indem in den einzelnen Diskurssegmenten eine >stabilisierende Zähmung< von >aggressiven<, d.h. stark wirkenden Medien installiert wird: In den Bereichen Politik, Ökonomie und Pädagogik ist die Annah- me von starker Medienwirkung diskurspolitisch notwendig; in jedem Be- reich muss daher auch mit negativen Wirkungen gerechnet werden. Die- ser Vorgang der Wirkungsbändigung kann nicht zum Ziel haben, negati- ve Medienwirkung zu verhindern, denn diese wird gerade in ihren nega- tiven Ausprägungen besonders evident. Es geht also vielmehr darum, die schädliche Medienwirkung in ein gesellschaftlich verträgliches Lot zu bringen und in diesem Sinne zu regulieren. Die folgenden Untersuchungen können bei Weitem nicht den kom- plexen Bereich der Wirkungsforschung vollständig erfassen. Sie verste- hen sich als exemplarische Erkundungen in zentralen Diskursfeldem. Ort und Zeit dieser diskurshistorischen Untersuchungen sind vorrangig die 78 Ebd., S. 16. 34 DIE FORMEL >MEDIENGEWALT< USA in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts, wobei punktuell Diskurs- linien in >Vorgeschichten<, etwa in europäischen Debatten des 18./19. Jahrhunderts, zurückverfolgt werden. Dieses Vorhaben kann auch als >archäologisch<79 verstanden werden, insofern es die diskursive Formati- on von Mediengewalt untersucht, noch bevor sich auf diesem Feld eine wissenschaftliche Disziplin >herausgeschält< 80 hat, es also eine Wissen- schaft gibt, die sich selbst als Mediengewaltforschung versteht und als solche öffentlich wahrgenommen wird. Diese Analyse ist an einem histo- rischen Zeitpunkt angesiedelt, an dem das Wissen über schädliche Me- dienwirkung die »Schwelle der Wissenschaftlichkeit«81 noch nicht über- schritten hat bzw. gerade erst im Begriff ist, diese zu überschreiten. Die Analyse richtet sich hier insofern auf ein >archäologisches Gebiet<, als sie sich auf eine Zeit konzentriert, in der die Mediengewaltforschung »im Element« dieser Diskursformation und »auf dem Grunde des Wissens«, 82 auf einem Gebiet also, dass mehr und auch anderes umfasst als den enge- ren Bereich der Wissenschaft, noch nicht erschienen ist. Um die Analyse der Ereignisse und Praktiken, die sich um die Formel >Mediengewalt< gruppieren, zusätzlich zu schärfen, werden Arbeiten aus den neueren science studiei3 fruchtbar gemacht, in denen die >Materialität der For- schung< besondere Beachtung findet. Grundlage für politische, ökonomische und pädagogische Medien- wirkungskonzepte, die in den Kapiteln 2-4 jeweils an exemplarisch her- ausgegriffenen diskursiven Gegenständen verdeutlicht werden, ist die epistemologische Bestimmung der Messbarkeit von Wirkung, denn Mes- sung bedeutet ihre Sichtbarmachung, also überhaupt erst ihre Herstel- lung. Das Kapitel Wirkung: Epistemologie des Messens verfolgt genea- logische Pfade der Messung bis in die statistische Erfassung der Bevöl- kerung im 18./19. Jahrhundert und beobachtet die zentralen Paradoxien des Messens von Kausalität im Rahmen von positivistischen bzw. beha- vioristischen Konzeptualisierungen der Sozialforschung. Im Kapitel Propaganda: Politik der Beeinflussung geht es dann um Vor- und Frühgeschichten des Konzepts >Persuasion<, das für die Kon- zeptualisierung von Medienwirkung zentral ist. Das ökonomische Seg- 79 Felix Keller hat fiir die Meinungsforschung eine archäologische Untersu- chung unternommen (vgl. Felix Keller: Archäologie der Meinungsfor- schung. Mathematik und die Erzählbarkeit des Politischen, Konstanz: UVK Universitätsverlag 2001) und ist damit einer der wenigen, die Verfahren der empirischen Sozialforschung diskurshistorisch perspektivieren. 80 Vgl. M. Foucault: Archäologie, S. 263. 81 Ebd., S. 266. 82 Ebd., S. 262. 83 Zu dieser Forschungsrichtung, die seit den 1980er Jahren Wissenschaftsge- schichte hinsichtlich der historischen Praxis von Forschungskulturen und der konkreten Orte der Wissensproduktion untersucht, vgl. Michael Hagner (Hg.): Ansichten der Wissenschaftsgeschichte, Frankfurt/Main: Fischer 2001 (Einleitung). 35 AGGRESSIVE MEDIEN ment des Wirkungsdiskurses, der Bereich der Kauflenkung, wird unter dem Titel Werbung: Ökonomie der Suggestion verhandelt. Die implizite Frage, die hier Medien als >aggressive Medien< konzipiert, lautet: Wie gelingt es, den Mediennutzer durch geschickte Suggestion zum Käufer zu programmieren? Der pädagogische Bereich des Wirkungsdiskurses, der im Kapitel Erziehung: Pädagogik der Gefährdung thematisiert wird, ist dagegen von der Hoffnung auf Verbesserung des Mediennutzers ge- prägt, Medienwirkung wird hier positiv als Sozialisation von Kindem und Jugendlichen durch mediales Lernen ausformuliert. Das schon zum zweiten Hauptteil überleitende Kapitel Heilung: The- rapie der Mediengewalt richtet sein Augenmerk auf ein Diskursereignis, das entscheidend für die Formierung der Mediengewaltforschung ist. Im Bereich der Medizin entsteht ein konkurrierendes Modell zur Zähmung schädlicher Medienwirkungen, das mit dem >Herausschälen< der Me- diengewaltforschung aus dem archäologischen Feld ausgeschlossen wird: die Katharsishypothese. Dieser Hypothese liegt ein Konzept von Wir- kung zugrunde, das mit dem diskursmächtigen Stimulus-Response- Modell nicht zu vereinbaren ist. Wenn Mediengewalt zur heilenden Rei- nigung wird, kann sie nicht mehr als Schädigung die grundsätzliche Wir- kungsannahme stabilisieren. Die Widerlegung der Katharsishypothese gibt ex negativo Aufschluss über die Diskursregeln des etablierten Fel- des. Die zentrale Frage des therapeutischen Diskurssegments darf nicht lauten: Kann Mediengewalt den einzelnen Mediennutzer heilen? Sondern sie muss heißen: Macht Mediengewalt die Gesellschaft krank? Der Hauptteil Regierung der Mediennutzung fokussiert, ebenso punktuell und exemplarisch wie der erste Teil, einen historischen Zeit- punkt, an dem die Mediengewaltforschung die >Schwelle der Wissen- schaftlichkeit< überschritten hat. Die hier angestellten Überlegungen situ- ieren sich - in der Beschreibung Foucaults - in einer »epistemologi- sche[n] Geschichte der Wissenschaften«, die sich vornimmt zu zeigen, »wovon sich die Wissenschaft befreit hat und was sie alles aus sich her- ausfallen lassen mußte, um die Schwelle der Wissenschaftlichkeit zu er- reichen. «84 Mit >Etablierung< ist nicht gemeint, dass sich die Mediengewaltfor- schung nun im Gegensatz zu den disparaten Diskurssegmenten als ho- mogene Wissenschaft installiert. Das >archäologische Gebiet< bleibt in seiner Disparatheit neben dem >wissenschaftlichen Gebiet< bestehen und der wissenschaftliche Bereich ist alles andere als homogen. In der dis- kurspolitischen Steuerung des etablierten Feldes der Mediengewaltfor- schung zeigt sich die Verflechtung der im ersten Hauptteil dargestellten Diskurssegmente in Verfahren der Produktion, Ordnung und Diffusion des Wissens über Mediengewalt Diese Verfahren werden jeweils in ei- nem Kapitel verhandelt. Für das untersuchte >etablierte Feld< in den USA Ende der 1960er bis in die 1970er Jahre, in dem die Mediengewaltfor- schung als akzeptierter Wissenschaftsbereich im Wissenschaftssystem 84 M. Foucault: Archäologie, S. 271. 36 DIE FORMEL >MEDIENGEWALT< operiert, kann der Begriff des >Experimentalsystems< produktiv gemacht werden, der das Zusammenspiel von Forschungspraktiken, politischen, pädagogischen und ökonomischen Interessen sowie publizistischer Me- diengewalt-Debatte beschreibbar macht. 85 Von den ersten Senatsanhörungen zum Thema Fernsehgewalt in den 1950er Jahren über die Behandlung von Mediengewalt im Rahmen einer nationalen Forschungskommission zur sozialen Gewalt Ende der 60er Jahre bis hin zu einer groß angelegten Untersuchung des Public Health Service ist ein zunehmender Einsatz von Sicherheitsmechanismen gegen Mediengewalt zu beobachten. Eine weitere Ausgangsüberlegung der vor- liegenden Untersuchung lautet dementsprechend: Wenn die Medienge- waltforschung sich als Forschungsbereich herauskristallisiert, der im Be- reich der Wissenschaft Akzeptanz findet, formiert sie sich in dem Ge- flecht von politischen, ökonomischen, pädagogischen und publizistischen Diskurssegmenten im Rahmen von Praktiken der moralischen Regulati- on. Die Mediengewaltforschung stellt Wissen zur Verfügung, das im Kontext einer liberalen Gouvernementalität die Regierung von Medien- nutzern ermöglicht, ohne mit Verfahren des Zwangs oder der Kontrolle zu operieren. Die Regulation von Mediennutzung, so die Hypothese, ist in erster Linie ein Prozess, der den Mediennutzer zur autonomen Regula- tion seines eigenen Nutzungsverhaltens herausfordert. Exemplarisch wird diese Operationsweise anhand eines diskursiven Netzes beobachtet, das sich um den Brief des US-amerikanischen Sena- tors John Pastore im März 1969 entfaltet. Pastore richtet diesen Brief an das Gesundheitsministerium und bittet darum, der Surgeon General, die ranghöchstemedizinische Instanz in der US-amerikanischen Sozialmedi- zin, möge sich des Problems der Mediengewalt annehmen. Dieser Brief setzt eine Fülle von Forschungsaktivitäten, öffentliche Anhörungen, ju- ristische Kontroversen und publizistische Debatten in Gang, die das Spannungsfeld auffachern, in dem die Mediengewaltforschung als Praxis der diskursiven Regulation operiert. 85 Vgl. Hans-Jörg Rheinherger/Michael Hagner: »Experimentalsysteme«, in: dies. (Hg.), Die Experimentalisierung des Lebens. Experimentalsysteme in den biologischen Wissenschaften 1850/1950, Berlin: Akademie Verlag 1993, S. 8-27. Vgl. auch Hans-Jörg Rheinberger: Experimentalsysteme und epistemische Dinge. Eine Geschichte der Proteinsynthese im Reagenzglas, Göttingen: Wallstein 2001. 37 TElL 1 · Wl RKU NGSKONTROLLE Die Geschichte der Mediengewaltforschung ist schon vielfach geschrie- ben worden: In jedem Lehrbuch des Fachs findet sich ein historiografi- scher Teil, 1 der die >Wurzeln< einer Furcht vor schädlicher Medienwir- kung und den Einsatz ihrer empirischen Vermessung nachzeichnet. Je- doch: Lehr- oder »Textbücher [ ... ] werden von Wissenschaftlern ge- schrieben, die national oder international als Repräsentanten eines Spezi- algebiets oder einer ganzen Disziplin gelten.«2 Die dort entworfene Ge- schichte situiert sich im etablierten Feld eines Forschungsbereichs. Lehr- bücher präsentieren das anerkannte Theoriegebäude einer Wissenschaft, sie schildern »Leistungen der Vergangenheit [ ... ], die von einer be- stimmten wissenschaftlichen Gemeinschaft eine Zeitlang als Grundlagen für ihre weitere Arbeit anerkannt werden.«3 Im Bereich der Massen- kommunikationsforschung - als deren Teilbereich die empirische Me- diengewaltforschung sich im Wissenschaftssystem etabliert hat - ge- schieht dies auffallend häufig durch wissenschaftshistorische Konturie- rung: Die Referenz auf die Vergangenheit geschieht hier nicht nur, um zentrale Leistungen, die das Theoriegebäude der Disziplin konturieren, zu beschreiben. Die historische Erbschaft wird auch so entworfen, dass sie einer aktuellen Forschungspolitik entspricht.4 Folgt man einem pro- minenten Modell dieser >Lehrbuchgeschichten<, einem Phasenmodell, das der Kommunikationsforscher Denis McQuail erstmals 1977 vorge- stellt und damit die Lehrbuchgeschichtsschreibung der Wirkungs- forschung entscheidend geprägt hat,5 ergibt sich ein historisches Bild, V gl. exemplarisch das Kapitel »Zur historischen Dimension der Diskussion um Mediengewalt«, in: Michael Kunczik: Gewalt und Medien, Köln, Wei- mar, Wien: Böhlau 3 1996, S. 17-38. 2 Hans-Jörg Rheinberger: » Mischformen des Wissens«, in: ders.: Iterationen, Berlin: Merve Verlag 2005, S. 74-100, hier S. 78. 3 Thomas S. Kuhn: Die Struktur wissenschaftlicher Revolutionen [1962], Frankfurt/Main: Suhrkamp 91988, S. 25. 4 Dass die ausgeprägte Selbsthistorisierung ein Sonderfall der Sozialwissen- schaften ist, kaun hier nur vermutet, aber nicht abschließend geklärt wer- den. Eine interdisziplinär vergleichende Studie zur Konzeptionalisierung der eigenen Geschichte in unterschiedlichen Disziplinen wäre wünschens- wert. 5 Vgl. D. McQuail: »lnfluence and Effects«; Eine Weiterentwicklung des Modells findet sich in Denis McQuail: Mass Communication Theory. An Introduction, London, Thonsand Oaks, New Delhi: Sage Publications 39 AGGRESSIVE MEDIEN nach dem der Beginn der empirischen Mediengewaltforschung m fol- gende Entwicklung einzuordnen ist: Zu Beginn des 20. Jahrhunderts herrschte die Annahme übermächti- ger Medien vor - McQuail nennt diese Zeit die Phase der »all powerful media«. 6 Der Glaube an die Macht der neuen Massenmedien Presse, Film und Radio basierte nicht auf wissenschaftlicher Untersuchung, sondern allein auf der Beobachtung ihrer großen Reichweite und Popularität. Ver- stärkt wurde das Konzept der mächtigen Medien durch ihren Einsatz zu Propagandazwecken im Ersten Weltkrieg. Neben dieser im Alltagswis- sen verankerten Bestimmung lieferte Ende des 19./Anfang des 20. Jahr- hunderts die europäische und nordamerikanische Soziologie einen ähnli- chen Entwurf mächtiger Medien.7 Die Konzeption von >Massenmedien< -in Verbindung mit einem vorwiegend negativen Verständnis von >Mas- se<8 - wurde hier in den aus Industrialisierung und Urbanisierung resul- tierenden sozialen Wandel eingeordnet und teilweise mit Hoffnungen auf Sozialisation,9 zum Teil mit Befürchtungen vor sozialer Desintegration10 verknüpft. In den 1920er und 1930er Jahren begann dann vor dem Hintergrund solcher Vorstellungen die sozialpsychologisch geprägte empirische Un- tersuchung von Medienwirkung. Es bildete sich das dominante Paradig- ma der Forschung heraus, nach dem Medien hinsichtlich ihrer Wirkun- gen zu untersuchen sind. Dieses Paradigma verband die Vorstellung mächtiger Medien mit dem Methodenarsenal der entstehenden empiri- schen Sozialwissenschaften: Datenerhebungen, Experimente und statisti- 31994. McQuails Phaseneinteilung verwendet z.B. auch M. Schenk: Me- dienwirkungsforschung, S. 693-697. Kritisch beschreiben Frank Esser und Hans-Bemd Brosius die Prominenz des Modells in der Lehrbuchgeschichte V gl. Frank Esser/Hans-Bemd Brosius: »Auf der Suche nach dem Stimulus- Response-Modell. Ein kritischer Beitrag zur Geschichtsschreibung der Medienwirkungsforschung«, in: Angela Schorr (Hg.), Publikums- und Wirkungsforschung. Ein Reader, Wiesbaden 2000: Westdeutscher Verlag, S. 55-70, hier S. 6lf. 6 D. McQuail: Mass Communication Theory, S. 328. 7 Vgl. ebd., S. 34. 8 Der Begriff >Mass Communication<, in dem diese negative Kounotation ausgeblendet ist, taucht erst in den späten 1930er Jahren auf. Vgl. ebd., S. 35. 9 »Mass Media were a potential force for a new kind of cohesion, able to connect scattered individuals in a shared national, city and local experi- ence.« Ebd., S. 34. 10 »While the fundamental changes were social and economic, it was possible to point to newspapers, film and other forrns of popular culture (music, books, magazines, comics) as potential contributors both to individual crime and declining morality and also to rootlessness, impersonality and lack of attachment or community.« Ebd. 40 WIRKUNGSKONTROLLE sehe Analysen." Jedoch führte der Einsatz empirischer Methoden - McQuail nennt den Vorgang »theory of powerful media put to the test«12 - zu einer konzeptuellen Änderung, er leitet die zweite Phase der >>natu- ral history of media effect research and theory« 13 ein. Die empirische Forschung differenziert nun einerseits ihre Methoden immer weiter aus und konzentriert sich andererseits auf die Untersuchung, inwiefern Me- dienwirkungen, etwa in politischen Kampagnen, gezielt eingesetzt oder wie mögliche schädigende Wirkungen - »in respect of delinquency, pre- judice and aggression«14 - kontrolliert werden können. Solche Unter- nehmungen führten alsbald zu einer Ernüchterung, denn Ergebnis der experimentellen Studien war, dass Medien keine oder nur sehr geringe Wirkungen haben. Eine Neubestimmung wurde notwendig: »a new statement of conventional wisdom which assigned a much more modest role to media in causing any planned or unintended effects.«15 Vormalige Annahmen übermächtiger Wirkungen werden nun als unwissenschaftli- che Mythen bezeichnet. Bei dieser Desillusionierung blieb die Wirkungsforschung - in die- sem historiografischen Modell - aber nicht stehen. In den 1960er Jahren - McQuail macht hier eine dritte Phase aus - gelangte die Forschung durch erneute methodische Differenzierung wiederum zu einer Modifi- zierung, die das Paradigma des geringen Effekts seinerseits zum Mythos erklärt und eine Rückkehr zum Konzept der >powerful media< einleitete. Die jüngste Zeit schließlich beschreibt McQuail als eine vierte Phase der Wirkungsforschung, in der sozialkonstruktivistische Ansätze rein quanti- tative Analysen zunehmend ablösen. McQuails Phasenmodell repräsentiert insofern ein anerkanntes Theo- riegebäude, als es eine Fortschrittsgeschichte der Forschung erzählt. Auch wenn kein geradliniger Anstieg des Wissens über Medienwirkung zu beobachten sei, konstatiert McQuail: »Even so, we can distinguish a number of stages in the history of the field which indicate some degree of ordered progression and reflect the accumulation ofknowledge.«16 Auch wenn seine Paradigmenwechsel und Brüche dies nahe legen, unternimmt McQuail keine Geschichtsschreibung in Diskontinuitäten. Seine histori- sche Erzählung ist vielmehr akkumulativ und kontinuierlich; sie lässt sich als positivistisches oder empiristisches Modell von Wissenschafts- geschichte beschreiben. Historischer Wandel taucht in diesem Modell zwar auf der Ebene von einander ablösenden Theorien auf, jedoch findet dieser nur auf der Oberflächenstruktur der Wissenschaftsentwicklung statt. Im Modell ist nämlich eine tiefere, von den wechselnden Theorien unabhängige Schicht vorgesehen, die aus Beobachtungen und Experi- 11 Vgl. ebd., S. 42. 12 Ebd., S. 329. 13 Ebd., S. 328. 14 Ebd., S. 329. 15 Ebd. 16 Ebd., S. 328. 41 AGGRESSIVE MEDIEN menten besteht. Diese Tiefenstruktur wird historisch als kontinuierliche Progressgeschichte gedacht: »The empirist or the positivist conceive of science as being founded upon accumulating observations that, as time goes by, get more precise and enlarge in scope.«17 Die positivistischen Voraussetzungen des Modells legen es nahe, Wissenschaftsgeschichte- so wie McQuail es tut- als Geschichte der Methoden und Forschungser- gebnisse zu schreiben. 18 Eine weitere Implikation des positivistisch-empiristischen WisseTI- schaftsmodells besteht - veranlasst durch die Kontinuitätsannahme - in der Suche nach V orgängem und Antizipationen des aktuellen Stands der Forschung. 19 In McQuails Modell ist dieser Aspekt weniger ausgeprägt, er findet sich aber in einem weiteren, insbesondere in den USA promi- nenten Ansatz: der biografisch perspektivierten Wissenschaftsgeschichte, orientiert an >Ahnen< und >Urahnen<, die der Kommunikationsforscher Wilbur Schramm - der selbst wiederum als Gründer dieser Forschung gile0 - 1963 erstmals darstelle' und in seinen Memoiren anekdotisch fortsetzt. 22 Als »Forefathers« der US-amerikanischen Kommunikations- forschung nennt Schramm den Soziologen Paul Lazarsfeld, die Psycho- logen Kurt Lewirr und Carl Hovland sowie den Politologen Harold Lasswell23 und ordnet jedem eine spezifische Rolle in der Etablierung 17 M. Kusch: F oucault' s Strata, S. 87. Kusch beschreibt diese Konzeption von Wissenschaftsgeschichte in Anlehnung an Peter Galison: »History, Philo- sophy, and the Central Metaphor«, in: Science in Context 2 (1988), S. 197- 212. 18 Vgl. M. Kusch: Foucault's Strata, S. 88. 19 Vgl. ebd. 20 Vgl. Everett M. Rogers: A History of Connnunication Study. A Biographi- cal Approach, New Y ork: Free Press 1994. Rogers weitet in seinem histo- riografischen Modell den Kreis der Urahnen auf Charles Darwin, Sigmund Freud und Karl Marx aus. 21 Vgl. Wilbur Schramm: »Kommunikationsforschung in den Vereinigten Staaten«, in: ders. (Hg.), Grundfragen der Konnnunikationsforschung [The Science of Human Communication 1963], München: Juventa 51973, S. 9- 26. 22 V gl. Wilbur Schramm: The Beginnings of Communication Study in Amer- ica. A Personal Memoir, Thonsand Oaks, London, New Delhi: Sage Publi- cations 1997. 23 Ebd., S. 19. Schramm nennt zwar noch andere >Ahnen< der Kommunikati- onsforschung - wie die Sozialwissenschaftler Walter Lippman, Charles Horton Cooley und Robert Ezra Park oder den Anthropologen Edward Sa- pir -, er bezeichnet aber nur Lasswell, Lazarsfeld, Lewin und Hovland als >Vorväter<. Diese Auswahl bezeichnet Schramm als gerechtfertigt, weil al- le vier Forscher den empirischen Zugang in den Vordergrund rücken, weil sie die Massenmedien in Relation zu ihren Konnnunikationsstudien setzen 42 WIRKUNGSKONTROLLE des universitären Forschungsunternehmens zu.24 Die vier >Forefathers< formieren eine spezifische interdisziplinäre Zusammenstellung, mit der Schramm die communication study konturiert. Dies geschieht nicht durch abstrakte Festlegung eines Forschungsprogramms, sondern durch das Postulat einer >natürlichen< historischen Entwicklung, bei der einzelne Forscherpersönlichkeiten die Bürgschaft für forschungspolitische Ver- satzstücke übernehmen. Wenn im Folgenden eine diskurshistorische Perspektive gewählt wird, um die Herausbildung der Mediengewaltforschung zu beschreiben und eine historische Diskurskritik ihrer zentralen Regeln vorzunehmen, geht es nicht darum, die Geschichte neu bzw. anders und besser zu er- zählen. Vielmehr soll der Fokus von einer kontinuierlichen Geschichte der Disziplin zur Geschichtlichkeil ihrer Diskursregeln hin verschoben werden. Der hier gewählte Anschluss an Methoden Foucaults- an seine archäologischen und genealogischen Projekte- macht dabei vornehmlich zwei Aspekte produktiv: Zum einen die Historisierung von vorgeblich ahistorischen Dingen,25 zum anderen die Zurückweisung eines Ge- schichtsmodells, das auf Kontinuität setzt, ohne allerdings dies durch ein Modell der Diskontinuitäten- etwa durch ein Modell, das Wissenschafts- geschichte in Revolutionen denkt- zu ersetzen.Z6 und weil »all of them were deeply interested in examining the effects of communication in life as well as in laboratories or in books.« Ebd. 24 Lazarsfeld bringt als empirisch forschender Soziologe, der sich fiir das Publikum und die Wirkung der neuen Massenkommunikationsmittel inte- ressiert, in den frühen 1930er Jahren entscheidende Forschungsimpulse aus Wien in die USA; ebenso Kurt Lewin, der sich als Gestalt- und Experimen- talpsychologe vornehmlich fiir Gruppenkommunikation interessiert und ei- ne psychologische Komponente in die sich neu konstituierende Disziplin einbringt. Ebenfalls dem experimentalpsychologischen Bereich ordnet Schramm seinen >Gründungsvater< Hovland zu. Den Bereich der Propa- gandaforschung bringt der Politologe Harold LassweH in die Gründung der communication study ein. Vgl. W. Schramm: »Kommunikationsforschung«. 25 Vgl. hierzu M. Saar: »Genealogie«, S. 162f.: »Aber was historisiert eine Genealogie? Sie historisiert Dinge, die bisher keine signifikante Geschichte hatten und vergrößert so das Feld des Historischen.« 26 Foucault beschreibt in seiner Inauguralvorlesung am College de France zwar die Diskontinuität als zentrale Implikation seines genealogischen Pro- jekts: »Die grundlegenden Begriffe, die sich jetzt aufdrängen, sind nicht mehr diejenigen des Bewußtseins und der Kontinuität (mit den dazugehöri- gen Problemen der Freiheit und der Kausalität), es sind auch nicht die des Zeichens und der Struktur. Es sind die Begriffe des Ereignisses und der Se- rie, mitsamt dem Netz der daran anknüpfenden Begriffe: Regelhaftigkeit, Zufall, Diskontinuität, Abhängigkeit, Transformation.« Michel Foucault: Die Ordnung des Diskurses. Inaugnralvorlesung am College de France, 2.12.1970, Frankfurt/Main: Fischer 1991, S. 36. Kusch kaun aber plausibel 43 AGGRESSIVE MEDIEN Die diskurshistorische Perspektivierung der Formel >Mediengewalt< in den unterschiedlichen Formen der Konzeptualisierung von Medien- wirkung, um die es im Folgenden geht, verfolgt das grundsätzliche An- liegen, eine Annahme des gegenwärtigen Diskurses zu historisieren: Die apriorische Setzung, nach der ein wissenschaftlicher Beweis von Me- diengewalt sich einer übertriebenen Furcht vor schädlicher Medienwir- kung entgegenstellt und diese rationalisiert, soll durch eine historische >Gewordenheitskritik< irrfrage gestellt werden. Die Erfolgs- und Port- schrittsgeschichten - so gilt es zu zeigen - sind ein programmatisches Postulat, das Aporien und Störungspotenziale im Projekt der Wirkungs- vermessung unsichtbar halten soll. Es wird davon ausgegangen, dass un- terschiedliche Verfahren der Unsichtbarmachung installiert werden, wenn sich die Mediengewaltforschung im etablierten Wissenschaftsfeld konstituiert. Schädliche Medienwirkung ist in den der Etablierung vorangehenden historischen Aushandlungsprozessen noch nicht in der Weise formatiert, wie sie als diskursiver Gegenstand im etablierten Feld auftaucht. Jedoch stehen die >genealogischen Pfade< dem Diskursfeld um die Mitte des 20. Jahrhunderts auch nicht unverbunden gegenüber, sie fungieren vielmehr als seine historische Bedingung und rahmen es auch weiterhin. Sie sind Voraussetzung dafür, dass die Mediengewaltforschung schließlich die >Schwelle der Wissenschaftlichkeit< überschreitet. Im folgenden Kapitel wird es um die epistemologischen Voraussetzungen gehen. nachweisen, dass Foucault in seinen diskurshistorischen Projekten durch- aus auch auf Kontinuität setzt. Die Archäologie beschreibt Kusch daher als Methode »beyond continuity and discontinuity«. M. Kusch: Foucault's Strata, S. 83. 44 1 WIRKUNG: EPISTEMOLOGIE DES MESSENS Sozialstatistische Positivitäten und die Objektivierung der Gesellschaft Im einleitend beschriebenen Beispiel des Erfurter Amoklaufs finden Zah- len als Autorität, die einen definitiven Beweis verbürgen soll, Eingang in die Debatte: bei 10-15 Prozent aller Kinder und Jugendlichen, d.h. bei 1,5 Millionen in Deutschland, erhöht mediale Gewaltdarstellung die Ge- waltbereitschaft, so die Behauptung des Münchener Mediengewalt- Kongresses, die keinen Zweifel an der >Objektivität< gefahrlicher Me- dienwirkung lässt. Statistik - denn um statistisches Wissen handelt es sich, wenn Zahlen hier als Beweise zum Einsatz gebracht werden - »ist ein leistungsstarker Mechanismus zur Erzeugung objektiven Wissens«.' Ein Mechanismus, der brüchig und anfechtbar, aber dennoch unverzicht- bar ist, denn er scheint »aus heiß umstrittenen Themen lösbare Probleme machen zu können.«2 Woher aber gewinnt statistisches Wissen seine Au- Gerd Gigerenzer u.a.: Das Reich des Zufalls. Wissen zwischen Wahr- scheinlichkeiten, Häufigkeiten und Unschärfen, Heidelberg, Berlin: Spek- trum Akademischer Verlag 1999, S. 256. Die sechs Autoren der kollektiv verfassten Studie seien hier vollständig genannt, da die Darstellung in die- sem Kapitel von der Studie sehr profitiert. Es handelt sich um renommierte Forscher der science studies: Gerd Gigerenzer, Zeno Swijtink, Theodore Porter, Lorraine Daston, John Beatty, Lorenz Krüger. Die Forschergruppe hat im akademischen Jahr 1982/83 an dem Projekt >The Probabilistic Re- volution< am Zentrum fiir interdisziplinäre Forschung in Bielefeld teilge- nommen, dessen Ergebnisse in zwei Bänden veröffentlicht wurden (vgl. Lorenz KrügerfLorraine Daston/Michael Heidelberger (Hg.): The Probabi- listic Revolution, Bd. 1. Ideas in History, Cambridge/MA, London: MIT Press 1987; Lorenz Krüger/Gerd Gigerenzer/Mary S. Morgan (Hg.): The Probabilistic Revolution, Bd. 2. Ideas in the Sciences, Cambridge/MA, London: MIT Press 1987). Das Autorenkollektiv greift in seiner Dar- stellung des >Reichs des Zufalls< auf diese Ergebnisse zurück. 2 G. Gigerenzer u.a.: Reich des Zufalls, S. 258. Ein US-amerikanisches Sta- tistik-Lehrbuch aus den 50er Jahren definiert Statistik zuversichtlich als »Zusammenfassung von Methoden, welche uns erlauben, vernünftige Ent- scheidungen im Falle von Ungewißheit zu treffen.« Allen W. Wallis/Harry 45 AGGRESSIVE MEDIEN torität? Wie, wenn überhaupt, gelingt es ihm, dem Zusammenhang, des- sen objektive Vermessung es postuliert hat, Geltung zu verleihen? Wel- che Bedeutung und welche Konsequenzen hat eine auf diese Weise als objektiv bezeichnete Messung? Diese Fragen rechtfertigen einen historischen Sprung, denn sie füh- ren in Prozesse, vornehmlich des 18. und 19. Jahrhunderts, die in den be- reits erwähnten governmentality studies unter dem Stichwort >Biomacht< bzw. >Biopolitik< verhandelt werden und im Rahmen der neueren Wis- senschaftsforschung als >probabilistische Revolution< geläufig sind. Die Objektivität der statistischen Zahl ist in Kontroversen ausgehandelt wor- den, noch bevor zu Beginn des 20. Jahrhunderts objektiv-statistisches Wissen über die positive oder negative Wirkung der Verbreitungsmedien mehr und mehr als Verfahren zum Einsatz kommt, um das unsichtbare Publikum als empirische Größe zurückzugewinnen. Wenn statistisches Wissen antritt, das unter Bedingungen der >Massenkommunikation< ent- stehende Adressierungsproblem zu lösen, greift es auf ältere Aushand- lungsprozesse zurück. Im 18. Jahrhundert beginnt sich unter dem neu geprägten Begriff >Statistik<3 eine »Wissenschaft vom Staat«4 herauszubilden. Es ist der Sta- V. Roberts: Methoden der Statistik. Anwendungsbereiche, 400 Beispiele, Verfahrenstechniken [1956], Reinbek bei Hamburg: Rowohlt 1973, S. 1. 3 Gottfried Achenwall wird zugeschrieben, den Begriff 1748 aus dem italie- nischen >statista< (Staatsmaun) und >ragione di stato< abgeleitet und als >Lehre von der Staatsverfassung eines oder mehrerer einzelner Staaten< bzw. als Lehre von den >Staatsmerkwürdigkeiten< eingefiihrt zu haben. V gl. Heinz Maus: »Zur Vorgeschichte der empirischen Sozialforschung«, in: Rene König (Hg.), Handbuch der empirischen Sozialforschung, Bd. 1. Geschichte und Grundprobleme der empirischen Sozialforschung, Stutt- gart: Enke 31973, S. 21-56, hier S. 23; Eckart Elsner: »Entwicklungslinien der Statistik«, in: Humanismus und Technik 18 (1974), S. 132-155, hier S. 143; Eckart Pankoke: »Soziologie, Gesellschaftswissenschaften«, in: Otto Bruuner u.a. (Hg.), Geschichtliche Grundbegriffe. Historisches Lexikon zur politisch-sozialen Sprache in Deutschland, 7 Bde., Stuttgart: Klett 1972ff, Bd. 4 (1978), S. 997-1032, hier S. 999; Andreas Diekmann: Empi- rische Sozialforschung. Grundlagen, Methoden, Anwendungen, Reinbek bei Hamburg: Rowohlt 92002, S. 80. 4 M. Foucault: Gouvemementalität I, S. 152. Die Geschichte der Statistik- verstanden als >Zählung< oder >Erhebung< - lässt sich bis zu Großzählun- gen in Israel, Ägypten oder dem Römischen Reich zurückverfolgen. V gl. E. Elsner: »Statistik«, S. 132. Statistik als Staatswissenschaft entsteht, wenn sich Verfahren des Zähleus mit mathematischen Methoden der wis- senschaftlichen Berechnung zu verbinden beginnen. In Statistikgeschichten werden hier vornehmlich zwei Entwicklungslinien geltend gemacht: die quantifizierende >politische Arithmetik< in England und die in Deutschland entstehende, eher beschreibende Universitätsstatistik V gl. A. Diekmann: 46 WIRKUNG tistik trotz ihrer historischen Transformation in die unterschiedlichsten Anwendungsgebiete bis heute eigentümlich, eine Verknüpfung aus Prak- tiken des Regierens und wissenschaftlichem Wissen zu sein.5 Foucault beschreibt die Statistik als einen der »technischen Hauptfaktoren«6 für die Herausbildung einer Regierungskunst im 18. Jahrhundert, in der die alten Strukturen der Souveränität überwunden und neue Techniken des Regierens in der Form der politischen Ökonomie installiert werden. Sta- tistik ermöglicht es, Regieren nicht mehr am - für ihre Dimensionen un- zulänglichen - Modell der Familie auszurichten, also den Staatenlenker als Familienvater zu beschreiben, sondern die Bevölkerung als Gegen- stand der Gouvemementalität- Foucaults Ausführungen lassen sich hier zuspitzen - sichtbar zu machen: »In der Tat, jene Statistik, die bis dahin innerhalb von Verwaltungsrahmen und denmach innerhalb des Funktionszusammenhangs der Souveränität funktioniert hatte, dieselbe Statistik offenbart und zeigt allmählich, daß die Bevölkerung ih- re eigenen Regelmäßigkeiten hat: ihre Anzahl an Toten, ihre Anzahl an Kran- ken, ihre Regelmäßigkeiten bei Unfällen. [ ... ] Die Statistik läßt, indem sie die der Bevölkerung eigenen Phänomene zu quantifizieren erlaubt, deren nicht auf den kleinen Rahmen der Familie reduzierbare Eigenart zutage treten.«7 Für die Handlungen der Regierung ist nach dieser Umstellung auf Gou- vemementalität im 18. Jahrhundert also nicht mehr der Mikrokosmos der Familie relevant, die Bedeutung des einzelnen Individuums für die Prak- tiken der Regierungskunst verschiebt sich. Statt des Individuums tritt die Bevölkerung als »politisches Subjekt« zutage. 8 Die statistische Sicht- Empirische Sozialforschung, S. 78-81. In der Lehrbuchgeschichtsschrei- bung der empirischen Sozialforschung wird häufig der Methodenstreit zwi- schen quantitativen und qualitativen Methoden auf diese beiden Entwick- lungsstränge zurückdatiert. Vgl. ebd., S. 81: »Im Hinblick auf die teilweise hitzige Debatte über quantitative und qualitative Forschungsmethoden soll- te man sich bewußtmachen, daß der Kern der Kontroverse ganz und gar nicht neuen Datums ist.« 5 Alain Desrasiere liest in seiner statistikhistorischen Studie The Politic of Large Numbers statistische Praktiken insbesondere auf diese Doppelbedeu- tung hin: »Because it holds its persuasive power from a double reference to two generally distinguished principles of solidification - that of science and that of the state - the space of statistical information is especially sig- nificant if one wishes to study whatever makes a public sphere both possi- ble and impossible.« Alain Desrosiere: The Politic of Large Numbers. A History of Statistical Reasoning, Cambridge/MA, London: Harvard Uni- versity Press 1998, S. 325. 6 M. Foucault: Gouvemementalität I, S. 156. 7 Ebd., S. 157. 8 Ebd., S. 70. 47 AGGRESSIVE MEDIEN barmachung der Bevölkerung, die Foucault hier mit der Irrelevanz des Individuums9 für die Regierungskunst in Verbindung bringt, haben Auto- ren im Anschluss an Foucault- wie etwa Franyois Ewald- als eine ande- re Form der Individualisierung präzisiert, 10 denn sie bedeutet nicht nur eine Neu-Konzeptualisierung des Kollektivs, sondern auch das Erschei- nen eines neuen Verständnisses des Subjekts: Das vernünftige Indivi- duum der Aufklärung muss dem statistischen Durchschnittsmenschen weichen, einem Kollektivsubjekt, das die Bevölkerung objektivieren soll. Das, worauf die statistischen Methoden in ihrer Funktion als >Sicher- heitsdispositiv< zugreifen, was sie sichtbar und auf diese Weiseregierbar machen sollen, bezeichnet Foucault als die »Bevölkerung in ihrer Natu- ralität«, als »Gesamtheit natürlicher Phänomene«;" er spricht auch von einer Regierung der Dinge »auf der Ebene ihrer Natur« bzw. von einer »Steuerung im Element der Realität«. 12 F oucault scheint sich hier ein Stück weit das optimistische Postulat der Sozialstatistiker des 18. und 19. Jahrhunderts zu Eigen zu machen, nach dem es qua statistischer Erhe- bung möglich wäre, das Abstraktum >Bevölkerung< und ihre Gesetzmä- ßigkeiteil als >reale< Kategorien plausibel zu machen. Auf welche Vorgänge innerhalb der >Staatswissenschaft< Statistik Foucault referiert, wenn er von der Erfassung der Bevölkerung in ihren Gesetzmäßigkeiteil spricht, lässt sich mit einem Blick auf den Umstel- lungsprozess Ende des 18./Anfang des 19. Jahrhunderts deutlicher ma- chen, den Lorraine Daston als Wechsel von »Probability to Statistics«13 beschreibt: Die klassische Wahrscheinlichkeitstheorie verliert ihren Gel- tungsbereich und die neue Berechnung von Wahrscheinlichkeiteil findet in der Statistik ihr wichtigstes Anwendungsgebiet. 14 9 Relevant ist das Individuum nur noch als »Instrument[ ... ], als Relais oder Bedingung, um etwas auf der Ebene der Bevölkerung durchzusetzen.« Ebd. Ein Instrument ist das Individuum hinsichtlich seiner Körperlichkeit, die ein zentrales Bezugsproblem einer biopolitischen Regulation ist. 10 Franvois Ewald: Der Vorsorgestaat, Frankfurt/Main: Suhrkamp 1993, S. 192: »Mit der Theorie des Durchschnittsmenschen begründet Quetelet ei- nen Modus der Individualisierung der Individuen, der nicht mehr von ihnen selbst ausgeht, von dem, was ihre Natur ist oder ihr Ideal zu sein hätte, sondern von der Gruppe, der sie angehören.« 11 M. Foucault: Gouvemementalität I, S. 505. 12 Ebd., S. 75 u. S. 76. 13 Vg l. Lorraine Daston: »Rational Individuals versus Laws of Society. From Probability to Statistics«, in: Krüger/Daston/Heidelberger (Hg.), The Prob- abilistic Revolution, Bd. 1 (1987), S. 296-304. 14 Vgl. G. Gigerenzer u.a.: Reich des Zufalls, S. 59. 48 WIRKUNG In der klassischen Wahrscheinlichkeitstheorie, 15 der nicht an einer Zählung der Bevölkerung, sondern an einem mathematischen Kalkül des Zufalls gelegen ist, wird dennoch schon die Hoffnung gehegt, man könne die Gesellschaft im Sinne einer >mathematique sociale< (Condorcet) er- fassen. Mathematiker wie Jakob Bernoulli oder Pierre Sirnon de Laplace streben an, das Kalkül der Wahrscheinlichkeit für die moral seiencesder Aufklärung fruchtbar zu machen. Zentral für diese Beschreibung der Ge- sellschaft ist das rationale Individuum, dessen Vernunft »als implizite Kalkulation«, als »zuverlässiges Rechnen« verstanden wird. Im Sinne der wahrscheinlichkeitstheoretischen Vertreter der moral seiences forder- ten deshalb staatliche Gesetze »Gehorsam im selben Sinne, in dem ma- thematische Beweise Zustimmung erzwangen, nämlich durch einen Ap- pell an die Vernunft«. Die gesellschaftliche Ordnung ergibt sich in die- sem Verständnis nicht durch Gesetzmäßigkeiteil oder Strukturen der Be- völkerung, sondern wird durch eine Elite vernünftig denkender Einzelner hergestellt. 16 Diese soziale Mathematik der klassischen Wahrscheinlichkeit ero- diert Ende des 18. Jahrhunderts: 17 »Die Wahrscheinlichkeitstheoretiker des neunzehnten Jahrhunderts vollzogen die Wende von der Rationalität der Wenigen zur Irrationalität der Vielen.«18 Mit dieser Umstellung fest verbunden ist der Name des belgischen Astronomen Adolphe Quetelet. Im Gegensatz zur sozialen Mathematik der Aufklärung nennt er sein Programm einer Mathematisierung der Gesellschaft, das eine neue Alli- anz zwischen mathematischer Wahrscheinlichkeit und Gesellschaftstheo- rie entwirft, physique soeiale. 19 Indem Quetelet das Wahrscheinlichkeitskalkül auf die Statistik an- wendet, gelingt ihm die Berechnung von Mittelwerten, die es ihm seiner Ansicht nach ermöglichen, durch die individuelle Verschiedenheit und Variation der Phänomene hindurch das Gesetz der >Natur< ausfindig zu machen. Ein neuer Blick auf das Verhältnis von Wahrscheinlichkeitsthe- orie und statistischen Daten macht Quetelet die Anwendung der Gauß'- 15 Vgl. hierzu Ian Hacking: The Emergence of Probability. A Philosophical Study of Early Ideas About Probability, Induction, and Statistical Infer- ence, Cambridge, London, New York: Cambridge University Press 1975. 16 G. Gigerenzer u.a.: Reich des Zufalls, S. 53f., Zitate: S. 54. 17 Daston sieht in der Französischen Revolution den Auslöser dafiir, dass der Glaube an ein vernünftiges Individuum ins Wanken gerät. Vgl. L. Daston: Rational Individuals, S. 300. 18 G. Gigerenzer u.a.: Reich des Zufalls, S. 57. Vgl. zu dieser Umstellung auch Theodore Porter: The Rise ofStatistical Thinking. 1820-1900, Prince- ton: Princeton University Press 1986. 19 Quetelets Programm wurde in der empirischen Medienforschung insbeson- dere von Lazarsfeld und seinen Mitarbeitern aufgegriffen. Vgl. Wolfgang Hagen: »Lazarsfelds >Soziale Physik<. Für eine Archäologie der Demosko- pie«, in: ders.: Gegenwartsvergessenheit Lazarsfeld - Adorno - Innis - Luhmaun, Berlin: Merve Verlag 2003, S. 23-36. 49 AGGRESSIVE MEDIEN sehen Glockenkurve auf gesellschaftliche Daten möglich, die eine Nor- malverteilung im Bereich der Gesellschaft sichtbar macht. 20 Je größer die Zahl der beobachteten Individuen, so Quetelet, desto mehr verschwinden ihre individuellen Besonderheiten, und die im Normalbereich situierten >Tatsachen< der Gesellschaft treten hervor. Da er es für unmöglich hält, direkt zu einer adäquaten Erkenntnis des Individuums zu gelangen, wählt Quetelet den aus seiner Sicht notwendigen >Umweg< über das Kollektiv. Geleitet ist diese Vorgehensweise von dem Glauben, dass regelmäßige Muster, die auf der Ebene des Individuums unsichtbar sind, auf der so- zialen Ebene sichtbar werden.21 Diesen Umweg stellt die Berechnung des homme moyen dar, ein Kollektivsubjekt, das die Gesellschaft nicht mehr als Ansammlung rationaler Individuen denkt, sondern als ein einziges, >politisches Subjekt<. Dieses Subjekt enthält das die physischen, morali- schen und intellektuellen Eigenschaften aller Individuen in ihrem Mit- telwert: »Der Mensch, wie ich ihn hier betrachte, ist in der Gesellschaft dasselbe, was der Schwerpunkt in den Körpern ist; er ist das Mittel, um das die Elemente der Gesellschaft oszillieren; er ist, wenn man so will, ein fingiertes Wesen, bei dem alle Vorgänge den in bezug auf die Gesellschaft erlangten mittleren Ergeb- nissen entsprechen werden.«22 20 Die Glockenkurve wurde in der Astronomie zur Kontrolle von Messfehlern entwickelt. Sie erlaubt die Darstellung, dass sich die Ergebnisse in einem mittleren Bereich- in einem mittleren Wert- häufen; extreme Messwerte finden sich an den auslaufenden Enden der Kurve. Vgl. Ian Hacking: The Taming of the Chance, Cambridge u.a: Cambridge University Press 1990, s. 106f. 21 Quetelets >mnshakable faith« in dieses Potenzial der Statistik (L. Daston: »Rational Individuals«, S. 301) scheinen nicht nur HistoriografJen der em- pirischen Sozialforschung zu teilen (vgl. H. Maus: »Vorgeschichte«, S. 25). Auch Foucault vermittelt den Eindruck, in seinen Beschreibungen von Bezugsproblemen der Biomacht diese Zuversicht zu teilen: »Wie Sie se- hen, handelt es sich um kollektive Phänomene, die in ihren ökonomischen und politischen Wirkungen erst auf der Ebene der Masse in Erschinung [sie] treten und bedeutsam werden. Es sind zufällige und unvorhersehbare Phänomene, weun man sie individuell fiir sich nimmt, die jedoch auf kol- lektiver Ebene Konstanten aufWeisen, die ausfindig zu machen leicht oder immerhin möglich ist.« Michel Foucault: In Verteidigung der Gesellschaft, Frankfurt/Main: Suhrkamp 1999, S. 283f. 22 Adolphe Quetelet: Soziale Physik oder Abhandlung über die Entwicklung und Fähigkeiten des Menschen [1869], 2 Bde., Jena: Verlag von Gustav Fi- scher 1914, Bd. 1, S. 165. Hinsichtlich der Frage, ob Quetelet den homme moyen als reales Subjekt gedacht hat, besteht kein Konsens in der Sekun- därliteratur. Nach Ewald erhebt Quetelet fiir seinen Durchschnittsmenschen keinen realistischen Anspruch, dieser sei nichts anderes als »die Gesell- 50 WIRKUNG Gerade mittels der Wahrscheinlichkeitstheorie, die im 18. Jahrhundert noch vernünftige Individuen berechnet hat, entwirft Quetelet damit ein antipsychologisches Gesellschaftskonzept Mit dem mittleren Menschen führt er eine Größe zur objektiven Messung und statistischen Repräsenta- tion der Gesellschaft ein.Z3 Aber das neue Kollektivsubjekt hat eine doppelte Konsequenz:»[ ... ] the average man led to both a new kind of information about populations and a new conception of how to control them.«24 Ian Hacking hat deut- lich gemacht, dass durch die >Zahlenlawine<,25 die im 19. Jahrhundert in Gang gesetzt wird, indem durch die Installation einer statistischen Büro- kratie alle Bereiche der Bevölkerung vermessen werden, soziale Phäno- mene nicht einfach gezählt, sondern gleichzeitig klassifiziert und auf die- se Weise kontrolliert werden: »Categories had tobe invented into which people could conveniently fall in order to be counted.«26 Voraussetzung für den Siegeslauf der Statistik ist nach Hacking der Zerfall des traditio- nellen, metaphysischen Determinismus.27 Der daraufhin entstehende In- schaft selbst, so wie sie von der Soziologie objektiviert wird.« F. Ewald: Vorsorgestaat, S. 190. Die »Woge von Kritiken«, die Quetelets fiktiver Fi- gur entgegenschlage, werde meist aus einer realistischen Perspektive for- muliert und zeuge von den »Schwierigkeiten, die Auswirkungen und Ver- schiebungen jener soziologischen Dezentrierung zu denken, die von der Soziologie in die Wissenschaft vom Menschen eingefiihrt wurden.« Ebd., S. 191. Ebenso beschreibt Diekmann den homme moyen als »oft miß- verstandene Kunstfigur.« A. Diekmaun: Empirische Sozialforschung, S. 82. Hacking dagegen argumentiert, Quetelet hätte den Durchschnittsmen- schen durchaus realistisch verstanden, darin läge sogar die Besonderheit seines Programms: »He transformed the theory of measuring unknown physical quantities, with adefinite probable error, into the theory ofmeasu- ring ideal or abstract properties of a population. Because these could be subjected to the same formal techniques they became real quantities. This is a crucial step in the taming of chance. It began to turn statistical laws that were merely descriptive of large-scale regularities into laws of nature and society that dealt in underlying truths and causes.« I. Hacking: Taming ofChance, S. 108. 23 Vgl. L. Daston: »Rational Individuals«, S. 301-302; F. Ewald: Vor- sorgestaat, S. 174-206; I. Hacking: Taming ofthe Chance, S. 105-114; A. Diekmaun: Empirische Sozialforschung, S. 28f. 24 I. Hacking: Taming ofChance, S. 108. 25 Vgl. Ian Hacking: »Biopower and the Avalanche ofPrinted Numbers«, in: Humanities in Society 5 (1982), H. 3-4, S. 279-295. 26 I. Hacking: Taming ofChance, S. 3. 27 Der metaphysische Determinismus kann folgendermaßen charakterisiert werden: »Da alle Ereignisse oder Zustände, die jetzt betrachtet werden, ei- ne Vorgeschichte haben, mußten sie zwangsläufig eintreten. Anders gesagt: Für jede gegebene Vergangenheit gibt es nur eine einzige, eindeutig deter- 51 AGGRESSIVE MEDIEN determinismus setzt zwar den Zufall frei, jedoch bedeutet dies nicht, dass damit der menschlichen Willensfreiheit ein Weg bereitet wäre. Stattdes- sen erfahrt der aufscheinende Zufall sofort eine >Zähmung<, indem er in einen neuen, nämlich statistischen Determinismus überführt wird. Die Emergenz einer statistischen Bürokratie reduziert die menschlichen Frei- heiten, indem sie die Gesetzmäßigkeiteil der Bevölkerung bestimmt. Die statistische Zähmung des Zufalls greift nach Hacking gerade deshalb, weil ein soziales Gefüge dem traditionellen Determinismus nicht mehr vollständig unterworfen ist. Die Möglichkeiten des Zwangs durch nume- rische Kategorisierung sind umso größer, je weniger die Vorstellung ei- ner metaphysischen Determinierung noch virulent ist. 28 Die Abkehr von Vorstellungen der Determination, die mit dem Siegeszug der statistischen Wahrscheinlichkeit einhergeht, vergrößert deren Zugriffsraum: »[D]ie Herrschaft der Zahlen wurde flexibler gestaltet, damit ihre Grenzen er- weitert werden konnten.«29 Besonders deutlich wird diese statistische Festlegung des Indivi- duums in der Messung von Abweichungen, die im Mittelpunkt der ersten Bemühungen steht, statistische Gesetze in der Bevölkerung auszuma- chen. Diese Festlegung, so Hacking, ist bis heute virulent: »Most ofthe law-like regularities were first perceived in connection with devi- ancy: suicide, crime, vagrancy, madness, prostitution, disease. This fact is in- structive. It is now common to speak of information and control as a neutral term embracing decision theory, operations research, risk analysis and the broader but less well specified domains of statistical inference. We shall find that the roots of the idea lie in the notion that one can improve - control - a de- viant subpopulation by enumeration and classification.«30 Quetelet impliziert in seinem Entwurf des Durchschnittsmenschen ein wertendes Moment, er idealisiert den homme moyen »als den goldenen Mittelweg zwischen schädlichen Extremen [ ... ] und als die Verkörpe- rung der Mäßigung in einer ewig durch Revolutionen gefahrdeten Welt.«31 Mit dieser Idealisierung geht eine Festlegung dessen einher, was als >normal< zu gelten hat und was als Abweichung der Kontrolle bedarf. Die Bevölkerung erfahrt eine Normalisierung, die Gesellschaft wird zur Normalisierungsgesellschaft.32 Statistik ist also kein neutrales Wissen, minierte Zukunft.« Diese Ansicht wird von Vertretern der klassischen, vor- statistischen Wahrscheinlichkeitstheorie wie Jakob Bemoulli oder Pierre Sirnon de Laplace vertreten. G. Gigerenzer u.a.: Reich des Zufalls, S. 301. 28 Vgl. Ian Hacking: »How Should We Do the History of Statistics?«, in: Burchell/Gordon/Miller (Hg.), The Foucault Effect (1991), S. 181-195. 29 G. Gigerenzer u.a.: Reich des Zufalls, S. 310. 30 I. Hacking: Taming ofChance, S. 3. 31 G. Gigerenzer u.a.: Reich des Zufalls, S. 75. 32 Foucault beschreibt die Normalisierung in Abgrenzung zur Norm bzw. zur Disziplinierung: »Hier [im System der Normalisierung, 1.0.] haben wir 52 WIRKUNG sondern Machtwissen, das Möglichkeiten der Kontrolle eröffnet. Autori- tät gewinnt sie durch ihre Verknüpfung von Regierungstechniken und wissenschaftlichen Praktiken, jedoch vor allem durch ihr Verfahren, so- ziale Phänomene sichtbar zu machen und damit als >reale Gegebenhei- ten< herauszustellen. Die Verfahren der Statistik erlauben aber nicht nur, die Ränder der Normalverteilung zu bestimmen, sie verschieben auch die Abweichung - umgerechnet in ein Risiko, das alle betrifft - in den Durchschnittsbe- reich. In den statistischen Mittelwerten glauben die Sozialstatistiker des 19. Jahrhunderts, selbst die Irrationalitäten und Gefahren innerhalb der Bevölkerung in geordneter Form ausfindig machen zu können. Auch im Durchschnittsmenschen bleibt durch die wahrscheinlichkeitstheoretische Rechenoperation »eine gewisse Neigung zum Verbrechen« übrig. Doch diese Neigung zur gesellschaftlichen Gefahr kann mittels des homme moyen auf der Ebene der Bevölkerung lokalisiert und so als eine durch die Gesellschaft bedingte Krankheit identifiziert werden. Indem sie »Handlungen gegen die Gesellschaft [als] Produkte der gesellschaftli- chen Bedingungen« herausstellt, macht die Sozialstatistik Heilungsange- bote. Sie kann darauf hinweisen, dass Maßnahmen der Sozialhygiene notwendig sind. Aufgabe der physique sociale ist es also, gesellschaftli- che Störungen zu erkennen und zu vermeiden zu helfen. Das Verbrechen wird der Gesellschaft und ihrer Fähigkeit zur Verbesserung überantwor- tet, der Verbrecher selbst ist dann kein willentliches Individuum mehr, sondern ein Opfer der gesellschaftlichen Umstände.33 Welche Bedeutung hat diese Konstellation aber als V argeschichte der Mediengewaltforschung? Unter diesen historischen Bedingungen des 19. Jahrhunderts steht ein statistisches Dispositiv zur Verfügung, das sei- ne Autorität aus seiner engen Verknüpfung mit der Regierungskunst be- zieht. Dieses Dispositiv ist in der Lage, den gesellschaftlichen Normalbe- reich festzulegen und seine Abweichungen zu kontrollieren. Dennoch wäre es außerordentlich schwierig, qua Statistik eine Gewalttat als schäd- liche Medienwirkung zu diagnostizieren. Was zu Beginn des 21. Jahr- hunderts nahe liegt und schon in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts ein erfolgreiches Verfahren ist - einen jugendlichen Verbrecher mit der Autorität der beweisenden Zahlen als Mediennutzer zu identifizieren -, [ ... ] eine Ortung des Normalen und des Anormalen, eine Ortung der ver- schiedenen Normalitätskurven, und der Vorgang der Normalisierung be- steht darin, diese Normalitätsaufteilungen wechselseitig in Gang zu setzen und auf diese Weise zu bewirken, daß die ungünstigsten auf die günstigsten zurückgefiihrt werden.« M. Foucault: Gouvemementalität I, S. 98. 33 G. Gigerenzer u.a.: Reich des Zufalls, S. 63-65, Zitate: S. 63. Kritisiert wurde des Modell u.a. mit dem Argument, es unterstelle einen statistischen Determinismus, der die Willensfreiheit des Subjekts untergräbt, da es in den Berechnungen der Sozialstatistik gar nicht anders kann, als zum Ver- brecher zu werden. Hacking beschreibt diese Befiirchtung unter dem Stich- wort >statistical fatalism<. Vg l. I. Hacking: Taming of Chance, S. 115-124. 53 AGGRESSIVE MEDIEN wäre zu diesem historischen Zeitpunkt noch nicht denkbar. Dies liegt nicht so sehr an der noch zu geringen Verbreitung der Massenmedien, was sie noch nicht als >allgegenwärtig< und >all-inklusiv< beschreibbar macht. Auch ist der Grund weniger in der noch nicht ausreichenden sta- tistischen Vermessung des Medienpublikums zu suchen. Zwei andere Gründe sind sehr viel wichtiger: Die Sozialstatistik kann erstens zwar so- ziale Phänomene als Regelmäßigkeiten und soziale Gegebenheiten als zusammenhängende Gesetzmäßigkeiteil beschreiben, es gelingt ihr aber nicht - und es entspricht, was häufig übersehen wird, auch gar nicht ih- rem Anspruch - diese Zusammenhänge als Ursachen und Wirkungen sichtbar zu machen. Zweitens interessiert sich die soziale Physik, wie be- schrieben, nicht für die Ebene der Individuen, sie betrachtet den Einzel- nen nur über die Vermessung des Kollektivs. Für einen Einzeltäter kann und will sie keine Diagnose bezüglich der Ursachen für sein Verbrechen erstellen. Die Gründe für das Desinteresse an Ursache und Wirkung, die das einzelne Individuum betreffen, sind in dem Ideal einer positivistischen Objektivierung der Gesellschaft zu suchen, das Quetelet und die Sozial- statistiker in seiner Nachfolge anstreben. Die empiristisch fundierte Er- kenntnistheorie des Positivismus geht davon aus, dass sich jede Erkennt- nis allein aus dem ableiten lässt, was durch die Erfahrung gegeben ist. Ein solches Konzept einer positivistischen Forschung fordert Henri de Saint-Sirnon ein und sein Schüler Auguste Comte formuliert es zu einem Programm: Unter dem Stichwort >Positivismus< verfolgt die soziale Wis- senschaft den Anspruch, einer naturwissenschaftlichen Forschung gleich- zukommen. Sie versteht sich als >positive< Wissenschaft, insofern sie ge- sellschaftliche Zusammenhänge als >natürliche< Gesetzmäßigkeiteil be- greift, ohne nach Sinnzusammenhängen zu fragen. Striktes Beobachten von >Tatsachen<, die für sich selbst sprechen sollen, wird zum zentralen Instrument dieser naturwissenschaftlichen sociologie.34 Jedoch tritt in den Sozialwissenschaften - schon viel früher als in den Naturwissen- schaften35 -der Verdacht auf, das Wissenschaftsideal der reinen Tatsa- chenbeobachtung könne von theoretischen Vorannahmen getrübt sein. Comte formuliert sogar grundsätzliche Annahmen einer gesellschaft- lichen Ordnung, die seiner Tatsachenbeobachtung vorausgehen, und sieht sich damit - aus der Perspektive des 20. Jahrhunderts - dem Vorwurf ausgesetzt, seiner eigenen Programmatik zu widersprechen: »Der Positi- vismus, der mit dem Ideal strenger Wissenschaftlichkeit aufgetreten war, 34 Comte signalisierte mit dieser Begriffsbildung einen Wissenschaftsentwurf in Abgrenzung zu Quetelets sozialer Physik und ihrer statistischen Vermes- sung, die er ablehnte, und rückte sein Konzept in methodologische Nähe zur Biologie seiner Zeit. Vgl. E. Pankoke: »Soziologie«, S. 1006. 35 Die Unschuld des naturwissenschaftlichen Tatsachenblicks - so kann man zugespitzt formulieren- ist erst in wissenschaftshistorischen Untersuchun- gen der neueren science studies systematisch infrage gestellt worden. 54 WIRKUNG läuft sich in einer neuen Metaphysik fest.«36 Dem Ideal einer naturwis- senschaftlichen Soziologie kommt aus dieser Perspektive die -von Com- te verachtete - statistische Zählung und Messung Quetelets sehr viel nä- her: »Mit Quetelet erfüllt sich, so jedenfalls erschien es den Zeitgenossen, die lang- gehegte Erwartung einer strengen Sozialwissenschaft, die, auf objektiver Be- obachtung, Zählung und Messung beruhend, nachzuweisen vermöge, daß auch Handlungen der Individuen, sobald sie massenhaft auftreten, Gesetzen unter- worfen sind, die denen ähneln, welche die unbelebte Natur beherrschen.«37 Die Voraussetzung für die naturwissenschaftlich-soziologische Be- obachtung ist aber, dass sie eben nicht vom einzelnen Individuum ausge- hen kann. Die beobachteten Gesetze >ähneln< den Naturgesetzen auch nur: sie können keine Kausalität im strikten physikalischen Sinn nach- weisen: »Quetelets statistisches Verfahren war Positivismus in Reinkul- tur. Er setzte keine Kenntnis tatsächlicher Ursachen voraus, sondern identifizierte nur Regelmäßigkeiten und nach Möglichkeit ihre V orbe- dingungen. «38 Durch diese >Unzulänglichkeiten<, die sie in Kauf nimmt, um ihren positivistischen Idealen zu genügen, verhält sich die Sozialstatistik dis- kontinuierlich zu statistischen Vermessungen der Medienwirkung im 20. Jahrhundert. Die >Unzulänglichkeiten< lassen sich in der zeitgenössi- schen Kritik an der Mittelwertsberechnung der sozialen Physik wieder- finden und sie werden vor allem im Bereich der Medizin39 geäußert, in Form von Gegenstimmen zu einem Vorgang, den Foucault unter dem Begriff der »Medizinisierung« als zentral für die biopolitische Regulati- on der Normalisierungsgesellschaft beschreibt.40 Die sozialstatistische 36 Friedrich Jonas: Geschichte der Soziologie II. Sozialismus- Positivismus- Historismus. Mit Quellentexten, Reinbek bei Hamburg: Rowohlt 1968, S. 95-104, Zitat: S. 104. 37 H. Maus: »Vorgeschichte«, S. 25. 38 G. Gigerenzer u.a.: Reich des Zufalls, S. 64. Christina Bartz zeigt, dass Quetelet dennoch von >Ursachen< und >Wirkungen< spricht, die auf der Ebene des homme moyen auszumachen sind. V gl. Christina Bartz: Mas- senMedium: Fernsehen. Die Semantik der Masse in der Medienbeschrei- bung, Bielefeld: transcript 2007, S. 87-100. Dies mag Quetelets emphati- scher Konzeption des Durchschnittsmenschen geschuldet sein, die Regel- mäßigkeiten gleich zu Kausalitäten umformuliert. Möglich ist auch, dass sich Quetelet ebenso wie Comte an diesem Punkt von seinem streng positi- vistischen Vorhaben entfernt. 39 Auf das medizinische Diskurssegment der Mediengewaltforschung wird im Kapitel Heilung: Therapie der Mediengewalt gerrauer eingegangen. 40 »Die Medizinisierung, das heißt die Tatsache, dass sich die Existenz, die Führung, das Verhalten und der menschliche Körper ab dem 18. Jahrhun- 55 AGGRESSIVE MEDIEN Vermessung der Bevölkerung ist von einer Umstellung der Medizin auf eine Sozialmedizin begleitet, die sich nicht mehr am Individuum, son- dern an der Gesellschaft ausrichtet. Krankheit wird in medizinischen Sta- tistiken als kollektives Phänomen sichtbar gemacht, als Epidemie, die po- tenziell jedes Individuum befallen kann und deshalb nach Maßnahmen der >öffentlichen Hygiene<, wie Verbesserung der Sauberkeit, Präventi- onsmaßnahmen und Impfungen, verlangt.41 Aber diese quantifizierenden Methoden stoßen noch nicht im gesamten medizinischen Bereich auf Akzeptanz. Die numerische Methode ist weiten Teilen der Medizin des 19. Jahrhunderts noch fremd. Nach wie vor virulent bleibt die Auffas- sung, dass eine ärztliche Diagnose und Therapie einer gerrauen Untersu- chung des einzelnen Individuums bedürfe: »[A] doctor could not treat patients >on the average.< He had to find the direct causes ofthe illness in order to eliminate it completely«,42 so die Ansicht der schärfsten Kritiker der Sozialmedizin. Die Heilung des Patienten setze das individuelle Ur- teil eines Arztes voraus, der für den spezifischen Einzelfall auch die Ge- setze der Mehrheit ignorieren muss: »Sich mit einem Durchschnittswert zufriedenzugeben bedeutet, daß man die Nuancierung außer acht läßt, die für das Heilen der Patienten die höchste Bedeutung hat.«43 Selbst wenn statistische Mittelwerte für Maßnahmen der öffentlichen Hygiene sinn- voll sein mögen, weil sie Informationen zur politischen Intervention lie- fern- so eine abgeschwächtere Form dieser Kritik-, für den einzelnen Kranken seien sie fragwürdig: »[W]ere these averages, which were con- sistent with macrosocial action, also effective in discovering the precise and direct causes of the desease?«44 Das kranke Individuum ist kein Durchschnittsmensch, so der Tenor dieser Einwände, die Gründe für sei- ne Krankheit - oder die Ursache für sein Verbrechen - können also auch nicht statistisch ermittelt werden. Die Kritik an der Orientierung an Mit- telwerten lässt sich einer noch nicht sozialen, >vor-modernen< Medizin zuordnen: »[D]er Aufstieg der Statistik in der Heilkunde war Teil des Prozesses der Objektivierung, durch den die Naturwissenschaften im großen Maßstab in die Medizin einzogen«.45 Wichtig ist, dass mit diesem Prozess der positivistischen >Objektivie- rung< in den Wissenschaften, einschließlich der Medizin, wie er sich im dert in ein immer dichteres und bedeutenderes Netz der Medizinisierung einfügen, das immer weniger Dinge durchschlüpfen lässt.« Michel Fou- cault: »Die Geburt der Sozialmedizin« (Vortrag) [1977], in: ders.: Schriften in vier Bänden. Dits et Ecrits, Bd. III. 1976-1979, Frankfurt/Main: Suhr- kamp 2003, S. 272-298, hier S. 273. 41 Vgl. A. Desrosieres: Large Numbers, S. 82. Foucault beschreibt die Nor- malisierung der Krankheit durch die Sozialmedizin am Beispiel der Po- ckenimpfung. Vgl. M. Foucault: Gouvemementalität I, S. 25f. 42 A. Desrosieres: Large Numbers, S. 83f. 43 G. Gigerenzer u.a.: Reich des Zufalls, S. 69. 44 A. Desrosieres: Large Numbers, S. 84. 45 G. Gigerenzer u.a.: Reich des Zufalls, S. 69. 56 WIRKUNG 19. Jahrhundert vollzieht, eine Umstellung im Konzept der >Objektivität< einhergeht.46 Nach Daston bildet sich im 19. Jahrhundert eine neue Form der wissenschaftlichen Objektivität heraus, die sie als >aperspektivisch< bezeichnet. Dieses Objektivitätskonzept, das sich »gegen die Subjektivi- tät individueller Eigenarten« in der Forschung richtet, versucht das Indi- viduelle in der Forschung zu überwinden, um zur »Bildung einer tragfa- higen wissenschaftlichen Gemeinschaft« beizutragen.47 Diese veränderte Konzeption von Objektivität geht nach Daston mit der Expansion des Wissenschaftsbereichs im 19. Jahrhundert einher, der die Anpassung von Forschungspraktiken an die Kommunizierbarkeit innerhalb der immer größer werdenden wissenschaftlichen Gemeinschaft erlaubt. Mit dieser Zielvorstellung wurden bestimmte Formen der Quantifizierung wegen ihrer einfachen Mitteilbarkeit zum neuen Ideal:48 »Aperspektivische Ob- jektivität war das Ethos des austauschbaren Beobachters - eines Beob- achters also, der durch keinerlei Besonderheiten geprägt sein durfte«.49 Das Objektivitätsideal des austauschbaren Beobachters könnte man aus der Sicht des einzelnen Forschers auch als Ausstreichung seiner ei- genen, individuellen Beobachtung beschreiben. Das Individuum wird im Fall der sozialstatistischen Forschung also doppelt ausgestrichen: auf der Seite des Forschenden und auf der Seite des Untersuchungsgegenstands. Objektivität meint dann eine Referenz auf >Tatsachen<, die mit dem An- spruch auftreten, keine individuellen Beobachterleistungen, sondern die intersubjektiv mitteilbaren >realen Gegebenheiten< selbst zu sein. Das Postulat einer naturwissenschaftlich reinen Beobachtung, das die positi- vistische Sozialstatistik formuliert, wäre dann als das Ideal einer Be- obachtung ohne Beobachterstandpunkt zu präzisieren: The View from nowhere.50 Wenn die Kritiker der Sozialmedizin auf der Notwendigkeit eines subjektiven ärztlichen Urteils bestehen, so widersetzen sie sich dieser >objektivierenden< Ausstreichung. Da dieser Widerstand eng mit dem Anspruch verknüpft ist, man wolle die >Unmittelbaren Ursachen< für die Krankheit des Patienten finden, lässt sich folgende Vermutung formulie- 46 Daston hat mehrfach darauf hingewiesen, dass Objektivität eine Geschichte hat und unzulässigerweise häufig als ahistorisches Konzept verhandelt wird. Vgl. Lorraine Daston: »Objektivität und die Flucht aus der Perspekti- ve«, in: dies.: Wunder, Beweise und Tatsachen. Zur Geschichte der Ratio- nalität, Frankfurt/Main: Fischer 22003, S. 127-155, hier S. 127-131. Vgl. in jüngster Zeit: Lorraine Daston/Peter Galison: Objektivität, Frankfurt/Main: Suhrkamp 2007. 47 L. Daston: »Objektivität und die Flucht aus der Perspektive«, S. 140. 48 Vgl. Theodore Porter: »Quantification and the Accounting Ideal in Sci- ence«, in: Social Studies ofScience 22 (1992), S. 633-652. 49 L. Daston: »Objektivität und die Flucht aus der Perspektive«, S. 143. 50 Daston zitiert diese Studie des Philosophen Thomas Nagel, um ihr Konzept der aperspektivischen Objektivität zu verdeutlichen. V gl. L. Daston: »Ob- jektivität und die Flucht aus der Perspektive«, S. 129. 57 AGGRESSIVE MEDIEN ren: Die Identifizierung von >Ursachen< und> Wirkungen< -auch und ge- rade wenn sie quantifiziert werden sollen - benötigt einen Beobachter, der eben diese kausale Relationierungfeststellt. Die Objektivierung von Kausalität setzt zwei einander entgegengesetzte Bewegungen voraus: Die Beobachtung muss zum einen aperspektivisch sein, d.h. der Beobachter muss so weit wie möglich hinter seinen Gegenstand zurücktreten. Zum anderen wird der Beobachter benötigt, um Kausalität sichtbar zu ma- chen.51 Es muss also in der Genealogie der Mediengewaltforschung Ver- fahren geben, die den Beobachter als Beobachter von Kausalität in das aperspektivische Objektivitätsideal einführen, und es muss möglicher- weise weitere Verfahren geben, die das darin implizierte Paradox un- sichtbar halten. 52 Experimentelle Beobachtung und kontrollierte Kausalität Der Erhebung von sozialstatistischen Positivitäten liegt - wie zu sehen war - ein empiristisches Erkenntnisideal zugrunde: Der Empirismus lässt nur die unmittelbare Erfahrung als Erkenntnisgrundlage zu, er fordert ei- ne Beschränkung der wissenschaftlichen Forschung auf >Tatsachen<, die 51 Vgl. zur Aktualität dieses epistemologischen Problems: Wemer Früh: »Die Interpretationsbedürftigkeit von Kausalität oder: Woher kommen die Ursa- chen«, in: Wemer Wirth/Edmund Lauf/Andreas Fahr (Hg.), Forschungslo- gik und -design in der Kommunikationswissenschaft 1. Einführung, Prob- lematisierungen und Aspekte der Methodenlogik aus kommunikationswis- senschaftlicher Perspektive, Köln: Herbert von Haiern Verlag 2004, S. 13- 38. 52 Es gibt durchaus schon zeitgleich zu Quetelets Mittelwerts-Statistik Pro- gramme der Sozialforschung, die den Beobachter präsenter werden lassen. So die soziografische Methode von Frederic Le Play, der den Anspruch er- hebt, empirische Tatsachen mit einem genauen Blick auf >die Menschen selbst< vorzunehmen. Vgl. Michael Z. Brooke: Le Play. Engineer and So- cial Scientist, London: Longman 1970. Le Play stellt sich selbst in die Tra- dition von Comte und grenzt sich von Quetelets Statistik ab. Nach Hacking wird aber dieser Machtkampf klar zugnnsten der »Standard statistical ma- chinery of information and control« entschieden. Vgl. I. Hacking: Taming of Chance, S. 133-141, Zitat: S. 141. Das Spannungsverhältnis zwischen den Programmatiken von Quetelet und Le Play wird später in Selbst- historisierungen der Massenkommunikationsforschung aufgegriffen, um das eigene Forschungsfeld als statistisch, aber nicht ausschließlich zählend zu konturieren; so insbesondere von Hans Zeisel: »Zur Geschichte der So- ziographie«, in: Marie Jahoda/Paul F. Lazarsfeld!Hans Zeisel: Die Arbeits- losen von Marienthal [1933], Frankfurt/Main: Suhrkamp 1975, S. 113-142. 58 WIRKUNG in der empirisch erfahrbaren Welt beobachtet werden können. 53 Unab- hängig davon, ob dieses Wissenschaftsprogramm in den einzelnen Sozi- alwissenschaftlichen Projekten des 19. Jahrhunderts umgesetzt wurde bzw. überhaupt umsetzbar ist, stellt sich die Frage: Wie lässt sich >Kau- salität< innerhalb einer auf diese Weise vorgenommenen >aperspektivi- schen Objektivierung< der Gesellschaft denken? Zu Beginn des 20. Jahr- hunderts wird das Kausalitätsproblem in einer empiristisch-positivisti- schen Philosophie insbesondere im Rahmen des >W iener Kreises< ver- handelt, in dem unter dem Begriff >logischer Empirismus< oder >logi- scher Positivismus< jede Metaphysik abgelehnt und eine analytische Phi- losophie und Wissenschaftstheorie entwickelt wird, die auf mathemati- scher Logik beruht. 54 Der >Wiener Kreis< diskutiert auch die empiristi- schen Wissenschaftslehren des 19. Jahrhunderts, die eine Grundlage der Sozialstatistik bilden. In diesem philosophischen Programm haben die Konzepte >Ursache< und >Wirkung< einen äußerst schlechten Stand: »Ge- mäß dem logischen Positivismus ist Kausalität ein metaphysischer Be- griff, der verrät, daß wir den Dingen Absichten und geheime innere Kräf- te usw. unterschieben, also ein Begriff, der animistische oder anthropo- morphe Vorstellungen erkennen läßt. «55 Jedoch bedeutet dies nicht, dass in einer radikal empiristischen Auf- fassung keine Kausalitätsaussagen möglich sind. Der - dem Wiener Kreis nahe stehende - Österreichische Philosoph, Mathematiker und Techniker Richard von Mises setzt sich 193956 in seinem Kleinen Lehr- buch des Positivismus mit dem Kausalitätsbegriff des Empiristen David Hume auseinander: Ohne Beobachtung und Erfahrung - so von Mises - ist kein Wissen von Ursachen und Wirkungen möglich. Von dem, was gängigerweise als >notwendige Folge< bezeichnet wird, ist nichts anderes 53 V gl. Hergen Riedel: Zur Erforschung von Wirkungen. Über den kritischen Rationalismus in den Sozialwissenschaften und dessen Adaption in der Medienwirkungsforschung in der Bundesrepublik Deutschland, Frank- furt/Main u.a.: Peter Lang Verlag 1990, S. 82. 54 Vgl. Art. »Ursache/Wirkung«, in: Joachim Ritter/Karlfried Gründer/Gott- fried Gabriel (Hg.), Historisches Wörterbuch der Philosophie, Bd. 11. U-V, Darmstadt Wissenschaftliche Buchgesellschaft 2001, Sp. 377-412, hier Sp. 402. 55 Comelis Sanders: Die behavioristische Revolution in der Psychologie, Salzburg: Müller 1978, S. 106f. 56 Der >Wiener Kreis< wurde 1938 von den Nationalsozialisten zerschlagen, seine Mitglieder emigrierten u.a. in die USA, wodurch die wissenschafts- theoretischen Impulse dort bekannt wurden. Von Mises schrieb sein Lehr- buch im türkischen Exil. Vgl. Friedrich Stadler: »Richard von Mises (1883-1953) - Wissenschaft im Exil«, in: Richard von Mises: Kleines Lehrbuch des Positivismus. Einführung in die empiristische Wissen- schaftsauffassung, hg. u. eingeleitet v. Friedrich Stadler, Frankfurt/Main: Suhrkamp 1990, S. 7-51. 59 AGGRESSIVE MEDIEN bekannt, »als eine Verknüpfung zwischen zwei Dingen, die eifahrungs- gemäß zeitlich (und in einem gewissen Maße auch örtlich) miteinander verbunden sind«.57 Wird Kausalität strikt an beobachtbare >Tatsachen< zurückgebunden, so lässt sich diese Darstellung umkehren, dann kann sie auch zum Instrumentarium im Rahmen einer positivistischen Wissen- schaftstheorie werden. Wichtig ist allerdings: >Ursache< und >Wirkung< sind Beobachtungsleistungen, ihre Erkenntnis erfordert eine gedankliche Verknüpfung durch den Beobachter: Im Kausalitätsproblem verlässt die Wissenschaftslehre das strenge positivistische Ideal. 8 5 Es sei denn, es ge- lingt ihr, den Beobachter in dieses Ideal zu integrieren. Um Kausalität zu beobachten, entwickelt die empiristische Wissen- schaftslehre eine spezifische Methode: das Experiment, in dem »ein Fak- tor isoliert zur Wirkung gebracht werden kann«. 9 5 Als Mittel der sicheren Naturerkenntnis im Rahmen einer empiristischen Auffassung lässt sich das zielgerichtet angestellte Experiment bis zu Francis Bacons Konzepti- on einer Neugliederung aller Wissenschaften in seinem Novum organon 57 Richard von Mises: Kleines Lehrbuch des Positivismus. Einführung in die empiristische Wissenschaftsauffassung, hg. u. eingeleitet v. Friedrich Stad- ler, Frankfurt/Main: Suhrkamp 1990, S. 242. 58 Aus diesem Grund wird die Erforschbarkeit von Kausalität im Rahmen empiristisch-positivistischer Wissenschaftsauffassungen auch häufig irrfra- ge gestellt. So etwa im Rahmen des kritischen Rationalismus' Karl Pop- pers, der die Wissenschaftslehre der empirischen Sozialforschung maßgeb- lich beeinflusst hat. Nach Popper ist das Wissen über soziale Phänomene von einer grundlegenden Asymmetrie geprägt: Alle Hypothesen und Ge- setze sind nur potenziell falsifizierbar, aber niemals verifizierbar. Die zent- rale Logik des Kritischen Rationalismus sieht eine stete Annäherung an das >Wesen< der Welt vor, das niemals erreicht werden kaun. Die Annäherung ist aber dennoch von einem grundlegenden Optimismus geleitet: »[O]bwohl ich nicht glaube, daß wir jemals durch unsere allgemeinen Ge- setze ein letztes Wesen der Welt beschreiben können, so bezweifle ich doch nicht, daß wir danach streben, immer tiefer in die Welt oder, wie wir sagen können, in immer wesentlichere Eigenschaften der Welt einzudrin- gen.« Karl R. Popper: »Die Zielsetzung der Erfahrungswissenschaft«, in: Hans Albert (Hg.), Theorie und Realität, Tübingen: Mohr 1964, S. 73-86, hier S. 78. Eine Kausalaussage ist nach Poppers Auffassung in diesem Sin- ne überhaupt nicht überprüfbar. Sie ist deshalb keine wissenschaftliche Aussage und muss in jedem Fall als metaphysisch abgelehnt werden. V gl. Kurt Eberhard: »Die Kausalitätsproblematik in der Wissenschaftstheorie und in der sozialen Praxis«, in: Archiv fiir Wissenschaft und Praxis der so- zialen Arbeit 4 (1973), S. 118-131. 59 H. Riedel: Erforschung von Wirkungen, S. 53. Riedel beschreibt das Expe- riment als »die dem Empirismus verbundene Methode par excellence«. Ebd., S. 79. 60 WIRKUNG scientiarum (1620) zurückverfolgen.60 Im emphatischen und programma- tischen Sinne der erfahrungswissenschaftliehen Forschung, die dem ex- perimentellen Beobachter seinen aperspektivischen Standpunkt wieder zurückgeben möchte, kann dem Experiment die Rolle zugeschrieben werden, die »Wirklichkeit« dazu zu veranlassen »hervorzutreten«.61 Aber das Experiment macht nicht einfach Unsichtbares sichtbar, sondern hat die Eigenschaft, eine neue, vom menschlichen Beobachter kontrollierba- re Wirklichkeit zu erzeugen. Schon Bacon kann die Erkenntnis zuge- schrieben werden, dass mit dem Experiment »der traditionelle Naturbe- griff um den einer neuen, vom Menschen hervorgebrachten Natur erwei- tert war.«62 Kausalität muss also zuerst künstlich erzeugt werden, um sie dann in einer zweiten Natur den empiristischen Standards gemäß beob- achten zu können- eine zweite Natur, die in der institutionalisierten For- schung als Konstruktion unsichtbar gehalten wird und dann als erste Na- tur behandelt werden kann. Die Einführung des Experiments in die human- und sozialwissen- schaftliche Forschung steht also im Zusammenhang einer naturwissen- schaftlichen Fundierung, die für Comtes und Quetelets Programm maß- geblich ist. Diese Tendenz, die Forschung zunehmend zu quantifizieren, ihr damit ein naturwissenschaftliches Prestige zu verleihen und sie dabei von hermeneutisch-geisteswissenschaftlichen Wissensmodellen abzugren- zen, vollzieht sich auch in der Psychologie,63 die das Experiment zum epistemologischen Ort macht, an dem menschliches Verhalten als Wir- kung einer spezifischen Ursache sichtbar gemacht werden kann. Mit der Etablierung des ersten experimentalpsychologischen Labors durch Wil- helm Wundt in Leipzig 1879 gewinnt das empiristische Beobachtungs- konzept auch in der Psychologie Bedeutung.64 Das Experiment gilt von nun an in der Psychologie als Methode, die es dem Experimentator er- laubt, aktiv in das Geschehen einzugreifen und auf diese Weise Erkennt- nis zu erzeugen: »Experiments are particular ways of making observa- 60 Vgl. Jens Brockmeier/Johannes Rohbek: »Beobachten, Kalkulieren, Ein- greifen. Zusammenhänge zwischen Gesellschaftstheorie nnd Naturtheorie bei der Entstehnng der rechnend-experimentellen Wissenschaft im 17. Jahrhundert«, in: Peter Damerow/Wolfgang Lefevre (Hg.), Rechenstein, Experiment, Sprache. Historische Fallstudien zur Entstehung des exakten Wissens, Stuttgart: Klett-Cotta 1981, S. 171-221, hierS. 174. 61 Elisabeth Noelle-Neumann: »Die Rolle des Experiments in der Publizis- tikwissenschaft«, in: Publizistik 3 (1965), H. 10, S. 239-250, hier S. 240. 62 Christoph Meinel (Hg.): Instrument - Experiment. Historische Studien. Berlin, Diepholz: GNT-Verlag 2000, (Vorwort), S. 9. 63 Vgl. Edwin G. Boring: »The Beginning and Growth of Measurement in Psychology«, in: Harry Woolf (Hg.), Quantification. A History of the Meaning of Measurement in the Natural and Social Sciences, Indianapolis: Bobbs-Merrilll961, S. 108-127. 64 Vgl. Uwe Czienskowski: Wissenschaftliche Experimente: Plannng, Aus- wertung, Interpretation, Weinheim: Belz 1996, S. 14. 61 AGGRESSIVE MEDIEN tions. An experiment differs from other research methods in that the ex- perimenter has some degree of control over the variables involved and the conditions under which the variables are observed.«65 Die Objektivierung der Gesellschaft, die sich als Ausstreichung der Beobachterperspektive beschreiben lässt, hat in den sozialstatistischen Positivitäten des 19. Jahrhunderts eine entscheidende Implikation: Sie hält, indem sie die Individualität des Beobachters ausblendet, die Macht- politik der Forschung unsichtbar. Das Objektivitätsideal blendet aus, dass auch der Sozialstatistiker nur in einer bestimmten Perspektive beobach- ten kann und dass dies die Richtlinie für seine kontrollierende Klassifika- tion der Bevölkerung installiert. Um die Mitte des 20. Jahrhunderts bildet sich innerhalb der Experi- mentalpsychologie ein epistemologisches Programm heraus, das diesem Objektivitätsideal zu entsprechen versucht. Dieses Programm bemüht sich, an die Methoden der Statistik und der Wahrscheinlichkeitstheorie anzuschließen und sie in einem experimentellen Setting geltend zu ma- chen. Der Beobachter wird im Zuge einer statistischen Kalkulation aus dem psychologischen Experiment wieder >hinausgerechnet<. Diese Kom- bination von Statistik und Experiment wird im Folgenden in einem ersten Schritt verhandelt. Das statistisch berechnete Experiment liefert, wie zu sehen sein wird, eine Möglichkeit, den Beobachter von Kausalität un- sichtbar zu halten, produziert aber nur ein sehr schwaches Konzept von wahrscheinlichkeitstheoretisch erschlossener> Wirkung<. Wenn im Folgenden die historische Chronologie verlassen und in ei- nem zweiten Schritt ein gegenläufiges epistemologisches Programm ver- handelt wird, das bereits zu Beginn des 20. Jahrhunderts in der psycholo- gischen Forschung Geltung gewinnt, so ist dies von einer Hypothese geleitet, die für die weiteren Ausführungen grundlegend ist: Die Schwie- rigkeit, Wirkung als empirisch messbare Größe zu plausibilisieren, ver- anlasst Projekte, die Medienwirkung kontrollierbar zu machen versuchen, auf epistemologische Programme zurückzugreifen, die zwar möglicher- weise im Widerspruch zum Ideal der empirisch-objektiven Messung stehen, die jedoch attraktive Konzepte einer starken >Wirkung< sichtbar machen. Bei dem sicherlich einflussreichsten dieser >alternativen< Programme handelt es sich um den Behaviorismus. Diese psychologische Richtung wird daher am Ende dieses Kapitels ausführlicher behandelt. Dem Beha- viorismus ist in keiner Weise an der Latenz des kontrollierenden Anteils der Sozialforschung gelegen, sondern er macht die Kontrolle zu einem zentralen Verfahren seiner Wissenschaftslehre. In den Projekten des Be- haviorismus spielt die Statistik nur eine marginale Rolle. Einerseits be- müht sich der Behaviorismus nicht nur, so weit wie möglich dem positi- 65 Allen L. Edwards: »Experiments. Their P1anning and Execution«, in: Gard- ner Lindzey (Hg.), Handbook of Socia1 Psycho1ogy, Bd. 1, Theory and Method, Cambridge/MA: Addison-Wes1ey Pub1ishing 1954, S. 259-288, hier S. 260. 62 WIRKUNG vistischen Ideal und seinen Objektivitätsanforderungen zu genügen, son- dern dieses noch radikal zuzuspitzen- eine Bemühung, die sich im para- doxen Entwurf eines kontrollierenden aperspektivischen Beobachters niederschlägt. Der behavioristische Beobachter setzt sich jedoch anderer- seits, auch wenn er noch so sehr auf seine Objektivität und seine Be- schränkung auf das Beobachtbare verweist, dem Verdacht aus, dem Ide- al einer entsubjektivierten Forschung, wie sie die Sozialstatistik des 19. Jahrhunderts propagiert hat, nicht zu genügen. Seine deterministischen Reiz-Reaktions-Vorstellungen rücken den Behaviorismus in die Nähe ei- nes ideologischen Programms, in dem Zufall, Unsicherheit und Wahr- scheinlichkeit -jene zentralen Aspekte der sozialstatistischen Positivitä- ten - keinen Platz haben. Es gelingt dem Behaviorismus jedoch - und das macht ihn für Projekte der Medienwirkungskontrolle so attraktiv - eindeutige Kausalaussagen zu formulieren. Die Installation statistischer Methoden in der Experimentalpsycholo- gie beginnt sich in den 1940er Jahren durchzusetzen: »Der große Durch- bruch geschah zwischen 1940 und 1955 mit statistischen Methoden, wel- che den Schluß von Daten auf Hypothesen ermöglichen sollten.«66 Die sogenannte >Inferenzstatistik< oder auch >schließende Statistik< wird da- mit zur zentralen Methode der experimentellen Psychologie.67 Die statis- tisch schließende Experimentalpsychologie greift auf Methoden zurück, die in der Agrarwissenschaft entwickelt wurden, um Fragen der Düngung von Feldern zu klären: »Verursacht ein bestimmter Dünger kausal eine Ertragssteigerung bei einer bestimmten Getreidesorte? [ ... ]Welches Sys- tem von Durchschnittswerten kann öffentlich und objektiv nachweisen, daß es sich so verhält, ohne daß die Antwort eine bloße Meinungsäuße- rung ist?«68 In den agrarwissenschaftliehen Versuchen, diese Fragen über wahrscheinlichkeitstheoretische Berechnung zu beantworten, die maß- geblich der englische Statistiker Ronald A. Fisher unternommen hat,69 fallt das akribische Bemühen auf, den Beobachter so weit wie möglich aus dem Experiment verschwinden zu lassen und es auf diese Weise dem 66 G. Gigerenzer u.a.: Reich des Zufalls, S. 227. 67 Gerd Gigerenzer und David J. Murray haben diesen historischen Vorgang als >lnference Revolution< bezeichnet. Vgl. dies.: Cognition as Intuitive Statistics, Hillsdale/NJ, London: Lawrence Erlbaum 1987. Das gegenwär- tig gängige Lehrbuch Statistik für Sozialwissenschaftler von Jürgen Bortz präsentiert die Inferenzstatistik neben der deskriptiven Statistik als zentra- len Anwendungsbereich des statistischen Kalkulierens in der Sozialfor- schung. Vgl. ders.: Statistik für Sozialwissenschaftler, Berlin u.a.: Springer 51999, s. 12. 68 G. Gigerenzer u.a.: Reich des Zufalls, S. 95. 69 Nach Gigerenzer u.a. ist Fisher der »H auptarchitekt der neuen Theorie der Planung und Auswertung von Experimenten«. Fishers einflussreichste Bü- cher zur Inferenzstatistik sind: Statistical Methods for Research Workers (1925) und The Design of Experiments (1935). Vgl. dies.: Reich des Zu- falls, S. 95. 63 AGGRESSIVE MEDIEN sozialstatistischen Objektivitätsideal zu unterwerfen. Zwei Aspekte der Fisher'schen Methodik zur Messung von Kausalität sind hierfür beson- ders aufschlussreich: die Randomisierung und der Signifikanztest.70 Die Randomisierung ist eine Methode der Planung von Experimen- ten, die sich erst in den 1930er Jahren durchsetzt, aber schon Vorläufer in parapsychologischen Experimenten des 19. Jahrhunderts -insbesondere in der Telepathieforschung- hat. 71 Die Methode wird in vergleichenden Experimenten angewandt, um zu vermeiden, dass der Experimentator bei der Auswahl der Versuchspersonen - oder im genannten Beispiel: der Ackerparzellen - nicht subjektiv beeinflusst entscheidet, welche Perso- nen (Parzellen) behandelt (gedüngt) werden sollen und welche keine Be- handlung erfahren und so zur Kontrolle der Versuchsergebnisse dienen: »Vergleichende Experimente zu randomisieren bedeutet, nicht einfach willkürlich, sondern durch einen >physikalischen experimentellen Pro- zess< wie den Wurf einer Münze die Zuteilung der Behandlung zu bestimmen«.72 Über Randomisierung soll eine im Vergleich zur willkür- lichen Auswahl des Experimentators andere »Kausalmatrix« eingeführt und so eine beobachterunabhängige Objektivität erreicht werden.73 Die Entscheidung, welche Versuchsgruppe einer Behandlung ausgesetzt wird und welche nicht, bleibt also dem Zufall überlassen - der beobachtende Experimentator ist aus diesem Prozess ausgeschlossen.74 70 Die mathematisch-statistischen Implikationen können hier nur sehr ver- kürzt dargestellt werden. V gl. genauer: J. Bortz: Statistik, insbesondere Kapitel 4: »Formulierung nnd Überprüfung von Hypothesen«, S. 107-131 und Kapitel 6: »Verfahren zur Überprüfnng von Zusammenhangshypothe- sen«, S. 173-227; kontrastiv hierzu, weil die historischen Differenzen dar- gestellt werden, die Bortz ausblendet: G. Gigerenzer u.a.: Reich des Zu- falls, S. 114-128. 71 Hacking hat gezeigt, dass auch in diesem Randgebiet des Wissenschafts- systems zentrale Experimentalmethoden ausgehandelt wurden. Im 19. Jahr- hnndert hat insbesondere der französische Physiologe Charles Richet posi- tivistische Standards der Zeit fiir seine Telepathie-Experimente fruchtbar gemacht nnd Methoden der Wahrscheinlichkeitstheorie in experimentellen Settings zum Einsatz gebracht. Vgl. Ian Hacking: »Telepathy: Origins of Randomization in Experimental Design«, in: Isis 79 (1988), S. 427-451. 72 G. Gigerenzer u.a.: Reich des Zufalls, S. 96. 73 Ebd., S. 97. 74 Eine Steigernng erfahrt die Methode der Randomisierung durch den- eben- falls schon im 19. Jahrhnndert diskutierten- so genannten Blindversuch, bei dem der Experimentator auch während des Versuchs nicht weiß, wel- che Personen/welches Feld behandelt/gedüngt werden. In der Psychologie und der Medizin kann der Blindversuch durch den >Doppelblindversuch< insofern gesteigert werden, dass zudem die untersuchten Personen nicht wissen, ob sie eine Behandlnng bekommen oder nicht. Ebd., S. 109f. 64 WIRKUNG Noch deutlicher wird der Ausschluss des Beobachters im Verfahren des Signifikanztests. Diese inferenzstatistische Methode kann als Beitrag dazu gesehen werden, Kausalität zu berechnen und auf diese Weise zu behaupten, sie wäre von Beobachterleistungen unabhängig. In verglei- chenden Experimenten geht es statistisch gesehen um eine besondere Form der Korrelationsanalyse: Es wird getestet - um im agrarwissen- schaftliehen Beispiel zu bleiben-, ob ein bestimmter Dünger eine positi- ve Wirkung auf das Wachstum einer Getreidesorte hat. Nach Fishers the- oretischem Entwurf muss der Experimentator nun versuchen, die soge- nannte >Nullhypothese< zu widerlegen, dass der Dünger keine Wirkung hat. 75 Der Beweis einer Kausalhypothese ist nach Fishers Auffassung nicht möglich, nur die Widerlegung der gegenteiligen Behauptung. Der Signifikanztest sieht nicht vor, Hypothesen einen bestimmten Wahr- scheinlichkeitsgrad zuzuordnen, sondern er macht es nur möglich, die Unsicherheit von Hypothesen in Anbetracht der gemessenen Daten pro- babilistisch auszudrücken. Fishers Signifikanztest ist also ein »schwa- ches Argument«, das nur die mangelnde Plausibilität der Nullhypothese nahe legen kann.76 In einem Signifikanztest berechnet der experimentelle Beobachter auf der Grundlage seiner gemessenen und aufgelisteten Daten- im Bei- spiel wäre dies das beobachtete Pflanzenwachstum in den gedüngten und ungedüngten Feldern -, wie wahrscheinlich es ist, dass die Hypothese >Der Dünger hat keine Wirkung auf das Pflanzenwachstum< nicht zu- trifft. Um die Nullhypothese zu widerlegen muss ihre Wahrscheinlichkeit also möglichst gering sein. Die Grenze, die dieser Wert nicht überschrei- ten darf, wird in Fishers Experimenttheorie- und in der Folgezeit in den statistischen Lehrbüchern der Sozialwissenschaften bis in die Gegenwart - als >Signifikanzniveau< bezeichnet. Ein Vergleich der errechneten Wahrscheinlichkeit der Nullhypothese mit dem Signifikanzniveau zeigt, ob das Ergebnis der Untersuchung signifikant oder nicht signifikant ist. Wichtig ist hierbei: Der maximal tolerierte Grenzwert ist kein auf die Beobachtung von Daten zurückführbares Ergebnis, sondern wird nach Fisher in der probabilistischen Rechenoperation einfach festgelegt: »Bei welchem Signifikanzniveau der Daten eine Nullhypothese verworfen wird - anders gesagt, was als ein >signifikantes< Ergebnis gilt - ist nicht eine Frage der Logik des Experiments, sondern seiner Pragmatik.«77 Die Ablehnung einer Nullhypothese auf der Grundlage eines Signifi- kanztests bedeutet nach Fisher noch keine Akzeptanz der Hypothese, dass der Dünger eine Wirkung habe. Eine Aussage hierüber kann nur durch mehrere signifikante Ergebnisse in verschiedenen Experimenten getroffen werden. In seiner Studie The Design of Experiment unterschei- det Fisher »die Durchführung von Signifikanztests von dem Nachweis ei- 75 Vgl. ebd., S. 98. 76 Ebd., S. 116. 77 Ebd., S. 101. 65 AGGRESSIVE MEDIEN nes Naturphänomens.«78 Gerrau diese Unterscheidung wird aufgehoben, wenn Fishers an Beispielen der Agrarwissenschaft gewonnene Theorie Eingang in die sozialwissenschaftliehen Lehrbücher findet, »welche die Theorie befreit vom Aroma der Landwirtschaft präsentieren: also ohne Ferkelgewicht, Bodenfruchtbarkeit und die Wirkung von Dung auf das Kartoffelwachstum.«79 In psychologischen und soziologischen Lehrbü- chern wird Mitte der 1950er Jahre der Gebrauch von Signifikanztests nicht mehr zur Widerlegung von Nullhypothesen, sondern zur Überprü- fung von Kausalhypothesen fest etabliert. Dabei mischen die Lehrbuch- autoren Fishers Konzepte mit konkurrierenden mathematischen Model- len, in denen Einwände gegen den Signifikanztest formuliert wurden, 80 zu einem » Theorieeintopf« des statistischen Schließens, mit dem Psycho- logie- und Soziologiestudenten Statistik »als eine abstrakte Wahrheit, als die Logik induktivenSchließensaus einem Guß« beigebracht wird. 81 An- statt die Wahrscheinlichkeit der Nullhypothese zu verhandeln, lehren Statistikbücher bis in die Gegenwart, in Signifikanztests werde die »Irr- tumswahrscheinlichkeit«82 der zugrunde liegenden Hypothese (Dünger hat eine Wirkung) festgestellt. Je kleiner die Irrtumswahrscheinlichkeit, desto eher kann- in dieser nun gängigen und etablierten Version des sta- tistischen Schließens - eine auf ein Experiment bezogene Hypothese der Art >x hat ein Wirkung aufy< akzeptiert werden. Die Grenze, die ein Er- gebnis nicht überschreiten darf, um noch als signifikant zu gelten - das Signifikanzniveau - beschreiben statistische Lehrbücher nicht als Kalku- lation, sondern als Übereinkunft. In den Sozialwissenschaften hat sich durchgesetzt, das Signifikanz- niveau auf fünf Prozent oder sogar auf ein Prozent festzulegen. 83 Statisti- sehe Signifikanz eines Wirkungsexperiments wird dadurch gleichbedeu- tend mit seiner wissenschaftlichen Qualität: je signifikanter das Ergebnis, desto zuverlässiger seine Aussage über die Kausalität des untersuchten Zusammenhangs. Nichtsignifikanz wird zum Zeichen für ein schlecht durchgeführtes Experiment, entsprechende Ergebnisse werden deshalb überhaupt nicht veröffentlicht. Die Übersetzung agrarwissenschaftlicher Konzepte in sozialwissenschaftliche Lehrbücher blendet zahlreiche Fra- gen aus, vereinfacht und homogenisiert. Ob statistische Modelle, die für agrarwissenschaftliche Fragen entwickelt wurden, überhaupt geeignet sind, um Anwendung in sozialwissenschaftliehen Experimenten zu fin- den, steht nicht mehr zur Diskussion. 84 78 Vgl. ebd., S. 118f., Zitat: S. 119. 79 Ebd., S. 228. 80 V gl. zu den Korrekturen und Verbesserungen, die Egon S. Peason und Jer- zey Neyman an Fishers Signifikanztest vorzunehmen meinten, ebd., S.120- 128. 81 Ebd., S. 129. 82 J. Bortz: Statistik, S. 12. 83 Vgl. ebd. 84 Vgl. G. Gigerenzeru.a.: Reich des Zufalls, S. 130f. 66 WIRKUNG Über diese Homogenisierungen und Modifizierungen der Lehrbü- cher hinaus installiert die Inferenzstatistik eine Möglichkeit, Kausalität fast vollständig von Beobachterleistungen unabhängig zu machen. Beob- achtet und gemessen werden nur die Daten. Auf deren Grundlage wird dann Kausalität zugeschrieben, wenn die Wahrscheinlichkeit eines Irr- tums in dieser Zuschreibung möglichst gering ist. Kausalität ist damit weder ein metaphysisches Konzept noch die Verknüpfungsleistung eines empiristischen Beobachters, sondern eine Leerstelle, die allein über eine geringe Irrtumswahrscheinlichkeit bestimmt wird. Die Kombination von Statistik und Experiment scheint in den inferenzstatistischen Experimen- ten positivistische Objektivierung und Kontrolle von Kausalität gleicher- maßen zu erreichen. Jedoch ist auch jede noch so positivistische Statistik- wie gesehen- eine Form der Klassifizierung und subtilen, unsichtbaren Determinie- rung. Der Einzug der Statistik in die Experimentalpsychologie hält dem- nach einen entscheidenden Aspekt unsichtbar: die Kontrolle des Beob- achters. Tatsächlich geht es aber um kontrollierte Kausalität in Ausblen- dung der Kontrolle. Die Übersetzungsleistung der statistischen Lehrbücher ist ein Teil dieser Unsichtbarmachung, wenn sie die Statistik als objektive Methode zur Berechnung von kausalen Wahrscheinlichkeiten beschreibt und die kontroverse Herleitung der zugrunde liegenden mathematischen Konzepte ausblendet. Mit dem Einzug statistischer Methoden der Quantifizierung in das psychologische Labor wird auch das individuelle Untersuchungssubjekt gegen ein Kollektivsubjekt ausgetauscht. Dieses führt die sozialstatisti- schen Implikationen der Determinierung und Klassifizierung von Subjek- ten mit sich. Indem die Versuchsperson im psychologischen Experiment ab Mitte des 20. Jahrhunderts als Durchschnitt einer statistischen Popula- tion errechnet wird, können Laborergebnisse leichter generalisiert und auf die zugrunde gelegte Grundgesamtheit außerhalb des Labors hochge- rechnet werden. 85 Dem Experiment ist es damit gelungen, die Prozeduren seiner Herstellung von Kausalität in seinen probabilistischen Rechenope- rationen zu invisibilisieren und damit dem positivistischen Objektivitäts- ideal anzunähern. Analog zur Exklusion des Individuums aus dem statis- tischen Wissen in der Soziologie wird das Individuum dabei irrelevant. Die Subjektkonstruktion wird dem statistischen Durchschnittswert un- terworfen. 86 Die statistische Experimentalpsychologie zahlt für die Objektivie- rung ihrer Kausalitätsmessung darüber hinaus einen Preis, der nicht ge- ring zu veranschlagen ist: Sie verfügt nicht über den Charme, klare Aus- sagen zur Vorhersage und Kontrolle menschlicher Reaktionen - gedacht als >Wirkungen< -machen zu können. Ihr gelingen im Idealfall probabi- 85 V gl. Kurt Danziger: Constructing the Subject. Historical Origins of Psy- chological Research, Cambridge u.a.: Cambridge University Press 1990, S. 88. 86 Vgl. ebd., S. 94. 67 AGGRESSIVE MEDIEN listischeAussagen von der Art: Die Hypothese >x hat eine Wirkung auf y< ist signifikant zutreffend, das heißt ein Irrtum in dieser Hypothese ist signifikant unwahrscheinlich. Während im 19. Jahrhundert noch keine Möglichkeit bestanden hätte nachzuweisen, ob die Gewalttätigkeit eines Mediennutzers kausal mit seinem Medienkonsum zusammenhängt, weil Kausalaussagen in statistisch-positivistischen Epistemologien keinen Platz haben, ist um die Mitte des 20. Jahrhunderts die empirische Sicht- barmachung möglich, aber prekär: Wenn sich die kontrollierte Kausalität als >reine Wissenschaft< präsentiert und ihren Einsatz von Kontrolle so weit wie möglich ausblendet, sieht sie sich mit dem Unvermögen kon- frontiert, eindeutige Kausalaussagen zu formulieren. Es leuchtet ein, dass eine anwendungsorientierte Psychologie Wirkung mit einer größeren Ein- deutigkeit behaupten muss und sich daher - zumindest zunächst - eher das Programm des Behaviorismus zu nutze macht. Die genealogischen Spuren des Behaviorismus können bis in die Evolutionstheorie Charles Darwins, in Rene Descartes mechanistische Konzeption des Handlungsreflexes oder in die physiologischen Reiz- Reaktions-Tests Ivan Pavlovs zurückverfolgt werden. 87 Der Beginn der behavioristischen Psychologie im engeren Sinn lässt sich jedoch an dem >Gründungsmanifest< »Psychology as the Behaviorist Views It« festma- chen, das John Watson 1913 in der Zeitschrift Psychological Review ver- öffentlicht. 88 In diesem engeren Sinn handelt es sich um ein weitgehend auf die USA konzentriertes und auf die erste Hälfte des 20. Jahrhunderts datierbares, aber keineswegs einheitliches89 Forschungsprogramm, das für einige Jahrzehnte eine dominante Position in der psychologischen 87 Vgl. Robert Boakes: From Darwin to Behaviorism, Cambridge: Cambridge University Press 1984, S. 2-8, S. 85-89 u. S. 110-135. 88 Watson gilt als >Gründungsvater< des Behaviorismus. Vgl. David Cohen: J.B. Watson: The Founder of Behaviourism. A Biography, London, Bos- ton, Henley: Routledge & Kegan Paul 1979. Bei den Psychological Re- views handelt es sich um die renommierte Fachzeitschrift der American Psychological Association, deren erster Jahrgang 1894 erschienen ist. Der Artikel war derart einflussreich, dass Watson schon zwei Jahre später zum Präsidenten der Association gewählt wurde. Vgl. Bemard J. Baars: The Cognitive Revolution in Psychology, New York: Guilford Press 1986, S. 41. 89 William O'Donohue und Richard F. Kitchener weisen darauf hin, dass zu Unrecht von dem Behaviorismus die Rede ist, und widmen ihre Aufsatz- sammlung den unterschiedlichen Behaviorismen von John Watson, Edward C. Tolman, Clark L. Hull, Burrhus F. Skinner, ja sogar von Ludwig Witt- genstein, Gilbert Ryle oder Willard Van Orman Quines. Vgl. William O'Donohue/Richard Kitchener (Hg.): Handbook of Behaviorism, San Die- go/CA, London: Academic Press 1999. 68 WIRKUNG Forschung der USA eingenommen hae0 und bis heute virulent ist.91 In der viel zitierten Eingangspassage des programmatischen und polemi- schen Artikels legt Watson das neue Forschungsprogramm fest: »Psychology as the behaviorist views it is a purely objective experimental branch of natural science. Its theoretical goal is the prediction and control of behavior. Introspection forms no essential part of its methods, nor is the scien- tific value of its data dependent upon the readiness with which they lend them- selves to interpretation in terms of consciousness. The behaviorist, in his efforts to get a unitary scheme of animal response, recognizes no dividing line between man and brute. The behavior of man, with all of its refinement and complexity, forms only apart of the behaviorist's total scheme of investigation.«92 Watson konzeptioniert die Psychologie hier nicht in Anlehnung an ein naturwissenschaftliches Wissenschaftsideal - er behauptet, die Psycholo- 90 Baars gibt folgende anschauliche Beschreibung dieser Dominanz: »Beha- viorists taught two generations of American psychologists to lower their voices when speaking of >purpose< or >experience,< >knowledge,< >think- ing,< or >imagination.< These words were effectively taboo, along with the rest of the connnonsense vocabulary that applies to human beings. [ ... ] In America, almost all scientific joumals in psychology were controlled by behaviorists, and tenure and promotion in most American universities were conditional upon at least an outward obedience to behavioristic method.« B. Baars: Cognitive Revolution, S. 52. 91 Auch weun häufig das Ende des Behaviorismus durch die >kognitive Revo- lution< in der Psychologie, die das menschliche Bewusstsein wieder zum Forschungsgegenstand macht, postuliert wird (vgl. B. Baars: Cognitive Re- volution), ist sein Einfluss insbesondere in der anwendungsorientierten Psychologie bis heute ungebrochen. Vgl. W. O'Donohue/R. Kitchener: Handbook of Behaviorism (Introduction), S. lüf. Nach O'Donnohue und Kitchener ist das Ende des Behaviorismus ein Mythos, seine Hegemonie sei durch die kognitive Revolution aber irrfrage gestellt. Vgl. ebd., S. 7. Nachdem der Behaviorismus ab Mitte des 20. Jahrhunderts den Status der einflussreichsten psychologischen Richtung der Kognitionspsychologie ab- treten muss, werden die behavioristischen Postulate in ihrer radikalsten Form vor allem durch Burrhus F. Skiuner weitergeführt. Vgl. ders.: About Behaviorism, London: Knopf 1974. Vgl. zu jüngeren Auseinandersetzun- gen mit Skiuners Behaviorismus James T. Todd/Edward K. Morris: Mod- em Perspectives on B.F. Skiunerand Contemporary Behaviorism, West- port/CT, London: Greenwood 1995. 92 John B. Watson: »Psychology as the Behaviorist Views It«, in: Psycho- logical Review 20 (1913), H. 2, S. 158-177, hier S. 158. Vgl. zur Analyse dieser Eingangspassage Edward K. Morris/James T. Todd: »Watsonian Behaviorism«, in: O'Donohue/Kitchener (Hg.), Handbook of Behaviorism (1999), S. 15-69, hier S. 32-45. 69 AGGRESSIVE MEDIEN gie sei eine Naturwissenschaft, deren prinzipiellen93 Ziele darin bestehen, das Verhalten der Lebewesen, unabhängig davon, ob es sich um Tiere oder Menschen handelt,94 vorherzusagen und zu kontrollieren. Ein zentrales Stichwort, dass die Polemik des Artikels deutlich als Abgrenzungsgestus herausstellt und an dem sich zeigen lässt, inwiefern Watson mit seiner neuen Psychologie ein objektivistisches Beobach- tungsideal einführt, ist das der Introspektion. Die auch als >subjektive Beobachtung< bezeichnete Forschungsmethode95 wird zur Zeit des beha- vioristischen Manifests - möglicherweise zu unrecht96 - mit der deut- schen Psychologie des 19. Jahrhunderts in Verbindung gebracht, von der die frühe amerikanische Psychologie wichtige Impulse erhalten hat, aber sich mehr und mehr abzugrenzen beginnt. Ein zentraler Aspekt der Introspektion, gegen den sich die Kritik der Behavioristen richtet, ist, dass sie nur von geschulten Beobachtern durchgeführt werden kann: Es handelt sich um »trained introspection by special observers«.97 Nur wer psychologische Kenntnisse und in der Methode der Introspektion Übung hat, ist auch in der Lage, sich selbst zu beobachten; die subjektive Be- obachtung ist eine Methode, die »dem Durchschnittsmenschen nicht leichtflillt«, die also noch stark auf die Individualität des Beobachters setzt. Außerdem ermöglicht sie keinen intersubjektiven Austausch der Forschenden, da »sich ihr Bericht nicht nachprüfen läßt«98 und die unter- schiedlichen Ergebnisse der Introspektion den Verdacht erwecken, sie 93 So die Lesart von >theoretical< durch E. Morris/J. Todd (»Watsonian Be- haviorism«, S. 33): »By theoretical, Watson presumably meant in princi- ple, because prediction and control were not always achievable in prac- tice.« 94 Im Hintergrund dieser Argumentation steht eine biologische und psycholo- gische Forschungsentwicklung, die seit Darwin die Unterschiede zwischen menschlichem und tierischem Verhalten nur graduell bestimmt und davon ausgeht, die mentalen Prozesse von Menschen seien auch über die Unter- suchung von Tieren zu erfassen. Vgl. R. Boakes: From Darwin, S. 21. Watson hat bezeichnenderweise den ersten PhD in Tierpsychologie, der in den USA vergeben wurde, erworben. Vgl. B. Baars: Coguitive Revolution, s. 43. 95 Vgl. C. Sanders: Behavioristische Revolution, S. 44. 96 In der Perspektive von Baars wurde die Methode der Introspektion aus amerikanischer Sicht insbesondere mit der Wundtschen Psychologie identi- fiziert, was aber eine starke Verkürzung sei. Vgl. ders.: Cognitive Revolu- tion, S. 30f. Da es hier weniger um historische Richtigkeit als um die Stra- tegie geht, die den Blick auf die Regeln des psychologischen Diskurses lenkt, ist hier die Abgrenzungsbewegung der amerikanischen Psychologen durchaus ernst zu nehmen. 97 Ebd., S. 32. 98 C. Sanders: Behavioristische Revolution, S. 44. 70 WIRKUNG verhielten sich different zur physikalischen W elt.99 Damit unterscheidet sich die Experimentalpsychologie des 19. Jahrhunderts von anderen Dis- ziplinen und verfehlt so ihr naturwissenschaftliches Idealbild: »Dieser nur schwer unter Kontrolle zu bringende Faktor existiert in anderen Wis- senschaften nicht.«100 Aus der Sicht des Behaviorismus, der ein enges Konzept von Nachprütbarkeit zugrunde legt, ist die Psychologie von wissenschaftlicher >Objektivität< noch weit entfernt. 101 Hier verlangt das behavioristische Programm eine grundlegende Än- derung. Dies geschieht, indem es die positivistische Orientierung, die sich in der Soziologie schon durchgesetzt hat, in sein Wissenschaftskon- zept inkorporiert. Für den Behaviorismus ist der Positivismus »the source of the >principle< by which subjective formulations could be generally replaced with objective ones, both in comparative psychology and throughout psychology.«102 Der Behaviorismus vollzieht diese Entsub- jektivierung der Psychologie durch eine Reduktion auf das für den Beob- achter Sichtbare. Nur was den Blicken eines externen Beobachters zu- gänglich ist, kann zum Gegenstand der Forschung werden, alles andere wird aus dem Bereich der Forschungsgegenstände exkludiert. Die Beha- vioristen weisen jede Erforschung von >inneren< psychischen Prozessen, jede Studie des >Bewusstseins< als undurchführbar zurück und erklären allein die externen Manifestationen, also das tierische oder menschliche Verhalten, zum Untersuchungsbereich der Psychologie. 103 Beobachtung meint hier also eine radikal externe Perspektive und formuliert damit ein 99 »Are introspective reports >privilegedPsychophysik<. Vgl. B. Baars: Cognitive Revolution, S. 29. 102 Brian D. Mackenzie: Behaviourism and the Limits of Scientific Method, Atlantic Highlands/NJ: Humanities Press 1977, S. 96. Als epistemologi- sche Grundlage des Behaviorismus wäre noch der amerikanische Prag- matismus zu nennen. Diese empiristische Philosophie war insbesondere an der Universität Chicago einflussreich, an der Watson seine behavioris- tischen Forschungen beginnt. Vgl. hierzu Klaus-Jürgen Bruder: Psycho- logie ohne Bewußtsein. Die Geburt der behavioristischen Sozialtechno- logie, Frankfurt/Main: Suhrkamp 1982. 103 Vgl. B. Baars: Cognitive Revolution, S. 21. 71 AGGRESSIVE MEDIEN leicht modifiziertes Objektivitätskonzept Der Behaviorismus fügt der Ortlosigkeit des Beobachters das Versprechen hinzu, er sei in keiner Weise von seinem beobachteten Gegenstand kontaminiert, er sei sogar so strikt von ihm getrennt, dass kein psychologisches Spezialwissen, kein Wissen eines Insiders nötig ist, um die Untersuchung durchzuführen. 104 Während das Objektivitätsideal der Sozialstatistik das Individuum auf beiden Seiten des Forschungsprozesses ausstreicht, scheint der Beha- viorismus noch weiter zu gehen, indem er den Beobachter und das Beob- achtete auf registrierende bzw. auf bestimmte Weise reagierende Ma- schinen reduziert. 105 Es scheint klar zu sein, dass deterministische Vorstellungen von Ur- sache und Wirkung in dieser radikal-positivistischen Wissensordnung nicht gedacht werden können. Umso überraschender ist es, dass sich apriorische Kausalitätsvorstellungen doch in das behavioristische Pro- gramm einschleichen. Der Behaviorismus schließt in seiner Konzeption von Kausalität an Pavlovs physiologische Experimente mit Tieren zum konditionierten Reflex an, in denen gezeigt wurde, dass der Experimenta- tor einen Reiz (Stimulus) mit einer bestimmten Reaktion (Response) des Versuchstiers in Verbindung bringen kann. 106 Behavioristische Projekte 104 »The peculiarity of scientific psychology is [ ... ] that scientists are con- ducting their research as observers, standing outside their subject matter, even as each scientist is ultimately an insider to the subject matter of psy- chology. Watson's solution to this dilemma was radical: let us pretend that we are ultimate outsiders, that we are studying animals and people only as bodies moving through space. In Watson's view, then, there is no room in psychology for anything that cannot be extemally observed: no room for consciousness, purpose, thought, meaning, feelings, imagery, self, and the like.« Ebd., S. 43. 105 Eine Vorgeschichte dieser Form der Reduktion lässt sich in Untersu- chungen tierischen Verhaltens durch Jacques Loeb und Herbert Spencer Jennings um 1900 sehen. Beide Forscher vertreten eine »extreme Form des Reduktionismus, d.h. das Bestreben, psychologische Probleme auf physiologische und sogar auf physikalisch-chemische Fragen zurückzu- fiihren.« C. Sanders: Behavioristische Revolution, S. 27. 106 Watson beruft sich vorrangig auf ein berühmtes Experiment Pavlovs. Ausgangspunkt ist, dass Futter bei einem Hund Rezeptoren im Mund an- regt und so zur Speichelsekretion fiihrt. Im Verlauf des Experiments wird jede Fütterung des Hundes von einem Lichtsignal begleitet. Es stellt sich heraus, dass nach einiger Zeit der Hund auch dann Speichel absondert, weun er nur durch das Lichtsignal stimuliert wird, ohne anschließend ge- futtert zu werden: »Ein bedingter Reflex hat sich ausgebildet. Bezeichnet man das Licht als Reiz A, das Futter als Reiz B und die Speichelabsonde- rung als Reaktion R, dann wirkt A im ursprünglichen Reflex B-R als Er- satz fiir B, und man erhält den bedingten Reflex A-R.« C. Sanders: Beha- vioristische Revolution, S. 66. 72 WIRKUNG konzipieren Kausalität dementsprechend in Analogie zu Reflexsequen- zen, wobei sie von >Stimulus< anstelle von >Ursache< und >Response< an- stelle von >Wirkung< sprechen. Sie nehmen radikal Abstand von der Vor- stellung, es gäbe innere Ursachen, die das Verhalten beeinflussen: »Behaviorism rejects putative intemal causes - particularly human agency - and instead focuses on extemal, environmental relations with behavior. All be- havior is assumed to be lawfully related to the environment. This extemalism heightens the objectivity ofthe science ofhuman behavior by placing causes in the observerable environment.« 107 Diese Umbenennung hat entscheidende Konsequenzen, denn sie hält den metaphysischen Aspekt unsichtbar, der auch dann impliziert ist, wenn Verhalten als determinierbar durch externe Stimuli gedacht wird. Statt- dessen wird behauptet, man spräche allein von empirischen und d.h. be- obachtbaren Prozessen, Kausalität wird als »empirical discovery« her- ausgestellt - »as if psychologists in their laboratories had finally found the real causal relationships between perception and action.«108 In das positivistische Programm radikaler Objektivität hat sich ein Essentialis- mus eingeschlichen: Kausalität ist zur empirischen >Realität< geworden, die nicht nur beobachtbar ist, sondern vom Experimentator auch aktiv zum Einsatz gebracht werden kann, um gewünschte Reaktionen bei Ver- suchstieren oder -menschen auszulösen. Die radikale Reduktion des Beobachters auf eine registrierende Ma- schine geschieht also nur vorgeblich und ist der behavioristischen Pro- grammatik geschuldet. Wie Watson in der Eingangspassage seines Mani- fests offen legt, ist >prediction and control< das zentrale Ziel der behavio- ristischen Forschung. Das deterministische Implikat des Stimulus-Re- sponse-Modells lässt auch den Experimentator zu einem determinieren- den, kontrollierenden Beobachter werden. Dieser kann - so die grund- sätzliche Annahme - Reize/Ursachen gezielt einsetzen, um gewünschte Reaktionen/Wirkungen zu erzielen, bzw. er ist in der Lage vorherzusa- gen, welche Reaktionen Versuchspersonen zeitigen, wenn bestimmte Stimuli zum Einsatz gebracht werden. Bezeichnend für die beängstigen- de und diabolische Macht des Experimentators, die der radikale Behavio- rismus postuliert, ist folgende >berühmte< Aussage Watsons: »Give me a dozen healthy infants, well-formed and my own specified world to bring them up in and 1'11 guarantee to take any one at random and train him to become any type of specialist I might select- doctor, lawyer, artist, merchant- 107 W. O'Donohue/R. Kitchener: Handbook of Behaviorism (Introduction), s. 4. 108 B. Baars: Cognitive Revolution, S. 50. 73 AGGRESSIVE MEDIEN chief and, yes, even beggar-man and thief, regardless of his talents, penchants, tendencies, abilities, vocations, and race ofhis ancestors.«109 Das im Behaviorismus zentrale und explizit postulierte Ziel >prediction and control< wird durchaus mit der Utopie verknüpft, der Mensch sei auf diese Weise zum Besseren zu verändern: »T he mission of psychology was to improve people in the same way that physics or chemistry helped to improve the human environment.«110 Die besondere Einflusskraft und der spezifische Reiz der behavioristischen Psychologie liegen dement- sprechend in dem Angebot, praktischen Nutzen zu haben, d.h. in unter- schiedlichen Kontexten anwendbar zu sein. Vorhersage und Kontrolle sollen nicht nur in Watsons >own specified world< möglich sein, sondern in den unterschiedlichsten Gebieten der angewandten Psychologie zum Einsatz kommen. Bezeichnenderweise nimmt Watson, nachdem er seine universitäre Lautbahn beendet hat, einen Posten in einer Werbeagentur an.111 Vor dem Hintergrund dieser Anwendungsorientiertheit wird auch die auf den ersten Blick paradox erscheinende Kombination eines kontrollie- rend-aperspektivischen Beobachters einleuchtender: Der Beobachter soll kontrollieren können, sein Standpunkt hat aber gleichzeitig austauschbar zu sein. Ebenso wie die objektiven Ergebnisse der psychologischen Ex- perimente intersubjektiv nachvollziehbar angelegt sein müssen, ist der Beobachterstandpunkt eine Leerstelle: Jeder - auch der nicht unbedingt wissenschaftlich geschulte Beobachter - soll diese Stelle einnehmen können und in der Lage sein, Verhalten vorherzusagen und zu kontrollie- ren. Kontrollierend, aber aperspektivisch meint also: Es besteht die Mög- lichkeit, das Instrumentarium der Kontrolle für jeden Beobachter bereit- zustellen. Dieses Potenzial macht den Behaviorismus so attraktiv für die applied psychology, in deren Rahmen sich die Medienwirkungsforschung zu Beginn des 20. Jahrhunderts herauszubilden beginnt. Wie dies ge- schieht und wie die Mediengewaltforschung auf der >Rückseite< dieser Entwicklung auftaucht, wird dementsprechend in den folgenden Kapiteln in einzelnen >Anwendungsfeldern< untersucht: Politik, Werbung und Er- ziehung. 109 John B. Watson: Behaviorism, Chicago: University of Chicago Press 1930, S. 82, hier zitiert nach: B. Baars: Cognitive Revolution, S. 48, der dieses Zitat als »Watson's most famous words« bezeichnet. Vgl. E. Morris/J. Todd: »Watsonian Behaviorism«, S. 52, wo die Aussage als Watsons >»dozen healthy infants< statement« bezeichnet wird; ebenso auch bei W. O'Donohue/R. Kitchener: Handbook ofBehaviorism (Introduction), S. 34. 110 B. Baars: Cognitive Revolution, S. 45. Vgl. zum Utopistischen Programm auch ebd., S. 51-55. 111 Vgl. B. Baars: Cognitive Revolution, S. 45. Auf Watsons Karriere als Werbeberater wird in Kapitel Werbung: Ökonomie der Suggestion einge- gangen. 74 WIRKUNG Im Vergleich zur inferenzstatistischen Experimentalpsychologie lie- fert der Behaviorismus ein Instrumentarium der Wirkungskontrolle, das in unterschiedlichsten Bereichen zum Einsatz gebracht werden kann. Wenn in diesen unterschiedlichen Bereichen die Anforderung entsteht, die Wirkung von Verbreitungsmedien vorhersagbar und kontrollierbar werden zu lassen, stellt das behavioristische Stimulus-Response-Modell brauchbarere Verfahren zur Verfügung als die Kombination von Statistik und Experiment, die nur vorsichtige und vage Wirkungsaussagen treffen kann. Das inferenzstatistische Experiment rechnet den kontrollierenden Beobachter aus der Praxis der Wirkungskontrolle >hinaus< und hält auf diese Weise die Praxis der Kontrolle unsichtbar. Indem sich der Behavio- rismus dagegen deutlich als Verfahren der Wirkungskontrolle zu erken- nen gibt und einen mächtigen Experimentator bzw. Beobachter entwirft, dem es gelingt, Wirkungen zu erzwingen, führt er Praktiken der gewalt- samen Einflussnahme in die Epistemologie der Kausalität ein. These der vorliegenden Untersuchung ist es, dass diese Praktiken, wenn sie in Pro- jekten der Medienwirkungskontrolle zum Einsatz kommen, sich um die Kurzschlussformel >Mediengewalt< gruppieren und dass die Medienge- waltforschung um die Mitte des 20. Jahrhunderts auftaucht, indem sie diesen Praktiken ein Verfahren der regulierenden Zähmung entgegen- setzt. Wie sich die Praktiken der Wirkungskontrolle konkret ausformulie- ren, ist abhängig von den Diskursregeln der einzelnen Felder, in denen das Wissen über Medienwirkung ausgehandelt wird. Es wird im Folgen- den darum gehen, die Praktiken des Behaviorismus in den Feldern Poli- tik, Ökonomie und Erziehung zu verdeutlichen. Darüber hinaus wird eine leitende Frage sein, welche anderen Praktiken der Wirkungskontrolle und welche diskursiven Ereignisse sich historisch im Umfeld der Formel >Mediengewalt< ansiedeln und auf diese Weise ihre Geschichtlichkeit konstituieren. Im nächsten Kapitel soll zuerst das politische Diskurs- segment in den Blick rücken. Es wird beleuchtet, wie während des Ersten und Zweiten Weltkriegs die Verbreitungsmedien als wirkmächtige Pro- pagandainstrumente konzipiert werden und wie daraus sofort die Be- fürchtung erwächst, die feindliche Seite könne sich die Medien in dersel- ben Weise zunutze machen. 75 2 PROPAGANDA: POLITIK DER BEEINFLUSSUNG Propaganda, so Harold LassweH im Schlusskapitel seiner Studie Propa- ganda Technique in the World War (1927), ist eines der mächtigsten In- strumente der modernen Welt. Während die Mitglieder von Stammesge- sellschaften noch über Tänze und andere rituelle Praktiken in einen Kriegsrausch versetzt werden konnten, sind unter den Bedingungen gro- ßer Industriegesellschaften neue Maßnahmen angezeigt. LassweHs Rhe- torik in der Darlegung eines äußerst kriegerischen Arguments lohnt ein längeres Zitat: »In the Great Society it is no Ionger possible to fuse the waywardness of indi- viduals in the fumace ofthe war dance; a new and subtler instrument must weld thousands and even millions of human beings into one amalgamated mass of hate and will and hope. A new flame must burn out the canker of dissent and temper the steel of bellicose enthusiasm. The name of this new hammer and anvil of social solidarity is propaganda. [ ... ] Propaganda is a concession to the rationality of the modern world. A literate world, a reading world, a schooled world prefers the thrive on argument and news. It is sophisticated to the extend ofusing print; and he that takes to print shalllive or perish by the Press. All the apparatus of diffused erudition popularizes the symbols and forms of pseudora- tional appeal; the wolf of propaganda does not hesitate to masquerade in the sheepskin. All the voluble men of the day - writers, reporters, editors, preach- ers, lecturers, teachers, politicians - are drawn into the service of propaganda to amplify a master voice. All is conducted with the decorum and the trappery of intelligence, for this is a rational epoch, and demands its raw meat cooked and gamished by adroit and skilful chefs.«1 LassweH untersucht in Propaganda Technique mittels vergleichender In- haltsanalysen von Propagandabotschaften, wie die Krieg führenden Staa- ten im Ersten Weltkrieg erfolgreiche oder misslingende Beeinflussungs- strategien zum Einsatz bringen. In Anbetracht der schonungslosen Wei- se, in der LassweH ein unverhohlen gewaltsames Mittel zur Massenbe- einflussung in einer modernen, demokratischen Gesellschaft, ja ein Mit- tel, das zu Gewalt anstiften soll, beschreibt, ist es erstaunlich, dass seine Propagandaforschung bis heute als Pionierwerk der Massenkommunika- Vgl. Harold D. Lasswell: Propaganda Technique in World War I [Propa- ganda Technique in the World War 1927], Cambridge/MA London: MIT Press 1971, S. 220f., Zitat: S. 221. 77 AGGRESSIVE MEDIEN tionsforschung gehandelt wird und LassweH als einer der Gründungsvä- ter der Disziplin gilt.2 Dies ist umso verwunderlicher für den deutsch- sprachigen Raum, in dem erwartet werden kann, dass die Rhetorik dieser Studie sofort die pejorative Belastung des Propagandabegriffs durch den Nationalsozialismus aufruft.3 Selbsthistoriografien blenden den Gewalt- aspekt in LassweHs Propagandakonzeption aus, indem sie etwa konstatie- ren, hier sei das Analyseinstrumentarium für die spätere Forschung ent- wickelt worden, ohne den Kontext dieser Entwicklung zu berücksichti- gen. Oder indem sie die berühmte Lasswell-Formel- >Who Says What in Which Channel to Whom With What Effect?<- als überzeitlich gültiges Frage- und Ordnungsraster für die Medienforschung zitieren, ohne ihre Herkunft aus dem Kriegswissen transparent zu machen.4 2 Vgl. etwa E. Rogers: History of Communication Study, S. 203-243. Wie Brett Gary beschreibt, lässt sich die Gründungsfigur LassweH als Knoten- punkt einander überschneidender Diskurse verstehen: »An empiricist, a be- haviorist, a Freudian, a systems theorist, a quantifier, the developer of the scientific method of content analysis, one of the >founding fathers< of the scientific school ofmass communications, and cofounder ofthe policy sci- ences, LassweH aimed to develop an interdisciplinary political science that could contribute to the prevention of political violence by understanding those factors - especially insecurity - that create upheaval.« Brett Gary: The Nervous Liberals. Propaganda Anxieties from World War I to the Cold War, New York: Columbia University Press 1999, S. 56. 3 Wolfgang Schiederund ChristofDipper sprechen von einer »Verdrängung des Propagandabegriffs« im westlichen Teil Deutschlands. Wolfgang Schie- der/Christof Dipper: »Propaganda«, in: Brunner u.a. (Hg.), Geschichtliche Grundbegriffe, Bd. 4 (1978), S. 69-112, hier S. 112. Dass in den USA diese Verdrängung sich nicht gleichermaßen konsequent vollzieht und der Pro- pagandabegriff auch im Laufe des 20. Jahrhunderts noch als neutraler Ter- minus verwendet wird, legt etwa die Studie von Garth S. Jowett und Victo- ria O'Dounell (Propaganda and Persuasion, Newbury Park u.a.: Sage Pub- lications 1986) oder der Lexikonartikel von Leonard W. Doob (»Propagan- da«, in: Erik Bamouw (Hg.), International Encyclopedia of Communica- tions, New York, Oxford: Oxford University Press 1989, S. 374-378) nahe. Eine begriffsgeschichtlich vergleichende Aufarbeitung der Verwendung von >Propaganda< im deutsch- und englischsprachigen Raum kann hier nur als Desiderat angezeigt werden. Wichtig ist, dass die kriegerischen Impli- kationen ausgeblendet bleiben, weun LassweHs Darstellungen zur Propa- ganda in der Lehrbuchgeschichte weitertradiert werden. 4 Vgl. fiir die Betonung des Analyseinstrumentariums etwa Hans-Bemd Bro- sius: Modelle und Ansätze der Medienwirkungsforschung. Überblick über ein dynamisches Forschungsfeld [Düsseldorfer Medienwissenschaftliche Vorträge 8], Bonn: ZV Zeitungs-Verlag Service 1997. Vgl. fiir die Lass- weH-Formel etwa Renate Schumacher: »Zur Geschichte der Hörfunkfor- schung«, in: Joachim-Felix Leonhard u.a. (Hg.), Medienwissenschaft Ein 78 PROPAGANDA LassweH spricht in seiner Studie nicht explizit von Medien, obwohl die Verbreitungsmedien - wie in der zitierten Passage deutlich wird - eng mit seinem Verständnis von Propaganda verschaltet sind. Der mew hammer and anvil of social solidarity< kann seine Ziele nur erreichen, wenn er sich die Presse oder - so die eigentümlich abstrakt gehaltene Formulierung, die einen Medienbegriff fast einfordert- >the apparatus of diffused erudition< zunutze macht. Wie auch für andere kommunikations- theoretische Studien in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts ist für Pro- paganda Technique in the World War eine »eigenartige Medienverges- senheit«5 kennzeichnend. Hier wird die mediale Komponente im Korn- munikationsprozess noch nicht problematisiert, sondern in einem iso- morphen Verständnis von Kommunikation gefragt, »kommt die Nach- richt an oder nicht?«6 Ob die Beeinflussung der Massen zu Kriegszeiten über die Presse oder über andere mediale Wege vollzogen wird, scheint aus LassweHs Sicht zweitrangig zu sein. Wichtig ist nur, dass sie gelingt. Medien werden zu bloßen Containern, in denen die Propagandabotschaft vom sendenden Kommunikator zum empfangenden Publikum transpor- tiert wird.7 In LassweHs Konzeption erscheint Propaganda als die Fortsetzung von physischer Gewalt mit anderen Mitteln: als ein Wolf im Schafspelz der rhetorischen Kunstgriffe, dessen Gewaltaspekt LassweH aber kei- Handbuch zur Entwicklung der Medien und Kommunikationsformen [Handbücher zur Sprach- und Kommunikationswissenschaft 15], Bd. 2, Berlin, New York: de Gruyter 2001, S. 1445-1459, hier S. 1445: »Ein noch heute brauchbares Ordnungsschema für die mit Massenmedien zusammen- hängenden Forschungen bietet die von Harold D. LassweH 1948, also etwa 30 Jahre nach Einführung des Hörfunks, formulierte und nach ihm benann- te Formel«. 5 Erhard Schüttpelz: »Von der Kommunikation zu den Medien/In Krieg und Frieden (1943-1960)«, in: Jürgen Fohrmaun (Hg.), Gelehrte Kommunikati- on. Wissenschaft und Medium zwischen dem 16. und 20. Jahrhundert, Wien, Köln, Weimar: Böhlau 2005, S. 483-552, hier S. 510. 6 Ebd., S. 513. Erhard Schüttpelz zeigt, dass es in der Zeit von 1946 bis 1952 zu einem Durchbruch des Begriffs >Kommunikation< in diesem Verständ- nis kommt. Die Voraussetzungen hierfür werden durch Kriegswissen ge- schaffen, das zum einen in der Propagandaforschung, zum anderen in der Kybernetik produziert wird. Vgl. auch ders.: >»Get the message through«. Von der Kanaltheorie der Kommunikation zur Botschaft des Mediums: Ein Telegramm aus der nordatlantischen Nachkriegszeit«, in: Irmela Schnei- der/Peter M. Spangenberg (Hg.), Medienkultur der 50er Jahre. Diskursge- schichte der Medien nach 1945, Bd. 1, Wiesbaden: Westdeutscher Verlag 2002, s. 51-76. 7 Vgl. Klaus Krippendorf: »Der verschwundene Bote. Metaphern und Mo- delle der Kommunikation«, in: Merten/Schmidt/Weischenberg (Hg.), Die Wirklichkeit der Medien (1994), S. 80-113. 79 AGGRESSIVE MEDIEN neswegs verleugnet. Die Mittel, mit deren Hilfe die physische Gewalt transformiert wird, sind keine anderen als die Verbreitungsmedien, auch wenn LassweH diese nicht explizit thematisiert. Das Konzept >Propagan- da<, das in diesem Kapitel zentral ist, situiert sich im diskursiven Umfeld der verknappenden Kurzschlussformel >Mediengewalt<. LassweH macht in seinem Propagandakonzept - wie noch gerrauer zu sehen sein wird - behavioristische Annahmen der Wirkungskontrolle im Feld des Politi- schen für die Verbreitungsmedien geltend. Es wird im Folgenden um die Frage gehen, inwiefern Praktiken der Wirkungskontrolle im Feld des Po- litischen wirkmächtige und in diesem Sinne aggressive Medien formie- ren, die für politische Interessen produktiv gemacht werden können, aber immer schon die Gefahr der feindlichen Gegenpropaganda mit sich füh- ren. Der Fokus auf eine Politik der Beeinflussung zielt in diesem Sinne auf diskurspolitische Ordnungen, die im engeren Bereich des (Staats-) Politischen besonders offensichtlich werden. Die Propagandaforschung, deren Beginn in Selbsthistorisierungen der Wirkungsforschung mit LassweH identifiziert wird, lässt sich insofern als Vorgeschichte der Me- diengewaltforschung begreifen, als hier zentrale Bezugsprobleme in Er- scheinung treten. Die aggressiven Medien, die in der Propagandafor- schung entworfen werden, lassen den Bedarf einer regulatorischen Zäh- mung entstehen. Möglicherweise steht mit LassweHs >Medienvergessenheit< die Art und Weise in Zusammenhang, in der Selbsthistorisierungen der Massen- kommunikationsforschung LassweHs Propagandaanalyse geschichtlich positionieren oder unsichtbar halten: LassweHs Plädoyer für produktiv eingesetzte Praktiken der Mediengewalt bleibt latent, wenn seine Studie als bedeutender Teil in einer Vorgeschichte der Medienwirkungsfor- schung zitiert wird. Überhaupt keine Erwähnung findet sie, wenn es um eine Geschichte der Mediengewaltforschung geht. Die offensichtliche Gewalthaltigkeit in LassweHs Kommunikationskonzept bleibt in beiden Fällen unsichtbar. Die Unsichtbarkeit oder zumindest Zweitrangigkeit des Mediums in Texten der Propagandaforschung an der Schwelle zur institutionalisierten Massenkommunikationsforschung - so die Hypothe- se - hängt eng mit dieser historiografischen Ausblendung des Gewaltas- pekts zusammen: Das aggressive Medium bleibt verdeckt, um auch die Gewalt seiner propagierten Wirkungen im Hintergrund zu halten. Dass es eine basale Voraussetzung und ein unabdingbarer Funktionsgarant für Propaganda ist, bleibt sowohl in LassweHs Propagandakonzept als auch in den Selbsthistorisierungen ausgeblendet. Im Folgenden soll in diesem Sinne auch den Latenzen der Lehrbuchgeschichte nachgespürt werden. Techniken politischer Gewaltkommunikation Der Begriff Propaganda verweist historisch zunächst nicht auf politische, sondern aufreligiöse Kontexte: An erste Verwendungen des Begriffs und an die Gründung der päpstlichen Institution S. Congregatio de propa- 80 PROPAGANDA ganda fide im 17. Jahrhundert anschließend wird die verselbstständigte Gerundivform >propaganda< (von lat. propagare = ausdehnen, fortpflan- zen; pfropfen) zuerst zur konfessionsneutralen Bezeichnung für christli- che Missionsanstalten. Ende des 18. Jahrhunderts benutzen dann protes- tantische Aufklärer den Terminus, um Befürchtungen vor einer katholi- schen Verschwörung gegen den Protestantismus Ausdruck zu verleihen, deren Steuerung man in Aktivitäten der römischen Propagandakongrega- tion vermutet. Schon in frühen Verwendungsformen ist der Semantik von Propaganda also zweierlei eingeschrieben: Zum einen ein institutioneller Aspekt: Propaganda, so die Annahme, installiert eine spezifische organi- satorische Struktur. Zum anderen ist die Bedeutung durch eine agonale Komponente ausgezeichnet, die verschwörungstheoretisch unterlegt ist: Propaganda bezeichnet in ihren negativen Ausformulierungen eine be- fürchtete Machenschaft des Gegners. 8 Diese beiden Aspekte schreiben sich fort, wenn der Begriff im Zuge der Französischen Revolution in das Feld des Politischen übergeht. Zu- nächst von den Revolutionären selbst benutzt, um in Analogie zur christ- lichen Verwendung ihre politische Mission zu beschreiben, wird der Begriffwiederum von der Gegenseite- hier von royalistischen Emigran- ten - gewendet und mit einer pejorativen Semantik ausgestattet: Indem die Royalisten die Existenz einer geheimen, universellen Propagandaor- ganisation postulierten und den Propagandabegriff auf diese Weise nega- tiv prägten, versuchten sie, das konservative Europagegen die Revolutio- näre aufzubringen. In der Folgezeit hat >Propaganda< aufgrund dieser frühen Konnotationen in politischen Verwendungsweisen eine vorwie- gend negative Bedeutung: Sie wird mit den Strategien des Feindes identi- fiziert. Dies ändert sich erst am Ende des 19. Jahrhunderts, wenn der Begriff Eingang in die Sprache der ökonomischen Werbung findet: Nun kann >Propaganda< auch im positiven Sinne einer politischen Selbstdar- stellung Verwendung finden. Seine Tendenz, immer in eine negative Semantik umzuschlagen, haftet dem Propagandabegriffweiterhin an.9 Während und irrfolge des Ersten Weltkriegs wird >Propaganda< zum Zentralbegriff der modernen psychologischen Kriegsführung. 10 Es kommt 8 Vgl. W. Schieder/C. Dipper: »Propaganda«, S. 69 u. S. 7lf. Eine Geschich- te der Propagandatechnik vor der Verwendung des Begriffs lässt sich noch weiter -bis ins Römische Imperium- zurückverfolgen. Vg l. Oliver Thom- son: Mass Persuasion in History. An Historical Analysis of the Develop- ment of Propaganda Techniques, Edinburgh: Harris 1977, S. 55-67; G. JowettN. O'Donnell: Propaganda and Persuasion, S. 40-42. 9 Vgl. W. Schieder/C. Dipper: »Propaganda«, S. 77-82 u. S. 70. 10 Vg l. Christopher Simpson zufolge, greift das Konzept psychological war- fare zwar auf ältere Methoden der Kriegsfiihrung zurück, existiert aber in seinem modernen Siun erst seit dem Ersten Weltkrieg. In seiner Studie verwendet er die Begriffe progaganda und psychological warfare analog, zumindest nicht trennscharf. Eine vergleichende Begriffsgeschichte liegt bisher nicht vor. Vg l. ders.: Science of Coercion. Communication Research 81 AGGRESSIVE MEDIEN nicht nur in den europäischen Staaten, sondern auch in den USA, deren nationale Beobachtungsperspektive im Zentrum der folgenden Ausfüh- rungen steht, zu einem >meuen Durchbruch«" des Begriffs. LassweH zu- folge entsteht der Terminius sogar jetzt erst: »A word has appeared, which has come to have an ominous clang in many minds - Propa- ganda.«12 Die Regierungen der kriegsbeteiligten Staaten initiieren die Er- forschung von Propagandatechniken und gründen Organisationen zu ih- rer Steuerung. In den USA institutionalisiert sich die psychological war- fare 1917 im Committee of Public Information, das nach seinem Leiter, dem Zeitungsherausgeber George Creel, auch Creel Committee genannt wird. Creel knüpft an die positive Konnotation an, die das Begriffsfeld der Propaganda durch seine Überschneidung mit der Wirtschaftssprache gewonnen hat. Seine Arbeit während des Krieges beschreibt Creel 1920 in einem Buch mit dem Titel How We Advertised America. 13 In Creels Studie ist explizit von >appellierenden Medien< als Propagandainstru- menten die Rede: »[T]here was no part of the great war machinery that we did not touch, no me- dium of appeal that we did not employ. The printed word, the spoken word, the motion picture, the telegraph, the cable, the wireless, the poster, the sign-board - all these were used in our campaign to make our own people and other peo- ples understand the causes that compelled America to take arms.«14 Zwar ist das >medium< auch hier noch weit davon entfernt, selbst zur >message< zu werden und einen Medienbegriff im strengen Sinne vorzu- stellen.15 Creels instrumentelles Medienverständnis ähnelt der Zweitran- gigkeit, die LassweH den Propagandaapparaturen zuschreibt. Jedoch ge- winnt die Konzeption eines - zwar nicht explizit herausgestellten, aber implizit unabdingbaren - stark wirkenden aggressiven Mediums schon and Psychological Warfare. 1945-1960, New York, Oxford: Oxford Uni- versity Press 1994, S. 15. 11 W. Schieder/C.Dipper: »Propaganda«, S. 103. 12 H. Lasswell: Propaganda Technique, S. 2. 13 Jowett und O'Donnell weisen daraufhin, dass der amerikanische Congress bemüht war, Creels Propagandatätigkeit verdeckt zu halten, jedoch: »Creel, who was proud ofhis activities, discussed in detail the history ofthe CPI's domestic and foreign activities.« Dies.: Propaganda and Persuasion, S. 98. 14 George Creel: How We Advertised America. The First Telling of the Amazing Story of the Committee on Public Information that Carried the Gospel of Americanism to Every Corner of the Globe, New Y ork, London: Rarper & Brothers 1920, S. 5. 15 Nach Schüttpelz kommt es erst 1958 mit McLuhans Slogan >The Medium is the Message< zur Durchsetzung des Medienbegriffs. Vgl. E. Schüttpelz: »Von der Kommunikation«, S. 523. 82 PROPAGANDA im Kontext der Propagandakonzeption im Zuge des Ersten Weltkriegs allmählich Kontur. 16 Die Projekte der psychologischen Kriegsführung hinterlassen in den USA vor allem im wissenschaftlichen Feld der mass communications re- search, das sich zu dieser Zeit allmählich herausbildet, ihre Spuren.17 Insbesondere für LassweHs Propaganda Technique ist dabei entschei- dend, dass sich Versatzstücke der Propagandaforschung mit der psycho- logischen Schule des Behaviorismus koppeln. Ergebnis dieser Kopplung ist die Integration von Verbreitungsmedien in die Lehre des Behavioris- mus.18 LassweH verbindet das behavioristische Stimulus-Response- Modell mit einem technisch geprägten, aus der mathematischen Informa- tionstheorie stammenden Sender-Empfanger-Modell: »[T]he propagan- dist may be said to be concemed with the multiplication of those stimuli which are best calculated to evoke the desired responses, and with the nullification of those stimuli which are likely to instigate the undesired responses.« 19 LassweHs Modell ist die Vorstellung eines aktiven Korn- rnunikators und eines passiven Ernpfarrgers von Propagandabotschaften eingeschrieben. 20 Der Behaviorismus hat mit seinem Entwurf eines aperspektivisch- kontrollierenden Beobachters dem politischen Feld ein Konzept bereitge- stellt, mit dessen Hilfe dem Propagandisten ein übermächtiger Einfluss gewährleistet zu sein scheint. Dass diese Macht über die Adressaten der Propaganda keineswegs gewaltfrei gedacht wird, macht LassweH in sei- nem Verständnis von Propaganda unmissverständlich deutlich: »Propa- 16 Der Erste Weltkrieg wird häufig als erster Krieg angesehen, in dem sich ein Bewusstsein von der engen Verflochtenheit der modernen Kommunikati- onsmedien und den Techniken öffentlicher Beeinflussung entwickelt hat. Vgl. B. Gary: Nervous Liberals, S. 1. Vgl. auch Siegfried Quandt (Hg.): Der Erste Weltkrieg als Kommunikationsereignis [Medien Kommunikation Geschichte 1], Gießen: Justus-Liebig-Universitätsverlag 1993. 17 Walter Lippmann stützt seine zentralen Studien zur öffentlichen Meinung, Public Opinion (1922) und The Phantom Public (1925), ebenfalls auf seine Propagandatätigkeit, u.a. als Verfasser von Flugblättern im Dienst der ame- rikanischen Regierung. Vgl. C. Simpson: Science ofCoercion, S. 16. 18 »T he combination of the psychologist' s view of a uniform human response system and the political view that the mass media were powerful produced the idea that mass media messages were received in the same way by all people in an audience and, furthermore, that the responses to such mes- sages were immediate and direct.« G. JowettN. O'Donnell: Propaganda and Persuasion, S. 100. 19 Harold D. Lasswell: »The Theory of Political Propaganda«, in: American Political Science Review 21 (1927), H. 3, S. 627-631, hier S. 630. 20 Vgl. Kevin Robins/Frank Webster/Michael Pickering: »Propaganda, In- formation, and Social Control«, in: Jeremy Hawthom (Hg.), Propaganda, Persuasion, and Polemic, London: Amold 1987, S. 1-17, hier S. 3. 83 AGGRESSIVE MEDIEN ganda is concemed with the management of opinions and attitudes by the direct manipulation of social suggestion«. Nach LassweH ist Propaganda neben »Military Pressure« und »Economic Pressure« eine der drei zent- ralen Operationsweisen, die gegen einen Kriegsfeind zum Einsatz ge- bracht werden können. 21 Doch nicht nur Propaganda gegen ein feindli- ches Publikum, auch die Regierung der >eigenen< Bevölkerung folgt ei- ner - dank neuer Kommunikationsformen notwendigen - Umschrift von physischer in kommunikative Gewalt:22 »Most of that which formerly could be dorre by violence and intimidation must now be dorre by argu- ment and persuasion«.23 Dass es LassweH um eine Applikation von me- chanistischen Stimulus-Response-Vorstellungen auf ein schwer zu kon- trollierendes Publikum der Verbreitungsmedien geht, macht sein Ver- gleich der Suggestionsfahigkeit von - als menschlichen Maschinen ge- dachten - Soldaten und Zivilisten deutlich: »Military life approximates the aggregation of disciplined men in a dehumani- zing environment. The civilian lacks the automatic discipline of drill and re- mains in an environment in which his sentiment-life (his human life) continues. Civilian unity is not achieved by the regimentation ofmuscles. It is achieved by a repetition of ideas rather than movements. The civilian mind is standardized by news and not by drills. Propaganda is the method by which this process is aided and abetted.«24 21 H. Lasswell: Propaganda Technique, S. 9. 22 Die Rede von >kommunikativer Gewalt< oder >Gewaltkommunikation< be- zieht sich hier zwar speziell auf Verfahren der politischen Wirkungskon- trolle in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts, ist aber durchaus mit dem Begriffvon >Gewaltkommunikation< in Verbindung zu bringen, den Auge- la Keppler fiir die Gewaltdarstellung im Fernsehen geltend macht und ins- besondere fiir ihre Analyse der Berichterstattung am 11. September 2001 verwendet. V gl. Angela Keppler: Mediale Gegenwart. Eine Theorie des Fernsehens am Beispiel der Darstellung von Gewalt, Frankfurt/Main: Suhrkamp 2006, S. 306f. 23 H. Lasswell: »Theory of Political Propaganda«, S. 631. Die Begriffe (mass) persuasion und propaganda werden häufig nicht treunscharf ver- wendet. Eine Unterscheidung der beiden Termini, wie Jowett und O'Dounell sie vorschlagen (Propaganda= Erzeugung von Wirkungen im Sinne des Kommunikators - Persuasion = Interaktion, die sowohl den Be- dürfuissen des Kommunikators als auch denen des Empfängers genügt) er- scheint daher wenig einleuchtend. Vgl. G. JowettN. O'Donnell: Propagan- da and Persuasion, S. 13-37. Sinnvoller ist die Darstellung von Schüttpelz, wonach der Begriff >Propaganda< im Zuge seiner Ausdifferenzierungen zunehmend durch weniger kriegerische Bezeichnungen ersetzt wird. V gl. E. Schüttpelz: »Von der Kommunikation«, S. 511. Dieser Zusammenhang wird im Laufe des Kapitels noch genauer beleuchtet. 24 H. Lasswell: Propaganda Technique, S. 11. 84 PROPAGANDA Die Gegenüberstellung von mews< und >drills< scheint auf den ersten Blick mit Foucaults Rede von einer biopolitischen Regulation im Gegen- satz zur Disziplinarmacht in Verbindung zu stehen.25 Die Umstellung, auf die LassweH anspielt, verweist auf die grundsätzliche Frage, welche Rolle die Umschrift von Verfahren der Disziplinierung aufVerfahren der Regulation für die Wirkungskontrolle der Verbreitungsmedien spielt. Es handelt sich hier um eine Frage, auf die im Verlauf dieser Untersuchung noch zurückzukommen sein wird. Propaganda ist in LassweHs Auffassung, wie sie in dem Zitat ersicht- lich wird, ein Instrument, dessen Wirkungsmacht noch weiter geht als das behavioristische Programm von >Vorhersage und Kontrolle<; sie geht einen Schritt über eine rein mechanistische Reflexkonditionierung hin- aus. LassweH scheint sogar die Möglichkeit zuzulassen, dass der Propa- gandaernpranger nicht auf die Weise reagiert, die der Kommunikator in- tendiert. Gute Propaganda zeichnet sich in LassweHs Verständnis gerade dadurch aus, dass ihrem Adressaten die Option erhalten bleibt, die er- wünschten Reaktionsmöglichkeiten trotz der propagandistischen Beein- flussung eben nicht zu aktualisieren. Jedoch reagiert Propaganda nach LassweH auf die >Halsstarrigkeit< (wilfulness) einer modernen, demokra- tischen Gesellschaft, die zwar nicht mehr den Zwängen einer monarchi- schen Ständegesellschaft ausgesetzt ist, aber dennoch neue Methoden des Zwangs notwendig werden lässt: »The new antidote to wilfulness is pro- paganda. If the mass will be free of chains of iron, it must accept its chains of silver. If it will not love, honour and obey, it must not expect to escape seduction.«26 Propaganda übt eine neue Art von disziplinieren- dem Zwang aus, der subtiler ist, aber dennoch eine wirkungsvolle Steue- rung des Adressaten anstrebt. Die Ersetzung von >drills< durch mews< lässt sich als ein Zwischenergebnis in einer schrittweise erfolgenden Um- stellung von Disziplinierung auf Regulation beschreiben. LassweHs Pro- pagandakonzept ist jedoch noch weit davon entfernt, die Aspekte der Disziplinierung zu beseitigen. Diese >silbernen Ketten< sind sowohl dann, wenn die eigene Bevöl- kerung beeinflusst werden soll, als auch im Fall der Persuasion eines Feindes auf Verbreitungsmedien angewiesen. Auch wenn der US- amerikanische Beobachter LassweH dies nicht explizit reflektiert und Medien zu bloßen »stimulus-carrier[s]« bzw. zu »carriers of suggesti- ons«27 erklärt, macht er in seinen Beschreibungen ganz deutlich, dass es immer auch um die Frage geht, wie welches Medium zum Einsatz ge- bracht werden kann, um Propagandabotschaften über die Kriegsfront hinweg zu verbreiten. Mediendifferenzen spielen also - auch ohne als solche benannt zu werden - bei LassweH durchaus eine Rolle: Ein wich- 25 Vgl. etwa M. Foucault: Govemementalität I, S. 88-90. 26 H. Lasswell: Propaganda Technique, S. 222. 27 Ebd., S. 210. 85 AGGRESSIVE MEDIEN tiges Element der Kriegspropaganda sieht er in der Erfindung von »ways and means for the transmission of suggesstions to the enemy«.28 Die Krieg führenden Staaten versuchen, sich nicht nur die Presse neutraler Länder wie der Schweiz durch Inserate zunutze zu machen, sie publizieren auch Zeitschriften, die sich speziell an die gegnerischen Sol- daten richten, um sie von der Aussichtslosigkeit eines Sieges zu überzeu- gen, sie zu demoralisieren oder ihnen die Option des Desertierens schmackhaft zu machen. LassweH führt dies am Beispiel französischer Propaganda gegen deutsche Soldaten vor. Entsprechende Publikationen werden 1915 etwa unter den Titeln Die Feldpost, Kriegsblätter für das deutsche Volk und Das freie deutsche Wort bekannt. Unregelmäßiger lässt die französische Regierung Briefe aus Deutschland publizieren, in denen die Soldaten über Neuigkeiten aus ihrem Land informiert werden sollen, oder Grüße an die Heimat, in denen deutsche Soldaten von ihrer äußerst angenehmen französischen Kriegsgefangenschaft berichten. Eine Verschärfung dieser Propagandamethoden geschieht durch die Fälschung deutscher Zeitungen wie der Frankfurter Zeitung im Juli 1917. Frank- reich initiiert auch die Veröffentlichung von Büchern, Broschüren und Pamphleten, in denen deutsche Intellektuelle die Kriegsschuld ihres Her- kunftslandes verhandeln. 29 Interessant im Hinblick auf implizite Reflexionen von Mediendiffe- renz ist, dass LassweH die Anstrengungen diskutiert, Propagandamaterial von den feindlichen Autoritäten unbemerkt über die Grenze ins gegneri- sche Land zu transportieren. Dies gelingt der französischen Regierung, die ein schweizerisches Verlagshaus nutzt, um Propagandamaterial her- zustellen, und es in Konservenkartons gefüllt nach Deutschland schmug- gelt. Weniger erfolgreich ist die britische Regierung in ihrem Verbrei- tungsversuch, wenn sie 1917-1918 das Propagandablatt Le Courrier de !'Air von einem Flugzeug aus in den besetzten Gebieten abwirft, um der Bevölkerung zu versichern, dass ihre Lage nicht hoffnungslos sei. Die Propagandaaktion muss eingestellt werden, da sie von der deutschen Re- gierung bemerkt und strafrechtlich verfolgt wird.30 Wie ein neuer »mode of dissemination« gefunden wird, führt LassweH vor, indem er eine Me- thodenreflexion über mögliche Verbreitungsprojektile des britischen Ma- jors C.J.C. Street zitiert. Der Text lässt sich darüber hinaus als Reflexion über die Medialität des Flugblatts lesen: »There is no intrinsic difficulty in scattering pieces of paper any more than there is in scattering pieces of steel, but the desired destination of the two forms of missile varies, as does the effect they are intended to produce. A shell, to se- eure its maximum effect, should burst in the centre of a group of men; propa- ganda leaflets, on the contrary, should be dispersed as widely as possible, and then should avoid the highly disciplined group, and should arrive within the 28 Ebd., S. 177. 29 Vgl. ebd., S. 178f. 30 Vgl. ebd., S. 180. Das folgende Zitat: ebd. 86 PROPAGANDA grasp of the lonely sentry, free from the influence of his compatriots, and with nothing else to divert his thoughts. The group would probably treat a leaflet as a joke, the isolated man would read it through sheer boredom, and would possi- bly be induced to believe that there was something in its argument.«31 Street verhandelt hier das Propagandamedium Flugblatt in Differenz und in Analogie zu einer kriegerischen Handlung, die den Feind physisch zerstören soll. Die Wirkungsweise des Mediums im Vergleich zur Waffe entfaltet sich nicht in der Gemeinschaft, sondern im Rezeptionsprozess eines dispersen Medienpublikums. Die einsame Lektüre des Flugblattle- sers macht in dieser Konzeption die Wirkung der Propaganda überhaupt erst möglich. Die Disposition, in die technische Verbreitungsmedien den Mediennutzer versetzen, ist also unabdingbare Voraussetzung für das Gelingen von Propaganda. Ebenso wie die physische Waffe gewaltsam in die feindliche Bevölkerung eindringt, gibt sich das Propagandamedi- um jedoch als Instrument der Gewalt zu erkennen. Es erscheint als ag- gressives Medium, dem eine starke Wirkung zugetraut wird. Streets Beschreibung verschiedener Verbreitungsmöglichkeiten von Flugblättern erfolgt im Sinne dieser Propagandakonzeption. Neben dem Beschuss des feindlichen Adressaten mit einem speziellen Granatenwer- fer, der nach seiner Explosion Pamphlete auf die erstaunten Feinde her- abregnen lässt, und dem Abwurf von Flugblättern durch einen Bomben- flieger, sei es die effizienteste Methode, einen Fesselballon mit Propa- gandamaterial zu bestücken, ihn mithilfe einer Zündschnur über der ge- wünschten Stelle in Brand zu setzen und die Schriften ins feindliche Land fallen zu lassen: »The idea had always been obvious; load a ballon with the leaflets it was intended to distribute, send it up with a favourable wind, and there you were.«32 In Streets Beschreibung scheint schon das Verbreitungsmedium Radio auf, das während des Ersten Weltkriegs noch nicht zur Verfügung steht, aber im Zweiten zentral wird: Die Propagan- dabotschaft soll den Ernpfauger lautlos und möglichst unsichtbar durch die Luft erreichen und im privaten Raum rezipiert werden. Die Verbrei- tungsmedien der Propagandabotschaft - so wird aus Streets Darstellung deutlich - sind zunächst mit >Heeresgeräten< identisch, um sich dann allmählich von diesen loszulösen.33 31 Street, zit. ebd., S. 181. 32 Ebd., S. 183. 33 Dies lässt sich durchaus mit Friedrich Kittlers Thesen in Verbindung brin- gen, dass medientechnische Entwicklungen durch Kriege einen entschei- denden Innovationsschub erhalten und Unterhaltungsmedien aus einem »anarchischen Mißbrauch von Heeresfunkgerät« entstehen. Friedrich Kitt- ler zeigt, dass das Radio, zwar nicht als Propagandamedium, aber in seiner Vorform als Kriegsfunkgerät durchaus schon im Ersten Weltkrieg eine Rolle gespielt hat. Vg l. Friedrich Kittler: Gramophon Film Typewriter, Berlin: Brinkmann & Bose 1986, S. 148-150, ZitatS. 150. Vgl. zur These, dass Medientechniken eine militärische Herkunft haben, auch Rudolf Ma- 87 AGGRESSIVE MEDIEN Nicht nur der Verbreitung, auch dem Inhalt der Propaganda ist krie- gerische Gewalt eingeschrieben. Das wird ganz besonders in einem Pro- pagandatyp deutlich, der in LassweHs Analyse entscheidend für die Transformation der eigenen Bevölkerung in eine »amalgamated mass of hate and will and hope«34 ist und der bis in gegenwärtige Analysen als signifikant für den Ersten Weltkrieg gilt: die atrocity oder hate propa- ganda. Insbesondere auf der Seite der Alliierten werden Gräueltaten des Feindes verbreitet, um Angst und Hass im eigenen Land zu schüren.35 Es handelt sich hierbei um mediale Gewaltdarstellung insbesondere in Arti- keln und Abbildungen der alliierten Presse, aber auch in medial reprodu- zierten Gerüchten, in Pamphleten früher Kriegsberichterstatter und in Hollywoodfilmen.36 Diese Gewaltdarstellungen entwerfen ein Feindbild des gegnerischen Soldaten durch visuelle Diabolisierung und durch Be- schreibung seiner grausamen Handlungen, die sich vor allem auf Gräuel- taten an der Zivilbevölkerung, insbesondere auf die Schändung von Frauen und Misshandlung von Kindern, beziehen. Abbildungen der alliierten Presse zeigen den deutschen Soldaten et- wa als Hunne oder als blutrünstige, affenähnliche Bestie.37 Eine zentrale Rolle spielt im Mediendiskurs der atrocities, die deutsche Soldaten an der belgischen Zivilbevölkerung verübt haben, das Motiv der >abgehack- resch/Niels Werber (Hg.): Kommunikation, Medien, Macht, Frankfurt/ Main: Suhrkamp 1999 (Einleitung), S. 12. 34 H. Lasswell: Propaganda Technique, S. 221. 35 Vgl. G. JowettN. O'Donnell: Propaganda and Persuasion, S. 130. Jowett/ O'Dounell geben als Kriterium fiir atrocity propaganda an, dass die gegne- rischen Gräueltaten erfunden seien. Diese Frage wird im Folgenden aus- geblendet, denn ob auf tatsächliche Kriegstaten referiert wird oder nicht, spielt für die Funktionsweise der Propaganda keine Rolle. Vgl. als aktuelle Studie zu Gräueltaten deutscher Soldaten im Ersten Weltkrieg, die histori- sche Ereignisse und ihre unterschiedliche Verhandlung in alliierter Propa- ganda und deutscher Erinnerungskultur analysiert, John N. Home/Alan Kramer: German Atrocities, 1914. A History of Denial, New Haven: Yale University Press 2001. 3 6 » There were literally hundreds of books and pamphlets devoted to the most graphic details of supposed atrocities committed by both sides.« G. Jo- wettN. O'Dounell: Propaganda and Persuasion, S. 130. Vgl. zum atrocity- Diskurs, insbesondere in der britischen und amerikanischen Presse, Gordon Williams: >»Remember the Llandovery Castlee Cases of Atrocity Propa- ganda in the First World War«, in: Hawthom (Hg.), Propaganda (1987), S. 19-34; Hermann Joseph Hiery: »Angst und Krieg. Die Angst als bestim- mender Faktor im Ersten Weltkrieg«, in: Franz Bosbach (Hg.), Angst und Politik in der europäischen Geschichte, Dettelbach: Röll2000, S. 167-124, hier S. 186-204. 3 7 V gl. H. Hiery: »Angst und Krieg«. 88 PROPAGANDA ten Kinderhände<. Es wird zur Metapher für deutsche Grausamkeit.38 In seiner Kriegsberichterstattung The Retreat from Mons (1916) schildert der britische Major A. Corbett-Smith folgendes Bild: »Hanging up in the open window of a shop, strung from a hook in the cross- beam 1ike a joint in a butcher' s shop, was the body of a 1itt1e girl, five years o1d, perhaps. Its poor 1itt1e hands had been hacked off, and through the s1ender body were vicious bayonet stabs.«39 Diese Steuerung von Mediengewalt entsprechend einer Freund/Feind- Logik macht deutlich, dass die historischen Praktiken, die sich um die Formel >Mediengewalt< gruppieren, sich durchaus diskontinuierlich zu einem Verständnis von Mediengewalt verhalten, wie es gegenwärtig gän- gig ist. Hier scheint eine Konzeption von Mediengewalt auf, die zwar Ähnlichkeiten, aber auch entscheidende Differenzen zum gegenwärtigen Diskurs aufweist: Es wird über die Auswirkungen medialer Gewaltdar- stellungen auf den Mediennutzer diskutiert, aber: die Schädlichkeit für den Mediennutzer spielt hier zunächst keine Rolle, sie tritt hinter das Nützlichkeitskalkül der erwünschten Propaganda gegen den Feind zurück: »After all, stories of atrocity aroused two of the strongest of human emo- tions: hate and fear. Through them the public was to be convinced of the utter monstrosity of the enemy. «40 Wenn unerwünschte Wirkungen der atrocitiy propagandaschließlich doch thematisiert werden, dann erfolgt dies gemäß den Diskursregeln des politischen Feldes: Nicht eine Gefahrdung des Mediennutzers wird hier verhandelt, sondern ein Misslingen der Propaganda. Ganz deutlich wird dies in der frühsten umfassenden Studie zu diesem Thema: Atrocity Pro- paganda, 1914-1919 von James Morgen Read. Ebenso wie LassweH ist Read ein US-amerikanischer Beobachter; seine Studie, die 1941 erstmals erscheint, steht schon im Bannkreis des nächsten Weltkriegs. Während die letzten Passagen der Lasswell'schen Analyse noch euphorisch schil- dern, wie am Ende des Krieges die »monumental rhetoric« des Präsi- denten Wilson - »who spoke in elegiac prose of a better world«41 - so- wohl Deutschland als auch das eigene Land überströmt, ist Read sehr viel skeptischer, was den Erfolg der alliierten Propaganda betrifft. Read vertritt die Auffassung, dass die alliierte atrocity propaganda zu Schwä- chen im Versailler Vertrag und damit zu einem instabilen Frieden geführt hat: Er führt den Teil des Vertrags, der die Auslieferung von Kriegsver- brechern fordert (»Part VII«) und der große Unzufriedenheit in Deutsch- 38 Vgl. J. Home/A. Kramer: German Atrocities, S. 208f. 39 Corbett-Smith, zit. nach: G. Williams: >Remember the Llandovery Castle<, s. 19f. 40 James Morgan Read: Atrocity Propaganda 1914-1919 [1941], New York: Amo 1972, S. viii. 41 H. Lasswell: Propaganda Technique, S. 216-218, Zitate: S. 216. 89 AGGRESSIVE MEDIEN land hervorgerufen hat,42 auf die Gräuelpropaganda in der Öffentlichkeit der Alliierten zurück: »Part VII was called into being by the propaganda of atrocities, which led to the overpowering demand for punishment of the war criminals. Since the govem- ments fostered much of this propaganda, the statesmen at Paris in 1919 were largely the prisoners oftheir own machinations. The press had coöperated will- ingly, however, as atrocities made good copy. Propaganda of atrocities, in other words, might be said to have contributed more than any other single factor to the making of a severe peace.«43 Reads Methode, die Propaganda im Ersten Weltkrieg aufzudecken, be- steht in ihrer gerrauen Analyse. So beschreibt er etwa »[n]otorious [c]a- ses«44, die in der Öffentlichkeit der alliierten Staaten - insbesondere in Großbritannien - während des Kriegs verhandelt werden. Einer dieser Fälle kreist um die Hinrichtung der englischen Krankenschwester Edith Cavell. >Nurse Cavell< wird im August 1915 von der deutschen Besat- zungsmacht in Belgien gefangen genommen, weil sie in ihrem Hospital in Brüssel französische, englische und belgisehe Soldaten beherbergt und ihnen zur Flucht nach Holland verholfen hat. Vor dem deutschen Gericht gesteht Cavell diese Taten, die sie als ihre Vaterlandspflicht versteht, freimütig ein und wird zum Tod durch Erschießen verurteilt. Während des Krieges und in der Nachkriegszeit wird die Geschichte zu einem Medienereignis: Vom 16. Oktober bis zum 27. November 1915 gibt die britische Presse dem Fall einen prominenten Platz, schon 1915 findet die Geschichte eine erste filmische Bearbeitung und während der Friedenskonferenz wird sie zum Gegenstand von Zeitschriftenartikeln.45 Die englische Presse, empört über die Unbarmherzigkeit der Verurtei- lung, macht Cavell zur Märtyrerin, wobei sie die grausamen Details der Geschichte nicht ausspart: » The emotional effect of the story was heigh- tened by descriptions ofthe scene ofthe execution.«46 Read kritisiert diesen propagandistischen Einsatz von Gewaltdarstel- lungen, indem er die Rolle des deutschen Barons von der Lancken be- schreibt, der dem politischen Department in Brüssel vorsteht. Lancken habe zwar vergeblich versucht, beim militärischen Gouverneur zu errei- chen, dass der Urteilsspruch gemildert werde, jedoch habe dieser Aspekt die britischen Zeitungen nicht erreicht. Obwohl Lancken später die Un- 42 Vgl. hierzu auch J. Home/A. Kramer: German Atrocities. Hier wird den Gräuelgeschichten ebenfalls eine wichtige Rolle fiir den Versailler Vertrag zugeschrieben. 43 J. Read: Atrocity Propaganda, S. viif. 44 Ebd., S. 210. 45 Vgl. ebd., S. 212 u. S. 210. 46 Ebd., S. 211. 90 PROPAGANDA barmherzigkeit gegenüber Cavell als politischen Fehler bezeichnet, er- scheint er 1919 auf der Liste der Kriegsverbrecher.47 In Reads Analyse erscheint die Mediengewalt der atrocity stories als unerwünschte Wirkung. Jedoch kritisiert Read hiermit keinesfalls, dass die britischen Mediennutzer durch die grausame Schilderung von Cavells Hinrichtung Schaden genommen oder zu Aggressivität aufgestachelt worden seien. Unerwünscht ist hier als politisch ungünstig zu verstehen: Die atrocity-Propaganda hat nicht so gewirkt, wie sie wirken soll, um für die eigene Seite günstigen Einfluss auf die Kriegs- und Nachkriegspolitik zu nehmen. Die Schädlichkeit von Mediengewalt im Sinne einer Schädi- gung des Mediennutzers bzw. einer Schädigung der Gesellschaft durch aggressive Mediennutzer ist Sache des pädagogischen und medizinischen Diskurssegments. Politische Unerwünschtheit wird hier an einem öko- nomischen Nützlichkeitskalkül ausgerichtet. Auf diesen Aspekt wird im folgenden Kapitel zur Werbung noch gerrauer eingegangen. Die Mission der Persuasionsforschung 1927 glaubt LassweH noch nicht, dass eine Untersuchung von Propagan- da sich auf Ergebnisse empirischer Messungen stützen könnte: »The people who probe the mysteries ofpublic opinion in politics must, for the present, at least, rely upon something other than exact measurement, to confirm or discredit their speculations. Generalizations about public opinion stick be- cause they areplausible and not because they are experimentally established.«48 Vor und mit dem Zweiten Weltkrieg jedoch setzt sich in den USA im Zuge der Angst vor feindlicher Propaganda eine Fülle von Forschungen in Gang,49 die im politischen Feld initiiert werden oder deren Ergebnisse im Bereich der Politik Relevanz bekommen. Schon wenige Jahre nach LassweHs Skepsis gegenüber der empirischen Messbarkeit von Propa- ganda bringt er selbst zahlreiche Forschungsprojekte auf den Weg, »to expose, monitor, analyze, measure, control, punish, and counteract Fas- cistpropaganda activities in the United States and abroad.«50 In amerika- nischen Fachorganen wie dem Journal of Social Psychology (JoSP) und in dem Hausorgan der School of Public Affairs der Universität Princeton Public Opinion Quarterly (POQ) wird die Propagandafrage zu einem dominanten Thema. Es lässt sich eine Verschiebung in dem Verhältnis der wissenschaft- lichen Projekte zu ihrem Untersuchungsgegenstand >Propaganda< beob- 47 Vgl. ebd., S. 213-215. 48 H. Lasswell: Propaganda Technique, S. 5. 49 Vgl. zur Angst vor feindlicher Propaganda in den USA B. Gary: The Ner- vous Liberals, S. 77-84. 50 B. Gary: The Nervous Liberals, S. 81. 91 AGGRESSIVE MEDIEN achten. Während LassweH in seiner Studie von 1927 die Propaganda- technik beschrieben und ihre Effizienz im Vergleich der Krieg führenden Staaten abgeschätzt hat, rücken einzelne Forschungsprojekte ihrem Un- tersuchungsobjekt immer näher. Indem sich akademische Kreise zuneh- mend an regierungspolitischen Interessen orientieren, bekommt der wis- senschaftliche Beobachter selbst einen Status in einem- im engeren Sinn -politischen Prozess der Beeinflussung. 1 5 Experimentalanordnungen dieser Zeit rücken in eine eigentümliche Nähe zu Propagandatechniken, die LassweH beschrieben hat, wie etwa die Manipulation oder Fälschung von Zeitungen. Die Methode des soge- nannten >planted content<, die Autoren einer Experimentbeschreibung im JoSP vorstellen, stellt eine Umkehrfigur dieser Praxis der Zeitungsfpflanzen< sie in eine ak- tuelle Ausgabe einer Tageszeitung einen bestimmten Inhalt ein, ohne dass der Leser bzw. die Versuchsperson von dieser Manipulation etwas merkt. Auf diese Weise kann - nach Auffassung der Experimentatoren - untersucht werden, inwiefern favorisierende bzw. kritisierende Artikel über eine politische Persönlichkeit die Meinungsbildung von Zeitungsle- sern prägen.53 Das wissenschaftliche Experiment selbst setzt nun die Techniken der Beeinflussung ein, um diese als messbare Größe kontrol- lieren zu können. Die amerikanische Propagandaforschung ist aber keineswegs aus- schließlich mit dem Medium Zeitung beschäftigt. Mit der Verbreitung des Radios, das im Ersten Weltkrieg für Propagandafragen noch keine Rolle gespielt hat, lotet die Forschung ein neues Medium der Beeinflus- sung aus, das sie hierfür als sehr viel geeigneter, aber auch als sehr viel gefahrlicher konzipiert. Schon 1935 stellen Hadley Cantril und Gordon W. Allport in ihrer Studie The Psychology of Radio fest: »The type of propaganda [ ... ] found in any particular country, depends upon who owns and controls the air.«54 Was Major Street in seiner Beschreibung von Propagandatechniken schon vorformuliert hat, nämlich das Ideal ei- ner unsichtbaren und unhörbaren Verbreitung von Propagandabotschaf- ten durch die Luft, die erst in einem räumlich dispersen Massenpublikum 51 Vgl. zur Rolle der sozialwissenschaftliehen Experten als geheime Politik- berater Ute Daniel: »Suggestive Experten: Zur Etablierung der US- amerikanischen Medienforschung in den 1930-1950er Jahren«, in: Berichte zur Wissenschaftsgeschichte 30 (2007), S. 183-198. 52 Albert D. Annis/Norman C. Meier: »The Induction of Opinion Through Suggestion by Means of >P lanted Content<«, in: Journal of Social Psycho- logy 5 (1934), H. 1 S. 65-81, hier S. 65. 53 Vgl. ebd., S. 78f. 54 Hadley Cantril/Gordon W. Allport: The Psychology ofRadio [1935], New York: Arno Press 1971, S. 59. 92 PROPAGANDA ihre volle Suggestionskraft entfalten, bekommt zu einem Zeitpunkt, an dem einerseits das Radio als Propagandamedium zur Verfügung steht und andererseits wiederum den Gefahren eines Weltkriegs begegnet wer- den muss, besondere Brisanz. Während in Großbritannien die BBC schon kurz nach dem Ersten Weltkrieg beginnt, ausländische Kurzwellensendungen zu analysieren, setzen so genannte monitaring services in den USA erst später ein. Eines der ersten Forschungszentren, in dem Sendungen aus Berlin, London, Pa- ris, Rom und Moskau systematisch abgehört, übersetzt und analysiert werden, ist von 1939-1941 das Princeton Listening Center. Das von der RockefeUer Foundation55 finanzierte Zentrum wird 1941 von der Federal Communications Commission übernommen und auf diese Weise von ei- ner wissenschaftlichen in eine regierungspolitische Institution überführt. Der Direktor der Institution- Harold N. Graves -behält diese Position auch nach der Überführung in ein zentrales Instrument der amerikani- schen Kriegspolitik 6 5 Die zentrale Frage der amerikanischen Abhöraktionen lautet: Wie ge- fahrlich ist die feindliche »Propaganda by Short Waves« für die Bevölke- rung der USA? Mit welcher Bedrohung ist zu rechnen, wenn es technisch möglich geworden ist, Botschaften unter dem Vorzeichen »Berlin Cal- ling America«57 in den USA empfangen zu können? 55 V gl. zur Propagandaforschung, die von der RockefeUer F oundation vor und während des Zweiten Weltkriegs gefördert wurde, das Kapitel »Mobilizing for the War on Words: The RockefeUer Foundation, Communication Scho- lars, and the State« in: B. Gary: The Nervous Liberals, S. 85-129. 56 Vgl. Stephen C. Mercado: »FBIS Agairrst the Axis, 1941-1945. Open- Source Intelligence From the Airwaves«, in: CSI Sturlies Fall/Winter (2001 ), unter http://www.cia.gov/csi/studies/fall_w inter_ 2001/article04.html vom 27.11.2005. Das Center geht zunächst aus einer Initiative von John B. Wbitton hervor und wird daun von einer Kommission an der School of Public and International Affairs an der Universität Princeton geplant, der mehrere Professoren der Universität angehören, u.a. Hadley Cantril, Will- iam S. Carpenter und Harwood L. Childs. Ziel der Kommission ist es, an- gesichts der zunehmenden Nazipropaganda über Kurzwelle deren kontinu- ierliche Erforschung auf den Weg zu bringen. Vgl. Princeton University Library: »Records of the Princeton Listening Center (1939-1941)«, unter http:/l infoshare l.princeton.edu/libraries/firestone/rbsc/finding_a ids/plc.html vom 27.11.2005, S. 1. 57 So der Titel bzw. Untertitel eines Aufsatzes in POQ, in dem Harold N. Graves deutsche Propagandasendungen für ein amerikanisches Publikum beschreibt. Vgl. Harold N. Graves: »Propaganda by Short Wave: Berlin Calling America«, in: Public Opinion Quarterly 4 (1940), H. 4, S. 601-619. Unter dem gleichen Titel erscheint 1942 der Abschlussbericht des Centers mit einem Anhang von Charles A. Rigby, der u.a. über die Übertragungs- technik der Kurzwellen und ihrer historischen Entwicklung berichtet. V gl. 93 AGGRESSIVE MEDIEN Es ist kaum überraschend, dass die empirische Forschung den An- spruch hat, die nebulöse Gefahr zu durchleuchten. » That the belligerents abroad are using radio as a new weapon of warfare to influence the thin- king of people in the United States«, wird als Tatsache verhandelt. Um die Fragen der Gefahrdung für die USA zu klären - » Who listens to these broadcasts? Is the number of short-wave listeners large or small? Why do they listen? What effect, if any, does this listening have on public atti- tudes and opinions?«58 -, ist aus der Sicht der besorgten amerikanischen Beobachter empirische Forschung nötig. Mit der Verbreitung über short waves ist Propaganda zu einer unsichtbaren Machenschaft geworden, die anhand ihrer Wirkungen sichtbar gemacht werden muss. Gleichzeitig gerät das Konzept >Propaganda< in der amerikanischen Öffentlichkeit in Misskredit. Ihr Gewaltaspekt, den LassweH in seiner Studie Propaganda Technique noch so produktiv gemacht hat, wird nun scharf kritisiert. Die entstehende empirische Forschung bemüht sich nicht nur um eine Invisibilisierung dieses Gewaltaspekts, indem sie Verfahren der Messung zum Einsatz bringt, die ein >objektives< Wissen verspre- chen. Sie sucht auch nach alternativen Konzepten, die das Kriegswissen der Propaganda in friedlicheren Begriffen weiterführen. 9 5 Im historischen Umfeld der Kurzschlussformel >Mediengewalt< spielt ein weiteres sozialpsychologisches Unternehmen eine wichtige Rolle, das ebenfalls Kriegswissen in das entstehende Forschungsfeld überführt. Nach dem Trauma von Pearl Rarbor sieht sich die amerikanische Armee vor die Aufgabe gestellt, neu rekrutierte Zivilpersonen zu Soldaten zu er- ziehen. Neben relativ einfachen Schulungsmaßnahmen, die das Tragen einer Uniform, das Salutieren, Marschieren und den Gebrauch von Waf- fen betreffen, verfolgen die militärischen Autoritäten die sehr viel schwierigere Aufgabe, Motivation und Arbeitsmoral der neuen Soldaten zu formen. Um mangelndem Wissen ebenso entgegenzuarbeiten wie feh- lender Motivation, wendet sich die Armee an Hollywood und lässt Orien- tierungsfilme produzieren, die so genannten >Why We Fight<-Filme. Zur wissenschaftlichen Überprüfung, ob und wie diese Filme wirken, beauf- tragt die Armee ein Forschungsteam um den Experimentalpsychologen Harwood Lawrence Childs/John B. Whitton (Hg.): Propaganda by Short Wave Including Charles A. Rigby's The War on the Short Waves [1942], New York: Amo Press 1972. 58 Harwood Lawrence Childs: »Short-Wave Listening in the United States«, in: Public Opinion Quarterly 5 (1941), H. 2, S. 210-226, hier S. 210 u. S. 211. 59 Ein zentraler Ort dieser Umschrift ist das Communications Seminar der RockefeUer Foundation, an dem auch LassweH beteiligt ist. >Kommunika- tion< wird hier als zentrales Gegenkonzept zu >Propaganda< entworfen. Vgl. Isabell Otto: >»Public Opinion and the Emergency<. Das Rockefeiler Communications Seminar«, in: Irmela Schneider/Isabell Otto (Hg.), For- mationen der Mediennutzung II: Strategien der Verdatung, Bielefeld: transcript 2007, S. 73-91. 94 PROPAGANDA Carl Hovland, das seine Ergebnisse erst 1949 unter dem Titel Experi- ments on Mass Communication veröffentlicht. Hovland und seine Mitar- beiter kommen aber in ihren Experimenten zu einem Ergebnis, das für die Auftraggeber äußerst unbefriedigend ist: Die Filme steigern zwar das militärische Wissen der Rekruten, haben aber keine Wirkung auf ihre Motivation zu kämpfen.60 Über die Störung des Persuasionsprozesses, die das Team um Hov- land aufgezeigt hat, wird aber eine entscheidende Umstellung möglich: die Ausblendung des Gewaltaspekts, die dem Propagandakonzept anhaf- tet. Den Orientierungsfilmen liegt die Bemühung zugrunde, medienindu- zierte Aggression produktiv zu machen: Zivilisten sollen zu kampfwilli- gen Soldaten programmiert werden. Dass dieses Vorhaben scheitert, mag zwar in der konkreten Forschungssituation unbefriedigend sein, im Hin- blick auf die Konturierung des neuen Forschungsfeldes ist dies äußerst gewinnbringend: Die Persuasionsforschung versorgt sich nicht nur selbst mit neuen Forschungsprojekten,61 sondern macht den impliziten Gewalt- aspekt des Wirkungskonzepts unsichtbar. Denn wenn davon ausgegan- gen werden muss, dass die Persuasion nicht wirkt, muss auch ihre Ge- fahrlichkeit, ihre Aggressivität im Sinne einer zwingenden, starken Wir- kung relativiert werden. Noch deutlicher wird dies in der programmatischen Konturierung des neuen Forschungsfelds communications research, die sich 1950 an einem ungewöhnlichen Ort findet, und zwar im Vorwort zu Leo Handels Studie Hollywood Looks at its Audience, die Methoden der Hörerforschung auf das Publikum kommerzieller Filme anwendet. Der Verfasser dieses Vorworts - Paul Lazarsfeld - geht kaum auf Handels Studie ein, sondern nutzt diesen Anlass, um eine Politik der communications research in den Vereinigten Staaten der Nachkriegszeit darzulegen. Diese wiederum hat für Handels Studie keine größere Bedeutung als für irgendeine andere kommunikationswissenschaftliche Publikation: »Fifteen years ago the term [communications research, I.O.] had not yet been invented, and se- 60 Vgl. Shearon A. Lowery/Melvin L. de Fleur: Milestones in Mass Commu- nication Research. Media Effects, New York, London: Longman 21988, S. 106-110; Carl I. Hovland/Arthur A. Lumsdaine/Fred D. Sheffield: Experi- ments on Mass Communication, Princeton: Princeton University Press 1949, S.254f. 61 Hovland bleibt bei diesem unbefriedigenden Ergebnis nicht stehen, sondern begibt sich auf die Suche nach den »>magic keys< of persuasion« S. Lowe- ry/M. De Fleur: Milestones, S. 134. 1953 veröffentlicht ein neues Forscher- team um Hovland die Ergebnisse dieser Suche: vgl. Carl I. Hovland/lrving L. Janis/Harold H. Kelley: Communication and Persuasion. Psychological Studies of Opinion Change, New Haven, London: Yale University Press 1953. 95 AGGRESSIVE MEDIEN veral years ago the area had only a bare existence. Today we have a large literature and courses are taught in numerous universities.«62 Lazarsfeld sieht in den kommerziellen Anforderungen der wachsen- den >Kommunikationsindustrie< nur eine vordergründige Ursache für die Explosion der Forschung. Tatsächlich seien politische Gründe zu veran- schlagen: »[T]here are more basic social forces behind the development of communications research, and they are closely related to the contem- porary political scene.« Lazarsfeld stellt fest, dass sich seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs eine neue Form zwischenstaatlicher Beziehungen herausgebildet hat, wobei es ihm darauf ankommt, auf eine Parallelität hinzuweisen: Hinter dem >lron Curtain< - so Lazarsfeld- befinden sich von politischen Parteien dominierte Satellitenstaaten, die ihrerseits unter der Führung der Kommunistischen Partei in Russland stehen. Die west- europäischen Länder sind zwar politisch frei, stehen jedoch in einem Ab- hängigkeitsverhältnis, weil sie für ihre Verteidigung und ihre wirtschaft- liche Wiederherstellung auf die Hilfe Amerikas angewiesen sind. »In both cases, it is one dominant power which exercises leadership over a large number of countries.« Während die Ostblockstaaten über eine re- pressive Führung zusammengehalten werden, verwenden die USA ande- re Mittel, um ihre Vormachtstellung zu behaupten; Mittel - das ist ent- scheidend- deren Wirksamkeit weniger sicher ist: »In case of the Western world, this leadership presents a large number of new problems. The United States cannot and would not >buy< the co-operation of European conntries. Still less does it consider machinery of coercion. It de- pends to a large extent on the creation of nnderstanding and good will. Wbat- ever parts of the world this country co-ordinates in the >American Century,< it has to do much ofits work by devices oflong-distance commnnication.«63 62 Paul F. Lazarsfeld: »Foreword«, in: Leo A. Handel: Hollywood Looks at its Audience. A Report of Film Audience Research, Urbana: University of Illinois Press 1950, S. ix-xiv, hier S. ix. 63 Vgl. ebd., S. ixf., das erste Zitate: S. ix, die beiden anderen S. x. Die Unsi- cherheit, die Lazarsfeld thematisiert, lässt sich mit der Transformation der Rhetorik in Verbindnng bringen, die mit der Umstellung auf eine moderne Mediengesellschaft einhergeht. Nach Joachim Knape geht die Vorstellnng von einem homogenen Publikum verloren, wenn die Kommunikation nicht mehr situativ begrenzt ist nnd die »Dimission, d.h. die situations- überschreitende Distanzkommunikation [ ... ]rasch eine völlig neue Quali- tät in Form der sog. Massenkommunikation« gewinnt. Ders.: »Persuasion«, in: Gert Ueding (Hg.), Historisches Wörterbuch der Rhetorik, Bd. 6, Tü- bingen: Niemeyer 2003, Sp. 874-907, hier Sp. 881. Vgl. die ähnliche Ar- gumentation in systemtheoretischer Perspektive: Elena Esposito: »Macht als Persuasion oder Kritik der Macht«, in: MareschiWerber (Hg.), Kom- mnnikation (1999), S. 83-107, hier S. 91. Sowohl Knape als auch Esposito verstehen die Medienwirkungsforschung als Lösnngsstrategie auf das somit 96 PROPAGANDA Lazarsfeld betont, dass amerikanische Medienprodukte in beinahe jeder Hauptstadt der Welt verfügbar sind: Überall gibt es amerikanische Bü- cher, Filme, Zeitschriften oder Radioprogramme. Das >American Cen- tury< mit dem britischen Empire vergleichend, konstatiert er: »[W]hile the British Empire discharged trusteeship through the proverbial colonial civil servant, the >American Empire< does so through the help of its in- formation and communications officers.« Die Nutzung der Verbreitungs- medien durch die USA stellt in Lazarsfelds Argumentation nicht nur das entscheidende Äquivalent zur politischen Repression dar, mit deren Hilfe die UdSSR ihre Vormachtstellung über die Ostblockstaaten behauptet, sondern wird auch parallelisiert mit dem Kolonialsystem des britischen Empire: »Thus coercion is being displaced by injluence; and influence is becoming an increasingly intricate combination of face-to-face contacts and the skilful use ofmass media of communication.«64 Ebenso wie das britische sieht Lazarsfeld auch das amerikanische Empire von einem wissenschaftlichen Unternehmen begleitet: »New forms of social organization call for new developments in social know- ledge. It would not be difficult to show that the problems of the British colonial administration gave considerable impetus to the development of anthropology. [ ... ] There was a strong mutual influence between anthropology as a science and colonial administration as the face-to-face contact between representatives of different cultures. It seems likely that current problems of international integration will have their social science correlate in the rapidly developing discipline of communications research. As a matter of fact, it is quite possible that the rapid development of this field is partly the result of a vague feeling that the American Century will need this kind ofknowledge.«65 Die von LassweH im Schlussteil seiner Propaganda Technique in the World War beschriebene >Great Society< ist nun zu weltgesellschaftli- chen Ausmaßen angewachsen. Die Massenkommunikationsforschung wird hier als Globalisierungsforschung formiert. LassweHs Kriegskon- zept der Propaganda hat Lazarsfeld vollständig in die friedliche Variante >influence< überführt. Jedoch, um die Gewalt aus einem Konzept zu til- gen, >das einmal Propaganda war<66, ist ein weiterer Argumentations- schritt nötig: neu entstandene Adressierungsproblem. Vgl. J. Knape: »Persuasion«, Sp. 881; E. Esposito: »Macht als Persuasion«, S. 98f. 64 P. Lazarsfeld: »Foreword«, S. x u. S. xi (Hervorhebungen im zweiten Zitat 1.0.). 65 Ebd., S. xi. 66 »>Kommunikation< war einmal >Propaganda< gewesen, und der erste Pro- paganda-Effekt der >Kommunikation< war es, diesen Wechsel zu neutrali- sieren.« E. Schüttpelz: »Von der Kommunikation«, S. 511. 97 AGGRESSIVE MEDIEN »But what does all this mean? Do these media really influence people? How do we know that many of them don't boomerang, having quite different conse- quences than those intended by their American sponsors? Who really knows what role the different media play in other countries? More frequent and ever louder are the voices which raise these questions.«67 Lazarsfelds Argumentation hat drei entscheidende Konsequenzen für die Konturierung der Kommunikationsforschung: Zum einen bringt der Ver- weis auf mögliche Bumerang-Effekte,68 also Wirkungen, die der Korn- rnunikator nicht intendiert hat, eine Verschiebung der Gewalt-Kompo- nente in der propagandistischen Kommunikation mit sich. Die kriegeri- sche Metapher des Bumerangs legt nahe: Persuasion ist nicht dann ge- walttätig, wenn ihre Beeinflussung gelingt, sondern nur dann, wenn sie nicht gelingt. Nur in diesem Fall richtet sie sich in Form einer Waffe ge- gen den Kommunikator. Die Gewalthaltigkeit des persuasiven Zwangs wird hier zugunsten einer Verschiebung auf die mögliche Dysfunktion des Persuasionsprozesses ausgeblendet. Zum Zweiten scheint eben dieser Verschiebungsvorgang die »eigen- tümliche Medienvergessenheit«69 außer Kraft zu setzen, die kennzeich- nend für die frühe Kommunikationsforschung war. Das Medium kommt gerrau dann in den Blick, wenn befürchtet werden muss, es könnte die Kommunikation stören, 70 entweder dadurch, dass es nicht wirkt, oder in- dem es nicht so wirkt, wie es wirken soll. Im Fall der Störung durch Bu- merang-Effekte wird das Medium als aggressives Medium sichtbar, das die guten Absichten des Kommunikators untergräbt. Schließlich formu- liert Lazarsfeld mit der Beschreibung von Medien als potenzielle Stör- größen das Forschungsfeld der neuen communications research: Die Massenkommunikationsforschung soll gewährleisten, dass gerrau der Fall nicht eintritt, in dem die Medien keine oder unerwünschte Wirkungen auf Adressaten der Beeinflussung haben. 71 67 P. Lazarsfeld: »Foreword«, S. xif. 68 >Boomerang effect< ist in der zeitgenössischen Forschung eine gängige Be- zeichnung fiir einen unerwünschten Effekt. Vgl. etwa C. Hovland/A. Lums- daine/F. Shefield: Experiments, S. 46-50. Handel verwendet den Begriff >boomerang response<. Leo A. Handel: Hollywood Looks at its Audience. A Report of Film Audience Research, Urbana: University of Illinois Press 1950,S. 183. 69 E. Schüttpelz: »Von der Kommunikation«, S. 510. 70 Vgl. zur Überlegung, dass eine Störung bzw. ein Rauschen im Prozess der Kommunikation auf die Medialität des Mediums verweist: Jürgen Fahr- mann: »Der Unterschied der Medien«, in: ders./Erhard Schüttpelz (Hg.), Die Kommunikation der Medien, Tübingen: Max Niemeyer Verlag 2004, S. 5-19, hier S. 6. 71 Vgl. zum letzten Aspekt die Argumentation von Schüttpelz, nach der die frühe Massenkommunikationsforschung um die Gewährleistung einer 98 PROPAGANDA Der Bumerang-Effekt ist also ein Signal dafür, dass die Gewalthal- tigkeit der Persuasionspolitik auf die Medien übertragen wird. Aspekte der Mediengewalt treten im Diskurs - sowohl bei Lazarsfeld als auch in den Propagandaanalysen des Ersten Weltkriegs- in der Form von Ana- logiebildungen zutage: Das Medium wird mit einer Waffe, seine Wir- kung mit physischer Zerstörung parallelisiert. Die Gegenüberstellung von >coercion< und >influence<, die Lazarsfeld vornimmt, um damit den Führungsstil der UdSSR einerseits und der USA andererseits zu be- schreiben, wiederholt sich in gewisser Hinsicht nochmals auf der Seite der USA: Der Aspekt des Zwangs in der uneingeschränkt positiv gedach- ten persuasiven Einflussnahme der USA wird auf die Kommunikations- medien übertragen. Die Folge ist, dass die Medien verdächtigt werden müssen, mehr zu sein als bloße Übertragungskanäle, sie nehmen selbst - als aggressive Medien - einen gewaltsamen Einfluss auf den Adressaten der Persuasion. Die Mission der Persuasionsforschung führt als Konse- quenz der Ausblendung ihres Gewaltaspekts ein unerwünschtes Neben- produkt mit sich: das aggressive Medium, das die Forschung weiter re- produziert, auch wenn sie sich von dem Kriegswissen der Propaganda befreit. »möglichst optimalen Einwegkommunikation« bemüht ist: »[E]s kann auch nicht überraschen, dass die entsprechende >Hörerforschung<, schon um sich selbst zu legitimieren und auf Dauer zu stellen, sehr bald auf die Unzuver- lässigkeit der medialen Einwegeffizienz stieß.« E. Schüttpelz: >»Get the message through<«, S. 63. 99 3 WERBUNG: ÖKONOMIE DER SUGGESTION Wie eng Medienwirkungskonzepte, die im politischen und wirtschaftli- chen Diskurssegment entworfen werden, miteinander verflochten sind, zeigt insbesondere George Creels Bericht über die Arbeit des Committee of Public Information mit dem sprechenden Titel How We Advertised America. Auf welche Weise aber gestaltet sich diese Verflochtenheit? Gibt es ein vorgängiges und ein nachgeordnetes Wirkungskonzept, ist Propaganda die Transformation von Wirtschaftswerbung in den Bereich des Politischen oder durchläuft das Propagandakonzept vielmehr in sei- ner Geschichte einen Prozess der Zivilisierung und Kommerzialisie- rung?1 Um die Geschichtlichkeit der Mediengewalt-Formel auszuloten, um zu beleuchten, wie sich die Kurzschlussformel >Mediengewalt< - als abkürzende Verdichtung eines kausalen Zusammenhangs - in den histo- rischen Aushandlungsprozessen entfaltet und welche Diskontinuitäten sie in diesen Prozessen durchläuft, sind Fragen nach einer Vor- und Nach- gängigkeit der Konzepte weniger von Interesse als grundsätzlichere Wechselbeziehungen der Diskurssegmente Politik und Ökonomie. Eben- so wenig wie im Kapitel Propaganda: Politik der Beeinflussung ein Poli- tikbegriff im engeren Sinne im Zentrum der Analysen stand, sondern es um Aspekte einer diskursiven Politik ging, die in besonderem Maße im Bereich der staatlichen (Kriegs-) Politik formiert wird, geht es auch in diesem Kapitel um einen erweiterten Begriffvon Ökonomie,2 der seiner- Vgl. zur ersten Auffassung Stuart B. Ewen: »History of Advertising«, in: Barnouw (Hg), International Encyclopedia of Communications (1989), S. 14-21, hier: S. 18: »Advertising as a device of social engineering and opi- nion molding moved into the political realm during World War 1.« In ihrer Begriffsgeschichte zu Propaganda vertreten Schiederund Dipper die zwei- te Auffassung: »Erst als der Propagandabegriff in der Sprache der wirt- schaftlichen Werbung mit dem der >Reklame< zusammengebracht worden war, wurde zu Anfang des 20. Jahrhunderts der Weg frei fiir eine positive Ausdeutung des Begriffs in der Politik als einer Bezeichnung für besondere Methoden vor allem außenpolitischer Selbstdarstellung.« Dies.: »Propa- ganda«, S. 70. Doob wiederum versteht Werbung als Teilbereich von Pro- paganda, die er in weiterem Sinn als Versuch der Beeinflussung bestimmt. Vgl. ders.: »Propaganda«, S. 374. 2 Diese Erweiterung bezieht sich jedoch nicht auf eine umfassende ökonomi- sche Perspektivierung der Medien, wie sie in jüngerer Zeit etwa Hartmut 101 AGGRESSIVE MEDIEN seits im wirtschaftlichen Diskurssegment besonders offensichtlich wird. Steht im Folgenden also im engeren Sinne die frühe Werbewirkungsfor- schung im Mittelpunkt, so liegt der Fokus auf einer Ökonomie der Sug- gestion als Formationsregel des Wirkungs-Diskurses. Suggestion ist - wie im Folgenden zu sehen sein wird- eine zentrale Kategorie der Wer- beforschung, an der deutlich wird, wie sich auch im ökonomischen Dis- kurssegment Konzepte von >Wirkung<, >Medienbotschaft< und >Zuschau- er< um die Leerstelle >Mediengewalt< gruppieren und damit Diskursre- geln aushandeln, die im etablierten Feld der Mediengewaltforschung be- stimmend sein werden. Bei dem Konzept der Suggestion handelt es sich um eine epistemologische Technik der Wirkungskontrolle, die im Feld des Ökonomischen zum Einsatz kommt, noch bevor der Behaviorismus als wirkungskontrollierendes Verfahren in diesem Feld Anwendung fin- det. Zunächst seien einige Aspekte des theoretischen Rahmens vertieft: In seinen Studien zur Gouvernementalität versteht Foucault die >Regierung< als ein Ensemble von Techniken, das sich nicht auf den engeren Bereich des Staates begrenzt. Foucault beschreibt »Gouvernementalität« als »die aus den Institutionen, den Vorgängen, Analysen und Reflexionen, den Be- rechnungen und den Taktiken gebildete Gesamtheit, welche es erlauben, diese recht spezifische, weun auch sehr komplexe Form der Macht auszuüben, die als Hauptzielscheibe die Bevölkerung, als wichtigste Wissensform die politische Ökonomie und als wesentliches technisches Instrument die Sicherheitsdisposi- tive hat.«3 Wie die Disziplinarmacht, die Foucault in seiner Untersuchung von Strafsystemen konturiert, eine »politische Besetzung des Körpers« instal- liert, die »mittels komplexer und wechselseitiger Beziehungen an seine ökonomische Nutzung gebunden« ist und ihn als »Arbeitskraft« konstitu- iert,4 erfolgt auch seit dem 18. Jahrhundert der gouvernementale Zugriff auf die statistisch vermessene Bevölkerung gemäß einer ökonomischen Wissensordnung. In einem erweiterten Sinn versteht Foucault unter poli- tischer Ökonomie »jede Regierungsmethode, die geeignet ist, den Wohl- stand einer Nation zu sichern«. Im Anschluss an Rousseaus Artikel »Po- litische Ökonomie« in Diderots Enzyklopädie Ende des 18. Jahrhunderts spitzt Foucault das Konzept auf »eine Art von allgemeiner Reflexion auf Winkler unter besonderer Berücksichtigung der Kategorien des Tauschs und der Zirkulation durchgeführt hat (vgl. Hartmut Winkler: Diskursöko- nomie. Versuch über die innere Ökonomie der Medien, Frankfurt/Main: Suhrkamp 2004), sondern bezieht sich- wie im Folgenden beschrieben- auf die Verflechtung von Machtstrategien und wissenschaftlichen Projek- ten im Bereich der Werbung. 3 M. Foucault: Gouvemementalität I, S. 162. 4 Michel Foucault: Überwachen und Strafen. Die Geburt des Gefängnisses, Frankfurt/Main: Suhrkamp 1994, S. 37. 102 WERBUNG die Organisation, die Verteilung und die Begrenzung der Macht in einer Gesellschaft« zu. Entscheidend ist, dass Foucault der politischen Öko- nmnie damit einen wichtigen Platz in der Gouvernementalität zuweist, insofern ihre Sicherung durch eine »Selbstbegrenzung der gouvernemen- talen Vernunft« ermöglicht wurde. 5 Was sich mit der Umstellung auf eine gouvernementale Bevölke- rungspolitik zu installieren beginnt, ist eine >Macht der Ökonomie<, die in erster Linie eine >Ökonomie der Macht< ist.6 Die Selbstbegrenzung der gouvernementalen Vernunft bringt Foucault mit dem im 18. Jahrhundert entstehenden Liberalismus in Verbindung, den er erneut in einem »sehr weiten Sinn« versteht: Liberalismus ist demnach einerseits die Anerken- nung einer Begrenzung der Regierung, andererseits auch die Praxis die- ser Begrenzung und die Lösung, »die darin besteht, die Formen und Be- reiche des Regierungshandeins maximal zu begrenzen.«7 In einem weite- ren Schritt bestimmt Foucault den Liberalismus als »die Organisation der Transaktionsverfahren, die geeignet sind, die Begrenzung der Regie- rungspraktiken zu bestimmen«. Foucault zählt verschiedene Verfahren der Transaktion auf und legt, indem er »Meinung«, »Presse« und »Er- hebungen« nennt, nahe, dass die Verbreitungsmedien und die empirische Sichtbarmachung des Sozialen, ebenso wie die staatspolitischen Verfah- ren »Verfassung«, »Parlament« und »Kommissionen«, eine entscheiden- de Position im Rahmen der liberalistischen Gouvernementalität einneh- men. s Die Begrenzung des Politischen bedeutet nicht in dem Sinne eine Ausweitung des Ökonomischen, dass nun der Markt, von politischen In- terventionen befreit, den Staat dominiert. Der >»Rückzug des Staates< bzw. >die Dominanz des Marktes<« ist vielmehr selbst »ein politisches Programm«.9 Gerade die >Befreiung< des Marktes ist zentral für diese Ökonomie der Macht, die immer auch Verfahren der Regulation impli- ziert und damit eng an die biopolitische Regierung der Bevölkerung ge- koppelt ist. Liberalismus und Biopolitik sind- so Foucaults spätere Vor- lesungen - nicht voneinander zu trennen. 10 Die liberale Gouvernementa- lität reduziert, indem sie die Freiheit des ökonomischen Individuums stärkt, die politische Macht nicht, sondern etabliert neue Formen der Machtausübung, die >Sicherheitsdispositive<: 5 Dieses und die vorangehenden Zitate: M. Foucault: Gouvemementalität II, s. 30. 6 Vgl. T. Lemke/S. Krasmann/U. Bröckling (Hg.): Gouvemementalität (Ein- leitung), S. 26. 7 M. Foucault: Gouvemementalität II [Manuskript], S. 40. 8 Dieses und das vorangehende Zitat: ebd., S. 41. 9 T. Lemke/S. Krasmaun!U. Bröckling (Hg.): Gouvemementalität (Einlei- tung), S. 26. 10 Vgl. M. Foucault: Gouvemementalität II, S. 43. 103 AGGRESSIVE MEDIEN »Das Problem des Liberalismus besteht[ ... ] darin, in welchem Maße die freie Verfolgung der individuellen Interessen eine Gefahr fiir das Allgemeininteresse darstellt: Wie hoch sind die >Produktionskosten< der Freiheit? Die liberale Frei- heit kann daher nicht unbeschränkt gelten, sondern wird dem Prinzip eines Kal- küls unterstellt: Sicherheit. Damit die Mechanik der Interessen und die Dyna- mik des Begehrens keine Gefahr fiir Individuen nnd Kollektivität darstellen, ist es notwendig, >Mechanismen der Sicherheit< zu etablieren. Sie sind die Kehr- seite nnd die Bedingung des Liberalismus.«11 Diese grundsätzliche Untrennbarkeit von politischer Regulation und öko- nomischer Rationalität überdauert in Foucaults Analyse auch die Trans- formationen der liberalen Gouvernementalität im 19. und 20. Jahrhun- dert.12 Es wird im Verlauf der vorliegenden Arbeit zu fragen sein, inwie- fern sich die emergierende Mediengewaltforschung um die Mitte des 20. Jahrhunderts in diesem Sinne als Sicherheitsdispositiv installiert, das im Rahmen von Verfahren der moralischen Regulation operiert. Noch bevor in den USA Mitte des 20. Jahrhunderts das neoliberalis- tische Programm der Chicagoer Schule entscheidenden Einfluss ge- winnt, 13 ist die >politische Ökonomie< des Liberalismus in einer genealo- gischen Perspektivierung der Mediengewaltforschung relevant. Ein zent- raler, immer noch aktueller Topos im etablierten Feld der Mediengewalt- forschung besteht in der Klage, die kommerziellen Medieninstitutionen würden aufgrund einer Dominanz des Marktes über die Politik verhin- dern, dass dringend notwendige Verbote medialer Gewaltdarstellungen in Kraft treten können. Um ihre Werbekurrden zufrieden zu stellen, so die Argumentation, müssten die Medienkonzerne möglichst viele Medien- nutzer erreichen bzw. hohe Einschaltquoten erzielen. Dies gelänge äu- ßerst zielsicher über die Darstellung von Gewalt. In einem nächsten Schritt der Argumentation wird die mediale Gewaltdarstellung dann als schädliche Medienwirkung beschrieben, die Mediennutzer zu Gewalttä- tern macht und deshalb fiir Gewalt in der Gesellschaft verantwortlich ist. Gewalt in den Medien und Gewalt durch Medien ist in dieser Diskursfi- gur also Teil des ökonomischen Operierens einer malignen Medienin- dustrie. Mediengewalt, so die Argumentation, kann aufgrund von wirt- schaftlichen Interessen nicht beseitigt werden. 14 Die Medien werden, in- 11 T. Lemke: Kritik der politischen Vernunft, S. 186 (Kursiviernng im Origi- nal). 12 Vgl. ebd., S. 195-256. 13 Vgl. M. Foucault: Gouvemementalität II, S. 300-366. Es wäre wünschens- wert zu erforschen, welchen Einfluss der amerikanische Neoliberalismus auf die Medienpolitik der USA (nnd welchen Einfluss der Ordoliberalis- mus auf die deutsche Medienpolitik) im Einzelnen hat. Es können hier nur grobe Tendenzen angedeutet werden. 14 Vgl. etwa Albert Bandura, dessen lerntheoretische Konzeption von Me- diengewalt im Kapitel Erziehung: Pädagogik der Gefährdung noch rele- 104 WERBUNG dem man sie als kommerzielle Institutionen verhandelt und mit Gewalt identifiziert, als gesellschaftsfeindliche Akteure konzipiert. 15 Vorausset- zung dieser diskursiven Operation ist eine konzeptionelle Trennung von ökonomischen, medialen und politischen Prozessen. Die Diskursfigur leistet eine Ausgrenzung von >Gewalt< in ein soziales Außen und damit eine reinigende Trennung von Gewalt und Gesellschaft. Eine Historisierung dieses diskursiven Topos und eine Analyse der Prozesse, in denen er im ökonomischen Diskurssegment - und das heißt konkreter: in der frühen Werbewirkungsforschung - ausgehandelt wird, lässt Aspekte fraglich werden, die im etablierten Feld als selbstverständ- lich gelten: Warum identifiziert der Diskurs Medien mit ökonomischen Institutionen? Auf welche Weise vollzieht er die Trennung von ohn- mächtigen politischen Operationen und mächtigen ökonomischen Inte- ressen? Die von Foucault als >Ökonomie der Macht< herausgestellte >Macht der Ökonomie< ermöglicht dabei einen anderen Blick auf die Ge- schichte der Medienpolitik in den USA, die in der beschriebenen Dis- kursfigur häufig für das Dilemma der medialen Gewaltdarstellung verantwortlich gemacht wird. Zwar wird schon 1918 im so genannten Alexander Bill festgelegt und im Radio Act von 1927 sowie im Commu- nication Act von 1934 bestätigt, Radiowellen seien Eigentum der Bevöl- kerung, das Radio- und später auch das Fernsehen- sei also eine Ange- legenheit des öffentlichen Interesses und unterstehe damit regierungspo- litischer Regulation. Um dies zu gewährleisten wird die Federal Com- munications Commission etabliert. 16 Jedoch - so die Argumentation des amerikanischen Historikers David Potter-seien diese Festlegungen nur vordergründig, denn tatsächlich werde die Kontrolle der Radiowellen pri- vaten Unternehmen überlassen: vant wird: »Was Anklang findet, wird umfassend kopiert, mit dem Ergeb- nis, daß die verschiedenen Sender Kontrastprogramme mit ähnlichen Inhal- ten bringen und so dem Zuschauer nur wenig Auswahl lassen. Die imitati- ve Vermehrung von Western- und Kriminalserien liefert zusätzliche Be- weise fiir den Einfluß gewinnbringender aggressiver Modellierung. Ohne effektive Mittel der Gegeneinflußnahme bleibt sowohl das Medium als auch das allgemeine Fernsehpublikum den Mißständen einer übermäßigen Kommerzialisierung ausgesetzt.« Albert Bandura: Aggression. Eine sozial- lerntheoretische Analyse, Stuttgart: Klett-Cotta 1979, S. 303. 15 Vorausgesetzt ist hierbei ein Gesellschafts begriff, den gewalttheoretische Erwägungen zugrunde legen, wenn sie Gewalt als das >Andere< der Gesell- schaft beschreiben. V gl. Dirk Baecker: »Gewalt im System«, in: Zeitschrift für sozialwissenschaftliche Forschung und Praxis 47 (1996), H. 1, S. 92- 109. 16 Vgl. zur Beschreibung des Prozesses, der in den USA von 1920-1934 zu dieser medienpolitischen Regelung fiihrt, Philip T. Rosen: The Modem Stentors. Radio Broadcasters and the Federal Govemment, 1920-1934, Westport/CT, London: Greenwood Press 1980. 105 AGGRESSIVE MEDIEN »[A]t a more pragmatic level, the American tradition had placed strong taboos upon govemment activity in any area which could be occupied by private en- terprise [ ... ]. [O]n the whole, regulation went against the American grain, and the fact that the airwaves belonged to the public carried no necessary implica- tion that the use ofthe airwaves would be vigorously regulated.«17 Die politische Unkontrollierbarkeit der Medien, die Potter konstatiert - mit dieser Beschreibung steht er exemplarisch für den dargestellten Dis- kurstopos -, ist eine Zuschreibung, die unsichtbar hält, dass die liberale Reduktion staatlicher Interventionen selbst ein politisches Programm ist. Im gleichen Zug trennt Potter auch mediale von ökonomischen Prakti- ken, um in einem nächsten Schritt zu beschreiben, wie sich Medien in den Dienst kommerzieller Institutionen stellen: » The broadcasters really had nothing to sell except access to a mass audience, and the only parties who had reason to pay for such access were advertisers.«18 Was Potter und mit ihm zahlreiche Vertreter dieser Argumentationsfigur nicht er- wähnen, ist, dass die hier eingeforderten Maßnahmen staatlicher Kontrol- le in Konflikt mit der Rede- und Pressefreiheit geraten, die im so genann- ten First Amendment seit 1791 als Teil des Bill of Rights zentral in der amerikanischen Verfassung verbürgt sind: »Congress shall make no law respecting an establishment of religion, or prohib- iting the free exercise thereof; or abridging the freedom of speech, or of the press; or the right of the people peaceably to assemble, and to petition the Gov- emment for a redress of grievances.« 19 Die politische Regulation der Medien geht also nicht einfach gegen den >American grain<, sondern in der amerikanischen Verfassung ist als poli- tisches Programm verankert, dass diese Intervention nicht zu weit gehen darf. Der Rückzug des Staates aus dem amerikanischen Mediensystem ist also politisch motiviert und nur eine Argumentation, die Politik, Medien und Ökonomie strikt voneinander trennt, kann die Medien als Instrumen- te kommerzieller Konzerne konzipieren, die sich jeder Regulation wider- setzen. Um die Trennung von politischen, ökonomischen und medialen Pro- grammen, wie sie im etablierten Feld des Mediengewalt-Diskurses gän- 17 David Potter: »The Meaning ofCommercial Television« [1966], in: John W. Wright (Hg.), The Commercial Connection. Advertising and the Ame- rican Mass Media, New Y ork: Dell1979, S. 82-93, hier S. 86. 18 Ebd., S. 87. 19 First Amendment Center: »About the First Amendment«, nnter http: //www.firstamendmentcenter.org/about.aspx?item=about_firstamd vom 27. 12.2005. Auf das First Amendment im Rahmen des Mediengewalt-Dis- kurses wird im Teil Regierung der Mediennutzung noch genauer einge- gangen. 106 WERBUNG gig ist, einer Diskurskritik zu unterziehen, ist es zum einen aufschluss- reich, die parallele, einander wechselseitig stützende Ausdifferenzierung von Werbung und Verbreitungsmedien zu berücksichtigen, auf die histo- riografische Darstellungen zur Werbung vielfach hingewiesen haben.Z0 Diese Wechselwirkung setzt mit dem Medium Zeitung ein und bekommt noch vor der Einführung des Radios als Werbemedium Ende der 1920er Jahre einen entscheidenden Auftrieb mit dem Medium Zeitschrift: »T he burgeoning ofthe large-circulation magazinein many countries in the la- te nineteenth and early twentieth centuries faciliated advertising's growth and vice versa.«21 Zum anderen - und dies ist für eine Diskursgeschichte der Medien- gewaltforschung noch entscheidender - spiegelt sich die parallele Aus- differenzierung von Medien- und Werbesystem in den Austauschprozes- sen der sozialpsychologischen Forschungen, die seit Beginn des 20. Jahrhunderts in beiden Bereichen einsetzen. Was dabei häufig in histo- riografischen Texten der Massenkommunikationsforschung übersehen wird, ist die historische V orgängigkeit der W erbeforschung, die schon vor dem Ersten Weltkrieg als angewandt forschender Teilbereich der Psychologie wichtige methodologische Voraussetzungen für spätere Me- dienexperimente auf den Weg bringt.22 Ähnlich wie für den Behavioris- 20 »Advertising is the engine of the media system«, so spitzt dies etwa Leo Bogart zu. Ders.: Strategy in Advertising. Matehing Media and Messages to Markets and Motivations, Lincolnwood/IL: NTC Business Books 31996, S. xvii. Siegfried J. Schmidt sieht die Entstehung des Werbesystems als Teilbereich des Wirtschaftssystems an zwei Entwicklungen gekoppelt: Ers- tens an die Entwicklung eines kapitalistischen, industriell geprägten Wirt- schaftssystems seit dem Ende des 18. Jahrhunderts, zweitens an das Auf- kommen der Massenmedien im selben Zeitraum. Vgl. ders.: Werbewirt- schaft als soziales System. Arbeitshefte Bildschirmmedien 27 (1991), S. 6. 21 S. Ewen: »History of Advertising«, S. 17. Die Bedeutung der Zeitschrift stellt auch Theodore Petterson heraus. Vgl. ders.: »Magazine Advertising: Its Growth and Effects«, in: Wright (Hg.), The Commercial Counection (1979), S. 38-58. Vgl. zur Zeitung Robert Atwan: »Newspapers and the Foundations ofModem Advertising«, ebd., S. 9-23, hier: S. 9: »The role of the advertising agent, the payment of commissions, the function of agen- cies, the publication of circulation figures, competition among media for the advertising dollar, even the market research survey were all familiar aspects of the advertising-media connection before the rise of mass- circulation in the 1890s.« Vgl. zur Verflechtung von Radio- und Wer- bungsentwicklung John W. Spalding: »1928: Radio Becomes a Mass Ad- vertising Medium«, ebd., S. 70-81. 22 Clandia Regnery weist darauf hin, dass die Historiografie der Kommunika- tionsforschung die frühe Werbeforschung als vorwissenschaftlich zurück- weist und nicht in ihre Geschichtsschreibung aufuimmt. Diese Diskurspoli- tik der Ausgrenzung beschreibt sie -wobei sie allerdings stark vereinfacht 107 AGGRESSIVE MEDIEN musist auch im Bereich der Werbeforschung die deutsche Experimental- psychologie des 19. Jahrhunderts für die Forschungsentwicklung in den USA zentral. Einflussreich sind hier zunächst das mechanistische Be- wusstseinsmodell Wilhelm Wundts, aus dem die Werbeforschung zentra- le Annahmen über den Wirkungsverlauf der Werbung übernimmt, und Methoden aus der Wirtschaftspsychologie bzw. der Psychotechnik. 23 Eine Diskurskritik des argumentativen Topos, der die Medien im Dienst kommerzieller Institutionen sieht und für Gewalt in der Gesell- schaft verantwortlich macht, der davon ausgeht, dass ökonomische Inte- ressen eine Lösung des Mediengewalt-Problems verhindern, kann also erfolgen, indem gezeigt wird, dass Konzepte von Medienwirkung vieWil- tig von ökonomischen Aspekten geprägt sind. Dies kann geschehen, in- dem der diskursiv verengte Zugriff auf soziale Gewalt und kommerzielle Medieninstitutionen um umfassendere Aspekte des ökonomischen Dis- kurssegments erweitert wird. Die doppelte Verschränkung der Ausdiffe- renzierungsprozesse von Verbreitungsmedien und Werbung einerseits und der ihnen zugeordneten Forschungsunternehmen andererseits deutet darauf hin, dass Aspekte der Ökonomie und Fragen der Medienwirkung nicht voneinander zu trennen sind. Die Wirkungskonzeption der moder- nen Verbreitungsmedien steht im Kontext einer Ökonomie der gouver- nementalen Vernunft, die ihre Eingriffe in die Interessen der Individuen und des Kollektivs einem Nützlichkeitskalkül entsprechend organisiert, also alle Regierungshandlungen nach ihrem Nutzwert »in einer Gesell- schaft, in der der Tausch den wahren Wert der Dinge bestimmt«, ein- schätzt.24 -folgendermaßen: »Der Beginn der Kommunikationsforschnng ist zeitlich etwa auf die Mitte der 40er Jahre, örtlich auf die USA nnd methodisch auf die Empirie zu fixieren. Forschnngen außerhalb der Vereinigten Staaten und vor dem 2. Weltkrieg rekurrierten- so der Tenor dieser Kommunikati- onsgeschichtsschreibung - auf ein diffuses Konglomerat von Dogmen wie Reiz-Reaktions-Verständnis, Masse-Individuum-Dichotomie, omnipotente Medienwirknng, Manipulation ohne oberen Schwellenwert.« Claudia Reg- nery: Die Deutsche Werbeforschung 1900 bis 1945, Münster: Monsenstein und Vannerdat 2003, S. Sf. 23 Vgl. ebd., S. 44-49. Die Psychotechnik ist nach Dominik Schrage gekenn- zeichnet durch unterschiedliche Verfahren des Eignungstest, die sich zu Beginn des 20. Jahrhunderts als angewandte Psychologie statistisch nnd experimentell um die Optimiernng des >subjektiven Faktors< im Prozess der industriellen Produktion bemüht. Schrage beschreibt Psychotechnik und Radio als konvergierende bzw. einander ergänzende Subjektivierungs- verfahren. Vgl. ders.: Psychotechnik und Radiophonie: Subjektkonstrukti- on in artifiziellen Wirklichkeiten 1918-1932, München: Fink 2001. 24 M. Foucault: Gouvemementalität II, S. 76. Foucault stellt den Begriff des >Interesses< als zentral fiir die liberale Regiernngsknnst heraus: »Das Inte- resse, dessen Prinzip die gouvernementale Vemnnft gehorchen muß, das 108 WERBUNG Konzeptualisierungen des Werbemediums, mediale Gewaltdarstel- lungen und die Wirkungsforschung selbst sind - wie im Folgenden zu sehen sein wird - diesem Nützlichkeitskalkül ebenfalls unterworfen. Im Segment des Medienwirkungs-Diskurses, das als ökonomisch im engeren Sinne gekennzeichnet ist, also im Bereich der frühen Werbewirkungsfor- schung, wird besonders deutlich, wie Medienkonzepte, Wirkungsan- nahmen und die Wirkungsforschung dahingehend befragt werden, in- wieweit sie im Hinblick auf eine Ökonomie der Suggestion des Käufers nützlich oder hinderlich sind. Was sich schon im politischen Diskurs- segment, insbesondere in Reads Beurteilung der atrocity propaganda, angedeutet hat/5 wird hier explizit: Mangelnde Nützlichkeit meint nicht Schädlichkeit für den Mediennutzer, sondern bezieht sich ausschließlich auf die Produktivität im ökonomischen Prozess. Während im Bereich der Erziehung unerwünschte Medienwirkung als Sorge verhandelt wird, der Mediennutzer könne das Falsche lernen,26 geht es im Bereich der Wirt- schaft um die Befürchtung, bestimmte Techniken der persuasiven Wer- bekommunikation, die sich als Teil des diskursiven Umfeldes der Formel >Mediengewalt< verstehen lassen, könnten zur Folge haben, dass der Me- diennutzer sich nicht in der erwünschten Weise als Käufer betätigt. Die Aushandlung dessen findet statt, noch bevor Mediengewalt im etablierten Feld der Mediengewaltforschung als Teil der >Produktionskosten< libera- ler Medienkonzeptionen zu beobachten ist und Sicherheitsmechanismen notwendig werden lässt. Der epistemologische Kontext der Aushandlung von Konzepten er- wünschter und unerwünschter Wirkungen im ökonomischen Diskurs- segment, die sich um die diskursive Formel >Mediengewalt< gruppieren, ist von zwei psychologischen Richtungen geprägt, die zu Beginn des 20. Jahrhunderts vorherrschen: die Gestaltpsychologie, die in Deutschland entsteht und durch Wissenstransfer auch in den USA Bedeutung gewinnt, und erneut die zentrale US-amerikanische Psychologie des Behavioris- mus.27 Im Folgenden soll zunächst beleuchtet werden, inwiefern die Ge- sind jetzt die Interessen, ein komplexes Spiel zwischen individuellen und kollektiven Interessen, zwischen dem sozialen Nutzen und dem ökonomi- schen Profit, zwischen dem Gleichgewicht des Marktes und der Herrschaft der öffentlichen Gewalt. Es ist ein komplexes Spiel zwischen Grundrechten und der Unabhängigkeit der Regierten usw. Die Regierung, jedenfalls die Regierung, die sich diese neue gouvernementale Vernunft zu eigen macht, ist etwas, das mit Interessen umgeht.« Ebd., S. 73. 25 Vgl. den Abschnitt Techniken politischer Gewaltkommunikation im voran- gegangenen Kapitel. 26 Hiermit beschäftigt sich das folgende Kapitel Erziehung: Pädagogik der Gefährdung. 27 Der Psychologiehistoriograf Edwin G. Boring betont Ende der 20er Jahre: »[ ... ] [T]here is now very little experimental work of broad scope or great significance that has not in some way been affected by one or the other of these new movements.« Edwin G. Boring: A History ofExperimental Psy- 109 AGGRESSIVE MEDIEN staltpsychologie in frühen Medienreflexionen der Werbewirkungsfor- schung relevant ist, bevor am Beispiel der Debatte um >negative Appelle< gezeigt wird, wie die Verhandlung von unerwünschten Wirkungen sich an Kriterien der Nützlichkeit orientiert. Im letzten Teil dieses Kapitels geht es dann um den Behaviorismus, der nach und nach die Diskurs- macht gewinnt und frühe gestaltpsychologische Medien- und Rezipien- tenkonzepte verdrängt. Die Aushandlung einer Ökonomie der Suggesti- on, verstanden als Komplex, in dem Bezugsprobleme der Mediengewalt- forschung auftauchen, gibt sich hierin besonders deutlich als Machtpro- zess zu erkennen. Exklusionsmechanismen sichern, dass eine bestimmte Wissensordnung allmählich durchsetzungsfahig wird. Wichtig für die zentrale Fragestellung dieses Kapitels nach der Verflochtenheit von poli- tischen, ökonomischen und medialen Prozessen ist, dass der Behavioris- mus sich selbst in die Praktiken der Werbewirtschaft einerseits und in die des Werbemediums andererseits einschreibt: Er findet als grundlegendes Konzept der Wirkungsforschung Verbreitung über Prozesse der Wer- bung. Anzeigen und ihre mediale Umgebung In den 1910er und 20er Jahren beginnt die amerikanische Industrie Sozi- alwissenschaftler und Psychologen zu beschäftigen, um ihre Werbestra- tegien zu verbessern. Die Auftragsforschung zu dieser Zeit macht es sich zur Aufgabe, die Wirkung von Werbeappellen auf den potenziellen Käu- fer als mess- und vorhersagbare Größe zu bestimmen.28 Ein prominenter Vertreter der neuen, auftragsorientierten Werbeforschung ist der Psycho- loge Walter Dill Scott, der Suggestion zu einer elementaren Kategorie in ökonomischen Konzepten der Beeinflussung macht. In seiner Studie In- jluencing Men in Business, die 1911 erscheint, entwirft er eine histori- chology, New York, London: The Century Co. 1929, S. 570. Die Gestalt- psychologie entsteht zu Beginn des 20. Jahrhunderts als Symbiose hetero- gener philosophischer nnd psychologischer Forschnngen, die an den Uni- versitäten Prag, Würzburg, Berlin nnd Graz angestellt werden. Die wich- tigsten Vertreter der Gestaltpsychologie sind Max Wertheimer, Wolfgang Köhler, Karl Bühler, Kurt Koffka und Kurt Lewin. Zentraler Fokus dieser unterschiedlichen Strömnngen liegt auf den Wahmehmnngsprozessen des Menschen; wichtige Paradigmen zur Wahmehmnng der >Gestalten< sind »die Nichtsummativität des Ganzen nnd die Transponierbarkeit der Struk- tur«. Vgl. Friedhart Klix: »Über Gestaltpsychologie«, in: Zeitschrift für Psychologie 112 (2001), H. 209/1, S. 1-16, Zitat: S. 2. 28 Vgl. James R. Beniger: The Control Revolution. Technological and Eco- nomic Origins of the Information Society, Cambridge/MA, London: Har- vard University Press 1986, S. 282 u. S. 386f., sowie S. Ewen: »History of Advertising«, S. 18f. 110 WERBUNG sehe Entwicklung, nach der das Verständnis des Menschen sich vom vernünftigen zum suggestiblen Lebewesen gewandelt habe: »While tradi- tion regarded man as wholly logical, the modern conception [ ... ] makes him largely a creature of suggestion.«29 Scott beschreibt den Mesmeris- mus als Vorläufer des Suggestionsprozesses und betrachtet James Braid, Ambroise-Auguste Libeault und Hippolyte Bernheim mit ihren hypnoti- schen Experimenten als seine eigentlichen Entdecker.30 Seitdem sei die Suggestion in unterschiedlichsten Bereichen, vor allem aber in der Ge- schäftswelt von großer Relevanz: »During recent years suggestion has been heralded as the great force in educa- tion and religion, in social and political movements, and in the promotion of health and the amelioration of sickness. It has been confidently asserted that the results of the advertiser and of all salesmen are dependent upon the subtle working of suggestion rather than upon the logical presentation of facts to the reason ofthe customers.«31 Der Unterschied zwischen Hypnoseexperimenten des 19. und Werbeprak- tiken des frühen 20. Jahrhunderts ist nach Scott nur graduell. Der Ge- schäftsmann habe in der Suggestion, die er selbst zur Anwendung brin- gen soll, eine abgeschwächte Form von Hypnose zu sehen: »In hypnosis he sees the extreme working of a method of influencing men which is available for him in less extreme forms.«32 Suggestion, wie sie von Scott konzipiert wird, gibt sich deutlich als ein Verfahren der Wirkungskontrolle zu erkennen. Um welche Wirkung geht es aber in diesem ökonomischen Diskurs zu Beginn des 20. Jahr- hunderts? Zielen die wirkungskontrollierenden Verfahren allein auf er- folgreiche Produktwerbung, oder wird die Medienwirkung zu diesem frühen Zeitpunkt bereits im Prozess der Werbung mitreflektiert? Auf- schlussreich ist hier die Einschreibung eines weiteren epistemologischen Programms: Seine Anleitungsschrift für erfolgreiche Werbung, die 1913 erscheint, entwickelt Scott - ohne diesen theoretischen Bezug zu nennen - in Anlehnung an gestaltpsychologische Konzepte.33 Das wird beson- 29 Walter Dill Scott: Influencing Men in Business. The Psychology of Argu- ment and Suggestion [1911]. Revised and Enlarged by Delton T. Howard, New York: The Ronald Press Comp. 31928, S. 35. 30 Vgl. ebd., S. 32-34. 31 Ebd., S. 34. 32 Ebd., S. 48. 33 Über die in der Studie deutlichen Bezüge hinausgehend ist ein direkter Wissenstransfer der Gestaltpsychologie in die USA naheliegend, weil Scott nach seinem Studium in den USA bei Wilhelm Wundt an der Universität Leipzig promovierte und 1900 in die USA zurückkehrte. Vgl. Northwest- em University Alunmi News, February 1939: Northwestem's Number One Alunmus. Dr. Walter Dill Scott, unter http://www.angelfire.com/biz/pot- 111 AGGRESSIVE MEDIEN ders deutlich in dem für die Gestaltpsychologie zentralen Paradigma der ganzheitlichen Wahrnehmung, das Scott auch für die Werbung geltend macht: »The pointtobe emphasized isthat we da notfirst perceive the parts and unite them to form the greater wholes, but that we first perceive the wholes and only after the process of analysis has been completed da we perceive the parts.«34 Diese Konzeption des Wahrnehmungsprozesses ist wichtig, weil sie zu einem viel früheren Zeitpunkt, als dies etwa im politischen Diskursseg- ment geschieht, den Begriff des Mediums in epistemologische Vermes- sungen des Wirkungsprozesses einführt: »The medium gives a tone ofits own to all the advertisements contained in it.«35 Die Beschaffenheit des Werbemediums, das hier durch die Unterschiedlichkeit verschiedener Publikationsorte gekennzeichnet ist, bestimmt Scott nicht als sekundär, sondern sie trägt seiner Auffassung nach entscheidend zur Wahrnehmung einer Anzeige bei: »In choosing the publications in which he should place his advertisement, the advertiser should not only consider the circulation and the kind of circulation, but he should also consider the tone which each publication would add to his particular advertisement.«36 Das gestaltpsychologische Prinzip der >Fusion< von Teilen zu einer Wahrnehmung des Ganzen hat eine Kopplung von Medium und Anzeige zur Folge, die Scott wiederum mit einer Konzeption des durchschnittli- chen, suggestiblen Menschen verbindet: »The ordinary man and woman arenot accustomed to criticallogical thinking. They are not accustomed to consider an object or argument on its own merits and independent of all other things. They are more inclined to take objects, ar- guments, and events in their entirety. [ ... ] Ifthose who construct and place ad- vertisements would consider this principle of fusion, they would be more care- tershouse/walterdillscott/bio w d scott featurel.html vom 29.12.2005. Bo- ring weist 1929 in seiner History of Experimental Psychology darauf hin, dass in den 1920er Jahren Wolfgang Köhler und Kurt Koffka entscheidend zur Rezeption der Gestaltpsychologie in den USA beigetragen haben. V gl. ebd, S. 575. 34 Walter Dill Scott: The Theory and Practice of Advertising. A Simple Ex- position of the Principles of Psychology in their Relation to Successful Ad- vertising [1913], Bristol: Thoemmes 2002, S. 99 (Kursivierung im Origi- nal). 35 Ebd., S. 102 (Kursivierung im Original). 36 Ebd., S. 103. 112 WERBUNG ful in their choice of mediums, in the association of advertisements, in the make-up andin the construction ofthe individual advertisements.«37 Scott legt in seiner Werbelehre dem Geschäftsmann also nahe, die >Wahl des Mediums< zu bedenken. Er geht dabei zwar nicht so weit, die Media- lität der Werbung oder die grundsätzliche Verflochtenheit von Medien- und Werbewirkung, die er implizit voraussetzt, auch zu reflektieren. Die Relevanz des Mediums ist in Scotts Konzeption einem Defizit des Rezi- pienten geschuldet, nämlich seiner Unfahigkeit, die >reine<, a-mediale Werbebotschaft wahrnehmen zu können. Auch wenn Scott zu seiner Be- schreibung gelangt, indem er den >gewöhnlichen< Mediennutzer als Käu- fer abwertet, bleibt hierbei dennoch entscheidend: Das Medium sowie die Wahrnehmung des Konsumenten spielen eine wichtige Rolle in der Konzeption der W erbewirkung. Werbung wirkt in diesem Verständnis nur, wenn sie auf die richtige Weise medial vermittelt wird und wenn der Rezipient sie wahrnimmt. Selbst wenn dies nur für >the ordinary man and woman< gilt, macht Scott die Bedeutung des Mediums und der ganzheit- lichen Wahrnehmung in seiner Beschreibung von Werbestrategien zent- ral. Denn schließlich konstatiert Scott: »T he advertiser must deal with man as he is and not with some ideal being.«38 Auch wenn sich die Con- tainer-Vorstellung des Mediums zentral einschreibt, steht diese im Span- nungsverhältnis zu weiteren Überlegungen, die Scott einbringt: Über die gestaltpsychologische Wahrnehmungskonzeption erhält das Medium eine wichtige Position im Prozess der Werbung. Was die Einschreibung der Medien in die Werbewirkungsforschung im Hinblick auf eine Ökonomie der Macht und als Prozess, in dem For- mationsregeln des Mediengewalt-Diskurses ausgehandelt werden, signi- fikant macht, ist die Integration der Wirkungsfrage in ein ökonomisches Nützlichkeitskalkül: Die Medien geraten in den Blick, weil die ökonomi- sche Suggestion erfolgreich verlaufen soll. In der Forschungspraxis er- weist es sich als unabdingbar, das Medium in den Werbungsprozess zu integrieren und eine starke Medienwirkung, in diesem Sinne >aggressive Medien<, anzunehmen. Werbung lässt sich nicht a-medial denken: Um erfolgreich zu sein, muss sie wirkende Verbreitungsmedien voraussetzen. Diese implizite Voraussetzung bleibt auch bestehen, wenn gestaltpsycho- logische Medienkonzepte verdrängt und durch behavioristische ersetzt werden, in denen das Medium als bloßer Kanal der Stimulus-Über- tragung fungiert. Bevor die Rolle des Behaviorismus im Rahmen einer >Ökonomie der Macht< im Mediengewalt-Diskurs in den Blick kommt, soll exemplarisch eine zentrale Debatte der frühen Werbewirkungsfor- schung beleuchtet werden. 37 Ebd., S. 115. 38 Ebd., S. 60. 113 AGGRESSIVE MEDIEN Die Rationalisierung negativer Werbewirkung Wie kann gewährleistet werden, dass die Medien auch im Sinne des wer- benden Kommunikators wirken? Kann der Kommunikator die Macht des Werbemediums auf den Rezipienten endlos steigern, oder gibt es Gren- zen der Werbekommunikation? Wann schlägt eine suggestive Werbebot- schaft von Nützlichkeit in Schädlichkeit um? Wann ist Werbung negativ im Sinne von: kauthinderlich? In der Frühzeit der Werbeforschung findet sich eine breite Debatte, die diese Fragen unter den Bezeichnungen nega- tivesuggestionoder negativeappealfür das Medium Zeitschrift verhan- delt. In der Diskussion um negative Werbereize-so die Ausgangsüber- legung- wird der Gewaltaspekt in den Praktiken der Suggestion verhan- delt, die im Bereich der Werbung zum Einsatz gebracht werden, um Wirkung zu stabilisieren. Die Konzepte negativesuggestionund negative appeal sollen im Folgenden sowohl hinsichtlich ihrer Kontinuität als auch hinsichtlich ihrer Diskontinuität zur Kurzschlussformel >Medien- gewalt<, wie sie im gegenwärtigen Diskurs erscheint, beleuchtet werden. Der im Psychological Laboratory der Indiana University tätige Wer- bepsychologe Harry D. Kitson beschreibt negative suggestion 1922 im Journal ofA pplied Psychology folgendermaßen: »A negative suggestion was defined as (a) a phrase containing mo,< mone,< mothing,< or >not;< (b) the mention of any act on the part ofthe buyer which would deny the use of the commodity advertised, e.g., >Do not wear yourself out by sweeping; < (c ) the mention by word or through illustration of any article competing with the one being advertised.«39 Die Definition der negativeappealsdurch die Werbeforscher D.B. Lucas und C.E. Benson zielt- nicht unbedingt im Gegensatz zu Kitsons Defini- tion- auf die psychologischen Prozesse des adressierten Käufers: »Any appeal to human motivation involves either a desire for attainment or an impulse to avoid. All appeals to attainment may be called positive, while ap- peals to avoidance are negative. A negative advertising appeal is then an at- tempt to stimulate the reader to the avoidance of a repulsive situation. «40 Um diesen Vorgang des negativen Werbereizes exemplarisch zu verdeut- lichen, führen Lucas und Benson zwei illustrierte Zeitschriftenwerbun- 39 Harry D. Kitson: »Minor Studies in the Psychology of Advertising. From the Psychological Laboratory of Indiana University VII. Negative Sugges- tion in Advertising«, in: The Journal of Applied Psychology 6 (1922), H. 1, S. 66-68, hier S. 66. 40 D.B. Lucas/C.E. Benson: »The Historical Trend of Negative Appeals in Advertising«, in: The Journal of Applied Psychology 13 (1929), H. 4, S. 346-356, hier S. 347. 114 WERBUNG gen an, die dasselbe Produkt - eine Zahncreme der Marke Pebeco - auf ganz unterschiedliche Weise anpreisen. Die eine Anzeige versucht, die Zahncreme über positive Beschreibungen und Werbeversprechen für den potenziellen Käufer attraktiv zu machen: »Admired everywhere, the ra- diant smiles that show The Mouth of Y outh«; die andere Anzeige warnt dagegen vor den Konsequenzen, die der Rezipient zu befürchten hat, wenn er das Produkt nicht anwendet: Die Anzeige zeigt einen Mann, der sich mit schmerzverzerrtem Gesicht die Wange hält: >»I had six teeth pulled this moming<. Six precious teeth he has lost forever! Six teeth that would still be in his gums - firm, white teeth, good to look at - had he taken proper care of them.«41 Ein weiteres Beispiel führen Lucas und Benson an: Eine Zeitschriftenwerbung zeigt im Wald spielende Kinder, denen eine unheimliche Gestalt auflauert. Der dazugehörige Werbetext für ein Arzneimittel warnt: »An Appeal to Parents, protect the cuts and bruises from the Gray Specter oflnfection.«42 Die Frage nach der Nützlichkeit von negativen Werbereizen und Suggestionen treibt in den 1920er und 30er Jahren zahlreiche US-ame- rikanische Werbeforscher und -praktiker um. Der Psychologe Albert Pof- fenberger konstatiert Ende der 20er Jahre: »Üne of the most disputed questions confronting the advertising specialist concems the relative value ofpositive and negative appeals.«43 Lucas und Benson finden diese Auffassung in der Werbepraxis bestätigt: »A copy writing supervisor in one of the world's leading advertising agencies verifies this statement, and adds that the question is discussed, argued and rationalized weekly in practically every advertising agency in the country.«44 Die Debatte um die negative Werbung lässt sich als Spiegelung der Kontroverse um die atrocity stories aus dem Bereich der Kriegspolitik in den - im engeren Sinne - ökonomischen Bereich verstehen. Auch bei den negative appeals undsuggestionshandelt es sich um Diskursfiguren, die sich im Umfeld der Kurzschlussformel >Mediengewalt< situieren und so auf die Geschichtlichkeit dieser Formel verweisen: Wie bei den atro- city stories wird Mediengewalt einerseits auf der Inhaltsebene der Wer- bung, andererseits in der Reaktion des Rezipienten sichtbar, ohne explizit als >Gewalt< gekennzeichnet zu werden. Negative Werbung versucht den Rezipienten zum Kauf zu bewegen, indem sie ihm eine unangenehme Si- tuation vorführt, die mithilfe des beworbenen Produkts abgewendet wer- den kann, oder indem sie ihm suggeriert, eine bestimmte Handlung nicht auszuführen. Was die Debatte zu einer Figur der Inversion im Hinblick 41 Zit. nach: D.B. Lucas/C.E. Benson: »The RelativeValues of Positive and Negative Advertising Appeals as Measured by Coupons Retumed«, in: The Journal of Applied Psychology 13 (1929), H. 3, S. 274-300, hier S. 276 u. 277. 42 Zit. nach: D. Lucas/C. Benson: »Historical Trend«, S. 354. 43 Hier zitiert nach: Albert T. Poffenberger: Psychology in Advertising, New York, London: McGraw-Hill 21932, S. 573. 44 D. Lucas/C. Benson: »Relative Values«, S. 274. 115 AGGRESSIVE MEDIEN auf den etablierten Mediengewalt-Diskurs macht, ist, dass die Reaktion des Rezipienten als negative Emotion bzw. als Angst hinsichtlich ihrer Nützlichkeit oder Schädlichkeit für den Erfolg der Werbewirkung in den Blick gerät. Die Frage der negativen Werbung lässt sich also, unter der Vorraussetzung des Konzepts von Mediengewalt als einer Leerstelle, um die sich unterschiedliche Konzepte eines medialen Wirkungsprozesses gruppieren, folgendermaßen zuspitzen: Kann Mediengewalt ökonomisch nutzbar gemacht werden? Die Produktivität von Mediengewalt, wie sie hierbei verhandelt wird, ist identisch mit ihrer Fähigkeit, Werbewirkung zu kontrollieren bzw. zwingend zu machen. In der Kontroverse um diesen ökonomischen Nutzen plädieren Wer- bepsychologen wie Kitson und Scott dafür, negative Suggestionen durch positive zu ersetzen.45 Scott verknüpft dies mit dem in seiner Werbepsy- chologie zentralen Argument, dass der Mensch ein suggestibles Lebewe- sen sei. Er betont, dass die Emotionen des Rezipienten eine große Rolle im Prozess der Suggestion spielen: »[T]he attention value of an object depends on the intensity of the feefing aroused.«46 Für den Werbeerfolg ist die Erregung von Gefühlen also unabdingbar, nach Scott dürfen diese aber in aller Regel nicht negativ sein: »The advertiser must avoid arousing feelings that mitigate against a favorable response to his appeal, orthat produce negative or inhibited attitudes. The advertiser may adopt as a general rule the principle that pleasant feelings should be aroused by an advertisement, and unpleasant feelings avoided. Only under the most exceptional conditions should anything be permitted in an ad- vertisement that would suggest or induce an unpleasant feeling-tone. It is this principle that leads advertisers to avoid >negative< copy.«47 Anfang der 20er Jahre versucht Kitson mittels der so genannten >histori- schen Methode< zu klären, ob sich die Werbeindustrie an diesen Rat gehalten hat bzw. ob sich die Ineffizienz negativer Appelle in der prakti- schen Werbearbeit als richtig erweist. Nach Kitson zeigen aktuelle An- zeigen den »trend of progress« in der Werbung, sie liefern »guide posts showing the location of pitfalls and pointing out the directions in which success has been attained«; es sei davon auszugehen, dass in der Wer- bung effektive Strategien sich in einer Art »economic >survival ofthe fit- test<«48 durchsetzen. Aus diesem Grund glaubt Kitson, Werbewirksam- keitauf folgende Weise messbar machen zu können: 45 Vgl. H. Kitson: »Negative Suggestion«, S. 66. 46 W. Scott: Theory and Practice, S. 29 (Kursivierung im Orignial). 47 Walter Dill Scott: The Psychology of Advertising [1932, Completely Re- vised by Delton T. Howard], Bristol: Thoemmes 2000, S. 140. 48 Harry D. Kitson: »Minor Studies in the Psychology of Advertising. From the Psychological Laboratory of Indiana University. Introduction: The Use of the Historical Method in Investigation of Problems of Advertising«, in: The Journal of Applied Psychology 5 (1921), H. 1, S. 5-7, hier S. 6 u. S. 7. 116 WERBUNG »In employing it [the historical method, 1.0.] we must first state our problern in the form of a question; then go to the files of newspapers and magazines such as exist in almost every library of parts. Among the advertisements contained therein we must search for the answer to our question; then we may tabulate our results and express them graphically.«49 In Anwendung der >historischen Methode< auf die Frage der negative suggestions wertet Kitson drei repräsentative Zeitschriften - Harper's Weekly, Literary Digest und Collier 's- der Jahre 1900 bis 1920 systema- tisch aus. Kitson stellt fest, dass die negative Suggestion im historischen Verlauf nachlässt und bewertet dies als Zeichen für die Unwirtschaftlich- keit dieser Werbeform: »In so far as historical evidence is indicative of the financial success of a mode of appeal, they indicate that advertisers have found it increasingly profitable to reduce the number of negative suggestions«.50 Wenn er einen leichten Anstieg negativer Suggestion im Untersuchungszeitraum zu erklären versucht, wird diese Argumentation allerdings unklar: » The slight increase in 1910 may be due to the fact that advertising was taking on great vigor about the time and that in their zeal for achieving impressiveness advertisers were tempted to use quantity regardless ofthe value oftheir suggestions.«51 Was aber bedeutet >quantity< im Vergleich zu >value<, wenn es doch darum geht, anhand des Gebrauchs einer bestimmten Werbeform ihren ökonomischen Erfolg zu verdeutlichen? Unterminiert Kitson hier implizit seine eigene Beweisführung, indem er der negativen Werbung >impressi- veness< unterstellt? Die Vermutung liegt nahe, dass dem Kalkül der öko- nomischen Nützlichkeit hier andere Bewertungskriterien an die Seite ge- stellt werden, die negative Suggestion nicht mehr nur entlang der Unter- scheidung verkaufsfördernd/verkaufshinderlich messen, sondern an der Unterscheidung gut/schlecht. Negative Suggestion wird zu einem Zei- chen von qualitativ schlechter, möglicherweise sogar geschmackloser Werbung. 2 5 Ende der 20er Jahre führen Lucas und Bensou eine Studie durch, die das Kriterium der ökonomischen Nützlichkeit sehr viel radikaler geltend macht und dementsprechend zu einem anderen Ergebnis kommt. Die Ef- fektivitätsmessung von positiver bzw. negativer Werbung führen die For- scher mithilfe einer Auswertung von return coupans durch. Wie Scott in seiner Theory and Practice ofA dvertising beschreibt, ist es schon ab En- 49 Ebd., S. 6. 50 H. Kitson: »Negative Suggestion«, S. 68. 51 Ebd. 52 Im Zusammenhang mit seiner Beschreibung von angenehmen und unange- nehmen Emotionen, die durch positive bzw. negative Werbung hervorgeru- fen werden können, rekurriert Scott auf das Kriterium des guten Ge- schmacks: »In any established community, however, there exist certain standards of >good taste.< These standards must be carefully respected by the advertiser.« W. Scott: Psychology of Advertising, S. 144. 117 AGGRESSIVE MEDIEN de des 19. Jahrhunderts üblich, den Anzeigen einen Einsendeabschnitt beizufügen, über den der Zeitschriftenleser der werbenden Firma seine Adresse übermitteln kann, um Sonderangebote des beworbenen Produkts zugeschickt zu bekommen. Zu Beginn als Hilfsmittel für den Werbetrei- benden gedacht, damit dieser die Effizienz der unterschiedlichen Zeit- schriften, in denen er seine Werbung platziert, überprüfen kann, stellt Scott den returncouponals Teil der Werbung heraus: Der Bestellcoupon weckt die Aufmerksamkeit des Lesers und fordert ihn zur unmittelbaren Handlung heraus. Aus diesem Grund nimmt er nach Scott eine wichtige Funktion im Suggestionsprozess der Anzeige ein. 53 Lucas und Benson schließen an die Funktion des return coupans zur Wirkungskontrolle an und schätzen seinen Wert noch höher ein als Ver- kaufszahlen, weil er über eine entsprechende Kennzeichnung die direkte Zuschreibung einer Rezipientenreaktion zu einem spezifischen Werbe- appell erlaubt.54 Während Kitson die Rhetorik des Werbetreibenden zum Kriterium des ökonomischen Nutzens von negativer Werbung macht, konzentrieren sich Lucas und Benson auf die Reaktion des Mediennut- zers. Die Verschiedenheit der Konzepte negative suggestion (Kitson) bzw. negative appeals (Lucas/Benson) steht in engem Zusammenhang mit dieser unterschiedlichen Gewichtung der Studien. 55 Die Werbepsychologen Lucas und Benson stellen die Anzahl der Coupons positiver und negativer Werbungen jeweils für dasselbe Pro- dukt,56 die aus populären amerikanischen Zeitschriften stammen, in Rela- tion zueinander dar und konstatieren im Unterschied zu Kitson, »there is no inherent advantage favoring positive appeals as compared with nega- tive appeals in advertising those products which are now using both types.«57 Darüber hinaus argumentieren auch Lucas und Benson über den Gebrauchswert von Anzeigen in der Werbepraxis. Sie zitieren practical advertisers, die sowohl für den Erfolg der positive als auch für den der negative appeals plädieren. Mit Bezug auf Scotts und Kitsons Argumen- tation stellen sie die Kontroverse um die negative Werbung als Streit zwischen Theorie und Praxis dar: »It would seem that there is a wide dif- ference of opinion between psychologists and practical advertisers«; ihre 53 Vgl. W. Scott: Theory andPractice, S. 79-95. 54 Vgl. D. Lucas/C. Benson: »Relative Values«, S. 279. 55 Dies zeigt sich schon in der Unterschiedlichkeit, mit der jeweils festgelegt wird, was eine Werbung als negative suggestion bzw. appeal kennzeichnet: Kitson beschreibt sie als Teil der rhetorischen Werbestrategie, die sich im Voraus und unabhängig von der Werbewirkung bestimmen lässt. Lucas und Bensou verstehen sie als erst im Wirkungsprozess identifizierbar und gelangen daher über die Klassifikation von Anzeigen durch mehrere Be- obachter zur Kennzeichnung einer Anzeige als negative appeal. Vgl. etwa: D. Lucas/C. Benson: »Historical Trend«, S. 349. 56 Vgl. den oben beschriebenen positiven und negativen Appell, die Pebeco- Zahncreme zu kaufen. 57 Ebd., S. 299. 118 WERBUNG eigenen Studien, so legen es die beiden Forscher nahe, sollen für die Sei- te der Werbepraktiker den »lack of scientific data« beheben. Empirie fungiert hier also als Brückenschlag zwischen Werbetheorie und Werbe- praxis.58 Was Lucas und Benson einfordern, ist, die Frage der negativen Werbung differenzierter zu betrachten, sie nicht grundsätzlich abzuleh- nen. Sie unterwerfen ihr Konzept der negative appeals damit radikal öko- nomischen Kriterien, orientieren es an werbepraktischen Gesichtspunk- ten und bemühen sich um eine wissenschaftliche Unterfütterung dieser Strategie. Die Differenzierung des negativen Werbereizes treiben Lucas und Benson in zwei Untersuchungen noch weiter, die das Journal of Applied Psychology 1930 veröffentlicht. Bei der ersten Studie handelt es sich um ein Laborexperiment, das die Erinnerung an Produktmarken testet. Den Versuchspersonen - es handelt sich im ersten Durchlauf um erwachsene Studenten, im zweiten um Schüler im Kindesalter - werden Anzeigen mit positiven und negativen Werbereizen gezeigt. Anhand einer Liste von Produkten sollen sie sich anschließend an die zugehörigen Marken- namen erinnern. Ergebnis des Experiments ist, dass positive und negative Werbung bei den Erwachsenen keinen Unterschied hinsichtlich des Erin- nerungswerts aufweisen, auch bei der Unterscheidung von Männem und Frauen zeigen sich keine Differenzen. Jedoch kommt das Experiment mit Kindem zu einem anderen Ergebnis: Insbesondere für kleine Kinder gilt, dass positive Werbereize besser erinnert werden.59 Ohne von Schäd- lichkeit der negativen Werbereize zu sprechen, wird hier eine Differen- zierung eingeführt, die im Rahmen einer Diskursgeschichte der Medien- gewaltforschung zentral ist: die Unterscheidung zwischen Kindem und Erwachsenen hinsichtlich ihrer Reaktionen auf Formen der Medienge- walt Allerdings bleibt diese Differenzierung eingebunden in die öko- nomische Rationalität: Negative Werbung wirkt bei Kindem-bezogen auf die Erinnerung als Voraussetzung für den gewünschten Kaufimpuls - weniger gut als positive. In einer weiteren Untersuchung verlegen Lucas und Benson ihre Bemühung, negative Appelle differenziert zu betrachten, auf die Pro- duktebene. Das Ergebnis eines Vergleichs von Verkaufszahlen zeigt: Die Effektivität der unterschiedlichen Werbearten divergiert von Produkt zu Produkt. Bei einer Arzneiwerbung, so Lucas und Benson, erweist sich die Warnung vor gesundheitlichen Schäden erfolgreicher im Vergleich zu einer Anzeige, die mit guter Gesundheit argumentiert. Dieses Ergeb- nis sei besonders bedeutsam, weil Experten bisher ein umgekehrtes Ran- king behauptet haben: » The error in their judgment is a further proof on 58 Ebd., S. 298. 59 Vgl. D.B. Lucas/C.E. Benson: »The Recall Values of Positive and Nega- tive Advertising Appeals«, in: The Journal of Applied Psychology 14 (1930), H. 3, S. 218-238. 119 AGGRESSIVE MEDIEN the need for more scientific knowledge about advertising, and also the necessity for making separate studies for each class of goods.«60 Die Kontroverse, ob und wie negative Werbung kalkulierbar und po- sitiv einsetzbar gemacht werden kann, beschränkt sich nicht auf die frühe W erbeforschung. Die Debatte ist zwar für die 1920er und 30er Jahre zentral, beschäftigt die Werbepraxis und -forschung in ihrem historischen Verlauf aber weiterhin.61 Da hier einige Aspekte explizit werden, die in der frühen Werbeforschung eher implizit verhandelt werden, sei ab- schließend ein Artikel aus den 1970er Jahren erwähnt. Die Studie der Marketingforscher John Wheatley und Sadaomi Oshikawa, die am Insti- tute of Life Insurance der Washington University tätig sind, macht die Zuschauerdifferenzierung, die auch Lucas und Benson vornehmen, zum zentralen Thema. Die Forscher untersuchen die Relation zwischen der Angst des Käufers und positivem oder negativem appeal, wobei von fol- gender lerntheoretischer Annahme ausgegangen wird: »[A]ny stimulus presented to an individual is associated with a particular re- sponse if that response is followed by psychological reinforeerneut [ ... ]. Psy- chologists have shown that a negative message which succeeds in arousing anxiety or fear creates a secondary drive and a reduction of the fear or anxiety thus created has been shown to constitute an effective kind of reinforeerneut [ ... ] [U]nder these circumstances, leaming - and consequently attitudinal and behavioral change on the part of the message recipient- can take place. [ ... ] [T]he person involved will attempt to reduce his or her anxiety level, for exam- ple by searching for some kind ofreassurance.«62 Gerade durch die Angst des Käufers setzt also der erwünschte Lernpro- zess ein- wenn diese Angst durch die rettende Empfehlung der Werbung aufgefangen wird. Im Beispiel von Lucas und Benson wäre diese: >Begin using Pebeco today<. Der Faktor Angst wird bei Wheatley und Oshikawa 60 D.B. Lucas/C.E. Benson: »Some Sales Results for Positive and Negative Advertisements«, in: The Journal of Applied Psychology 14 (1930), H. 4, S. 363-370, hier S. 368. Durch weitere Experimente kommen Lucas und Bensou zu dem Schluss: Auch Werbung fiir Bücher erzielt bessere Ergeb- nisse, wenn sie negativ appelliert, ein Weiterbildungskurs sollte dagegen besser über positive Reize beworben werden. 61 Vgl. Norman Kangun: »How Advertisers Can Use Leaming Theory. Mass Marketing Requires Mass Communications«, in: Business Horizons 11 (1968), H. 2, S. 29-40, hier S. 36: »Üne ofthe most vexing problems facing advertisers is the choice of appeal (or appeals) tobe used in an advertise- ment. Should the promoted characteristic of a product or service be posi- tive or negative?« 62 John J. Wheatley/Sadaomi Oshikawa: »The Relationship Between Anxiety and Positive and Negative Advertising Appeals«, in: Journal of Marketing Research 7 (1970), S. 85-89, hier S. 85. 120 WERBUNG - und das ist entscheidend - explizit zum grundlegenden Element des Wirkungsprozesses: »anxiety may produce emotional tension and effec- tively arouse in the recipient a sense of need which is, of course, an es- sential ingredient in the persuasive communications process.«63 Aller- dings schränken die Marketingforscher ihre Ausgangshypothese, die sie anhand eines Experiments mit positiven und negativen Werbetexten ei- ner Lebensversicherung als grundsätzlich zutreffend herausstellen, ein: Die erzeugte Angst darf nicht zu groß sein: »It is generally agreed that a communication must, if it is to be effective, be strong enough to arouse the recipient to a >drive state< but not beyond that point.«64 Hier wird eine Fragestellung deutlich, die schon in der frühen Wer- beforschung anzutreffen ist: Gibt es eine Möglichkeit, die Angst des Käufers kalkulierbar zu machen und den Interessen des Kommunikators entsprechend einzusetzen? Die Debatte um negative Werbereize lässt sich im Hinblick auf die Geschichtlichkeit der Mediengewalt-Formel folgendermaßen zuspitzen: Während Scott und Kitson den Gewaltaspekt in suggestiven Verfahren der Wirkungskontrolle unsichtbar halten wol- len, indem sie negative Suggestion als ineffizient und unerwünscht ab- lehnen, orientieren sich Lucas und Benson in ihrer Beurteilung dieser Fa- cette von Mediengewalt radikal an einem ökonomischen Nützlichkeits- kalkül. In ihrem Plädoyer dafür, unter bestimmten Bedingungen negative Werbung einzusetzen, lassen sie sichtbar werden, dass Verfahren der Wirkungskontrolle mit einer gewaltsamen Einflussnahme operieren- mit einer Gewalt, die ökonomisch produktiv gemacht wird. Die Untersuchungen von Wheatley und Oshikawa haben noch eine weitere Implikation: Ihre Beschreibung des Werbeprozesses im Stimu- lus-Response-Modell macht deutlich, dass gestaltpsychologische Kon- zeptionen, die für die frühe Werbeforschung zentral sind, im historischen Verlauf der Werbeforschung an Bedeutung verlieren. Eine andere psy- chologische Schule, der Behaviorismus, gewinnt die Diskursmacht, ge- rade im Bereich der applied psychology. Wheatley und Oshikawa ver- handeln eine lerntheoretische Modifikation des Behaviorismus, auf die im folgenden Kapitel zum pädagogischen Diskurssegment näher ein- gegangen wird. Zunächst werden aber nochmals die Anfange des Beha- viorismus und seine Verbreitung in den 1920er Jahren in den Blick ge- nommen, also der Zeitpunkt, an dem sich die behavioristische Wirkungs- 63 Ebd., S. 86. 64 Ebd., S. 85f. Hinzu kommt, dass die Ängstlichkeit der Zielpersonen unter- schiedlich ist: »[A] person with analready high preexposure anxiety level might respond better to a positive appeal than a negative appeal because such an individual is likely to distort or shut out the fear-arousing mes- sage«. Ebd., S. 86. Mit dieser Hypothese ist die Studie anschließbar an das Erinnerungsexperiment von Lucas und Benson, wonach bei - man köunte nun ergänzen: ängstlicheren - kleinen Kindem bessere Erinnerungswerte für positive Werbung gemessen werden köunen. 121 AGGRESSIVE MEDIEN forschung selbst in die ökonomischen Prozesse der Medienwirkung ein- schreibt. Wirkungsforschung im Werbemedium Wenn sich der Text »Psychology as the Behaviorist Views It« aus dem Jahr 1913 als Manifest eines zentralen Diskursereignisses, das als >Grün- dung< des Behaviorismus beschrieben werden kann, lesen lässt, so ist auch John B. Watson >Diskursbegründer< des Behaviorismus, insofern seine Funktion als >Autor< dieses Textes sich »als Prinzip der Gruppie- rung von Diskursen, als Einheit und Ursprung ihrer Bedeutungen, als Mittelpunkt ihres Zusammenhalts«65 verstehen lässt. Wenn Watson 1920 den akademischen Bereich verlässt und von seiner Professur an der John Hopkins University in Baltimore zu einem Posten in der Werbeagentur J. Walter Thompson wechselt, so wird dies dementsprechend nicht als bio- grafisches Ereignis im Leben des >Gründungsvaters< Watson verstan- den.66 Vielmehr ist hier von Interesse, dass er als >Überläufer< in den Be- reich der Werbewirtschaft die behavioristische Konzeption einer Öko- nomie der Werbewirkung entscheidend prägt. Dies geschieht zeitgenös- sisch durch die publizistische Verhandlung der Transformation eines Ex- perimentalpsychologen in einen W erbefachmann, wie etwa 1928 durch einen Artikel des New Yorker67 oder, bereits 1923, durch eine Radiower- bung- ausgerechnet für die Zahncreme der Marke Pebeco -,in der Wat- son mit wissenschaftlicher Autorität als Experte für Zahngesundheit auf- tritt. 68 Im Anschluss an behavioristisch informierte W erbepraktiken, wie Watson sie etabliert, formiert sich das öffentliche Verständnis von Wer- bung neu. Nunmehr artikuliert sich die Sorge vor der manipulativen Macht subtiler Kauflenkung- subtil, da durch wissenschaftliche Autori- 65 M. Foucault: Ordnung des Diskurses, S. 20. 66 Vgl. zu dieser biografischen Perspektive, in der als Grund fiir Watsons Ausschluss aus dem akademischen Bereich ein Scheidungsskandal angege- ben wird, D. Cohen: J.B. Watson, S. 145-167. 67 Der New Yorker beschreibt Watson als »chief show piece of J. Walter Thompson«, der an einem Schreibtisch arbeitet, »which cost the agency more than halfwhat Johns Hopkins paid him as a professor's salary«. New Yorker 6.10.1928, zit. nach D. Cohen: J.B. Watson, S. 185. 68 »He cashed in on his reputation as scientist and made one ofthe first adver- tising broadcasts. He was introduced as a man who had been professor of psychology at Johns Hopkins, an eminent scientist who would now give a talk on the care of teeth. The talk, it was said, was sponsored by Pebeco. The announcer then faded out and Watson hirnself never uttered the word Pebeco. The behaviorist gave a ten-minute lecture on teeth.« D. Cohen: J.B. Watson, S. 182. 122 WERBUNG tät >legitimiert<. Diese Vorstellung wird entscheidend durch die Publika- tion von Vance Packards >populärwissenschaftlichem Pamphlet<69 The Hidden Persuaders geprägt, das 1957 erscheint. Erstaunlich ist in Pa- ckards Argumentation, die Werbung mache sich obskure Verfahren der Psychologie zunutze, dass dies als neuer Trend in der Werbung beschrie- ben wird, obwohl Scott schon 1911 den Werbepraktikern nahe gelegt hat, sich Methoden der Suggestion zu bedienen.70 Der Watson-Biograf David Cohen liest The Hidden Persuaders plausibel im Anschluss an die Wer- betätigkeitdes Behavioristen: Erst durch die Verbreitung der behavioris- tischen Werbepraktiken - so könnte man Cohen zufolge argumentieren - dringt die wissenschaftliche Expertise in der Werbepraxis an die Öffent- lichkeit. Allerdings blendet auch Cohen die frühe Werbeforschung aus und behauptet, mit Watson habe die Anwendung der Psychologie für die Werbeforschung überhaupt erst begonnen. Auch wenn Cohen die Vorar- beiten von Scott u.a. nennt, hält er sie nicht für relevant: »Neither author was active in business. So when Watson went to Madison Avenue there really was no serious psychology in advertising.«71 An Cohens Darstel- lung wird deutlich, wie sehr der Behaviorismus in der amerikanischen Psychologie diskursmächtig geworden ist, sodass die vorgängigen und parallel durchgeführten Forschungen, die etwa im Journal of Applied Psychology oder in Scotts Monografien publiziert werden, historisch rückblickend keine Beachtung mehr finden. Dass Scott schon 1911 die werbepsychologische Einflussnahme als abgeschwächte Form der Hyp- nose beschrieben hat, gerät sowohl Packard als auch Cohen aus dem Blick. Es wird insbesondere in Cohens Darstellung deutlich, wie sich die Ausblendung von Aussagen innerhalb des Diskurses zugunsten hegemo- nialer Konzepte auch in der historischen Rezeption weiterschreibt Darüber hinaus sind zwei weitere Aspekte entscheidend, in denen Watson als >Mittelpunkt< fungiert, der unterschiedliche Aspekte einer Ökonomie des Behaviorismus, dem für eine Diskursgeschichte der Me- diengewaltforschung zentralen Theoriekonzept, >zusammenhält<: zum einen durch behavioristische Werbeforschung, die Watson im Rahmen seiner neuen Tätigkeit vornimmt, und zum anderen durch Praktiken der >Popularisierung< behavioristischer Konzepte, die Watson parallel zu sei- ner werbepraktischen Tätigkeit verstärkt betreibt. Diese beiden Aspekte sollen nun gerrauer beleuchtet werden. 69 Vgl. Holger Rust, der in dieser Studie »Vorurteile« verhandelt sieht, denen »wissenschaftliche Einsichten« gegenüberstehen. Holger Rust: »Theorie der Werbung«, in: Roland Burkart/Walther Hömbert (Hg.), Kommunikati- onstheorien. Ein Textbuch zur Einführung, Wien: Braumüller 1992, S. 153- 170, hier S. 153. 70 Packard spricht von einer »Strange and rather exotic new area of American life.« Vance Packard: The Hidden Persuaders, New York: McKay 1957, s. 3. 71 D. Cohen: J.B. Watson, S. 175. 123 AGGRESSIVE MEDIEN In Vorträgen im Rahmen seiner Tätigkeit für die Agentur J. Walter Thompson, die er an seine dortigen Kollegen richtet, entwirft Watson die experimentelle Erforschung in Differenz zu zahlreichen Studien, die zeit- gleich im Journal of Applied Psychology veröffentlicht werden. Der Kunde soll >vor Ort< beobachtet72 werden: »By laboratory, I do not mean the lab of the colleges. Y our lab may be in crowded city quarters, pulling doorbells, wandering over the country talking to consumers, finding out what they do, what papers and magazines they read. It may be standing in the street comers watehing what people wear and how they wear it or in the great stores, markets or restaurants. No matter what it is, like the good naturalist you are, you must never lose sight of your experimental animal- the consumer.«73 Die Implementierung der Wirkungsforschung in unterschiedliche Teilbe- reiche des ökonomischen Prozesses und die Beschreibung des Konsu- menten als Versuchstier, selbst wenn dieser nicht an einem Experiment teilnimmt, kennzeichnet Cohen zufolge auch Watsons werbepraktische Arbeit. Um mehr über den Kunden zu erfahren, arbeitet der ehemalige Professor zwei Monate lang als Verkäufer in der Lebensmittelabteilung des großen New Yorker Warenhauses Macy's. Er regt dort an, über ein bestimmtes Arrangement von Lebensmitteln auf und hinter dem Laden- tisch den Kunden zum Kauf zu animieren: »[J]ust as rats would tend to go for the nearest piece of food that was available in the wild, customers would tend to buy the nearest goods.«74 Watson untersucht den Konsumenten aber auch unter Laborbedin- gungen, wobei er wichtige Schlüsse aus einem scheitemden Experiment zieht: Die Versuchspersonen sollen mit verbundenen Augen ihre eigene Zigarettenmarke am Geschmack herausfinden. Ergebnis dieser Ver- suchsanordnung ist, dass dies in den meisten Fällen nicht gelingt. Das Experiment scheint Watsons behavioristischer Ausgangshypothese zu- widerzulaufen: »All kinds of muscular responses ought to have been as- 72 Es handelt sich damit um ein frühes Beispiel so genannter ethnografischer Studien, wie sie später - unter ganz anderen theoretischen Vorzeichen - in den cultural studies zentral werden. 73 Watson, zit. nach: D. Cohen: J.B. Watson, S. 187. Cohen gibt leider nicht exakt an, um welchen Vortrag es sich handelt, sondern nur, dass Watsons Studien zur Werbeforschung unveröffentlicht geblieben sind (vgl. ebd., S. 186). Im Anhangneunter als Quellen Material aus den Archiven von J. Walter Thompson, das allerdings auch nicht näher spezifiziert wird, und das J Walter Thompson Bulletin, in dem Watson einige Artikel publiziert hat. Aufgrund der mangelnden Verfiigbarkeit der angegebenen Quellen muss hier auf Cohens Zitat vertraut werden. 74 Ebd., S. 176. 124 WERBUNG sociated with the smoker's favourite brand.«75 Statt die behavioristische Grundannahme zu modifizieren, wendet Watson diesen Misserfolg zu ei- ner Neukonzeptualisierung des Kaufprozesses um: Beim Kaufen sei weit mehr im Spiel als das tatsächliche Produkt. Wichtig seien vielmehr die >Emotionen<, die sich gezielt manipulieren lassen.76 Watson geht in seiner behavioristischen Konzeption von Emotionen davon aus, dass dem Menschen nur drei emotionale Instinkte angeboren sind: Angst, Wut und Liebe. Noch im Rahmen seiner Tätigkeit an der John Hopkins University hat er in Experimenten mit Neugeborenen, mit Versuchspersonen also, die noch nicht bzw. vergleichsweise gering durch ihre Umgebung geprägt worden sind, beobachtet, dass allein diese drei Emotionen schon in den ersten Lebensmonaten anzutreffen sind, wobei nur eine geringe Anzahl von Stimuli die jeweilige emotionale Reaktion auslöst: Angst entsteht als Reaktion auf ein lautes Geräusch oder den Verlust von Unterstützung (»loss of support«)- »best shown when you jerk the blanket of a dozing or quiet infant« -, Wut entsteht, wenn das Kind daran gehindert wird, sich zu bewegen, und Liebe, indem seine Haut gestreichelt wird, »especially around the lips, face, breast, and in the sex zone«: »Emotional behavior, then, in the unconditioned child is apparently a very simple matter.«77 Komplexer wird die emotionale Re- aktion erst durch Konditionierung im Laufe des Lebens: Watson führt, um die Kontrollierbarkeit dieser Konditionierung zu zeigen, gemeinsam mit Rosalie Rayner Experimente mit >Little Albert< durch, der von seiner Geburt an unter einem behavioristischen Forschungsblick aufwächst. Dabei versuchen die Experimentatoren etwa über ein begleitendes lautes Geräusch bestimmte Ereignisse, wie die Konfrontation mit einer Ratte oder einem Hund, mit Angst zu besetzen, und demonstrieren, dass im Versuchsverlauf schließlich das Zeigen des Tieres ohne Geräusch aus- reicht, um dem Kind Angst einzujagen.78 Da Watson nicht nur eine universale Präformierung der Gefühle un- abhängig von jeder individuellen Prägung annimmt, sondern auch davon ausgeht, dass die emotionale Konditionierung im Sozialisierungsprozess der Individuen nicht vollkommen unterschiedlich verläuft, kann er die Gefühle des Konsumenten in seiner Konzeption von erfolgreicher Wer- bung einbeziehen: »It was the aim of advertising to get consumers to buy by playing on their fear, rage and love.«79 Die Frage, ob negative Reize ökonomisch nützlich oder schädlich sind, also die Frage, mit der sich die frühen Werbeforscher beschäftigt haben, stellt Watson gar nicht erst, sondern geht davon aus, dass jeder emotionale >appeal< positiv zum 75 Ebd., S. 178. 76 V gl. ebd., S. 178f. 77 Vgl. John B. Watson: »The Heart or the Intellect?«, in: Harper's Monthly Magazine 156 (1928), H. 933, S. 345-352, Zitate: S. 348f. 78 Vgl. John B. Watson/Josalie Rayner: »Conditioned Emotional Reactions«, in: Journal ofExperimental Psychology 3 (1920), H. 1, S. 1-14. 79 D. Cohen: J.B. Watson, S. 197. 125 AGGRESSIVE MEDIEN Kaufprozess beiträgt. Deutlich wird dies in einer Angst auslösenden Werbekampagne für die Scott Paper Company: »In 1931 Watson was involved with a campaign whose final copy is a master- piece of arousing fear. We areinan operating theatre. Surgeons peer at the pa- tient. The headline reads: >And the trouble began with harsh toilet tissue.< The ad goes on to say that >surgical treatrnent for rectal trouble is an everyday occu- rrence in hundreds of hospitals.< If only the poor patient had the sense of use Scots [sie] instead of some pebble-dashed toilet paper, he would never have been in this mess. In a hypochondriac culture, it appealed.«80 Die >medialen Umgehungen< der behavioristisch konzipierten Werbung sind- folgt man den Ausführungen des Watson-Biografen Cohen- die- selben wie diejenigen, die in den gestaltpsychologisch informierten Stu- dien von Walter Dill Scott und den Autoren des Journal ofA pplied Psy- chology reflektiert werden. Es ist nicht verwunderlich, dass die Werbe- medien in den Konzepten des Behaviorismus nicht sichtbar werden. Sie treten zurück und fungieren als bloße Kanäle zum Transport von Werbe- reizen. Jedoch kommen mediale Aspekte über eine Verdopplungsfigur mittelbar in den Blick, und zwar über eine Zeitschrift, die in den 1920er Jahren nicht nur als Werbemedium für Konsumgüter fungiert, sondern auch als Medium, in dem der Behaviorismus selbst beworben wird: Es handelt sich um Harper 's Monthly Magazine. Das seit Mitte des 19. Jahrhunderts publizierte Journal ist heute die langlebigste gemeral interest-Zeitschrift in den USA. 81 Darüber hinaus ist auch die Zeitschrift Harper's eine prominente >mediale Umgebung< für Anzeigenwerbungen, auch wenn die Herausgeber sich bemühen, ihr Journal nicht als »cheap circus magazine«82 erscheinen zu lassen und möglichst keine >Fusion< von Anzeige und Medium zuzulassen, indem sie ihren kommerziellen Kunden einen gesonderten Anhangteil zu Be- 80 Ebd., S. 188. Cohen führt als Beispiel für die Ökonomisierung von >Wut< Anzeigen an, die über die Darstellung von überfüllten U-Bahnen für Autos, Züge oder Ferienziele werben. >Liebe< wird in Watsons Konzeption über die Konditionierung des Gefühls mit »mothers and sweethearts« für die Werbung nutzbar gemacht. Ebd. 81 Vgl. Arthur Schlesinger, Jr.: »Foreword«, in: Lewis H. Lapham/Ellen Ro- senbush (Hg.), An American Album. One Hundred and Fifty Y ears of Harper's Magazine, New York: Franklin Square Press 2000, S. viii-ix. 82 D. Cohen: J.B. Watson, S. 170. Cohen berichtet von einem Konflikt zwischen Harper's und der Werbeagentur J. Walter Thompson: »The edi- tor of Rarpers [sie] threatened to resign when he heard that his company had signed a contract which allowed Thompson to place 100 pages of ad- vertising a year.« Ebd. 126 WERBUNG ginn oder am Ende einer Ausgabe zuweisen. 83 Wenn Watson in den 1920er Jahren Harper's Magazine nutzt, um den Behaviorismus zu pro- klamieren, bindet er ihn in die ökonomisch-medialen Prozesse ein, die das Magazin installiert hat: »He made behaviourism news.«84 Watson hat im Zeitraum von 1909 bis 1915 schon vor seiner Arbeit in der Werbeagentur Thompson vier Artikel im Harper's veröffentlicht. Sie beschäftigen sich alle mit dem neuen Forschungsfeld der Tierpsycho- logie, beschreiben Experimente und veranschaulichen die Versuchsappa- raturen - etwa ein Labyrinth, das eine Ratte durchqueren soll, um zu ih- rem Futter zu gelangen- durch grafische Darstellungen. 85 Nach 1915 publiziert Watson zehn Jahre lang keine Texte im Harper's. Wie seinen Publikationen in psychologischen Fachorganen zu entnehmen ist, erfolgt in dieser Zeit die Etablierung des Behaviorismus im akademischen Be- reich.86 Erst 1925, als Watson schon nicht mehr zum engeren Kreis der wissenschaftlichen community gehört, erscheint erneut ein Text im Har- per 's Magazine mit dem programmatischen Titel » What Is Behavio- rism?« Angekündigt als »Formerly Professor of Experimentaland Cam- paralive Psychology, Johns Hopkins University«, beschreibt Watson den Behaviorismus als Wissenschaft, die etwa seit 1912 in den größeren Uni- versitäten betrieben wird und sich nun um öffentliches Interesse bemüht: »At this moment there is a new psychological claimant for public in- 83 Ein exemplarisch durchgesehenes Heft vom März 1910 zeigt, dass im zwanzigseitigen »Harper's Magazine Literary and General Advertiser«, der noch vor dem Inhaltsverzeichnis der Ausgabe zu finden ist, konsequent in Bezug auf die Programmatik des Magazins Werbungen fiir Zeitschriften- und Buchpublikationen dominieren. Daneben finden sich Anzeigen für Wandfarbe, ein Haarwachstumsmittel, ein Produkt zur Reinigung von Sil- ber, für Teleskope oder Französischkurse. Vgl. Harper's Magazine Literary and General Advertiser, in: Harper's Monthly Magazine 51 (1910), H. 718/120, s. 1-20. 84 D. Cohen: J.B. Watson, S. 249. 85 Vgl. John B. Watson: »How Animals Find Their Way Horne«, in: Harper's Monthly Magazine 50 (1909), H. 713/119, S. 685-689; ders.: »The New Science of Animal Behavior«, in: Harper's Monthly Magazine 51 (1910), H. 717/120, S. 346-353; ders.: »Instinct Activity in Animals«, in: Harper's Monthly Magazine 53 (1912), H. 7411124, S. 376-382; ders.: »Recent Ex- periments with Homing Birds«, in: Harper's Monthly Magazine 56 (1915), H. 7831131, S. 457-464. 86 Vgl. etwa John B. Watson: »The Place of Conditioned-Reflex in Psychol- ogy«, in: Psychological Review 23 (1916), H. 2, S. 89-116; ders.: »An At- tempted Formulation of the Scope of Behavior Psychology«, in: Psycho- logical Review 24 (1917), H. 5, S. 329-352; ders.: »A Schematic Outline of the Emotions«, in: Psychological Review 26 (1919), H. 3, S. 165-196; so- wie im Journal of Experimental Psychology: J. Watson/J. Rayner: »Condi- tioned Emotional Reactions«. 127 AGGRESSIVE MEDIEN terest.«87 Der Ton des Artikels erinnert in seiner Polemik an das >behavi- oristische Manifest< von 1913, »Psychology like the Behaviorist Views It«, verschärft diesen aber noch: »Behaviorism's challenge to introspective psycho1ogy was: >You say there is such a thing as consciousness, that consciousness goes on in you - then prove it. Y ou say that you have sensations, perceptions, and images - then demon- strate them as other sciences demonstrate their facts.<«88 Watson entwirft eine Theorie der Wissenschaftsgeschichte: Jede Wissen- schaft beginne mit der Beobachtung von Ereignissen, gelange in einem nächsten Schritt in die Lage, Vorhersagen zu machen, und erreiche schließlich den Status, in dem sie die beobachteten Ereignisse auch kon- trollieren könne. Für die Psychologie konstatiert Watson einen niedrigen, rein deskriptiven Entwicklungsstand, in dem sie sich noch befinde, weil sie zu viel Zeit damit verschwendet habe, den menschlichen Geist anstel- le des Verhaltens zu untersuchen. »Can psychology ever get control? Can I make some one who is not afraid of snakes, afraid of them and how? Can I take some one who is afraid of snakes and remove that fear? How?«89 Nachdem Watson die behavioristischen Forschungsfragen der Konditionierung vorgestellt hat, gibt er einen optimistischen Ausblick auf die weitere Entwicklung der Psychologie: »Having solved these problems, we hope to reach such proficiency in our science that we can build any man, starting at birth, into any kind of social or a-social being upon order.«90 In den folgenden drei Jahren veröffentlicht Watson eine Reihe von Artikeln, die zentrale Aspekte des Behaviorismus - die Konzeption des Denkens, der Erinnerung, der Instinkte, des Unbewussten und der Emo- tionen - der Leserschaft des Harper 's Magazine näher bringen sollen, und situiert damit den Behaviorismus in einer Position zwischen Wissen- schaft und Publizistik.91 Auch wenn er dabei nicht direkt auf seine zeit- gleiche werbetheoretische und -praktische Arbeit eingeht, prägt diese den Kontext der Artikel. Die Verknüpfung von popularisiertem Behavioris- mus und behavioristischen Werbekonzepten, wie sie der diskursive Kno- tenpunkt >lohn B. Watson< leistet, trägt dazu bei- so die These- eine 87 John B. Watson: »What Is Behaviorism?«, in: Harper's Month1y Magazine 66 (1925), H. 152, S. 723-729. 88 Ebd., S. 724. 89 Vgl. ebd., S. 724. u. S. 727, Zitat: S. 724. 90 Ebd., S. 728. 91 Vgl. John B. Watson: »How We Think: A Behaviorist's View«, in: Harper's Month1y Magazine 67 (1926), H. 153, S. 40-45; ders.: »Memory As the Behaviorist Sees It«, in: Harper's Month1y Magazine 67 (1926), H. 153, S. 244-250; ders.: »The Behaviorist Looks at Instincts«, in: Harper's Month1y Magazine 68 (1927), H. 926/155, S. 228-235; ders.: »The Heart or the Intellect? « 128 WERBUNG Produktion von Konzepten, die sich im Umfeld der Leerstelle >Medien- gewalt< gruppieren, zu initiieren: Watson gibt das wissenschaftlich ob- jektivierte Versprechen einer Kontrollierbarkeit der menschlichen Emo- tionen und er führt exemplarisch ihre Einsetzbarkeit in ökonomischen Prozessen vor. Die Wirkung der Werbemedien erscheint analog zur Macht des behavioristischen Experimentators, der seine Versuchsperso- nen beliebig dazu bringen kann, Ratten oder Schlangen bzw. Zahncreme oder weiches Toilettenpapier zu fürchten, zu lieben oder darüber in Wut zu geraten. Ohne Versuche, dies unsichtbar zu halten, gibt sich der Be- haviorismus hier als aggressives Verfahren der Wirkungskontrolle zu er- kennen. Auch die Rückseite dieses - ökonomisch produktiven - behavio- ristischen Versprechens ist nahe liegend: Die Potenzialität des Werbe- mediums, den Konsumenten beliebig zu konditionieren bzw. seine schon vorhandenen Konditionierungen auszubeuten, schreibt sich in den Dis- kurs ein und produziert die Aggressivität des Mediums, die letztlich auch die Bedrohung impliziert, der Konsument könne zu einem >a-social being< -zum Gewalttäter- programmiert werden. 129 4 ERZIEHUNG: PÄDAGOGIK DER GEFÄHRDUNG In seiner Anleitungsschrift zur pädagogischen Formierung von >glückli- chen Kindern<, Psychological Care of Infant and Child, warnt John B. Watson alle Mütter, die glauben, ein Kind entwickle sich, indem es seine erblichen Veranlagungen entfalte. Eine Mutter müsse sich folgende Fragen stellen: >»Am I not almost wholly responsible for the way my child grows up? Isn 't it just possible that almost nothing is given in he- redity and that practically the whole course of development of the child is due to the way I raise it?<«1 Wenn im Rahmen einer behavioristischen Epistemologie angenommen werden muss, dass die Prägung eines Neu- geborenen äußerst rudimentär ist und ein Kind sich alle komplexeren Verhaltensweisen durch Konditionierung im Prozess der Sozialisation aneignet, bekommt der Erzieher eine ähnliche Macht wie der behavioris- tische Experimentator, der vorgibt, das Verhalten seiner Versuchsperso- nen beliebig manipulieren zu können. Diese Macht, so Watson, muss mit Bedacht und unter psychologischer Anleitung ausgeübt werden. Mit seinen Laborbeobachtungen an über 500 Neugeborenen im John Hopkins Hospital glaubt sich Watson in die Lage versetzt, verantwor- tungsbewussten Eltern detaillierte Ratschläge erteilen zu können, wie sie die angeborenen Gefühle Angst, Liebe und Wut ihres Kindes produktiv konditionieren und vor allem, welche Erziehungsmaßnahmen sie ver- meiden müssen, um zu gewährleisten, dass ihr Kind sich zu einem sozia- len Wesen entwickelt. Unbedingt zu unterlassen sei etwa zu viel Mutter- liebe, die ein Kind schwächlich und im späteren Eheleben bin- dungsunfahig werden lasse. Watson empfiehlt der zu weichherzigen Mutter, ab und an ein erzieherisch-experimentelles Arrangement zu schaffen: »Certainly a mother, when necessary, ought to leave her child for a long enough period for over-conditioning to die down. If you haven't a nurse and cannot leave the child, put it out in the back-yard a large part of the day. Build a fence around the yard so that you are sure no harm can come to it. Do this from the time it is bom. When the child can crawl, give it a sand-pile and be sure to dig some small holes in the yard so it has to crawl in and out of them. Let it John B. Watson: Psychological Care oflnfant and Child, London: Allen & Unwin 1928, S. 18. 131 AGGRESSIVE MEDIEN leam to overcome difficulties almost from the moment of birth. The child should leam to conquer difficulties away from your watchful eye.«2 Der Behaviorismus formiert auch im Bereich der Erziehung ein Machtar- rangement, das Wirkung zwingend macht: die pädagogische Konditio- nierung ist immer am Werk, sodass das Kind sogar vor ihr bewahrt wer- den muss. Ganz deutlich gibt sich der Behaviorismus hier als ein Verfah- ren der Wirkungsstabilisierung zu erkennen, das Praktiken der gewaltsa- men Einflussnahme mit sich führt. Noch bevor der Behaviorismus mit seinem postulierten Potenzial zur Vorhersage und Kontrolle menschlichen Verhaltens in lerntheoretische Konzeptionen eingeht und so auch im Bereich der Pädagogik Einfluss auf Fragen der Medienwirkung gewinnt, treten schon zu Beginn des 20. Jahrhunderts die Ambivalenzen des Films als Erziehungsmedium zuta- ge.3 Frühe Filmdiskurse zeigen, wie sich die Annahme schädlicher Wir- kung in direkter Konsequenz aus dem Erziehungsgedanken ergibt: Auf der Rückseite eines Konzepts, das den Film als Erziehungsmittel einsetz- bar macht, taucht die Befürchtung auf, der Mediennutzer könne das Fal- sche lernen und schlimmstenfalls sogar zum Verbrechen erzogen werden. Da in der Figur des jugendlichen Delinquenten die negative Seite des medialen Erziehungsprojekts offensichtlich wird, ist das pädagogische Segment eng an juristische Diskurse gebunden. Schon in der Frühzeit des Mediums Film begleiten sozialwissen- schaftliche Forschungsprojekte diese ambivalente Erziehungskonzeption und handeln die empirische Überprütbarkeit nützlicher oder schädlicher Filmwirkung aus. Diskursiv bleibt die Befürchtung von falscher Erzie- hung als Nebenprodukt eines pädagogischen Medienkonzepts unsichtbar, indem ihre Ursache dem ökonomischen Segment des Medienwirkungs- Diskurses zugeschrieben und postuliert wird, die falsche Erziehung sei einer Kommerzialisierung des Mediums geschuldet. Die Gefahrlichkeit des Films wird aus dem Bereich der Erziehung ausgegrenzt und in den ökonomischen Bereich verschoben. Ausgeblendet bleibt dabei auch, wie verwandt pädagogische Medienwirkungskonzepte propagandistischen oder ökonomischen Wirkungsannahmen sind, wie also auch Erziehung Konzepte von - im weitesten Sinne - gewaltsamer Einflussnahme vor- aussetzen muss, die sie in die Nähe von Propaganda oder Werbung rü- cken und sie schon in ihrer positiven Ausprägung im diskursiven Umfeld der Kurzschlussformel >Mediengewalt< situieren.4 Die Interessen des Er- 2 Ebd., S. 75. 3 Ähnliches lässt sich für das Medium Radio beobachten. Vgl. etwa Robert McChesney: »The Payne Fund and Radio Broadcasting, 1928-1935«. Ap- pendix zu: Garth S. Jowett/Ian C. Jarvie/Kathryn H. Fuller (Hg), Children and the Movies. Media Influence and the Payne Fund Controversy, Cam- bridge: Cambridge University Press 1996, S. 303-335. 4 Eva Geulen hat in ihrer Untersuchung von Erziehung als performativer Re- de darauf hingewiesen, dass Aspekte der Beeinflussung, der Überredung 132 ERZIEHUNG Ziehungssystems an der Wirkungskontrolle sind mindestens ebenso ent- scheidend für die Herausbildung der Mediengewaltforschung wie die des politischen oder ökonomischen Bereichs.5 Die Konzeption des als gefahrlich, da kommerziell bestimmten Me- diums vervollständigend, entsteht im pädagogischen Diskurssegment die Figur des kindlich-unschuldigen Mediennutzers. Nur wenn der Rezipient als Opfer einer medialen Verführung konzipiert werden kann, ist es mög- lich, sein Verbrechen dem schädigenden Medieneinfluss zuzuschreiben. Diese für das etablierte Feld des Mediengewalt-Diskurses zentrale For- mationsregel beruht auf einer langen Tradition und lässt sich in Diskur- sen über Massenmedien avant la lettre bis zur Lesesuchtdebatte im spä- ten 18. Jahrhundert zurückverfolgen. Prominent im Zuge empirischer Forschungen wird der unschuldige Mediennutzer in Debatten um negati- ve Auswirkungen des Cornieiesens in den 1940er Jahren. Die Kontrover- se um Comics weist einerseits Bezüge zur Diätetik im Rahmen der Lese- suchtdebatte auf, deutet andererseits auf Debatten um das Fernsehen vor- aus, die in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts das etablierte Feld des Mediengewalt-Diskurses formieren. Um die Mitte des 20. Jahrhunderts werden die Konzepte des gefahr- liehen Mediums und des unschuldigen, gefahrdeten Mediennutzers auf ein Fundament gestellt, das im etablierten wissenschaftlichen Feld des Mediengewalt-Diskurses eine wichtige Position einnehmen wird. Im Be- reich der behavioristisch geprägten Sozialpsychologie entstehen Konzep- tionen von sozialem Lernen aggressiven Verhaltens, in denen das Medi- um Fernsehen eine entscheidende Rolle spielt. Ihm kommt nicht nur gleichzeitig die Funktion zu, Instrument in Experimentalanordnungen zu sein und als >epistemisches Ding<6 zu fungieren. Es bildet darüber hinaus den dispositiven Subtext des Beobachtungsiemens und präfiguriert auf diese Weise jede Experimentalanordnung. oder des Zwangs die Erziehung vor einen Widerspruch stellen. Deun im eigenen Selbstverständnis geht es der modernen Erziehung darum, Mün- digkeit und Freiheit zu gewährleisten. Vgl. Eva Geulen: »Erziehungsakte«, in: Jürgen Fohnnann (Hg.), Rhetorik. Figurationen und Performanz. DFG- Symposium 2002, Stuttgart: Metzler 2004, S. 629-652, hier S. 633. 5 Leo Handel stellt in der ersten Überblicksstudie zur Filmpublikumsfor- schung 1950 fest, dass die meisten Wirkungsstudien im Erziehungsbereich durchgefiihrt wurden: »Most of the empirical work on the effect of motion pictures has not been done by commercial firms working for the film in- dustry, but by educational groups, interested in movies either as a social force motivating the attitudes and behavior ofyoung people or as a teach- ing device along with other recently developed visual aids in education.« L. Handel: Hollywood Looks, S. 175. 6 Vgl. H.-J. Rheinberger: Experimentalsysteme, S. 24f. 133 AGGRESSIVE MEDIEN Die Rückseite des Erziehungsmediums Inwiefern es sich bei der pädagogischen Konzeption von Filmwirkung um ein zweischneidiges Verfahren handelt, das Paradoxien von Anfang an mit sich führt, wird schon in den >Schundfilms<-Debatten in Deutsch- land zu Beginn des 20. Jahrhunderts deutlich. Hier wird die >Kommerzia- lisierung< des Mediums, das zur Verbesserung des Menschen bestimmt ist, beklagt, die Geschichte des jungen Mediums also bereits als Ver- fallsgeschichte erzählt.7 Ganz deutlich macht einer der prominentesten Vertreter der Debatte, der Gerichtsassessor Albert Hellwig, in seinen Studien, dass er die Annahme einer schädlichen Filmwirkung auf der Fo- lie eines erzieherischen Konzepts trifft. Voraussetzung für die Konzepti- on von Mediengewalt ist hier also zunächst ein starker, positiv gedachter pädagogischer Wirkungs begriff: »Jedes Kind, auch das völlig gesunde, ist in starkem Maße suggestibel, beruht doch die ganze Erziehung - soweit sie nicht lediglich Bildung des Intellekts ist, sondern danach trachtet, den Charakter des Kindes zu formen, sein Wünschen und Wollen in bestimmte Richtung zu lenken- darauf, daß dem Kinde durch Beispiel, Ermahnung, Lektüre, Strafandrohungen für den Fall des Zuwiderhan- deins Suggestionen gegeben werden, welche das Kind derart beeinflussen sol- len, wie es im Interesse der menschlichen Gesellschaft als nützlich und zweck- entsprechend erachtet wird. Ebenso wie man dem Kinde aber gute Suggestio- nen geben kann, ebenso natürlich auch unheilvolle, welche in dem Kinde eine ganz falsche Auffassung von der Wirklichkeit zu geben vermögen.«8 Hellwigs Beschreibung ähnelt der Kontroverse um negative Suggestion, wie sie in der Werbewirkungsforschung geführt wird, weist aber ent- scheidende Differenzen zu ihr auf: Die Unterscheidung heißt bei Hellwig nicht positiv/negativ, sondern gut/unheilvoll, bezieht sich also nicht auf ein Nützlichkeitskalkül des W erbekommunikators, sondern darauf, wie die erzieherische Suggestion hinsichtlich ihres Sozialisierungspotenzials 7 Vgl. etwa Karl Brunner: Der Kinematograph von heute- eine Volksgefahr, Berlin: Vaterländ. Schriftenverband 1913, S. 3: »Weun er [der Kinema- tograph, 1.0.] zum Kulturfeind geworden ist, so tragen allein jene genialen Geschäftsleute die Verantwortung dafiir, die ihn zum Werkzeug schlimm- ster Sensationsmache erniedrigt haben.« Albert Hellwig gibt an, das Wort >Schundfilms< aufgebracht zu haben, um »eine gewisse Sorte von Films, die von geldgierigen Fabrikanten mit Vorliebe auf den Markt gebracht und von geldgierigen Kinematographenbesitzern mit Vorliebe vorgefiihrt wer- den«, zu bezeichnen. Albert Hellwig: »Die Schädlichkeit von Schundfilms für die kindliche Psyche«, in: Ärztliche Sachverständigen-Zeitung 17 (1911), H. 22, S. 455-461, hier S. 455. 8 Albert Hellwig: Schundfilms. Ihr Wesen, ihre Gefahren und ihre Bekämp- fung, Halle: Waisenhaus 1911, S. 43f. 134 ERZIEHUNG zu bewerten ist. Darüber hinaus deutet Hellwigs Erziehungskonzeption auf Watsons behavioristische Annahmen voraus, nach denen Erziehung ein gefahrliches Instrument der Konditionierung ist, das auch falsches Lernen nach sich ziehen kann. >Erziehung< gibt sich in ihren negativen Ausprägungen als ein Verfahren der machtvollen Wirkungskontrolle, das Wirkung zu erzwingen versucht und in diesem Sinne Gewalt auf den kindlichen Adressaten ausübt, deutlich zu erkennen. Für Hellwig scheint die Wirkung der unheilvollen Suggestion, die Jugend zu verrohen und sie zu Verbrechen anzustiften, derart evident zu sein, dass er einen empirischen Beweis nicht nur für unmöglich, sondern auch für unnötig hält: »Mit Zahlen wird man freilich diesen Zusammen- hang zwischen Schundfilms und Verstärkung der Rohheit nicht beweisen können, aber es gibt ja so manches, was sich in Statistiken nicht fassen läßt und dennoch zweifellos feststehende Tatsache ist.«9 Noch schwieri- ger sei es, bei juveniler Kriminalität »in einem konkreten Fall den Zu- sammenhang zwischen Verbrechen und Kinobesuch einwandfrei festzu- stellen«, dennoch sei es »selbstverständlich«, dass »kriminelle Schund- films, wie auch andere verrohende Schundfilms, eine verbrecherischer Betätigung günstige Disposition schaffen«. 10 Hellwig scheint die Gültig- keit des erzieherischen Wirkungskonzepts, aus dem ein Zusammenhang zwischen Schundfilms und Verbrechen hervorgeht, als derart gesichert anzusehen, dass es seiner empirischen Überprütbarkeit noch überlegen ist: »Selbst wenn wir kein einziges Beispiel für diesen Zusammenhang konstatieren könnten, würde diese Tatsache, welche auf zwingenden psychologischen Erwägungen beruht, nichtsdestoweniger bestehen blei- ben.«" Der statistisch-experimentelle Beweis fungiert hier noch nicht als Versprechen, die Schädlichkeit der Schundfilms als eindeutig vor Augen führen zu können. Die Konzeption der Sozialforschung als >Waffe< ge- gen schädliche Filmerziehung bildet sich wenig später in den USA her- aus, 12 nicht ohne sich parallel als Advokatenfür das erzieherische Poten- zial von Filmen zu formieren. Ebenso wie im Fall Hellwigs gewinnt die Forschung William Healys, der zu dieser Zeit Direktor des Psychopathie Institute am Jugendgericht von Chicago ist, aus juristischer Perspektive Einfluss auf den Erzie- hungsbereich, indem sie sich mit Fragen der Filmwirkung beschäftigt. In seiner Studie The Individual Delinquent von 1915 illustriert Healy unter- schiedliche Gründe für delinquentes Verhalten mit insgesamt 173 Fallge- schichten. Unter den >Umweltfaktoren<, die eine Verbrecherkarriere be- günstigen, behandelt er auch den Einfluss von Bildern - »especially Mo- ving Pictures« - und schreibt diesen eine Gefahrlichkeit zu, die er eng an 9 Ebd., S. 58. 10 Ebd., S. 63f. 11 Ebd., S. 68. 12 Vgl. das Kapitel »Social Science as a Weapon. The Origins ofthe Payne Fund Studies, 1926-1929«, in: G. Jowett/1. Jarvie/K. Fuller (Hg): Children and the Movies. 135 AGGRESSIVE MEDIEN die Visualität des Mediums knüpft und die von Unsicherheit gegenüber Konzepten der mentalen Repräsentation zeugt: » The strength of the po- wers ofvisualization is tobe deeply reckoned with when considering the springs of criminality. [ ... ] It is the mental representation of some sort of pictures of hirnself or others in the criminal act that leads the delinquent onward in his path.«13 Healy führt als Fallbeispiel allerdings die Geschichte des knapp elf- jährigen William J. an, der zum Verbrecher wird, weil er Filme sehen will, nicht, weil er Filme gesehen hat: Obwohl er als »charming little boy« zu bezeichnen ist, sich in guter physischer Verfassung befindet, ei- ne »supernormal mental ability« aufweist und aus einer >mice family« stammt, gerät William auf Abwege, weil er ein »perfect craze for moving pictures« entwickelt. Da seine Mutter ihm nicht erlaubt, die öffentlichen Filmshows zu besuchen, reißt er immer wieder von zu Hause aus, stiehlt, um das Eintrittsgeld der >mickel shows« bezahlen zu können, und kehrt nächtelang nicht zu seiner Familie zurück. 14 Der Junge kann, so Healy, von seiner Filmverrücktheit nicht geheilt werden: Weil alle sanktionie- renden erzieherischen Maßnahmen scheitern, wird William schließlich dem disziplinarischen Verfahren der Einsperrung ausgesetzt: »After long trial in his old environment it was finally found impossible for him to succeed there. Old associations connected with the shows had too strong a hold upon him. He repeatedly stole several dollars a time, and finally had tobe put in an institution.«15 13 William Healy: The Individual Delinquent. A Text-Book of Diagnosis and Prognosis for All Concerned in Understarrding Offenders [1915], Mont- clair: Patterson Smith 1969, S. 307. Vgl. auch G. Jowett/1. Jarvie/K. Fuller: Children and the Movies, S. 26. 14 W. Healy: Individual Delinquent, S. 309f. Hellwig dagegen fordert, streng zwischen den unterschiedlichen Delikten, die sich um die Schundfilms gruppieren, zu unterscheiden, und kritisiert die deutsche Presse, die zahl- reiche Fälle veröffentlicht, aber ganz unterschiedliche Kriminalfalle ver- mengt: Kriminalität, die aus dem Anschauen der Filme resultiert, Dieb- stahl, um Eintrittsgelder bezahlen zu können, und Unzucht im dunklen Ki- noraum. Vgl. Albert Hellwig: »Die Beziehung zwischen Schundliteratur, Schundfilms und Verbrechen. Ergebnis einer Umfrage«, in: Archiv für Kriminologie 51 (1913), S. 1-31, hier S. 3. 15 Ebd., S. 310.- Die Untersuchung Healys und andere Studien, die vor den sozialen Folgen des Kinos warnen, bilden das diskursive Umfeld, in dem das erste groß angelegte empirische Forschungsunternehmen auf den Weg gebracht wird, das nach den Wirkungen des Films auf kindliche Zuschauer fragt. Es vollzieht sich noch zu einem Zeitpunkt, an dem die komplexe Verschaltung von experimentellen Methoden der Kausalitätsmessung und statistischen Praktiken der Generalisierung noch nicht stattgefunden hat. Die empirische Wirkungsmessung ist hier noch deutlich von pädagogi- schen Verfahren der Wirkungskontrolle durchzogen. 1933 werden die Er- 136 ERZIEHUNG Die Delinquenz des unschuldigen Mediennutzers Für den gegenwärtigen Mediengewalt-Diskurs ist ein Feld rhetorischer Figuren gängig, das Mediengewalt in der Metaphorik des >falschen Ler- nens< beschreibt. 16 Entscheidend zur Karriere dieser Beschreibungsfor- meln in publizistischen Diskursen hat der Psychiater Fredric Wertharn beigetragen, der 1964 in der New York Times das Fernsehen als »School for Violence«17 bezeichnet hat. Wertharns Feldzug gegen Mediengewalt konzentriert sich aber erst in zweiter Linie auf das Fernsehen. Seine Kampagne beginnt bereits in den 40er Jahren und bezieht sich auf die Gefahr der Comics, deren Verbreitung zu dieser Zeit einsetzt. Auch wenn Wertham, der klinische Untersuchungen von Kindem und Jugend- lichen vornimmt, sich im medizinischen Bereich situiert, rückt ihn der Duktus seiner Rede gegen die Comicindustrie, in der die Metapher des falschen Lemens im Mittelpunkt steht, in das pädagogische Diskursseg- ment und bekommt dort Relevanz. In der Comicoffensive des New Yor- gebnisse in zwölfBänden unter dem Serientitel Motion Pictures and Youth publiziert, die heute als Payne Fund Studies bekannt nnd mittlerweile gut erforscht sind. Lowery nnd De Fleur verhandeln die Payne Studies als ei- nen >Meilenstein< der Massenkommunikationsforschung. Vgl. S. Low- ery/M. De Fleur: Milestones. Willard D. Rowland beschreibt sie als Vorge- schichte der regierungsinitiierten Erforschung von Fernsehgewalt in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Vgl. ders.: The Politics ofTV Violen- ce. Policy Uses of Connnnnication Research, Beverly Hills/London/New Delhi: Sage Publications 1983. Während die Untersuchungen von Lowe- ry/De Fleur nnd Rowland sich in ihrer geschichtlichen Darstellung auf die Zusammenfassung des research directors W.W. Charters stützen, haben Jowett, Jarvie und Fuller umfangreiches Archivmaterial über die beteiligten Institutionen nnd Personen ausgewertet. Vgl. G. Jowett/1. Jarvie/K. Fuller: Children and the Movies, S. 17-20. 16 Vgl. etwa das Pamphlet von Dave Grossman nnd Gloria DeGaetano: Wer hat unseren Kindem das Töten beigebracht? Ein Aufruf gegen Gewalt in Fernsehen, Film und Computerspielen, Stuttgart: Verlag Freies Geistesle- ben 22003, dessen Originaltitel die Metaphorik noch deutlicher macht: Stop Teaching our Kids to Kill. 17 Vgl. Fredric Wertham: »School for Violence« [1964], in: Otto N. Larsen (Hg.), Violence and the Mass Media, New Y ork, Evanston, London: Rarper & Row Publishers 1968, S. 36-39. Vgl. auch das Kapitel »School for Violence: Mayhem in the Mass Media«, in: Fredric Wertham: A Sign for Cain. An Exploration of Human Violence, New York/London: Macmil- lan 1966, S. 193-228. Dass die Beschreibungsformel nicht nur in den USA, sondern auch in der Bundesrepublik Deutschland verwendet wird, zeigt etwa ein Artikel im Spiegel Anfang der 70er Jahre mit dem Titel »Fernse- hen- Schule der Brutalität?«, in: Der Spiegel25 (1971), H. 49, S. 154-156. 137 AGGRESSIVE MEDIEN ker Psychiaters Wertham, die eine zentrale Stellung in den Diskursen um das neue Medium einnimmt, werden die Ambivalenzen des Erziehungs- mediums ganz zugunsten seiner negativen Seite des falschen Lemens aufgelöst und das Medium wird explizit als gefahrliches Medium be- schrieben. Irrfolge dieser Konzeption formiert sich die Figur des gefahr- deten, unschuldigen Mediennutzers. Die beginnende Verbreitung von Comic-Magazinen Ende der 1930er Jahre wird schon bald von Warnungen in der amerikanischen Publizistik begleitet. Der Literaturkritiker Sterling North spricht von einer »National Disgrace« und eröffnet damit zentrale Topoi der Comicdebatte, die - zwischen guter und schlechter Lektüre unterscheidend - in der Tradition der Lesesucht-Kritik im 18. Jahrhundert18 steht: »Virtually every child in America is reading color >comic< magazines - a poi- sonous mushroom growth ofthe last two years. Ten million copies of these sex-horror serials are sold every month. One mil- lion dollars are taken from the pockets of America's children in exchange for graphic insanity. [ ... ] The shame lies largely with the parents who don't know and don't care what their children are reading. It lies with unimaginative teachers who force stupid, dull twaddle down eager young throats, and, of course, it lies with the com- pletely immoral publishers of the >comics< - guilty of a cultural slaughter of the iunocents.« 19 18 Vgl. zur im späten 18. Jahrhundert geäußerten Sorge, insbesondere jugend- liche und weibliche Leser seien nicht in der Lage, ihre Lektüre adäquat auszuwählen und zu dosieren, und müssten deshalb zur richtigen Lektüre erzogen werden, Dominik von König: »Lesesucht und Lesewnt«, in: Her- bert G. Göpfert (Hg.), Buch und Leser. Vorträge des ersten Jahrestreffens des Wolfenbütteler Arbeitskreises fiir Geschichte des Buchwesens 1976, Hamburg: Hauswedell 1977, S. 89-124, u. Albrecht Koschorke: Körper- ströme und Schriftverkehr. Mediologie des 18. Jahrhunderts, München: Fink 1999, S. 393-430; sowie zu den Umschriften dieser Argumentations- figur in Mediendiskursen des 20. Jahrhunderts Irmela Schneider: »Konzep- te vom Zuschauen und vom Zuschauer«, in: Schneider/Spangenberg (Hg.), Medienkultur der 50er Jahre (2002), S. 245-269, hier S. 255-258. 19 Sterling North: »A National Disgrace and a Challenge to American Par- ents«, in: Childhood Education 17 (1941), H. 119, S. 56. Der Artikel er- scheint sowohl in den Chicago Daily News als auch in der Zeitschrift Childhood Education. - Die Comic-Gefahr wird schon früh kontrovers ver- handelt. Vgl. etwa James D. Landsdowne: »The Viciousness ofthe >Comic Book<, in: Journal of Education (1944), Bd. 127, S. 14f., der ähnlich wie North gegen Comics polemisiert, und die Replik des Lehrers John Newell Emery: »Those >Vicious< Comics«, in: Journal of Education (1944), Bd. 127, S. 90f., der wiederum vor übertriebener Verurteilung der Comics warnt. 138 ERZIEHUNG Entscheidend ist hier die Konzeption der Comics als ein Medium, das potenziell alle kindlichen Mediennutzer adressiert, 20 die mit Vorwürfen an die nicht ausreichend führenden, beschämend versagenden Erzie- hungsagenten, die Eltern und Lehrer, einerseits und die unmoralische, ver-führende Comicindustrie andererseits verbunden ist. Sprachlich iden- tifiziert North die Comics mit falscher (Zwangs-)Emährung - Lehrer pressen dummes Geschwätz in die gierigen Rachen der Kinder- und ver- weist zur >heilsamen Diätetik<21 auf klassische Kinderliteratur: »T here is nothing dull about Westward Ho or Treasure Island. Sinbad the Sailor didn't need spinach to effect his feats of strength. The classics are full of humor and adventure - plus good writing.«22 Die kommerziellen und deshalb unmoralischen Praktiken der Comicproduzenten beschreibt North in Analogie zu physischer Gewalt als Massaker an Unschuldigen. In einem seiner ersten Artikel, veröffentlicht im Saturday Review of Literature, in dem er gegen die Comics polemisiert, zählt Wertharn Ar- gumente virtueller Comicbefürworter auf, um sie sofort zu widerlegen: Es gibt keine guten, pädagogisch einsetzbaren Comics, so Wertham, selbst Comicversionen von klassischen Kinderbüchern hafte die Schäd- lichkeit des Mediums an: »Let's look at one of the much-vaunted >good< comic books again, for an ex- ample, those >good< comic books used as window-dressing for the whole indus- try. It would seem that no better choice could be made than the comic-book version of the novel by Charles Dickens: >Great Expectations.< The first nine 20 Vgl. Josette Frank, die die all-inkludierende Comiclektüre mit einer spezi- fischen >Medienkompetenz< der Kinder koppelt: »Children of all ages, of high and low I.Q., girls as well as boys, good readers and nonreaders, in good homes and poor ones - they all read the comics, and read them with an avidity and an absorption that passes understanding. [ ... ] [T]he tech- nique of reading them is something which children seem to possess but adults have to acquire!« Josette Frank: »What's in the Comics?«, in: Jour- nal ofEducational Sociology 18 (1944), S. 214-222, hier S. 214 u. S. 215. 21 Koseharke zeigt, wie die Kampagne gegen Lesesucht im 18. Jahrhundert in Analogie zur Schädlichkeit falscher Ernährung geführt wird und eine »Diä- tetik des Zeichenkonsums« entwirft. Zentral ist aus Koschorkes Sicht hier- bei die Konzeption klassischer Literatur, die als >natürliche< Lektüre der >künstlichen< und deshalb schädlichen Imaginationswelt falscher Lektüre gegenübergestellt wird. Vgl. A. Koschorke: Körperströme und Schriftver- kehr, S. 404-423, Zitat: S. 404. Schneider verweist in ihrer Beschreibung, wie die >Lesesuchtdiätetik< in veränderter Form weitergeschrieben wird, auf das Konzept des Konsumierens. Vgl. I. Schneider: »Konzepte vom Zu- schauen«, S. 256. Die Beschreibungsformel des Konsums verweist damit auf eine weitere Verflechtung zwischen Mediendiskursen im ökonomi- schen und pädagogischen Diskurssegment 22 S. North: »National Disgrace«, S. 56. 139 AGGRESSIVE MEDIEN pictures of this >educational< book show a gruesome, evil-looking man threat- ening a little boy with a big knife, and in one picture the little boy is crying out: >Üh, don't cut my throat, sir!< Isthis Charles Dickens speaking, or is it the cir- culation manager of a comic-book publishing firm?«23 Als Wertharn beginnt, an frühe Warnungen wie die von North in dieser Weise anzuschließen, ist er in der öffentlichen Debatte kein Unbekann- ter, sondern tritt bereits als Experte auf. Es ist zu vermuten, dass seine Stimme aus diesem Grund die Diskursmacht in der Comicdebatte ge- winnt und Gegenpositionen marginalisiert. Wertharn ist nicht nur senior psychiatrist des New York City Department of Hospitals, sondern auch Direktor mehrerer Kliniken für mental hygiene, unter anderem der La- fargue Clinic in Harlem, einer psychiatrischen Klinik, in der vorwiegend Patienten der armen schwarzen Bevölkerungsschicht New Yorks behan- delt werden. Einen Namen hat Wertharn sich hauptsächlich durch seine Tätigkeit als psychiatrischer Experte in Gerichtsprozessen vor Staats- und Bundesgerichten, einschließlich des Supreme Court in Washington, gemacht. In seiner Offensive gegen die Comicindustrie kann Wertharn mit der Autorität eines juristisch-medizinischen Fachmanns auftreten, der sein Wissen aus der Analyse jugendlicher Straftäter gewinnt: »An >expert opinion< by a psychiatrist is an opinion based onfacts, facts that can be demonstrated and proved.«24 Seine Studie Seduction of the Innocent, die Wertharn 1954 nach mehljähriger Arbeit mit Jugendlichen in psychiatrischen Kliniken veröf- fentlicht und damit zentrale Punkte seiner früheren Artikel ausführlicher darstellt, kann als ein umfassendes gerichtsmedizinisches Gutachten ver- standen werden, das die Unschuld der Angeklagten beweisen soll, indem es auf Unzurechnungsfahigkeit des kindlichen Verführungsopfers plä- diert und die Schuld der verführenden Comicindustrie zuschreibt.25 In 23 Fredric Wertham: »The Comics ... Very Funny!«, in: Saturday Review of Literature 31 (1948), H. 22, S. 6-7 u. S. 27-29, hier S. 27. 24 Publishers Note, in: Fredric Wertham: Seduction of the Innocent [1954], Port Washington/NY Kennikat Press 1972, S. v. 25 Wertharn lässt seine Versuchspersonen nicht nur selbst berichten, welcher Zusammenhang zwischen ihrer Medienrezeption nnd ihrem Verbrechen besteht, sondern stellt diesen auch selbst her, indem er das Verhalten der Kinder auf der Folie seiner eigenen Comiclektüre liest nnd diese -getreu der Auffassnng »you will not understand the response if you do not know the stimulus« - zur Voraussetzung seiner klinischen Untersuchung macht. F. Wertham: Seduction ofthe Innocent, S. 46. »The method we have used is to read, over the years, very many comic books and analyze and classifY them from as many points of view as possible.« Ebd., S. 47. Auf diese Weise gelingt es Wertharn selbst und auf sehr viel umfassendere Weise, die jugendlichen Verbrechen analog zu Cornicerzählungen zu setzen: »There is 140 ERZIEHUNG zahlreichen Einzelfallen rekonstruiert W ertham die Vorgeschichte der kindlichen Straffalligkeit, er rekonstruiert »ein psychologisch-ethisches Doppel des Delikts«,26 aus dem hervorgeht, dass die Schuld für das Verbrechen nicht beim Kind zu suchen ist. Über einen Jungen, der seine Lehrerin mit einem Messer bedroht hat, urteilt W ertham: »In going over his life, I had asked him about his reading. He was enthusiastic about comic books. I looked over some ofthose he liked best. They were filled with alluring tales of shooting, knifing, hitting and strangling. He was so intel- ligent, frank and open that I considered him not an inferior child, but a superior one. I know that many people glibly call such a child maladjusted; but in reality he was a child well adjusted to what we had offered him to adjust to. In other words, I felt this was a seduced child. But the Court decided otherwise. They felt that society had to be protected from his menace. So they sent him to a re- formatory.«27 Auf der Folie des Konzepts der falschen Erziehung, die er als >Verfüh- rung< bezeichnet, entwirft Wertharn die Figur eines unschuldig-kind- lichen Mediennutzers und stellt ihr den kommerziellen Comicproduzen- ten gegenüber, dessen Verantwortungslosigkeit die Schädigung und die unrechtmäßige Bestrafung des Kindes zuzuschreiben ist. 28 Auffallig im Duktus des Pamphlets Seduction of the Innocent ist erneut die Meta- phorik der falschen Erziehung: »Many children are so sheltered that they have not come into contact with real brutality. They learn it from comic nothing in these >juvenile delinquencies< that is not described or told about in comic books. Theseare comic-book plots.« Ebd., S. 155. 26 Michel Foucault: Die Anormalen [1975], Frankfurt/Main: Suhrkamp 2003, s. 34. 27 F. Wertham: Seduction ofthe Innocent, S. 12. 28 Die Figur des unschuldigen Mediennutzers steht in der Tradition eines To- pos früher Mediendiskurse, dem zufolge der Nutzer nnter (hypnotischem) Einfluss des Mediums subtil zu Verbrechen oder anderen Handlnngen an- gestiftet werden kann. Teil dieses Topos ist etwa die Befiirchtung, der Film könne über hypnotische Suggestion schädliche Auswirknngen auf seine Zuschauer haben. Ein anderes Beispiel wäre die Sorge, der Fernsehzu- schauer könne ein Opfer nnsichtbarer Werbebotschaften werden. Vgl. Ste- fan Andriopoulos: Besessene Körper. Hypnose, Körperschaft nnd die Er- findnng des Kinos, München: Fink 2000, S. 99-109; Christina Bartz: »Te- lepathologien. Der Fernsehzuschauer nnter medizinischer Beobachtnng«, in: Schneider/Spangenberg (Hg.), Medienknltur der 50er Jahre (2002), S. 373-386; Nicolas Pethes: »Publiknmsversuche. Die Normalisierung des Zuschauers aus der Programmiernng der Gewalt«, in: Irmela Schnei- der/Torsten Hahn/Christina Bartz (Hg.), Medienkultur der 60er Jahre. Dis- kursgeschichte der Medien nach 1945, Bd. 2, Wiesbaden: Westdeutscher Verlag 2003, S. 99-117, hier: S. 103. 141 AGGRESSIVE MEDIEN books.«29 An einer anderen Stelle bezeichnet Wertharn »crime comics« als »textbook for violent fighting«, er spricht von den »lessons of comic books« oder er erweitert die Erziehungsmetapher zu einer Bildungs- geschichte: »Educated on comic books, they go on to a long postgraduate course in jails«.30 Die Metapher der fehlgeleiteten Erziehung wird durch ihre Spiegelung in einem zentralen Ort des Verbrechens forciert: der Schule. Bis in die gegenwärtige Mediengewaltdebatte hinein- die einlei- tend angesprochene Kontroverse um den Amoklauf von Erfurt ist hier eines der einleuchtendsten aktuellen Beispiele - ist die Erziehungsinstanz Schule das Ballungszentrum für die falsche Lehre medialer Gewaltdar- stellung. Der Topos findet sich mehrfach bereits in Seduction of the In- nocent.31 W ertham konturiert den unschuldigen Mediennutzer, indem er seinen Versuchspersonen- delinquenten Jugendlichen in psychiatrischen Klini- ken - das Attribut der Delinquenz abspricht und die Straftat vom Kind trennt: »Children do not become delinquents; they commit delinquen- cies.«32 Sein gerichtsmedizinisches Verfahren der Normalisierung be- steht gerade nicht darin, die Anormalität des Delinquenten zu konstituie- ren.33 Über psychiatrische Tests erhält Wertharn vielmehr Aufschluss über die Normalität der Kinder: »These tests revealed in a large series of cases that there is nothing intrinsically abnormal about those children who either became very addicted to reading crime comics or are influ- enced by such reading to delinquent acts.«34 Diese Argumentationsweise hat zwei Implikationen: Zum einen er- klärt Wertharn die jugendliche Delinquenz zu einem sozialen Phänomen, das nicht nur ein >prädisponiertes< oder >abnormes< Individuum betreffen kann, sondern potenziell jedes Kind. Ein umfassender Schutz der Kinder vor der Comicgefahr ist aus dieser Perspektive also unabdingbar.35 Zum anderen behauptet W ertham einen kindlichen Mediennutzer, der ohne jeglichen Medienkonsum vollständig frei von Aggression, Gewalttätig- keit oder Tendenzen zu delinquentem Verhalten wäre. Ohne jegliche Medienrezeption, so legt Wertharn nahe, wäre jedes Kind wohlerzogen und friedfertig. 36 29 F. Wertham: Seduction ofthe Innocent, S. 109. 30 Ebd., S. 150, S. 159 u. S. 155. 31 Vgl. ebd., S. 153-155. 32 Ebd., S. 156. 33 Vgl. M. Foucault: Die Anormalen, S. 61. 34 F. Wertham: Seduction ofthe Innocent, S. 57. 35 Vgl. ebd., S. 2. 36 Wertharn bezeichnet etwa die Argumentation, dass die Vorliebe fiir Ge- waltdarstellungen »normal expressions of the child's likes at his age« sei- en, als »missleading« (ebd., S. 57), oder er weist die Auffassung, gewalt- sames und zerstörerisches Spielen sei »a natural phase of child develop- ment«, vehement zurück (ebd., S. 65). 142 ERZIEHUNG Wertharns Anklage gegen die Comicindustrie findet große Aufmerk- samkeit in der amerikanischen Öffentlichkeit und wird von besorgten Comicgegnem dankbar aufgenommen. 37 Zögerlich oder gar ablehnend begegnet allerdings die sich gerade formierende Medienwirkungsforsch- ung den Thesen der Comicgegner. Ein Grund für diese Ablehnung lässt sich in W erthams Argumentationsweise finden, die das Medium Comic ausschließlich mit negativen Wirkungen ausstattet und so die Ambiva- lenzen des Erziehungsmediums einzuebnen droht. Die umfassendste Kri- tik an Wertharns Thesen formuliert bereits 1949 ein Heft des Journal of Educational Sociology, das vollständig der Comic-Kontroverse gewid- met ist. Das Editorial macht deutlich, dass der Feldzug gegen die Comic- industrie seinerseits als alarmierendes soziales Problem verstanden wird, als Angriff gegen die freie Meinungsäußerung und damit gegen die De- mokratie: »The editors of The Journal of Educational Sociology, in pre- senting this issue, hope it will contribute to bringing the controversy over the comics back into the realm of constructive discussion.«38 Im Mittel- punkt des pädagogischen Interessen seht hier das Anliegen, die Comics als nicht zu gefahrlieh und schädlich zu konzipieren, was den erzieheri- schen Medienwirkungsgedanken grundsätzlich irrfrage stellen könnte. Gleichzeitig wird mit dem Verweis des Editorials auf die gefahrdeten demokratischen Freiheitsrechte deutlich, in welchen Grenzen sich der Mediengewalt-Diskurs im etablierten Feld wird bewegen müssen, will er innerhalb einer neo-liberalistischen Gouvemementalität operieren. 39 Es ist bezeichnend, dass im Bereich dieser sozialwissenschaftliehen Kritik an Wertharns Polemik auch ein Beitrag aus dem Feld der commu- nications research, die sich um die Mitte des 20. Jahrhunderts an den amerikanischen Universitäten etabliert,40 geleistet wird: Katherirre M. Wolf und Mmjorie Fiske, Sozialwissenschaftlerinnen am Bureau of Ap- plied Social Research, führen in ihrer Befragung von kindlichen Medien- nutzern eben die Differenz ein, die Wertharn aufhebt: die Unterscheidung 37 Wie James Gilbert zeigt, hat Wertharn seine Thesen aktiv in Radio- Talkshows, Panels und in zahlreichen Zeitschriftenartikeln lanciert. Trotz seiner rigiden Medienkritik setzt der Psychiater also auf positive Medien- wirkung. Vgl. James Gilbert: A Cycle of Outrage. America's Reaction to the Juvenile Delinquent in the 1950s, New York, Oxford: Oxford Univer- sity Press 1986, S. 104. 38 Payne Educational Sociology Foundation: »Editorial«, in: Journal of Edu- cational Sociology 23 (1949), H. 4, S. 193f., hier S. 193. 39 Auf die Beachtung der Meinungsfreiheit als zentrale Stoppregel des Me- diengewalt-Diskurses wird im Teil Regierung der Mediennutzung noch ausfuhrlieh einzugehen sein. 40 Vgl. die Einleitung der Herausgeber Paul F. Lazarsfeld und Frank N. Stau- ton (1949) des Bandes Communications Research 1948-1949, in dem die Studie von Katherirre M. Wolfund Marjorie Fiske publiziert wird: Paul F. Lazarsfeld/Frank N. Stauton (Hg.): Communications Research 1948-1949, New Y ork: Rarper 1949 (Introduction). 143 AGGRESSIVE MEDIEN zwischen normalen und anormalen Comiclesem. Im ersten Fall kommen Wolf und Fiske zu einer positiven Formulierung der Comicwirkung: »The normal child is a >moderate reader< who uses comics as a means of ego-strengthening.«41 Selbst für den anormalen >Comicfan< wird die Ge- fahrlichkeit des Mediums relativiert und damit auch die Konzeption eines unschuldigen Delinquenten geschwächt: »The child's problems existed before he became a fan, and the comics came along to relieve him. That he became a fan can no more be blamed upon the comics, than morphirre can itselfbe blamed when a person becomes a drug addict.«42 Wenn W ertham für die >Unwissenschaftlichkeit< seiner Methoden - für den Mangel an statistischer Relationierung oder kontrollierten Expe- rimentalsituationen, der seine Studien kennzeichnet - in die Kritik gerät, weist er solche Gegenpositionen mit einer Unterscheidung von Wissen- schaft und Wirtschaft zurück: Durch seine Forschung sei die Schädlich- keit der Comics eindeutig bewiesen, Vertreter anderer Auffassungen stünden im Dienste der Comicindustrie.43 Wertharns Polemik erhält, mö- glicherweise gerade weil sie an sozialwissenschaftliche Methoden nicht anschließt, in der öffentlichen Comic-Kontroverse eine hegemoniale Po- sition. Seine Thesen setzen nicht nur innerhalb der Comicverleger Maß- nahmen der Selbstregulation in Gang- die Etablierung eines Codes, nach dem ab 1954 jedes Heft autorisiert wird oder nicht, - 44 sie erreichen, dass 41 Katherirre M. Wolf/Marjorie Fiske: »The Chileiren Talk About Comics«, in: Lazarsfeld/Stanton (Hg.), Communications Research (1949), S. 3-50, hier S. 34. 42 Ebd., S. 35. 43 Wertharns Kritik richtet sich in erster Linie gegen Psychiater und Pädago- gen, die in so genannten >endorsements< in den Comicheften bezeugen, dass diese für Kinder nicht schädlich sind. Vgl. F. Wertham: Seduction of the Innocent, S. 23. 44 Die ebenfalls 1954 gegründete Comics Magazine Association of America etabliert eine Prüfstelle, die jedes Heft sichtet, bevor es in Druck geht, nnd mit einem Siegel versieht, wenn es den Richtlinien des Codes entspricht. Auf diese Weise wird die Unterscheidung zwischen guter nnd schlechter Lektüre auf der Seite der Comics eingeführt. Nicht genehmigt werden Co- mics, wenn sie Polizeiautoritäten lächerlich machen, Gesetzesbrecher ver- herrlichen oder Werte wie Ehe nnd Familie missachten. Vgl. Comics Magazine Association of America: »The Role of the Code Administrator« [1956], in: Larsen (Hg.), Violence and the Mass Media (1968), S. 244-249; Comics Magazine Association of America: »Applying the Comic Book Code« [1960], ebd., S. 250-252. Obwohl auf diese Weise eine gesetzliche Zensur umgangen wird, die das gesamte Genre betroffen hätte, ist der Ver- lust für die Comicindustrie groß. Ein großer Teil der so genannten crime comics kann nicht weiter publiziert werden. V gl. J. Gilbert: Circle of Outrage, S. 10 7f. V gl. auch die historiografische Darstellung zum Comic- 144 ERZIEHUNG mediale Gewaltdarstellungen zum Gegenstand politischer Verhandlun- gen werden.45 Als Anfang der 60er Jahre Kongresshearings zu Gefahren der Fernsehgewalt stattfinden, tritt Wertharn als Experte auf, der in der Kampagne gegen die Comics erfolgreich gewesen ist.46 W erthams Comic-Offensive scheint auf den ersten Blick sehr viel ef- fektiver und den zaghaft-wissenschaftlichen Projekten überlegen zu sein. Auf den zweiten Blick erweist sich die zögerliche Unentschiedenheit des pädagogischen Diskurssegments, mit der die Ambivalenz des Erzie- hungsmediums aufrechterhalten wird, als eine zentrale Diskurspolitik, an die sich Wertharn in seinem Comic-Feldzug nicht hält. Studien wie The Seduction of the Innocent finden im etablierten Feld des Wissenschafts- diskurses keinen Platz, sondern werden am Rand positioniert und als >Un- wissenschaftliche Pamphlete< bzw. »Traktätchen-Literatur«47 bezeichnet. Möglicherweise geht es im etablierten Feld des Mediengewalt-Diskurses sogar darum zu verhindern, Mediengewalt als ein soziales Problem zu formieren, das Zensurmaßnahmen notwendig werden lässt. Es ist anzu- nehmen, dass die diskursive Regulation von Mediengewalt schon früher ansetzt und nicht in erster Linie in politischen Regulierungsmaßnahmen ihr Ziel erreicht. Was der Diskurs mit der Ausgrenzung von Argumentationen wie den Thesen des Psychiaters Wertharn allerdings verliert, ist die plastische und anschauliche Figur des unschuldigen Delinquenten. Dies hat zur Folge, dass Verfahren der Normalisierung von Mediengewalt nicht mehr so rei- bungslos funktionieren, wie dies in W erthams Aussagen geschieht. Die Normalisierung des Mediennutzers gerät - wie im Folgenden noch zu sehen sein wird - im etablierten Mediengewalt-Diskurs in ein Span- nungsverhältnis mit Verfahren der Regulation. Diese Verfahren wieder- um konzipiert die Figur eines autonomen Mediennutzers, der zur Selbst- regierung in der Lage ist. Der kindlich-unschuldige Rezipient weicht die- sem neuen Konzept bzw. er taucht als moralisiertes Objekt im Rahmen der familiären Autonomie auf. Anfang der 1960er Jahre wird die Figur des Mediennutzers als unschuldigem Delinquenten allerdings auf ein wissenschaftliches Fundament gestellt, das sie in modifizierter Form in das etablierte Feld des Mediengewalt-Diskurses überführt. Die Voraus- setzungen für ihre Relevanz im etablierten Feld werden in der behavio- Code: Amy Kiste Nyberg: Seal of Approval. The History of the Comics Code, Jackson: University ofMississipi Press 1998. 45 Den weitreichendsten politischen Effekt findet Wertharns Comicfeldzug nach Gilbert in dem Beschluss des Senate Subcommittee on Delinquency, die Produktionsstandards der Comicindustrie zu untersuchen. Vgl. J. Gil- bert: Cycle of Outrage, S. 106. 46 Vg l. William Boddy: »Senator Dodd Goes to Hollywood«, in: Lynn Spigel/Michael Curtin (Hg.), The Revolution Wasn't Televised. Sixties Television and Social Conflict, New York: Routledge 1997, S. 161-183, hier S. 162. 47 M. Kunczik/A. Zipfel: »Wirkungen«, S. 573. 145 AGGRESSIVE MEDIEN ristischen Lerntheorie geschaffen. Es handelt sich hierbei um eine Modi- fikation des Arrangements der Wirkungskontrolle, das der Behavioris- mus zur Verfügung stellt. Die Medien der Lerntheorie Watsons Experimente, in denen er Neugeborene und Kinder mit Hilfe lauter Geräusche zu angstvollem Verhalten konditioniert, und die Verbreitung dieser Forschungsergebnisse in der general interest-Zeit- schrift Harper's Magazine48 haben behavioristische >Erziehungs<-Kon- zepte schon in den 1920er Jahren bekannt gemacht und sind als Horror- szenarien einer umfassenden Kontroll- und Manipulationsmacht rezipiert worden. Die an Watson anschließende sozialbehavioristische Lerntheorie muss sich deshalb von öffentlichen Vorstellungen distanzieren, die den Begriff >Behaviorismus< »with odious images of salivating dogs and animals driven by carrots and sticks«49 assoziieren. Ein entscheidendes Konzept, das die lerntheoretischen Modifikationen ab den 1940er Jahren vom traditionellen Behaviorismus trennt, ist das der Imitation: Lernen wird nicht mehr als sukzessive Annäherung an ein bestimmtes Verhalten definiert, das durch Konditionierung vollzogen wird,50 stattdessen rückt die Beobachtungsleistung des Lernenden in den Blick der Theorie: »There is considerable evidence [ ... ] that learning may occur through observation of the behavior of others«.51 Mithilfe der Konzeption des 48 Vgl. J. Watson/J. Rayner: »Conditioned Emotional Reactions«; J. Watson: » The Heart or the Intellect? «. 49 Albert Bandura: Aggression. A Social Leaming Analysis, New Y ork, Englewood Cliffs/NJ: Prentice-Halll973, S. 42. 50 Solche Lernprinzipien wurden im Anschluss an Watson von Clark L. Hull (Principles of Behavior, 1943) und Skinner (The Behavior of Organisms, 1938; Science and Human Behavior, 1953) konzipiert. Die Einführung des Konzepts der Imitation erfolgt in der Humanpsychologie durch die Studie Social Learning and Imitation (1941) von John Dollard und Neal E. Miller. Vgl. Albert Bandura/Richard H. Walters: Social Learning and Personality Development [1963], London u.a.: Holt, Rinehart and Winston 1970, S. 4. Dieses Konzept hat bereits Vorläufer in tierpsychologischen Studien der 1930er Jahre. Vgl. Eleanor E. Maccoby/William Cody Wilson: »Identifica- tion and Observational Learning From Films«, in: Journal of Abnormaland Social Psychology 55 (1957), H. 1, S. 76-87, hier S. 76, die sich unter an- deren auf Untersuchungen von Carl J. Warden u.a. berufen. 51 A. Bandura/R. Walters: Social Learning, S. 4. Eng damit verbunden ist die dem traditionellen Behaviorismus widersprechende Annahme einer wech- selseitigen Beeinflussung von Umwelt und Verhalten: »In the sociallear- ning view, man is neither driven by iuner forces nor buffeted helplessly by environmental influences. Rather, psychological functioning is best un- 146 ERZIEHUNG Lemens am Modell wird erklärbar, wie komplexe soziale Zusammen- hänge durch Nachahmung relativ schnell eingeübt werden können. 2 5 Mit dieser Neukonzeptualisierung vollzieht sich innerhalb behavioristischer Experimentalsysteme eine Fokusverschiebung, die weg von reinen Sti- mulus-Response-Annahmen und hin zum Einbezug kognitiver Vorgänge in den Lernprozess führt. Der für den Mediengewalt-Diskurs entschei- dende Aspekt dieser Fokusverschiebung ist: Die Versuchsperson selbst wird zum Beobachter und der Experimentator ist nicht mehr nur eine aperspektivische Kontrollinstanz, sondern ein Beobachter von Be- obachtern. Gleichzeitig beginnt sich eine Verschiebung in den Verfahren der Wirkungskontrolle anzudeuten: Diese setzen nun weniger einen pas- siven Rezipienten voraus, sondern streben die Regierung autonomer Nut- zersubjekte an. Die auf dem Gebiet des Beobachtungsiemens hegemonialen Kon- zepte des Stanforder Psychologen Albert Bandura sind im etablierten Feld des Mediengewalt-Diskurses nicht unumstritten, aber dennoch bis heute von großer Bedeutung und werden von einigen Forschern sogar als die fundierteste Mediengewalt-Konzeption angesehen.53 Da Banduras Forschungsansatz nicht von Anfang an die Verbreitungsmedien impli- ziert hat, sondern zunächst in Feldstudien zu eruieren versucht, wie Kin- der lernen, indem sie das Verhalten ihrer Eltern nachahmen,54 stellt sich die Frage, wie das Konzept des Beobachtungsiemens im Mediengewalt- derstood in terms of continuous reciprocal interaction between behavior and its controlling conditions. [ ... ] [E]nvironment is only a potentiality, not a fixed property that inevitably impinges upon individuals and to which their behavior eventually adapts. Behavior partly creates the environment and the resultant environment, in turn, influences the behavior. In this two- way causal process the environment is influence-able, just as the behavior it controls is.« A. Bandura Aggression (1973), S. 43. 52 Vgl. A. Bandura/R. Walters: Social Leaming, S. 3. 53 Kunczik sieht in den lerntheoretischen Studien Banduras ein übergeordne- tes Theoriekonzept, das es ermöglicht, die Mediengewaltforschung zu sys- tematisieren. Vgl. M. Kunczik: Gewalt und Medien, S. 158. Der Stellen- wert, den Kunczik Banduras Konzepten damit zuordnet, ist ungewöhnlich, da Überblicksdarstellungen der Mediengewaltforschung - insbesondere solche, die von Kunczik selbst verfasst wurden - häufig disparate Theorien nebeneinander stellen und auf die Uneinheitlichkeit des Forschungsfelds verweisen. 54 Die Ergebnisse publiziert Bandura 1959 zusammen mit Richard H. Wal- ters. Diese erste Studie der Psychologen zur Thematik des sozialen Lemens kommt zu der zentralen Schlussfolgerung, dass aggressive Jugendliche El- tern haben, die ebenfalls ein hohes Aggressionspotenzial aufWeisen und als Modell für das Verhalten ihrer Kinder dienen. V gl. Albert Bandura/Richard H. Walters: Adolescent Aggression, New York: Ronald 1959. 147 AGGRESSIVE MEDIEN Diskurs diese Stellung erlangen konnte. Wie haben Medien Eingang in die Lerntheorie gefunden? Aufschlussreich für diese Frage ist, historisch nochmals einen Schritt zurückzugehen und zu berücksichtigen, dass insbesondere der Film noch vor seiner Verbreitung als Unterhaltungsmedium bereits seit Ende des 19. Jahrhunderts als technisches Medium in physiologischen und psycho- logischen Studien zum Einsatz gebracht worden ist.55 Das Medium Film findet im Laufe seiner Geschichte nicht nur als >epistemisches Ding<, al- so als Objekt, dem »die Anstrengung des Wissens gilt«, Eingang in die Experimentalsysteme der Sozialwissenschaften, sondern gehört auch - als Instrument oder Aufzeichnungsapparatur-inden Bereich der >Expe- rimentalbedingungen< oder >technischen Dinge<, von denen »die episte- mischen Dinge [ ... ] eingefaßt und dadurch in übergreifende Felder von epistemischen Praktiken und materiellen Wissenskulturen eingefügt« werden. 6 5 In den 1930er Jahren werden im Journal of Social Psychology Stu- dien veröffentlicht, in denen Filme einen instrumentell-technischen Sta- tus in Experimenten haben und zum Teil auch in dieser Hinsicht explizit reflektiert werden. Eine Rolle spielt der Film etwa in Experimenten, in denen Versuchspersonen Visualisierungen von Gangarten57 bzw. manu- eller Ausdrucksformen58 beurteilen sollen. Auch wenn es - wie in einem 55 Vgl. Nicolas Pethes: Spektakuläre Experimente. Allianzen zwischen Mas- senmedien und Sozialpsychologie im 20. Jahrhundert, Weimar: Verlag und Datenbank für Geisteswissenschaften 2004, S. 35-39. Pethes neunt u.a. die Bewegungsstudien von Muybridge und Marey sowie Münsterbergs Interes- se an dem Zusammenhang zwischen Psychologie und kinematographi- schem Apparat. 56 H.-J. Rbeinberger: Experimentalsysteme, S. 24 u. S. 25. Nach Rbeinberger stehen >epistemische Dinge< und >technische Dinge< in einem Wechselver- hältnis zueinander: Ihre Unterscheidung ist nicht material, sondern funktio- nal zu verstehen, d.h. technische Bedingungen und epistemische Objekte können im Prozess der Forschung ihre Plätze tauschen: »Üb ein Objekt als epistemisches oder als technisches funktioniert, hängt von dem Platz oder dem Knoten ab, den es im experimentellen Kontext besetzt.« Ebd., S. 27. 57 Vgl. Philip Eisenberg/Philip B. Reichline: »Judging Expressive Movement II. Judgment of Dominance-Feeling From Motion Pictures of Gait«, in: Journal of Social Psychology 10 (1937), H. 3, S. 345-357. Die Versuchs- personen müssen sich Filme ansehen, die gehende Frauen zeigen, und an- geben, ob sie die gezeigten Frauen als dominant oder nicht empfinden. 58 Vgl. L. Carmichael/S.O. Roberts/N.Y. Wessell: »A Study ofthe Judgment of Manual Expression as Presented in Still and Motion Pictures«, in: Jour- nalofSocial Psychology 8 (1937), H. 1, S. 115-142. Hierwerdenzwei Ex- perimente dokumentiert, in denen Versuchspersonen zunächst Fotografien und daun Filme von manuellen Ausdrucksformen gezeigt werden. Zwar macht die Studie das Urteil der Versuchspersonen zu ihrem Anliegen, je- 148 ERZIEHUNG anderen Experiment, das Herbert S. Conrad und Harold E. Jones be- schreiben, - um die Messung von Differenzen im Erinnerungsvermögen geht, liefert das Messergebnis gleichzeitig einen Nachweis darüber, wie brauchbar das filmische Instrument ist, das dieses Ergebnis produziert hat: »Tests of observation and memory for events have usually been restricted to >staged< activities, as in the conventional experiment on testimony; the screened episode, however, offers certain advantages over the older technique. The film makes possible an accurate control of tempo, an almost unlimited range of event sequences, and a precise repetition or an experimental variation of either conditions or content. It also presents advantages in the motivation of subjects andin the appeal to relatively unselected samples [ ... ].«59 Eine gerraue Umkehrung dieser Beschreibung des Films als Instrument findet sich in den Experimentalanordnungen, die in den Untersuchungen der Harvard-Psychologin Eleanor Maccoby in den 1950er Jahren einge- richtet werden: Hier wird nicht das Erinnerungsvermögen durch Filme getestet, sondern es wird untersucht, wie stark der Film den Probanden im Gedächtnis geblieben ist: Der Film steht also im Mittelpunkt, er ist >technisches< und gleichzeitig >epistemisches Ding<. Maccoby ist nicht nur eine der ersten, die das neue Medium Fernsehen empirisch untersu- chen,60 sondern sie nimmt gemeinsam mit William Cody Wilson auch doch tritt dieses Anliegen fast hinter das Bestreben zurück, die Rolle des Films in der Experimentalanordnung zu bestimmen und dabei durchaus mediendifferenzielle Gesichtspunkte zu berücksichtigen: » What difference, if any, is introduced in such judgments by the dynamic (motion-picture) presentation ofthe isolated manual expressions?« Ebd., S. 116. Es geht der Studie also darum, den Film als ein fiir sozialpsychologische Experimente geeignetes Instrument zu konturieren: »The gestures presented as moving- pictures are judged with a somewhat greater commonality than those pre- sented as still pictures [ ... ] The experiment shows that cinematographic technique has certain new possibilities for use in the study of the so-called >expressive states.<« Ebd., S. 140. 59 Herbert S. Conrad/Harold E. Jones: »Psychological Studies of Motion Pie- tures V. Adolescent and Adult Sex Differences in Immediate and Delayed Recall«, in: The Journal of Social Psychology 2 (1931 ), H. 4, S. 433-459, hier S. 433. 60 Vgl. etwa Eleanor E. Maccoby: »Why Do Children Watch Television?«, in: Public Opinion Quarterly 18 (1954), H. 1, S. 239-244. Maccoby berich- tet hier über eine 1951-52 durchgefiihrte Befragung, in der Mütter von Kindergartenkindem Angaben zu ihren Erziehungsmethoden und zur Fem- sehrezeption ihrer Kinder machen sollen. Ergebnis der Studie ist, dass (zumindest Kinder aus der Mittelschicht) daun viel fernsehen, wenn sie im realen Leben- etwa durch mangelnde Zuwendung- frustriert werden. 149 AGGRESSIVE MEDIEN den Film erstmals als >epistemisches Ding< im Kontext eines behavioris- tisch informierten Konzepts des Beobachtungsiemens in den Blick. Al- lerdings ziehen Maccoby und Wilson keine Schlussfolgerungen darüber, ob das filmische Lernen Auswirkungen auf das Verhalten der Zuschauer hat, sondern beschäftigen sich ausschließlich mit dem »first step of lear- ning from film; that is, with the subject's ability to recall film content verbally after a brief interval. «61 In den Experimenten, die Bandura in den 1960er Jahren durchführt, geht es im Gegensatz hierzu nicht nur um das Lernen von konkreten Ver- haltensweisen durch Beobachtung, sondern an zentraler Stelle um >fal- sches Lernen<, insbesondere um die Aneignung von aggressivem Verhal- ten. Bandura versteht Aggression nicht als Manifestation eines funda- mentalen Aggressionstriebes des Menschen oder als instinktive Reaktion, die zwangsläufig auf eine Frustration folgt, 62 sondern als eine gelernte Verhaltensweise: »Obviously, people are not innately equipped with military combat repertoires or with proficient means of insulting others. A complete theory of aggression must therefore explain how intricate behaviors that are potentially injurious and destructive are leamed in the first place.«63 In einer ganz anderen diskursiven Ordnung scheint damit wieder die Fi- gur des unschuldigen Delinquenten auf, die Wertharn in der Comicdebat- te beschworen hat: Wenn der Gewalttäter oder Verbrecher nicht >von Na- tur aus< dazu in der Lage ist, eine Tat zu begehen, kann er sie nur bege- hen, wenn er sie sich durch >falsches Lernen< angeeignet hat. Ohne diese Aneignung- so die Argumentationsfigur- wäre der Delinquent unschul- dig. Während es W ertham in seinem Kampf gegen die Comicindustrie nur darum geht, die Agenten der falschen Erziehung zu beseitigen, ver- knüpft Bandura seine lerntheoretische Konzeption von Aggression mit der Hoffnung, den Menschen mittels behavioristischer Techniken, deren Spuren auch in der Lerntheorie zu finden sind, bessern zu können.64 61 E. Maccoby/W. Wilson: »ldentification and Observational Learning«, S. 77. Getestet werden Schulklassen, denen im Rahmen des Unterrichts 20- minütige Filme gezeigt werden. Die Experimentatoren nehmen an - und bestätigen dies auch in ihrer Studie -, dass Kinder sich mit einer filmischen Hauptfigur identifizieren, die ihnen in Geschlecht, Alter und Sozialstatus besonders ähnlich ist. In diesem Fall erinnern sich die Kinder besonders gut an die Filmhandlung bzw.lernen besonders viel. 62 Dieses Aggressionskonzept der Frustrations-Aggressions-Hypothese wird im folgenden Kapitel Heilung: Therapie der Mediengewalt noch genauer beleuchtet. 63 A. Bandura: Aggression (1973), S. 38. 64 »Since aggression does not originate intemally and its social determinants are alterable, socialleaming theory holds a more optimistic view of man's 150 ERZIEHUNG In Banduras Lernexperimenten scheinen die Verbreitungsmedien Film oder Fernsehen auf den ersten Blick zumindest keine bedeutende Rolle zu spielen. Das typische Setting seiner Versuche sieht vor, dass kindliche Probanden - meist handelt es sich um Kinder der Stanforder nursery school- daraufhin untersucht werden, aufwelche Weise und un- ter welchen Bedingungen sie das Verhalten von meist erwachsenen mo- dels - Studenten oder Mitarbeitern Banduras - nachahmen. So wird etwa experimentell herausgestellt, dass Kinder während eines Spiels mit dem Modell beiläufig dessen Verhalten nachahmen oder dass sie aggressive Verhaltensweisen des Modells in anderen Situationen wiederholen; Ban- dura und seine Mitarbeiter untersuchen des Weiteren, ob ein Kind durch Beobachtungslernen in seinen moralischen Urteilen beeinflusst werden kann oder ob es seine Angst vor Hunden verliert, wenn es beobachtet, wie das Modell angstfrei mit einem Hund umgeht.65 Es finden sich einige Settings unter dieser thematischen Bandbreite der Stanforder Experimente, in denen audiovisuellen Medien der Status von nicht weiter reflektierten >technischen Dingen< zukommt und das zentrale Forschungsinteresse einer Fragestellung gilt, in der das Medium keine Rolle zu spielen scheint. 66 Von einem der frühesten Experimente, die Kinder dahingehend untersuchen, ob sie das Verhalten eines Modells imitieren, das sie im Fernsehen gesehen haben, berichten Bandura und capacity to reduce the level of human destructiveness.« Ebd., S. 59. Auch Bandura denkt sein Erziehungskonzept also ambivalent. Besonders deut- lich wird dies in seinen Beschreibungen, wie die behavioristische Lernthe- orie in der Psychotherapie anwendbar ist. Vgl. das Kapitel »The Modifica- tion ofBehavior«, in: A. Bandura/R. Walters: Social Leaming, S. 224-259. 65 Vgl. Albert Bandura/Aletha C. Huston: »Identification as a Process of Irr- cidental Leaming«, in: Journal of Abnormal and Social Psychology 63 (1961), H. 2, S. 311-318; Albert Bandura/Dorothea Ross/Sheila A. Ross: »Transmission of Aggression Through Imitation of Aggressive Models«, in: Journal of Abnormaland Social Psychology 63 (1961), H. 3, S. 575- 582; Albert Bandura/Frederick J. McDonald: »Influence of Social Rein- foreerneut and the Behavior of Models in Shaping Children's Moral Judg- ments«, in: Journal of Abnormaland Social Psychology 67 (1963), H. 3, S. 274-281; Albert Bandura/Joan E. Grusec/Frances Menlove: »Vicarious Ex- tinction of Avoidance Behavior«, in: Journal ofPersonality and Social Psy- chology 5 (1967), H. 1, S. 16-23. 66 Vgl. neben dem im Folgenden beschriebenen Experiment Albert Bandura: »Influence of Models' Reinforeerneut Contingencies on the Acquisition of Imitative Responses«, in: Journal of Personality and Social Psychology 1 (1965), H. 6, S. 589-595; ders./Frances Menlove: »Factors Determining Vicarious Extinction of Avoidance Behavior Through Symbolic Model- ling«, in: Journal of Personality and Social Psychology 8 (1968), H. 2, S. 99-108. 151 AGGRESSIVE MEDIEN seine Mitarbeiterinnen Dorothea Ross und Sheila A. Ross 196367 im Journal of Abnormal and Social Psychology (JASP). Die Forscher wid- men sich in diesem Experiment der Frage, inwiefern das Beobachtungs- lernen der Kinder von einer Bestrafung oder Belohnung des Modells ab- hängig ist. Die Versuchsanordnung gleicht dem typischen Arrangement - mit einem Unterschied: »T he models were two adult mal es presented to the children by means of 5-minute film sequences projected on a glass lenscreen in a television console.«68 Die Filmsequenzen zeigen, wie das eine Modell- Rocky- das andere- Johnny- angreift und dessen Spiel- zeug zerstört, wobei eine Kindergruppe einen Film sieht, in dem Rocky nach dieser Interaktion belohnt, die andere eine Version rezipiert, in der Rocky bestraft wird. In der Experimentbeschreibung wird nicht erläutert, warum hier die Performance der Modelle über einen Fernsehbildschirm gewählt wird. Gemessen an Ausgangsfrage und Ergebnis des Experiments - die Kin- der, die den >Belohnungs-Film< gesehen haben, zeigen in einer anschlie- ßenden Spielsituation häufiger aggressives Verhalten- ist nicht plausi- bel, warum das zu lernende Verhalten- genauso wie in den meisten an- deren Experimenten - den Probanden nicht über eine Face-to-Pace- Situation vermittelt werden konnte. Die Beschreibung legt nahe, dass die Fernsehsituation ausschließlich aus dem Grund gewählt wurde, die Ver- suchsanordnung zu optimieren. Im Sinne der Darstellung von Conrad und Jones scheint das Fernsehen zum Einsatz zu kommen, weil die >screened episode< gegenüber den >staged activities< besser kontrollierbar ist. Das Fernsehen ist Teil der Experimentalbedingungen und seine Funk- tion ist es, der Experimentatorirr eine möglichst unbemerkte Observation des Beobachtungsiemens zu ermöglichen: »The experimenter met the child in the nursery school and invited him to play in her toy room. On the way to the room the experimenter informed the child that first she had to complete some paper work in another office during which time the child could watch a televised program. As they entered the office the 67 Bandura und Walters verweisen auf ein unveröffentlichtes Manuskript Banduras aus dem Jahr 1962 mit dem Titel »The Influence of Rewarding and Punishing Consequences to the Model on the Acquisition and Per- formance of Imitative Responses«. Hier kommt bereits ein Jahr zuvor der Film als >technisches Ding< Zllm Einsatz, ohne dass das mediale Lernen von aggressivem Verhalten problematisiert wird. Vgl. dies.: Social Lear- ning, S. 57. 68 Albert Bandura/Dorothea Ross/Sheila A. Ross: »Vicarious Reinforeerneut and Imitative Leaming«, in: Journal of Abnormal and Social Psychology 67 (1963), H. 6, S. 601-607, hier S. 602. Die Technik der Rückprojektion wird- in einer Zeit vor der Verbreitung des Videorekorders - gewählt, um die Fernsehsituation im Experiment kontrollierbar zu machen. Vgl. zu die- sem Experiment auch N. Pethes: »Publikumsversuche«, S. 107f. 152 ERZIEHUNG experimenter seated the child and then ostensibly tuned in a program on the television console situated approximately 5 feet directly in front of the child. The experimenter occupied herself busily in a far comer of the room while the child viewed the filmed performance.«69 Diegenaue Beschreibung der Fernsehsituation macht deutlich, inwiefern das Medium hier in erster Linie als technisches Instrument konzipiert wird.70 Nur am Ende des Artikels verknüpfen die Autoren das Fernsehen mit dem Experimentergebnis, allerdings nur in einem allgemein gehalte- nen Verweis, ohne einen konkreten Bezug zur Experimentsituation her- zustellen.71 Umso erstaunlicher ist diese Nichtreflexion der Fernsehwirkung als epistemisches Objekt in der Experimentsituation, weil dieselben Autoren bereits einige Ausgaben zuvor im JASP einen Artikel veröffentlicht ha- ben, in dem genau diese Reflexion in einem anderen Zusammenhang im Mittelpunkt steht. Dieser Artikel setzt nicht nur mit einem Verweis auf »research on the possible effects of film-mediated stimulation upon sub- sequent aggressive behavior« ein, die allerdings die Frage des Beobach- tungsiemens noch nicht berücksichtigt hätte, sondern referiert zu Beginn auch eine konkrete Nachahmungstat: »A recent incident (San Francisco Chronicle, 1961) in which a boywas seri- ously knifed during a re-enactment of a switchblade knife fight the boys had seen the previous evening on a televised rerun ofthe James Dean movie, Rebel 69 A. Bandura/D. Ross/S. Ross: »Vicarious Reinforcement«, S. 602. 70 Das Fernsehen im Experimentaldesign rückt damit in die Nähe von Unter- suchungen, die Medientechniken sehr viel deutlicher als Laborapparaturen zum Einsatz bringen. Vgl. Hans H. Toch/Richard Schulte: »Readiness to Perceive Violence as a Result of Police Training«, in: British Journal of Psychology 52 (1961), H. 4, S. 389-393. Hier wird eine Apparatur einge- setzt, die den Probanden auf dem einen Auge gewalthaltige und auf dem anderen neutrale Piktogramme zeigt, die in der Wahrnehmung zu Sterea- grammen verschmelzen sollen. Die Experimentatoren bestätigen auf diese Weise ihre Ausgangshypothese, dass Personen nach spezifischen Erfah- rungen in der Vergangenheit- in diesem Fall nach einer Polizeiausbildung -mehr Gewalt in den Stereogrammen wahrnehmen. 71 »In most televised programs the >bad gny< gains control over important re- sources and amasses considerable social and material rewards through a se- ries of aggressive maneuvers, whereas his punishment is generally delayed until just before the last commercial. Thus children have opportunities to observe many episodes in which antisocially aggressive behavior has paid off abundantly«. A. Bandura/D. Ross/S. Ross: »Vicarious Reinforcement«, s. 606. 153 AGGRESSIVE MEDIEN Without a Cause, is a dramatic illustration of the possible imitative influence of film stimulation.«72 Das im Mediengewalt-Diskurs breit rezipierte Experimene3 konfrontiert die beobachtenden Kinder mit aggressiven Handlungen, die erwachsene Modelle gegen eine große, aufblasbare >Bobo-Puppe< ausüben, indem sie diese, begleitet von verbalen Aggressionsäußerungen, auf die Nase schla- gen, ihren Kopf mit einem Hammer bearbeiten, sie durch die Luft werfen und mit Tritten durch den Raum schleudern. Dies geschieht unter unter- schiedlichen medialen Bedingungen: Eine Experimentgruppe beobachtet »real-life models«74 im Rahmen einer Spielsituation, eine andere be- kommt die Modelle auf einer Leinwand zu sehen, und der dritten Gruppe wird über einen Fernsehbildschirm eine experimentell erstellte >Cartoon- Version< der Interaktion gezeigt. Alle Modelle führen die gleichen Ag- gressionshandlungen aus. Nach dieser Konfrontation werden die Kinder der drei Gruppen sowie die einer vierten Kontrollgruppe »mildly frustra- ted«, indem ihnen attraktives Spielzeug gezeigt aber vorenthalten wird.75 Dann werden die Kinder in einem Spielzimmer, das »aggressive toys« - u.a. die Bobo-Puppe und einen Hammer, aber auch Spielzeugpistolen mit Pfeilen - und »nonaggressive toys«, wie ein Teeservice, Stifte, Papier oder Plastiktiere, enthält, der Beobachtung durch die Experimentatoren ausgesetzt.76 Bandura, Dorothea und Sheila Ross glauben auf diese Wei- se zeigen zu können, dass Kinder auch durch Modelle im Film oder im Fernsehen aggressives Verhalten durch Imitation lernen und in einer an- schließenden Spielsituation ausführen. Sie kommen am Ende zu einer Generalisierung ihrer Ergebnisse, die sehr viel enger an die Experiment- anordnung geknüpft ist: »Filmed aggression, not only facilitated the expression of aggression, but also effectively shaped the form of the subjects' aggressive behavior. The finding that children modeled their behavior to some extent after the film characters suggests that pictorial mass media, particularly television, may serve as an im- portant source of social behavior.«77 Während in anderen Experimenten Banduras Film und Fernsehen Teil der Versuchsbedingungen sind, werden sie hier- aber nahezu als Neben- 72 Albert Bandura/Dorothea Ross/Sheila A. Ross: »Imitation of Film-Media- ted Aggressive Models«, in: Journal of Abnormal and Social Psychology 66 (1963), H. 1, S. 3-11, hier S. 3. 73 V gl. etwa M. Kunczik: Gewalt und Medien, S. 89. 74 A. Bandura/D. Ross/S. Ross: »Imitation«, S. 3. 75 Ebd., S. 5. Die Frustrations-Aggressions-Hypothese liegt also auch dieser Versuchsanordnung zugrunde, auch weun Aggression hier als gelernter Zu- sammenhang verstanden wird. 76 Ebd. 77 Ebd., S. 9. 154 ERZIEHUNG effekt - zu epistemischen Dingen, zu Objekten, denen die Anstrengung der Forschung gilt. Gemessen an der thematischen Breite der in Fachzeit- schriften Anfang der 1960er Jahre publizierten Experimente Banduras, in denen insbesondere das Fernsehen entweder keine Rolle spielt oder vor- wiegend als technisches Hilfsmittel fungiert, kann es durchaus erstaunen, dass Bandura ausgerechnet die Fokussierung auf dieses Medium als >epi- stemisches< Ding in den Vordergrund eines weiteren Artikels stellt und damit - einen » firestorm of social concem« 78 auslösend - in der Verbrei- tung seiner Forschungsergebnisse einen im Wissenschaftssystem recht unüblichen Ton anschlägt: »What TV Violence Can Do to Your Child« titelt Bandura 1963 in der Zeitschrift Look. Der Artikelliest sich, als gäl- te die gesamte Forschungsanstrengung in seinen Experimenten dem The- ma Fernsehgewalt »Precise information can come only through carefully controlled laboratory tests in which the children themselves participate. Forthis reason, we recently conducted a series of experiments at the Stanford psychologicallaboratories to provide some real basis for evaluating the impact of televised aggression on preschool children.«79 Das Experiment, in dem der Streit zwischen den Modellen Rocky und Johnny den Kindem über das technische Ding >Femsehbildschirm< vor- geführt wird, stellt Bandura hier so dar, als wäre es um nichts anderes gegangen als zu testen, welche Wirkungen es auf Kinder hat, wenn der Bösewicht im Fernsehen erst ganz am Ende bestraft wird. 80 Spitzt Bandura seine Forschungsergebnisse auf das Thema >Medien- gewalt< zu, um öffentliches Interesse zu erregen? Wie lässt sich dann aber die eigentümliche Weise verstehen, in der die audiovisuellen Me- dien in den Versuchsanordnungen zwischen technischen und epistemi- schen Dingen changieren? Aufschlussreich hierfür ist zu überprüfen, durch welche apriorischen Annahmen Bandura seine Experimente präfi- guriert und auf diese Weise jedes Ergebnis antizipiert. Zum einen fallt auf, dass sich in der Experimentalanordnung die Gewalt findet, die auf- gespürt werden soll: Sie wird sogar als Spektakel inszeniert und auf diese Weise veranschaulicht. 81 Besonders deutlich wird dies in der Tatsache, dass die erwachsenen Modelle nicht irgendwelche Aggressionshandlun- 78 John P. Murray: »Studying Television Violence. A Research Agenda for the 21 81 Century«, in: Joy Keiko Asamen/Gordon L. Berry (Hg.), Research Paradigms, Television, and Social Behavior, Thonsand Oaks, London, New Delhi 1998: Sage Publications, S. 369-409, hier S. 374. 79 Hier zitiert nach: Albert Bandura: »What TV Violence Can Do to Your Child« [1963], in: Otto N. Larsen (Hg.), Violence and the Mass Media (1968), S. 123-130, hier S. 124. 80 Vgl. ebd., S. 127. 81 Vgl. N. Pethes: Spektakuläre Experimente, S. 74. 155 AGGRESSIVE MEDIEN gen vorführen, sondern solche, die von kleinen Kindem erwartet werden. Die Kinder imitieren im Experiment also nicht das Verhalten der Er- wachsenen, sondern eine Imitation ihres eigenen Verhaltens. Zweitens und sehr viel entscheidender: Der Konzeption des Be- obachtungslemens ist in ihren grundlegenden Thesen schon ein mediales Setting eingeschrieben, das den beobachtenden Probanden als Zuschauer entwirft. In den Versuchsanordnungen der unterschiedlichen Experimen- te wird deutlich, dass hier, auch wenn kein Medium im Experiment ex- plizit zum Einsatz kommt, das gesamte Arrangement die Rezeptionssitu- ation des Fernsehens inszeniert, in der ein kindlicher Zuschauer in einer alltäglichen Spielsituation beiläufig und möglicherweise unerwünscht medial dargestellte Verhaltensweisen imitiert. Das Fernsehen als >Heim- medium<, das um 1960 in so gut wie allen amerikanischen Haushalten zu finden ist, prägt die Figur des beobachtend-lernenden Kindes, die durch das Lernen von Inhalten gekennzeichnet ist, die gar nicht gelernt werden sollten. In den Experimentbeschreibungen bleibt durch die Bezeichnung der Modelle als >real life<, wenn sie nicht auf einer Filmleinwand oder auf einem Fernsehbildschirm präsentiert werden, die zugrunde liegende mediale Disposition des Settings unsichtbar. Inwiefern dem gesamten Konzept des Beobachtungsiemens die Ver- breitungsmedienund insbesondere das Fernsehen zugrunde liegen, ma- chen Bandura und Walters an anderer Stelle, und zwar in ihrer Studie So- cial Learning and Personality Development, die ebenfalls 1963 publiziert wird, deutlich, indem sie das Konzept der >symbolischen Modellierung< einführen: »While it is evident that much leaming in North American society is still fas- tered through the presentation of real-life models, with advances in technology and written and audiovisual means of communication increasing reliance 1s placed on the use of symbolic models.«82 Da Kinder so viel Zeit vor dem Fernsehbildschirm verbringen- Bandura und Walter berufen sich hier auf die ersten Feldstudien, die für Großbri- tannien und Nordamerika durchgeführt wurden,83 - gewinnen die televi- suellen Modelle einen besonders großen Einfluss auf Verhalten und Normvorstellungen der Kinder: »Consequently, parents are in danger of becoming relatively less influential as role models, and often are greatly concemed with the problern ofregulating their children's television view- ing.«s4 82 A. Bandura/R. Walters: Social Leaming, S. 49. 83 Vgl. Hilde T. Himmelweit/AN. Oppenheim/Pamela Vince: Television and the Child. An Empirical Study of the Effect of Television and the Yo ung, New York: Oxford University Press 1958; Wilbur Schramm/Jack Lyle/ Edwin B. Parker: Television in the Lives of Our Children. Stanford: Stan- ford University Press 1961. 84 A. Bandura/R. Walters: Social Leaming, S. 49. 156 ERZIEHUNG Banduras Umstellung von Feldstudien, die untersuchen, wie Kinder ihre Eltern imitieren, auf Laborexperimente, die das generelle Imitati- onsverhalten der Kinder unter kontrollierten Bedingungen überprüfen sollen, ist nicht nur eine Änderung der Forschungsmethoden. Die Expe- rimentalbedingungen im Stanforder Labor inszenieren das Fernsehdispo- sitiv, ohne das Medium immer zum technischen oder epistemischen Ding zu machen. Auf diese Weise stellt Bandura sowohl die Konzeption des ambivalenten Erziehungsmediums als auch die Figur des unschuldig- delinquenten Mediennutzers auf ein Fundament, das im etablierten Feld des Mediengewalt-Diskurses anschlussfahig ist. Der Stanforder Psycho- loge kann mit der Disposition seiner Experimente immer zu dem Ergeb- nis kommen, dass Mediengewalt eine Gefahrdung für kindliche Nutzer darstellt, und zwar nicht nur für einzelne Kinder, sondern für jedes Kind. Allerdings wird sich eben diese Konzeption im etablierten Feld des Me- diengewalt-Diskurses auch als problematisch erweisen. 157 5 HEILUNG: THERAPIE DERMEDIENGEWALT »If you wished to assess the full effect of a particular medicine on chil- dren's physical health, you would hardly do it by soliciting opinions from parents, teachers and self-defined >experts.<«1 Mit diesem Vergleich kritisiert Albert Bandura 1963 in seinem viel zitierten Artikel »What TV Violence Can Do to Your Child« aus seiner Sicht wenig vertrauenswür- dige Forschungsergebnisse, die bezweifeln, dass televisuelle Gewaltdar- stellungen für Kinder schädlich sind. Analogiebildungen von Medien- wirkung und der Wirkung von Arzneimitteln, Beschreibungen von medi- alen Wirkungsprozessen in medizinischem Vokabular, sind im Me- diengewalt-Diskurs häufig anzutreffen. Schon in Wertharns metaphern- reichem Pamphlet Seduction of the Innocent finden sich neben Darstel- lungen, in denen Comics als pervertierte Lehrbücher erscheinen, auch Schilderungen, die Medienwirkung mit Krankheitserregern und den Co- micleser mit einem infizierten Individuum parallel setzen: »The problern of the effect of crirne cornic books is like a cornbined clinical and laboratory problern in infectious diseases. Yo u not only have to study the possibly affected individuals; you have to investigate the potentially injurious agents thernselves, their varieties, their lives, their habitat. There is a consider- able distance frorn the pure culture ofthe bacillus to the clinical case.«2 Wertharns Kennzeichnung der Comics als >mnhealthy« oder als »virus« und seine Diagnose von Verhaltensstörungen und Angstträumen als »common clinical syndrom in comic-book readers«3 bleiben schon allein durch seine Forschungsarbeit in psychiatrischen Kliniken nicht auf den Bereich des Metaphorischen beschränkt. Wie weit aber trägt die Analo- gie auf einer umfassenderen Diskursebene? Entwirft der Mediengewalt- Diskurs den Mediennutzer in dem Sinne als ein krankes bzw. von Krank- heit bedrohtes Individuum, dass seine Heilungsbedürftigkeit als medizi- nisches Bezugsproblem handlungsrelevant wird? Wenn ja, welcher Art ist die Gesundheitsschädigung, die der Mediennutzer erleidet oder erlit- ten hat? Und schließlich: Bietet der Diskurs ein Heilmittel an bzw. weist A. Bandura: »TV Violence«, S. 124. 2 F. Wertharn: Seduction ofthe Innocent, S. 30. 3 Ebd., S. 51, S. 118 u. S. 107. 159 AGGRESSIVE MEDIEN er den Weg zur Heilung, ist er also in diesem Sinne ein therapeutischer Diskurs? Im folgenden Kapitel soll zur Beantwortung dieser Fragen zunächst scheinbar ein Umweg gegangen werden, der aber tatsächlich in den Kern der Problematik führt. In der Mediengewaltforschung gibt es eine Ein- mütigkeit, die angesichts der immer wieder beklagten Uneinigkeit über- rascht: Eine der zahlreichen Thesen zur Frage der Wirkung von medialen Gewaltdarstellungen, die so genannte Katharsisthese, gilt als empirisch widerlegt.4 Zugespitzt und vereinfacht gesagt gehen Vertreter der Ka- tharsisthese davon aus, dass die Rezeption von Gewalt in den Medien ei- ne aggressionsreduzierende Wirkung auf den Nutzer hat: Nach der Nut- zung, so die These, sei der Rezipient friedlicher und ausgeglichener als zuvor. Die These einer ausgleichenden, regulierenden Funktion und da- mit positiven, erwünschten Wirkung von Mediengewalt findet sich be- reits in den Aushandlungsprozessen, die der Etablierung des Medienge- walt-Diskurses vorangehen - sie wird allerdings meist noch nicht unter dem Begriff >Katharsis< gehandelt. Allgemeiner und neutraler ausgedrückt könnte man von inversen Mediengewaltthesen sprechen, denn die diskursbestimmende Kausalfor- mel -medial dargestellte Gewalt evoziert bzw. verstärkt die Aggressivi- tät des Nutzers - wird umgekehrt: Mediale Gewaltdarstellung reduziert seine Aggressivität. Im pädagogischen Diskurssegment steht die Aus- einandersetzung mit inversen Mediengewaltthesen in engem Zusammen- hang mit der Argumentation, schädliche Wirkungen seien einer Kom- merzialisierung der Medien geschuldet. Verfechter solcher Thesen wer- den als Apologeten von medialer Gewaltdarstellung im Dienste der Me- dienindustrie kritisiert: »T he getting-rid-of-aggression-by-comic-books argument has no clinical basis«,5 hält Wertharn den >Experten< der Co- micindustrie entgegen. Explizit von der Bezeichnung >Katharsis<, >Ka- tharsisthese< oder >-hypothese< ist in den Debatten in großem Umfang erst die Rede, wenn Forscher wie der Psychologe Seymour Feshbach ab Mitte der 1950er Jahre sich um den experimentellen Beweis der aggres- sionsreduzierenden Funktion von medialer Gewaltdarstellung bemühen.6 Das Auftauchen des Begriffs >Katharsis< im Medienwirkungs-Diskurs ist in diesem Fall von Bedeutung, denn dieses Auftauchen ist Voraussetzung 4 V gl. Burkhard Freitag/Ernst Zeitter: »Stichworte aus Medienwissenschaft und Medienpädagogik: Katharsis«, in: tv diskurs 3 (1999), H. 9, S. 18-26, hier S. 18 u. S. 23. 5 F. Wertham: Seduction ofthe Innocent, S. 246. 6 Vgl. den ersten, seine Dissertation zusammenfassenden Text, Seymour Feshbach: »The Drive-Reducing Function of Fantasy Behavior«, in: Jour- nal of Abnormaland Social Psychology 50 (1955), H. 1, S. 3-11, der in der Debatte als zentrale Referenz der Katharsisthese auftaucht, obwohl Fesh- bach weder explizit von Katharsis spricht noch den Aspekt medialer Ge- waltdarstellung in den Fokus rückt. Diese Schieflage wird im Folgenden noch gerrauer erläutert. 160 HEILUNG für die kontroverse Diskussion der >Katharsishypothese<. Bandura kann 1963 in seinem Artikel die Verbreitung des Erklärungsmodells im Dis- kurs voraussetzen und das Feindbild der Katharsis-Advokaten daher klar benennen: »Many mental-health workers and a large segment ofthe general public assume that exposure to violence can be cathartic - i.e., as children identifY with the aggressor, their pent-up hostile feelings are drained away - and that television thus serves as a harmless cultural pacifier.«7 Im diskursiven Prozess um die Katharsisthese, der sich von ihrem Er- scheinen in den Aushandlungsprozessen über ihren empirischen Beweis bis hin zur empirischen Widerlegung dieses Beweises erstreckt, zeichnet sich besonders deutlich eine spezifische Diskurspolitik ab, die den Me- diengewalt-Diskurs bis heute bestimmt. Die Katharsisthese erfahrt eine diskursive Ausgrenzung, und das heißt: Sie hat nicht den Status einer ob- jektiven wissenschaftlichen Tatsache, von der im Mediengewalt-Diskurs gesprochen werden kann. Die These bleibt zwar eine zentrale Diskursfi- gur, die sich bis heute als attraktives Modell erweist,8 als wissenschaft- lich wahre Aussage in der Mediengewaltforschung scheidet sie aber aus. Sie gehört stattdessen zu dem Bereich, den Foucault das >wilde Außen< nennt: »Es ist immer möglich, daß man im Raum eines wilden Außen die Wahrheit sagt; aber im Wahren ist man nur, wenn man den Regeln einer diskursiven >Polizei< gehorcht, die man in jedem seiner Diskurse reakti- vieren muß.«9 Die Regeln jener >diskursiven Polizei<, die zum Ausschluss der Ka- tharsisthese aus dem wissenschaftlichen Feld der Mediengewalt geführt haben, wären sicher unzureichend beschrieben und in ihrer Vielschich- tigkeit nicht erfasst, wenn einfach konstatiert würde: Das einzige Ziel dieser Regeln ist es, der Ansicht zur Durchsetzung zu verhelfen, dass mediale Gewaltdarstellung schädlich ist. Vielmehr - so die Überlegung, 7 A. Bandura: »TV Violence«, S. 124. 8 Die Persistenz der Katharsisthese zeigt sich etwa in der Kritik von Freitag und Zeitter, mit dem Katharsiskonzept sei, da es auf negative Medienwir- kungen verengt wurde, »ein differenziertes und inhaltsreiches Modell mög- licher Medienwirkungen verschenkt worden«, und in ihrer Forderung, auf Aristoteles' Tragödiensatz zurückgreifend in einem dramaturgischen Pur- gations-Konzept diese >Versäumnisse< aufzuholen. B. Freitag/E. Zeitter: »Katharsis«, S. 27. In jüngster Zeit hat Daniel Hug mit einer Arbeit zur Ka- tharsis sich die Revision eines umstrittenen Konzepts vorgenommen. Auch Hug bemüht sich, »das Verlorene« der empirischen Mediengewaltfor- schung neu zu erschließen, indem er voraristotelische Katharsiskonzepte für moderne Medienprodukte geltend macht. Daniel Hug: Katharsis. Revi- sion eines umstrittenen Konzepts, London: Turnshare 2004, S. 6. 9 M. Foucault: Ordnung des Diskurses, S. 25. 161 AGGRESSIVE MEDIEN die in diesem Kapitel verfolgt werden soll, - sind das Erscheinen, der Beweis, die Widerlegung, ja sogar die Persistenz der Katharsisthese im Mediengewalt-Diskurs entscheidende Indizien dafür, dass dieser Diskurs unter anderem, möglicherweise sogar in erster Linie, ein therapeutischer Diskurs ist. Erscheinen und Beweis der Katharsisthese sowie ihre fort- dauernde Attraktivität verdeutlichen, dass ein entscheidender Aspekt des Mediengewalt-Diskurses darin besteht, die Kurzschlussformel Medien- gewalt - also die Kopplung von medialer Gewaltdarstellung und ihrer Wirkung auf den Mediennutzer- parallel zu ihrer diskursiven Prozessie- rung mit einem >Heilungsangebot< zu versehen. Die Widerlegung der Katharsisthese als Resultat einer zentralen Diskursregel wiederum macht deutlich, wie dieses Heilungsangebot nicht auszusehen hat und inwiefern der Mediennutzer nicht als heilungsbedürftiges Individuum zu konzipie- ren ist. Wie die folgenden Ausführungen zu zeigen versuchen, untersagt die >diskursive Polizei<, die Formel >Mediengewalt< selbst zum Thera- peutikum zu erklären und in diesem Sinne als direkte Heilung des >ag- gressionskranken< Mediennutzers fungieren zu lassen. Die Katharsisthese macht durch ihre Widerlegung ex negativo deutlich, wie das diskursive Heilungsangebot stattdessen zu verstehen ist: Der Diskurs selbst formiert sich als Regulierungspraxis, die eine sozialhygienische Heilungsbedürf- tigkeit des gesamten Publikums der Verbreitungsmedien konstatiert und als sein vorrangiges Bezugsproblem entwirft. Zur Genealogie medizinischer Reinigungskonzepte Wenn es nun zunächst um die Frage geht, inwiefern das Konzept der Ka- tharsis den medizinischen Aspekt des Mediengewalt-Diskurses kenntlich macht, also darauf verweist, dass der Diskurs an zentraler Stelle Fragen der Krankheit und der Therapierung verhandelt, muss berücksichtigt werden, dass er an genealogische Spuren einer diskontinuierlichen Ge- schichte der Katharsis anschließt, in denen Reinigung als Verfahren der Heilung fungiert. Andere, etwa moralisch-philosophische Konzepte der Katharsis werden ausgeblendet. Im Hinblick auf den Mediengewalt- Diskurs deuten sich damit eigentümliche diskurshistorische Linien an: Das Katharsiskonzept taucht in der Mediengewaltforschung auf, indem es an seine medizinische, nicht aber an seine moralische Diskurslinie an- knüpft. Wenn das Heilungsangebot der Katharsisthese im Mediengewalt- Diskurs dem diskursiven Heilungsangebot der Regulation weicht, aktua- lisiert der Mediengewalt-Diskurs Praktiken der Moralisierung, die aller- dings mit dem Katharsiskonzept nicht mehr in direkter Verbindung ste- hen. Der Katharsisbegriff ist bis heute eng an die Poetik des Aristoteles geknüpft, in der er am Anfang des 6. Kapitels die Tragödie folgenderma- ßen bestimmt: 162 HEILUNG »Die Tragödie ist Nachahmung einer guten und in sich geschlossenen Hand- lung von bestimmter Größe, in anziehend geformter Sprache, wobei diese for- menden Mittel in den einzelnen Abschnitten je verschieden angewandt werden - Nachahmung von Handelnden und nicht durch Bericht, die Jammer und Schaudem hervorruft und hierdurch eine Reinigung von derartigen Erregungs- zuständen bewirkt.« 10 Die gegenwärtige Forschung zur Geschichte des Katharsiskonzepts stimmt darin überein, dass Aristoteles mit seiner Beschreibung der reini- genden Tragödienwirkung, die aufgrund ihrer Unbestimmtheit oder Un- vollständigkeit eine lange, kontroverse Interpretationsgeschichte nach sich zieht, 11 das Konzept nicht erstmals einführt, sondern auf ältere kul- tisch-religiöse und medizinische Reinigungsverfahren zurückgreift. Ka- tharsis ist ein Begriff, der vor seinem Auftauchen im Aristotelischen Tra- gödiensatz rituelle Techniken von Reinigungspriestern und Heilmetho- den der hippokratischen Medizin bezeichnet: »die dionysische, ho- möopathische Therapie: die Reinigung von Wahnsinn durch Wahnsinn; die Reinigung durch Blut; die Reinigung durch Abführung mithilfe von schwarzer Nieswurz; die Reinigung durch Räucherung mit Schwefel und Asphalt«. 12 In der Heilkunde des Hippakrates taucht der Begriff auf, um die Abfuhr krankhafter Flüssigkeiten durch purgative Arzneimittel zu bezeichnen. 13 Aristoteles' Verwendungsweise des Begriffs geht - wie Wolfgang Schadewaldt und Hellmut Flashar in ihren einschlägigen Beiträgen zur altphilologischen Katharsisforschung gezeigt haben - über eine bloße Analogiebildung hinaus. Der Philosoph überträgt nicht einfach medizi- nisch-kultische Reinigungskonzepte im metaphorischen Sinn auf den Be- reich der Wirkungsästhetik, sondern versteht die Tragödie als ein thera- 10 Aristoteles: Die Poetik. Griechisch/Deutsch, übers. u. hg. v. Manfred Fuhr- mann, Stuttgart: Reclam 1994, S. 19. 11 Unbestimmt bleibt die Katharsis, weil Aristoteles keine eindeutige Aus- kunft darüber gibt, wovon der Tragödienzuschauer gereinigt werden soll. Die Forschung nimmt eine Unvollständigkeit an, weil Aristoteles in seiner Politik auf eine genauere Definition der Katharsis in der Poetik verweist, diese aber in der nur als Fragment überlieferten Schrift nicht zu finden ist. Vgl. Wemer Mittenzwei: »Katharsis«, in: Karlheinz Barck u.a. (Hg.), Äs- thetische Grundbegriffe. Historisches Wörterbuch in sieben Bänden, Bd. 3, Stuttgart, Weimar: Metzler 2001, S. 245-272, hier S. 246f. u. S. 248. 12 Fortunat Hoessly: Katharsis. Reinigung als Heilverfahren. Studien zum Ri- tual der archaischen und klassischen Zeit sowie zum Corpus Hippocrati- cum, Göttingen: Vandenhoeck und Ruprecht 2001, S. 317. 13 V gl. Stanley W. Jackson: »Catharsis and Abreaction in the History of Psy- chological Healing«, in: Psychiatrie Clinics of North America 17 (1994), H. 3, S. 471-491, hier S. 472. 163 AGGRESSIVE MEDIEN peutisches Instrument der »Seelenhygiene«. 14 Nicht nur Aristoteles hat in seiner Poetik die therapeutische Wirkung der Katharsis im Bereich der Dichtkunst bestimmt, auch in einer hippokratischen Schrift findet sich ein Hinweis darauf, dass der Betrachtung von Theaterstücken eine heil- same Wirkung zugeschrieben wird: »[D]ie Medizin nimmt die Dichtung für die Heilung einer Krankheit zu Hilfe, in der Poetik bedient sich Aris- toteles einer medizinischen Anschauung, um die Wirkungsform der Dichtung zu verdeutlichen. Letztlich aber laufen beide Auffassungen auf dasselbe hinaus.«15 Flashar bringt die Affekte eleos und phobos, die Aris- toteles als Wirkungen der Tragödie nennt, mit im Corpus Hippocraticum beschriebenen Krankheitsvorstellungen in Verbindung, nach denen »die Krankheiten als Übermaß von Warm, Kalt, Feucht und Trocken erklärt, die Gesundheit als Gleichgewicht dieser Qualitäten untereinander be- stimmt«16 werden. Bei Aristoteles, so Flashar, haben die Affekte eine dementsprechende somatische Grundlage: Eleos sei medizinisch durch ein übermäßiges Auftreten von Feuchtigkeit (Tränen) bestimmt, phobos durch zuviel Kälte (Schaudern). Eine bloße Analogie des Tragödiensat- zes zum Bereich der Medizin sei daher nicht zutreffend: »Vielmehr ereignet sich nach der Auffassung des Aristoteles tatsächlich unter dem Einfluß der Tragödie eine Reinigung im medizinischen Siune, nämlich ei- ne Reinigung von einem Übermaß an Kälte und Feuchtigkeit, die die gesunde Ausgeglichenheit unter jenen Grundqualitäten wiederherstellt und durch das Ausscheiden der überschüssigen Stoffe ein Gefühl der Erleichterung herbei- führt.«17 Aristoteles' medizinische Tragödienkonzeption steht in engem Zusam- menhang mit dem Stellenwert, den er der Tragödie in seinem Staatskon- zept im Rahmen der Politik zuweist. Im Gegensatz zu Platon verbannt Aristoteles die Tragödie nicht aus dem Staat, weil sie zur moralischen Erziehung untauglich sei, sondern bindet sie als Element der Staatshy- giene, das dem einzelnen Menschen ekstatische Purgation und damit Er- holung bietet, in seine Staatstheorie ein. 18 Die medizinischen Deutungen von Schadewaldt und Flashar erfolgen rezeptionsgeschichtlich vor dem Hintergrund der moralisch-pädagogi- schen Auslegung der Aristotelischen Katharsis durch Lessing, die seit 14 Wolfgang Schadewaldt: »Furcht und Mitleid? Zur Deutung des Aristoteli- schen Tragödiensatzes«, in: Hermes 83 (1955), H. 1, S. 129-171, hier S. 164. 15 Hellmut Flashar: »Die medizinischen Grundlagen der Lehre von der Wir- kung der Dichtung in der griechischen Poetik«, in: Hermes 84 (1956), H. 1, S. 12-48, hier S. 34. 16 Ebd., S. 40. 17 Ebd., S. 48. 18 Vgl. W. Schadewaldt: »Furcht und Mitleid?«, insbes. S. 154-156. 164 HEILUNG dem 18. Jahrhundert lange Zeit prägend gewesen ist. 19 Die Lessing'sche Deutungslinie, von der sich Schadewaldt und Flashar abgrenzen, ist ein genealogischer Pfad, der in der Geschichtlichkeit des Mediengewalt- Diskurses keine Rolle spielt - auch dies ist bezeichnend für die Medika- lisierung des Diskurses. Als wichtiger Hinweis zur Beantwortung der Frage, warum die Diskurspolizei des Mediengewalt-Diskurses die Ka- tharsisthese ausgrenzt, kann schon einmal festgehalten werden: Kathar- sis, so wie sie im Feld der Mediengewalt auftaucht, hat sich von Aspek- ten der moralischen Besserung, die in der Katharsisdebatte eine bedeu- tende Rolle spielen, abgewandt. In den medizinischen Reinigungsvor- stellungen, die hier relevant sind, geht es gerade nicht um moralisch- ethische Erziehungs- und Besserungsvorhaben. Wenn der Mediengewalt- Diskurs sein sozialhygienisches Programm in Abgrenzung zur Katharsis- these formiert, spielt die Ausblendung ihrer moralischen Ebene keine unbedeutende Rolle. Denn die Erziehung und Verbesserung des Medien- nutzers wird in Praktiken der moralischen Regulation wieder Bedeutung gewmnen. Eine Etappe in der diskontinuierlichen Geschichte des Katharsiskon- zepts, die für den Mediengewalt-Diskurs dagegen von großer Bedeutung ist, stellt das Erscheinen der Katharsis in der Herausbildung der psycho- analytischen Methode dar. Die Einschreibung des Katharsiskonzepts in die Entwicklungsgeschichte der Psychoanalyse am Ende des 19. Jahr- hunderts erfolgt möglicherweise - vermittelt durch die Darstellungen Ja- cob Bemays20 - über einen direkten Bezug zum Aristotelischen Begriff. 19 Indem Lessingphobos als milde Form der Furcht in den Hintergrund treten lässt und eleos als Mitleid im christlichen Sinne als Zentralbegriff der Tra- gödie bestimmt, hat er die nichtaristotelische Traditionslinie entscheidend geprägt. Das Konzept der Katharsis versteht Lessing nicht als abfuhrende Purgation, sondern als moralische Besserung. Lessing betrachtet - so die Zuspitzung Schadewaldts - »die Tragödie als eine Art moralischer Kuran- stalt, durch die mit der Erregung der beiden Affekte der Furcht und des Mitleids und ihrer darauf folgenden Wegschaffung auch der ganze seeli- sche Habitus des Menschen eine nachhaltige Besserung erfahre.« W. Scha- dewaldt: »Furcht und Mitleid?«, S. 148. 20 Der in Breslau lehrende Altertumswissenschaftler publizierte 1857 einen Text, in dem er, gegen Lessings moralische Deutung, Katharsis als abfuh- rende Entladung von schädlichen Körpersäften bestimmt und damit die wietere Diskussion entscheidend prägt. V gl. in englischer Übersetzung Jacob Bemays: »Ün Catharsis. From Fundamentals of Aristotle's Lost Es- say an the >Effect ofTragedy< [1857]«, in: American Imago 61 (2004), H. 3, S. 319-341. Vgl. auch Francisco Pedrosa Gil/Gerald Kreft: »Einleitung zu >Die Katharsis bei Aristoteles, Bemays und Freud< von Juan Dalma«, in: psychoneuro 30 (2004), H. 2, S. 112-115, hier S. 113. Schadewaldt und Flashar knüpfen mit ihren medizinischen Lesarten an Bemays an. Für Freuds Bemays-Rezeption wird häufig auf eine Verwandtschaftsbeziehung 165 AGGRESSIVE MEDIEN Nahe liegender ist aber, davon auszugehen, dass Sigmund Freud und Jo- sef Breuer in ihren Studien über Hysterie ein Modell aufnehmen, das in der zeitgenössischen Medizin gängig ist. Unabhängig von der wirkungs- ästhetischen aristotelischen Tradition hat sich die reinigende Heilung im Sinne der hippokratischen Humoralpathologie - also der Methode des Ausstoßens krankhafter Körperflüssigkeiten- als medizinisches Verfah- ren fortgesetzt. 21 Die Katharsisgeschichte ist damit nicht nur durch Dis- kontinuitäten, sondern durchaus auch durch Kontinuitäten gekennzeichnet. Die Wiener Ärzte Freud und Breuer verwenden den Begriff Kathar- sis, um die therapeutische Methode des >Abreagierens< zu beschreiben, nach der ein Patient ein traumatisches Erlebnis, bei dem eine emotionale Reaktion nicht stattgefunden hat, unter Hypnose ein zweites Mal durch- lebt, wobei er die ausgebliebenen Affekte ausagieren und sich ihrer so entledigen kann. Auch wenn Freud sich später von der Hypnose distan- ziert und zur psychoanalytischen Methode der freien Assoziation über- geht, bleibt das Modell des kathartischen Abreagierens weiterhin signifi- kant. Die Sprache wird bei Freud nun zum Medium der kathartischen Reinigung. 22 Das diskursive Umfeld, in dem Purgationsverfahren immer noch Teil der medizinischen Praxis sind und >Katharsis< daher ein geläufiger Be- griff ist, prägt nicht nur die Entstehung der Psychoanalyse. Parallel zum diskursiven Umfeld der Psychoanalyse in Wien sind auch in der ameri- kanischen Medizin des 19. Jahrhunderts reinigende Heilverfahren weit verbreitet. Um 1850 - so zeigt es John Harley Warner unter anderem durch die Begriffsanalyse von medizinischen Fallgeschichten - vollzieht sich in der Beschreibung des nicht-kranken Körpers eine Verschiebung von der Bezeichnung natural zum Begriff normal. Diese Verschiebung in der therapeutischen Perspektive, so Warner, zeigt den Beginn der normalisierenden Sozialmedizin an, die ihre Erkenntnisse nicht mehr aus Interaktionen zwischen Arzt und Patient gewinnt, sondern durch labor- experimentell gemessene empirische Daten. 23 Vor diesem Umstellungs- hingewiesen: Bemays war der Onkel von Freuds Frau Martha. Vg l. ebd. sowie S. Jackson: »Catharsis and Abreaction«, S. 475. 21 Juan Dalma zeigt, dass die hippokratische Medizin Ende des 19. Jahrhun- derts trotz zahlreicher Einwände und Gegenkonzepte immer noch vorherr- schend war. Juan Dalma: »Die Katharsis bei Aristoteles, Bemays und Freud« [1963], übers. und eingeleitet von Francisco Pedrosa Gil/Gerald Kreft, in: psychoneuro 30 (2004), H. 3, S. 169-173, hier S. 170. 22 Vg l. W. Mittenzwei: »Katharsis«, S. 260; S. Jackson: »Catharsis and Abre- action«, S. 477; J. Dalma: »Katharsis«, S. 170. 23 Vgl. John Harley Wamer: The Therapeutic Perspective. Medical Practice, Knowledge, and Identity in America, 1820-1885, Princeton: Princeton University Press 1997, S. 7. Vgl. zur Umstellung auf Sozialmedizin und die damit einhergehende Kritik am Verlust der direkten Interaktion zwischen Arzt und Patient auch das Kapitel Wirkung: Epistemologie des Messens der vorliegenden Untersuchung. 166 HEILUNG prozess ist die kathartische Heilung eng mit einem Verständnis der Krankheit als Ungleichgewicht des im >Naturzustand< ausbalancierten Körpersystems verbunden. »Ürdinarily the system was first cleansed of matter that might impede its func- tioning. Draining off excess excitement from the body was not entirely meta- phorical, for it was often accomplished by draining fluids thought to stimulate the irrtemal structures. Heroie depletion was brought about by such drugs as ca- thartics (calomel, corrosive sublimate, jalap), emetics (tartar emetic, ipeca- cuanha), and counterirritants (blisters), by low diet, and by drawing blood.«24 Die natürliche Balance des Körpers als Kennzeichnung seiner Gesund- heit, die mit kathartischen Arzneien wiederhergestellt werden kann, be- stimmt der ärztliche Blick für jedes Individuum gesondert. Krankheit wird weniger distinkten Kausalitäten, als vielmehr dem Ensemble von Exzessen oder Mangelerscheinungen in der Lebensführung des einzelnen Patienten, seinen moralischen Verfehlungen zugeschrieben.Z5 Die kathar- tische Entladung soll also die internen, individuellen Unordnungszustän- de des einzelnen Patienten regulieren. Sie zielt - kurz gesagt - auf das Individuum, nicht auf die Population im Sinne Foucaults.26 Die Umstellung der Medizin auf eine experimentelle Sozialmedizin gegen Ende des 19. Jahrhunderts verschiebt ihren Fokus vom Individuum auf die experimentell verdatete Bevölkerung. Die Medizin kennzeichnet Gesundheit nicht mehr als einen >natürlichen<, sondern als einen >norma- len< Zustand und gewinnt ihre Bestimmung von Normalität durch die quantifizierenden Laborwissenschaften. Die Folge dieser Umstellung ist, dass Krankheit nun nicht mehr als diffuses Ungleichgewicht des indivi- duellen Körpers, sondern als eine Entität aufgefasst wird, die aus spezifi- schen Ursachen resultiert. Es wird deshalb zur Aufgabe des Arztes, die besondere Krankheit des Patienten zu diagnostizieren und eine konkret auf diese Krankheit zugeschnittene Therapieform einzuleiten. 27 Die tradi- tionelle Behandlungsmethode, in der kathartische Arzneien eine ent- scheidende Rolle spielen, wird schrittweise von diesem neuen Therapie- zugriff verdrängt. Die behandelnden Ärzte konzentrieren sich immer we- niger auf das umfassende körperliche Gleichgewicht des Patienten, s1e 24 J. Wamer: Therapeutic Perspective, S. 92. 25 Vgl. ebd., S. 85f. Die moralische Verfehlung als Ursache für ein Ungleich- gewicht des Körpers darf nicht mit moralischen Interpretationen der Ka- tharsis verwechselt werden. Die Reinigung ist hier ganz im hippokratischen Sinn als Abfuhr schädlicher Körperflüssigkeiten gedacht. 26 V gl. Mitlenzweis Beschreibung der rituellen Katharsis: »Durch die K. löste sich die Verkrampfung, das Individuum fiihlte sich versöhnt, wenn auch nicht unbedingt mit dem Staat, der Gemeinschaft, so doch mit sich selbst; denn die Instrumentalisierung der K. bliebtrotz des gemeinschaftlichen Er- lebnisses auf das Individuum ausgerichtet.« Ders.: »Katharsis«, S. 249. 27 Vgl. J. Wamer: Therapeutic Perspective, S. 86f. 167 AGGRESSIVE MEDIEN richten ihren therapeutischen Zugriff vielmehr auf distinkte Körperein- heiten und deren Funktionsweise. Infolgedessen verwenden sie weniger kathartische Medikamente, die den ganzen Körper beeinflussen sollen, sondern verengen ihre therapeutische Perspektive darauf, spezifische physiologische Prozesse zu manipulieren. 28 Die ärztliche Perspektive ist nicht mehr auf das Individuum, sondern auf in körperliche Faktoren zer- gliederte Krankheitsvorgänge gerichtet, deren Anormalität durch empiri- sche Messungen an den durchschnittlichen Normalzuständen der Bevöl- kerung ausgerichtet werden. Die Gesundheit der Bevölkerung, die öffent- liche Hygiene, wird damit zum Anliegen staatlicher Interventionen.29 Die Reinigungspraktiken, die in der Tradition der hippokratischen Medizin stehen, verschwinden nicht schlagartig aus der neuen normali- sierenden Heilkunde, deren therapeutische Perspektive die amerikanische Medizin des 20. Jahrhunderts bestimmen wird. Im Hinblick auf die Ge- schichtlichkeit des Mediengewalt-Diskurses ist entscheidend, welche Se- mantisierung das Konzept der Katharsis erfahrt, wenn es zum Gegenmo- dell einer entstehenden Normalisierungsmedizin wird: Die reinigende Heilung steht für einen therapeutischen Zugriff auf ein Individuum, das aus seinem inneren Gleichgewicht geraten ist. Dieses Therapiemodell - so lässt sich als vorläufige Vermutung formulieren- ist ein Gegenkon- zept zum, möglicherweise sogar eine Form der Kritik an dem Behand- lungsmodell, das mit der Umstellung auf die Sozialmedizinische Perspek- tive hegemonial wird: Es steht im Gegensatz zu einer ärztlichen Praxis, die sich der Therapierung von Kollektivindividuen widmet, wobei sich die Normalität dieser Kollektivindividuen an gesellschaftlichen Durch- schnittswerten orientiert und ihre Pathologie durch spezifisch zu behan- delnde Krankheiten definiert ist, die als Wirkungen ermittelbarer Ursa- chen gelten. Die Semantik des somatischen Katharsiskonzepts als Gegenmodell zur normalisierenden Therapieform prägt noch das diskursive Umfeld der US-amerikanischen Adaptionen des psychotherapeutischen Kathar- sismodells, das zu Beginn des 20. Jahrhunderts auch in psychologische Heilungskonzepte Eingang findet. Das kathartische Abreagieren erfahrt in seiner Rezeptionsgeschichte Generalisierungen und Modifikationen, die mit seiner Herkunft aus der Psychoanalyse nur noch die Vorstellung der Purgation gemeinsam haben. 30 Dass die Katharsis schließlich Ein- gang in den Mediengewalt-Diskurs findet, dürfte dem anwachsenden In- teresse an Konzepten des Abreagierens geschuldet sein, das in den USA nach dem Ersten und Zweiten Weltkrieg zu beobachten ist. Die Behand- 28 Vgl. ebd., S. 101. 29 Diese Umstellung der Gesundheitsfrage auf eine staatlich gelenkte öffentli- che Hygiene vollzieht sich nicht nur in den USA, sondern auch in den eu- ropäischen Ländern. V gl. dazu Philipp Sarasin: Reizbare Maschinen. Eine Geschichte des Körpers 1765-1914, Frankfurt/Main: Suhrkamp 2001, S. 95-117. 30 Vgl. S. Jackson: »Catharsis andAbreaction«, S. 481. 168 HEILUNG lung von Kriegsneurosen nach den beiden Weltkriegen führt zur Ent- wicklung zahlreicher neuer Therapieformen, wie etwa dem >Psychodra- ma< Jacob Morenos, in dem das kathartische Abreagieren ein zentrales Element ist.31 >Katharsis< wird damit in der ersten Hälfte des 20. Jahr- hunderts zu einem gängigen Konzept in Wissenschaftsdiskursen und in der amerikanischen Öffentlichkeit. Mediengewalt als kathartische Arznei Von der Katharsisthese, wie sie im Mediengewalt-Diskurs erscheint, trennt die bisher dargestellten medizinisch-therapeutischen Reinigungs- konzepte noch ein entscheidender Aspekt: In der Geschichte der Kathar- sis steht die Entladung von Aggression bisher, auch wenn sie im psycho- analytischen Konzept des Abreagierens bereits eine Rolle spielt, noch nicht im Vordergrund. Dies ändert sich, wenn Ende der 1930er Jahre im Rahmen der Aggressions-Frustrations-Hypothese der so genannten Yale- School um John Dollard32 das Konzept der Aggressionskatharsis auf- kommt. Es ist bezeichnend für die diskontinuierliche Geschichte der Ka- tharsis, dass die Yale-Gruppe in ihrer zentralen Studie Frustration and Aggression zwar an die Tradition des Katharsisbegriffs anknüpft, aber diese auf ihre Weise liest: Dollard und seine Koautoren beziehen sich zwar auf Freud und einen psychoanalytischen Ansatz, knüpfen aber nicht an die kathartische Methode des Abreagierens an, sondern an Freuds Ausführungen zum Aggressionstrieb, in denen er selbst nicht explizit von Katharsis spricht.33 Das grundlegende Postulat der Y ale-Gruppe lautet, dass Aggression immer als Folge einer vorangegangenen Frustration ausgemacht werden kann,34 wobei sie >Frustration< als Störung eines zielgerichteten Verhal- 31 Vgl. ebd., S. 481-487. 32 Es handelt sich neben Dollard um folgende Forscher des Institute of Hu- man Relations an der Yale University: Leonhard W. Doob, Neal E. Miller, O.H. Mowrer und Robert S. Sears. An der grundlegenden Studie Frustra- tion and Aggression waren auch Clellan S. Ford, der später durch seine Persuasionsforschung bekaunt gewordene Experimentalpsychologe Carl I. Hovland und Richard T. Sollenherger beteiligt. 33 Dollard u.a. beziehen sich ausdrücklich auf die frühen Arbeiten Freuds, in denen Aggression noch nicht mit einem Todestrieb in Verbindung gebracht wird, sondern als ein Vorgang der Spaunungsreduktion libidinöser Bedürf- nisse im Dienste des Lustprinzips aufgefasst wird. V gl. Horst Zumkley: Aggression und Katharsis, Göttingen, Toronto, Zürich: Hogrefe 1978, S. 17f.; John Dollard u.a.: Frustration and Aggression, New Haven: Yale University Press 1939, S. 2lf. 34 Vgl. J. Dollard u.a.: Frustration and Aggression, S. 1. In einer späteren Darstellung machen die Autoren deutlich, dass sie den Umkehrschluss, je- 169 AGGRESSIVE MEDIEN tens zum Zeitpunkt seines Ablaufs verstehen und >Aggression< als ein Verhalten, dessen Ziel die Verletzung der Person ist, auf die es sich rich- tet. Der Aggressionsbegriff ist hier also eng mit einem Gewaltbegriffver- schaltet Wenn die Ausführung einer aggressiven Verhaltenssequenz ge- hemmt wird, ist dies wiederum frustrierend, was zu einer Steigerung der Aggressivität führt. 35 Auf dieser Grundlage kommen die Autoren zu fol- gender Bestimmung eines - >psychoanalytisch< genannten - Katharsis- begriffs, dessen Implikationen im Hinblick auf ein therapeutisches Rei- nigungsverfahren zunächst ausgeblendet bleiben. >Katharsis< ist in der Frustrations-Aggressions-Hypothese die Reduktion eines Aggressionsan- triebs (instigation) durch Ausagieren von Aggression: »It has been assumed that the inhibition of any act of aggression is a frustration which increases the instigation to aggression. Conversely, the occurrence of any act of aggression is assumed to reduce the instigation to aggression. [ ... ] In psychoanalytic terminology, sucharelease is called catharsis.«36 Die Yale-Gruppe nimmt des Weiteren an, dass eine Aggression sich häu- fig nicht direkt gegen den Agens der Frustration richtet, denn diese direk- te Zielreaktion ist oft mit Sanktionen belegt und dadurch gehemmt. Das aggressive Verhalten kann sich daher verschieben und auf ein anderes Objekt richten, seine Form verändern - sich in Imagination oder Spott verwandeln - oder sich zu Selbst-Aggression transformieren. Hinsicht- lich des Katharsiskonzepts führt dies die Autoren zu folgender Konse- quenz: »[W]ith the Ievel of original frustration held roughly constant, there should be an inverse relationship between the occurrence of different forms of aggres- sion. This implication follows because, when any response of aggression is in- hibited, its instigation should be displaced to the other responses of aggression; and, conversely, when any response of aggression is expressed, its cathartic ef- fect should lessen the instigation to the other aggressive responses.«37 Der Antrieb zur Aggression - so die Hypothese, die für die weitere Dis- kussion entscheidend ist, - kann also auch reduziert werden, wenn sie de Frustration ziehe aggressives Verhalten nach sich, ausdrücklich nicht vertreten. Vgl. Miller, Neal E. u.a.: »Die Frustrations-Aggressions-Hypo- these« [1941], in: Hans Thomae (Hg.), Die Motivation menschlichen Han- delns, Köln: Kiepenheuer & Witsch 8 1975, S. 205-208, hier S. 205. 35 V gl. J. Dollard u.a.: Frustration and Aggression, S. 6f. 36 Ebd., S. 50 (Kursivierung im Original). Das Konzept der instigation leiten die Autoren von dem Begriff instigator ab, den sie als »some antecedent condition of which the predicted response is the consequence« definieren. Ebd., S. 3. 37 Ebd., S. 51 (Kursivierung im Original). 170 HEILUNG sich auf andere Weise >entlädt< als in direkter Reaktion auf die Ursache der Frustration. An dieser Stelle spielt der medizinische Hintergrund der Katharsis wieder eine Rolle, denn hier ist die Möglichkeit angelegt, dass eine bestimmte Form des Ausagierens von Aggression stellvertretend für eine gehemmte Aggression stehen und diese im weitesten Sinne >heilen< kann. Leonard Berkowitz, Psychologe an der University of Wisconsin und schon bald einer der schärfsten Kritiker der Katharsishypothese, hat die medizinische Implikation der Yale-Schule am deutlichsten erkannt. Er weist auf die Analogie der Aggressionskatharsis zu therapeutischen Rei- nigungstechniken hin: Die kathartische Reduktion von Aggression in der Frustrations-Aggressions-Hypothese habe man sich so vorzustellen, »as if the expression of aggression had >drained< the individual's >reservoir of hostility.<«38 Diese Vorstellung, so Berkowitz, berge unabhängig von ihrer theoretischen Plausibilität ein Potenzial zur Regulierung von Ag- gression auf sozialer Ebene. Berkowitz weist aber auch gleich auf die Gefahr hin, die dieses Heilungsversprechen birgt: »Whatever the theoretical interpretation, the decrease in overt hostility follow- ing an act of aggression has great practical significance. If such a phenomenon can be produced reliably, for example, legal authorities might be advised to provoke expressions of overt hostility in potentially dangeraus mobs in situa- tions in which this hostility can be controlled safely in order to prevent later outbursts when the controlling conditions are inadequate. [ ... ] However, such a technique obviously also has great dangers; the first aggressive acts may pro- voke a later unpredictable and uncontrollable level ofviolence [ ... ].«39 Die Forscher der Yale University koppeln- auch das erkennt Berkowitz hiermit klar - ihre Frustrations-Aggressions-Hypothese eng an soziale Problematiken und schreiben insbesondere der Frage, warum Aggression gehemmt und wie sie dennoch ausagiert werden kann, von Anfang an ei- nen prekären Status zu. Dollard hat die Hypothese 1937, bereits zwei Jahre vor der Publikation von Frustration and Aggression, in der ethno- grafischen Studie Caste and Class in a Southern Town vorgestellt, in der er die >emotionale Struktur< einer Kleinstadt, die Verflechtung der schwarzen und weißen Bevölkerungsschicht durch Verhaltensstrukturen der Frustration und Aggression, in teilnehmender Beobachtung unter- sucht hat. Dollard macht schon hier seine grundlegende anthropologische 38 Leonard Berkowitz: »Some Factors Affecting the Reduction of Overt Hos- tility«, in: Journal of Abnormaland Social Psychology 60 (1960), H. 1, S. 14-21, hier S. 14. Berkowitz versteht hostility undaggressionals Synony- me. Vgl. ders.: Aggression. A Social Psychological Analysis, New York u.a. McGraw-Hill1962, S. xii. 39 L. Berkowitz: »Reduction of Overt Hostility«, S. 14. 171 AGGRESSIVE MEDIEN Annahme geltend: »T he usual human response to frustration is aggres- sionagairrst the frustrating object.«40 Da die afroamerikanischen Bewohner von >Southem Town<, so eine zentrale These der Studie, durch soziale und wirtschaftliche Abhängig- keiten auf die Frustration durch die unterdrückende Bevölkerungsschicht nicht direkt reagieren können, arrangieren sie sich mit der Unterdrü- ckungssituation und verschieben ihre Aggression zu Selbstdemütigung oder Feindlichkeit innerhalb der eigenen sozialen Gruppe.41 Vor demsel- ben psychoanalytisch informierten Hintergrund der gesellschaftlich indu- zierten Hemmung von Aggression42 beschreibt Dollard auch Formen des Rassismus, die in Sozialisationsprozessen fundiert sind. Der Prozess der Sozialisierung sei aufgrund der Einschränkung von Freiheiten durch Frustrationen geprägt, auf die das Kind nicht mit aggressivem Verhalten zu reagieren in der Lage sei. »The result is probably every mature person carries some generalized hostility toward the milieu, a hostility which cannot find a legitimate object on which it may be vented. It is suggested that, when society does indicate an object, like the Negro whom one may detest with a good conscience, much ofthisirrational affect is drained off.«43 Die kathartische Entladung ist bei Dollard also keineswegs ein positives therapeutisches Konzept, er formuliert sie vielmehr als soziales Problem. Die Frustrations-Aggressions-Hypothese produziert für die weitere For- schung eher die Aufgabe, Modelle im aristotelischen Sinne unschädlicher Affektreinigung zu finden, als dass sie selbst ein Heilungsangebot ent- wirft.44 Allerdings stellt die Yale-Schule der Aggressionsforschung mit ihrer kausalen Verknüpfung von Frustration und Aggression ein Instru- ment zur Verfügung, das in Experimenten zum Einsatz gebracht werden 40 John Dollard: Caste and Class in a Southem Town, New Haven: Yale Uni- versity Press 1937, S. 267. 41 Vgl. ebd., S. 184 u. S. 267f. 42 Dollard bezieht sich unter anderem aufFreuds 1930 in den USA publizierte Studie Civilization and its Discontents: »We must recall the general ten- dency in our society to disavow aggressive activities and intentions toward others; it is a considerable triumph of our early socialization that we have been persuaded to renonnce such overt aggression.« Ebd., S. 363. 43 Ebd., S. 441f. 44 In Frustration and Aggression werden die sozialen Fragen auf weitere Ge- biete der amerikanischen Gesellschaft ausgeweitet. Nach der Darstellung von allgemeinen psychologischen Prinzipien befasst sich die Studie mit der Sozialisierung in Amerika, mit den Themen Jugend, Kriminalität, dem po- litischen Themenkomplex >Demokratie, Faschismus nnd Kommunismus< und analysiert abschließend eine >primitive Gesellschaft<. Vgl. J. Dollard u.a.: Frustration and Aggression. 172 HEILUNG kann: Aggressives Verhalten der Probanden wird über frustrierende Handlungen des Experimentators oder anderer Versuchspersonen zu ei- ner kontrollierbaren Größe. Das Heilungsangebot innerhalb der sozialpsychologischen Kommu- nikationsforschung, das im Anschluss an die Hypothesen der Yale- Schule formuliert wird, lautet >symbolische Aggressionskatharsis<. Die Emergenz eines Modells, in dem die Abreaktion zur Wirkung von Verbreitungsmedien wird, vollzieht sich in den Experimenten des Psy- chologen Seymour Feshbach.45 In einem folgenreichen Versuch Mitte der 1950er Jahre, der die Voraussetzungen und zentralen Hypothesen für seine späteren Medienexperimente schafft, untersucht Feshbach, inwie- fern das Fantasieverhalten den Aggressionstrieb reduzieren kann. Auch wenn die Frustrations-Aggressions-Hypothese zentrale Voraussetzung für den Versuchsablauf ist, schließt Feshbach nicht explizit an die V ale- Schule an, sondern bezieht sich wiederum - mit einer anderen Akzentu- ierung -auf die Psychoanalyse. Bei Feshbach steht die in der Freudre- zeption weit verbreitete Annahme im Mittelpunkt, dass Fantasien als Formen der Wunscherfüllung eine kompensatorische Funktion haben und triebreduzierend wirken können.46 Feshbach nimmt sich eine auf den Aggressionstrieb konzentrierte experimentelle Überprüfung dieser An- nahme vor, wobei der Triebbegriff in der Experimentbeschreibung äu- ßerst unklar bleibt. Der Psychologe scheint einerseits mit Freud einen menschlichen Aggressionstrieb anzunehmen, andererseits geht er davon aus- wie im Folgenden zu sehen sein wird-, dass er den Versuchsper- sonen experimentell zuallererst induziert werden muss. Auch Feshbach lässt einen Teil seiner Probanden, es handelt sich um Studenten mehrerer Psychologieklassen eines Colleges, beschimpfen (in- sult group) und setzt damit unausgesprochen die Hypothese der Yale- Schule voraus, nach der Aggression durch Frustration erzeugt werden kann. 47 Die übrigen Versuchspersonen (noninsult group) erhalten eine 45 Vgl. Berkowitzs Rede von »Feshbach's >symbolic catharsis< hypothesis«. Ders.: »Reduction of Overt Hostility«, S. 15. 46 Vgl. S. Feshbach: »Drive-Reducing Function«, S. 3. Feshbach spricht in der Experimentbeschreibung noch nicht von Katharsis, sondern ausschließ- lich von Triebreduktion. 47 Die Beleidigung geschieht durch den Experimentator selbst: »The E [= ex- perimenter, 1.0.] was briefly introduced to the class by its instructor, who left the classroom and did not return until near the end of the period. [ ... ] After the instructor left the classroom, E, in an authoritarian, arrogant man- ner, made several derogatory remarks about the motivation, ability, and level ofmaturity ofthe student body ofthe college. For example, he made such comments as >Now I realize that you - College students, or should I say - College grinds have few academic interests outside your concem for grades ... if you will try to look beyond your limited horizons, your coop- eration will be useful. In other words, I'd like you to act like adults rather than adolescents.<« S. Feshbach: »Drive-Reducing Function«, S. 4. 173 AGGRESSIVE MEDIEN freundliche Einführung in den Experimentablauf. In einem zweiten Schritt teilt Feshbach die Versuchspersonen wiederum in zwei Gruppen ein: Die eine wird zur Fantasietätigkeit angeregt (insult fantasy group und noninsuZt fantasy group), ein Teil der beschimpften Probanden soll nicht >fantasieren< und dient damit der Ergebniskontrolle (insult control group). 48 Der Versuchsablauf macht deutlich, wie sehr sich Katharsis- modelle nun mit den Dispositiven der Experimentalpsychologie verwo- ben haben, denn die Kontrolle der Fantasietätigkeit geschieht über unter- schiedliche psychologische Testverfahren: Diefantasy groups betrachten vier projizierte Bilder eines fantasieanregenden Persönlichkeitstests, während die Kontrollgruppe >nüchternere< Testverfahren absolvieren muss. Das Experiment bestätigt seine grundlegende Hypothese: Die belei- digten Probanden, deren Fantasie angeregt wurde, zeigen sich am Ende des Versuchs- gemessen an einem Einstellungs- und Satzvervollständi- gungstest - weniger aggressiv als die beleidigte Kontrollgruppe.49 Auch wenn Fesbach in diesem ersten Experiment die Medialität der gezeigten Bilder noch nicht reflektiert und die Kategorien >Aggression< und >Frust- ration< eng an das experimentelle Arrangement koppelt, weisen seine Schlussfolgerungen darauf hin, dass Medienwirkung hier schon als ka- thartische Arznei formiert wird: »Fantasy or imaginative behavior, like other forms of behavior, can serve as a substitute goal response when the most adequate goal response cannot be made. In the present experiment, Ss [= subjects, 1.0.] could not give vent to their hos- tility directly because of social inhibiting factors, fear of possible punishment from an authority figure, or lack of adequate opportunity. The Fantasy group Ss, however, were given an opportunity for indirect expression of hostility in their fantasy constructions. [ ... ] As viewed here, fantasy behavior is an adjustment mechanism which can serve to reduce tensions and provide substitute goal satisfactions. It may func- tion as an outlet for socially unacceptable motives and frustrated achievement strivings.«50 Anfang der 1960er Jahre veröffentlicht Feshbach einen Experimentbe- richt im Journal of Abnormal Psychology, der Medienwirkung nun, zu- mindest als >technisches Ding<, in die Experimentalordnung einbettet und darüber hinaus ein kathartisches Heilungskonzept zugrunde legt, das dem antiken Medizinverständnis Simila similibus curantur folgt: 51 Aggressive Versuchspersonen können, einer unterstellten Ähnlichkeitsbeziehung zu- folge, sich am besten >abreagieren<, wenn sie sich mediale Gewaltdarstel- lungen ansehen. Die Versuchsanordnung gleicht Feshbachs Experiment 48 Vgl. ebd., S. 4f. 49 Vgl. ebd., S. 9. 50 Ebd., S. 10. 51 Vgl. S. Jackson: »Catharsis andAbreaction«, S. 474. 174 HEILUNG Mitte der 50er Jahre - mit dem Unterschied, dass der kathartische Effekt nun nicht mittels psychologischer Testverfahren, sondern über eine filmi- sche Kampfszene (aggressive film) provoziert wird, während die Kon- trollgruppe einen neutral film zu sehen bekommt. 2 5 Wiederum beweist das Experiment die vorausgesetzte Hypothese: Die zuvor beschimpften Rezipienten des gewalthaltigen Films zeigen sich in anschließenden Testverfahren weniger aggressiv als Versuchspersonen, die zwar auch beschimpft wurden, aber den neutralen Film gesehen haben. 3 5 Nur zwei Jahre nach diesem Experiment, das noch sehr nahe an der Messung von Aggressionskatharsis durch psychologische Tests abläuft, die Feshbach Mitte der 50er Jahre unternommen hat, verschiebt sich die mediale Gewaltdarstellung vom technischen zum epistemischen Ding: 1963 konzentriert Feshbach unter dem Titel »The Effects of Aggression Content in Television Programs Upon the Aggressive Behavior of the Audience« seine Forschungsfragen explizit auf die kathartische Wirkung medialer Gewaltdarstellung.54 Mit der Verknüpfung von Aggressionsre- duktion und Gewalt in den Medien konturiert die sozialpsychologische Forschung das Katharsiskonzept in seiner langen, diskontinuierlichen Geschichte zu einem Modell von Mediengewalt als kathartischer Arznei. Jedoch wird das hiermit bereitgestellte Potenzial der gesellschaftlich ver- träglichen Reduktion von aggressivem Verhalten, das die Yale-Schule implizit einfordert und das Feshbach mit seinem Modell der fantasieindu- zierten Triebreduktion hoffnungsvoll formuliert, nicht ausgenutzt. Dies verhindem-wie im Folgenden zu sehen sein wird- wiederum die Dis- kursregeln der sozialpsychologischen Medienwirkungsforschung. Die Widerlegung der Katharsisthese Es ist bezeichnend für ihre Positionierung im >wilden Außen< des Dis- kurses, dass die Katharsisthese sofort nach ihrem Auftauchen schon ein- geschränkt, modifiziert und re-interpretiert wird. Das Heilungsangebot, nach dem Mediengewalt als kathartisches Therapeutikum fungiert, blitzt in uneingeschränkter Form nur kurz in den sozialwissenschaftliehen Ex- 52 Vgl. Seymour Feshbach: »The Stimulating Versus Cathartic Effects of a Vicarious Aggressive Activity«, in: Journal of Abnormal and Social Psy- chology 63 (1961), H. 2, S. 381-385, hier S. 382. Die Konturierung des ag- gressiven und neutralen Films ist nicht unmittelbar plausibel: Im ersten Fall sehen die Probanden eine Preiskampfszene aus einem Spielfilm, im zwei- ten Fall handelt der Film von den Konsequenzen, die durch die Verbreitung von Gerüchten in einer Fabrik entstehen. 53 Vgl. ebd., S. 385. 54 Vgl. Feshbach, Seymour: »The Effects of Aggression Content in Televi- sion Programs Upon the Aggressive Behavior of the Audience«, in: Leon Arons/Marc A. May (Hg.), Television and Human Behavior, New Yo rk: Appleton-Century-Crofts 1963, S. 83-97. 175 AGGRESSIVE MEDIEN perimenten der Mediengewaltforschung auf, um sofort von den Restrik- tionen der >diskursiven Polizei< eingefangen und den herrschenden Dis- kursregeln gemäß umformuliert zu werden. Feshbach selbst, der als Hauptverfechter der Katharsisthese gilt, trägt zur Exklusion der nicht-dis- kurskonformen These bei - fast im selben Atemzug, in dem er für sie plädiert. Nur kurze Zeit nach der Studie, in der er eine Aggressivitätsreduk- tion durch Persönlichkeitstests nachgewiesen hat, berichtet Feshbach über ein Experiment, in dem er die catharsis hypothesis- hier schon ex- plizit unter diesem Begriff thematisiert und in der Definition der V ale- Schule eingeführt- mit beträchtlichem Zweifel verhandelt. In der Ver- suchsanordnung lässt Feshbach Kinder einer elementary school, nach- dem er zuvor die Lehrer gebeten hat, die grundsätzliche Aggressivität ih- rer Schüler jeweils zu bewerten, zum Teil mit >aggressivem Spielzeug<, zum Teil mit >neutralen< Gegenständen spielen. Die Katharsishypothese wird in diesem Experiment nicht bestätigt, im Gegenteil: » The aggres- sive play objects elicited significantly more inappropriate aggression than did the neutral toys.«55 Dass Prozesse des stellvertretenden Ausagie- rens von Aggression keinen kathartischen, sondern sogar einen sti- mulierenden Effekt haben könnten, ist nach Feshbach alarmierend, denn möglicherweise sei es gar nicht so einfach wie zunächst vermutet, sozial- verträgliche Aktivitäten der >Abfuhr< von Aggression zu finden. Der Psychologe distanziert sich von uneingeschränkten Katharsisannahmen und unterstützt stattdessen die Auffassung, »that the consequences of ag- gressive activity are far more complex than a simple >drainage< or >ca- tharsis< theory implies.«56 Feshbachs erste Experimente, in denen Mediengewalt als >techni- sches< bzw. >epistemisches Ding< verhandelt wird, sind dementsprechend von großer Vorsicht geprägt und nehmen eine nicht unerhebliche Ein- schränkung der Aggressionskatharsis vor: Eine reinigend-entlastende Wirkung könne die mediale Gewalt auf den Zuschauer nur dann haben, wenn er unmittelbar zuvor frustriert wurde und damit im Moment der Filmrezeption aggressiv ist. Außerdem dürfe das Verhältnis zwischen aggressiver Motivation des Betrachters und medial dargestellter Aggres- sionsentladung nicht beliebig sein: »[T]here must be some functional connection between the vicarious act and the original drive instigating conditions.«57 Falls dies nicht der Fall ist, so Feshbach, muss das Gegen- teil, nämlich eine Zunahme des aggressiven Verhaltens, befürchtet wer- den. Während er Mitte der 50er Jahre sich noch sehr zuversichtlich über die Entlastungsfunktion der Fantasietätigkeit geäußert hat, klingt seine Diskussion der Experimentergebnisse Anfang der 60er Jahre eher wie ei- 55 Seymour Feshbach: »The Catharsis Hypothesis and Some Consequences of Interaction with Aggressive and Neutral Play Objects«, in: Journal of Per- sonality 24 (1955/56), S. 449-462, hier S. 46lf. 56 Vgl. ebd., S. 460f., Zitat: S. 461. 57 S. Feshbach: »Stimulating Versus Cathartic Effects«, S. 381. 176 HEILUNG ne Mahnung, dem mutmaßlichen Heilungsmittel >Katharsis< nicht zu viel zuzutrauen: »Presumably vicarious aggressive acts do not willy-nilly serve as outlets for aggressive motivation. This latter process warrants further attention. Aggres- sion is not an ever-present tension system pervading all of an individual's ac- tivities. Like other acquired motives, its appearance is very much dependent upon situational factors; and, the more specific the category of objects toward which the aggression is directed, the narrower is both the range of stimuli that can elicit the motivation and the range of situations that can serve as substitute outlets for the aggression.«58 Was Feshbach mit seiner Einschränkung der Katharsisthese im Grunde zugesteht, ist ihre Abhängigkeit vom Paradigma der Yale-Schule, das in den Experimenten die Kontrollierbarkeit von Aggression ermöglicht hat. Hier führt das Kontrollpotenzial der Aggressions-Frustrations-Hypothese zu einer Einschränkung des Bereichs, für den die Katharsisthese zutrifft: Aggression kann in Feshbachs Experimenten nur ermöglicht werden, in- dem der Experimentator seine Versuchspersonen frustriert. Diese Ermög- lichung bekommt den Status einer unabdingbaren Voraussetzung: Ag- gression kann nur noch dann zu ihrer kathartischen Entladung bereitste- hen, wenn sie dem Probanden zuvor durch Frustration zugeführt wurde. Feshbach entfernt sich damit von einer Vorstellung, die ein Aggressions- reservoir im Individuum annimmt und mittels therapeutischer Kathartika eine >Reinigung< und >Entladung< von einer krankhaften Substanz vor- sieht. Vielmehr vertritt er nun die Ansicht, dass eine Stimulation der Ag- gressionsmotivation nötig ist, um in ihrer Entladung mit stellvertretender Aggression zu korrespondieren. Mit anderen Worten: Feshbach dis- tanziert sich schon zu Beginn seiner angeblichen Verfechtung der Ka- tharsisthese vom hippokratischen Heilungsmodell und nähert sich dem - diskursmächtigen - behavioristischen Paradigma an. Eng damit ver- knüpft ist, dass er mehr und mehr die - von Anfang an instabile - psy- choanalytisch informierte Annahme eines Aggressionstriebs aufgibt. Ag- gression ist kein Trieb mehr, sondern ein >acquired motive<. All diese Modifikationen, die Feshbach schon kurz nach seinem Plä- doyer für die triebreduzierende Funktion des Fantasieverhaltens anführt, nimmt Berkowitz, der zur gleichen Zeit zu einer umfassenden Kritik und Widerlegung des Entladungskonzepts antritt, nicht zur Kenntnis. In sei- ner Auseinandersetzung mit Feshbach nagelt er diesen wiederholt auf seine Rolle als Verfechter der >»symbolic catharsis< doctrine«59 fest, die Feshbach in dieser reinen Form nie vertreten hat. Berkowitz zitiert als 58 Ebd., S. 384. 59 Leonard Berkowitz/Edna Rawlings: »Effects of Film Violence on Inhibi- tions Against Subsequent Aggression«, in: Journal of Abnormal and Social Psychology 66 (1963), H. 5, S. 405-412, hier S. 405. 177 AGGRESSIVE MEDIEN Beleg dessen erste Studie aus dem Jahr 1955, in der Feshbach nie von Katharsis gesprochen hat. Neben Bandura ist Berkowitz der wichtigste Vertreter der experi- mentellen Sozialpsychologie, die im Mediengewalt-Diskurs die Schäd- lichkeit von Mediengewalt unter Beweis stellt. Die Laborexperimente, die Berkowitz und seine Mitarbeiter ab Ende der 1950er Jahre an der University of Wisconsin durchführen und die unter dem Namen >W is- consin Studies<60 gängig sind, richten ihre experimentellen Settings auf der Kontrastfolie einer Katharsiskonzeption ein, die in dieser Form nie bestanden hat. 61 Berkowitz' Widerlegung der Katharsisthese ist ebenso ein rhetorisches Verfahren der Diskurspolitik wie der immer wiederkeh- rende Verweis auf eine Zweiteilung der Mediengewaltdebatte, seit Aris- toteles die Katharsis- und Platon die Stimulationsthese vertreten haben. Der Wisconsiner Psychologe führt einen zentralen Begriff ein, mit dem er jedes Experiment, das vermeintlich kathartische Wirkungen ge- messen hat, re-interpretieren kann, und zwar den Begriff der Inhibition. Schon 1958 weist er darauf hin, dass Feshbachs angebliche Triebreduk- tion ebenso gut wie einer kathartischen Wirkung einer Aggressionsangst geschuldet sein könnte, die das aggressive Verhalten der Versuchsperso- nen gehemmt hat.62 Die gekränkten Versuchspersonen in Feshbachs Per- sönlichkeitstest-Experiment 1955 und in seinem Film-Experiment 1961 haben nach Berkowitz möglicherweise nach den Testbildern bzw. dem Kampffilm deshalb nicht aggressiv reagiert, weil Angst oder Schuldge- fühle sie daran gehindert haben.63 In seiner Argumentation sind die Ka- tharsisexperimente nicht problematisch, weil Feshbach sie falsch gedeu- tet hat, sondern weil sie mehrere mögliche Interpretationen zulassen und deshalb zu uneindeutigen wissenschaftlichen Aussagen führen. 64 60 Vgl. das so betitelte Kapitel von M. Kunczik: Gewalt im Fernsehen, S. 294-382. 61 Vgl. zur Konturierung der These als >Feindbilde Leonard Berkowitz: »Ag- gressive Cues in Aggressive Behavior and Hostility Catharsis«, in: Psycho- logical Review 71 (1964), H. 2, S. 104-122, hier S. 111: »The idea of a hostility catharsis is surely one of the most widely accepted doctrines in the folklore ofboth the man in the street and the social scientist.« 62 Vgl. Leonard Berkowitz: »The Expression and Reduction ofHostility«, in: Psychological Bulletin 55 (1958), S. 257-283. 63 Vgl. zur Kritik am Persönlichkeitstest-Experiment L. Berkowitz: Aggressi- on, S. 218; zur Kritik am Film-Experiment ders./E. Rawlings: »Effects of Film Violence«, S. 411. 64 Vgl. L. Berkowitz: Aggression, S. 219. Um das Gegenkonzept der Inhibiti- onsthese zu beweisen, führt Berkowitz gemeinsam mit Edna Rawlings ein Experiment durch, in dem die Versuchspersonen ebenso wie in Feshbachs Film-Experiment zuerst beleidigt werden und daun eine kurze Kampfszene aus dem Spielfilm Champion ansehen sollen - mit einem entscheidenden Unterschied in der Versuchsanordnung: Der Experimentator gibt einem 178 HEILUNG Neben dieser Problematisierung von Feshbachs Experimenten argu- mentiert Berkowitz grundsätzlich gegen die Annahme einer Aggressi- onskatharsis. Seine Kritik richtet sich zunächst auf ihre theoretischen Herkünfte, also auf die Psychoanalyse und die Y ale-Schule. Berkowitz wendet sich gegen die psychoanalytische Annahme eines Aggressions- triebs, die ein »hydraulic model« voraussetze, »with notions of the ac- cumulation and discharge of irrtemal somatic energy«, und die »situatio- nally determined stimulus conditions« nicht beachte. 65 Noch schärfer als Feshbach in seinen Modifikationen des Katharsiskonzepts spricht Berko- witz also in einem behavioristischen Kontext, nach dem das Verhalten des Individuums von Faktoren in seiner Umwelt bestimmt ist. Der Ag- gressions-Frustrations-Hypothese hält er - mit einem Verweis auf die Experimente Albert Banduras - entgegen, dass nicht jede Aggression zwangsläufig aus einer Frustration resultieren müsse; aggressives Verhal- ten könne auch aus der Beobachtung anderer gelernt werden.66 Als zwei- ten Bezugspunkt, von dem aus er die Widerlegung der Katharsisthese or- ganisiert, führt Berkowitz damit die Lerntheorie an. Darüber hinaus ist das, was gängigerweise hostility catharsis genannt wird, nach den Wisconsiner Studien nichts anderes als eine »completion tendency«67, die sich einstellt, wenn eine zielgerichtete Handlung blo- ckiert wird. Berkowitz entfernt sich in dieser Annahme vom klassischen Behaviorismus und geht davon aus, in einem gekränkten Probanden ent- stehe, wenn er daran gehindert wird, seinen Peiniger zu attackieren, eine Spannung, die erst reduziert wird, wenn der Gekränkte die Aggression tatsächlich ausführen kann.68 Das Ausagieren der Aggression ist nach Berkowitz in gewisser Hinsicht mit Freude verbunden, aber nicht in dem Sinne >reinigend<, dass sie das >Aggressionsreservoir< eines Individuums entlade. Vielmehr sei nahe liegend, dass die Freude und Erleichterung, Teil der Versuchspersonen vor der Filmrezeption eine Zusammenfassung des Films, in dem die gezeigte Szene als gerechtfertigte Gewalt gegen den Protagonisten dargestellt wird, die andere Gruppe erhält eine Synopsis, die den Protagonisten positiv beschreibt und die Gewalt gegen ihn als unge- rechtfertigt. Das Experiment kommt zu dem Ergebnis, dass die erste Grup- pe in anschließenden Tests mehr offene Aggression gegen den beleidigen- den Experimentator an den Tag legt als die zweite, weil im ersten Fall die Rechtfertigung von Gewalt dazu gefiihrt hat, Aggressionshemmungen zu reduzieren. Vgl. L. Berkowitz/E. Rawlings: »Effects ofFilm Violence«. 65 Leonard Berkowitz: »The Concept of Aggressive Drive. Some Additional Considerations«, in: ders. (Hg.), Advances in Experimental Social Psy- chology, Bd. 2, New York, London: Academic Press 1965, S. 301-329, hier S. 303. 66 Vgl. ebd., S. 305. 67 L. Berkowitz/E. Rawlings: »Effects ofFilm Violence«, S. 406. 68 Vg l. L. Berkowitz: »Aggressive Cues«, S. 112. 179 AGGRESSIVE MEDIEN die mit einer aggressiven Handlung verbunden ist, das Lernen dieser Verhaltensweise begünstigt. 69 Das Resultat dieser stark einschränkenden Neukonzeption ist, dass sie die Wirksamkeit von Mediengewalt als kathartischer Arznei in Frage stellt. In Berkowitz' Vervollständigungsmodell ist hostility catharsis nur in einer spezifischen Konstellation möglich: »[T]he angered individual will experience a cathartic relief of irrtemal tension only to the extant that he believes that the anger instigator, or someone closely associated with him, is aggressively injured by hirnself or some acceptable substitute.«70 Entscheidend ist, dass die symbolische Katharsis in Berkowitz' Argu- mentation damit nicht nur zu einem unwirksamen Heilmittel, sondern mediale Gewaltdarstellung gleichzeitig zu einem schädigenden Gift wird - »we cannot be altogether sanguine about media violence«,71 so seine Warnung. Mit Bezug auf Banduras Experimente, in denen das Lernen aggressiver Verhaltensweisen mittels einer im Film gezeigten >Bobo- Puppe< untersucht wurde, konstatiert Berkowitz zuversichtlich, »[t]he re- search will suggest media violence is more likely to incite children to acts of overt aggression than to >drain< them of their hostile energy«, und wendet sich scharf gegen die Annahme, mediale Gewaltdarstellung könnte kathartisch wirken: »Fantasy violence may be pleasant and gratifYing to the observer, particularly if he imagines hirnself in the place of the virile, powerful make-believe aggressor. But this pleasure does not necessarily mean his own aggressive inclinations are weakened. He does not have a reservoir of hostile energy to discharge in fan- tasy. Hostile tendencies would persist to the extent that the individual's real problems and frustrations persist If aggressive inclinations do weaken after viewing a film or reading a book, this may mean only that the viewer was suffi- ciently distracted so that he forgot his frustrations and ceased stimulating him- self to continued anger. «7 2 Gewissermaßen als eine Form der Inszenierung dieser Transformation von Mediengewalt vom kathartischen Heilmittel zum >Aggressionsgift< 69 Vgl. L. Berkowitz: Aggression, S. 200 u. S. 203. 70 Leonard Berkowitz/Ronald Corwin/Mark Heironimus: »Film Violence and Subsequent Aggressive Tendencies«, in: Public Opinion Quarterly 27 (1963), H. 2, S. 215-229, hier S. 219. Berkowitz wendet sich aus diesem Grund auch gegen die Sündenbock-Theorie, die etwa Dollard in seiner Southern Town-Studie vertritt. Da sich ein kathartischer Effekt nur einstel- len kann, wenn die Aggression sich gegen die Peiniger richtet, sei eine Verschiebung des aggressiven Verhaltens auf einen Stellvertreter - ein Mitglied einer gesellschaftlich stigmatisierten Gruppe - nicht möglich. V gl. L. Berkowitz: »Concept of Aggressive Drive«, S. 311 f. 71 L. Berkowitz: Aggression, S. 231. 72 Ebd., S. 236 u. S. 240. 180 HEILUNG führt Berkowitz Mitte der 60er Jahre eine Reihe von Experimenten durch, deren Anordnung drastisch vor Augen führt, wie gefahrlieh Me- diengewalt ist. Ebenso wie Bandura kindliche Aggressivität als Wirkung medialer Gewaltdarstellung experimentell inszeniert, misst und reprodu- ziert auch Berkowitz Mediengewalt auf eindrückliche Weise, und zwar über Elektroschocks, die seine studentischen Probanden nach der Rezep- tion aggressiver Filme einem Kommilitonen verabreichen.73 Das zuerst von Arnold H. Buss entworfene und dann von Berkowitz ausgearbeitete experimentelle Verfahren - in der Literatur präsent als >Buss-Berkowitz-Paradigma< - sieht eine Lehrer-Schüler-Konstellation vor, nach der eine ahnungslose Versuchsperson vorgeblich an einem Lernexperiment teilnimmt: Sie soll die Lernfortschritte einer anderen Versuchsperson, die ein getarnter Komplize des Experimentators ist, be- obachten und Fehler bestrafen, indem sie ihr vermeintlich Elektroschocks zufügt. Mittels der Intensität und Dauer der verabreichten Schocks mes- sen die Experimentatoren dann die Aggression des Probanden.74 Um die Katharsisthese zu widerlegen, führt Berkowitz diesen Expe- rimenttyp beispielsweise in folgender Variation durch: Elf männliche College-Studenten eines Einführungskurses für Psychologie melden sich freiwillig für ein Experiment - das angeblich physiologischen Reakti- onsmessungen dienen soll- um Punkte für ihre Abschlussnote zu erhal- ten. Der Experimentator begrüßt die Studenten einzeln und misst ihren Blutdruck. Im Raum befindet sich noch eine weitere Person, ausgegeben als ein anderer Proband, die tatsächlich aber der Komplize des Experi- mentators ist. Der Experimentator bittet die beiden, sich einander vorzu- stellen. Der Komplize stellt sich je nach Experimentalbedingung dem Probanden als ein Student vor, der im Hauptfach Sport studiert und sich für Boxen interessiert (boxer role), bzw. als Student der Rhetorik (speech-major role). Nach einer kurzen Unterhaltung zwischen der je- weiligen Versuchsperson und dem Komplizen gibt der Experimentator beiden als erste Aufgabe einen Intelligenztest und verlässt den Raum, woraufhin der Komplize je nach Experimentalbedingung den Probanden ärgert (angered condition) oder nicht (nonangered condition). Der Expe- rimentator kehrt zurück und misst beiden den Blutdruck. Im nächsten Schritt des Experiments wird einem Teil der Versuchspersonen eine Sze- ne aus dem Spielfilm Champions gezeigt, in der es um einen Boxkampf geht, wobei der Experimentator ihnen eine Zusammenfassung des Films 73 Die Methode, Gewalttätigkeit über die Verteilung von Elektroschocks ex- perimentell greifbar zu machen, wurde in den 60er Jahren durch das so ge- nannte Milgramexperiment bekaunt. Stanley Milgram verwendete diese Methode, um zu messen, inwieweit Versuchspersonen bereit sind, sich ei- ner Autorität (dem Versuchsleiter) zu unterwerfen und Gewalt auszuüben (eine andere Versuchsperson vermeintlich mit Elektroschocks zu verlet- zen). Vgl. zum Milgramexperiment und seiner Bedeutung für die Publi- kumsforschung N. Pethes: »Publikumsversuche«. 74 Vg l. H. Zumkley: Aggression und Katharsis, S. 32f. 181 AGGRESSIVE MEDIEN gibt, in der er die in der Szene dargestellte Gewalt als gerechtfertigt be- schreibt (aggressive film). Die übrigen Versuchspersonen sehen einen Film über englische Kanalboote (neutral film). Erneut wird der Blutdruck gemessen. In der abschließenden Aufgabe werden Proband und Komplize in un- terschiedliche Räume geführt. Der Komplize muss angeblich eine zeich- nerische Aufgabe erfüllen, die Versuchsperson soll mittels Elektro- schocks, die in Dauer und Anzahl variabel sind, vermeintlich seine Leis- tung bewerten, tatsächlich bekommen die geärgerten Versuchspersonen hier die Gelegenheit, ihren Peiniger zu bestrafen. Das Experiment endet nicht, bevor nochmals der Blutdruck gemessen wird. Berkowitz kommt zu dem Ergebnis: Die stärksten - imaginären - Stromstöße bekommt der beleidigende Komplize, wenn er sich als Boxer vorstellt und die Proban- den den aggressiven Boxkampffilm gesehen haben. Von kathartischer Wirkung des Films, im Sinne einer reinigenden Entladung von Aggres- sion, könne also keine Rede sein. 75 Sozialhygienische Regulation Es gehört zu den Eigentümlichkeiten der Katharsisthese, dass sie sich weder einen Platz im Mediengewalt-Diskurs behaupten kann, noch aus ihm zu verbannen ist. Gemäß den Diskursregeln der Mediengewaltfor- schung gilt sie als widerlegt und wird ausgeschlossen, dessen ungeachtet verhält sie sich bis heute widerständig zu diesen Ausschlussverfahren. Es würde zu kurz greifen, wenn man diese Persistenz mit einem Nebenein- ander von wissenschaftlichem und archäologischem Feld des Medienge- walt-Diskurses erklären und dabei argumentieren würde, die Katharsis- these sei zwar aus dem Bereich der Wissenschaft ausgeschlossen, finde aber in der öffentlichen Debatte weiterhin Vertreter. Die Katharsisthese ist nämlich als widerlegte These auch im wissenschaftlichen Feld noch anzutreffen, sie wird als eine Auffassung, die sich im >wilden Außen< des Diskurses befindet, mitgeführt - und zwar nicht allein, um als Abgren- zungsfolie für konträre Konzepte zu dienen. Sie taucht auch in wissen- schaftlichen Publikationen weiterhin als eine These auf, die einer erneu- ten Reflektion wert ist. Ungeachtet aller Modifikationen, Re-Interpretationen und Widerle- gungen der Katharsisthese, die seit ihrem Auftauchen im Mediengewalt- Diskurs Mitte der 1950er Jahre sowohl von ihm selbst als auch von Ber- kowitz und anderen Forschern angeführt worden sind, publiziert Fesh- bach noch Ende der 70er Jahre gemeinsam mit John Murray einen Arti- kel mit dem Titel »Let's Not Throw the Baby Out With the Bathwater: The Catharsis Hypothesis Revisited«. Die Verteidigung der Hypothese, 75 Vgl. Leonard Berkowitz: »Some Aspects of Observed Aggression«, in: Journal of Personality and Social Psychology 2 (1965), H. 3, S. 359-369, hier S. 362f. 182 HEILUNG die in diesem Artikel geführt wird, klingt etwas umständlich und bemüht: Die vorangegangene Forschung habe eher den Beweis erbracht, dass ag- gressive Fantasien sich stimulierend und nicht kathartisch auf aggressi- ves Verhalten auswirken, das Interesse an der experimentellen Untersu- chung der Katharsisthese sei deshalb stark gesunken. Murray und Fesh- bach schlagen einen umgekehrten Weg der Untersuchung vor: In einem Experiment glauben sie nachweisen zu können, dass aggressives Verhal- ten seinerseits aggressive Fantasien verringert, also in diesem Sinne ka- thartisch wirkt. In einem zirkulären Schluss glauben die Autoren, dass damit wiederum die Bereitschaft zu weiterem aggressivem Verhalten sinkt.76 Wie lässt sich dieses - im beschriebenen Fall fast krampthafte - Festhalten an einer These, die doch empirisch als unhaltbar gilt, erklä- ren? Es scheinen weniger die experimentellen Produktionen von katharti- schen Wirkungen, also die konkreten Versuchsergebnisse zu sein, die der Katharsisthese weiterhin Überzeugungskraft im Diskurs verleihen, als vielmehr ihre grundsätzliche Fragestellung; weniger ihr Heilungsange- bot, als ihr Programm einer Heilungssuche. Letztlich zeigt sich in der Persistenz der Katharsisthese am deutlichsten, dass der Mediengewalt- Diskurs in zentralen Aspekten als ein therapeutischer Diskurs operiert. Wie aber ist die hegemoniale Diskurspolitik dieses therapeutischen Pro- gramms zu verstehen, wenn sie gleichzeitig zur Widerlegung der Kathar- sisthese führt? Um diese Frage zu klären, ist es aufschlussreich, nochmals auf den historischen Einsatzpunkt zurückzukommen, an dem das Katharsiskon- zept mit der sich neu etablierenden Sozialmedizin in Konflikt gerät bzw. zum Element eines Gegenmodells in einer neuen therapeutischen Per- spektive wird. Wie zu sehen war, verschiebt sich am Ende des 19. Jahr- hunderts in der US-amerikanischen Medizin der therapeutische Fokus vom Individuum zur statistisch verdateten Bevölkerung, also zu Kollek- tivindividuen, deren Gesundheit/Normalität sich an gesellschaftlichen Durchschnittswerten orientiert. Während Krankheit in der traditionellen Medizin ein internes Ungleichgewicht des Individuums ist, wird sie nun zur Abweichung von einer auf kollektivindividueller Ebene errechneten Normalität, einer Abweichung, deren Bezugspunkt damit außerhalb des Individuums liegt. Die Umstellung auf eine normalisierende Sozialmedi- zin geht, wie beschrieben, auch mit einer Änderung der Behandlungs- methoden einher: Wenn noch im 19. Jahrhundert der ärztliche Zugriff darin besteht, dem Individuum durch purgative Arzneien wieder zu sei- nem natürlichen Gleichgewicht zu verhelfen, begibt sich die Normalisie- rungsmedizin auf die Suche nach dezidierten Ursachen, um die aus ihnen resultierenden pathologischen Veränderungen gezielt zu behandeln. 76 Vgl. John P. Murray/Seymour Feshbach: »Let's Not Throw the Baby Out With the Bathwater: The Catharsis Hypothesis Revisited«, in: Journal of Personality 46 (1978), S. 462-473. 183 AGGRESSIVE MEDIEN Die Kontroverse zwischen Verfechtern der Katharsisthese und ihren Gegnern im Mediengewalt-Diskurs lässt sich vor diesem Hintergrund be- schreiben. Sie ist nicht nur ein Beispiel dafür, dass die Umstellung auf eine normalisierende Sozialmedizin nicht vollständig erfolgt, sondern dass das traditionelle Therapiemodell der kathartischen Arznei als Ge- genmodell noch im 20. Jahrhundert weiter verhandelt wird. Die Kontro- verse führt gleichzeitig vor, inwiefern therapeutische Programme, wie sie im engeren somatisch-medizinischen Kontext ausgehandelt werden, sich auf weitere Sozialmedizinische Bereiche ausweiten und auch auf dem Feld der Sozialpsychologie relevant werden. Wenn Feshbach also in seinen Experimenten das Heilungskonzept einer kathartischen Wirkung von medialer Gewaltdarstellung aufschei- nen lässt, bringt er damit auch ein Verständnis von pathologischer Un- ordnung ins Spiel, in das er das aggressive Verhalten als internes Un- gleichgewicht des Individuums integriert, denn seine Vorstellung einer Aggressionsreduktion durch aggressive Fantasie legt die Annahme nahe, der >Aggressionshaushalt< eines Individuums könne sich selbstregulativ ausbalancieren. Konträr hierzu steht die grundsätzliche Ansicht, die Ban- dura und Berkowitz vertreten: Aggression ist hier in letzter Konsequenz kein Ungleichgewicht, sondern eine pathologische Reaktion auf einen externen Stimulus. Heilung kann in diesem Verständnis auf keinen Fall in medial induzierter aggressiver Fantasie bestehen. Sie kann sich nur als Folge einer Suche nach dem schädigenden Stimulus und seiner Beseiti- gung einstellen. Bandura und Berkowitz sind mit dieser Auffassung Teil des Diskurses einer normalisierenden Sozialmedizin. Die sich hiermit abzeichnende zentrale These der vorliegenden Un- tersuchung lautet: Das etablierte wissenschaftliche Feld des Medienge- walt-Diskurses77 emergiert aus Projekten der Sozialmedizinischen- man könnte auch sagen biopolitischen - Regulation der Bevölkerung. Der Mediengewalt-Diskurs trägt dazu bei, diese Regulationsprojekte in den Bereich der Mediennutzung zu transformieren. Diese These soll im Fol- genden geschärft und im Teil Regierung der Mediennutzung ausgeführt werden. Gestützt wird sie zunächst durch eine einfache Beobachtung: Bandura und Berkowitz - also die beiden Hauptvertreter der hegemonia- len Diskurspolitik - erhalten für ihre Mediengewaltexperimente For- schungsgelder von der höchsten staatlichen Gesundheitsbehörde. Ihre Forschungen werden von einer wichtigen Instanz der gouvernementalen Sozialmedizin, dem United States Public Health Service, finanziert, und zwar gerrauer vom National Institute of Mental Health (NIMH), das die- sem uniformierten Gesundheitsdienst angehört. 78 Feshbachs Forschung 77 Was hier unter >etabliertem Feld< verstanden wird, wird zu Beginn des zweiten Hauptteils nochmals genauer beschrieben. 78 In nahezu jeder Publikation von Bandura und Berkowitz, die bisher zitiert wurde, findet sich in einer Fußnote oder im Vorwort ein Verweis darauf, dass die Forschung zu einem Teil durch den Public Health Service finan- ziert wurde. Vgl. exemplarisch: A. Bandura/R. Walters: Social Leaming, S. 184 HEILUNG hingegen wird nicht auf diese Weise gefördert. Um die sozialhygienische Implikation dieser Forschungspolitik zu verdeutlichen, ist erneut ein kur- zer historischer Abriss zu den genannten Gesundheitsorganisationen der amerikanischen Regierung aufschlussreich. Die Herkunft des U.S. Public Health Service lässt sich auf einen prä- sidialen Erlass aus dem Jahr 1798 zurückverfolgen, der die Versorgung von kranken und verletzten seereisenden Kaufleuten sichern sollte. Ziel dieses Erlasses war es, über die Gesundheit der Kaufleute das wirtschaft- liche Prosperieren der jungen amerikanischen Nation zu sichern. 79 Paral- lel zur Umstellung der amerikanischen Medizin auf eine normalisierende Sozialmedizin Ende des 19. Jahrhunderts formiert sich auch der- zu die- ser Zeit noch Marine Hospital Service genannte - Gesundheitsdienst zu einer Organisation der öffentlichen Hygiene, wenn er den Regier- ungsauftrag bekommt, die anwachsenden Immigrantenströme medizi- nisch zu betreuen. Der Aufgabenbereich des Service' verschiebt und konzentriert sich damit auf den Schutz der Bevölkerung vor gefahrliehen ansteckenden Krankheiten. Er entwickelt sich damit zu einer Institution der Sozialhygiene. Anfang des 20. Jahrhunderts erfolgt, diesem erweiter- ten Aufgabenbereich Rechnung tragend, die Umbenennung in Public Health Service. Die militärisch organisierte Institution, an deren oberster Stelle der Surgeon General steht, ist nun für Krankheiten aller Art zu- ständig. 1912 bekommt der Public Health Service die klare gesetzliche Autorität »to investigate the diseases of man and conditions influencing the propagation and spread thereof, including sanitation and sewage and the pollution either directly or indirectly of the navigable streams and lakes ofthe United States«. 80 ix. Es handelt sich hierbei nicht um dezidierte Auftragsforschungen, son- dern um Teilfinanzierungen wissenschaftlicher Studien. 79 Vgl. John L. Parascandola: »Public Health Service«, in: George Thomas Kurian (Hg.), A Historical Guide to the U.S. Govemment, New York: Ox- ford University Press 1998, S. 487-493, unter: http://lhncbc.nlm.nih.gov/ apdb/phsHistory/resources/pdf/phs _h istory.pdf vom 2.4.2006, S. 1; Fitz- hugh Mullan: Plagues and Politics. The Story of the United States Public Health Service, New Y ork: Basic Books 1989, S. 14-31. 80 Aunual Report of the Surgeon General of the Public Health Service, zit. nach: J. Parascandola: »Public Health Service«, S. 5. Für Frankreich hat William Coleman in seiner Studie mit dem bezeichnenden Titel Death Is a Social Disease sozialhygienische Projekte im 19. Jahrhundert dargestellt. Vgl. ders.: Death Is a Social Disease. Public Health and Political Economy in Early Iudustrial France, Madison/WI: University of Wisconsin Press 1982. Eine vergleichbare Studie für den amerikanischen Bereich ist bisher noch ein Desiderat. Die folgenden Darstellungen köunen sich nur auf eini- ge Aspekte begrenzen, die für den Mediengewalt-Diskurs interessant sind, und sich an historischen bzw. selbsthistorisierenden Darstellungen orientie- 185 AGGRESSIVE MEDIEN Noch vor der Namensänderung beginnt sich der Service zu einer Dachorganisation für medizinische Forschung zu formieren. Das erste Labor, in dem die neue - normalmedizinische - Wissenschaft der Bakte- riologie zum Einsatz kommt, wird 1887 in einem Marinehospital in Sta- ten Island etabliert und schon bald nach Washington verlagert. Die zu- nächst Hygienic Laboratory genannte Institution ist Vorgänger der Nati- onal Institutes of Health, die heute aus 27 sich jeweils spezifischen Krankheitsgebieten widmenden Instituten bestehen. Die Gliederung in einzelne Organisationen vollzieht sich erst nach dem Zweiten Weltkrieg im Zuge eines Public Health Service Acts, der die medizinische For- schung der Nachkriegszeit regelt. 81 Eines der ersten Institute, die im Zu- ge dieser Umstellungen ins Leben gerufen werden, ist das NIMH, das seine Mission bis heute folgendermaßen bestimmt: »The NIMH mission is to reduce the burden of mental illness and behavioral disorders through research on mind, brain, and behavior. This public health mandate demands that we hamess powerful scientific tools to achieve better understanding, treatment, and eventually, prevention of these disabling condi- tions that affect millions of Americans.«82 Die Gründung des NIMH und seine Verflechtung mit der amerikanischen Sozialpsychologie83 lassen sich mit der gesellschaftlichen Konstitution der amerikanischen Nachkriegszeit in Verbindung bringen. Wade Pick- ren beschreibt diese als einerseits von wachsendem Wohlstand und Kon- sumverhalten, andererseits von Ängsten geprägt - Ängste des Kalten Krieges, insbesondere vor einer nuklearen Katastrophe. Dies zieht Be- fürchtungen nach sich, die sich auf unterschiedliche Bereiche des sozia- len Lebens und somit auch auf das neue Medium Fernsehen ausweiten. ren. Vgl. J. Parascandola: »Public Health Service«, S. 3-5; F. Mullan: Plagues and Politics, S. 32-57. 81 Vgl. Victoria A. Harden: »A Short History of the National Institutes of Health«, unter http://history.nih.gov/exhibitslhistorylindex.htrnl vom 2.4. 2006. 82 National Institute of Mental Health: »Facts About NIMH«, unter http: //www.nimh.nih.gov/about/nimh.cfuJ vom 2.4.2006. Als weiteren >fact< führt die Internetseite an, dass sich das Budget des NIMH im Finanzjahr 2005 auf 1,4 Milliarden Dollar belief. Vgl. ausführlicher zur Mission und Geschichte des NIMH: NIH Almanac: »National Institute of Mental Health« unter http://www.nih.gov/about/almanac/organization/NIMH.htrn vom 2.4.2006. 83 Dem Zusammenhang von NIMH und amerikanischer Psychologie widmet sich in jüngster Zeit ein von Wade E. Pickren und Stanley F. Schneider he- rausgegebener Sammelband. Vgl. dies.: Psychology and the National Insti- tute of Mental Health. A Historical Analysis of Science, Practice, and Pol- icy, Washington: American Psychological Association 2005. 186 HEILUNG Nicht nur die psychischen Störungen der heimkehrenden Soldaten, son- dern auch die Labilität der amerikanischen Zivilbevölkerung veranlasst die amerikanische Regierung, in großem Umfang wissenschaftliche Stu- dien auf den Weg zu bringen oder zu unterstützen und psychotherapeuti- sches Personal auszubilden. All dies geschieht mit dem Ziel, die mentale Gesundheit der Bevölkerung zu verbessern. Die psychische Störung ist damit zu einem Bezugsproblem der amerikanischen Sozialmedizin ge- worden.84 Aufgrund der Forschungsförderung durch das neu gegründete NIMH kann die Zeit von 1948-1963 als »golden age of American academic psy- chology«85 bezeichnet werden, denn die Gesundheitsbehörde unterstützt nicht nur eigene Forschungsprojekte, sondern finanziert auch psycholo- gische Experimente an unterschiedlichen amerikanischen Universitäten. Zu den zehn Universitäten, denen die meisten Forschungsgelder zuflie- ßen, zählen die Universitäten Stanford und Wisconsin: Zu Beginn der 1960er Jahre werden in Stanford Projekte Banduras mit den Titeln »Transmission of aggression through imitation« und »Leaming of ag- gressive behavior through imitation« gefördert. In Wisconsin erhält Ber- kowitz von 1958-1962 Forschungsgelder für sein Projekt »Expression and reduction of hostility«. 86 Die hegemoniale Diskurspolitik einer sich etablierenden Mediengewaltforschung wird Teil der Projekte, die eine Sozialmedizinische Regulation der Bevölkerung anstreben. Die staatliche Forschungsförderung des NIMH endet nicht bei bloßer Finanzierung, sondern prägt das Profil der Forschung. Der Name Feshbach findet sich unter den geförderten Wissenschaftlern dieser Jahre nicht. Er bleibt zu- nächst ebenso ausgeschlossen wie die Katharsis als Heilmittel von Me- diengewalt. 84 Vgl. Wade E. Pickren: »Science, Practice, and Policy: An Introduction to the History of Psychology and the National Institute of Mental Health«, in: Pickren/Schneider (Hg.), Psychology and the National Institute of Mental Health (2005), S. 3-15. 85 Charles E. Rice: »The Research Grants Program ofthe National Institute of Mental Health and the Golden Age of American Academic Psychology«, in: Pickren/Schneider (Hg.), Psychology and the National Institute ofMen- tal Health (2005), S. 61-111, hier S. 61. 86 Vgl. die Tabellen ebd., S. 93 u. S. 98. 187 DAS WISSEN ÜBER MEDIENGEWALT: ZWISCHENBILANZ Wirkungsstabilisierende Zähmung Die Kapitel des ersten Hauptteils haben sich den historischen Aus- handlungsprozesseil gewidmet, in denen, bevor und während sich die Mediengewaltforschung als wissenschaftliche Disziplin zu etablieren be- ginnt, zentrale Diskursregeln formiert werden. Ausgangspunkt der Über- legungen waren die epistemologischen Aporien der Kausalitätsmessung, die im Kapitel Wirkung verhandelt wurden. Wie zu sehen war, steht in der sozialstatistischen Objektivierung der Gesellschaft, die sich im 19. Jahrhundert herausbildet, die Vorstellung von kausalen Zusammenhän- gen im Widerspruch zu dem grundlegenden aperspektivischen Objektivi- tätsideaL Die Zuschreibung von Kausalität ist aber nicht ohne Beobach- ter denkbar, der eben diesen Zusammenhang von Ursache und Wirkung zuallererst herstellt. Gerade diesen Beobachter bemüht sich die positivis- tische Sozialstatistik aber auszustreichen. Wenn Kausalität erst um die Mitte des 20. Jahrhunderts experimentell messbar und über komplexe Rechenoperationen auch statistisch greifbar wird, mangelt es den so for- mulierten Kausalitätsaussagen an Eindeutigkeit: Da sie den Beobachter aus dem Wirkungsexperiment wieder >hinauszurechnen< versucht, kann die statistische Experimentalpsychologie bestenfalls aussagen: In der Hy- pothese >x hat eine Wirkung auf y< ist ein Irrtum signifikant unwahr- scheinlich. Die Kategorie der >Wirkung<, die über ihre Messung als wissen- schaftliches Objekt hergestellt wird, ist in der Epistemologie der empiri- schen Sozialwissenschaften labil, sie ist angewiesen auf eine Stützung, auf stabilisierende Diskurspraktiken. Besonders prekär wird die kausale Frage für die Verbreitungsmedien, deren diffuse Wirkungen nicht unter Laborbedingungen isolierbar sind. Um Wirkung zu stabilisieren, muss die Wirkungsforschung also auf andere epistemologische Programme zu- rückgreifen. Eine zentrale Stellung nimmt hierbei die Experimental- anordnung des Behaviorismus ein, in der die paradoxe Figur eines aper- spektivischen, aber kontrollierenden Beobachters entworfen wird. Damit gelingt die Stabilisierung von Kausalität, die eine statistische Experimen- talpsychologie aufgrund ihres positivistischen Objektivitätsideals nicht leisten kann. Der behavioristische Experimentator ist in der Lage, als ein kontrollierender Beobachter, Ursachen als Stimuli und Wirkungen als 189 AGGRESSIVE MEDIEN Reaktionen vorherzusagen und zu manipulieren. Damit installiert der Be- haviorismus aber ein Arrangement der Macht, das Kausalität nicht nur herstellt, sondern erzwingt. Diese Verfahren der Stabilisierung erzeugen im Bereich der Medienwirkungsforschung das, was in der vorliegenden Untersuchung als aggressives Medium bezeichnet wird: die Vorstellung eines stark und potenziell schädlich wirkenden Verbreitungsmediums. Die Resultate dieser Installation von behavioristischen oder anderen Kontrollarrangements, man könnte auch sagen, ihre Nebenprodukte, tau- chen im Diskurs der Medienwirkungsforschung in Ereignissen und Prak- tiken auf, die sich um die Leerstelle bzw. die »unterstellte Sache«' Me- diengewalt gruppieren. Bei der Untersuchung der politischen, ökonomischen und pädagogi- schen Diskurssegmente, die dem etablierten Feld der Mediengewaltfor- schung historisch vorangehen bzw. sich an dessen Schwelle ansiedeln, haben sich unterschiedliche Ereignisse und Praktiken im Umfeld der Leerstelle Mediengewalt ausfindig machen lassen. Das Kapitel Propa- ganda: Politik der Beeinflussung hat gezeigt, wie LassweH Konzepte der Propagandaforschung mit behavioristischen Instrumenten der Wirkungs- kontrolle koppelt und auf diese Weise die Verbreitungsmedien, die eng mit seinem Propagandaverständnis verschaltet sind, in die Lehre des Be- haviorismus integriert. Ergebnis dieser Kopplung sind Techniken politi- scher Gewaltkommunikation, die eine Wirkung im Sinne des politischen Kommunikators zwingend machen sollen. Kennzeichnend für diese Ge- waltkommunikation ist die im Diskurs beobachtbare Analogsetzung von Propagandatechniken und physischen Gewaltakten. Hiermit zusammenhängend ordnet sich als weiteres Diskursereignis im politischen Segment die Debatte um die atrocity propaganda der Formel >Mediengewalt< zu. Hier werden, wie zu sehen war, mediale Dar- stellungen der feindlichen Gräueltaten genutzt, um die eigene Bevölke- rung gegen den Feind aufzubringen. Das beunruhigte Abhören und die Analyse feindlicher Propagandasendungen, wie sie etwa in den monita- ring services in den USA Ende der 1930er Jahre einsetzen, sind nichts anderes als die Bearbeitung der anderen Seite eines Konzepts politischer Wirkungskontrolle, deren Nebenprodukte zu einer Bedrohung werden. Das Kapitel Werbung thematisierte, inwiefern die diskursiven Prak- tiken der frühen Werbewirkungsforschung bereits die mediale Bedingt- heit der Werbung reflektieren und Verfahren der suggestiven Wirkungs- kontrolle verhandeln. In diesen Diskurspraktiken zeigt sich, dass der Be- haviorismus nicht die einzige Lehre ist, die Verfahren der Wirkungssta- bilisierung zur Verfügung stellt. Noch vor dem Aufkommen der behavio- ristischen Psychologie etabliert die frühe Werbeforschung mit der Sug- gestion ein Konzept der Gewaltkommunikation, das Wirkung im An- schluss an Verfahren der Hypnose zwingend macht. Welche entschei- dende Rolle hierbei schon die medialen Werbeträger spielen, haben ge- staltpsychologische Konzeptualisierungen deutlich gemacht. Das Kapitel M. Foucault: Gouvemementalität II, S. 16. 190 DAS WISSEN ÜBER MEDIENGEWALT Werbung hat außerdem gezeigt, wie das Machtdispositiv des Behavio- rismus auch in das ökonomische Segment Eingang findet - konkrete Deutlichkeit gewinnt dies in der Werbetätigkeit des Behaviorismus- Gründers Watson. Wie im Erziehungs-Kapitel beschrieben wurde, kommt die behavio- ristische Wirkungskontrolle auch im pädagogischen Diskurssegment zum Tragen. Watsons Experimente, die mit der möglichen Konditionierung des Kindes zum a-social being eine absolute Kontrolle über das mensch- liche Versuchstier behaupten, stellen unverhohlen aus, dass die wir- kungsstabilisierenden Verfahren des Behaviorismus eine Form der Ge- waltkommunikation sind, sich also, wenn sie sich auf Medienwirkung beziehen, dem diskursiven Prozess >Mediengewalt< zuordnen. Wie im ökonomischen Segment gibt es - wie sich gezeigt hat - auch im pä- dagogischen Bereich wirkungsstabilisierende Verfahren, die dem Beha- viorismus historisch vorangehen: Das Konzept von Erziehung selbst er- weist sich als ein Arrangement der Macht, auf dessen Rückseite im Dis- kurs die Sorge vor falschem Lernen auftaucht. Insbesondere in der Schundfilms-Debatte lässt sich diese Sorge ausfindig machen. Pädagogische Medienwirkung lässt sich als eine ambivalente Kon- zeption beschreiben, die ein Spannungsfeld aus richtigem und falschem Lernen etabliert, um die Wirkung des Mediums zu unterstreichen. Wert- harn löst diese Ambivalenz in seinem Comicfeldzug ganz zugunsten der Seite des falschen Lemens auf. Dies erfolgt durch die Figur des unschul- digen kindlichen Mediennutzers, der dem schädigenden Medium hilflos ausgeliefert ist. Eine solche Argumentation führt zu einem Ausschluss durch die hegemoniale Diskurspolitik: Wertharns Studien handeln sich- wie zu sehen war - den Vorwurf ein, unwissenschaftliche Pamphlete zu sem. Die Figur des unschuldigen Mediennutzers wird aber im wissen- schaftlichen Feld im Rahmen der lerntheoretischen Modifikationen des Behaviorismus aufgegriffen, die Anfang der 60er Jahre ein neues expe- rimentelles Machtgefüge installieren, das sich auf der Schwelle zum etablierten Feld der Mediengewaltforschung situiert. Banduras lerntheo- retische Experimente inszenieren mit ihrem Konzept des Beobachtungs- Iemens sowohl die Aggressivität der Versuchspersonen als auch eine mediale Rezeptionssituation, sodass der Schluss einer Aggressionssteige- rung durch mediale Gewaltdarstellungen zwingend wird. Verfahren der Wirkungskontrolle haben sich damit zu Beweisverfahren von Medien- gewalt transformiert. Beschreibt man die Verfahren der Wirkungsstabilisierung, die epis- temologische Aporien des Messens von Medienwirkung bearbeiten, in ihrer historischen Abfolge, ergibt sich folgendes Bild: Schon in den ers- ten Jahren des 20. Jahrhunderts leisten Hypnose- und Erziehungskonzep- te eine Stabilisierung von Medienwirkung im ökonomischen bzw. päda- gogischen Diskurssegment Wenn in den 1910er Jahren der Behavior- ismus in der amerikanischen Psychologie diskursmächtig wird, avanciert er schon bald zu einem wichtigen Modell der Wirkungskontrolle im poli- 191 AGGRESSIVE MEDIEN tischen, ökonomischen und pädagogischen Segment des Medienwir- kungs-Diskurses. Nicht zuletzt weil behavioristische Kontrollfantasien mehr und mehr in Misskredit geraten, taucht Anfang der 1960er Jahre im pädagogischen Diskurssegment eine lerntheoretische Modifikation des Behaviorismus auf, die durch ihr Konzept des Imitationsiemens eine al- ternative Wirkungskontrolle zur Verfügung stellt. Dabei hält sie - und das ist entscheidend - das, ihr nach wie vor inhärente, behavioristische Machtarrangement unsichtbar. Wie beschrieben, ist ein entscheidendes Movens für die historische Herausbildung der Mediengewaltforschung, dass die Resultate bzw. Ne- benprodukte der wirkungsstabilisierenden Maßnahmen bearbeitet werden müssen. Diese Bearbeitung kann aber nicht bedeuten, diese Ereignisse und Praktiken zu beseitigen, denn sie sind grundlegende Garanten der Wirkungsstabilisierung. Mediengewaltforschung kann sich daher nur als eine Form der diskursiven Regulation herausbilden, die sich als wir- kungsstabilisierende Zähmung von Mediengewalt bezeichnen lässt. Ver- fahren der Regulation, die Mediengewalt gleichzeitig zähmen und die Wirkung der aggressiven Medien formieren, haben sich in den einzelnen Diskurssegmenten mehrfach beobachten lassen. Die Unsichtbarmachung des Gewaltaspekts wird - wie im Propa- ganda-Kapitel zu sehen war - zu einer kennzeichnenden Strategie der Persuasionsforschung, die ihre Herkunft aus dem Kriegswissen mehr und mehr unkenntlich macht. Im Kapitel Werbung war zu sehen, wie in der Kontroverse um negative Suggestionen bzw. Appelle in Werbebotschaf- ten schon eine erste Problematisierung der wirkungsstabilisierenden Ge- waltkommunikation aufscheint, die zwar noch ganz den Sprachregelun- gen eines ökonomischen Nützlichkeitskalküls unterworfen bleibt, aber doch eine Form der Bändigung von Mediengewalt ist: Die Angst des Käufers steht zwar im Rahmen eines Kalküls des W erbeerfolgs, ihre Thematisierung ist aber gleichzeitig eine Reflexion der Folgelasten des Machtarrangements >Suggestion<. Eine auffallige Strategie der stabilisie- renden Zähmung ist im pädagogischen Diskurssegment wiederum die Invisibilisierung der behavioristischen Wirkungskontrolle, wie sie im Rahmen der Lerntheorie vorgenommen wird. Die Mediengewaltforschung entsteht in der Bearbeitung von diskur- siven Ereignissen und Praktiken, die sich als Resultate oder Nebenpro- dukte von Arrangements der Wirkungskontrolle ergeben. Diese Kon- trollarrangements nehmen eine Stützung der epistemologisch labilen Ka- tegorie >Medienwirkung< vor. In diesem Sinne bildet sich die Medienge- waltforschung als ein Verfahren der wirkungsstabilisierenden Zähmung heraus. Es leuchtet ein, dass die Katharsisthese mit diesem Diskurspro- gramm in Konflikt geraten muss. Kathartische Wirkung kehrt die Wir- kungsvektoren, wie sie das behavioristische Stimulus-Response-Modell ebenso wie Hypnose- und Erziehungskonzepte entwerfen, um: Wirkung als reinigende Ausfuhr eines krankhaften Stoffes, die den Ernpfarrger wieder in ein gesundes Gleichgewicht bringt, steht weit entfernt von ei- nem Verständnis, nach dem Wirkung Übertragung einer Botschaft meint, 192 DAS WISSEN ÜBER MEDIENGEWALT die beim Ernpfarrger zu einer Reaktion führt. Katharsis kann also kein Konzept der Wirkungsstabilisierung sein, wie sie das Bezugsproblem der labilen Kausalität in der Epistemologie des Messens einfordert. Widerlegung und Persistenz der Katharsisthese im Mediengewalt- Diskurs haben aber auch deutlich gemacht, dass sozialhygiensche Aspek- te eine zunehmend wichtige Rolle für die Formation des Diskurses spie- len. In den letzten beiden Kapiteln - Erziehung und Heilung - ist deut- lich geworden, dass bereits Ende der 50er Jahre, spätestens mit Experi- menten wie den hier diskutierten von Bandura, Feshbach und Berkowitz ab Anfang der 60er Jahre, sich der wissenschaftliche Bereich des Me- diengewalt-Diskurses aus dem archäologischen Feld >herauszuschälen< beginnt.2 Insbesondere die Studien von Bandura und Berkowitz ließen sich durch ihre Teilfinanzierung aus Mitteln des NIMH als Elemente ei- ner sozialhygienischen Regulationspolitik identifizieren. Jedoch verwei- sen diese früheren Studien eher auf eine allmähliche Etablierung des Mediengewalt-Diskurses, als dass sie bereits als Teil des etablierten Fel- des zu beschreiben wären. Im Analysemodell der vorliegenden Untersu- chung sind die Experimente von Bandura und Berkowitz an einer Schar- nierstelle zwischen Aushandlungsprozessen und umfassender Etablie- rung des Mediengewalt-Diskurses positioniert. Es gilt also im Folgenden die Frage zu klären, wie das Wissen über Mediengewalt, wenn es sich als wissenschaftliches Wissen zu etablieren beginnt, durch seine Rahmung von sozialhygiensichen Regulationsprojekten formiert und begrenzt wird. Das Moralische der Regulation Es sei zunächst an den Ausgangspunkt der vorliegenden Untersuchung erinnert: Am Fallbeispiel der Kontroverse um den Amoklauf in Erfurt hat sich gezeigt, dass sich die Forschung nicht auf eine Beantwortung der Mediengewalt-Frage einigen kann. Betrachtet man die Forschung insge- samt, bleibt schädliche Wirkung medialer Gewaltdarstellungen unge- klärt. Die sozialwissenschaftliehen Experten können das Problem einer (Mit-)Schuld der Medien an einer Gewalttat, das die öffentliche Debatte so vehement beschäftigt, nicht klären. Jedoch selbst die heftigsten Kriti- ker vereinfachender Kausalmodelle schreiben den empirischen Beweis- verfahren die grundsätzliche Möglichkeit zu, die Mediengewalt-Frage zu beantworten. Wenn der Zusammenhang zwischen Gewalt in den Medien und sozialer Gewalt zwar noch nicht geklärt ist, so sei es nur eine Frage der Zeit, bis diese Klärung doch noch erfolgt. Dem empirischen Beweis wird zugetraut, die öffentliche Beunruhigung über Mediengewalt stillzu- stellen. Er selbst bleibt in solchen Vorstellungen frei von jeglicher Kon- tamination mit der moralisierenden Entrüstung der Debatte und tritt ihr als rationalisierende Lösung entgegen. 2 Vgl. M. Foucault: Archäologie, S. 263. 193 AGGRESSIVE MEDIEN In den vorangegangenen historischen Analysen hat sich nun aber ge- zeigt, dass der empirische Beweis von Medienwirkung alles andere als unschuldig ist. Als prekäres, labiles epistemologisches Konzept ist er vielmehr flankiert von stabilisierenden Verfahren, die Arrangements der Wirkungskontrolle in die vermeintlich neutralen Messverfahren integrie- ren. Wenn sich die Mediengewaltforschung im wissenschaftlichen Feld etabliert - so die Leitthese der folgenden Darstellungen - verzahnt sie sich eng mit Praktiken einer gouvernementalen Formierung der Medien- nutzung. Der vorgeblich rationale empirische Diskurs verhandelt Vor- stellungen von richtiger und falscher Mediennutzung. Nicht nur in der öf- fentlichen Debatte, sondern auch in der Forschung wird Mediengewalt als eine moralische Frage formuliert. Inwiefern Forschungswissen mora- lische Implikationen haben kann, lässt sich mit Blick auf das Konzept der moral regulation innerhalb der governmentality studies klären. Das Konzept der moralregulationwurde in den 1980er Jahren einge- führt, um die marxistische Gesellschaftsanalyse auf nicht-ökonomische Aspekte der bürgerlichen Gesellschaft auszuweiten.3 Im Anschluss an, aber auch in kritischer Auseinandersetzung mit dieser Vorstellung von moralischer Regulation hat sich in den späten 80er und in den 90er Jah- ren ein weiterer Zweig der moral regulation studies entwickelt. Zentraler Bezugspunkt ist hier der Begriff der Gouvernementalität, den Michel Foucault in seinen späteren Texten und Vorlesungen zur Analyse der bürgerlichen Gesellschaft fruchtbar gemacht hat. Der entscheidende Unterschied zwischen moralischen Regulations- Studien im Anschluss an theoretische Modelle des Marxismus und sol- chen Untersuchungen, die moralische Regulation eher an Foucaults Gou- vernementalitäts-Begriff anknüpfen, ist der Stellenwert der Staatsforma- tion. Während sie in marxistischen Regulationsstudien eine zentrale Posi- tion einnimmt und als untrennbar mit der moralischen Formierung des Bürgers gedacht wird, sehen die gouvernementalitäts-orientierten Studien in der Staatsmacht nur eine Machtpraktik unter vielen. Moralische Regu- lation im Anschluss an Foucault setzt ein weites Verständnis von Regierung voraus: »including the power of governments and state agen- cies, without making the state into the primary object of analysis«.4 Diese 3 Der britische Soziologe Philip Corrigan hat das Konzept der moral regula- tion Anfang der 1980er Jahre systematisch dargestellt. Vgl. ders.: »Ün Moral Regulation: Some Preliminary Remarks«, in: Sociological Review 29 (1981 ), H. 2, S. 313-337. Corrigan konturiert moralische Regulation im Anschluss an Emile Durkheims soziologische Projekte und gesellschafts- theoretische Entwürfe in Durkheims Nachfolge. In Corrigans um marxisti- sche Aspekte erweiterter Konzeption kann moralische Regulation nicht un- abhängig von der Formation des Staates betrachtet werden. Moralische Re- gulation ist in seiner Beschreibung eine Form der Erziehung durch den Staat. 4 M. Valverde: Studies in Moral Regulation (Editor's Introduction), S. vi. V gl. auch Mitchell Deans Kritik an Corrigans Regulationskonzept, in deren 194 DAS WISSEN ÜBER MEDIENGEWALT Art und Weise, moralische Regulation zu beschreiben, erhält entschei- dende Impulse aus dem weiteren Feld der Gouvernementalitäts-Studien, die, auch wenn sie sich nicht im engeren Sinn mit dem Konzept der mo- ralischen Regulation befassen, große Affinitäten zu diesem Forschungs- zugang aufweisen. 5 Die gouvernementalitäts-orientierten moral regulation studies - und das macht sie für die vorliegende Untersuchung so besonders interessant - schließen über die Erweiterung des Machtbegriffs hinaus noch an zwei andere Aspekte der Foucault'schen Machtanalyse an. Sie beschreiben zum einen neue Formen der Regierung, die Foucault mit einer Umstel- lung von Disziplinierung aufbiopolitische Regulation beschreibt. Es geht in diesen neuen Praktiken des Regierens weniger um körperliche Züchti- gung und Strafe, als vielmehr um die Implementierung von subtileren Si- cherheitsmechanismen, die eine Regierung freier und autonomer Indivi- duen gewährleisten. Eng damit verbunden ist der zweite, an subjekttheo- retische Entwürfe anschließende Aspekt: Das Konzept der moralischen Regulation greift Foucaults Vorschlag auf, das moderne Subjekt als Ef- fekt einer >meuen Ökonomie der Machtverhältnisse«6 zu verstehen: »Diese Form von Macht wird im unmittelbaren Alltagsleben spürbar, welches das Individuum in Kategorien einteilt, ihm seine Individualität aufprägt, es an seine Identität fesselt, ihm ein Gesetz der Wahrheit auferlegt, das es anerkennen muß und das andere in ihm anerkeunen müssen. Es ist eine Machtform, die aus Individuen Subjekte macht. Das Wort Subjekt hat einen zweifachen Sinn: ver- mittels Kontrolle und Abhängigkeit jemandem unterworfen sein und durch Be- wußtsein und Selbsterkenntnis seiner eigenen Identität verhaftet sein.«7 Diese Doppelbedeutung des Subjektbegriffs lässt sich mit der Dopplung von sozialen Regeln und Normen sowie Praktiken der Selbstregulierung in Verbindung bringen, die das Konzept der moralischen Regulation kennzeichnet. 8 In einer Studie, die sich mit der moralischen Regulierung von Lehrern und Schülern beschäftigt, schlagen sich die Bezüge zu Fou- Zentrum Corrigans Fokus auf den Staat steht: Ders.: »A Social Structure of Many Souls«. 5 Valverde verweist hier insbesondere auf Studien wie Nikolas Rose: Gover- ning the Soul. The Shaping of the Private Self, London: Free Association Books 21999. 6 Michel Foucault: »Das Subjekt und die Macht«, in: Hubert L. Dreyfus/Paul Rabinow: Michel Foucault: Jenseits von Strukturalismus und Hermeneutik. Mit einem Nachwort von und einem Interview mit Michel Foucault, Frank- furt/Main: Suhrkamp 1987, S. 241-261, hier S. 245. 7 Ebd., S. 246f. Vgl. auch Kate Rousmaniere/Kari Dehli/Nig de Coninck- Smith: Discipline, Moral Regulation, and Schooling. A Social History, New York, London: Garland 1997 (Introduction), S. 8. 8 Vgl. ebd., S. 9. 195 AGGRESSIVE MEDIEN caults Machtanalyse folgendermaßen im Verständnis von moralischer Regulation nieder: »Compared with constraining and overtly controlling forms of discipline, moral regulation may require no direct physical contact and may not appear as pun- ishment or as exercise of authority and power. This is because moral regulation entails the disciplining of personal identities and the shaping of conduct and conscience through self-appropriation of morals and beliefs about what is right and wrong, possible and impossible, normal and pathological. The siguificance and power of moral regulation hinge on its social organization as a web of self-imposed forms of conduct and self-monitoring practices.«9 Moralische Regulation - auch das ist ein entscheidender Aspekt, den die vorliegende Studie aufgreift,- ist kein Verfahren der Regierung von In- dividuen, das in seinen Praktiken der Machtausübung stets erfolgreich wäre. Im Gegenteil: Die Umstrittenheit moralischer Regulationsprojekte, ihr Scheitern, das aus der Widerständigkeit der Individuen gegenüber ih- rer Einflussnahme resultiert, ist ein entscheidender Aspekt: » Wherever there is moral regulation there is resistance; wherever social forms are imposed there is human capacity to subvert and exceed their con- straints.«10 Unter den moral regulation studies erweisen sich die Arbeiten des kanadischen Soziologen und Rechtshistorikers Alan Hunt für die hier in- teressierenden medienkulturwissenschaftlichen Fragestellungen als be- sonders anschlussfahig. Hunt hat das Konzept der moralischen Regulati- on am Beispiel der Geschichte von gesetzlichen Regelungen des Kon- sumverhaltens" oder an puristischen Sexualitätsdiskursen12 beleuchtet. Wie alle Untersuchungen der moral regulation studies bieten Hunts Aus- führungen wertvolle Anregungen für die Analyse von sozialhygienischen Regulationsprojekten, die nicht dem medizinischen Bereich im engeren Sinne angehören, also nicht die körperliche Hygiene und physische Ge- sundheit der Bevölkerung verbessern wollen und auch nur bedingt auf eine psychische Hygiene ausgerichtet sind, sondern auf eine Regulation des Verhaltens bzw. der Lebensführung zielen: »Moral regulation pro- jects are an interesting and significant form of politics in which some people act to problematise the conduct, values of culture of others and 9 Ebd., S. 5. 10 Ebd. 11 Vgl. Alan Hunt: »Moralizing Luxury. The Discourse ofthe Govemance of Consumption«, in: Journal of Historical Sociology 8 (1995), H. 4, S. 352- 374; ders.: Govemance of the Consuming Passions. A History of Sumptu- ary Law, New York: St. Martin's Press 1996. 12 Vgl. Alan Hunt: Goveming Morals. A Social History ofMoral Regulation, Cambridge: Cambridge University Press 1999. 196 DAS WISSEN ÜBER MEDIENGEWALT seek to impose regulation upon them.«13 Als Vertreter derjenigen For- scher, die Foucaults Überlegungen nahe stehen, kommt es auch Hunt be- sonders darauf an, die moralische Regierung nicht ausschließlich an staatliche Interventionen zu koppeln, sondern sie als eine Mixtur unter- schiedlicher Machtpraktiken zu beschreiben. Die sozialgeschichtliche Untersuchung moralischer Regulationspro- jekte im Bereich von Sexualitätsdiskursen, die Hunt in seiner Studie Go- verning Morals unternimmt, fokussiert in ihren Fallbeispielen auch die Wiederbelebung moralischer Projekte in der zweiten Hälfte des 20. Jahr- hunderts. Hunt geht der Frage nach, inwiefern Regulationsbewegungen ab den 1970er Jahren als Projekte der Re-Traditionalisierung von Moral verstanden werden können. 14 Er beobachtet dabei sowohl Kontinuitäten als auch Diskontinuitäten zwischen viktorianischen und gegenwärtigen Moralisierungen. Insgesamt stellt er einen Prozess der Individualisierung fest, eine fundamentale Bewegung, die weg von externen Verhaltens- codes führt und hin zu Stimulationen der Selbstregierung. Was moderne Regulationsprojekte von traditionellen unterscheidet, ist zum einen die Pluralisierung von Expertenmeinungen und zum anderen ihre Umstrit- tenheit und beständige Anfechtung. Dies wirft das moralisierte Subjekt zunehmend auf sich selbst zurück: »In being required to choose their own experts, individuals increasingly must become >experts for the self<.«15 Dass moralische Regulationsprojekte ab Mitte des 20. Jahrhunderts ständigen Anfeindungen ausgesetzt sind, führt Hunt auf generelle Krisen- tendenzen des Wohlfahrtsstaats bzw. im Feld der sozialen Beziehungen zurück, die sich in weitreichenden Konflikten über ein Zuviel oder Zu- wenig an sozialer Gouvemementalität äußern. Als ein Symptom dieses Konflikts und gleichzeitig als Brücke zu viktorianischen Projekten disku- tiert Hunt die gegenwärtige Krise der Familie, die sich unter anderem in einem ambivalenten moralischen Status von Kindem niederschlägt, die in den Debatten einerseits als zu regierende Zielobjekte der Moralisie- rung, andererseits als autonome Subjekte auftauchen. Seit dem frühen 20. Jahrhundert - so konstatiert es Hunt mit Bezug auf Studien von Jacques Donzelot und Nikolas Rose - ist die Familie zum Gegenstand staatlicher Regulation geworden. 16 Die Familie gilt, weil sich die Eltern als unfahig oder unwillig erweisen, ihre Kinder rich- tig zu erziehen, als Wurzel der Kriminalität. Moralische Regulationspro- jekte richten sich darauf, die Eltern auf ihre Verantwortung für die Ge- sellschaft aufmerksam zu machen. Psychologische Experten fungieren hierbei - so Hunt - als Agenten der Regulation: 13 Ebd., S. 1. 14 Vgl. für die folgenden Ausführungen ebd., S. 192-220. 15 Ebd., S. 219. 16 Vgl. Jacques Donzelot Die Ordnung der Familie, Frankfurt/Main: Suhr- kamp 1980; N. Rose: Govemingthe Soul, S. 124-213. 197 AGGRESSIVE MEDIEN »In the firsthalf of the twentieth centmy it was the new techniques of the psy- chological sciences which introduced new forms of expertise such as child guidance, intelligence testing and personnel management into the govemance of the population [ ... ]. My concem is to stress the dimension of moral regula- tion practised by these experts [ ... ]. In the field of social welfare there has been an inexorable growth of surveillance over families, in particular over working- class families. «17 Rose hat in seiner Studie Governing the Soul deutlich gemacht, dass psy- chologische Expertisen regierbare Subjekte konstituieren. Das psycholo- gische Wissen über Subjekte stellt er als Voraussetzung für ihre Regier- barkeit heraus; es ermöglicht, Konzepte von Subjektivität und Intersub- jektivität in den biopolitischen Zugriff auf die Bevölkerung zu integrie- ren, der mit der statistischen >Zahlenlawine< (Hacking) im 19. Jahrhun- dert möglich wird. Die >Technologien des Selbst< im Sinne Foucaults, die nach Rose von psychologischem Expertenwissen zur Verfügung ge- stellt werden, ordnen sich dabei in ein gouvernementales Regierungspro- jekt ein, das, anstatt Zwang auszuüben, zur Selbst-Regierung auffordert: »Expertise provides this essential distance between the formal apparatus of laws, courts, and police and the shaping of the activities of citizens. It achieves its effects not through the threat of violence or constraint, but by way of the persuasion inherent in its truths, the anxieties stimulated by its norms, and the attraction exercised by the images oflife and selfit offers to us.« 18 Wenn das Kind im 20. Jahrhundert zunehmend als Bürger wahrgenom- men wird, als Mitglied der politischen Gemeinschaft, das gleichermaßen geschützt und aufgrund seiner moralischen Labilität überwacht werden muss, wird die Familie - so Rose - mithilfe des psychologischen Exper- tenwissens zu einem Regulationsmechanismus, zu einer »human techno- logy«, die diese Selbsttechnologien im Privatbereich zur Anwendung bringt: »It has become the will of the mother to govern her own children according to psychological norms and in partnership with psychological experts. The soul of the young citizen has become the object of govern- ment through expertise.«19 Die Tatsache, dass Rose in dieser Beschreibung das Konzept der mo- ral regulation nicht explizit nennt, obwohl er von >psychologischen Nor- men< spricht, wirft die grundsätzliche Frage nach dem Begriff der Moral in diesem Konzept auf. Es handelt sich nicht um einen Moralbegriff im starken Sinne, sondern vielmehr um eine Form der Spezifizierung be- stimmter Projekte der gouvernementalen Regulation. Es ist innerhalb der moral regulation studies nicht unumstritten, den Begriff der Moral mit den beschriebenen Praktiken der subtilen Regierung in Verbindung zu 17 A. Hunt: Goveming Morals, S. 217. 18 N. Rose: Goveming the Soul, S. 10. 19 Ebd., S. 129 u. S. 134. 198 DAS WISSEN ÜBER MEDIENGEWALT bringen.20 Die hier relevanten moral regulation studies formulieren ihr Moralkonzept in loser Anlehnung an die Studien zur antiken Ethik und Subjektformierung des späten Foucault. Wie Martin Saar gezeigt hat, liegt diesen Beschreibungen ein >formaler<, >rein deskriptiver< Moralbe- griff zu Grunde, der sich nicht »auf die Frage der Gründe oder der Geltung der Moral« und »die Frage nach einer Quelle des Normativen« bezieht.21 Wenn die Bezeichnung >moralische Regulation< im Folgenden auf- gegriffen wird, so nicht zuletzt deshalb, weil sie gerade für die Frage der Mediengewalt, die immer wieder als moralische Frage formuliert wird, aufschlussreich ist. Es geht als um das Moralische der Regulation, um die moralischen Implikationen der Regulation von Mediengewalt, nicht um ein moralphilosophisches Verständnis. 22 Die moralische Regulation von Mediengewalt Die Verflechtung unterschiedlicher Machtpraktiken im Verfahren der moralischen Regulation verdeutlicht Hunt am Beispiel von Bestrebun- gen, die Kindererziehung zu regulieren: »For example, when parents are advised by experts on child-rearing, this is never simply a technical question, but always, to a greater or lesser extent, in- cludes a moral component that invests parents with responsibility for conduct, present and future, of their children. It is helpful to isolate the following ele- ments of moral regulation and this can be made more concrete by reference to child-rearing: 20 Vgl. M. Dean: »A Social Structure ofMany Souls«. 21 Martin Saar: Genealogie als Kritik. Geschichte und Theorie des Subjekts nach Nietzsche und Foucault, Frankfurt/Main, New York: Campus Verlag 2007, S. 257. Saar zeigt des Weiteren, dass eine Beurteilung dieses Moral- konzepts Kriterien der Moralphilosophie nicht standhält: »Diese Redeweise verschleift natürlich jeden moralphilosophisch bedeutsamen Unterschied zwischen konventionellen und postkonventionellen oder antiken und mo- dernen Moralen, die sich in der praktischen Hinsicht allerdings auch nicht grundlegend unterscheiden, sondern erst in den verschiedenen Formen mo- ralischer Subjektivität, die sie ausprägen. Deshalb besteht die Originalität von Foucaults Vorschlag auch nicht, wie manche Interpreten gemeint ha- ben, in einem substanziellen Vorschlag fiir moralphilosophische Fragestel- lungen im engeren Sinn, sondern in einer fruchtbaren Beschreibungsper- spektive aufmoralische Systeme.« Ebd. 22 Dies bedeutet auch, dass die vorliegende Unterschungen keine Anschlüsse an den großen Forschungsbereich der Medienethik anstrebt. Vgl. hierzu exemplarisch: Rainer Leschke: Einführung in die Medienethik, Stuttgart: UTB 2001; Anika Pohl: Medienethik Eine kritische Orientierung, Frank- furt/Main u.a.: Peter Lang 2005. 199 AGGRESSIVE MEDIEN - a moralised subject (t he parents ); - a moralised object or target (the child);[ ] - knowledge (informal or expert); - a discourse within which the knowledge is given a normative content (parents should monitor the televisionwatehing of their children); - a set of practices (potty training, school attendance ); - a >harm< to be avoided or overcome (poorly socialised children, undisciplined workers, etc.).«23 Es mag auf den ersten Blick nicht einsichtig sein, den Mediengewalt- Diskurs in die Reihe der moralisierenden Projekte, zu denen Hunt auch Debatten über Drogenkonsum, Abtreibung oder Pornografie zählt, einzu- ordnen, denn der Diskurs formiert die Rezeption von medialer Gewalt- darstellung in erster Linie nicht als eine unmoralische, sondern als eine gefahrliehe Tätigkeit. Hunts Beschreibung der moralischen Dimension der Regulierungsprojekte lässt aber fraglich werden, ob Unmoral und Gefahrlichkeit sich überhaupt ausschließen müssen: »[ ... ] [T]here is no set of issues that are necessarily moral issues; rather the moral dimension is the result of the linkage posited between subject, object, knowledge, discourse, practices and their projected social consequences. The >moral< element in moral regulation involves any normative judgment that some conduct is intrinsically bad, wrong, or immoral. It is an important sup- plement that moralising discourses frequently invoke some utilitarian consid- eration linking the immoral practice to some form ofharm.«24 Inwiefern der Mediengewalt-Diskurs über die Warnung vor schädigender Wirkung der Mediennutzung eine moralische Regulation unternimmt, ob er die Mediennutzung dabei gleichzeitig normiert und normalisiert, wird in den folgenden Kapiteln zu klären sein. Selbst wenn Hunt Aspekte der Mediennutzung -wie im Beispiel der Kindererziehung, wenn es um die Kontrolle des kindlichen Fernsehkon- sums geht, - immer wieder streift, werden sie bei ihm nie zum zentralen Thema. Auch pornografische Debatten verhandelt er nur als Elemente eines umfassenden puristischen Diskurses, ohne der Positionierung des >moralisierten Objekts< in medialen Dispositiven Rechnung zu tragen. Dabei ist dort, wo Hunt ein persistierendes historisches Bezugsproblem für moralische Regulation vermutet, ein massenmediales Setting gerade- zu greifbar: »[ ... ] [T]he persistence of moral regulation movements is a manifestation of an ongoing anxiety that has beset modemity about the govemability of urbanised masses living without any evident structure of rule under conditions where tra- 23 A. Hunt: Goveming Morals, S. 7. 24 Ebd. 200 DAS WISSEN ÜBER MEDIENGEWALT ditional authorities, such as the Church or a visible dominant class, are weake- ned or no Ionger present and where class and other forms of deference are frag- ile.«25 Der Angst vor ungeordneten, nicht-regierbaren >Massen< ist die Sorge vor der Unsichtbarkeit und Undurchschaubarkeit eines dispersen Publi- kums der Verbreitungsmedien zur Seite zu stellen. Dass Regulationspro- jekte in diesem Sinne auch den Bereich der Mediennutzung betreffen müssen, ist eine naheliegende Ergänzung. Eine Frage der folgenden Ana- lyse wird sein, inwiefern der Mediengewalt-Diskurs in diesem Sinne als ein Projekt der Regierung von Mediennutzung verstanden werden kann. Dabei soll einer gängigen Auffassung widersprochen werden, nach der ausschließlich die öffentliche Debatte über Mediengewalt mit Praktiken der Moralisierung operiert, während die Forschung dieser moralischen Panik nüchtern und rational entgegentritt. Gerade die empirische For- schung - so eine zentrale These der vorliegenden Untersuchung- ist Teil einer moralischen Regulation von Mediengewalt.26 Ein weiterer Aspekt, dem Hunt in Regulationsprojekten des 20. Jahr- hunderts eine Schlüsselposition zuweist, kann für die folgende Analyse fruchtbar gemacht werden: Modeme Regulationsprojekte, die mit einer zunehmenden Pluralisierung von Expertenmeinungen einhergehen, for- dern die Formation eines eigenverantwortlichen Subjekts, das selbst zum Experten seiner moralischen Regulation wird.27 Die folgenden Kapitel werden unter anderem die Frage fokussieren, ob nicht gerade die Unab- schließbarkeit und die Pluralisierung von Forschungsergebnissen und Expertenmeinungen, wie sie den Mediengewalt-Diskurs kennzeichnen, Regulationsformen sind, die den Mediennutzer zur Regierung seiner selbst auffordern. Der Mediengewalt-Diskurs muss angesichts der unkontrollierbar-be- drohlichen Möglichkeit, dass Mediennutzung zu einem unsozialen Ver- halten führt, spezifische Strategien ins Feld führen. Er muss den Medien- nutzer oder genauer: die für kindliche Mediennutzer verantwortlichen El- tern, davon überzeugen, dass Medien ein gefahrliches, gesellschaftsschä- 25 Ebd., S. 10f. 26 Damit soll keineswegs behauptet werden, dass in der öffentlichen Debatte keine Praktiken der Moralisierung am Werk sind. Der Fokus der vorliegen- den Untersuchung liegt aber auf dem Stellenwert der empirischen For- schung fiir den medienkulturellen Status von Mediengewalt Colin Hay hat für das Mediengewalt-Ereignis der Ermordung James Bulgars beispiels- weise eindrücklich die Konstruktion einer moralischen Panik in den briti- schen Medien analysiert. Vgl. Colin Hay: »Mobilization Through Interpe- lation: James Bulgar, Juvenile Crime, and the Construction of a Moral Panic«, in: Social and Legal Sturlies 4 (1995), S. 197-223. Vgl. auch die umfangreiche Analyse der ethischen Debatten um das Medium Film im 20. Jahrhundert: T. Hausmanninger: Kritik der medienethischen Vernunft. 27 Vgl. A. Hunt: Goveming Morals, S. 198f. u. S. 217-219. 201 AGGRESSIVE MEDIEN digendes Potenzial bergen und ihre Nutzung deshalb unter beständiger Kontrolle stehen muss. Der Diskurs muss diese Kontrolle als eine mora- lische Verpflichtung und mangelhafte elterliche Beaufsichtigung des Nutzungsverhaltens ihrer Kinder als unmoralisches, sozial unerwünsch- tes Verhalten herausstellen. Dies geschieht zu einem entscheidenden Teil, indem ein auf Dauer gestellter Wissenschaftsbereich, der einen Be- weis zu erbringen versucht, den er niemals erbringen darf, in seinen For- schungspraktiken die Überwachung des Mediennutzers als beständiges Desiderat herausstellt. Die Aufforderung an den Mediennutzer zur Selbst- regierung erfolgt nicht über konkrete Anleitungstexte, wie sie etwa Phi- lipp Sarasin am Beispiel der hygienischen Literatur diskutiert. 28 DieMe- diengewaltforschung produziert vielmehr das Wissen, das in Projekten der moralischen Regulation zum Einsatz kommen kann, und bereitet die- se Einsetzbarkeit in ihren Forschungspraktiken vor. Die Regulation von Mediengewalt lässt sich im Anschluss an Cha- rakteristika moralischer Regulationsprojekte, die Hunt nennt,29 folgen- dermaßen fassen: Agenten der Regulation sind die politischen Initiatoren, die institutionellen - sozialhygienischen - Rahmurrgen und die wissen- schaftlichen Experten, die Mediengewalt als Forschungsgegenstand ver- handeln. Zielobjekt der Moralisierung ist die diffuse, unkontrollierbare Mediennutzung, die das Potenzial einer gesellschaftlichen Schädigung birgt. Es ist zudem zwischen moralisierten Subjekten, den Eltern, und moralisierten Objekten, den kindlichen Mediennutzem, zu unterscheiden. Der diskursive Rahmen, in dem das wissenschaftliche oder auf Common- sense beruhende Wissen über Mediengewalt situiert ist, wäre das umfas- sendere archäologische Feld des Mediengewalt-Diskurses, das auch pub- lizistische Verhandlungen des Themas mit einschließt. Gerade in diesem weiteren archäologischen Feld wird die Umstrittenheil der moralischen Regulation von Mediengewalt sichtbar, die Hunt als kennzeichnend für gegenwärtige Moralisierungsprojekte herausstellt. Der politische Kontext des Mediengewalt-Diskurses ist durch die enge Verschaltung mit den neo-liberalistisch fundierten, grundrechtlich verbürgten Gesetzen der Presse- und Meinungsfreiheit markiert, die den Diskurs begrenzen und seine zentralen Ausschlussregeln formulieren. Taktiken oder Techniken der moralischen Regulation formuliert der Diskurs in seinen For- schungspraktiken, in denen er das zu moralisierende Nutzungsverhalten wiederholt und epistemologisch greifbar macht. Dieses moralisierende Wissen formiert sich noch bevor es als wissenschaftliches Wissen über Mediengewalt die Forschungslaboratorien und >natürlichen< Versuchsan- ordnungen verlässt und in publizistischenVerbreitungenden Mediennut- zer zur Regierung seiner selbst bzw. die Familien zur Überwachung ihrer Kinder auffordert. 28 Vgl. P. Sarasin: Reizbare Maschinen, S. 147-172. 29 Vgl. A. Hunt: Goveming Mora1s, S. 28-56. 202 TEIL 2: REGIERUNG DER MEDIENNUTZUNG Im März 1969 spielt sich ein Ereignis ab, das für die Formation des Me- diengewalt-Diskurses von entscheidender Bedeutung ist. Der Vorsitzen- de des Subcommittee on Communications, Senator John Pastore, richtet einen Brief an Robert Finch, den damaligen Sekretär des Gesundheits- ministeriums.' Diesem Ministerium untersteht der Public Health Service einschließlich des Surgeon General, der obersten Instanz dieses Gesund- heitsdienstes. Obwohl es sich zunächst um nichts weiter als um ein schriftliches Gesuch handelt, ist dieses Diskursereignis folgenreich. In seinem Brief fordert Pastore, Mediengewalt als Bezugsproblem staatli- cher Sozialhygiene zu behandeln: »I am exceedingly troubled by the lack of any definitive information which would help resolve the question of whether there is a causal connection be- tween televised crime and violence and anti-social behavior by individuals, es- pecially children. [ ... ] I am respectfully requesting that you direct the Surgeon General to appoint a committee comprised of distinguished men and women from whatever professions and disciplines deemed appropriate to devise tech- niques and to conduct a study nnder his supervision using those techniques which will establish scientifically insofar as possible what harmful effects, if any, these programs have on children. I would hope that such a report and its conclusion would be available to this Subcommittee within one year oftoday's date. I am asking the Surgeon General to undertake this task because of the out- standing contribution made by his Committee through its report on Smoking and Health.«2 Es handelt sich zu dieser Zeit noch um das mehrere Ressorts umfassende Department ofHealth, Education, and Welfare. 2 Pastore, in: Subcommittee on Commnnications ofthe Committee on Com- merce, United States Senate: Hearings. Ninety-First Congress, First Ses- sion on: Review of Policy Matters of Federal Commnnications Commis- sion and Inquiry Into Crime and Violence on Television and a Proposed Study Thereofby the Surgeon General. Part 2. March 12, 19 and 20, 1969, Washington: U.S. Govemment Printing Office 1969, 12.3.1969, S. 337f. 203 AGGRESSIVE MEDIEN Pastores Bitte ist nicht nur erstaunlich, weil ihr Gegenstand schon seit Einführung des Fernsehens in den Vereinigten Staaten verhandelt wird, sondern insbesondere, weil er im Moment ihrer Äußerung in großem Umfang bearbeitet wird: In den 1960er Jahren hat die Zunahme von zivi- len Unruhen und Gewaltakten in den Straßen sowie die Ermordung von John F. Kennedy, Martin Luther King und Robert Kennedy die amerika- nische Öffentlichkeit alarmiert und insbesondere ein politisches Interesse an der Frage verstärkt, ob das noch junge Medium Fernsehen zu gewalt- tätigen Handlungen anreizt. Auf diese Beunruhigung reagierend, hat der damalige Präsident Lyndon Johnson im Juni 1968 die National Commis- sion on the Causes and Prevention of Violence (im Folgenden: Violence Commission) einberufen - bestehend aus 13 Mitgliedern, vorwiegend aus dem politischen Bereich-, unter deren Leitung sich eine Media Task Force mit dem Problem der Mediengewalt befasst. Als Pastore seinen Brief schreibt, wird gerade der Abschlussbericht vorbereitet- der Vorsit- zende des Subcommittee of Communications scheint nicht auf ihn warten zu wollen. Umso verwunderlicher ist, dass die Petition des Senators umgehend beherzigt wird: Der amtierende Surgeon General William Stewart über- trägt dem National Institute of Mental Health die Aufgabe, dem Gesuch aus dem Congress nachzukommen und eine Million Dollar aus seinem Haushalt für Forschungen zur Verfügung zu stellen. Finch ruft das Scien- tific Advisory Committee on Television and Social Behavior des Surge- on General (im Folgenden: Advisory Committee) ins Leben und wählt Sozialwissenschaftler aus, die mit Forschungsprojekten beauftragt wer- den. Nach zweijähriger Forschungsarbeit legt das Komitee dem Surgeon General Ende des Jahres 1971 einen Abschlussbericht mit dem Titel Te- levision and Growing Up: The Impact of Televised Violence vor, der 60 Einzelstudien zusammenfasst. Der Bericht wird von fünf technischen Bänden begleitet, in denen die beteiligten Forscher ihre Studien im Detail beschreiben. Die vorgelegten Berichte stellen den Diskurs jedoch kei- neswegs still, indem sie Pastores Bitte nachkommen und eine >definitive Information< liefern. Vielmehr ziehen sie eine öffentliche Kontroverse und eine exponentiales Wachstum der Mediengewaltforschung nach sich. 1982 konstatiert das NIMH: »Up to 1970, there were about 300 titles, and from 1970 through 1980 there were another 2,500, of which more than two-thirds were published in 1975 or later.«3 3 David Pearl: Television and Behavior: The Years of Scientific Progress and Implications for the Eighties, Bd. 1: Summary Report, Bd. 2: Technical Reviews, Rockville/MD: Institute of Mental Health 1982, hier Bd. 1, S. 2. Vgl. zum Bericht: Surgeon General's Scientific Advisory Committee on Television and Social Behavior: Television and Growing Up: The Impact ofTelevised Violence. Report to the Surgeon General, United States Public Health Service, Washington: U.S. Govemment Printing Office 1972; zu den technischen Bänden: George A. Comstock/Eli A. Rubinstein, (Hg.): Media Content and Control. Television and Social Behavior. Reports and 204 REGIERUNG DER MEDIENNUTZUNG Das dichte und weitläufige diskursive Netz um Pastores Brief exem- plarisch für das >etablierte Feld< des Mediengewalt-Diskurses zu verste- hen, ist einerseits eine Setzung, die für die vorliegende Untersuchung heuristischen Wert hat. Da die Ausgangsüberlegung lautet, der Medien- gewalt-Diskurs formiert sich im Rahmen von Projekten der sozialhygieni- schen Regulation, ist es nahe liegend, die erste umfassende Forschungs- initiative zu analysieren, in der Mediengewalt zum Gegenstand öffentli- cher Gesundheitsfürsorge wird. Die Setzung findet jedoch andererseits Unterstützung in Selbsthistoriografischen Darstellungen sowohl in den Sozialwissenschaften der USA4 als auch im deutschsprachigen Raum,5 in denen das Advisory Committee als entscheidende Etappe in der Medien- gewaltforschung herausgestellt wird. George Comstock, der als Forschungskoordinator das Komitee des Surgeon General betreut hat, beschreibt das -als gängig zu bezeichnende - gleichzeitig topografische, mediale und chronologische Geschichtsmo- dell des Mediengewalt-Diskurses folgendermaßen: Die Kontroverse um mediale Gewaltdarstellung sei, obwohl sie auch in anderen Ländern ge- führt werde, in erster Linie in den USA zu verorten. Auch wenn jedes Medium unter Verdacht gerate, habe sich die Debatte besonders anläss- lich des Fernsehens entfacht. Sie sei daher in der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg zu situieren, wobei eine erste Phase- 1952-1967- dem Prob- lem wachsende Aufmerksamkeit widme, während eine zweite Phase - ab 1968 - von eingehender Untersuchung, Kontroverse und Konfrontation mit der Medienindustrie geprägt sei.6 Zu ergänzen wäre: Der Diskurs fo- kussiert vorrangig kindliche und jugendliche Mediennutzer. Papers, Bd. 1, Washington: U.S. Govemment Printing Office 1972; John P. Murray/Eli A. Rubinstein/George A. Comstock (Hg.): Television and So- cial Leaming. Ebd., Bd. 2; George A. Comstock/Eli A. Rubinstein (Hg.): Television and Adolescent Aggressiveness. Ebd., Bd. 3; Eli A. Rubin- stein/George A. Comstock/John P. Murray (Hg.): Television in Day-to-Day Life: Patterns of Use. Ebd., Bd. 4; George A. Comstock/Eli A. Rubin- stein/lohn P. Murray (Hg.): Television's Effects: Further Explorations. Ebd., Bd. 5. Vgl. zur Geschichte des Advisory Connnittee: Leo Bogart »Waming: The Surgeon General Has Determined That TV Violence Is Moderately Dangemus to Y our Child' s Mental Health«, in: Public Opinion Quarterly 36 (1972), H. 4, S. 491-511; Douglass Cater/Stephen Strickland: TV Violence and the Child. The Evolution and Fate of the Surgeon Gen- eral's Report, New York: Russell Sage Foundation 1975; W. Rowland: Politics ofTV Violence, S. 135-196. 4 Vgl. etwa J. Murray: »Studying Television Violence«, S. 377f. 5 V gl. etwa M. Schenk: Medienwirkungsforschung, S. 63f.. Vg l. aus kultur- wissenschaftlicher Sicht N. Pethes: Spektakuläre Experimente, S. 71-73. 6 George Comstock: »Violence«, in: Erik Bamouw (Hg.), International En- cyclopedia of Connnunications (1989), S. 289-294, hier S. 289f. 205 AGGRESSIVE MEDIEN Im Folgenden wird mit der These, Ende der 1960er Jahre habe sich in den Vereinigten Staaten das Feld des Mediengewalt-Diskurses etab- liert, also gleichzeitig eine diskursive Markierung in den Blick genom- men und damit eine spezifische Form der Diskurskritik angestrebt. Eine medienkulturwissenschaftlich informierte Diskursanalyse, wie sie in der vorliegenden Arbeit unternommen wird, verfolgt nicht das Anliegen, ei- ne andere Geschichte zu erzählen, indem sie Diskursereignisse aufzufin- den versucht, die in Selbsthistorisierungen nicht in den Blick genommen wurden. Stattdessen unternimmt sie den Versuch, eine neue Perspektive einzunehmen, und erhofft sich dabei nicht mehr, sondern anderes zu se- hen. Notwendigerweise orientiert sich eine so verstandene Diskurskritik an Ereignissen und Zäsuren, die im Mediengewalt-Diskurs selbst als zentrale historische Gegebenheiten verhandelt werden, und fragt nach den Gründen nicht nur für ihre historische, sondern auch für ihre his- toriografische Bedeutung. Dass diese Gegebenheiten im Diskurs zentral sind, kann wiederum als Stützung der Ausgangsüberlegung verstanden werden: Auch in seinen Selbsthistorisierungen gibt sich der Medienge- walt-Diskurs als sozialhygienischer Diskurs zu erkennen. Um Pastores Brief als Knotenpunkt eines Diskursnetzes zu analysie- ren, wird im folgenden zweiten Hauptteil der Untersuchung dementspre- chend der Zeitraum zwischen 1968 und 197 5 im US-amerikanischen Mediengewalt-Diskurs, der die Gefahrdung kindlicher und jugendlicher Fernsehzuschauer auslotet, fokussiert. Dieses Diskursnetz lässt sich auch als >Experimentalsystem< 7 bezeichnen, das die wissenschaftlichen Prak- tiken umfasst, die im Rahmen der Violence Commission und des Adviso- ry Committee zu beobachten sind und die Senatsanhörungen und Korres- pondenzen ebenso wie Publikationen in Fachorganen und publizistische Debatten umfasst. Die einzelnen Segmente des Medienwirkungs- Diskurses - seine wissenschaftlichen, politischen, ökonomischen, päda- gogischen und medizinischen Bestandteile -, die im vorangegangenen Teil getrennt voneinander in den Blick genommen wurden, sollen nun in ihrer Verflochtenheit und in ihren Reibungspunkten analysiert werden. Während im ersten Hauptteil selektive diachrone Schnitte vorgenommen wurden, die sich zum Teil - wie etwa im Fall der Katharsisthese - über mehrere Jahrhunderte erstreckt haben, soll die folgende Analyse histo- risch punktuell ein diskursives Ereignis gewissermaßen einem close rea- ding unterziehen. 7 Vgl. H.-J. Rheinberger/M. Hagner 1993: »Experimentalsysteme«, S. 9. 206 1 KONTEXTE DER WISSENSPRODUKTION »Commissions are usually established in Times of Trouble«:' Das kon- krete Ereignis, nach dem Präsident Johnson in einer executive order im Juni 1968 veranlasst, die National Commission on the Causes and Pre- vention of Violence einzurichten, ist die Ermordung des Senators Robert F. Kennedy. In der Perspektive einer besorgten öffentlichen Debatte han- delt es sich bei diesem Auslöser um ein weiteres Ereignis, das als Indiz dafür zu bewerten ist, inwiefern die amerikanische Gesellschaft in den 1960er Jahren einer zunehmenden Gewalttätigkeit verfalle. Nicht nur vo- rangegangene Anschläge auf prominente Personen des öffentlichen Le- bens, wie John F. Kennedy und Martin Luther King, auch gewaltsame Konflikte im Zuge von Bürgerrechtsbewegungen, die umstrittene ameri- kanische Beteiligung am Vietnamkrieg, Studentenunruhen und Ghetto- kämpfe werden als Gewalthandlungen wahrgenommen, die das allge- meine Klima prägen, und schüren die zunehmende Angst vor einer »Contagion ofViolence«.2 Die Violence Commission- nach ihrem Vorsitzenden Milton Eisen- hower auch Eisenhower-Kommission genannt- ist nicht der erste Rah- men, in dem Mediengewalt zum Gegenstand einer regierungspolitischen Untersuchung wird. Von 1954 bis 1965 hat sich der amerikanische Kon- gress im Subcommittee to Investigate Juvenile Delinquency mehrfach Robert K. Merton: »Social Knowledge and Public Policy. Sociological Per- spectives on Four Presidential Commissions«, in: Mirra Kamarovsky (Hg.), Sociology and Public Policy. The Case of Presidential Commissions, New York, Oxford, Amsterdam: Elsevier 1975, S. 153-177, hier S. 159. 2 Leonard Berkowitz: »The Contagion of Violence: An S-R Mediational Analysis of Some Effects of Observed Aggression«, in: William J. Ar- nold/Monte M. Page (Hg.), Nebraska Symposium on Motivation 1970, Lincoln: University of Nebraska Press 1971, S. 95-135. Vgl. zu den Be- zugsproblemen der Violence Commission: W. Rowland: Politics of TV Violence, S. 116. Neuere historiographische Studien weisen darauf hin, dass in den 1960er/70er Jahren in den USA eine umfassende Reflexion über Gewalt in der Gesellschaft stattfindet. Vgl. Jürgen Martschukat (Hg.): Gewalt in den USA der 1960er und 1970er Jahre. Amerikastudien/ American Studies 49 (2004), H. 3. 207 AGGRESSIVE MEDIEN mit möglichen medialen Ursachen von Kriminalität beschäftigt.3 Im Rahmen der ersten öffentlichen Anhörungen zur Frage, ob das neue Me- dium Fernsehen durch seine Gewaltdarstellungen die Gesellschaft schä- digen könnte, 1952 im Repräsentantenhaus und 1954 im Senat, sind zwei Sozialwissenschaftler als Experten beteiligt gewesen: Die Psychologin Eleanor Maccoby und der Soziologe Paul Lazarsfeld haben bereits in den 50er Jahren die Mediengewaltforschung auf diese Weise im Schnittbe- reich von empirischer Psychologie und Soziologie formiert. 4 Die Besonderheit der Violence Commission liegt aber darin, Me- diengewalt als eine mögliche Erklärung in ein Spektrum von Faktoren, aus denen die Gewalttätigkeit der Gesellschaft resultieren könnte, einzu- ordnen. Unter sieben Arbeitsgruppen, die sich Themen wie Gruppenge- walt, Mord oder Schusswaffen widmen, richtet die Kommission auch ei- ne Media Task Force ein.5 Allein dass Mediengewalt in dieser Reihung auftaucht, formiert ihren Stellenwert als soziales Problem, wobei sie gleichzeitig wiederum relativiert wird, indem sie als ein möglicher Fak- tor unter vielen erscheint. Die Kommission veröffentlicht ihre Ergebnisse in einem 15-bändigen Bericht. Einer dieser Bände, erstellt von David Lange, Robert Bakerund Sandra Ball, fasst unter dem Titel Mass Media and Violence die Ergebnisse und Handlungsempfehlungen der Media Task Force zusammen. 6 Die Art und Weise, wie der Abschlussbericht der 3 Rowland diskntiert ausführlich die jeweils nach den Senatoren, die sie initi- iert haben, benannten Komitees: Harris Subcommittee (1952), Hedrickson- Kefauver Subcommittee (1954-1955) nnd das Dodd Subconnnittee (1961- 1964). Der Comic-Gegner Wertharn hat im Dodd Subconnnittee als Exper- te ausgesagt. Vgl. W. Rowland: Politics ofTV Violence, S. 99-115. 4 Vgl. J. Murray: »Studying Television Violence«, S. 370. 5 Die Media Task Force stellt kaum eigene Studien an, sondern resümiert hauptsächlich bereits durchgeführte Forschnngen. Wichtige Ausnahme ist die neu etablierte content analysis, die George Gerbner nnd seine Mitarbei- ter für das amerikanische Fernsehen von diesem Zeitpnnkt an jährlich durchführen. Vgl. W. Rowland: Politics ofTV Violence, S. 119. AufGerb- ners so genannte Violence Profiles wird im Kapitel Formatierung der Wis- sensordnung noch eingegangen. 6 Vgl. David L. Lange/Robert K. Baker/Sandra J. Ball: Mass Media and Vio- lence. A Staff Report to the National Connnission on the Causes and Pre- vention of Violence, Washington: U .S. Govemment Printing Office 1969. Die Berichte der sieben Task Forces der Violence Commission haben fol- gende Titel: Violence in America, Crimes of Violence, The Politics of Pro- test, Assassination and Political Violence, Law and Order Reconsidered, Firearms and Violence in American Life, Mass Media and Violence. V gl. den abschließenden und zusammenfassenden Bericht der National Com- mission on the Causes and Prevention ofViolence: To Establish Justice, to Insure Domestic Tranquility. Final Report of the National Commission on 208 KONTEXTE DER WISSENSPRODUKTION Violence Commission, in dem kurze Statements der einzelnen Arbeits- gruppen gebündelt werden, die Mediengewalt-Frage trotz aller Relativie- rungen positiv beantwortet, also einen Zusammenhang zwischen media- ler Gewaltdarstellung und sozialer Gewalt konstatiert, ist ganz deutlich von moralisierenden Aussagen geprägt. Die Media Task Force beschreibt das Fernsehen als gefahrlich, weil es inakzeptable Wertvorstellungen verbreite: »We believe it is reasonable to conclude that a constant diet ofviolent behavior on television has an adverse effect on human character and attitudes. Violence on television encourages violent forms of behavior, and fosters moral and so- cial values about violence in daily life which are unacceptable in a civilized so- ciety. We do not suggest that television is a principal cause ofviolence in society. We do suggest it is a contributing factor. Television, of course, operates in a com- plex social setting and its effects are undoubtedly mitigated by other social in- fluences. But it is a matter for grave concem that at a time when the values and the influence oftraditional institutionssuch as family, church, and school are in question, television is emphasizing violent, antisocial styles of life.«7 Schon in den 1960er und 70er Jahren haben sich Soziologen, die teilwei- se selbst in präsidialen Kommissionen beteiligt gewesen sind, mit der Frage beschäftigt, welche Möglichkeiten und Schwierigkeiten sich erge- ben, wenn sozialwissenschaftliches Wissen in politischen Fragen als Ex- pertenwissen zu konkreten Empfehlungen führen soll. 8 Auf dasselbe Be- zugsproblem reagierend, aber mit ganz anderer Fragestellung, hat Wil- lard D. Rowland 1983 in seiner Studie The Politics of TV Violence aus der Perspektive der »critical cultural studies«9 sich mit der politischen und wirtschaftlichen Einsetzbarkeit der >administrativen< quantitativen the Causes and Prevention of Violence, Washington: U.S. Govemment Printing Office 1969. 7 Ebd., S. 199. 8 Vgl. Paul F. Lazarsfeld/Martin Jaeckel: »The Uses of Sociology by Presi- dential Commissions«, in: Kamarovsky (Hg.), Sociology and Public Policy (1975), S. 117-142. - Lazarsfeld und Jaeckel verweisen auf eigene Beschäftigungen mit den Thema in dem 1960er Jahren; V gl. auch R. Mer- ton: »Social Knowledge«; James F. Short: »The National Commission on the Causes and Prevention ofViolence. Reflections on the Contributions of Sociology and Sociologists«, in: Kamarovsky (Hg.), Sociology and Public Policy (1975), S. 61-91. 9 W. Rowland: Politics of TV Violence, S. 15. Auch wenn sich die vorlie- gende Arbeit - wie im Folgenden verdeutlicht -von der Perspektivierung und den zentralen Thesen Rowlands distanziert, profitieren die folgenden Ausruhrungen von seiner materialreichen historischen Aufarbeitung der Thematik. 209 AGGRESSIVE MEDIEN Sozialforschung auseinandergesetzt Aus Rowlands Sicht schafft sich die Forschung, indem sie Politik und Wirtschaft die gewünschten Ergebnisse verspricht, in Kommissionen und Anhörungen ein Forum, in dem sie sich zum unersetzbaren Experten erhebt und damit weitere wissenschaftliche Aktivitäten sicherstellt. 10 Im Fall der Violence Commission kritisiert Rowland, dass die Media Task Force keine konkreten Empfehlungen ausspricht, die das Mediensystem in den USA fundamental irrfrage stel- len. In erster Linie ginge es der empirischen Sozialwissenschaft darum, auf die Notwendigkeit weiterer Studien zu verweisen, um ihre eigene Po- sition im Geflecht von politischen und wirtschaftlichen Interessen auf Dauer zu stellen." Der Fokus des folgenden Abschnitts liegt nicht auf der Frage nach den Einsatzmöglichkeiten der Mediengewaltforschung im Dienst von Po- litik und Wirtschaft. Wenn Senator Pastore, noch bevor die Violence Commission ihren Bericht veröffentlicht, eine neue Forschungsinitiative startet, macht dies zwar eindrücklich deutlich, dass die unabschließbare Suche nach dem definitiven Beweis für Mediengewalt ein Aspekt ist, der in einer diskurshistorischen Untersuchung der Mediengewaltforschung Beachtung finden muss. Auch im Folgenden wird dieser Aspekt also eine zentrale Frage bilden. Jedoch ist stark zu bezweifeln, dass der Zirkellauf der sich ablösenden, einander scheinbar nicht zur Kenntnis nehmenden Forschungsprojekte sich allein mit einem Verweis aufwissenschaftspoli- tische Strukturen erklären lässt. Die folgenden Ausführungen verfolgen daher zwei Leitfragen: Zunächst wird untersucht, inwiefern divergieren- de diskursive Sprachregelungen innerhalb des Mediengewalt-Diskurses verhindern, dass ein Unternehmen wie die Violence Commission zu ei- ner- im Sinne aller Beteiligten - abschließenden Lösung der Medien- gewalt-Frage kommen kann. Schließlich wird Gegenstand der Analyse sein, ob die Violence Commission eine Regulation von Mediengewalt anstrebt, in der es gerade darum geht, die Kurzschlussformel in einer un- geklärten Schwebe zu halten, ob die Mediengewalt-Frage also in gewis- ser Weise unbeantwortet bleiben muss. Senator Pastores Briefund seine Folgen wären dann eine konsequente Fortsetzung und Forcierung dieses Regulationsproj ekts. 10 »[ ... ] [T]he communication research community began to find itself ele- vated to the status of indispensible expert. With the promise of increasing public approbation, funding, and prestige, there was little pressure to con- sider any questions about the intellectual and policy accommodations im- plicit in allowing a research field to define itself largely in light of the needs of its industrial and governmental clients.« Ebd., S. 114f. 11 Vgl. ebd., S. 132f. 210 KONTEXTE DER WISSENSPRODUKTION Rhetoriken der Beweisführung Der in der Werbebranche tätige Sozialwissenschaftler Leo Bogart war als staff consultant an der Media Task Force der Violence Commission be- teiligt. Dem Advisory Committee des Surgeon General gehörte er jedoch nicht an, obwohl er sich zunächst in der engeren Auswahl der Wissen- schaftler befand, die im Public Health Service für einen Beratungsposten vorgesehen waren. Am Beispiel Bogart zeigen sich exemplarisch die Konflikte zwischen Sozialwissenschaft und Sendeanstalten, denn er wird auf Wunsch der Fernsehindustrie aus dem Kreis der designierten Wissen- schaftler ausgeschlossen. 12 1972 äußert Bogart im Fachorgan Public Opinion Quarterly, in einem Artikel mit dem bezeichnenden Titel »War- ning: The Surgeon General Has Determined That TV Violence is Moder- ately Dangerous to Your Child's Mental Health«, seinen Unmut über den erneuten Forschungsaufruf des Senators Pastore: »As though this au- thoritative, extensive, and expensive review of the subject by the Eisen- hower Commission had never taken place, a request for >definitive in- formation< was made in March, 1969, by Senator John Pastore«. 13 Bogart rezensiert die Berichtsbände des Advisory Committee durch- aus lobend, fragt sich aber, ob die Studie wirklich notwendig gewesen wäre. Die Frage der Mediengewalt sei schließlich in der Violence Com- mission klar beantwortet und mit Handlungsanweisungen verknüpft wor- den: In ihrem Bericht appelliert die Media Task Force an die Verantwort- lichkeit der Medieninstitutionen, empfiehlt mediale Gewaltdarstellungen zu reduzieren und schlägt zudem die Gründung eines Centers for Media Study vor, das von Regierung und Wirtschaft unabhängig forschen soll. 14 Als Pastore seine Forderung formuliert, liegt der Abschlussbericht der Violence Commission zwar noch nicht vor. Der Senator befindet sich aber ganz und gar nicht in Unkenntnis über den Stand der Kommissions- arbeit. Dem Subcommittee on Communications ist zu diesem Zeitpunkt bereits ein vorläufiger Bericht bekannt. Dennoch drängt Pastore zur Eile, behauptet, nachdem die Commission nicht einmal ein Jahr besteht, das Ergebnis dürfe nun nicht länger auf sich warten lassen, und setzt ein neu- es Forschungsunternehmen in Bewegung. 15 Warum diese Schieflage zwi- 12 Dieses Ausschlussverfahren wird im Folgenden noch ausfiihrlicher erläu- tert. 13 L. Bogart: »Waming«, S. 495. Der Titel spielt auf die Warnungen des Sur- geon General vor den gesundheitsschädigenden Folgen des Rauchens an, die nach einem Kongressbeschluss kurz vor der Veröffentlichung von Bo- garts Artikel auf allen Zigarettenschachteln aufgedruckt sein müssen. Auf das Beratungskomitee des Surgeon General, das diesem Beschluss voraus- geht, wird im Folgenden noch eingegangen. 14 Vgl. D. Lange/R. Baker/S. Ball: Mass Media, S. 381-393. 15 Vgl. den im Protokoll einer Senatsanhörung abgedruckten Bericht: Sub- committee on Communications: Hearing, 12.03.1969, S. 361-367; Pastore erwähnt die Violence Commission auch in seinem Brief (vgl. ebd., S. 337). 211 AGGRESSIVE MEDIEN sehen vorbereiteten bzw. vorliegenden Ergebnissen und der Forderung nach einer >definitiven Informationproving< a case against TV violence, or failing to prove it. The legal analogy simply does not apply to sci- ence, where we come ever closer to an elusive truth by a constant re- examination of the evidence, where exceptions are more interesting than gener- alizations, and where the quality of almost any study is to be judged not only by its findings but by the new questions it presents.«16 Bogart beruft sich hiermit auf die Diskursregeln der empirischen Sozial- forschung, die immer nur eine Annäherung an eine per se unerreichbare Wahrheit ermöglichen, immer nur die Falsifikation, niemals die Verifika- tion einer Hypothese gestatten. Indirekt ruft er damit auch die Problem- lage auf, die im vorangegangenen Teil als prekärer Status des Kausali- tätsbeweises in der Wirkungsforschung beschrieben wurde, der letztlich auf eine Inkompatibilität von statistischem Positivitätsanspruch und Kau- salitätsmessung zurückgeht und deshalb sofort Mechanismen der Wir- kungsstabilisierung einfordert. Bogart macht auch deutlich, dass dieses Problem sich für den Nachweis medialer Wirkung noch verschärft: »The entire history of mass communications research has shown the tremen- dous difficulty of teasing out specific effects from the tissue of surrounding so- cial influences. The absence of conclusive results, when rigorous criteria of sta- tistical significance are applied, may reflect the limitations of our available re- search methodology more than any weakness in the influences being as- sessed.«17 Was Bogart diesen Grenzen der Forschungsmethoden als ein Verfahren der Wirkungsstabilisierung entgegensetzt, ist kein behavioristisches oder suggestives Arrangement der Macht, sondern - der gesunde Menschen- verstand. Seine Argumentation wandelt sich hier zu fast provozierend- vereinfachenden Postulaten: »Common sense tells us that communica- tions leave effects and that violence is bad rather than good. A substantial body of evidence supported these premises before the present project [the Advisory Committee, I.O.] was undertaken.« 18 Vgl. auch W. Rowland: Politics of TV Violence, S. 140f. Rowland erklärt dieses Rätsel - recht vage - mit einer veränderten Kommunikationspolitik unter der Präsidentschaft Richard Nixons. Vg l. ebd., S. 141-144. 16 L. Bogart: »Waming«, S. 516. 17 Ebd., S. 518. 18 Ebd., S. 516. 212 KONTEXTE DER WISSENSPRODUKTION Bogart verhandelt hier zwei unterschiedliche Beweisbegriffe, deren semantische Färbungen sich im Deutschen nicht ohne weiteres wieder- geben lassen: proof und evidence. Während proof sich auf einen konkre- ten Gegenstand oder Sachverhalt bezieht und von Bogart mit demjuristi- schen Diskurs in Verbindung gebracht wird, bleibt evidence, ein Begriff, der sich auf eine bestimmte Eigenschaft des Beweises, auf seinen >Evi- denzcharakter< bezieht, in seinen Ausführungen den sozialwissenschaft- liehen Befunden zur Mediengewalt vorbehalten: Im Unterschied zu ei- nem bewiesenen Sachverhalt steht die Schädlichkeit medialer Gewaltdar- stellung nach Bogart klar vor Augen, es ist ein grundlegendes Charakter- istikum dieses Zusammenhangs, offensichtlich zu sein: Die Formel >Me- diengewalt< kann nicht bewiesen werden, aber sie hat die Eigenschaft, unmittelbar einzuleuchten. 19 Wenn Bogart darauf verweist, dass die >legal analogy< nicht auf sozi- alwissenschaftliche Bereiche applizierbar sei, hat dies einen speziellen Hintergrund. Die Violence Commission ist in besonderem Maße von In- terferenzen zwischen juristischem und sozialwissenschaftlichem Diskurs geprägt, weil jede der einzelnen Task Forces in Form einer Co-Leitung jeweils einem Forscher aus den beiden Diskursfeldern untersteht- eine Innovation, die im Nachhinein als äußerst problematisch beschrieben wird.20 Robert K. Merton bringt die Problematik zwischen Recht und So- zialwissenschaft, die in jeder politischen Kommission besteht und in der Konstellation der Violence Commission auf die Spitze getrieben wird, ebenfalls mit unterschiedlichen Formen der Beweisführung in Verbin- dung, wobei er sich ganz auf unterschiedliche Evidenzformen des Be- weises, also auf evidence bezieht: »The modes and loci of diverse and sometimes rival professional expertise are themes running throughout the reported behavior of staffs and commissioners. These are perhaps best crystallized in the preference of lawyers for use of swom eye-witness depositions, and the contrasting preference of sociologists for interviews, social surveys, and other quantitative evidence. These prefer- ences are sustained by a considerable professional apparatus and a not incon- siderable academic apparatus by which the evidence is evaluated. The reward system of science and leaming, centered in peer review, reinforces the differen- tial attachment to types of evidence. «21 Die Reibungspunkte zwischen Recht und Sozialwissenschaft zeigen sich vielleicht am deutlichsten in den so genannten Mass Media Hearings, die bereits im Dezember 1968 stattfinden, Pastore also bei der Formulierung 19 V gl. zu dieser Unterscheidnng von proof und evidence die Anm. 1 des Übersetzers Michael Cnntz zu Bill Nichols: »Evidence- Fragen nach dem Beweis«, in: Michael Cuntz u.a. (Hg), Die Listen der Evidenz (2006), S. 86-100, hier S. 98. 20 Vgl. P. Lazarsfeld/M. Jaeckel: »Uses ofSociology«, S. 123. 21 R. Merton: »Social Knowledge«, S. 165. 213 AGGRESSIVE MEDIEN seines Forschungsaufrufs im März 1969 bekannt sind. Hier treten die So- zialwissenschaftler gewissermaßen als Augenzeugen vor die von Präsi- dent Johnson ernannten Mitglieder der Violence Commission, und hier werden die unterschiedlichen Verfahren der Beweisführung am deut- lichsten. In den Anhörungen wird ein weiterer Aspekt offensichtlich: Die sozialwissenschaftliehen Experten sind sich keineswegs einig, sondern wählen ihrerseits unterschiedliche Strategien der Beweisführung. Bogarts Expertenmeinung wird am zweiten Tag angehört. Hinsicht- lich des Beweises von Mediengewalt argumentiert er ganz ähnlich wie vier Jahre später in der Public Opinion Quarterly: Die evidence von Me- diengewalt jenseits jeglicher statistischer Signifikanz sei aus seiner Sicht deutlich genug.22 Den argumentativen Duktus, dass trotz eines nicht zu erbringenden wissenschaftlichen Beweises der mögliche Zusammenhang von medialer Gewaltdarstellung und sozialer Gewalt schon ausreicht, um politische Handlungsanweisungen zu formulieren, vertritt der Sozialpsy- chologe Percy Tannenbaum schon am ersten Tag der Anhörungen: »The verdict, as I said, is not proven. I don't think it will be proved in my life- time, certainly not in the lifetime of this Commission. And if that is what you are looking for, I think you better stop now. The question is, when is there a reasonable doubt; when are there grounds so that we can take the chance? There are a lot of things at stake.«23 Ganz ähnlich wie Bogart und Tannenbaum bezweifelt auch Leonard Ber- kowitz, dass die Forschung jemals einen Beweis liefern könne, der im Rechtsbereich tragfahig wäre: »I would like strongly to support the con- tention that very few if any scientific statements are ever proven. All we can do really is to offer educated guesses and probability statements.«24 In der Beschreibung seiner Experimente und in Verweisen auf die Expe- rimente Banduras spricht Berkowitz dann ebenfalls von evidence oder von significance der Befunde. Im Gegensatz zu Bogart beharrt er aber auf der unklaren Beweislage einer medieninduzierten Gewalttat, ohne auf den gesunden Menschenverstand auszuweichen: »I am not offering any definite statements; all I was offering was a probability statement- I was saying there is some likelihood, perhaps low, but some likelihood that this could happen.«25 22 »The experimental evidence regarding the effects of media violence on children's subsequent behavior is to me entirely convincing so far as it goes. I am not concemed about efforts of statistical significance when ex- periment after experiment points in the same direction.« Bogart, in: Paul L. Briand (Hg.): Violence and the Media. Mass Media Hearings, Bd. 9A, Washington: U.S. Govemment Printing Office 1969, S. 103. 23 Tannenbaum, in: P. Briand (Hg.): Mass Media Hearings, S. 47. 24 L. Berkowitz, ebd., S. 36. 25 Ebd., S. 42. 214 KONTEXTE DER WISSENSPRODUKTION Als ein noch unbequemerer- zugespitzt könnte man sagen: noch un- brauchbarerer - Experte erweist sich Joseph Klapper, ein Sozialwissen- schaftler, der aus der Forschergruppe um Lazarsfeld stammt und der das Paradigma der begrenzten Medienwirkung vertritt. Er tritt als Direktor des Office of Social Research beim Sender Columbia Broadcasting Sys- tem vor die Violence Commission.26 Im Protokoll seiner Befragung ma- nifestieren sich die verzweifelten Versuche der Kommissionsmitglieder, ihn auf eine definitive >Zeugenaussage< festzunageln. Klapper verweigert diese nicht nur, indem er in einem Abriss der bisher geleisteten For- schung im Unterschied zu Bogart und Berkowitz darlegt, dass noch keine evidence für Mediengewalt erbracht wurde.27 Er legt auch den prekären Status der Beweisführung offen, dem die Mediengewaltforschung nur über zwei Wege entrinnen könne: »lf research has revealed nothing that one can base a policy decision on, it seems to me there are two things you do: one is you try to do more research, and the other is you take common sense steps.«28 Die Wirkungsforschung kann ihre Ergebnisse al- so entweder nur als Zwischenergebnisse präsentieren oder sie muss auf Aussagen ausweichen, die nicht ihren Diskursregeln entsprechen - wie eben eine durch Commonsense verbürgte Empfehlung. Klapper wählt in seiner Anhörung zwar den ersten Weg und fordert grundsätzlich, dass die Forschung besser und adäquater werden müsse. Die Medienwirkungsfrage beantwortet er allerdings - wobei er positive und negative Wirkungen konsequent gleich behandelt - mit ausgestellter 26 Rowland sieht in Klappers Anhörung eine Veranschaulichung der Interes- senverflechtung von Sozialforschung und Medienindustrie. Die Sozialfor- schung, so Rowland, ist überhaupt nicht dazu in der Lage, sich in eine op- positionelle Position zur Medienindustrie zu bringen, weil sie ihr eigenes forschungspolitisches Interesse verfolgen muss, auch von der Industrie als Expertenkreis zurate gezogen zu werden. Ein wichtiges Indiz hierfiir ist nach Rowland, dass Klappers viel beachtete Studie The Effects of Mass Communication (1960), in der er das Postulat der begrenzten Effekte for- muliert hat, von CBS gesponsert worden ist. Vgl. W. Rowland: Politics of TV Violence, S. 124-127. 27 Klapper kritisiert u.a., Bandura und Berkowitz hätten in ihren Experimen- ten einen lebensfernen Gewaltbegriff zugrunde gelegt. Weder Aggressio- nen gegen die Bobo-Puppe noch das Austeilen von Elektroschocks ist nach Klapper im konkreten experimentellen Setting an eine Verletzung von so- zialen Normen gebunden, denn im Experiment werde das Schlagen der Puppe bzw. die Bestrafung mit Elektroschocks den Versuchspersonen durchaus als akzeptierte Handlung präsentiert. Klapper geht davon aus, dass Gewalt immer auch eine Verletzung sozialer Normen und Werte be- deutet. V gl. J. Klapper, in: P. Briand (Hg.): Mass Media Hearings, S. 17- 21. Es wird auf den Stellenwert der gesellschaftlichen Normen im Kapitel Von der Gewalttat zum alltäglichen Normverstoß zurückzukommen sein. 28 Ebd., S. 35. 215 AGGRESSIVE MEDIEN Unwissenheit, was Kommissionsmitglieder wie den Staatsanwalt Leon Jaworski zu insistierender Nachfrage provoziert: »Mr. Jaworski: [ ... ] Now, couldn't television, for instance, have programs that placed greater emphasis on good citizenship, the value of it, to show what the life of delinquency or the first act of crime that a young person commits, what that leads to eventually as far as his future life as a citizen is concemed? [ ... ] Dr. Klapper: Certainly television could show these things. What effect they would have, I don't know. I mean just as I don't know what effect the depic- tions of violence have. One thing, of course, I would say, is they have to be good programs. They have tobe programs people want to see. Mr. Jaworski: You don't have a study on it, because it is not being done now. But, as a sociologist, what is your opinion? Don't you believe it would have a helpful and valuable effect? Dr. Klapper: Well, sir, for 26 years, or rather for 22 years, I have been engaged in urging people not to guess and to rely on fact. I don't know. I doubt that it would have any effect unless it was complemented by parallel influences from other walks of life which would have tobe subtle. [ ... ] Television certainly couldn't do any harm in doing what you are suggest- ing, but I just honestly don't know whether it would have an effect.«29 Klapper verlässt, nach mehrfacher Nachfrage seitens der Violence Com- mission, den Bereich der sozialwissenschaftliehen Sprachregelung, nur um spekulativ seine eigene Meinung zu äußern, nach der mediale Gewalt nur extrem unwahrscheinlich zu sozialer Gewalt führt. 30 Auf eine politi- sche Handlungsempfehlung, die auf Commonsense beruht, lässt er sich nicht ein. Ein weiteres Kommissionsmitglied, die Botschafterirr Patricia Roberts Harris, schließt die argumentative Figur, der Klapper sich ver- weigert: »I think when scientific data fail us that we then revert to the point that I re- ferred to as conventional wisdom and when people have a strong feeling that something negative has happened, unless scientific data indicate that this is not true I suspect our obligation is to deal in terms ofthe conventional wisdom, and then hope the data will catch up with it. 29 Ebd., S. 23f. Die teilweise verzerrte Syntax ist der wörtlichen Wiedergabe von Oralität geschuldet. 30 »Very well. Speaking then, making the usual protestations as a researcher that I hate to speak speculatively, I will now speak speculatively. It is my personal opinion that in reference to fictional portrayals of violence - portrayals of violence in fiction - the likelihood that witnessing depictions of violence would lead anybody other than an occasional psychopath into acts ofviolence is very, very unlikely. I would not go sofaras to say it did not occur.« J. Klapper, ebd., S. 29. 216 KONTEXTE DER WISSENSPRODUKTION In other words, the fact that it is not proven does not say to me that we cannot act; it says to me, move ahead quickly to prove it, but in the meantime take those steps that conventional wisdom suggest ought tobe taken.«31 Wenn die Daten doch ohnehin nur dazu dienen sollen, politische Maß- nahmen nachträglich abzusichern, warum löst die Mediengewaltfor- schung eine solche Unzufriedenheit aus, die gleichzeitig auf die große Bedeutung verweist, die man ihr beimisst? Warum bekundet Senator Pastore wenige Monate nach den Anhörungen seine Unzufriedenheit über den Mangel an definitiver Information - die prekären Begriffe proof und evidence vermeidend-, wo die Sozialwissenschaftler doch mehrfach darauf verwiesen haben, dass sie nicht in der Lage seien, sie zu liefern? Möglicherweise, weil die Rolle der Sozialwissenschaftler im etablierten Feld des Mediengewalt-Diskurses darin besteht, die definitive Informati- on immer wieder nicht zu erbringen. Regulation statt Kontrolle Im Dezember 1969 legt die Violence Commission ihren Abschlussbe- richt mit dem bezeichnenden, auf die Präambel der amerikanischen Ver- fassung verweisenden Titel To Establish Justice, to Insure Domestic Tranquility vor. In der Einleitung, die schon zahlreiche Empfehlungen darüber enthält, wie die Gewalt in der amerikanischen Gesellschaft in den Griff zu bekommen ist, findet sich folgende aufschlussreiche Passage: »Necessary as measures of control are, they are only apart ofthe answer. They do not eure the basic causes of violence. Violence is like a fever in the body politic: it is but the symptom of some more basic pathology which must be cured before the fever will disappear. Indeed, if measures of control were this society's only response to violence, they would in the long rnn exacerbate the problem. The pyramiding of control measures could turn us into a repressive society, were the peace is kept primar- ily through official coercion rather than through willing obedience to law. That kind of society, where law is more feared than respected, where individual ex- pression and movement are curtailed, is violent too - and it nurtures within it- self the seeds of its own violent destruction. In this Report, we analyze basic causes which underlie the chief varieties of contemporary violence. We make a number of recommendations directed to removing these causes.«32 Auffallig ist zunächst die medizinische Metaphorik, die schon auf die Nähe zu dem Forschungsunternehmen verweist, das zeitgleich der Sur- 31 P. Harris, ebd., S. 27. 32 National Commission: Establish Justice, S. xix. 217 AGGRESSIVE MEDIEN geon General auf den Weg bringt. Gewalt wird schon hier mit einer Krankheit der Gesellschaft in Verbindung gebracht. Sie fungiert als Form der Sichtbarkeit einer grundlegenden sozialen Pathologie, ist ein Sym- ptom, dessen Ursachen gefunden und beseitigt werden müssen, um die Gesellschaft zu heilen. Als eine dieser Ursachen für die soziale Krankheit verhandelt die Violence Commission die Massenmedien. Was diese medizinische Rhetorik aufscheinen lässt, macht der zweite Absatz des Zitats explizit: Die Violence Commission strebt keine repres- sive Kontrolle von Gewalt an. Als Schreckensszenario, das es zu vermei- den gilt, wird das Bild einer Gesellschaft gezeichnet, die über ihre Maß- nahmen der Kontrolle Gewalt reproduziert anstatt sie zu beseitigen. Die Differenz zwischen der Repression von Gewalt und dem eigenen V orge- hen, das in Ursachenanalyse und der Formulierung von Empfehlungen besteht, wie diese Ursachen zu beseitigen sind, lässt sich mit der Diffe- renz in Verbindung bringen, die Foucault zwischen einer Disziplinarge- sellschaft und einer Gesellschaft beschreibt, deren Gouvemementalität über biopolitische Regulation organisiert ist, über eine Form der Regie- rung also, die in liberalistischem Sinne auf die Eigenverantwortung freier Subjekte setzt. Die Media Task Force verhandelt die prekäre Aufgabe, Gewalt zu regulieren, ohne sie repressiven Kontrollmaßnahmen zu unterwerfen, in Auseinandersetzung mit dem First Amendment, das in der amerikani- schen Verfassung seit 1791 die Presse- und Meinungsfreiheit als demo- kratisches Grundrecht verbürgt.33 Der Verfassungsartikel gilt als Eckpfei- ler der amerikanischen Demokratie und bildet, wie auch in aktuellen De- batten noch deutlich wird, ein Spannungsfeld für Fragen der Medienge- walt Die Verfasser des Amendments Thomas Jefferson und James Madi- son, so eine aktuelle Publikation des so genannten First Amendment Centers,34 »could not have anticipated today's technology or popular cul- ture, but they certainly recognized the importance of a free exchange of ideas to a free society.«35 Die emphatische Beschreibung einer freien Ge- sellschaft bekommt im Rahmen der Mediengewalt-Debatte besondere Brisanz. Besonders nach dem Massaker in der Columbine Highschool in 33 »Congress shall make no law respecting an establishment of religion, or prohibiting the free exercise thereof; or abridging the freedom of speech, or of the press; or the right of the people peaceably to assemble, and to peti- tion the Govemment for a redress of grievances.« First Amendment Cen- ter: »About the First Amendment«. Vgl. zum First Amendment auch das Kapitel Werbung: Ökonomie der Suggestion. 34 Das First Amendment Center bemüht sich durch Veranstaltungen und Ver- öffentlichungen darum, die amerikanischen Bürger über ihre Grundrechte aufzuklären. Vgl. die Homepage: http://www.firstamendmentcenter.org vom 24.1.2006. 35 Kenneth A. Paulson: »The First Amendment. Preface«, in: Media Studies Joumal14 (2000), H. 3, S. ixf., hier S. x. 218 KONTEXTE DER WISSENSPRODUKTION Littleton, Colorado, im Jahr 1999, das man ebenso wie den Erfurter Amoklauf als medieninduzierte Nachahmungstat diskutiert, wird im Amendment Center eine Debatte über das Spannungsverhältnis von Si- cherheit an amerikanischen Schulen und dem Recht auf freie Meinungs- äußerung bzw. unzensierte Medieninhalte geführt.36 Dabei argumentieren die Verfechter des First Amendments insbesondere gegen eine Beweisla- ge in der Mediengewalt-Frage, die Einschränkungen des Grundrechts rechtfertigen würde. Der politische Aktionismus nach den Morden m Littleton sei fragwürdig: »The rational for all these actions and activities appeared to lie with academic studies that suggest a link between media and violence. There is serious con- cern by some, however, that the number and certainty of such studies have been overstated. Others note that even if a causal link were satisfactorily demon- strated, it still would not justify restricting or punishing the First Amendment rights of the entertainment media or their consumers. «37 Die Juristirr Marjorie Heins verdeutlicht, dass der oberste Gerichtshof zwar für obszöne Medieninhalte - erstmals in einem Prozess 1957 - Ausnahmen vom Schutz durch das First Amendment gewährte, die ein Verbot dieser Inhalte ermöglichten. Für mediale Gewaltdarstellung gab es jedoch keinen vergleichbaren Fall. Den Grund hierfür sieht Heins in der Allgegenwärtigkeit von Gewaltdarstellungen in Kunst, Literatur, Un- terhaltung, Sport und Politik. Der Gewaltbegriff ist vage und dehnt sich auf den gesamten Bereich der freien Meinungsäußerung aus.38 Dieser breite und nicht klar definierbare Bereich von medialer Gewalt- darstellung hat gleichzeitig eine entscheidende Konsequenz: »As a judge in one copycat case explained, >if the shield of the First Amendment can be eliminated< by proving that one individual imitated a description of a dangerous activity, than >all free speech becomes threatened.<«39 Die Bedrohung, die von einem Beweis der Mediengewalt - im Sinne von proof- für das Recht auf freie Meinungsäußerung ausgeht, wird in den Anhörungen der Violence Commission nicht thematisiert. Die rheto- rischen Winkelzüge, die sich in den Dialogen von Sozialwissenschaftlern und Mitgliedern der Violence Commission beobachten lassen, sind aber ein Indiz für die dabei entstehende paradoxe Konzeption von Medienge- walt, nach der sie evident ist, ohne als juristischer Beweis tauglich zu 36 V gl. David L. Hudson: »Student Expression in the Age of Columbine: Se- curing Safety and Protecting First Amendment Rights«. First Amendment Center, First Reports 6 (2005), H. 2; Marjorie Heins u.a.: Violence and the Media. An Exploration of Cause, Effect, and the First Amendment, Nash- ville: First Amendment Center 2001. 37 Paul K. McMasters: »Foreword«, in: Marjorie Heins u.a.: Violence and the Media (2001), S. vf., hier S. vi. 38 Vgl. M. Heins u.a.: Violence and the Media, S. lüf. 39 Ebd., S. 12 (Kursivierung I.O.). 219 AGGRESSIVE MEDIEN sein: Mediengewalt muss regulierbar sein, ohne das Recht auff reie Mei- nungsäußerung zu gefährden. Die Regulation von Mediengewalt hat in- nerhalb einer liberalen Gouvemementalität zu funktionieren, sie darf sich nicht in Opposition zu ihr positionieren. In seinem Report Mass Media and Violence reagiert der aus Sozial- wissenschaftlern und Juristen bestehende Staff der Media Task Force di- rekt auf diese Problematik. Schon das Vorwort bringt zur Sprache, dass Mediengewaltforschung im Dienst der Regierung sich auf heiklem Ter- rain bewegt: » When a govemment commission undertakes to evaluate any aspect of media performance, it is properly a delicate inquiry in a so- ciety which prizes free expression«.40 Gleich im ersten Teil des Berichts, der sich mit der Geschichte des amerikanischen Mediensystems beschäf- tigt, findet sich ein Abschnitt mit dem Titel » The Philosophy as Law«41 , der auf ein Papier von Harry Kalven, Professor an der University of Chi- cago Law School, zurückgeht. Kalven nennt hier die Probleme, die sich angesichts des First Amendment für die gesetzliche Kontrolle von media- ler Gewaltdarstellung ergeben. Die Argumente ähneln denjenigen, die gut dreißig Jahre später Mmjorie Heins anführt. Eine gesetzliche Kon- trolle von Gewaltdarstellung stoße aufgrund der Vagheit des Gewaltbe- griffs in der Öffentlichkeit auf sehr viel weniger Akzeptanz als die Reg- lementierung von Pomografie.42 Ein klarer Beweis (evidence) von Me- diengewalt sei Voraussetzung für die gesetzliche Kontrolle.43 Da dieser Beweis nicht zu erbringen ist, gehöre die Frage, ob mediale Gewaltdar- stellung kontrollierenden Maßnahmen zugänglich ist, in den Bereich der Spekulation: »[W]hat we have leamed to date about the relationship bet- ween the media and violence makes the case for legislative >solutions< less than clear.«44 Da rechtlich unklar bleibt, wie eine Regierungskommission unter den Vorzeichen des First Amendments gegen mediale Gewaltdarstellungen vorgehen kann, verfahrt der Staff Report nach der Strategie einer einfa- chen Umkehrung: Er wirft den Medieninstitutionen ihrerseits vor, das Grundrecht der Meinungsfreiheit zu missachten. Argumentativ gestützt wird dies zunächst durch einen historischen Abriss, in dem die liberale Herkunft der Massenmedien rekonstruiert wird: »All media today di- rectly descend from the American press and they have naturally come to 40 D. Lange/R. Baker/S. Ball: Mass Media and Violence, S. v. 41 Vgl. ebd., S. 11-15. 42 »Much of our culture accepts violence as anormal occurrence without real definition or without much thought about the forms of violence; to try to separate unacceptable violence from the acceptable would require initially an exploration into concepts hitherto largely ignored, and likely tobe oflit- tle use.« Ebd., S. 14. 43 »[A]ny effort to control the appearance ofviolence in media content should be supported by clear evidence of its effects upon the audience.« Ebd., S. 14. 44 Ebd., S. 15. 220 KONTEXTE DER WISSENSPRODUKTION share in the hard-won freedom of the press.«45 Dieamerikanische Tradi- tion der freien Presse wird als untrennbar mit der politischen Philosophie des Liberalismus herausgestellt, der ein grundsätzliches Vertrauen in die Selbstkorrektur der freien Meinungsäußerung zugrunde liegt: »A press unfettered by government, the libertarian believed, would create a mar- ketplace of ideas similar to the classical economist's marketplace of goods and services.«46 Der offene Meinungsmarkt- so der Staff Report- hat sich aber als Mythos erwiesen: längst nicht alle Mitglieder der Be- völkerung haben gleichen Zugang zu den Massenmedien. Die kommer- zielle Organisation der Medien erlaube es den Bürgern gerade nicht, ihre im First Amendment verbürgten Rechte in Anspruch zu nehmen: »To- day, unless the individual has access to formal channels of communicati- on, it is almostimpossible for him to have an impact.«47 Einen wesentlichen Grund hierfür sieht die Media Task Force in der kommerziellen Struktur der amerikanischen Massenmedien. Gegenwär- tig werde das ehemalige liberale Konzept der Pressefreiheit durch die In- vasionsmacht großer Medienkonzerne pervertiert: »The media today per- vade our culture to a degree unmatched by any other social institution.«48 Die kapitalistische Prägung der Medienanstalten verknüpft der Staff Re- port eng mit dem Konzept von Mediengewalt, das er zugrunde legt. Es sei wichtig zu wissen, »what forces shape the media«, und sie als ein »multi-billion dollar business« zu begreifen, das von ökonomischen Konkurrenzkämpfen geprägt ist - eine strukturelle Komponente, die aus Sicht der Media Task Force einen grundsätzlichen agonalen Faktor ein- führt: »[T]he pressures of competition become an urgent, literal, life-or- death need to attract audiences sufficiently large to earn the advertising revenues necessary to sustain them.«49 In ihrem >Hunger nach einem Publikum<,50 der die Medienkonzerne in ihrem wirtschaftlichen Konkur- renzkampf prägt, sehen die Autoren der Media Task Force einen ent- scheidenden Grund für ihre Affinität zu Gewaltdarstellung. Ihr Plädoyer lautet deshalb: »[ ... ] [A]ny study of the relationship between violence and the media must take into account the conflicting nature of the media as institutions.«51 Mit diesem Votum formuliert der Bericht mehr als eine bloße Emp- fehlung für weitere Projekte der Mediengewaltforschung. Indem sie me- 45 Ebd., S. 3. 46 Ebd., S. 68. 47 Ebd. 48 Ebd., S. 1. 49 Ebd., S. 2. 50 Vgl. ebd.: »[ ... ] [S]ex, violence, and sensationalism have been served up in generous portions by publishers hungry for audiences.« Vgl. auch ebd., S. 151: »Long ago, publishers leamed that they could expand their readership among heretofore non-newspaper readers by openly marshalling the most exaggerated and detailed reports ofviolence and sex.« 51 Ebd., S. 3. 221 AGGRESSIVE MEDIEN diale Gewaltdarstellung mit der wirtschaftlichen Struktur der amerikani- schen Medienlandschaft verknüpft, formuliert die Media Task Force ei- nen Einwand, der das Schutzschild des First Amendment nicht brechen, sondern umgehen soll. Auf der einen Seite ist die staatliche Kontrolle der Medien unerwünscht, auf der anderen Seite wird sie in Anbetracht der kommerziell-agonalen Struktur der Medien als das kleinere Übel angese- hen. Vor diesem Hintergrund erscheint aber auch die unklare, schweben- de Beweislage der Mediengewaltforschung in einem anderen Licht. Die Weigerung der Sozialwissenschaftler, vor der Violence Commission ei- nen juristisch verwertbaren Beweis zu erbringen, gibt sich nun deutlich als Sicherheitsmechanismus zu erkennen, durch den der Mediengewalt- Diskurs eben kein disziplinierender Diskurs zu werden droht, sondern sich als regulierender Diskurs behaupten kann. Die Art und Weise, wie der Staff-Bericht die Sachlage umkehrt und nicht der Regierungskom- mission, sondern den Medien einen Angriff auf das First Amendment zu- schreibt, lässt sich aus dieser Perspektive mit der Argumentation der So- zialwissenschaftler vergleichen, die bei mangelnder Beweiskraft ihrer Ergebnisse auf den gesunden Menschenverstand ausweichen: Es handelt sich um rhetorische Handlungen, die gerade dann zum Zuge kommen, wenn Evidenz nicht oder zumindest nicht ohne Weiteres verfügbar ist. 2 5 Die sozialhygienische Institution als Ort der Wisse nsp rod u kti on Am 12. März 1969 erscheint der Surgeon General William H. Stewart vor dem Subcommittee on Communications im U.S. Senat. Der Vorsit- zende Senator Pastore hat die Anwesenden über seinen Brief an Secreta- ry Finch informiert, Stewart ist anwesend, um den versammelten Senato- ren persönlich Rede und Antwort über die geplante Forschungsarbeit zu stehen. Er formuliert die Frage der Mediengewalt, die er als »still unans- wered question« bezeichnet, als medizinische Frage: »[H]ow does TV violence and crime affect the mental health and the emotional and social development of the Nation's children?«53 Wie in den Anhörungen der Violence Commission fragen die Senatoren nach dem Stand der »factual information« bzw. nach »information that would be of value« und for- dern einen »complete job so that the American people can be convinced 52 Vgl. Hans Blumenbergs Rede von der »Rhetorik als Theorie und Praxis der Beeinflussung von Verhalten unter der Voraussetzung, daß Evidenz des Guten nicht verfiigbar ist.« Hans Blumenberg: »Anthropologische Annähe- rung an die Aktualität der Rhetorik«, in: ders.: Ästhetische und metaphoro- logische Schriften. Auswahl und Nachwort von Anselm Haverkamp, Frankfurt/Main: Suhrkamp 2001, S. 406-431, hier S. 408. 53 Stewart, in: Subcommittee on Communications: Hearing, 12.3.1969, S. 338. 222 KONTEXTE DER WISSENSPRODUKTION that we have the answer.«54 Stewart selbst verspricht, das NIMH werde sich auf die Suche nach den definitiven und objektiven Antworten bege- ben. 55 Keine Kosten und Mühen sollen für dieses Vorhaben gescheut werden. Die Nachfrage eines Senators, wie die benötigte Million Dollar zur Verfügung gestellt werden soll, ob sie etwa aus der Krebsforschung abgezogen werde oder ob der Senat damit zu rechnen habe, für die Kos- ten aufzukommen, weist Pastore strikt zurück: »We are going to spend a lot of money to remove pollution from the water, from the air, from the streams. We are going to spend a lot of money to remove crime from the streets and I hope we spend a lot of money to remove crime from the minds of our people. If you break down the morality of this Nation, it will be the end of this Republic. There has been a disintegration and degenera- tion and I would hope that something will happen as a result of these hearings and studies that will help to lift up the mind of man rather than to bring it fur- ther down. «56 Die Forderung, eine definitive Antwort auf die Mediengewalt-Frage zu finden, ist Teil einer diskursiven Regulation, die sich hier deutlich als moralische Regulation zu erkennen gibt. Erneut findet sich hier eine rhe- torische Figur, die nicht nur Strategeme des Beweisens liefert, wo es an unmittelbarer Einsichtigkeit mangelt, sondern die darüber hinaus »Hand- lung selbst zu ersetzen vermag«. 7 5 Der Diskurs erhält die moralische Re- gulation aufrecht, er stellt sie auf Dauer. Dass gerade die notwendige Unmöglichkeit, eine definitive Antwort zu finden, ein ebenso entschei- dender Teil des Diskurses ist, bleibt sein blinder Fleck, der sein weiteres Prozessieren gewährleistet. Die Überführung des Problems in den medizinischen Bereich lässt vermuten: Es geht nicht mehr nur darum, die Medieninstitutionen zur Ei- genverantwortlichkeit aufzufordern und so ihren Schutz durch das First Amendment zu umgehen. Es geht vor allem um den einzelnen Medien- nutzer, der sich selbst um seine moralische Gesundheit kümmern soll. Der unmittelbare Anschluss des Advisory Committee an die Violence Commission ist deshalb weniger eine Dopplung als vielmehr die konse- quente Weiterführung und Pointierung eines Regulationsprojekts, das auch die Gewaltkommission schon verfolgt hat. In seinem Brief an das Gesundheitsministerium begründet Pastore seine Bitte, den Surgeon General mit dem Mediengewalt-Problem zu betrauen, indem er auf vergangene Erfolge verweist, und zwar auf »the outstanding contribution made by his Committee through its report on 54 Ebd., S. 339f. 55 Vgl. W. Stewart, ebd., S. 342. 56 J. Pastore, ebd., S. 344. 57 H. Blumenberg: »Aktualität der Rhetorik«, S. 416. 223 AGGRESSIVE MEDIEN Smoking and Health.«58 Das Ergebnis dieses Berichts, das der damals amtierende Surgeon General Luther L. Terry am 11. Januar 1964- an ei- nem Samstag, um die Auswirkungen auf dem Aktienmarkt für die Ta- bakindustrie zu minimieren und gleichzeitig breite Beachtung durch die Sonntagspresse zu gewährleisten - bekannt gemacht hat, sowie die dar- aufbin folgenden Reaktionen in Öffentlichkeit und Politik,59 liefern Pas- tore ein Idealszenario, das er für den Gegenstand Fernsehgewalt zu wie- derholen wünscht. Die möglichen gesundheitsschädigenden Wirkungen des Tabakkon- sums beschäftigen den Public Health Service schon seit Mitte der 50er Jahre. Schon zu dieser Zeit weist der Gesundheitsservice auf einen kau- salen Zusammenhang zwischen Rauchen und Lungenkrebs hin. Breite Aufmerksamkeit gewinnt dieses Statement aber erst zehn Jahre später, wenn Terry- veranlasst durch einen Brief, den mehrere medizinische In- stitutionen an Präsident Kennedy richten, - sich des >tobacco problem< annimmt. Aus einer Liste von 150 Wissenschaftlern und Ärzten, mit der sich die beteiligten Institutionen - einschließlich des Tobacco Institutes, durch das die Industrie ihre Interessen vertreten lässt, - einverstanden er- klärt haben, wählt Terry zehn Forscher aus, die für die folgende Zeit als The Surgeon General's Advisory Committee on Smoking and Health fun- gieren.60 Das Komitee evaluiert bereits durchgeführte Studien und prä- sentiert nach einem Jahr ein Resultat, aufgrund dessen Terry Mitte der 60er Jahre eine >definitive Information< vorweisen kann: »Cigarette smoking is causally related to lung cancer in men [ ... ]. The magnitude of the effect of cigarette smoking far outweighs all other factors. The data for women, though less extensive, point in the same direction.«61 Das Statement alarmiert die Öffentlichkeit und veranlasst den Congress zur Handlung. Aufjeder Zigarettenschachtel muss von nun an eine Warnung vor Gesundheitsschäden aufgedruckt werden, Zigarettenwerbung in Fern- sehen und Radio wird verboten.62 Kein anderes Thema hat in der Geschichte des Public Health Service die alle vier Jahre wechselnden Inhaber des Surgeon General-Postens so sehr beschäftigt wie die schädlichen Folgen des Rauchens. Von 1964 bis 2001 gehen 32 der 55 offiziellen Berichte des Gesundheitsdienstes dieser Frage nach, erst Mitte der 80er Jahre kommt mit Aids ein weiteres großes 58 Pastore, in: Subcommittee on Communications: Hearing, 12.3.1969, S. 338. 59 Vgl. National Library of Medicine: »The 1964 Report on Smoking and Health«, unter http://profiles.nlm.nih.gov/NNNiews/Exhibit/narrative/ smoking.html vom 2.5.2006; F. Mullan: Plagues and Politics. 60 Vgl. Surgeon General's Advisory Committee on Smoking and Health: Smoking and Health. Report of the Advisory Committee to the Surgeon General ofthe Public Health Service, Washington: U.S. Govemment Print- ing Office 1964, S. 7-9. 61 Terry, zit. nach: F. Mullan: Plagues and Politics, S. 149. 62 Vgl. National Library ofMedicine: 1964 Report, S. 2. 224 KONTEXTE DER WISSENSPRODUKTION Thema hinzu.63 Der Vergleich, den Senator Pastore herstellt, zielt also in den Kernbereich der amerikanischen Sozialhygiene, wie sie in den 60er Jahren Kontur gewinnt. Die Kampagne gegen das Rauchen ist seit Terrys Report untrennbar mit der Figur des Surgeon General verknüpft. 64 Pastores Begründung für seine Adressierung des Surgeon General zielt aber auch auf eine methodologische Gemeinsamkeit von Konse- quenzen des Rauchens und Mediengewalt In beiden Fällen geht es um eine eindeutige Antwort auf die Frage, »whether there is a causal connec- tion«65 zwischen zwei miteinander assoziierten Variablen- und zwar bei unsicherer und kontroverser Beweislage. Der Bericht Smoking and Health trägt dieser Problematik in einem Kapitel zu den »Criteria for Judgment«66 Rechnung. Hier werden Debatten des Komitees referiert, in denen die Möglichkeiten, statistisch erhobenen Daten Kausalität zuzu- schreiben, abgewogen wurden, und es wird erläutert, in welchem Sinne der Bericht in Anbetracht einer komplexen Datenlage von Ursache und Wirkung spricht: » The situation of smoking in relation to the health of mankind includes a host (variable man) and a complex agent (tobacco and its products, particularly those formed by combustion in smoking). The probe of this inquiry is into the effect, or non-effect, of components of the agent upon the tissues, organs, and various qualities of the host which might: a) improve his wellbeing, b) let him proceed normally, or c) injure his health in one way or another. To obtain in- formation on these points the Committee did its best, with extensive aid, to ex- amine all available sources of information in publications and reports and through consultation with well informed persons. [. .. J The word cause is the one in general usage in connection with matters considered in this study, and it is capable of conveying the notion of a signifi- cant, effectual relationship between an agent and an associated disorder or dis- ease in the host.«67 Der Vorsitzende des Communications Subcommittee scheint zu hoffen, in Anbetracht einer ähnlich komplexen Beweislage im Fall von Medien- gewalt sei - unter der Führung des Surgeon General - eine ähnlich klare Kausalitätsaussage zu erlangen, wie sie dem Smoking and Health Com- mittee schließlich gelungen ist. Vermutlich rechnet er mit klaren Emp- 63 Vgl. National Library ofMedicine: »The Reports ofthe Surgeon General: Chronological Listing by Primary Document Type«, unter http://profiles. nlm.nih.gov/NN/ListByDate.html vom 2.5.2006. 64 Vgl. F. Mullan: Plagues and Politics, S. 150. 65 Pastore, in: Subcommittee on Commnnications: Hearing, 12.3.1969, S. 337. 66 Vgl. Surgeon General's Smoking and Health Committee: Report, S. 18-21. 67 Ebd., S. 20f. 225 AGGRESSIVE MEDIEN fehlungen für politische Handlungen, die sich mit der Autorität emer Warnung des Surgeon General durchsetzen lassen. Ein Blick auf weitere Projekte, die der Surgeon General in Angriff genommen hat - das Television Advisory Committee sei hier zunächst ausgespart - verdeutlicht die Schwierigkeiten, die eine Erforschung von Mediengewalt als Kopie des Unternehmens >Smoking and Health< mit sich führt. Ein Indiz für die Schieflage von Pastores Vergleich ist, dass die Überführung des Mediengewalt-Problems in den medizinischen Be- reich zumindest erklärungsbedürftig ist. Wenn Rauchen als mögliche Ur- sache für Lungenkrebs oder Herzkrankheiten untersucht werden soll, ist die Zuständigkeit des Public Health Service einleuchtend. Anders verhält es sich, wenn soziale Gewalt als Wirkung televisueller Gewaltdarstellung zu beweisen ist. Es überrascht, dass diese Frage weder in Pastores Brief noch im Hearing des Surgeon General Stewart zum Thema wird. Keiner der Beteiligten scheint es für notwendig zu halten, irrfrage zu stellen oder zu begründen, warum soziale Gewalt nun nicht mehr ausschließlich me- taphorisch, sondern in ganz wörtlichem Sinn als Krankheit verhandelt werden soll. Erst Mitte der 80er Jahre, in der Amtszeit des Surgeon General Eve- rett Koop, wird diese Erklärung nachgeliefert, maßgeblich auf einem Workshop der vom 27. bis 29. Oktober 1985 in Leesburg, Virginia, unter dem Titel Violence and Public Health stattfindet.68 Kein Mediziner, son- dern ein Jurist- Marvin E. Wolfgang von der University of Pennsylvania - verdeutlicht als erster Vortragender des Workshops Gewalt als Be- zugsproblem der öffentlichen Gesundheitsfürsorge - und zwar, indem er an die Violence Commission des Präsidenten Johnson erinnert: »The Violence Commission elected to carry out its charge by focusing on the means >to establish justice and to insure domestic tranquility,< the first two na- tional purposes penned in the Preamble to the Constitution. Tensions between justice and public tranquility and order were guiding concems in the quest of the Violence Commission to understand and to prevent violence. [ ... ] The Formding Fathers seemed prescient in their deliberations and constitutional framing. They inscribed another viewpoint and objective into this nation's first legal document: namely, the promotion ofthe general welfare. Now this work- shop on violence is fueled by that original national purpose. The disorders of violence are as much a challenge to the general health and welfare of our nation as they are to its system of justice and law. Our objective at this assembly is to 68 Vgl. Health Resources and Services Administration (Hg.): Surgeon Gen- eral's Workshop on Violence and Public Health. Report, Leesburg, Vir- ginia, October 27-29, 1985, Washington: Health Resources and Services Administration 1986. 226 KONTEXTE DER WISSENSPRODUKTION wed to the insights and advancements of law, order, and stability, those of pub- lic health and welfare.«69 Während Wolfgang Gewalt auf diese Weise als Problem herausstellt, das nicht nur juristisch, sondern auch sozialmedizinisch bearbeitet werden muss, klärt der Assistant Surgeon General William H. Foege in seinem anschließenden Vortrag, was dies konkret bedeutet: » Throughout history, the two leading causes of early or premature death have been infectious diseases and violence.«70 Gewalt in Anbetracht dieser Befunde nicht als ein Problem der öffentlichen Gesundheit zu behandeln, hieße nach Foege, sie fatalistisch als ein unvermeidbares soziales Phänomen zu be- trachten. Stattdessen gelte: »That we live in a cause-and-effect world is as true with violence as with infectious diseases, an important observa- tion for both public health people and educators.«71 Der Assistant Surgeon General erhofft sich von dieser neuen Sicht auf Gewalt eine Veränderung sozialer Normen. Gewalt könne nun als ei- ne vermeidbare und heilbare soziale Krankheit angesehen werden, und er verdeutlicht die bereits erbrachten Leistungen auf diesem Gebiet: Gewalt sei seit Ende der 70er Jahre als Risikofaktor in die Präventionsstrategie des Public Health Service aufgenommen worden. Surgeon General Koop habe gegenwärtig maßgeblich dazu beigetragen, Gewalt auf die Agenda der öffentlichen Gesundheit zu setzen.72 Der Preis dieses Beitrags, der gleichzeitig eine Autorisierung liefert, die dem Advisory Committee Ende der 60er Jahre fehlte, scheint aller- dings zu sein, dass Mediengewalt als Ursache für soziale Gewalt im Rahmen des Public Health Service stark relativiert werden muss bzw. weit in den Hintergrund tritt. Koop macht dies bereits zwei Jahre vor dem Violence-Workshop deutlich, wenn er als Keynote-Speaker vor die National Coalition on Television Violence tritt. Er beginnt zwar mit ei- nem emphatischen Bezug auf das Problem Femsehgewalt, leitet aber so- fort dazu über, Gewalt in der Gesellschaft als sozialmedizinisches Anlie- gen zu beschreiben: »As you well know, this topic ofviolence on television is as much apart ofthe office of Surgeon General as the flag and the uniform. And violence is every bit 69 Marvin E. Wolfgang: »lnterpersonal Violence and Public Health Care: New Directions, New Challenges«, in: Health Resources and Services Ad- ministration (Hg.), Surgeon General's Workshop on Violence and Public (1986), S. 9-18, hier S. lüf. 70 William H. Foege: »Violence and Public Health«, in: Health Resources and Services Administration (Hg.), Surgeon General's Workshop on Violence and Public Health (1986), S. 19-23, hier S. 19. 71 Ebd., S. 19. 72 Vgl. ebd., S. 20. 227 AGGRESSIVE MEDIEN a public health issue for me and my successors in this century, as smallpox, tu- berculosis, and syphilis were for my predecessors in the last two centuries.«73 In seinem Vortrag scheint Koop die Mediengewalt-Thematik dann fast aus den Augen zu verlieren oder zumindest einem sehr viel zentraleren Anliegen unterzuordnen. Er diskutiert hauptsächlich, inwiefern er Gewalt als eine Epidemie verstanden wissen will und welche Ursache er für ihre Verbreitung annimmt: ein mangelndes Verantwortlichkeitsgefühl der amerikanischen Bürger füreinander, eine mangelnde Zivilcourage, die Koop »the dilemma of the detached bystander in the presence of vio- lence«74 nennt. Dieses Problem sieht Koop als einen angemessenen Ge- genstand für die Sozialforschung in den Vereinigten Staaten an: » That' s a far more significant issue than whether one or another television show promotes violence.«75 Koop geht in seiner Provokation sogar so weit, seinen Gastgebern implizit vorzuwerfen, das Problem der gesellschaftli- chen Gewalt aus einer falschen Richtung anzugehen, und schließt mit ei- nem Lob des Mediums Fernsehen: »When we do ... when we see that people feel good again about being responsi- ble for one another. .. then the issue of violence on television will be academic. Conferences such as this one will not be needed. The violence that may remain will have far less of an effect than it now has. Let me close by saying I do not entirely despair of the television industry. It' s an extraordinary medium and, for many millions of Americans, it is their best connection to the rest of society and the world. And many times in the course of a broadcast day, American T.V. will reveal its good humor, gentleness, and human caring. We don't want to losethat either.« 76 1986 sieht sich Koop jedoch noch einmal dazu veranlasst, Medieninhalte als Bezugsproblem der öffentlichen Gesundheitsfürsorge gerrauer unter die Lupe zu nehmen. Auf Anfrage des Justizministeriums führt er einen Workshop durch, der dazu dienen soll, »to provide the Attorney General with a report summarizing the evidence that was available from the sci- entific community regarding the effects of pornography on public health.«77 Der Bericht des Workshops formuliert seine Ergebnisse und Empfehlungen aber nur mit allergrößter Vorsicht und nicht ohne auf das 73 Everett Koop: »Address Presented to the National Coalition on Television Violence, Washington, D.C., October 6, 1983«, unter http://profiles.nlm. nih.gov/QQ/ B/B/C/T/ _/qqbbct.pdf am 2.5.2006, S. 1. 74 Ebd., S. 18. 75 Ebd., S. 19. 76 Ebd., S. 21f. 77 Edward P. Mulvey/Jeffrey L. Haugaard: Report of the Surgeon General's Workshop on Pomography and Public Health, June 22-24, 1986, Arlington, Virginia, Washington: Office ofthe Surgeon General1986, S. 3. 228 KONTEXTE DER WISSENSPRODUKTION Scheitern vorangegangener Untersuchungen hinzuweisen, die Wirkungen von Pornografie nachweisen sollten: »This report summarizes the con- sensus of a group of social scientists and mental health professionals re- garding the nature and extent of evidence about the effects of por- nography [ ... ]. The purpose of this assessment is not to prescribe public policy.«78 In der zurückhaltend-skeptischen Umgangsweise, die der Public Health Service ihm zukommen lässt, unterscheidet sich das Thema Me- diengewalt nicht vom Gegenstand Pornografie. Diese Zurückhaltung prägt die weitere Geschichte des Gesundheitsdienstes. Die Medienge- walt-Frage ist trotz umfangreicher Forschungsfinanzierung bis heute79 nur 1982 noch einmal zum Thema eines Berichts des NIMH geworden80 und wird kein weiteres Mal zum Gegenstand eines offiziellen Reports des Surgeon General. Es gibt also seit Anfang der 80er Jahre keine Auf- tragsforschung mehr, sondern nur noch eine Unterstützung von Pro- jekten, die ein Antragsverfahren auf Forschungsförderung erfolgreich durchlaufen haben. In späteren Selbsthistoriografischen Darstellungen findet sich kein Hinweis darauf, dass Mediengewalt jemals ein Thema war, mit dem sich die sozialhygienische Institution beschäftigt hat. 81 Die Frage der Mediengewalt wird im Jahr 2001 dann doch noch einmal in ei- nem Report des Surgeon General über Jugendgewalt verhandelt, aller- dings nur im Anhang eines Kapitels, das sich möglichen Risikofaktoren widmet. Die Verhandlung des Themas geschieht auch nicht ohne War- nung, allerdings nicht vor medialer Gewaltdarstellung, wie Pastore es sich gewünscht hätte, sondern vor ihrer Überbewertung als mögliche Ur- sache für soziale Gewalt. 82 Fernsehgewalt taucht Ende der 60er Jahre als ein offizieller Gegenstand des Public Health Service für einen Zeitraum von etwa 12 Jahren auf, um dann aus der Gesundheitspolitik der sozial- 78 Ebd., S. 1. 79 Eine Abfrage der Suchmaschine des NIMH liefert bei Eingabe der Stich- wörter >Media & Violence< für den Zeitraum von 1972 bis 2006 107 Pro- jekte, die gefördert wurden bzw. aktuell gefördert werden. Vgl. http: 1/crisp.cit.nih.gov/crisp/crisp _q uery.generate _screen vom 26.11.2006. 80 Vgl. National Institute ofMental Health: Television and Behavior 1 u. 2. 81 F. Mullan: Plagues and Politics behandelt zwar den Zeitraum des Advisory Committee, erwähnt es jedoch mit keinem Wort. 82 »[T]he preponderance of evidence indicates that violent behavior seldom results from a single cause; rather, multiple factors converging over time contribute to such behavior. Accordingly, the influence ofthe mass media, however strong or weak, is best viewed as one of the many potential fac- tors that help to shape behavior, including violent behavior.« National Li- brary of Medicine: Youth Violence. A Report of the Surgeon General [2001], Chapter 4: »Risk Factors for Youth Violence«, unter http://www. ncbi.nlm.nih.gov/books/bv.fcgi?rid=hstat5.section.l2589 vom 2.5.2006, s. 29. 229 AGGRESSIVE MEDIEN hygienischen Institution wieder zu verschwinden - ohne allerdings aus ihrer Forschungspolitik ausgeschlossen zu werden. Koop geht 1983 in seinem Vortrag nicht so weit, die vom NIMH ge- förderte Mediengewaltforschung als vollständig nutzlos zu beurteilen. Er lehnt es aber strikt ab, aus Forschungsergebnissen eine Rechtfertigung für politische Maßnahmen gegen die Fernsehindustrie abzuleiten, und be- ruft sich dabei auf das liberalistische Ideal der Selbstregulation. 83 Aus der Sicht der Fernsehsender sei es durchaus nachvollziehbar, Gewaltdarstel- lungen in ihr Programm zu integrieren: » Why a network would broadcast that program is quite clear: precisely to get that larger >audience share.< We may be uncomfortable about it, but we would have to admit that the decision makes sense from the viewpoint ofthe health ofthe network.«84 Koops Verweis auf ein »adversial tone that permeates all our discussions between the mental health community and the networks«85 legt nahe, hierin zumindest einen wichtigen Grund für das Umschwenken in der Politik des Public Health Service Anfang der 80er Jahre zu sehen: Der nun versöhnliche Ton des Surgeon General gegenüber den Fernseh- sendern offenbart gleichzeitig die neue Programmatik, eben nicht die Rechtfertigung für politische Maßregelungen medialer Gewaltdarstellung zu liefern, die Pastore Ende der 60er Jahre einfordert. Für Koop geht da- mit eine Fokusverschiebung in der Mediengewalt-Frage einher, die er la- pidar formuliert, die aber aufschlussreich für ein Verständnis der morali- schen Regulation von Mediengewalt ist: »The real issue, however, is this: Why on earth does anybody watch that stuff?«86 Koop nimmt eine Verschiebung vor, die den Mediengewalt-Diskurs als einen Diskurs der moralischen Regulation kenntlich macht, in dem der Mediennutzer zur Regierung seiner selbst aufgefordert wird. Dass diese Programmatik, den Mediennutzer zur Selbstregierung anzuleiten, auch später explizit im Bereich der Regierungspolitik zum Tragen kommt, zeigt der Television Violence Report Card Act of 1995 (S. 772), der Anfang 1996 vom amerikanischen Senat verabschiedet wird. Das Gesetz sieht keine politische Kontrolle medialer Gewaltdarstellungen, sondern allein eine Forschungsfinanzierung vor, mit dem Ziel, im Ver- lauf der Jahre 1996 und 1997 im Rhythmus von drei Monaten jeweils ei- 83 »An Industry function within the American Marketplace Economy. As such, each network and each station has certain responsibilities that are fundamental to any business or industry. Of course, we hope every private for-profit enterprise can be both profitable and socially useful. And I would have to say that all our media - regardless of the anxieties we may have about their conduct now and then - all our media have done very well in maintaining this touchy balance between profitability and social utility. Still, most of them do. « E. Koop: »Address«, S. 1O f. 84 Ebd., S. 11. 85 Ebd., S. 9. 86 Ebd., S. 11. 230 KONTEXTE DER WISSENSPRODUKTION neinhaltsanalytische Untersuchung zur Gewaltdarstellung im Fernsehen zu erhalten: »S. 772 would impose no regulation nor penalties on the television industry. Rather, the legislation takes the approach of providing consumers with informa- tion necessary to monitor television viewing in their homes. S. 772 achieves the goal of protecting children through empowering consumers with information as opposed to other approaches that use regulation or govemment mandates [ ... ].«87 Pastores Adressierung des Surgeon General im Jahr 1969 schlägt also, wie im Folgenden noch ausführlicher zu sehen sein wird, in dem Sinne fehl, das die erhoffte Grundlage für politische Handlungen nicht erbracht wird. Das relativ kurze Eintauchen der Mediengewalt-Frage in die Prak- tiken der Gesundheitsfürsorge, wie sie der Public Health Service lanciert, macht aber deutlich, dass der Diskurs durchaus als eine Form der sozial- hygienischen Regulation zu bezeichnen ist. Allerdings hat diese Regula- tion innerhalb einer liberalistischen Gouvemementalität zu funktionieren. Das bedeutet: Sie muss in den Verfahren des öffentlichen Gesund- heitsdienstes unsichtbar bleiben und darf sich auf keinen Fall dem Ver- dacht aussetzen, politische Kontrolle zu implementieren. Die Form der Regierung muss subtiler sein: Als moralische Regulation soll sie den ein- zelnen Mediennutzer zur Regierung seiner selbst auffordern. Sie verlangt eine Forschung, die zwar immer alarmierende Evidenzen, aber niemals eine >definitive Information< liefert, wie Pastore sie verlangt. Die Fehl- schläge und Verwerfungen im diskursiven Netz, die sich um Pastores Brief gruppieren, geben in diesem Sinne gerade Aufschluss über die Funktionsweise des Mediengewalt-Diskurses. Das folgende Kapitel wird der Frage nachgehen, inwiefern die Me- diengewaltforschung, auch wenn sie als Lieferant eines definitiven Er- gebnisses scheitert, Wissen über Gewalt, Medien und Mediennutzer pro- duziert, das Aufschluss über die Diskursregeln der Mediengewaltfor- schung gibt. Zunächst soll aber als letzter Aspekt der Rahmenbedingun- gen, in denen diese Wissensproduktion stattfindet, beleuchtet werden, wie sich das Advisory Committee in die beschriebenen Projekte des Pub- lic Health Service einordnet und die Mediengewaltforschung in diesem Kontext neu justiert. 87 Committee on Commerce, Science, and Transportation: Television Vio- lence Report Card Act of 1995. Report Together With Minority Views. S. 772, Washington: Government Printing Office 1996, S. 1. Die Verwendung des englischen Wortes >regulation< bezieht sich hier auf politische Maß- nahmen, die nichts mit dem zu tun haben bzw. genau das Gegenteil von dem meinen, was hier als moralische Regulation bezeichnet wird. 231 AGGRESSIVE MEDIEN Justierung des Experimentalsystems »Government does not always move at a snail's pace«88 - so geben Douglass Cater und Stephen Strickland, die das Advisory Committee noch während seiner Arbeit einer eingehenden Beurteilung unterziehen, ihrem Erstaunen über die Schnelligkeit Ausdruck, mit der die sozial- hygienische Institution sich in Gang setzt und Pastores Bitte entspricht. Schon wenige Tage nachdem Surgeon General Stewart vor dem Sub- committee on Communications gesprochen hat, sichert Präsident Nixon Pastore brieflich seine Unterstützung zu. Am 16. April 1969 autorisiert Secretary Finch die Formierung des Beratungskomitees. Der Surgeon General wird zum Vorsitzenden erklärt, Eli Rubinstein, Assistant Direc- tor für Forschungsförderung durch das NIMH, soll die Position des stell- vertretenden Vorsitzenden einnehmen. Finch macht ganz deutlich, dass das Unternehmen - im Rahmen der öffentlichen Gesundheitsfürsorge - wissenschaftliche Ergebnisse erzielen, nicht aber politische Empfehlun- gen formulieren soll: »As far as this department is concemed [ ... ] we have no mandate and no power that relate to commercial broadcasting and we do not seek any, but we do have a clear responsibility in the area of public health including the important field of mental health. «89 In der folgenden Zeit verschickt das Büro des Surgeon General Anfragen an eine Vielzahl sozialwissenschaftlicher Institutionen wie die American Sociological Association und die Psychological Association, an die Ver- einigung der Amerikanischen Rundfunkanstalten (NAB) sowie an die drei großen Sender CBS, NBC und ABC. Die Institutionen werden gebe- ten, Forscher zu empfehlen, die aus ihrer Sicht für das Advisory Commit- tee geeignet sind. Auf der Grundlage dieser Empfehlungen erstellt das Office of the Surgeon General eine Liste von 40 Namen. Das weitere Verfahren mit dieser Liste wird heftig umstritten und häufig für die Prob- lematik, ja sogar für das Scheitern des Komitees verantwortlich gemacht. Am 28. April 1969 schickt Stewart die Liste an die Präsidenten der NAB und der drei nationalen Sender und bittet sie anzuzeigen, welche For- scher sie für ungeeignet halten, eine unparteiische Studie durchzuführen. Während der CES-Präsident Frank Starrton sich weigert, einen der desig- nierten Forscher zu diskreditieren, streichen NAB, NBC und ABC insge- samt sieben Namen von der Liste; unter diesen sind, neben dem bereits erwähnten Leo Bogart, Albert Bandura und Leonard Berkowitz. Die Auseinandersetzungen, die das Ausschlussverfahren nach sich zieht, versucht Secretary Finch mit einem Verweis auf das Smoking and Health-Committee zu beschwichtigen: Auch hier habe die Tabakindustrie 88 D. Cater/S. Strickland: TV Violence, S. 19. 89 Finch, zit. nach: Surgeon General's Advisory Committee: Report, S. 22. Vgl. auch D. Cater/S. Strickland: TV Violence, S. 19f. 232 KONTEXTE DER WISSENSPRODUKTION die Gelegenheit bekommen, von einem Vetorecht gegen unliebsame For- scher Gebrauch zu machen. Dies sei geschehen, um späteren Vorwürfen, die Forschung sei interessegeleitet, vorzubeugen. Die nach einem ab- schließenden Auswahlverfahren übrig bleibenden zwölf Mitglieder des Advisory Committee, die aus unterschiedlichen Disziplinen wie Psycho- logie, Pädagogik, Soziologie, Psychiatrie, Politologie, Kommunikations- forschung und Anthropologie sowie aus den Forschungsabteilungen der Fernsehsender stammen, äußern noch im Abschlussbericht ihre Unzu- friedenheit über dieses Sonderrecht, das den Fernsehanstalten damit ein- geräumt wurde.90 Dass Bandura und Berkowitz mit ihrem lerntheoretisch modifizierten Behaviorismus einerseits ein breit rezipiertes Forschungsmodell in den Mediengewalt-Debatten der 60er und 70er Jahre liefern, aber andererseits aus dem Advisory Committee, das hier als etabliertes Feld des Diskurses verhandelt wird, ausgeschlossen werden, erscheint zunächst als Wider- spruch. Noch irritierender könnte erscheinen, dass die Katharsisthese, die insbesondere von Feshbach in modifizierter Form weiterhin vertreten wird, trotz ihres diskursiven Ausschlusses sowohl im Bericht, den die Media Task Force für die Violence Commission verfasst, als auch in den Berichtsbänden des Advisory Committee wieder auftaucht. Dazu ist zunächst zu berücksichtigen, dass Ausschlussverfahren, die im Diskurs auftauchen, nicht unbedingt diskursive Ausschlussverfahren sind. Sie können, wie im Fall der Positionierung von Bandura, Berkowitz und Feshbach im diskursiven Netz um Pastores Brief, Elemente des Dis- kurses sein, die sich teilweise konträr zu diskursiven Ein- und Aus- 90 Vgl. ebd., S. 22; L. Bogart: »Warning«, S. 496; Surgeon General's Advi- sory Committee: Report, S. 24. Die zwölf Mitglieder des Advisory Com- mittee sind: Ira H. Cisin, Professor für Soziologie an der George Washing- ton University; Thomas E. Coffin, Vizepräsident der National Broadcasting Company; lrving L. Janis, Professor fiir Psychologie an der Yale Universi- ty; Joseph T. Klapper, Director of Social Research, Columbia Broadcasting System; Harold Mendelsohn, Professor für Massenkommunikation und Di- rektor des Communication Arts Center der University of Denver; Eveline Omwake, Professorin und Vorsitzende am Department of Child Develop- ment des Counecticut College; Charles A. Pinderhughes, assoziierter klini- scher Professor fiir Psychiatrie an der Tufts University und Lektor fiir Psy- chiatrie an der Harvard Medical School; Ithiel de Sola Pool, Professor und Vorsitzender am Political Science Department des Massachusetts Institute of Technology; Alberta E. Siegel, assoziierte Professorin fiir Psychologie an der Stanford University Medical School; Anthony F.C. Wallace, Profes- sor und Vorsitzender am Department of Anthropology der University of Pennsylvania; Andrew S. Watson, Professor fiir Psychiatrie und Professor für Recht an der University of Michigan; Gerhart D. Wiebe, Dekan der School of Communications an der Boston University. Vgl. D. Cater/S. Strickland: TV Violence, S. 23f. 233 AGGRESSIVE MEDIEN schlussverfahren verhalten. Der Ausschluss von Bandura und Berkowitz aus dem Advisory Committee bedeutet nicht, dass ihre Forschungen nun keine Rolle mehr spielen. Im Gegenteil: Gerade das Veto gegen die re- nommierten Vertreter des wissenschaftlichen Feldes führt zu Unmut in- nerhalb der wissenschaftlichen community und markiert eine zentrale Kontroverse des Mediengewalt-Diskurses. Auch die Weiterführung der Katharsisthese bedeutet nicht, dass sie nun rehabilitiert und von der >dis- kursiven Polizei< zugelassen wird. Stattdessen wird sie als widerlegte These im etablierten Feld mitgeführt und trägt dazu bei, ein Spektrum wissenschaftlicher Studien aufzufachem, das innerhalb des Verfahrens einer diskursiven Regulation nicht zu einer abschließenden, definitiven Antwort kommen daif. Der Ausschluss von Bandura und Berkowitz kann andererseits auch als ein diskursiver Ausschluss aus dem etablierten Feld verstanden wer- den, da beide Forscher mit ihren Experimenten an einer Scharnierstelle zwischen dem Verfahren der wirkungsstabilisierenden Zähmung und dem der moralischen Regulation angesiedelt sind. Ihre behavioristisch geprägten Versuchsanordnungen führen Mediengewalt zu plastisch, zu eindeutig vor Augen. Die Exklusion von Bandura und Berkowitz aus dem Advisory Committee kann als weiteres Indiz dafür aufgefasst wer- den, dass eine eindeutige Lösung der Mediengewalt-Frage im etablierten Diskursfeld unerwünscht ist. Wie die Dokumentationen der ersten Treffen des Advisory Commit- tee deutlich machen, wird das Spektrum der Studien schon von vomher- ein so angelegt, dass es nicht möglich sein wird, sie zu einer >definitiven Information< über Mediengewalt zu kondensieren. In einem Bericht über seine ersten Aktionen von Juni bis Oktober 1969 legt das Komitee - im Gegensatz zur Media Task Force der Violence Commission, deren Be- richt nun vorliegt,- Wert darauf, sich mit der Produktion von neuen Er- kenntnissen zu beschäftigen, also sich nicht darauf zu beschränken, vor- handene Forschungen auszuwerten. Unterstützt von einem Mitarbeiter- stab des NIMH verschickt das Komitee Einladungen an Forscher und wissenschaftliche Organisationen und wertet die Forschungsanträge, die es daraufhin erhält, nach dem formalen Begutachtungsverfahren des NIMH aus. 23 Projekte gehen aus diesem Verfahren hervor, die insge- samt über 40 Studien für das Advisory Committee durchführen werden.91 Mit der Wissensordnung, die sich auf diese Weise formiert, beschäftigt sich das folgende Kapitel. 91 Vgl. Surgeon General's Advisory Connnittee: Report, S. 232 u. 27f. 234 2 FORMATIERUNG DER WISSENSORDNUNG Senator Pastore hat das Beratungskomitee des Surgeon General im Früh- jahr 1969 mit großer Verve auf den Weg gebracht. Als Anfang August desselben Jahres das sich gerade konstituierende Komitee erneut in ei- nem Hearing des Subcommittee on Communications zur Sprache kommt, sind seine Redebeiträge jedoch von Vorbehalten, ja fast von Skepsis ge- prägt. In Vertretung des Surgeon General Stewart, dessen Amtszeit in diesem Monat zu Ende geht, tritt Rubinstein vor das Subcommittee und stellt sich den unerwarteten Bedenken des Senators. Pastore weist darauf hin, dass im September die Violence Commission ihren Abschlussbericht vorlegen wird. Was zuvor nicht zur Sprache gekommen ist, aber als un- geklärtes Rätsel Pastores Forschungsinitiative begleitet hat, nämlich sei- ne Initiation des Advisory Committee, obwohl die Violence Commission gerade das Thema Mediengewalt behandelt, problematisiert Pastore dies nun selbst, und zwar in aller Deutlichkeit: »I hope that we don't get into duplication. Whatever is new, or hasn't been yet discovered, I hope will be discovered in the public interest. But, by the same token, let's not get into another big bureaucratic agency to do a job that in many instances has already been done.«1 Als wollte er diese Befürchtung sofort wieder ausräumen, erinnert Pas- tore nochmals an seine anfangliehe Hoffnung, die sich verwirklichen werde, wenn das Advisory Committee auch auf bereits durchgeführte Studien zurückgreift: »So in the final analysis, we will get a very com- prehensive study and know exactly where we stand on this very, very important subject, just as we did on cigarette smoking.«2 Jedoch klingt diese Zuversicht halbherzig, denn seine Rückfragen zu Rubinsteins Be- Pastore, in: Subcommittee on Communications ofthe Committee on Com- merce, United States Senate: Hearings. Ninety-First Congress, First Ses- sion on: S. 2004 to Amend the Communications Act of 1934 to Establish Orderly Procedures for the Consideration of Applications for Renewal of Broadcast Licences With an Interim Report of the Surgeon General's Sci- entific Advisory Committee on Television and Social Behavior, Depart- ment of Health, Education and Welfare. Part 1. August 5, 6, and 7, 1969, Washington: U.S. Govemment Printing Office 1969, 5.8.1969, S. 3. 2 Ebd. 235 AGGRESSIVE MEDIEN richt über die bisherigen Aktivitäten des Advisory Committee sind wie- derum von Zweifeln geprägt: »[D]o you think we are actually operating in a dark area here, or do you feel there is a feasibility of some answers? [ ... ] Do you think that this isaproblern that could be resolved by the lay mind, without some scientific study?«3 Pastore verfolgt sicherlich eine Rhetorik, in der er stellvertretend für die Skeptiker im Senat spricht, um Rubinstein die Gelegenheit zu geben, diese Einwände zu widerlegen. Jedoch ist der Wechsel seiner Argumen- tation im Vergleich zu seinem Brief an Secretary Finch und zu seinen Reden in den vorangegangenen Hearings aufnillig: Weitaus zurückhal- tender spricht er nun nicht mehr von definitiver Information, sondern von der >f easibility of some answers<. Im diskursiven Netz um Pastores Brief scheint zu diesem Zeitpunkt bereits der Verdacht auf, der Surgeon Gene- ral werde den gewünschten Beweis über die Schädlichkeit televisueller Gewaltdarstellungen niemals erbringen. In gewisser Weise antizipieren Pastores Vorbehalte in der Konstituie- rungsphase des Advisory Committee das Ergebnis, mit dem das Komitee gut zwei Jahre später mögliche Erwartungen enttäuschen wird. Der Be- richt Television and Growing Up liefert alles andere als einen juristisch verwertbaren proof für Mediengewalt »The accumulated evidence, however, does not warraut the conclusion that televised violence has a uniforrnly adverse effect nor the conclusion that it has an adverse effect on the majority of children. It cannot even be said that the ma- jority of the children in the various studies we have reviewed showed an in- crease in aggressive behavior in response to the violent fare to which they were exposed. The evidence does indicate that televised violence may lead to in- creased aggressive behavior in certain subgroups of children, who might consti- tute a small portion or a substantial proportion of the total population of yonng television viewers. We cannot estimate the size of the fraction, however, since the available evidence does not come from cross-section samples of the entire American population of children.«4 Diese äußerst vorsichtige und vage Formulierung, die nach einer dreifa- chen Zurückweisung in der Beweislage von Mediengewalt - im Sinne von evidence - schließlich möglicherweise in gewissen sozialen Gruppen gefahrdete Kinder identifiziert, um diese spärliche Klarheit gleich wieder zu vernebeln - es sei schließlich nichts über die Anzahl dieser Kinder bekannt -, löst einen Sturm der Entrüstung in publizistischen, wissen- schaftlichen und politischen Debatten aus. Es ist kaum verwunderlich, dass die Anschuldigungen nicht selten so weit gehen, dem hochsubventi- onierten Advisory Committee vollständiges Scheitern zu bescheinigen. Den Mediengewalt-Diskurs im Rahmen eines Projekts der morali- schen Regulation zu untersuchen, wie es die vorliegende Studie verfolgt, 3 Ebd., S. 6. 4 Surgeon General's Advisory Committee: Report, S. llf. 236 FORMATIERUNG DER WISSENSORDNUNG heißt im Unterschied hierzu keineswegs, die Ergebnislosigkeit des Advi- sory Committee mit seinem Scheitern gleichzusetzen. Im Gegenteil ist in dieser Perspektivierung davon auszugehen: Gerade das Ausbleiben von klaren, politisch verwertbaren Ergebnissen stellt den Diskurs auf Dauer, gewährleistet eine fortlaufende Regierung des Mediennutzers, ohne grundsätzliche Rechte der Meinungs- und Pressefreiheit zu gefahrden. Das Projekt der moralischen Regulation besteht nicht darin, ein festge- fügtes Wissen zur Verfügung zu stellen. Die Ausgangsüberlegung, die das folgende Kapitel durchzieht, lautet: Dies wird bereits in den For- schungspraktiken selbst sichtbar. Eine Wissensordnung des Medienge- walt-Diskurses formatiert sich nicht in endgültigen Beweisen - denn ge- messen an diesem Maßstab würde der Diskurs überhaupt kein Wissen zur Verfügung stellen-, sondern im Prozess der häufig divergenten Ex- perimente, Erhebungen und Analysen. Die folgende Untersuchung richtet daher ihren Blick auf die Materialität der wissenschaftlichen Studien, die im Rahmen des Advisory Committee durchgeführt werden. Als kulturwissenschaftlich perspektivierte Analyse der sozialwissen- schaftliehen Mediengewaltforschung profitiert die vorliegende Studie von einer Entwicklung innerhalb der science studies ab Ende der 1970er Jahre, die mit Andrew Pickering als eine Bewegung weg von einer Un- tersuchung der »products of science«, von einer Konzeption von »scien- ce-as-knowledge«, hin zu einer Beobachtung von Science as Practice and Culture bezeichnet werden kann.5 Pickering versteht den Kulturbe- griff in einem weiten, wie er selbst sagt, >deflationären< Sinn.6 Das schließt aber nicht aus, dass die - auch in den deutschsprachigen science studies gängige - Bezeichnung einer Wissenschafts- bzw. Experimental- kultu/ durchaus entscheidende Unterschiede zwischen empirisch-sozial- wissenschaftlichen und kulturwissenschaftlichen Herangehensweisen an den Gegenstand >Mediengewalt< verdeutlicht: Anstatt eine Progressge- schichte der Mediengewaltforschung zu erzählen, die das Advisory Committee rückblickend als einen wichtigen, aber noch unausgereiften und verbesserungsbedürftigen Schritt in der Entwicklung der Disziplin beschreibt und dabei generell von einer kontinuierlichen Annäherung an 5 Andrew Pickering (Hg.): Science as Practice and Culture: Chicago, Lon- don: University of Chicago Press 1992 (Introduction), S. 3. Zentrale Publi- kationen dieses turns zur Materialität der Forschung sind Bruno Latour/ Steven Wolgar: Laboratory Life. The Construction of Scientific Facts [1979], Princeton: Princeton University Press 2 1986; Karin Knorr-Cetina: The Mannfacture of Knowledge. An Essay on the Constructivist and Con- textual Nature of Science, Oxford, New York: Pergarnon Press 1981 und Ian Hacking: Einführung in die Geschichte der Naturwissenschaften [Re- presenting and Interverring 1983], Stuttgart: Reclam 1996. 6 Vgl. A. Pickering (Hg.): Science (Introduction), S. 2f., Anm. 1. 7 Hagner spricht etwa von »Kulturen des Messens« oder »Kulturen des Ex- periments«. Vgl. M. Hagner (Hg.): Wissenschaftsgeschichte (Einleitung), s. 24. 237 AGGRESSIVE MEDIEN das - notwendigerweise unerreichbare - Ideal des proof von Medienge- walt ausgeht, bemüht sich die folgende Analyse darum, den unabge- schlossenen Forschungsprozess, die »dynamics of scientific knowled- ge«,8 in den Blick zu nehmen. Für die kulturwissenschaftliche Beobach- tung der Mediengewaltforschung ist dabei insbesondere entscheidend, sich an der Durchlässigkeit des wissenschaftlichen Feldes, an seiner Ver- flochtenheit mit kulturellen Praktiken außerhalb der Versuchsanordnung, zu orientieren.9 In dieser Perspektive interessieren weniger die divergie- renden Ergebnisse der einzelnen Studien, die das Advisory Committee schließlich vorweisen kann, und auch nicht das letztlich erzielte Kon- sensergebnis. Wenn im Folgenden anhand exemplarischer Analysen die Wissens- ordnung, die sich in den empirischen Forschungspraktiken herausbildet, als Teil einer moralischen Regulation der Mediennutzung untersucht wird, so lautet die leitende Frage: Inwiefern bereitet diese Wissensord- nung Konzepte vor, die, wenn sie in den Prozess der publizistischen Zir- kulation eintreten, den Mediennutzer zur Regierung seiner selbst anlei- ten? Auf welche Weise positionieren das vage Konsensergebnis und die Pluralität der kontroversen Studien den Mediennutzer als moralisiertes Subjekt und sind daher keineswegs Teil einer scheitemden Wissenschaft, sondern vielmehr - in einer Mediengesellschaft - von höchster sozialer Relevanz? Im Folgenden wird es zunächst darum gehen, wie die Gewalttat in die Praktiken der Forschung gleichsam >hineingerechnet< wird, auf diese Weise ihren Charakter als überraschendes, unerklärtes Ereignis - als so- ziales Problem - verliert und zur Gewalt wird, die dem einzelnen Pro- banden in seinem mikrosozialen Umfeld begegnet. In einem nächsten Schritt steht die Frage im Mittelpunkt, welche Konzepte von Medialität die Studien des Advisory Committee entwerfen. Es wird auszuloten sein, wie die Gefahrlichkeit des Mediums in der mikrosozialen Struktur der Mediennutzung verteilt wird und auf diese Weise als ständige Herausfor- derung einer moralisierenden Beobachtung fungiert. Schließlich beob- achtet der dritte Abschnitt dieses Kapitels, inwiefern sich in den Prakti- ken und Apparaturen des Messens, die in den Forschungsberichten be- schrieben werden, ein Diskursprogramm widerspiegelt, nach dem der Mediennutzer zu seiner eigenen Überwachung anzuhalten ist. Inwiefern fordern bereits die Praktiken des Messens- so die Frage- zu einem ei- genverantwortlichen Umgang mit Medien auf? 8 Sabine Maasen/Matthias Winterhager (Hg.): Science Studies. Prohing the Dynamics of Scientific Knowledge, Bielefeld: transcript 2001 (Introduc- tion), S. 10. 9 V gl. M. Hagner (Hg.): Wissenschaftsgeschichte (Einleitung), S. 23. 238 FORMATIERUNG DER WISSENSORDNUNG Von der Gewalttat zum alltäglichen Normverstoß Die Unbestimmtheit des Gewaltkonzepts begleitet den Diskurs als be- ständig mitgeführte Kritik. 10 Auch dem Advisory Committee begegnet der Vorwurf, keinen einheitlichen Begriff entwickelt, sondern es jedem Forschungsteam überlassen zu haben, Gewalt für die jeweilige Studie selbst zu definieren." Hierbei handelt es sich aber weniger um ein Ver- säumnis, als um eine programmatische Entscheidung. In seinem Ab- schlussbericht beruft sich das Komitee auf die Ergebnisse der Violence Commission, um zu unterstreichen, dass es Gewalt für ein in generellem Sinne undefinierbares, da beobachterabhängiges Konzept hält. Zudem - das ist hier entscheidend -verweist es auf die Abhängigkeit des Gewalt- begriffs von Moral- und Legitimitätsvorstellungen der Gesellschaft bzw. gesellschaftlicher Gruppen: »The first is that violence has characterized our society throughout its history, and the second is that there is no simple or universal explanation of the causes of violence. In fact, there is not even a clear consensus about what constitutes violence. [ ... ] The character of an act does not, by itself, define whether the act is violent. The effect, the social context, the moral framework, the degree of legitimization, and the amount and kinds of group endorsement of the act are very relevant to the definition ofviolence in the real world.«12 Trotz der Definitionsoffenheit operationalisieren die meisten Wissen- schaftler in ihren Untersuchungen jedoch - sowohl medial dargestellte als auch soziale- Gewalt relativ einheitlich im strikten Sinne einer Schä- digung durch physische Handlungen - nicht zuletzt, um Komplexität zu reduzieren und eine empirisch relativ leicht messbare Variable zugrunde legen zu können. Joseph R. Dominick und Bradley S. Greenberg versu- chen beispielsweise in einer Feldstudie herauszufinden, inwiefern sich bei Kindem nach der Rezeption medialer Gewaltdarstellungen beobach- ten lässt, dass sich ihre Einstellung zu Gewalt verändert. Fast beiläufig weisen sie darauf hin, eine gängige Definition des Begriffs zugrunde ge- legt zu haben: »Violence was defined as behavior which would produce physical pain in another.«13 10 Vgl. etwa M. Kunczik: Gewalt im Fernsehen, S. 17f., oder K. Merten: Ge- walt, S. 9. 11 Vgl. zur Nichtfestlegung des Gewaltbegriffs: Surgeon General's Advisory Committee: Report, S. 52-54, und zur Kritik an dieser Vorgehensweise D. Cater/S. Strickland: TV Violence, S. 52. 12 Surgeon General's Advisory Committee: Report, S. 46. 13 Joseph R. Dominick/Bradley S. Greenberg: »Attitudes Toward Violence: The Interaction of Television Exposure, Family Attitudes, and Social Class«, in: Comstock/Rubinstein (Hg.), Television and Adolescent Aggres- 239 AGGRESSIVE MEDIEN Das Experimentalsystem um Violence Commission und Advisory Committee, oder: das diskursive Netz um die Petition des Senators Pasto- re, wird - gemäß seiner politischen Initiatoren - mit einer Bezugnahme auf gesellschaftliche Gewalt etabliert. Einerseits lassen sich die 60er Jah- re, die den sozialhistorischen Kontext dieser Bezugnahme bilden, insge- samt als eine Zeit beschreiben, in der radikale Protesthandlungen und gewaltsame Rebellionen eine »distinctive cultural mood«14 bzw. emen Spirit of the Sixties15 ausmachen: »Huge numbers of Americans - especially among the young who had to fight the war- rebelled not only against American policy in Vietnam but against ex- isting cultural patterns and the nation's social and economic system as well. At siveness (1972), S. 314-335, hier S. 320. George Gerbner, der eine inhalts- analytische Untersuchung unternimmt, grenzt den Begriff der medialen Gewaltdarstellung folgendermaßen ein: »For this study violence was defi- ned in its strictest physical sense as an arbiter of power. Analysts were in- stmcted to record as violent only >the overt expression of physical force against others or self, or the compelling of action against one's will on pain of being hurt or killed.< The expression of injurious or lethal force had to be credible and real in the symbolic terms of the drama. [ ... ] The agent of violence could be any sort of creature, and the act could appear to be acci- dental as well as intentional.« George Gerbner: »Violence in Television Drama: Trends and Symbolic Functions«, in: Comstock/Rubinstein (Hg.), Media Content and Control (1972), S. 28-187, hier S. 31. Ähnlich de- finieren David G. Clark und William B. Blankenburg Gewalt in ihrer irr- haltsanalytischen Untersuchung: »A fairly typical definition of violence was applied in all cases: physical acts or the threat of physical acts by hu- mans designed to inflict physical injury to persons or darnage property.« David G. Clark/William B. Blankenburg: »Trends in Violent Content in Selected Mass Media«, in: Comstock/Rubinstein (Hg.), Media Content and Control (1972), S. 188-243, hier S. 189. Die drei genannten Gewaltdefini- tionen weisen neben dem gemeinsamen Bezug aufkörperliche Gewalt wie- derum entscheidende Unterschiede auf- sieht man einmal davon ab, dass sich Gerbner und Clark/Blankenburg auf medial dargestellte Gewalt bezie- hen und Dominick/Greenberg auf soziale Gewalt: Während Gerbner Ge- walt unabhängig von Intentionalität bestimmt, spielt diese bei Clark/Blan- kenburg eine wichtige Rolle. Clark/Blankenburg wiederum verhandeln Gewalt unabhängig von der Zufügung von Schmerzen, während dies bei Dominick/Greenberg zentral ist. V gl. die ausführliche Diskussion dieser Unterschiede in Gewaltdefinitionen bei M. Kunczik: Gewalt im Fernsehen, s. 33-97. 14 Julie Stephens: Anti-Disciplinary Protest. Sixties Radicalism and Postrno- dernism, Cambridge: Cambridge University Press 1998, S. 10. 15 Vgl. James J. Farrell: The Spirit of the Sixties. Making Postwar Radical- ism, New York, London: Routledge 1997. 240 FORMATIERUNG DER WISSENSORDNUNG the same time, black citizens, frustrated by over a century ofunfulfilled promi- ses of equality, drastically intensified their own revolution. [ ... ] By rioting and burning cities they made violence as much a characteristic of the decade at home as it was in Vietnam.« 16 Andererseits besteht die Tendenz, auch in Konzeptionen von sozialer Gewalt - gerade wenn sie zum Gegenstand der Ursachenforschung wird - diese an spektakulären Einzeltaten festzumachen, die als eindrückliche Exemplifikationen dienen. Solche Ereignisse ermöglichen es dann einer- seits, plausibel zu machen, warum Kommissionen unbedingt notwendig sind, die den Ursachen für Gewalt nachgehen. Andererseits kann die zu Ereignissen kondensierte gesellschaftliche Gewalt wiederum zum Aus- gangspunkt von Untersuchungen werden, die den Wirkungen solcher spektakulärer Gewalttaten auf die Gesellschaft nachgehen. Ein Ereignis, das zu Beginn der 60er Jahre die amerikanische Öffent- lichkeit prägt, ist die Ermordung John F. Kennedys am 22. November 1963. Nur sieben Tage nach der Tat setzt der neue Präsident Johnson die Commission on the Assassination of President Kennedy in Kraft. Ihre Aufgabe ist es, die >Ereigniskette< um die Ermordung Kennedys aufzu- klären und die Erschießung des Hauptverdächtigen Lee Harvey Oswald durch den Nachtclubbesitzer Jack Ruby »in full view of anational televi- sion audience« zu untersuchen. 17 Mit besonderem Fokus auf eben diese medialen Praktiken beobach- ten dagegen sozialwissenschaftliche Studien das Ereignis des Attentats nicht als Wirkung, sondern als Ursache. Solche >Ereignis-Analysen< ma- chen sich die Ausnahmesituation als >Quasi-Experiment<18 zunutze, um auf diese Weise Einsichten in die Kommunikation der amerikanischen Öffentlichkeit zu gewinnen: Die »Kennedy story« fungiert hier als »sti- mulus [ ... ] with added overtones ofviolence and irony, and with full and vivid television coverage«. 19 Fast noch eindringlicher trägt ein weiteres Ereignis zur Konzeption von sozialer und medial vermittelter Gewalt in den 1960er Jahren bei: die Ermordung Martin Luther Kingsam 4. April 1968, denn hier verläuft die 16 Jim F. Heath: Decade of Disillusionment. The Kennedy-Johnson Years, Bloomington, London: Indiana University Press 1975, S. 12. 17 President' s Commission on the Assassination of President Kennedy: Re- port [1964], nnter http:/ /www.archives.gov/research/jfk/warren-commis- sion-report vom 3.2.2007 (Foreword), S. ix. 18 Vgl. Donald T. Campbell/Julian C. Stanley: Experimental and Quasi- Experimental Designs for Research, Boston: Roughton Mifflin 1963. 19 Wilbur Schramm: »Communication in Crisis«, in: Bradley S. Green- berg/Edwin B. Parker (Hg.), The Kennedy Assassination and the American Public. Social Commnnication in Crisis, Stanford: Stanford University Press 1965, S. 1-25, hier S. 5. Vgl. auch Isabell Otto: »Das Ereignis als so- ziales Experiment«, in: Schneider/Bartz (Hg.), Formationen der Medien- nutzung (2007), S. 45-52. 241 AGGRESSIVE MEDIEN Ordnung der Tat explizit entlang der Unterscheidung gewaltlos/gewalt- sam. Im Gegensatz zum radikalen Flügel der afroamerikanischen Bürger- rechtsbewegung - dieser gehörte etwa, als Anführer der Black Muslims, Maleolm X an, der drei Jahre zuvor ebenfalls ermordet wurde, - predigte King den gewaltlosen Kampf gegen die Unterdrückung der schwarzen Bevölkerung. Das in den Verbreitungsmedien breit verhandelte Attentat auf den Baptistenpastor wird in Wirkungsstudien als Ursache für eine Zunahme von Gewalt innerhalb der Bürgerrechtsbewegung untersucht. Studien, die das Ereignis als Experiment nutzen, gehen der Frage nach, ob Kings »philosophy and tactic would suffer a setback in the competi- tion for commitment of urban Negroes«20 oder ob die Gewalttat als Stimulus fungiert, »that led individuals to an emotional disengagement from the realm ofnormal political behavior«.21 Als zwei Monate nach Kings Ermordung auch Senator Robert F. Kennedy einem Attentat zum Opfer fallt, und sich um seinen Tod ähnli- che Verschwörungstheorien zu ranken beginnen, wie anlässlich der To- desschüsse auf seinen älteren Bruder, nimmt Präsident Johnson dies zum Anlass, nun nicht mehr die einzelne Gewalttat, sondern die Gewaltstruk- tur der amerikanischen Gesellschaft insgesamt untersuchen zu lassen: Er etabliert die National Commission on the Causes and Prevention of Vio- lence. Die Gewalttaten werden damit zum Ausgangspunkt einer breiteren Analyse, die ausgehend von einem Ereignis allgemeine Fragen zum Zu- sammenhang von medialer Gewaltdarstellung und sozialer Gewalt stellt.22 Wenn jedoch in der Violence Commission- und noch intensiver im Advisory Committee des Surgeon General - Mediengewalt als eine mög- liche Ursache für soziale Gewalt untersucht wird, lässt sich beobachten, dass eine Trennung zwischen sozialer und medialer Gewaltwelt vollzogen wird. Diese Trennung scheint einer kausalen Verknüpfung beider Welten eher zu widersprechen. Es findet eine Transformation der sozialen Gewalt statt: In den Studien der Mediengewaltforschung ist Gewalt in den sel- tensten Fällen identisch mit den großen Gewaltereignissen der 60er und 70er Jahre. Sie wird vielmehr häufig in einen Normverstoß umgewandelt, der jedem Mediennutzer in seinem unmittelbaren sozialen Umfeld begeg- nenkann. Wie zu sehen sein wird, bedeutet der Entwurf differenter Gewaltpro- file und die Transformation des sozialen Gewaltereignisses keineswegs, 20 Phi1ip Meyer: »Aftermath of Martyrdom: Negro Mi1itancy and Martin Lu- ther King«, in: Pub1ic Opinion Quarterly 33 (1969), S. 160-173, hier S. 160. 21 Richard C. Hofstetter: »Po1itica1 Disengagement and the Death of Martin Luther King«, in: Pub1ic Opinion Quarterly 33 (1969), S. 174-179, hier S. 174. 22 Vgl. die Bezugnahme von D. Lange/R. Baker/S. Ball: Mass Media, S. viii: »After the tragic assassinations in the spring of 1968, there was much pub- 1icity in the trade and regu1ar press about how the networks were reducing vio1ence on te1evision.« 242 FORMATIERUNG DER WISSENSORDNUNG dass damit ein kausaler Zusammenhang zwischen medialer und sozialer Gewalt vollständig zurückgewiesen wäre. Stattdessen wird die Kausal- verknüpfung von sozialer und medialer Gewalt in das Projekt der morali- schen Regulation der Mediennutzung eingebunden. Die Konzeption getrennter Gewaltwelten treibt maßgeblich George Gerbner von der Annenberg School of Communications voran, der im September 1968 von der Violence Commission beauftragt wird, in weni- ger als zwei Monaten eine detaillierte Inhaltsanalyse gewalthaltiger fikti- onaler Fernsehprogramme zu erstellen und so ein Gewaltprofil des ame- rikanischen Fernsehprogramms zu entwerfen- dies ist eine der wenigen empirischen Studien, die eigens für die Violence Commission durchge- führt werden.23 Gerbner setzt damit eine Untersuchung aus dem Vmjahr fort und vergleicht jeweils für eine Woche im Herbst die televisuelle Gewalt im Abend- und Samstagvormittagsprogramm der Jahre 1967 und 68.24 Er erweitert im Auftrag des Advisory Committee seine Untersu- chung um die Analyse einer Woche im Jahr 1969 und stellt einen umfas- senden Vergleich der drei untersuchten Analyseeinheiten an.25 Die In- haltsanalyse der Annenberg School formiert damit die deutlichste Konti- nuitätslinie zwischen Violence Commission und Advisory Committee. Gerbners Untersuchung des Fernsehprogramms ist damit jedoch nicht abgeschlossen: Von 1972 bis 1989 werden die Violence Profiles regel- mäßig publiziert.26 Sie verdeutlichen damit signifikant, dass eine morali- sche Regulation von Mediengewalt mit einer auf Dauer gestellten For- schung einhergeht. Im Bericht der Violence Commission formuliert Gerbner den Zu- sammenhang zwischen sozialen Gewaltereignissen und medial darge- stellter Gewalt, die er als >symbolische Gewalt< bezeichnet, noch im Rahmen einer offenen Forschungsfrage: »How could a study based on 1967 material reflect the impact upon television programming, if any, of the tragic series of violent events that shook the conscience of the nation 23 Vgl. [G. Gerbner:] Chapter 15 »The Television World ofViolence«, in: D. Lange/R. Baker/S. Ball: Mass Media, S. 313; Gerbners Autorschaft zumin- dest großer Teile dieses Kapitels ist naheliegend, wird aber nicht explizit kenntlich gemacht. Gerbner selbst verweist auf den Bericht der Media Task Force, wenn er von seiner Untersuchung im Rahmen der Violence Com- mission spricht. Vgl. G. Gerbner: »Violence in Television Drama«, S. 32 u. Anm. 2. Vg l. zum Stellenwert von Gerbners Inhaltsanalysen in der Vio- lence Commission: W. Rowland: Politics ofTV Violence, S. 119. 24 Vgl. [G. Gerbner:] Chapter 15 »The Television World ofViolence«, in: D. Lange/R. Baker/S. Ball: Mass Media, S. 311-339. 25 Vgl. G. Gerbner: »Violence in Television Drama«. 26 Vgl. George Gerbner/Nancy Signorielli: Violence Profile 1967 Through 1988-89: Enduring Patterns, Philadelphia/PA: The Annenberg School of Communications, University ofPeunsylvania 1990. 243 AGGRESSIVE MEDIEN and the world in 1968?«27 Sein Bericht für das Surgeon General's Advi- sory Committee weist dagegen die Vorstellung eines Reflexions- oder Spiegelungsverhältnisses zwischen beiden Gewaltwelten strikt zurück und propagiert ihre Verschiedenheit, indem er eine Differenz markiert, die häufig verloren geht: »It is obvious that television violence is com- munication, not violence.«28 Im Prozess der Violence Profiles lässt sich also eine Bewegung beobachten, die von der Gewalt als Ereignis weg und hin zu auf Dauer gestellten Gewaltstrukturen führt. Die Trennung der Gewaltwelten ist hier die Voraussetzung dafür, die mediale Gewalt- darstellung unabhängig von sozialen Ereignissen untersuchen zu können und ihre Struktur in den Blick zu nehmen. In seinem Entwurf von Ge- waltwelten, die eben keinen ansteckenden Nachahmungsprozess anneh- men, bringt Gerbner soziale Moralvorstellungen ins Spiel: »The fictional world reflects, not life, but purpose. Its time, space, and motion- even its accidents - follow, not laws of physics, but the logic of dramatic ac- tion. Its society is not a mirror but a projection of dramatic and social intent. [ ... ] In a fictional world govemed by the economics of the assembly line and the production values of optimal appeal at least cost, action follows conventional ground rules of social morality.«29 Welche Voraussetzung hat Gerbners Rede von einer sozialen Moral in seinen Forschungspraktiken? Zugrunde liegt ihr zunächst die akribische Auswertung von 182,35 Stunden auf Videoband aufgezeichneter Fem- sehprogramme, in der jeweils mehrere Forscher aus Gerbners Team- um subjektive Einschätzungen gering zu halten - kleine Programmeinheiten in einem engmaschigen Analyseraster auf ihre Gewalthaltigkeit hin un- tersuchen. Wichtige Analysekategorien sind dabei die Orte, an denen Gewalt ausgeübt wird, und die Charaktere, die Gewalttaten begehen oder erleiden.30 Um die Ergebnisse dieser Untersuchung darzustellen berechnet Gerbner nicht nur für jedes untersuchte Jahr einen so genannten violence index, der sich aus der Addition von Messungen unterschiedlicher Ge- waltdarstellungen ergibt und die drei großen Fernsehsender miteinander vergleichbar machen sole' Irrfolge seiner Ablehnung des Spiegelungs- 27 [G. Gerbner:] Chapter 15 »The Television World of Violence«, in: D. Lange/R. Baker/S. Balll969: Mass Media, S. 313. 28 G. Gerbner: »Violence in Television Drama«, S. 28. 29 Ebd., S. 43. 30 Vgl. ebd., insbesondere S. 32. Die tabellarische Darstellung der Inhalts- analyse ist dem Bericht in einem 121-seitigen Appendix-Teil beigefügt. 31 Der violence index ergibt sich aus der Summe von program score und cha- racter score. Der program score addiert sich aus der Prozentzahl der Fem- sehprogramme, die Gewalt enthalten, aus der Anzahl der Gewaltepisoden pro Analyseeinheit (play) und der Anzahl der Gewaltepisoden pro Stunde, 244 FORMATIERUNG DER WISSENSORDNUNG konzepts unternimmt er darüber hinaus eine demografische Analyse der fiktionalen Population und formuliert Aussagen über die Häufigkeit, mit der einzelne Bevölkerungsgruppen in der Fernsehwelt der Gewalt im Laufe der Zeit zu Opfern oder Tätern werden. Gerbners Studie findet ge- sellschaftliche Machtstrukturen im Fernsehprogramm wieder: »[N]on- whites suffered more and killed less than whites. But when nonwhites killed they died for it, while the white group was more than twice as likely to get away with murder - or to kill in a >good cause< to begirr with.«32 Vor dem Hintergrund seiner Inhaltsanalysen entwirft Gerbner eine nicht-mimetische Mediengewalt-Konzeption, in der er die >symbolische Gewalt< nicht als Spiegel von, aber dennoch in Relation zu sozialer Ge- walt beschreibt und ihr wichtige gesellschaftliche Funktionen zuweist. Er versteht die Femsehwelt, die mit ihren Akteuren und Opfern der Gewalt häufig exotische und geografisch weit entfernte Orte bevölkert, als ein >moralisches Drama<, das nach dem Muster traditioneller Rituale, wie Mythen oder Märchen, eine implizite Kultivierung (acculturation) vor- nimmt: »The implicit lessons of acts of violence, the lessons of the different risks of violence for different kinds of people assuming different power roles in the vi- carious world of mass entertainment, probably emerge most clearly and sharply when relatively stylized and uncontaminated by familiar and potentially con- flicting clues. «33 Die Beziehung zwischen den beiden Gewaltwelten, wie Gerbner sie kon- zipiert, lässt sich als Normierung in negativem Sinne beschreiben: Die symbolische Gewalt des Fernsehens lehrt seine Zuschauer die Machtbe- ziehung der sozialen Welt: »Television relates to social behavior as it de- fines the world beyond one's ken, and cultivates symbolic structures in which violence may- or may not- play an instrumental role.«34 Noch deutlicher als im späteren Auftrag des Advisory Committee formuliert wobei die letzten beiden Zahlen verdoppelt werden, um ihrer Bedeutung Rechnung zu tragen. Der character score wiederum errechnet sich aus der Addition von der Prozentzahl aller handlungstragenden Charaktere, die Gewalt ausüben oder erleiden und- um dieser Art der Gewaltausübung be- sonderes Gewicht zu geben - der Prozentzahl aller Charaktere, die entwe- der als Opfer oder Täter in einen Tötungsakt involviert sind. Vgl. ebd., S. 34f. Der violence index ist also ein reines Analyseinstrument, das nur im Vergleich der Fernsehsender Siun gewinnt. 32 Ebd., S. 60. 33 Ebd., S. 42. Gerbner hat mit dieser, hier nur angedeuteten Kultivierungs- these breite Beachtung gefunden. Vgl. die Diskussion von M. Kunczik/A. Zipfel: Gewalt und Medien, S. 119-141. 34 G. Gerbner: »Violence in Television Drama«, S. 64. 245 AGGRESSIVE MEDIEN Gerbner diese negative Normierung - in der wieder die Figur der fal- schen medialen Erziehung aufscheint - schon in seinem Bericht für die Violence Commission. Hier extrahiert er aus den Botschaften der Ge- waltprogramme die auf diese Weise propagierten Normen: »Message: Non-whites kill less often than do whites, but are killed more often. Message: Violent young males are more likely to kill than are violent middle-aged males, but less likely to be killed. Norm: The violent people, including killers, who should be the most concemed about getting killed are middle-aged men and non- whites. [ ... ] Message: Wben there are witnesses to violence, the most typical reaction is non-reaction or passivity. Norm: If you are a witness to a violent episode, do not get directly in- volved by intervening, and do not publicly disapprove; just watch quietly.«35 Was sich daraus ergibt, ist ein moralisch geprägtes Mediengewalt- Verständnis: Symbolische Gewalt wird durch die normativen Botschaf- ten, die sie vermittelt, zur Gewalt, die bestimmten Zuschauergruppen zu- gefügt wird. Es zeigt sich hierbei, dass Gerbners Zurückweisung des Spiegelungsverhältnisses zwischen televisueller und sozialer Gewalt den Medien keineswegs Unschuld an violentem Verhalten in der Gesellschaft bescheinigt. Im Gegenteil: Die Trennung der Gewaltwelten lässt das Me- dium umso einflussreicher und gefahrlicher werden. Gerbner unterscheidet zwischen sichtbarer und unsichtbarer Gewalt, wobei er die Differenz analog zu seiner Unterscheidung von symboli- scher und >realer< Gewalt verhandelt. Während Gewalt in der Gesell- schaft subtil und langsam verlaufe, machten offensichtliche physische Aktionen in der symbolisch-medialen Welt auf dramatische Weise sicht- bar, was in der >realen Welt< verborgen bleibt, nämlich die gesellschaftli- chen Machtstrukturen, die beiden Gewaltwelten zugrunde liegen.36 Da die symbolische Gewaltwelt ihre Wurzeln in den institutionellen Strukturen der Gesellschaft hat, so Gerbner, kann sie nicht ohne weiteres verändert werden. Jedes politische Bestreben, mediale Gewaltdarstellun- gen zu reglementieren, sei deshalb problematisch - »even the best- intentioned program controls introduced into the same basic structures have unanticipated consequences.«37 Grundsätzlich könne nur institutio- nelle Erneuerung und gesellschaftlicher Wandel zu einer Änderung füh- ren. Am Ende seines Forschungsberichts gibt Gerbner aber einen produk- tiven Ausblick für eingeschränkte, aber schnellere Lösungen. An erster 35 [G. Gerbner:] Chapter 15 »The Television World of Violence«, in: D. Lange/R. Baker/S. Ball: Mass Media, S. 335. 36 Vgl. G. Gerbner: »Violence in Television Drama«, S. 44. 37 Ebd., S. 63. 246 FORMATIERUNG DER WISSENSORDNUNG Stelle steht der Vorschlag, die Violence Profiles als langfristige Trend- studien fortzusetzen. Implikation dieser Empfehlung ist die Vorstellung, es könne der negativen Normierung des Mediennutzers durch die televi- suelle Gewaltwelt ein ausgleichendes Gegengewicht, eine positive Nor- mierung, entgegengesetzt werden. Dieses Gegengewicht sollen die Be- obachtungen und Warnungen einer auf Dauer gestellten Forschung bieten. Trotz der sozialkritischen Anklänge, die Gerbners Berichte kenn- zeichnen, zielt das Forschungsunternehmen des Advisory Committee ins- gesamt nicht darauf, einen gesellschaftlichen Wandel einzufordern, weil die Lösung des Mediengewalt-Problems nur auf diese Weise zu erreichen sei. Ein großer Teil der Studien entwirft vielmehr ein positives Verständ- nis von Sozialität, das die bestehenden institutionellen Strukturen nicht irrfrage stellt. Ein engdarangeknüpftes Konzept von Gewalt, das im Ex- perimentalsystem ebenfalls dominant ist, beschreibt diese als Gegenbe- griff zu einem emphatischen Verständnis von Gesellschaftlichkeit. Dass diese positive Beschreibung für das Gesamtprojekt und für die Beratung des Surgeon General prägend ist und aufgrund der diskursiven Verortung des Projekts im regierungspolitischen Kontext kaum anders denkbar wä- re, macht schon der gemeinsame Titel der fünf Berichtsbände deutlich: Er lautet nicht etwa Television and Violence, sondern Television and So- cial Behavior. Ein Verständnis von Gewalt, nach dem diese als >das andere< bzw. als Bedrohung der gesellschaftlichen Ordnung entgegensteht und jeder Gewaltausbruch als ein Zurückfallen in vorzivilisatorische Zustände ver- standen werden muss, ist ein gängiger und auch vielfach kritisierter To- pos der Gewaltforschung. Gewalt so zu behandeln, als ob sie in frühere Welten gehört und sich in die Gegenwart lediglich verirrt hat - so der Gewaltforscher Bernd Hüppauf - konstruiert das Eigene, indem Gewalt zu einem Teil des anderen gemacht und in einem außerhalb der eigenen Gesellschaft gelegenen Raum verortet wird. »Gewalt wird zum Ein- dringling aus diesem äußeren Raum und ist in der eigenen Welt anwe- send durch Irrtum, als Ausnahme, als bedauerlicher Rest, als Fremdkör- per in einer sonst zivilisierten Ordnung.«38 Jedoch ist die Vermutung, die Mediengewaltforschung hänge in diesem Sinne dem »Mythos« einer ge- waltlosen Gesellschaft an, indem sie »Gewalt [ ... ] als etwas der Gesell- schaft Fremdes konstituiert, als das Atypische, das die >eigentlich< fried- fertigen Verhältnisse stört«,39 zumindest für das Experimentalsystem um Violence Commission und Advisory Committee nicht zutreffend. Statt- dessen folgen auch die Studien, die aggressives oder gewalttätiges Ver- halten >prosozialen< Handlungen gegenüberstellen, der Programmatik, die in den Berichten Gerbners aufscheint: der Umstellung von der Ge- 38 Bemd Hüppauf: »Krieg, Gewalt und Modeme«, in: Frauke Meyer- Gosau/Wolfgang Emmerich (Hg), Gewalt. Faszination und Furcht. Jahr- buch für Literatur und Politik in Deutschland 1 (1994), S. 12-40, hier S. 34. 39 Jutta Röser: Fernsehgewalt im gesellschaftlichen Kontext, Wiesbaden: Westdeutscher Verlag 2000, S. 38. 247 AGGRESSIVE MEDIEN walt als Ereignis zur Gewalt als möglicherweise unsichtbarer Struktur, die sich auch in der >Femsehwelt<, unabhängig von sozialen Gewaltaus- brüchen, finden lässt. Gewalt ist dann gerrau keine >Ausnahme< oder >Störung<, und sie erscheint auch nicht plötzlich. Sie ist vielmehr allge- genwärtig und dauernd am Werk. Die Vorstellung einer dauerhaften, nicht-ereignishaften Strukturie- rung formuliert sich in den Studien des hier beobachteten Experimental- systems im Zusammenhang mit Konzepten von Mikrosozialität aus. Ge- walt erscheint dann nicht als das Ereignis, das in die Gesellschaft als Ganze eindringt und ihr atypisch ist. Sie wird vielmehr zu den Verhal- tensweisen oder Handlungen transformiert, die dem einzelnen Medien- nutzer als konkrete Erfahrung begegnen. Die alltägliche, für jedes Indivi- duum erfahrbare Gewalt lässt sich gewissermaßen als ein Resultat einer Divisionsrechnung verstehen, bei der das störend in die Gesellschaft ein- dringende Ereignis in viele Kleinstereignisse zergliedert wird. Gewalttä- tigkeit als Gegenkonzept zu gesellschaftlich erwünschten Handlungen ist Teil des mikrosozialen Kontexts: Sie kommt dort als alltäglicher Verstoß gegen soziale Normvorstellungen vor. Auch hier formatiert die Medien- gewaltforschung ihre Wissensordnung passgerrau für die Nachfrage einer öffentlichen Debatte, die temporär begrenzt ist, sich aber nach ähnlichem Muster stets wiederholt. Stellt sich in dieser Debatte die Frage nach den Ursachen für ein unfassbares Ereignis, kann die Forschung zwar nicht das konkrete Geschehen aufklären, aber sie ist in der Lage, auf eine Feinstverteilung von Gewalt in ihren Forschungspraktiken zu rekurrieren. Im Bericht, den die Media Task Force für die Violence Commission verfasst, folgt Gerbners Kapitel über die televisuelle Welt der Gewalt ein Abschnitt mit dem Titel »The Actual World of Violence«, in dem es nicht etwa um die großen Gewaltereignisse der 60er Jahre geht, sondern um »violence as experienced by Americans«. Ausgangsüberlegung der Media Task Force ist, dass die Wirkung medialer Gewaltdarstellung auf das Verhalten des Publikums nicht nur durch die Beschaffenheit der tele- visuellen Gewaltwelt, sondern auch durch Normen geprägt sei, die sich aus direkten, alltäglichen Gewalterfahrungen ergeben.40 Um diesen Zusammenhang zu klären, beauftragt die Violence Com- mission das New Yorker Meinungsforschungsinstitut Louis Harris and Associates mit der Durchführung einer repräsentativen Erhebung.41 Die Interviews sollen erstens Aufschluss darüber geben, welche Normen die Befragten bei ihrer Einschätzung von Gewalt zugrunde legen, zweitens, in welchem Ausmaß und in welcher Form sie bereits Gewalt erfahren haben, und drittens, welche Gewohnheiten und Präferenzen der Medien- nutzung für sie kennzeichnend sind.42 40 Vgl. D. Lange/R. Baker/S. Ball: Mass Media, S. 341-362, Zitat: S. 341. 41 Vgl. Appendix 111.1: »Samp1ing Procedures Used in the Harris Poll«, ebd., s. 503. 42 Vgl. ebd., S. 342. 248 FORMATIERUNG DER WISSENSORDNUNG Normen, so die Ausgangsüberlegung der Media Task Force, installie- ren Verhaltensstandards und definieren den Grenzbereich zwischen ak- zeptablem und inakzeptablem Verhalten. Positive Gewaltnormen setzt die Task Force in ihrer Auswertung der Harris-Befragung mit der Befür- wortung von Gewalt als legitimem Mittel gleich. Die Befragung soll kenntlich machen, in welchen Situationen welche Anteile der amerikani- schen Bevölkerung Gewalt als einen positiven Wert schätzen. Die Task Force der Violence Commission folgt damit unausgesprochen einem Forschungsdesiderat, auf das Walter M. Gerson kurz zuvor hingewiesen hat, nämlich »Violence as an American Value Theme« zu analysieren. Da Gewalt fest im kulturellen Wertesystem der amerikanischen Gesell- schaft verankert sei, könne sie als Teil der »American everyday scene« gelten.43 Die Media Task Force versucht, diese Verankerung von Gewalt in der Erfahrung der Interviewten etwa durch folgende Fragen auszulo- ten: »Are there any situations that you can imagine in which you would approve ofa husband shooting his wife?« Oder: »Are there any situations you can imagine in which you would approve of a policeman striking an adult male citizen?«44 Die Befragung nach der konkreten Erfahrung von Gewalt hat zum Ergebnis, dass die Mehrheit der Amerikaner in ihrem Alltag nicht mit schweren Formen von Gewalt konfrontiert ist. Die Interviews machen aber eine Bevölkerungsgruppe ausfindig, deren Mitglieder durchaus an Messerstechereien oder Schießereien beteiligt gewesen sind, sei es als Täter, Opfer oder Beobachter. Die Media Task Force nennt sie die »vio- lents«45 und stellt in ihrem Fall eine Koinzidenz von Gewaltnormen und - erfahrungen fest: » There is a striking similarity between the demographic characteristics of >violents< and high approvers of violence in the adult population. «46 In einem nächsten Schritt stellt der Bericht für die Violence Commis- sion einen Vergleich zwischen den »Two Worlds ofViolence: Television and Reality« an. Dies geschieht über die Fernsehgewohnheiten der Be- fragten und ihre Beurteilung von medialer Gewaltdarstellung. Gerbners Normen der televisuellen Gewaltwelt zugrunde legend, konstatiert der Bericht eine Differenz zwischen medialen und sozialen Normen. Doch auch hier bildet die Gruppe der >Violents< eine Ausnahme: » There is also a considerable overlap between the adult and teenage demographic groups of >violents< and the demographic groups of adults and teenagers who approve of the kind of violence portrayed on television and have a high media violence preference.«47 Ohne einen strikten kausalen Zu- sammenhang zu behaupten, der erst in experimentellen Untersuchungen 43 Walter M. Gerson: »Vio1ence as an American Va1ue Theme«, in: Larsen (Hg.), Vio1ence and the Mass Media (1968), S. 151-162, hier S. 156. 44 D. Lange/R. Baker/S. Ball: Mass Media, S. 511 u. S. 512. 45 Ebd., S. 357. 46 Ebd., S. 358. 47 Ebd., S. 367. 249 AGGRESSIVE MEDIEN überprüft werden müsse, weist der Bericht von Lange, Baker und Ball auf einen Prozess der negativen Sozialisation hin: »If television teaches, as the evidence indicates that it can, it teaches norms and attitudes which promote violence. If it can socialize, it socializes audiences, especially children, into norms, attitudes, and values which promote violent beha- vior and toleration ofviolence.«48 Die Forschungspraktiken der Surgeon General-Studien setzen diese Bestandsaufnahme in ein Projekt der moralischen Regulation um: Gewalt wird nicht etwa wertfrei verhandelt und ihre Legitimität wird nicht den Einschätzungen der befragten Individuen überlassen. Apriorisch legen die Forschungen für Violence Commission und Advisory Committee fest, dass gewalttätiges Verhalten in Opposition zu Sozialität steht. In den Forschungspraktiken wird deutlich, dass diese Normierung durch die Gewaltwelt des Fernsehens nicht einfach als sozial inakzeptabel konsta- tiert wird. Vielmehr finden sich in den Verfahren des Messens positive Gegenentwürfe, die sich als Anleitungen zu richtigem Verhalten, und das heißt: zur adäquaten Medienrezeption, lesen lassen. Dem unsozialen Verhalten der medieninduzierten Aggression oder Gewalttätigkeit stellen viele Untersuchungen Formen von >prosozialem< Verhalten gegenüber. Vielleicht am signifikantesten führen Robert M. Liebert und Robert A. Baron diese Dichotomie in ihrem Experiment mit Kindem ein, und zwar über einen einfachen Knopfdruck, dem eine Wahl zwischen zwei Alternativen vorausgeht: zwischen einem roten Knopf, neben dem das Wort >HURT< steht, und einem grünen, den das Wort >HELP< kenn- zeichnet. Der Versuchsablauf sieht vor, dass die Kinder entweder eine gewalthaltige Fernsehserie oder eine Sportsendung zu sehen bekommen und anschließend einem anderen Kind beim Spielen helfen oder es ver- letzen können. Die Apparatur, an der die beiden Knöpfe angebracht sind, so belehren die Experimentatoren ihre kindlichen Versuchspersonen, sei mit einem Griff im Nachbarraum verkabelt, den ein anderes Kind drehen müsse, um ein Spiel zu gewinnen. Ein weißes Licht signalisiere, dass im anderen Raum gerade der Griff gedreht wird. Wenn die Versuchsperson den HELP-Button drückt- so wird ihm weisgemacht- dann lässt sich der Griff leichter drehen, das andere Kind bekommt Hilfe. Drückt sie aber den HURT-Button, habe dies zur Folge, dass der Griff heiß wird und das andere Kind verletzt.49 Unabhängig von der Eigentümlichkeit dieses formalisierten Settings und seinem Ergebnis, dass die aggressions- steigernde Wirkung der televisuellen Gewalt zu stützen meint, führt die Versuchsanordnung in kondensierter Form vor Augen, wie die Moralisie- rung durch die Unterscheidung prosozial/gewalttätig codiert ist. 48 Ebd., S. 369. 49 Robert M. Liebert/Robert A. Baron: »Short-Term Effects of Televised Ag- gression on Children's Aggressive Behavior«, in: Murray/Rubinstein/Com- stock (Hg.), Television and Social Leaming (1972), S. 181-201, hier S. 185f. 250 FORMATIERUNG DER WISSENSORDNUNG Deutlich ausformuliert findet sich diese Codierung in einem anderen Experiment, in dem zusätzlich ein weiterer Aspekt offensichtlich wird: das Bestreben, diese Moralisierung auf Dauer zu stellen. Aletha Huston Stein und Lynette Kohn Friedrich von der Pennsylvania State University gehören zu den bis dahin weniger bekannten Forschern, die das Advisory Committee mit einer Untersuchung beauftragt; dennoch findet ihr ausge- feiltes Forschungsdesign große Anerkennung.50 Stein und Friedrich ar- rangieren ein natürliches Experiment, um auf der Grundlage von Bandu- ras Theorie des Beobachtungslernens, aber in kritischer Auseinander- setzung mit seinen Laboruntersuchungen, Aufschluss über »the everyday effects of television violence«51 zu erhalten. Über einen Zeitraum von neun Wochen hinweg beobachten die beiden Forscherinnen eine Gruppe von 97 V orschulkindern, die eigens für das Experiment zu einem summer nursery school program rekrutiert werden, wobei sie darauf achten, Kin- der aus unterschiedlichen sozialen Schichten zu versammeln.52 In den ersten drei Wochen des Experiments werden die Kinder ausschließlich beim Spielen beobachtet, um ihr Vertrauen zu gewinnen und um ihre Verhaltensweisen kennenzulernen. Zwischen dieser und einer zwei- wöchigen Abschlussphase, in der die Kinder wiederum beobachtet und u.a. die Mütter nach den täglichen Fernsehgewohnheiten ihrer Kinder be- fragt werden, liegt eine vierwöchige Phase, in der die Kinder in drei Gruppen unterteilt werden, um unterschiedliche Fernsehprogramme an- zusehen. Die Untersuchung unterscheidet dabei nicht zwischen einer Ex- periment- und einer Kontrollgruppe, sondern zwischen drei experimen- tellen Konditionen: aggressive, neutral und prosocial. In der Ausgangs- überlegung, mit der Stein und Friedrich die Einführung der dritten Kate- gorie begründen, wird eine Medienkonzeption ersichtlich, die Alter- nativen zu unerwünschten Praktiken der Mediennutzung aufzeigt: »A number of sturlies have demonstrated that exposure to models can increase children's altruism or generosity to others and can promote the setting ofhigh standards for self-reward [ ... ]. Other forms of prosocial behavior of concem in the present study are cooperation, nurturance, frustration tolerance, and task persistence. The influence of television on prosocial behavior is almost unex- plored in survey studies; yet the potential of this medium for such effect is im- mense.«53 Stein und Friedrich gehen damit über eine bloße Messung von Fernseh- gewalt weit hinaus: Ihre Beobachtungsperspektive stellt gleichsam dar, 50 Vgl. D. Cater/S. Strickland: TV Violence, S. 50. 51 Aletha Huston Stein/Lynette Kohn Friedrich: »Television Content and Young Children's Behavior, in: Murray/Rubinstein/Comstock (Hg.), Tele- vision and Social Leaming (1972), S. 202-317, hier S. 202. 52 Vgl. ebd., S. 208-211. Sie organisieren zu diesem Zweck etwa einen Bus, der Kinder aus armen ländlichen Familien täglich in die Schule bringt. 53 Ebd., S. 203. 251 AGGRESSIVE MEDIEN was richtige und was falsche Mediennutzung ist und welche Wirkungen jeweils zu erwarten sind. Das spektakuläre Ereignis der sozialen Gewalt hat damit zum einen in segmentierter Form Eingang in die mikrosoziale Welt des Mediennutzers gefunden. Zum anderen ist es, indem ihm das Gegenkonzept der Prosozialität gegenübergestellt wird, deutlich als Ge- genstand einer moralisierenden Beobachtung kenntlich geworden. Schließlich ist das Gewaltereignis über die Beobachtung von täglichen Nutzungs- und Verhaltensmustern in eine auf Dauer gestellte moralisie- rende Beobachtung integriert worden. Der Mediengewalt-Diskurs ist damit auf die soziale Gewalttat nicht mehr angewiesen. Er kann von ihr unabhängig operieren und nimmt sie nur zum Anlass, um der morali- schen Regulation des Mediennutzers einen neuen Impuls zu geben. Wel- che Apparaturen die Studien >erfinden<, um den Mediennutzer in diesem Sinne zu beobachten, wird Thema des abschließenden Teils dieses Kapi- tels sein. Zunächst soll es jedoch um die Frage gehen, wie sich durch Konzepte von Alltäglichkeit und Dauer Vorstellungen von Medialität formieren. Dispersion des gefährlichen Mediums George Comstock - Senior Research Coordinator der Studien, die das Advisory Committee in Auftrag gibt, und Mitherausgeber der fünf Er- gebnisbände -beschreibt 1998 in einer Überblicksdarstellung die nicht unerheblichen Anforderungen, die das Medium Fernsehen an die empiri- sche Publikumsforschung stellt. Das Fernsehen lasse sich durch vier Charakteristika bestimmen: durch Ubiquität, Popularität, Präsenz in je- dem Abschnitt des menschlichen Lebenslaufs und durch ein hohes Inno- vationspotenziaL Aufgrund dieser Eigenschaften sei das Fernsehen ein schwieriges Untersuchungsobjekt für die Sozial- und Verhaltenswissen- schaften. Es halte für die Forschung, wie Comstock formuliert, einige Herausforderungen bereit. 54 Wie im Kapitel Wirkung beschrieben, ist die Messung von Kausalität von Paradoxien geprägt. Der Objektivitätsanspruch einer statistischen Erhebung lässt zunächst keine Kausalaussagen zu, denn diese würden als interpretatorische Aussagen dem Ideal der Beobachterunabhängigkeit zuwiderlaufen. Erst komplizierte Rechenoperationen ermöglichen es, in experimentellen Untersuchungen statistische Signifikanz zu erzielen und Kausalhypothesen zu bestätigen oder zu widerlegen, ohne dass ein deu- tender Beobachter in diesem Prozess sichtbar wäre. Dass die Messung von Kausalität jedoch weiterhin prekär und umstritten bleibt, wird in em- pirischen Auslotungen der Wirkungen, die televisuelle Gewalt auf den Zuschauer hat, besonders deutlich. 54 Vgl. George Comstock: »Television Research. Past Problemsand Present Issues«, in: Asamen/Beny (Hg.), Research Paradigms, Television, and So- cial Behavior (1998), S. 11-36. 252 FORMATIERUNG DER WISSENSORDNUNG In den 1960er Jahren glaubten insbesondere Bandura und Berkowitz, durch ihre Laborexperimente Fernsehgewalt eindeutig belegt zu haben. Jedoch der Vorwurf der Künstlichkeit, der Isolation von >realen< Gege- benheiten, die der experimentellen Methode immer schon begegnet, ver- schärft sich für den Untersuchungsgegenstand >Fernsehwirkung<. Die Forschung nimmt das Fernsehen seit seiner Verbreitung in den Verei- nigten Staaten als ein Phänomen wahr, das sich aufkomplexe Weise mit den individuellen und sozialen Strukturen der empirischen Realität ver- zahnt, sodass die kontrollierte Überprüfung von Kausalhypothesen im Labor unmöglich scheint. Skepsis gegenüber der Kausalanalyse, mit der sich bereits die empirische Forschung zur Film- und Radiowirkung kon- frontiert sah, trifft das noch junge Medium Fernsehen in besonderer Weise. Die Studien für das Beratungskomitee des Surgeon General reagieren auf den Künstlichkeits-Einwand gegen Laborexperimente, den insbeson- dere Klapper in den Mass Media Hearings der Violence Commission an- geführt hat,55 indem sie in ihren Untersuchungen avancierte sozialwis- senschaftliche Methoden anwenden. Diese Verfeinerungen der For- schungspraktiken lassen Konzepte des Medialen sichtbar werden, ohne dass die Studien einen expliziten Medienbegriff formulieren. Indem sie das Fernsehen als Messproblem auftauchen sieht und neue Methoden der Kausalitätsmessung nutzt und weiterentwickelt, um Lösungen für dieses Problem zu finden, reflektiert die empirische Forschung in ihren Prakti- ken des Messens die Medialität des Fernsehens. Das Mediale des Fern- sehens kommt so gesehen als Störung in den Blick der Publikumsfor- schung. Eine Studie, die das NIMH auf Wunsch des Advisory Committee fi- nanziert und die bis heute immer wieder diskutiert wird,56 lässt sich als einer der avanciertesten Lösungsversuche des Messproblems >Fernseh- gewalt< verstehen: Das Team der Untersuchung, die nach ihrer ersten Förderungsinstitution auch Rip Van Winkle Study genannt wird, besteht aus den Psychologen Monroe M. Letkowitz, Leonard D. Eron, Leopold 0. Walder und L. Rowell Huesmann. Ihre Ergebnisse publizieren die Forscher unter dem Titel »Television Violence and Child Aggression: A Followup Study«. Es handelt sich um eine Untersuchung, die bereits 1955 auf den Weg gebracht wurde und durch das Advisory Committee die Möglichkeit einer Fortsetzung erhält. Die Ausgangsstudie Mitte der 50er Jahre fokussierte zunächst eine Fragestellung, die mit Mediengewalt nichts zu tun hat. Es ging vielmehr darum, die psychische Gesundheit ei- ner ländlichen Bevölkerung anhand der Variable >Aggressivität< zu er- mitteln. Eher zufexakten Wissenschaften< ins- besondere dadurch bemerkbar, dass theoretische Hypothesen nur sehr schwer unter idealen Bedingungen- d.h. in kontrollierbaren Modellsitua- tionen - überprüfbar sind. Nach Hubert M. Blalock müssen deduktive Theorien nicht unbedingt im Labor überprüft werden, wenn >natürliche< Gegebenheiten so weit kontrolliert werden können, dass sie als Annähe- rungen an die ideale Bedingung hinreichend sind. Die Sozialwissenschaft sieht sich jedoch häufig in der misslichen Lage, keinen der beiden mögli- chen Wege beschreiten zu können: »[W]hen one can neither approximate the ideal experimentally nor find these approximations in the real world, 57 Vgl. Monroe M. Lefkowitz u.a: »Television Violence and Child Aggres- sion: A Followup Study«, in: Comstock/Rubinstein (Hg.), Television and Adolescent Aggressiveness (1972), S. 35-135. 58 V gl. Carl I. Hovland: »Effects of the Mass Media of Communication«, in: Lindzey (Hg.), Handbook of Social Psychology, Bd. 2. (1954), S. 1062- 1103. 254 FORMATIERUNG DER WISSENSORDNUNG the problern is made extremely difficult.«59 Blalock sieht keinen anderen Ausweg, als Simplifizierungen in Kauf zu nehmen. Die Notwendigkeit der Vereinfachung konfrontiere den social scientist mit einem beständi- gen Dilemma: »On the one hand, simple theories are easier to construct and evaluate. On the other hand, the more complex ones may stand a bet- ter chance of conforming to reality.«60 Die angebliche Notwendigkeit einer kontrollierenden Manipulation durch den Experimentator unter isolierten Laborbedingungen ist für Bla- lock zentraler Ansporn für den Entwurf komplexerer Kausalmodelle in nicht-experimentellen und damit für die soziologische, aber auch für die sozialpsychologische Analyse passenderen Settings. Das Dilemma der Sozialforschung zwischen Simplifizierung einerseits und adäquateren, aber zu komplexen Hypothesen andererseits lösen Blalock und zahlrei- che sozialwissenschaftliche Kausalforscher mit ihm, wie etwa Alden D. Miller, auf dem schmalen Grat eines Mittelwegs, derbeideVarianten des Dilemmas so weit wie möglich zu reduzieren sucht. Solche Bemühungen können zudem als Fortsetzungen Fisher'scher Experimentkonzeptionen verstanden werden, die versuchen, den Beobachter so weit wie möglich aus der Untersuchung >hinauszurechnen< und auf diese Weise Objektivi- tät zu erzielen.61 Mittels einer komplexen statistischen Analyse glaubt Miller nachgewiesen zu haben, dass starke Ähnlichkeiten zwischen den Mechanismen experimenteller und nicht-experimenteller Untersuchun- gen bestehen. Demnach kann dieselbe Basisanalyse in beiden For- schungsvarianten verwendet werden. Das Experiment kann also auch un- ter >natürlichen< Bedingungen stattfinden, bzw. die Realität bietet dem Sozialforscher genügend Möglichkeiten der- unsichtbaren- Kontrolle.62 Auch die Rip Va n Winkle Study wertet ihre Daten- wie im nächsten Ab- schnitt zu sehen sein wird - mithilfe einer komplexen statistischen Ana- lyse aus und kommt so zu Aussagen über Fernsehwirkung außerhalb des Labors. b) Korrelation in Zeitsprüngen Die Rip V anWinkle Foundation schickt 1955 ein Forscherteam ins Feld, um die psychische Gesundheit der Einwohner Columbia Countys zu eru- ieren. Das Forschungsvorhaben wird bereits zu dieser Zeit vom U.S. Public Health Service finanziell unterstützt. Ein Team, bestehend aus 59 Hubert M. Blalock: »T heory Building and Causal Inferences«, in: ders./ Arm B. Blalock (Hg.), Methodology in Social Research. New York u.a.: McGraw-Hilll968, S. 155-198, hier S. 157. 60 Ebd., S. 159. 61 Vgl. das Kapitel Wirkung: Epistemologie des Messens. 62 Vgl. Alden D. Miller: »Logic of Causal Analysis: From Experimental to Nonexperimental Design«, in: Hubert M. Blalock (Hg.), Causal Models in the Social Sciences, London: Macmillan 1971, S. 273-294. 255 AGGRESSIVE MEDIEN ortsansässigen Forschern, dem, außer Huesmann, bereits alle Autoren der Surgeon General-Studie angehören, wählt aus rein pragmatischen Erwä- gungen die Variable >Aggression< als Indikator für die psychische Ver- fasstheit der Bevölkerung, denn Aggression könne, orientiert an der De- finition, die Dollard und seine Co-Autoren im Rahmen der Frustrations- Aggressions-Hypothese entwickelt haben, leicht beobachtet und gemes- sen werden. Die Autoren der Yale-Schule vereinfachend, definieren die Rip Van Winkle-Forscher Aggression als »act which injures or irritates another person«. 63 Bei der Auswahl seiner Probanden legt das Forscher- team das gesamte Einzugsgebiet seiner Trägerorganisation zugrunde und nimmt sich vor, sämtliche Kinder zu untersuchen, die sich im Schuljahr 1959-1960 in der dritten Klasse befinden, also durchschnittlich acht Jah- re alt sind. Vier voneinander unabhängige Quellen sollen dabei Auf- schluss über das aggressive Verhalten der Kinder geben: die Klassenka- meraden, die Mutter, der Vater und das jeweilige Kind selbst. Da das Team anstrebt, eine Bevölkerungsschicht vollständig zu erfassen, ist es auf die Kooperation seiner Versuchspersonen dringend angewiesen. Ge- plant ist eine Langzeitstudie, in der die Entwicklung aggressiven Verhal- tens derselben Probanden über eine längere Zeitspanne hinweg beobach- tet werden soll. Im anfangliehen Untersuchungsdesign spielt die Fernsehrezeption nur eine äußerst untergeordnete Rolle. Zwar taucht im Interviewbogen für beide Elternteile die Frage nach der Dauer des Fernsehkonsums und den drei Lieblingssendungen des Kindes auf, doch dient dies in der Per- spektive der Forscher zunächst nur der >Tarnung< der gesamten Studie. Ein vorrangiges Ziel der Studie, nämlich den Zusammenhang zwischen aggressivem Verhalten der Kinder und Erziehungsmethoden der Eltern zu klären, soll verdeckt bleiben- die Frage nach dem Fernsehen taucht dabei als eine Verhüllungsmethode auf. Die Untersuchung verlässt sich dabei gewissermaßen auf die öffentliche Debatte, die dem Fernsehen ei- ne schädliche Wirkung zuschreibt. Die Forscher meinen voraussetzen zu können, dass der Zusammenhang zwischen televisueller Gewaltrezeption und kindlicher Aggressivität eine plausible Forschungsfrage ist und des- halb den tatsächlichen Fokus der Untersuchung- der nämlich auf die El- tern selbst zielt- unsichtbar halten könnte. 64 Die Rip V anWinkle-Studiesieht sich im Verlauf ihrer Arbeit mit ei- ner heftigen öffentlichen Kontroverse konfrontiert, die in den lokalen Medien breit verhandelt wird: Die Entrüstung der ländlichen Bevölke- rung richtet sich insbesondere auf die Befragungstechniken. Man be- fürchtet, die Forscher könnten mit ihren Praktiken der mental health- 63 M. Lefkowitz u.a.: »Television Violence«, S. 36. 64 Vgl. Leonard D. Eron/Leopold 0. Walder/Monroe M. Lefkowitz: Leaming of Aggression in Children, Boston: Little, Brown and Co. 1971, S. 39. 256 FORMATIERUNG DER WISSENSORDNUNG Untersuchung in den Privatbereich der Familien eindringen und würden ein Zerrbild des Familienlebens zur Schau stellen.65 Die Medienkontroverse hat einschneidende Konsequenzen für den weiteren Gang der Forschungen. 1962 endet die finanzielle Förderung und das Team löst sich auf. Der geplante zweite Schritt der Langzeitstu- die, nämlich die Kinder erneut zu testen, wenn sie in der achten Klasse, also etwa dreizehn Jahre alt sind, lässt sich nur noch in Ansätzen realisie- ren, da mehrere Schulen die erneute Zusammenarbeit verweigern. Im- merhin gelingt es den Forschern, im Schuljahr 1964-65 noch 252 der ur- sprünglichen 875 Kinder zu testen- wiederum begleitet von feindlicher Publicity.66 Auf Veranlassung des Advisory Committee mit erneuter finanzieller Unterstützung durch das NIMH ausgestattet, wird die ehemalige Rip V an Winkle-Forschung 1969 wieder aufgegriffen und formiert sich, auf der Folie ihrer schwierigen Vorgeschichte, zu einem zentralen Diskursereig- nis im Feld der Mediengewalt Ihre zentrale Hypothese, die sie über eine erneute Befragung derselben Kinder zehn Jahre später statistisch nach- zuweisen sucht, lautet nun: Es besteht ein positiver Zusammenhang zwi- schen Fernsehkonsum in der Kindheit und aggressivem Verhalten im jungen Erwachsenenalter. Angesichts dieser neuen Konstellation stellt sich die Frage: Wie konnte aus der marginalen und nur zur Verhüllung von Forschungszielen erhobenen Variable >Fernsehverhalten< die Grund- lage dafür werden, die 1955 begonnene Langzeitstudie zu beenden? Die beteiligten Forscher selbst bieten zwei verschiedene Erklärungen hierfür an. Die eine verweist auf externe Gründe: Wegen des steigenden Interes- ses an den Auswirkungen von Fernsehen auf kindliches Verhalten sei dieser Frage auch in der Rip V anWinkle-Forschungnachgegangen wor- den.67 Die zweite Erklärung verweist auf interne Gründe, und zwar auf Praktiken der Datenverarbeitung. Beinahe scherzhaft sei die Variable >Fernsehverhalten< zunächst als Tarnung des tatsächlichen Untersu- chungsinteresses verhandelt worden, jedoch: »The computer, unaware of our jokes, analyzed these responses along with the others. It was found that the number of hours children watched TV per week and the violence rating of their three favorite TV programs were both highly re- lated to aggression as related by peers [ ... ].«68 65 Vgl. Leonard D. Eron/Leopold 0. Walder: »Test Buming II«, in: American Psychologist 16 (1961), H. 5, S. 237-244. 66 Vgl. M. Lefkowitz u.a.: »Television Violence«, S. 39 u. S. 42. 67 Vgl. ebd., S. 38. 68 L. Eron/L. Walder/M. Lefkowitz: Leaming of Aggression, S. 39f. Die inte- ressante Frage, inwieweit der Einsatz von Computertechniken die Medien- wirkungsforschung entscheidend verändert, kann hier nur als Desiderat ei- ner eingehenden Untersuchung angezeigt werden. Das »somewhat unex- pected finding« (M. Lefkowitz u.a.: »Television Violence«, S. 82) der Re- lation zwischen Rezeption von Gewaltdarstellungen im Fernsehen und ag- 257 AGGRESSIVE MEDIEN Der Streit um die Rip Van Winkle Study lässt zusätzlich zu den beiden Erklärungen, die das Team selbst gibt, eine weitere Antwortmöglichkeit auf die Frage zu, warum Fernsehverhalten schließlich eine solch bedeu- tende Variable wird. Das Forscherteam verschiebt mit seiner Beobach- tung des Fernsehens den Fokus auf einen >Eindringling< in den Privatbe- reich der Familie, der die acht- bzw. neunjährigen Kinder im Untersu- chungszeitraum 1959-60 derart in ihrer Entwicklung geprägt hat, dass noch ihr aggressives Verhalten als Achtzehn- oder Neunzehnjährige da- von beeinflusst ist. Gewissermaßen streifen die Forscher damit den alten Vorwurf ab, sie seien mit ihren Praktiken in den Bereich des Privaten eingedrungen und hätten die Kinder auf diese Weise nachhaltig geschä- digt. Diese Anschuldigung der entrüsteten Eltern in Columbia County scheinen sie über ihre erneute Datenauswertung an das Medium weiter- zugeben. Im ursprünglichen Untersuchungsdesign noch kaum beachtet, wird das Fernsehen mittels avancierter statistischer Methoden zu einem stets präsenten Begleiter im Leben des Kindes erklärt, der eng mit dessen Verhaltensentwicklung verbunden ist. Obwohl einige Schulen auch nach zehn Jahren noch die Zusammen- arbeit mit Letkowitz und seinen Kollegen verweigern und keine Aus- kunft über die Adressen ihrer ehemaligen Schüler geben wollen, gelingt es dem Team, 436 der Probanden aufzufinden und Interviews mit ihnen durchzuführen. In der Befragung müssen die Probanden erneut Einschät- zungen über die Aggressivität ihrer ehemaligen Mitschüler geben und darüber hinaus von ihrem eigenen aggressiven Verhalten sowie von ihren Fernsehgewohnheiten berichten. Das Team misst auf diese Weise vier zentrale Variablen: Rezeption von televisueller Gewaltdarstellung in der dritten Klasse (TVVL3), aggressives Verhalten in der dritten Klasse (AGG3), televisuelle Gewaltrezeption in der 13. Klasse69 (TVVL13) und Aggressivität in der 13. Klasse (AGG 13). Diese vier Größen werden gressivem Verhalten publiziert Eron 1963 im Journal ofA bnormaland So- cial Psychology - allerdings ohne daraus eine Kausalaussage abzuleiten und mit einem zweiten Ergebnis, das diesen klaren Befund ein wenig ver- wässert: Die Anzahl der Stunden, die nach Angaben der Mütter mit Fern- sehen verbracht werden, stehe in negativer Relation zum aggressiven Ver- halten der Kinder. Je mehr die Kinder fernsehen, so das daraus resultieren- de Ergebnis, desto friedlicher werden sie. Zudem muss Eron eine Ein- schränkung machen: Die Zusammenhänge seien nur für Jungen, nicht aber für Mädchen statistisch signifikant. Ebenso wie kuapp zehn Jahre später im Bericht für das Advisory Committee wird dieser Befund mit den unter- schiedlichen sozialen Rollen von Jungen und Mädchen erklärt. Vg l. Leo- nard D. Eron: »R elationship of TV Viewing Habitsand Aggressive Beha- vior in Children«, in: Journal of Abnormal and Social Psychology 67 (1963), H. 2, S. 193-196. 69 Auch wenn die Probanden nicht mehr zur Schule gehen, wird diese Be- zeichnung zur Vereinfachung eingeführt. Vgl. M. Lefkowitz u.a.: »Televi- sion Violence«, S. 85, Anm. 8. 258 FORMATIERUNG DER WISSENSORDNUNG dann mittels des Verfahrens der cross-lagged correlation miteinander in Verbindung gesetzt.70 An dieser Stelle schließen die Forschungspraktiken des ehemaligen Rip V an Winkle-Teams an die parallele Entwicklung an, die im vorange- gangenen Abschnitt beschrieben wurde: Die Wirkung des neuen Medi- ums Fernsehen wird in der Sozialforschung als Messproblem wahrge- nommen; gleichzeitig entstehen komplexere Methoden, mit deren Hilfe Kausalanalysen außerhalb kontrollierter Laborexperimente möglich wer- den sollen. Um eine solche Methode handelt es sich bei der cross-lagged correlation. Wenn Letkowitz und seine Kollegen für das Advisory Committee diese statistische Methode anwenden, führen sie die parallele Entwicklung zusammen, indem sie ein neues Verfahren der Kausalitäts- messung für das Messproblem Fernsehen fruchtbar machen. Anfang der 1960er Jahre bestimmt Donald T. Campbell die cross- lagged correlation als eine Möglichkeit, auch außerhalb einer randomi- siert-experimentellen Berechnung in der Tradition Fishers auf >quasiex- perimentellem< Weg Kausalität identifizieren zu können. 71 Die Bezeich- nung >cross lagged< bezieht sich auf einen Zusammenhang, der den Zeit- abstand zwischen den Messungen überspringt, im Beispiel der beschrie- benen Studie also die Korrelation zwischen TVVL3 und AGG 13. Camp- bell warnt davor, die Korrelation im Zeitsprung mit einem kausalen Zu- sammenhang zu verwechseln. Nur durch den Ausschluss konkurrierender Variablen kann eine kausale Interpretation erfolgen.72 Letkowitz und seine Co-Autoren überprüfen dementsprechend vier rivalisierende Hypothesen, die sich aus der Korrelierung der vier Variab- len ergeben: (A) TVVL3 verursacht sowohl AGG3 als auch AGG 13; (B) TVVL3 verursacht AGG3, die wiederum AGG13 verursacht; (C) AGG3 verursacht TVVL3, die wiederum AGG 13 verursacht; (D) AGG3 verur- sacht sowohl AGG 13 als auch TVVL3. Das Team um Letkowitz konsta- tiert über die unterschiedlichen Höhen der sechs Relationen zwischen den vier Variablen, dass nur die Interpretation (A) plausibel ist: »[T]he most plausible single causal hypothesis would appear to be that watehing violent television in the third grade leads to the building of aggressive habits. «7 3 Diese Methode der Kausalinterpretation stößt auf breite Kritik. Das Advisory Committee selbst diskutiert die Langzeitstudie in seinem Ab- schlussbericht ausführlich, wobei ein zentraler Kritikpunkt sich an Daten entzündet, die das ehemalige Rip Van Winkle-Team in seinem Bericht einfach weggelassen hat: die Ergebnisse aus der zweiten, nur einge- 70 Vgl. ebd., S. 47-49. 71 Vgl. Donald T. Campbell: »From Description to Experimentation: Inter- preting Trends as Quasi-Experiments« [1963], in: Chester W. Harris (Hg.), Problems in Measuring Change, Madison, Milwaukee, London: University ofWisconsin Press 1967, S. 212-242. 72 Vgl. ebd., S. 242. 73 Vgl. M. Letkowitz u.a.: »Television Violence«, S. 49-51, Zitat: S. 51. 259 AGGRESSIVE MEDIEN schränkt durchgeführten Erhebungswelle, in der die Probanden die achte Klasse besucht haben. Der Report des Advisory Committee zeigt, dass sich ein ganz anderes Bild ergibt, wenn diese Daten berücksichtigt wer- den: TVVL3 korreliert nur sehr gering mit AGG8 und der Zusam- menhang zwischen TVVL8 und AGG 13 ist gleich null. Zieht man diese Daten in Betracht, so ergibt sich der Eindruck, die Wirkung von Fern- sehgewalt würde mit steigendem Alter stark nachlassen. 74 Die Ergebnisberichte der Columbia County-Studie werden nicht nur bei ihrer Veröffentlichung in den technischen Bänden des Advisory Committee, sondern auch bei einer Publikation im American Psycholo- gisP5 von kritischen Kommentaren zur Methode der cross-lagged corre- lation begleitet.76 Im Jahr 2006, in der aktuellsten Ausgabe ihres Stu- dienbuchs Gewalt und Medien, greifen Kunczik und Zipfel die Kritik des Advisory Committee auf und diskutieren die Langzeitstudie als »ein ein- drucksvolles Beispiel dafür, dass angeblich >wissenschaftliche< Befunde häufig nichts anderes sind als Hörensagen und Datenmanipulation.«77 Die Kontroverse um ihre Methoden scheint seit der Medienkampag- ne um 1960 untrennbar mit der ehemaligen Rip Van Winkle Study ver- bunden zu sein. Wie schon in den ersten Anfeindungen erweist sich das Forscherteam aber als unbeirrbar und unermüdlich: Nicht nur werden ei- nige derselben Versuchspersonen in Columbia County nochmals getestet, wenn sie 30 Jahre alt sind, die Studie wird auch in mehreren Ländern wiederholt.78 Noch 2003 erscheint ein Forschungsbericht über eine Langzeitstudie zu Fernsehgewalt, die den Zeitraum von 1977-1992 um- fasst, in der Fachzeitschrift Developmental Psychology. 79 Einer der Auto- 74 Vgl. Surgeon General's Advisory Connnittee: Report, S. 153-156. 75 Vgl. Leonard D. Eron u.a.: »Does Television Cause Aggression?« In: American Psychologist 27 (1972), H. 4, S. 253-263. 76 Vgl. die Kommentare von Gilbert Becker, Robert M. Kaplan, Denis Howitt und Herbert Kay in der Ausgabe des American Psychologist vom Oktober 1972, S. 967-973, sowie die Erwiderung des Forscherteams in der Ausgabe vom Juli 1973, S. 617-620. Vgl. in den Berichtsbänden des Advisory Committee David A. Kenny: »Threats to the Intemal Validity of Cross- Lagged Panel Inference, as Related to >Television Violence and Child Ag- gression: A Followup Study<«, in: Comstock/Rubinstein (Hg.), Television and Adolescent Aggressiveness (1972), S. 136-140 nnd John M. Neale: »Comment on >Television Violence and Child Aggression: A Followup Study<«, in: Comstock/Rubinstein (Hg.), Television and Adolescent Ag- gressiveness (1972), S. 141-148. 77 M. Kunczik/A. Zipfel: Gewalt und Medien, S. 205. 78 Huesmann und Eron fuhren ab 1977 Langzeitstudien in fünfverschiedenen Ländern durch: USA, Australien, Finnland, Israel und Polen. Vgl. ebd., S. 207-210. 79 Vgl. L. Rowell Huesmann u.a.: »Longitudinal Relations Between Chil- dren's Exposure to TV Violence and Their Aggressive and Violent Beha- 260 FORMATIERUNG DER WISSENSORDNUNG renist Leonard D. Eron, der schon 1955 im Auftrag der Rip V anWinkle Foundation Feldforschungen betrieben hat und dabei zufallig auf die Va- riable >Fernsehen< gestoßen ist. Fernsehen wird durch diese Forschungs- praktiken als ein Medium bestimmt, das den Lebenslauf seiner Nutzer durchzieht und seine Wirkungen über große Zeitabstände hinweg entfal- tet. Nur akribische und geduldige Forschungsarbeit, so die Implikation des Rip Van Winkle-Projektes, kann die dispersen Fernsehwirkungen sichtbar machen. c) Muster der Rezeption Schramm, Lyle und Parker nennen die kanadische Stadt, die sie Ende der 50er Jahre zur Kontrolle ihres Feldexperiments Television in the Lives of Gur Children nutzen, >Radiotown<, weil hier noch kein Fernsehpro- gramm verfügbar ist. Die Einwohner seien sich aber durchaus bewusst, im Zeitalter des Fernsehens zu leben, und erwarteten die Ankunft des neuen Mediums schon ungeduldig. Einige der Befragten erhofften sich von der Studie sogar eine Beschleunigung dieses Vorgangs. Viele hielten bereits ein Fernsehgerät bereit und warteten auf die Verfügbarkeit eines Signals. Schramm, Lyle und Parker berichten von einem kuriosen Fall: »Üne family has connected its set to an antenna. This family reports that two or three nights a year they are able to receive some television. Stray signals bounce off the magnetic layer and give them either the sound or the picture of a televisionprogram- seldom both together. Two or three nights a year! And yet, practically every night they turn on the set, hoping that this is the night!«80 Anfang der 70er Jahre, wenn Lyle gemeinsam mit Heidi R. Hoffman mit Untersuchungen im Auftrag des Advisory Committee an diese Feldfor- schungen anknüpft, 81 ist der Attraktions- und Sensationswert des neuen Mediums in dieser Form nicht mehr gegeben, Fernsehen ist zum Element des Alltags geworden. Die Forschung muss die Fernsehrezeption neu re- flektieren. In seinem Überblicksartikel zum vierten Band des technischen Berichts, der den Titel Television in Day-To-Day Life: Patterns of Use trägt, stellt Lyle fest: »Overall, the studies suggest several changes over the decade in the public's use of and attitude toward television. It seems vior in Young Adulthood: 1977-1992«, in: Developmental Psychology 39 (2003), H. 2, S. 201-221. 80 Vgl. W. Schramm/J. Lyle/E. Parker: Television, S. 16f., Zitat: S. 17. 81 Vgl. Jack Lyle/Heidi R. Hoffi:nan: »Children's Use ofTelevision and Other Media«, in: Rubinstein/Comstock/Murray (Hg.), Television in Day-to-Day Life (1972), S. 129-256; Jack Lyle/Heidi R. Hoffman: »Explorations in Patterns of Television Viewing by Preschool-Age Children«, in: Rubin- stein/Comstock/Murray (Hg.), Television in Day-to-Day Life (1972), S. 257-273. 261 AGGRESSIVE MEDIEN that more time is sperrt in the company of the set, but it appears that the level of attention to program content fluctuates markedly.«82 Schon in der 1961 veröffentlichten Feldstudie weisen Schramm, Lyle und Parker auf die Bedeutung von Nutzungsfragen im Gegensatz zu ei- ner reinen Fokussierung der Medienwirkung hin. Anfang der 70er Jahre ist diese Perspektivierung durch medientheoretische Ansätze in der empi- rischen Sozialforschung fest implementiert. John P. Robinson bezieht sich in seiner Funktionsbestimmung des Fernsehens, die er auf der Grundlage von empirischen Studien vornimmt, auf Marshall McLuhans Understanding media (1964) und auf William Stephens The Play Theory of Mass Communication (1967). Robinson verweist auf McLuhans Be- schreibung des Fernsehbildes als zweidimensionales Mosaik, um die Fernsehrezeption als diskontinuierlichen Prozess der aktiven Selektion darzustellen, der in Laboruntersuchungen unmöglich nachzustellen sei. 83 Mit Bezug auf Stephens' Beschreibung des Fernsehens als genussvolle, konsequenzenlose Erfahrung konstatiert er, dass Fernsehen eher zur Ent- spannung als zu edukativen Zwecken genutzt wird. 84 Als ein grundsätzliches Messproblem verhandeln die Studien im Rahmen des Advisory Committee die Kategorie >viewing time<. Fernse- hen erweist sich Anfang der 70er Jahre als ein Medium, dessen Nutzung von anderen alltäglichen Tätigkeiten begleitet wird. Lyle beschreibt die Fernsehrezeption als einen Verhaltenskomplex, der sich auf unterschied- lichen Ebenen der Aufmerksamkeit vollzieht. Woran können sich die Messungen dann orientieren? Ist die Zeit der Aufmerksamkeit auf die Momente begrenzt, in denen der Rezipient >Augenkontakt< mit dem Bildschirm hält? Als eine Konsequenz aus dieser Differenzierung von Nutzungsformen tauchen neue Typologien der Mediennutzung in den Studien auf: die bügelnde Hausfrau, der Mann, der sich dem Football- spiel im Fernsehen nur zuwendet, wenn ihn akustische Signale dazu ver- anlassen, oder das vor einem Fernsehgerät spielende Kind. 85 Wie die spektakuläre Gewalttat hat sich in den Entwürfen der For- schung auch das Medium mit den Alltagsstrukturen der Nutzer verwo- ben. Doch diese Veralltäglichung des Fernsehens bedeutet aus der Per- spektive der Gewaltforschung nicht, dass es nun harmlos wäre. Im Ge- 82 Jack Lyle: »Television in Daily Life: Patterns of Use (Overview)«, in: Rubinstein/Comstock/Murray (Hg.), Television in Day-to-Day Life (1972), S. 1-32, hier S. 23. 83 Vgl. John P. Robinson: »Toward Defining the Functions ofTelevision«, in: Rubinstein/Comstock/Murray (Hg.), Television in Day-to-Day Life (1972), S. 568-603, hier S. 578. Vgl. Marshall McLuhan: Die magischen Kanäle. Understarrding Media [1964], Düsseldorfu.a.: ECON-Verlag 1992, S. 352- 383. 84 Vgl. J. Robinson: »Functions of Television«, S. 595; William Stephenson: The Play Theory of Mass Communication, Chicago/IL: University of Chi- cago Press 1967. 85 Vgl. J. Lyle: »Television in Daily Life« (Appendix), S. 26f. 262 FORMATIERUNG DER WISSENSORDNUNG genteil: Das immer schwierigere Unterfangen, Fernsehwirkung als dis- tinkten Stimulus isoliert messen und kontrollieren zu können, geht mit der Problematik einher, wie insbesondere der kindliche Rezipient über- haupt noch zur richtigen Mediennutzung erzogen werden kann: »Television today is an integral part of our everyday life. It appears that it is not an unmixed blessing. To the extent that it can be dysfunctional to individuals and (by extension) to the social fabric, the manner in which it is intertwined in our daily lives makes it an exceedingly difficult problern to deal with. This does not mean it is an impossible problem. But the findings reported herein suggest that even those most directly concemed - the mothers of young children - do not have the will to come to grips with it.«86 Lyles Kritik an der mangelnden Bereitschaft der Mütter, das Nutzungs- verhalten ihrer Kinder zu überwachen, steht in engem Zusammenhang mit der Beobachtung, dass die Versuchspersonen unzuverlässig sind und ihrer Bewertung kein Vertrauen geschenkt werden kann. Welche Mecha- nismen der Kontrolle die Forschungspraktiken dem entgegensetzen und wie sie auf diese Weise zur Selbstregierung der Mediennutzer auffor- dern, behandelt der folgende Abschnitt. Die Überwachung gewalttätiger Mediennutzer Moralisierende Aussagen, die den Mediennutzer betreffen, schreiben sich in die Versuchsanordnung besonders prägnant in jene Verfahren ein, die überprüfen sollen, ob die Probanden überhaupt zuverlässig sind, ob sie in den Befragungen der Wissenschaftler wahrheitsgemäße Angaben ma- chen oder ob sie die Ergebnisse der Studien verfalschen. Die Studien, die das Beratungskomitee des Surgeon General in Auftrag gibt, rufen mit diesen selbstreflexiven Fragen eine Forschungsrichtung auf, die unter- sucht, inwiefern Versuchspersonen als Einflussfaktoren in experimentelle Settings mit einbezogen werden müssen. Dieses Untersuchungsfeld wur- de von Martin T. Orne, der 1960 zwei einschlägige Artikel im American Psychologist veröffentlichte, auf den Weg gebracht. Orne zeigte, dass Versuchspersonen, etwa indem sie selbst Hypothesen über die Ziele des Experiments bilden und ihre Handlungen danach ausrichten, entschei- denden Einfluss auf Versuchsanordnungen nehmen können. 87 Versuchspersonen sind demnach keine passiven Instrumente der For- schung, sondern greifen aktiv in das Geschehen ein. Ihr Verhalten muss deshalb durch den kontrollierenden Aktanten der Versuchsanordnung in den Untersuchungsprozess mit einbezogen werden. Dieses Interesse der 86 Ebd., S. 25. 87 Vg l. Rolf H. Bay: Zur Psychologie der Versuchsperson. Eine sozialpsycho- logische Studie der sogenannten >Verbalen Konditionierung<, Köln, Wien: Böhlau 1981, S. 20-27. 263 AGGRESSIVE MEDIEN Forschung an der Rolle der Versuchsperson betrifft nicht nur das Expe- riment. In Befragungen außerhalb des Labors wirft sie einen Schatten der Skepsis auf die Methode des Self-Report, die insbesondere in medizini- schen und sozialhygienischen Studien unabdingbar ist. Wenn die Befrag- ten dem Interviewer über Aspekte ihres sozialen Lebens oder über ihre körperliche Verfasstheit berichten, also Informationen geben, die keinem anderen zugänglich und deshalb auch nicht überprüfbar sind, darf sich der Forscher dann auf die Vertrauenswürdigkeit der Probanden verlas- sen?88 Durch die skeptische Beobachtung ihrer Versuchspersonen formulie- ren die wissenschaftlichen Experten gleichzeitig eine wertende Einschät- zung über die Fähigkeit der Fernsehzuschauer, ihr eigenes Nutzungsver- halten bzw. das ihrer Kinder richtig einzuschätzen, zu kontrollieren und zu überwachen. Die Quintessenz dieser Beobachtung lautet: Die Verläss- lichkeit der Versuchspersonen, respektive die Selbstregierung der Me- diennutzer ist äußerst mangelhaft und verbesserungsbedürftig. Um dies vor Augen zu führen, installieren die Wissenschaftler Techniken, die den Probanden gewissermaßen überführen, seine Unzuverlässigkeit kenntlich machen. Dabei spielt die Technik des neuen Mediums Video eine wich- tige Rolle. Anfang der 70er Jahre, zu der Zeit also, in der das Advisory Committee tagt, wird sie in einer doppelten Perspektive beobachtet: Zum einen wird Video als Bedrohung oder Chance einer vollständigen Über- wachung der Gesellschaft verhandelt, zum anderen gilt es aufgrund sei- ner Möglichkeit, in Bildprogramme einzugreifen und diese durch Spei- cherung verfügbar zu machen, als Gegenmodell zur Flüchtigkeit des te- levisuellen Programmflusses. 89 Wenn die Studien Videotechniken einset- zen, um den Fernsehzuschauer zu überwachen, dann schreiben sie sich in eine Debatte der Medienkonkurrenz ein, die zwei unterschiedliche Zu- schauermodelle konzipiert: das Modell des passiven Fernsehzuschauers und das des aktiv selektierenden und eingreifenden Videozuschauers. Die Experimente nutzen diese Differenzierung aber nicht, um ein neues Zu- schauermodell in ihrem Blick auf die Wirkungen des Fernsehens zu konstatieren. Vielmehr markiert die Mediendifferenz ein Hierarchiegefal- le zwischen Experimentator und Versuchsperson. Die wissenschaftlichen Videorezipienten markieren ihre Überlegenheit über die fernsehenden 88 Vgl. hierzu in jüngerer Zeit: Arthur A. Stone u.a. (Hg.): The Science of Self-Report. Implications for Research and Practice, Mahwah, NJ, London: Erlbaum 2000; insbesondere: Wendy Baldwin: »Information No One Else Knows: The Value of Self-Report«, in: Stone u.a. (Hg.), The Science of Self-Report (2000), S. 3-7. 89 Vgl. Torsten Rahn/Isabell Otto/Nicolas Pethes: »Emanzipation oder Kon- trolle? - Der Disknrs über >Kassetten-Fernsehen<, Video und Überwa- chungstechnologie«, in: Albert Kümmel/Leander Scholz/Eckhard Schurna- eber (Hg.), Einführung in die Geschichte der Medien, Paderbom: Fink 2004, s. 225-253. 264 FORMATIERUNG DER WISSENSORDNUNG Versuchspersonen und sie entwerfen einen idealen Fernsehzuschauer, der mit dem Videozuschauer identisch wäre. Robert B. Bechtel, Clark Achelpohl und Roger Akers, eine Forscher- gruppe der Greater Kansas City Mental Health Foundation, stellen zwei Verfahren einander gegenüber, um die Zuverlässigkeit ihrer Probanden auf die Probe zu stellen: die Fragebogentechnik und die der Videoüber- wachung. Die Untersuchung sieht vor, die Probanden zunächst über ihr Fernsehverhalten zu befragen und anschließend mithilfe von Videoauf- zeichnungen in deren Wohnzimmer die Richtigkeit dieser Angaben zu überprüfen. Es überrascht kaum, dass die Studie mit Vorbehalten gegen die Überwachung des Privatlebens zu kämpfen hat: Nur acht der 52 Ver- suchspersonen, die einen Fragebogen ausgefüllt haben, lassen zu, dass die Forschergruppe für einen Zeitraum von sechs Tagen Videokameras in ihrem Haus installiert. Das Team heuert deshalb zusätzlich zwölf freiwil- lige Testfamilien an.90 Wie sehr die Studie ihr Programm der Regulation von Mediennut- zung an die zeitgenössische Videodebatte anschließt und Modelle der Kontrolle und Überwachung aus diesem Mediendiskurs >importiert<, verdeutlicht ihre detaillierte Technikbeschreibung: Das Forscherteam in- stalliert im Fernsehraum der Versuchspersonen zwei Kameras des Mo- dells Sony CVC 2100 mit Weitwinkellinsen. Kamera 1 installieren sie oberhalb des TV -Geräts, sodass sie einen möglichst weiten Blick über den gesamten Raum hat, und Kamera 2 dem TV -Gerät gegenüber, um das laufende Fernsehprogramm aufzunehmen. Immer wenn die Proban- den den Fernseher anstellen, schalten sich automatisch die beiden Kame- ras ein. Das Bild der zweiten Kamera wird in die linke untere Ecke des ersten Kamerabildes eingefügt, sodass die überwachenden Forscher in einem Bild sehen können, was der Fernsehzuschauer sieht und wie er es sieht. Ein Techniker überwacht die Videoaufnahme von einem Lastwa- gen aus, der in der Nähe des Hauses geparkt ist. Er wechselt dort stünd- lich die Videobänder und spricht den Namen der überwachten Familie sowie das Datum in die Tonspur der neu eingelegten Kassetten.91 Den Familien wird ein Tag Zeit gelassen, sich an die Kameras zu gewöhnen, bevor die Aufnahme beginnt. Immerhin die Hälfte der Ver- suchspersonen gibt später an, durch die Videoüberwachung in ihrem Fernsehverhalten beeinflusst worden zu sein: >»We dressed better, used better language and watched more.< [ ... ] >Husband wouldn't sit in the room in pajamas.< [ ... ] >My 14-year-old was constantly trying to watch himself.<«92 Dies hält das Forscherteam jedoch nicht davon ab, den Blick durch die Kamera als >wahrhaftiger< zu kennzeichnen, weil er Aufschluss 90 Vgl. Robert B. Bechtel/Clark Achelpohl/Roger Akers: »Correlates Be- tween Observed Behavior and Questionnaire Responses on Television Viewing«, in: Rubinstein/Comstock/Murray (Hg.), Television in Day-to- Day Life (1972), S. 274-299, hier S. 275. 91 Vgl. ebd., S. 277f. 92 Ebd., S. 289. 265 AGGRESSIVE MEDIEN darüber gibt, wie sich die untersuchten Familien tatsächlich in Bezug auf das Fernsehgerät positionieren. Die aufgezeichneten Videotapes werden je nach Grad, in dem die Probanden mit dem laufenden Fernseher befasst sind, codiert und auf einer Skala von 1-6 eingeordnet. Die Kennzahl 1 bedeutet: »Participating, actively responding to the TV set or to others regarding content from the set,« während die Zahl 5 am Ende der Skala »[i]n the viewing area of the TV but positioned away from the set in a way that would require tuming to see it« bezeichnet.93 Darüber hinaus identifizieren die Forscher eine sie selbst überraschende Vielfalt an Tä- tigkeiten, die ihre Probanden während des Fernsehens ausführen: »Loo- king out window, Pieking nose, Scratching (someone else and selt), Doing homework, Smoking, Rocking, Reading, Dancing« usw. 94 Am Ende seines Berichts kommt das Forscherteam zu dem Ergebnis: Es besteht eine große Diskrepanz zwischen den Angaben in den Frage- bögen und dem videotechnisch sichtbar gemachten Nutzungsverhalten. Die Versuchspersonen überschätzen ihre reine Fernsehzeit, sie geben auch dann an, das Medium genutzt zu haben, wenn sie tatsächlich mit zahlreichen anderen Dingen beschäftigt waren: »In general, the subjects' consistent overreporting indicates a lack of awareness of the complexity ofbehavior during the time the television set is on.«95 Mit anderen Wor- ten: Die Fernsehzuschauer seien selbst nicht in der Lage zu begreifen, was Fernsehen >eigentlich< ist. Sie hätten selbst keine Einsicht in die komplexe Funktionsweise des Mediums, in der Mediennutzung als Seg- ment in einem mehrdimensionierten Verhaltensrepertoire fungiert. Diese Erkenntnis formulieren Bechtel, Achelpohl und Akers noch nicht explizit als eine moralisierende Aussage. Das unternimmt dann um- so deutlicher eine weitere Studie im Programm des Advisory Committee, die Bradley S. Greenberg, Philip M. Ericson und Mantha Vlahos durch- führen. Diese Untersuchung trennt moralisiertes Subjekt und moralisier- tes Objekt, indem sie untersucht, wie gut Mütter das Fernsehverhalten ih- res Kindes, gemessen an dessen eigenem Bericht, einzuschätzen wissen. Die vergleichende Befragung kommt zu einer - aus Sicht der beteiligten Forscher - traurigen Bilanz. Getrennt voneinander befragt, müssen die Kinder und Mütter Angaben darüber machen, wie viel Zeit die Kinder vor dem Fernsehgerät verbringen, wie oft sie gewalthaltige Sendungen rezipieren, ob sie alleine oder im Beisein von Familienmitgliedern bzw. Freunden fernsehen, wie die Programmauswahl erfolgt, inwiefern sie das Gesehene als >real< empfinden, ob es in der Familie Regeln über die Fernsehrezeption gibt und wie stark die familiäre Interaktion ausgeprägt ist.96 93 Ebd., S. 279. 94 Ebd., S. 297. 95 Ebd., S. 298. 96 Vgl. Bradley S. Greenberg/Philip M. Ericson/Mantha Vlahos: »Children's Television Behaviors as Perceived by Mother and Child«, in: Rubinstein/ 266 FORMATIERUNG DER WISSENSORDNUNG Das Ergebnis des Vergleichs lautet: Es gibt kaum Übereinstimmun- gen zwischen den Angaben der Mütter und denen der Kinder. Eher ne- benbei kommt das Forscherteam zu einem Ergebnis, das die Be- standsaufnahme der mütterlichen Überwachungskompetenz noch düste- rer aussehen lässt: Sowohl die Antworten der Mütter als auch die der Kinder, aus denen hervorgeht, dass ein großer Teil der kindlichen Fem- sehrezeption im Beisein der Eltern geschieht, stehen in positivem Zu- sammenhang mit der Menge der konsumierten Gewaltsendungen. Aus Sicht der Forscher bedeutet dies: Die Mütter überwachen den Fem- sehkonsum ihrer Kinder nicht nur mangelhaft, sie schauen sich sogar gemeinsam mit ihren Kindem gewalthaltige Sendungen an und erhöhen so die Gewalt-Rezeption ihrer Schützlinge. Das Forscherteam kommt ebenfalls zu dem Ergebnis, das Medienverständnis der Familien sei äu- ßerst mangelhaft: »[T]he American family has not seemingly specified a role for television in the process of family growth. It is just there. Always there. No one has decided what to do about it, or with it.«97 Am Ende steht die Empfehlung einer umfassenden Medienerziehung von Eltern und Kindern, die- und das ist signifikant für das Projekt der moralischen Regulation - mit einer Forderung nach weitergehender Forschung ver- knüpft ist: »Üne might propose to develop an educational effort for young people in terms of how to use the medium of television, and a second effort for parents. The books on raising children give little space (most give none at all) to the issue of the media. Yet television occupies a large portion of one's life space; it is ab- sorbed without formal training in its use and offers few criteria for selecting among its offerings. Of course, the research necessary for indicating principles oftelevision viewing remains largely undone.«98 Diese und andere Forschungsergebnisse zusammenfassend und kommen- tierend, wählt auch Jack Lyle in seiner Einleitung des Bandes Television in Day-to-Day Life ganz deutlich das Vokabular der moralischen Regula- tion: »With these findings in mind, it is difficult tobe sanguine about the possibility that parents will accept the responsibility for undertaking a sustained program of directing their children's exposure to television, even if they do recognize the potential impact of the medium - good and bad - on their children. Giving the ubiquity of the medium, perhaps this is not only an unrealistic, but an un- fair, expectation. «99 Comstock/Murray (Hg.), Television in Day-to-Day Life (1972), S. 395- 409, hier S. 397f. 97 Ebd., S. 407. 98 Ebd., S. 406. 99 J. Lyle: »Television in Daily Life«, S. 24. 267 AGGRESSIVE MEDIEN Lyle macht damit auch ganz deutlich, welche Aufgabe der Forschung im Projekt der moralischen Regulation durch Mediengewalt zukommt: Die Forschungen sollen verhindern, dass Bewertungen der kindlichen Me- dienrezeption von Gleichgültigkeit geprägt sind. Ohne zu einem einheit- lichen Ergebnis über die Wirkung von Gewaltdarstellungen auf kindliche Fernsehzuschauer kommen zu müssen, soll die Forschung ein Problem- bewusstsein wachhalten. Dies geschieht u.a., wenn sie durch ihre For- schungstechniken der Überwachung unzuverlässiger Probanden nach- weist, dass die Selbstregierung des Mediennutzers perfektioniert werden muss, da diese mangelhaft ist, selbst wenn ein guter Wille besteht: »[D]e- spite uneasiness and intentions of mothers to guide the viewing of their young children, much of the viewing of even very young children is un- supervised, unmonitored.«100 Im Auftrag des Advisory Committee finanziert das NIMH auch eine Untersuchung, die nicht nur den Mediennutzer an seine Verpflichtung zur Selbstregierung gemahnt, sondern die selbst einen Vorschlag darüber formuliert, wie das moralisierte Objekt, der kindliche Mediennutzer, am besten zu überwachen ist. Es handelt sich um eine Untersuchung, die ein Forscherteam um den Psychologen Paul Ekman durchführt. Ekman ist zu diesem Zeitpunkt schon für seine Forschungen zu facialen Emotionsaus- drücken bekannt. Ähnlich wie bei Banduras Forschungen zur kindlichen Aggression wandert auch bei Ekman das Medium Fernsehen erst durch eine Verschiebung der Untersuchungsperspektive in ein vorhandenes ex- perimentelles Setting hinein. 101 Ekman setzt in seinem Experiment eine These voraus, die er, seiner Ansicht nach, in vorrangegangenen Forschungen eindeutig bewiesen hat: Es sei möglich, über den Gesichtsausdruck einer Person deren Emotio- nen eindeutig und objektiv zu messen. Seit Anfang der 60er Jahre hat Ekman Beobachter aus unterschiedlichen kulturellen Kontexten darauf- hin getestet, ob sie aus Fotografien, Filmen und Videoaufzeichnungen von Gesichtern beurteilen können, welche emotionale Stimulation der Mimik vorausgegangen ist. Er stellt fest, dass die Probanden zu recht einheitlichen Ergebnissen darüber kommen, ob die gezeigte Person Ekel, Freude, Trauer, Wut, Überraschung, Glück oder Interesse empfindet. 102 In seiner Fernsehstudie verschiebt Ekman den Untersuchungsfokus auf die faciale Sichtbarkeit der Emotionen von Post-Diktion zu Prä-Dik- tion: Die Beobachter sollen nicht beurteilen, aus welchen Emotionen die 100 Ebd. 101 Vgl. Paul Ekman u.a.: »Facial Expressions of Emotion While Watehing Televised Violence as Predictors of Subsequent Aggression«, in: Com- stock/Rubinstein/Murray (Hg.), Television's Effects, S. 22-43. 102 Meike Adam vergleicht Ekmans Studien mit Lavatars Physiognomik und konstatiert einen monnativen Beigeschmack<. Dies.: »Symbol oder Sym- ptom? Lesbarmachung des Gesichts«, in: Petra Löffler/Leander Scholz (Hg.), Das Gesicht ist eine starke Organisation, Köln: DuMont 2004, S. 121-139. 268 FORMATIERUNG DER WISSENSORDNUNG mimischen Expressionen resultieren, sondern Vermutungen darüber an- stellen, welche sozialen Konsequenzen ein bestimmter Gesichtsausdruck hat. Ebenso wie Bechtel, Achelpohl und Akers arbeitet auch das For- scherteam um Ekman mit Videoaufzeichnungen von Femsehzuschauem. Die überwachende Videokamera blickt aber hier nicht weitwinklig in den privaten Femsehraum, sondern erfasst das Gesicht eines kindlichen Pro- banden in Nahaufnahme im Rahmen eines experimentellen Settings. Ekman führt seine Studie mit einem Teil der Versuchspersonen durch, deren medieninduzierte Aggression Liebert und Baron mithilfe von >HELP< und >HURT<-Buttons bestimmen. 103 Die fünf- und sechsjährigen Probanden werden einige Minuten allei- rre vor ein Fernsehgerät gesetzt und dürfen sich eine Kampfszene oder einen sportlichen Wettkampf ansehen. In der Wand hinter dem F emseher ist eine Videokamera versteckt, die das Gesicht des Kindes währenddes- sen aufnimmt. Die spätere Auswertung der Videoaufzeichnung ist weit- aus aufwendiger angelegt, als das Experiment selbst. Acht Gruppen von je 25 bezahlten Beobachtern werden um ihre Einschätzung der mimi- schen Expressionen gebeten. Nicht nur Ekmans Vorarbeiten zu Gesicht und Emotionen, sondern auch diese personelle Menge auf der Beobach- terseite verlagern den Schwerpunkt des Experiments eindeutig auf die Praxis des Überwachens. Ekman geht es nicht darum, den Zusammen- hang von televisueller Gewaltrezeption und aggressivem Verhalten zu bestimmen. Diesen setzt er als evident voraus. Vielmehr ist er an adäqua- ten Möglichkeiten der Vorhersage interessiert, an Taktiken, mit deren Hilfe schon während des Rezeptionsprozesses bestimmt werden kann, ob ein kindlicher Mediennutzer auf die gesehene Gewalt aggressiv reagieren wird oder nicht. Ekman und seine Co-Autoren berichten, in diesem Vorhersage-Test vereinfacht folgende Hypothese zugrunde gelegt zu haben: »[V]iewers who seem happy and interested when viewing violence might be ex- pected subsequently to engage in more aggressive behavior than those who seem unhappy, sad, disgusted, pained, afraid, or disinterested.«104 Für Jungen, allerdings nicht für Mädchen, 105 gelingt es dem Team, diese Hypothese zu bestätigen: Anhand des Gesichtsausdrucks eines kindli- chen Fernsehzuschauers soll es also möglich sein, seine Anfsanften Führung<' bleibt, macht ihre Umstrittenheit aus. Moralisierungsprojekte in jüngerer Zeit sehen sich entweder dem Vor- wurf ausgesetzt, zu viel zu regieren, oder sie sind mit Anschuldigungen konfrontiert, zu wenig zu regieren. Dies geschieht, weil sie notwendi- gerweise über kein fixes Maß der richtigen Führung verfügen, sondern der Logik einer liberalen (Selbst-)Regulation verpflichtet bleiben, in der dieses Maß gerade offen bleiben muss. Diese Umstrittenheit gilt für den Mediengewalt-Diskurs in besonderer Weise und sie lässt sich gut vor Augen führen, wenn man, als ein Beispiel, verfolgt, wie die publizierten Forschungsergebnisse des Surgeon General's Advisory Committee in publizistischen, politischen und wissenschaftlichen Debatten verhandelt werden. Wie zu Beginn des letzten Kapitels schon vorweggenommen, kommt auch das Advisory Committee keineswegs zu einem eindeutigen Beweis von Mediengewalt, der die politischen Auftraggeber in die Lage verset- zen könnte, klare politische Maßnahmen in Gang zu setzen. In seinem Abschlussbericht, den das Komitee auf der Grundlage seiner Auftrags- forschung erstellt, tastet es sich vielmehr vorsichtig zu einem vagen Kon- sensergebnis vor: Die >akkumulierte Evidenz< (evidence) der 23 Einzel- projekte ließe nicht die Schlussfolgerung zu, dass televisuelle Gewalt für die Mehrheit der Kinder schädlich sei oder sie zu aggressivem Verhalten veranlasse. Jedoch, trotz seiner Vorsicht, formuliert das Komitee einen Satz, in dem sich eine zaghafte Bejahung der Frage, ob televisuelle Ge- walt den Mediennutzer zu aggressiven Handlungen führt, erkennen lässt. Dieser Satz bleibt aber so deutungsoffen, dass er in der Kontroverse, die Vgl. den nach einem Song der Band Tocotronic gewählten Titel der stu- dentischen Tagung »Führe mich sanft. Gouvemementalität- Anschlüsse an Michel Foucault«, die im November 2002 an der Johann Wolfgang von Goethe-Universität Frankfurt/Main stattgefunden hat. Vgl. http://www. copyriot.com/gouvemementalitaetlintro.htrn vom 3.1 0.2006. 271 AGGRESSIVE MEDIEN der Publikation des Reports folgt, nur in verschiedenen Versionen des Missverstehens auftauchen wird: »T he evidence does indicate that tele- vised violence may lead to increased aggressive behavior in certain sub- groups of children, who might constitute a small portion or a substantial proportion of the total population of young television viewers.«2 Ent- scheidend ist hierbei, dass die Größe der gefahrdeten Bevölker- ungsgruppe nicht festgelegt wird und deshalb mehrere Auslegungen er- möglicht werden. Das Komitee situiert Mediengewalt nicht im Normal- bereich der Gesellschaft, d.h. es behauptet nicht, Medien hätten auf eine statistische Mehrheit oder ein >Durchschnittskind< eine schädliche Wir- kung. Dies erlauben ihm weder seine empirischen Methoden3 noch die diskursiven Grenzen, die sein liberaler, durch Gesetze der freien Mei- nungsäußerung konstituierter Rahmen ihm steckt. Indem der Bericht in seiner vorsichtigen Ergebnisformulierung die betroffene Minderheit nicht näher bestimmt, hält er aber die Möglichkeit offen, dass jedes Kind zur Gruppe der potenziellen medieninduzierten Gewalttäter gehört. Es ge- lingt ihm auf diese Weise, Mediengewalt als regulierungsbedürftiges so- ziales Problem herauszustellen, ohne es für die Mehrheit der Bevölke- rung geltend machen zu müssen. In der Grauzone einer nicht gerrauer de- finierten betroffenen Minderheit kann das Projekt der Moralisierung an- setzen. Das Advisory Committee verhandelt dieses Konsensergebnis selbst- verständlich nicht, wie zahlreiche Kritiker aus Publizistik, Politik und Wissenschaft, als Fehlschlag. Ein solches Zugeständnis ließe die hoch- subventionierte Regierungskommission als vollständig gescheitertes Un- ternehmen erscheinen. Ganz im Gegenteil: Die Mitglieder des Beratungs- komitees verteidigen ihre unsichere und vorsichtige Beantwortung der Mediengewalt-Frage heftig. Entscheidend ist dabei, dass sie, wenn sie ih- re Ergebnisformulierung verteidigen, das Verfahren der moralischen Re- gulation kenntlich werden lassen. Besonders deutlich wird dies in den Rechtfertigungen, die das Komiteemitglied Ithiel de Sola Pool im März 1972 in einem erneuten Hearing des Subcommittee on Communications vorbringt: »The qualifications are important and the report did the right thing in stressing them. We who work as scientists are all too often dismayed at the way a small partial finding gets blown up and distorted in popular reporting. Someone finds that a drug reduces the incidence of some cancers in rats and popular magazines announce a cancer eure. We could have written a careless report said without further qualification that >violence on TV leads to violence in our society.< The 2 Surgeon General's Advisory Committee: Report, S. 12. 3 Nicolas Pethes spricht mit Bezug auf die Methoden der Mediengewaltfor- schung von einer Paradoxie: Es sei unmöglich, den Mediennutzer mittels statistischer und experimenteller Verfahren zu normalisieren, da Gewalt als Ausnahme bestimmt ist. Vgl. N. Pethes: »Publikumsversuche«, S. 101. 272 DIFFUSION DES WISSENS next day people would have been misusing the report to justifY censorship and to frighten parents.«4 Das Regulierungsprojekt, das unter der Leitung des Surgeon General durchgeführt wird, hat zwei einander entgegengesetzte Gefahrenkomple- xe zu vermeiden: Es darf nicht zu viel, aber auch nicht zu wenig regieren. Nur die eine, aus zwei Aspekten bestehende Seite eines Übermaßes des Regierens bringt Pool zur Sprache. Er nennt zum einen die Gefahr, ein unachtsam verfasster Bericht könne eine wissenschaftliche Rechtferti- gung für die Verletzung der Presse- und Meinungsfreiheit liefern. Zum anderen gilt es nach Pool zu vermeiden, die Subjekte der Regulation - die Eltern der gefahrdeten oder möglicherweise gewalttätigen kindlichen Mediennutzer - durch Ängstigung unter Druck zu setzen und auf diese Weise die Autonomie der Subjekte bzw. der Familie zu missachten. Die sanfte Führung der Moralisierung setzt im Gegensatz dazu auf die Fähig- keit zur freiwilligen Selbstregulation - sowohl aufseiten der Medienin- dustrie, als auch aufseitender moralisierten Subjekte der Mediennutzung, die auf Einsicht und nicht auf Angst beruht. In diesem Prozess des Füh- rens kann eine Antwort auf die Frage der Mediengewalt nicht anders aus- fallen als vage, vorsichtig und uneindeutig. Sie muss dem Adressaten ei- nen Spielraum offenlassen, in dem er seine Selbstregierung vollziehen kann. Deshalb darf der Prozess der Moralisierung nicht zu viel regieren. Den anderen Gefahrenkomplex, dem sich die moralische Regulie- rung ausgesetzt sieht, erwähnt Pool allerdings nicht, und zwar die Ge- fahrdung, zu wenig zu regieren. Ein Moralisierungsprojekt, das auf die Sanftheit seiner Führung bedacht ist, sieht sich dem Vorwurf ausgesetzt, der Eigennützigkeit liberalistischer Interessen zu wenig entgegenzuset- zen, diese zu wenig in gesellschaftlichen Nutzen zu verwandeln. Im kon- kreten Fall des Advisory Committee bedeutet dies: Es hat mit der An- schuldigung zu kämpfen, im Interesse, ja sogar im Dienste der Fernseh- industrie zu agieren. Die Kritik, zu wenig zu regieren, auf die Pool hier nicht eingeht, prägt die Kontroverse um das Komitee sehr viel stärker als der Vorwurf, zu viel zu regieren. Wie im vorangegangenen Kapitel zu sehen war, formiert sich das Wissen der moralischen Regulation in den empirischen Forschungsprak- tiken der Sozialforschung. Das folgende Kapitel der vorliegenden Unter- suchung geht den diskursiven Pfaden der sozialwissenschaftliehen Daten nach, wenn diese den engeren Kontext der scientifzc community verlassen und einer größeren Öffentlichkeit zugänglich werden. Es stellt die Frage, wie das Moralisierungswissen über Mediengewalt verbreitet und wie es zum Gegenstand von Kontroversen wird. Auf welche Weise ordnet das Projekt der moralischen Regulation das Wissen über Mediengewalt neu, wenn es als Expertenwissen einer öffentlichen Debatte zugänglich wird? Der erste Abschnitt zentriert sich um die Debatte in der US-ame- rikanischen Presse - insbesondere in der New York Times - über das va- 4 Pool, in: Subcommittee on Communications: Hearing, 21.3.1972, S. 47. 273 AGGRESSIVE MEDIEN ge Konsensergebnis, die sich an die Publikation des Abschlussberichts anschließt. Der zweite Abschnitt beobachtet Versuche der politischen Kurskorrektur, wie sie in den Hearings des Subcommittee on Communi- cations deutlich werden. Im dritten Teil geht es um die weitere For- schungsförderung des NIMH, die bezeichnenderweise einer sozialwis- senschaftliehen Organisation anvertraut wird, die von der amerikani- schen Regierung unabhängig ist. Das Kapitel schließt mit einem Aus- blick auf einige punktuelle Aspekte der Rezeption des Komitees und der Forschungen, die es auf den Weg bringt, im Mediengewalt-Diskurs der Bundesrepublik Deutschland in den 1970er Jahren. Die Irrwege publizierter Daten Das Surgeon General's Advisory Committee ist von Anfang an Gegen- stand einer kritischen publizistischen Beobachtung, die eng mit den Ge- schehnissen auf der politischen Bühne verflochten ist.5 Jedoch erst als Ende des Jahres 1971 Ergebnisse einiger Einzelprojekte auf dem jährli- chen Treffen der American Psychological Association präsentiert wer- den, findet das Komitee des Surgeon General breite publizistische Be- achtung. In den Zeitungs berichten, die dieser ersten Ergebnispräsentation folgen, wird deutlich: Die Regulierung von Mediengewalt ist ein eigen- dynamischer Prozess, der sich von den beteiligten Agenten der Regulati- on- den politischen Auftraggebern und den wissenschaftlichen Experten - nur unvollständig steuern lässt. Das Moralisierungswissen über Me- diengewalt wird durch seine Veröffentlichung in ein Netzwerk ganz un- terschiedlicher Machtpraktiken überführt, die sich keineswegs auf den staatspolitischen Bereich beschränken lassen. Dem neuen Surgeon General Jesse Steinfeld, der seinen Amtsvor- gänger Stewart abgelöst hat, kurz nachdem dieser das Advisory Commit- tee auf den Weg gebracht hat, ist bekannt, dass einige Studien anlässlich des Treffens der Psychological Association präsentiert werden sollen, und die Ergebnisdarstellung geschieht mit dem ausdrücklichen Einver- ständnis des Forschungskoordinators Rubinstein. Erst als die Präsentati- on eine unerwartete Presseberichterstattung nach sich zieht, moniert die Seite der politischen Auftraggeber diese V orgehensweise. Senator Pasto- re ruft Steinfeld vor das Subcommittee on Communications und fragt ihn, warum den Mitgliedern der Psychological Association die Ergeb- nisse des Advisory Committee vorgestellt werden, bevor die politischen Auftraggeber diese zu Gesicht bekommen. 6 5 Der folgenden Analyse liegt eine Recherche 1m historischen Internet- Archiv der New York Times für den Zeitraum 1969-1972 zugrunde. Ergänzt wird diese Materialbasis durch eine Presseauswertung, die Cater und Strickland (TV Violence) unmittelbar im Anschluss an die Aktivitäten des Advisory Committee vorgenommen haben. 6 Vgl. D. Cater/S. Strickland: TV Violence, S. 77-79. 274 DIFFUSION DES WISSENS Pastores Kritik zielt dabei eindeutig nicht auf den Wissensvorsprung der scientifzc community, sondern auf die publizistische Verbreitung des Moralisierungswissens, ohne dass dieses mit politischen Intentionalitäten versehen werden konnte. Dabei scheint der Bericht mit dem Titel »Fede- ral Study Says TV Can Make Youth More Violent«, den Boyce Rensber- gereinen Tag vor dem Treffen der psychologischen Vereinigung für die New York Times verfasst, Pastores Wünschen nicht grundlegend zu wi- dersprechen. Sein Bericht über vier Studien lässt durchaus erkennen, dass diese eine schädliche Wirkung von televisueller Gewaltdarstellung an- nehmen, also die Mediengewalt-Frage positiv beantworten. Problema- tisch aus der Sicht von Bemühungen, das Regulationsprojekt zu steuern, ist vielmehr die publizistische Vorwegnahme des offiziellen Abschluss- berichts: » The findings will become part of evidence on which an official report by the Surgeon General's Advisory Committee on Television and Social Behavior will be made later this year. « 7 Am 31. Dezember 1971 erhält Surgeon General Steinfeld auf infor- mellem Weg den Abschlussbericht seines Beratungskomitees. Zu diesem Zeitpunkt geht den politischen und wissenschaftlichen Akteuren jegliche Handlungsmacht über die Daten verloren. Diese scheinen eine Eigendy- namik entwickelt zu haben. Eine Woche bevor der Bericht offiziell ver- öffentlicht wird, erscheint am 11. Januar 1972 auf der Titelseite der New York Times eine Interpretation seines Konsensergebnisses, die für die weitere Debatte prägend ist. 8 Wie der Fernsehkritiker der New York Ti- mes Jack Gould- der Verfasser des Artikels- an den unveröffentlichten Report gelangt ist, bleibt unklar. Gould selbst gibt an, die Studie sei am Vortag in Washington verfügbar geworden. Einige Komiteemitglieder vermuten, er sei über die New Yorker Fernsehindustrie an Teile des Be- richts gelangt.9 Der Artikel bezieht sich auf jenen vagen und vorsichtig formulierten Satz, in dem das Advisory Committee die Mediengewalt- Frage affirmativ beantwortet. Er entfernt jedoch die rhetorischen Win- kelzüge und findet klarere Worte: »The office of the United States Surgeon General has found that violence in television programming does not have an adverse effect on the majority of the nation's youth but may influence small groups of youngsters predisposed by many factors to aggressive behavior.«10 Gould definiert, indem er sie als >klein< bezeichnet, was das Advisory Committee absichtsvoll offen gelassen hat: die Größe der von Medien- gewalt betroffenen Bevölkerungsgruppe. Die Überschrift des Artikels auf 7 Boyce Rensberger: »Federal Study Says TV Can Make Y ouths More Vio- lent«, in: The New York Times vom 4.9.1971. 8 Vgl. D. Cater/S. Strickland: TV Violence, S. 79. 9 Vgl. ebd., S. 80. 10 Jack Gould: »TV Violence Held Unharmful to Youth«, in: The New York Times vom 11.1.1972. 275 AGGRESSIVE MEDIEN der Titelseite verdeutlicht, dass diese Auslegung den Zusammenhang zwischen medial dargestellter Gewalt und schädlicher Wirkung auf den Mediennutzer negiert: » TV Violence Held Unharmful to Youth«. Diese Auslegung des Berichts ist folgenreich. In der öffentlichen De- batte ruft man sich nun in Erinnerung, wie sich das Komitee konstituiert hat. Dass die Fernsehindustrie ein Vetorecht bei der Auswahl der Mit- glieder hatte, fungiert nun als passende Erklärung für die angebliche Verharmlosung von Mediengewalt Der Times-Artikel erweist sich au- ßerdem als anschlussfahig im politischen Feld: Insbesondere den Reprä- sentanten des Staates New York, John Murphy, veranlasst er dazu, den Komiteebericht als »whitewash« zu bezeichnen." Das Forschungs- unternehmen, so zitiert auch die Times wiederum den Politiker, sei >»heavily loaded in favor of the industry,< an >arrant waste of the tax- payer's money< and an invitation to escalate the volume of violence on television.« 12 Goulds Transformation einer vorsichtigen Bejahung des kausalen Zusammenhangs zwischen Gewalt im Fernsehen und Gewalt in der Ge- sellschaft in eine Verneinung wird im Januar 1972 von mehreren Zeitun- gen aufgegriffen. Im Washington Evening Star heißt es: »A government- funded study cautiously concludes that televised crime and violence con- tribute in only a small way to violence in America.«13 Die Zeitschrift Broadcasting kritisiert unter der Schlagzeile »Violence on Air and in Life: No Clear Link« das - aus ihrer Sicht - klägliche Ergebnis der Studie, die mit einer Million Dollar von der Regierung unterstützt wurde, und wird noch deutlicher: »A blue ribbon committee of social scientists has concluded that there is no causal relationship between television pro- grams that depict violence and aggressive behavior by the majority of children.«14 Ironisch zugespitzt untergräbt ein Artikel im National Ob- server die Autorität des Expertenwissens, wenn er zu dem Schluss kommt, »TV Gets a Slap, Nota Wallop«: »Beep, beep! Move over Road Runner, 'cause here come a dozen distinguished behavioral scientists who say that watehing your antics and other violence-laden TV fare may be hazardous to some kids' mental health. Television violence, the scientists emphasize, does not have a mniformly ad- verse effect on the majority of children,< but kids who are already violence 11 »TV Violence Study Called Whitewash«, in: Washington Evening Star vom 18.1.1972, zit. nach: D. Cater/S. Strickland: TV Violence, S. 80. 12 Jack Gould: »U.S. Aide Accused on TV Violence. Murphy Says Ex- Surgeon General Aided Industry«, in: The New Yo rk Times vom 12.1.1972. 13 »TV Violence Study Called Whitewash«, zit. nach: D. Cater/S. Strickland: TV Violence, S. 81. 14 »Violence on Air and in Life: No Clear Link«, in: Broadcasting vom 17.1.1972, zit. nach: D. Cater/S. Strickland: TV Violence, S. 81. 276 DIFFUSION DES WISSENS prone may be spurred on the yet more aggressive anti-social behavior after watehing it on the tube.« 15 In dieser publizistischen Kontroverse verbirgt sich der Vorwurf, die mo- ralische Regulation, die das Advisory Committee unternehme, sei zu ge- ring. Die New York Times bemüht sich dementsprechend, die Gefahrlich- keit von Mediengewalt zu bekräftigen und sie von der Notwendigkeit ei- nes wissenschaftlichen Beweises zu befreien: »Parents who see the blood and gore to which their children are so regularly exposed form their own strong views entirely independent of any scientific studies.«16 Mit dieser Aussage formuliert die Times eher ein Postulat als eine zutreffende Be- schreibung, denn das wissenschaftliche Wissen liefert- wie mehrfach zu sehen war - einen entscheidenden Teil des Moralisierungswissens, das den elterlichen Blick auf den kindlichen Mediennutzer formiert. Als deu- tungsoffenes Wissen, das weder das First Amendment noch die Autono- mie des Mediennutzers gefahrden soll, gerät es in der publizistischen Debatte allerdings unter den Verdacht, es verfolge ganz andere Ziele bzw. es konterkariere sogar das Projekt der Moralisierung selbst. In einem Leserbrief, den die New York Times veröffentlicht, wird das Er- gebnis des Komitees dementsprechend als ein Zeichen der Demorali- sierung gedeutet: »[W]e might be concemed about the moral condition of a society whose govemmental study commissions find nothing alarming or exceptional about the dominance of life-denying values on the most influential media.«17 Am 17. Januar 1972, dem Tag der offiziellen Veröffentlichung des Reports, berichtet Christopher Lydon in der New York Times über eine andere Deutungsmöglichkeit Steinfeld hat am Vortag in einer Presse- konferenz verlauten lassen, dass es sich bei den Zeitungsberichten um Missdeutungen des Reports handelt, und aufzuklären versucht, zu wel- chem Ergebnis das Advisory Committee tatsächlich gekommen sei: »[T]he study shows for the first time a causal connection between vio- lence shownon television and subsequent behavior by children.«18 Kurz darauf nehmen drei Mitglieder des Advisory Committee in einem Leser- brief selbst Stellung zur öffentlichen Kontroverse um ihre Ergebnisfor- mulierung: 15 Michael Putney: »TV Gets a Slap, Nota Wallop, for Violence«, in: The National Observer vom 29.1.1972, zit. nach: D. Cater/S. Strickland: TV Violence, S. 81. 16 New York Times: »The Violent Strain«, in: The New York Times vom 15.1.1972. 17 Franklin Terry: »Impact of Television Violence. To the Editor«, in: The New Yo rk Times vom 20.1.1972. 18 Steinfeld, zit. nach: Christopher Lydon: »Hearings to Weight TV Violence Study«, in: The New York Times vom 18.1.1972. 277 AGGRESSIVE MEDIEN »Before the publication of the Surgeon General's Advisory Committee Report on the impact of televised violence, The Times ran a reasonable story about it with a misleading headline, >TV Violence Held Unharmful to Youth.< Since then, Congressmen, editorialists, letter writers, mothers and others, whether they have read the report or not, have interpreted the report in the light of The Times' headline. The report reaches no such conclusion. The lead finding in the topic sentence in the one paragraph summary in the report itself is that of an >indication of a causal relation between viewing violence on television and aggressive beha- vior.<«19 Mit direktem Bezug auf die Auslegung Goulds stellen die Komiteemit- glieder klar, dass die Minderheit, für die sie die Mediengewalt-Frage positiv beantwortet haben, ganz und gar nicht klein sei: » The committee on which we served was fully conscious of the profound social signifi- cance of an effect on a minority amounting to possibly millions of young people.«20 Was aus der Perspektive des Komitees missverstanden wurde, ist ihr Vorschlag einer >sanften Führung< des Mediennutzers. In diesem Vorschlag wird Mediengewalt gerade nicht als harmlos bezeichnet und schon gar nicht von jeder Regulation Abstand genommen. Die New York Times nimmt zu den Korrekturen der Komiteemitglie- der keine Stellung. Stattdessen ergreift die Zeitung selbst Initiative und interviewt mehr als ein Dutzend Sozialwissenschaftler, die an der For- schung im Auftrag des Advisory Committee beteiligt gewesen sind, um zu den >Wurzeln< der Kontroverse vorzudringen. Beinahe triumphierend titelt Linda Charlton auf der Frontseite der Times: »Study Ai des V oice Misgivings About Report on TV Violence«.21 Die Wissenschaftler selbst seien unzufrieden mit der Zusammenfassung ihrer Ergebnisdaten im Komiteebericht, die erst einen Monat später im fünfbändigen technischen Report veröffentlicht werden sollen. Der im hinteren Teil der Zeitung fortgesetzte Artikel entwirft insge- samt ein differenzierteres Bild dieser Kritik. Ebenso wie der Wortführer der politischen Gegner, Murphy, unterstellten einige Forscher, der Komi- teebericht sei eine absichtliche Täuschung. Sie kritisierten, dass die wis- senschaftlichen Resultate zugunsten eines Statements ignoriert werden, das Mediengewalt verharmlose. Jenes Statement, so die Vermutung die- ser Forscher, resultiere aus der Verflechtung des Komitees mit der Fem- sehindustrie. Wenn Charlton allerdings Robert Liebert als einen der schärfsten Kritiker des Berichts zitiert, verdeutlicht sie damit möglicher- weise unfreiwillig, worauf seine Kritik tatsächlich zielt, nämlich auf die missverstandene Auslegung der vagen Ergebnisformulierung. Zwar habe 19 Ithiel de Sola Pool/Irving L. Janis/Alberta E. Siegel: »Findings on TV Vio- lence«, in: The New York Times vom 21.1.1972. 20 Ebd. 21 Linda Charlton: »Study Aides Voice Misgivings About Report on TV Vio- lence«, in: The New York Times vom 19.2.1972. 278 DIFFUSION DES WISSENS das Komitee nur einen statistisch geringen Zusammenhang zwischen medialer Gewaltdarstellung und sozialer Gewalt herausgestellt, jedoch - so auch Liebert - sei dieser Zusammenhang keineswegs als soziales Problem vernachlässigbar. Der Psychologe wählt den immer wieder be- mühten Vergleich von Mediengewalt und Tabakkonsum: »Dr. Liebert contended that research showed only a small number of cigarette smo- kers - >some< cigarette smokers with a predisposition to malignancy - develop lung cancer. >A modest relationship is clearly enough to take ac- tion,< he declared.«22 Was unterscheidet Lieberts Statement dann von dem der Komitee- mitglieder, sodass seine Aussage ihn, aus Sicht der Presse, nicht nur zu einem scharfen Kritiker des Berichts, sondern auch zu einem Experten im moralischen Kampf gegen Mediengewalt erhebt? Den Unterschied macht ein differenter Sprachgestus. Liebert benutzt in seinem Interview mit der New York Times nicht die notwendigerweise vorsichtigen Formu- lierungen eines sozialwissenschaftliehen Ergebnisberichts, sondern er wählt klare Worte, um zu demonstrieren, dass er Fernsehen zwar nicht für die einzige, aber für eine wichtige Ursache für kindliche Aggression hält: >»We don't want to take the baby-sitter away,< he said, >we just wanttostop her from committing murder in the living room.<«23 In der Kontroverse um den Komiteebericht wird immer wieder auf dessen unverständliche Formulierung hingewiesen. Cater und Strickland sprechen von einer »abstruse language« der 279 Seiten langen Darstel- lung: »[E]ven those whose minds were open to persuasion had difficulty understanding what the Report really said.«24 Am Ende ihres Artikels stellt auch Charlton fest, dass es sich bei den Missverständnissen um ein Übersetzungsproblem zwischen publizistischem und wissenschaftlichem Diskurs handeln könnte. 25 Besonders kritisch verhandelt Joseph Morgen- stern in der Zeitschrift Newsweek die schwer zugängliche Sprache des Berichts: » Whether by intent or ineptitude, the committee misrepresented some of the data, ignored some of it, and buried all of it alive in prose that was obviously meant tobe unreadable und unread.«26 Senator Pastore, der Initiator des Surgeon General-Projekts, ist äu- ßerst unzufrieden mit dem vage formulierten Ergebnis und der Kontro- verse, die es nach sich zieht- daranlässt auch die New York Times kei- nen Zweifel. Schon am Tag der offiziellen Veröffentlichung gibt Pastore bekannt, dass erneut öffentliche Senatsanhörungen in Planung sind. Die 22 Ebd. 23 Ebd. 24 D. Cater/S. Strickland: TV Violence, S. 81 u. S. 82. 25 »Üne example might be the repetition of the statement >there is evidence that a modest relationship does exist between the viewing of violence and aggressive behavior< - in which, according to social science parlance, modest does not mean insignificant or trivial.« L. Charlton: »Study Aides«. 26 Joseph Morgenstern: »The New Violence«, in: Newsweek vom 14.2.1972, zit. nach: D. Cater/S. Strickland: TV Violence, S. 96. 279 AGGRESSIVE MEDIEN zaghaften Schlussfolgerungen der Sozialwissenschaftler, so die Hoffnung des Senators, sollen hier in handfeste politische Empfehlungen verwan- delt werden.27 Staatspolitische Handlungsohnmacht Die Hearings vor dem Subcommittee on Communications über den um- strittenen Bericht des Surgeon General finden vom 21. bis zum 24. März 1972 statt. Die publizistische Debatte, insbesondere die Interpretation der New York Times, überschattet die Anhörungen. Immer wieder nehmen die als Zeugen geladenen Komiteemitglieder, Forscher und Politiker Be- zug auf die aufsehenerregenden Pressedarstellungen, die der Bericht ver- anlasst hat. Der Vorsitzende des Subcommittee on Communications, Se- nator Pastore, spitzt seine Frage an den Surgeon General zu, die er drei Jahre zuvor gestellt und in deren Folge das Beratungskomitee initiiert wurde. Er pointiert seine Frage, indem er sich auf das augenscheinliche publizistische Missverständnis bezieht: »Now, in very simple language, will you tell me if this report by the Advisory Committee contains enough evidence and states there is a causal effect?«28 Während die Violence Commission in ihren Medienanhörungen noch darum bemüht gewesen ist, den befragten Forschern einen >Beweis< (proof) von Mediengewalt zu entlocken, der politische Schritte gegen die Fernsehindustrie ermöglicht,29 scheinen nun im politischen Feld die Dis- kursregeln der Sozialforschung gängig zu sein, nach denen eben dieser Beweis nicht geliefert werden kann. Pastore fordert nicht mehr, wie in seinem Brief an das Gesundheitsministerium, eine definitive Antwort auf die Mediengewalt-Frage, sondern gibt sich mit einer ausreichenden Menge an evidence zufrieden. Surgeon General Steinfeld lässt in seinem Statement am 21. März 1972, verständnisvoll auf die sozialwissenschaft- liehen Rhetoriken verweisend, keinen Zweifel daran, dass diese >akku- mulierte Evidenz< nun vorliegt: »While the committee report is carefully phrased and qualified in langnage ac- ceptable to social scientists, it is clear to me that the causal relationship be- tween televised violence and antisocial behavior is sufficient to warraut appro- priate and immediate remedial action. The data on social phenomena such as television and violence and/or aggressive behavior will never be clear enough for all social scientists to agree on the forrnulation of a succinct statement of 27 Vgl. C. Lydon: »Hearings to Weight TV Violence Study«. 28 Pastore, in: Subcommittee on Communications: Hearing, 21.3.1972, S. 27. Die oft umgangssprachlichen Formulierungen sind der direkten Wiederga- be von Oralität in den Protokollen der Hearings geschuldet. 29 V gl. das Kapitel Kontexte der Wissensproduktion. 280 DIFFUSION DES WISSENS causality. But there comes a time when the data are sufficient to justifY ac- tion.«30 In den Anhörungen zeigt sich aber, dass sich auf diese Weise das Prob- lem, politische Maßnahmen gegen Mediengewalt einzuleiten, nur ver- schoben hat. Zwar scheint man sich nun einig zu sein, dass es nur auf Missverständnissen beruhen kann, wenn die wissenschaftliche Evidenz nicht als ausreichende Handlungsanweisung erkannt wird. Die Frage, was genau auf diese Erkenntnis hin politisch zu tun ist, bleibt allerdings weiterhin unklar. Wie bereits am Beginn dieses Kapitels erwähnt, verteidigt auch der Politikwissenschaftler Pool am selben Tag der Hearings vehement die vorsichtige Sprache des Reports und seine feinen Differenzierungen. Er geht dabei besonders auf die deutungsoffene Formulierung ein, nach der nur >certain subgroups of children< von Mediengewalt betroffen seien. Deutlich wird dabei, dass der Mediengewalt-Diskurs, wenn er sich expli- zit als Projekt der moralischen Regulation zu erkennen gibt, gleichzeitig als ein Diskurs offensichtlich wird, der gerade nicht auf Normalisierung zielt: »Exactly the same TV diet will have one effect on one child and a different ef- fect on another. Both kids may be perfectly healthy and normal. Our report has been misinterpreted as saying that violence on TV does not affect normal chil- dren. We did not say that and it is not true. We say that TV violence has harm- ful effects on predisposed children. We do not know just what makes for this predisposition, but there need be nothing abnormal about it. The report has also been misquoted as saying that these predisposed children are a small number. Wemade no such statement. We said that we do not know how large the number is. It may be large. It may be small. That is an important question that deserves further study.«31 Die hier vorgenommene moralische Regulation ist kein Zugriff auf den Mediennutzer, der mit Normalisierung in eins fallt, stattdessen steht sie in einem Spannungsverhältnis zur Konstitution eines gesellschaftlichen Normalbereichs.32 Entscheidend ist hierbei eine Rhetorik des Nicht- 30 Steinfeld, in: Subcommittee on Communications: Hearing, 21.3.1972, S. 26. 31 Pool, in: Subcommittee on Communications: Hearing, 21.3 .1972, S. 48. 32 Damit soll nicht behauptet werden, dass normativ-moralisierende Appelle Verfahren der Normalisierung grundsätzlich widersprechen. Lutz Ellrich hat in jüngster Zeit plausibel verdeutlicht, dass die Trennung zwischen Nonnativität und Normalität nicht so klar zu vollziehen ist, wie dies insbe- sondere Jürgen Link mehrfach postuliert hat. Vgl. ders.: »Normativität und Normalität«, in: Christina Bartz/Marcus Krause (Hg.), Spektakel der Nor- malisierung, München: Fink 2007, S. 25-51. Das Spannungsverhältnis zwi- 281 AGGRESSIVE MEDIEN Wissens, die jede Aussage darüber verweigert, wie groß die Gefahr für ein hypothetisches Durchschnittskind ist. Die Adressaten des Moralisie- rungswissens - in erster Linie die Eltern als moralisierte Subjekte - wer- den auf diese Weise im Unklaren darüber gelassen, woran sie sich orien- tieren können, um die Gefahrdung ihres eigenen Kindes abzuschätzen. Moralisierungswissen über Mediengewalt ist hier kein normalistisches Orientierungswissen im Sinne Jürgen Links, an dem die Subjekte mittels eines >inneren Bildschirms< ihre Lebensführung im Hinblick auf eine ge- sellschaftliche Normalverteilung ausrichten.33 Vielmehr operiert die mo- ralische Regulation mit einem unbestimmten Risiko, das jedes Subjekt betreffen kann, egal an welcher Stelle der Normalverteilungskurve es sich befindet, und das gerade deshalb alle Subjekte zur Regierung ihrer selbst aufruft. Pool kennzeichnet diese Grauzone des Risikos als etwas, dass noch nicht definiert ist. Er formuliert damit die zentrale Figur des Nicht-Wissens, die das Wissen über Mediengewalt kennzeichnet, als >noch nicht Gewusstes< und situiert es damit innerhalb der Diskursregeln der empirisch-positivistischen Sozialforschung. Die zur moralischen Re- gulation notwendige Grauzone des undefinierten Risikos erscheint so in der Fiktion, in einer unbestimmten Zukunft vollständig erforscht und damit definiert zu sein. Die Formulierung von Nicht-Wissen als Noch- Nicht- Wissen stellt in diesem Sinne die moralische Regulation auf Dauer. Da die Unbestimmtheit der Subjekte, die >tatsächlich< von Medien- gewalt betroffen sind, erst den Bereich aufspannt, in dem die moralische Regulation stattfinden kann, leuchtet ein, dass diese Zukunft immer als erreichbar vor Augen gestellt wird, aber nie erreicht werden daif. Nur ei- ne auf Dauer gestellte Forschung, die sich dem >Beweis< von Medienge- walt immer weiter annähert, ohne ihn jemals zu erreichen, kann dieser Paradoxie entsprechen. Neben der Unmöglichkeit, einen Beweis für Me- diengewalt zu erbringen, der im juristischen Diskurs verwendbar ist, wä- re die Unkenntnis über die von Mediengewalt betroffenen Subjekte als eine weitere Stoppregel des Mediengewalt-Diskurses zu beschreiben, die verhindert, dass sein vorgebliches Ziel - die Lösung der Mediengewalt- Frage- je erreicht werden kann. Während die Unerreichbarkeit des juris- tischen Beweises eine Gefahrdung von liberalistischen Grundrechten der Presse- und Meinungsfreiheit verhindert, hält die Unkenntnis über die von Mediengewalt betroffenen Subjekte den Diskurs davon ab, die Au- tonomie der regierten Subjekte zu gefahrden. Wenn das Wissen über Mediengewalt nicht in diesem Sinne mit dem Verweis auf eine unbekannte Grauzone betroffener Subjekte ausformu- liert wird, begibt es sich in Opposition zum Projekt einer moralischen Regulation. Dies verdeutlicht Leonard Berkowitz innerhalb der Hearings im März 1972. Der Wisconsiner Psychologe gehört zu den Forschern, die sehen moralischer Regulation und Normalisierung im Fall des Medienge- walt-Diskurses bezieht sich vielmehr auf die ausbleibende bzw. aufgescho- bene Festlegung eines Normalbereichs der Mediennutzung. 33 Vgl. J. Link: Versuch über den Normalismus, S. 370. 282 DIFFUSION DES WISSENS aufgrund des Vetorechts der Fernsehindustrie aus dem Kreis der poten- ziellen Advisory Committee-Mitglieder ausgeschlossen wurden. Sein Unmut über diese Vorgehensweise drückt sich in seinem Statement vom 22. März 1972 aus, etwa, wenn er den Expertenstatus der Komiteemit- glieder in Fragen der Mediengewalt anzweifelt.34 Berkowitz bemüht sich folgerichtig auch nicht, den Report gegen seine Fehlinterpretationen stark zu machen. Stattdessen konstatiert er, nicht nur die Leser der New York Times gewännen den Eindruck, dass der Bericht die Generalisierbarkeit von Mediengewalt minimiere. »The implication seems clear: only a rela- tively few bad children will be stimulated to aggression.«35 Berkowitz liest den Bericht also ebenso wie der Times-Joumalist Gould als Ver- harmlosung televisueller Gewaltdarstellungen und hält dagegen: »I would like to even make a stronger statement, and that is that the hyperag- gressive persons are not the only ones who can be affected because at any one time an individual may be in a state that permits even him, who is otherwise quite normal, quite unaggressive, to be susceptable to the impact of the vio- lence on the screen. All of us are capable of being affected and indeed we find in our research that very normal college students, very normal young adults, in fact sometimes even older people than that, can be affected if they are momentarily so inclined. That holds for all ofus. It is not only children; it is adults who can be affected.«36 In letzter Konsequenz unterscheiden sich Pools und Berkowitz' Argu- mentation nicht voneinander. Die bei Pool implizite, bei Berkowitz ex- plizite Schlussfolgerung lautet: Jeder Fernsehzuschauer ist potenziell von Mediengewalt betroffen, egal an welcher Position der Normalverteilung er sich befindet. Jedoch vermeidet es Berkowitz, von einer unbestimmten Minderheit der betroffenen Subjekte zu sprechen, und koppelt stattdessen Mediengewalt mit einem emphatischen Normalitätsbegriff (>very nor- mal<). Was ihm dabei verloren geht, ist der Möglichkeitsraum, in dem sich die Subjekte im Rahmen der moralischen Regulation befinden: In Pools Version ist jeder potenziell von Mediengewalt betroffen, aber nur eine unbekannte Minderheit tatsächlich. Die ebenfalls unbestimmt blei- bende >predisposition< dieser Minderheit, die Pool zur Voraussetzung von Mediengewalt macht, ist der Bereich, in dem die Selbstregulation 34 »I do not mean to question the general scientific competence of the Com- mittee members. But no matter how good they are overall, they could have benefited from the expertise of persons with specific experience in experi- mental research into the consequences of television and movie aggression. From my viewpoint NIH showed bad judgment in not adequately appreci- ating the importance of this very special kind of experience.« Berkowitz, in: Subcommittee on Communications: Hearing, 22.3.1972, S. 138. 35 Ebd., S. 139. 36 Ebd., S. 140. 283 AGGRESSIVE MEDIEN bzw. die edukative Führung der Subjekte greifen kann, ohne deren Auto- nmnie zu gefahrden. Surgeon General Steinfeld beruft sich in seinem Statement, wenn die Senatoren ihn nach den politischen Handlungen fragen, dementsprechend auf Praktiken der Erziehung, die seiner Ansicht nach den Erkenntnissen des Advisory Committee folgen sollen. Steinfeld wehrt sich auch nach mehrmaligem Nachfragen dagegen, konkrete Handlungsanweisungen zu empfehlen. Das Gesundheitsministerium (HEW), so der Surgeon Gene- ral, sei nicht der Ort, an dem politische Regelungen des Kommunikati- onsbereichs ihren Ausgang nehmen könnten; für diese sei die Federal Communications Commission zuständig: »I would be getting out of my field if I moved into any specific recommendations.«37 Er beruft sich auf eine sozialhygienische Regierung des Subjekts, die diesem keine Vor- schriften macht und keine Restriktionen auferlegt, sondern ihm Wissen bereitstellt, das es zur eigenverantwortlichen Selbstregierung befahigt: »Let me suggest a few guidelines, if I may, across the broad spectrum, begin- ning with the family. As a result of this report, Mr. Chairman, I have talked with Dr. Ed Zigler, of the Office of Child Development in HEW, and he has in- formed me that within the next 2 or 3 months, HEW will publish a book for parents on how to watch television, how to get more out of television, how to utilize it appropriately for professional behavior with their children. I think this will be very useful. Wehave books on many other things. We spend a lot oftime and effort on education, but we spend very little on utilizing televi- sion in a positive way. I think this will be useful.«38 Die Mitglieder des Advisory Committee, die gleich nach Steinfeld vor den Senatsausschuss gerufen werden, ihre Statements zum Abschlussbe- richt abgeben und sich den Fragen der Politiker stellen, argumentieren in ähnlicher Weise. Auch Pool weist die Forderung von sich, als Wissen- schaftler politische Empfehlungen auszusprechen, und formuliert seine Ratschläge nicht als Mitglied des Advisory Committee, sondern als >citi- zen<. Er schlägt zwei Strategien der Regulation vor: zum einen, die Pro- duktion von >prosozialen< Fernsehsendungen- so der immer wieder ver- wendete Ausdruck- durch gezielte finanzielle Unterstützung zu favori- sieren, zum anderen, sowohl die Eltern und Lehrer als auch das Personal der Fernsehsender auf die Schädlichkeit von Fernsehgewalt aufmerksam zumachen. Pool geht damit insbesondere in seinem zweiten Punkt einen ent- scheidenden Schritt über Steinfelds Empfehlungen hinaus, denn er führt nicht nur an, welche Regulationspraktiken der Komiteebericht nach sich ziehen sollte, sondern er stellt den Bericht selbst als eine Praktik der Re- gulation heraus: »Üne ofthe main values ofthe Surgeon General's study 37 Steinfeld, in: Subcommittee on Communications: Hearing, 21.3.1972, S. 34. 38 Ebd., S. 31. 284 DIFFUSION DES WISSENS is influence on public awareness.«39 In Pools Statement wird deutlich, wie der Mediengewalt-Diskurs in Anbetracht der Grenzen, die seine libe- ralistisch-gouvernementale Rahmung ihm steckt, als lenkende Instruktion der Mediennutzung fungiert, indem er Moralisierungswissen zur Verfü- gung stellt: »lf one rejects censorship, as I do, then the alternative is to keep instmctive criticism of bad progrannning before the eyes of parents, teachers, and TV people. We should not underestimate the impact of public awareness on people's be- havior. For example, the teachings ofmodem psychology have had a profound effect on how parents treat their children in America today. Advertisers and TV professionals are no more impervious to influence than are mothers. They are very sensitive to public criticism. If mothers, educators, and Congressmen keep exposing abuse of the airwaves, broadcasters will respond by changing their progrannning. «40 Die sanfte Führung der moralischen Regulation, die im Hintergrund die- ser Ausführungen aufscheint, vertraut auf die Einflusskraft, auf das regu- lative Potenzial sozialpsychologischen Wissens. Dieses Wissen selbst wird zur Praktik der Regierung, indem es ein öffentliches Bewusstsein für die Gefahr der Mediengewalt schafft und die moralisierten Subjekte dazu bringt, ihr eigenes Verhalten freiwillig so auszurichten, dass diese Gefahr gebannt wird. Der Mediengewalt-Diskurs gibt sich hier als ein Prozess der Regierung von Mediennutzung zu erkennen, der ohne politi- sche Restriktionen auskommt. Strategien der moralischen Regulation finden sich in unterschiedli- chen Facetten in den Statements der meisten Komiteemitglieder wieder, die in den Hearings zu Wort kommen. Joseph Klapper betont die Bedeu- tung von kommunikativem Austausch zwischen Eltern und Kindern. Durch edukative Maßnahmen sollten die Eltern darauf aufmerksam ge- macht werden, dass sie mit ihren Kindem über Mediengewalt sprechen müssen. Im Dialog müssten die auf diese Weise aufgeklärten Eltern ihren Kindem verdeutlichen, dass Gewalt und aggressives Verhalten uner- wünscht sind. Wie viele seiner Komiteekollegen plädiert auch Klapper für die Verbesserung des Fernsehprogramms und den Ausbau der >proso- zialen< Potenziale des Mediums.41 Alberta Siegel knüpft darüber hinaus an eine Traditionslinie der Regulation von Konsumverhalten an42 und schlägt vor, die Konzerne, die televisuelle Gewalt über Werbung spon- sern- sie bezeichnet diese als »violence vendors« -,zu identifizieren, öf- fentlich an den Pranger zu stellen und so die Konsumenten zum Boykott 39 Pool, in: Subcommittee on Connnunications: Hearing, 21.3.1972, S. 50. 40 Ebd., S. 50. 41 Vgl. Klapper, in: Subconnnittee on Communications: Hearing, 21.3.1972, s. 58. 42 Vg l. A. Hunt: Govemance of the Consuming Passion. 285 AGGRESSIVE MEDIEN ihrer Produkte zu bewegen.43 Ira Cisirr stellt wiederum die Rolle der El- tern in den Mittelpunkt seiner Regulationsvorschläge und nimmt ebenso wie Pool Bezug auf die liberalistischen Werte, die nur gewährleistet blei- ben könnten, wenn die Kontrolle von Mediengewalt in die elterliche Verantwortung gelegt werde. Er argumentiert in diesem Sinne vehement gegen jene, die staatliche Maßnahmen zur Bekämpfung von televisueller Gewaltdarstellung befürworten: »It alarms me that in a society where we pride ourselves on the exercise of free choice, in such a society, I must admit, sir, I am alarmed that both our social scientists and our civic Ieaders assume that only Govemment and only the TV industry can do anything about the television fare that enters our home. We seem to somewhere have lost the on-off switch and it is a very powerful switch. Parents have the power to control the television that their children watch. Now parents exercise that power in a great many other fields. Ifyou, as a parent, feel that some particular food, not a poison, but some particular food could be harmful in certain quantities, you either restriet the consumption of that food by your child, or you restriet the quantities.«44 Neben der immer wieder benannten Notwendigkeit, die elterliche Füh- rung zu stärken, stimmen die Komiteemitglieder in einer weiteren Emp- fehlung überein: Die wissenschaftliche Überwachung der televisuellen Gewaltdarstellung muss auf Dauer gestellt und institutionalisiert werden. Am präzisesten führt dies Siegel aus. Sie schlägt vor, eine »monitoring agency« einzurichten, die regelmäßig die Öffentlichkeit vor gewalthalti- gen Medieninhalten warnt. Siegel betont, dass diese Institution privat fi- nanziert werden, also von Regierung und Fernsehindustrie unabhängig operieren müsse.45 Das moralische Regulationsprojekt, das die Komiteemitglieder in den Hearings so explizit kenntlich werden lassen, ist im Subcommittee des Senats ähnlich heftigen Anfeindungen ausgesetzt wie in der publizisti- schen Debatte. Besonders scharfe Kritik äußert das Team der Rip Van Winkle Study, das am zweiten Tag der Anhörungen geschlossen vor die Senatoren tritt und sich, auf zahlreiche Beispiele verweisend, über die Verfalschung ihrer Forschungsergebnisse im Komiteebericht beklagt. Auch aus ihrer Sicht ist es wenig verwunderlich, dass die New York Times zu ihrer Fehlinterpretation des Berichts gekommen ist, denn die Darstellung des Komitees selbst lenke diese Lesart, sei irreführend, voll von Ungenauigkeiten und verwässere die im Grunde eindeutigen For- schungsergebnisse.46 Als Instrument der Regulation taugt der Report 43 Siegel, in: Subcommittee on Communications: Hearing, 21.3.1972, S. 64. 44 Cisin, in: Subcommittee on Communications: Hearing, 21.3.1972, S. 76. 45 Siegel, in: Subcommittee on Communications: Hearing, 21.3.1972, S. 63f., ZitatS. 63 (im Original kursiv). 46 Der Vorwurf der Ungenauigkeit und Fehlerhaftigkeit beruht auf Gegensei- tigkeit. Bezogen auf die Auftragsforschung ist er in ähnlichem Wortlaut im 286 DIFFUSION DES WISSENS nach der Auffassung von Letkowitz und seinen Kollegen jedenfalls nicht: »When parents are led to believe that only children already predisposed to- wards aggression will be adversely affected by TV violence, the restraints on a violent television diet have, in effect, been lifted. How many parents are ready to believe that their children are predisposed towards aggression?«47 Die Rip V anWinkle-Forscherliefern auch eine Erklärung für die Verfmisshandeln< über ein rein metaphorisches Verständnis hinausgeht. Die Gesellschaft messe seiner Ansicht nach Kindesmisshandlung mit zweierlei Maß: »lf you do it during the week, on the school playground, to one child, you aredriven offto prison in a police car. But ifyou do it Saturday moming, in the living room, to millions of young children, you are just driven home, by a chauffeur, in a long black limousine.«54 Johnson hält sich mit Empfehlungen nicht zurück, sondern fordert einschneidende staatliche Maßnahmen gegen die kommerziellen Fernsehsender, wie etwa die Be- schränkung der erlaubten Werbezeit 5 5 Die Senatoren lassen in ihren Reaktionen keinen Zweifel daran, dass eine Umsetzung dieser Forderungen das Maß des Regierens eindeutig überziehen würde. Senator Cannon bezeichnet die Empfehlungen noch 50 Cook, in: Subcommittee on Communications: Hearing, 21.3.1972, S. 38. 51 Vgl. Subcommittee on Communications: Hearing, 21.3.1972, S. 35-37. 52 Steinfeld, in: Subcommittee on Communications: Hearing, 21.3.1972, S. 37. 53 Vgl. Linda Charlton: »F.C.C.'s Johnson Accuses TV Of Molesting Chil- dren's Minds«, in: The New York Times vom 23.3.1972. 54 Johnson, in: Subcommittee on Communications: Hearing, 22.3.1972, S. 117. 55 Vgl. ebd., S. 119. 288 DIFFUSION DES WISSENS relativ moderat als »quite drastic in the context of what we are doing to- day«, 56 während Senator Baker unverhohlen seine Empörung kundtut: »W hat you are suggesting is an intricate line of logic that you have attempted to describe and failed, is supposed to make the American public equate in its mind the crime of child molesting with programming of children's television in 1970. I think that is a violence of the most despicable kind. I think it is irresponsible, and unbecoming of a federal govemment official. [ ... ] I feel an outrage, Mr. Johnson, that you have brought to this hearing a trauma of emotionalism that will positively impede our progress in trying to arrive at a sensible solution to a real problem.«57 Johnsons Statement situiert sich eindeutig außerhalb der Skala, in der Mediengewalt in einer gouvernementalen Rahmung reguliert werden kann. Praktiken der Regierung von Mediengewalt, die in zu großem Ma- ße staatliche Restriktionen und Verbote favorisieren, sehen sich - wie hier- dem Vorwurf ausgesetzt, selbst mit Gewalt zu operieren. Der Initiator des Advisory Committee, Pastore, der mit dem Bericht ebenso wenig einverstanden war wie seine zahlreichen Kritiker aus Pub- lizistik, Politik und Wissenschaft, lässt im Verlauf der vier Tage mehr und mehr durchblicken, dass er mit den Anhörungen äußerst zufrieden ist. Die Empfehlungen des Komitees zielen auf einen Vorschlag zur Re- gulation von Mediengewalt, der sich in einem mittleren Bereich zwi- schen zwei Extrempolen des Regierens ansiedelt. In den Hearings beset- zen diese Pole Senator Stevens und Commissioner Johnson, wenn sie von einem autonomen und deshalb nicht-regierbaren Mediennutzer aus- gehen bzw. den Mediennutzer als passives Missbrauchsopfer konzipie- ren, dem nur die Staatsgewalt zu Hilfe eilen kann. Aus Stevens Perspek- tive geht die Regulierung des Komitees zu weit, aus Johnsons Sicht ist sie nicht ausreichend. In den Befragungen entlockt Pastore dem Surgeon General und den Mitgliedern des Advisory Committee immer wieder Aussagen über die Gefahrlichkeit und Regulierungsbedürftigkeit von Mediengewalt »Don't you think there has been much violence on television that is unnecessa- ry?«58, so etwa seine Frage an das umstrittene Komiteemitglied Klapper. Dieser antwortet mit einem schlichten >Ja<. Als am zweiten Tag der An- hörungen der Komiteebericht von Berkowitz und den Rip Van Winkle- Forschern heftig kritisiert wird, nimmt Pastore die Verfasser in Schutz, indem er auf die klar positive Beantwortung der Mediengewalt-Frage in ihren Statements verweist: Sie hätten den kausalen Zusammenhang zwi- schen televisueller Gewaltdarstellung und aggressiven Handlungen in der 56 Cannon, in: Subcommittee on Communications: Hearing, 22.3.1972, S. 120. 57 Baker, in: Subcommittee on Communications: Hearing, 22.3.1972, S. 124. 58 Pastore, in: Subcommittee on Communications: Hearing, 21.03.1972, S. 59. 289 AGGRESSIVE MEDIEN Gesellschaft bestätigt. Den letzten Tag der Hearings eröffnet Pastore mit einem euphorischen Resümee: »In my judgement, what has taken place in the past few days is nothing less than the scientific and cultural breakthrough. For we now know there is a causal relation between televised violence and antisocial behavior which is suf- ficient to warraut immediate remedial action. It is this certainty which has eluded men of good will for so long.«59 In Anbetracht dieser starken Worte mag es schon erstaunen, dass Pastore in seiner >immediate remedial action< nichts anderes tut als ein Regulati- onsverfahren, das Komiteemitglieder vorgeschlagen haben, aufzugreifen und erneut eine Anfrage zu stellen. Adressaten sind der Sekretär des Mi- nisteriums für Gesundheit, Erziehung und Wohlfahrt, der Surgeon Gene- ral und die Federal Communications Commission. Pastore bittet diese ei- ne Methode zu erarbeiten, um die televisuelle Gewalt zu messen, die in die amerikanischen Heime eindringt, einen violence index. Nach den Vorstellungen des Senators soll der Sekretär des HEW dem Subcommit- tee on Communications jährlich über diesen Index berichten. Diese For- derung bleibt das einzige konkrete Ergebnis, das die Hearings im März 1972 erzielen. Schließung des Forschungskreislaufs Nach den Anhörungen scheint sich der diskursive Prozess, den Pastores Brief im März 1969 in Gang gesetzt hat, nur in Nuancen verändert, zu wiederholen. Kurz nach den Hearings schreibt Pastore erneut einen Brief an den nun amtierenden Sekretär des Ministeriums für Gesundheit, Er- ziehung und Wohlfahrt, Elliot Richardson, in dem er die weitere Zustän- digkeit für den geforderten violence index in die Verantwortung der Ge- sundheitsbehörde legt. Richardson entgegnet in einem Antwortschreiben: Um diese Forde- rung zu erfüllen müsse erst die Meinung von Experten eingeholt werden. Vom 31. Mai bis zum 2. Juni 1972 findet ein Workshop des National In- stitute of Mental Health statt, in dessen Rahmen diese Expertendiskus- sion geführt werden soll. Mitglieder der Gesundheitsbehörde und der Fe- deral Communications Commission treffen sich mit Wissenschaftlern und Vertretern privater Stiftungen, um die Möglichkeit eines violence in- dex nach Pastores Vorstellungen zu diskutieren.60 Pastore spielt den >schwarzen Peter< der Regulation von Medienge- walt, wie schon 1969, der Gesundheitsbehörde zu, weil nur auf diese Weise überhaupt Maßnahmen möglich sind. Den politischen Institutio- 59 Pastore, in: Subconnnittee on Connnunications: Hearing, 24.03.1972, S. 243. 60 Vgl. D. Cater/S. Strickland: TV Violence, S. 104-108. 290 DIFFUSION DES WISSENS nen sind aufgrund des First Amendment die Hände gebunden. Dass die Gesundheitsbehörde die Verantwortung an die sozialwissenschaftliehen Experten weitergibt, führt nochmals deutlich vor Augen, inwiefern die Sozialforscher im Projekt der moralischen Regulation von Mediengewalt eine zentrale Stellung einnehmen. In den Empfehlungen, die am Ende des Workshops stehen, befürwor- ten die Experten nicht nur weitere Forschungen, sondern legen auch na- he, dass es sich bei dem gewünschten Regulationsinstrumentarium weni- ger um einen violence index als um ein mehrdimensionales violence pro- filehandeln müsse, das über eine bloße Indexikalisierung von televisuel- ler Gewalt hinausgeht. Schließlich betonen sie explizit, dieses Instrument der Gewaltmessung dürfe keinesfalls zur staatspolitischen Regulation eingesetzt werden, sondern sei als edukatives Verfahren zu verstehen. Wiederum sind diese Empfehlungen im Sinne der politischen Initia- toren alles andere als handfest. Im Juli 1972 kann Richardson Pastore nur einen konkreten Hinweis über den Stand des Gewaltprofils geben, und zwar, dass die Forschungen von Gerbner weiterhin gefördert werden. Die einzige Schlussfolgerung, die nach dem NIMH-Workshop allgemeine Akzeptanz findet, ist die Verschiebung der Frage, wie Mediengewalt mithilfe eines Gewaltprofils reguliert werden kann, auf weitere For- schungsaktivitäten. Es herrscht Konsens darüber, dass diese Aktivitäten von einer regierungsunabhängigen Organisation durchgeführt werden sollen. Ende des Jahres 1972 richtet David Pearl, der Chef des Verhaltens- forschungsprogramms am NIMH, ein Gesuch an die sozialwissenschaft- liehe Vereinigung Social Science Research Council (SSRC): Diese solle weitere Aktionen koordinieren.61 Das Council kommt der Bitte entgegen und reicht im Januar 1973 einen Forschungsvorschlag im NIMH ein. Diesem zufolge soll die unklare Situation nach dem Advisory Committee bearbeitet werden, indem ein neues Komitee, das Committee on Televi- sion and Social Behavior, etabliert wird.62 Der zentrale Mehrwert dieser regressiven Schleife ist, dass die Regulation von Mediengewalt damit ganz in den Verantwortungsbereich der Sozialwissenschaften gewandert ist: Die Gesundheitsbehörde finanziert zwar das neue Committee für ei- nen Zeitraum von drei Jahren mit jährlich 50.000 Dollar, in ihrer offiziel- 61 Vgl. P&P Minutes [Committee on Problemsand Policy]: »Television and Social Behavior«, 15.12.1972. Folder 1751, box 303, series 1.33, Record Group 1, SSRC, RockefeUer Archive Center, Sleepy HoUow, New York. Für die Unterstützung während des Aufenthalts im Archiv danke ich Beth Jaffe. 62 Vgl. Brewster Smith: »Proposal for a Special Research Grant from Natio- nal Institute ofMental Health For Support ofCommittee on Television and Social Behavior«, 27.1.1973. Folder 1747, box 303, series 1.33, Record Group 1, SSRC, RockefeUer Archive Center, Sleepy HoUow, New York. 291 AGGRESSIVE MEDIEN len Politik treten Fragen der Mediengewalt allerdings immer weiter in den Hintergrund des Interesses.63 Stephen B. Withey von der University of Michigan wird zum Vorsit- zenden des Komitees gewählt, als Mitglieder fungieren u.a. Leo Bogart, Percy Tannenbaum und die britische Forscherirr Hilde Himmelweit.64 Nach den Vorstellungen des Council soll das Komitee die gewünschte Evaluierung eines violence profile möglichst schnell erledigen, um dann zu den eigentlich interessierenden Forschungsfragen zu gelangen, die darauf zielen, wie das Fernsehen für die kindliche Sozialisation nutzbar gemacht werden kann. Im ersten Treffen des Komitees deutet sichjedoch bereits an, dass es den versammelten Forschern außerordentlich schwer fallen wird, die Auftragsforschung rasch und zufriedenstellend abzu- schließen. Das Protokoll dokumentiert einige skeptische Fragen über den möglichen Gebrauch und Missbrauch eines Verfahrens zur Messung von Mediengewalt 65 Wieder einmal sind sich Komiteemitglieder, was die Mediengewalt- Frage allgemein und den violence index im Besonderen betrifft, völlig uneinig. Die Diskussion des violence index im zweiten Treffen des Ko- mitees erzielt nur in einer Frage Einigkeit: Einen wissenschaftlichen In- dex über Fernsehgewalt, der alle Mitglieder der sozialwissenschaftliehen community zufrieden stellt, kann es überhaupt nicht geben. Da man sich darüber hinaus selbstverständlich dennoch einig ist, dass zu viel über- flüssige Gewalt im Fernsehen gezeigt wird, entscheidet man, dass Withey ein gemeinsames Statement über den violence index verfassen soll. Dieses soll, nach Zustimmung aller Mitglieder, dem NIMH vorge- legt werden.66 Das Komitee dreht sich im Kreis, und so ist es kaum ver- wunderlich, dass im April 1974, wenn Senator Pastore erneut die Hea- rings zur Frage der Fernsehgewalt aufnimmt, seine Aktivitäten von eini- gen Beteiligten noch gar nicht wahrgenommen worden sind. 63 Nach Cater und Strickland zeigt sich dieses sinkende Interesse an der Re- duktion des Forschungsbudgets fiir die behavioral sciences. Vgl. D. Ca- ter/S. Strickland: TV Violence, S. 109; vgl. auch das Kapitel Kontexte der Wissensproduktion. 64 Vgl. P&P Minutes [Committee on Problemsand Policy]: »Television and Social Behavior«, 22.3.1973. Folder 1751, box 303, series 1.33, Record Group 1, SSRC, RockefeUer Archive Center, Sleepy HoUow, New York; Council Agenda [Social Science Research Council]: »Review of Council Activities. A. Committees. 30. Television and Social Behavior«, 1973. Folder 1751, box 303, series 1.33, Record Group 1, SSRC, RockefeUer Ar- chive Center, Sleepy HoUow, New Y ork. 65 Vgl. Committee on Television and Social Behavior: »Minutes«, 12.- 13.10.1973. Folder 1747, box 303, series 1.33, Record Group 1, SSRC, RockefeUer Archive Center, Sleepy HoUow, New York. 66 Vgl. Committee on Television and Social Behavior: »Minutes«, 1.- 2.2.1974. Folder 1747, box 303, series 1.33, Record Group 1, SSRC, Ro- ckefeUer Archive Center, Sleepy HoUow, New Y ork. 292 DIFFUSION DES WISSENS Eli Rubinstein, der mittlerweile seinen Posten im NIMH verlassen und eine Professur für Psychiatrie an der University at Stony Brook, New York, angenommen hat, beklagt in seinem Statement vor dem Subcom- mittee on Communications, dass die Forschung nach der Surgeon Gene- ral-Studie keine Fortschritte erzielt hat und bisher Pastores Forderung, einen violence index zu erarbeiten, nicht eingelöst worden ist.67 Im November 1974 bestätigt das Committee on Television and Soci- al Behavior Gerbners Profile als im Großen und Ganzen sinnvoll.68 Auch wenn Gerbner seine Form der Gewaltindexikalisierung- gewissermaßen durch das Statement des Komitees autorisiert - fortsetzt, erreicht sie je- doch nie den Status, den Pastore vorgesehen und gewünscht hat. Gerb- ners Gewaltprofil fungiert nie als offizieller >Smogbericht< über televisu- elle Gewalt, der dem Senat jährlich vorgelegt werden könnte. Damit hat sich der letzte >Effekt< des Advisory Committee verflüchtigt. Wenn Eli Rubinstein 1976 das Surgeon General-Unternehmen als ein Beispiel für die Beziehung zwischen Sozialforschung und sozialpoliti- schen Maßnahmen nochmals Revue passieren lässt, fallt sein Urteil weit weniger entmutigt aus, als man es nach seinem Statement in den Hea- rings 1974 erwarten könnte. Schließlich ist zwei Jahre nach seiner ent- täuschten Feststellung, dass sich die Gewalthaltigkeit des Fernsehpro- gramms noch nicht geändert habe, der Versuch, ein politisch einsetzbares Überwachungs- und Kontrollinstrumentarium in der Form eines violence index zu etablieren, endgültig im Sande verlaufen. Rubinstein mahnt, statt zu klagen, eher dazu, keine zu großen Erwartungen zu hegen. In die Bemühungen, sozialwissenschaftliches Wissen in politische Handlungen zu übersetzen, dürfe keine zu große Hoffnung gesetzt werden. Die Er- wartung, mithilfe von Komitees, Kommissionen oder Forschungsberich- ten könne ein sozialer Wandel auf den Weg gebracht werden, hält Rubin- stein mittlerweile nicht mehr für realistisch.69 Dennoch attestiert der ehemalige stellvertretende Vorsitzende dem Surgeon General's-Program Wirksamkeit auf einer anderen Ebene. Der Report, so Rubinstein, habe seine »target audience«70 erreicht: Die Präsi- denten der drei großen Fernsehanstalten hätten in den Anhörungen 1972 Einsicht gezeigt und - zwar nicht sofort, aber allmählich doch- Gewalt- programme im Fernsehen reduziert. Gerade der Kontroverse um den 67 V gl. Eli A. Rubinstein: »Statement Before Subcommittee on Communica- tions ofthe Senate Commerce Committee, U.S. Senate«, 3.4.1974. Folder 7551, box 618, series 1.33, Record Group 1, SSRC, RockefeUer Archive Center, Sleepy HoUow, New Y ork. 68 Vgl. Committee on Television and Social Behavior: »An Index ofViolence on Television«, 19.11.1974. Folder 1748, box 303, series 1.33, Record Group 1, SSRC, RockefeUer Archive Center, Sleepy HoUow, New York. 69 Vgl. Eli A. Rubinstein: »Waming: The Surgeon General's Research Pro- gram May Be Dangemus to Preconceived Notions«, in: Journal of Social Issues 32 (1976), H. 4, S. 18-34, hier S. 28. 70 Ebd., S. 29. 293 AGGRESSIVE MEDIEN Bericht misst Rubinstein nachträglich einen positiven Anteil an dieser Effektivität bei: »lf the entire sequence of events is analyzed, it would not be difficult to develop the thesis that much ofwhat happened, includ- ing the misinterpretation in the New York Times headline about the com- mittee conclusions, curiously interacted to increase the impact of the re- port.«7' Die Untersuchung des Surgeon General's Advisory Committee als ein Projekt der moralischen Regulation von Mediengewalt, die der zwei- te Hauptteil der vorliegenden Studie unternommen hat, kommt für die >target audience< der Moralisierung - die zur Regierung ihrer selbst auf- geforderten Mediennutzer - zu einer ähnlichen, aber doch entscheidend anders akzentuierten Schlussfolgerung. Das Wissen über Mediengewalt ist zwar einer Diffusion unterzogen worden, dies bedeutet aber nur, dass es zur Formulierung von konkreten politischen Handlungsanweisungen immer weniger tauglich wurde. Keineswegs ist diese Verdünnung oder Auslaugung des Wissens gleichbedeutend mit seinem Verschwinden. Als Moralisierungswissen gewinnt es durch diesen Prozess der Feinstvertei- lung nur an Effizienz. Es entfernt sich immer mehr von der Gefahr, die ein Beweis von Mediengewalt für die liberalen Grundrechte der Presse- und Meinungsfreiheit bedeuten könnte. Statt eines konkretenjuristischen Beweises von Mediengewalt formuliert das Moralisierungswissen eine wenig greifbare, aber dennoch permanent präsente Mahnung vor Me- diengewalt. Die Kontroverse um das Statement des Advisory Committee in sei- nem Abschlussbericht ordnet sich in diese ständige Präsenz der Morali- sierung ein. Da das sozialwissenschaftliche Wissen dazu tendiert, seine Ergebnisse vorsichtig zu präsentieren, um ja nicht in den Verdacht einer politischen Instrumentalisierung zu geraten, fordert es zu weiteren Debat- ten heraus, in denen es selbst zum Skandalon wird. Es stellt den Medien- gewalt-Diskurs keineswegs still, sondern intensiviert ihn. Dass der Be- richt zu keinen konkreten Handlungen gegen mediale Gewaltdarstellung führt und schließlich auch die Implementierung eines violence index scheitert, fungiert ebenfalls als Diskursanreiz. Zentral für den Medien- gewalt-Diskurs ist, dass er den Status einer »Unfinished Agenda«72 hat. Die Mediengewalt-Frage erscheint auf diese Weise immer als >noch zu lösende< Frage. 71 Ebd., S. 30. 72 Vgl. das letzte Kapitel des Abschlussberichts »The Unfinished Agenda«, Surgeon General's Advisory Committee: Report, S. 192-210. 294 DIFFUSION DES WISSENS Rezeptionspolitiken Das öffentliche Aufsehen um das Surgeon General-Unternehmen, das so entscheidend für sein Prozessieren als Projekt der Moralisierung ist, be- schränkt sich nicht auf die USA. Auch in der Bundesrepublik Deutsch- land finden das Projekt der amerikanischen Gesundheitsbehörde und die empirischen Studien, die es in Auftrag gegeben hat, breite Beachtung. Ein gutes Jahr nach seiner Veröffentlichung in Public Opinion Quarterly erscheint Bogarts Artikel »Waming: The Surgeon General Has Deter- mined That TV Violence Is Moderately Dangerous To Your Child's Mental Health« in einer Übersetzung von Eberhard Reiß und Will Tei- chert im Fachorgan Rundfunk und Fernsehen. 73 Schon der deutsche Titel des Aufsatzes verdeutlicht, dass der sozialhygienische Kontext, den Bo- gart mit seiner Titelgebung unterstreicht, durch den Übersetzungsvor- gang ausgeblendet wird. Der Titel »Vorsicht: Es gibt Untersuchungen, die den Einfluß von Gewaltdarstellungen im Fernsehen verharmlosen« lässt nicht nur den Surgeon General unter den Tisch fallen, er verfehlt auch den im englischen Wortlaut gegebenen ironischen Verweis auf ana- loge Warnungen der Gesundheitsbehörde, etwa vor schädlichem Tabak- konsum. In der deutschen Übersetzung gerät auch aus dem Blick, dass der zentrale Fokus des amerikanischen Unternehmens auf die psychische Gesundheit von Kindem zielt. Was in Rundfunk und Fernsehen rezipiert wird, ist eine Gefahr, die von sozialwissenschaftliehen Studien generell ausgeht: Es gibt Untersuchungen, die Mediengewalt verharmlosen, so die Botschaft des Titels. Bogarts Ausführung zu den Hintergründen des Sur- geon General-Projekts, die er als Verflechtung von politischen, ökonomi- schen, publizistischen und wissenschaftlichen Interessen darstellt, be- kommt auf diese Weise den Status eines Fallbeispiels, das generalisierbar ist und auch auf die deutsche Situation zutreffen kann. Es kann im Folgenden nur darum gehen, in der Form eines Ausblicks einige Schlaglichter auf die Rezeptionspolitiken zu werfen, die den deut- schen Mediengewalt-Diskurs prägen. Die vorliegende Untersuchung hat ihren Ausgangspunkt an der Debatte um den Erfurter Amoklauf genom- men, die vor wenigen Jahren in der deutschen Öffentlichkeit die Medien- gewalt-Frage wieder einmal in den Vordergrund gerückt hat. Das zentra- le Interesse, das einleitend an dieser Debatte formuliert wurde, war der Status des wissenschaftlichen Expertenturns in einer solch akuten Situa- tion der öffentlichen Erregung über Mediengewalt Um diesen Status zu beleuchten, hat die vorliegende Studie zunächst diachrone Schnitte durch unterschiedliche Felder, in denen frühe Aushandlungen von Medienge- walt stattfinden, und dann einen synchronen Schnitt im etablierten Feld der Mediengewaltforschung vorgenommen. Damit war die V orgehens- weise von der Überlegung geleitet, dass der deutsche Mediengewalt- 73 Vgl. Leo Bogart »Vorsicht: Es gibt Untersuchungen, die den Einfluß von Gewaltdarstellungen im Fernsehen verharmlosen«, in: Rundfunk und Fern- sehen 22 (1974), H. 1, S. 3-36. 295 AGGRESSIVE MEDIEN Diskurs vom US-amerikanischen entscheidend geprägt ist, auch wenn nationale Differenzen die Debatte unterschiedlich formatieren mögen. Ein Verständnis für die historischen Herkünfte des umstrittenen Wissens über Mediengewalt kann auch für deutsche Kontroversen nicht gewon- nen werden, ohne den Blick auf die Frühzeit der Mediengewaltforschung in den USA zu richten. Um auf das deutschsprachige Diskursfeld zu- rückzukommen, sollen ein paar Aspekte der Debatte über Mediengewalt in den 1960er und 70er Jahren angesprochen werden, in die sich die Re- zeption von Bogarts Artikel über das Surgeon General-Unternehmen einordnet. Ab Ende der 60er Jahre entbrennt auch in der deutschen Öffentlich- keit eine heftige Diskussion über die Schädlichkeit televisueller Gewalt- darstellungen.74 Diese Debatte wird noch weiter angeheizt, wenn etwa der Pädagoge Heribert Heinrichs in der Zeitschrift Eltern eine inhalts- analytische Erfassung von gewalthaltigen Sendungen in ARD und ZDF veröffentlicht. Heinrichs Studie, die über eine reine Inhaltsanalyse hinaus eine zunehmende Aggression des kindlichen Fernsehzuschauers unter- stellt, zieht eine Debatte im Deutschen Bundestag nach sich. Die Fern- sehsender sehen sich veranlasst, eigene Statements in die Debatte einzu- bringen. Das ZDF beauftragt hierzu seine Forschungsreferentinnen Hella Kellner und Imme Horn mit einem Forschungsüberblick.75 Der 1971 in der Schriftenreihe des ZDF erscheinende Literaturbe- richt kann die Ergebnisse des Surgeon General's Advisory Committee noch nicht zugrunde legen. Er erfasst aber das sich etablierende Feld des Mediengewalt-Diskurses in den USA, indem er die Experimente von Feshbach, Bandura und Berkowitz referiert und auf die Violence Com- mission verweist. Kellner und Horn formulieren im Gegensatz zu Hein- richs keine klaren Antworten, sondern spannen das komplexe Feld der Mediengewaltforschung auf, das eine klare Beantwortung der Medien- gewalt-Frage- noch- nicht ermöglicht. Auch wenn sie aus ihrer Litera- turübersicht das Konsensergebnis ableiten, televisuelle Gewalt habe eine schädliche Wirkung auf den Rezipienten, gliedern sie die Ergebnisse in die divergenten Methoden und Hypothesen, die den amerikanischen Dis- kurs prägen. So unterscheiden sie nach Experimenten, Feldstudien und Inhaltsanalysen und differenzieren die Resultate der experimentellen Stu- dien wiederum nach Katharsisthese, Habitualisierungsthese, Inhibitions- 74 Vgl. Hella Kellner/Imme Horn: Gewalt im Fernsehen. Literaturbericht über Medienwirkungsforschung. Schriftenreihe des ZDF 8 (1971), S. 8, insbe- sondere Anm. 1, in der auf Presseartikel über Mediengewalt in der Süd- deutschen Zeitung, der Zeit, der Frankfurter Allgemeinen Zeitung sowie im Fachorganepd/Kirche und Fernsehen hingewiesen wird. 75 Vgl. Hans-Dieter Kühler: »Kinder und Fernsehgewalt«, in: Hans Dieter Er- linger u.a. (Hg.), Handbuch des Kinderfernsehens, Konstanz: UVK-Medien Ölschläger 21998, S. 503-522, unter http://nibis.ni.schule.de/nlil/chaplin/ portal/btml/Lernenlkinder_ und_m edienlkinder_ und_f ernsehgewalt.pdf vom 14.10.2006, s. 10. 296 DIFFUSION DES WISSENS these und Simulationsthese. Am Ende der Literaturübersicht steht die Forderung, auch in der Bundesrepublik Forschungen auf den Weg zu bringen. Die Autorinnen schließen mit einem Untersuchungsplan, der ei- ne Inhaltsanalyse nach Gerbners Vorbild und eine repräsentative Zu- schauerstudie vorsieht.76 Mitte der 70er Jahre legt Michael Kunczik an der Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Fakultät der Universität zu Köln seine Disserta- tion Gewalt im Fernsehen vor, die eine umfassende Aufarbeitung des bisherigen Forschungsstandes leistet. Kunczik rückt damit in den Status eines Experten für Mediengewaltforschung, den er bis heute innehat. Er berücksichtigt in seiner Analyse die Auftragsforschung des Surgeon Ge- neral-Unternehmens, allerdings ohne auf den Kontext und die Kontrover- se um den Abschlussbericht einzugehen. Auch wenn Kuncziks Darstel- lung sehr viel komplexer und umfangreicher ist als der Literaturbericht der ZDF-Forscherinnen, ähnelt er diesem in der Art, wie er das divergie- rende Feld der Mediengewaltforschung aufbereitet. Auch Kunczik unter- teilt die Forschung in Hypothesen, die einander teilweise widersprechen. Diese Darstellung erweist sich seither als prägend für den deutschen Me- diengewalt-Diskurs. Anstelle einer umfassend gültigen Lösung der Me- diengewalt-Frage nennt man die divergierenden Lösungen, die unter- schiedliche Mediengewalt-Hypothesen nahe legen.77 Die öffentliche Debatte über Fernsehgewalt, die ab Ende der 60er Jahre den bundesdeutschen Mediendiskurs prägt, hängt- wie auch Kell- ner und Horn andeuten78 -eng mit der Furcht vor einer >Amerikanisie- rung< des deutschen Fernsehens zusammen, die sich in erster Linie auf die zunehmende Ausstrahlung amerikanischer Serien in ARD und ZDF konzentriert.79 Die Debatte richtet sich in der deutschen Publizistik je- doch auch auf die Sorge vor einer Kommerzialisierung des Fernsehens. Das Magazin Der Spiegel kann hierfür als Beispiel fungieren. Ende der 1970er Jahre, als die Einführung des Privatfernsehens schon unab- wendbar erscheint, mahnt Der Spiegel in einer Titelgeschichte »Privat- fernsehen: Nur noch Volksverdummung?« eindringlich vor der Einfüh- rung >amerikanischer Zustände< in die deutsche Fernsehlandschaft. Die USA fungiert als »grausliche[s] Beispiel«, denn hier beherrschten die Sponsoren das aus Sex und Gewalt bestehende Fernsehprogramm: »Un- 76 Vgl. H. Kellner/1. Horn: Gewalt im Fernsehen. 77 Vgl. M. Kunczik: Gewalt im Fernsehen. 78 Vgl. H. Kellner/1. Horn: Gewalt im Fernsehen, S. 30, Anm. 1. 79 Vgl. hierzu die Publikationen des Forschungsprojekts »Zur Geschichte und Entwicklung des britischen und amerikanischen Einflusses auf die Fem- sehprogramme in der BRD« (1986-1994, Leitung: Christian W. Thomsen, Irmela Schneider), hier insbesondere Irmela Schneider (Hg.): Amerikani- sche Einstellung. Deutsches Fernsehen und US-amerikanische Produktio- nen, Heidelberg: Winter 1992; Irmela Schneider (Hg.): Serien-Welten. Strukturen US-amerikanischer Serien aus vier Jahrzehnten, Opladen: West- deutscher Verlag 1995. 297 AGGRESSIVE MEDIEN verkennbar hat die Elektronik das gesamte kindliche Verhalten in den USA revolutioniert. Amerikanische Kinder lesen nicht, sondern sehen fern; sie schreiben keine Briefe, sondern telephonieren.«80 Dass ein ähn- liches >Schreckensszenario< auch schon für deutsche Kinder zutrifft, hat Der Spiegel im Verlauf der 70er Jahre in zwei Titelgeschichten zum Thema Fernsehgewalt nahegelegt 1972 konstatiert das Magazin: »Vorm Schlafengehen kommt der Kommissar«, 1977 warnt es unter dem Titel: »Fernsehgewalt: >Leidtragende sind die Kinder<«. 81 Was weitere Untersuchungen gerrauer klären müssten, kann hier zu- mindest als Vermutung formuliert werden: Die Übersetzung des Bogart- Artikels und seine Publikation in Rundfunk und Fernsehen treffen im bundesdeutschen Mediendiskurs auf eine historische Situation, in der sich die Bezugsprobleme und die Möglichkeiten einer moralischen Regu- lation von Mediengewalt ebenfalls zu etablieren beginnen. Die öffentli- che Debatte über Mediengewalt in den 70er Jahren ist eng an die Sorge geknüpft, eine liberale Öffnung des Mediensystems, die eine Begünsti- gung privatwirtschaftlicher Interessen bedeutet, könne der Gesellschaft insgesamt zum Schaden gereichen. Mit der Rezeption des wissenschaftli- chen Wissens über Mediengewalt, mit den Studien von Kellner und Horn oder Kunczik, bekommt die Debatte gleichzeitig ein Instrument geliefert, das mit der liberalen Öffnung des Marktes in Einklang steht. Aufgrund seiner Diversität und Uneindeutigkeit kann der Mediengewalt-Diskurs innerhalb eines gouvernementalen (Neo-)Liberalismus funktionieren. Das rezipierte und weiter prozessierte Wissen über Mediengewalt be- ginnt, ebenso wie im etablierten Feld in den USA, eine beständige War- nung vor Mediengewalt zu formulieren, die den Mediennutzer auf sich selbst zurückwirft und die Regulation von Mediengewalt in seine eigene Verantwortung legt. In den deutschen Forschungsdebatten lassen sich in diesem Sinne Wiederholungen von amerikanischen Rhetoriken und Praktiken der mo- ralischen Regulation beobachten. Inwiefern der Prozess der moralischen Regulation sich auch in der deutschen Debatte beständig mit der Frage konfrontiert sieht, wie das richtige Maß der Regulation zu finden und wie ein Zuviel oder ein Zuwenig an Regierungsmaßnahmen zu vermeiden ist, verdeutlicht eine Untersuchung, die exemplarisch genannt sei. 1974 ver- öffentlichen die Psychologen Erich und Jutta Bauer »auf Anregung« des 80 Der Spiegel: »Privatfernsehen: Nur noch Volksverdunnnung? Spiegel Ti- tel«, in: Der Spiegel33 (1979), H. 51, S. 39-62, hier S. 51 u. 53. 81 Vgl. Der Spiegel: »Vorm Schlafengehen kommt der Kommissar. Spiegel Titel«, in: Der Spiegel 26 (1972), H. 4, S. 32-52 und Der Spiegel: »Fern- sehgewalt: >Leidtragende sind die Kinder<. Spiegel Titel«, in: Der Spiegel 31 (1977), H. 51, S. 46-60. Vgl. auch: Irmela Schneider: »Das beschirmte Kind. Zur Diskursgeschichte Kind und Fernsehen«, in: Irmela Schnei- der/Christina Bartz/Isabell Otto (Hg.): Medienkultur der 70er Jahre. Dis- kursgeschichte der Medien nach 1945, Bd. 3, Wiesbaden: Westdeutscher Verlag 2004, S. 217-229. 298 DIFFUSION DES WISSENS Bundesministeriums für Jugend, Familie und Gesundheit und im Auftrag des Deutschen Jugendinstituts München - wie die Surgeon General- Studie also in einem sozialhygienischen Kontext - eine Darstellung über Weiteiführende Aspekte zum Problem Fernsehen und aggressives Ver- halten bei Kindern und Jugendlichen. 82 Den Autoren ist daran gelegen, die Gefahren von Jugendschutz und Zensur - von Praktiken, die aus ihrer Perspektive zu viel regieren, - zu verdeutlichen: »Unsere Arbeit will gerade aufzeigen, daß das Potenzial an Gewalt sich nicht in sogenannten aggressiven Massenmedien erschöpft, daß daher Schutzmaßnah- men zwar ein Problembewußtsein beseitigen, das Problem selbst aber unberührt bestehen lassen könnten. Der Schutz von Kindem nnd Jugendlichen ist eine Maßnahme innerhalb der zunehmenden staatlichen Eingriffe in das gesell- schaftliche Geschehen, die von der Konjunkturpolitik bis zu alljährlichen Pflichtuntersuchungen reichen. >Gesellschaftsplaner< sollten sich immer der Ambivalenz ihrer Maßnahmen bewußt sein: ob sie sich im Vorfeld autoritärer Entmündigung der Bevölkerung bewegen oder in Zielrichtung auf eine sozia- lere, sozialstaatliche Wirklichkeit.«83 Zensurmaßnahmen seien beim »gegenwärtigen Stand der Forschung«, den die Autoren als disparat und uneindeutig kennzeichnen, nicht sinn- voll. Um schädliche Medienwirkungen einzudämmen, halten sie viel- mehr »eine kritische Durchleuchtung des ganzen Ausbildungssystems« für Erfolg versprechend. 84 Das Projekt der Regulation von Mediengewalt wird damit auch hier aus einer staatspolitischen Zuständigkeit in edukati- ve Regulierungsmaßnahmen überführt. In ihrer Kritik an der unklaren Forschungslage bleibt aber- entsprechend einer zentralen Formationsre- gel des Mediengewalt-Diskurses- unsichtbar, dass gerade diese Unklar- heit nicht-staatliche Formen der Regulierung erst ermöglicht. Die empiri- sche Quantifizierung von Mediengewalt ist Teil und entscheidender Fak- tor einer moralischen Regulation der Mediennutzung. 82 Erich Bauer/Jutta Bauer: Weiterfuhrende Aspekte zum Problem Fernsehen und aggressives Verhalten bei Kindem und Jugendlichen. Schriftenreihe des Bundesministeriums fiir Jugend, Familie und Gesundheit, Bd. 14, Stuttgart u.a.: Kohlhammer 1974, S. 4. 83 Ebd., S. 14. 84 Dies und das vorangehende Zitat: ebd., S. 119. 299 DIE OFFENHEIT DERMEDIENGEWALT-FRAGE Das Zimmer ist sonnendurchflutet, man hört leises Vogelgezwitscher, ei- ne sanfte musikalische Untermalung unterstreicht die Harmonie der Sze- ne. Ein etwa neun Jahre alter Junge, im rot-weiß karierten Schlafanzug, geht auf den Esstisch an der offenen Terrassentür zu. Er zieht einen gro- ßen braunen Teddybären an einer Tatze hinter sich her. Der bereits am Tisch sitzende Familienvater streichelt seinem Sohn, als dieser an ihm vorbei auf seinen Platz zusteuert, liebevoll über den Kopf. Seine Mutter reicht ihm fürsorglich eine Tasse, als er sich setzt. Der Junge nimmt sich ein Frühstücksei in einem Eierbecher. Die Eltern beobachten ihn glück- lich und zufrieden. Jedoch: Plötzlich hebt der Junge ein Messer bis weit über seinen Kopf und rammt es von oben in das Ei, sodass die Hälfte der Klinge darin verschwindet. Mit dem schmatzenden Geräusch des ein- dringenden Messers endet die Musik. In die Stille hinein dreht der Junge mehrmals das Messer im Innem des Eis knirschend um, hebt die Waffe empor, sodass Eiweiß und Dotter hinabtropfen und sticht noch einige Male heftig und entschlossen auf das zerstörte Nahrungsmittel ein, um es dann mit Wucht auf den Teller der Mutter zu schleudern. Im Blick der Eltern spiegelt sich Entsetzen und Ratlosigkeit. Eine gütige Frauenstim- me erklingt aus dem Off- tröstend, aber sanft tadelnd: »Wissen Sie, was Ihr Kind so alles zu sehen bekommt? SCHAU HIN! gibt Tipps zum kindgerechten Umgang mit Medien. Schau hin, was deine Kinder ma- chen.«' Die Bilderfolge mit der überraschenden Wendung wird im Dezember 2006 als TV-Spot der Aktion SCHAU HIN! im Ersten und im ZDF aus- gestrahlt. SCHAU HIN! ist eine Initiative, die das Bundesfamilienminis- terium gemeinsam mit den Sendem ARD und ZDF, dem Tele- kommunikationsunternehmen Arcor sowie der Programmzeitschrift TV Spielfilm unternimmt. Unter www.schau-hin.info sind die vielfaltigen Aktivitäten des seit 2003 bestehenden Projekts in einem Internetportal gebündelt: Neben mehreren TV -Spots erscheint vierteljährlich - auch kostenlos als pdf-Datei - eine Broschüre, in der Eltern Informationen über >Neue Medien< und Erziehungstipps erhalten. Prominente Vorbilder - von den Popstars Nena und DJ Bobo über die Moderatorirr Tita von Hardenberg bis hin zur Ministerin Ursula von der Leyen - schildern, wie Zu sehen unter http://www .schau-hin.infolindex.php?id= 170 vom 24.1. 2007. 301 AGGRESSIVE MEDIEN sie Medien sinnvoll und kontrolliert in ihren Familienalltag integrieren.2 »SCHAU HIN!«, so die Selbstbeschreibung der Initiative, »bildet eine Brücke zwischen Eltern und ihren Kindern. Die Aktion gibt Eltern prak- tische Orientierungshilfen zur Mediennutzung und -erziehung und fördert den Dialog zwischen Eltern und Kindern.«3 Den Fernsehspot über die fehlgeleitete Umgangsweise eines Kindes mit seinem Frühstücksei kommentiert SCHAU HIN! in einer Pressemit- teilung am 11. Dezember 2006: »Der Spot ist in seiner Aussage bewusst plakativ und in seiner Gestaltung überzeichnend, denn er soll auf die Ge- fahren einer unsachgemäßen Mediennutzung hinweisen und eindringlich an die Erziehungsverantwortung erinnern.«4 Bemerkenswert ist dabei die Selbstverständlichkeit, mit der die Darstellung eines unvermittelten kind- lichen Gewaltausbruchs auf kulturelles Wissen über Mediengewalt zu- rückgreift. Ohne den Topos, oder genauer: die Kurzschlussformel >Me- diengewalt< als kulturelle Objektivation, die aggressives Verhalten fest mit Medienkonsum verknüpft, bliebe der Spot kryptisch und unverständ- lich. Der Subtext, der nicht ausgesprochen werden muss, lautet: Medien- nutzung kann Gewalt bewirken. Der kausale Link, den der Spot voraus- setzt, ist so gängig, dass er unsichtbar bleiben kann: Der Adressat des Spots soll ihn selbst ergänzen. Die Initiative SCHAU HIN! lässt sich eindeutig als Projekt der mora- lischen Regulation identifizieren: Sie fordert die Eltern - moralisierte Subjekte - dazu auf, ihre Kinder - moralisierte Objekte - zum richtigen Mediengebrauch anzuleiten, und legt damit die Verantwortung zur Re- gierung der Mediennutzung in den Aktionsraum der autonomen Familie - sie fordert zur Selbstregierung der Mediennutzung auf. Die auf einen Begriffverdichtete Kurzschlussformel >Mediengewalt< spielt hierbei eine entscheidende Rolle: Dass die Adressaten auf ein Wissen über Medien- gewalt zurückgreifen können, ist eine entscheidende Voraussetzung für das Gelingen der moralischen Regulation. Dieses Wissen ist den moralisierten Subjekten jedoch nicht angebo- ren, es hat seine Herkunft nicht in einer anthropologisch fundierten Angst 2 V gl. beispielsweise das Ideal einer funktionierenden Medienerziehung, das die Familienministerin und siebenfache Mutter von der Leyen entwirft: »Weun wir etwas zusammen spielen, dann nie am Computer. Natürlich gibt es auch besondere Tage, an denen wir alle gemeinsam vor dem Fern- seher sitzen, weil etwa ein spaunendes Fußballspiel übertragen wird. Daun wird jeder Spielzug heiß diskutiert und wenn es noch hell ist, gehen mein Maun und die Kinder hinterher noch auf den Bolzplatz.« SCHAU HIN!: »Regeln als Teil der Erziehung. Gespräch mit Dr. Ursula von der Leyen«, unter http://www.schau-hin.info/index.php?id=167 vom 22.12.2006. 3 SCHAU HIN!: »Eine Aktion für mehr Medienkompetenz«, unter http: //www.schau-hin.info/index.php?id=9 vom 22.12.2006. 4 SCHAU HIN!: »Wissen Eltern, was ihre Kinder sehen? SCHAU HIN! ap- pelliert und sensibilisiert mit neuem TV -Spot. Pressemitteilung«, 11.12. 2006, unter http://www.schau-hin.info/index.php?id=594 vom 29.1.2007. 302 DIE OFFENHEIT DER MEDIENGEWALT-FRAGE vor Medien. Es handelt sich vielmehr um ein Wissen, das in Forschungs- arrangements der Mediengewaltforschung, in Experimenten, Feldstudien und statistischen Erhebungen produziert und als glaubwürdiges Exper- tenwissen in kulturelle Zirkulationsprozesse überführt wird. Die Formel >Mediengewalt< kann ihre ungebrochene Brisanz in der medienkulturel- len Kommunikation nur behaupten, weil sie beständig wissenschaftlich reproduziert wird. Nur auf diese Weise kann Mediengewalt als ein Ver- fahren der moralischen Regulation von Mediennutzern fungieren. Der Kurzfilm über den Jungen, der seine Eltern mit Attacken auf sein Frühstücksei schockiert, moralisiert nicht mit dem Gestus eines streng erhobenen Zeigefingers. Die gesamte Darstellung der Szene ist durch ih- re Überzeichnung ironisch gebrochen. Der Spot ähnelt weniger einem besorgniserregenden Sozialdrama als einer augenzwinkernden Parodie kulturkritischer Ängste vor Medienwirkungen. Das zerstochene Ei fun- giert dabei als leicht spöttische Metapher für die eigentliche Befürchtung dieser kulturkritischen Tradition, dass medial induzierte Gewaltmensch- liche Körper verletzen und töten könnte. Die moralische Regulation, die hier vollzogen wird, verläuft knapp an der Grenze zur eigenen De- konstruktion. Damit reagiert das Projekt der Regulation auf eine Umstrit- tenheit, der sich alle gegenwärtigen Verfahren der Moralisierung ausge- setzt sehen. Es führt seine Kritik mit sich und setzt sie spielerisch in Szene. Die hier unternommene Studie hat die historischen Voraussetzungen für und die Umstellung auf eine moralische Regulation von Medienge- walt untersucht. Sie hat danach gefragt, welchen Stellenwert das Wissen über Mediengewalt in diesem Projekt der Moralisierung einnimmt. Am Ende stellt sich nun die Frage, inwiefern Formationsregeln des Medien- gewalt-Diskurses, die anhand historischer Debatten, Ereignisse und For- schungspraktiken analysiert wurden, im gegenwärtigen Diskurs noch an- zutreffen sind bzw. inwieweit sich die Einsichten in diese historischen Prozesse für das Verständnis aktueller Debatten als fruchtbar erweisen. Als Ausgangspunkt wurde mit dem Erfurter Amoklauf im Frühjahr 2002 ein Diskursereignis aus jüngerer Zeit gewählt. Dementsprechend soll ein Blick auf die Debatte um den Amoklauf in Emsdetten im Herbst 2006 den Kreis schließen. Killerspiele verbieten: Die Sackgasse der Restriktionen Beide Machttechniken, die sich um eine Regierung des Medienpubli- kums bemühen, - restriktive Wirkungskontrolle und moralische Regula- tion- sind auch im gegenwärtigen Mediengewalt-Diskurs noch anzutref- fen. Die Etablierung einer moralischen Regulation mit Hilfe des Wissens über Mediengewalt um 1970 bedeutet nicht, dass Verfahren der Restrik- tion verschwinden. Die gouvernementale Regulationspraxis wird jedoch in diesem Zeitraum zur hegemonialen Operationsweise des wissenschaft- lich etablierten Mediengewalt-Diskurses. Als wissenschaftliches Wissen 303 AGGRESSIVE MEDIEN operiert das Wissen über Mediengewalt vorrangig im Rahmen der mora- lischen Regulation. Bis in heutige Debatten hinein lässt sich beobachten, dass Bestrebungen einer restriktiven Regierung kurzlebig sind, zwar im- mer wieder aufflackern, aber sofort angefochten werden und schnell wie- der erlöschen. Verfahren der Regulation erweisen sich dagegen als län- gerfristig einsetzbar. Im Herbst 2006 ließ sich dies in der publizistischen Debatte um den Amoklauf an einer Schule in Emsdetten im Münsterland beobachten.5 Als am 20. November 2006 - viereinhalb Jahre nach dem Amoklauf in Erfurt - ein 18-Jähriger schwer bewaffnet seine ehemalige Schule stürmt, 37 Menschen verletzt und schließlich sich selbst tötet, ist eine markante Verbindung zwischen beiden Taten sofort augenfCoun- terstrike<« posiert. Robert Steinhäuser überbietend soll er sogar den Grundriss seiner Schule in das Spiel integriert haben.6 Aus der Perspekti- ve vieler Presseartikel lässt sich der Amoklauf als medieninduzierte Nachahmungstat identifizieren; es scheint klar, dass Sebastian B., der in seiner ehemaligen Schule »wie seine Helden in den Killerspielen auf sei- nem Computer«7 auftrat, »seine Killerspielfantasien vom Internet in die Wirklichkeit übertragen wollte«. 8 Wenn man von dem TV-Spot der Initi- ative SCHAU HIN! ausgeht, ließe sich der Amoklauf in Emsdetten auch als eine Tat verstehen, die sich auf der Folie eines kulturellen Wissens über Mediengewalt vollzieht. Diese Möglichkeit ziehen die Artikel aller- dings nicht in Erwägung. Weil der Emsdettener Amokläufer durch die Inszenierung seiner Tat die Diagnose >Mediengewalt< nahe legt, hält sich die publizistische De- batte nicht lange damit auf, dieser Erklärungsmöglichkeit Plausibilität zu verleihen. Die Rekonstruktion der Tat als Medienwirkung - wie sie beim Erfurter Amoklauf zu beobachten war - ist nicht mehr notwendig, denn das Verbrechen liefert seine Deutung gleich mit. Im Zentrum der Kon- troverse um den Amoklauf in Emsdetten steht daher die Frage, wie auf 5 Der folgenden kurzen Analyse liegt eine Auswertung der deutschen Presse im November und Dezember 2006 über die Datenbank LexisNexis zugrun- de. Vgl. http://www.lexisnexis.com/de/business vom 19.1.2007. 6 Christian Denso: »Ihr müsst alle sterben ... !«, in: Hamburger Abendblatt vom 21.11.2006. 7 Hamburger Abendblatt: »Amok an der Schule - warum hat ihn niemand gestoppt?«, in: Hamburger Abendblatt vom 21.11.2006. 8 Sirnone Meyer: »Machen Computerspiele süchtig? Wenn das Internet die reale Welt ersetzt - Mediziner stellt neue Studie vor«, in: Die Welt vom 22.11.2006. 304 DIE OFFENHEIT DER MEDIENGEWALT-FRAGE das Problem >Mediengewalt< reagiert werden muss. Dabei prägen die Diskussion - vorwiegend von Politikern der CDU und CSU geäußerte - Forderungen, die so genannten >Killerspiele< gesetzlich zu verbieten. Als besonders nachdrücklichen Befürworter eines Herstellungs- und Verbreitungsverbots von gewalthaltigen Computerspielen zitieren die Zeitungen Bayerns Ministerpräsidenten Edmund Stoiber, der schon seit Jahren ähnliche Appelle formuliert. Nun dürfe es »keine Ausreden und Ausflüchte mehr geben«, brutale Ego-Shooter-Spiele seien >>Unverant- wortliche und indiskutable Machwerke, die in unserer Gesellschaft kei- nen Platz haben dürfen.«9 In einem Gespräch mit Thomas Zeitner, der als Deutschland-Chef von Electronic Arts unter anderem das Spiel Coun- terstrike vertreibt, argumentiert der bayerische Innenminister Günther Beckstein, der die erneute Verbotsforderung maßgeblich initiiert hat, in der Frankfurter Rundschau in ähnlicher Weise: »Ich schiebe weder der Firma Electronic Arts noch einzelnen Personen die Schuld fiir solche Taten zu. Aber ich bin felsenfest überzeugt: Spiele wie >Counter-Strike< [sie] oder >Medal of Honor< köunen einen Einfluss auf das Verhalten von labilen Menschen haben. Da werden Hemmschwellen herabge- setzt, es gibt Nachahmungstaten. Das sagen uns die Kriminalisten. Deswegen müssen die Killerspiele verboten werden. Es wäre allerdings nicht richtig zu behaupten, dass jeder, der stundenlang Killerspiele spielt, auch einen Mord be- geht.«lo Die Argumentation der Verbotsbefiirworter unterscheidet sich signifikant von einer Rhetorik der moralischen Regulation. Zwar werden auch hier nur einige - >labile< - Mediennutzer als Personen identifiziert, die von Mediengewalt betroffen sein können. Allerdings behaupten diese restrik- tiven Regierungsbemühungen eine derart starke und gefahrliehe Wirkung von Computerspielen auf diese Bevölkerungsgruppe, dass die Gesell- schaft nur geschützt werden kann, wenn der Stimulus beseitigt, die medi- ale Gewalt also verboten wird. Die nicht-normalisierende Verteilung von Risikofaktoren auf die gesamte Bevölkerung, die das Verfahren der mo- ralischen Regulation kennzeichnet, greift hier nicht. Vielmehr operiert die Verbots-Argumentation mit einer Unterscheidung von normalen und anormalen Subjekten, wobei sichemde Maßnahmen gegen anormales Verhalten als nur dann möglich erscheinen, wenn sie zulasten der Frei- heit der gesamten Bevölkerung zum Einsatz kommen. Voraussetzung ist dabei gerade nicht, dass unerwünschte Medienwirkungen zu beseitigen sind, wenn die Bevölkerung zur richtigen Mediennutzung angehalten wird. Restriktive Regierungsverfahren setzen voraus, dass eine Lenkung 9 Stoiber, zit. nach: Robert Roßmann: »Geschwätzigkeit statt Prävention. Warum es noch Killerspiele gibt«, in: Süddeutsche Zeitung vom 22.11. 2006. 10 Beckstein, zit. nach: G. Schindler: >»Killerspiele verbieten< - >Das ist der falsche Reflex«<, in: Frankfurter Rundschau vom 18.12.2006. 305 AGGRESSIVE MEDIEN der Mediennutzung nur erfolgreich ist, wenn Medienwirkung strikt kon- trolliert wird- und das heißt im Fall unerwünschter Wirkung: Ihre Ursa- che muss beseitigt werden. Den regierten Subjekten werden dabei keine Fähigkeiten zur Selbstregierung, keine Kompetenz, das Risiko >Medien- gewalt< selbst zu regulieren, zugetraut. Das bedeutet in letzter Konse- quenz: Der Mediennutzer wird nicht als ein autonomes Subjekt konzi- piert. Die Verbotsforderung ist in den Presseberichten nach dem Amok- lauf in Emsdetten aus diesem Grund heftig umstritten. Nicht nur die Ge- walttat in der Schule, auch der wieder neu aufbrandende Ruf nach einer schärferen Reglementierung der Computerindustrie gilt als »widersinnig und beängstigend«, ja sogar als eine »kontraproduktive Geste«." Publi- zistische Diskursbeiträge, die sich kritisch mit der Verbotsdiskussion be- fassen, bemühen sich, die bedrohte Autonomie des Subjekts wiederher- zustellen. Dies geschieht, indem sie den Mediennutzer als resistent ge- genüber restriktiven Regierungsmaßnahmen entwerfen und auf diese Weise Verbote von Computerspielen als nutzlos herausstellen. Das Spiel Counterstrike selbst fungiert dabei als Symbol für dieses unverbrüchliche Recht auf eine selbstbestimmte Mediennutzung. 1999 ist es aufgrund von Programmierungsmodifikationen einiger Spieler selbst aus dem Ver- kaufsspiel >Half-Life< hervorgegangen und erst nach den technischen Eingriffen der Nutzer zu einem kommerziell vermarkteten Spiel gewor- den. Counterstrike steht als »Erfindung der Szene selbst« für die Freiheit des Mediennutzers, die sich Machtstrukturen widersetzt und der auch mit Verboten nicht beizukommen ist: >»Counter Strike< [sie] liegt auf Millionen PCs weltweit, es wird auf Servern gespielt, die außerhalb deutscher Gerichtsbarkeit operieren, es lässt sich fiir die Weitergabe auf Schulhöfen leichter und schneller kopieren, als eine Hausauf- gabe abgeschrieben ist. Die >Counter-Strike<-Kultur lässt sich nicht einkassie- ren, wegsperren, dichtmachen.«12 >Killerspiele< zu verbieten - so die generalisierende Argumentation vie- ler Reglementierungs-Gegner- ist im Zeitalter des Irrtemets nicht durch- führbar.13 Die Praxis der Mediennutzung selbst verhindert diese Mög- lichkeit, sie zu regieren. Um die Nutzlosigkeit von Verboten zu un- terstreichen, wird vielfach darauf hingewiesen, dass es schon vor dem Amoklauf in Emsdetten strafbar gewesen ist, gewaltverherrlichende 11 Thomas Klingenmaier: »Reden und schießen lassen. Killerspiele zu verbie- ten ist keine Lösung«, in: Stuttgarter Zeitung vom 9.12.2006. 12 Ebd. 13 Vgl. exemplarisch die Argumentation des Medienforschers Jo Groebel, zit. in: R. Hebestreit »Initiative Bayerns stößt auf Skepsis. Experten fordern Druck auf Hersteller von Killerspielen«, in: Frankfurter Rundschau vom 7.12.2006. 306 DIE OFFENHEIT DER MEDIENGEWALT-FRAGE Computerspiele zu verbreiten. 14 Die politischen Forderungen werden dann als >reflexartiger< Aktionismus bezeichnet, der eine »echte Ausei- nandersetzung mit den wirklichen Ursachen« des Amoklaufs verhindert: »Nach Littleton, Erfurt und jetzt nach Emsdetten offenbart sich darin [ ... ] nur die Hilflosigkeit, mit der unsere Gesellschaft solchen schreckli- chen Ereignissen gegenübersteht.«15 Die Verbotsforderung bleibt nicht ohne Rückhalt aus dem wissen- schaftlichen Feld. So können beispielsweise die drastischen Thesen des Ulmer Hirnforschers Manfred Spitzer zitiert werden, die den Gegnern von Gewaltspielen >handfeste< Argumente liefern: »Wenn wir die Ent- wicklung so weiterlaufen lassen wie bisher, dann verursachen Bildschir- me im Jahr 2020 hierzulande jährlich einige hundert Morde, einige tau- send Vergewaltigungen und zehntausende von Gewaltdelikten gegen Personen.«16 Spitzer bewegt sich mit diesen Zukunftsprognosen aller- dings nicht im etablierten Feld der Mediengewaltforschung, sondern in populärwissenschaftlichen Randbezirken. Die empirische Sozialfor- schung stützt die Verbotsforderung gerade nicht, sie liefert vielmehr plausible Gegenargumente. Erneut tritt der Mediengewalt-Experte Kun- czik als Mahner vor zu starken Wirkungsthesen auf: >»Es ist nicht bewiesen, dass Spiele aggressiv machen<, sagte Professor Micha- el Kunczik von der Universität Mainz. Zwar lasse sich belegen, dass Gewalt- szenen negative Effekte haben können, das gelte >aber nur fiir Problemgrup- pen<. Den Politikern wirft der Medienwissenschaftler >Profilneurose< vor. Mit der von Heckstein angestoßenen Verbotsdiskussion werde versucht, von ande- ren Ursachen zur Gewaltneignng wie Arbeitslosigkeit oder fehlende Zuknnfts- perspektiven abzuleuken.« 17 Die immer wieder auftauchende Rede von der (noch) unbewiesenen Me- diengewalt, die kennzeichnend für die Praxis der moralischen Regulation ist, greifen die Verbotsgegner dankbar auf: »Es gibt keinen wissenschaft- lichen Beweis für einen monokausalen Zusammenhang zwischen Gewalt auf dem Bildschirm und in der Realität«, entgegnet der Electronic Arts- 14 Vgl. Stuttgarter Nachrichten: »Jugendschützer lehnen Killerspiel-Verbot ab. Amoktäter hinterlässt Abschiedsvideo - Bayerischer Innenminister for- dert mehr Internet-Kontrollen«, in: Stuttgarter Nachrichten vom 24.11. 2006. 15 Stuttgarter Nachrichten: »Verbot von Killerspielen - Aktiv werden statt kapitulieren- Verantwortnng zeigen statt verbieten«, in: Stuttgarter Nach- richten vom 25.11.2006. 16 Spitzer, zit. nach: Berliner Zeitnng: »Gewaltspiele. Hirnforscher an der Playstation«, in: Berliner Zeitung vom 11.12.2006. 17 Frank Käßner: >»Weniger brutal als James Bond<. Entwickler von Killer- Computerspielen weisen Verbotsdrohnng zurück. Gewaltspiele«, in: Die Weltvom 7.12.2006. 307 AGGRESSIVE MEDIEN Chef Thomas Zeitner den Verbotsforderungen Günther Hecksteins und verweist auf die Selbstbestimmtheit des Subjekts: »Wir leben in einer freien Gesellschaft, jeder muss selbst über sein Leben entscheiden kön- nen.«18 Den Computerspielen die Schuld an sozialer Gewalt zu geben, ist aus der Sicht der Grünen-Fraktion, wie die Süddeutsche Zeitung sie zi- tiert, ein zynisches Verhalten, das politisches Versagen zu verbergen ver- sucht: »Schließlich habe die Wissenschaft bisher keinen einfachen Zu- sammenhang zwischen dem Konsum von Killerspielen und kriminellen Handlungen beweisen können.«19 Wer Verbote medialer Gewaltdarstellung als nutzlos, unangemessen oder gar als schädigend ablehnt, Mediengewalt aber dennoch als eine ernstzunehmende gesellschaftliche Gefahr ansieht, bringt - das lässt sich auch in der Pressedebatte nach dem Amoklauf in Emsdetten beobachten -eine andere Strategie zum Einsatz, die sich selbst nicht ohne Weiteres als Praxis des Regierens zu erkennen gibt. Sie findet sich in der publizis- tischen Debatte als Forderung einer »Kultur des Hinschauens«20 wieder: »Wir müssen grundsätzlich mehr als bisher hinschauen, was Kinder und Jugendliche machen, was sie bewegt, wo sie Ängste vor der Zukunft ha- ben«, so der Ludwigsburger »Experte für Medienpädagogik« in den Stuttgarter Nachrichten. 21 Dass es sich bei diesen Forderungen häufig nur um eine leichte Modifikation der restriktiven Regierungstechnik handelt, wird etwa in der Argumentation der Bildungsministerin Annette Schavan in der Berliner Zeitung deutlich: >»Es wäre schön, wenn man Gewaltvideos einfach verbieten könnte.< Dies sei aber nicht machbar. >Also bleibt nur der komplizierte Weg: Die Gesellschaft muss mehr am Leben von Kindem und Jugendlichen teilhaben, damit die nicht in eine ganz andere Welt abdriften<«.22 Dass der Zusammenhang zwischen me- dialer und sozialer Gewalt wissenschaftlich ungelöst - aber grundsätzlich lösbar - ist, liefert dieser Machttechnik der moralischen Regulation sein entscheidendes diskursives Fundament. Wie aber unterstützt die empiri- sche Forschung diese subtile Machttechnik, die sich nicht auf staatliche Regierungspraktiken beschränkt und ihr Eindringen in den Alltag der Bevölkerung so weit wie möglich unsichtbar hält? Ein letzter Blick auf die Aktion SCHAU HIN! soll den gegenwärtigen Einsatz der Forschung im Verfahren der moralischen Regulation veranschaulichen. 18 G. Schindler: »Killerspiele verbieten«. 19 R. Roßmann: »Geschwätzigkeit statt Prävention«. 20 Die Stuttgarter Nachrichten berufen sich hierbei auf einen Appell des ba- den-württembergischen Kultusministers Helmut Rau. Vg l. Stuttgarter Nachrichten: >»Killerspiel-Verbot reicht nicht<«, in: Stuttgarter Nachrich- ten vom 8.12.2006. 21 Ebd. 22 Jörg Michel/Daniela Vates: »Schavan fordert härtere Waffengesetze. Zu- stimmung auch bei der Opposition. Länderinitiative zum Verbot von Kil- lerspielen stößt auf Bedenken«, in: Berliner Zeitnng vom 24.11.2006. 308 DIE OFFENHEIT DER MEDIENGEWALT-FRAGE Schau hin! Der Appell an autonome Subjekte SCHAU HIN! geht zwar auf eine Initiative des Bundesfamilienministeri- ums zurück, lässt diese staatliche Fundierung jedoch weit in den Hinter- grund treten, indem es den vier Partnerorganisationen - Arcor, ARD, ZDF und TV Spielfilm - einen zentralen Platz einräumt. Darüber hinaus verweist die Selbstdarstellung auf eine Zusammenarbeit mit »vielen Stars und Prominenten, Verbänden und Institutionen, die sich- auch aufloka- ler Ebene- für die Ziele von SCHAU HIN! einsetzen und konkrete Un- terstützung leisten.«23 Die Regulationspraxis ist also breit gestreut und umgeht so den Verdacht, es könne sich um einen staatlichen Zugriff auf die Bevölkerung handeln. Jedoch bleibt die politische Institution feder- führend: Insbesondere stellt das Ministerium die zentrale Verbindung zur empirischen Forschung her, indem es - in Form einer Auftragsstudie- die aktuellen Ergebnisse integriert. 2004 erscheint die Studie Medien und Gewalt. Befunde der For- schung seit 1998- als Teil der Öffentlichkeitsarbeit der Bundesregierung -in der Form eines pdf-Dokuments auf den Internetseiten der Kampagne SCHAU HIN! 24 • Die Autoren der Studie geben sich erst auf der letzten Seite des über 300 Seiten langen Berichts zu erkennen: Es handelt sich - wenig überraschend- um Michael Kunczik und Astrid Zipfel vom Insti- tut für Publizistik der Universität Mainz. Kunczik hat also seit den 70er Jahren seinen Status als Gewährsmann für das Wissen über Medienge- walt nicht eingebüßt. Die Einleitung der Studie wiederholt die gängige Argumentation, mit der sich die Forschung rationalisierend einer »simp- lifizierenden Vorstellung von der Wirkung der Medien«, wie sie bei >Laien< im Gegensatz zu >Experten< vorherrscht, entgegenstellt, und weist eine populärwissenschaftliche Perspektive zurück, »bei der als Faustregel gilt: Je einfacher eine These aussieht, desto attraktiver und er- folgreicher ist sie für den Laien.«25 Solch vereinfachenden Auffassungen von Mediengewalt halten Kunczik und Zipfel die »Komplexität der tat- sächlichen Zusammenhänge«26 entgegen. Damit postulieren sie eine grundsätzliche Überlegenheit der empirischen Vermessung von Medien- gewalt und gehen davon aus, dass sie unabhängig von einer emotionali- sierten öffentlichen Debatte operiert. Der Bericht entfaltet dann das bekannte Bild der Forschung im etab- lierten Feld: Die unterschiedlichen theoretischen und methodischen An- sätze werden vorgestellt; es finden sich immer wieder Verweise auf offe- 23 SCHAU HIN!: »Eine Aktion für mehr Medienkompetenz«. 24 V gl. Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend: Medien und Gewalt. Befunde der Forschung seit 1998 (Autoren: Michael Kunc- zik/Astrid Zipfel), Stand: Juli 2004, unter http://www.schau-hin.info/file- admin/content/Medienerziehung/langfassung_m edien _und_ gewalt.pdf vom 4.1.2007. 25 Ebd., S. 6. 26 Ebd., S. 7. 309 AGGRESSIVE MEDIEN ne Fragen und Desiderate. Dies gelte insbesondere für das noch neue Forschungsgebiet zur Wirkung von Gewalt in Computerspielen. Bei allen Unsicherheiten wird die Mediengewalt-Formel jedoch niemals grund- sätzlich zurückgewiesen, ihre Ungeklärtheit heißt immer: Der Zusam- menhang ist noch nicht ausreichend eiforscht, ein >Beweis< für Medien- gewalt ist noch nicht erbracht. An keiner Stelle entsteht jedoch der Ver- dacht, Mediengewalt sei widerlegt oder - was noch schlimmer wäre - wissenschaftlich überhaupt nicht zu klären. Zusammenfassend argumen- tieren Kunczik und Zipfel dann in der typischen Manier eines nicht- normalisierenden Verweises auf eine unbekannte Risikogruppe: »Letzt- lich bestätigen aktuelle Forschungsbefunde die schon länger gültige Aus- sage, dass manche Formen von Mediengewalt für manche Individuen un- ter manchen Bedingungen negative Folgen nach sich ziehen können.«27 Im letzten Kapitel ihrer Studie über »Medienpädagogische Interven- tionsstrategien« gehen Kunczik und Zipfel einen Schritt über einen rei- nen Forschungsbericht hinaus und erklären die empirische Vermessung von Mediengewalt deutlich zu einer Regulationstechnik Auch wenn der Kausalzusammenhang der Formel eine (noch) ungeklärte Frage ist, scheint er doch so klar zu sein, dass er bearbeitet werden muss: »Eine zentrale Funktion der Medien-und-Gewalt-Forschung sollte darin beste- hen, durch ihre Befunde zur Entwicklung sinnvoller Strategien beizutra- gen, um negative Folgen von Mediengewalt abzumildern oder zu vermei- den.«28 Erstaunlicherweise sind die Autoren, wenn sie die empirischen Wirkungsstudien über regulierende Aktionen gegen Mediengewalt - durch die Eltern, die Schule oder die Medien selbst - beurteilen, weit weniger skeptisch, als sie sich in ihrer Bewertung von Medienge- waltstudien zeigen: »Insgesamt sprechen die Befunde empirischer Unter- suchungen dafür, dass medienpädagogische Maßnahmen in der Lage sind, negativen Effekten von Fernsehgewalt entgegenzuwirken.«29 Kuncziks und Zipfels Bewertung der einzelnen >Interventionsstrate- gien< zeigt, dass sich die >sanfte Führung< der moralischen Regulation auf der Ebene der moralisierten Subjekte wiederholen soll; auch das Kind, das Zielobjekt der Regulation, wird als autonomes Subjekt konzi- piert: Restriktive Maßnahmen der Eltern - etwa eine starke Reglementie- rung der Fernsehzeiten bis hin zum Fernsehverbot -, so das Ergebnis, erweisen sich häufig als kontraproduktiv, weil sie die Gefahr bergen, »das Verhältnis zu den Kindem zu belasten, Gewaltinhalte erst richtig in- teressant zu machen und den Gewaltfilmkonsum auf den Freundeskreis zu verlagem.«30 >Aktive Interaktionsstrategien< -wenn Eltern beispiels- weise mit ihren Kindem über das Fernsehen sprechen, ihnen nahe legen, 27 Ebd., S. 290. Kunczik und Zipfel beziehen - im Unterschied zu der hier gewählten Verwendungsweise - den Begriff >Mediengewalt< ausschließ- lich auf die mediale Darstellungsebene. 28 Ebd., S. 262. 29 Ebd., S. 283. 30 Ebd. 310 DIE OFFENHEIT DER MEDIENGEWALT-FRAGE »mediale Gewaltdarstellungen moralisch zu verurteilen«31 erwe1sen sich bei älteren Kindem als wirkungsvoller.32 Da die Medien und Gewalt-Studie explizite Aussagen über den Er- folg von Regulationsmaßnahmen trifft, erweist sie sich für die Aktion SCHAU HIN! direkt anschlussfahig. In >10 Goldenen Regeln zur Fem- sehnutzung<, die sich auf den Internetseiten der Kampagne finden, wird dieses >Expertenwissen< konkret angewendet. Regel 4 warnt etwa davor, das Medium nicht als Druckmittel einzusetzen, denn: »das Interesse am Fernsehen wird durch das Verbot noch gesteigert«; Regel 5 wiederum mahnt die Eltern, ihre Kinder zu einer kritischen Mediennutzung anzu- halten: »Sie sollten mit ihnen auch über Gewaltdarstellungen sprechen.« Darüber hinaus sollten die Eltern selbst ihre Vorbildfunktion nicht aus dem Blick verlieren, wie Regel 7 mahnt: »Überdenken Sie als Vorbild fiir Ihre Kinder Ihr eigenes Femsehverhalten. Zappen Sie oberflächlich oder wählen Sie Progrannne bewusst aus? Lassen Sie den Fernseher oft nebenbei laufen? Besser ist es, den Fernseher zu einer be- stimmten Sendung einzuschalten und danach wieder abzuschalten.«33 SCHAU HIN! legt das Problem >Mediengewalt< deutlich in den Verant- wortungsbereich der Familie. Das empirische Wissen über Mediengewalt hilft in seiner Unabgeschlossenheit, diese Regierungspraxis in einer Ba- lance zu halten, die einerseits fehlgeleitete Mediennutzung als ernstzu- nehmende Gefahr postuliert, andererseits immer dem Verdacht zu ent- kommen versucht, die Autonomie der regierten Subjekte durch eine allzu eindeutige, allzu zwingende Beweislage zu missachten. Die moralische Regulation befindet sich in einem Zustand der unverbindlichen Schwebe, der zu viel Sorge gleichermaßen zu vermeiden sucht, wie zu viel Unbe- kümmertheit. Manchmal stehen diese beiden Seiten sogar unverbunden nebeneinander: »Die >Killerspiele< sind in. Aber bitte nicht in Panik verfallen, wenn Sie Ihr Kind beim Ballern >erwischen<. Ihr Kind wird durch ein Computerspiel nicht zwangsläufig zum psychopathischen Gewalttäter. Für die Entwicklung der Per- sönlichkeit sind innner mehrere Faktoren wichtig. Tatsächlich bestätigen aktuelle Forschungen, dass reale Gewalt und der Kon- sum aggressiver Medien gemeinsam auftreten können [ ... ]. «34 31 Ebd., S. 272. 32 Vgl. ebd., S. 284. 33 SCHAU HIN!: »Kinder und der Fernseher. 10 Goldene Regeln zur Fem- sehnutzung«, unter http://www.schau-hin.info/index.php?id=60 vom 22.12. 2006. 34 SCHAU HIN!: »Weun Gewalt zum Spiel wird. Die Diskussion über Ge- walt in Computerspielen und ihre Wirkung auf die Spieler ist längst nicht 311 AGGRESSIVE MEDIEN Die moralische Regulation von Mediengewalt ist aufgrund dieser Unent- schiedenheit schwer zu greifen. Als subtile Regierungstechnik lässt sie weniger leicht als restriktive Verbotsforderungen erkennen, dass sie Vor- stellungen von richtiger und falscher Mediennutzung formiert und auf diese Weise Mediennutzung regiert. Jede Position der Forschung- selbst die widerlegte Katharsisthese - kann in ihren Anleitungsschriften als Möglichkeit vorkommen. Sie kann eine soziale Gewalttat- wie einen er- neuten Amoklauf in einer Schule - jederzeit in ihr auf Dauer gestelltes Regulierungsverfahren integrieren. Die Regulation erfolgt allein über den Verdacht, dass sich der immense Bereich der Mediengewaltforschung in der beständigen Reproduktion seines Forschungsgegenstands >Medien- gewalt< nicht irren kann und in einer unbestimmten Zukunft den wissen- schaftlichen Beweis doch noch erbringt. Sie hält die Vermutung wach, dass es doch nicht ganz ungefahrlich und harmlos sein könnte, ein Kind medialer Gewaltdarstellung auszusetzen - und damit geht die Adressie- rung des Medienpublikums weit über die gezielte Erziehung von Eltern in Initiativen wie SCHAU HIN! hinaus. Moralische Regulation verge- genwärtigt Mediengewalt als Vermutung immer wieder - alles andere überlässt sie der >freiwilligen Selbstkontrolle< des autonomen, morali- sierten Subjekts. abgeschlossen. Viele Eltern sind verunsichert«, in: SCHAU HIN! 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