Filmblatt 53 ∙ 2013/14 67 Kommissar X trifft Tarzan und die blonden Katzen Exploitationfilm-Report, Teil 3 Von Philipp Stiasny Wer die Tiefebene des westdeutschen Films der 1960er Jahre gemächlich und mit schweifendem Blick durchquert, könnte den Eindruck gewinnen, ein erheblicher Teil des damaligen Kinoangebots habe aus Exploitation- oder auch B-Filmen be- standen. Die Produktion von Abenteuer- und Agentenfilmen ist dafür beispiel- haft. Hemmungslos kupferten diese die Erfolgsmuster der Kassenschlager ab; billige Sensationen und Sex & Crime waren wichtiger als vernünftige Drehbücher, gediegene Inszenierungen und ordentliches Schauspiel. Die Differenz zwischen dem populärem Mainstreamkino und seinem nicht weniger populären, räudigen Bastard, dem Exploitationkino, erscheint aus dieser Perspektive kleiner als ange- nommen. Obwohl in Qualität, Budget und Schauwerten deutliche Unterschiede erkennbar waren, konnte die generelle Differenz auch dadurch kaschiert werden, dass Mainstream- und Exploitationproduktionen oft von denselben großen Ver- leihfirmen Constantin und Gloria in die Kinos gebracht wurden. Die Forschung zum deutschen und europäischen Exploitationfilm der 1960er Jahre steckt noch in den Anfängen, was diesen Zeitraum betreffend auch an Pro- blemen der Abgrenzung und Definition liegen mag. Etwas besser erforscht sind die 1970er Jahre, als die Welle der Sexfilme in die Kinos schwappt und auch der eine oder andere Naziploitationfilm (dazu Filmblatt 50, 2012/13 und 51, 2013). In der englischsprachigen Fachpublizistik stößt vor allem das Horrorgenre auf Interesse; in diesem Rahmen werden auch Exploitationfilme untersucht, etwa in Danny Shipkas Perverse Titillation: The Exploitation Cinema of Italy, Spain and France, 1960–1980 (Jefferson, N. C.: McFarland 2011), im Sammelband European Nightmares. Horror Cinema in Europe Since 1945 (hg. v. Patricia Allmer, David Hux- ley, Emily Brick; New York, Chichester: Wallflower 2012) und in Ian Olneys Euro Horror. Classic European Horror Cinema in Contemporary American Culture (Bloo- mington: Indiana University Press 2013). Ein markanter Trend der 1960er Jahre auch im Bereich des Exploitationfilms war die Hinwendung zu europäischen Koproduktionen, bei denen deutsche Herstel- ler mit Partnern in Italien, Frankreich oder Spanien zusammenarbeiteten. Tim Bergfelder hat Produktionsstrategien, Personal und Themen und Motive dieser Unterart des populären Kinos 2005 in seinem Buch International Adventures. Ger- man Popular Cinema and European Co-Productions in the 1960s beschrieben (re- zensiert in Filmblatt 37, 2008). Dass seine Pionierstudie immer noch etwas ein- Review Essay Filmblatt 53 ∙ 2013/1468 sam dasteht, hat vermutlich auch mit der Materiallage zu tun: Wer keine eigene Videosammlung besitzt, kommt nur mit Mühe an die deutschen Exploitationfilme heran; Archive wie das Bundesarchiv-Filmarchiv oder die Deutsche Kinemathek verfügen nur in seltenen Fällen über Kopien. Bediente sich eine Vielzahl exploitativer Abenteuer- und Agentenfilme unver- kennbar aus einem alten Repertoire, etwa bei den „White Slavery“-Geschichten, so entwickelten sich vor allem die mit hohem Budget gedrehten James-Bond-Fil- me ab 1962/63 zum Vorbild: Das betraf die Auswahl der exotischen Schauplätze, die mit Science-Fiction-Elementen durchmischten Plots, den erotischen Helden, den laxen Umgang mit Sexualität, die Titelsongs sowie das Verhältnis zwischen Action und (Selbst-) Ironie. Als wichtige Produzenten nennt Bergfelder in diesem Zusammenhang neben Wolf C. Hartwig, dem Besitzer der Rapid-Film und bekannt durch die Schulmädchen-Report-Reihe (1970–1980), auch Theo Maria Werner, der mit seiner Firma Parnass- bzw. Regina Film die Kommissar-X-Reihe drehte (7 Filme, 1965–1971), sowie Heinz Willeg, der für die Allianz-Film die Jerry-Cot- ten-Reihe realisierte (8 Filme, 1965–1969). Für die deutsch-britische Zusammenarbeit im exploitativen Bereich steht bei Bergfelder Harry Alan Towers: Er war Autor und Produzent der Fu-Manchu-Reihe (5 Filme, 1965–1968), bei der wiederholt der äußerst produktive Spanier Jess Franco (1930–2013) Regie führte, dessen umfangreiches Filmschaffen allein schon eine Geschichte des gemeinsamen europäischen Exploitationfilms erzählt. Genauer analysiert wurden die Fu-Manchu-Reihe und ihre internationale Ver- marktung jüngst von Antonio Lázaro-Reboll (Daring cycles: the Towers–Franco collaboration, 1968–70. In: New Review of Film and Television Studies 11.1, 2013, S. 92–110). Während die Jerry-Cotton- und Fu-Manchu-Filme schon vor Jahren auf DVD veröffentlicht wurden, sind nun auch die Kommissar-X-Filme erhältlich; ebenso kommen nach und nach die Rapid-Filme heraus  – teilweise in vorzüglich aus- gestatteten Editionen. Ein versunkenes Kapitel der Filmgeschichte wird langsam wieder sichtbar. Das Todesauge von Ceylon. Besonders auffallend bei den Koproduktionen der 1960er Jahre ist die Wahl der Schauplätze; oft spielen sie in exotischen Gefilden und verbinden Elemente des Abenteuerfilms mit denen des Reise-, Kultur- oder Werbefilms. Einiges davon war etwa zu spüren in Der Tiger von Eschnapur und Das Indische Grabmal, für die Artur Brauner größeren Aufwand betrieb und Fritz Lang 1958 zu Dreharbeiten nach Indien schickte; wenig später ließ er Wilhelm Dieterle Die Herrin der Welt (1960) in Thailand, Kambodscha und Hongkong drehen. Wolf C. Hartwig (geb. 1919) stellte Das Todesauge von Ceylon dagegen 1962/63 mit überwiegend italienischem Stab in Sri Lanka her; die Studioaufnahmen ent- standen in der Cinecittà in Rom. Die kriminalistisch aufgepeppte Story um das Erbe eines Maharadschas, dessen europäische Frau, einen verschütteten Tempel, Filmblatt 53 ∙ 2013/14 69 einen Großwildjäger und den Archäologie-Professor aus Deutschland erinnert hier und dort an Langs Film. Als Regisseur wurde der gebürtige Berliner Gerd Oswald verpflichtet, der für drei Projekte aus dem amerikanischen Exil nach Deutschland zurückkam und 1959/60 für Brauner und Luggi Waldleitner schon zwei sehr respektable Filme gemacht hatte. Obwohl er als B-Film- und Fernsehregisseur sicherlich mit engen Budgets und Zeitplänen umzugehen wusste, fehlt dem Todesauge von Ceylon jeglicher Drive. Folgt man der Presse, glaubte Hartwig, dass, „wenn die Reise nach Ceylon schon viel Geld koste, man sich so etwas Unwichtiges wie ein Drehbuch ersparen müsse“ (Neue Ruhr Zeitung, 2.6.1963). Jedenfalls habe der Urwald mit Tigern und Schlangen überzeugender gewirkt als die Schauspieler. Star des Films war Lex Barker, der 1962/63 als Old Shatterhand groß heraus- kam. Hartwig setzte ganz auf Barkers Beliebtheit bei Kindern und Jugendlichen und verzichtete offenbar bewusst auf seine üblichen Sensationen wie Nachtklub- und Stripteaseszenen, um eine FSK-Freigabe ab 12 Jahren zu erhalten. Erschienen ist die DVD von Das Todesauge von Ceylon in der Reihe „Filmjuwe- len“ des Labels Fernsehjuwelen, das zahlreiche Filme für die Veröffentlichung vorbereitet, darunter auch diverse andere Hartwig-Filme aus den 1960er Jahren. Dass diese sich, gedreht in Farbe und Breitwand, als Gegenangebot zum Fern- sehen verstanden, zeigt ein auf der DVD befindlicher historischer Kinotrailer: Er kontrastiert den kleinen, schwarzweißen Fernsehapparat mit den Bildern von Sri Lanka auf der großen farbigen Leinwand und mit opulenter Musik: „Das kann Ih- nen eben nur Ihr Filmtheater bieten!“ Karate, Küsse, blonde Katzen. Ab 1962 stellte der vielsprachige Hartwig seine Filme auch immer wieder mit italienischen und französischen Partnern in Hong- kong her, wobei Stadt und Meer oft nur Kulissen und Chinesen allenfalls Kom- parsen waren. Karate, Küsse, blonde Katzen (1974) bildet hier eine Ausnahme. Hartwig arbeitete mit den für ihre Martial Arts-Filme berühmten Shaw Brothers aus Hongkong zusammen: Zwar finden sich noch Elemente des exotischen Aben- teuerfilms; zentrale Bezugspunkte waren jedoch der damals in Europa populä- re Eastern und die zwischen sexistischer Männerfantasie und Protofeminismus schwankenden Frauengang-Geschichten und Rape-Revenge-Filme, die seit den frühen 1970er Jahren im internationalen Exploitationkino florierten. Die Regie teilten sich Kuei Chih-Hung, der für die gelungene Choreographie der Kampfszenen zuständig war und wohl auch den überwiegend chinesischen technischen Stab leitete, und Ernst Hofbauer, der für Hartwig sonst die Sexre- porte drehte, mitunter aber andere Ambitionen hatte. Glaubt man der Nürnberger Gruppe von Kinoliebhabern, die sich „Hofbauer-Kommando“ nennt und „Hofbau- er-Kongresse“ veranstaltet, war Hofbauer ein verkanntes Genie. Karate, Küsse, blonde Katzen beginnt wie zahllose andere Exploitationfilme zum Thema Mädchenhandel nach Afrika, Südamerika oder dem Orient. Eine Grup- pe weißer, stets knapp bekleideter junger Frauen wird von Piraten nach Südostasi- Filmblatt 53 ∙ 2013/1470 en entführt, gefoltert und vergewaltigt. Nach ihrer von chinesischen Helferinnen ermöglichten Flucht verwandeln sie sich in Racheengel und schlagen die Piraten mit geballter Frauenpower und asiatischer Kampfkunst. „Der Film huldigt dem Amazonen-Prinzip: fast alle Männer sind Trottel, Jammergestalten unter der mas- siven Wucht abendländischer Mädchenbeine, die als öltriefende Zermalmungsma- schinen in Aktion treten“, so die Allgemeine Zeitung aus Mainz (7.9.1974). Am Ende des Films bleibt eine der siegreichen europäischen Amazonen in Asi- en zurück – an der Seite ihres Liebsten, eines edlen chinesisches Kämpfers. Die mögliche Interpretation des Films als Beitrag zur Völkerverständigung wird tor- pediert durch die deutsche Synchronisation voller sexistischer Anspielungen, Kalauer und drastischer Unkorrektheiten. Ob die chinesische Fassung wohl auch so überladen war? Das kleine, feine Label Camera Obscura hat dieses Musterbeispiel eines Exploi- tationfilms auf DVD herausgebracht und dabei eine Sorgfalt und Hingabe an den Tag gelegt, die man bei solchen Werken selten antrifft. Allerdings hätte man im Booklet-Text von Christian Keßler gern mehr über die genauen Umstände der deutsch-chinesischen, von der FSK erst ab 18 Jahren freigegebenen Produktion erfahren, die eine Art Gegenmodell zum sogenannten Euro-Pudding darstellte. Die besondere Qualität der Edition verbirgt sich in der Bonus-Sektion, die Werbe- ratschläge, Aushangfotos, deutsche und ausländische Plakate enthält und so die internationale Vermarktung als „First Kung Fu Sex Comedy“ beleuchtet. Darüber hinaus enthält die Bonus-Sektion die deutsche Super-8-Fassung des Films (48 Mi- nuten), deren zweiter Teil Weisse Mädchen, gelbe Teufel hieß. Dass die Bildqualität dieser Fassung im Vergleich mit dem vorzüglichen Material der 35mm-Kopie misera- bel ausfällt, stört nicht. Sie verrät einiges über die damals angepeilte, keineswegs finanzschwache Käuferschicht. Zinksärge für die Goldjungen. Verglichen mit den Sexreport-Filmen, die Hart- wig weiterhin herstellte, waren Karate, Küsse, blonde Katzen und sein zeit- gleich in Hamburg gedrehter Mafia-Film Zinksärge für die Goldjungen wahre Großproduktionen. Finanziell stemmen ließen sie sich nur durch Koproduktions- partner, in diesem Fall aus Italien. Der vom Krimiexperten Jürgen Roland insze- nierte Film handelt von einem Bandenkrieg: Eine neu nach Hamburg gekomme- ne italoamerikanische Verbrecherbande macht den ansässigen Unterweltbossen, die hinter der bürgerlichen Fassade des Kegelklubs „Schwarzer Pudel“ Prostituti- on und Glücksspiel kontrollieren, das Revier streitig. Es folgt eine schier endlo- se Serie von Überfällen, Schlägereien und Morden, ausgedehnte Actionszenen, Verfolgungsjagden und Schießereien  – angesiedelt zwischen Reeperbahn und Hamburger Hafen, Schrottplätzen und Elbvillen. Dass die Kinder der verfeindeten Gangsterbosse ein Liebespaar à la Romeo und Julia bilden, deutet einen Generati- onenkonflikt an – unschuldige Jugendliche gegen korrupte Väter. Nackte Haut und Sex spielten keine große Rolle, wohl auch, um eine Freigabe ab 16 Jahren nicht zu gefährden. Die war nötig, um möglichst viel jugendliches Filmblatt 53 ∙ 2013/14 71 Publikum anzuziehen und die hohen Produktionskosten wieder einzuspielen. Wie das Prestigeprojekt zeigt, wagte Hartwig neben seinen Sexfilmen auch auf- wendige Produktionen und das bereits Jahre, bevor er für den in Jugoslawien ge- drehten Kriegsfilm Steiner – Das Eiserne Kreuz (1977) sehr viel Geld in die Hand nahm und die Hollywoodstars Sam Peckinpah und James Coburn verpflichtete. In Gestalt von Henry Silva besaß Zinksärge für die Goldjungen auch einen ame- rikanischen Star, der  – nicht unähnlich den Hollywoodflüchtlingen Lex Barker und George Nader  – vornehmlich in Europa ein Star war und seinen Ruhm der Mitwirkung in italienischen Western, Mafia- und Polizeifilmen verdankte. Außer- dem geizte Hartwig nicht mit teuren Luftaufnahmen und Pyrotechnik. Im Booklet beziffert Heiko Hartmann die Gesamtkosten auf drei Millionen Mark. Regisseur Roland schwebte etwas Besonderes und vor allem „perfektes Hand- werk“ vor: „Im deutschen Film ist viel Unterdurchschnittliches, zuviel Porno pro- duziert worden. […] Aber es geht aufwärts.“ (Wiesbadener Kurier, 8.9.1973) Das Resultat konnte jedoch gehobene Erwartungen nicht erfüllen, auch wegen des schlechten Drehbuchs von Werner Jörg Lüddecke und der uninspirierten Kamera- arbeit von Klaus Werner. Als seltenes Beispiel eines in Deutschland gedrehten Ac- tionfilms vom Schlage ‚Hard Boiled’ verdient Hartwigs Film dennoch Beachtung. Dass die DVD-Edition von Zinksärge für die Goldjungen im schön und hoch- wertig gestalteten Schuber so beeindruckt, liegt nicht nur an den beigegebenen Interviews mit Roland, Silva und Horst Janson oder dem launigen Booklet-Text von Heiko Hartmann. Vielmehr enthält die DVD des kleinen Labels Film Art neben zusätzlichem Bildmaterial und dem Trailer auf einer zweiten DVD die italienische Fassung des Films (77 Minuten). Sie weicht in Schnitt, Ton und Länge von der deutschen bzw. englischen Fassung (83 Minuten) erheblich ab und bietet Film- historikern die seltene Möglichkeit eines direkten Vergleichs unterschiedlicher dramaturgischer Vorstellungen. Das Haus der tausend Freuden. Für deutsch-britische Produktionen war in den 1960er Jahren vor allem Harry Alan Towers (1920–2009) verantwortlich. Au- ßerhalb der Reihe der Fu-Manchu-Filme ließ Towers 1967 vom Regisseur Jeremy Summers in Spanien und mit vorwiegend spanischem Stab Das Haus der tau- send Freuden (1967) für Constantin-Film drehen. Die Hauptrollen bekamen die Amerikaner Vincent Price, Martha Hyer und George Nader; in Nebenrollen wirkten Herbert Fux und Wolfgang Kieling mit. Erzählt wird von den üblen Machenschaften eines von Tanger aus agierenden Mädchenhändlerrings, der weiße Frauen nach Afrika entführt, wo sie in einem Nobelbordell als Sexsklaven arbeiten müssen. Der geheimnisvolle Boss ist eine Frau. Dass der Film nicht nur englischsprachige Hauptdarsteller aufweist, son- dern offenbar noch vor seinem deutschen Kinostart in den USA herauskam, könnte auf ein amerikanisches Zielpublikum hindeuten; dazu würde passen, dass der Film dort von der namhaften Exploitation-Verleih- und Produktionsfirma AIP (American International Pictures) verliehen wurde. Filmblatt 53 ∙ 2013/1472 Der auf dem deutschen Markt zugkräftigste Name war sicher George Nader, der in Das Haus der tausend Freuden – genauso wie in den Jerry-Cotton-Filmen – einen Undercover-Agenten spielt. Dieser Reihe, die Nader hierzulande berühmt machte, widmet sich der Band Die Jerry-Cotton-Filme. Als Jerry Cotton nach Deutschland kam (hg. v. Joachim Kramp, Gerd Naumann; Stuttgart: ibidem 2011); er enthält neben einer konzisen Überblicksdarstellung auch Interviews mit di- versen Beteiligten. Dem damaligen, quasi interfilmischen Humor entsprechend, wird in Das Haus der tausend Freuden einmal erwähnt, die Nader-Figur sehe ja aus wie Jerry Cotton. (Ähnlich wird Lex Barker in Das Todesauge von Ceylon als Tarzan angesprochen.) Im Unterschied zu den ab 16 Jahren freigegebenen Jerry-Cotton-Filmen durfte man Das Haus der tausend Freuden erst ab 18 Jahren betreten: „Grundsätzlich“ hätten die FSK-Prüfer auch die Freigabe ab 16 Jahren bejaht, „weil das hier behan- delte Thema des Mädchenhandels abschreckend dargestellt sei und insofern jun- gen Mädchen als Warnung dienen könne“ (FSK-Jugendentscheid, 13.10.1967). Dagegen sprachen aber die Bilder einer Auspeitschung. Wegen dreier „zu spe- kulativ“ wirkender Szenen im Bordell (gemeint sind sekundenlang zu sehende nackte Brüste und ein Po) wollten die Prüfer dem Film ursprünglich sogar die Freigabe ab 18 Jahren verweigern und forderten Schnitte. Erst der Hauptaus- schuss der FSK urteilte, dass die beanstandeten „sexualbezogenen Bildeinstel- lungen […] im Rahmen eines solchen Filmes erwachsenen Beschauern zugemu- tet werden“ könnten; die „Vorführung der Bordelldamen mit entblößtem Busen […] wird nur in der Totale und nicht in besonders aufdringlicher Weise gezeigt“; das „Scham- und Sittlichkeitsgefühl“ von Erwachsenen werde dadurch nicht ver- letzt (23.10.1967). Dynasty Film hat Das Haus der tausend Freuden nun auf DVD veröffentlicht: Die Edition bietet die englischsprachige Version (94 Minuten) und die deutsch- sprachige (ursprünglich 90 Minuten; auf der DVD 86 Minuten). Beide kann man nun vergleichen und wird feststellen, dass die Kürzungen keiner ersichtlichen Logik folgen; zum Beispiel wird einmal eine Szene mit im Schlamm ringenden Frauen leicht geschnitten. Da der Film auf der DVD mit 25 statt 24 Bildern pro Se- kunde läuft, ergibt sich eine Differenz zur Originallänge von knapp vier Minuten. Oft werden mit Exploitationfilmen wenig respektable Abspielorte assoziiert. Umso bemerkenswerter, dass Das Haus der tausend Freuden etwa in München im keineswegs anrüchigen Kino „Universum“ in der Altstadt lief; die Süddeutsche Zeitung lobte einen „(bis auf die Prügelszenen) überdurchschnittlich unterhalt- samen Film“ (9.2.1968). Kommissar X – Jagd auf Unbekannt. Trotz George Nader als FBI-Mann hat Das Haus der tausend Freuden wenig gemeinsam mit den damals gängigen Agenten- filmen. Anders sieht es da aus mit den Kommissar-X-Filmen aus den Jahren 1965– 1971, die das Label Anolis kürzlich in einer ansprechenden DVD-Edition herausge- bracht hat. Sie kopierten das Muster der James-Bond-Reihe besonders augenfällig. Filmblatt 53 ∙ 2013/14 73 Das zeigt bereits der erste, an der kroatischen Adria gedrehte Film, Kommis- sar X – Jagd auf Unbekannt (1965). Der vom italienischen Modell Luciano Stella alias Tony Kendall gespielte Privatdetektiv Joe Walker soll darin die Morde eines machtbesessenen Waffenhändlers aufklären, der im Innern einer einsamen Insel ein riesiges, atomar gesichertes Goldlager angelegt hat und eine Armee willen- loser Amazonen in Latexuniformen um sich schart. Für Komik und Kalauer sorgt das Katz- und Maus-Spiel von Walker und seinem amerikanischen Kumpel und Gegenpart Captain Rowland, gespielt vom Body Builder, Stuntman und Dreh- buchautor Brad Harris. Entscheidend sind wie immer Walkers unwiderstehliche Wirkung auf Frauen, seine Nonchalance und Sportlichkeit: Kinnhaken und Küsse garantieren den Erfolg. Diverse Trittbrettfahrer hatten damals bereits das in den Bond-Filmen anklin- gende ironische Moment parodistisch übertrieben. Der Name der Hauptfigur wurde 1965–66 verulkt in zwei italienischen Filmen, deren Held sich James Tont nannte sowie drei Filme mit Ken Clark als Geheimagent 077. Und im Fahrwasser von Goldfinger (1964) erblickten auch Dr. Goldfoot and the Bikini Machine (USA 1965) von AIP und Goldginger (Italien 1965) das Licht der Welt. (Deutliche Anleihen bei den Bond-Filmen nimmt etwa auch die deutsch-italienisch-fran- zösische, jüngst beim Label Fernsehjuwelen erschienene Hartwig-Produktion Agent 505 – Todesfalle Beirut von 1966, flott inszeniert von Manfred R. Köhler und unterlegt mit einem Soundtrack von Ennio Morricone.) Die nicht billig wirkenden deutsch-italienischen Kommissar-X-Filme mit dem Team aus Kendall und Harris hielten sich in der Mitte: Sie waren keine Parodien, konterkarierten die Elemente des Actionfilms jedoch immer wieder mit Ironie, auch Selbstironie. Die FSK, die die Bond-Filme ab 16 Jahren freigab, brachte die- se Mischung in Erklärungsnot: Im Fall von Kommissar X – Jagd auf Unbekannt sei die „Gesamtatmosphäre des Filmes durch seine Unwahrscheinlichkeit und Un- sinnigkeit entgiftet“ worden, weshalb ihn Jugendliche ab 16 Jahren sehen durf- ten. Auf Jüngere müssten „die Massierung von Prügelei und Schießerei“ und „die Sexualbezüglichkeit der Handlung“ jedoch eine „verrohende und verbildende Wirkung“ haben, die nicht „durch den klamaukhaften Charakter des Filmes aus- geglichen werden“ könne. Keine Mehrheit fand die ebenfalls geäußerte Auffas- sung, „daß die Unsinnigkeit des Filmgeschehens so überlagernd wirke, daß ein abträglicher Einfluß nicht zu befürchten sei.“ (Jugendentscheid vom 3.3.1966) Offenbar entsprach das Urteil der FSK bürgerlichen Aversionen, wie das Fazit der Süddeutschen Zeitung zu Kommissar X – Jagd auf Unbekannt verrät: „Wär’ da nicht manches bescheidene Späßchen, mancher verharmlosende Gag, jedem halbwegs Normalen würden sich ob dieses pathologisch anmutenden Unsinns die Haare gen Himmel sträuben.“ (16.5.1966) Man kann nur ahnen, in welchem Maß damals die Vorstellungen von guter Unterhaltung ins Schwanken gerieten und Einspruch aus ethisch-moralischen Gründen herausgefordert wurde. Andere Kri- tiker sahen das natürlich mit größerer Gelassenheit. So verfiel der Kölner Stadt- Anzeiger auch nicht in eine Klage über den Kulturverfall, als er nach der Premiere Filmblatt 53 ∙ 2013/1474 des folgenden Films der Reihe, Kommissar X – Drei gelbe Katzen (1966), nicht ohne Ironie feststellte: „Der Kulturfilm ist tot, es lebe der Agentenfilm, der wohl die exotische Kulisse braucht. Diesmal ist es Ceylon, bekannt durch Tee und Ele- fanten.“ (29./30.5.1966) Die Edition von Anolis setzt Standards im Umgang mit historischen Filmen, denn neben der tadellosen Abtastung des Hauptfilms mit wahlweise deutscher oder englischer Tonspur bietet sie beeindruckendes Bonusmaterial: einen infor- mativen Text im Booklet, den Kinotrailer und Werbe- und Aushangmaterial sowie die Super-8-Fassung von Kommissar X – Jagd auf Unbekannt (17 Minuten). Im Jahr 2009 trafen sich die beiden Hauptdarsteller Kendall und Harris sowie der Regisseur Gianfranco Parolini alias Frank Kramer nach Jahrzehnten in Gelsen- kirchen auf Einladung des Filmclubs „Buio Omega“ wieder. Dessen Mitglieder haben sich der Wiederaufführung des europäischen Exploitationfilms der 1960er bis 1980er Jahre verschrieben und zeigen regelmäßig Programme in der dortigen Schauburg. Die Zusammenkunft der drei Filmleute wurde auf Video aufgezeich- net, um Interviews ergänzt und später zu einer ausführlichen Dokumentation von Fans für Fans zusammengeschnitten. Sie ist auf einer separaten DVD erschie- nen und liegt der neuen Kommissar-X-Box bei. Auch wenn der Informationsge- halt dieser Hommage eher bescheiden ist, für die Organisation der Veranstaltung und die sachkundige Unterstützung der Edition von Anolis gebührt dem Filmclub auf jeden Fall uneingeschränkte Anerkennung. Der Stein des Todes. Oder: Was ist aus dem Exploitationfilm geworden? In den 1970er Jahren war Exploitationkino aus der Bundesrepublik gleichbe- deutend erst mit Sexfilmen, dann mit Pornofilmen. Die Aufhebung des generel- len Pornografieverbotes für Erwachsene einerseits und die gestiegene Toleranz gegenüber Gewaltdarstellungen in Action- und Horrorfilmen seitens der Gesell- schaft und entsprechend auch der FSK andererseits zogen erst die Zersplitterung und dann den Niedergang dessen nach sich, was einmal als Exploitationfilm Made in Germany bezeichnet werden konnte. Hinzu kamen die Auswirkungen des Kinosterbens und der Siegeszug der privat konsumierten Videokassette, wo- durch die Produktion von Kinofilmen einer gewissen Bauart und Größenordnung in Deutschland unrentabel wurde. Aus den wohl wichtigsten westlichen Pro- duktionsstandorten des Exploitationfilms, Italien und Amerika, kamen in den 1980er Jahren immer billigere Filme, oft gedreht Direct-to-Video oder – in Ame- rika mit seinem riesigen Markt im Bereich des privaten Kabelfernsehens – ausge- richtet am Fernsehkunden. Auch in Deutschland sprangen die (meist privaten) Fernsehsender und deren Nachtprogramme in kleinem Umfang in die Lücke, die nach dem Ende des Exploitationfilms samt seiner Verleih- und Vorführstrukturen geblieben waren. Wie aus der Zeit gefallen wirkt da Der Stein des Todes von 1986: Der in Sri Lanka gedrehte, von Pidax-Film auf DVD veröffentlichte Abenteuerfilm dreht sich um Erpressung, Mord und Drogenhandel, garniert mit Prügelszenen, Schießereien Filmblatt 53 ∙ 2013/14 75 und ein paar nackten Brüsten. Die Hauptrollen wurden von Veteranen des Gen- res gespielt: Tony Kendall und Brad Harris (im Interview in der Bonus-Sektion spricht Harris u. a. auch über seine Abenteuerfilme für Wolf C. Hartwig), diesmal nicht als Team, sowie Elke Sommer, Siegfried Rauch und Schlagersänger, Kara- te-Kämpfer und Filmregisseur Christian Anders. Die Regie führte der Routinier Franz Josef Gottlieb, der von Edgar Wallace über Sex auf der Alm bis zur ZDF-Serie Der Landarzt alles durchprobiert hat. Als Produzent fungierte Theo Maria Wer- ner (1925–1989), der 20 Jahre vorher die Kommissar-X-Reihe gemacht hatte, und als Co-Produzent Artur Brauner. Wie bei den Schulmädchen-Reports stand Klaus Werner an der Kamera. Der Stein des Todes gleicht einem Re-Import aus den 1960er Jahren. Sein Per- sonal illustriert die Durchlässigkeit zwischen deutschem Mainstream- und Ex- ploitationfilm. Andererseits darf man ihn angesichts der sich in den 1970er und 1980er Jahren verändernden Produktionsbedingungen als einen Film auf der Schwelle zwischen Kino und Fernsehen ansehen. Die Mitwirkung der amerika- nischen Schauspielerin Heather Thomas erinnert an das Entstehungsjahr 1986: Thomas war damals ein bekanntes Pin Up-Girl, hatte in Deutschland aber vor al- lem jugendliche Bewunderer durch die im ZDF gezeigte amerikanische Fernseh- serie Ein Colt für alle Fälle. Vielleicht ist es da wenig erstaunlich, dass Der Stein des Todes nicht in Zusammenarbeit mit einem der jungen privaten Fern- sehsender, sondern mit dem Bayerischen Rundfunk entstand, der ihn nach Kino- und Videoauswertung auch ausstrahlte. Um sich ein genaues Bild des deutschen Exploitationfilms zu machen, sind um- fangreiche Recherchen nötig. Die DVD-Veröffentlichungen der letzten Zeit liefern hierfür wichtige Kenntnisse über Sprachversionen, Vermarktung und privaten Gebrauch in Form von Super-8-Fassungen. Eine Geschichte der Produktion und Auswertung ersetzt das nicht. Im Gegenteil, der Mangel an Wissen über allgemei- ne Strukturen macht sich umso stärker bemerkbar. Schaut man auf die Karrieren beteiligter Produzenten, Regisseure, Drehbuch- autoren, Schauspieler und anderer Filmleute, so erscheint der Weg vom Mainstre- amkino zum Exploitationfilm kurz, wenn auch gelegentlich sehr kurvenreich. Umgekehrt führte auch ein Weg vom Sexfilm hinein in die schöne neue Fernseh- welt; Siegfried Rothemund alias Siggi Götz ist da nur ein Beispiel (siehe Filmblatt 51, 2013). Noch leben viele Filmschaffende, die Teil dieser Ent- und Verwicklungen wa- ren und sind. Ihre Erinnerungen könnten Auskunft über ein Kapitel der deut- schen Film- und Fernsehgeschichte geben, das auch abseits der Klatschspalten Interesse verdient und dadurch biografisch, sozial- und mentalitätsgeschicht- lich unterfüttert würde. Eine auf neue Quellen gestützte Untersuchung würde schließlich helfen, Brüche und Kontinuitäten genauer zu verstehen. Sie könnte auch für die Frage wichtig sein, warum es abseits der Komödien ein populäres Genrekino hierzulande nicht mehr gibt – von einem Kino ab 18 Jahren mal ganz zu schweigen. Filmblatt 53 ∙ 2013/1476  Das Todesauge von Ceylon / Tempesta su Ceylon (BRD / Italien/ Frankreich 1963, R: Gerd Oswald). DVD im Schuber. 80 Min., Bonusmaterial, Booklet, Spra- che: deutsch, Regionalcode 2, PAL, Schlangenbad: Filmverlag Fernsehjuwelen 2013, Vertrieb: Alive  Karate, Küsse, blonde Katzen (BRD  / Hongkong 1974, R: Ernst Hofbau- er, Chih-Hung Kuei). DVD. 88 Min., Bonusmaterial (51 Min.), Booklet, Sprache: deutsch; Untertitel: englisch, Regionalcode 2, PAL, Köln: Camera Obscura 2010, Vertrieb: Koch Media  Zinksärge für die Goldjungen (BRD / Italien 1973, R: Jürgen Roland), 2 DVD im Schuber. 83 Min. (deutsche Fassung) plus 77 Min. (italienische Fassung), Bonus- material, Booklet, Sprache: deutsch, englisch, italienisch, Regionalcode 2, PAL, Film Art 2012 (Edition Deutsche Vita; 1), Vertrieb: Media Target  House of 1000 Dolls / Das Haus der tausend Freuden / La casa de las mil munecas (BRD / Spanien 1967, R: Jeremy Summers). DVD. 94 Min., Bonusmaterial (85 Min.), Sprache: deutsch, englisch, Untertitel: deutsch, Regionalcode 2, PAL, Dynasty Films / Intergroove / Fernsehjuwelen 2013  Kommissar X – Jagd auf Unbekannt / 12 donne d’oro (BRD / Italien 1966, R: Frank Kramer [Gianfranco Parolini]). DVD. 88 Min., Bonusmaterial (20 Min.), Booklet, Sprache: deutsch, englisch, Untertitel: deutsch, Regionalcode 2, PAL, Hai- bach: Anolis Entertainment 2012, Vertrieb: Koch Media  Die X-Männer schlagen zurück (D 2012, R: Reginald Ginster). DVD. 142 Min. Sprache: deutsch, englisch, italienisch (untertitelt), Regionalcode 2, PAL, Haibach: Anolis Entertainment / Buio Omega 2012  Agent 505 – Todesfalle Beirut (BRD / Italien / Frankreich 1966, R: Manfred R. Köhler). DVD im Schuber. 88 Min., Bonusmaterial, Booklet, Sprache: deutsch, Regionalcode 2, PAL, Schlangenbad: Filmverlag Fernsehjuwelen 2013, Vertrieb: Ali- ve  Der Stein des Todes (BRD / Sri Lanka 1986, R: Franz Josef Gottlieb). DVD. 92 Minuten, Bonusmaterial (44 Min.), Sprache: deutsch, Regionalcode 2, PAL, Riegels- berg: Pidax Film 2011