146 montage/av In memoriam Christian Metz "Le cinema: langue ou langage?" - unter diesem Titel erscheint 1964 der erste filmtheoretische Aufsatz von Christian Metz. Eine Formulierung, die in ihrer Bündigkeit viel über den Menschen sagt, der mit seiner Arbeit seit nunmehr fast dreißig Jahren wie kaum ein anderer Entwicklungen in der Filmwissenschaft mitgeprägt hat. Am Anfang eine Frage, in der sich zwei persönliche Interessen von Christian Metz begegnen: das Kino und die Sprachwissenschaft. "Jeder muß das erforschen, wozu er Lust hat." Eine Maxime, nach der Metz gelehrt und gearbeitet hat. "Le cinema: langue ou langage?" - eine fundamentale Frage, die sich zum Ziel setzt, ein Problem von der Wurzel her anzupacken. Sie gilt dem Begriff der Filmsprache, der "linguistischen Metapher", der Metz auf den Grund gehen will, indem er die (strukturalistische) Linguistik zu Rate zieht, nicht um sie auf den Film "anzuwenden" ("On n'applique jamais rien", wird er immer wieder sagen), sondern um mit Hilfe ihres begrifflichen Apparates das Problem deutlicher formulieren zu können. Mit seinen drei Büchern zur "linguistischen" Filmsemiologie, den beiden Bänden der Essais sur /a signification au cinema und Langage et cinema, hat Metz die Grundlagen für die jüngere filmsemiotische Forschung bereitet. Daß seine Antworten, seine Theorie keine letztgültige Klärung darstellen, hat er selbst als erster gesehen und andere ermutigt und unterstützt bei dem Versuch, auf ihre eigene Weise die Arbeit weiter zu verfolgen. Aus seinen Studenten hat er nie "Metzianer" machen wollen - gerade deshalb konnte sein Denken auf so vielfältige Weise fruchtbar werden. In den siebziger Jahren macht Metz sich daran, einer anderen Metapher auf den Grund zu gehen: der von der Traumähnlichkeit der Filmwahrnehmung. Hier bedient er sich nun der Psychoanalyse in einer ähnlichen Weise wie zuvor der Linguistik. Er befragt eine zum Gemeinplatz gewordene Behaup- tung, indem er sie mit einem theoretischen Apparat konfrontiert, der dafür ein bereits ausgearbeitetes begriffliches Instrumentarium bereitstellen kann. Es geht Metz dabei vor allem um das funktionieren der "Maschinerie Kino". In Le Signifiant imaginaire entwirft er eine Theorie der filmischen Identifikation, die die Psychoanalyse dem Gegenstand Kino nicht einfach überstülpt, sondern sich vielmehr in fortwährenden Perspektivwechseln an ihr abarbeitet. 2/2/1993 147 Metz' letztes Buch, L'Enonciation impersonnel!e ou le site du film, befaßt sich mit dem Problem des filmischen "Aussagens", der Enunziation. Er zeigt hier, daß das Modell des sprachlichen Aussagens, bei dem die Deixis eine zentrale Rolle spielt, für den Film nicht tauglich ist. Er sieht die filmische Enunziation als eine Produktion, die sich vor allem in meta- sprachlichen Merkmalen ausdrückt: Der Diskurs gibt sich, indem er sich auf sich selbst bezieht, als solcher zu erkennen. Auch in diesem Buch zeigt sich die für Metz so typische Denkbewegung. Ein Problem wird mit Hilfe eines theoretischen Instrumentariums unter inuner wieder neuen Gesichtspunkten befragt, der Gegenstand so lange umkreist, aufs Genausete seziert, bis Metz ans Ziel seiner Reflexion gelangt. Roland Barthes, den Metz selbst als seinen einzigen wirklichen Lehrer bezeichnet, hat ihn einmal einen "wunderbaren Didaktiker" genannt: "Er macht durch die didaktische Perfektion seiner Äußerungen deutlich, daß er sich selbst erklärt, was er anderen mitteilen will." Genau dies machte auch den einzigartigen Charakter der Seminare von Christian Metz aus. Ent- spannt, unprätentiös, im ständigen Dialog mit seiner internationalen Zu- hörerschaft entwickelte er seine Gedanken. Sein letztes Buch signierte er mir, ein deutsches Äquivalent für das französische "amicalement" suchend, mit den Worten: "freundlich, Christian". Man könnte ihn kaum besser cha- rakterisieren. Christian Metz hat sich in der Nacht vom 6. auf den 7. September 1993 das Leben genommen. Frank Kessler