www.medienobservatioenen.lmu.de 1 Kay Wolfinger Satiriker werden ja immer gebraucht. Ein Nachruf auf den Vogel Loriot Abstract: Alle Artikel über Loriot beginnen damit, dass man erwähnt, dass der Pirol im Wappen der Familie auf Französisch Loriot heiße und Vicco von Bülow seinen Künstlernamen gab. Dieser kurze Text will schweigen von diesen altbekannten Details. Dieser Text will ein Nachruf sein, ein Nachruf auf den größten deutschen Komiker, wahrscheinlich auch auf den größten Komiker der ganzen Welt. Dieser Nachruf hat einen langen Vorlauf, ein Spiel mit Gedanken, etwas zu diesem großartigen Œuvre zu verfassen, dem man Stunden vor dem Fernsehgerät und Stunden der Lektüre widmen müsste, um ihm in wissenschaftlichen Abhandlungen, Kongressen, Tagungsbänden und feuilletonistischen Essays gerecht zu werden. Aber die ganze Wissenschaftswelt und das gebildete, gewichtige Geschwätz hätte Loriot sofort auf die Schippe genommen und subversiv- gelehrig hintertrieben. Mikroskop der Bundesrepublik Ein Nachruf auf Loriots Tod im Alter von 87 Jahren müsste eigentlich von dem großen Verlust sprechen, den Loriots Tod bedeutet. Auf priva- ter Ebene ist er es ganz sicherlich. In der Kunst- und Medienwelt ist die- ser Tod jedoch der letzte Schritt, Loriot selbst und sein untrennbar mit ihm verbundenes Werk in den Olymp der Klassiker zu heben und den großen Namen unserer Kultur zur Seite zu stellen. Diesen Tod müsste man als Bestandteil von Loriots satirischem Werk selbst wiederum sati- risch lesen, um in keinem Moment Trauer, Wehmut oder Weinerlichkeit aufkommen zu lassen, obwohl Loriot den Tod in seinem Werk merk- würdig außen vor gelassen hat. Seine Arbeiten sind mehr ein Analysein- strument, unter dem das bundesdeutsche Wesen in all seiner Wider- sprüchlichkeit aufzuscheinen beginnt. Eine Diskursanalyse des großen Satirikers. In Loriots Sketchen, Cartoons, Filmen und Texten begegnet der heutige Zeitzeuge einem nahezu universalen Reflexionsmedium, das www.medienobservatioenen.lmu.de 2 ihm hilft, den Blick auf die Gesellschaft zu schärfen. Niemals zuvor ha- ben wir bei der Beobachtung der Beobachtung so über uns selbst gelacht. Loriot als Heilmittel Loriot ist das Hausrezept, um alte Probleme zu sehen und zu lindern. Probleme, die stets aktuell sind, und um den Loriot zu entdecken, den wir überall erblicken, dem wir immer wieder begegnen, ja, der in uns selbst ist. Eine äußerst heilsame Selbstbegegnung. Deshalb sind es drei Thesen, die ich vehement vertrete: Loriot ist einzigartig. Loriot ist un- sterblich. Loriot ist überall. In den letzten Wochen haben sich die Zeichen verdichtet, dass ich an Loriot denken soll. Nun bestätigt sich die Richtigkeit dieser Zeichenko- inzidenz. Für einen Zeichengläubigen wie mich eine fatale Situation: Es waren nicht etwa schiefe Bilder („Das Bild hängt schief.“), englische Fernsehserien („North Cothelstone Hall“) oder Lottogewinne („Meine Tochter eröffnet dann mit dem Papst in Wuppertal eine Herrenbou- tique“), sondern ein Mops, der vor die Schillerstatue auf der Schillerhöhe hinter dem Schiller-Nationalmuseum in Marbach pinkelte, und ein Ge- spräch darüber, ob man nicht einmal das Werk Loriots wissenschaftlich aufarbeiten sollte. Und kurz nach meinem Sommeraufenthalts in Weimar, der Schiller- und Goethestadt (siehe: Pappa Ante Portas: Goethes Fi- scher: „Halb zog sie ihn / halb sank er hin. Und ward nicht mehr ge- sehn.“) findet just an dem Tag, da Loriots Tod der Presse gemeldet wird, neben dem Theaterplatz ein Loriotabend statt. Zeichenketten sind es auch, die Loriot kreierte, Figurenarsenale, Senten- zen, Episoden des öffentlichen Lebens in Bekleidungsgeschäften, großen Firmen, und Speiserestaurants. Was hat Loriot der Welt nicht alles ge- schenkt: Opa Hoppenstedt, wie er im Spielzeugladen für seinen Enkel das Spiel Wir bauen uns ein Atomkraftwerk ersteht. Den Hundesprech- trainer mit dem nach wie vor unbestechlichen Satz: „Otto Mohl fühlt sich unwohl am Pol ohne Atomstrom.“ Einsichten in den bundesdeut- schen Ehealltag, wo Frühstückseier hart sind, die Gattin die kompetente Meinung ihres Manns zum Abendkleid erfahren möchte, der Streit um den Kosakenzipfel entbrennt, die Nudel, die als penetrantes Störelement im Gesicht des Spießbürgers klebt, ein Liebesgeständnis unterläuft und zur Italienerschelte führt. Die Bürgerlichen werden karikiert, Konventio- nen und Höflichkeitsfassaden subvertiert und auch die Okös durch den www.medienobservatioenen.lmu.de 3 Kakao gezogen. All diese Szenen, Zitatberge, Pointen und Kostüme sind fest in das kulturelle Gedächtnis unserer Nation eingegangen. Jeder kann Teile der Sketche auswendig. Sie sind fest mit der Kulturmündigkeit un- serer Nation verknüpft. Drum prüfe sich, wer ein aufgeklärter Zeitge- nosse sein will. Wo wird beispielsweise Kalbshaxe Florida gegessen, das Pendant zum bürgerlichen Exotismus à la Toast Hawaii? Wir lernen also und exerzieren beim Ehebettenkauf, beim Zusammen- bau von Küchenmaschinen und beim Klaviertransport für Frau Berta Panislowski aus Massachusetts: „Männer und Frauen passen nicht zuein- ander.“ Ob er uns Deutschen deshalb eine der ersten impliziten TV- Schwulenszenen mit Herren im Bad und in derselben Badewanne be- schert hat? Auf jeden Fall den Womanizer Vic Dorn oder Viktor Dorn- berger, wie er mit bürgerlichem Namen heißt, dessen Vater Kirchendie- ner in Westfalen war, dessen Mutter unbekannt ist, der für uns immer wieder seine unverwechselbare Horrormaske aufsetzt, die niemand ent- worfen hat. Aber streng genommen hatte Loriot immer ein Faible für psychoanalytische Spitzfindigkeiten und setzte diesen in Ödipussi (dem Relikt eines Freudschen Theoriebausteins) ein Denkmal, parallelisierte die Gemeinsamkeiten und Unterschiede der Diplompsychologie und der Inneneinrichtung und schulte den Zuschauer in der Farbenlehre. Wir wissen nun, dass sich allein stehende Frauen in violetten Sitzgruppen umbringen – aber in welcher Farbe überleben die meisten? Loriot überall In einer ZDF-Sendung wurde Loriot vor wenigen Jahren zum beliebtes- ten deutschen Komiker gewählt und wirkte dabei irgendwie der Veran- staltung enthoben, in anderen Kategorien schaffend und entwerfend ne- ben Leuten wie Ingo Appelt und Mario Barth. Dort erklärte Loriot, wie ernst hinter der lustigen Oberfläche sein Humor eigentlich sei, mit welch traurigem Blick er auf die evidenten Spleens des Angestelltentypus blickt. Und das stimmt auch, wie es sich für die ernste Hochkultur (Melusine) eben gehört und für jemanden, der derart einzigartig, unsterblich und all- gegenwärtig ist. Niemand ist ihm ebenbürtig. Von den Stand-up- Comedians der Privatsender schweigen wir lieber. Loriots Stellvertreter auf Erden ist weit und breit nicht in Sicht. Wie all dem auch sei: Gerne hätten wir eine Sondersendung zum Todes- tag von Loriot gesehen oder würden sie gerne sehen zum ersten Todes- www.medienobservatioenen.lmu.de 4 tag, von ihm selbst gestaltet im Stil von Loriots 60., 65., 70. und 80. Ge- burtstag, als Karikatur auf das öffentlich-rechtliche Rundfunkwesen. Nun, Loriot, verpasse Deiner ebenfalls unsterblichen Filmpartnerin Evelyn Hamann die angekündigte jenseitige Abreibung, nachdem sie dir frecherweise viel zu früh voraus gegangen ist. Es ist eine erwiesene Tatsache, dass wir nun viel mehr und noch viel in- tensiver immer und immer wieder Loriot schauen müssen. Schon aus dem Grund, weil uns vor dem Venusmond Tetra, der nach den Berech- nungen von Prof. Pirkheimer auf die Erde zurast, nur Loriot allein rettet, wie ich festgestellt habe. Erst gerade eben bin ich Loriot auf der Straße begegnet und sehe ihn seitdem immer wieder und verkünde nun: Loriot ist nicht tot, es lebe Loriot!