dIe 360°-FulldoMe-Show Dinosaurs aT Dusk – The origins of flighT Von MIrage3d Jürgen Rienow In Search of Our Cosmic Origins (2009), Dawn of the Space Age (2007), aber auch naturwissen- schaftliche Themen wie in Supervolcanoes (2013) und Natural Selection (2009; siehe dazu Buczek & Rienow 2011). In der aktuellen Show über Dinosaurier und die Anfänge des Fliegens1 führen uns die Produ- zenten in verschiedene Epochen der Erdgeschichte. Dabei steht die evolutionäre Entwicklung der flie- genden Dinosaurier als Vorfahren der Vögel im Fokus. Anhand verschiedener Beispiele kann der Zuschauer verfolgen, welchen Weg diese Entwick- lung einschlug und welche z.T. riesigen Flugsaurier sich entwickeln konnten. Das Besondere an dieser Show ist aber nicht der Inhalt, sondern die Art und Weise der Erzäh- lung. Das Studio mirage3D versucht häufig, beson- dere Wege zu gehen, immer unter der Prämisse, IMAX-artige Filme für Fulldome-Kuppeln zu pro- duzieren. Bislang geschah dies jedoch immer mit einem Sprecher aus dem Off, wie man dies aus den meisten anderen Fulldome-Shows auch kennt. Selten bekamen die Zuschauer der Filme dieser Produktionsfirma Information von Schauspielern im Bild. Durch diesen Aspekt unterschied sich Dinosaurs aT DusK (mirage3d, nl 2013, 45 min.) der Fulldome-Film maßgeblich von allen anderen (immersiven) Filmformaten. Das Einbinden von Das niederländische Studio mirage3D um den Pro- Schauspielern über Greenscreen-Aufnahmen, die ducer Robin Sip hat bereits eine lange Liste von nachträglich in computergenerierte Umgebungen Fulldome-Shows und -Animationen aufzuweisen, die unterschiedlichste Themen behandeln. Dazu 1 So der deutsche Titel, der im Mediendom Kiel Verwen- gehören u. a. astronomische Themen in den Shows dung findet. Die 360°-Fulldome-Show Dinosaurs At Dusk – The Origins of Flight von mirage3D 123 à 1 Detailierte Landschaftsdarstellung. (Quelle: Dinosaurs aT DusK) integriert werden, wird in Kuppelproduktionen erst che Darstellung reißt in den später gezeigten ande- seit ca. 2007 durchgeführt – das erste Mal massiv ren Epochen der Erdgeschichte nicht ab. in Augen im All (ESA/Mediendom Kiel, D 2009). Zurück zur eigentlichen Geschichte: Nach der Damals waren allerdings die begrenzten techni- Präsentation auf dem Wissenschaftsfestival ziehen schen Möglichkeiten bei der Aufnahme im Produkt Vater und Tochter weiter auf den benachbarten noch sichtbar. Sportflugplatz, wo die Tochter ihren ersten Flug Mirage3D geht mit Dinosaurs at Dusk einen mit einem Sportflugzeug alleine durchführen darf. Schritt weiter. Es wird komplett auf einen Sprecher Nach einem gelungenen Start verliert sie allerdings aus dem Off verzichtet, alle Informationen wer- bald die Orientierung und stürzt ab. Sie erwacht im den in die Dialoge der Schauspieler eingebunden. Trias und wird daraufhin von ihrem Vater in einem Diese Herangehensweise erfordert eine grundsätz- Geländewagen abgeholt. Zusammen erkunden die lich andere Art des Erzählens, als diejenige, die bis- beiden im Folgenden verschiedene Epochen der her in diesem Medium anzutreffen war. Dieser Weg Dinosaurierentwicklung, unterstützt von einer Viel- mag dazu geführt haben, dass die Szenen in der zahl an Fahr- und Flugzeugen sowie einer Augmen- Show in einer viel höheren Frequenz geschnitten ted-Reality-Brille (AR-Brille), die Informationen zu sind, als es bei anderen Fulldome-Shows üblich ist. den jeweiligen Dinosauriern bereithält. Am Ende Die Show nähert sich damit der Bildsprache des der Reise stürzt der Meteorit auf die Erde, der das IMAX-Films stark an. Ende der Dinosaurier hervorrief. Die Show beginnt zur Einstimmung auf das Danach erwacht die Tochter aus ihrem (durch- Thema mit einem Gleitschirmflug, in dem ein Palä- aus lehrreichen) Traum und wird mit einem Ret- ontologe zu einem Wissenschaftsfestival fliegt. tungshubschrauber abgeholt. Die Show schließt Seine Tochter, die zweite Protagonistin in diesem mit einer Vielzahl an verschiedenen Eindrücken Film, ist mit dem Fahrrad dorthin unterwegs. Bereits zum Thema Fliegen und der Auswirkung von Mete- in dieser Szene sticht eine unglaubliche Detailfülle oriteneinschlägen auf unserer Erde. ins Auge, mit der die Landschaft umgesetzt wurde Am auffälligsten in den 45 Minuten Film sind und für die verschiedenste Baum-, Blumen und Tier- gar nicht so sehr die Dinosaurier, sondern die Land- arten zum Leben erweckt wurden (Abb. 1). Diese schaft mit ihrer Pflanzenvielfalt. Wie oben bereits fotorealistischen Renderings bleiben bis zum Ende erwähnt, ist die gesamte Show geprägt von einer der Show bildbestimmend und auch die detailrei- Detailfülle, die im Fulldome-Markt ihresgleichen 124 Jürgen Rienow à 2 Herde von Iguanadons samt AR-Information aus Sicht des Jeeps. (Quelle: Dinosaurs aT DusK) sucht (und vermutlich nicht findet). Zehn Model- Der mutige Versuch, auf einen Off-Sprecher zu lierer haben ein ganzes Jahr daran gearbeitet, alle verzichten, kann sowohl als gleichzeitig gut und Pflanzenmodelle im Computer zu erzeugen und schlecht bewertet werden. Das Hauptproblem liegt sind dafür um die ganze Welt gefahren, um Pflan- in der Glaubwürdigkeit der Protagonisten: beide zen als Vorlage für die ausgestorbenen Pflanzen zu sind dem Fliegen und der Paläontologie zugetan finden, die in der Show dargestellt werden. und scheinbar Experten auf ihrem Gebiet. Inso- Damit aber nicht genug des Aufwandes: Die fern wirkt die Faszination mit fliegenden Sauriern Schauspieler benutzen häufig Fahrzeuge oder befin- glaubwürdig, die Nutzung der AR-Anzeigen mit den sich in ‹Camps› mit wissenschaftlicher Ausrüs- dem laienhaften Erklären wirkt für die Zuschauer tung. Damit gab es eine weitere große Menge an allerdings unglaubwürdig. Viele der Dialoge Objekten, die modelliert werden mussten. Hierzu würden zwischen zwei Fachleuten ganz anders  – kam die Anforderung, Fahrzeuge z.T. fotorealistisch nämlich detaillierter und konkreter  – ablaufen. als physikalische Objekte nachzubauen, denn bei Eine weitere Frage nach Glaubwürdigkeit liefert der schauspielerseitigen Nutzung z. B. des Jeeps die Ausstattung der gesamten Welt: Überall sind wurde ein echter Jeep auf die Greenscreen-Bühne Camps und Fahrzeuge zu sehen und werden auch gefahren, während in anderen Einstellungen ein benutzt. Man kommt sich fast wie in einem James- Computermodell zu sehen ist (Abb. 2). Bond-Film vor, in dem jedes Gadget auch benutzt Häufig ragten Teile von größeren Fahr- und ins- werden muss, einfach weil es da ist. Auch die län- besondere Flugzeugen aus dem Bild der physikali- geren Reisezeiten zwischen Kontinenten werden schen Kamera hinaus und mussten für die virtuelle nicht deutlich. Dieses häufige, schnelle Springen Kuppelkamera, die mit 180° Fisheye-Optik einen zwischen Orten und Epochen kann verwirrend viel höheren Öffnungswinkel aufweist, im Compu- wirken.2 Dafür werden einige Sequenzen länger ter verlängert werden. gezeigt als andere, z. B. die Szene, in der die Pro- Doch der hohe technische Aufwand bei der tagonisten in einem Kitebuggy von Argentinosau- Produktion der Show ist auch ohne dieses Hinter- grundwissen offensichtlich. Wie bei anderen tech- nisch aufwendigen Filmen oder Shows stellt sich 2 Natürlich kann die Tatsache, dass es sich nur um einen Traum gehandelt hat, als Erklärung für die Inkonsistenzen aber auch hier die Frage, ob der Inhalt dem Gezeig- des zeitlichen und räumlichen Kontinuums dienen  – dies ten angemessen ist. funktioniert jedoch nur im Nachhinein. Die 360°-Fulldome-Show Dinosaurs At Dusk – The Origins of Flight von mirage3D 125 à 3 Ein ‹mirage3D-Moment›: Die Kamera folgt dem Flugsaurier in einer längeren Plansequenz. (Quelle: Dinosaurs aT DusK) riern über eine Sandebene gezogen werden. Hier hier auch nur in eine Richtung projiziert wird. Das stellt sich fast automatisch die Frage nach der Ziel- Betrachten dieser Show in einer ungeneigten, kon- gruppe der Show. Aufgrund der Gewichtung auf zentrisch bestuhlten Kuppel ist deutlich anstren- das Erleben von Geschwindigkeit und Fliegen und gender, aber auch lohnender. Bei der Modellierung einer fast überladen wirkenden Menge von gezeig- der Landschaften wurde auf so viele Details geach- ten Orten und Eindrücken, sollte diese Show eher tet, die häufig auch ‹hinter› dem Zuschauer liegen, im Kinderprogramm eines Planetariums zu finden dass sich das aktive Umschauen trotz der gerichte- sein. Die Frage ist aber, ob bei der Menge an Infor- ten Visualisierung lohnt. mationen die eigentliche Geschichte, die evoluti- onäre Entwicklung des Fliegens, nicht untergeht. Als Fazit bleibt festzuhalten: Mirage3D hat sich als Die Erzählgeschwindigkeit und auch die erstes Studio getraut, einen wirklichen Fulldome- Schnittgeschwindigkeit sind in einem großen Teil Film zu produzieren. Die Show Dinosaurs At Dusk der Show gleichbleibend. Nur selten wird die für ist nämlich ähnlich geschnitten wie ein Kinofilm das Medium Fulldome typische Visualisierungs- und löst sich damit vom häufig genutzten doku- technik verwendet: lange Plansequenzen (Abb. 3). mentarischen Format, bei dem ein Sprecher aus Die Beurteilung, ob lange oder kurze Schnitte dem Off für die Informationsvermittlung verwen- besser wirken, hängt letztendlich vom Geschmack det wird. Dafür mussten sich die Produzenten mit des Betrachters ab. Spannend ist dabei allerdings, der Frage auseinandersetzen, wie man Dialoge, dass Zuschauer, die das Fulldome-Medium nicht bewegte Kamera und Realfilm-Inhalte gleichzeitig gewöhnt sind, schnelle Schnitte aus dem Kino einsetzt. Gerade die Frage nach Dialogen wurde kennen und daher auch in der Kuppel erwarten. in der Fulldome-Welt bislang nur wenig diskutiert, Fulldome-Kenner hingegen empfinden die schnelle scheint aber für die Entwicklung einer neuen bzw. Schnittfolge als ungewohnt und auch als anstren- aktualisierten Bildsprache unerlässlich, wenn man gend, da jeder Schnitt bedeutet, dass man sich neu mit dem Fulldome-Medium Geschichten erzählen orientieren muss. Lange Kamerafahrten wirken will und nicht nur dokumentarisch arbeiten möchte. dem Effekt natürlich entgegen. Ob sich der Mut gelohnt hat, ist schwer zu Die Show ist für geneigte Kuppeln produziert, sagen. Denn zum einen zeigt diese Show einen die über gerichtete Bestuhlung verfügen, wodurch ersten ernstzunehmenden Schritt in Richtung Full- solche Kuppeln dem Kino sehr nahe kommen, da dome-Spielfilm und ist daher schon jetzt ein Mei- 126 Jürgen Rienow lenstein der Content-Entwicklung für das Medium men gemessen; dennoch ist mirage3D um so mehr Fulldome. Zum anderen ist mirage3D aber kein zu gratulieren, mutig ein solches innovatives und Forschungslabor für immersives Erzählen, sondern nahezu experimentelles Produkt auf den Markt will Gewinn erwirtschaften. So ist ein wichtiger zu bringen. Inwiefern es allerdings erfolgreich ver- Faktor  – neben den hohen Personalkosten  – der marktet werden kann, muss die Zukunft zeigen… technische Aufwand: Ein kleineres Studio könnte eine solche Produktion aufgrund des Produktions- aufwandes und der Renderzeiten (z.T. einige Tage Literatur pro Einzelbild) nicht durchführen. Trotzdem gibt es immer noch einen Qualitätsabstand zu Holly- Buczek, Isabella & Rienow, Jürgen: Die wunderbare Viel- wood-Filmproduktionen, deren Spezialeffekte noch falt des Lebens als visuelles Erlebnis in der 360°-Full- einmal deutlich teurer sind und fotorealistischer domeshow Rätsel des Lebens von Mirage3D. In: Jahr- wirken. Und damit wird das Hauptproblem der buch immersiver Medien 2011. Hg. vom Institut für Show angesprochen: Wer versucht, einen Spielfilm Immersive Medien der Fachhochschule Kiel. Marburg: zu drehen, wird in der Qualität mit anderen Spielfil- Schüren. S. 111–115. Die 360°-Fulldome-Show Dinosaurs At Dusk – The Origins of Flight von mirage3D 127