Hartmut Winkler Ähnlichkeit Hartmut Winkler ÄHNLICHKEIT Kulturverlag Kadmos Berlin Dank an die Universität Paderborn für die Förderung der Publikation. Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar. Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Ver wertung ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Copyright © 2021, Kulturverlag Kadmos Berlin. Wolfram Burckhardt Alle Rechte vorbehalten Internet: www.kulturverlag-kadmos.de Umschlaggestaltung: readymade, Berlin Titel-Collage: H. W., Idee: Blog Bowiebranchia: Green framed in orange; https://bowiebranchia.tumblr.com/post/174180246067/green-framed-in-orange. Photo Bowie: © Phil Backhouse 2004; Herzlichen Dank für die Genehmigung der Reproduktion. Photo Meeresschnecke: © Nature Picture Library / Alamy Stock Photo; Reprod. gen. Gestaltung und Satz: readymade, Berlin Druck: Beltz Graphische Betriebe Printed in Germany ISBN: 978-3-86599-490-5 Inhalt 1 Einleitung 7 — Bildstrecke: Bowie und die Meeresschnecken 15 2 Der Skandal der Ähnlichkeit 19 — Bildstrecke: Zwillinge, Doppelgänger, Partnerlook, Herr und Hund 25 3 Faszination am Unklaren, Schmutzigen, an dem, was die Unterscheidungen unterläuft 31 4 Eine erste Skizze zur Ähnlichkeit und zur Schemabildung in verschiedenen Medien 41 — Bildstrecke: Wiederholung, Reproduktion, Kopie, Serie, Ornament 59 5 Ähnlichkeit und Kontext 63 6 Tarnung, Mimese, Anverwandlung an den Kontext 81 — Bildstrecke: Kunst nachstellen 91 7 Ähnlich – inwiefern? Eine Überlegung zu den Merkmalen, an denen Ähnlichkeit sich bemisst 93 8 Ähnlichkeit und Ordnung 117 — Bildstrecke: Hans Eijkelboom 129 9 Schemabildung. Eine Maschine zur Umarbeitung von Inhalt in Form 133 — Bildstrecke: Trump/Scaramucci 157 10 Ähnlichkeit, Identität und Differenz. Was bedeutet es, sich oder etwas zu identifizieren? 159 11 Trennen, Unterscheiden, Analysieren. Der zweite Pol im Feld der Ähnlichkeit ist die Differenz 177 — Bildstrecke: Diskurs-Statistik: Ähnlichkeit, Identität, Differenz 195 12 Identität und Selbstähnlichkeit 197 — Bildstrecke: Ulric Collette – Familienähnlichkeit 213 13 Ähnlichkeit und Form. Cassirer: Philosophie der symbolischen Formen 217 — Bildstrecke: Julien Patry: Berlin Classified 239 14 Ähnlichkeit und Formalisierung. Eine zweite Überlegung zur Form 241 — Bildstrecke: Dad 261 15 Ähnlichkeit, Semantik und Form 263 — Bildstrecke: Fälschung 267 16 Schlussteil: Verhärtete Ähnlichkeit 273 Postskriptum: Grenzen der Ähnlichkeit 291 Abbildungen 296 Literatur 303 1 Einleitung 1. Warum Ähnlichkeit? Wer sich mit Alltagskultur und Medien beschäftigt, wird auf unübersehbar viele Formen von Ähnlichkeit stoßen: Die Mode sorgt dafür, dass Kleidung und Frisuren auf den Straßen sich ähneln; wähle ich einen Film aus, schlägt mir Netflix weitere ›ähnliche‹ vor, und einige Titel der Popmusik sind sich dermaßen ähnlich, dass man sie technisch übereinanderkopieren kann.1 2 Formate, Genres und Stile beruhen auf Ähnlichkeit (oder sind Mittel, diese zu organisieren), man kann Stereotypen und Serien als Beispiele nennen, Repro- duktion und Kopie, Zitat, Imitation oder Fälschung; und noch allgemeiner: 1 … vorgeführt in dem Video ›Prince Damien – Glücksmoment vs. Stanfour – Hearts Without A Home (DSDS 2016 Melodievergleich)‹, https://www.youtube.com/watch?v=BcS-2YefLys, alle Links zuletzt abgefragt: 16. 12. 20. Die in meinem Buch genannten Links habe ich in einer Linkliste zusammengefasst: https://homepages.uni-paderborn.de/winkler/Winkler- -Aehnlichkeit--Linkliste.html. 2 Abb.: © Hans Eijkelboom; herzlichen Dank für die Genehmigung der Reproduktion. Die Bilder hat Eijkelboom alle am gleichen Tag, am 22. 11. 2004 zwischen 12 und 16 Uhr in Rotterdam aufgenommen; Eijkelboom hat sein Projekt über Jahre verfolgt und in Ausstel- lungen und Bildbänden eine große Zahl solcher Serien gezeigt; vgl.: Ders.: People of the Twenty-First Century. London/NYC: Phaidon 2014. Vgl.: https://i-d.vice.com/de/article/ qvbve7/hans-eijkelboom-people-of-the-twenty-first-century-759. 7 Ritual, Regularitäten, Konvention und Gewohnheit. All dies sind Formen von Ähnlichkeit; Ähnlichkeit ist tatsächlich allgegenwärtig. Und gleichzeitig haftet der Ähnlichkeit etwas Unheimliches an. Zwillinge irritieren unsere Vorstellung von Individualität, indem sie unseren Blick spalten und Verwechslungen provozieren. Aus dem Spiegel blickt uns manchmal ein Fremder an. Elvis-Imitatoren schaffen es, Elvis ähnlicher als Elvis zu sein. Und selbst die industrielle Serienproduktion kann etwas Unheimliches haben: Wenn z. B. Einfamilienhäuser einander zu ähnlich sind, geht uns das auf die Nerven.3 Vor allem aber tut sich die Theorie mit dem Thema überaus schwer. »Simi- larity«, schreibt Nelson Goodman in einem berühmten Essay zum Thema, »is insidious. […] Similarity, ever ready to solve philosophical problems and over- come obstacles, is a pretender, an impostor, a quack. It has, indeed, its place and its uses, but is more often found where it does not belong, professing powers it does not possess.«4 »[S]imilarity […] is a […] slippery matter.«5 3 Abb.: Video: Prestige Life Real Estate: Burj Al Babas Summer View – constructional up- date – villas in Turkey; https://www.youtube.com/watch?v=LzGqIRGAEUI. 4 Goodman, Nelson: Seven Strictures on Similarity. In: ders.: Problems and Projects. India- napolis/NY: Bobbs-Merrill 1972, S. 437−447 (EV.: 1970), hier S. 437. 5 Ebd., S. 446. 8 Und andere Autoren stimmen ihm zu: »We cannot easily imagine a more familiar or fundamental notion than [similarity], or a notion more ubiquitous in its applications. On this score it is like the notions of logic: like identity, negation, alternation, and the rest. And yet, strangely, there is something logically repugnant about it.«6 »[Schon] bei Bacon [1561−1626] findet man […] eine Kritik der Ähnlichkeit. […] Er zeigt sie [die Ähnlichkeiten] in ihrem Flimmern vor den Augen und in ihrer Auflösung, wenn man sich ihnen nähert, in ihrer Rekomposition, die sich ein wenig später augenblicklich vollzieht.«7 Wie kann es zu diesem Vorbehalt kommen? Und wie vor allem zu dem Wider- spruch, dass Ähnlichkeit einerseits so augenfällig, so unendlich weit verbreitet und für das Räderwerk der Kultur doch offenbar von großer Bedeutung ist, im Feld der Theorie aber auf offene Ablehnung stößt? Kann es sein, dass die Ähnlichkeit auch den Theoretikern unheimlich ist? 2. Ähnlichkeit, Stereotypen und Schemata Auf die Ähnlichkeit bin ich im Kontext der Stereotypenforschung gestoßen. Kulturelle Stereotypen haben die Eigenschaft, dass die Bilder, sprachlichen Äußerungen oder Denkmuster, die ein Stereotyp erfüllen, keineswegs gleich, sondern eben nur ähnlich sind. Stereotypen haben ›unscharfe‹ Grenzen. Und Stereotypen, das ist der zweite wichtige Punkt, gehen nicht auf Pla- nung zurück. Niemand will, dass Stereotypen entstehen; sie bilden sich – allein nach Maßgabe der Ähnlichkeit – als Zusammenballungen im Diskurs. Und dennoch haben sie die Kraft, Orientierung zu schaffen, indem sie eine Vielzahl heterogener Einzelfälle auf wenige übersichtliche Schemata bringen. Sucht man nach einem theoretischen Rahmen, der all das auf einer etwas allgemeineren Ebene beschreibt, bietet sich die Schematheorie an. Schemata, dies werde ich im Verlauf meines Buches zeigen, haben all jene Eigenschaften, 6 Quine, Willard Van Orman: Natural Kinds. In: ders.: Ontological Relativity and Other Essays. NY: Columbia UP 1968, S. 117 (Erg. u. Hervorh. H. W.; im Original: this). 7 Foucault, Michel: Die Ordnung der Dinge. Frankfurt a. M.: Suhrkamp 1974 (EV., frz.: 1966), S. 84 (Erg. H. W.). 9 die gerade genannt wurden; und viele Phänomene der Alltagskultur – Mode, Formate, Genres, Stile, Ritual, Regularitäten, Konvention und Gewohnheit – lassen sich über das Konzept des Schemas besser verstehen. Im Folgenden also wird es um Ähnlichkeit und Schemata gehen. Und es wird sich erweisen, dass der Ähnlichkeit eine systematische Stellung zukommt – einerseits im Funktionieren der Medien und der Alltagskultur, andererseits aber auch für die Theorie, wo die Ähnlichkeit, das ist meine Behauptung, tatsächlich zu einem Drehglied wird. 3. Semiotik Der zweite Rahmen meiner Überlegung ist die Semiotik. Mein Fach, die Me- dienwissenschaft, hat zur Semiotik ein eher gespanntes Verhältnis; gemessen an den hohen Ansprüchen, die sie in den 1960er Jahren formuliert hatte, gilt die Semiotik als weitgehend gescheitert; so ist es nicht gelungen, einen Zeichenbegriff zu entwickeln, der medienübergreifend Gültigkeit hätte; und vor allem die in radikaler Weise zeichenkritisch ausgerichtete, poststruktura- listische Philosophie hat nahezu alle begrifflichen Eckpfeiler demontiert. Von ›Bedeutung‹, ›Signifikat‹, ›Repräsentation‹ oder ›Referenz‹ (Weltbezug) würde heute niemand mehr bedenkenlos sprechen. Für die Medienwissenschaften allerdings ist dies ein Desaster. Denn auch wenn kein Konsens besteht, wie man – in Anerkennung der Kritik – die Ebene des Symbolischen nun konzeptualisieren sollte und welchen Stellenwert sie innerhalb eines allgemeineren Medienkonzepts hat, würde niemand sagen, dass semiotische Überlegungen für die Medienwissenschaft schlicht verzichtbar sind. Die Frage also hat alle Antworten überlebt und ist nach wie vor offen. Und so wenig es möglich ist, sie im Handstreich zu lösen, so wertvoll, denke ich, muss jeder Mosaikstein sein, der zu einer Lösung beitragen kann. Schematheorie und Ähnlichkeit nun scheinen mir auch an dieser Front wirklich weiterzuhelfen; auf welche Weise, wird Schritt für Schritt zu entfalten sein. Mein Projekt ist, eine semiotische Überlegung zu entwerfen, die den Begriff des Zeichens zunächst ausspart oder umschifft, und allein darauf abstellt, das Zusammenspiel zwischen Ähnlichkeit und Schemabildung zu klären. Und erst 10 wenn dies geschehen ist, eine Skizze zu liefern, was – in Relation zu Schema und Ähnlichkeit – dann ein ›Zeichen‹ sein könnte. Die Probleme der Semiotik sind zu alt und zu ernst, zu tiefgreifend, zu verzweigt und zu vielfältig, als dass meine Überlegung sie auch nur ansatz- weise bewältigen könnte. Dennoch, denke ich, kann zumindest eine Ahnung entstehen, dass mit einer veränderten Herangehensweise auch eine veränderte Semiotik – eine Semiotik, an die die Medienwissenschaft tatsächlich anschlie- ßen könnte – möglich wäre. Und wenn dies gelänge, wäre dies viel. 4. Das Programm meines Buches Meine Überlegung zur Ähnlichkeit wird sich auf Medien und Alltagskultur strikt beschränken. Im engeren Sinne philosophische Überlegungen schließe ich damit aus. Ich habe kein Deleuze-Kapitel geschrieben, auch wenn dieser im Kontext immer wieder reflexhaft genannt wird, einfach deshalb, weil sein Entwurf von Differenz möglicherweise philosophisch interessant, medienwis- senschaftlich aber m. E. nicht brauchbar ist. Ebenso wird es, anders als man vielleicht erwarten würde, keine Überlegung zu Nachahmung und Mimesis geben.8 Mimesis – selbstverständlich – ist mit Blick auf die Ähnlichkeit hoch relevant, und spielt auch für die Analyse der Medien eine wichtige Rolle. Gleichzeitig markiert sie ein eigenes Feld, das für sich genommen schon mehr als anspruchsvoll wäre,9 und das zudem relativ weit ab von dem von mir gewählten Weg liegt. Aus diesem Grund schließe ich auch die Mimesis aus.10 Und dasselbe gilt noch für weitere Felder, die im Kontext sicherlich inter- essant wären: So die eingangs erwähnten Empfehlungssysteme im Netz, die es tatsächlich schaffen, Ähnlichkeit in die Form von Algorithmen zu bringen. Es 8 »Mimesis (Darstellung, Ausdruck, Nachahmung von griech. μιμεῖσϑαι, darstellen, ausdrü- cken mit der connotatio ähnlich machen, nachahmen«. (Ritter, Joachim (Hg.): Historisches Wörterbuch der Philosophie: Mimesis. Bd. 5, Basel: WBG 1980, S. 1396). 9 Vgl. aktuell z. B. die DFG-Forschungsgruppe ›Medien und Mimesis‹ in Weimar und Bochum. https://www.fg-mimesis.de/info/. 10 Eine kurze Überlegung, die zumindest einen Brückenschlag hin zur Mimesis unternimmt, findet sich in meinem letzten Kapitel. 11 wird keine Überlegung zur technischen Reproduktion und zur Serialität geben, obwohl beide zwischen Ähnlichkeit und Medien sich geradezu aufdrängen; nichts zum Problem der ›Ikonizität‹, die meist als eine ›Ähnlichkeit‹ zwischen Zeichen und Referenten gefasst wird; und nichts zur Fälschung, die sicherlich eine der suggestivsten Formen von Ähnlichkeit ist. Und am wenigsten will ich ein Buch zum ›Gesamtkomplex Ähnlichkeit‹ schreiben. Was aber dann? Die wesentlichen Punkte sind schon genannt. Ausgehend von der Tatsache, dass Ähnlichkeit allgegenwärtig ist, möchte ich ihren theore- tischen Stellenwert prüfen. Es kann schlicht nicht sein, dass ein Phänomen, das Medien und Alltagskultur so augenfällig bestimmt, keine theoretisch model- lierbare Bedeutung hat. Meine Hypothese ist deshalb, dass die Ähnlichkeit in der Mechanik von Medien, Alltagskultur und Diskursen Funktion übernimmt. Nach der Funktion, oder einer ›Mechanik‹ zu fragen, unterstellt, dass es – jenseits der ›Inhalte‹ und der sichtbaren Oberflächen – Regularitäten und Ge- setzmäßigkeiten gibt, die das fragliche Feld strukturieren; ein Zusammenspiel von Faktoren, die auf regelhafte Weise miteinander verkoppelt sind. Die Theorie hat die Aufgabe, dieses Zusammenspiel zu beschreiben (immer im Bewusstsein, dass ›Mechanik‹ eine Metapher, und das Zusammenspiel – selbstverständlich – kein mechanisches ist). Hieraus folgt, dass die Vorstel- lungen, die wir uns von der Sache machen, die Begriffe und das analytische Instrumentarium sich verändern. Ziel ist entsprechend, nicht die Ähnlichkeit, sondern die Funktionsweise der Medien insgesamt etwas klarer zu sehen. Und auch die hauptsächlichen Theoriebezüge habe ich schon genannt: Aus- gehend von der Ähnlichkeit werde ich mich vor allem auf die Schematheorie stützen, um von dort aus eine Brücke zur Semiotik zu schlagen. Das Interesse und die Perspektive meiner Untersuchung sind semiotisch, auch wenn dies im Verlauf meines Textes erst schrittweise hervortreten wird. Seit ich mich mit Medien beschäftige, begleitet mich das Problem, dass ich das Projekt und die Fragestellungen der Semiotik für absolut essenziell für jedes Medienverständ- nis halte, während ich die Begriffe, die sie anbietet – ganz überwiegend – für kontraintuitiv, um nicht zu sagen: für inadäquat halte. Und aus der Fachdebatte weiß ich, dass viele Kolleginnen dies ähnlich sehen, wenn sie die Semiotik nicht ohnehin zu den Akten gelegt haben. Mein Text ist also u. a. auch ein Versuch, diese kognitive Dissonanz zu vermindern. 12 Und schließlich möchte ich noch etwas zum Aufbau des Buches sagen. Ne- ben dem vorliegenden gibt es drei weitere Kapitel, die einleitenden Charakter haben: Das zweite und dritte setzen bei der Tatsache an, dass der Umgang mit Ähnlichkeit – ganz offenbar – durch eine spezifische Mischung von Abscheu und Faszination gekennzeichnet ist; das vierte skizziert – programmatisch – meine eigentliche, medienwissenschaftliche These. Dieses vierte, das neunte und das Abschlusskapitel seien eiligen Lesern besonders empfohlen; das vierte, weil es den Schemabegriff einführt, den das neunte dann aufgreift und weiter verfolgt; das Abschlusskapitel, weil dort die Ergebnisse zusammengeführt werden. Den eigentlichen Kern meines Arguments habe ich im zehnten und elften Kapitel ausformuliert. Obwohl die Lektüre etwas Sorgfalt verlangt, denke ich, ist hier die eigentliche Innovation, die mein Buch bietet, zu finden. Die übrigen Teile erkunden jeweils Einzelaspekte; und an verschiedenen Stellen beziehe ich Bildstrecken ein, vor allem, um Assoziationen auch in unvermutete Richtung zu wecken. Selbstverständlich kann das Ganze nur zu einem pragmatischen Abschluss kommen; wenn Ähnlichkeit nach der einen Seite hin ›logically repugnant‹, und nach der andern eine ›Mechanik‹ ist, und für die Theorie ebenso abstoßend wie faszinierend, dann gibt es im Feld dazwischen mehr nachzudenken, als ein einzelnes Buch liefern kann. 13 BILDSTRECKE: Bowie und die Meeresschnecken Seit 2015 gibt es auf Tumblr einen Blog mit dem Titel: »Bowiebranchia – Nudibran- chia or other opisthobranchia compared to the various looks of David Bowie.«1 Und die PBS News Hour fragt nicht zu Unrecht: »Why these sea slugs look so much like David Bowie? By drawing comparisons between sea slugs and Ziggy Stardust, the Bowie branchia blog exposes the wild, beautiful and competitive evolution of both.«2 1 Alle Abb.: https://bowiebranchia.tumblr.com/; Dank für den Hinweis an Ulrike Bergermann. 2 Stein, Vicky: Why these sea slugs look so much like David Bowie? In: PBS News Hour, online, 10. 1. 2019; https://www.pbs.org/newshour/science/why-these-sea-slugs-look-so- much-like-david-bowie, 8. 5. 20. 15 16 Eine Autorin hatte zusätzlich die Idee, die Ähnlichkeit mit Hilfe einer Colordistance- Software zu quantifizieren.3 3 »Pantone predicted this. And now, perhaps the most vital work I will ever do: using colordis- tance to objectively prove which David Bowie outfit most closely matches a given sea slug. congratulations to ceratosoma trilobatum, the coral family of colors, and also to me, for peaking early pic.twitter.com/ZaMypDB8dx — Hannah Weller (@hannahiweller) February 6, 2019.« https://bowiebranchia.tumblr.com/post/182737570237/pantone-predicted-this- and-now-perhaps-the-most. 17 2 Der Skandal der Ähnlichkeit 1. Einwände der Theorie Wie also kommt es dazu, dass Goodman die Ähnlichkeit ›slippery‹ nennt?1 Schauen wir etwas genauer hin und betrachten einige der Argumente, die die Philosophen gegen die Ähnlichkeit vorbringen. Christof Rapp, Robert Spaemann und Dorothee Kimmich haben in Texten zur Ähnlichkeit die Geschichte dieser Einwände rekonstruiert.2 Rapp zeigt, dass schon Aristoteles die Feststellung von Ähnlichkeit für unvereinbar mit einer wissenschaftlichen Herangehensweise hält: »Genau soll man verfahren«, zitiert Rapp die ›Nikomachische Ethik‹, »und nicht bloß Ähnlichkeiten folgen«.3 Und wissenschaftliche Genauigkeit ist an stabile Identitäten gebunden: »Wir erkennen nämlich alles, insofern es ein und dasselbe […] und nicht insofern es nur ähnlich ist. Für die […] zuverlässige Erkenntnis müssen an die Stelle von Ungefährem und Ähnlichem verbindliche Zuordnungen und Begriffsbestimmun- gen treten.«4 1 Die Stelle wurde bereits zitiert: Goodman, Nelson: Seven Strictures on Similarity. In: ders.: Prob- lems and Projects. Indianapolis/NY: Bobbs-Merrill 1972, S. 437−447 (EV.: 1970); hier: S. 446. 2 Rapp, Christof: Ähnlichkeit, Analogie und Homonymie bei Aristoteles. In: Zeitschrift für philosophische Forschung, Bd. 46, 1992, S. 526−544; Spaemann, Robert: Ähnlichkeit. In: Zeitschrift für philosophische Forschung, Bd. 50, H. 1/2, 1996, S. 286−290; Kimmich, Doro- thee: Ins Ungefähre. Ähnlichkeit und Moderne. Paderborn: Konstanz University Press 2017, S. 9−66; Bhatti, Anil; Kimmich, Dorothee: Ähnlichkeit. Ein kulturtheoretisches Paradigma. Paderborn: Konstanz UP 2015. 3 Rapp, a. a. O., S. 526; die Meiner-Ausgabe übersetzt etwas anders: »Was die Wissenschaft sei, erhellt, wenn wir die Worte genau nehmen und uns nicht an äußere Ähnlichkeiten halten […].« (Aristoteles: NE 1139b 19; in: ders.: Philosophische Schriften in sechs Bänden, Bd. 3, Hamburg: Felix Meiner 1995, S. 133). 4 Rapp, a. a. O. (Hervorh. H. W.) (Rapp bezieht sich nun auf die ›Metaphysik‹ (999a 28 f.)). 19 Zum zweiten ist irritierend, dass es bei der Ähnlichkeit um Relationen geht: ›Ähnlich‹, referiert Rapp weiter, meint immer »einem anderen ähnlich«.5 Und wenn Relationen ihren Ort zwischen den Dingen haben, scheint auch dies der Vorstellung stabiler ›Identitäten‹ zu widersprechen. Und schließlich ist Ähnlichkeit auf Qualitäten6 sowie auf graduelle Unter- schiede verwiesen, was eine Theoretisierung ebenfalls schwierig macht: »Ähnlichkeit scheint bei Aristoteles immer an die Möglichkeit des Mehr oder Minder, der stetigen Abstufung, geknüpft […]. Nur wo ein Mehr oder Minder auftritt, ist also Ähnlichkeit möglich, und wo man von Ähnlichkeit redet, liegt immer eine Qualität vor.«7 Kein Wunder also, dass Aristoteles, wie Spaemann sagt, von einem »schlüpf- rigen Gelände« spricht;8 oder dass Platon warnt: »Der Vorsichtige […] muß sich am meisten mit den Ähnlichkeiten in acht nehmen; denn es ist eine gar zu gefährliche Art.«9 Philosophen der Gegenwart haben – und ich folge der Zusammenstellung bei Kimmich10 – andersartige Einwände formuliert. So sagt Quine: »[W]e are baffled when we try to relate the general notion of similarity signifi- cantly to logical terms.« »The dubiousness of this notion is itself a remarkable fact. For surely there is nothing more basic to thought and language than our sense of similarity; our sorting of things into kinds.«11 Goodman weist darauf hin, dass Urteile über Ähnlichkeit stark davon abhängig sind, welches Kriterium man für den Vergleich wählt, in welcher Hinsicht man die Dinge betrachtet. 5 Ebd., S. 527 (Hervorh. H. W.) (Rapp zitiert Aristoteles ›Kategorien‹). 6 Ebd. 7 Ebd., S. 528. 8 Spaemann, a. a. O., S. 287; die genaue Quelle nennt Spaemann nicht. 9 Platon: Sophistes (231a). In: Sämtliche Werke, Bd. 4, Reinbek: Rowohlt 1958, S. 202 (Her- vorh. H. W.). 10 Kimmich, Ins Ungefähre, a. a. O., S. 23 ff. 11 Quine, Willard Van Orman: Natural Kinds. In: ders.: Ontological Relativity and Other Essays. NY: Columbia UP 1968, S. 117, 116. 20 »Comparative judgments of similarity often require not merely selection of relevant properties but a weighting of their relative importance, and variation in both rel- evance and importance can be rapid and enormous.«12 Verbunden mit der Schwierigkeit, dass es – selbstverständlich – nahezu beliebig viele ›Hinsichten‹ gibt. Und allgemein sind Urteile über Ähnlichkeit abhängig von dem Kontext, in dem sie gefällt werden. »Circumstances alter similarities.« »[W]e must recognize that similarity is relative and variable, as undependable as indispensable. Clear enough when closely confined by context and circumstance in ordinary discourse, it is hopelessly ambiguous when torn loose. In this, similarity is much like motion. Where a frame of reference is tacitly or explicitly established, all is well; but apart from a frame of reference, to say that something moves is as incomplete as to say that something is to the left of. We have to say what a thing is to the left of, what it moves in relation to, and in what respects two things are similar.«13 Diese Abhängigkeit vom Kontext wirft theoretisch wie methodisch enorme Probleme auf,14 sie steht dem Wunsch entgegen, der Ähnlichkeit theoretisch habhaft zu werden und führt dazu, dass die genannten Philosophen sie – letztlich – verwerfen. »Irgendwie scheint alles mit allem vergleichbar zu sein«,15 – »alles ist allem irgendwie ähnlich.«16 Und schließlich wird Ähnlichkeit – gerade im Kontext der Alltagskultur – häufig pejorativ konnotiert. So wirft etwa Adorno, der an anderer Stelle durch- aus ein positives Konzept von Ähnlichkeit formuliert,17 der Kulturindustrie vor, dass sie ›alles mit Ähnlichkeit schlägt.‹18 »Similarity worries philosophers«, summiert Kimmich mit Linda B. Smith; der Ähnlichkeit sei philosophisch offenbar nicht beizukommen.19 12 Goodman, Seven Strictures, a. a. O., S. 445. 13 Ebd., S. 445, 444. 14 Vgl.: Kimmich. Ins Ungefähre, a. a. O., S. 25 ff.. 15 Spaemann, a. a. O., S. 287. 16 Kimmich, a. a. O., S. 18. 17 Adorno, Theodor W.: Ästhetische Theorie. GES, Bd. 7, Frankfurt a. M.: Suhrkamp 1970. 18 Horkheimer, Max; Adorno, Theodor W.: Dialektik der Aufklärung. Philosophische Frag- mente. In: A., Th. W.: GES, Bd. 3. Frankfurt a. M.: Suhrkamp 1981, S. 141 (EV.: 1944/47). 19 Kimmich, Ins Ungefähre, a. a. O., S. 25 (Hervorh. H. W.). 21 2. Wiederaufwertung der Ähnlichkeit? Glücklicherweise aber scheint dies nicht die letzte Auskunft zu sein. Sowohl Kimmich als auch Spaemann haben das Anliegen, die Ähnlichkeit für die Theorie zurückzugewinnen und Wege zu zeigen, wie man mit ihr – allen Einwänden zum Trotz – möglicherweise eben dennoch umgehen kann. So schlägt Kimmich vor, die Ähnlichkeit grundsätzlich neu zu bewerten. Sie kann zeigen, dass es bei Gegenwartsautoren durchaus Ansätze für eine Neueinschätzung der Ähnlichkeit gibt;20 und sie selbst argumentiert, dass gerade in jener ›Unschärfe‹, die man der Ähnlichkeit üblicherweise vorwirft, deren hauptsächliche Stärke liegen könnte: »Ähnlichkeit gehört zu den Figuren des Kontinuierlichen, des Übergänglichen. Sie bedarf zwar der Markierung von Differenzen, stellt aber nie einen Bruch oder Gegensatz dar. Im Konzept der Ähnlichkeit können Evolution, Wandel und Me- tamorphose gedacht werden. Daher scheint Ähnlichkeit neben dem räumlichen auch immer einen dynamischen, zeitlichen, aber nicht teleologischen Aspekt ein- zuschließen. Sie bedarf der Feststellung von Differenzen, weil sie nie Identität ist, kann aber selbst auch keine radikale Differenz im Sinne des ›Anderen‹ sein: Ähn- lichkeit ist kein binäres Modell, sondern eine ›Figur des Dritten‹. Sie befindet sich immer zwischen den Polen von vollständiger Identität und radikaler Differenz.«21 »Als problematische und problematisierende Figur des Übergänglichen provoziert Ähnlichkeit die großen heuristischen Trennungen der Moderne: Natur und Kultur, Mensch und Ding, fremd und eigen. Sie überfordert die Philosophie und ist eine Herausforderung für die Kulturwissenschaften.«22 Und relativ mühelos hat sie das Feld für eine konkrete Erprobung gefunden: Zusammen mit Bhatti hat sie 2015 einen interdisziplinären Sammelband herausgegeben, der das Problem des interkulturellen Austauschs in den Mittelpunkt stellt.23 Während die Kulturwissenschaft gewöhnt ist, hier von 20 Ebd., S. 45−63. 21 Ebd., S. 42 ff. (vgl.: Eßlinger, Eva; Schlechtriem, Tobias; Schweitzer, Doris; Zons, Alexander (Hg.): Die Figur des Dritten. Ein kulturwissenschaftliches Paradigma. Berlin: Suhrkamp 2010). 22 Kimmich, Ins Ungefähre, a. a. O., S. 44. 23 Bhatti/Kimmich, Ähnlichkeit, a. a. O. (FN 2). 22 kulturellen Differenzen zu sprechen, schlagen Bhatti/Kimmich vor, es statt dessen mit der Ähnlichkeit zu versuchen: »Nicht zuletzt aufgrund der globalen politischen Ereignisse der vergangenen Jahr- zehnte ist mittlerweile sowohl der Identitäts- als auch der Alteritätsbegriff immer fragwürdiger geworden: Der ›Clash of Civilizations‹ ist dabei als Erklärungs- und Handlungsmuster ebenso problematisiert worden wie die Annahme einer kul- turellen Identität, die im Zeitalter postmoderner Migrationsströme zunehmend unangemessen zu werden scheint. Daher muss aktuell nicht nur diskutiert, sondern reflektiert werden, ob es neben dem Konzept der kulturellen Differenz auch eines der kulturellen Ähnlichkeit geben könnte, also einen Bereich des ›Sowohl-als-auch‹ und damit etwas wie eine Philosophie der Ähnlichkeiten.«24 Das ›Sowohl-als-auch‹ darf man nicht missverstehen: Keineswegs geht es darum, Differenz zu verleugnen; in der Vorannahme kultureller Ähnlichkeit vielmehr könnte gerade deshalb eine Chance liegen, weil Ähnlichkeit immer beides – sowohl Differenzen als auch Gemeinsamkeiten – umfasst. Spaemann bewegt sich im Feld der Philosophie; er will die Ähnlichkeit neu verorten, indem er die Polarität zwischen Identität und Differenz in grund- sätzlicher Weise befragt. »Ohne […] Ähnlichkeit […] gäbe es […] nicht einmal das Wiedererkennen des Selben. Denn Selbigkeit, Identität stellen wir nur fest aufgrund der Ähnlichkeit der Weisen, in denen sich etwas durch die Zeit hindurch präsentiert. […] Seltsamerweise hat die Philosophie diesem elementarsten aller Phänomene vorwiegend auszuwei- chen versucht. […] Ihr Thema war stets die Polarität von Identität und Differenz.«25 Und gegen diese Tradition beharrt er darauf, »daß Verschiedenes [in anderer Hinsicht] miteinander ähnlich ist.«26 Kimmich greift dies auf und schreibt: »Zwangsalternativen zwischen vorgeblicher Identität und als solcher identifizierter Alterität, also eine ontologische Differenz von ›Eigen‹ und ›Fremd‹, sind der sozialen, politischen und kulturellen Situation im 21. Jahrhundert nicht angemessen – und waren es wohlmöglich nie.«27 24 Ebd., S. 9. 25 Spaemann, a. a. O., S. 287. 26 Ebd., S. 288 (Erg. H. W.). 27 Kimmich, Ins Ungefähre, a. a. O., S. 19. 23 Mit Identität und Differenz ist ein wichtiges Thema gesetzt, das ich im Fol- genden aufgreifen und ausbauen werde. 3. Wie also weiter? Bemerkenswert ist, dass auch die Kritiker der Ähnlichkeit deren Relevanz nicht bestreiten. Und möglicherweise handelt es sich, wenn Kritiker und Befürworter sich nicht einig sind, um das bereits angesprochene Problem der zwei Ebenen: um einen Widerspruch zwischen der Philosophie und der Analyse der Alltags- kultur. Exakt wie Kimmich oben gesagt hat: Auch wenn die Ähnlichkeit die Philosophie überfordert, ist offenkundig, dass sie für die Kulturwissenschaften eine Herausforderung bleibt. Ich selbst, wie gesagt, werde mich nur im zweiten Feld bewegen, und wenn es mir um Theorie geht, dann mit Blick ausschließlich auf Medien und Alltagskultur. 24 BILDSTRECKE: Zwillinge Google-Bildersuche ›Zwillinge‹ 25 Ähnlichkeit als Geschäftsmodell: Das Influencer-Paar Lisa und Lena.1 1 Youtube-Video: Musical.ly: Lisa and Lena – Best of Compilation 2016 (8,5 Mio. Aufrufe); https://www.youtube.com/watch?v=diJWyKLMQh8. 26 »Ecke Wunderland Kunst- und Tattoostudio – Die drei Schwes- tern, dreimal Schleierkraut.«2 Foto, präsentiert auf einer Bier- Webpage: »Zwillinge oder nur Verwandte? Auch die Bierstile Porter und Stout sind schwierig auseinanderzuhalten.«3 Siamesische Zwillinge4 2 Abb.: © Laura Adams, Ecke Wunderland; https://de-de.facebook.com/1086677444799841/ photos/die-drei-schwestern-dreimal-schleierkraut-bei-interesse-an-unseren-arbeiten- kont/1388407661293483/, 15. 3. 19 3 https://www.gradplato.com/kategorien/portraits-all/eineiige-zwillinge-oder-nur-verwandte- porter-und-stout. 4 Abb.: https://www.gala.de/lifestyle/galaxy/abigail---brittany-hensel--siamesische-zwillinge- haben-eine-interessante-berufswahl-getroffen-21464514.html; Abigail und Brittany Hensel 27 BILDSTRECKE: Doppelgänger Google Bildersuche: Doppelgänger gehen mit ihrem Schicksal äußerst offensiv um und treten immer wieder in den Medien auf. Vgl.: https://www.youtube.com/watch?v=YYJqlIygTvM. 28 BILDSTRECKE: Partnerlook 5 6 7 8 9 5 Abb: https://www.instagram.com/bonpon511/. 6 Abb.: https://malteklein.de/product/paerchen-hoodie-king-queen-negativ-individualisier- bar-mit-wunschnummer-mann-frau-paar-pullover-zum-bedrucken-partnerlook-fuer-sie- ihn-schwarz-grau-blau-rot/ (Link inzwischen nicht mehr erreichbar). 7 Abb.: © onlyfashionluxury, https://www.pinterest.de/pin/503347695844490310/. 8 Abb.: © Pitti Uomo. 9 Abb.: © Wolfgang Vogelsang; https://www.fotocommunity.de/photo/partnerlook-wolfgang- vogelsang/39100869, Dank f. d. Gen. d. Reproduktion. 29 BILDSTRECKE: Herr und Hund Google Bildersuche: Ähnlichkeit, Herr und Hund 30 3 Faszination am Unklaren, Schmutzigen, an dem, was die Unterscheidungen unterläuft 1. Zwischen Befremden und Faszination: Foucault Ich möchte nun einen Autor befragen, der in der Lage ist, zwischen Kritik und Wiederaufwertung, Ablehnung und Faszination an der Ähnlichkeit zu vermitteln.1 Und zudem bietet sich Gelegenheit, die Spannungsachse zwischen Identität und Differenz näher in den Blick zu nehmen, die ich im Folgenden – wie gesagt – immer wieder aufgreifen werde. Ähnlichkeit ist als Begriff auf verwirrende Weise unterbestimmt, und in der Sache schillernd ambig und irreduzibel pluralisch. Dies wird deutlich, wenn Foucault den ersten Teil seiner ›Ordnung der Dinge‹ unter den Begriff der ›Ähnlichkeit‹ stellt;2 an diesem Text, denke ich, kann man einige der wider- sprüchlichen Affekte zeigen, die die Ähnlichkeit auslöst, und zu einer ersten Einordnung kommen. Versuchen wir also nachzuvollziehen, auf welche Weise Foucault die Ähnlichkeit innerhalb einer größeren theoretischen Landschaft verortet. Foucault teilt die Geschichte des europäischen Denkens bekanntlich in drei große Blöcke ein: das erste Denksystem, die erste Episteme, ist die der ›Ähnlich- keit‹; sie reicht von der Renaissance bis etwa zum Ende des 16. Jahrhunderts. Die zweite ist die der ›Klassik‹ oder der ›Repräsentation‹; sie umfasst, wieder sehr grob, das 17. und 18. Jahrhundert; die dritte Episteme der ›Moderne‹ beginnt etwa um 1780. In der ersten Episteme also geht es um Ähnlichkeit. »Bis zum Ende des sechzehnten Jahrhunderts«, schreibt Foucault, 1 Das vorliegende Kapitel geht auf einen Kurzvortrag zurück, den ich 2016 auf einem Work- shop zur Ähnlichkeit in Weimar gehalten habe. Der Text wurde überarbeitet. 2 Foucault, Michel: Die Ordnung der Dinge. Frankfurt a. M. 1974, S. 46 ff. (EV., frz.: 1966). 31 »hat die Ähnlichkeit im Denken (savoir) der abendländischen Kultur eine tragende Rolle gespielt. Sie hat zu einem großen Teil die Exegese und Interpretation der Texte geleitet, das Spiel der Symbole organisiert, die Erkenntnis der sichtbaren und unsichtbaren Dinge gestattet und die Kunst ihrer Repräsentation bestimmt. Die Welt drehte sich in sich selbst: die Erde war die Wiederholung des Himmels, die Gesichter spiegelten sich in den Sternen, und das Gras hüllte in seinen Halmen die Geheimnisse ein, die dem Menschen dienten. Die Malerei imitierte den Raum, und die Repräsentation, war sie nun Fest oder Wissenschaft (savoir), gab sich als Wiederholung.«3 Foucaults Darstellung dieser Phase – und damit komme ich zu meinem Punkt – ist interessant, weil sich bis in die Wahl der sprachlichen Mittel hinein deutliche Zeichen von Befremden, um nicht zu sagen: von Horror, mit einer gewissen Ironie und durchaus auch Sympathie für dieses unterge- gangene Denksystem mischen. So spricht Foucault, um nur ein paar Stellen herauszugreifen, von »diese[m] ganze[n] wunderbare[n] Gewimmel von Ähnlichkeiten«.4 »Die Ähnlichkeit«, sagt er, »bleibt niemals in sich selbst fest, sie wird nur fixiert, wenn sie auf eine andere Ähnlichkeit verweist, die ihrerseits neue anspricht […]. Es handelt sich also um ein Wissen, das durch unendliche Anhäufung von Bestätigungen, die sich [in] einander auflösen, vorgehen kann und muß.« »So scheint die Wissenschaft jener Epoche mit einer schwachen Struktur ausgestattet zu sein.«5 Ähnlichkeit regiert auch das Verständnis der Sprache: »[Im 16. Jahrhundert ist] die Sprache kein willkürliches System; sie ist in der Welt niedergelegt und gehört zu ihr«. »[Sie ist] eine opake, mysteriöse, in sich selbst geschlossene Sache, eine fragmentierte und von Punkt zu Punkt rätselhafte Masse, die sich hier und da mit den Figuren der Welt mischt und sich mit ihnen verflicht, und zwar so sehr und so gut, daß sie alle zusammen ein Zeichennetz bilden, indem jedes Zeichen in Beziehung zu allen anderen die Rolle des Inhalts oder des Zeichens, des Geheimnisses oder des Hinweises spielen kann und tatsächlich spielt. […] In ihrer ursprünglichen Form, als sie den Menschen von Gott gegeben 3 Ebd., S. 46. 4 Ebd., S. 56 (Erg. H. W.). 5 Ebd., S. 61, 63 (im Original fehlt das ›in‹; Erg. u. Hervorh. H. W.). 32 wurde, war die Sprache ein absolut sicheres und wahres Zeichen der Dinge, weil sie ihnen ähnelte.«6 Entsprechend spricht Foucault von einem »unendliche[n] Schäumen der Sprache, die sich unaufhörlich entwickelt, sich selbst aufnimmt und ihre aufeinanderfolgenden Formen überlappen läßt.«7 »In der Souve- ränität des Ähnlichen […] schillerte das rätselhafte, monotone, obstinate, primitive Sein der Zeichen in einer unendlichen Dispersion.«8 Als eine Variante der Ähnlichkeit diskutiert Foucault die ›Sympathie‹; sie hat die Qualität einer Kontamination oder Ansteckung: »Die Sympathie ist eine Instanz des Gleichen (Même) die so stark und so pres- sierend ist, daß sie sich nicht damit begnügt, eine der Formen der Ähnlichkeit zu sein. Sie hat die gefährliche Kraft, zu assimilieren, die Dinge miteinander identisch zu machen, sie zu mischen und in ihrer Individualität verschwinden zu lassen, sie also dem fremd zu machen, was sie waren.«9 Und als Übergangsfigur, die das Ende der Episteme der Ähnlichkeit anzeigt, wählt Foucault schließlich Don Quixote: »[Er ist der] Irre, der in der abendländischen Erfahrung zum Menschen der wilden Ähnlichkeiten geworden ist. […] Er sieht überall nur Ähnlichkeiten und Zeichen der Ähnlichkeit. Alle Zeichen ähneln sich für ihn, und alle Ähnlichkeiten haben den Wert von Zeichen.«10 Ähnlichkeit – das wird im Zitierten deutlich geworden sein – fügt sich kaum dem, was wir heute unter ›Wissen‹ verstehen würden. Foucaults Rede von Vermischungen und Überlappungen, Gewimmel, schwacher Struktur und gefährlicher Assimilation zeugt von deutlichen Widerständen und löst beim Lesen Widerstände aus. Ähnlichkeit erscheint als vollständig unbeherrschbar, und letztlich als ›Schmutz‹. 6 Ebd., S. 66 f. (Erg. u. Hervorh. H. W.). 7 Ebd., S. 73. 8 Ebd., S. 76 (Erg. H. W.). 9 Ebd., S. 54 (Hervorh. im Original). 10 Ebd., S. 81 (Erg. u. Hervorh. H. W.). 33 Und so betrachtet völlig konsequent schlägt dann mit dem Übergang von der ersten zur zweiten Episteme das schwirrende Reich der Ähnlichkeiten in das luzide der geordneten Taxonomien um: Mit der ›Klassik‹, schreibt Foucault, »[entsteht in einem] wesentlichen Bruch in der abendländischen Welt« »der Raum eines Wissens […], in dem […] es sich nicht mehr um die Frage der Ähnlichkeiten, sondern um die der Identitäten und Unterschiede handelt.«11 2. Identitäten und Unterschiede Die zweite Episteme räumt mit allen Verwirrungen auf. Die neu ermächtigte Ratio bedient sich der Unterscheidung; und Hauptinstrument ist die Analyse, das systematische Auseinanderlegen der Dinge. Endziel ist die Ordnung, die Taxonomie, bei der es nicht mehr um Ähnlichkeiten, sondern um Identitäten und Differenzen geht. An dieser Stelle scheint mir eine Zwischenüberlegung sinnvoll. Denn gleich- zeitig, denke ich, wird man sich klarmachen müssen, dass wir normalerweise gerade das ›ähnlich‹ nennen, was weder völlig gleich (identisch) noch vollstän- dig verschieden ist. Insofern hat die Ähnlichkeit an beiden Bestimmungen Anteil; sie hat zwischen Identität und Differenz ihren Ort, ein Zwischenreich, das beide Pole miteinander verbindet. Ähnlichkeit kennt Gemeinsamkeiten und Unterschiede und nimmt beide zu gleichen Teilen in Anspruch; auch das macht ihren Status als ›Zwischenreich‹ aus. 11 Ebd., S. 82 (Erg. u. Hervorh. H. W.). 34 Das macht deutlicher, worum es sich bei dem historischen Umbruch hin zur zweiten Episteme eigentlich handelt. Die zweite Episteme, die die Dinge ka- tegorisiert und trennt, und in Taxonomien auf übersichtliche Weise ordnet, macht mit dem Zwischenreich der Ähnlichkeit Schluss. Was bleibt, sind Iden- tität und Differenz. Scheinbar eindeutig, sauber und ›rein‹ tauchen sie aus den Wirrnissen der Ähnlichkeit auf. Ratio und Analyse sind Prozesse der Reinigung. Und natürlich: Nur rückwärts, aus der Perspektive dieser Reinigung erscheint die erste Episteme als verwir- rend, als kontaminiert und kontaminierend, als ›Schmutz‹. Die Analyse schafft Klarheit und scheidet die Dinge. 3. Zweifel Historisch aber war diese Reinigung eine vorschnelle Lösung; das hauptsäch- liche Anliegen der ›Ordnung der Dinge‹ scheint mir zu sein, zu zeigen, dass die erreichte Klarheit selbst scheinhaft ist. Scheinhaft, weil sie ihre eigenen Grundlagen nicht reflektieren kann (dies kann Foucault am Beispiel der ›Re- präsentation‹ zeigen12); scheinhaft, insofern er auch die zweite Episteme als überwunden, als historisch abgeschlossen betrachtet; und scheinhaft in der Erkenntnis, dass die Welt, die die Analyse ja zu begreifen beansprucht, kei- neswegs so aufgeräumt wie die Taxonomien ist. Klassik und Ratio haben einen 12 Ebd., S. 91 ff. 35 Typus von Ordnung hervorgebracht, der die Ordnung des zu Begreifenden überbietet; und folgerichtig fällt sie dem Zweifel anheim, dem Foucault den Namen der Moderne, der dritten Episteme, gibt. 4. Der Zweifel untergräbt zuerst den Pol der Identität Ich möchte Foucault und seine ›Ordnung der Dinge‹ an dieser Stelle verlassen, weil sich der Rest meines Arguments auf ihn nicht mehr stützen kann. Meine These ist, dass der Umbruch von der zweiten zur dritten Episteme, den Foucault um 1780 ansetzt, eine Art Wiederaufführung findet in einem völlig anders gearteten Umbruch, der sich zur Zeit Foucaults in Frankreich ereignet, und an dem Foucault selbst als einer der Protagonisten aktiven Anteil hatte: dem Übergang vom Strukturalismus zum Poststrukturalismus.13 Denn augenfällig ist ja, dass der Strukturalismus fast entschiedener noch als die ›Klassik‹ noch einmal taxonomisch vorging, nach Identitäten und Differenzen suchte und ein fast ungebrochenes Vertrauen in die Zerlegung der Dinge hatte. Der Poststrukturalismus lässt all das hinter sich. Und hier nun – 180 Jahre nach dem Umbruch zur ›Moderne‹ – gewinnt die Krise eine neue Kontur. So fällt ins Auge, dass der Zweifel am Pol der ›Identität‹ ansetzt und zunächst diesen Pol untergräbt. Der Poststrukturalismus – das ist ein Theorie-Klischee – demontiert alle Vorstellungen von Identität und favorisiert in radikaler Weise die Differenz.14 13 Wenn dies stimmt, stellt die ›Ordnung der Dinge‹ – neben allem anderen – eine meta-me- thodologische Überlegung zum eigenen theoretischen Standort dar. Und sicherlich kann man dem widersprechen; denn weder von der Zeitstelle her gehört der Strukturalismus der ›Klassik‹ an, noch teilt er die Vorstellung von Repräsentation, die das Kennzeichen dieser Periode ist. 14 »Hier handelt es sich um nichts anderes als eine Anwendung der klassischen strukturalisti- schen Verhaltensregel, der zufolge ›es eine Ähnlichkeit an sich nicht gibt [!]: sie ist nur ein Sonderfall des Unterschieds [der Differenz], derjenige, wo der Unterschied zu Null tendiert‹. Natürlich steckt alles im Verb ›tendieren‹. Denn die Differenz, so beobachtet der Autor, ›hebt sich niemals vollständig auf.‹ Wir könnten sogar sagen, dass sich nur dort ihr gesamtes begriff- liches Vermögen entfaltet, wo sie sich der unmöglichen Identität asymptotisch annähert – bei Zwillingen zum Beispiel, würde ein amerindianischer Philosoph sagen.« (Viveiros de Castro, Eduardo: Kannibalische Metaphysiken. Berlin: Merve 2019, S.  48 (Hervorh.  u. Erg.  H. W.) (VdC. zitiert Lévi-Strauss) (Dank für den Hinweis an Ulrike Bergermann)). 36 5. Differenz Allerdings ist auch die Differenz, um die es den Poststrukturalisten geht, eine andere als jene ›taxonomische‹, die Foucaults ›klassische‹ Episteme regierte; bei Derrida verwandelt sich Differenz in die differance – in Wiederholung (Zeit) und Verschiebung;15 bei Lacan in die visuell-imaginäre Selbstaffektion vor dem Spiegel;16 bei Lyotard in den ›Widerstreit‹.17 Alle drei versuchen das idealistische Erbe abzuschütteln und die Differenz zu erden, indem sie sie näher an die Empirie rücken oder im Diskurs verorten. Und dennoch: Vielleicht erben auch diese Reformulierungen noch etwas von jener intellektuell bestechenden Klarheit, ›Reinheit‹ und Reinigung, die zur klassischen Episteme gehörten. Und vielleicht speist sich hieraus der Rigo- rismus, mit dem die Intellektuellen meiner Generation, Beispiel sei Tholen,18 den Primat der Differenz propagierten. 6. Ähnlichkeit Ob jede/r meiner Deutung zustimmen kann, ist mir nicht so wichtig; es reicht, wenn sie nicht völlig abwegig ist. Dann nämlich wäre damit zu rechnen, dass nun auch dem zweiten Pol, der Differenz, eine ähnliche Demontage bevorsteht. 15 Derrida, Jacques: Grammatologie. Frankfurt a. M.: Suhrkamp 1983, S. 175, 284, 496, 500 (EV., frz.: 1967); auf ähnliche Weise diskutiert Derrida die Verräumlichung der Selbstaffektion (ders.: Die Stimme und das Phänomen. Frankfurt a. M.: Suhrkamp 1979, S. 125 ff. (EV., frz.: 1967)). 16 Lacan, Jacques: Das Spiegelstadium als Bildner der Ichfunktion. In: ders.: Schriften. Bd. 1, Olten: Walter 1973, S. 61−70 (EV., frz.: 1949). 17 Lyotard, Jean-François: Der Widerstreit. München: Fink 1987 (EV., frz.: 1983). 18 Tholen, Georg Christoph: Platzverweis. Unmögliche Zwischenspiele zwischen Mensch und Maschine. In: Bolz, Norbert; Kittler, Friedrich; Tholen, Christoph (Hg.): Computer als Medium. München: Fink 1994, S. 111−135; ders.: Risse im Zeitgefüge. In: Kunstforum, Nr. 127, Juli/Sept. 1994, Konstruktionen des Erinnerns. S. 142−146. 37 Und exakt an diesem Punkt kommt die Ähnlichkeit wieder ins Spiel; und das wieder aufkommende Interesse für die Ähnlichkeit könnte anzeigen, dass sowohl Identität als auch Differenz keine Sicherheit bieten. Ähnlichkeit, das ist meine Behauptung, hat die subversive Kraft, beide Pole, also auch die Differenz zu unterlaufen und die scheinbare Reinheit der Unterscheidungen anzutasten und zu irritieren. Und zwar vor allem, insofern Identität wie Differenz – gegen ihren Willen – auf Ähnlichkeit verwiesen blei- ben, insofern sie letztlich nur Spielarten, Extrempunkte der Ähnlichkeit sind. 7. Erosion auch am Pol der Differenz Wo und inwiefern aber kann man eine Erosion auch am zweiten Pol – der Differenz – zeigen? Ich möchte mehr als verkürzt zumindest zwei verschiedene Felder nennen. Das erste ist das der Sprache, und hier wird unmittelbar evident, dass Dif- ferenz von Ähnlichkeit abhängig bleibt. Sprache, als ein Bedeutungssystem, als Semantik, lebt davon, dass sie Differenzen beobachtet und festschreibt, dass sie Unterscheidungen macht. So hat die Linguistik den Begriff des Kontrasts in den Mittelpunkt ihrer Vorstellung von Semantik gestellt;19 Umfang, Inhalt und Identität der semantischen Einheiten mögen bestreitbar sein, unbestreitbar ist, dass sie sich unterscheiden. Zumindest die Semantik also fasst die Sprache als eine Maschine der Differenzen, der Analyse auf. Wenn Differenz Unterscheidung ist, aber ist gleichzeitig klar, dass Dinge nie vollständig different sind, sondern immer nur hinsichtlich der jeweils getrof- fenen Unterscheidung. Jenseits der Differenz, jenseits der Merkmale, in denen sie differieren, sind sich die Dinge möglicherweise ähnlich; und ähnlicher als einer ›reinen Differenz‹, einer Differenz, die sich absolut setzt, lieb sein kann. Begriffliches Denken, um ein zweites Beispiel zu nennen, heißt subsumieren, und das heißt Dinge, Konkreta nach relativer Ähnlichkeit zusammenzufassen. Und noch für die exotischsten Paarungen wird man gemeinsame Oberbegriffe finden. Zumindest mit Blick auf die Sprache also scheint sehr bestreitbar, dass diese ausschließlich Differenzen oder Kontraste organisiert. 19 Lyons, John: Semantik. Bd. I, München: Beck 1980, S. 281 ff. (EV., am.: 1977). 38 Und für andere Medien – dies ist mein zweiter Punkt – gilt dies umso mehr. Fotografie und Film haben ihre Pointe darin, dass sie die klaren Differenzen, die die Sprache behauptet, dementieren. Weder gibt es hier fest konventiona- lisierte Einheiten, die den Wörtern der Sprache entsprächen, noch stabil kon- ventionalisierte Kontraste; Fotografie und Film vielmehr sind ein Universum schwirrender Ähnlichkeiten; Identität und Differenz, Ähnlichkeit und Kontrast werden hier ständig aufs Neue verhandelt. Und wichtig ist, dass Fotografie und Film historisch jünger sind als Sprache und Schrift. Mediengeschichtlich bedeuten Fotografie und Film eine Revision; und zwar gerade an der Front jener Distinktionen und Distinktionskraft, die in der Sprache immer schon garantiert schienen. Ich will es bei diesen beiden Punkten belassen; die Medi- enbeispiele werde ich im Folgekapitel etwas detaillierter betrachten. 8. Schluss Im Übergang von der ersten zur zweiten Episteme hatten sich Identität und Differenz gegen die Ähnlichkeit durchgesetzt. Kehrt sich nun also der Vektor um? Ist es nun, in einer Gegenbewegung, die Ähnlichkeit, die der Identität und der Differenz den Boden entzieht? Werden wir in das Reich der schwirrend-irritierenden Ähnlichkeiten zu- rückversetzt, das Foucault in seiner ersten Episteme beschreibt? Das sicherlich nicht, dazu bleibt uns Foucaults Darstellung dieser Denkweise doch zu fern und zu fremd. Sicher aber ist, dass die Ähnlichkeit als Störkategorie mehr als vital und die Frage der Ähnlichkeit eine unerledigte ist. Ähnlichkeit hat die Eigenschaft, dass sie alle Grenzziehungen überschreitet, und die Grenzzie- hung – als eine Basisgeste der Theoriebildung – selbst irritiert. Wer wahrnimmt, nachdenkt oder Dinge analysiert, ist gezwungen, die Dinge auseinanderzulegen und Grenzen zu ziehen. Ähnlichkeit, das ist für mich das nachhaltig faszinierende an dieser Kategorie, befragt das Verfahren der intellektuellen Analyse selbst. 39 4 Eine erste Skizze zur Ähnlichkeit und zur Schemabildung in verschiedenen Medien 1. Intro Ich möchte mich nun den Medien zuwenden und aufnehmen, was ich im vorangegangenen Kapitel bereits andiskutiert habe: Dort habe ich mit Blick auf die Sprache und die Bildmedien vertreten, dass die Ähnlichkeit allzu klare Vorstellungen von ›Identität‹ wie von ›Differenz‹ unterläuft. Dies möchte ich nun ins Positive wenden.1 Parallel dazu nämlich kann man zeigen, dass die Ähnlichkeit selbst Funktion übernimmt und für die Arbeitsweise verschiedener Medien von essentieller Wichtigkeit ist, und zwar nicht obwohl, sondern gerade weil sie eben nicht trennscharf/präzise, sondern mit bestimmten Toleranzen und ›weich‹ operiert. Im Mittelpunkt des Folgenden steht die Schemabildung. Wie diese mit der Frage nach der Ähnlichkeit zusammenhängt, wird Schritt für Schritt deutlich werden; wie in anderen Kapiteln, die noch folgen werden, werde ich verschie- dene Medienkomplexe durchgehen; und beginnen möchte ich mit bestimmten Thesen zur Wahrnehmung, die schon in früheren meiner Veröffentlichungen eine Rolle gespielt haben2 und die ich nun mit Blick auf die Ähnlichkeit noch einmal befrage, weil sie die Basis des Folgenden bilden. 1 Auch diesem vierten Kapitel liegt ein Vortrag zugrunde: Die zentralen Thesen habe ich im Juni 2019 im Kolloquium ›Ähnlichkeit‹ der Universität Tübingen vorgestellt. 2 Zuerst in: W., H.: Der filmische Raum und der Zuschauer. Apparatus – Semantik – Ideology. Heidelberg: Winter 1992, S. 131 f. 41 2. Wahrnehmung Bereits die menschliche Wahrnehmung verfährt nach Kriterien der Ähnlich- keit. In der Zeit um 1900 haben die Gestalttheorie, aber auch Wahrnehmungs- psychologen wie Stern oder Ebbinghaus betont, dass wir große Schwierigkeiten hätten, Dinge überhaupt wahrzunehmen, sie gegen ihren Hintergrund freizu- stellen, wenn wir sie nicht wiedererkennen würden. So beschreibt Ebbinghaus die Situation eines Säuglings, der in seinem Wagen liegt: »Ein ganz junges Kind blicke von einer bestimmten Stelle aus in ein bestimmtes Zimmer. Es empfängt davon einen wenig gegliederten diffusen Gesamteindruck; so oft es seinen Blick wiederholt, wiederholt sich dieser Eindruck. Nun werde es von der Mutter in seinem Wagen in ein benachbartes Zimmer geschoben; in der Hauptsache tritt dann ein anderer Gesamteindruck an die Stelle des ersten. Aber die Mutter und der Wagen sind doch dieselben geblieben. Die von ihnen ausge- henden optischen Reize finden also die ihnen mögliche materielle und seelische Wirkung bereits etwas vorbereitet [...]; den übrigen, abgeänderten Teilreizen fehlt diese zwiefache Begünstigung. [...] Der von [dem Anblick der Mutter] herrührende Eindruck kommt damit einerseits immer leichter zustande, andrerseits reißt er sich immer mehr los von den verschiedenen diffusen Hintergründen, in denen er ursprünglich aufging: die Anschauung der Mutter wird ein immer selbständigeres Glied des jeweiligen Gesamteindrucks.«3 Für die Frage nach der Ähnlichkeit ist hier Folgendes wichtig: Zunächst, dass Objekte der Wahrnehmung nicht einfach gegeben sind, sondern erst langsam, Schritt für Schritt gegen ihren Hintergrund freigestellt und als Objekte kon- stituiert werden. Und damit eng verbunden: Dass sich die Eindrücke erst in der Wiederholung stabilisieren. Wiederholung aber bedeutet Ähnlichkeit. Eindrücke, die einander ähnlich sind, gewinnen Kontur und schichten sich – in Spannung zu den wechseln- den Kontexten – zu festen Wahrnehmungskonzepten auf. Dies erlaubt in der Folge ein Wiedererkennen; die Wahrnehmung ist nicht mehr ausschließlich mit Neuem konfrontiert, sondern kann in Anschlag bringen, worüber sie aus 3 Ebbinghaus, Hermann: Grundzüge der Psychologie. Bd.  2, Leipzig: Veit 1913, S.  15 (im Original: der von ihrem Anblick herrührende). 42 Erfahrung bereits verfügt. Dies schließt ein, dass in den Prozess der Wahr- nehmung das Gedächtnis immer schon involviert ist; mit der Folge, dass die jeweils aktuelle Wahrnehmung keineswegs nur eine aktuelle Wahrnehmung ist. »Kommt das nicht darauf hinaus,« schreibt Bergson etwa zur gleichen Zeit, »daß die distinkte Wahrnehmung durch zwei einander entgegengesetzte Ströme er- zeugt wird, deren einer zentripetaler vom äußeren Gegenstande kommt, während der andere zentrifugale als Ausgangspunkt die ›reine Erinnerung‹ [das Gedächtnis] hat? […] Vereinigt bilden die beiden Ströme in dem Punkte, wo sie zusammen- treffen, die distinkte und wiedererkannte Wahrnehmung.«4 Was Bergson hier erklärt, ist die Tatsache, dass Wahrnehmung immer ei- nen projektiven Anteil hat. Dem Strom der Wahrnehmungen, die von außen kommen, steht ein zweiter Strom gegenüber, der von innen kommt; aus dem Gedächtnis werden die Muster zugespielt, die es möglich machen, das Wahr- genommene zu identifizieren. Auf Basis dieser frühen Wahrnehmungspsychologien nun hat man ausge- baute Schematheorien entwickelt. Ausgearbeitet wurden diese vor allem von der Kognitiven Psychologie; und in der Sache durchaus nicht unproblematisch.5 Das Konzept des Schemas selbst aber ist ein großer Gewinn; zum einen weil es, wie ich zeigen werde, ausgehend von der Wahrnehmung auch in anderen Feldern verwendbar ist; und zum zweiten, weil es – ähnlich eben wie die Ähn- lichkeit – eine gewisse Unschärfe immer schon zugesteht. Schemata, das sagt schon der Begriff, fallen mit dem Schematisierten nicht einfach zusammen. Sie sind abstrakter als das Schematisierte; und gleichzeitig würde man damit rechnen, dass sie zwar stabil, gleichzeitig aber immer abhängig von Entwick- lung, immer im Umbau sind. Wahrnehmung also sucht Ähnlichkeit. Sie beobachtet Ähnlichkeit und ex- trahiert sie aus dem amorphen Material, das die Sinne bieten. Und dies beginnt außerhalb der menschlichen Sphäre schon in der Natur, weil viele Tiere nicht nur über angeborene, sondern auch über erworbene Schemata verfügen. Der Prozess der Schemabildung selbst ist angelegt und verläuft vollständig auto- 4 Bergson, Henri: Materie und Gedächtnis. Eine Abhandlung über die Beziehung zwischen Körper und Geist. Hamburg: Meiner 1991, S. 122 (Erg. u. Hervorh. H. W.) (EV., frz.: 1896). 5 Einige dieser Probleme werde ich in meinem neunten Kapitel darstellen. 43 matisiert; und er geht über die Objekterkennung weit hinaus, insofern auch zeitliche Vorgänge in Prozess-Schemata abgelegt werden; und schließlich gibt es einen Übergang zu nahezu allen anderen Typen von Regularitäten. Sche- mabildung, könnte man sagen, ist der Basismechanismus, auf den letztlich auch Abstraktion und Form zurückgeführt werden können. Gehen wir von der Wahrnehmung nun zu den Medien, und zunächst zur Sprache über. 3. Medium Sprache In der Sprache – ihrer inneren Struktur und ihrer Funktionsweise – spielt Ähn- lichkeit eine herausragende Rolle, und dies auf den unterschiedlichsten Ebenen; so. z. B. wenn man Kontiguität und Similarität unterscheidet, oder wenn de Saussure der syntagmatischen Achse die ›assoziativen‹ Reihen gegenüberstellt, die einer Logik der Ähnlichkeit folgen;6 oder aber in den verschiedenen Di- mensionen sprachlicher Mimesis, die ebenfalls immer Ähnlichkeit implizieren. Aus all diesen Möglichkeiten möchte ich nur eine einzelne herausgreifen und näher verfolgen, und dies ist der Mechanismus der Subsumtion, der für das Funktionieren der Sprache, die Semantik und die Begriffsbildung von absolut grundlegender Bedeutung ist. Wie Begriffe entstehen, ist durchaus strittig. Die linguistische Theorie würde üblicherweise sagen, dass Worte/Be- griffe durch Unterscheidung zustande kommen und dass der Wortschatz sich nach den Regeln von Kontrast und Differenz gliedert.7 Ich werde zeigen, dass Ähnlichkeit eine mindestens ebenso große Rolle spielt; zum einen, weil Unter- scheidung, Differenz und Kontrast nicht einfach das Andere der Ähnlichkeit sind, sondern auf Ähnlichkeit und sogar auf ›Identität‹ zurückbezogen bleiben. Und zum zweiten ganz direkt, insofern Begriffe immer und grundsätzlich subsumieren. Der Begriff ›Pferd‹, um ein Beispiel zu nehmen, verweist nicht auf ein einzelnes Exemplar, sondern auf eine Kategorie oder Gattung, die die unterschiedlichsten Exemplare umfasst; und dies gilt analog, wenn wir Namen ausklammern, für alle Begriffe und Worte. 6 De Saussure, Ferdinand: Grundfragen der allgemeinen Sprachwissenschaft. Berlin 1967, S. 153 ff. (EV., frz.: 1916). 7 Lyons, John: Semantik. Bd. I, München 1980, S. 281−330 (EV., am.: 1977). 44 Hierin liegt einer der entscheidenden Unterschiede zwischen Sprache und Welt, den Zeichen und der Sphäre der Referenten. Und zwar qualitativ wie auch im Hinblick auf Quantitäten: Einer unendlich großen Zahl von Exemplaren steht ein relativ begrenztes Set von Begriffen gegenüber; Voraussetzung dafür, dass möglicherweise nicht die Welt, sehr wohl aber die Sprache in unsere kleinen Köpfe passt. Entscheidend nun ist, dass die Exemplare einander ähneln müssen, damit sie unter einen gemeinsamen Begriff fallen. Die Bildung des Konzepts ›Pferd‹ verdankt sich der Ähnlichkeit. Eine Sprach- gemeinschaft beobachtet, dass bestimmte Tiere einander besonders ähnlich sind; und diese Beobachtung hält sie fest, indem sie diese zu einer Gruppe zusammenfasst und dann mit einem Gruppen-Etikett, der sprachlichen Be- zeichnung ›Pferd‹, versieht. Geht man ins Detail, werden die Dinge komplizierter. Bei der Subsumtion nämlich werden nur ganz bestimmte Beobachtungen, bestimmte Ähnlichkeiten berücksichtigt; diejenigen Merkmale eben, die nach Ansicht der Sprachgemein- 45 schaft ein Pferd zu einem Pferd machen. In anderer Hinsicht können die Exemplare ausgesprochen unähnlich sein, sich also stark unterscheiden. Im Fall ›Pferd‹ etwa ist die Farbe irrelevant; das Merkmal wird für die Begriffsbildung unterdrückt. Die Beobachtung anderer Ähnlichkeiten wird entsprechend zu völlig an- deren Gruppenbildungen führen: Kaninchen und Steine etwa würden sich drastisch unterscheiden, d. h. ganz überwiegend unähnlich sein; und dennoch können sie das Merkmal ›grau‹ teilen. Die Bezeichnung ›grau‹ hält diese eine, sehr partikulare Ähnlichkeit fest. Ein Pferd nun kann ein Pferd, und gleichzeitig grau sein. Dies macht deutlich, dass die Kategorien sich überlappen, sodass man in der Semantik von einem komplexen Geflecht sich überlagernder Ähnlichkeiten und Kontrastachsen ausgehen muss. Weiter wird man festhalten müssen, dass Semantik nicht dar- auf angewiesen ist, dass es sich bei den Ähnlichkeiten immer um solche der Wahrnehmung handelt; und schließlich gibt es viele abstrakte Begriffe, deren Weltbezug indirekt, kompliziert oder strittig ist. Nicht umsonst hat Walter Benjamin die Sprache deshalb ein System ›unsinnlicher Ähnlichkeiten‹ genannt.8 Halten wir fest, dass die einzelnen Begriffe subsumieren; und dass dies immer Ähnlichkeit impliziert. 8 Benjamin, Walter: Lehre vom Ähnlichen. In: Ges. Schriften., Bd.  II/1, Frankfurt  a. M.: Suhrkamp 1980, S. 204−210, hier: S. 207 (EV.: 1933). 46 4. Bildmedien: Fotografie und Film Als zweiten Medienkomplex möchte ich die technischen Bilder, Fotografie und Film, ansprechen, gerade weil diese auf den ersten Blick völlig anders als Spra- che und Schrift funktionieren. Die augenfälligste Dimension von Ähnlichkeit ist die Ikonizität, die Tatsache, dass Bilder, anders als Worte, dem Abgebildeten ›ähneln‹; nicht darum aber soll es mir gehen, vielmehr möchte ich auch hier – beispielhaft isoliert – nur das Problem der Subsumtion diskutieren. Fotografie und Film nämlich haben ihre Pointe darin, dass sie ohne Begriffe auskommen und den Mechanismus der Subsumierung vermeiden. Wo die Spra- che das Wort ›Tisch‹ verwendet, also ein allgemeines Konzept, das zunächst nur eine relativ abstrakte Vorstellung evoziert und noch sehr viele, unterschiedliche Tische bezeichnen könnte, präsentieren Fotografie und Film das Abbild jeweils eines einzelnen Tischs. Die Bilder von Fotografie und Film liefern Konkreta.9 10 9 Wenn ich hier von Konkreta spreche, dann in abgeschliffenem Sinn; als Fachterminus meint ›Konkretum‹ bereits einen Begriff, einen Begriff allerdings, der – im Gegensatz zu Abs trakta – etwas Gegenständliches, konkret sinnlich Erfahrbares bezeichnet. (Vgl.: Wiki- pedia (dt.): Konkretum; http://de.wikipedia.org/wiki/Konkretum). 10 Abb.: Pixabay. 47 Sprache und Literatur müssen zum Mittel der Beschreibung greifen, um Be- griffe zu konkretisieren; und das heißt, dem Begriff weitere an die Seite stellen. Die Bilder dagegen liefern die Deskription immer schon mit; über die Farbe und Beschaffenheit des fotografierten Tisches ist immer schon disponiert; es ist vollständig unmöglich, dass auch nur eine dieser Bestimmungen im Vagen bleibt. Gleichzeitig schwächen die Bilder, ich habe es im vorigen Kapitel andisku- tiert, die Kontraste und Grenzziehungen, die in der Sprache garantiert schie- nen. Fotografie und Film unterlaufen das identifikatorische Denken; Wolken können wie Pferde aussehen, ein Pferd wie ein Schatten, ein Schatten kann einem Fleck ähneln, und zwar mehr als jedem anderen Schatten… Dies ist die eine Seite der technischen Bilder. Doch sie haben noch eine andere, unvermutete Seite, und hier wird es für die Ähnlichkeit endgültig inter- essant. Das Gesagte nämlich heißt nicht, dass jedes technische Bild tatsächlich ein Unikat wäre, oder dass jedes fotografierte Objekt nur für sich selbst stünde. Denn selbstverständlich können wir Fotos oder Filme nur dann verstehen, wenn wir den Tisch – bei aller Konkretheit – als einen Tisch erkennen oder wiedererkennen. In der Konsequenz heißt dies, dass das identifikatorische Denken auch hier eine Rolle spielt; und damit wieder die Ähnlichkeit. Wir können den Tisch nur dann als Tisch identifizieren, wenn wir über ein Konzept, ein Schema, das Stereotyp eines Tisches bereits verfügen. Die Kognitionstheorie sagt uns, dass wir ein ganzes Set, ein System von Schemata und Stereotypen in uns tragen, das uns überhaupt erst erlaubt, der Welt gegenüberzutreten und mit der Welt umzugehen. Den Schatz eines Vorwissens, in dem Medienkompetenz und Realerfahrungen sich mischen. Anzuerkennen, wie zentral die Rolle dieser Schemata ist, fällt z. B. der Filmwissenschaft keineswegs leicht. Meist wird schlicht vorausgesetzt, dass es Schemata gibt, und häufig werden diese pejorativ bewertet; und ebenso gilt für selbstverständlich, dass Filmbilder ›gegenständliche‹ Bilder sind. In der bildenden Kunst ist dies anders. Das Aufkommen der Abstraktion in der Kunst und übrigens auch der experimentelle Film haben gezeigt, wie groß die Verwirrung ist, wenn es sich eben nicht mehr um gegenständliche Bilder handelt, wenn die Bilder das Objekterkennen und unseren Satz etablierter Schemata gezielt unterlaufen. Das System der Schemata in die Analyse der 48 Bildmedien einzubeziehen ist von zentraler Bedeutung, eben weil ohne sie das Medium nicht funktioniert und nicht erklärt werden kann, wie und warum wir Bilder verstehen. Hinter den differenten Oberflächen der Bilder also walten die Schemata und damit – die Ähnlichkeit. Das Set der Schemata und Stereotypen bildet eine zweite Ebene, die – wenig sichtbar – hinter den Bildern liegt. Und diese Schemata stehen, insofern Schemata immer abstrakt sind, in einer systemati- schen Spannung zur Konkretheit der Bilder. 5. Medienvergleich Wenn wir nun auf das zurückgehen, was ich zur Sprache gesagt habe, ergibt sich eine verblüffende Parallele: Die Schemata/Stereotypen nämlich nehmen eine ähnliche Position ein, wie sie im Fall der Sprache die Begriffe haben: Und wie im Fall der Worte/Begriffe ist es wieder die Ähnlichkeit, die den Sprung vom jeweils Einzelnen zum Schema erlaubt. Sofort aber werden auch entscheidende Differenzen deutlich; und zwar vor allem in Bezug auf die Fra- ge, was die beiden Ebenen trennt und welchen Stellenwert sie jeweils haben. Im Fall von Sprache und Literatur sind es Texte, die materiell auf dem Tisch liegen und auf die sich die Aufmerksamkeit richtet. Und da Texte aus Worten/ Begriffen gemacht sind, ist es die obere Ebene in meiner Skizze, die materiell manifestiert und beobachtbar ist. Die Begriffe mit konkreten Vorstellungen zu füllen dagegen bleibt den Lesenden überlassen; hier ist ihre Imagination gefordert; wenn im Text ein Pferd vorkommt, müssen sie sich vorstellen, um 49 was für ein Pferd es sich handelt und welche Farbe es hat. Diese Konkretisie- rung bleibt im Kopf und damit latent. Im Fall von Fotografie und Film ist es genau umgekehrt: Da die materiell manifestierten Bilder, wie gesagt, die Konkreta liefern, sind sie auf der unteren Ebene der Skizze zu finden. Und entsprechend sind es hier gerade die Sche- mata, die latent bleiben, weil die Rezipierenden sie – als Medienkompetenz oder Weltwissen – mitbringen oder bereitstellen müssen. Wie, in aller Welt, aber kann es zu einer solchen Differenz kommen? Vor allem für die Ähnlichkeit: Wieso kann die Ähnlichkeit einmal die Ebene des Latenten, also die vorgestellten Konkreta, und einmal die materiellen, mani- festen Bilder betreffen? Meine Antwort wäre, dass exakt in solchen Differenzen der Grund dafür liegt, dass es überhaupt verschiedene Medien gibt. Möglicherweise wichtiger als die übliche Weise, Sprache von Bildern, begrifflich von visuell, und iko- nische von arbiträren Zeichen zu unterscheiden, wäre damit, wie die Medien mit Ähnlichkeit umgehen, ihre Schemabildung, ihren Typus von Ähnlichkeit organisieren. 6. Computer, maschinelle Objekterkennung Damit mein Medienvergleich nicht allzu abstrakt erscheint, als ein Glasper- lenspiel, das man ebenso gut auch lassen kann, möchte ich noch ein drittes Medium ansprechen, weil dieses nahezu alles, was bisher gesagt wurde, auf einen Punkt zusammenzieht und zeigt, dass es sich um eine sehr konkrete 50 und praktisch relevante Frage handelt. Und dieses Medium ist der Computer, bzw. – um im Feld der Bilder zu bleiben – eine seiner Anwendungen, die maschinelle Objekterkennung. Objekterkennung wird z. B. in der industriellen Produktion eingesetzt, etwa wenn ein Roboterarm nach einem Maschinenteil greifen soll. Zur Steuerung verwendet man Videokameras; und dann braucht man ein Programm, das hilft, das Teil, egal wo es im Haufen liegt, zu finden.11 Schwieriger wird es, wenn es sich um unterschiedliche Dinge handelt; etwa, wenn man prüfen will, ob ein Bild einen Hund oder eine Katze zeigt. Diese Aufgabe, die einem dreijährigen Kind spielend leichtfällt, ist für einen Com- puter ein ernstes Problem. Zunächst müssen aus dem kontinuierlichen Bild, das für sich genommen ja keine Objekte kennt, ›Objekte‹ überhaupt erstmal herausgestanzt werden; und dann geht es darum, die Objekte zu identifizieren; und hierfür muss der Rechner unterscheiden können; er muss über Kategorien verfügen, denen er die Objekte jeweils zuordnen kann. Wie also geht man eine solche Aufgabe an? In einem ersten Schritt hat man versucht, für alle Objekte Listen typischer Merkmale zusammenzustellen. Wenn etwas einen runden Kopf und spitze Ohren hat, ist es möglicherweise eine Katze.12 11 Abb.: © MVTec Software; Dank f. d. Gen. d. Reprod. 12 Abb.: Video: Fei Fei Li: How we teach computers to understand pictures; https://www.youtube.com/watch?v=40riCqvRoMs, Min: 05:00ff. 51 Dieser Ansatz allerdings ist schnell gescheitert, weil sich die konkreten Abbil- dungen stark unterscheiden und kaum ein Bild alle Merkmale erfüllt, die man für unabdingbar halten würde.13 Deshalb ging man einen anderen Weg und setzt inzwischen das sogenannte ›Deep Learning‹ und ›künstliche neuronale Netzwerke‹ (Convolutional Neu- ral Networks) ein.14 Diese Programme haben die Besonderheit, dass sie auf die Definition expliziter Merkmale völlig verzichten; stattdessen werden die Programme ›trainiert‹, indem man sie mit großen Mengen bereits vorhande- ner Bilder füttert. Hierfür sind sehr viele Lernzyklen nötig und der Prozess zerfällt – grob – in drei Phasen: Zu Beginn müssen Menschen dem Netzwerk sagen, um welche Objekte es sich jeweils handelt, was man ›Labeling‹ nennt; in einer zweiten Phase greift man nur noch dann korrigierend ein, wenn das Netzwerk falsche Ergebnisse liefert; so dass in der dritten das Programm schließlich selbstständig läuft und – ohne weiteren Eingriff des Menschen – 13 Ebd. 14 Wikipedia (dt.): Convolutional Neural Network; https://de.wikipedia.org/wiki/Convolutio- nal_Neural_Network. 52 Objekte in Bildern erkennt; oder nur noch so viele Fehler macht, wie die Macher für vertretbar halten. Die Programme sind auf eine extrem große Datenbasis angewiesen. Das bis- her ambitionierteste Projekt ›Imagenet‹ hat seit 2009 eine Datenbank aufgebaut, die Millionen von Bildern enthält und diese nach immerhin 22.000 Katego- rien ordnet. Diese Datenbasis wurde mit Hilfe von 50.000 Crowd-Sourcing- Mitarbeitern – also händisch, von Menschen – erstellt. Und da sie öffentlich zugänglich ist, greifen viele der Projekte zur automatischen Bilderkennung auf diese Daten zurück, um ihre Programme zu trainieren. Bilddatenbanken und neuronale Netze haben die Bilderkennung in einem Maße voran gebracht, das noch vor wenigen Jahren kaum jemand für möglich gehalten hätte. So können die Programme, legt man ihnen Fotos vor, unter- schiedliche Objekte identifizieren.15 Sie erkennen auch solche Objekte, die sich in Bewegung befinden, oder ihre Größe verändern.16 15 Abb.: Video: Joseph Redmon: How computers learn to recognize objects instantly; https://www.youtube.com/watch?v=Cgxsv1riJhI, Min: 03:10ff. 16 Ebd. 53 Und noch wesentlich komplizierter ist der dritte Fall: die Steuerung autonomer Fahrzeuge durch den komplexen Verkehr einer Stadt. Hier muss der Rechner eine Vielzahl von Objekten identifizieren; und zwar auch dann, wenn diese in Bewegung, perspektivisch verzerrt oder teilweise abgedeckt sind; und da Auto- fahren eine zeitkritische Angelegenheit ist und Kleinkinder ziemlich plötzlich auf die Straße laufen, muss das Ganze in Realzeit geschehen.17 All das ist ziemlich eindrucksvoll, auch wenn viele Probleme nach wie vor un- gelöst sind und es noch Jahre dauern wird, bis wir vollautomatische Fahrzeuge auf den Straßen sehen.18 Warum aber gehört die maschinelle Objekterkennung in den hier von mir verfolgten Zusammenhang? Zum einen ist augenfällig, dass es auch hier um Ähnlichkeit geht. Maschinen sollen in die Lage versetzt werden, Ähnlichkeit zu erkennen, eine Fähigkeit, die man bis dahin ausschließlich Menschen zugetraut hätte. Und wenn es gelingt, diese Fähigkeit tatsächlich in Algorithmen zu formulieren, muss man folgern, dass Ähnlichkeit vielleicht eben doch theoriefähig ist. Zum zweiten imitieren die Programme die menschliche Wahrnehmung, und zwar vor allem, insofern sie Wahrnehmung an Wiedererkennen binden. Auch hier gibt es die beiden Ebenen, die ich oben gezeigt habe: Es gibt die jeweils aktuellen Wahrnehmungen und es gibt ›darüber‹ die Schemata (auch wenn diese hier Kategorien heißen). Und wie oben für die technischen Bilder beschrieben geht es darum, die Konkretion der Bilder hinter sich zu lassen und in heterogenem Material Schemata aufzufinden. 17 Abb.: Video: Yolo 9000 Object Detection #7; https://www.youtube.com/watch?v=_kxX09i4fds. 18 Die Probleme sind im zitierten Video selbst gut zu sehen: So ist erschreckend, wie viele Objekte der Algorithmus nicht erkennt. 54 Ein wesentlicher Unterschied allerdings besteht darin, dass den Künstlichen Neuronalen Netzwerken die Kategorien vorgegeben werden, während sie im Fall der Wahrnehmung – das war der Punkt bei Ebbinghaus – im Prozess wiederholter Wahrnehmung aus dem Material emergieren.19 Die Wahrneh- mung bildet ihre Kategorien im Prozess der Wahrnehmung selbst, das können Künstliche Neuronale Netzwerke bislang nicht. 7. Folgerungen Ich gehe damit zu meiner Schlussüberlegung über. Denn wie nun – so wird man fragen müssen – gehören die verschiedenen Bausteine, die ich diskutiert habe, zusammen? Gibt es einen Übergang zwischen den Mechanismen der Wahrnehmung und dem Funktionieren der Medien? Der Rolle der Ähnlich- keit in der Gestalterkennung und der Begriffsbildung der Sprache oder den Schemata im Bilderdiskurs? Ich denke, dass man einen solchen Übergang tatsächlich zeigen kann. Und ich denke, dass mein Computerbeispiel dies schon ein Stück weit veranschaulicht hat. Setzen wir noch einmal bei der Wahrnehmung an. Wahrnehmung, hatte ich gesagt, sucht gezielt nach Ähnlichkeit. Wenn alles Wahrnehmen Wieder- erkennen ist, an die Feststellung von Ähnlichkeit, an Wiederholung und Ge- dächtnis gebunden, und wenn schon unser Wahrnehmungsapparat über eine Schemabildung verfügt, dann liegt es nahe, hier eine Brücke zu den Schemata des Bilderdiskurses zu schlagen. Ganz offenbar sind es ähnliche Mechanismen, die Mutter Natur zunächst unserem Wahrnehmungsapparat eingeschrieben hat, und die die menschliche Geschichte dann als ›Medien‹ im Raum der Kultur installiert. Oder, plausibler: möglicherweise imitieren und verlängern die Medien, was in den Mechanismen unserer Wahrnehmung vorgeformt ist. 19 Dieser Unterschied ist sehr weitreichend. Im Kern geht es darum, dass sich das Material im Prozess wiederholter Wahrnehmung quasi automatisch ordnet; die Schemata und Ka- tegorien bilden sich in der Wiederholung selbsttätig heraus. In der Welt der Rechner setzt man hierfür z. B. Clustering-Algorithmen ein… 55 Wenn dies der Fall ist, dann allerdings – dies muss sofort ergänzt werden – auf signifikante Weise verschoben: Medien operieren im intersubjektiven Raum, im Raum des Kollektivs, und das heißt: zwischen den Menschen, weshalb sie häufig vorschnell auf ›Kommunikation‹ reduziert werden. Und sie operieren im Außenraum, manifest/materiell, insofern sie immer auch Technik in An- spruch nehmen. Will man Kurzschlüsse vermeiden also wird es nötig sein, den Zusammenhang etwas auszubuchstabieren. Wenn Wahrnehmung Ähnlichkeit sucht, hat dies ökonomische Gründe. Es geht darum, die Komplexität der Welt soweit zu reduzieren, dass sie ihren überwältigenden Charakter verliert und zumindest einigermaßen handhabbar wird; und wenn der Wahrnehmungsapparat Schemata ausbildet, die ihm ein Wiedererkennen von Objekten erlauben, dann verhindert er, dass er über- schwemmt wird, wie er zweifellos überschwemmt würde, würde er nur mit absolut Neuem konfrontiert werden. Exakt die gleiche Funktion – dies ist meine Behauptung – haben die Medien. Meine Überlegung zur Subsumtion hat gezeigt, dass auch hier eine Reduzie- rung das Ziel ist. Es gelingt, eine sehr große Zahl von Einzelexemplaren unter einen einzelnen Begriff, ein einzelnes Schema zu bringen; mit der Folge, dass anschließend Begriff oder Schema an deren Stelle treten, sodass – ungleich ökonomischer – nur noch mit Begriff oder Schema gearbeitet werden muss. Auch hier geht es um den Aufbau eines Vorwissens, das es uns ermöglicht, mit dem jeweils Neuen umzugehen. Ähnlichkeit ist die Bedingung und das Gesetz, das diese Reduzierung er- laubt. Ihre Feststellung ist immer perspektivisch, reduktionistisch, selektiv und prekär, weshalb Begriffe und Schemata grundsätzlich ›lügen‹; Medien, die ohne diese Reduktion operieren, aber gibt es nicht. Medien sind in ihrem Funktionieren an die Schemabildung gebunden. Bemerkenswert nun scheint mir, dass diese m. E. sehr zentrale Funktion in den gängigen Mediendefinitionen keine Rolle spielt. Ein Grund hierfür könnte sein, dass man es als selbstverständlich betrachtet, dass Medien Komplexität reduzieren, und die Arbeit übersieht, die die Medien an dieser Front leisten. Und möglicherweise macht es gerade die Tatsache, dass die Wahrnehmung völlig parallel operiert, schwierig, den Mechanismus der Schemabildung in seiner Bedeutung anzuerkennen. Damit aber rückt viel aus dem Blick. 56 In jedem Fall, denke ich, sollte man darauf bestehen, der Maschinerie in die Räder zu schauen. Die erste Folge wäre, dass sich der Fokus dessen verschiebt, was man als kennzeichnend für die Medien ansieht. Möglicherweise eben geht es nicht – oder nicht primär – um ›Kommunikation‹, nicht um Technik oder um Netze/Vernetzung, nicht um Umgebungen oder Medienenvironments, son- dern eben um die Funktion, die Welt mithilfe technisch-symbolischer Systeme aufzubereiten, zu strukturieren, verstehbar zu machen und zu erschließen. Ein weiteres Mal rückt damit der semiotische Aspekt in den Mittelpunkt;20 und die prekäre und nach wie vor ungelöste Frage, wie eine Semiotik aussehen müsste, die diese Seite der Medien tatsächlich fassbar macht. Diese Frage, wie gesagt, ist offen, und wird sicherlich bis auf weiteres offen bleiben. Als Abschlagszahlung aber lässt sich festhalten, dass das Konzept des Schemas ein unverzichtbarer Schlüssel ist, wenn es gilt, unterschiedliche Medien – ihren unterschiedlichen Charakteristika und Funktionsweisen zum Trotz – miteinander zu vergleichen und in Beziehung zu setzen. Und ebenso unabweisbar erscheint mir, dass im Zentrum der Schemabildung die Ähn- lichkeit steht. Schemabildung wie Ähnlichkeit sind an das Kriterium der ›Unschärfe‹ gebunden. Für beide gilt, dass Unschärfe nicht ein Defekt, sondern die Bedin- gung ihres Funktionierens ist; und mehr noch: Sie machen von der Unschärfe einen ausgesprochen intelligenten Gebrauch. Unterschiedliche Dinge unter einen Begriff zu fassen, bedeutet, über bestimmte ihrer Differenzen großzügig hinwegzusehen; und ein visuelles Schema hat seine Pointe darin, dass keine einzelne Wahrnehmung das Schema zur Gänze erfüllt. Auf dieser Unschärfe (wie auf der Ähnlichkeit) setzen alle höheren Funk- tionen, die Leistung der Abstraktion und der Generalisierung, der Typisierung und der Formbildung auf. Dies plausibel oder plausibler zu machen ist das Projekt, das die weiteren Kapitel verfolgen. 20 Vgl.: Winkler, Hartmut: Zeichenmaschinen. Oder warum die semiotische Dimension für eine Definition der Medien unerlässlich ist. In: Münker, Stefan; Rösler, Alexander (Hg.): Was ist ein Medium? Frankfurt a. M.: Suhrkamp 2008. S. 211−221. 57 BILDSTRECKE: Wiederholung, Reproduktion, Kopie, Serie, Ornament 1 DNA-Replikation2 Delay (Hallgerät) der Fa. MXR mit der Be- zeichnung ›Carbon Copy‹;3 (Hall geräte ko- pieren das musikalische Signal und spielen die Kopie mehrfach – im Pegel vermindert und zeitlich jeweils etwas versetzt – auf das ursprüngliche Signal wieder auf…) 1 Youtube-Video: Funny and Genius T-Shirt Pairs, https://www.youtube.com/watch?v=PvDpRZ3nC1w, Min. 0:33. 2 Abb.: https://de.wikipedia.org/wiki/Replikation. 3 Abb.: https://www.guitarcenter.com/MXR/M169-Carbon-Copy-Analog-Delay-Guitar- Effects-Pedal.gc. 59 Zwei Metaphern, die der Drucktechnik entstammen: Stereotyp…4 … und Klischee5 4 Abb: Deutsche Fotothek, CC BY-SA 3.0 de, https://commons.wikimedia.org/w/index. php?curid=7957762. 5 Abb.: Polygraph, CC BY-SA 3.0, https://de.wikipedia.org/w/index.php?curid=1177854. 60 Industrielle Serienproduktion: zwischen sehr ähnlich und ›identisch‹.6 7 8 6 Abb.: USAF  –  nationalmuseum.af.mil, https://commons.wikimedia.org/w/index. php?curid=3442673. 7 Foto: Igor Ovsyannykov; Pixabay. 8 Abb.: https://www.sembo.de/d/hotel-212123_manuela_hotel_bodrum. 61 Ornament, Steinfries im Kreuzgang des Zürcher Großmünsters.9 »Die bisher ältesten bekannten von Urmenschen geschaffenen geometrischen Muster haben Forscher auf der indonesischen Insel Java entdeckt. Die Gravuren auf Muscheln seien zwischen 430 000 und 540 000 Jahre alt, berichten die Wissenschaftler im Fach- magazin »Nature«. Die eingeritzten Linien seien damit mehr als 300 000 Jahre älter als die bisher ältesten unbestritten menschlichen Gravuren.«10 »The oldest mathematical instrument is the Lebombo bone, a baboon fibula used as a measuring device and so named for its location of discovery in the Lebombo moun- tains in Swasiland. The device is at least 35,000 years old. Judging from its 29 distinct markings, it could have been used to either track menstrual or lunar circles, or used merely as a measuring stick.«11 9 Abb.: Hebestreit, Andreas: Ursprünge des Ornaments. Zur Genealogie einer Symbolform; http://www.symbolforschung.ch/hebestreit_ornament.html; Dank für die Genehmigung der Reproduktion. 10 O. A.: Uralte Gravuren auf Muscheln entdeckt. In: Mittelbayerische, online; 3. 12. 14; https://www.mittelbayerische.de/wissen-nachrichten/uralte-gravuren-auf-muscheln-ent- deckt-21981-art1158953.html; Vgl.: https://www.nature.com/articles/nature13962. Abb.: © Wim Lustenhouwer, VU University Amsterdam. 11 O. A.: Ancient African Mathematics; http://www.taneter.org/math.html. Abb.: © Ta Neter Foundation. 62 5 Ähnlichkeit und Kontext 1. Intro Wer über Ähnlichkeit nachdenkt, meine ich, hat es immer auch mit dem Kontext zu tun. Zunächst ganz direkt: Jedes Ding oder Ereignis ist eingebettet in einen Kontext. Es ist umgeben von einer großen Menge mehr oder minder amorphen anderen Materials, das dem Ding auf spezifische Weise unähnlich ist. Was nun geschieht eigentlich, wenn in diesem Material zwei Dinge als ›ähnlich‹ hervortreten? Und weitergehend: Wieso sind wir es gewohnt, in diesem amorphen Material überhaupt Dinge zu unterscheiden? Wieso sind wir sicher, dass ein Hund ein Hund ist; und einem anderen Hund ähnlicher als einer Katze oder einer Parkbank? Müssen wir Hunde kennen? Müssen wir wissen, was ein Hund ist, um den Hund als Hund zu identifizieren? Ist es nötig, dass wir andere Hunde kennen? Vergleichen wir? Stellen wir implizit also immer Ähnlichkeit fest und wirkt diese Ähnlichkeit bei der Wahrnehmung mit? Oder reicht es, dass wir abgrenzen und unterscheiden? Was hindert den Hund daran, in seinem Kontext schlicht zu verschwinden? 2. Verschlingender Kontext Dass der Kontext übermächtig ist und die Dinge zu verschlingen droht, hat am klarsten die Gestalttheorie der 1920er Jahre herausgearbeitet.1 Die Ge- 1 Vgl.: Wertheimer, Max: Über Gestalttheorie. Erlangen: Weltkreis 1925; Koffka, Kurt: Princi- ples of Gestalt Psychology. NY: Harcourt Brace 1935; Köhler, Wolfgang: Gestalt Psychology. NY: Liveright 1929. 63 stalttheorie hat die visuelle Wahrnehmung untersucht und gefunden, dass wir Dinge nur dann als Dinge erkennen, wenn wir in der Lage sind, sie gegen ihren Hintergrund freizustellen. Medienhistorisch war dies eine Reaktion u. a. auf die Fotografie und den Film, zwei Medien, die die Dinge immer einge- bettet in ihren Kontext zuzeigen. Das Licht behandelt alles, was vor die Linse kommt, gleich. Und der Fotograf muss entsprechend – spezifischer als etwa der Maler – dafür sorgen, dass die Objekte, die ihm wichtig sind, nicht im Kontext verschwinden. Die Gestalttheoretiker beobachteten, dass die Wahrnehmung bestimmten Gesetzen folgt, um Objekte als solche überhaupt registrieren zu können. Sie fanden das Gesetz der Prägnanz; und – gleich als zweites – das der Ähnlichkeit: »Einander ähnliche Elemente werden eher als zusammengehörig erlebt als einander unähnliche.«2 Weller, ein Gegenwarts-Autor, erläutert: »Ähnliche Elemente nehmen wir oft als zusammengehörend wahr. Diese Ähnlich- keit kann durch Form, Farbe, Größe, Textur, Position, Symmetrie etc. verursacht werden. Je mehr Gemeinsamkeiten verschiedene Elemente aufweisen, desto stärker wird eine Einheit wahrgenommen.«3 Was aber ist ein ›Element‹ und was eine ›Einheit‹? Die Gestalttheorie geht da- von aus, dass die Wahrnehmung immer mit einem Gewimmel optischer Reize konfrontiert ist; hier kann man z. B. an die Farbpunkte der impressionistischen Malerei denken. Und sie interessiert sich dafür, wie die Wahrnehmung diese zu ›Gestalten‹ zusammenzieht. 2 Wikipedia (dt.): Gestaltpsychologie; https://de.wikipedia.org/wiki/Gestaltpsychologie, 6. 8. 19. 3 Weller, Robert: Gestaltgesetze der Wahrnehmung. https://www.toushenne.de/newsreader/ gestaltgesetze-der-wahrnehmung.html, 22. 3. 19. Weitere Gestaltgesetze sind: »3. Nähe: Ele- mente, die näher aneinander liegen, werden ebenfalls als zusammengehörig wahrgenommen. 4. Geschlossenheit: Geschlossene Strukturen werden bevorzugt. Fehlende Informationen werden gedanklich ergänzt. 5. Gute Fortsetzung: Linien werden so wahrgenommen, als würden sie dem einfachsten Weg folgen und nicht plötzlich die Richtung wechseln. 6. Ge- meinsames Schicksal: Elemente, die sich in dieselbe Richtung bewegen, werden als Einheit wahrgenommen.« (Ebd.). 64 Objekte oder Gestalten also sind nicht vorab gegeben. Und zwar weder in der Wahrnehmung noch in der Welt; denn die Gestalttheorie ist nicht darauf angewiesen, dass es Dinge tatsächlich gibt (dass ein Hund ein Hund ist und in der tatsächlichen Welt herumspringt und bellt). Die Abgrenzung und die Identität der Dinge sind nicht gegeben, sondern sie treten im Prozess der Wahrnehmung, in der Absetzung vom Kontext allererst hervor. Insofern ist es tatsächlich zunächst die Wahrnehmung selbst, die die Dinge konstituiert. Die Gestalttheorie setzt voraus, dass die Wahrnehmung immer schon dazu neigt, das Wahrnehmungsfeld in Objekte zu gliedern; die Wahrnehmung – dies war das Hauptargument gegen die ›atomistische‹ Theorie, die strikt sensuali- stisch argumentierte – begnügt sich mit dem vorgefundenen Farbgewimmel nicht, sondern sie will Ordnung und Gestalten finden. Objekte/Gestalten bilden eine Art mittlerer Ebene zwischen dem Ganzen des Wahrnehmungsfeldes und der Vielfalt der einzelnen Reize. Würde die Wahr- nehmung das Feld nicht in Gestalten gliedern, würde sie von der Komplexität des Wahrgenommenen schlicht überwältigt werden. Und Ähnlichkeit, wie gesagt, ist eines der Kriterien, das diese Gliederung in Gestalten ermöglicht.4 3. Wiedererkennen In anderen Theorien der Wahrnehmung spielt Ähnlichkeit eine fast noch ge- wichtigere Rolle. So hat Ebbinghaus, wie ich im vorangegangenen Kapitel ge- zeigt habe,5 zeitgleich mit den Gestalttheoretikern vertreten, dass die Wahrneh- mung große Probleme hätte, ein Ding überhaupt zu erkennen, es gegen seinen Hintergrund freizustellen, wenn sie das Ding nicht wiedererkennen würde.6 ›Wiedererkennen‹ heißt, dass die Wahrnehmung immer schon vorbereitet ist; und zwar durch eine große Menge anderer Wahrnehmungen, die der ak- tuellen Wahrnehmung vorangingen; jede aktuelle Wahrnehmung verweist auf eine Kette vorangegangener Wahrnehmungsakte zurück; und Wahrnehmung ist immer an Wiederholung gebunden. 4 … so kann man auch das Gesetz der ›guten Fortsetzung‹ (5) und des ›gemeinsame Schicksals‹ (6) als Varianten der Ähnlichkeit interpretieren… 5 Vgl. Kapitel 4, FN 3. 6 Ebbinghaus, Hermann: Grundzüge der Psychologie. Bd. II, Leipzig: Veit 1919 (EV: 1905/13). 65 Im Mittelpunkt steht die Wiederholung und damit – die Ähnlichkeit. Es braucht ganze Ketten wiederholter Wahrnehmungen, damit die Dinge sich – nach dem Muster der Figur-Grund-Unterscheidung – aus dem amorphen Kontext her- ausheben, Kontur gewinnen und sich stabilisieren. Überlegungen wie diese, kommentiert Kittler, »erfragen nur den um 1900 elementaren Bezug zwischen Einzelheit und Hinter- grund, Zeichen und Urbrei, Sprache und Urgeräusch. Und darauf kann die Antwort immer nur lauten, daß diskrete Zeichen [Gestalten/Objekte] aus schierer Iteration entstehen.«7 Gestalten/Objekte also lösen sich schrittweise aus dem Kontext ab. Und dies ist der Punkt, in dem sich Ebbinghaus von der Gestalttheorie unterscheidet: Indem er ganz auf die Wiederholung setzt, hebt er den Aspekt der Zeit hervor, den Prozess, in dem sich ›Gestalten‹ herausbilden. 4. Raum und Zeit Hier nun erscheint es sinnvoll, zwei Arten von Ähnlichkeit zu unterscheiden: Der einfachste Fall ist ein räumliches Nebeneinander. Ich stelle fest, dass in 7 Kittler, Friedrich A.: Aufschreibesysteme 1800−1900, München: Fink 1985, S. 327 (Erg. u. Hervorh. H. W.). 66 meinem Sichtfeld (einem Bild, einer Szene) zwei Dinge einander ähnlich sind. Ich kann zwischen beiden Din- gen hin- und herblicken. Sie sind Teil des gleichen Raums, gleichzeitig aber sind sie – das ist wichtig – durch an- deres Material (durch den Kontext) räumlich voneinander getrennt. Im Fall der Kühe ist dies die Wiese, die den Hintergrund bildet und die keinerlei Ähnlichkeit mit den Kühen hat.8 Und ähnlich, sobald es um Wiederholung geht; allerdings ist es nun ein zeitlicher Abstand, der zwischen den ähnlichen Dingen liegt. Entsprechend braucht es die zusätzliche Instanz des Gedächtnisses, damit ich Ähnlichkeit überhaupt feststellen kann.9 Im Normalfall also sind die Dinge, die ich als ähnlich empfinde, durch einen räumlichen oder zeitlichen Abstand voneinander getrennt. Diese Bestimmung ist wichtig, gerade weil Similarität und Kontiguität häufig nicht genau genug unterschieden werden. Similarität – selbstverständlich – ist Ähnlichkeit, und Kontiguität meint räumliche oder zeitliche Nähe. Immer wieder aber gibt es Verwirrung, z. B. wenn Similarität als ›semantische Nähe‹ bestimmt wird;10 8 Abb: Pixabay: Susanne Jutzeler, suju-foto. 9 Abb.: Eigene Darstellung auf der Basis von: Pixabay: Alexas Fotos. 10 Ein Beispiel sei die Einleitung bei Bhatti, Anil; Kimmich, Dorothee: Ähnlichkeit. Ein kul- turtheoretisches Paradigma. Konstanz: Univ. Press 2015, S. 7−31, S. 13; oder auch Kimmich, D.: Ins Ungefähre. Ähnlichkeit und Moderne. Konstanz: UP 2017, S. 38−41; mein Einwand betrifft nur den genannten Punkt... 67 eine räumliche Metapher, die Similarität in die Nähe [sic!] der Kontiguität rückt. Es lohnt also, Kontiguität auf physikalische Nachbarschaft (Nähe in Raum und Zeit) einzuschränken; und wenn man dies tut, wird deutlich, dass Similarität raum-zeitlichen Abstand, also das Gegenteil von Nachbarschaft/ Nähe, impliziert. Zwei Ausnahmen allerdings seien zumindest andiskutiert. So kann es vor- kommen, dass ähnliche Dinge eben doch unmittelbar aneinandergrenzen; Beispiele seien das Reihenhaus oder andere Formen natürlicher oder indu- strieller Serialität.11 Auch hier – wie schon oben bei Stern und bei Ebbinghaus – macht es erst die Ähnlichkeit möglich, einzelne Häuser, Wohnungen oder Blätter überhaupt freizustellen und voneinander zu unterscheiden. Wir erkennen Ähnlichkeit, Serialität und Struktur, und schließen von dort auf die einzelnen Elemente zurück. Und wir betrachten die Dinge als ähnlich, nicht weil, sondern obwohl sie unmittelbar aneinander grenzen. 11 Abb.: Pixabay: Hermann Traub; Peggy und Marco Lachmann-Anke; Mabel Amber. 68 Der zweite Fall betrifft wieder die Wiederholung. Sobald man nämlich zwei Dinge in zeitlichem Abstand als ähnlich wahrnimmt, muss man sich fragen, ob es sich um zwei verschiedene Dinge handelt, die einander eben nur ähnlich sind, oder aber um dasselbe Ding, das sich – wie geringfügig auch immer – verändert hat, also etwa um einen entfernten Bekannten, der sich die Haare hat schneiden lassen. Die Dalmatiner-Serie oben zeigt ganz offenkundig un- terschiedliche Exemplare. Im Fall des entfernten Bekannten dagegen geht es um Selbstähnlichkeit, als eine Variante oder Bedingung von Identität.12 Im Normalfall also sind die Dinge, die man als ähnlich empfindet, durch einen räumlichen oder zeitlichen Abstand getrennt. Sie sind ›Inseln‹ in einem Meer heterogenen Materials.13 Die spezifische Leistung der Ähnlichkeit nun besteht darin, dass sie die räum- liche oder zeitliche Distanz überbrückt und die Dinge – ungeachtet ihres Ab- stands – miteinander in Beziehung setzt:14 Was aber bedeutet dies strukturell? Sicher ist, dass hier eine Ordnung entsteht, die nicht an den Euklidischen Raum gebunden, keine raum-zeitliche Ordnung, 12 Vgl.: Kapitel 12. Identität und Selbstähnlichkeit. 13 Abb.: © Can Stock Photo: Jag_cz; Reprod. gen. 14 Eigene Darstellung. 69 keine An-Ordnung ist.15 Ähnlichkeit kann geringe oder aber auch sehr große Abstände überbrücken; vergleichbar einem Link im Internet, bei dem die räumliche Entfernung ebenfalls keine Rolle spielt.16 Noch einmal also die Frage: In welchem ›Raum‹ sind diese Bezüge lokalisiert? 5. Hyperraum, der Raum der ›Links‹ Klar ist, dass dieser Raum nur in wenigen Fällen offen zutage liegt. Im Fall der beiden Kühe oben wäre dies der Fall; sie sind Teil des gleichen Bildraums, und ich kann, wie gesagt, innerhalb dieses Raums hin- und herblicken. Schon 15 Kimmich diskutiert den selben Gedanken; auch wenn ich die von ihr gewählten Begriffe für problematisch halte: »Ähnlichkeit konnotiert so etwas wie eine qualitative Nähe. Es gibt räumliche Nähe von Dingen, zeitliche Nähe von Ereignissen, die zahlenmäßige Nähe von Quantitäten zueinander, die qualitative Nähe z. B. von Farben, Geschmack oder Gerüchen. […] Ähnlichkeitsbeziehungen sind verwendbar für die Beschreibung von Verhältnissen, die eine relative Nähe und eine relative Ferne zugleich implizieren und dabei die jeweilige Entfernung nicht als unüberwindbar, sondern immer eher als eine zu überbrückende prä- sentieren. Ähnlichkeiten markieren einen Ort, der nicht identisch ist mit dem eigenen, der aber auch nicht in der Fremde liegt. Es ist der Ort zwischen dem Fremde[n] und dem Eigenen und damit der Ort bzw. der Raum – auch metaphorisch –, der als dritter Raum Begegnung und Kommunikation ermöglicht.« (Kimmich, Ins Ungefähre, a. a. O., S.  40f. (Erg. u. Hervorh. H. W.)). Kimmich, das wird vor allem in Bhatti/Kimmich ›Ähnlichkeit‹ deutlich, interessiert sich für Ähnlichkeit vor allem als Basis interkultureller Begegnung. In dem eingeschobenen »auch metaphorisch« aber liegt für mich das Problem: Mir wäre darum zu tun, das Verhältnis von Ähnlichkeit und Kontext zunächst soweit immer möglich materiell zu beschreiben und die Grenzlinie zwischen räumlicher Nähe (Kontiguität) und Ähnlichkeit (Similarität) möglichst klar herauszustellen. Deshalb würde ich den Begriff der Nachbarschaft oder Nähe für raum-zeitliche Verhältnisse reservieren (FN 9), auch wenn meine Rede von einer ›Überbrückung‹ natürlich ebenfalls metaphorisch ist. Und auch Cassirer schreibt: »Hier […] wird gefordert, daß das Bewußtsein – entgegen seinem Grundcharakter, entgegen dem Heraklitischen Fluß des Werdens, in dem es steht und in welchem es allein zu bestehen scheint – nichtsdestoweniger zweimal, ja unbeschränkt oft in die gleichen Fluten einzutauchen vermag. Über die Distanz der objektiven Zeit und der Erlebniszeit hinweg soll ein Inhalt als ständiger und beständiger gefaßt, soll er mit sich selbst als identisch gesetzt werden.« (Cassirer, Ernst: Philosophie der symbolischen Formen. 3 Bde. Darmstadt: WBG 1977, Bd. 3, S. 134 (Hervorh. H. W.) (EV.: 1923/25/29)). 16 Zumindest aus der Sicht des Nutzers, auf der Ebene der technischen Realisierung ist das anders. 70 im Fall der Dalmatiner ist dies anders; hier ist der direkte Vergleich nur dann möglich, wenn ich die fraglichen Bilder zum Zweck des Vergleichs nebeneinan- derlege. In seinem Text zu den Immutable Mobiles hat Latour diese Operation als konstitutiv für unsere Wissensordnung beschrieben.17 Sammlung, Archiv und Museum, Arbeitstisch, Kartentisch oder der Tisch im Labor sind Orte, an denen durch Zusammentragen und Vergleich, den Zusammenprall des Heterogenen und die Feststellung von Ähnlichkeit neue Erkenntnis entsteht.18 In den meisten Fällen aber, auch das wurde gesagt, wird das Gedächtnis als Instanz dazwischen geschaltet sein, und der Inhalt des Gedächtnisses ist uns – abgesehen von Introspektion und ›Erinnerung‹ – weitgehend opak. Und auch in den erstgenannten, scheinbar übersichtlichen Fällen geht Ähnlichkeit immer über die aktuell betrachteten Exemplare hinaus. Immer verweist sie auf weitere Exemplare, die gerade keineswegs anwesend sind; und man kann zuspitzen: Erst dieser Verweis auf abwesende weitere Exemplare macht die aktuell betrachteten zum Exemplar. Eine royal overlooking position, die alle ähnlichen Exemplare in den Blick bekäme, gibt es nicht. All dieses deutet darauf hin, dass der fragliche Raum, der Raum, in dem die Ähnlichkeiten ihren Ort haben, nicht nur kein physikalischer Raum ist, sondern sich in großen Teilen der Wahrnehmung entzieht. Und kann dies verwundern? Bereits de Saussure hatte gesagt, dass zwar die syntagmatischen Ketten (etwa die Verkettung von Worten in Sätzen) manifest, ›in praesentia‹ und beobachtbar seien, die paradigmatischen Ketten, deren Basis die Ähn- lichkeit ist und die die Bedeutung bestimmen, aber ›in absentia‹, also latent.19 17 Latour, Bruno: Die Logistik der immutable mobiles. In: Döring, Jörg; Thielmann, Tris- tan (Hg.): Mediengeographie. Theorie – Analyse – Diskussion. Bielefeld: Transkript 2009, S. 111−144 (EV., am.: 1987). 18 Ebd. 19 De Saussure, Ferdinand: Grundfragen der allgemeinen Sprachwissenschaft. Berlin: De Gruy- ter 1967, S. 154 (EV., frz.: 1916); de Saussure selbst hatte die paradigmatischen ›assoziative Reihen‹ genannt; später setzte sich der Begriff ›paradigmatisch‹ durch. Aus dieser Tren- nung hat die Psychoanalyse insbesondere Lacans viel, die Kulturwissenschaft, denke ich, aber relativ wenig gemacht. Mit und gegen Lacan vielmehr hat man sich, weil Bedeutung materiell schwer zu beobachten ist, frontal gegen jede Annahme von Bedeutung gewandt und auftrumpfend behauptet, wenn man das Signifikat schon nicht fassen könne, müsse man sich mit den Signifikanten bescheiden. Diese Lösung ist scheinhaft und hat die Kultur- wissenschaften von einigen ihrer Kernthemen abgedrängt. 71 Meine Behauptung ist, dass der Raum der Ähnlichkeiten – zumindest über- wiegend – zum kollektiv Unbewussten oder nur teilweise Bewussten gehört. Wir erkennen Ähnlichkeit und wir handhaben Ähnlichkeit routiniert, etwa im Umgang mit Bildern oder indem wir sprechen, aber wir können sie nicht überblicken und nicht beherrschen; das Ganze, das System von Ähnlichkei- ten bleibt strukturell unbewusst. Auf diese Bestimmung werde ich in meiner Schlussüberlegung noch einmal zurückkommen. 6. Grenzen Zunächst aber möchte ich die Frage nach dem Verhältnis von Ähnlichkeit und Kontext wieder aufnehmen. Es wurde gesagt, dass die Ähnlichkeit systema- tisch gegen den Kontext gerichtet ist. In der Wahrnehmung von Ähnlichkeit/ Wiederholung gewinnen die Dinge ihre Identität. Dies aber bedeutet nun gleichzeitig – und dies ist ein unvermuteter, neuer Aspekt –, dass damit die Grenzziehung in den Fokus rückt; die Grenze, die das Ding umschließt und die es aus seinem Kontext herauslöst. Auch diese Grenze ist nur auf den ersten Blick selbstver- ständlich. Die Medientechnik des Zeichnens etwa hebt sie als ›Umriss‹ eigens hervor. Wieso aber ist das nötig? Wieso ist die Grenzlinie zum Kontext so außerordentlich signifikant? 7. Unterscheidung, Feststellen von Unähnlichkeit Bezogen auf die Ähnlichkeit muss ins Auge fallen, dass das Objekt, das sich über Ähnlichkeit konstituiert, an seiner Grenze auf das Unähnliche trifft. Zwi- schen den Dingen, wie gesagt, lagert Material, das möglicherweise amorph, in jedem Fall aber different und unähnlich ist. 72 Die fragliche Grenze ist damit die einer Unterscheidung. Und wenn man üblicherweise ein Ding von einem anderen unterscheidet, ist es hier die Un- terscheidung vom Umraum, die in den Vordergrund tritt.20 Und gleichzeitig kommt mit der Unterscheidung diejenige Kraft ins Spiel, die das Ähnliche auf einer seiner Seiten begrenzt (und das ihm entgegensteht, sofern man das Ähnliche als freundliche Bezugnahme fasst): Kontrast, Diffe- renz und Unterscheidung – ich werde auf diesen Punkt zurückkommen – sind Kräfte der Abstoßung.21 Die fragliche Grenze wird damit zum Schauplatz eines Konflikts, eines Zusammenpralls… Und schließlich passt zum Motiv der Unterscheidung, dass schon die Ge- stalttheorie die visuelle Wahrnehmung als analytisch beschreibt. Offenbar ist die Wahrnehmung darum bemüht, sich die Dinge auseinanderzulegen; und zwar durchaus in jenem wörtlich räumlichen Sinn, wie Krämer ihn für die Diagrammatik zeigt.22 8. Dekontextualisierung Als nächstes ist, immer noch mit Blick auf die ›Grenze‹, nun die Zeitachse wieder einzubeziehen, hatte Kittler doch gesagt, dass die Objekte, wie die Wahrnehmung sie konstituiert, in »schierer Iteration« entstehen.23 Wenn Ob- jekte sich in der Wiederholung verhärten, dann heißt dies gleichzeitig, dass die Objekte sich gegen den Kontext verhärten. Die Grenze zwischen dem Objekt und dem Kontext gräbt sich tiefer ein; der Kontrast nimmt zu. Das Objekt kann nur in dem Maße Kontur gewinnen, wie es sich schritt- weise vom Kontext losreißt, vom Kontext unabhängiger wird. Was Kittler beschreibt, ist eine Dekontextualisierung. Das Objekt und sein Umraum rücken auseinander, sie werden einander zunehmend fremd. 20 Auf welche Weise beide Unterscheidungen zusammenhängen, wäre zu klären. 21 Vgl. Kapitel 10. Identität und Differenz. 22 Vgl. z. B.: Krämer, Sybille: Operative Bildlichkeit. Von der ›Grammatologie‹ zu einer ›Dia- grammatologie‹? Reflexionen über erkennendes ›Sehen‹. In: Hessler, Martina; Mersch, Dieter (Hg.): Logik des Bildlichen. Zur Kritik der ikonischen Vernunft. Bielefeld: Transkript 2009, S. 94−121. 23 Vgl. FN 7. 73 9. Entfremdung Bühler hat die interessante Äußerung gemacht, das Zeichen trete als ›Fremd- ling‹ in neue Kontexte ein.24 Für das einmal konstituierte Objekt gilt das glei- che. Der Alltagsverstand würde annehmen, dass Objekte ›gegeben‹ sind. Die Selbstverständlichkeit, mit der das Objekt auftritt, aber ist Schein, seine relative Eigenständigkeit Produkt einer schrittweisen Loslösung. Das Bild der verbundenen Inseln oben mag dies illustrieren: Das Objekt wendet sich von seinem konkreten Kontext ab und anderen Objekten zu, die zwar räumlich entfernt, ihm selbst aber ähnlich sind. Auch insofern ist die Au- ßengrenze des Objekts Schauplatz eines Zusammenpralls, eines Konflikts. An dieser Grenze begegnen sich zwei Systeme, die völlig unterschiedlichen Regeln folgen: der konkrete Umraum (Kontext) ist unbestreitbar materiell gegeben, mit Nähe assoziiert, und möglicherweise kontrollierbar, vertraut. Das zweite System der Bezugnahmen am Maßstab der Ähnlichkeit ist ›unsichtbar‹. Es schlägt Brücken in eine Fremde, die vom Kontext her nicht kontrolliert wer- den kann. – Vielleicht ein weiterer Grund, warum Ähnlichkeit als abgründig beschrieben wird. 10. Identität Das Objekt, hatte ich gesagt, wendet sich vom jeweiligen Kontext ab und anderen Objekten zu, die zwar räumlich entfernt, ihm selbst aber ähnlich sind. Es stabilisiert sich, indem es sich auf etwas bezieht, was außerhalb seines Kontextes ist. Auf diese Weise gewinnt es seine Identität. Und dies nun führt auf einen Gedanken, der einigermaßen abgründig ist: In der Sache nämlich bedeutet dies, dass das Objekt sein Eigenstes, seine Identität, aus der Fremde bezieht. Mit sich identisch ist, was sich gegen die Zeit, im Durchgang durch wechselnde Kontexte, behaupten kann. Was aber, wenn dies eben keineswegs aus eigener Kraft geschieht? Was, wenn sich die Identität der Bezugnahme verdankt, wenn sie – immer und notwendig – geliehen ist? 24 Bühler, Karl: Sprachtheorie. Die Darstellungsfunktion der Sprache. Jena: Gustav Fischer 1934, S. 184; auch diese Stelle habe ich schon in mehreren meiner Texte zitiert. 74 11. Zwischenüberlegung: Wahrnehmung, Dinge und Zeichen An dieser Stelle scheint mir eine kurze Zwischenüberlegung zu meinem eigenen Vorgehen sinnvoll. Denn betrifft, was ich gesagt habe, überhaupt die Dinge selbst? Ich habe meine Argumente fast ausschließlich aus der Wahrnehmung hergeleitet. Wenn gleichzeitig klar ist, dass sich die Wahrnehmung und die Dinge keineswegs immer entsprechen: Würde das Gesagte dann nicht strikt (und nur) auf die Seite der wahrnehmenden Subjekte oder Kollektive fallen? Und schlimmer noch: Sowohl bei Kittler oben als auch bei Bühler kommen zusätzlich die Zeichen ins Spiel. In welchem Verhältnis also stehen Wahrneh- mungen, Dinge und Zeichen? Meine Überlegung zu Kontext und Ähnlichkeit setzt hier auf den weit- reichenden Problemen auf, die die Semiotik, die Erkenntnistheorie und die philosophische Ontologie seit der Antike verhandeln. Entsprechend wäre es aussichtslos, diese hier adäquat diskutieren zu wollen. Vollständig pragmatisch gehe ich deshalb von der naiv-realistischen Haltung aus, mit der auch Philosophen ihren Alltag bewältigen. Ich unterstelle, dass unsere Wahrnehmung – individuell wie kollektiv – sicherlich immer perspek- tivisch, verzerrt und fehlerhaft ist, zumindest strukturell aber nicht vollständig fehlgehen kann, insofern sie das Überleben der Gattung immer mit zu gewähr- leisten hatte.25 Und zum zweiten, dass wir keinen anderen Zugang zur Welt als den praktischen Umgang mit ihr, die Wahrnehmung, die Wahrnehmung der Wahrnehmung und das Nachdenken über Wahrgenommenes haben. Entsprechend glaube ich nicht, dass Ähnlichkeit allein eine Sache der Wahr- nehmung ist. Es scheint mir risikoarm anzunehmen, dass Kaninchen auch unabhängig von jeder Wahrnehmung anderen Kaninchen ähnlicher sind als z. B. Steinen (auch wenn es kompliziertere Formen von Ähnlichkeit gibt und Ähnlichkeit der Wahrnehmung die der Sache nicht garantiert). 25 Die verschiedenen Konstruktivismus-Varianten, die in den Kulturwissenschaften der letz- ten 30 Jahre Konjunktur hatten, hatten ein kritisches Potential dort, wo sie den Blick auf die Tatsache gelenkt haben, in welch entscheidendem Maß kulturelle Codes unseren Blick auf die Welt formen. Dort allerdings, wo sie in die positive Gewissheit umschlagen, dieser Blick sei ›nichts‹ als von Menschen gemacht, nichts als Konstruktion, wird das Argument sinnlos und klinkt sich aus den Problemen der Erkenntnistheorie aus. Entsprechend hat es inzwischen relative rüde Revisionsbewegungen wie den New Materialism gegeben… 75 Und wenn dies so ist, dann kann es sinnvoll sein, über das Verhältnis von Ähnlichkeit und Kontext, die Frage der Objekt-Identität, die Rolle der Wieder- holung und der Kontextentbindung und über Status des Objekts als ›Fremdling‹ auch außerhalb des Felds der Wahrnehmung nachzudenken. Möglicherweise zeichnen auch hier die Mechanismen der Wahrnehmung nur nach, was – wie gebrochen oder verschoben auch immer – relevante Strukturen auch des zu Beobachtenden sind. 12. Zeichen Wieso aber geht es bei Bühler plötzlich um Zeichen? Warum hatte schon Kittler denselben Sprung von der Objekterkennung über die Wiederholung hin zu den Zeichen gemacht?26 Meine Behauptung ist, dass es tatsächlich einen systema- tischen Übergang von der Objekterkennung, die Bestandteil der ›natürlichen‹ Wahrnehmung ist, hinein in den Raum der Zeichen gibt. Und ich möchte auch diesen Übergang kurz skizzieren, weil, wie ich eingangs gesagt hatte, meine Perspektive auf die Ähnlichkeit letztlich eine semiotische ist. Wenn Wahrnehmung Objekte nicht erkennt, sondern wiedererkennt, wenn sie also darauf angewiesen ist, dass der aktuellen Wahrnehmung eine Kette ähnlicher Wahrnehmungen in der Vergangenheit vorangeht, dann ist Ähnlich- keit, wie gesagt, in den Prozess der Wahrnehmung immer schon eingebaut. Die Wahrnehmung von Objekten hängt von der Wahrnehmung von Ähnlichkeit ab. In der Sache bedeutet dies, dass die natürliche Wahrnehmung immer schon analog zum Funktionieren der Zeichen verfährt: Etwas grobschlächtig könnte man sagen, dass die Menschen den Wahrnehmungsobjekten, die sich in der Iteration aus dem Kontext herausgelöst und gegen den Kontext bereits sta- bilisiert hatten, nur noch Etiketten (Benennungen) aufkleben mussten, um diese als Konzepte/Begriffe/Zeichen zu konstituieren. Die eigentliche Arbeit der Generalisierung und der Kontextentbindung war schon getan. 26 Ich zitiere noch einmal: »Darauf kann die Antwort immer nur lauten, daß diskrete Zeichen aus schierer Iteration entstehen« (vgl. FN 7). 76 Die Differenz zwischen Wahrnehmungsobjekten und Zeichen wäre, dass die Wahrnehmungsobjekte im Kopf der Wahrnehmenden ihren Ort haben, während die Zeichen materielle Objekte sind. Mit ihrer Signifikantenseite sind sie Teil der materiellen Welt, oder besser: man entnimmt der materiellen Welt bestimmte materielle Objekte,27 um sie als Signifikanten (als Etiketten für Wahrnehmungsobjekte) zu verwenden. Man nutzt die Stabilität materieller Dinge, um den Wahrnehmungsobjekten, die dadurch zu Zeichen werden, Stabilität zu verleihen. Und gleichzeitig werden die Wahrnehmungsobjekte, sobald sie als Zeichen materialisiert sind, zum Teil der materiellen Welt, selbst anschaubar, selbst zu Objekten der Wahrnehmung. In gewisser Weise werden sie aus dem Dunkel der Köpfe befreit. Ob die Wahrnehmungsobjekte dem Individuum gehören, sei dahingestellt,28 einmal zu Zeichen geworden jedenfalls gehören sie dem Kollektiv. Zeichen stellen Quasi-Objekte dar, die festhalten und reifizieren, was ansonsten zwar Bedingung der Wahrnehmung, gleichzeitig aber immer strittig wäre. Wenn dies alles einigermaßen plausibel ist, dann gibt es zwischen den Me- chanismen der Wahrnehmung und den Zeichen eine verblüffende Kontinuität. Verblüffend, weil man die Mechanismen der Wahrnehmung der natürlichen Grundausstattung des Menschen zurechnen würde, während man die Zeichen als eines der anthropologischen Kennzeichen ansieht, die die Menschen aus der Naturgeschichte herauslösen und zu kulturellen Wesen machen. Zeichen sind sicherlich Sonderdinge, gleichzeitig aber sind sie in der Struktur unserer Wahrnehmung immer schon angelegt. 13. Schlussüberlegung Was nun hat meine Überlegung zu Ähnlichkeit und Kontext erbracht? Haupt- ergebnis scheint mir zu sein, dass Ähnlichkeit gegen den Kontext gerichtet ist, dass es sich bei Ähnlichkeit und Kontext um zwei Systeme handelt, deren Funktionsweise sich klar unterscheidet. Ich stelle einige der Eigenheiten noch einmal zusammen: 27 …Laute oder Schriftzeichen auf Papier… 28 Auch die Wahrnehmung hat sicherlich einen über-individuellen Aspekt. 77 Zum zweiten wirft die Tatsache, dass Kontext und Ähnlichkeit sich so radikal unterscheiden, die Frage auf, auf welche Weise beide verbunden sind. Klar ist, dass zunächst nur der Kontext ›gegeben‹ ist. Der Status der Ähnlich- keit dagegen ist strittig: Wenn ich sie hier aus der Wahrnehmung herleite, als derjenigen Instanz, die die Ähnlichkeit registriert, dann wäre die Ähnlichkeit, wie gesagt, eine Sache der Wahrnehmung allein. Fällt die Ähnlichkeit auf die Seite der Dinge selbst, ist die Frage, wo sie ihren Ort hat, umso irritierender. Sicher ist, dass sich Ähnlichkeit dem Kontext entringt. Sie braucht mehr Raum und mehr Zeit, um hervorzutreten und Gestalt zu gewinnen; auf der Seite der Wahrnehmung mehr Erfahrung, auf der Seite der Dinge eine größere Menge von Material. Das System der Ähnlichkeiten ist das ›Skelett‹, das dem Material, das die Kontexte aufhäufen, eingezogen ist. 78 Ein weiteres Ergebnis gehört ebenfalls ins Feld der Ontologie, denn etwas flapsig könnte man sagen, dass es ohne Ähnlichkeit keine Dinge gibt. Wie gezeigt wurde, verschaffen Ähnlichkeit und Vergleich den Dingen überhaupt erst Kontur; in dem doppelten Sinn, dass die Dinge im Kontext verschwänden, wenn sie nicht in Wiederholung und Wiedererkennen ihre Grenze gewinnen würden, und damit ihr Sosein (ihr Sein?) und jene begrenzte Autonomie, die wir unterstellen, sobald wir von ›Dingen‹ sprechen. Ähnlichkeit also schreibt in die aufgehäuften Kontexte zurück und schafft Struktur dort, wo ansonsten nur Aufhäufung wäre. Die Identität der Dinge, wie gesagt, ist gegen den Kon- text gerichtet. Letztlich geht es darum, wie das ursprüngliche Chaos sich in ›Dinge‹ gliedert, wie aus dem Chaos (Kontext) Ordnung entsteht.29 Bereits die Schöpfungsge- schichte hat die Entstehung von Ordnung zum Thema gemacht; der Anspruch meiner Darstellung ist ungleich geringer; mir ist es ausschließlich darum zu tun, bestimmte Implikationen der Ähnlichkeit zu beschreiben. Ein viertes Ergebnis betrifft die Semiotik. Wenn es tatsächlich stimmt, dass die Mechanismen der Wahrnehmung übergehen in das Reich der Zeichen, wenn die Zeichen tatsächlich Etiketten sind, die man Wahrnehmungsobjekten aufgeklebt hat, Objekten, die die Wahrnehmung selbst in der Wiederholung bereits dekontextualisiert, generalisiert und stabilisiert hatte, wenn die Zeichen Quasi-Objekte sind, die die Wahrnehmungsobjekte aus dem Dunkel der Köpfe befreien und sie materiell – im Außenraum – zum Gegenstand einer kollektiven Beobachtung machen, dann sollte man die Semiotik so umstrukturieren, dass sie diesen Übergang – und nicht einen abstrakten Zeichenbegriff – in den Mit- telpunkt stellt. Meine Perspektive auf die Ähnlichkeit, um dies noch einmal zu sagen, ist eine semiotische; und ich werde in den folgenden Kapiteln eine Skizze liefern, was die Ähnlichkeit zu einer veränderten Semiotik beitragen kann. Und schließlich erscheint mir die Tatsache wichtig, dass Ähnlichkeit mit dem kollektiv Unbewussten verquickt ist, insofern Ähnlichkeit, anders eben als der Kontext, nicht völlig überblickt, ausgeschöpft oder kontrolliert werden kann. Wenn gesagt wurde, dass wir mit Ähnlichkeit dennoch routiniert um- gehen können, dann erscheint sie mit der Opazität unserer Praxen assoziiert; 29 Vgl: Kapitel 8: Ordnung. 79 wenn sie gleichzeitig – als Skelett der Dinge – auf die Seite dessen fällt, was es zu erkennen gilt, dann ist auch dies einigermaßen irritierend. Das Spannungsverhältnis zum Kontext erweist sich als der entscheidende Punkt, wenn es gilt, der Funktionsweise der Ähnlichkeit näher zu kommen. Ein ›Skandal‹ ist die Ähnlichkeit nicht, weil sie fuzzy oder schwer zu definieren ist, sondern weil sie sich – anders eben als der Kontext – einer strikt materia- listischen Herangehensweise strukturell widersetzt. 80 6 Tarnung, Mimese, Anverwandlung an den Kontext 1. Intro Das letzte Kapitel hat festgestellt, dass Objekte sich gegen ihren Kontext durch- setzen müssen; sie gewinnen ihre Identität, indem sie sich gegen den Kontext armieren. Daneben aber scheint es mir einen zweiten Mechanismus zu geben, der dem grundsätzlich entgegengesetzt ist: Wenn es gerade um Abgrenzung ging, um eine zunehmende Unterscheidung/Absetzung vom Kontext und den Gewinn von Identität, so kann Ähnlichkeit – ganz im Gegensatz dazu – auch Annäherung oder Anverwandlung an den Kontext bedeuten. Assimilation, Mimese1, Camouflage, Tarnung und Täuschung setzen darauf, dass das Ding seine Kontur verliert, sich im Kontext also so weit wie möglich auflöst. Hier wird die Identität nicht schrittweise gegen wechselnde Kontexte durchgesetzt, sondern gerade zur Disposition gestellt. 2. Zwei Arten von Ähnlichkeit? Ähnlichkeit also scheint sich nach ›innen‹ und nach ›außen‹ richten zu können: – Ähnlichkeit mit sich selbst oder mit ähnlichen Dingen produziert Dif- ferenz zur Umgebung (zum Kontext) und mündet in ›Identität‹. – Assimilation, Anähnlichung an den Kontext vermindert diese Differenz und löst die Identität potenziell auf. Und beide Typen von Ähnlichkeit sind an Zeit gebunden: Der erste ist prozess- haft, operiert in Schritten und ist auf Wiederholung angewiesen; der zweite 1 …der Begriff wird gleich diskutiert… 81 nimmt Elemente auf, die sich in der Umgebung (im Kontext) finden, um diese im Inneren zu wiederholen… Hieran schließt sich eine Vielzahl von Fragen an. Denn ist es nur ein Un- terschied im Interesse – im Fall der Mimese etwa das Interesse, nicht gefressen zu werden – der zu dem fraglichen Unterschied führt? Oder ein Wechsel der Perspektive, da die Täuschung ja immer nur eine Seite betrifft? Oder ein Kon- flikt zwischen Oberfläche (Anschein/Schein) und dem, was das Ding eigentlich ist, insofern das Chamäleon, wenn es sich verfärbt, ja dasselbe bleibt, seine Identität nicht in Frage steht? War es ein Fehler, wenn das vorige Kapitel über die Wahrnehmung argumentierte? Oder kann man, was interessanter wäre, hier tatsächlich etwas über die Ähnlichkeit lernen? 3. Mimese Wechseln wir zunächst auf das Feld der Zoologie. »Als Mimese (gr. μίμησις mímēsis, Nachahmung) wird in der Biologie eine Form der Tarnung bezeichnet, bei der ein Lebewesen in Gestalt, Farbe und Haltung einen Teil seines Lebensraumes annimmt und so für optisch ausgerichtete Feinde nicht mehr von der Umwelt unterschieden werden kann.«2 Diese Anpassung kann die körperlichen Eigenschaften einer biologischen Art betreffen, etwa wenn die Farbstreifen der Libelle deren Körper nahezu unsicht- bar machen oder das gefleckte Rehkitz vor dem Waldboden fast verschwindet. Oder auch feststehende Verhaltens- und Bewegungsmuster, wie im Fall der ›Blatt-Schrecken‹, die nicht nur aussehen wie die sie umgebenden Blätter, sondern sich auch ähnlich bewegen wie Blätter im Wind.3 2 Wikipedia (dt.): Mimese; https://de.wikipedia.org/wiki/Mimese; Wikipedia zitiert: Remane, Adolf; Storch, Volker; Welsch, Ulrich: Kurzes Lehrbuch der Zoologie. Stuttgart: Gustav Fischer 1989, S. 352. 3 Libelle: Abb.: https://www.libellen.tv/beschreibung/tarnung.html; Rehkitze; Abb.: Anri- ta1705, Pixabay; Blattschrecke: Abb.: Theuerkauf, Sandilya; http://upload.wikimedia.org/ wikipedia/commons/1/12/LeafInsect.jpg. 82 Mit Blick auf die Ähnlichkeit noch interessanter, denke ich, sind diejenigen Fälle, in denen Tiere sich aktiv und flexibel an wechselnde Situationen anpassen. Das Chamäleon etwa gleicht seine Farbe der Umgebung an; und Tintenfische können – blitzschnell – sogar die plastische Struktur des Untergrunds durch Veränderung ihrer Haut imitieren.4 4 Chamäleons: Abb.: Harry Fabel, Pixabay; colibri5, Pixabay; Sepia: Abb.: © Thomas Schoch; https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=2197299; Dank f. d. Genehmigung d. Reproduktion; Krake: Abb.: Taken; Pixabay; vgl. auch das: Youtube-Video: https://www. youtube.com/watch?v=wAAJJ82k56Q. 83 Und schließlich gibt es Tiere, die für ihre Tarnung fremde Objekte ein- setzen, die sie in der Umgebung finden. So der Steinfisch, der Material auf seinen Rücken häuft, und zwar nicht, weil er fürchtet gefressen zu werden, sondern weil er als Jäger unsichtbar bleiben will; aber auch Einsiedlerkrebse, die Seeanemonen auf ihrem Schneckenhaus sammeln; oder die ›Dekorier- Spinnenkrabbe‹, die jedes ihrer Beine mit Muscheln besetzt.5 Der Unterschied zwischen diesen Strategien ist, dass man die Färbung der Libelle der blinden Evolution zurechnen würde, d. h. den Mechanismen der natürlichen Selektion, die auf lange Sicht honorieren, wenn das Tier in seiner Umgebung unsichtbar ist. Und die Muscheln der Spinnenkrabbe haben selbst- verständlich die gleiche Funktion. Da dieses Tier aber aktiv handelt, und zwar das Muster starr, das konkrete ästhetische Resultat aber durchaus flexibler ist, muss der Eindruck entstehen, dass hier – inmitten der Natur und völlig ohne Zutun des Menschen – bereits so etwas Ähnliches wie Kultur beginnt.6 5 Steinfisch: Abb.: Andreas Schau; Pixabay; Dekorateurkrabbe: Abb.: http://dive.bc.ca/pictures/ crab/crab.html; Einsiedlerkrebs: Abb.: © Helmut Bernhardt; https://naturfotografen-forum. de/o474626-Ein%20Tarnzelt; Dank für die Genehmigung der Reproduktion; Dekorier- Spinnenkrabbe: Abb.: http://www.seepferdchen-und-meer.de/niedere/garnelen-co/krabben- krebse/composcia-retusa-dekorateurkrabbe. 6 Es ist inzwischen Konsens, dass es im Tierreich ›Kulturen‹ gibt; meist aber wird hier erlerntes oder tradiertes Verhalten, und weniger der Umgang mit Dingen, in den Mittelpunkt gestellt. 84 4. Tarnung Entsprechend ist wenig verblüffend, dass ähnliche Mechanismen auch in der menschlichen Kultur zu beobachten sind. Jäger und Soldaten operieren – das ist interessant – wieder auf der Grenze zwischen Kultur und Natur; die Natur als Umgebung scheint besonders kompromisslos Anpassung zu fordern und Ähnlichkeit zu erzwingen.7 7 Wildtierfotograf: Abb.: © Michael Mayer; https://www.michaelmayer-wildtierfotografie. de/tarnung-in-der-wildtierfotografie.html; Dank für die Genehmigung der Reproduktion; Soldat: Abb.: https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Maskowanie.JPEG; Soldat, Afghanis- tan: Abb.: James L. Yarboro; https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=2455936; Angebot Amazon: »10 Meter Militär Camouflage Klebeband Tarnung Tarn Optik Band grün selbstklebend – reissfest – wasserfest – isolierend – nicht reflektierend«; Abb.: https://www. 85 Auch hier geht es um Gefahr, um Leben und Tod. Ob Täter oder potenzielles Opfer, Jäger oder Beute, in beiden Rollen kann es ratsam sein, im Kontext zu verschwinden. 5. Liu Bolin Und nun sollen zwei Projekte vorgestellt werden – eines aus der Kunst und eins aus der Alltagsästhetik –, die die Anverwandlung an den Kontext explizit zu ihrem Gegenstand machen. Das erste ist Liu Bolin, ein international viel beachteter Künstler, der in seinen Bildern das eigene Verschwinden erprobt. Vor einem sorgfältig ausge- wählten Hintergrund lässt er sich Körper und Gesicht von seinen Assistenten bemalen; und zwar in den Farben und Strukturen des Hintergrunds, so dass die eigene Gestalt fast vollständig unsichtbar wird.8 Die Fotos sind spektakulär und einigermaßen verstörend; zunächst, weil der Kontext, der in den meisten anderen Bildern zum ›Hintergrund‹ gemacht und damit entmächtigt wird, sich nach vorne drängt und die Figur dominiert. Und entsprechend, weil – Jäger und Beute – das Künstler-Subjekt seine Hand- lungssouveränität aus der Hand gibt. Bolin verantwortet zwar das Konzept, wechselt dann aber in eine passive Rolle; während der Bemalung, die eine harte Probe der Geduld und eine fast physisch spürbare Entstellung ist, dann im Verhältnis zum übermächtigen Hintergrund, und schließlich als Objekt des Zuschauerblicks. amazon.de/PRHomeProducts/dp/B01EVHEZJY; Abb.: http://www.hubertus-fieldsports.de/ wissen/wp-content/uploads/2010/01/Blog_0340.jpg. Angebot: »Nitehawk Camouflage Kids Ghillie Suit, ₤ 26,95, Colour: Woodland camo, Material: Polyester, Weight: 1.6kg Packed (Approx), Set includes: 1x trousers, 1x jacket, 1x separate hood, 1x rifle wrap, 1x storage bag«; Abb.: https://www.outdoorvalue.co.uk/99184-nitehawk-camouflage-kids-ghillie-suit. html (Link nicht mehr verfügbar). 8 Abb.: © Liu Bolin; vgl.: Youtube: Liu Bolin: Painting myself invisible; https://www.youtube. com/watch?v=1zbv-uuEysI. 86 87 6. Things Matched Their Surroundings Too Well Das zweite Beispiel ist ein Youtube-Video, das Fotos von überraschenden Be- gegnungen in der Welt der Dinge zeigt.9 Ein Objekt trifft auf einen Kontext, der ihm in Muster oder Farbe verblüffend ähnlich ist; und wieder droht der Hintergrund, das Ding aufzulösen oder zu verschlingen.10 9 Youtube-Video: Things Matched Their Surroundings Too Well; https://www.youtube.com/ watch?v=utXSKq4orsI, abgefragt: 13. 3. 19 (Link nicht mehr verfügbar). 10 Abb.: Ebd. 88 Hier ist die Pointe, dass es sich um nicht geplante Treffen handelt, nicht um Design, und nicht um Absicht oder Gestaltung; und wenn Gestaltung dennoch eine Rolle spielt, dann insofern sie offenbar Mustern folgt, die mit unsichtbarer Hand die konkreten Oberflächen hervorbringen. Kleid und Teppich, Schüssel und Bluse sind nicht abgestimmt; und wenn sie dennoch irgendwie ›passen‹, dann zeugt dies nicht von Geschmack, sondern davon, dass das Reservoir der Formen offenbar ein begrenztes ist. 7. Folgerungen Mimese, Tarnung oder Anverwandlung an den Kontext – im Durchgang durch die heterogenen Beispielsphären nimmt, verglichen mit dem letzten Kapitel, nahezu alles eine andere Färbung an: Der Kontext ist nicht feindlich, sondern eher schützend und offensichtlich attraktiv; oder er bleibt feindlich, insofern er Feinde enthält, gegen die er gleichzeitig aber schützt. Die Grenzlinie, die das Objekt umschließt, ist nicht der Ort einer Abstoßung; Objekt und Umgebung vielmehr gehen ineinander über; wobei die Umgebung den Vorrang hat und das Objekt sich anpassen muss. Das Objekt verhärtet sich nicht, sondern stellt sich zur Disposition; jedenfalls soweit es seine Erscheinung, seine Oberfläche betrifft. Es kann seine Identität nicht mehr über Ähnlichkeit oder Selbstähnlichkeit herstellen, weil es seiner Umgebung ähnlich und – gezielt getarnt/entstellt – sich selbst unähnlich ist. Wie also kann es seine ›Identität‹ dennoch garantieren? Wieso, wird man fragen müssen, löst sich das Objekt in seinen Umraum nicht tatsächlich auf? Und weiter haben sich Interesse und Selbstbehauptung verschoben: Wenn die Krabbe ihre Beine mit Muscheln besetzt, geht es um nichts als den Selbster- halt, das Eigeninteresse zu überleben. Die Selbstbehauptung aber nutzt andere Mittel und behauptet nicht mehr dasselbe Selbst. Und schließlich – das ist das Entscheidende – scheint auch die Ähnlichkeit substanziell verschoben: Im vorangegangenen Kapitel schien Ähnlichkeit an Vergleich gebunden. Ähnlichkeit richtete sich auf andere Objekte, die sich, räumlich oder zeitlich getrennt, irgendwo im weiteren Kontext fanden. Ähn- lichkeit war über die Distanz definiert, die sie gleichzeitig überbrückte; über einen Kontext, der dem Objekt zunächst unähnlich war. Nun dagegen ist die 89 Ähnlichkeit auf die unmittelbare Umgebung gerichtet. Statt um Distanz geht es um Nähe; um einen Kontext, der angrenzt und das Objekt berührt. Und mehr noch: Der Kontext greift auf das Objekt über und tastet es an. 8. Medienaspekte Folgerungen schließlich ergeben sich auch auf einem engeren medienwis- senschaftlichen Feld; Tarnung und Mimese nämlich lassen sich durchaus als Kommunikation begreifen; wenn auch in einem besonderen Sinn. Sehen und gesehen werden sind im Tierreich wichtige Mittel der Kom- munikation. Tiere lesen die Körper anderer Tiere und schließen auf deren Verhalten; Drohung/Angriff und Furcht/Flucht oder Unterwerfung, Werbung/ Begehren usf. werden vor allem anderen durch die Körperposition kommuni- ziert. Zwischen Jäger und Beute nun ist dieses Verhältnis in extremer Weise asymmetrisch: Während der Jäger das Interesse hat zu sehen, will die potentielle Beute gerade nicht gesehen werden. Wenn das Beutetier sich also tarnt, entzieht es sich einer Kommunikation, die aus seiner Sicht ohnehin nicht freiwillig ist. Tarnung stellt insofern einen gezielten Kommunikationsabbruch dar. Und mehr noch: eine Art negativer Kommunikation, insofern die Beute aktiv dafür sorgt, dass die Kommunikation nicht zustande kommt. Das Mittel der Wahl ist, Sicht und Objekterkennung zu stören, also eine gezielte Verstärkung des Rauschens im visuellen Kanal. Ähnlichkeit kann hier – klassisch nachrichtentechnisch – als Rauschabstand aufgefasst werden. In dem Maß, wie Tarnung die Ähnlichkeit steigert (den Kontrast zum Umfeld vermindert), wird das Signal im Rauschen verschwinden. Ganz anders der erste Typ von Ähnlichkeit, der im vorigen Kapitel Gegenstand war; er verstärkt die Grenze und hebt die Objekte optisch hervor. Beide Funk- tionsweisen stehen in offenem Widerspruch zueinander. Und dennoch kann Ähnlichkeit offenbar in beide Richtungen wirken. Auch dies trägt sicherlich zu dem Eindruck bei, dass es sich bei der Ähnlichkeit um etwas Unheimliches handelt. 90 BILDSTRECKE: Kunst nachstellen 1 1 Alle Abb.: Video: Getty Museum Challenge – making art in isolation. https://www.youtube. com/watch?v=n2nsKJS1Asw; im Frühjahr 2020 gab es unter dem Stichwort ›5-minute crafts‹ eine ganze Welle solch nachgestellter Kunstwerke im Netz; das genannte Video ist spektakulär, weil es die Reinszenierung im Prozess vorführt und zeigt, dass es tatsächlich nicht viel mehr als 5 Minuten braucht, um ein solches Tableau Vivant herzustellen... 91 92 7 Ähnlich – inwiefern? Eine Überlegung zu den Merkmalen, an denen Ähnlichkeit sich bemisst. 1. Intro Beobachtet man, dass zwei Dinge einander ähnlich sind, ist man gezwungen zu unterscheiden: In bestimmter Hinsicht werden sich die Dinge gleichen, in anderer Hinsicht sind und bleiben sie different. Dies bedeutet, dass wir die Dinge in Aspekte zerlegen. Unsere Beobachtung bleibt nicht bei den Dingen selbst, sondern wechselt quasi auf eine zweite Ebene, auf der nicht mehr die Dinge, sondern deren Ei- genschaften oder Merkmale im Mittelpunkt stehen. In gewisser Weise spalten wir den Gegenstand auf. Hieraus entsteht die Frage, welchen Status die Dinge und welchen Status die Eigenschaften oder Merkmale haben. Sind die Dinge selbst schlicht gegeben? Sind ihre Eigenschaften sekundär? (Sobald man von einer ›zweiten Ebene‹ spricht, wäre dies unterstellt). Vor allem die Philosophie, die Sprachtheorie und die Linguistik haben sich mit diesen Fragen immer wieder beschäftigt. Im Folgenden wird es deshalb vorrangig um die Sprache gehen; und dann möchte ich die Frage erweitern und auch andere Medien diskutieren. Mein Ziel ist, das Problem der Ähnlichkeit fest im Blick zu behalten und alle Über- legungen auf die Ähnlichkeit zurückzubeziehen; dies ist wichtig, weil sich dies nicht bei allen Theorien, die ich ansprechen werde, selbstverständlich ergibt. 2. Zweifel an der Grundannahme – Eine Vorüberlegung Zunächst allerdings erscheint es mir sinnvoll, noch einmal vor meine Aus- gangsthese zurückzugehen. Denn ist es überhaupt richtig, dass wir, konfrontiert mit der Ähnlichkeit, immer nach Merkmalen fragen? Ist es nicht z. B. gerade für Bilder typisch, dass man Ähnlichkeit hier im Ganzen, und das heißt eher 93 spontan und intuitiv feststellen wird? Gleicht man, wenn man sagt, dass zwei Bilder sich ähneln, tatsächlich Merkmale ab? Der Einwand scheint mir berechtigt; und Dorothee Kimmich hat das Ar- gument als kennzeichnend für die Ähnlichkeit insgesamt stark gemacht.1 Und wenn viele Autoren die Ähnlichkeit für nicht theoriefähig halten, für zu vage und kaum plausibel zu definieren, dann hängt auch dies mit der Frage nach den ›Merkmalen‹ zusammen. So spielt Goodman die Annahme, man könne Ähnlichkeit an Merkmalen festmachen, in mehreren Varianten durch, um sie dann zu verwerfen und die Kontextabhängigkeit von Ähnlichkeitsurteilen zu betonen.2 Hahn/Ramscar referieren: »[A]ny two things can be as similar or dissimilar as you like, depending on the respects in which their similarities or dissimilarities are described. […] Unless we specify the respects in which things are said to be similar, the act of saying that they are similar is an empty statement.«3 Eleanor Rosch schlug vor, von ›common criterial attributes‹ (also Merkmalen) zu den ›Familienähnlichkeiten‹ Wittgensteins überzugehen,4 einem Konzept, das Wittgenstein explizit gegen eine mechanistische Auffassung von Ähnlich- keit setzt.5 Oder aber zu ›Prototypen‹, die Gruppen statt über Merkmale über besonders typische Fälle beschreiben: 1 Kimmich, Dorothee: Ins Ungefähre. Ähnlichkeit und Moderne. Paderborn: Konstanz UP 2017. 2 Goodman, Nelson: Seven Strictures on Similarity. In: ders.: Problems and Projects. India- napolis/NY: Bobbs-Merrill 1972, S. 437−447 (EV. 1970); hier: S. 443−445. 3 Hahn, Ulrike; Ramscar, Michael: Introduction: similarity and categorization. In: dies. (Hg.): Similarity and Categorization. Oxford: UP 2001, S. 1−11, hier: S. 3 (Hervorh. H. W.); und Goodman selbst, noch allgemeiner: »Similarity cannot be equated with, or measured in terms of, possession of common characteristics.« (G., Seven Strictures, a. a. O., S. 443). 4 »There is a tenacious tradition of thought in philosophy and psychology which assumes that items can bear a categorical relationship to each other only by means of the possession of common criterial attributes. […] [T]he categorical relationship in categories which do not appear to possess criterial attributes can be understood in terms of the principle of family resemblance.« (Rosch, Eleanor; Mervis, Carolyn B.: Family Resemblances: Studies in the Internal Structure of Categories. In: Cognitive Psychology, Nr. 7 (1975), S. 573−605, hier: S. 603 (Hervorh. H. W.)). Auch Kimmich zitiert diese Stelle (a. a. O., S. 26). 5 Wikipedia definiert: »Als Familienähnlichkeit (engl. family resemblance or family likeness, cluster definition) bezeichnet Ludwig Wittgenstein (1889−1951) in seinen Philosophi- 94 »Nicht eine gemeinsame Eigenschaft oder ein Bündel von Merkmalen ist ausschlag- gebend [für Ähnlichkeit und] für die Zusammenfassung verschiedener Elemente zu einer Klasse, sondern ein Kandidat, [ein Prototyp,] der eine bestimmte Klasse am besten vertritt«.6 All diese Ansätze gibt es nur, weil es tiefgreifende Zweifel gibt, ob man Ähn- lichkeit tatsächlich – mehr oder minder mechanisch (?) – an ›Merkmalen‹ festmachen kann, und einige Schwierigkeiten, wenn es gilt, die Merkmale im konkreten Fall zu benennen. Lässt man die Merkmale fallen allerdings ver- ändert sich das Konzept von ›Ähnlichkeit‹ in der Substanz; es wird ›weicher‹, und stärker an das urteilende Subjekt und an dessen Intuitionen gebunden. Dieses veränderte Konzept nun will Kimmich entschieden ins Positive wenden: »Kategorienbildung nach dem Modell der Familienähnlichkeiten muss auf scharfe Abgrenzungen verzichten, also eine gewisse Vagheit der Grenzen in Kauf nehmen. Vagheit selbst rückt dadurch in den Fokus und gilt nicht mehr in erster Linie als zu behebendes Defizit.« »[Es wird deutlich,] dass die Vagheit von Begriffen – wie etwa dem der Ähnlichkeit – neben Problemen auch Potenziale entfaltet.« »Ähnlichkeit ist also ebenso intuitiv wie komplex.«7 schen Untersuchungen (1953) Eigenschaften von Begriffen, die mit einer taxonomischen Klassifikation (Hierarchische Systematik) nicht hinreichend erfasst werden können, ohne dass sich ›der Verstand Beulen holt‹ […]; denn Begriffe können verschwommene, unschar- fe Grenzen haben.« (Wikipedia (dt.): Familienähnlichkeit; https://de.wikipedia.org/wiki/ Familien%C3%A4hnlichkeit). – Und Wittgenstein selbst schreibt: »Betrachte z. B. einmal die Vorgänge, die wir ›Spiele‹ nennen. Ich meine Brettspiele, Kartenspiele, Ballspiel, Kampfspiele, usw. Was ist allen diesen gemeinsam? – Sag nicht: ›Es muß ihnen etwas gemeinsam sein, sonst hießen sie nicht ›Spie- le‹;‹ – sondern schau, ob ihnen allen etwas gemeinsam ist. […] Wir sehen ein kompliziertes Netz von Ähnlichkeiten, die einander übergreifen und kreuzen. Ähnlichkeiten im Großen und Kleinen. […] Ich kann diese Ähnlichkeiten nicht besser charakterisieren als durch das Wort ›Familienähnlichkeiten‹; denn so übergreifen und kreuzen sich die verschiedenen Ähnlichkeiten, die zwischen den Gliedern einer Familie bestehen: Wuchs, Gesichtszüge, Augenfarbe, Gang, Temperament, etc. etc. – Und ich werde sagen: die ›Spiele‹ bilden eine Familie.« (Wittgenstein, Ludwig: Philosophische Untersuchungen. Malden (Mass.): Blackwell 1999, S. 31 f. (EV.: 1953)). 6 Gamm, Gerhard: Flucht aus der Kategorie. Die Positivierung des Unbestimmten als Ausgang der Moderne. Frankfurt a. M.: Suhrkamp 1994, S. 311 f. (Zit. nach Kimmich, Ins Ungefähre, a. a. O., S. 30 (Erg. H. W.)). 7 Kimmich, a. a. O., S. 27, 29, 43 (Herv. H. W.). 95 Durchaus provozierend hat Kimmich ihrem Buch deshalb den Titel ›Ins Un- gefähre‹ gegeben. Einerseits ist ihr Projekt, den Begriff der Ähnlichkeit für die Theorie zurückzuerobern und zu zeigen, dass er für die Kulturwissenschaft unverzichtbar und, wie selbst seine Kritiker zugestehen, »Fundament aller Erkenntnis« ist;8 und andererseits will sie das Konzept offenhalten und gegen mechanistische Deutungen schützen. In der Sache ist dem ausdrücklich zuzustimmen. Gleichzeitig aber schei- nen mir die Familienähnlichkeiten Wittgensteins eine wenig belastbare Basis zu sein, und der Übergang zur Intuition an dieser Stelle zu schnell. Zudem würde ich denken, dass es sich primär um einen Unterschied der Perspektive handelt. Denn selbstverständlich ist es, wenn man nach ›Merkmalen‹ fragt, ein analytischer Blick; und keine Analyse würde behaupten, die Komplexität des Analysierten auszuschöpfen… Es wäre möglich, dass ›Merkmale‹ für die Ähnlichkeit auch außerhalb einer mechanistischen Gesamtkonzeption eine Rolle spielen. Mein Vorschlag ist deshalb, an der Frage nach den Merkmalen zumindest als einem Teilaspekt von Ähnlichkeit zunächst festzuhalten und zu prüfen, ob es Modelle gibt, die in nicht-mechanistischer Weise nach den Merkmalen und ihrer Rolle für die Ähnlichkeit fragen. 3. Auf dem anderen Pol: die Kognitivisten Der erste Theorie-Diskurs, der in den Blick kommt, allerdings gehört fraglos ins ›mechanistische‹ Lager. Denn kaum jemand hat sich so eingehend mit Ähnlichkeit beschäftigt wie die kognitivistische Psychologie; und sie ist der halbverborgene Gegner, gegen den alle nicht-mechanistischen Versuche, Ähn- lichkeit zu bestimmen, argumentieren. Die kognitivistische Psychologie hatte keinerlei Zweifel, dass es bei Ähnlich- keit um ›Merkmale‹ geht. Allerdings fällt ins Auge, dass diese Merkmale völlig unterschiedlich benannt werden, insofern fast synonym von ›features‹ oder ›properties‹, von ›characteristics‹, ›attributes‹, oder ›dimensions‹ die Rede ist.9 8 Ebd. 9 Beispiel sei Hahn/Ramscar (Introduction, a. a. O.): ›features‹: S.  3, 4, 6; ›properties‹: S.  9; ›attributes‹: S. 5; ›dimensions‹: S. 9. 96 Hintergrund ist die Bindung der kognitivistischen Psychologie an den Com- puter. Methodisch hat man sich darauf festgelegt, die psychischen Prozesse, die es zu beschreiben gilt, im Rechner zu modellieren;10 und modellieren kann man nur, was man in Variablen und in Algorithmen fassen kann. Features, properties und attributes sind also Variablen/Deskriptoren; und diesen werden (z. T. auf erschütternd schlichte Weise11) Werte zugewiesen, mit denen man anschließend rechnen kann. Ähnlichkeit wird als ›feature overlap‹ charakterisiert: »Categorization is justified by the observation that objects tend to cluster in terms of their attributes. […] Feature overlap. People notice that a number of objects overlap substantially and proceed to form a category to include these items.«12 Diese Vorstellung hat man ausgebaut, z. B. um auch Merkmale der Unterschei- dung einzubeziehen: »The metric and dimensional assumptions that underlie the geometric representa- tion of similarity are questioned on both theoretical and empirical grounds. A new set-theoretical approach to similarity is developed in which objects are represented as collections of features, and similarity is described as a featurematching process. Specifically, a set of qualitative assumptions is shown to imply the contrast model, which expresses the similarity between objects as a linear combination of the mea- sures of their common and distinctive features. Several predictions of the contrast model are tested in studies of similarity with both semantic and perceptual stimuli. The model is used to uncover, analyze, and explain a variety of empirical phenomena such as the role of common and distinctive features, the relations between judg- ments of similarity and difference, the presence of asymmetric similarities, and the effects of context on judgments of similarity. The contrast model generalizes standard representations of similarity data in terms of clusters and trees. It is also used to analyze the relations of prototypicality and family resemblance.«13 10 …eine einigermaßen weitreichende Entscheidung, wenn man bedenkt, dass die Psychologie es ursprünglich mit dem Seelenleben zu tun hatte; bereits die Einschränkung auf ›Kognition‹ aber, die die Kognitivisten im Namen tragen, bereitet diese Verengung vor… 11 Beispiel sei: Anderson, John R.: The Adaptive Nature of Human Categorization. In: Psycho- logical Review, Vol. 98 (1991), Nr. 3, S. 409−429, hier: S. 415. 12 Ebd., S. 411; Rahmen ist eine Überlegung zur Kategorienbildung… 13 Tversky, Amos: Features of Similarity. In: Psychological Review, Vol. 84 (1977), No. 4, S. 327 (Hervorh. H. W.). 97 Und auch die Prototypentheorie Roschs, die ebenfalls zu den kognitivistischen Ansätzen rechnet, ist eine Modifikation solcher Modelle. »In a prototype model, similarity can be viewed in geometric terms − the closer together items are in feature-space, the more similar they are. Thus more typical category members will be closer in space to the prototype, and less typical category members will more distant. Prototype models account well for findings relating to graded typicality, and offer a formal account of why new exemplars that are very prototypical are likely to be judged as being the better examples of a given category than items farther from the prototype.«14 Im Zitierten wird deutlich, dass es bei den so gefassten ›Merkmalen‹ immer schon um Variablen geht. Und wenn Ramscar/Port von ›feature space‹ oder ›similarity viewed in geometric terms‹ sprechen, dann ist das nicht einfach eine Metapher. Dies hat den Grund, dass die fraglichen Computermodelle mit der Vektor-Theorie arbeiten; einer Theorie, die zwar mehr als drei Dimensionen kennt, sich insgesamt aber an räumlichen Vorstellungen orientiert. Features oder characteristics werden als Dimensionen eines mehrdimensionalen Vek- torraums modelliert, was es möglich macht, Abstandsmaße zu rechnen, die dann zum Maßstab für Ähnlichkeit werden.15 Insgesamt gibt der Computer den Rahmen vor, innerhalb dessen die Ko- gnitivisten die Ähnlichkeit denken. Ob dies tatsächlich noch das trifft, was die Kulturwissenschaft für Ähnlichkeit halten – oder an der Ähnlichkeit für interessant halten – würde, steht auf einem anderen Blatt. Umso wichtiger ist sich zu vergegenwärtigen, dass es ja auch den Kognitivisten letztlich um eine kulturwissenschaftliche Frage geht: Um das Problem, wie innere Vorgänge (psy- chische Prozesse, mentale Konzepte, ›mentale Repräsentationen‹16) modelliert werden können, und wie diese mit dem intersubjektiven Raum der Kultur, 14 Ramscar, Michael; Port, Robert: Categorization (without categories). In: Dabrowska; Eva; Divjak, Dagmar (Hg.): Handbook of Cognitive Linguistics. Berlin/Boston: Mouton De Gruyter 2015, S. 75−99; hier S. 84 (Hervorh. H. W.). 15 Hier sei daran erinnert, dass Ähnlichkeit in der Geometrie eine ihrer stabilsten Defi- nitionen hat; vgl.: Wikipedia (dt.): Ähnlichkeit (Geometrie); https://de.wikipedia.org/ wiki/%C3%84hnlichkeit_(Geometrie); gleichzeitig nähert man sich, sobald man Vektor- Algorithmen einsetzt, der Geometrie wieder an. 16 Noch einmal: Der Kognitivismus gehört fachlich zur Psychologie. 98 mit den Kategorien der Wahrnehmung und der Sprache zusammenhängen.17 Die Computermodelle sollen dazu beitragen, dieses Wechselverhältnis Schritt für Schritt zu erhellen; und auch wenn man die Modelle und die verwendete Terminologie für inadäquat hält, sollte man nicht ausschließen, dass auch ein kulturwissenschaftliches Verständnis der Ähnlichkeit von diesen Überlegungen lernen kann. 4. Goldener Mittelweg? Ist es also möglich, zwischen den beiden Klippen hindurchzusteuern und einen mittleren Weg zwischen der Intuition und den Algorithmen zu finden? Hier scheint mir sinnvoll, etwas weiter auszuholen und einige der traditionellen Konzepte heranzuziehen, die es mit Ähnlichkeit und ›Merkmalen‹ immer schon zu tun haben, aber keineswegs versuchen, diese in Vektormodelle bannen. Der Durchgang durch diese traditionellen Konzepte erfordert etwas Geduld (und eiligen Lesern sei angeboten, das Kapitel beiseite zu lassen), aber er wird sich rentieren, insofern er die Überlegung auf eine breitere Basis stellt. 5. Prädikation Eine erste, klassische Antwort auf das Problem der ›Merkmale‹ gab die Phi- losophie mit dem Konzept der ›Prädikation‹, das schon in der Sprachtheorie der Antike entwickelt wurde. Prädikation, sagt Wikipedia, »ist ein (sprach-)philosophischer Fachbegriff, der [abgeleitet von lateinisch prae- dicare: bekanntmachen, ausrufen bzw. praedicatio: Aussage, Bekanntmachung] eine sprachliche Handlung bezeichnet, durch die einem Gegenstand (Ding, Objekt, Sachverhalt) Eigenschaften zu- oder abgesprochen werden.«18 17 Dass im Amerikanischen viele Begriffe nach beiden Seiten hin schillern, macht die Sache nicht einfacher (so kann am. ›concept‹ sowohl ein mentales Konzept als auch einen sprach- lichen Begriff meinen). 18 Wikipedia (dt.): Prädikation, https://de.wikipedia.org/wiki/Pr%C3%A4dikation, 14. 9. 18 (Hervorh. u. Erg. H. W.). 99 Prädikation nannte man einerseits den sprachlichen Akt, in dem die Zuwei- sung der Eigenschaften geschieht;19 zum zweiten die syntaktische Form, die Subjekt und Prädikat miteinander verbindet, und zwar insbesondere dann, wenn es um definitorische Sätze ging.20 Zum dritten hat man ausgehend von der Prädikation gefragt, ob die Eigenschaften den Dingen selbst oder nur den Worten, den Begriffen, zukommen;21 und weitergehend, worum es sich bei den ›Eigenschaften‹ eigentlich handelt. Hier ist zunächst interessant, dass die Eigenschaften im Griechischen κατηγορήματα22 hießen, was darauf hinweist, dass die Nennung von Eigen- schaften mit der Fähigkeit der Sprache zusammenhängt, Kategorien zu bilden, und das heißt, den Wortschatz in unterschiedliche Abstraktionsstufen zu glie- dern, was eine Hierarchie, eine Ordnung in Ober- und Unterbegriffe unterstellt. Und hier gibt es einen Übergang zur Logik, insofern man etwa gefragt hat, inwieweit es möglich ist, aus den Eigenschaften eines Oberbegriffs (Tier) auf die der untergeordneten Begriffe (Löwe oder Ziege) zu schließen.23 Zum zweiten hat man ebenfalls bereits in der Antike versucht, akzidentielle von nicht-akzidentiellen Eigenschaften zu trennen.24 Nicht-akzidentiell (essen- tiell25) wären Eigenschaften, die ein Gegenstand zwingend haben muss, um zu sein, was er ist. Akzidentiell entsprechend wären solche, die der Gegenstand zwar hat, die unter bestimmten Umständen aber wegfallen können. 7. Adjektive Als zweites hat sich auch die Sprachwissenschaft, wie könnte es anders sein, auf die vielfältigste Weise mit der Frage der ›Eigenschaften‹ beschäftigt. Hier 19 Ebd. 20 »Subjekt A ist b, c oder d«. Vgl.: Stichwort: Prädikation. In: Ritter, Joachim; Gründer, Karl- fried (Hg.): Historisches Wörterbuch der Philosophie. Bd. 7, Basel 1989, S. 1194−1211. 21 Ebd., S. 1194. 22 Ebd., S. 1195. 23 Vgl. zum Stichwort Prädikatenkalkül: Lyons, John: Semantik. Bd. I, München: Beck 1980, S. 160−167 (EV., am.: 1977). 24 Vgl.: Ritter, Prädikation, a. a. O., S. 1196 f. 25 Ebd., S. 1197. 100 ist zunächst wichtig, dass die Sprache mit den Adjektiven eine Wortform aus- geprägt hat, die nur und ausschließlich dazu dient, bestimmten Eigenschaften einen Namen zu geben. Während Substantive Dinge (oder Klassen von Din- gen) bezeichnen, kennen Adjektive eine solche ›ontologische‹ Entsprechung nicht. Sie können nicht für sich alleine stehen, sondern bezeichnen, was an den Dingen beobachtet werden kann. ›Rot‹ kann sowohl eine Rose als auch das Blut eines geschlachteten Tieres sein. Adjektive also haben die irritierende Eigenheit, dass sie die unterschiedlichsten Dinge miteinander verbinden, ohne Rücksicht darauf, wie tief der Abgrund ist, der diese Dinge inhaltlich trennt. Und diese Fähigkeit, Querverbindungen im Wortschatz zu schaffen, steht in deutlichem Gegensatz zur Annahme einer schlicht-hierarchischen Struktu- rierung der Sprache. 8. Lexikondefinition Einen weiteren Zugang zu den ›Eigenschaften‹ liefert das Beispiel der Lexikon- definition. So schreibt Lyons in seinem Standardwerk zur Semantik: »Man betrachte z. B. die folgende Spezifikation [der Bedeutung] von ›Walroß‹, die in der Form einer typischen Lexikondefinition gegeben ist: ›eines von zwei Spezies (Odolenus rosamarus und Odolenus divergens) von großen seehund-ähnlichen arktischen Säugetieren, mit Flossen und langen Stoßzähnen‹.«26 Lexikondefinitionen also rufen Begriffe auf, die sie als bekannt voraussetzen, um den jeweils nicht bekannten Begriff zu definieren; und immer, schreibt Lyons, gehe es darum, die Aufmerksamkeit auf ein oder zwei hervorstechende Merkmale, im Fall der Walrösser die Stoßzähne, zu lenken.27 Hier wären Merk- male Auffälligkeiten, und zwar vorrangig solche, die eine Unterscheidung von anderen Dingen erlauben. Und zunächst scheinen diese – wie selbstverständ- lich – auf die Seite der Dinge selbst zu fallen, so wie sie in der Welt gegeben sind, von der Sprache also unabhängig zu sein, bzw. mit sprachlichen Mitteln nur nachgezeichnet zu werden. 26 Lyons, Semantik, Bd. 1, a. a. O., S. 221 (im Original: …der Denotation…, Erg. H. W.). 27 Ebd., S. 222. 101 Das Stichwort der Unterscheidung aber weist bereits auf die Sprache und ihre spezifischen Leistungen hin. Hat man doch als eine ihrer augenfälligsten Eigenschaften beschrieben, dass der Wortschatz entlang von Kontrastachsen gegliedert ist; ›groß‹ steht ›klein‹ gegenüber, ›laut‹ ›leise‹ usf.28 Dies ist Grund- lage für die ›Strukturelle Semantik‹,29 und allgemeiner für die Fähigkeit der Sprache, die Welt zu gliedern und zu analysieren. Und gleichzeitig ergibt sich hier eine erste Brücke zurück zur Ähnlichkeit, insofern man nur das unterscheiden muss, was ansonsten möglicherweise verwechselbar wäre, was in anderer Hinsicht also ähnlich ist. »Oppositionen«, schreibt Lyons lapidar, »werden entlang einer Dimension der Ähnlichkeit gemacht«.30 Dies deutet darauf hin, dass die Frage nach der Ähnlichkeit, das Problem der Eigenschaften oder Merkmale, die Operation des Vergleichens/ Unterscheidens und die Sprache tatsächlich systematisch zusammenhängen.31 9. Zwischenüberlegung: Merkmale, Sprache und Ähnlichkeit Wie aber kann man sich diesen Zusammenhang vorstellen? Dass die Sprach- theorie sich mit dem Problem der ›Merkmale‹ befasst, dürfte deutlich gewor- den sein. Aber sind dies notwendig dieselben Merkmale, nach denen wir im 28 Ebd., S. 281−300. 29 Ebd. 30 Ebd., S. 296. 31 Hampton meint kurioserweise, die Lexikondefinition habe mit Ähnlichkeit nichts zu tun, weil sie stattdessen (?!) auf ›Identität‹ zurückgehe: »Another class of categories which could only tautologically be explained in terms of similarity is the class of concepts with explicit definitions. For example being a ›triangle‹ depends on a small number of explicit criteria, such that only similarity in those respects is relevant to class membership. To say that all triangles are similar to each other in respect of being closed figures having three straight lines for sides, three angles, and internal angles that sum to 180° is to say little more than that all triangles possess all these properties. Similarity reduces to identity. Categories of this kind are clearly not based on similarity, except in a tautological sense. Similarity must mean more than simple identity on a particular dimension or combination of dimensions.« (Hampton, James, A.: The role of similarity in natural categorization. In: Hahn/Ramscar: Similarity and Categorization, a. a. O., S. 14); das Beispiel scheint mir zu zeigen, dass es be- zogen auf die Ähnlichkeit auch auf Seiten der Kognitivisten noch einigen Klärungsbedarf gibt… 102 Kontext der Ähnlichkeit fragen? Sind Merkmale notwendig Merkmale der Ähnlichkeit? Warum Sprache? Sprache – das wird in meinen anderen Kapiteln noch wesentlich deutlicher werden – hat es tatsächlich in einer privilegierten Weise mit Ähnlichkeit zu tun, und es scheint mir insofern kein Zufall zu sein, dass, wenn man nach der Ähnlichkeit fragt, immer wieder Sprache und Sprachtheorie in den Blick kommen. Semantik – sprachliche Bedeutung – konstituiert sich als ein System von Kategorien. Worte, Begriffe stehen nicht für ein einzelnes Ding, sondern fassen Gruppen von Dingen zusammen. Das Beispiel der Dalmatiner, das ich in meinem Kapitel zum ›Kontext‹ oben besprochen habe, hatte deutlich gemacht, dass ›Hund‹ oder ›Dalmatiner‹ Gruppenbezeichnungen sind. Die Wahrnehmung beobachtet Ähnlichkeit, gruppiert Dinge nach Ähnlichkeit, und bildet mehr oder minder kohärente Schemata oder Erwartungsstrukturen (›Hund‹ oder ›Dalmatiner‹) aus, die die Komplexität der Welt gliedern und es ihr einfacher machen, mit der Komplexität umzugehen. Ein Zeichen, ein Wort, ein Begriff – auch das wurde gesagt – ist insofern eine Art Etikett, das man diesem Wahrnehmungsschema aufklebt und mit dessen Hilfe man ihm Dauer, Stabilität und intersubjektive Geltung verschafft. Sprache, so kann man insofern summieren, ist ein System, das Ähnlich- keit organisiert. Sprache beobachtet Ähnlichkeit und stellt Ähnlichkeiten, die vorangegangene Generationen bereits beobachtet haben, der Gegenwart als ein Kategoriensystem zur Verfügung.32 Und exakt dies ist der Grund, warum die Merkmale, die die Wahrnehmung von Ähnlichkeit steuern, bereits in der Antike ›Kategoremata‹ hießen. All dies, denke ich, ist Grund genug, noch eine Zeitlang bei der Sprache zu bleiben und ein paar weitere der Modelle, die die Sprachtheorie für die ›Merkmale‹ vorschlägt, zur Kenntnis zu nehmen. 32 Vgl.: Keller, Rudi: Zeichentheorie. Eine Theorie semiotischen Wissens. Tübingen: UTB 2018, S. 106 f. (EV.: 1995). 103 10. Intension Wenn das Lexikon Merkmale aufzählt, um einen Begriff zu bestimmen, nennt die Linguistik dies eine ›intensionale‹ Definition; eine ›extensionale‹ Defini- tion dagegen würde Bedeutung über die Menge aller Exemplare bestimmen, die in die jeweilige Klasse fallen. Die Unterscheidung geht auf Frege zurück; Ramscar/Port referieren: »A concept’s intension is the set of attributes defining its members, while its exten- sion comprises its actual members. Thus the intension of bachelor might include characteristics such as male, unmarried and adult, making its extension the set of male, unmarried adults in the world.«33 Nelson Goodman, Anhänger einer extensionalen Theorie der Bedeutung, weist den Begriff der Intension als sinnlos zurück: »The inevitable suggestion that we must consider intensional properties seems to me especially fruitless here, for identifying and distinguishing intensional properties is a notoriously slippery matter, and the idea of measuring similarity or anything else in terms of number of intensional properties need hardly be taken seriously.«34 11. Komponentenanalyse Eine weitere Möglichkeit zu klären, worum es sich bei den ›Eigenschaften‹ möglicherweise handelt, findet sich in der Theorie der Semantik. Hier hat sich mit der ›Komponentenanalyse‹ ein Zweig entwickelt, der in eine eigene ›Merkmalssemantik‹35 mündet. Und auch wenn diese nicht ohne Probleme ist, hat sie den großen Vorzug, dass sie die Frage nun tatsächlich als eine sprachtheoretische behandelt und nicht mehr umstandslos auf die Dinge in der Welt, also die Referenten, bezieht. Das Projekt der Komponentenanalyse kennzeichnet Lyons wie folgt: 33 Ramscar/Port, Categories without Categorization, a. a. O., S. 79 (Hervorh. H. W.). 34 Goodman, Seven Strictures, a. a. O., S. 444 (Hervorh. H. W.). 35 Lyons, Semantik, Bd. I, a. a. O., S. 327−345. 104 »Dieser Ansatz zur Beschreibung der Bedeutung von Wörtern und Ausdrücken beruht auf der These, daß die Bedeutung eines jeden Lexems [d. h. Wortes] auf- grund einer Menge allgemeinerer Bedeutungskomponenten (oder semantische[r] Merkmale) analysiert werden kann, von denen einige oder alle mehreren verschie- denen Lexemen im Wortschatz angehören. […]. [D]ie Bedeutungskomponenten (für die es bisher keinen allgemein akzeptierten Terminus gibt) [kann man sich] als atomare und die Bedeutungen bestimmter Lexeme als molekulare Begriffe vor- stellen. Man kann z. B. annehmen, daß die Bedeutung von ›Mann‹ (verstanden als das Komplement von ›Frau‹ […]) die atomaren Begriffe ›männlich‹, ›erwachsen‹ und ›menschlich‹ (in dem molekularen Begriff ›Mann‹) kombiniert.«36 Nahezu alle Aspekte des Zitierten kann man bezweifeln, und Lyons selbst liefert, gleich im Anschluss an seine Darstellung, eine harsche Kritik.37 Das hauptsächliche Problem ist, dass der Status der ›Komponenten‹ vollständig ungeklärt bleibt. So muss der Eindruck entstehen, dass die Komponenten innerhalb der Semantik eine zweite Ebene bilden, die jenseits der manifesten Worte ihren Ort hat; und dies würde letztlich bedeuten, dass sie aus der Spra- che quasi herausfallen. Will man dies vermeiden, braucht es ein Modell, das Bedeutungskomponenten (›Merkmale‹) anerkennt, diese aber so konzipiert, dass sie ihren Ort innerhalb der Sprache haben. 12. Netzwerk-Modelle Ein viertes Theorieangebot findet sich ein weiteres Mal in der Linguistik, dort, wo Bedeutung als relational und der Wortschatz als ein vieldimensionales Netz wechselseitiger Verweise aufgefasst wird. In seiner Psycholinguistik beschreibt Miller diesen Ansatz so: »Die Bausteine der Sprache [die Wörter] verfügen definitionsgemäß über eine unendliche Vielzahl von Verbindungen, Assoziationen, Ähnlichkeiten und Ver- wandtschaften – die sie dadurch, dass die Wörter verwendet werden, ausbilden«.38 36 Ebd., S. 327 (Hervorh. und Erg. H. W.) (im Original: semantischen). 37 Ebd., S. 343−345. 38 Miller, George A.: Wörter. Streifzüge durch die Psycholinguistik. Heidelberg 1993, S. 109 (Erg. H. W.) (EV., am.: 1991). An anderer Stelle schreibt Miller: »Manche Theoretiker stellen 105 Nimmt man diese Bestimmung ernst, hat sie radikale Konsequenzen für unser Verständnis von Sprache; denn zum einen löst sich die Kategorie der Bedeutung in das Netz der Assoziationen auf: Es ist nicht mehr so, dass Wörter eine Bedeutung ›haben‹, sondern die Bedeutung eines Wortes besteht darin, dass es Verbindungen, Assoziationen, Ähnlichkeiten und Verwandtschaften zu anderen Wörtern hat, dass es – relational – auf andere Begriffe verweist.39 »Ein Wort«, sagt Miller, »ist ein etikettiertes (mit einem ›Label‹ versehenes) Bündel solcher Verbindungen.«40 In dieser Perspektive ist Bedeutung irreduzibel plural. Die zweite Konsequenz ist, dass sich unter der Hand auch die Frage nach dem Status der ›Komponenten‹ oder Merkmale neu formiert: Nun ist es müßig, diese auf einer eigenen ›Ebene‹ und möglicherweise außerhalb der Sprache suchen zu wollen; denn nun sind es Worte – die anderen Worte, und damit die Elemente der Sprache selbst – die als ›Komponenten‹ oder Merkmale fungieren. In der Überlegung zur Lexikondefinition hatte sich dies bereits angekündigt: Ein Lexikon nutzt Worte (und nichts als Worte), um die Bedeutung eines Wortes zu bestimmen. Kann es also sein, dass die Merkmale oder Kriterien, an denen Ähnlichkeit sich bemisst, ebenfalls Teil eines Netzwerks sind? Hilft die Vorstellung einer irreduzibel pluralen, netzförmig organisierten Bedeutung, der Frage nach der Ähnlichkeit näher zu kommen? Ich gebe zu: Der Vorschlag, Sprache in ein Netz, und Bedeutung in einen Plural von Verweisen aufzulösen, mag abstrakt erscheinen; und sicher mehr noch der Versuch, von dort aus quasi rückwärts zu erklären, was ein ›Merkmal‹, bezogen auf die Ähnlichkeit, ist. Gleichzeitig aber ist der Vorschlag verblüffend anschlussfähig an eine ganze Reihe anderer Konzepte, die ungleich etablierter und vertrauter sind. sich Attribute als Dimensionen vor. In diesem Fall definieren die N Attribute eines gegebenen Referenten einen abstrakten N-dimensionalen Raum (einen Hyperraum); jedes einzelne Ex- emplar kann man sich als einen Punkt in diesem Raum vorstellen, dessen Raumkoordinaten sich aus seiner Ausprägung auf jeder Dimension ergeben.« (Ebd., S. 226). 39 Dies ist Inhalt der sogen. ›Werttheorie‹ schon bei de Saussure (de Saussure, Ferdinand: Grundfragen der allgemeinen Sprachwissenschaft. Berlin 1967, S. 135 ff. (EV., frz.: 1916)). 40 Miller, Wörter, a. a. O., S. 109. 106 13. Assoziationen Das erste dieser Konzepte ist das der Assoziation. Für Miller als einen Psycho- linguisten erscheint es selbstverständlich, dass er mit seiner Vorstellung einer netzförmig organisierten Sprache unmittelbar an die Assoziationspsychologie anschließen kann: »Direkte Nachweise für die Vielfalt und Komplexität semantischer Relationen er- geben sich aus den Wortassoziationstests, einer der ältesten Methoden, mit denen Psychologen lexikalische Felder untersuchen.«41 Und schon de Saussure war denselben Weg gegangen, wenn er zwei Arten sprachlicher Relationen unterschied und der Verkettung der Worte im manifes- ten Syntagma (also z. B. im Satz) die ›assoziativen‹ Relationen gegenüberstellte, die die Linguistik später ›paradigmatisch‹ nannte.42 Der Begriff der Assozia- tion hat den Vorzug, mit dem Begriff der Ähnlichkeit eng verbunden und relativ nah an der Alltagserfahrung zu sein; dass der Strom des Bewusstseins assoziativ verläuft und dass unsere Wissensbestände über Assoziationsketten organisiert sind, erscheint plausibel. Und relativ mühelos lassen sich Brücken zur Psychoanalyse43 und zu bestimmten Theorien des Gedächtnisses schlagen.44 14. Konnotationen Fast noch wichtiger als der Begriff der Assoziation ist der der Konnotationen, und er wird die hier verfolgte Überlegung ein gutes Stück voranbringen. Auch dieser Begriff knüpft unmittelbar an Alltagsvorstellungen an: Jedes Wort der Sprache ist von einer Wolke von Konnotationen umgeben. Wann immer das Wort auftaucht, wird auch das Umfeld dieser Konnotationen mit aktualisiert, 41 Ebd., S. 182. 42 De Saussure, Grundfragen, a. a. O., S. 147 ff. 43 Vgl. z. B.: Freud, Sigmund: Die Traumdeutung. Studienausgabe, Bd.  2, Frankfurt  a. M.: Suhrkamp 1972, S. 81 ff. (EV.: 1900). 44 Vgl. z. B.: Miller, Wörter, a. a. O., S. 205 ff. 107 Konnotationen schwingen mit. Und kulturelle Kompetenz bedeutet, ein mög- lichst differenziertes Spektrum solcher Konnotationen im Kopf zu haben. Traditionell hat die Sprachwissenschaft zwischen Konnotation und Deno- tation unterschieden und die Konnotationen als sekundär, peripher, subjektiv oder ›weich‹ angesehen. Während ›Denotation‹ den Kernbereich der Bedeutung bezeichnet, der intersubjektiv verlässlich vorausgesetzt werden kann, bilden Konnotationen das Umfeld von Nebenbedeutungen, die eher individuellen Charakter haben; Denotation als Bedeutungskern gilt als rational, die Konnota- tionen gehen in die Zone des ›Emotiven‹, der Wertung und des Gefühls über.45 Von diesem traditionellen Konzept allerdings wird man sich lösen müssen, wenn es darum geht, der Frage nach den ›Merkmalen‹ näher zu kommen; und glücklicherweise gibt es in der Linguistik auch solche Ansätze, die die Kon- notationen keineswegs als sekundär betrachten. Diese Linguisten behaupten, dass Bedeutung sich aus nichts anderem als aus der Gesamtheit der Konnota- tionen ergibt. Die skizzierte Hierarchie kehrt sich damit um; die Vielfalt der Konnotationen macht die Bedeutung aus, und was wir ›Denotation‹ nennen, erscheint als ein Effekt im Zusammenspiel dieser Konnotationen. Ein so gefasster Begriff der Konnotationen ist von großem Nutzen. Wie der Begriff der Assoziation unterstellt auch er eine plurale Bedeutung und passt gut zu dem skizzierten Modell eines Netzes: Wenn Bedeutung in nichts anderem besteht als einem Bündel assoziativer oder konnotativer Verweise, dann kann jeder einzelne dieser Verweise als ein ›Merkmal‹ fungieren. Und zudem ist es ausgehend von den ›Konnotationen‹ ungleich leichter sich vorzustellen, wie Bedeutung überhaupt in die Welt kommen kann. Wie ›Merk- male‹ prozesshaft entstehen, ist kaum zu erklären; im Fall der Konnotationen ist dies anders: Hier erscheint intuitiv plausibel, dass es der Diskurs selbst ist, in dessen Verlauf sich die Konnotationen anreichern. Bedeutung bildet sich, wie Miller oben gesagt hatte, ›dadurch, dass die Wörter verwendet werden‹, heraus.46 Jeder Kontext, in dem das Wort auftritt, wird neue Konnotationen liefern, einen neuen semantischen Umraum, neue Bezüge und neue Assoziatio- 45 Lyons, Semantik, Bd. I, a. a. O., S. 189. 46 Vgl. FN 40. 108 nen. Und in jeder dieser Verwendungen, das ist nun die Konsequenz, schreibt der Kontext in das Netz der Konnotationen zurück.47 Und schließlich entsteht eine veränderte Auffassung auch von der ›Deno- tation‹, die Vorstellung nämlich, dass sich in der Pluralität der Konnotationen ein Bedeutungskern in einem Prozess quantitativer Aufhäufung (Redundanz- bildung) gleichsam herauskristallisiert und verhärtet. Die Frage nach den ›Merkmalen‹ hat damit einen völlig neuen Rahmen bekommen. Sie erscheint nicht mehr isoliert, sondern eingebettet in die grö- ßere, wie Sprache insgesamt funktioniert und wie es zu ›Bedeutung‹ überhaupt kommt. Wenn die Überlegung also von einer Sonderform, den Adjektiven, ausgegangen war, hat sich die Perspektive deutlich ins Allgemeine verschoben. 15. Andere Medien Verlassen wir nun die Sprache und gehen zu anderen Medien über. Das Ge- sagte nämlich macht – unvermutet – einen Sprung von der Linguistik zu den Medienwissenschaften möglich, denn nun wird denkbar, dass nicht nur Worte ›Bedeutung‹ haben. Bündel assoziativer und konnotativer Verweise können sich an nahezu jeden Gegenstand knüpfen, an materielle Objekte48 und an Bilder, an einzelne Bildinhalte, sofern es sich um ›gegenständliche‹ Bilder handelt; an ästhetische Formen und Regularitäten (man denke an Genres), an Rhythmen und an Melodien, und schließlich auch an Zahlen und die formalen Objekte, mit denen Mathematik und Formalsprachen operieren. Dieses Letzte ist be- 47 Allerdings – das wird man mitdenken müssen – mit einem relativ geringen Gewicht. An- gesichts der Tatsache, dass es Millionen und Milliarden von Verwendungen gibt, wird der einzelne Kontext, die einzelne Verwendung, einen relativ geringen Einfluss haben; um das Gesagte abzurunden also braucht es die Vorstellung einer quasi-statistischen Konventionali- sierung. Eine Vorstellung, die das Eigengewicht des bereits Konventionalisierten anerkennt, und der einzelnen Verwendung dennoch die Kraft einer minimalen Veränderung zugesteht. 48 Kein Mensch würde ›Sneakers‹ kaufen, also lieblos-großindustriell gefertigte Schuhe aus Kunststoff, wenn sie nicht mit Sport konnotiert wären, mit dem Sport, den man gleichzeitig nicht macht; und wenn Sport nicht mit Wünschenswertem verbunden würde: Mit Freizeit und einem eleganten, präsenten Körper, mit Schlankheit und Leistung, mit »Design« und mit der Coolness der schwarzen Straßenkultur. Und niemand ein SUV, wenn es nur das wäre, was es tatsächlich ist. 109 sonders bemerkenswert, weil Zahlen und Mathematik üblicherweise ja gerade dementieren, überhaupt ›Bedeutung‹ zu haben. Meine Behauptung ist, dass in der Sphäre der Kultur, der Medien und des Symbolischen nichts, aber auch gar nichts der Bedeutung entkommt, auch wenn die Kulturwissenschaft der Achtziger und Neunziger Jahre alles unternommen hat, um diese Kategorie zu dekonstruieren. Es gibt keine Kulturwissenschaft, die ohne eine Vorstellung von Bedeutung auskäme, und es gibt keine Theorie der Bedeutung, die nicht auf die eine oder andere Weise mit ›Merkmalen‹ arbeiten würde. 16. Schluss Ausgangsfrage war, was man sich unter jenen ›Merkmalen‹ vorstellen kann, an denen Ähnlichkeit sich bemisst. Und so plausibel die Frage erscheint, so klar ist geworden, dass die Theorie zwar verschiedene Modelle, nicht aber eine bündige Antwort liefert, und der Durchgang durch die linguistischen Ansätze hat gezeigt, dass das Fach an der Frage nach den ›Merkmalen‹ nach wie vor laboriert. Unabweisbar allerdings ist, dass ›Merkmale‹ in die Sprache immer schon eingebaut und für das Funktionieren von Semantik unabdingbar sind. Und ebenso scheint klar, dass diese Merkmale Ähnlichkeit organisieren. Wenn oben also nach einem mittleren Weg zwischen mechanistischen und nicht- mechanistischen Zugängen gefragt wurde, dann ist dieser in den referierten Theorien zumindest vorgebahnt. Dies macht es möglich, einige Folgerungen für die Ähnlichkeit und für die ›Merkmale‹ zu ziehen. Die erste wäre die Notwendigkeit, die Ähnlichkeit von der Fixierung auf den Einzelfall, auf die Vorstellung eines einzelnen Vergleichs zu lösen. Wenn man noch einmal bei der Sprache ansetzt, scheint zentral zu sein, dass jede einzelne Ähnlichkeit Teil eines Netzwerks ist. Ähnlichkeit scheint – wie Be- deutung – etwas irreduzibel Plurales zu sein. Die Merkmale, die in der Frage nach der Ähnlichkeit auftauchen, sind nicht ein Randphänomen, sondern sie führen auf den Kern dessen, was wir ›Sprache‹ nennen, und, noch allgemeiner, auf ein verallgemeinertes Konzept von Bedeutung, das auch andere Medien umgreift. Die Merkmale sind Achsen im Netzwerk der Sprache, Teil jenes 110 umfassenden Systems wechselseitig-relationaler Verweise, als das man die Sprache beschrieben hat. Und Ähnlichkeit und Kontrast/Differenz scheinen die Prinzipien zu sein, nach denen sich dieses Netzwerk artikuliert. Konkret bedeutet dies, dass jede Ähnlichkeit ihren Ort in einem riesigen System von Ähnlichkeiten und Kontrasten hat. Betrachtet man ein einzelnes ›Merkmal‹ isoliert, also reißt man es aus diesem umfassenden Zusammenhang heraus. Dies kann man – analytisch – tun; wenn man dabei auf Schwierigkeiten stößt allerdings könnte dies eben auch an der Herangehensweise liegen und darauf hindeuten, dass diese ihren Gegenstand zielgerichtet verfehlt. Und dasselbe scheint mir für die Fragestellung und die Beweiswege der Kognitivisten zu gelten. Wenn die Sprachwissenschaft intensiv darum ringt, überhaupt eine Vorstellung davon zu bekommen, worum es sich bei der Sprache, Ähnlichkeit und Bedeutung überhaupt handelt, wenn sie von der Prädikation über Intension, Komponentenanalyse und Merkmalssemantik, Assoziation und Konnotation bis hin zu Netzwerkmodellen immer neue Vorstellungen, Metaphern und Begriffe entwirft, dann ist schlicht nicht zu erwarten, dass die aus der Mathematik entlehnte Vektorrechnung das Problem im Handstreich löst oder auch nur einigermaßen adäquat modelliert. Die Ähnlichkeit lässt den Versuch, sie auf Variablen, numerische Werte und Abstandsmaße zu bringen und dann mit Hilfe von Computerprogrammen zu testen, höhnisch ins Leere laufen. Die hauptsächliche Schwierigkeit, wie gesagt, besteht darin, überhaupt eine Vorstellung von diesem Netzwerk von Ähnlichkeiten zu bekommen. Und bis auf weiteres wird diese Vorstellung metaphorisch/modellhaft sein. Eine natürlich-sprachliche Darstellung aber, denke ich, leistet mehr als ein Vorge- hen, das sich vorschnell den Imperativen der Quantifizierung fügt. Zumindest die Kulturwissenschaft kann sich mit einer Modellierung auf einer mittleren Höhe bescheiden. Meine dritte Folgerung geht in eine andere Richtung; denn wenn es nicht gelingt, die Rolle der ›Merkmale‹ zweifelsfrei zu erweisen, dann könnte dies auch den Grund haben, dass wir, wenn wir Ähnlichkeit feststellen, zwar Merk- male abgleichen, dass sich dieser Prozess aber unterhalb der Schwelle unseres Bewusstseins vollzieht. Eine Möglichkeit, die – dies ist erstaunlich – auch ein in der Wolle gefärbter Kognitivist zumindest für diskutabel hält: 111 »[O]ur prototype concepts are really just rule-based concepts where the criteria for membership are (1) disjunctive and logically complex, and (2) implicit and so unavailable to conscious report.«49 »[C]lustering of the world into classes is rela- tively automatic.«50 Nehmen wir noch einmal das Modell der Sprache. Für die Sprache scheint besonders typisch zu sein, dass die Tatsache, dass wir sprechen und Sprache verstehen und mit Bedeutung (Ähnlichkeit und Kontrast) routiniert umzu- gehen wissen, keineswegs heißt, dass uns die Sprache selbst, und die Mecha- nismen, die sie möglich machen, transparent wären. Deutlichstes Anzeichen hierfür ist, dass es trotz großer Bemühungen der KI bislang nicht gelungen ist, die ›natürliche Sprache‹ im Rechner zu simulieren.51 Praktische Sprachbeherr- schung und die Modellierung (die theoretische Durchdringung) der Sprache also fallen ganz offensichtlich auseinander. Exakt dasselbe nun könnte auch für die Ähnlichkeit allgemein und für die Rolle der ›Merkmale‹ gelten. Also doch zurück zur ›Intuition‹? Ich denke, dass man das Terrain der Intui- tion schon verlassen hat, wenn man sich mit den genannten Modellentwürfen beschäftigt. Und ebenso scheint es mir möglich zu sein, bestimmte Mechanis- men, bestimmte Funktionsweisen der Ähnlichkeit aufzuweisen, auch wenn diese nicht im nächsten Schritt schon in Computerprogramme zu übersetzen sind. In meinen Folgekapiteln werde ich einige solcher Mechanismen zeigen. Hauptergebnis meiner Überlegung zu den ›Merkmalen‹ ist, dass Ähnlichkeit einen pluralen Charakter hat. Ausgangspunkt war die Vorstellung, dass, wer vergleicht und Ähnlichkeit feststellt, die Gegenstände in Merkmale aufspal- tet, die ähnlich, und solche, die eben unähnlich sind. Plural ist Ähnlichkeit insofern, als sie sich – nach innen – in ›Merkmale‹ differenziert. Gleichzeitig aber kann man vom Modell der Sprache lernen, dass die Merkmale selbst den Gegenstand überschreiten, insofern differente Gegenstände das gleiche Merkmal teilen können. 49 Hampton, The role of similarity, a. a. O., S. 14 (Hervorh. H. W.) (Hampton referiert hier ein Argument von Fodor). 50 Ebd. (Hervorh. H. W.). 51 Obwohl es bei der Spracherkennung und Sprachsynthese große Fortschritte gegeben hat, ist das Versprechen der KI der 1970er Jahre, innerhalb weniger Jahre ein algorithmisches Modell der natürlichen Sprache zu entwickeln, bis heute uneingelöst. 112 Sind die Merkmale also ›innen‹ oder ›außen‹? ›Kleiner‹ oder ›größer‹ als die Gegenstände, die es zu vergleichen gilt? So paradox dies klingt, ich würde denken, es ist beides der Fall. Die Netzwerkmodelle haben ihre Pointe darin, dass sie sprachliche Bedeutung auflösen in ein Bündel von Verweisen, die auf die anderen sprachlichen Bedeutungen (und auf nichts anderes als diese) zeigen. Auf diese Weise erfüllt das Netz der Sprache tatsächlich das genannte Paradox; sprachliche Bedeutung ist tatsächlich gleichzeitig nach innen wie nach außen plural: Nach innen dort, am Knoten, wo das Bündel von Verweisen seinen Ursprung52 hat, nach außen, insofern die Verweise ebenfalls auf Knoten – und auf nichts als Knoten – zielen, auf Elemente also, die selbst ein Bündel von Verweisen – und zwar nichts als dieses – sind. Nur auf diese Weise ist die beschriebene doppelte Pluralität möglich; nur auf diese Weise können Dinge Merkmale ›haben‹, die sie gleichzeitig mit anderen Dingen teilen. 52 Innerhalb eines Netzwerkes kann es selbstverständlich keinen ›Ursprung‹ geben; Ursprung meint hier, dass aus der Perspektive des einzelnen Knotens (und nur aus dieser Perspektive) die Verweise von diesem Knoten ausgehen, das ›Bündel‹ der Verweise hier sein Zentrum hat. 113 Die Pointe der Netzwerk-Vorstellung ist, dass sie die Dinge – die als Dinge doch solide und kompakt erscheinen – auflöst (und zwar vollständig auflöst) in das Netz ihrer Bezüge. Ähnlichkeit wäre demzufolge nicht etwas, was den Dingen anhängt oder das die Dinge ›haben‹, sondern es wären die Ähnlichkeit und der Kontrast zu anderen Dingen, die die Dinge allererst konstituieren. Merkmale, Bezüge, Ähnlichkeiten wären – so schwer es ist, sich dies tatsächlich vorzustel- len – primär. Sie gingen den Dingen (insofern diese Knoten sind) voran.53 Die zweite Pointe wäre, dass das Modell des Netzwerks Dinge und Merk- male vollständig gleich behandelt. Und auch dies kann man von den zitierten Sprachmodellen lernen: Innerhalb der Sprache ist es der gleiche Begriff, der über Konnotationen (also andere Begriffe) definiert wird, und der, wenn es gilt an- dere Begriffe zu definieren, selbst die Funktion einer Konnotation übernimmt. Aber waren Verweise und Netzwerk – der ketzerische Einwand sei erlaubt – nicht gerade das, was die Vektor-Modelle der Kognitivisten zu modellieren versuchten? Ich denke tatsächlich, dass die Grundüberlegung die gleiche ist. Das aber heißt ausdrücklich nicht, dass die Vorstellung, das Modell eines Netzwerks zusammenfällt mit seiner mathematischen Operationalisierung. Selbst wenn die Vorstellung selbst plausibel ist, muss ihre Übersetzung in Algorithmen nicht gelingen. Und mehr noch: Die Vorstellung ist so grob und sie lässt so viel offen und ungelöst, dass es fast abstrus erscheint, auf dieser löchrigen Basis Programme zu schreiben. So wissen wir weder, wie die Sprache (oder das Netz der Ähnlichkeiten) es schaffen, die Verweise – wieder – zu qualifizieren, weil es doch sicher ein Unterschied ist, ob sich ›Pferd‹ auf ›Tier‹ bezieht, oder auf Hafer, konnotiert als bevorzugte Nahrung.54 Ebenso ungelöst ist die Frage, ob die zweifellos un- terschiedlichen Verweisintensitäten tatsächlich in numerische Werte übersetzt werden können, und es wäre keine Schwierigkeit, weitere solche Probleme zu nennen. Zwischen der modellhaften Grundannahme und den Algorithmen, dies kann man festhalten, bleibt eine Kluft. 53 Vilém Flusser hat dasselbe für die Subjekte der Moderne behauptet, die er als Knoten in den Netzwerken gesellschaftlicher Bezüge beschreibt (Fl., V.: Ins Universum der technischen Bilder. Göttingen: European Photography 1985, S. 74−83). 54 In der Frage, ob und wie Verweise zu ›qualifizieren‹ sind, kehrt die Frage nach den Merk- malen gewissermaßen zurück. 114 Und dennoch eben, das war meine These, ist das Modell instruktiv, und deshalb habe ich für eine mittlere Flughöhe zwischen Algorithmen und In- tuition plädiert. Die Beschäftigung mit den Merkmalen hat tatsächlich Züge der Ähnlichkeit offengelegt, die sonst schwer zu sehen wären; sie zwingt dazu, anzuerkennen, dass Ähnlichkeit pluralen Charakter hat und dass jede einzel- ne Ähnlichkeit eingebettet ist in ein System von Ähnlichkeiten, von dem sie nicht (oder nur unter Verlusten) isoliert werden kann. Jede Ähnlichkeit, die ich aktuell betrachte, hat Ausschnitt-Charakter; und die Schwierigkeit ist, dass das Gesamtsystem der Ähnlichkeiten, das also, was ich nicht sehen und nicht kontrollieren kann, den gerade betrachteten Ausschnitt mit bestimmt. Exakt dies macht die Beschäftigung mit den ›Merkmalen‹ deutlich. 115 8 Ähnlichkeit und Ordnung 1. Intro Das vorangegangene Kapitel hat versucht, den Eigenschaften oder Merkmalen näher zu kommen, an denen Ähnlichkeit sich bemisst. Die folgende Überlegung schließt hieran an: Es gibt nämlich Medien- und Kulturtechniken, bei denen es völlig unstrittig wäre, dass es um ›Merkmale‹ geht, weil diese offen zutage liegen, während keineswegs deutlich ist, dass es sich auch hier um Probleme der Ähnlichkeit handelt. In gewisser Weise also kehrt sich meine Recherche um: Ging das vorige Kapitel von der Ähnlichkeit aus, um (dahinter?) die Merkmale aufzutun, gilt es nun, die Ähnlichkeit zu entdecken. Ich werde nacheinander verschiedene Medien- und Kulturtechniken durch- gehen; diese mögen weit auseinander liegen, hier aber würde ich darauf beste- hen, dass Medientheorie medienvergleichend verfährt, immer also mehrere und möglichst unterschiedliche Medien heranziehen sollte. Und zudem wird im Ergebnis deutlich werden, dass die Beispiele mehr miteinander zu tun haben, als man zunächst denken würde. 2. Listen Die erste Kulturtechnik, die hier zu diskutieren ist, ist die Liste. Listen auf Tontafeln bilden die frühesten Zeugnisse der Schriftgeschichte,1 und zwar noch bevor die Schrift genutzt wurde, um lineare Texte (mündliche Äußerun- gen, Mythen, Historie, Gesetze oder Literatur) festzuhalten. Kontext waren Ökonomie und Administration; in den Listen wurden z. B. Abgaben an die Tempel verzeichnet. 1 Keilschrift in den Stadtstaaten Mesopotamiens/Sumers, seit ca. 3500 v. Chr. 117 Listen unterscheiden sich von linearen Texten deutlich: In der Vertikalen bestehen sie aus Einträgen, die jeweils einen einzelnen Fall oder ein Einzel- ereignis beschreiben und insofern eine gewisse Autonomie haben. Bei der linearen Schrift dagegen läuft der Text durch und wird nur aus pragmatischen Gründen in Zeilen umgebrochen. Und horizontal sind Listen häufig in Spal- ten gegliedert. Deutlicher als lineare Texte nehmen sie damit die Fläche des Schriftträgers in Anspruch;2 Listen sind ein analytisches Medium, insofern sie die Dinge räumlich auseinanderlegen: »Die Liste beruht eher auf Diskon- tinuität denn auf Kontinuität; entscheidend ist die Platzierung, die Verortung auf der Fläche.«3 Und in Listen kommen häufiger als in linearen Texten neben Wörtern auch Zahlen vor.4 Für die Frage nach den ›Merkmalen‹ ist zunächst die horizontale Gliederung interessant. Wenn es Spalten gibt nämlich ist unterstellt, dass alle Einträge eine vergleichbare Struktur haben und ihre Inhalte auf vergleichbare Weise ordnen. In modernen Listen wird man häufig Spaltenköpfe (Überschriften) finden, die sagen, was der Inhalt der Spalte ist; die Spaltenköpfe geben das Raster vor, dem die Einträge der Liste folgen. Die Spaltenköpfe also gliedern die Merkmale aus, die die Einträge gemeinsam haben.5 Und damit komme ich zu meinem Punkt: In der Sache nämlich bedeutet dies, dass die Liste Ähnlichkeit unterstellt. Eine 2 Dies macht, folgt man Sybille Krämer, ihren ›diagrammatischen‹ Charakter aus. (Vgl.: Krä- mer, Sybille: Operative Bildlichkeit. Von der ›Grammatologie‹ zu einer ›Diagrammatologie‹? Reflexionen über erkennende ›Sehen‹ In: Hessler, Martina; Mersch, Dieter (Hg.): Logik des Bildlichen. Zur Kritik der ikonischen Vernunft. Bielefeld: Transkript 2009, S. 94−121; dies.: Notationen, Schemata und Diagramme. Über ›Räumlichkeit‹ als Darstellungsprinzip. Sechs kommentierte Thesen. In: Brandstetter, Gabriele; Hoffmann, Frank; Maar, Kristen (Hg.): Notationen und choreographisches Denken. Freiburg/Berlin/Wien: Rombach 2010, S. 29−45; dies.: Die Schrift als Hybrid aus Sprache und Bild. Thesen über die Schriftbildlichkeit unter Berücksichtigung von Diagrammatik und Kartographie. In: Hoffmann, Thorsten; Rippl, Gabriele (Hg.): Bilder. Ein (neues) Leitmedium? Göttingen: Wallstein 2006, S. 79−92). 3 Goody, Jack: Woraus besteht eine Liste? In: Zanetti, Sandro (Hg.): Schreiben als Kulturtech- nik. Grundlagentexte. Berlin: Suhrkamp 2012, S. 338−396, hier: S. 348 (EV., am.: 1977). 4 Ebd., S. 395. 5 »Die Form impliziert bereits eine bestimmte Kategorisierung.« »Wir können hier sehen, wie dialektisch sich das Schreiben auf die Klassifizierung auswirkt: Einerseits führt das Schreiben zu einer Schärfung der Kategorien in ihren Umrissen: Entscheidungen müssen gefällt werden […] Andererseits aber wirft bereits die bloße Anordnung von Klassen die Frage nach deren innerem Zusammenhalt auf.« (Ebd., S. 358, 382). 118 Ähnlichkeit der Inhalte in der Spalte (sonst würden diese nicht in die Spalte passen) und eine Ähnlichkeit der Struktur, die alle Fälle, alle Einträge der Liste miteinander verbindet. Und mehr noch: die Ähnlichkeit wird nicht nur unterstellt, sondern erzwungen, indem aus der Liste herausfallen muss, was nicht ins Raster passt.6 Die Liste ist ein Aufschreibesystem, das Ähnlichkeit nicht nur favorisiert, sondern – möglicherweise auch gegen widerstrebende Inhalte – mit technischen Mitteln aktiv durchsetzt. Auch in der Vertikalen der Liste spielen ›Merkmale‹ eine Rolle; und hier ist vor allem dasjenige Merkmal wichtig, nach dem die Liste sortiert ist; ent- weder explizit, im Fall von alphabetisch oder numerisch geordneten Listen, oder aber implizit, etwa wenn die Einträge wie im Fall einer Chronik in einer bestimmten zeitlichen Abfolge gemacht werden. Auch in dieser Hinsicht sind Listen eine Maschinerie des Auseinanderlegens und der Analyse. Die Tatsache, dass es Merkmale sind, die die Liste organisieren, zeigt, dass es im Kern um Ähnlichkeit geht, und gleichzeitig eben um Ordnung. Mit Blick auf die Ähnlichkeit muss dies verblüffen. Denn wie kann Ähnlichkeit eine ›schmutzige‹ Kategorie sein, den Philosophen grausig und fremd und kaum theoriefähig, wenn sie gleichzeitig – zumindest hier – Grundlage für Ordnung ist? Würde man Ordnung nicht eher mit Differenz und Unterscheidung assozi- ieren? Oder zeigt sich auch hier, dass Ähnlichkeit und Differenzierung zusam- menhängen? Doch gehen wir zunächst einige weitere Medienbeispiele durch. 3. Datenbanken Datenbanken sind eine der gegenwärtig wohl wichtigsten Kulturtechniken, als lokale Applikationen und im Internet omnipräsent, und sicherlich noch augen- fälliger relevant als Listen.7 Gleichzeitig folgen sie der gleichen Logik wie diese und teilen nahezu alle ihrer Eigenschaften. Mit der Besonderheit allerdings, 6 »Die Art, wie Wörter (oder ›Dinge‹) in einer Liste angeordnet werden, ist selbst eine Art der Klassifikation oder der Eingrenzung eines ›Semantischen Feldes‹, denn der Vorgang impliziert, daß einzelne Elemente ein- und andere ausgeschlossen werden.« (Ebd., S. 384). 7 Vgl. Burkhardt, Marcus: Digitale Datenbanken. Eine Medientheorie im Zeitalter von Big Data. Bielefeld: Transcript 2015. 119 dass die Ordnungen hier dynamisch sind, weil Datenbanken auf Computern laufen und man deshalb programmgesteuert (›automatisch‹) Operationen mit ihnen vornehmen kann; man kann sie umordnen, umsortieren, restrukturieren und mit anderen Datenbanken verbinden. Auch dies allerdings hat bestimmte Voraussetzungen: Die Einträge müssen in maschinenlesbarer Form gespeichert sein;8 es müssen Metadaten vorliegen, die beschreiben, worum es sich bei den Inhalten der Datenbank handelt;9 und schließlich muss die Datenbank selbst das Merkmal enthalten, nach dem sortiert oder umstrukturiert werden soll. Vor allem aber ist stillschweigend vorausgesetzt, dass es ›Daten‹ sind, die man in der Datenbank sammelt. Was aber sind Daten? Wie im Fall der Liste geht es auch hier um Struktur. Man kann auch Romane, Gedichte, Fotos oder Bewegtbilder in einer Datenbank speichern, das aber sind Sonderfälle. Der üblichere ist, dass man Datensätze hat, die strukturgleich sind; man denke z. B. an eine Kundendatei, die – wie im Fall der Liste – jeweils an gleicher Stelle Namen, Anschrift und sonstige Informationen zu einzelnen Kunden speichert. Eine Datenbank kann beliebig viele solcher Einzeltabellen enthalten. Und jede Einzelangabe (Name oder Anschrift) wäre eine Variable oder ein ›Feld‹. 4. Variablen Was also ist eine Variable? Im Fall von Name und Anschrift mag dies selbst- verständlich erscheinen, weil beide ein stabil konventionalisierter Teil unseres Alltags sind. Anders aber ist dies bei Variablen, mit denen – um ein Beispiel zu wählen – die empirische Sozialforschung arbeitet. Empirische Sozialforschung will Phänomene, und spezifisch solche, die auf eine Vielzahl von Akteuren verteilt sind, durch eine Erhebung von Daten darstellbar machen. Dies unter- stellt – das ist trivial und dennoch bemerkenswert – dass Variablen benannt 8 …was gerade für sehr populäre Inhalte wie Fotos oder Bewegtbilder nur eingeschränkt gilt, weil zwar auf die Pixel zugegriffen werden kann, Algorithmen, die Bildinhalte erkennen und verarbeiten, aber nur sehr eingeschränkt zur Verfügung stehen. 9 Die Metadaten erfüllen etwa die Funktion der Spaltenköpfe. Und die Metadaten haben die Tücke, dass sie oft keineswegs Teil der Datenbank sind, sondern außerhalb und in anderen medialen Formaten vorliegen. 120 werden können, die alle untersuchten Fälle gemeinsam haben, dass für jede dieser Variablen jeweils der Einzelwert festgestellt werden kann, und dass diese Einzelwerte am Ende mit den Mitteln der Statistik zusammengeführt werden können. Hier ist es der Begriff der Variablen, in dem sich das ›Merkmal‹ verbirgt. Nach dem Muster der Listenköpfe geben sie das Kriterium vor, auf das die Einzelfälle befragt werden; und wieder ist auch hier eine strukturelle Ähnlich- keit der Fälle unterstellt. In der empirischen Sozialforschung haben die ›Merkmale‹, die nun Va- riablen heißen, eine einzigartige Karriere gemacht. Sie sind aus dem empi- rischen Material ausgewandert und haben in den Variablennamen Stellung bezogen; und von hier aus regieren und strukturieren sie das Material und die Untersuchung. Und dasselbe gilt für die Ähnlichkeit: Ähnlichkeit wird nicht mehr explizit behauptet oder als Hypothese geprüft, sondern immer schon unterstellt; unterstellt in der Annahme, dass die zu beschreibenden Fälle der gleichen Struktur folgen, und in der Annahme, dass man die Variablen (die Merkmale) konstant halten kann, während nur ihre Ausprägungen variieren. Empirische Sozialforschung gilt als valides Verfahren, näher an den Natur- wissenschaften als an ›weichen‹ hermeneutischen Zugängen, das Bündel der eingesetzten Methoden gilt als luzide, ›hart‹, überprüfbar und objektiv. All dies würde man mit dem Begriff der Ähnlichkeit nicht in Verbindung bringen. Tatsächlich aber ist all dies nur möglich, weil man die Tatsache, dass man nach wie vor nichts anderes als ›weiche‹ Ähnlichkeit handhabt, in schlichter Weise verdrängt. Man drängt die Ähnlichkeit ab in die Phase der Konzeption, in der die Variablen entworfen werden; ein Verfahren, für das es zwar Regeln und Best Practice-Anweisungen gibt, das aber, anders als die Statistik selbst, in keiner Weise Härte oder Objektivität für sich beanspruchen kann. Man drängt die Ähnlichkeit ab in die Variablen selbst, die dinghaft und sauber etikettiert für sich selbst zu stehen scheinen, und die – einmal gewählt – eine Art Blendschirm bilden, hinter dem die schwirrende Vielfalt des ursprünglich zu Untersuchenden fast verschwindet.10 Und man bewältigt die Ähnlichkeit, 10 Über den Stellenwert und die Berechtigung quantitativer Methoden in den Sozialwissen- schaften wird schon immer kontrovers diskutiert; man denke etwa an den ›Positivismusstreit‹ der 1960er Jahre. 121 es wurde gesagt, indem man ausschließt, was dem Raster entkommt oder was es antasten könnte. Auch die Ähnlichkeit also hat sich in die Härte der Struktur geflüchtet und dort armiert. Und hinter der ›harten‹ Empirie muss die ›weiche‹ Ähnlichkeit überhaupt erst wieder entdeckt werden. 5. Messdaten Ein fast noch interessanterer Fall sind Messdaten. Immer wenn ich messe, sei es in den Naturwissenschaften, in der Technik oder wo immer, mit elaborier- tem oder mit schlichtem Gerät, ist auch hier ein Merkmal – das eben, das gemessen wird – und damit eine Ähnlichkeit des zu Messenden unterstellt.11 Auch dieser Fall ist nicht trivial. Denn auch hier wird der eigentlich prekäre Teil der Operation übersprungen: Ähnlichkeit wird auch hier nicht geprüft, sondern vorgezogen in die Konstruktion des Maßstabs oder des Messgeräts, mit dem dann gemessen wird. Das Moment des Ausschlusses ist hier noch deutlicher als im Fall der empi- rischen Forschung: Es ist ein getunnelter Blick auf die Welt, den das Messgerät liefert; und gleichzeitig ist auch die Leugnung, dass es überhaupt ein Problem gibt, fest miteingebaut, denn es würde niemand erwarten, dass ein Messgerät etwas anderes als die Messgröße misst.12 11 »Unter einer Messung wird ein Prozeß der Informationsgewinnung verstanden, bei dem ein Beobachter über ein Meßgerät Auskunft über die an einem Meßobjekt vorliegenden quantitativen Verhältnisse einholt. Dabei interessiert man sich nicht für alle am Meßobjekt auftretenden quantitativen Verhältnisse, sondern nur für die Intensität (oder Stärke oder Grad der Ausprägung) einer ganz bestimmten, eventuell erst durch das Meßgerät vermittelten Meß- eigenschaft.« (Jaenecke, Peter: Grundzüge einer Meßtheorie. In: Zeitschrift für allgemeine Wissenschaftstheorie. Volume 13, 1982, S. 234−279, hier: S. 234 (Hervorh. H. W.)). 12 Jaenicke sieht dies klar: »Das Konstanthalten der überzähligen Größen [d. h., die Tatsache, dass man alle Einflüsse, die gerade nicht gemessen werden, möglichst konstant hält] bedeutet ein Herausprojizieren einer ganz bestimmten Eigenschaft. In den einfachen Meßgeräten erfolgt diese Projektion automatisch aufgrund der Meßgerätekonstruktion und kann daher leicht übersehen werden. So spielt etwa bei einer Waage nur das Gewicht des Meßobjekts eine Rolle, während seine übrigen Eigenschaften, z. B. seine Körperform, durch die Waage nicht erfaßt werden.« (Ebd., S. 239 (Erg. H. W.)). 122 Und schließlich ist für die Ähnlichkeit wichtig, dass es ja augenfällig um eine Übersetzung geht. Ein Fieberthermometer etwa steckt mit einer Seite (seiner Skala) in der Sphäre des Symbolischen und mit der anderen in einem Kinderpopo.13 Aus dieser Perspektive muss es fast verblüffen, als wie einzigartig produktiv sich die Operationen des Messens in Naturwissenschaften und Technik erwie- sen haben. Wie also kann das sein? Wie können Messgeräte ›Daten‹ liefern, denen wir nicht nur vertrauen, sondern ganz offensichtlich auch vertrauen können,14 und zwar in einem Maß, dass sich die Frage nach der ›Referenz‹, dem Weltbezug der ermittelten Zeichen, offenbar nicht mehr stellt? Messgeräte liefern den privilegierten Fall, dass die Natur (die Sphäre des zu Begreifenden) der Symbolisierung, der sie sich ansonsten häufig genug wider- setzt, zuzustimmen scheint. Und dies in doppelter Weise: Zum einen, insofern sich der Vorgang des Messens und die Messwerte als ›realistisch‹ erweisen, etwa wenn die Messwerte Grundlage einer funktionierenden Technik werden. Und zum zweiten, insofern das Messgerät eben nicht nur die Messgröße misst, sondern gleichzeitig immer auch die Ähnlichkeit mit bestätigt: Gerade weil es nur messen kann, wofür es gebaut ist, und weil es alle anderen Aspekte ausschließen muss, gerade weil die Wahrnehmung also getunnelt ist, wird sichergestellt, dass die gemessenen Phänomene sich – zumindest insofern sie auf die gleiche Messgröße ansprechen – ähneln. Selbstverständlich aber kehrt das Ausgeschlossene umgehend auf die Bühne zurück: In den Limitierungen des Messgeräts,15 im Rauschen und als ›Störung‹. 13 »Beim Messen erfolgt der wichtige Übergang vom Empirischen zum Formalen, indem die empirisch vorliegende Intensität einer Meßgröße durch eine mathematische Größe be- schrieben und damit überhaupt erst die Voraussetzung für eine erfahrungswissenschaftliche Theorie geschaffen wird.« (Ebd., S. 234 (Hervorh. H. W.)). 14 Jede Brücke, die nicht einstürzt, bestätigt die statische Berechnung und die Messdaten, auf denen ihre Planung beruht. 15 Man denke an die Begrenzung des Messbereichs oder der Auflösung… 123 6. Ordnen, sortieren Betrachten wir als nächstes die Medien- und Kulturtechnik des Ordnens und des Sortierens. Sie wurde im Kontext der Datenbanken schon genannt und die Medientheorie würde die Möglichkeit Dinge zu ordnen unter die Medien- funktionen rechnen. In meinem Zusammenhang ist das Ordnen wichtig, weil es auch in diesem Fall die ›Merkmale‹ sind, und hinter den Merkmalen die Ähnlichkeit, die die Operation steuern. Als Beispiel eignet sich – inzwischen sehr bekannt – das Projekt ›Kunst aufräumen‹ des Schweizers Ursus Wehrli, der aus der Kunstgeschichte einzelne Werke herausgreift, um in ihnen endlich jene Ordnung zu schaffen, an der es der Kunst allzu oft mangelt.16 Wehrli unternimmt eine ästhetisch-praktische Recherche im besten Sinne, und man sollte das Projekt sicherlich nicht ausbuchstabieren. Tut man dies dennoch, wird deutlich, dass durchaus auch andere Ordnungen möglich wären; Wehrli fasst die Farbflächen als Objekte auf und sortiert sie zunächst nach dem Merkmal Farbe, und dann nach Größe und Form. In zwei anderen Fällen ver- wendet er Fotografien, also ›gegenständliche‹ Bilder, und entsprechend werden 16 Alle Abb.: © Ursus Wehrli, Kunst Aufräumen, Verlag Kein & Aber; herzlichen Dank für die Genehmigung der Reproduktion. 124 nicht mehr Farbflächen, sondern nun Gegenstände/Objekte nach inhaltlich- semantischen Kriterien sortiert. In beiden Fällen sind es Merkmale, die die Operation regeln. Wer sortiert, greift durch die Objekte hindurch und direkt auf einzelne Merkmale zu. Und wieder ist Voraussetzung wie Triebkraft die Ähnlichkeit. Es mag etwas kompliziert klingen; aber Ordnen bedeutet, in einer vorfind- lichen räumlichen Anordnung (einer vorfindlichen Kontiguität17) Similarität aufzufinden, dann diese Similarität ernster als die vorgefundene Anordnung zu nehmen, und schließlich das Material in eine neue räumliche Ordnung zu bringen, eine neue Kontiguität, der nun die Similarität zugrunde liegt. Similarität wird gegen eine vorfindliche Kontiguität durchgesetzt. Hierin wird der Unterschied zwischen Ordnung und Anordnung deutlich. 17 Kontiguität meint räumliche Nachbarschaft; gleichzeitig ist K. das klassische Gegenüber der Similarität/Ähnlichkeit. 125 7. Kategorien, Begriffe Als letztes Beispiel in meiner Reihe möchte ich noch einmal auf die Sprache zu- rückkommen. Die Begriffe der Sprache, wie gesagt, subsumieren. Begriffe sind immer Gattungsbezeichnungen; sie etikettieren – anders eben als Namen – nicht einzelne Konkreta, sondern fassen ganze Gruppen solcher Konkreta zu Kategorien zusammen. Hierbei mag es unterschiedliche Abstraktionsstufen geben, insofern ›Tier‹ sicher eine allgemeinere Bestimmung als ›Löwe‹ ist. Oft aber wird verkannt, dass der Wortschatz zwar Ober- und Unterbegriffe kennt, insgesamt aber eben keineswegs eine homogene Hierarchie bildet.18 In der Sprache vielmehr verläuft die Kategorienbildung multi-dimensional, insofern die Kategorien miteinander konkurrieren und sich vielfältig überlappen und überlagern. Und gleichzeitig wird nun klar, dass es sich bei tatsächlich allen der ge- nannten Medienbeispiele um die Bildung von Kategorien handelt. Ob im Fall der Spaltenköpfe, der Variablen, der Messwerte oder der Ordnungskriterien – immer geht es um Merkmale, die zu Kategorien werden. Wie aber kann das sein? Wie kann etwas, das zunächst nur ›Merkmal‹, also eines von vielen Kennzeichen ist, sich soweit emanzipieren, dass es zum Ordnungskriterium wird? Wie kann ein Merkmal den Sprung in den Spal- tenkopf schaffen? Wie kann ein Merkmal sich überhaupt ablösen von seinem Gegenstand, aus dem Material heraustreten und sich als eigene Entität – z. B. eben als Ordnungsbegriff – behaupten? 8. Folgerung Meine These ist, dass exakt dies die herausragende Leistung der Ähnlichkeit ist. Denn ganz offenbar ist es falsch, die ›Merkmale‹, wie in der Semantik üblich, allein als Bestandteile oder gar als »Komponenten« eines jeweils betrachteten Dings aufzufassen;19 und offenbar kommt man mit einer Logik der Zusam- mensetzung (Komponenten/Bestandteile) nicht weiter. Die Merkmale – ich 18 Lyons, John: Semantik. Bd. I, München: Beck 1980, S. 310. 19 Ebd., S. 327−345. 126 habe es oben gezeigt20 – sind gleichzeitig Komponente, Teil oder Anteil, und sie gehen über das jeweils betrachtete Ding hinaus, insofern sie dieses über ein Netz von Ähnlichkeiten mit den anderen Dingen verbinden. Ähnlichkeit überschreitet das einzelne Ding. Und hier wird die Vorstellung wirklich monströs: Ähnlichkeit nämlich greift in das Ding quasi hinein; ergreift etwas, was Bestandteil des Dinges und ihm ›eigen‹ ist, was als Merkmal ›zu ihm gehört‹, und verbindet es – über die Grenzen des Dinges hinweg – mit den anderen Dingen. Damit wird die Grenze in Frage gestellt, und mit ihm die Identität und die Integrität des Dinges. Hier vor allem, denke ich, liegt der Grund, warum man die Ähnlichkeit als grausig empfindet. Denn offenbar unterläuft die Ähnlichkeit unsere Basisvor- stellung, dass wir es mit Dingen zu tun haben, die Grenzen haben. Und hieran hängt viel; der Begriff des ›Dings‹ selbst, der immer schon impliziert, dass das Ding abgegrenzt ist; die Möglichkeit, Dinge in Handlungen einzubinden und zu ›Objekten‹ zu machen, und letztlich jede Ontologie. Mit der Differenz geht’s uns besser: Während sie die Grenzen bestärkt, tastet die Ähnlichkeit die Grenzen der Dinge an. Ausgetragen wird das Drama auf dem Terrain der Sprache. Auf der Seite der Unterscheidung, als Etikettierung/Benennung arbeitet sie unserer Vorstellung abgegrenzter, mit sich ›identischer‹ Dinge zu; und gleichzeitig eben ist die Sprache das Reich der Ähnlichkeit; sie basiert auf Ähnlichkeit, insofern Begriffe subsumieren und Sprache die Dinge hinter ihrem Rücken in Beziehung setzt; und sie macht Ähnlichkeit handhabbar, insofern sie das Schwirren vorfindlicher Ähnlichkeiten begrenzt und in die feste Form definierter Kategorien bringt… Für die anderen Medien aber, das war der Zweck meines Durchgangs durch verschiedene Beispiele, gilt letztlich das Gleiche. So drastisch sich Wörter/ Begriffe, Spaltenköpfe, Variablen, Messdaten und (in diesem Kapitel nicht ausgeführt) die Schemata des Bilderdiskurses unterscheiden, alle haben ge- meinsam, dass es sich letztlich um die Bildung von Kategorien handelt. In all diesen Fällen geht es darum, wie dem Besonderen ein Allgemeines entspringt. Und am Punkt des Umschlags regiert – die Ähnlichkeit. 20 Kapitel 7, Abschnitt 16. 127 BILDSTRECKE: Streetwear –  Hans Eijkelboom 1 1 Alle Abb.: © Hans Eijkelboom; herzlichen Dank für die Genehmigung der Reproduktion; vgl.: Eijkelboom, Hans; Carrier, David: People of the Twenty-First Century. London/NYC: Phaidon 2014. 129 130 131 9 Schemabildung Eine Maschine zur Umarbeitung von Inhalt in Form. 1. Intro Ich möchte nun den Begriff des Schemas aufgreifen, der an verschiedenen Stel- len meines Textes bereits aufgetaucht ist.1 Dieser Begriff hat innerhalb meiner Gesamtargumentation eine große Last zu tragen, weil er als eine Art Drehglied zwischen Ähnlichkeit, Wahrnehmungstheorie und Semiotik fungiert. Bislang allerdings habe ich noch nicht bestimmt, worum es sich bei einem ›Schema‹ eigentlich handelt. Und eine bündige Definition zu finden, ist keineswegs einfach, weil der Be- griff in viele Richtungen schillert. Der Schemabegriff wird in so vielen Kontexten und auf so unterschiedliche Weise verwendet, dass es ihn fast zerreißt.2 Begriffe, die schillern, aber verlieren keineswegs ihren Sinn; ihr Schillern vielmehr kann gerade Anzeichen einer besonderen Leistungsfähigkeit sein, einer besonderen Vitalität, die sie amphibisch von Kontext zu Kontext fruchtbar macht. Exakt dies – das werde ich im Folgenden zu zeigen versuchen – gilt auch für den Schema-Begriff. Es handelt sich um ein Konzept, das viele Aspekte und Vor- stellungen abstrahierend zusammenzieht und in dieser synthetischen Leistung, für die eine gewisse Unschärfe möglicherweise Bedingung ist, seine besondere Pointe hat. Als zweites möchte ich deutlich machen, dass der Schema begriff 1 Vortrag im Graduiertenkolleg Automatismen, Universität Paderborn, November 2009; veröf- fentlicht in: Conradi, Tobias; Ecker, Gisela; Eke, Norbert; Muhle, Florian (Hg.): Schemab ildung und Praktiken. München: Fink 2012, S. 15−35; für die Übernahme wurde der Text überarbeitet. 2 »Eine einheitliche Schematheorie gibt es derzeit nicht. Es handelt sich vielmehr um eine Gruppe von Theorien, deren Gemeinsamkeit darin besteht, daß sie das Schemakonstrukt verwenden, aber je nach konkretem Gegenstand durchaus unterschiedlich sein können.« (Mandl, Heinz; Friedrich, Felix; Hron, Aemilian: Theoretische Ansätze zum Wissenserwerb. In: Mandl, Heinz; Spada, Hans (Hg): Wissenspsychologie. München/Weinheim: Psycholo- gische Verlagsunion 1988, S. 123−160). 133 für die Medienwissenschaften von großer Bedeutung ist. Wenn nur relativ wenige Theorien Gebrauch von ihm machen, oder besser: nur relativ wenige einen theoretischen Gebrauch, so liegt dies nicht am Begriff. Das Schemakonzept scheint mir in seiner Reichweite noch keineswegs ausgeschöpft. Ich werde zeigen, dass ein sinnvoller Begriff des Zeichens nur im Rahmen einer ausgebauten Schematheorie überhaupt gefasst werden kann, insofern das Zeichen eine Art Sonderfall im Reich der Schemata bildet. Und weiter, dass auch die unterschiedlichen Medien sich vor allem im Hinblick auf die Schemabildung überhaupt unterscheiden. Im Schemakonzept, dies ist meine These, liegt der Schlüssel, warum es überhaupt unterschiedliche Medien gibt. 2. Begriffsfeld Geht man vom alltäglichen Sprachgebrauch aus, spaltet sich der Schemabegriff bereits auf. So nennt Wikipedia – viel gescholten, in vielen Fällen aber kompakt und brauchbar – zehn Aspekte: »Der Begriff Schema […] (von griech. σχήμα, […]) bezeichnet: – allgemein eine auf das Wesentliche beschränkte Formvorgabe oder ein Muster, siehe Schablone – eine vereinfachende Zeichnung wie ein Diagramm – in der Informatik ein formales Modell der Struktur von Daten, siehe Schema (Informatik) – in der Ethologie eine Gruppe von Merkmalen, die ein angeborenes Verhalten auslösen, siehe angeborener Auslösemechanismus – in der Psychologie – eine durch Vereinfachung gekennzeichnete Struktur von Gedächtnisinhalten, siehe Schema (Psychologie) – die handlungsbezogenen Aspekte des Denkens und der Intelligenz – in der Mathematik ein zentrales Konzept der algebraischen Geometrie, siehe Schema (algebraische Geometrie) – einen Bibelvers (von Hebräisch Schma), siehe Schma Jisrael. – ein RI-Fließbild in der Verfahrenstechnik [??] – eine standardisierte Vorgehensweise, vgl. Schema F«.3 3 Wikipedia (dt.), Eintrag: Schema; http://de.wikipedia.org/wiki/Schema, abgefragt am 23. 10. 09 (Erg. H. W.). 134 Formvorgabe und Muster verweisen nach vorne: Häufig wird impliziert, dass Schemata eine bestimmte Prägekraft haben. Schemata scheinen vorgefasst und von dort aus in die Zukunft zu wirken. Zum zweiten klingt Schema nach Planung, Routine und Ökonomie. Immer ist impliziert, dass es sich um eine Vereinfachung handelt, die knapper und sparsamer als das zu Beschreibende oder zu Gestaltende ist. Der Verweis auf das ›Schema F‹ allerdings zeigt eine deutlich pejorative Konnotation; der Begriff des Schemas und des Schematismus wird häufig kri- tisch verwendet, etwa in dem Sinn, dass das Schema in seiner Vereinfachung zu weit geht, und tatsächliche Komplexitäten allzu sehr reduziert. Ebenso erscheint das Schema – ›Schema F‹ – als unflexibel und starr; wodurch es in einen Gegensatz zur Dynamik und den Wechselfällen der jeweiligen Kontex- te tritt. Oft wird das Schema als unrealistisch, manchmal als gewaltförmig erfahren. Diese negative Konnotation ist wichtig, gerade weil die im engeren Sinne wissenschaftlichen Verwendungen des Schemakonzepts versuchen einen möglichst wertfrei-neutralen Schemabegriff zu gewinnen. 3. Bartlett Was die Wissenschaft angeht, so ist der Schemabegriff am geläufigsten wahr- scheinlich in der Psychologie. Die psychologische Schematheorie hat ihre Basis in der Gestalttheorie Wertheimers, Köhlers und Koffkas und der Entwicklungs- psychologie vor allem bei Piaget. Das Konzept selbst allerdings geht auf die sozialpsychologische Gedächtnistheorie F. C. Bartletts in den 1930er Jahren zurück.4 Bartlett, sagt mein Lexikon Kulturtheorie, »kritisiert am bisherigen Schema-Begriff, daß er zu statisch sei, und stellt sei- nen Schema-Begriff unter drei Prämissen: (a) Schemata sind bewußte und aktive Prozesse; sie reduzieren Komplexität und konstituieren Sinn. (b) Schemata beste- hen nicht aus einzelnen Elementen, sondern bilden ganzheitliche Strukturen, die 4 Bartlett, Frederic C.: Remembering. A Study in Experimental and Social Psychology. Cam- bridge/NY 1995 (EV.: 1932). 135 komplexes Wissen repräsentieren. (c) In den Schemata sind nicht nur kognitive Wissensbestandteile integriert, sondern auch soziale und affektive.«5 Bartlett wendet sich gegen die mechanischen ›Storehouse‹-Modelle des Ge- dächtnisses: »[In the processes of memory] the past operates as an organised mass rather than as a group of elements each of which retains its specific character. […] For this combined standard, against which all subsequent changes of posture6 are measured before they enter consciousness, we propose the word ›schema‹.«7 »Such schemata modify the impressions produced by incoming sensory impulses in such a way that the final sensations […] rise into consciousness charged with a relation to something that has gone before. […] It would probably be best to speak of ›active, developing patterns‹«.8 Und weil Bartlett die Schemata von vornherein in ihrer Dynamik betrachtet, geht er schnell zu einem Entwicklungsmodell über: »[S]chemata are build up chronologically. Every incoming change contributes its part to the total schema of the moment in the order in which it occurs. […] All of us, in reference to some of our schemata, have probably completed the model and now merely maintain it by repetition.«9 Und schließlich zum Problem der intersubjektiven Geltung, eng verbunden mit der Rolle der Medien: »With this, […] as my experiments repeatedly show, goes a great growth of social life, and the development of means of communication. Then the schema determined reactions of one organism are repeatedly checked, as well as constantly facilitated, by those of others.«10 5 Nünning, Ansgar (Hg.): Metzler Lexikon Literatur- und Kulturtheorie: Stuttgart/Weimar: Metzler 1998, S. 478. 6 …Bartletts Beispiel sind Positionsänderungen des Körpers… 7 Bartlett, Remembering, a. a. O., S. 197, 199. 8 Ebd., S. 200f., B. zit. Henry Head. 9 Ebd., S. 203. 10 Ebd., S.  206; zur intersubjektiven Geltung und zum kollektiven Unbewussten siehe auch S. 281 ff. 136 Bereits in den dreißiger Jahren, bei Bartlett, also liegen wichtige Bestimmun- gen des Schemabegriffs vor. Als ein zweiter Zeuge wäre z. B. Halbwachs zu nennen,11 der den Begriff des Schemas explizit zwar nicht verwendet, mit seiner Theorie der ›Rahmen‹ aber sehr ähnlich argumentiert; der Begriff des Rahmens wurde, alternativ zum Schemabegriff, in der KI verwendet, um Situationen zu typisieren.12 Mit dem Aufkommen des Behaviorismus trat die Schematheorie dann für einige Jahrzehnte zurück; in den 1970er Jahren allerdings wurde sie auf breiter Front wieder aufgegriffen. »[N]ahezu gleichzeitig erschiene[n] Publikationen der kognitiven Psychologie (D. E. Rumelhart), KI-Forschung (M. Minsky), Linguistik (Ch. Fillmore) [und der] Theorie der Motorik (R. A. Schmidt), die alle auf der Schematheorie aufbauen. Sie ist seither ein fester Bestandteil dieser Forschungsgebiete.«13 4. Kognitivismus, Matthes Die genannten Gebiete standen, allen Verschiedenheiten zum Trotz, in den 1970ern in engem Rapport; und Drehscheibe für diese enge Wechselwirkung war vor allem die Suggestion des Computers. Mühelos stellte dieser die Me- taphern bereit, in denen auch filigrane Wissenschaften wie die Linguistik und die Psychologie ihren Gegenstandsbereich Schritt für Schritt reformulierten; der Entwicklungsschub der IT und die ingenieurmäßige Härte der Hardware schienen den traditionell ›weichen‹ Fächern den ersehnten Anschluss an die Naturwissenschaften zu liefern. Vor allem die Kognitionstheorie griff das Schemakonzept auf; und fast alle Definitionen der Gegenwart sind von Vorstellungen und Begrifflichkeit der Kognitionswissenschaften bestimmt. Dass diese alles andere als unproblema- tisch sind, wird noch zu zeigen sein; gleichzeitig aber hat die Kognitionstheorie 11 Halbwachs, Maurice: Das Gedächtnis und seine sozialen Bedingungen. Frankfurt  a. M.: Suhrkamp 1985, S. 144 ff. (EV., frz.: 1925); sowie: ders.: Das kollektive Gedächtnis. Frank- furt a. M.: Fischer 1991 (EV., frz.: 1950). 12 Minsky, Marvin: Mentopolis. Stuttgart: Klett-Cotta 1990, S. 244 ff. (EV., am.: 1985). 13 Nünning, Lexikon Literatur- und Kulturtheorie, a. a. O., S. 478 (Erg. H. W.). 137 zum Schemakonzept wesentliche Bestimmungen beigetragen. Gestützt auf Matthes,14 der fokussiert auf die Medienwirkungsforschung eine zusammen- fassende Darstellung versucht, möchte ich einige dieser Bestimmungen kurz andiskutieren; die erste allerdings steuert Wikipedia bei: »Schemata sind Inhalte des impliziten Gedächtnisses, werden also in die jeweilige Situation ›mitgebracht‹, und bestimmen durch Wiedererkennen (top down) über Auswahl/Filterung der eingehenden Information, deren Bedeutung und im weiteren über Speicherung und Einordnung des neuen Wissens.«15 Immer wenn die Begriffe des ›Wissens‹, der ›Information‹ usf. undiskutiert in Anspruch genommen werden, ist der kognitionspsychologische Eintrag bereits deutlich. Dennoch erscheint mir die Definition tauglich, insofern sie die Schemata als Gegenüber der jeweils aktuellen Wahrnehmungen fasst; die aktuelle Wahrnehmung trifft auf eine im Gedächtnis bereits bestehende Struktur; die dort vorhandenen Schemata entscheiden darüber, wie die aktuelle Wahrnehmungen eingeordnet und – wieder eine technische Metapher – ›ge- filtert‹ und ›verarbeitet‹ werden. Wahrnehmen ist auch in der Schematheorie ein Wiedererkennen. Und die im Gedächtnis bereits bestehenden Schemata haben eine gewisse Macht über die aktuelle Wahrnehmung. Die zweite Bestimmung entnehme ich Matthes, und dieser dem kognitions- psychologischen Handbuch von Eysenck und Keane: »A schema«, zitiert er, »is a structured cluster of concepts; usually, it involves generic knowledge and may be used to represent events, sequences of events, percepts, situations, relations, and even objects«.16 Schemata also sind in sich pluralisch und konstellativ. Diese Bestimmung ist schwierig genug; ist doch selbst die Semantiktheorie kaum in der Lage, in sich 14 Matthes, Jörg: Die Schema-Theorie in der Medienwirkungsforschung: Ein unscharfer Blick in die ›Black Box‹? In: Medien und Kommunikationswissenschaft, 52. Jahrgang, Nr. 4/2004, S. 545−568. 15 Wikipedia (dt.): Schema (Psychologie); http://de.wikipedia.org/wiki/Schema_(Psychologie), abgefragt am 24. 10. 09 (Hervorh. H. W.). 16 Ebd., S.  546 (Hervorh.  H. W.), Matthes zitiert Eysenck/Keane: Cognitive Psychology – a student’s handbook (2002). 138 pluralische, konstellative Repräsentationen tatsächlich zu denken. Entspre- chend schnell rettet sich Matthes auf sicheres Terrain: »Vereinfacht ausgedrückt ist menschliches Wissen gemäß der Schema-Theorie ähnlich wie in einem Schubladensystem [!] organisiert: Prinzipiell gibt es unendlich viele Schubladen, da es ja für jede Situation, jedes Objekt etc. ein Schema gibt.«17 Was aber würde dies heißen? Gäbe es tatsächlich unendlich viele Schemata, verlöre der Begriff jeden Sinn. Augenfällig  – und im Begriff des Wieder- erkennens bereits impliziert  – ist doch, dass ein Schema eine Vielzahl dif- ferenter Situationen, Objekte oder Wahrnehmungen unter sich fasst; unter der Voraussetzung eben, dass diese als in irgendeiner Weise ähnlich erkannt werden. Es ist insofern davon auszugehen, dass es zwar sehr viele, keineswegs aber ›unendlich‹ viele Schemata und ›Schubladen‹ gibt. Ihre Zahl vielmehr muss signifikant kleiner sein als die der jeweils aktuellen Wahrnehmungen/ Situationen, und diese spezifische Knappheit/Ökonomie macht sicherlich eine der Pointen im Funktionieren der Schemata aus. Schemata, hatte ich oben geschrieben, gehorchen einer Logik der Subsumtion, wie man sie z. B. von sprachlichen Begriffen kennt. 5. Abstraktion Dass Schemata abstrakter sind als das jeweils Schematisierte, ist den Kogni- tivisten durchaus bewusst: »Memory«, schreiben etwa Rumelhart/Norman, »contains a record of our experiences. Some of the information is particular to the situation that it represents. Other information is more general, representing abstraction of the knowledge of particular situations to a class of situations. […] A psychological theory of memory must be capable of representing both general and particular information. We believe that general information is best represented through organized information units that we call schemata.«18 17 Matthes, Die Schema-Theorie, a. a. O., S. 546 (Hervorh. H. W.). 18 Rumelhart, David E.; Norman, Donald A.: Accretion, Tuning, and Restructuring: Three Modes of Learning. In: Cotton, John W.; Klatzky, Roberta L. (Hg.): Semantic Factors in Cognition. New Jersey 1978, S. 37−53, hier S. 40f. (Hervorh. H. W.). 139 Und die Autoren bieten ein Modell an, wie man sich die Abstraktion bzw. Generalisierung, die in den Schemata steckt, abstrahiert und schematisch vorstellen kann: »It is possible that our early experiences with some class of events give rise to a set of particular representations of those events. Then we generalize from these experiences by substituting variables for the aspects of the events that seem to vary with situations, leaving constants (particular concepts) in those parts of the representation that are constant across the different events in the class. The result is a general schema for a class of events.«19 Die skizzierte Vorstellung, wie gesagt, ist selbst rüde schematisch, und in der Rede von Variablen und Konstanten sucht sie die tröstliche Nähe der Mathe- matik. Akzeptiert man dies aber für den Moment, ist das Modell durchaus erhellend: Eigentlich nämlich wird nur unterschieden zwischen solchen Fakto- ren, die bei jedem Vorkommen des Schemas konstant sind, und solchen, die, ohne dass das Schema beschädigt würde, von Situation zu Situation variieren. Das Schema ist Struktur, insofern es sich nur auf die ersteren stützt. Und aus dem gleichen Grund ist es ›abstrakt‹: Indem es von den jeweiligen Situationen nur bestimmte Merkmale verlangt, andere aber offenlässt, nimmt es Abstand von der konkreten Situation und kann viele, variierende Situationen unter sich fassen. Auf Basis dieser Vorstellung können Rumelhart/Norman plausibel etwa Fälle von Übergeneralisierung beschreiben – »a young child learns that not all animals are ›doggies‹«20 –, und allgemeiner, dass es im Abgleich zwischen Schema und konkreter Situation immer um ›applicability‹ und um die ›Ad- äquatheit‹ des Schemas geht.21 Interessant ist, dass die ›Variablen‹ in den meisten Fällen nicht einfach offenbleiben, sondern durch Vorannahmen, die Rumelhart/Norman ›default values‹ nennen, provisorisch ausgefüllt werden: 19 Ebd., S. 41. 20 Ebd., S. 39. 21 Ebd., S. 48, 43. 140 »The different variables in a schema are often constrained: We do not expect to find all possible plants or animals on a farm. Tigers, eels, and poison ivy are ani- mals and plants but not within the normal range of possible crops or livestock. Many of the variables in schemata have default values associated with them. […] Variables (and their constraints) serve two important functions: 1.) They specify what the range of objects is that can fill the positions of the various variables. 2.) When specific information about the variables is not available, it is possible to make good guesses about the possible values.«22 Überall schimmert der Computer durch, und man wird festhalten müssen, dass es keineswegs gelungen ist, auf Basis der Schematheorie plausible Programme zu schreiben; die modellhafte Vorstellung, die entsteht, aber beschädigt dies zunächst nicht. 5. Schemata und aktuelle Wahrnehmung Kehren wir nun zu Matthes und zur Situation der jeweils aktuellen Wahrneh- mung zurück. Den Zusammenprall zwischen aktueller Wahrnehmung und den im Gedächtnis bestehenden Schemata beschreibt Matthes wie folgt: »Trifft eine Information auf das Informationsverarbeitungssystem [!], wird zunächst das Schema identifiziert, welches am besten auf die einströmende Information passt. Diese Phase der Schema-Identifikation kann als datengeleitet (bottom up) bezeichnet werden. Welches Schema identifiziert wird, bestimmt, ob und wie diese Information verstanden und eingeordnet wird.«23 Interessant nun ist, was passiert, wenn eine eingehende Wahrnehmung Diffe- renzen zum aufgerufenen Schema aufweist. »When a stimulus configuration«, schreibt Matthes, [Mein Gott, selbst der Behaviorismus ist noch immer in Arbeit!], 22 Ebd., S. 43 f. 23 Matthes, Die Schema-Theorie, a. a. O., S. 547 (Hervorh. H. W.); allerdings würde ich bestreiten, dass es sich um einen ›datengeleiteten (bottom up)‹ Prozess handelt, weil es ja um einen Abgleich zwischen der aktuellen Wahrnehmung und den Schemata geht. Sehr viel plausibler erscheint mir deshalb die Bestimmung Bergsons, dass sich im Prozess der Wahrnehmung ›zwei Ströme‹ (aktuelle Wahrnehmung und Gedächtnisinhalte) kreuzen (vgl. Kap. 4, FN 4). 141 »is matched against a schema, elements in the configuration come to be ordered in a manner that reflects the structure of the schema.« Und er setzt fort: »Diese strukturierende Funktion ist die Basis für schema-induzierte Erinnerungsleistun- gen, denn schema-relevante Informationen werden einfacher und schneller erinnert als schema-irrelevante Informationen.«24 Kern der sogenannten ›Strukturierungsfunktion‹ ist, dass der Abgleich mit den Schemata die aktuellen Wahrnehmungen nicht unberührt lässt. Diese vielmehr werden umgeformt und angepasst; was zum aufgerufenen Schema nicht passt, droht herausgefiltert zu werden. Dies zeigt sich insbesondere dann, wenn untersucht wird, wie die Wahrnehmungen wiederum erinnert werden. Ebenso aber scheint auch das Gegenteil möglich zu sein, denn Autoren der 1990er Jahre zeigen, dass in bestimmten Fällen »entgegen der ursprünglichen Annahme […] schema-inkonsistente Informa- tionen zu einer höheren Erinnerungsleistung führen als schema-konsistente Informationen.«25 Auch dies ist plausibel, insofern man sich sicher eher an das erinnert, was der Erwartung widerspricht, was außergewöhnlich oder verblüffend ist. Sieht man vom Sonderproblem der Erinnerung ab, also scheinen zwei Wege möglich zu sein: eine Angleichung der Wahrnehmung an die Schemata ebenso wie eine Irritation der Schemata selbst. Dies führt auf die Frage, auf welche Weise sich Schemata ändern. 6. Veränderung von Schemata Sind Schemata einerseits »relativ stabile« kognitive Strukturen,26 findet Matthes bei Rumelhart dennoch drei Weisen ihrer Modifikation: Accretion, Tunig und Restructuring. 24 Ebd., S. 547, M. zit. Taylor/Crocker 1981. 25 Ebd., S. 551 (Hervorh. H. W.). 26 Ebd. 545, 547; »Die Versuchspersonen zeigten wenig Neigung, ihre Schemata umzustruktu- rieren, auch dann, wenn die in den Texten [aktuell] vermittelten Informationen in deutlichem 142 »Accretion bezeichnet das sukzessive Ansammeln von Faktenwissen, z. B. beim Lernen von Telefonnummern oder Namen. Neue Informationen werden zu einem bereits bestehenden Schema hinzugefügt, ohne dass es zu strukturellen Verände- rungen in der Wissensorganisation kommt. Wenn allerdings kein Schema für die neue Information herangezogen werden kann, dann ist Lernen durch accretion nicht mehr effektiv. In diesem Fall muss entweder ein bereits bestehendes Schema modi- fiziert werden (tuning) oder es wird ein neues Schema gebildet (restructuring).«27 Schemata werden, abhängig von den aktuellen Wahrnehmungen, auch modi- fiziert; es ist also keineswegs so, dass die Schemata einfach ›Macht‹ über die aktuellen Wahrnehmungen haben; sie sind ihrer verändernden Kraft auch unterworfen. Zwei weitere Bestimmungen seien nur kurz berührt: Einig ist sich die Kognitionstheorie darin, dass Schemata eine Funktion der Entlastung haben. Schemata gelten als ökonomisch gerade mit Blick auf die knappen, mentalen Ressourcen. Und weiter nennt Matthes als Konsens die erwähnte Strukturie- rungsfunktion. Schemata strukturieren Erfahrungen und weisen ›eintreffenden Informationen‹ eine Bedeutung zu.28 7. In den falschen Händen All diese Bestimmungen sind mir, wie gesagt, durchaus plausibel. Und gleich- zeitig ist die Rhetorik der Kognitionstheorie – ›speichern‹, ›menschliche In- formationsverarbeitung‹, ›Schubladen‹, ›Stimuli‹ oder ›Wissen‹  – schlicht grausig. Etwas böse kann man sagen, dass die Schematheorie  – bei allem vordergründigen Erfolg  – bei den Kognitionswissenschaften in die falschen Hände geraten ist. Gleichzeitig ist deutlich, dass die Protagonisten am Begriff des Schemas letztlich verzweifeln. Auf der Suche nach einer Exaktheit und Operationalisier- barkeit, die der Begriff weder hergibt noch vielleicht hergeben will, scheinen ihre Gegensatz zu ihren Alltagstheorien über die betreffenden Gegenstände standen.« (Mandl/ Friedrich/Hron, Theoretische Ansätze zum Wissenserwerb, a. a. O., S. 128 (Erg. H. W.)). 27 Matthes, Die Schema-Theorie, a. a. O., S. 548. 28 Ebd., S. 547. 143 Anhänger in nahezu alle denkbaren Richtungen auseinanderzulaufen. Matthes’ letzter Teil, der eine Kritik am Schemabegriff versucht, und plausible Punkte mit Kontrollphantasien und der etwas nassforschen Entscheidung, nun doch lieber auf Konnektionismus und/oder Einstellungsforschung zu setzen,29 bildet dies exakt ab. Ernst zu nehmen ist sicherlich, dass es ausgesprochen schwierig ist, Schematheorien zur Basis konkreter Materialanalysen zu machen. Wenn Schemata tatsächlich Teil des impliziten Wissens sind, kann es kaum verwun- dern, dass sie mit den Mitteln der empirischen Sozialforschung aus ihren Schlupfwinkeln kaum herauszuholen sind. Sieht sich die Kognitionstheorie doch erst in den letzten Jahren und unter dem Druck der Neurowissenschaften gezwungen, so etwas wie ein Unbewusstes oder Vorbewusstes überhaupt in Erwägung zu ziehen. Weiter scheint enttäuschend, dass Schematheorien konkrete Prognosen offensichtlich nicht erlauben. Es sei praktisch unmöglich, die Abstraktions- ebene zu fixieren, auf der Schemata zu vermuten seien (was immerhin daran liegen könnte, dass diese gestuft, also auf unterschiedlichen Ebenen der Ab- straktion operieren). Weil es sich um etwas Dynamisches, und eben nicht um etwas Statisches handele, sei mit Iran-Nejad der Langzeit-›Speicher‹-Charakter aufzugeben30 und zu einem vollständig dynamisierten Konzept überzugehen: »[A]ll types of cognitive representations will be found to be flexibly reconstructed in a context-sensitive way rather than retrieved from memory as they were stored – like items buried in a time capsule.«31 »Vom strukturellen Aspekt der Informations- verarbeitung [sei] Abstand [zu] nehmen.«32 Wenn allerdings allein der Kontext regiert, ist das Terrain jeder sinnvollen Schema-Theorie verlassen. Vielleicht aber ist die Frage, die Rumelhart stellt, »wie kann ein Schema eine abstrakte Struktur bzw. Wissensrepräsentation sein, und gleichzeitig ausreichend formbar, um für die verschiedenen Situationen zuzutreffen?«33 29 Ebd., S. 552 ff., 559, 560. 30 Ebd., S. 559. 31 Ebd., M. zit. Smith 1996. 32 Ebd. (Erg. H. W.). 33 Ebd., M. paraphrasiert Rumelhart. 144 zumindest auf theoretischer Ebene lösbar. Vielleicht ist der Schemabegriff keineswegs ein »begriffliches Monstrum«, das »den Leser mit seinem Wissen über die nicht explizierten Begriffe allein lässt«.34 Und vielleicht eben ist es, wie ich anfangs vermutet habe, kein Defekt, wenn der Schemabegriff eine gewisse Unschärfe braucht, um seine Arbeit zu tun. In meinen Augen handelt es sich beim Schemabegriff um ein Modell, das wie alle Modelle bestimmte Aussagen zulässt und andere durchaus nicht. Meine Behauptung aber ist, dass man über dieses Modell mehr sagen kann, als der referierte Rahmen vermuten lässt. Das Terrain der Kognitionstheorie allerdings wird man dafür hinter sich lassen müssen. 8. Essentials In einem ersten Schritt möchte ich einige Linien verlängern, die sich im Re- ferierten bereits angedeutet haben. So erscheint mir zunächst wichtig, dass das Schema Vergangenheit (Erfahrung), Gegenwart (Umgang mit aktuellen Wahrnehmungen, eingehender ›Information‹) und Zukunft (Erwartung) auf regelhafte Weise verknüpft. Der Schemabegriff also hat eine notwendig zeitliche Achse. Dies macht es nötig sich Gedanken zu machen, wie ein Schemabegriff gebaut sein muss, der diese spezifische Zeitstruktur plausibel fasst. Es geht um eine Vorstellung, wie Schemata, die Resultat von Erfahrungen sind, neue Erfahrungen gleichzeitig formatieren;35 und die Tücke liegt sicherlich darin, Zyklus und Voranschreiten, Veränderung und relative Stabilität, Diskurs- und Speicheraspekt zusammenzudenken. Wichtig ist zweitens ein Entstehungsmodell. Hier, denke ich, kann das Schemakonzept von einem nahen Verwandten, dem Stereotypenbegriff, lernen. Während Schemata nämlich leicht als vorgefasst, vorgängig, als immer schon vorhanden erscheinen, ist klar, dass Stereotypen in einer Kette diskursiver 34 Ebd., S. 552, M. zit. Herrmann 1982. 35 »Im Zusammenhang mit Wissenserwerb kann man Schemata unter zweifachem Aspekt sehen: als Ergebnis und als Voraussetzung des Wissenserwerbs. Der erste Aspekt – Schemata als Ergebnis des Wissenserwerbs – wurde in der schematheoretischen Forschung bislang selten aufgegriffen.«. (Mandl/Friedrich/Hron, Theoretische Ansätze zum Wissenserwerb, a. a. O., S. 124). 145 Ereignisse allererst ihre Form, ihre Identität und ihre Grenzen gewinnen. Für die Schemata, um die es hier geht – für im Instinkt festgelegte Schemata mag dies anders sein – gilt wahrscheinlich das gleiche: Stereotypen und Schemata schichten sich auf; sie sind Verhärtungen im Diskurs, die in der Wiederho- lung und allein durch die Wiederholung entstehen; und interessant wird das Konzept erst, wenn man es ganz und vollständig von der Erfahrung (und der Wiederholung) abhängig macht. Die innere Zeitstruktur (Erfahrung/Wahrneh- mung/Erwartung) und die Frage der Geschichtlichkeit der Schemata hängen damit zusammen. Der dritte Punkt, den ich hervorheben möchte, ist noch einmal die Rolle der Abstraktion. Schemata sind immer und notwendig abstrakter als die Wahr- nehmungen, Phänomene oder Ereignisse, die sie ordnen und repräsentieren. Ein Schema kann nur Schema sein, wenn es ein Wiedererkennen erlaubt, also eine Vielzahl von Fällen unter sich fasst. Die Wiederholung selbst, dies habe ich an anderer Stelle herausgearbei- tet, ist eine Maschine der Abstraktion. Denn wiederholbar ist nur, was sich von seinem einzelnen Kontext losreißt und emanzipiert. Oder genauer: die Wiederholung ist eine Art mechanischer Filter: An jedem konkreten Ereignis trennt sie, was Wiederholung und was nicht Wiederholung – und in letzter Instanz eben einzigartig – ist. Schemata fallen voll und ganz auf die Seite der Wiederholung. Aus dem Zusammenhang von Wiederholung und Abstraktion werde ich viel dessen ableiten, was die eigentliche These dieses Kapitels ist. 9. Medien Ich möchte nun in einem nächsten Schritt zu den Medien wechseln. Die Frage nach den Schemata ist innerhalb der Medienwissenschaften ebenso augenfällig wie relevant; so ist vor allem den Massenmedien der Vorwurf des Schematismus gemacht worden, meist vortheoretisch, oder aber elaboriert bei Horkheimer/ Adorno oder bei Prokop im Rahmen einer umfassenden Medienkritik. Augenfällig stellt sich sofort das Problem, dass der Schema-Begriff, wie die Psychologie oder die Sozialpsychologie ihn fassen, für die Medien zunächst nicht geeignet erscheint. Geht es doch keineswegs nur um diejenigen Schemata, die auf Seiten der Subjekte, der Rezipierenden in Arbeit sind. Schemata, Sche- 146 matisierung und Schematismen vielmehr scheinen auch die Medienprodukte zu kennzeichnen; wieder eng am Begriff des Stereotyps, der im Kern meint, dass die Produkte auch anders, auch weniger schematisiert ausfallen könnten. Die erste Frage ist entsprechend, in welcher Relation die Schemata auf der Seite der Rezipierenden und diejenigen auf der Produktseite stehen. Schließt man eine schlichte Manipulationstheorie aus, wäre die erste Antwort dieje- nige Horkheimer/Adornos einer wechselseitig-zirkulären Bedingtheit oder Entsprechung.36 Polemisch sagen Horkheimer/Adorno, die Kulturindustrie nehme die schematisierten Massenbedürfnisse auf, überbiete im Schematis- mus ihrer Produkte aber die Synthesis, die Kant noch dem transzendentalen Subjekt überantwortet hatte.37 So weitreichend und nach wie vor aktuell diese Polemik ist, so lohnenswert erscheint es, den Schemabegriff auch innerhalb der Medienwissenschaften von seinen pejorativen Konnotationen zu lösen, und ich möchte im Folgenden einen Versuch u. a. in diesem Sinn machen. In meinen Augen, und der Untertitel des Kapitels kündigt es an, sind Me- dien allgemein, und zwar jenseits von allen Inhalten und jenseits eben einer mehr oder weniger ›schematisierten‹ Darstellung, Maschinen, die Schemata generieren. Medien haben die Aufgabe, aus Inhalten, d. h. aus dem jeweils Ein- zelnen, ein auf unterschiedlichen Stufen Allgemeines zu extrahieren. Medien sind Maschinen zur Umarbeitung von Inhalt in Form. Allerdings sehe ich ein, dass dies eine Erläuterung verlangt. Augenfällig ist zunächst, dass der Mechanismus der Subsumtion, der oben als ein Kern des Schemabegriffs exponiert wurde, für alle symbolisch-medialen Prozesse kennzeichnend ist. Medien sind nur insofern Medien, als sie das jeweils zu Begreifende unter Schemata fassen. Im Feld der Sprache ist dies evident; Be- griffe sind Schemata, die das jeweils zu Begreifende rastern, abstrahieren und auf ein Netz allgemeiner Bestimmungen beziehen. Niemand würde erwarten, dass der Begriff ›Zebra‹ einem einzelnen Exemplar besonders gerecht würde; 36 Horkheimer, Max; Adorno, Theodor W.: Dialektik der Aufklärung. Philosophische Fragmen- te. GES, Bd. 3, Frankfurt a. M.: Suhrkamp 1981 (EV.: 1947); die zentrale Frage Horkheimer/ Adornos ist die, warum das Publikum dem ihm Gebotenen zustimmt; es geht also keineswegs, wie man immer wieder lesen kann, um ›Manipulation‹, sondern um einen destruktiven Zirkel zwischen Bedürfnisstruktur und Angebot; (zur Figur des Zirkels siehe ebd., S. 142, 148, 155, 168). 37 Ebd., S. 145. 147 der Begriff vielmehr adressiert die Gattung, und schneidet ab, was das einzel- ne Exemplar von seinen Artgenossen durchaus unterscheidet. Dass Sprache subsumiert und dem jeweils Einzelnen Unrecht antut, haben Nietzsche und Adorno in ihren brillanten Sprachkritiken gezeigt.38 Aber gilt dies tatsächlich für alle Medien? Sind nicht gerade die Bild medien – Fotografie und Film – angetreten, diesen Defekt, diesen Makel der Sprache zu korrigieren? Folgt man dem Augenschein, kommen Fotografie und Film tat- sächlich ohne Subsumtion aus. Anstatt eines Allgemeinen präsentieren sie ein Einzelnes, das in all seiner Konkretheit, und zudem eingebettet in seinen jeweils konkreten, nicht austauschbaren Kontext, sich präsentiert. Dies ist die Beson- derheit und die besondere Pointe dieser Medien-Konstellation; eine radikale Konkretheit, die an die einzelnen nicht-austauschbaren Oberflächen sich bindet. Aber ist dies tatsächlich die letzte Auskunft? Auffällig ist zunächst, dass Fotografie und Film ganz überwiegend exemplarisch verfahren. Das jeweils Einzelne steht fast nie für sich selbst, oder nur für sich selbst, sondern in der überwiegenden Anzahl der Fälle bietet das jeweils konkret Präsentierte Mög- lichkeiten der Verallgemeinerung an. Die gefilmte Kneipe ist konkret, steht auf einer zweiten Ebene aber einfach für ›Kneipe‹. Der gefilmte Hund bellt konkret und als Exemplar. Und wenn sich der Zuschauer mit dem Darsteller oder der fiktionalen Figur identifiziert, so ist auch dies ein Mechanismus, der aus einem konkreten Einzelnen ein offensichtlich Übertragbares macht. Ähnlich häufig sind Fälle einer Logik der Metonymie/Synekdoche, die aus Teilen ein Ganzes und aus benachbarten Konkreta ein versteckt Allgemeines macht. Daneben sind alle denkbaren Stufen von Allegorien möglich; Wenn vor dem Amtsgericht – mit verbundenen Augen – eine ›Justitia‹ steht, und diese für das abstrakte Prinzip der Gerechtigkeit allgemein, so kann man sagen, dass Film und Fotografie von Justitiae nur so wimmeln. Die radikale Konkretion der Oberflächen ist Realität – und gleichzeitig Schein. Und noch deutlicher wird dies, sobald man auf die Seite der Rezipieren- den wechselt. Wenn schon die Gestalttheorie lehrt, dass alles Wahrnehmen Wiedererkennen ist, so impliziert dies, dass hinter, unter und jenseits des 38 Nietzsche, Friedrich: Über Wahrheit und Lüge im außermoralischen Sinn. In: Werke. Bd. 5, München/Wien: Hanser 1980, S. 309322 (EV.: 1873); Adorno, Theodor W.: Negative Dia- lektik. In: GES, Bd. 6, Frankfurt a. M.: Suhrkamp 1982, S. 7−412 (EV.: 1966). 148 Konkreten jeweils ein Schema waltet (auch wenn dies ausdrücklich nicht die letzte Auskunft zum Wahrnehmungsprozess ist). Aber kann dies ein Wunder sein? Sind wir damit nicht dort, wo wir losgelaufen sind, zurück auf dem Terrain der Psychologie? 10. Galton Dass es tatsächlich um das materielle Funktionieren der Medien geht, und keineswegs eben nur um die weichen Prozesse der menschlichen Seele, sei an einem zusätzlichen Beispiel zumindest illustriert. In den 1990er Jahren präsentierte die Magazinbeilage der ›Zeit‹ – völlig unberührt von jeder Gen- derdebatte unter dem Titel ›Schönheit, Was ist das?‹ – folgende Abbildung:39 Es handelt es sich um ein sogenanntes Mischportrait, das aus den 16 Bildern links durch schlichte Überlagerung das große Bild auf der rechten Seite erstellt. Die Technik der Kompositfotografie geht auf den englischen Naturforscher Francis Galton (1822−1911) zurück, der das kriminologische Projekt hatte, aus Tausenden von Fotografien von Verbrechern »die Gesichtszüge [zu ermitteln], die mit verschiedenen Arten von Kriminalität einhergingen.«40 39 Zimmer, Dieter E.: Schönheit, was ist das? In: Die Zeit – Magazin, Nr. 2, 5. 1. 1996, S. 8−15, hier: S. 10; Abb.: © Karl Grammer, Universität Wien; Dank für die Genehmigung der Re- produktion. 40 Ewen, Elisabeth; Ewen, Stuart: Typen & Stereotype. Die Geschichte des Vorurteils. Berlin: Parthas 2009 (EV., am.: 2006). 149 Ewen/Ewen, die in ihrem brillanten Buch ›Typecasting‹ die Rolle von Ste- reotypen und die Allianz von Wissenschaftsgeschichte und Populärkultur untersuchen, ordnen Galton in die problematische Geschichte anthropologisch- physiognomischer Forschungen ein: »Galtons Verfahren verdankte vieles den statistischen Neuerungen, denen Adolphe Quetelet über 30 Jahre zuvor den Weg geebnet hatte. […] 1844 hatte Quetelet unter Anwendung des aus der Astronomie bekannten Gauß’schen Fehlergesetzes die Brustkorbgröße von 5000 schottischen Soldaten gemessen. Jeder Soldat hat- te seine individuellen Abmessungen, aber zusammengenommen ermöglichten diese Daten […] die Ermittlung der Körpermaße des ›normalen Soldaten‹ oder ›Durchschnittssoldaten‹. Während also jedes Mitglied einer gegebenen Gruppe seine oder ihre persönlichen Besonderheiten hatte, konnten laut Quetelet die ›Durchschnittsmerkmale‹ dieser Gruppe ermittelt werden, indem die Individuen zu einem ›Idealtypus‹ verrechnet wurden.«41 Galton musste das numerische Verfahren Quetelets nur ins optische Medium der Fotografie übersetzen, um aus konkreten Portraits von Verbrechern den Typus des Verbrechers zu extrahieren. Ewen/Ewen zitieren Galton: »›Wenn wir die aus dem selben Blickwinkel und unter denselben Lichtverhältnis- sen aufgenommenen Porträts von zwei oder mehreren Personen nehmen und … wenn wir sie in verschiedene Projektionsapparate stecken, die ihr Bild auf dieselbe Leinwand projizieren und sie sorgfältig einstellen – zuerst, um sie auf denselben Maßstab zu bringen, und dann, um sie so genau übereinander zu projizieren, wie es die Umstände zulassen – dann vermischen sich die unterschiedlichen Gesichter erstaunlich gut zu einem einzigen Antlitz. Wenn sie nicht sehr unterschiedlich sind, macht das gemischte Ergebnis immer einen seltsamen Eindruck von Indivi- dualität und ist erstaunlich scharf gezeichnet; es gleicht keinem seiner Bestandteile genau, hat aber eine Art Familienähnlichkeit mit allen und stellt ein idealtypisches Durchschnittsportrait dar.‹«42 Von der Kriminologie zur Schönheit ist es für die ›Zeit‹ nur ein kurzer Weg. Und beides scheint eine Frage allein der Typisierung zu sein. Interessant erscheint mir, dass es im Fall der Schönheit nicht allein um den Idealtypus, sondern – ganz 41 Ebd., S. 287. 42 Ebd., S. 288. 150 wörtlich – um ›Ideale‹ geht; die statistische Überlagerung erweist sich als ein Mechanismus der Idealisierung. Und unterstellt man, dass unser Schönheitsemp- finden tatsächlich schematisierend/statistisch verfährt, wäre zu folgern, dass es sich auch hier um Ökonomie, also letztlich um Denkfaulheit handelt. Wie immer man zu Galton und seinen Forschungen steht: Was ich an seinem Beispiel zu zeigen versuche, ist, dass es regelhafte Übergänge zwischen Me- dientechniken und Schemabildung, technischen und psychischen Vorgängen, gibt. (Womit ich keineswegs impliziere, über das Verhältnis beider sei damit alles gesagt, beide seien kausal verbunden, gingen ineinander auf, oder seien auch nur unmittelbar kompatibel). Der Schemabegriff fällt eben keineswegs einfach auf die Seite der Rezipie- renden-Psychologie; Galton vielmehr zeigt, dass das relativ schlichte Mittel der Wiederholung/Akkumulation etwas produziert, das wir intuitiv als Prozess der Schemabildung anerkennen würden. Doch genauer: das Verfahren setzt ein gewisses Maß an Ähnlichkeit durchaus voraus; so wäre es sicherlich unmöglich, aus einem Postauto, einem Baum und einem Meerschweinchen eine plausible Kompositfotografie zu gewinnen. Und gleichzeitig – und dies ist tatsächlich mehr als wichtig – stellt die Kom- positfotografie das tertium comparationis allererst her. Dies deutet darauf hin, dass in beliebigem Material allein nach dem Maßstab empirisch auftretender Ähnlichkeit/Wiederholung die Schemabildung anlaufen kann.43 Der Mecha- nismus scheint damit in einzigartiger Weise robust: Er scheint weder an eine bestimmte Ebene von Abstraktion gebunden zu sein, da er diese Abstraktion als einen Effekt der Ähnlichkeit/Wiederholung/Kumulation selbst produziert. Und er erscheint – auch das hatte den Kognitivismus ja in einige Verwirrung gestürzt – im selben Maß dynamisch/resultatoffen wie träge/stabil. Schemabildung stellt aus einer Fülle von Konkreta ein dynamisch Allgemei- nes her. Sie ist – warum ich den Begriff der Form wähle, werde ich in einem späteren Kapitel zeigen – eine Maschine zur Umarbeitung von Inhalt in Form. Und die Schemabildung scheint das Allgemeine nicht nur zu produzieren, son- dern selbst der denkbar allgemeinste aller Abstraktionsmechanismen zu sein. 43 »Anlaß für den Prozeß der Schemainduktion ist in vielen Fällen die Wahrnehmung von Regularität und Ordnung in der Umwelt.« (Mandl/Friedrich/Hron, Theoretische Ansätze zum Wissenserwerb, a. a. O., S. 128). 151 11. Medienunterschiede Mein Schlussgedanke nun soll der Frage gelten, auf welche Weise das Gesagte zur Klärung auch von Medienunterschieden oder Medienspezifika beitragen kann. Mein Fach ist durchaus reich an ungeklärten Fragen; neben der wohl obszönsten  – was denn, bitte, ein Medium überhaupt sei  – rangiert sicher diejenige, warum es überhaupt unterschiedliche Medien, Medien im Plural, und also Medienunterschiede, gibt. Auf diese Frage kann der Schemabegriff eine verblüffende, und, wie ich meine, weitreichende Antwort liefern. Zunächst fällt auf, dass sich in den Me- dien unterschiedliche Niveaus von Schemata und Schematisierung finden. Den ›hart‹ schematisierten Medien und symbolischen Systemen – Schrift, Zahlen, Daten, Formalsprachen oder Mathematik – stehen andere gegenüber, die nur ›weiche‹ Mechanismen der Schematisierung kennen; in Fotografie und Film sind Stereotypen oder Genre-Regeln wirksam, in der Realwahrnehmung die Gestalterkennung; konstituierte ›Zeichen‹ aber gibt es nicht. In einer ersten Summe ergibt sich folgendes Bild:44 So grob (schematisch?) die Zuordnung zunächst ist, so evident erscheint, dass es sich um ein Kontinuum, um Stufen der Verhärtung handeln könnte. Das Maß der Schematisierung nimmt in Stufen zu. Der Knackpunkt scheint der Begriff des Zeichens (der die oberen, ›harten‹ Stufen von den unteren, ›weichen‹ trennt). Dass Schrift über konstituierte Zeichen verfügt, Fotografie und Film aber eben ohne diese operieren, wäre im Licht der Schematheorien neu zu beschreiben. 44 Ich entnehme das Schema meinem Buch: W., H.: Basiswissen Medien. Frankfurt  a. M.: Fischer 2008, S. 258. 152 Die Pointe könnte sein, den Begriff des Zeichens selbst auf neue Weise aufzufassen. Als eine Stufe der Verhärtung eben, wo die Schemata dasjenige Niveau erreichen, dass sie – wie in einer chemischen Reaktion – als konstitu- ierte Zeichen quasi ausgefällt werden. Erst auf einem bestimmten Niveau von Verhärtung also kann man überhaupt von ›Zeichen‹ sprechen. Eine zweite Grafik versucht die Metapher der Ausfällung (der Erstarrung eines ursprünglich Flüssigen, Prozesshaften) ernst zu nehmen:45 Eine dritte schließlich macht den Knackpunkt deutlich:46 45 Ebd., S. 271. 46 Ebd., S. 272. 153 Was aber ist es, das am Punkt des ›Sprungs‹ konkret geschieht? Was – letzt- lich – trennt die linke ›weiche‹ von der rechten ›harten‹ Seite? Meine Antwort wäre, strikt im Korridor der Schematheorie, dass links die Mustererkennung auf die Seite der Rezipierenden fällt; nur sie sind in der Lage, Schemata und Stereotypen im Material zu identifizieren. Was im Material enthalten ist, sind ›Ähnlichkeit‹ und Wiederholung selbst, da die konkreten Wiederholungsakte aber streuen und Ähnlichkeit zudem Verhandlungssache ist, bleibt es in ihrer Hand – abhängig vom Set mentaler Schemata –, ob die Wiederholung als Wiederholung erkannt wird und das Bewusstsein erreicht, ob das Ereignis subliminal in die Schemabildung eingeht, oder ob es ohne jede Wirkung auf die Struktur  – Rumelhart hatte von ›accretion‹ gespro- chen  – Einzelereignis bleibt und wahrscheinlich verglüht. Erst im Akt der Wiedererkennung des Schemas wird dieses aus dem Kontinuum des Materials freigestellt, ›segmentiert‹.47 Auf der rechten Seite liegen die Dinge anders. Hier sind die Muster zeichenhaft vorgeprägt, Teil des Codes, und werden mit dem Produkt bereits fertig geliefert. Auch die ›Segmentierung‹, die Freistellung gegenüber dem Kontext, ist vom 47 Ebd. 154 Code bereits fertig geleistet. Wie sich an den Leerräumen, die die Buchstaben und Worte trennen, unschwer ablesen lässt. Knackpunkt ist insofern nicht das Zeichen selbst, sondern der Mechanismus, wie es seine Identität und seine Grenzen gewinnt. Beide, Identität und Grenzen, sind Resultat der Schemabildung und Wiederholung selbst; einer Schemabil- dung allerdings, die weit vorangeschritten ist, und sich – konventionalisiert und institutionalisiert – zu einem Code verhärtet hat. Die Schwierigkeit ist, dass man dem Code, ist er einmal konstituiert, seine ›weiche‹ Schemavergangenheit nicht mehr ansehen kann. Nur die Theorie kann sie wahrscheinlich machen, mit der Plausibilität des Modells, und mit mehr oder minder guten Gründen behaupten. Einen Kommunikationswissenschaftler wie Matthes allerdings wird dies kaum überzeugen. 12. Schluss Wenn die These irgend plausibel ist, dass der Begriff des Zeichens an die Schematheorie anschließbar ist, bedeutet dies im Kern vor allem eine Enthier- archisierung der Medien. ›Härtere‹ Schemata sind in keiner Weise besser oder schlechter als deren Vermeidung. Auszugehen ist vielmehr von einer strikten Komplementarität, von der These, dass die einzelnen Medien das tun, was die anders gearteten Medien nicht können. Es ist auffällig, dass Fotografie und Film, die auf die radikale Konkretion setzen und eben ohne konstituierte Zeichen operieren, historisch eine Reaktionsbildung auf 5000 Jahre Schrift- und 350 Jahre Druckuniversum sind. Fotografie und Film entstehen im Rücken der Sprache, und exakt dort, wo die radikale Sprachkritik Nietzsches, Hofmannsthals und Adornos den systematischen Defekt konstitu- ierter Zeichen sieht. Als ein stabil konventionalisiertes System ist die Sprache an die Gesellschaft gebunden. Zu sprechen (und in der Sprache wahrhaft zu sein), sagt Nietzsche, heiße, »die usuellen Metaphern zu brauchen«,48 48 Nietzsche, Über Wahrheit und Lüge, a. a. O., S. 314. 155 »[n]ur durch das Vergessen jener primitiven Metaphernwelt, nur durch das Hart- und Starrwerden einer ursprünglichen, in hitziger Flüssigkeit […] hervor- strömenden Bildermasse […] lebt [der Mensch] in einiger Ruhe, Sicherheit und Konsequenz.«49 Wenn die Zeichen tatsächlich durch ›Hart- und Starrwerden‹ eines ursprüng- lich Flüssigen entstehen, leistet die Schematheorie exakt das, was unserem Alltagsbewusstsein so schwer fällt: Zurückzugehen hinter die einmal konsti- tuierten Formen und zu zeigen, wie es zu dieser ›Verhärtung‹ kommt. 49 Ebd., S. 316 (Erg. H. W.). 156 BILDSTRECKE: Trump, Scaramucci 1 1 Screenshots aus dem Video: The Daily Show, Comedy Central, 24. 7. 17, Min. 09:00−10:30, https://www.youtube.com/watch?v=_IPykdnv0fg, 4. 3. 19. 157 158 10 Ähnlichkeit, Identität und Differenz Was bedeutet es, sich oder etwas zu identifizieren? 1. Intro Wie in der Einleitung angekündigt, komme ich nun zum Kern meines Ar- guments: Das vorliegende, zehnte Kapitel liefert, was ich für die eigentliche Innovation meines Buchs halte; ich werde prüfen, was es heißt, dass die Ähn- lichkeit im Spannungsfeld zwischen Identität und Differenz ihren Ort hat; und ich werde zeigen, dass sich hier – im Spiel zwischen Identität und Differenz, Ähnlichkeit und Schemabildung – einer der basalen Mechanismen verbirgt, die die Medien bestimmen. Dies ist – zugegeben – eine weitreichende These. Umso mehr möchte ich dafür werben, der Entfaltung der einzelnen Schritte etwas Zeit zu geben. Während das vorliegende Kapitel Identität und Identifizieren zu klären ver- sucht, wird das darauffolgende, elfte, die Differenz in den Mittelpunkt stellen. In meinem Abschlusskapitel werde ich den Ertrag speziell für das Feld der Semiotik summieren. Setzen wir noch einmal bei dem oben skizzierten Grundschema an. Wenn zwei Dinge oder Ereignisse einander ähnlich sind, sind sie weder identisch noch vollständig different; zwischen den Polen der Identität und der Differenz spannt sich der weite Bereich der Ähnlichkeit auf. Dinge, die ähnlich sind, mögen sich in vieler Hinsicht unterscheiden, einige Eigenheiten aber müssen sie gemeinsam haben, sie müssen vergleichbar sein.1 1 Diesen Aspekt habe ich im Kapitel 7: Ähnlichkeit – inwiefern diskutiert. 159 Dasselbe gilt für die Wiederholung. Auch sie verbindet Identität und Differenz. 2. Identität? Die Konzepte Identität und Differenz sind hier zunächst alltagssprachlich verwendet; sieht man näher hin aber erweist sich insbesondere der Pol der Identität als tückisch; und es stellt sich heraus, dass es völlig unterschiedliche Typen von Identität gibt, was für die Frage nach der Ähnlichkeit wiederum einige Konsequenzen hat. Unsere Vorstellung von Ähnlichkeit ist an die Praxis des Vergleichens gebunden. Zwei Dinge werden miteinander konfrontiert und erweisen sich als mehr oder minder ähnlich.2 Wenn es also immer um mindestens zwei Dinge geht: Können diese dann überhaupt je ›identisch‹ sein? Im strengen Sinn sicherlich nicht. Fast könnte man sagen, gerade das Gegenteil sei der Fall; denn ein erster Typus von ›Identität‹ würde diese in die Nähe von Individualität rücken. Ins- besondere Personen/Individuen sind mit sich identisch und als Einzelne iden- tifizierbar, insofern und insoweit sie sich radikal unterscheiden. Und dasselbe gilt auch für andere Dinge; wenn ein Ding oder ein Ereignis einzigartig ist, man denke an ein Kunstwerk oder an eine große Katastrophe, würde man es inkommensurabel nennen. In diesem Fall ist weder etwas ›Ähnliches‹ denkbar noch eine Wiederholung.3 2 … oder es ist umgekehrt: In einer Masse heterogenen Materials treten zwei Dinge als ähnlich hervor. 3 Ob es tatsächlich vollständig inkommensurable Dinge gibt, sei dahingestellt. 160 So gefasst wäre Identität radikale Differenz oder Singularität. Beide aber würden gerade nicht auf die linke Seite meiner Skizze fallen, sondern – eini- germaßen verblüffend – auf die rechte. Bzw.: Wie also kann das sein? Offenbar muss es neben der Identität als radikaler Differenz noch einen anderen Typus geben und ›Identität‹ auf der linken Seite muss etwas anderes meinen. Alle nun folgenden Überlegungen dienen dazu, dieser Frage näher zu kommen. 3. Zwischenüberlegung Wenn man zwei Dinge miteinander vergleicht und dabei Gemeinsamkeiten/ Ähnlichkeit feststellt, werden diese Dinge niemals völlig zusammenfallen, nie- mals völlig ›identisch‹ sein. Entsprechend kann ›Identität‹ nur der extremste Punkt jenes Spektrums sein, in dem Ähnlichkeit sich bewegt. Als erstes also wäre von einer pragmatisch ermäßigten Identität auszugehen. Zum zweiten wird man konstatieren müssen, dass Ähnlichkeit selbst kei- neswegs ein neutrales Konzept ist, das ausgewogen in der Mitte zwischen Identität und Differenz seinen Platz hätte, sondern Ähnlichkeit hat selbst einen deutlichen Bias, insofern sie nach links zunimmt, während sie sich auf der rechten Seite verliert: 161 Zudem, und das wäre ein dritter Punkt, sollte man sich klar machen, dass die Alltagssprache ungleich feiner abstuft: Und schließlich kann es lohnen, die konkrete Tätigkeit des Vergleichens zu betrachten und statt der Substantive die entsprechenden Verben heranzuziehen: Nun wird deutlich, dass am Pol der Differenz zentrifugale Kräfte, Kräfte der Abstoßung wirksam sind, am Pol der Identität dagegen zentripetale Kräfte: Und dies verändert das Bild tatsächlich. Möglicherweise nämlich ist wichti- ger als die Identität die Operation des Identifizierens. Man kann sich selbst 162 identifizieren, durch Vorzeigen eines Ausweises, man kann sich mit einer Gruppe oder mit einem Schauspieler identifizieren, man kann ein Ding mit einem anderen identifizieren, und schließlich kann man ein Ding als etwas identifizieren, und das heißt erkennen.4 All das deutet darauf hin, dass es bei der Diskussion um die Ähnlichkeit möglicherweise um wesentlich mehr geht als um den Vergleich zweier Dinge, dass die hier verfolgte Frage einen völlig neuen Maßstab bekommt. Denn was bedeutet es, wenn sich – vermittelt durch die Ähnlichkeit – mit Trennen und Verbinden, Analyse und Synthese zwei der basalsten und möglicherweise weitreichendsten Kulturtechniken gegenüberstehen? An dieser Stelle gewinnt meine Überlegung Anschluss an ein ganzes Feld tradierter kulturwissenschaft- licher Fragen. 4. Etwas identifizieren, sich identifizieren So diskutiert, um einen besonders prominenten Zeugen zu wählen, Adorno die Problematik der Identifikation am Beispiel des begrifflichen Denkens.5 Er will – ganz basal – die Begriffe von den Dingen unterscheiden, die es zu begreifen gilt. Während die Dinge immer in radikaler Weise konkret sind, ist es auch für Adorno das hauptsächliche Kennzeichen der Begriffe, dass sie subsumieren, immer also eine Anzahl an sich heterogener Dinge unter sich fassen. Begriffe haben deshalb einen notwendig abstrakten Charakter. Diese Abstraktheit hat zwei Gesichter: Einerseits ist sie unumgänglich, weil es ohne sie kein begriffliches Denken gäbe, andererseits tritt die Abstraktheit in Span- nung zu den konkreten Einzeldingen. Die Abstraktion der Begriffe also tut dem zu Begreifenden – das ist der wirklich ungewöhnliche Gedanke in Adornos ›Negativer Dialektik‹ – Unrecht an. 4 Vgl. Ritter, Joachim (Hg.): Historisches Wörterbuch der Philosophie. Bd. 4, Eintrag: Iden- tifikation. Basel: WBG 1976, S. 140. 5 Adorno, Theodor W.: Negative Dialektik. In: Ges. Schriften, Bd. 6, Frankfurt a. M.: Suhrkamp 1982, S. 7−412, insbes. S. 23, 137 ff. (EV.: 1966). 163 In meiner Skizze würden die Konkreta auf die Seite der Differenz fallen,6 die Begriffe auf die Seite der Identität. Und gleichzeitig hat sich auch das Kon- zept von Identität verschoben: Folgt man Adorno nämlich, wäre Kennzeichen des identifikatorischen Denkens, dass man ein Ding oder ein Ereignis mit etwas Anderem oder als etwas identifiziert. Zwei Dinge zu vergleichen wäre so betrachtet ein Sonderfall. Der allgemeinere wäre, dass es auf der Seite der Identität ein bereits etabliertes Konzept oder Muster gibt, an dem sich das jeweils einzelne Konkrete bemisst. Und dasselbe würde – völlig vergleichbar – für alle Typen von Mustern und Schemata gelten; z. B. für jene, die die Bildmedien regieren, das machen Horkheimer/Adorno in der Dialektik der Aufklärung klar,7 wenn sie den strikten Schematismus der Kulturindustrie kritisieren und ihr vorwerfen, in der Wiederholung letztlich das ›Immergleiche‹ zu produzieren. Und schließlich prägt Adorno – als Gegenkonzept zum identifizierenden Den- ken – den Begriff des ›Nicht-Identischen‹, der festhalten soll, was sich der Schematisierung entzieht.8 Statthalter des Nicht-Identischen ist bei Adorno die Kunst,9 und hier vor allem die Zwölftonmusik, die die Wiederholung tabuisiert und die Schemabildung auf systematische Weise zurückdrängen will. 6 …jedenfalls dann, wenn man die Einzeldinge als in radikaler Weise einzeln, als (zunächst) singulär betrachtet… 7 Horkheimer, Max; Adorno, Theodor W.: Dialektik der Aufklärung. Philosophische Frag- mente. In: Adorno, Th. W.: Gesammelte Schriften. Bd. 3. Frankfurt a. M.: Suhrkamp 1981 (EV.: 1944/47). 8 Adorno, Negative Dialektik, a. a. O. 9 Vgl. Adorno, Theodor W.: Ästhetische Theorie. In: Ges. Schriften, Bd. 7, Frankfurt a. M.: Suhrkamp 1970. 164 Das Singuläre/Inkommensurable und das Nicht-Identische ähneln dem, was oben radikale Differenz genannt wurde. 5. Derrida, Butler Zwanzig Jahre später hat Derrida ähnlich argumentiert.10 Derrida fokussiert nicht auf Ähnlichkeit, sondern ganz auf Wiederholung, und er betont stärker als Adorno, dass es heterogene Einzelereignisse sind, die die Wiederholung miteinander verkettet. Bei Derrida mündet Wiederholung in differance (und eben keineswegs in das Immergleiche). Derrida ist in extremer Weise kritisch gegenüber jeder Vorstellung von Identität. (Den naheliegenden Einwand, dass Wiederholung notwendig ein Moment von Ähnlichkeit und damit von Identität enthält, grenzt er weitgehend aus). Und noch einmal zwanzig Jahre später nimmt Butler das Argument Derri- das auf.11 Sie macht die politische Pointe, dass Wiederholung, indem sie eine Verschiebung bewirkt, performativ das Neue hervorbringt. Und auch dieses Argument würde vollständig auf die Seite der Differenz fallen. 10 Derrida, Jacques: Grammatologie. Frankfurt a. M.: Suhrkamp 1983 (EV., frz.: 1967). 11 Butler, Judith: Das Unbehagen der Geschlechter. Frankfurt a. M.: Suhrkamp 1991, S. 37−62, 180ff., 206 ff. (EV., am.: 1990). 165 Neu an den Konzepten Derridas und Butlers ist, dass nun die Zeit eine größere Rolle spielt; zum einen, insofern Wiederholung, anders als Ähnlichkeit, immer prozesshaft, immer an Zeit gebunden ist; und zum anderen, insofern Derrida wie Butler Verschiebung und Wandel in den Fokus stellen. Und ebenso neu ist, dass es nun endgültig nicht mehr um den Vergleich nur zweier Dinge oder Ereignisse geht. Wiederholung vielmehr kann mühelos eine sehr große Anzahl von Einzelereignissen verketten. Bei Derrida wie bei Butler allerdings, das wäre mein Einwand, fehlt der Begriff des Musters. Muster, Schemata und Stereotypen haben einen grund- sätzlich anderen Status als Einzelereignisse. Wenn gesagt wurde, dass es Muster sind, denen die Einzelereignisse gegenübertreten und an denen Ähnlichkeit (Identität und/oder Differenz) sich bemisst, dann wird man mitdenken müs- sen, dass diese ein ungleich größeres Eigengewicht, eine größere Stabilität und Beharrungskraft haben. Wie also kann man all das zusammendenken? Sind Identität und Diffe- renz, Ähnlichkeit, Vergleich, Einzelereignis und Muster in einem regelhaften Mechanismus verbunden? Ich denke, dass man – wieder im Rückgriff auf die Schematheorie – einen solchen Mechanismus tatsächlich zeigen kann und dass dieser einen Schlüssel für ein erweitertes Verständnis der Ähnlichkeit bietet. 6. Zwischenüberlegung: Ist das Einzelding oder Einzelereignis nur different? Bevor dies möglich ist allerdings erscheint es mir sinnvoll, die gerade entwi- ckelte Vorstellung in einem Punkt zu modifizieren: In meiner Skizze standen sich Schema und Einzelereignis gegenüber, das Schema auf der Seite der ›Iden- tität‹, das Einzelereignis auf der Seite der Differenz. Das Einzelereignis also schien ganz auf die Seite der Differenz zu fallen. Derrida und Butler würden dies tatsächlich so sehen, weil sie das Einzelereignis – letztlich – für singulär und inkommensurabel halten;12 und anders/ähnlich Adorno, weil er im jeweils Einzelnen den Widerpart der Schematisierung sieht. 12 Diese Auffassung wurde auch von anderen poststrukturalistischen Autoren vertreten; Bei- spiel sei Deleuze, für den das Konzept der ›Singulariät‹ einen hohen Stellenwert hat und 166 Diese Entscheidung aber erscheint mir keineswegs zwingend. Deshalb schla- ge ich vor, das Einzelding oder Einzelereignis von der Differenz zu lösen und es – und sei es provisorisch – in der neutralen Mitte zwischen Identität und Differenz zu positionieren: Dies hat den Vorteil, dass zunächst offenbleibt, auf welche Weise Einzelereignis und Schema interagieren und welche Rolle ›Identität‹ und Differenz in dieser Interaktion spielen.13 7. Schemabildung Nun, denke ich, liegt, was gebraucht wird, bereit. Was den Mechanismus an- geht, möchte wieder bei der Frage ansetzen, wie es zu der Herausbildung von Mustern oder Schemata überhaupt kommt. Ich habe es in meiner Überlegung zur Schemabildung beschrieben: Alle Theorien, die sich mit Musterentstehung befassen, würden hier auf die Wiederholung verweisen.14 Entsprechend kann die Antwort nur sein, dass es eben nichts anderes als die (wiederholte) Fest- stellung von Ähnlichkeit ist, die – kumulativ – zur Bildung von Mustern führt. der – ähnlich wie Derrida – selbst aus dem Begriff der Wiederholung jedes Moment von Identität ausschließen will (vgl. Deleuze, Gilles: Differenz und Wiederholung. München: Fink 1992 (EV., frz.: 1968)). 13 Und noch ein zweites würde hierfür sprechen: War oben doch eines der Ergebnisse, dass auch das Einzelding oder Ereignis nicht einfach gegeben ist, sondern erst im Spiel von Identität und Differenz als ein einzelnes sich überhaupt aus dem Kontext herauslöst (vgl. Kap. 5). Wenn es also tatsächlich einen ›Mechanismus‹ gibt, der Einzelereignis und Schema aufeinander bezieht, dann wird man auch dieses berücksichtigen müssen. 14 Dies gilt sowohl für die Schematheorie als auch für die Kognitionstheorie, die Theorien zum Habitus, zum sozialen Gedächtnis, für Wahrnehmungstheorien wie die Gestalttheorie und schließlich auch für Theorien zur individuellen Sozialisation. 167 An anderer Stelle habe ich den Vorschlag gemacht, hierfür korrespondierend zum Begriff der Verschiebung den der Verdichtung ins Spiel zu bringen.15 Wenn es die Wiederholung ist, die Schemata und Muster hervorbringt, so hat dies einen quantitativen Aspekt; denn sicher sind sehr viele Einzelereignisse nötig, damit dies geschehen kann. Der Begriff der Verdichtung hält dieses quantitative Ver- hältnis fest; Muster und Schemata sind das Produkt einer Verdichtung. Jede Fest- stellung von Ähnlichkeit stärkt das Schema und schreibt in das Schema zurück. Dies schließlich eröffnet die Chance, den gesamten Zusammenhang prozess- haft, als einen zeitlichen Vorgang, zu remodellieren. Und da es um Wieder- holung geht, drängt sich – wieder – die Vorstellung auf, dass es sich um einen Zyklus handelt: 15 Winkler, Hartmut: Docuverse. Zur Medientheorie der Computer. München: Boer 1997, S.  13−184; W., H.: Diskursökonomie. Versuch über die innere Ökonomie der Medien. Frankfurt a. M.: Suhrkamp 2004, S. 110−130. 168 Damit ist nicht nur das Schema abhängig von der Wiederholung (abhängig davon, was sich in den Einzeldingen und -Ereignissen ähnelt und wiederholt), sondern das Schema setzt sich auch der Verschiebung aus, die das Einzel- ereignis, insofern es immer auch different ist, bewirkt. Schemata sind in Ma- ßen eben auch veränderbar und selbst Verschiebungen unterworfen. (In der Schematheorie, ich habe es referiert, wird diese Anpassung ›Tuning‹ genannt). Was meine Skizze nur im Begriff der Verdichtung festhält, nicht aber wirklich zeigen kann, ist der Unterschied im Gewicht: die Tatsache, dass sich auf der Schemaseite so etwas wie Massenträgheit (und damit ein Widerstand gegen Anpassung) entwickelt. 8. Zwischenüberlegung: Sind die Schemata nicht immer schon da? Und noch ein weiterer Einwand drängt sich an dieser Stelle auf: Denn was heißt es zu fragen, wie es zu der Herausbildung von Mustern überhaupt kommt? Gehört es nicht zum Begriff des Schemas, dass es vorgängig ist? Sind die Sche- mata nicht immer schon etabliert? Übernehmen wir nicht, wenn wir sprechen lernen, den Wortschatz und die Regeln der Sprache, die wir vorfinden? Und gilt das nicht letztlich für alle Schemata, Muster und Regeln? Werden wir nicht in stabil etablierte Verhaltenscodes hineinsozialisiert, die lange vor uns bestanden und unsere Lebenszeit mühelos überdauern? 169 All das ist richtig. Und dennoch wird man darauf beharren müssen, dass Muster und Schemata nicht vom Himmel fallen. So fest und vorgeprägt sie erscheinen, so klar ist eben auch, dass sie sich im Verlauf des historischen Prozesses herausgebildet haben. Und innerhalb des historischen Prozesses eben – durch Wiederholung. Wenn die Schemata und Muster ›fest‹ erscheinen, dann weil sie sich in einer großen Zahl von Wiederholungszyklen verfestigt haben. Besonders deutlich ist dies im Fall von Stereotypen; niemand will, dass Stereotypen entstehen, niemand hat sie erfunden, geplant oder bewusst in die Welt gebracht; erst in einer langen Kette von ›Western‹ tritt die Tatsache hervor, dass es sich über- haupt um ein Genre und um ein Set von Stereotypen handelt. Zunächst also betrifft die Wiederholung die Produkte; also das, was in Texten, Bildern oder Filmen zu beobachten ist. Exakt dasselbe aber gilt auch für die Seite der Rezipierenden: Diese durchlaufen eine individuelle Medienso- zialisation, und es braucht eine ganze Kette einzelner Medienerfahrungen, damit sie Genres oder Stereotypen als solche identifizieren können. Auf beiden Ebenen – Diskurs und Mediensozialisation – gehen Einzelereignisse in Wie- derholung über, und Wiederholung schlägt in Strukturbildung um. Exakt dies wollen Metaphern wie ›Verfestigung‹, ›Verdichtung‹ oder ›Verhärtung‹ zeigen.16 Es ist also beides richtig: Die Schemata sind sowohl vorgängig als auch das Resultat von Wiederholung. Als vorgängig erscheinen sie, wenn man nur ein einzelnes Ereignis, einen einzelnen Wiederholungszyklus betrachtet. Nimmt man dagegen die Kette der Wiederholungen insgesamt in den Blick, tritt hervor, dass die Wiederholung selbst das Schema hervorbringt.17 16 Die Vorstellung, dass fluide Praktiken in Strukturen umschlagen, hat es einigermaßen schwer, sich durchzusetzen; ein Grund hierfür könnte sein, dass man die unabsehbar große Fläche der Praktiken nicht überblicken, und den Umschlag, das Entstehen der Muster und Schemata selbst nicht beobachten kann. 17 Goldstone, der 1994 den Zusammenhang von Ähnlichkeit und Kategorisierung untersucht, geht am Kern der Sache erhobenen Hauptes vorbei, weil er sich einen zirkulären Zusam- menhang offenbar in keiner Weise vorstellen kann. Wenn er sagt: »Similarity cannot explain categorization if it is dependent on categorization for definition«, kann man nur erwidern: Sorry, exakt das ist der Fall, exakt diese Zirkularität gilt es zu fassen. (Goldstone, Robert L.: The role of similarity in categorization: Providing a groundwork. In: Cognition, 52 (1994), S. 125−157, hier S. 132). 170 9. Konkurrierende Muster, Bildung neuer Muster und Schemata Kehren wir also auf den skizzierten Weg zurück und nehmen das Problem von Ähnlichkeit, Identität und Differenz wieder auf; denn ein Gedanke fehlt noch, der das Gesagte – in meinen Augen einigermaßen verblüffend – ergänzen und abrunden kann. Was nämlich geschieht, so wird man fragen müssen, wenn statt der Ähnlichkeit die Differenz (oder innerhalb der Ähnlichkeit nicht das Moment von Identität, sondern das der Differenz) überwiegt? Wenn das Ein- zelding/Einzelereignis zwar ähnlich ist, nicht aber ausreichend ähnlich, um sich dem fraglichen Schema zu fügen? In diesem Fall, denke ich, kommt die Tatsache ins Spiel, dass es nicht nur ein Muster gibt, sondern dass jedes Muster mit einer großen Anzahl weiterer Muster konkurriert. Ähnlichkeit ist insofern eine Sortiermaschine, die nach dem Maß der Ähn- lichkeit Entscheidungen trifft: Reicht die Ähnlichkeit aus, geht das Einzelereig- nis via Verdichtung in das fragliche Schema ein; gibt es ein konkurrierendes Schema, dem das Einzelereignis ähnlicher ist, geht das Einzelereignis in den Zyklus des konkurrierenden Schemas über.18 18 Ramscar/Port referieren einen Text Andersons, der vollständig parallel argumentiert: »[T]he RATIONAL model of categorization (Anderson 1991) […] creates hybrid representations in which a new item may either be used to update an existing cluster of similar examples […] or, if unique enough, it may initiate a new cluster. Which choice is made is a function 171 Man kann sich dies im Bild einer Hügellandschaft veranschaulichen, in der Kugeln laufen:19 Hier sorgt die Schwerkraft dafür, dass sich die Kugeln quasi automatisch in den Tälern sammeln (wobei die Kugeln für die Einzelfälle stehen, und die Täler für die Schemata, Muster oder Kategorien). Die Gipfel fungieren als Punkte der ›Abstoßung‹ (hier wirken zentrifugale Kräfte), die Täler als Attraktoren (sie wirken zentripetal). Die tückische Besonderheit im Fall der Schemata wäre, dass die Berge und Täler nicht vorgegeben sind, sondern sich – deshalb das Bild eines Zyklus‹ – abhängig vom Lauf der Kugeln ebenfalls, wenn auch sehr langsam, verändern. of the probability that the new item belongs to an existing cluster. When this probability is below a given threshold, a new cluster is created. If above the threshold, the existing cluster that it is most similar is updated to reflect the new exemplar.« (Ramscar, Michael; Port, Robert: Categorization (without categories). In: Dabrowska, E.; Divjak, D. (Hg.): Handbook of Cognitive Linguistics. Berlin/Boston: De Gruyter Mouton 2015, S. 85 (Hervorh. H. W.)). Allerdings fehlt auch hier der Aspekt der Verdichtung. 19 Abb. 3d: © Nature Reviews Molecular Cell Biology, Reprod. gen.; https://www.research- gate.net/figure/Cellular-reprogramming-as-navigation-through-a-complex-attractor-land- scapeIn-a-complex_fig1_26797458, 12. 2. 19; Abb. 2d: © Ghaderi, Ali: A mathematical theory for mixing of particulate materials, PhD thesis, University of Surrey, 2006. https://www. researchgate.net/figure/5-A-Heterogeneity-landscape-the-arrows-denote-the-directions-in- which-the-mixture_fig9_262876747, 12. 2. 19; Dank f. d. Gen. d. Reproduktion. 172 10. Folgerungen All dies sind nicht mehr als Vorstellungen oder Modelle, und diese sind – das gestehe ich gerne zu – selbst einigermaßen modellhaft/schematisch/abstrakt. Was also, wird man fragen müssen, ist der Ertrag? Ich behaupte, dass die skizzierte ›Maschine‹ – man lasse mir die Metapher durchgehen – von absolut grundsätzlicher Bedeutung für das Verständnis kul- tureller und semiotischer Prozesse ist. Eines der entscheidenden Rätsel scheint mir zu sein, auf welche Weise sich Schemata, Muster, Begriffe oder Kategorien herausbilden, in Wechselbeziehung zu den konkreten Diskursen – Textuniver- sen, Bildwelten… –, die der hauptsächliche Gegenstand der Kulturwissenschaf- ten sind. Die Diskurse selbst sind konkret materiell; sie mögen komplex und verzweigt sein, was die Beobachtung notorisch erschwert, zumindest prinzipiell aber liegen sie – de Saussure sagt: in praesentia – offen zutage. Exakt dies gilt für die Schemata, Muster, Begriffe und Kategorien nicht. Ein Teil von ihnen, die Begriffe, sind als Worte auf der Oberfläche der Diskurse sichtbar. Schon wer nach deren ›Bedeutung‹ fragt aber sieht sich auf so obskure Dinge wie die Kompetenz und die Gedächtnisleistung der Sprachbenutzer verwiesen. Noch prekärer ist die Lage im Fall von Bildschemata oder -stereotypen, die in den manifesten Bildern keine zweifelsfrei materielle Entsprechung haben. Ob ein Bild ein bestimmtes Stereotyp erfüllt oder auch nur materiell enthält, muss insofern immer strittig bleiben. Wie geht man mit einer solchen Lage um? Dass es Schemata und Muster gibt, würde niemand bestreiten. Und ebenso, dass die Muster (Schemata und Stereotypen, Regularitäten, Genregesetze…) große Macht haben, insofern sie die Diskurse unterhalb ihrer Oberflächen strukturieren. Wie aber – um die Frage noch einmal zu stellen – bilden sich Schemata und Regularitäten heraus? Die Antwort liegt in der Ähnlichkeit und in der skizzierten Maschine. Am Pol der ›Identität‹ wird akkumuliert; die zentripetale Kraft der Ähnlichkeit sorgt dafür, dass die Einzeldinge und Einzelereignisse sich aufschichten und verdichten. Der Preis, das war der Punkt bei Adorno, ist die Generalisierung. Mit jedem Durchlauf, mit jedem neuen Einzelereignis, jedem neuen Fall von Ähnlichkeit, jeder einzelnen Wiederholung, rückt das Schema von den Einzel- ereignissen weiter weg; es wird abstrakter. Und gleichzeitig gewinnt es an Eigenständigkeit und an Stabilität. 173 Und umgekehrt stellt jeder Einzelfall, insofern er eben auch different ist, das Schema in Frage und trägt es – tendenziell – ab. Dass es stabilisierte Sche- mata überhaupt gibt, dass sie sich gegen die nagende Entropie der Differenz behaupten können, zeigt, dass sich beide Seiten nicht einfach die Waage halten. Dies, denke ich, liegt daran, dass, wenn die Ähnlichkeit abnimmt, immer ein anderes Schema zur Verfügung steht, das ›ähnlicher‹ ist. Der Sprung zu dieser Alternative entlastet das ursprüngliche Schema und vermindert die Kraft der Differenz, die es abtragen würde. Deshalb habe ich das Ganze eine Sortiermaschine genannt. In einem letzten, etwas kühnen Schritt möchte ich den beiden Möglichkeiten deshalb das ›Und‹ und das ›Oder‹ zuordnen. Das ›Und‹ auf der Seite der Kumulation, das ›Oder‹ auf der Seite des Sprungs zur Alternative. Ich meine hier das alltagssprachliche, nicht das logische Und und Oder. Das ›Oder‹ liefert die Distinktion, Grenzziehung oder Abstoßung, die, wie oben gesagt wurde, als zweite Kraft im Feld wirksam ist. 174 Bhatti/Kimmich verfolgen einen ähnlichen Gedanken, wenn sie auf die Pro- totypentheorie20 und auf die sogenannten Voronoi-Diagramme verweisen, einen Typus von Algorithmen, die zur Mustererkennung eingesetzt werden:21 Voronoi-Algorithmen gehen von einer gegebenen Menge von Punkten aus und berechnen, wie die Grenzen der Flächen aussehen, die sie umgeben.22 All dies deutet darauf hin, dass Distinktion, Grenzziehung und Abstoßung für die Konstitution der Schemata genauso wichtig sind wie die zentripetalen Kräfte des ›Und‹, die für Akkumulation und Verdichtung sorgen. Offenbar müssen die Schemata auseinanderrücken, sich unterscheiden, damit in ihrem Inneren Verdichtung stattfinden kann. Offenbar also bedingen Verdichtung und 20 Bhatti, Anil; Kimmich, Dorothee: Einleitung. In: Dies. (Hg.): Ähnlichkeit. Ein kulturtheo- retisches Paradigma. Konstanz: Konstanz UP 2015, S. 11 ff. 21 Ebd., S.  12; Abb.: Illustration der Voronoi-Algorithmen; den rechten Teil der Abbildung übernehme ich aus: http://www.algorithmic-solutions.info/leda_guide/images/voronoi_dia- gram.gif, © Algorithmic Solutions; Dank f. d. Gen. d. Reproduktion. 22 Dabei wird der Grenzverlauf so gewählt, dass jeder Punkt innerhalb einer Fläche näher zu seinem ›Zentrum‹ liegt als zu jedem anderen Zentrum. Was sich ergibt, ist eine Art Kachel- muster, das man Voronoi-Tesselation nennt. (Vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/Voronoi- Diagramm); zudem muss man wissen, dass es sich bei der grafischen Darstellung nur um eine Veranschaulichung handelt; der Algorithmus selbst ist nicht an die zwei Dimensionen der Fläche gebunden. Mein Einwand wäre, dass im Fall der Identitäts- und Schemabildung, um die es mir geht, die Punkte/Zentren eben keineswegs vorgegeben sind. Aufgabe vielmehr wäre, den Vorgang so zu beschreiben, dass Zentren (›und‹) und Grenzen (›oder‹) gleichzeitig und in Wechselwirkung ihre Form gewinnen. Besonders interessant in diesem Zusammenhang sind deshalb Algorithmen, die ein sogen. ›Mean shift clustering‹ erlauben; (vgl. z. B.: https:// www.youtube.com/watch?v=Evc53OaDTFc). 175 Distinktion einander; sie sind als gleich stark und als symmetrisch zu denken, in einem gemeinsamen Mechanismus systematisch miteinander verschränkt.23 Und nun, ganz zum Schluss, wird ein Rückbezug auch auf den oben zuerst genannten Typus von Identität, die Identität als radikale Differenz, möglich. Identität als radikale Differenz greift aus der beschriebenen Wechselwirkung das Moment der Abstoßung heraus, um es vereinseitigt zu favorisieren. Möglich (und plausibel) ist dies, wie gesagt, wenn es sich um die Identität von Indivi- duen handelt. Anders als im Fall von Kollektivprodukten (Mustern, Schemata, Konzepten oder Gruppenidentitäten) sind hier Differenz und Unterscheidung augenfällig dominant; und was ein Individuum begrenzt, scheint nicht im Prozess der Identitätsbildung zu entstehen, sondern – im Fall menschlicher Individuen – in der Geschlossenheit des Hautsacks immer schon gegeben. (Inwieweit das ›Und‹ der Verdichtung auch im Fall von der individuellen Identitätsbildung eine Rolle spielt, wäre im Rückgriff z. B. auf Sozialisations- theorien zu erweisen). Was sich in dem Ganzen abzeichnet also ist die Skizze einer allgemeinen Theorie, die ausgehend von der Schemabildung, – davon bin ich überzeugt – die etablierten Fragen der Semiotik in einem tatsächlich neuen Licht erschei- nen lässt. Das Hauptergebnis meiner Überlegung ist, dass hinter oder unterhalb semiotischer Prozesse eine Dialektik von Trennen und Verbinden in Arbeit ist. Und es scheint diese Dialektik zu sein, die die Schemata und Zeichen trägt und hervorbringt. Mein Abschlusskapitel, ich habe es gesagt, wird den Ertrag speziell mit Blick auf die Semiotik noch einmal summieren. Ich halte es für einigermaßen verblüffend, dass zwischen Identität und Differenz, Trennen und Verbinden, Und und Oder, Einzelding und Wiederho- lung tatsächlich so etwas wie ein dynamischer Zusammenhang gezeigt werden kann. Und für noch verblüffender halte ich, dass im Zentrum all dessen die Ähnlichkeit steht. Ausgerechnet jene ›weiche‹ Kategorie, die die Philosophen für nicht theoriefähig halten. 23 Im Rahmen anderer Grundvorstellungen und Begriffe haben diesen Zusammenhang durch- aus auch andere Autoren gesehen: »Rosch et al. (1976) argue that the distribution of features among concepts results in natural clusters that maximize within-category similarity and minimize between-category similarity.« (Ramscar/Port: Categorization, a. a. O., S.  81 (Her- vorh. H. W.)). 176 11 Trennen, Unterscheiden, Analysieren Der zweite Pol im Feld der Ähnlichkeit ist die Differenz. Etwas ironisch möchte man mit Heidegger sagen: »Die Zusammengehörigkeit von Identität und Differenz wird in der vorliegenden Veröffentlichung als das zu Denkende gezeigt.«1 1. Intro Setzen wir noch einmal an, um das Gebiet der Ähnlichkeit von einer anderen Seite her zu durchqueren. Das vorangegangene Kapitel hatte die Identität ins Zentrum gestellt. Und zwar ein pragmatisch reduziertes Konzept von Identität: Meine Frage war, wie wir Dinge identifizieren, also z. B. einen Esel als einen Esel erkennen. Ergebnis war, dass es dafür Muster oder Schemata braucht; fragte man, woher diese stammen, so war die Antwort, dass Schemata in einer Art Ver- dichtung entstehen: vielfach wiederholte Ereignisse schichten sich auf; die Schemabildung extrahiert, was das Gemeinsame (Ähnliche, ›Identische‹) an ihnen ist, und legt es als Schema oder Muster nieder. Und gegen Ende meiner Überlegung war die Frage nach der Differenz aufgetaucht, die im Feld der Ähnlichkeit den Gegenpol zur Identität bildet. In bestimmten Fällen, hatte ich referiert, gerät die Mustererkennung in Pro- bleme, weil die Ähnlichkeit zweifelhaft wird und immer mehr Differenzen ins Auge fallen. Das hatte auf die Hypothese geführt, dass die Wahrnehmung – 1 Heidegger, Martin: Identität und Differenz. Pfullingen: Günther Neske 1978, S. 4 (EV.: 1957). 177 wenn ich noch einmal dieses Beispiel wähle2 –  in diesen Fällen auf andere, konkurrierende Muster ausweicht: Das Wahrgenommene wird mit einem al- ternativen Muster identifiziert, das besser zu passen scheint, das der aktuellen Wahrnehmung also ähnlicher ist. Diese Frage nach der Differenz will ich nun aufgreifen und etwas systematischer untersuchen. 2. Wenn die Differenz überwiegt Mein erster Vorschlag war, ›Und‹ und ›Oder‹ zu unterscheiden: Die kumulative Bildung von Schemata folgt einer Logik des ›Und‹; der Sprung hin zu einem konkurrierenden Schema folgt einer Logik des ›Oder‹. Dies allerdings setzt voraus, dass die konkurrierenden Muster, auf die die Wahrnehmung überspringt, bereits existieren. Und hier nun entsteht die Frage, nicht mehr wie Muster allgemein, sondern wie konkurrierende Muster zustande kommen. Aufschichtung und Kumulation, die wiederholte Feststellung von Ähnlichkeit, denke ich, können nur die Entstehung einzelner Muster plausibel machen. Gibt es einen Mechanismus, der gleichrangig mit dem kumulativen ›Und‹ nun auch das ›Oder‹ erklärt? Den ersten Schritt bildet sicher das ›Nein‹, die Entscheidung, dass die Ähn- lichkeit nicht ausreicht, um die aktuelle Wahrnehmung mit einem bestimmten Muster zu identifizieren. Mit diesem ›Nein‹ wird das ursprüngliche Muster auf Distanz gebracht. Damit alternative Muster ins Spiel kommen aber braucht es mehr. Es braucht die Kraft einer Unterscheidung, die dieses ›Nein‹ zur Bedin- gung hat, dann aber sicherlich eigenen Regeln folgt. Tragen wir also zunächst ein paar Punkte zum Problem der Unterscheidung zusammen. 2 Die Wahrnehmung ist das anschaulichste Beispiel für die Schemabildung, weil man sich hier die Mechanismen am ehesten vorstellen kann. An sich aber, dies ist in den vorangegangenen Kapiteln sicherlich deutlich geworden, ist die Schemabildung keineswegs eine Sache der Wahrnehmung allein. 178 3. Unterscheiden »Die Unterscheidung (distinctio, διάκρισις, διορισμός)«, sagt Wikipedia im Rückgriff auf Eislers Wörterbuch der philosophischen Begriffe, »ist eine Grundtätigkeit des Denkens. Sie besteht in der ›[...] aktiven Feststellung bzw. Klarlegung von Unterschieden, Verschiedenheiten, Andersheiten.‹ Sie ist eine Voraussetzung der Klassifikation und der Erkenntnis. Die Praxis zur Unterscheidung ist der Vergleich.«3 Und Ritter ergänzt: »Das Unterscheiden […] erfolgt sowohl auf der Ebene der Wahrnehmung an beob- achtbaren Objekten als auch auf der Ebene des Denkens an intentionalen Objekten. […] Terminologische Bedeutung gewinnt der lateinische Terminus ›distinctio‹, der als Gegenbegriff sowohl zur ›identitas‹ [!] als auch zu ›confusio‹ diente.«4 Unterscheiden also ist an Vergleich gebunden; und damit man überhaupt unterscheiden kann, müssen Unterschiede ins Auge fallen: »Mit [Unterschied] wird nicht die Verschiedenheit […] von a und b bezeichnet, sondern der Gesichtspunkt, unter dem in anderer Beziehung Identisches vonein- ander verschieden ist.«5 Dies führt zurück auf die Frage nach den Merkmalen, die ich im siebten Kapitel besprochen habe; denn sobald sie vergleicht, kann die Wahrnehmung nicht bei den Gegenständen als Ganzen bleiben, sondern muss sie in Aspekte oder eben Merkmale zerlegen. Einige dieser Merkmale werden ähnlich, gleich oder ›identisch‹ sein, andere werden differieren und damit für den Unterschied verantwortlich sein. Und mehr noch: Man kann die Unterscheidung soweit vorantreiben, dass die Merkmale, die den Unterschied machen, disjunktiv funktionieren: 3 Wikipedia (dt.): Unterscheidung. https://de.wikipedia.org/wiki/Unterscheidung, 13. 3. 20 (Hervorh. H. W.). 4 Ritter, Joachim (Hg.): Historisches Wörterbuch der Philosophie: Unterscheiden. Bd.  11, Darmstadt: WBG 2001, S. 308 (Hervorh. H. W.). 5 Ebd.: Unterschied, S. 310 (›Unterschied‹ im Original abgekürzt, Hervorh. H. W.). 179 »Der [Unterschied] ist diejenige Beschaffenheit, die zwei Teilklassen von Gegen- ständen disjungiert, indem sie allem, was unter ›a‹ fällt, beigelegt, und allem, was unter ›b‹ fällt, abgesprochen wird.«6 Dann würde das unterscheidende Merkmal binär, wie ein Kippschalter, wir- ken. In jedem Fall aber geht es um einen Kontrast. Unterschiede machen es möglich, die Dinge auseinanderzulegen. Aber haben wir uns an diesem Punkt von der Frage nach der Ähnlichkeit nicht zu weit entfernt? Ist Ähnlichkeit nicht, wie Kimmich sagt, das Reich des ›Ungefähren‹,7 des gerade nicht zuverlässig Unterscheidbaren, nicht Unterschie- denen? Der genannten ›confusio‹ näher als den sauberen Distinktionen? Wir werden sehen. Und mein Vorschlag ist, zunächst noch etwas beim Problem der Unterscheidung zu bleiben. 4. Sprache als Maschine der Unterscheidung Ein Medium, das sich – vor allem anderen – über Kontraste organisiert, ist die Sprache. »Es ist […] eine Tatsache«, schreibt Lyons in seiner Semantik, »[…] daß binäre Opposition eines der wichtigsten Prinzipien ist, die die Struktur der Sprachen regeln.«8 »Lexika klassifizieren Paare von Lexemen [Wörtern] als Antonyme, die […] auf verschiedene Weise verwandt sind (›hoch‹/›tief‹, ›kaufen‹/›verkaufen‹, ›männlich‹/›weiblich‹, ›ankommen‹/›abfahren‹, ›links‹/›rechts‹, ›vorne‹/›hinten‹ usw.). Was alle diese Beispiele gemeinsam haben, […] ist ihre Abhängigkeit von der Dichotomisierung.«9 Vor allem die strukturelle Semantik hat diesen Aspekt in den Mittelpunkt ihrer Sprachauffassung gestellt. Und Lyons ergänzt: 6 Ritter, a. a. O., S. 311 (›Unterschied‹ im Original abgekürzt; a und b ohne Anführungszeichen); Ritter bezieht sich auf eine historische Definition aus der Zeit der Scholastik). 7 Ich habe das Buch schon mehrfach zitiert: Kimmich, Dorothee: Ins Ungefähre. Ähnlichkeit und Moderne. Paderborn: Konstanz UP 2017. 8 Lyons, John: Semantik. Bd. I, München: Beck 1980, S. 282 (EV., am.: 1977). 9 Ebd., S. 281 f. (Erg. H. W., Schreibweise der Beispiele im Original: ›hoch‹: ›tief‹). 180 »Wir können es anderen überlassen zu erforschen, ob die Neigung, in Gegenteilen zu denken, bzw. die Erfahrung aufgrund binärer Kontraste zu kategorisieren, eine universale menschliche Neigung ist […], oder ob es die a priori Existenz einer großen Anzahl von entgegengesetzten Paaren von Lexemen unserer Muttersprache ist, die uns dazu veranlaßt, unsere Urteile und Erfahrungen zu dichotomisieren oder zu polarisieren.«10 Sprache ist in dieser Sicht ein analytisches Medium; ein Medium, das es erlaubt oder nahelegt, Unterscheidungen zu treffen. Die Struktur des Wortschatzes hält ein ganzes System vor-artikulierter Unterscheidungen fest, und stellt diese stabil konventionalisiert für den weiteren Gebrauch zur Verfügung. 5. Luhmann Auch Niklas Luhmann hat sich mit dem Problem der Unterscheidung be- schäftigt. Und er beharrt darauf, dass Unterscheiden immer eine Grenzziehung bedeutet. »In allen seinen neueren Veröffentlichungen«, referiert Reese-Schäfer, »geht Luhmann von der operativen Logik George Spencer Browns aus, die mit der Weisung beginnt: ›Mach’ eine Unterscheidung (Draw a distinction)!‹ Wir können keine Bezeichnung machen, ohne eine Unterscheidung vorzunehmen. Um überhaupt etwas beobachten zu können, braucht das System eine Grenze, über die hinweg es beobachten kann. Man muß deshalb eine Grenzlinie ziehen.«11 Die Besonderheit dieser Bestimmung liegt darin, dass Luhmann die Position des Beobachtenden einbezieht. Während die Alltagsauffassung davon aus- gehen würde, dass derjenige, der die Unterscheidung trifft, außerhalb (oder oberhalb?) dieser Entscheidung steht, trennt Luhmann Innen und Außen, und lokalisiert den Beobachter diesseits der gezogenen Grenze. »Zur Unterschei- 10 Ebd. 11 Reese-Schäfer, Walter: Luhmann zur Einführung. Hamburg: Junius 1992, S. 71. In meiner Überlegung zum Kontext ist die Grenzziehung schon einmal aufgetaucht. Dort ging es um die Grenze, die das Objekt umschließt und von seinem Umraum trennt, sowie um die Technik des Zeichnens, die diese Grenze als ›Umriss‹ besonders hervorhebt (Vgl. Kap. 5, Abschnitt 6). 181 dung gehört, daß man nicht auf beiden Seiten zugleich sein kann.«12 »Man kann dies«, schreibt Luhmann, »mit Hilfe des Formbegriffs verdeutlichen, den George Spencer Brown seinen ›Laws of Form‹ zu Grunde legt. Formen sind danach nicht länger als (mehr oder weniger schöne) Gestalten zu sehen, sondern als Grenzlinien, als Markierungen einer Dif- ferenz, die dazu zwingt, klarzustellen, welche Seite man bezeichnet, das heißt: auf welcher Seite der Form man sich befindet und wo man dementsprechend für weitere Operationen anzusetzen hat. Die andere Seite der Grenzlinie (der ›Form‹) ist gleich- zeitig mitgegeben. Jede Seite der Form ist die andere Seite der anderen Seite. Keine Seite ist etwas für sich selbst.«13 »Das Beobachten in seinem Vollzug kann anderes beobachten, nicht aber seine eigene Unterscheidung. Das ist sein blinder Fleck.«14 Dies ist, auch wenn ich sie hier im Weiteren nicht wirklich nutzen werde, eine wichtige Überlegung. Und zum zweiten ist wichtig, dass Luhmann betont, dass Unterscheidungen immer operativen Charakter haben, immer an Zeit gebunden, immer Praxis sind.15 6. Analyse Unterscheidungen haben – das Stichwort ist im Zusammenhang mit der Spra- che bereits gefallen – mit den unterschiedlichen Kulturtechniken der Analyse zu tun. »Eine Analyse (von griech. ἀνάλυσις […] ›Auflösung‹) ist eine systematische Untersu- chung, bei der das untersuchte Objekt in seine Bestandteile (Elemente) zerlegt wird.«16 Diese Definition unterstellt, dass immer schon feststeht, worum es sich bei diesen Bestandteilen oder Elementen eigentlich handelt. Interessanter ist des- halb zunächst das Verb: Dinge zu analysieren heißt, solche Bestandteile und 12 Reese-Schäfer, a. a. O. 13 Luhmann, Niklas: Die Gesellschaft der Gesellschaft. Bd. 1. Frankfurt a. M.: Suhrkamp 1997, S. 60. 14 Reese-Schäfer, a. a. O., S. 71. 15 Ebd., S. 71−75. 16 Wikipedia (dt.): Analyse, https://de.wikipedia.org/wiki/Analyse, 1. 3. 20. 182 Elemente überhaupt erst einmal festzustellen und sich dann dafür zu interes- sieren, in welchem Verhältnis sie zueinander und zum ursprünglich ›Ganzen‹ stehen. So betrachtet heißt Analyse, die Dinge auseinanderzulegen. Dies gilt für die Tätigkeit des Verstandes, insofern man bei ›Analyse‹ zunächst an mentale Operationen denken würde; gleichzeitig aber scheint mir wichtig, dass Analyse auch eine medienpraktische Seite hat.17 7. Diagrammatik So hat, um ein Beispiel zu wählen, die jüngere Forschung zur Diagramma- tik gezeigt, dass man in vielen Fällen eine Fläche braucht, um die Dinge auseinanderlegen zu können.18 Im Fall von Diagrammen ist dies besonders deutlich; »Diagramme sind visuelle Darstellungen, die Beziehungen respektive Verhältnisse aufzeigen«.19 Diagramme sind eine eigentümliche Mischform aus Bild und Schrift;20 sie operieren, sagen Bauer/Ernst, »an der Schnittstelle von Wahrnehmung und Einbildungskraft, von Sinnlichkeit und Verstand.«21 Damit Diagramme aber Beziehungen aufzeigen können, müssen sie ihren Gegenstand zunächst in seine Einzelaspekte zerlegen: 17 …und vor allem deshalb habe ich sie eine Kulturtechnik genannt. 18 Krämer, Sybille: Die Schrift als Hybrid aus Sprache und Bild. Thesen über die Schriftbildlich- keit unter Berücksichtigung von Diagrammatik und Kartographie. In: Hoffmann, Thorsten; Rippl, Gabriele (Hg.): Bilder. Ein (neues) Leitmedium? Göttingen: Wallstein 2006, S. 79−92. – dies.: Operative Bildlichkeit. Von der ›Grammatologie‹ zu einer ›Diagrammatologie‹? Reflexionen über erkennendes ›Sehen‹. In: Hessler, Martina; Mersch, Dieter (Hg.): Logik des Bildlichen. Zur Kritik der ikonischen Vernunft. Bielefeld: Transcript 2009, S. 94−121. – dies.: Notationen, Schemata und Diagramme. Über ›Räumlichkeit‹ als Darstellungsprinzip. Sechs kommentierte Thesen. In: Brandstetter, Gabriele; Hoffmann, Frank; Maar, Kristen (Hg.): Notationen und choreographisches Denken. Freiburg/Berlin/Wien: Rombach 2010, S. 29−45. – dies.; Cancik-Kirschbaum, Eva; Totzke, Rainer (Hg.): Schriftbildlichkeit: Wahrnehmbar- keit, Materialität und Operativität von Notationen. Berlin: Akademie 2012. 19 Bauer, Matthias; Ernst, Christoph: Diagrammatik. Einführung in ein kultur- und medien- wissenschaftliches Forschungsfeld. Bielefeld: Transcript 2010, S. 9. 20 Ebd., S. 28. 21 Ebd., S. 10. 183 »Diese Annahme kann sich auf die Bedeutung der griechischen Silbe ›dia‹ beru- fen. Man kann sie mit ›auseinander‹, ›durch‹ und ›zwischen‹ übersetzen; zuweilen entspricht ihre Bedeutung auch dem Präfix ›zer-‹, wie beim deutschen Verb ›zer- legen‹. Diagramme zerlegen einen Zusammenhang in seine Teile und setzen dem Betrachter damit die Struktur dieses Zusammengangs auseinander.«22 Und dies lenkt den Blick auf die medientechnischen Mittel, mit denen dieses Auseinanderlegen geschieht. Diagramme nehmen die zweidimensionale Fläche des Schriftträgers in Anspruch;23 und zwar deutlicher als die Schrift, die ihre Zeichen in Zeilen reiht und – zumindest vom Prinzip her strikt linear – nur eine Raumachse nutzt. In Diagrammen werden häufiger als etwa in Bildern Einzelelemente oder Objekte auf dem Weiß des Untergrundes gegeneinandergestellt; ein Aspekt, den Krämer, Mersch oder Dirmoser als ›Zwischenräumlichkeit‹ fassen:24 »Diagrammatische Strukturen nutzen ›Zwischenräumlichkeiten‹, wie Spatialität überhaupt ihr Grundprinzip bezeichnet.«25 Bereits das Weiß des Untergrunds also ist schon geeignet, Objekte zu isolieren und voneinander zu trennen.26 In anderen Fällen werden, ähnlich wie in Ta- bellen, Linien gezogen und damit explizite Grenzen markiert. In Diagrammen 22 Ebd. (Hervorh. im Original). 23 Insbesondere diesen Aspekt stellt Krämer im Begriff der ›Schriftbildlichkeit‹ heraus. 24 Die Texte von Krämer wurden in FN 18 genannt. – »Weiter ist die Struktur des Bilderwissens durch eine Logik des Kontrastes gekennzeich- net, die der ›Spatialität‹, der ›zwischenräumlichen‹ Verfassung visueller Medien geschuldet ist, sowie (durch) eine ›topologische Differenzialität‹ die gleichsam die Formatierung des Bildraums besorgt.« (Heßler, Martina; Mersch, Dieter (Hg.): Logik des Bildlichen. Zur Kritik der ikonischen Vernunft. Bielefeld: Transcript 2009, S. 12). – Dirmoser, Gerhard: Denkfiguren. Verwendung von Diagrammen in Wissenschaft und Kunst. http://gerhard_dirmoser.public1.linz.at/FU/Denkfiguren_Diagrammatik.pdf. 25 Mersch, Dieter: Wissen in Bildern. Zur visuellen Epistemik in Naturwissenschaft und Mathematik. In: Hüppauf, Bernd; Weingart, Peter (Hg.): Frosch und Frankenstein. Bilder als Medium der Popularisierung von Wissenschaft. Bielefeld: Transcript 2009, S. 107−134, S. 121. 26 In gewisser Weise gilt dies auch für die Schrift selbst: »Wohnt nicht bereits Schrift mit ih- rer Zweidimensionalität und Logik des Zwischenraums ein diagrammatischer Zug inne?« (Schneider, Birgit; Ernst, Christoph; Wöpking, Jan (Hg.): Diagrammatik-Reader. Grundle- gende Texte aus Theorie und Geschichte; Berlin/Boston: De Gruyter 2016, S. 10). 184 kann man beobachten, wie die Dinge tatsächlich physisch auseinandergelegt werden. Ein zweiter wichtiger Aspekt ist, dass es sich bei Diagrammen um opera- tive Schriften handelt.27 Mit der Isolation und der »Veranschaulichung von Elementen und Relationen [werden] auch bestimmte Möglichkeiten der Re- konfiguration des Gegenstandes, Sachverhalts oder Ereigniszusammenhangs« nahegelegt.28 Hat man sie einmal freigestellt also kann man die Objekte – und sei es probeweise – in neue Beziehungen bringen; dies schließt an Theorien an, die die Medien insgesamt als eine Sphäre des Probehandelns bestimmen.29 Und schließlich, dies ist der dritte Aspekt, stellen Bauer/Ernst klar, dass man von der Materialität der Diagramme leicht zu mentalen Operationen zu- rückkehren kann, insofern »auch das Denken – insbesondere das anschauliche 27 Den Begriff der operationalen Schrift hat ebenfalls Krämer geprägt; – Krämer, Sybille: Operative Schriften als Geistestechnik. Zur Vorgeschichte der Informa- tik. In: Schefe, Peter; Hastedt, Heiner; Dittrich, Yvonne (Hg.): lnformatik und Philosophie. Mannheim: BI-Wissenschaftsverlag 1993, S. 69−84; – dies.: Kalküle als Repräsentationen. Zur Genese des operativen Symbolgebrauches in der Neuzeit. In: Rheinberger, Hans-Jörg; Hagner, Michael; Wahring-Schmidt, Bettina (Hg.): Räume des Wissens: Repräsentation, Codierung, Spur. Berlin: Akademie 1997, S. 112−122; – dies.: Operationsraum Schrift. Ein Perspektivenwechsel im Schriftverständnis. In: Gru- be, Gernot; Kogge, Werner; dies. (Hg.): Schrift. Kulturtechnik zwischen Auge, Hand und Maschine. München: Fink 2005, S. 13−32; – dies.: Zur Sichtbarkeit der Schrift oder: Die Visualisierung des Unsichtbaren in der ope- rativen Schrift. Zehn Thesen. In: Strätling, Susanne; Witte, Georg (Hg.): Die Sichtbarkeit der Schrift. München: Fink 2005, S. 75−84); – dies.: Operative Bildlichkeit. Von der ›Grammatologie‹ zu einer ›Diagrammatologie‹? Reflexionen über erkennendes Sehen. In: Heßler, Martina; Mersch, Dieter (Hg.): Logik des Bildlichen. Zur Kritik der ikonischen Vernunft. Bielefeld: Transcript 2009, S. 94−123. 28 Bauer/Ernst, Diagrammatik, a. a. O., S. 24 (Erg. H. W.). 29 Diese These habe auch ich immer wieder vertreten (W., H.: Diskursökonomie. Zur inneren Ökonomie der Medien. Frankfurt a. M.: Suhrkamp 2004, S. 200, 220ff.; W., H.: Prozessieren. Die dritte, vernachlässigte Medienfunktion. Paderborn: Fink 2015, S. 59, 129, 227, 246 ff.); Bauer/Ernst formulieren: »Die Diagrammatik verknüpft das Wechselspiel von Kon- und Rekonfiguration mit dem Konzept des Gedankenexperiments, dem Konzept der heuris- tischen Fiktion, dem Konzept der Modellierung und Simulation von Sachverhalten oder Ereignisfolgen und mit anderen Verfahren, die zwischen Theorie und Praxis vermitteln und einen Regelkreis von anschaulichem Denken und Probehandeln, von Entwurfshandlungen und Erkenntnisprozessen, von Ermittlungs- und Vermittlungsakten begründen.« (Bauer/ Ernst, Diagrammatik, a. a. O., S. 15). 185 Denken, das sich vor dem inneren, geistigen Auge abspielt – diagrammatisch verfährt.«30 »Hervorgehoben wird vor allem die Möglichkeit, mit Hilfe diagrammatischer Strukturen unsichtbare Relationen ›sichtbar‹ zu machen.«31 Ihr ganzer Ansatz ist darauf abgestellt, beide Seiten – den mentalen und den medien-materialen Aspekt – mit gleicher Aufmerksamkeit zu behandeln. Und die Frage, in welchem Verhältnis beide stehen, wird – sehr plausibel – in Rich- tung einer Wechselwirkung entschieden: »[Es] ist zu berücksichtigen, dass innerhalb der Diagrammatik selbst der semi- otische Übersetzungsprozess zwischen intern-mentalen Prozessen und extern- materiellen Strukturen (und vice versa) – mithin zwischen Bewusstseins- und Kulturleistungen – eines der zentralen Probleme und Erklärungsziele der Dia- grammatik darstellt.«32 »Die Diagrammatik ist also eine Theorie, welche hilft, das Austauschgeschehen zwischen mentalen Erkenntnisprozessen und externen Medien, zu denen komplexe semiotische Darstellungssysteme wie die Schrift zu zählen sind, zu beschreiben.«33 Für meine Frage nach den Techniken des Unterscheidens ist all dieses mehr als hilfreich. 8. Tokens Ein zweites Beispiel für eine Kulturtechnik der Analyse, die sich materieller, medientechnischer Mittel bedient, liefert die Vorgeschichte der Schrift. Die Archäologin Schmandt-Basserat hat beschrieben, dass man in Mesopotamien Tausende von kleinen Ton-Objekten, sogenannte ›Tokens‹, gefunden hat, deren Funktion lange ein Rätsel war; und sie hat sich mit der These durchsetzen 30 Ebd., S. 20. 31 Ebd., S. 29; die These, Medien hätten die Eigenschaft, abstrakte in konkrete Topologien zu übersetzen, geht auf Juri M. Lotman zurück. 32 Bauer/Ernst, Diagrammatik, a. a. O., S. 22 (Erg. H. W.). 33 Ebd., S. 36. 186 können, dass es sich um sogenannte ›Zählsteine‹ handelt, die bestimmte Güter, Vieh, Waren oder Abgaben repräsentierten.34 Die Pointe dieser Tokens war, dass man mit ihnen rechnen konnte; man konnte Mengen bilden, addieren, subtrahieren oder dividieren – und all dieses tat- sächlich mit den Händen (operativ); also auch dann, wenn man über keine mathematischen Fähigkeiten verfügte. Mit Tokens zu rechnen heißt – klarer noch als im Fall der Diagrammatik –, dinghafte Signifikanten auf einem Tisch zusammen- oder auseinanderzulegen.35 9. Artikulation Den Abschnitten zur Diagrammatik und zu den Tokens möchte ich noch eine weitere Medienüberlegung an die Seite stellen. In der Medientheorie nämlich wird in verschiedenen Kontexten der Begriff der ›Artikulation‹ diskutiert, der – zumindest nach einer seiner Seiten hin – ebenfalls eine Medientechnik der Unterscheidung, des Trennens oder Auseinanderlegens bezeichnet. Zunächst ist der Begriff der ›Artikulation‹ mit der mündlichen Sprache assoziiert: »Mit Artikulation (lateinisch articulare ›deutlich aussprechen‹) bezeichnet man im linguistischen bzw. phonetischen Sinne die Realisierung der Phoneme und Wörter menschlicher Sprachen durch die Artikulationsorgane, also den neuro-muskulären 34 Schmandt-Besserat, Denise: Before Writing. Vol. 1: From Counting to Cuneiform. Austin: Univ. of Texas UP 1992; Abb.: © Staatliche Museen zu Berlin – Vorderasiatisches Museum, Foto: Olaf M. Teßmer; Dank f. d. Gen. d. Reproduktion. 35 Mit der Einschränkung allerdings, dass es beim Umgang mit den Zählsteinen jeweils nur um die Anzahl geht. Insofern kann man hier von einer ›Analyse‹ allenfalls mathematischer Relationen oder von Mengenverhältnissen sprechen… 187 Vorgang des Sprechens (bei den Lautsprachen) bzw. des Gebärdens (mit Händen, bei den Gebärdensprachen). Im Rahmen der Spracherzeugung bei Lautsprachen ist die Artikulation im engeren Sinn definiert als die Sprechbewegungen der Ar- tikulationsorgane, in Abgrenzung von Atmung und Phonation (Stimmgebung).«36 Wenn wir sprechen, erzeugen wir mit unseren Stimmbändern Töne, die wir gleichzeitig gliedern und strukturieren. Mithilfe unserer Artikulationsorgane (Rachen, Mundraum, Zunge, Zähne, Lippen) geben wir dem kontinuierlichen Luftstrom, den wir ausatmen, eine klangliche Form. Und hierfür sind vor allem die Konsonanten wichtig. Während die Vokale die notwendige Lautstärke bereitstellen und dafür sorgen, dass die Stimme ›trägt‹, sind es die Konsonanten, die, indem sie stimmlose Geräuschereignisse in den Lautstrom einschalten, diesen Lautstrom gliedern.37 In der Plötzlichkeit der Verschlusslaute38 wird diese strukturierende Leistung insbesondere deut- lich. Etwas bildhaft gesprochen ›kauen‹ wir den Lautstrom der Stimme beim Sprechen durch.39 Inzwischen hat man den Begriff der Artikulation verallgemeinert; und z. B. Schwemmer weitet ihn ausgehend von der mündlichen Sprache auf die gesamte Sphäre der Kultur aus: 36 Wikipedia (dt.): Artikulation (Linguistik), https://de.wikipedia.org/wiki/Artikulation_(Lin- guistik); Wikipedia bezieht sich auf: Pompino-Marschall, Bernd: Einführung in die Phonetik. Berlin: De Gruyter 1995. Die meisten Einführungen in die Phonetik halten es kurioserweise für überflüssig, den Begriff der Artikulation überhaupt zu definieren. Sie gehen umstandslos gleich zu den Regeln und Mechanismen der Artikulation über. 37 Stimmhafte Konsonanten wie das ›M‹ stellen, stark vergröbert, eine Mischform dar… 38 »Plosive/Plosivlaute (auch Explosive/Explosivlaute, Okklusive/Okklusivlaute, Klusile, Mutä oder Verschlusslaute) werden die Konsonanten genannt, bei deren Artikulation der Atem- luftstrom blockiert wird. Durch die sofort darauf folgende Wiederfreisetzung des gestauten Luftstromes entsteht eine kleine ›Explosion‹, die den Klang erzeugt. Die Benennung erfolgt also nach der Artikulationsart. Der Verschluss erfolgt zum Beispiel durch einen Kontakt der Lippen (Beispiel: [ p⁠ ]⁠ , [b⁠ ⁠]) oder der Zunge mit dem Artikulationsort im Vokaltrakt oder Ansatzrohr (Beispiele: [t⁠ ]⁠ , [d⁠ ⁠] , [k⁠ ⁠] , [g⁠ ]⁠ ) .« (Wikipedia (dt.): Plosiv; https://de.wikipedia.org/ wiki/Plosiv). 39 Gleichzeitig betont die Theorie, dass der Lautstrom, physikalisch betrachtet, ein kontinuierli- cher bleibt und dass es – wieder ein Fall von Mustererkennung – letztlich erst die Hörenden sind, die den Lautstrom in Wörter und Sätze zerlegen. Beide Annahmen aber widersprechen sich nicht, weil der Lautstrom sicherlich beides ist: physikalisch kontinuierlich und eben doch ›artikuliert‹. 188 »Die Strukturierung einer Äußerung nennen wir ihre Artikulation. Auch wenn dieser Begriff üblicherweise für sprachliche Äußerungen reserviert und an diesen exemplifiziert wird, möchte ich ihn auch allgemein für andere Äußerungsformen wie etwa der bildlichen oder motorischen Äußerung und darüber hinaus überhaupt für unser Handeln verwenden.«40 Andere Autoren stimmen ihm zu: »Nicht erst das Sprechen macht Menschen zu (sich) artikulierenden Wesen. Arti- kulation beginnt dort, wo Menschen auf etwas zeigen und führt über die verschie- denen Ausdrucksweisen von Fühlen und Denken bis hin zu den komplexesten kulturellen Formen.«41 »Der zentrale Aspekt von Artikulation«, schreibt Jörissen, »liegt […] in der symbolischen Prägnanz, die durch Artikulation erreicht wird. Der Grundgedanke Ernst Cassirers, auf den Schwemmer dabei rekurriert, liegt darin, dass nur in der artikulierten Form kulturellen Ausdrucks überhaupt von Kultur zu sprechen ist.«42 Einerseits also wird das Konzept der ›Artikulation‹ nun auf Phänomene der Kultur allgemein bezogen, andererseits aber greift man auf Konzepte wie ›Aus- druck‹, ›Fühlen‹ oder ›Denken‹ zurück,43 wodurch die Artikulation – mög- licherweise vorschnell – auf das einzelne Subjekt zentriert erscheint. Umso wichtiger ist, dass Schwemmer daneben durchaus auch materialistischere Be- stimmungen der Artikulation bereithält; etwa, wenn er Artikulation vor allem anderen als Formbildung bestimmt: 40 Schwemmer, Oswald: Kulturphilosophie. Eine medientheoretische Grundlegung. München: Fink 2005, S. 49. 41 Verlagsankündigung für den Band: Roussel, Martin; Niklas, Stefan (Hg.): Formen der Artikulation. Philosophische Beiträge zu einem kulturwissenschaftlichen Grundbegriff. München: Fink 2013. https://brill.com/view/title/51438, 30. 3. 20. 42 Jörissen, Benjamin: Anthropologien der Medialität. In: Kulturelle Bildung online, 2013. https://www.kubi-online.de/artikel/anthropologien-medialitaet, 30. 3. 20. 43 »In den Ausdruckshandlungen geht es um die Artikulation von etwas, sei es einer Über- zeugung, einer Stimmung, eines Wunsches, einer Darstellung oder irgend einer sonstigen Mitteilung.« (Schwemmer, Kulturphilosophie, a. a. O., S. 37). 189 »Um […] weiter zu kommen, haben wir auf die Seite der Strukturierung zu sehen, die den Kulturphänomenen selbst zueigen ist. Oder anders gesagt: Wir haben die Kulturphänomene als Strukturierungs-, als Formbildungsleistungen zu sehen. Dies ist die entscheidende Blickveränderung, die uns die Entwicklung einer kul- turtheoretischen Perspektive ermöglicht. Es ist eine Wendung des Blickes von der ›Außenseite‹ oder der ›Oberfläche‹ der Kulturphänomene zu deren immanenter Gliederung, zu deren Selbststrukturierung. […] Die Strukturierung einer Äußerung nennen wir ihre Artikulation.«44 Und deutlicher noch, insofern Schlemmer, was in der Philosophie durchaus nicht Standard ist, auch die Medien mitdenken will. »Neu und entscheidend an Schwemmers Argumentation«, schreibt Jörissen, »ist der medientheoretische Aspekt: denn kulturelle Formen sind medial situiert. Die ›Prägnanzmuster‹ selbst […] unterliegen […] als ›Formbildungsformen‹ medialen Strukturen: es gibt keine Artikulation außerhalb medialer Strukturbedingungen. Jede Artikulation bedarf also eines Mediums, und mediale Formbildungsmöglich- keiten sind ›für die innere Gliederung der Artikulation konstitutiv‹; ihre Analyse sei daher eine der ›Hauptaufgaben jeglicher kulturtheoretischen Reflexion‹. Medien sind also Strukturbedingungen der Möglichkeit von Artikulation.«45 »Jede Artikulation«, sagt Schwemmer selbst, »bedarf eines Mediums. Mit dieser Formel wird zunächst daraufhin gewiesen, dass jede innere Gliederung einer Äußerung sich nur in einem Stoff, in einem Material verwirklichen kann.«46 Auch die Artikulation also – das Stichwort der Gliederung macht dies klar – ist eine Medientechnik des Trennens und der Unterscheidung. Auch die Artiku- lation gliedert die Dinge, indem sie sie auseinanderlegt. Und kehrt man zur mündlichen Sprache zurück, die am Anfang des Abschnitts stand, dann ist das Spektakuläre, dass dieses ›Auseinanderlegen‹ offenbar auch im Medium des Akustischen möglich ist. Der Begriff der Artikulation scheint geeignet, unsere Vorstellung von der analytischen Kraft der Medien zu verallgemeinern und zu erweitern. 44 Ebd., S. 49 (Schreibweise zueigen im Original, Hervorh. H. W.). 45 Jörissen, Anthropologien der Medialität, a. a. O.; J. zit. Schwemmer, a. a. O., S. 53, 55 (Her- vorh. H. W.). 46 Schwemmer, a. a. O., S. 53. 190 10. Zurück zur Schematheorie Mein kurzer Durchgang durch Diagrammatik, Tokens und Artikulation hat deutlich gemacht, dass das Unterscheiden eine praktisch-operative, eine me- dientechnische Seite hat. Dies gilt sicher allgemeiner, insofern der Kopf immer in Wechselbeziehung zu Augen und Händen steht; und zudem haben praktische Operationen den Vorteil, dass man sie besser als mentale Vorgänge beobachten kann. Hat man die genannten Techniken vor Augen, wird klarer, worum es sich beim Unterscheiden überhaupt handelt. Nun aber möchte ich zu meinem eigentlichen Thema, der Schematheorie, zurückkehren. Im Kapitel zu Identität und Identifizieren habe ich mithilfe relativ abstrakter Modelle zu zeigen versucht, wie Schemata und Muster in Zyklen der Verdichtung/Aufschichtung entstehen. Wie also passt sich meine Überlegung zu Trennen und Unterscheiden in diesen Kontext ein? Meine These ist, dass zwischen Identifizieren und Unterscheiden eine system atische Wechselwirkung besteht. Im Mechanismus der Schemabildung/ Schemae rkennung sind beide miteinander verschränkt. Die Wahrnehmung – um noch einmal das Beispiel zu wählen – gleicht ständig Einzelwahrneh- mungen mit Mustern (Erfahrungen und Erwartungen) ab, die das Produkt vergangener Wahrnehmungen sind; und sie bringt diese Muster gleichzeitig hervor, indem sie Einzelwahrnehmungen in einer langen Kette von Iterationen typisiert und schematisiert. An diesem Mechanismus nun sind Identität und Differenz (Identifizieren und Unterscheiden) in gleichem Maße beteiligt. Beide vollziehen sich im glei- chen Moment: Erst das Zusammenspiel von Identifikation und Unterscheidung/ Differenzierung, Anziehung und Abstoßung, Aufschichtung/Kumulation und Auseinanderrücken macht den Gesamtvorgang aus. Meine Vorstellung ist die einer Doppelbewegung: Schritt für Schritt, mit jeder Wiederholung gewinnen die Schemata an ›Identität‹ und an Stabilität; und gleichzeitig werden die Differenzen, die die Schemata voneinander trennen, stilisiert und akzentuiert; mit jeder Iteration also rücken die Schemata ausein- ander. Auf diese Weise, in dieser Doppelbewegung, gewinnen die Schemata Form und Kontur. Allerdings – das ist mein zweiter Punkt – haben Identifizieren und Trennen/ Differenzieren in diesem Prozess offenbar unterschiedliche Rollen: Identität 191 und Identifizieren betreffen das einzelne Schema (das durch Aufschichtung/ Kumulation Stabilität und ›Identität‹ gewinnt), Differenz, Trennen und Diffe- renzieren dagegen betreffen die Relation der Schemata untereinander. Dies würde bedeuten, dass beide einen jeweils unterschiedlichen Raum ein- nehmen und eine unterschiedliche Reichweite haben: Identität/Identifizieren/ Aufschichtung/Kumulation wirken ›lokal‹, eben nur am Ort47 des betreffenden Musters. Differenz/Differenzieren/Trennen dagegen organisieren den Raum, der sich zwischen den Schemata und Mustern aufspannt. Der Vorschlag des letzten Kapitels, zwischen zentripetal und zentrifugal zu unterscheiden, ging in eine ähnliche Richtung;48 und ebenso die Vorstellung, dass die Berge des ›Oder‹ die Dinge scheiden, während die Täler des ›Und‹ sie versammeln.49 Aber ist das tatsächlich so? Sind die unterschiedlichen Schemata tatsächlich nur durch Differenzen (durch Abstoßung) voneinander getrennt? Oder sind sie nicht immer auch – wie untergründig auch immer – durch Relationen der Ähnlichkeit miteinander verbunden? Und wenn dies so ist: Trägt diese Ähnlich- keit nicht notwendig ein Moment von Identität auch in die Relationen hinein? Meine Überlegung zu den ›Merkmalen‹ der Ähnlichkeit50 hatte exakt dies zum Ergebnis: Dass die Merkmale für eine vielfältige Überlagerung sorgen und, allen Differenzen zum Trotz, die Schemata und Muster in ein unübersehbar vielfältiges Netz von Ähnlichkeiten verstricken. Dieses Netz hat, wie dasjenige der Differenzen, im Raum zwischen den Schemata seinen Ort. Einstweilen bleibt es dabei, dass Trennen und Unterscheiden die ande- re Seite (der Komplementärmechanismus) zum Identifizieren sind. Dass die Schemabildung eine analytische Kraft entfaltet und in der Lage ist, die Dinge auseinanderzulegen, macht – augenfälliger als ihre andere, identifikatorische Seite – ihre kulturelle Leistung aus. Analyse, Ratio und Vernunft sind aufs engste verbunden; und alle drei hängen an den Techniken, die Welt zu zergliedern. Dass Differenz und Identität/Identifizieren einen gemeinsamen Mechanis- mus bilden aber heißt, dass beide – notwendig – aufeinander verwiesen bleiben. 47 An anderer Stelle hatte ich davor gewarnt, Relationen, die letztlich semantische sind, in topologische Metaphern zu fassen… 48 Kap 10, Abschnitt 3. 49 Ebd., Abschnitt 8. 50 Kap 7: Ähnlich – inwiefern. 192 Und wenn dies so ist, dann müssen alle Zweifel, die man der ›Identität‹ gegen- über formuliert hat, letztlich auch die Differenz treffen. Eine ›reine‹ Differenz, die von den Problemen der Identität unberührt wäre, gibt es nicht; sie ist eine purifizierende Fantasie, die die Theoriebildung eine Zeitlang bestimmt hat. In jedem Fall ist der Sprung vom einzelnen Schema hin zu den Relationen wichtig, die die Schemata untereinander ins Verhältnis setzen. Diesen Punkt vor allem wird mein Schlusskapitel noch einmal zum Thema machen. 193 BILDSTRECKE: Diskurs-Statistik: Ähnlichkeit, Identität, Differenz Mithilfe des Digitalen Wörterbuchs der deutschen Sprache (DWDS) kann man nach- vollziehen, wie häufig bestimmte Begriffe – in diesem Fall: Ähnlichkeit, Identität und Differenz – in historischen Texten vorkommen; und damit – zumindest näherungs- weise – in welchen Phasen der Geschichte sie ›Konjunktur‹ hatten. Die Textsammlung des DWDS umfasst die Jahre von 1600 bis 2010; für jedes Jahrzehnt wird die relative Häufigkeit (Anzahl der Nennungen pro 1 Million Wörter) dargestellt:1 1 Quelle: https://www.dwds.de/, abgefragt am 28. 6. 2020. Das DWDS ist ein Projekt der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften. Die verwendeten Textkorpora enthalten ca. 2,5 Millionen Texte mit 1,25 Milliarden Wörtern. In der Grafik wird zudem 195 Allerdings ist zu bedenken, dass im deutschen Idealismus, bei Kant, Hegel oder Fich- te, häufiger als von ›Differenz‹ von ›Verschiedenheit‹ oder ›Unterschied‹ gesprochen wurde;2 bezieht man dies ein, ergibt sich ein weniger eindeutiges Bild:3 nach Textarten unterschieden: Am häufigsten tauchen die drei Begriffe in wissenschaftli- chen Texten auf (die jeweils obere Kurve), die breitere, blaue Linie zeigt den Wert für den gesamten Korpus (ohne Berücksichtigung der Textsorte) an. 2 Dank für den Hinweis an Andreas Böhm. 3 DWDS, a. a. O.; obere Kurve: Unterschied, mittlere Kurve: Verschiedenheit, untere Kurve: Differenz (jeweils nur Wissenschaft). 196 12 Identität und Selbstähnlichkeit Wer, zum Teufel, ist der alte, faltige Sack im Spiegel? 1. Intro Identität und Differenz, habe ich gesagt, sind die beiden Pole, zwischen denen der Bereich der Ähnlichkeit liegt. Fragen wir noch einmal nach der Identität. Dass zwei Dinge niemals tatsächlich identisch, sondern allenfalls sehr ähnlich sein können, wurde ebenfalls schon gezeigt. Was aber ist mit einem einzelnen Ding? Im Folgenden soll es um die irri- tierende Tatsache gehen, dass auch ein einzelnes Ding, oder eine Person, ein Individuum, niemals zweifelsfrei mit sich selbst identisch sein kann, aus dem schlichten Grund, dass es der Zeit unterworfen ist und sich im Verlauf der Zeit notwendig verändert. Insofern kann Identität nicht mehr als eine mehr oder minder große Selbstähnlichkeit sein. Im Fall von Personen, schreibt Kerschenbaumer, »[ist mit Identität typischer Weise] eine Art Selbstähnlichkeit gemeint, die zeitliche ›Abschnitte‹ einer Person miteinander verknüpft, zeitliche Abschnitte, in denen sich die Person in irgendeiner Weise zeigt […]. Identität in diesem Sinn ist daher dasjenige, was einen Menschen zu dem macht, als der er sich zeigt.«1 Wikipedia formuliert allgemeiner: »Hinter dem Begriff Ähnlichkeit verbirgt sich ein alltägliches Problem unserer Erkenntnis, das schon seit Heraklit bekannt ist, wenn dieser schreibt: ›In dieselben Flüsse steigen wir und steigen wir nicht‹. […] Weil alles in ständiger Veränderung ist, sind die ›Dinge‹ sogar zu jeder Zeit verschieden von allen anderen vorherigen 1 Kerschenbaumer, Sara Claire: Sprachenbiographie. Identität und Sprache. Unveröff. Man. 2009; https://www.grin.com/document/170417 (Erg. H. W.); (K. zit: Oppenrieder/Thurmair: Sprachidentität) (Link nicht mehr verfügbar). 197 oder zukünftigen Zuständen ihrer eigenen Existenz.«2 Und: »Wenn in der Welt aber keine völlig gleichen Dinge existieren, dann muss jede Feststellung von Identität in Wahrheit auf der Feststellung von Ähnlichkeit beruhen, die vom Beobachter nur irrtümlich als Identität angesehen wird, etwa weil er mit seinen beschränkten Sinnesorganen und Messapparaten keine Unterschiede entdecken kann. Identität ist aus dieser Perspektive eine Sache des Betrachters, die Wirklichkeit dagegen kennt nur Ähnliches.«3 Es gibt allerdings auch andere Stimmen. So setzt Hampton, der die Rolle von Ähnlichkeit am Beispiel sprachlicher Kategorienbildung untersucht, ›Identität‹ gegen die Ähnlichkeit, so als wäre Identität nicht ein Grenzwert des Ähnlichen sondern als Fixpunkt immer schon garantiert: »Another class of categories which could only tautologically be explained in terms of similarity is the class of concepts with explicit definitions. For example being a ›triangle‹ depends on a small number of explicit criteria, such that only similar- ity in those respects is relevant to class membership. To say that all triangles are similar to each other in respect of being closed figures having three straight lines for sides, three angles, and internal angles that sum to 180° is to say little more than that all triangles possess all these properties. Similarity reduces to identity. Categories of this kind are clearly not based on similarity, except in a tautological sense. Similarity must mean more than simple identity on a particular dimension or combination of dimensions.«4 Anstatt zu fragen, wieso man eine Definition als stabil empfindet, bzw. auf welche Weise Konzepte/Begriffe stillgestellt werden, wird hier suggeriert, man könne an der Ähnlichkeit vorbei direkt bei der ›Identität‹ Zuflucht finden. Ich halte diese Argumentation für wenig plausibel. Im Folgenden soll es deshalb um Identität als Selbstähnlichkeit gehen; um die These, dass Identität eine Variante, ein Grenzwert von Ähnlichkeit, und von Ähnlichkeit grundsätzlich abhängig ist. 2 Wikipedia (dt.): Ähnlichkeit (Philosophie); Ähnlichkeit und Identität; https://de.wikipedia. org/wiki/%C3%84hnlichkeit_(Philosophie)#%C3%84hnlichkeit_und_Identit%C3%A4t. 3 Ebd. (Hervorh. H. W.). 4 Hampton, James A.: The role of similarity in natural categorization. In: Hahn, Ulrike; Ramscar, Michael (Hg.): Similarity and Categorization. New York: Oxford UP 2001, S. 13−22, hier: S. 14. 198 2. Selbstähnlichkeit, Biographie Setzen wir noch einmal bei der Identität von Personen an. Seit es Fotoalben gibt, gibt es den Spaß daran, dem Ablauf der Zeit zuzusehen und zu gucken, wie sich Individuen mit ihren Lebensjahren verändern. Körperlichkeit, Klei- dung, Szenerie und Frisuren wechseln; bestimmte Grundzüge bleiben gleich; und oft ist es nur das Wissen, dass es sich um dieselbe Person handelt, die die Kette der Einzelbilder zusammenhält. Die Kameras in Smartphones nun haben nicht nur das ›Selfie‹ hervorge- bracht, sondern auch ganze Selfie-Filme, die bis hin zu autobiographischen Langzeitbeobachtungen reichen. Beispiel sei das Video ›Von 12 bis verheiratet – Ich machte jeden Tag ein Foto‹, das Hugo Cornellier 2017 online gestellt hat.5 Das Video versammelt 2500 Fotos, die Cornellier im Verlauf von neun Jahren von sich gemacht hat, und hat im Netz ein überwältigendes Interesse gefunden.6 5 https://www.youtube.com/watch?v=65nfbW-27ps. 6 137 Millionen Aufrufe innerhalb von drei Jahren. 199 Cornellier hat die Bilder, wie er schreibt, manuell korrigiert; so fällt auf, dass die Augen jeweils am gleichen Punkt liegen. Dies kommt dem Video sehr zugute; es läuft flüssiger durch und man kann sich fast wie in einem kontinuierlichen Film auf die Veränderungen des Gesichts konzentrieren. Ins- gesamt erinnert die Anordnung an die Galtonsche Kompositfotografie, die ich im neunten Kapitel anspreche; mit dem Unterschied, dass das biographische Video die ›Verdichtung‹ quasi rückgängig macht; in der Wahrnehmung des Zuschauers mögen die einzelnen Fotos verschmelzen; physikalisch bleiben sie, längs der Zeitachse aufgereiht, voneinander getrennt. Andere Youtuber sammeln Portraits eines einzelnen Stars und stellen diese zu einer Zeitreihe zusammen; so das Video ›James Hetfield 1980−2018, Aging Bio‹, das, ebenfalls 2017 entstanden, bereits im Titel die alles entscheidende Frage ›What Happened?‹ stellt.7 James Hetfield ist der Sänger der Gruppe Metallica; und das Video beobachtet mit einem gewissen Sadismus, dass der exzessive Lebensstil, den man Musikern zuschreibt, in Hetfields Physis deut- liche Spuren hinterlässt. In diesem Video werden die einzelnen Fotos durch Morphing miteinander verbunden. 7 Youtube-Video: Angelo Di Carpio: James Hetfield, What Happened? 1980−2018 Aging Bio; https://www.youtube.com/watch?v=jNh73QOKo64. 200 3. Selbstähnlichkeit – Irina Werning Konzeptionell wesentlich ambitionierter, aufwändiger und inhaltlich weitrei- chender ist ein Kunstprojekt, das Irina Werning 2010 entwickelt und seitdem mit großer Hartnäckigkeit ausgearbeitet hat.8 Ausgangspunkt ist jeweils ein Foto, meist aus der Kindheit, und dieses Foto wird Jahrzehnte später mit der gleichen Person re-inszeniert; Ausdruck und Kleidung, Hintergrund/Szenerie, Blickwinkel, Licht und Atmosphäre des Fotos werden mit äußerster Präzision noch einmal getroffen; allein die Protagonistinnen sind – im Sprung, verblüf- fend, wie über Nacht – plötzlich erwachsen geworden.9 8 Abb.: © Irina Werning: Back to the Future. Herzlichen Dank für die Genehmigung der Re- produktion. http://irinawerning.com/gallery/back-to-the-future-thumbs/; (Bildkommentare FN 9: ebd.); vgl. Wikipedia (dt.): Irina Werning; https://de.wikipedia.org/wiki/Irina_Werning. 9 – »Pancho, 1983−2010, Buenos-Aires«. – »Lotte, 1994−2012, Dokkum«. – »Duquesa de Alba, 1931−2012, Madrid«. – »Gareth, 1990−2012, New-York«. – »Javier, Jaime, 1976−2012, Madrid«. – »Mechi, 1990−2010, Buenos-Aires«. – »Nelhe, 1980−2012, Hamburg«. – »Barbara, 1979−2012, Berlin«. – »Daphne, 1986−2011, Paris«. 201 202 203 Das Projekt erinnert an Vorher-Nachher-Bilder, mit der Pointe, dass zwischen den Fotos ein halbes Leben liegt. Werning lenkt den Blick darauf, dass Identität Selbstähnlichkeit (und eben Unähnlichkeit) ist. Gerade weil nicht in Frage steht, dass es sich links und rechts um dieselbe Person handelt, und weil auch die Inszenierung bis ins Kleinste ›identisch‹ ist, kann sich der Betrachter den Differenzen widmen; der Arbeit der Zeit an den Körpern, der Tatsache, dass sich der Ausdruck eben doch mit den Jahren verändert, den Gewinnen und den Verlusten, die das Altern mit sich bringt. Und man sieht, dass auch die Veränderung wiederum Regeln folgt, dass es, in der Sache nicht überraschend, bestimmte Muster des Alterns gibt. Regeln aber sind wieder ein Typus von Ähnlichkeit: Die einzelnen Fälle sind unter- gründig miteinander verbunden. 4. Identity Management, Personal Branding Wenn Werning Identität inszeniert und den Abgrund der Zeit mit den Mit- teln der Kunst überbrückt, dann gibt es Ähnliches (etwas trivialer) auch in der populären Kultur; z. B. immer dann, wenn ein Image gepflegt und gegen wechselnde Zeitläufte stabilisiert werden soll. 10 Der Kleidungsstil von Steve Jobs11 etwa will sagen: ›Ich bin derselbe geblie- ben‹. ›Vertraut mir, ich bin noch der Gleiche, der in der Garage begann‹. Und gleichzeitig kehrt er das übliche Schema um: Während Kleidung/Mode 10 Abb.: https://gizmodo.com/the-evolution-of-steve-jobs-clothing-5830132 (Dank für den Hinweis an Anna Kamneva). 11 …sofern die Collage der Wahrheit entspricht … 204 normalerweise für den leichtfüßigen Wechsel steht, für die Anpassung an die Zeit und für die schillernde Sprache des Visuellen, erklärt Jobs, in diesem Punkt ein Kind der Siebziger Jahre, die Oberfläche wortlos für irrelevant. Und gleichzeitig will auch Konstanz hergestellt werden; und es muss zweifellos anstrengend sein, auf dem Weg zur Ikone nicht aus der Rolle zu fallen und nicht zumindest ein einziges Mal ein Hawaiihemd zu wählen. Völlig andere Strategien allerdings sind nötig, wenn das Bild im Spiegel nicht dem gewünschten Selbstbild entspricht. Glücklicherweise bieten die Sozialen Medien dafür Filter an, die den sprechenden Namen ›Facetune‹ tragen. 12 13 12 Abb.: © Linda Nylind/Elle Hunt; »Me, my selfie and I: a portrait of Elle Hunt, taken in natural light on a digital camera; a selfie, taken on an iPhone without a filter; a selfie, with a Snapchat filter.« (Hunt, Elle: Faking it: how selfie dysmorphia is driving people to seek surgery. In: The Guardian, online, 23. 1. 19 https://www.theguardian.com/lifeandstyle/2019/ jan/23/faking-it-how-selfie-dysmorphia-is-driving-people-to-seek-surgery). 13 Abb.: O. A.: Found This Titled: ›Turn From Incel to Chad‹; https://www.reddit.com/r/ Instagramreality/comments/d51nhk/found_this_titled_turn_from_incel_to_chad/. 205 Diese Filter sind vollständig automatisiert und man kann sie inzwischen auch für Bewegtbilder haben. Interessant ist, dass die Software die Schönheitsideale, in deren Richtung die Nutzer ihr Bild verändern, bereits enthält. Schönheit ist hier Programm geworden. Um den Preis allerdings, dass die bearbeiteten Bilder sich drastisch ähneln... 5. Unveränderliche Merkmale, Gesichtserkennung Dass Identität ein Grenzwert der Selbstähnlichkeit ist, wird auch dann deutlich, wenn es darum geht, Personen zu identifizieren. Ausweise enthalten Fotos, um sicherzustellen, dass die Plastikkarte zu einem bestimmten Körper gehört. Das Foto im Ausweis aber ist immer veraltet; einfach deshalb, weil es ein Foto ist. Und gleichzeitig erfüllte es seinen Zweck, solange es Menschen waren, die die Identität prüften. Inzwischen setzt man Maschinen ein und hat andere, nun ›unveränderliche‹ Körpermerkmale auf der Karte codiert.14 Verfahren der automatischen Personenerkennung, die auf Distanz arbeiten, kehren zu den Gesichtern zurück. In einem Berliner Bahnhof haben die Be- hörden Verfahren zur automatischen Gesichtserkennung erprobt, die in China bereits ein fester Bestandteil der Regierungstechniken sind; und »Alipay«, schreibt die Website ›Internet Business‹, »erlaubt [inzwischen auch] das Bezah- 14 »Iriserkennung. Halten Sie Ihr Galaxy S8 oder S8+ in Augenhöhe und blicken Sie direkt auf die zwei Kreise auf dem Bildschirm. Entsperren Sie Ihr Smartphone mit nur einem Blick.« https://www.samsung.com/ch/smartphones/galaxy-s8/security/; Abb.: © Hebi B., Pixabay. 206 len mit Gesichtserkennung. In China kann man ab sofort mit seinem Lächeln bezahlen.«15 Die Website gibt dem Artikel das Bild eines lächelnden Models bei.16 ›German China Org‹ berichtet über eine wesentlich originellere Art der Ver- wendung (und auch das Foto ist besser gewählt): »Yingzi Technology, ein in Guangdong ansässi- ges Unternehmen, nutzt die Gesichtserkennung für Schweine während der gesamten Schweine- fleischkette, um ihr Wachstum zu verfolgen, ihre Gesundheit zu steuern und ihre Auffindbarkeit zu verbessern. Darüber hinaus ist die Gesichtser- kennungstechnologie des Unternehmens in der Lage, jedes Schwein in einer Herde automatisch zu identifizieren, es täglich zu verfolgen [!] und sich daran zu erinnern, wie sich sein Gesichts- ausdruck entwickelt, wenn Ferkel zu Erwachse- nen werden, sagte Jackson He, Geschäftsführer von Yingzi.«17 15 https://www.internetworld.de/e-commerce/alibaba/alipay-erlaubt-bezahlen-gesichtserken- nung-1345173.html (Erg. H. W.) 16 Abb.: Ebd. 17 http://german.china.org.cn/txt/2018-11/28/content_74217303.htm, 16. 3. 19 (Her- vorh. H. W.); Abb.: Ebd. 207 In beiden Fällen ist es offensichtlich gelungen, das Moment von Selbst-Unähn- lichkeit in den Griff zu bekommen, die das Alter mit sich bringt, und dafür zu sorgen, dass die Algorithmen auch eine eingeschränkte Ähnlichkeit als ›Identität‹ akzeptieren. 6. Fraktale Und schließlich – der Sprung sei erlaubt – gibt es noch einen weiteren Typus von Selbstähnlichkeit, auch wenn dieser mit Identität nur vermittelt zu tun hat: In den 1980er und 90er Jahren haben – ästhetisch wie mit Blick auf die Sache – Fraktale eine große Faszination ausgeübt; und auch hier spielte das Stichwort der ›Selbstähnlichkeit‹ eine Rolle. Fraktale gibt es in der Natur, in der Pflanzen- oder Tiermorphologie, wenn sich eine bestimmte Form oder Struktur in verschiedenen Maßstäben wiederholt:18 18 Selbstähnlichkeit in der Natur: Romanesco Broccoli; Abb.: https://www.wired.com/2010/09/ fractal-patterns-in-nature/?pid=179&viewall=true; Nautilus: Abb.: Ebd.; Farn: Abb.: https:// www.hobivesanatdunyasi.com/fraktal-bir-yuzyilin-imgeleri.html. 208 Und hiervon ausgehend hat man Programme geschrieben, die Formen mit den gleichen Eigenschaften hervorbrachten; das bekannteste wurde von Benoit Man- delbrot entwickelt und nach seinem Grafik-Output ›Apfelmännchen‹ genannt.19 19 Abb.: © Alexey Popov; https://www.zahl-art.de/mandelbrot-menge/; Dank f. d. Gen. der Reproduktion. »Mandelbrotmenge – Selbstähnlichkeit. Die Mandelbrot Menge – das kom- plexeste und das schönste Objekt der Wissenschaft, die Ikone der Chaostheorie. Diese Abbildungen zeigen, was man zu sehen bekommt, wenn man bestimmte Ausschnitte der Mandelbrot-Menge vergrößert. […] Fraktale, so unterschiedlich sie auch aussehen, ge- meinsam haben eine Eigenschaft – die Selbstähnlichkeit. Betrachtet man ein Teilstück eines Fraktals, so ähnelt dieses Stück dem ganzen Fraktal.« (Ebd.). 209 Fraktale haben die irritierende Eigenschaft, dass man in die Grafiken fast unendlich ›hineinzoomen‹ kann. Auch wenn man den Maßstab um viele Zeh- nerpotenzen verändert, tauchen immer wieder ähnliche Formen auf. Und zum zweiten war man verblüfft, wie wenige Programmzeilen man brauchte, um diese sehr komplexen Formen zu generieren. Die entsprechenden Algorithmen arbeiten rekursiv, d. h. mit Funktionen, die sich bei der Ausführung selbst aufrufen; es ent- steht eine Struktur, die, ähnlich wie die Grafik, fast unendlich ›geschachtelt‹ ist.20 Die letzte Grafik erinnert an die islamische Kunst und Architektur, und in der Tat wurden dort – lange bevor es Computer gab – Ornamente entwickelt, die fraktalen Charakter haben. 20 Abb.: https://coderdojo-linz.github.io/trainingsanleitungen/web/svg-fraktalbaum.html; Fraktal Hände: Abb.: https://www.energeticmedizin.com/ingeniumbioniksystem/diverses/ fraktal/index.html; Fraktal Kuppel: Abb.: © Sven Fauth – Abstrakte Digitale Fraktale Kunst; https://www.fraktale-kunstwerke.de/2016/08/13/fraktal-des-monats-august/. 210 Wenn man im Fall der Fraktale von ›Selbstähnlichkeit‹ spricht, dann ist gemeint, dass eine Eigenschaft oder Form sich auf verschiedenen Ebenen wiederholt. ›Identisch‹ also ist nur diese Eigenschaft oder Form. In den Fällen, die ich vorher diskutiert habe, also etwa in der Biographie von Personen, wäre dies anders, denn hier würde man unterstellen, dass die Person, auch was ihre Substanz angeht, dieselbe und mit sich identisch bleibt. Aber würde das nicht bedeuten, dass Identität eben doch mehr als Selbstähnlichkeit ist? 7. Konstanzannahme, Beharrung Die Humanbiologie sagt uns, dass sich im Verlauf unseres Lebens auch die Substanz unseres Körpers mehrfach komplett erneuert. Und wenn der Prozess des Alterns sogar die DNA betrifft, was bleibt dann eigentlich überhaupt noch identisch/konstant? Zumindest ein menschliches Individuum kann nicht aus seinem Hautsack heraus; man kann es, das sagt schon der Begriff, nicht zerteilen, ohne dass es sein Leben verliert; es kann nicht plötzlich verschwinden; und selbst wenn es stirbt, bleibt ein toter Körper zurück. Und für die meisten Dinge würde dasselbe gelten: Wenn wir schlafen gehen, setzen wir pragmatisch voraus, dass unsere Möbel am Morgen noch da sein werden; und ebenso die Straßen und die Gebäude der Stadt. Es gehört zur Definition der Dingwelt, dass wir uns auf ihre Konstanz und Beharrungskraft einigermaßen verlassen können. ›Identität‹ hat wesentlich mit dieser Beharrung zu tun. Dies ist die andere Seite bei Heraklit: Wir steigen nicht in denselben, aber eben auch nicht in ei- nen vollständig anderen Fluss. Entsprechend ginge es darum, das Moment der Beharrung und das Moment der Veränderung/Differenz zusammenzudenken. Die Begriffe der Ähnlichkeit und der Selbstähnlichkeit – denke ich – liefern genau dies. 211 8. Schluss Im Feld der Ähnlichkeit ist Selbstähnlichkeit sicher ein eher exotischer Fall. Keineswegs aber ist sie deshalb irrelevant. Identität und Differenz, das war mein Ausgangspunkt, sind die Pole oder Grenzwerte, die die Ähnlichkeit limitieren. Die Überlegung zur Selbstähnlichkeit nun aber zeigt, dass der Pol der Identität keineswegs eine stabile Orientierung ist. Sobald man Identität als Selbstähnlichkeit fasst, nämlich hat die Ähnlich- keit die Identität immer schon unterlaufen. Ähnlichkeit dringt, mit all ihren Unklarheiten, in den Kern dessen vor, was wir – möglicherweise unberechtigt – Identität nennen; mit der Folge, dass Gewissheiten wie diejenige Hamptons21 nicht zu halten sind. Aber war ›Identität‹ nicht ohnehin immer mehr als prekär? Haben die Philo- sophen Identität nicht in jeder Weise in Zweifel gezogen? Das ist sicher richtig. Ich denke allerdings, dass es ein Unterschied ist, ob man aus der Perspektive der Differenz/differance, oder aus der der Ähnlichkeit/Selbstähnlichkeit argumen- tiert. Nimmt man die Ähnlichkeit ernst, wird klar, dass die Differenz – so sehr die Kulturwissenschaft sie zweifellos favorisiert – ebenfalls keine sichere Basis bietet, weil die Ähnlichkeit auch die Differenz immer schon unterläuft. Dies ähnlich plastisch zu machen wie für die Identität, wäre sicher ein Desiderat. 21 FN 4. 212 BILDSTRECKE: Ulric Collette –  Familienähnlichkeit 1 2 1 Abb. u. Kommentare: © Ulric Collette: Genetische Portraits [Fotomontagen]; http://www. geneticportraits.ca/; herzlichen Dank für die Genehmigung der Reproduktion. Abb. 1.: »Schwester / Bruder: Pascale & David«. 2 »Großmutter / Enkelin: Ginette, 61 & Ismaëlle, 12«. 213 3 4 3 »Schwestern: Veronique, 32 & Catherine, 26«. 4 »Sohn / Mutter: Kristof, 19 Jahre & Madineg, 41 Jahre«. 214 5 6 5 »Cousin / Cousine: Ulric & Justine«. 6 »Tochter / Mutter: Sophea, 37 Jahre & Sophal, 62 Jahre«. 215 13 Ähnlichkeit und Form Cassirer: Philosophie der symbolischen Formen. 1. Intro Ich möchte mich nun – wieder aus der Perspektive der Ähnlichkeit – dem Begriff der Form zuwenden, der im Verlauf meiner Argumentation schon verschiedentlich vorkam, und den ich, um dies gleich zu sagen, für konstitutiv für ein Verständnis der Medien halte.1 Die ersten Schritte werde ich mit Cassirer tun. Seine berühmte ›Philosophie der symbolischen Formen‹ wurde vor ca. 100 Jahren geschrieben;2 dieses Buch nimmt viel von dem, was ich hier versuche, vorweg, und zwar in mehrfacher Hinsicht: Zunächst schlägt bereits der Titel eine Brücke vom Begriff des Sym- bolischen hin zur Form; zum zweiten stellt Cassirer einen Bezug ausdrücklich auch zur Ähnlichkeit her; und schließlich bezieht sich das Buch auch auf die Medien, insofern Cassirer darauf besteht, dass unser Weltzugang immer ein vermittelter ist, und indem er mit den unterschiedlichen symbolischen Formen zumindest implizit unterschiedliche Medien vergleicht. Cassirer spricht eine Vielzahl von Motiven an, die ich in den vorangegange- nen Kapiteln diskutiert habe. Dies bietet mir Gelegenheit, am Handlauf seines Textes diese Themenkomplexe noch einmal durchzugehen und auf fremdem Terrain, quasi in a nutshell, noch einmal zu prüfen. Und gleichzeitig hat Cassirer neben vielen schlagend-plausiblen auch solche Entscheidungen getroffen, die 1 Vgl.: Winkler, H.: Diskursökonomie. Versuch über die innere Ökonomie der Medien. Frankfurt a. M.: Suhrkamp 2004, S. 147−169; W., H.: Basiswissen Medien. Frankfurt a. M.: Fischer 2008, S. 133−160. Ich teile diese Auffassung z. B. mit Leschke (L., Rainer: Medien und Formen. Eine Morphologie der Medien. Konstanz: UVK 2010); innerhalb der Medi- enwissenschaften aber ist sie keineswegs Konsens… 2 Cassirer, Ernst: Philosophie der symbolischen Formen. 3 Bde. Darmstadt: WBG 1977 (EV.: 1923/25/29). 217 mir nicht völlig plausibel sind. Insgesamt ist mein Ziel, sowohl dem Begriff der Form, als auch – noch einmal – der Ähnlichkeit näher zu kommen. 2. Symbolische Formen Warum und inwiefern also ›Form‹? Für Cassirer hat dieser Begriff zentrale Bedeutung. In der Abfolge seiner Teilbände geht er zunächst die Sprache, dann Mythos und Kunst (wobei die Kunst nicht vergleichbar sorgfältig aus- gearbeitet wird), und schließlich die Verfahren der naturwissenschaftlichen Erkenntnis durch. Diese vier betrachtet er als die ›symbolischen Formen‹, die – auf unterschiedlichen historischen Stufen und in jeweils unterschiedlicher Konstellation – den Zugang zur Welt, die Wahrnehmung und die Erkenntnis strukturieren. Unter einer ›symbolischen Form‹ ist ein ganzes Denksystem zu verstehen. Und Cassirer wählt den Begriff mit Bedacht: ›Symbolisch‹ nennt er die symbolischen Formen, um zu betonen, dass es Zeichen, Deutungen und Bedeutungen, sind, die den Zugang zur Welt vermitteln; und er spricht von ›Formen‹, weil es um ganze kulturelle Systeme geht: »Denn wie die moderne Sprachphilosophie, um den eigentlichen Ansatzpunkt für eine philosophische Betrachtung der Sprache zu finden, den Begriff der ›inneren Sprachform‹ aufgestellt hat – so läßt sich sagen, daß eine analoge ›innere Form‹ auch für die Religion und den Mythos, für die Kunst und für die wissenschaftliche Erkenntnis vorauszusetzen und zu suchen ist. Und diese Form bedeutet nicht ledig- lich die Summe oder die nachträgliche Zusammenfassung der Einzelerscheinungen dieser Gebiete, sondern das bedingende Gesetz ihres Aufbaus.«3 Cassirer also übernimmt den Begriff der Form aus der Sprachphilosophie4 und weitet ihn ausgehend von der Sprache auch auf andere Medien oder Denkfor- 3 Ebd., Bd. 1., S. 12 (Hervorh. H. W.). 4 Ein linguistisches Online-Lexikon definiert die ›Innere Sprachform‹ so: »Von J. G. Herder und H. G. Hamann vorbereiteter, von W. v. Humboldt explizit begründeter Begriff, auf den verschiedene sprachwissenschaftliche Richtungen der neueren Zeit zurückgreifen. Bei Hum- boldt ist I. S. (im Unterschied zu der äußeren, materiell realisierten Sprachform) gleichgesetzt mit der in der jeweiligen Sprache verankerten ›Weltansicht‹, d. h. die Gesetze der Sprache bilden die Gesetze des Denkens ab.« (http://www.hispanoteca.eu/Linguistik/i/INNERE%20 SPRACHFORM.htm, 14. 4. 20). Zur ›Inneren Sprachform‹ vgl. auch: Cassirer, a. a. O., S. 256 f. 218 men aus. Er beansprucht, mit der inneren Form das Gesetz offenzulegen, das deren Aufbau bedingt; und gleichzeitig warnt er davor, »in der Allgemeinheit der logischen Form die Besonderung jedes Einzelgebiets und die Eigenart seines Prinzips […] zu verwischen.«5 Symbolische Formen sind, wie Medien, nur im Plural zu haben. Dies ist die erste, die generelle Ebene der ›Form‹. Gleichzeitig aber arbei- tet Cassirer diese ›großen‹ Formen detailliert aus und verfolgt ihre Logik bis hinunter auf die Ebene der einzelnen Zeichen. Auch die einzelnen Zeichen, dies wird zu zeigen sein, sind für ihn ›Form‹; er benutzt den Begriff damit in mehrfachem Sinn; und vor allem, um die unterschiedlichen Ebenen (Makro und Mikro) in eine regelhafte Verbindung zu bringen. Dies ist in meinen Augen die große Stärke des Buches und der große Gewinn, den sich meine Argumentation von Cassirer verspricht. 3. Wahrnehmung und Erkenntnis Cassirer betont, dass die ›symbolischen Formen‹ keineswegs nur das Denken, sondern auch die sinnliche Wahrnehmung und Erfahrung umfassen. »[Die Wahrnehmung mag] als ein relativ-Einfaches und relativ-›Unmittelbares‹ […], als ein schlichtes Datum, als ein ›Vorgegebenes‹ erscheinen. Aber dies benimmt uns in keiner Weise die Möglichkeit, noch überhebt es uns der Verpflichtung, sie in einem anderen Problemzusammenhang als etwas durchaus Vermitteltes und Be- dingtes zu erkennen. Es zeigt sich […], daß die Analysis der theoretischen ›Form‹ der Erkenntnis nicht in einer einzelnen Erkenntnisschicht verharren und sich in ihr gleichsam festlegen kann, sondern daß sie stets die Gesamtheit der Momente, aus denen die Erkenntnis sich aufbaut, ins Auge fassen muß. Denn nicht erst die Region der wissenschaftlichen, der ›abstrakten‹ Begriffe, sondern bereits die der ›gemeinen‹ Erfahrung ist mit theoretischen Deutungen und Bedeutungen durchdrungen.«6 »Sinnlichkeit, Anschauung, Verstand bilden keineswegs bloß sukzessive Phasen der Erkenntnis, die in ihrem einfachen Nacheinander zu ergreifen sind, sondern sie stellen sich als ein strenges In-Einander, als ihre konstitutiven Momente dar.«7 5 Cassirer, a. a. O., Bd. 1, S. 16. 6 Ebd., Bd. 3, S. 13 f. (Erg. H. W.). 7 Ebd., S. 12. 219 Mit diesem Ansatz stellt Cassirer sich explizit gegen die Tradition des philo- sophischen Idealismus: »[Der Lehrbegriff des Idealismus] war von jeher darauf gerichtet, dem ›mundus sensibilis‹ einen anderen Kosmos, den ›mundus intelligibilis‹ gegenüberzustellen und die Grenzen beider Welten sicher zu scheiden. Im wesentlichen aber verlief die Grenze derart, daß die Welt des Intelligiblen durch das Moment des reinen Tuns, die Welt des Sinnlichen durch das Moment des Leidens bestimmt wurde. Dort herrschte die freie Spontaneität des Geistigen, hier die Gebundenheit, die Passivität des Sinnlichen. Für jene ›allgemeine Charakteristik‹ aber [Cassirer hat vorher sein Projekt in die Tradition der Leibnizschen ›Charakteristik‹ gestellt, spricht nun also vom eigenen Ansatz], deren Problem und Aufgabe sich jetzt im allgemeinsten Umriß vor uns hingestellt hat, ist dieser Gegensatz kein unvermit- telter und ausschließender mehr.«8 Cassirer will die Kluft zwischen Erfahrung/Sinnlichkeit und Denken überwin- den (und entsprechend lehnt er es ab, seinen Begriff der Form dem der Materie schlicht gegenüberzusetzen9). Auch dieses Ziel würde ich teilen: Hat doch auch der Begriff des Schemas seine Pointe darin, dass er Geltung sowohl im Feld der sinnlichen Wahrnehmung, als auch der Zeichensysteme (der Medien), als auch des Kognitiven beansprucht. 4. Sprache Gehen wir nun zur Sprache über, der Cassirer als erster der symbolischen Formen besondere Sorgfalt widmet. Die symbolischen Formen haben die Ei- genschaft, die Logik der Dinge, die Logik der Zeichen und die der Gedanken ins Verhältnis zu setzen. Hierbei haben die Zeichen ein Privileg: 8 Ebd., Bd. 1, S. 19 (Erg. H. W.). 9 »Jetzt ist es daher auch nicht mehr widersprechend, sondern geradezu notwendig, daß eben das, was unter einem bestimmten Gesichtspunkt als die ›Materie‹ der Erkenntnis bezeichnet werden kann, in einer andern Hinsicht wieder als etwas Geformtes oder doch Formhaltiges erkannt wird.« (Ebd., Bd. 3, S. 13). 220 »Die Logik der Sachen, d. h. der inhaltlichen Grundbegriffe und Grundbeziehun- gen, auf denen der Aufbau einer Wissenschaft beruht, kann […] von der Logik der Zeichen nicht getrennt werden. Denn das Zeichen ist keine bloß zufällige Hülle des Gedankens, sondern sein notwendiges und wesentliches Organ. Es dient nicht nur dem Zweck der Mitteilung eines fertiggegebenen Gedankeninhalts, sondern ist ein Instrument, kraft dessen dieser Inhalt selbst sich herausbildet und kraft dessen er erst seine volle Bestimmtheit gewinnt. Der Akt der begrifflichen Bestimmung eines Inhalts geht mit dem Akt seiner Fixierung in irgendeinem charakteristischen Zeichen Hand in Hand. So findet alles wahrhaft strenge und exakte Denken seinen Halt erst in der Symbolik und Semiotik, auf die es sich stützt.«10 Ohne die ordnende Leistung der Sprache, sagt Cassirer, würden Welt und Erfahrung diffus und unbestimmt bleiben: »So zeigt etwa der Prozeß der Sprachbildung, wie das Chaos der unmittelbaren Eindrücke sich für uns erst dadurch lichtet und gliedert, daß wir es ›benennen‹ und es dadurch mit der Funktion des sprachlichen Denkens und des sprachlichen Ausdrucks durchdringen. In dieser neuen Welt der Sprachzeichen gewinnt auch die Welt der Eindrücke selbst einen ganz neuen ›Bestand‹, weil eine neue geistige Artikulation. Die Unterscheidung und Sonderung, die Fixierung gewisser Inhalts- momente durch den Sprachlaut bezeichnet an ihnen nicht nur, sondern verleiht ihnen geradezu eine bestimmte gedankliche Qualität, kraft deren sie nun über die bloße Unmittelbarkeit der sog. sinnlichen Qualitäten erhoben sind. So wird die Sprache zu einem der geistigen Grundmittel, vermöge dessen sich für uns der Fortschritt von der bloßen Empfindungswelt zur Welt der Anschauung und Vor- stellung vollzieht. Sie schließt im Keime bereits jene intellektuelle Arbeit in sich, die sich weiterhin in der Bildung des Begriffs, als wissenschaftlichen Begriffs, als bestimmter logischer Formeinheit äußert. Hier liegt der erste Anfang jener allge- 10 Ebd., Bd. 1., S. 18; …eine Überlegung, die er sofort auf das Terrain der naturwissenschaft- lichen Erkenntnis erweitert: »Jedes ›Gesetz‹ der Natur nimmt für unser Denken die Gestalt einer allgemeinen ›Formel‹ an – jede Formel aber läßt sich nicht anders denn durch eine Verknüpfung allgemeiner und spezifischer Zeichen darstellen. Ohne jene universellen Zei- chen, wie sie die Arithmetik und Algebra darbieten, wäre auch keine besondere Relation der Physik, kein besonderes Naturgesetz aussprechbar. Darin prägt sich gleichsam sinnfällig das Grundprinzip der Erkenntnis überhaupt aus, daß sich das Allgemeine immer nur im Besonderen anschauen, das Besondere immer nur im Hinblick auf das Allgemeine denken läßt.« (Ebd.). 221 meinsten Funktion des Trennens und Verknüpfens [!], die ihren höchsten bewußten Ausdruck in den Analysen und Synthesen des wissenschaftlichen Denkens findet.«11 Und schließlich geht es darum, dass die Sprache Erfahrungen, die sonst flüchtig wären, fixiert: »Das Zeichen bildet gleichsam für das Bewußtsein das erste Stadium und den ersten Beleg der Objektivität, weil durch dasselbe zuerst dem stetigen Wandel der Bewußt- seinsinhalte Halt geboten, weil in ihm ein Bleibendes bestimmt und herausgehoben wird. Kein bloßer Inhalt des Bewußtseins kehrt als solcher, nachdem er einmal vergangen und durch andere ersetzt ist, in streng-identischer Bestimmtheit wieder. Er ist als das, was er war, ein für allemal dahin, sobald er aus dem Bewußtsein geschwunden ist. Aber diesem unaufhörlichen Wechsel der inhaltlichen Qualitäten stellt nun das Bewußtsein die Einheit seiner selbst und seiner Form gegenüber. Seine Identität beweist sich nicht in dem, was es ist oder hat, sondern in dem, was es tut, erst wahrhaft. Durch das Zeichen, das mit einem Inhalt verknüpft wird, gewinnt dieser in sich selbst einen neuen Bestand und eine neue Dauer. Denn dem Zeichen kommt, im Gegensatz zu dem realen Wechsel der Einzelinhalte des Bewußtseins, eine bestimmte ideelle Bedeutung zu, die als solche beharrt. Es ist nicht gleich der gegebenen einfachen Empfindung ein punktuell Einzelnes und Einmaliges, sondern es steht als Repräsentant für eine Gesamtheit, einen Inbegriff möglicher Inhalte, deren jedem gegenüber es also ein erstes ›Allgemeines‹ darstellt. In der symbolischen Funktion des Bewußtseins, wie sie sich in der Sprache, in der Kunst, im Mythos betätigt, heben sich zuerst aus dem Strom des Bewußtseins bestimmte gleichbleibende Grundgestalten teils begrifflicher, teils rein anschaulicher Natur heraus; an die Stelle des verfließenden Inhalts tritt die in sich geschlossene und in sich beharrende Einheit der Form.«12 5. Verallgemeinerung, Abstraktion, Begriffsbildung Unter der Hand, ich habe es angekündigt, hat sich Cassirers Formbegriff da- mit verschoben. ›Form‹ nennt er nun nicht mehr das Denksystem insgesamt, sondern »bestimmte gleichbleibende Grundgestalten teils begrifflicher, teils 11 Ebd., S. 20 (Hervorh. H. W.). 12 Ebd., S. 22 (Hervorh. H. W.). 222 rein anschaulicher Natur«, letztlich also die einzelnen Zeichen. Inwiefern aber sind diese ›Form‹? Die Antwort ist im Zitierten bereits enthalten: »Es [das Zeichen] ist nicht gleich der gegebenen einfachen Empfindung ein punk- tuell Einzelnes und Einmaliges, sondern es steht als Repräsentant für eine Gesamt- heit, einen Inbegriff möglicher Inhalte, deren jedem gegenüber es also ein erstes ›Allgemeines‹ darstellt.«13 Das Zeichen also ist ›Form‹, insofern es verallgemeinert. Wenn ich in den vorangegangenen Kapiteln immer wieder die Subsumtion ins Zentrum gestellt habe, dann ist dies der gleiche Gedanke; das Zeichen (der Begriff) tritt dem zu Begreifenden als ein »Allgemeines« gegenüber. Und gleichzeitig bekommt das Konzept der Form eine neue Färbung: Es rückt in die Nähe der Abstraktion. Diese Konnotation ist für sich genom- men nicht unvertraut, würde man Konzepte wie Formalisierung, Information, Formalsprachen oder Informatik, die die ›Form‹ deutlich im Namen tragen, ohnehin schon immer mit Abstraktion verbinden. An Cassirer aber geht die Frage zurück, auf welche Weise in seinem Modell Form, Abstraktion und Repräsentation (»Repräsentant für eine Gesamtheit«14) zusammenspielen. Wie also entstehen Zeichen als Repräsentanten? Wie wird das Einzelne zum Allgemeinen? 6. Entstehung der Symbole / Zeichen Die erste wichtige Bestimmung ist, dass abstrakte Zeichen nicht vom Himmel fallen. Abstraktion und Zeichenbildung vielmehr, daran lässt Cassirer keinen Zweifel, müssen als ein Prozess gedacht werden, der auf dem Strom der Er- fahrung und der Wahrnehmung – zeitgebundener, diffuser, flüchtiger Erfah- rung – aufsetzt, diesen zur Voraussetzung hat und ihn gleichzeitig strukturiert. Ein Zeichen kann nur werden, was aus diesem Prozess extrahiert und – wie probeweise auch immer – stillgestellt wurde; in einem eigenen, für diesen Zweck gewählten Signifikanten-Material. 13 Ebd. (Erg. H. W.). 14 Ebd. 223 Und nun rentiert es sich, dass Cassirer, ich habe es zitiert, zwischen Wahr- nehmung und Erkenntnis, Erfahrung und Zeichenbildung ein Kontinuum voraussetzt. Denn nur auf diese Weise kann das Zeichen Erfahrung in sich aufnehmen, Erfahrung eine Form geben und Erfahrung organisieren. 7. Materialität der Zeichen Und dasselbe Motiv kehrt wieder, wenn es um die Materialität der Zeichen geht. Cassirer greift auf Humboldt zurück, um hervorzuheben, dass Zeichen – immer und grundsätzlich – ein Phänomen des Übergangs zwischen Innenraum und Außenraum, zwischen dem Subjekt und allem ›Objektiven‹ bilden. »Für Humboldt ist das Lautzeichen, das die Materie aller Sprachbildung darstellt, gleichsam die Brücke zwischen dem Subjektiven und Objektiven, weil sich in ihm die wesentlichen Momente beider vereinen. Denn der Laut ist auf der einen Seite gesprochener und insofern von uns selbst hervorgebrachter und geformter Laut; auf der anderen Seite aber ist er, als gehörter Laut, ein Teil der sinnlichen Wirklichkeit, die uns umgibt. Wir erfassen und kennen ihn daher als ein zugleich ›Inneres‹ und ›Äußeres‹ – als eine Energie des Inneren, die sich in einem Äußeren ausprägt und objektiviert. ›Indem in der Sprache das geistige Bestreben sich Bahn durch die Lippen bricht, kehrt das Erzeugnis desselben zum eigenen Ohr zurück.‹«15 Sein Beispiel also ist ausgerechnet jene Selbstaffektion im Sich-Sprechen-Hören, die Derrida vierzig Jahr später so kritisch bewertet;16 die hier aber positiv aufgefasst wird: »›Die Vorstellung wird also in wirkliche Objektivität hinüberversetzt, ohne darum der Subjektivität entzogen zu werden. Dies vermag nur die Sprache; und ohne diese, wo Sprache mitwirkt, auch stillschweigend immer vorgehende Versetzung in zum Subjekt zurückkehrende Objektivität ist die Bildung des Begriffs, mithin alles wahre Denken unmöglich … Denn die Sprache kann ja nicht als ein daliegender, in seinem Ganzen übersehbarer oder nach und nach mitteilbarer Stoff, sondern muß als ein 15 Ebd., S. 25. 16 Derrida, Jacques: Die Stimme und das Phänomen. Frankfurt a. M.: Suhrkamp 1979, S. 131 ff. (EV., frz.: 1967). 224 sich ewig erzeugendes angesehen werden, wo die Gesetze der Erzeugung bestimmt sind, aber der Umfang und gewissermaßen auch die Art des Erzeugnisses gänzlich unbestimmt bleiben … Wie der einzelne Laut zwischen den Gegenstand und den Menschen, so tritt die ganze Sprache zwischen ihn und die innerlich und äußerlich auf ihn einwirkende Natur. Er umgibt sich mit einer Welt von Lauten, um die Welt von Gegenständen in sich aufzunehmen und zu bearbeiten.‹«17 Und Cassirer verallgemeinert: »In dieser kritisch-idealistischen Auffassung der Sprache ist zugleich ein Moment bezeichnet, das für jede Art und für jede Form der Symbolgebung gültig ist.«18 Das Gesagte hat zwei Aspekte: Zum einen, dass Zeichen – als Signifikanten objektiviert – selbst zum Gegenstand der Erfahrung werden; und zum zweiten, dass die Zeichen, gerade weil sie an Subjekt und Objekt Anteil haben, in der Lage sind, die Funktion eines Mittlers zu übernehmen. Und noch einmal: wo wir gewohnt sind, die Zeichen als Mittler zwischen menschlichen Kommu- nikatoren zu sehen, geht es hier um Erfahrung und Erkenntnis, also um die Vermittlung zwischen Menschen und Welt. 8. Trennen und Verbinden Eine weitere Eigenheit der Zeichenentstehung wurde angesprochen, wenn Cassirer oben von »Unterscheidung und Sonderung« bzw. der »Funktion des Trennens und Verknüpfens« gesprochen hatte.19 Immer wieder betont er, dass es eine Funktion der Zeichen ist, Dinge voneinander zu unterscheiden, Dinge auseinanderzulegen. »Der Prozeß der Abstraktion kann sich nur an solchen Inhalten vollziehen, die in sich schon irgendwie bestimmt und bezeichnet, die sprachlich und gedanklich gegliedert sind. Wie aber – so muß jetzt gefragt werden – kommt es zu dieser Gliederung selbst? Welches sind die Bedingungen jener primären Formung, die 17 Cassirer, a. a. O., Bd. 1, S. 25 (Hervorh. H. W.); Cassirer zitiert Wilhelm v. Humboldt: Über die Kawi-Sprache auf der Insel Java. (1836). 18 Ebd. 19 Vgl. FN 11. 225 sich in der Sprache vollzieht und die für alle weiteren und komplexeren Synthe- sen des logischen Denkens die Grundlage bildet? Auf welchem Wege gelingt es der Sprache, dem Heraklitischen Fluß des Werdens, in dem kein Inhalt wahrhaft gleichartig wiederkehrt, zu entrinnen – sich ihm gleichsam gegenüberzustellen und aus ihm feste Bestimmtheiten herauszulösen?«20 Exakt an diesem Problem arbeiten sich meine Kapitel zu Identität und Dif- ferenz ab. »Hier liegt das eigentliche Geheimnis der ›Prädikation‹ als eines zugleich logischen und sprachlichen Problems. Nicht dies ist der Anfang des Denkens und Sprechens, daß irgendwelche in der Empfindung oder Anschauung gegebene Unterschiede einfach erfaßt und benannt, sondern daß bestimmte Grenzlinien selbständig gezogen, bestimmte Trennungen und Verknüpfungen vorgenommen werden, kraft deren sich nun aus der fließend immer gleichen Reihe des Bewußtseins klar geschiedene Einzel- gestalten herausheben. Die Logik pflegt die eigentliche Geburtsstätte des Begriffs erst dort zu finden, wo […] durch das Verfahren der ›Definition‹ […] eine scharfe Abgrenzung des Bedeutungsgehalts des Wortes und eine eindeutige Fixierung desselben erreicht wird. Aber um zum letzten Ursprung des Begriffs zu gelangen, muß das Denken in eine noch tiefere Schicht zurückdringen, muß es die Motive der Verknüpfung und Trennung aufsuchen, die sich im Prozeß der Wortbildung selbst wirksam erweisen, und die für die Unterordnung des gesamten Vorstellungsmaterials unter bestimmte sprachliche Klassenbegriffe entscheidend sind.«21 Wenn ich in oben versucht habe, das Zusammenspiel von Identifizieren und Unterscheiden näher zu klären, also findet sich bei Cassirer eine deutliche Parallele; und es ist mehr als interessant, dass Cassirer dort, wo andere sich mit der Definition als Bedeutungszuweisung zufrieden geben, wieder prozessual argumentiert und dazu auffordert, die »Motive der Verknüpfung und Trennung« aufzutun, »die sich im Prozeß der Wortbildung selbst [als] wirksam erweisen«. 20 Cassirer, a. a. O., Bd. 1, S. 251. 21 Ebd. (Hervorh. H. W.). 226 9. Relationierung Und es gibt weitere Parallelen, denn auch bei Cassirer geht es um das Motiv der Relationierung, um die Frage, wie man die Beziehung beschreiben kann, die zwischen den sich konstituierenden Zeichen entsteht. In jedem Fall sind die Relationen konstitutiv: »Jede ›einfache‹ Qualität des Bewußtseins [ein einzelnes Zeichen wäre ein Beispiel] hat nur insofern einen bestimmten Gehalt, als sie zugleich in durchgängiger Einheit mit anderen und in durchgängiger Sonderung gegen andere erfaßt wird. Die Funktion dieser Einheit und dieser Sonderung ist von dem Inhalte des Bewußtseins nicht ablösbar, sondern stellt eine seiner wesentlichen Bedingungen dar. Es gibt demnach kein ›Etwas‹ im Bewußtsein, ohne daß damit eo ipso und ohne weitere Vermittlung ein ›Anderes‹ und eine Reihe von anderen gesetzt würde.«22 An einer anderen Stelle ergänzt er, »[dass] jeder Sonderinhalt des Bewußtseins in einem Netzwerk mannigfacher Bezie- hungen steht, kraft deren er, in seinem einfachen Sein und seiner Selbstdarstellung, zugleich den Hinweis auf andere und wieder andere Inhalte in sich schließt«.23 Und auch bei Cassirer sind es vor allem Relationen der Negation, des Kontrasts und der Abstoßung die das ›Etwas‹ vom ›Anderen‹ trennen und in denen das System der Zeichen sich artikuliert: »Das System des Wissens, die Gemeinschaft und Verflechtung der Begriffe […] wird nicht erreicht, solange man sich nicht entschließt, Sein und Nicht-Sein als gleichberechtigte und gleich notwendige Momente anzuerkennen. Jeder Einzelbe- griff schließt neben einer Aussage über das Sein eine Fülle von Aussagen über das Nicht-Sein in sich: jedes ›Ist‹ in einem prädikativen Satze kann erst dann völlig verstanden werden, wenn man ihm ein ›Ist-nicht‹ korrelativ zugeordnet denkt.«24 22 Ebd., S. 32 f. (Erg. u. Hervorh. H. W.). 23 Ebd., S. 42 (Erg. H. W.). 24 Ebd., Bd.  3, S.  356; Cassirer selbst geht von diesem Gedanken direkt zur Kategorie der Möglichkeit über; man kann ihn aber durchaus auch zunächst auf das Wechselverhältnis von Identität und Differenz eingrenzen. 227 In Cassirers ›Sein‹ kehren ›Identität‹ und Identifizieren, in seinem ›Nicht-Sein‹ das ›Nein‹, die Trennung, die Differenz und die Unterscheidung wieder. Cassirer betont, dass man bei diesen Relationen auch mit sehr abstrakten wird rechnen müssen, insofern nicht nur die Angabe der »qualitativen Be- schaffenheit […] erforderlich ist«, sondern auch »die Relation des Raumes, der Zeit, der Kausalität usf.« mit in den Blick kommen müssen.25 Cassirer sagt dies ausdrücklich mit Blick auf die Naturwissenschaften, die ihre Elemente anders eben als die natürliche Sprache relationieren.26 Auch die Naturwissenschaften einzubeziehen, folgt aus Cassirers Anspruch, auch auf deren Terrain die ›symbolischen Formen‹ in Arbeit zu zeigen; aller- dings ist klar, dass nur ein sehr abstraktes Konzept von Form in der Lage ist, semantische Relationen, ästhetische Formen, Naturgesetze und Kausalität zu umgreifen. Und insgesamt scheinen mir die Relationen bei Cassirer unter- bestimmt. In jedem Fall aber wird der Blick auf den Raum gelenkt, der zwischen den Zeichen entsteht: »Einen Gegenstand in diesem Sinne nachbilden heißt, ihn nicht bloß aus seinen einzelnen sinnlichen Merkmalen zusammenzusetzen, sondern ihn nach seinen Strukturverhältnissen [zu] erfassen«.27 10. Merkmale Und selbstverständlich ist Cassirer auch auf das Problem der ›Merkmale‹ ge- stoßen, das ich in meinem siebten Kapitel diskutiert habe. »Die traditionelle logische Lehre läßt den Begriff ›durch Abstraktion‹ entstehen: sie weist uns an, ihn dadurch zu bilden, daß wir übereinstimmende Dinge oder Vorstellungen miteinander vergleichen und die ›gemeinsamen Merkmale‹ aus ihnen herauslösen. Daß die von uns verglichenen Inhalte schon bestimmte ›Merkmale‹ haben, daß sie qualitative Bestimmungen an sich tragen, nach denen wir sie in 25 Ebd., Bd. 1, S. 31. 26 Ebd. 27 Ebd., S. 131 (Erg. u. Hervorh. H. W.). 228 Ähnlichkeitsklassen und Ähnlichkeitskreise, in Arten und Gattungen abteilen kön- nen, wird hierbei meist als eine selbstverständliche, keiner besonderen Erwähnung bedürftige Voraussetzung hingenommen. Und doch liegt gerade in dieser schein- baren Selbstverständlichkeit eines der schwierigsten Probleme beschlossen, das die Begriffsbildung uns bietet. Hier vor allem erneuert sich die Frage, ob die ›Merkma- le‹, nach denen wir die Dinge in Klassen teilen, uns schon vor der Sprachbildung gegeben sind oder ob sie uns vielleicht erst durch dieselbe geliefert werden.«28 11. Ähnlichkeit Und schließlich eben die Ähnlichkeit. Auch die Kategorie der Ähnlichkeit diskutiert Cassirer im Kontext der Begriffsbildung, die er, wie oben referiert, als die schrittweise Gewinnung eines Allgemeinen aus dem Material der Er- fahrung bestimmt. Und wieder geht es um das Problem der »sprachlichen Klassenbildung«29 (der Subsumtion); »denn gerade die Art der Klassenbil- dung«, sagt Cassirer, »macht ein wesentliches Moment jener ›inneren Form‹ aus«, die er an und in der Sprache zeigen will.30 Der traditionellen Philosophie entnimmt Cassirer die These, dass es die Ähnlichkeit ist, die die Klassenbildung regiert. Wobei auffällt, dass er dies mit einem gewissen Vorbehalt präsentiert: »Das begrifflich-Allgemeine wird dann zu einem bloß Gemeinsamen: zu einem Etwas, das zwar nicht selbst ein eigenes und neues Ding ist, wohl aber eine in den Dingen vorhandene Ähnlichkeit ausdrückt. Auf diese Kategorie der Ähnlichkeit, der ›similitudo‹, scheint jetzt die Bedeutung des Allgemeinen reduziert werden zu können.«31 Und an anderer Stelle wird der Vorbehalt zum Ressentiment: »Auf der untersten Stufe der geistigen Skala [!] scheinen wir uns dort zu befin- den, wo die Vergleichung und Zuordnung der Objekte lediglich von irgendeiner 28 Ebd., S. 250 (Hervorh. H. W.). 29 Ebd., S. 269. 30 Ebd., S. 270. 31 Ebd., Bd. 3, S. 353 (Hervorh. im Original). 229 Ähnlichkeit des sinnlichen Eindrucks, den sie hervorrufen, ausgeht. Die Sprachen der Naturvölker [!] bieten mannigfache Beispiele für dies Verfahren einer Zu- sammenfassung, die ganz von sinnlichen Motiven beherrscht ist. Das inhaltlich Verschiedenartigste kann hier zu einer ›Klasse‹ zusammengefaßt werden, sobald es nur irgendeine Analogie der sinnlich-wahrnehmbaren Form aufweist.«32 Wie also kann es zu dieser abwertenden Formulierung kommen? Sicher spiegelt sie zunächst den zeittypischen Chauvinismus gegenüber fremden Kulturen. Wieso aber trifft der Bannstahl ausgerechnet die Ähnlichkeit? Gibt es hierfür einen Grund auch in der Sache? Glücklicherweise hat Cassirer seinen Einwand erklärt: Sobald man Klassen- und Begriffsbildung auf Ähnlichkeit reduziert nämlich, schreibt er, »wird der Sinn des Begriffs als reinen Relationsbegriffs ungebührlich verengt: denn im System der Relationen spielt die Ähnlichkeit nur die Rolle eines Spezi- alfalls, der nicht zum Range des ›Typus‹ der begrifflichen Beziehung schlechthin erhoben werden kann. Ein Mannigfaltiges läßt sich keineswegs allein im Hinblick auf seine Ähnlichkeit vergleichen und zusammenfassen: sondern dieser Form der Zusammenfassung treten andere, gleichberechtigte gegenüber, die nach völlig anderen Gesichtspunkten orientiert, die durch andere Arten der ›Hinsicht‹ bestimmt sind. Und jede solche Hinsicht, jede Relation R1 R2 R3 usf. darf hier den gleichen Anspruch erheben: jede von ihnen definiert einen völlig legitimen ›Begriff‹.«33 Cassirer also besteht darauf, dass es auch andere Typen von Relationen als die der Ähnlichkeit gibt. Und wenn das so wäre, hätte das erhebliche Konsequen- zen für die Rolle der Ähnlichkeit insgesamt und würde einige meiner Thesen in Frage stellen. Wie aber sehen diese anderen Relationen aus? Auffällig ist zunächst, dass Cassirer die Ähnlichkeit ganz offenbar auf eine »Ähnlichkeit des sinnlichen Eindrucks« einengt;34 und offenbar wertet er die Sinnlichkeit, die er an anderer Stelle hochschätzt und mit dem Denken ver- söhnen will, in diesem Zusammenhang ab. 32 Ebd., Bd. 1, S. 270 (Hervorh. H. W.). 33 Ebd., Bd. 3, S. 353 (Hervorh. H. W.). 34 Vgl. FN 32; ein zweites Beispiel ist die »Analogie der sinnlich-wahrnehmbaren Form« (ebd.). 230 Die zweite Einengung ergibt sich, wenn Cassirer – wie selbstverständlich – von einer »in den Dingen vorhandene[n] Ähnlichkeit«35 spricht. Was er damit meint, wird an einer anderen Stelle deutlich: »[I]mmer erscheint es als die Grundaufgabe des Begriffs, das in der Anschauung Verstreute, ja das vom Standpunkt eben dieser Anschauung völlig Disparate da- durch zusammenzuführen […], daß ein neuer ideeller Bezugspunkt für dasselbe aufgestellt wird. Indem das Besondere, das zuvor Auseinanderstrebende sich nach diesem Bezugspunkt richtet, wird ihm in dieser Einheit der Richtung eine neue Einheit des ›Wesens‹ aufgeprägt, – wobei eben dieses Wesen nicht ontisch, sondern logisch, als eine reine Bestimmung der Bedeutung, zu nehmen ist.«36 Und weiter: »Die Konvergenz, durch die die sinnliche oder anschauliche Fremdheit überwunden wird, kommt nicht dadurch zustande, daß ein substantiell-Gleiches oder Überein- stimmendes an den Elementen der Mehrheit aufgezeigt wird, sondern dadurch, daß sie, wie immer voneinander verschieden, als Momente eines Sinnzusammenhanges genommen werden, daß jedes an seinem Teil und an seiner besonderen Stelle die Gesamtheit dieses Sinnes und seine Funktion konstituiert. […] [D]er Begriff stellt lediglich einen Gesichtspunkt der Vergleichung und Zuordnung auf, ohne etwas darüber zu besagen, ob im ›Dasein‹ etwas vorgefunden wird, was sich der von ihm gegebenen Bestimmung fügt.«37 Beide Einengungen also hängen zusammen: Indem Cassirer die Ähnlichkeit an die sinnliche Wahrnehmbarkeit bindet, droht sie – quasi automatisch – auf die Seite der Dinge selbst zu fallen. Und in der Folge muss der »Bedeutung« eine eigene Sphäre zugewiesen werden, die im Zitierten dann mit Stichworten wie »ideeller Bezugspunkt«,38 »nicht ontisch, sondern logisch, als eine reine [!] Bestimmung«39 von der Sphäre der sinnlichen Erfahrung entschieden abgesetzt wird. 35 Vgl. FN 31. 36 Cassirer, a. a. O., Bd. 3, S. 354 (Hervorh. H. W.). 37 Ebd., S. 354 f. (Hervorh. H. W.). 38 FN 36. 39 Ebd. (Hervorh. H. W.). 231 Eigentlich aber widerspricht dies dem Kern von Cassirers Programm: Ging es ihm doch, wie ich anfangs gezeigt habe, gerade darum, sinnliche Erfahrung und Begriffsbildung zusammenzuführen und den regelhaften Übergang zwi- schen Sinnen und Kognition, Wahrnehmung und Zeichen tatsächlich theo- retisch denkbar zu machen. Und böte sich nicht hierfür gerade das Konzept der Ähnlichkeit an? Zumin- dest dann, wenn man neben den sinnlichen Ähnlichkeiten auch unsinnliche zulassen würde? Benjamin hat diesen Begriff, wenige Jahre nachdem Cassirer seinen Text schrieb, in die Diskussion eingebracht.40 Wäre die Ähnlichkeit dann nicht ein Term, der geeignet wäre, die fragliche Kluft zu überbrücken? Und/oder der Begriff der Form. Hatte nicht auch er die Aufgabe und das Potential, Erfahrung und Kognition in eine regelhafte Beziehung zu bringen? Gucken wir also, warum Cassirer möglicherweise zögert, diesen Weg einzu- schlagen, obwohl er doch offenbar nahe lag. 12. Ablehnung der Mimesis Ein Grund scheint mir darin zu liegen, dass Cassirer Vorstellungen von Mimesis an verschiedenen Stellen zurückweist. »[In dem Maße, als sich die Wissenschaft] selbst entfaltet und durchsetzt, wird in ihr der naiven Abbildtheorie der Erkenntnis der Boden entzogen. Die Grundbegriffe jeder Wissenschaft, die Mittel, mit denen sie ihre Fragen stellt und ihre Lösungen formuliert, erscheinen nicht mehr als passive Abbilder eines gegebenen Seins, sondern als selbstgeschaffene intellektuelle Symbole.«41 Mit seiner Ablehnung der Mimesis reagiert Cassirer vor allem auf die Na- turwissenschaften, die, wie er sagt, die Vorstellung, ein ›Abbild‹ der Welt zu liefern, hinter sich lassen. Und da im ›Abbild‹ auch ›Nachahmung‹ und Mimesis 40 Benjamin, Walter: Lehre vom Ähnlichen. In: Ges. Schriften., Bd.  II/1, Frankfurt  a. M.: Suhrkamp 1980, S.  204210 (EV.: 1933); ders.: Über das mimetische Vermögen. In: Ges. Schriften, a. a. O., S. 210213. (EV.: 1933). 41 Cassirer, a. a. O., Bd. 1, S. 5 (Erg. u. Hervorh. H. W.). 232 anklingen, muss die Ablehnung auch die Ähnlichkeit treffen. Und von dort aus verallgemeinert Cassirer: »Jede echte geistige Grundfunktion hat mit der Erkenntnis den einen entscheiden- den Zug gemeinsam, daß ihr eine ursprünglich-bildende, nicht bloß eine nachbildende Kraft innewohnt. Sie drückt nicht bloß passiv ein Vorhandenes aus, sondern sie schließt eine selbständige Energie des Geistes in sich, durch die das schlichte Dasein der Erscheinung eine bestimmte ›Bedeutung‹, einen eigentümlichen ideellen Gehalt empfängt. Dies gilt für die Kunst, wie es für die Erkenntnis gilt; für den Mythos wie für die Religion. Sie alle leben in eigentümlichen Bildwelten, in denen sich nicht ein empirisch Gegebenes einfach widerspiegelt, sondern die sie vielmehr nach einem selbständigen Prinzip hervorbringen. Und so schafft auch jede von ihnen sich eigene symbolische Gestaltungen, die den intellektuellen Symbolen, wenn nicht gleichartig so doch ihrem geistigen Ursprung nach ebenbürtig sind.«42 13. ›Konstruktion‹ Cassirer scheint scharf zu polarisieren: »Passive Abbilder«, »Nachbildung« und »Widerspiegelung« auf der einen Seite, »selbstgeschaffene intellektuel- le Symbole«, »ursprünglich-bildende Kraft« und »selbständige Energie des Geistes« auf der anderen. Und auch die Wertung scheint mehr als klar: Die erstgenannten erscheinen eindeutig negativ konnotiert, die zweitgenannten eindeutig positiv; Cassirer scheint sich ganz auf die Seite der »selbständigen Energie des Geistes« zu schlagen. Und noch ein weiteres stützt diesen Eindruck. Es gibt viele Formulierun- gen – Beispiel seien die »Formgebung«,43 die Gestaltung44 oder die »Hervorbrin- gung nach einem selbständigen Prinzip«45 – in denen er den aktiven Charakter und die Freiheit in der Wahl der ›Hinsicht‹, die zur Begriffsbildung führt,46 betont. Verallgemeinerung und Begriffsbildung müssen als eine aktive Setzung, 42 Ebd., S. 9 (Hervorh. H. W.). 43 Ebd., S. 8. 44 Ebd. 45 FN 42. 46 FN 33. 233 als Akt einer Konstruktion erscheinen, und konsequent wird schließlich auch die Mimesis der Poiesis einverleibt: »Die μίμησις [Mimesis] gehört, in dieser Art verstanden, selbst bereits dem Gebiet der ποίησις [Poiesis], der schaffenden und gestaltenden Tätigkeit, an. Es handelt sich in ihr nicht mehr um die bloße Wiederholung eines äußerlich Gegebenen, sondern um einen freien geistigen Entwurf: das scheinbare ›Nachbilden‹ hat in Wahrheit ein inneres ›Vorbilden‹ zur Voraussetzung. Und in der Tat zeigt sich bei schärferer Betrachtung, daß dieses Moment, das in der Form der künstlerischen Gestaltung rein und selbständig hervortritt, bis in die elementaren Anfänge jeder scheinbar rein passiven Nachbildung herabreicht. Denn auch diese besteht ja niemals darin, einen bestimmten Wirklichkeitsinhalt Zug für Zug bloß nachzuzeichnen, sondern an ihm ein prägnantes Moment herauszuheben und damit einen charakteristischen ›Umriß‹ seiner Gestalt zu gewinnen. Damit aber befindet sich die Nachahmung selbst bereits auf dem Wege zur Darstellung, in welcher die Objekte nicht mehr einfach in ihrer fertigen Bildung hingenommen, sondern in der sie vom Bewußt- sein nach ihren konstitutiven Grundzügen aufgebaut werden. Einen Gegenstand in diesem Sinne nachbilden heißt, ihn nicht bloß aus seinen einzelnen sinnlichen Merkmalen zusammensetzen, sondern ihn nach seinen Strukturverhältnissen er- fassen, die sich nur dadurch wahrhaft verstehen lassen, daß das Bewußtsein sie konstruktiv erzeugt.«47 Auch diese Betonung des Konstruktiven scheint mir unter dem Eindruck (oder dem Druck) der Naturwissenschaften zustande zu kommen, die zur Zeit Cassirers die Philosophie und die Geisteswissenschaften in eine Position der Verteidigung brachten. »[Zwar] fährt die naturwissenschaftliche Erkenntnistheorie, auf der Heinrich Hertz fußt, – [und zwar] fährt die Theorie der ›Zeichen‹, wie sie zuerst von Helmholtz eingehend entwickelt worden ist, fort, die Sprache der Abbildtheorie der Erkenntnis zu sprechen; – aber der Begriff des ›Bildes‹ hat nun in sich selbst eine innere Wand- lung erfahren. Denn an die Stelle einer irgendwie geforderten inhaltlichen Ähnlichkeit zwischen Bild und Sache ist jetzt ein höchst komplexer logischer Verhältnisausdruck, ist eine allgemeine intellektuelle Bedingung getreten, der die Grundbegriffe der phy- sikalischen Erkenntnis zu genügen haben. Ihr Wert liegt nicht in der Abspiegelung 47 Cassirer, a. a. O., Bd. 1, S. 131 f. (Erg. u. Hervorh. H. W.). 234 eines gegebenen Daseins, sondern in dem, was sie als Mittel der Erkenntnis leisten, in der Einheit der Erscheinungen, die sie selbst aus sich heraus erst herstellen.«48 Immer wieder macht Cassirer deutlich, dass es ihm sehr darauf ankommt, dass sein Konzept der ›symbolischen Formen‹ das Terrain der naturwissenschaft- lichen Erkenntnis mit umfasst, dass er weiß, dass die Naturwissenschaften das Terrain der Sprache überschritten und neue Codes in die Welt gebracht haben, dass er mit ihnen quasi auf Augenhöhe verhandeln will. An den Naturwissenschaften hebt er etwa hervor, dass sie »allgemeinen Forderungen […] unterstehen, unter denen die apriorische Forderung der Klarheit, der Widerspruchslosigkeit und der Eindeutigkeit der Beschreibung den ersten Platz einnimmt.«49 Was aber, so wird man fragen müssen, wären »selbstgeschaffene intellektuelle Symbole«?50 Was wäre eine »reine Form«?51 Welche Chance hätte eine reine [!], von allem mimetischen Elementen gereinigte Form, überhaupt irgendetwas an der Welt zu erfassen? Ich denke, dass wir hier auf eine Art Nachtseite des Begriffs der ›Form‹ geraten, wie er im Begriff der Formalsprachen und, schon genannt, der Infor- mation und der Informatik, mitklingt. Mit diesem Formbegriff, der tatsächlich behauptet, Mimesis und Welt hinter sich zu lassen, werde ich mich in meinem nächsten Kapitel noch einmal befassen. 48 Ebd., S. 6 (Erg. u. Hervorh. H. W.); und wenn oben von den Relationen gesprochen wurde, die nicht mehr dem Gesetz der Ähnlichkeit folgen, wählt Cassirer auch hierfür ein Beispiel aus der Chemie: »Die abstrakte chemische ›Formel‹ etwa, die als Bezeichnung eines bestimmten Stoffes gebraucht wird, enthält nichts mehr von dem, was die direkte Beobachtung und die sinnliche Wahrnehmung uns an diesem Stoffe kennen lehrt; – aber statt dessen stellt sie den besonderen Körper in einen außerordentlich reichen und fein gegliederten Beziehungskom- plex ein, von dem die Wahrnehmung als solche überhaupt noch nichts weiß. Sie bezeichnet den Körper nicht mehr nach dem, was er sinnlich ›ist‹ und als was er sich uns unmittelbar sinnlich gibt, sondern sie faßt ihn als einen Inbegriff möglicher ›Reaktionen‹, möglicher kausaler Zusammenhänge, die durch allgemeine Regeln bestimmt werden. Die Gesamtheit dieser gesetzlichen Verknüpfungen ist es, die in der chemischen Konstitutionsformel mit dem Ausdruck des Einzelnen verschmilzt, und durch die nun dieser Ausdruck ein durchaus neues charakteristisches Gepräge erhält.« (Ebd., S. 45). 49 Cassirer, a. a. O., Bd. 1, S. 6. 50 FN 41. 51 Cassirer, a. a. O., S. 15. 235 14. Verschiedene Formen von Mimesis? Gleichzeitig aber, das muss hier festgehalten werden, ist es ein sehr schlichtes, ein sehr reduziertes Konzept von Mimesis, gegen das Cassirer sich mit sei- nem Konzept einer ›Konstruktion‹ wendet. ›Nachahmung‹, ›Abbildung‹ oder ›Widerspiegelung‹ unterstellen, dass zwischen den Zeichen und der Welt (den Begriffen und dem Zu-Begreifenden, den Mitteln der Erkenntnis und dem, was es zu erkennen gilt) ein Verhältnis der ›Ähnlichkeit‹ besteht. Und diese Vorstel- lung wurde in der Philosophiegeschichte vielfach und gut fundiert kritisiert. Aber wäre nicht zu prüfen, ob es nicht auch andere Konzepte von Mimesis und von Ähnlichkeit gibt? Wenn ich hier vertrete, dass zunächst die Dinge untereinander sich ähneln, und dass dies die Basis der Schema- und Begriffs- bildung ist, und die Basis dafür, dass die Zeichensysteme Erfahrung (und Welt) in sich aufnehmen und organisieren, dann ist dies ein anderes Konzept auch von Mimesis. Dass es auch kompliziertere Konzepte von Mimesis und von Ähnlichkeit als die ›Nachahmung‹ gibt, allerdings ist auch Cassirer durchaus bewusst; so kann man das oben Zitierte – »Die Mimesis gehört, in dieser Art verstanden, selbst bereits dem Gebiet der Poiesis, der schaffenden und gestaltenden Tä- tigkeit, an«52 – durchaus auch als eine Skizze zu einem veränderten Mimesis- Konzept lesen. 15. Der Prozess der Vermittlung Und möglicherweise trügt der Eindruck insgesamt und meine Kritik an der ›Konstruktion‹ geht am Kern der Sache vorbei: Wenn Cassirer – ebenfalls oben zitiert – sagt, den geistigen Grundfunktionen wohne ›nicht bloß eine nachbil- dende Kraft inne‹, sie drückten ›nicht bloß passiv ein Vorhandenes aus‹,53 dann geht es offenbar um ein Mehr, um eine Überschreitung. 52 FN 47. 53 Vgl. FN 42 (Hervorh. H. W.). 236 Und ebenso, wenn er den Weg von der Erfahrung zum Zeichen als eine »Wandlung zur Gestalt«54 zu fassen versucht; oder wenn er sagt, das Zeichen diene dazu »eine Vermittlung für den Übergang vom bloßen Stoff des Bewußt- seins zu seiner geistigen Form zu schaffen«.55 All dies, denke ich, geht in eine ähnliche Richtung: Cassirer kommt es darauf an zu zeigen, dass die ›symbolischen Formen‹ prozessualen Charakter haben; sie sind Vermittler, weil sie zwischen sinnlicher Wahrnehmung und Kognition, der Welt und den Subjekten, tatsächlich aktiv vermitteln. Sie leisten Arbeit, und sie arbeiten das, was es zu erkennen gilt, um. So betrachtet sind die ›Konstruktion‹ und das ›reine Tun‹56 nur die zweite der beiden Seiten; die erste, der Ausgangspunkt des Prozesses der Wandlung zum Zeichen, wäre eben doch eine Form der Mimesis, oder wie Cassirer im Rückgriff auf den Idealismus sagt, »durch das Moment des Leidens bestimmt«.57 Und Cassirer wäre allenfalls vorzuwerfen, dass er die erste Seite in deutlich weniger entschiedene Worte fasst. 16. Schluss Im Kern, denke ich, geht es Cassirer um die prozessuale Vermittlung. So gibt er den ›symbolischen Formen‹ programmatisch mit auf den Weg: »[Es] ergibt sich sofort die eigentümliche Doppelnatur dieser Gebilde: ihre Ge- bundenheit ans Sinnliche, die doch zugleich eine Freiheit vom Sinnlichen in sich schließt. In jedem sprachlichen ›Zeichen‹, in jedem mythischen oder künstlerischen ›Bild‹ erscheint ein geistiger Gehalt, der an und für sich über alles Sinnliche hin- ausweist, in die Form des Sinnlichen, des Sicht-, Hör- oder Tastbaren umgesetzt. Es tritt eine selbständige Gestaltungsweise, eine spezifische Aktivität des Bewußt- seins auf, die sich von aller Gegebenheit der unmittelbaren Empfindung oder Wahrnehmung unterscheidet, um sich dann doch eben dieser Gegebenheit selbst als Vehikel, als Mittel des Ausdrucks zu bedienen. Damit wird die ›natürliche‹ 54 Cassirer, a. a. O., Bd. 1, S. 43 (Hervorh. H. W.). 55 Ebd., S. 45 (Hervorh. H. W.). 56 FN 8. 57 Ebd. 237 Symbolik, die wir im Grundcharakter des Bewußtseins selbst angelegt fanden, auf der einen Seite benutzt und festgehalten, während sie auf der anderen Seite überboten und verfeinert wird.«58 Und mehr als plausibel ist Vorstellung, dass die symbolischen Systeme tat- sächlich dazwischen treten: »[Z]wischen dem Sinnlichen und Geistigen knüpft sich hier eine neue Form der Wechselbeziehung und der Korrelation. Der metaphysische Dualismus beider erscheint überbrückt, sofern sich zeigen läßt, daß gerade die reine Funktion des Geistigen selbst im Sinnlichen ihre konkrete Erfüllung suchen muß, und daß sie sie hier zuletzt allein zu finden vermag.«59 Bliebe die Aufgabe, innerhalb dieses Programms die Mimesis-Seite zu stär- ken und auch der Ähnlichkeit ihren Platz zu verschaffen. Denn hier liegt die Hauptdifferenz, und, bei aller inhaltlichen Nähe, das Problem, das ich mit Cassirers Text habe. Während er die Ähnlichkeit einerseits als die selbstver- ständliche Basis der Klassenbildung betrachtet, um sie in Begriffen wie der ›Konstruktion‹ dann aber hinter sich zu lassen und – letztlich – zu verwerfen, würde es m. E. darum gehen, auch in dieser Hinsicht den Prozess und den Übergang zu zeigen, der das Mimetische (und die Ähnlichkeit) in die ›Kon- struktion‹ überführt. Und zweitens eben den Übergang zwischen den beiden Typen der Mime- sis: Gerade wenn die Zeichen den Referenten nicht ähneln, wird man zeigen müssen, wie die Ähnlichkeit der Dinge untereinander (als der erste Typus von Mimesis (?)) umschlägt in ein System von Zeichen, dass den Referenten zwar unähnlich, insgesamt aber eben vielleicht dennoch mimetisch ist. Projekt wäre, aufzuweisen, wie sich über beobachtete, akkumulierte Ähn- lichkeit Form ergibt. Und umgekehrt, die Form selbst als eine Form von Ähn- lichkeit, als von den Dingen abgezogene Ähnlichkeit zu bestimmen. Um dem zumindest etwas näher zu kommen, werde ich dem Problem der Form nun noch ein weiteres meiner Kapitel widmen. 58 Cassirer, a. a. O., S. 42 (Erg. H. W.). 59 Ebd., S. 19. 238 BILDSTRECKE: Julien Patry: Berlin Classified 1 1 Video: © Julien Patry: Berlin Classified; https://www.youtube.com/watch?v=qV6pAEaNgZc; herzlichen Dank für die Genehmigung der Reproduktion. Die Screenshots werden der Kom- plexität des Videos nicht gerecht, das – ästhetisch und rhythmisch sehr interessant – jeweils eine Reihe in der Stadt beobachteter Bilder durchgeht, um diese dann in den gezeigten Summenbildern zusammenzufassen. 239 240 14 Ähnlichkeit und Formalisierung Eine zweite Überlegung zur Form. 1. Intro Ich möchte nun auf einen Aspekt von Ähnlichkeit kommen, der auf den ersten Blick noch ferner zu liegen scheint als der der Form: den Bezug zwischen Ähnlichkeit, Form und Formalisierung.1 Es ist dies mein zweiter Versuch, mich dem Begriff der Form zu nähern, von dem ich mir, wie gesagt, im Feld der Ähnlichkeit viel verspreche; und bezogen auf die Frage, wie Ähnlichkeit und Form nun tatsächlich zusammenhängen, ist im vorangegangenen Kapitel einiges offen geblieben. Dort hat sich der Begriff der ›Konstruktion‹ als Reibungsfläche erwiesen; hieran schließe ich an und ich möchte mich jetzt auf Formalsprachen, wie die Mathematik oder die Kunstsprachen der Computer, konzentrieren. Diese werden meist als ›weltfrei‹ bestimmt, als unabhängig von Referenz, Weltbezug und Erfahrung, als Konstrukt eben oder als Konstruktion. Man unterstellt, dass sie – auf Basis frei gesetzter Axiome – ausschließlich den eigenen Regeln folgen. Und dies betrifft den Begriff der Form unmittelbar: Denn Formalsprachen, so die gängige Definition, sind ›formal‹ exakt in dem Maß, in dem sie von der Welt Abstand nehmen. Von der Ähnlichkeit sind wir damit – so muss es zumindest scheinen – so weit wie irgend möglich entfernt. Die Ähnlichkeit erscheint an die Sinne und an Erfahrung gebunden, welthaltig, ›schmutzig‹ und ›weich‹, die Formalisie- rung erscheint ›rein‹ und ›hart‹. Was aber, wenn das nicht richtig ist? Eine Art Ideologem, mit dem die Formalsprachen ihr Publikum bluffen? Was, wenn die ›schmutzige‹ Ähnlichkeit bis hinein in die Sphäre des ›reinen‹ Formalen 1 Teile dieses Kapitels habe ich auf der Tagung: The Shape That Matters – Form als medien- theoretischer Grundbegriff (Univ. Siegen, Februar 2008) zur Diskussion gestellt. 241 reicht? Wie würde sich unsere Auffassung der Formalisierung dann ändern? Wie der Begriff der ›Form‹? Und wie (in der Umkehrung) schließlich auch das Konzept von Ähnlichkeit? Ich möchte die Hypothese aufstellen, dass es sich bei allem, was wir Form nennen, um einen bestimmten Typus von Ähnlichkeit handelt. Dies kann selbst- verständlich nicht eine unmittelbar-sinnliche Ähnlichkeit sein (wenn es denn so etwas gibt), möglicherweise aber bietet sich eine ›unsinnliche‹ Ähnlichkeit an. Und möglicherweise ergibt sich die Möglichkeit, dem näherzukommen, was eine unsinnliche Ähnlichkeit denn sein könnte. Und weiter ein Zugang auch noch einmal zur Mimesis, die ich aus meinen Überlegungen zur Ähnlichkeit ja weitgehend ausschließe, von der ein Buch, das die Ähnlichkeit auf dem Titel trägt, zumindest vollständig aber wahrscheinlich nicht absehen kann. Und ich habe noch eine zweite Hypothese. Ich bin der Meinung, dass es möglich ist, Form als eine von den Dingen abgezogene Ähnlichkeit zu bestim- men. Was hiermit gemeint ist, wird zu zeigen sein; zunächst aber möchte ich vorführen, wie ›Form‹ und Formalisierung im Diskurs um Computer und Medien üblicherweise gefasst werden. 2. Reinheit der Form Formalisierung wird meist beschrieben als gegen jede Vorstellung von Reprä- sentation gerichtet, als ein freies logisch-kombinatorisches Spiel, das – unab- hängig von den Zusammenhängen der Welt – nur den eigenen Regeln folgt. Ich habe dies in meinem Buch ›Diskursökonomie‹ ausführlicher dargestellt;2 und dort habe ich mich vor allem auf die wissenschaftshistorische Darstellung von Heintz bezogen. »Die formalistische Auffassung der Mathematik«, schreibt Heintz, »steht für die mathematische Moderne. [...] Im Formalismus sind die Zeichen ›autark‹ geworden, sie haben keine Referenzfunktion, keine Bedeutung mehr, und der Mathematiker, der mit ihnen operiert, ist im Prinzip frei in ihrer Setzung. In der formalistischen Mathematik gibt es keinen Verweis mehr auf irgend etwas außerhalb des mathe- 2 W., H.: Diskursökonomie. Versuch über die innere Ökonomie der Medien. Frankfurt a. M.: Suhrkamp 2004, S. 147−169. 242 matischen Systems, heiße das nun Anschauung, Evidenz, sinnliche Erfahrung oder Intuition. Die Mathematik erzeugt die Objekte, mit denen sie operiert, und die Regeln, nach denen sie vorgeht, selbst«.3 Heintz referiert eine Entwicklung: Während traditionelle Zeichensysteme an Repräsentation, Referenz und Mimesis gebunden sind, haben die Formal- sprachen dieses Terrain verlassen. In den Formalsprachen sind die Zeichen ›autark‹ geworden. Und die Verabschiedung von Repräsentation, Referenz und Mimesis mündet unmittelbar in das gesteigerte Selbstbewusstsein, es sei nun die Mathematik selbst, die die Objekte, mit denen sie operiert, »erzeugt«. ›Form‹ ist hier Entwurf, Konstruktion, oder Vorahmung, wie Flusser sagt, um den Bruch mit jeder mimetischen Tradition deutlich zu machen.4 Der Vor- behalt gegen die Mimesis und die Vorstellung von Erzeugung/Konstruktion hängen eng zusammen. Die zweite Eigenschaft, die Formalsprachen kennzeichnet, ist die Freiheit von inneren Widersprüchen. Formalsprachen sind so gebaut, dass sie Wider- sprüche definitorisch ausschließen, und sie stellen dies auf der Ebene einzelner Programme etwa durch Prüfalgorithmen sicher. Dies ist im Fall der ›natürli- chen‹ Sprache grundsätzlich anders. Sie lässt innere Widersprüche durchaus zu und macht diese mit den Mitteln der Sprache selbst denk- und handhabbar. Die Zulassung von Widersprüchen bedeutet, dass die natürliche Sprache sich öffnet; sie gesteht immer schon zu, dass sie in gewisser Weise unfertig ist, dass sie ihren Gegenstand (ihre Gegenstände) niemals völlig ergreift, dass Begriff und zu Begreifendes nicht zusammenfallen; und erst diese Differenz macht eine Referenz (eine Bezugnahme auf die Welt) überhaupt möglich. Die Formalsprachen können Widerspruchsfreiheit nur dann garantieren, wenn sie ein – der Tendenz nach – geschlossenes Universum bilden;5 und geschlossen kann dieses Universum nur sein, wenn es sich gegen den Kontext 3 Heintz, Bettina: Die Herrschaft der Regel. Zur Grundlagengeschichte des Computers. Frank- furt a. M./NY: Campus 1993, S. 16 (Schreibweise irgend etwas im Original). 4 »Die [digitalen] Bilder werden sich von ihrer imitierenden, mimetischen Funktion lösen, und sie werden schöpferisch, dichterisch werden.« (Flusser, Vilém: Die Schrift. Hat Schreiben Zukunft? Frankfurt a. M.: Fischer 1992, S. 65 (Erg. H. W.), siehe auch S. 132 (EV.: 1987)). 5 Die rapide historische Entwicklung der Mathematik zeigt, dass deren Universum keineswegs einfach ›geschlossen‹ ist; das Kriterium der Freiheit von inneren Widersprüchen allerdings gilt auch hier… 243 armiert. Auch dieser Gestus von Abschließung also arbeitet der Vorstellung zu, dass es sich bei den Formalsprachen um referenzlose, ›autarke‹ oder frei ›konstruierte‹ Systeme handelt. Und auch wenn Heintz ihren Text schon vor dreißig Jahren schrieb und sie selbst das so umrissene Bild der Formalspra- chen letztlich kritisch bewertet, kann man sagen, dass es dennoch bis heute Mainstream ist. Um die Konstellation insgesamt zu verstehen aber ist noch ein Weiteres wichtig. Denn man wird sich klar machen müssen, dass – parallel zur Entwick- lung der Formalsprachen – die etablierten Vorstellungen von Repräsentation, Referenz und Mimesis auch in der Philosophie und den Geistes- und Kultur- wissenschaften hart kritisiert worden sind. Ich habe es oben kurz umrissen: Die Poststrukturalisten haben, im Anschluss an die Sprachkritik Nietzsches und mit guten theoretischen Gründen, die Fähigkeit der symbolischen Systeme, die Welt zu erschließen, grundsätzlich in Frage gestellt. Der ›Linguistic turn‹ (die These, dass unser Zugang zur Welt durch symbolische Systeme vermittelt ist) und die Einsicht, dass sich Symbole zunächst auf andere Symbole und erst dann auf die Welt beziehen, die Einsicht, dass Sprachen abhängig vom gesell- schaftlichen Prozess, keineswegs ›transparent‹ und insofern sehr unzuverlässige Vermittler sind – all das musste die Zweifel einer Philosophie nähren, die sich vor allem anderen als zeichenkritisch verstand. Umso besser musste all dies zum Aufkommen der Computer und zu der Vorstellung passen, dass die Formalsprachen von vornherein darauf verzichten, einen Weltbezug zu behaupten; und ebenso zur Vorstellung einer ›Konstrukti- on‹. Es ist auffällig, dass die Kritik der Zeichen die Formalsprachen weitgehend ausgespart hat – bis z. B. bei Latour auch die Erkenntniswege der Naturwissen- schaften zum Gegenstand einer ähnlich radikalen Befragung wurden. 3. Relation zu anderen Medien Dies also ist, grob skizziert, der Begriff der Form, wie er den Diskurs um die Formalsprachen, und so oder in Varianten auch ihr Alltagsverständnis bestimmt. Will man dem eine Alternative entgegensetzen, so scheint mir das zunächst aus einer medienvergleichenden Perspektive möglich. Denn ›Form‹ ist nicht ein Privileg der Formalsprachen allein. Der Begriff wird vielmehr 244 bezogen auf nahezu alle Einzelmedien verwendet; als eine Basiskategorie der Ästhetik operiert er medienübergreifend, in dem Raum, der die Medien trennt und verbindet. Irritierend allerdings ist, dass der Formbegriff, je nachdem, von welchem Medium die Rede ist, jeweils unterschiedliche Färbungen annimmt. Das Form- problem in der Kunst ist ein anderes als im Fall der Computer; der Formbegriff der Formalistischen Filmtheorie geht in der Spannung zum ›Inhalt‹ sicher nicht auf; und Heider/Luhmann haben uns mit ihrer Medium/Formthese weitere Aufgaben, um nicht zu sagen Rätsel, gestellt. Ich überspringe diese Probleme, indem ich aus dem Gesamtvolumen des Begriffs zunächst nur einen Einzelaspekt, und zwar das Moment der Abstraktion herausgreife. Wenn dies zu rechtfertigen ist, dann dadurch, dass die Abstraktion für das Verständnis der Formalsprachen zentral, gleichzeitig aber auch in allen anderen Medien wirksam ist. Die Frage nach der Form ist von der nach der Abstraktion nicht zu trennen. Als eine Art Abschlagszahlung auf das Gesamtproblem also schlage ich vor, nach den jeweils spezifischen Spielarten von Abstraktion und Formalisierung in verschiedenen Medien zu fragen, denn auch in ihren Modi der Abstraktion unterscheiden sich die Medien drastisch. 4. Beispiel: Büro Dass zwischen diesen überhaupt eine Verbindung besteht, dass medienüber- greifend ein Begriff von Formalisierung gefasst werden kann, hat besonders anschaulich Hartmut Böhme gezeigt, wenn auch zunächst nur an einem ein- zelnen Beispiel und in einer eher randständigen Überlegung, die das Büro, Abstraktion und Bürokratisierung zum Gegenstand hat.6 Es ist also ein Sprung zunächst ins Konkrete nötig. Böhme beobachtet, dass ein Vorgang, bevor er in einem Büro zu einem Vorgang wird, bestimmte Stufen der Formalisierung durchlaufen muss. Beispiel sei die Bearbeitung eines Versicherungsfalls: In der tatsächlichen Welt geschieht 6 Böhme, Hartmut: Das Büro als Welt – Die Welt im Büro. In: Lachmayer, Herbert; Louis, Eleonora (Hg.): Work & Culture. Büro. Inszenierung von Arbeit. Klagenfurt 1998, S. 95−103. 245 ein Ereignis; dieses wird – zweitens – durch die sprachliche Darstellung, eine Erzählung des Kunden, in eine symbolische Repräsentation überführt; Aufga- be des Angestellten – drittens – ist es, diese Erzählung in ein Formular oder eine Bildschirmmaske aufzunehmen; eine Übersetzung, die der Bürokratie überhaupt erst das Prozessieren ermöglicht und den Weg schließlich – vier- tens – zu einer automatisierten Verarbeitung der Daten bahnt. In eine Skizze gefasst sieht Böhmes These etwa folgendermaßen aus: Die Überlegung ist deshalb so interessant, weil man folgern kann, dass ›Erzähl- medien‹ wie die Literatur oder der Spielfilm sich einfach mit einer niedrigeren Stufe der Formalisierung bescheiden: Weiter wäre zu folgern, dass die Formalisierung selbst offenbar ihre eigenen Regeln, ihre Abstufung und ihre Grenzen hat. Nicht alles, was der Versiche- rungskunde über das Ereignis erzählt, wird im Formular Platz finden oder die Versicherung überhaupt interessieren. Und nicht alles, was man in ein Formular schreiben kann, kann auch automatisch verarbeitet werden. Auf jeder Stufe also werden ein Gewinn an Form und ein Verlust an ›Inhalt‹ auftre- ten. Und schließlich wird es Probleme geben, die sich einer Formalisierung vollständig widersetzen. 5. Stufen und Typen der Abstraktion Akzeptiert man diesen Auftakt, ergibt sich die Möglichkeit, die Medien gene- reller danach einzuteilen, welcher Art von Abstraktion sie ihr Material unter- werfen. Hierfür möchte ich eine Abfolge von Stufen vorschlagen, die mit dem 246 konkreten Einzelfall (links unten) beginnt, und dann, über das Exempel und die Allegorie (die bereits Typen von Verallgemeinerung sind, insofern sie zwar einen einzelnen Fall in den Mittelpunkt stellen, gleichzeitig aber verlangen, dass die Rezipierenden ihn auf andere ähnlich gelagerte Fälle übertragen) hin zum Begriff sich fortentwickelt, indem sie sich vom Konkreten immer weiter entfernt und die Abstraktion steigert. Die Formalsprachen überbieten die Begriffsabstraktion der natürlichen Spra- che. Sie sind abstrakter − um nicht zu sagen − formaler als die Begriffe, weiter von jedem ›Inhalt‹ entfernt, den die natürliche Sprache als ›Semantik‹ noch mitführt. Diese Abstraktion ist es, die in den spezifischen Eindruck − die spezifische Illusion? − ihrer ›Reinheit‹ mündet. Gleichzeitig aber hat sich die Perspektive grundlegend verändert. So- bald man auch die Begriffe der Sprache als einen Typus von Abstraktion und Formalisierung betrachtet, sind die Formalsprachen aus ihrer Isolation erlöst; es macht wenig Sinn, sie weiter als eine reine ›Konstruktion‹, eine creatio ex nihilo zu betrachten, und es drängt sich die Frage auf, von was abstrahiert wird, von was die Abstraktion auf der jeweiligen Stufe sich wie weit entfernt. 247 6. Schemabegriff Keineswegs nun dienen die vorgestellten Abstraktionsstufen allein der Sortie- rung. Denn jetzt wird zu zeigen sein, dass auf allen der skizzierten Abstrakti- onsstufen ein einheitlicher Mechanismus in Arbeit ist. Und hier möchte ich auf den Begriff des Schemas zurückkommen. Schemata, ich habe es in den vorangegangenen Kapiteln dargestellt, gibt es in allen Medien; und gerade bezogen auf die Bildmedien ist der Schemabegriff weniger strittig und weniger kontraintuitiv als z. B. der des Zeichens; entsprechend scheint mir nur der Schemabegriff allgemein und leistungsfähig genug, um die Brüche zwischen den verschiedenen Einzelmedien zu moderieren. Schemata, das ist der Kern meines Arguments, sind stabilisierte Form; und man kann, wie ich im Kapitel ›Schemabildung‹ gezeigt habe, die Medien nach einer Rangfolge ordnen, die von den ›weichen Schemata‹ der Realwahrnehmung bis zu den ›harten‹ der Formalsprachen führt: Alle Stufen verbindet, dass es sich jeweils um Typen von Schematisierung han- delt.7 Die unterschiedlichen Medien stehen für unterschiedliche Stufen, unter- schiedliche Verhärtungsgrade der Schematisierung. 7 Von der Tatsache, dass bereits die Realwahrnehmung Schemaerkennung ist, schlägt Susan K. Langer eine Brücke zur Form: »Die Welt der reinen Sinnesempfindung ist so komplex, fließend und reich, daß bloße Reizempfindlichkeit nur das antreffen würde, was William James ›eine blühende, schwirrende Konfusion‹ genannt hat. Aus diesem Chaos müssen unsere Sinnesorgane bestimmte vorherrschende Formen [!] auswählen, wenn sie Dinge und nicht bloß sich auflösende Sinnesempfindungen melden sollen. Auge und Ohr müssen ihre Logik − ihre ›Kategorien des Verstandes‹ in Kants Sprache [...] − haben. Ein Objekt ist kein 248 Kehrt man die Sache um, um sie aus einer prozessualen Perspektive zu betrachten, erscheinen die Schemata als Ausfällung, als Produkt; erst auf einer bestimmten Stufe der Verhärtung, auch das war Thema im genannten Kapitel, tritt das Phänomen konstituierter Zeichen auf; Zeichen wiederum können in Systeme unterschiedlich strikter Regeln eingebunden sein; und wieder schei- nen die Formalsprachen die ›natürliche‹ Sprache zumindest an Striktheit zu überbieten. 7. Der Loop durch die Erfahrung Sobald man Abstraktion und Formalisierung als eine schrittweise Abstandnah- me vom Konkreten begreift, zerstreut sich der Eindruck, dass Referenz und Weltbezug im Feld der Formalsprachen keine Rolle mehr spielen. Die Frage, auf welche Weise Formalsprachen und formale Modelle ihren Weltbezug or- ganisieren, aber ist weiter offen. Auffällig ist zunächst, dass Formalsprachen zwar ihre vollständige Un- abhängigkeit von Weltgegebenheiten behaupten, gleichzeitig aber vielfältige, sehr fruchtbare und weitreichende Anwendungen in dieser tatsächlichen Welt haben. Die Sphäre der Technik ist ohne die Modelle der Mathematik nicht zu denken; wirtschaftliche und organisatorische Probleme werden in Formal- sprachen formuliert und von dort aus in die Welt zurückgeschrieben. Diese Anwendungsdimension der Formalsprachen würde wahrscheinlich niemand bestreiten.8 Sinnesdatum, sondern eine durch das sensitive und intelligente Organ gedeutete Form, eine Form, die gleichzeitig ein erlebtes Einzelding und ein Symbol für dessen Begriff, für diese Art von Ding ist.« »[D]ie von Auge und Ohr vollzogenen Abstraktionen [!] − die Formen der direkten Wahrnehmung − sind die primitivsten Instrumente unserer Intelligenz. Sie sind echtes symbolisches Material.« (Langer, Susan K.: Philosophie auf neuem Wege. Das Symbol im Denken, im Ritus und in der Kunst. Frankfurt am Main: Fischer 1965, S. 95, 98 (Hervorh. H. W.) (EV., am.: 1942)). 8 Allerdings muss man sagen, dass es in den Fachkulturen sowohl der Mathematik als auch der Informatik eine gewisse aristokratische Verachtung für die ›Anwendungen‹ gibt. Dies scheint mir Teil des Problems und Teil des Selbstbildes, die Fächer hätten es mir reinen Konstruktionen zu tun. 249 Parallel dazu hat auch die Performativitätsdebatte den Blick auf die Wirkung gelenkt, die Zeichen in der außersymbolischen Welt haben. Sehr viel kritischer allerdings ist die Frage, was die Formalsprachen selbst in die Welt bringt. Heintz betont, wie beschrieben, ihren Charakter als Setzung, als ›Konstruk- tion‹, ihre prinzipielle Unabhängigkeit von den Problemen und Strukturen, der tatsächlichen Welt. Diese Sicht erscheint mir wenig plausibel. Betrachtet man die Realgeschichte der Mathematik und der Formalsprachen, kann man sehen, dass diese sich – zumin- dest im gleichen Maß wie nach den Regeln ihrer Eigenlogik − in einer engen Wechselbeziehung zu realweltlichen Problemen entwickeln und weiterentwickeln. Der Abakus kommt im Kontext administrativer und ökonomischer ›Anwen- dungen‹ auf; die Hollerithmaschine sollte organisatorische, und der Computer Dechiffrierprobleme lösen. Dies bindet die Formalsprachen auch auf der Seite der Modellentstehung an die tatsächliche Welt und ihre Probleme zurück: 250 Die linke Seite ist diejenige der ›Systemanalyse‹ oder der Modellbildung; in der Realität tritt ein Problem auf, und der Systemanalytiker hat die Aufgabe, dieses Problem soweit zu durchdringen, dass es in den Regeln einer Formal- sprache reformuliert werden kann. Ich möchte dies – gerade, weil der Begriff zunächst kontraintuitiv ist − die mimetische Dimension der Formalsprachen nennen. Formalsprachliche Modelle (und die Formalsprachen insgesamt) erweisen sich nicht nur als anwendbar, sondern sie werden ständig an Anwendungskontexten gemessen und in Konfrontation mit Anwendungskontexten Schritt für Schritt weiter entwickelt. Verlängert man die Zeitachse, ergibt sich − wie könnte es anders sein − das Modell eines Zyklus: Dies bedeutet gleichzeitig, dass die Modellbildung in systematischer Weise auf die Sphäre der Erfahrung bezogen bleibt. Zyklisch geht die Entwicklung immer wieder durch die Erfahrung hindurch; Modelle erweisen sich als tauglich oder untauglich, fruchtbar oder unfruchtbar, werden verifiziert oder falsifiziert.9 9 Die Notwendigkeit, die Relation von Wissenschaft und Technik als einen Zyklus, als ein wechselseitig Aufeinanderverwiesensein, zu betrachten, hat ebenfalls vor allem Latour mit 251 Die Modelle, wie gesagt, können tauglich oder untauglich sein, und dem, was es zu modellieren gilt, angemessen oder unangemessen. Gerade wenn man mit ›Erfahrung‹ argumentiert, wird man klarstellen müssen, dass der Durchgang durch die Erfahrung keineswegs garantiert, dass die Modelle ›realistisch‹, ›wahr‹ oder auch nur brauchbar wären. Exakt wie im Fall aller anderen Zeichen und Zeichensysteme können auch formale Modelle verzerrt sein oder sie können vollständig in die Irre gehen. Meine Behauptung ist nur, dass sie mit dem, was es zu modellieren gilt, in Rapport bleiben. Eine gerech- nete Wetterprognose wird am tatsächlich eintretenden Wetter gemessen, der Algorithmus eines Statikers daran, ob das Gebäude stehen bleibt. Und dasselbe eben gilt – zumindest prinzipiell – auf der Ebene der For- malsprachen selbst, die für die Modellierung verwendet werden; auch wenn die Anpassung hier weniger direkt und die Zyklen länger sind. 8. Gegenargument: innere Kohärenz Die so skizzierte Vorstellung erscheint wenig riskant, bis an die Grenze des Selbstverständlichen. Dennoch steht ihr ein gewichtiges Argument entgegen. Denn war nicht oben die These, dass Formalsprachen vor allem anderen einer inneren, einer Eigenlogik folgen? Und war nicht das entscheidende Kriterium, Nachdruck vertreten. Er wendet sich damit gegen die traditionelle Vorstellung, die Technik − einseitig − nur als ›Anwendung von Wissenschaft‹ zu fassen versucht. Auch bei Latour liegt die Sprengkraft auf der linken Seite des Zyklus: im Aufweis, wieviel eben auch die ›reine Wissenschaft‹ den technischen Praxen verdankt. Um den Preis, dass die Wissenschaft damit eben keine ›reine‹ mehr ist. 252 das Formalsprachen von ›natürlichen‹ Sprachen unterscheidet, dass nur die Formalsprachen das Kriterium innerer Kohärenz und Widerspruchsfreiheit erfüllen? Ist dies nicht plausibel? Und ein fast unabweisbares Argument eben doch für die ›Konstruktion‹? Der Punkt wird noch stärker, wenn Krämer Richtigkeit zum entscheidenden Kriterium für formalsprachliche Formulierungen macht und offensiv vertritt, dass mit den Formalsprachen die traditionelle Frage nach der Wahrheit durch diejenige nach der Richtigkeit abgelöst und erübrigt wird.10 Richtigkeit meint innere Stimmigkeit; allerdings wird im Übergang zur Richtigkeit die Referenz gekappt, die für den Begriff der Wahrheit noch un- abdingbar war. Im Fall formaler Systeme kann Richtigkeit geprüft und in jedem Fall zweifelsfrei festgestellt werden; ist das formale System auf einem Computer implementiert, übernimmt die Maschine die logisch-mechanische Konsistenzprüfung selbst. Wie also passt dies zu der Annahme, dass auch Formalsprachen auf Mimesis und Erfahrung verwiesen bleiben? Hier muss man sagen, dass formalsprachliche Formulierungen − so selbst- genügsam sie sich geben − immer und notwendig unvollständig sind. Im Kon- kreten heißt dies, dass der Zweifel das System nun von außen − vom Kontext her − anfällt, obwohl oder gerade, weil es sich im Inneren durch Einhalten der Widerspruchsfreiheit gegen Zweifel so sorgfältig armiert. Das Problem verschiebt sich, denke ich, auf das Verhältnis zwischen dem formalsprachlichen Text und dem Kontext. Dass Formalsprachen auf kontextuelle Ergänzung angewiesen sind, ist of- fensichtlich; dies beginnt mit den Tontafeln Sumers, deren Listen neben Zahlen auch Worte enthalten, die die Kontextinformationen liefern. Und es ist im Ver- lauf der Mediengeschichte so geblieben; wer heute ein Softwarepaket kauft, wird immer ein Helpfile dazubekommen. Das Helpfile ist der Software keineswegs äußerlich. Es steht vielmehr für die Schnittstelle zwischen Modellierung und dem modellierten Problem; und es moderiert zwischen den Möglichkeiten, 10 »[Der] formale Umgang mit Symbolen nach Regeln, die auf die Bedeutung der Symbole keinen Bezug nehmen, [...] wird zur Leitvorstellung auch des Erkenntnisideals der ratio- nalistischen Philosophie, welches darin besteht, Wahrheit auf Richtigkeit zurückzuführen.« (Krämer, Sybille: Sprachphilosophische Grundlagen des Begriffes ›Performanz‹. Performa- tivität als Medialität. Unveröff. Man. 1998, S. 5). 253 die das formalsprachliche System bietet, und den vielfältigen Friktionen, die entstehen, wenn dieses auf die tatsächliche Welt und ihre Problemlagen trifft. Diese Moderation − dies ist wichtig − kann die Formalsprache mit ihren eigenen Mitteln nicht übernehmen. Die natürliche Sprache springt ihr bei und hilft ihr aus der Patsche. Das Schema oben wäre entsprechend zu modifizieren; denn selbstverständlich nehmen Systemanalyse wie ›Anwendung‹ die vermittelnde Leistung der Sprache in Anspruch. Wenn Mathematiker mit Mathematikern in Formeln sprechen und Informatik und Mathematik ihre formalen Systeme relativ isoliert von der Welt weiterent- wickeln, ist dies gemessen am Gesagten ein Sonderfall. Ein Effekt, so könnte man sagen, der gesellschaftlichen Arbeitsteilung, der die Angehörigen dieser Fächer freistellt und die Interaktion mit den Anwendungsfeldern für eine bestimmte Phase der Hervorbringung unterbricht. Und insofern eine Art Augentäuschung, die verdeckt, dass formale Systeme über Mimesis und ›Anwendung‹ mit der tatsächlichen Welt eben doch in Rapport stehen. Nur so kann der Anschein entstehen, Formalsprachen entwickelten sich ›autonom‹. Tatsächlich sind For- malsprachen darauf angewiesen, dass es andere Medien gibt. 10. Filter Hierzu gehört, dass man diejenigen Probleme, die sich einer Formalisierung (der Formulierung in einer Formalsprache) nachhaltig widersetzen, aus dem Interessenbereich schlicht exkludiert und sie, dies ist die zwangsläufige Fol- ge, den ›weicheren‹ symbolischen Systemen − den weicheren Formen von Form − überlässt. Auch dies ist eine Art Arbeitsteilung. Aufs Gesamte gesehen findet eine Art Filterprozess statt, eine laufende Überprüfung, was mit wel- chen Mitteln formalisierbar ist, und was man, weil eben nicht formalisierbar, ausscheiden muss. Dieser Filterprozess ist der hauptsächliche gesellschaftliche Großversuch, der im Umfeld der Formalsprachen läuft. Jede Versicherung testet ihren Wahrscheinlichkeits-Algorithmus gegen die Fährnisse der schmutzig-pluralistischen tatsächlichen Welt; jeder Ingenieur, der eine Brücke baut, testet weniger die Brücke, als mithilfe der Brücke das Modell, das ihrer Berechnung zu Grunde liegt. Nur unter dieser Bedingung, nur weil ihr Terrain begrenzt ist, können Formalsprachen beides sein: in sich 254 widerspruchsfrei und in fruchtbarer Weise anwendbar auf praktische Zwecke. Und diese Doppelposition macht ihre Sonderrolle im Konzert der Medien und der symbolischen Systeme aus. Alle Probleme, die nicht oder noch nicht formalisierbar sind, fallen umso entschiedener an die traditionellen Medien zurück. Der Filterprozess ist inso- fern in doppelter Perspektive zu betrachten: Auf seiner einen Seite liefert er das Formale; auf seiner anderen Seite das, was diesseits des Formalen übrig bleibt. Die Grenze zwischen beiden Sphären organisiert, so historisch beweglich sie ist, unter anderem so dramatische Dinge wie das Verhältnis der ›beiden Kul- turen‹. Und sie durchzieht den Computer selbst; nur auf einer seiner Seiten ist dieser das paradigmatische Medium der Formalisierung; viele, vielleicht die meisten Prozesse, die auf Computern laufen, fungieren nach einer ihrer Seiten hin konventionell: So können Computer Bilder übertragen, speichern und permutieren, Bilder nach inhaltlichen Kriterien verarbeiten (oder Bilder verstehen) aber können Computer nicht; digitale Bilder also gibt es nur, weil die Nutzer Teil der Anordnung sind; und Fähigkeiten beisteuern, die als solche nicht formalisierbar sind. 11. Maschinen zur Extrahierung von Form Was nun ist der Ertrag der hier skizzierten Überlegung? Mein Vorschlag ist, die Medien insgesamt nach dem Muster der Formalisierung zu denken; als eine gesellschaftliche Maschine, die laufend und ständig den Test auf die For- malisierbarkeit der Welt macht. Und wie anfangs beschrieben geht es um eine Formalisierbarkeit auf ver- schiedenen semiotischen Stufen: Bilder sind weniger formalisiert als die Begriffe 255 der natürlichen Sprache; diese wiederum erscheinen informell oder ›weich‹ verglichen mit den formalen Sprachen. Bezieht man noch einmal ein, dass Ausgangspunkt nicht semiotische, son- dern realweltliche Probleme sind, über deren Symbolisierbarkeit erst im Fil- terprozess selbst entschieden wird,11 kann man sagen, dass Medien stufenweise 11 Die Grenze zwischen Symbolisierbarem und Nichtsymbolisierbarem ist das zentrale Thema bei Langer (a. a. O., S. 86 ff.). Was in der Abbildung ›subsymbolisch‹ genannt wird, würde Langer als ›präsentativen Symbolismus‹ bezeichnen (ebd., S. 103). »Der Symbolismus, der unserem rein sensorischen Sinn für Formen entspringt, ist jedoch nichtdiskursiv, er ist besonders geeignet für den Ausdruck von Ideen, die sich der sprachlichen ›Projektion‹ widersetzen.« (Ebd., S. 99). »Jeder weiß, daß die Sprache ein sehr armes Medium ist, um unserer emotionalen Natur zum Ausdruck zu verhelfen. Sie vermag lediglich, gewisse vage und grob begriffene Zustän- de zu benennen, versagt aber bei jedem Versuch, das immer Wechselnde, Ambivalente und äußerst Verwickelte der inneren Erfahrung, das Hin und Her von Gefühlen und Gedanken, Eindrücken, Erinnerungen und Nachklängen von Erinnerungen, die flüchtigen Phantasien oder ihre bloß runenhaften Spuren, all das namenlose emotionale Material zu vermitteln. [...] Es gibt jedoch eine bestimmte Art von Symbolismus, die wie geschaffen ist zur Erklärung des ›Unsagbaren‹, obgleich ihr die Haupttugend der Sprache, die Denotation, abgeht. Der höchst- entwickelte Typus einer solchen rein konnotativen Semantik ist die Musik.« (Ebd., S. 106 f.). 256 aus der Welt extrahieren, was Form an ihr ist. Medien also, ich komme auf meine Formulierung aus dem Schema-Kapitel zurück, sind eine gesellschaftliche Maschine zum Extrahieren und zum Anschreiben von Form. 12. Ähnlichkeit Und als wäre all dieses nicht bestreitbar genug, ist nun noch der entscheidende Schritt weiter zu gehen, denn meine Hypothese war ja, dass es sich bei allem, was wir Form nennen, um einen bestimmten Typus von Ähnlichkeit handelt. Wieso und inwiefern also Ähnlichkeit? In meinem Kapitel zum Kontext habe ich Ähnlichkeit als etwas bestimmt, was die Dinge hinter ihrem Rücken miteinander verbindet.12 Und meine Über- legung zu den ›Merkmalen‹13 hat das Ergebnis differenziert: Vergleich und Ähnlichkeit spalten die Dinge auf, in solche Aspekte, die ›ähnlich‹, und solche, die ›unähnlich‹ sind. Ähnlichkeit also zieht von den Dingen etwas ab; mit der Pointe, dass dieses ›Etwas‹ (der Aspekt, die Hinsicht) in Vergleich und Ähnlichkeit überhaupt erst Gestalt gewinnt. Exakt um diese neuen ›Gestalten‹ geht es. Kaum entstanden nämlich werden diese reifiziert und stabilisiert, sie nehmen Form [!] an; oder – besser – sehr unterschiedliche Formen: Was den Dingen gemeinsam ist, was sie untereinander ähnlich macht, kann ein Merkmal sein, wie das Merkmal ›rot‹, für das die Sprache das Etikett, das Adjektiv ›rot‹ findet; das Gemeinsa- me/Ähnliche kann in ein Schema münden, das es uns möglich macht, einen Elefanten als einen Elefanten wiederzuerkennen, oder in einen Begriff, wie den Sammelterm ›Tier‹, der so unterschiedliche Wesen wie Kakerlaken, Krähen und Krokodile umfasst. Oder in Abstraktionen wie eine Zahlenangabe, die alle qualitativen Bestimmungen zurückstellt, um nur die Quantität zum Merkmal zu machen (was Ifrah illustriert, indem er eine Menge Bäume – ungeachtet eben all ihrer Qualitäten – auf eine ebenso große Menge von Pferden bezieht):14 12 Kap. 5: Ähnlichkeit und Kontext, Abschnitt 4 und 5. 13 Kap. 7: Ähnlich – inwiefern? 14 Abb.: Ifrah, Georges: Universalgeschichte der Zahlen. Frankfurt/NY: Campus 1991, S. 35 (EV., frz.: 1981). 257 Verallgemeinert: Das Gemeinsame/Ähnliche mündet in eine Form. Form, das ist meine Behauptung, ist etwas, was von den Dingen abgezogen ist. Der abstrakteste Typus von Ähnlichkeit, der den übrigen Typen, die ich genannt habe – so unterschiedlich diese zweifellos sind – was die Funktion angeht völlig entspricht. Und selbstverständlich gibt es auch sehr unterschiedliche Begriffe von Form; der Formbegriff der Ästhetik, wie gesagt, unterscheidet sich von dem der Formalsprachen; allen gemeinsam aber ist, dass es sich jeweils um Abstraktion handelt.15 Abstraktion ist das definitorische Merkmal der Form; und Ähnlichkeit – wenn auch eine möglicherweise abstrakte – liegt den Mechanismen der Ab- straktion zugrunde; schon deshalb war es problematisch, wenn Cassirer die ›Ähnlichkeit‹ allein auf sinnlich-Konkretes bezieht. Und man kann die Typen-Palette ohne Mühe noch einmal erweitern: Auch wenn man fragt, was eine Regel ist, wird man auf Abstraktion und Ähnlichkeit stoßen, insofern eine Regel immer viele Fälle unter sich fasst, oder umgekehrt aus einer Vielzahl von Fällen extrahiert, was regelhaft ist. Besonderheit wäre, dass es hier um Prozesshaftes geht; um regelhafte Abläufe längs der Achse der Zeit. Und geht man noch ein Stück weiter, kommt man zu Kausalität und Gesetz…16 Und schließlich stellen selbst die Naturgesetze einen Typus von ›Ähnlichkeit‹ dar, unabhängig davon, ob man diese auf die Seite der Beobach- tung oder auf die Seite des Beobachteten rechnet. 15 Eine interessante und wichtige Ausnahme wird deutlich, wenn man sich auf die ›Form‹ eines einzelnen Kunstwerks bezieht; hier steht die Form für das radikal Singuläre. 16 Cassirer nennt die Kausalität unter den ›symbolischen Formen‹, die z. B. für die Naturwis- senschaften zentrale Bedeutung haben… 258 Noch einmal: ich bin der Meinung, dass es möglich ist, Form als eine von den Dingen abgezogene Ähnlichkeit zu bestimmen. Diese von den Dingen abgezogene Ähnlichkeit verselbstständigt sich und nimmt auf unterschiedli- chen Stufen von ›Verhärtung‹ unterschiedliche Gestalten an: auf der Stufe des Schemas erscheint sie bereits stabilisiert, auf der des Zeichens dann tatsächlich reifiziert (insofern Signifikanten dinghaft-materiellen Charakter haben). Und gleichzeitig fächert sich die Ähnlichkeit in verschiedene Typen von Form auf. Von Stufe zu Stufe gibt es einen Gewinn an Form; die Abstraktion, der ›formale‹ Charakter nimmt zu; das Einzelne, Konkrete, das, von dem via Ähn- lichkeit abstrahiert wird, bleibt zurück – bis schließlich der Eindruck entsteht, die Verbindung zum ›Inhalt‹ sei gerissen und man könne die Form auf der Stufe der Formalsprachen als ›rein‹ (als von Erfahrung unabhängig) betrachten. Meine These ist, dass die Verbindung keineswegs reißt. Dass Konkretes und Abstraktion, Inhalt und Form, zu Begreifendes und Begriff – wie prekär auch immer – auf einander bezogen und in Rapport bleiben; verbunden durch den Mechanismus, der aus dem Konkreten via Ähnlichkeit Formen macht. (Dass die Verbindung prekär bleibt, dass Zeichen ›lügen‹ und Weltbezug nicht ga- rantieren können, Abstraktionen nicht den Bezug auf Konkretes, und Formen nicht Inhalt, hat die philosophische Zeichenkritik unabweisbar gezeigt). Cassirer also hat sicherlich recht, wenn er einen umfassenden Begriff der ›Form‹ entwirft, der von der Wahrnehmung bis hin zu den Naturgesetzen alle Formen von Formen umfasst. Und er hat Recht auch insofern, als er diese Formen als ›symbolische Formen‹ anspricht, zwischen der Bildung von Formen und der von Symbolen also einen engen Konnex unterstellt. Was bei Cassirer m. E. unterbelichtet bleibt, sind die Mechanismen der Abstraktion selbst, der Weg, der vom Konkreten hin zu den Formen führt, und eben die konstitutive Rolle, die die Ähnlichkeit hier übernimmt. Weil er zusätzlich gegen die Mimesis polemisiert, droht der Konnex zurück zum Konkreten auch bei ihm abzureißen. Wenn man Entwürfe sucht, die Mimesis und Form systematisch zusam- mendenken, könnte man z. B. Adorno nennen, der in seiner Ästhetik die These entfaltet, die Kunst habe zwischen Ausdruck und Form ihren Ort;17 wobei – stark vergröbert – der Pol des Ausdrucks für die Erfahrung, die Subjektivität, 17 Adorno, Theodor W.: Ästhetische Theorie. Schriften Bd. 7, Frankfurt a. M.: Suhrkamp 1970. 259 die Mimesis und im Kern das Leiden, und der Pol der Form für die Objekti- vierung, die Versachlichung und den Bezug auf das Universum der übrigen Formen (man denke z. B. an Stile) steht. Diesen Bezug auszuarbeiten, wäre ein eigenes, anspruchsvolles Projekt. Ich möchte hier nur die Grund-Intuition übernehmen: Dass eben Form möglicherweise der Gegenpol der Mimesis ist, als solcher auf Mimesis aber bezogen bleibt. Dass Form von Erfahrung Abstand nimmt, diese aber nicht eliminiert; und dass – bis hinein in das Feld der Formalsprachen – ein Moment von Mimesis und Erfahrung immer mitgedacht werden muss. Für jede Theorie der Wahrnehmung, der Schemata, der Zeichen und Medien ist ein so gefasster Begriff von ›Form‹ von zentraler Bedeutung. Und meine These eben ist, dass – so wenig sich das Einzelne und die Formen ähneln – Form nichts anders als von den Dingen abgezogene Ähnlichkeit ist. 260 BILDSTRECKE: Dad Who’s Been Trolling Daughter by recreating her racy selfies 1 1 Abb.: Video: Dad Who’s Been Trolling Daughter By Recreating Her Racy Selfies; https:// www.youtube.com/watch?v=-MZLhIW5mPM. 261 262 15 Ähnlichkeit, Semantik und Form 1. Ausweitung auf alle Zeichen Anschließend an das vorangegangene Kapitel scheint mir nun eine Verallge- meinerung möglich. Denn was ich zu den Formalsprachen gesagt habe, gilt tatsächlich für alle Zeichensysteme: Alle Zeichen und Zeichensysteme stehen in der selben Wechselwirkung zu den Kontexten ihrer Verwendung, alle gehen mit jeder Verwendung durch die ›Erfahrung‹ hindurch.1 Im Fall der Formalsprachen ging es darum, den Anschein, diese seien ›reine Konstruktion‹, zu zerstreuen und zu zeigen, dass sie über ihre Anwendungen mit der Welt in Rapport bleiben und in Wechselwirkung zu diesen Anwen- dungen sich entwickelt und weiterentwickelt haben. Worum aber geht es nun, im Fall der anderen Zeichensysteme? Ich denke, dass mein Argument hier eine der prekärsten und weitrei- chendsten Fragen berührt, die sich im Feld der Semiotik stellen: Die Frage, wie Zeichen zu ihrer ›Bedeutung‹ kommen. Unter den vielen Antworten, die 1 Vgl.: Keller, Rudi: Zeichentheorie: Eine Theorie semiotischen Wissens. Tübingen: UTB 2018, S. 104 ff. (EV.: 1995). 263 man hierauf gegeben hat,2 scheint mir – letztlich – nur die bei Miller zitierte plausibel: »Die Bausteine der Sprache [die Wörter] verfügen definitionsgemäß über eine unendliche Vielzahl von Verbindungen, Assoziationen, Ähnlichkeiten und Ver- wandtschaften – die sie dadurch, dass die Wörter verwendet werden, ausbilden«.3 Gerade weil diese Bestimmung so selbstverständlich daherkommt, sollte man sich klarmachen, was dies eigentlich heißt. Wenn Wörter ihre Bedeutung da- durch bekommen, dass sie verwendet werden, werden Sprache und Bedeutung vom Sprach-Gebrauch abhängig gemacht, also von den konkreten Äußerungen oder Text-Ereignissen, in denen Sprache auftritt. Und damit von der Verwen- dungssituation und dem Kontext. Der Kontext ist hierbei doppelt bestimmt: Zeichen stehen zunächst im Kontext anderer Zeichen; und dann steht jede Äußerung, jeder Text auch in einem außersymbolischen Kontext, der die gesamte Situation umgreift, in der die Äußerung gemacht, der Text geschrieben oder gelesen wird; einfach deshalb, weil es Menschen sind, die die Äußerungen machen, und weil Menschen als körperlich-situierte Wesen zu jedem Zeitpunkt in einem außersymbolisch/ praktischen Kontext stecken. Äußerung, Verwendungssituation oder Kontext sind in radikaler Weise konkret: sie haben eine exakte Stelle in Raum und Zeit und sie sind als solche nicht wiederholbar. (Während die Zeichen selbst, und der Wortlaut der Äußerung, in anderen Situationen selbstverständlich wiederholt werden können). Wenn Bedeutung also von der Verwendung abhängig ist, dann impliziert dies, dass von der Äußerungssituation, vom Kontext etwas auf die Zeichen übergeht. Mit jedem Durchlauf des Zyklus nehmen die Zeichen etwas von der Welt, dem Kontext und der ›Erfahrung‹ auf. Die Zeichen, die im Umraum vorkommen, schreiben in das einzelne Zei- chen zurück. Und auch der außersymbolische Kontext wird in das Zeichen 2 In der Literatur begegnet man immer wieder den folgenden vier Grundtypen einer Erklärung: 1.) Bedeutungszuweisung durch Definition, 2.) Konvention/›gesellschaftliche Vereinbarung‹, wobei häufig offenbleibt, was dies heißt, 3.) ›historische Determination‹, oder 4.) Zuweisung der Bedeutung durch den Kontext. 3 Ich habe die Stelle in meinem siebten Kapitel zitiert: Miller, George A.: Wörter. Streifzüge durch die Psycholinguistik. Heidelberg 1993, S. 109 (Erg. u. Hervorh. H. W.) (EV., am.: 1991). 264 zurückschreiben, ihm eine winzige Spur von ›Bedeutung‹ mitgeben, die das Zeichen bis dahin möglicherweise nicht hatte. Diese Spuren akkumulieren sich zur ›Bedeutung‹ des Zeichens auf; aller- dings – und dies ist ein Unterschied ums Ganze – erst über Millionen/Milliar- den von Äußerungssituationen; deshalb hatte ich oben von einer ›Verdichtung‹ gesprochen. Wenn man gesagt hat, dass die Bedeutung allein vom Kontext abhängig sei, also ist dies richtig und falsch zugleich: Richtig, wenn man die große Zahl von Zyklen vor Augen hat, die kumulativ die Bedeutung des Zei- chens bestimmen,4 und drastisch falsch, wenn man – wie leider häufig – nur den jeweils einzelnen Kontext meint. Bedeutung ist träge. Sie ist ein Phänomen, das sich (sieht man vom Son- derfall plötzlicher Umbrüche ab) erst über relativ lange Zeiträume stabilisiert. Und gleichzeitig tritt das Zeichen mit dem Eigengewicht seiner stabilisierten Bedeutung in jeden neuen Kontext ein. Dieser Kontext kann es verändern; da Zeichen in ihrer Bedeutung sehr viele Verwendungszyklen verdichten aber wird jeder einzelne Durchlauf nur einen sehr begrenzten Einfluss haben. Dies, denke ich, ist – in grober Kontur – das denkbar allgemeinste Zeichenmodell.5 2. Bedeutung und/oder Form? Aber treten wir noch einmal etwas zurück. Wenn ich gesagt hatte, dass so- wohl die Formalsprachen als auch die übrigen Zeichen zyklisch durch die Erfahrung hindurchgehen, so ist die Parallele – strukturell – möglicherweise plausibel. Gleichzeitig aber gibt es augenfällige Differenzen: Ging es im Fall der Formalsprachen doch um ›Form‹, während ich hier nun mit ›Bedeutung‹ argumentiere. Wie passt beides zusammen? Würde man ›Bedeutung‹ nicht mit ›Inhalt‹ assoziieren, und erscheinen ›Form‹ und Inhalt nicht geradezu entgegengesetzt? 4 … eine der großen Schwierigkeiten dieser Vorstellung ist, dass man die Gesamtheit der Verwendungen grundsätzlich nie überblicken kann, nie also vor Augen hat. 5 …und ich wäre mehr als dankbar gewesen, wenn es mir die Professoren, bei denen ich Linguistik studiert habe, – wie grob umrissen auch immer – zur Verfügung gestellt hätten… 265 Und weiter: handelt es sich nicht um sehr unterschiedliche Zyklen, wenn die Formalsprachen sich in Wechselbeziehung zu ihren Anwendungen, also in sehr langen Zyklen weiterentwickeln, während es im Fall der Sprache um den kumulierten Einfluss einzelner Äußerungen geht? All dies ist sicher der Fall. Und dennoch, denke ich, lässt sich die Kluft zumindest verringern. In beiden Fällen geht es um Typen von Abstraktion. Um Systeme, die sich schrittweise ablösen vom Konkreten und eine eigene Existenz gewinnen, und die schließlich als Abstraktion dem Konkreten, das es zu begreifen gilt, gegenübertreten. Die Formalsprachen, die ›natürliche‹ Sprache, und die Zeichen und Sche- mata der übrigen Medien haben gemeinsam, dass sie die verstreute Vielfalt des Konkreten auf eine wesentlich geringere Anzahl von Abstrakta bringen. Sie bilden ihre Abstrakta am Maßstab der Ähnlichkeit – sei diese nun beob- achtet/protokolliert, verzerrt/projiziert oder auch nur behauptet. Die Abstrakta werden sich stabilisieren und ›Identität‹ gewinnen, und mit ihnen das Netz von Bezügen, das sie in Relation zueinander bringt. So betrachtet geht es auch bei der ›Bedeutung‹ um Form und Struktur. Und mehr noch: Bedeutung bedeutet Struktur: Schemata/Zeichen können ›Bedeutung‹ nur haben, indem sie sich relational auf andere Schemata/Zeichen beziehen. Im Spiel von Identifizieren und Unterscheiden, das ich nachzuzeich- nen versucht habe, werden die einzelnen Abstrakta (mit sich identisch und unterscheidbar) überhaupt erst artikuliert; und es spannt sich jenes Netz rela- tionaler Verweise auf, das eben tatsächlich gleichzeitig Inhalt und strukturell, ›Form‹ und ›Bedeutung‹ ist. Dennoch bleibt es dabei, dass die unterschiedlichen Medien unterschied- liche Typen von Netzen bilden, verbunden mit unterschiedlichen Typen von Abstraktion und einer unterschiedliche Gewichtung von Form und Bedeutung. Medien, wie gesagt, sind offensichtlich nur im Plural zu haben. 266 BILDSTRECKE: Fälschung »Vor 20 Jahren stand hier ein Dorf, heute arbeiten in Dafen, einem Stadtteil der südlichen Metropole Shenzhen [China], geschätzte 8000 Maler. Sie haben sich darauf spezialisiert, berühmte Kunst möglichst originalgetreu zu kopieren: Fünf Millionen Gemälde verlassen jedes Jahr den Ort, die meisten werden in die USA, nach West- europa oder Russland exportiert. Das kleine Dafen deckt 60 Prozent des weltweiten Bedarfs an kopierten Ölbildern.«1 Das prominente Kunstfälscher-Paar Helene und Wolfgang Beltracchi.2 1 Beide Abb.: © Michael Wolf; »Leonardo da Vinci, 80 Dollar: Die ›Mona Lisa‹ ist das meist- verkaufte Motiv in Dafen, die Größe frei wählbar.« (Leber, Sebastian: Stadt der Fälscher. Chinas Kopisten. In: Der Tagesspiegel, 30. 10. 2011, https://www.tagesspiegel.de/kultur/ chinas-kopisten-stadt-der-faelscher/5766994.html). 2 Abb.: © Vera Hartmann Photography; Dank f. d. Gen. d. Reproduktion. 267 Im Mittelalter gefälschte Urkunde.3 »Das ist die schlechteste Nummernschildfälschung der Welt«4 3 Abb.: Hessisches Staatsarchiv Marburg, HStAM Bestand K Nr. 426; Dank f. d. Gen. d. Reprod. »Diese sogenannte Schenkungsurkunde ist als Teil des Codex Eberhardi in Abschrift im Hessischen Staatsarchiv in Marburg erhalten. […] [Die] Urkunde, die aus der Zeit zwischen 776 und 779 stammen soll, ist vor wenigen Jahren vom Hessischen Staatsarchiv in Mar- burg als ›nachweislich eine Fälschung des Mönches Eberhard‹ bezeichnet worden.« (O. A.: Nachweislich eine Fälschung. In: Hessisch/Niedersächsische Allgemeine, Online-Ausgabe, 11. 07. 2020, https://www.hna.de/lokales/witzenhausen/bad-sooden-allendorf-ort83103/ nachweislich-eine-faelschung-90008731.html). 4 https://www.berliner-kurier.de/news/panorama/usa-das-ist-die-schlechteste-nummern- schild-faelschung-der-welt-23672064 (Link nicht mehr verfügbar). 268 Retusche5 »Satire. ZDF-Neo-Mann Jan Böhmermann behauptet, seine Redaktion habe den bösen Finger in das Yanis-Varoufakis-Video hineinmontiert.«6 5 Abb.: http://www.fotokurs-bremen.de/tag/fotografie. 6 Riegen, Oliver von: Die Fälschung der »Fälschung«. In: Oberbayerisches Volksblatt, online, 20. 3. 15; https://www.ovb-online.de/weltspiegel/kultur-tv/faelschung-faelschung-4835883. html; Abb. ebd. 269 »Wundersame Menschenvermehrung bei der AfD-Demo auf dem Domplatz: In den grünen, roten und orangenen Kreisen sowie den blauen Vierecken sind die immer gleichen Menschen kopiert worden.«7 8 7 Wiebe, Jan-Henrik: Foto von Massen auf AFD-Demo in Erfurt ist eine dreiste Fälschung. In: Ostthüringer Zeitung online, 23. 10. 2015; https://www.thueringer-allgemeine.de/web/ zgt/politik/detail/-/specific/Foto-von-Massen-auf-AfD-Demo-in-Erfurt-ist-eine-dreiste- Faelschung-306844346; Abb. ebd. 8 Abb.: © CanStockPhoto, Reprod. gen. 270 »Stradivari-Fälschung. Eine von vielen. Seit Mitte des 19. Jahrhunderts sind viele solcher falschen ›Stradivaris‹ gebaut worden: Geigen, die nicht immer von so guter Qualität sind wie diese, aber immer irreführende Zettel mit sich tragen.«9 Warenfälschung, Markenfälschung10 »Rolex, Breitling und Co. aus dem Land des Lächelns.«11 9 O. A.: Eine von Vielen. BR online, 25. 3. 2015; https://www.br.de/br-fernsehen/sendun- gen/kunst-und-krempel/schatzkammer/musikinstrumente/kunst-krempel-stradivari-fael- schung-100.html; Abb.: Ebd. 10 Pfeiffer, Juliana: Negativ-Preis »Plagiarius« prämiert besonders dreiste Fälschungen. In: Konstruktionspraxis, online, 17. 2. 2016; https://www.konstruktionspraxis.vogel.de/index. cfm?pid=7506&pk=521822&fk=0&type=article#10; Abb.: Ebd. 11 O. A.: Gefälschte Markenartikel in Thailand kaufen. In: Webpage: Thailand Spezialisten. Abb.: © Michael Schaller; https://www.thailand-spezialisten.com/2016/03/07/gef%C3%A4lschte- markenartikel-in-thailand-kaufen/; Dank f. d. Gen. d. Reprod. 271 Ironie und Satire12 Satirische Übernahme des sehr be- 13 kannten Titeldesigns der Suhrkamp- Reihe STW.14 12 Abb.: http://www.humor.li/bilder/neu/detail/63307 (Link nicht mehr verfügbar). 13 Abb.: http://www.ghettoredhot.com/real-or-fake/ (Link nicht mehr verfügbar). 14 Abb.: © Kadmos-Verlag. 272 16 Schlussteil Verhärtete Ähnlichkeit 1. Intro Was ist nun der Ertrag meines Durchganges durch das Feld der Ähnlichkeit? Zunächst ist klar, dass nur bestimmte Aspekte überhaupt in den Blick kamen, weil die Perspektive, die ich gewählt habe, eine sehr spezifische ist. Ausgangspunkt meines Projektes war die Tatsache, dass Ähnlichkeit inner- halb der Medien, der Kultur und der Kulturtechniken eine herausragende Rolle spielt. Wer sich theoretisch oder analytisch mit den Medien beschäftigt, sieht sich mit einem so überwältigenden Maß und mit so vielen unterschiedlichen Arten von Ähnlichkeit konfrontiert, dass es unumgänglich scheint, Ähnlichkeit als eine medientheoretische Kategorie auszuarbeiten. Umso verblüffter stellt man fest, dass dies kaum geschieht. Sucht man den Grund, stößt man auf die Tatsache, dass namhafte Autoren der Philosophie und der Kulturtheorie die Ähnlichkeit als theoretische Kategorie mit einer Art Horror zurückweisen. Ähnlichkeit – ich habe es referiert – erscheint als zu ›weich‹, als unauslotbar, als zu weit verteilt, als Exzess: Alles kann allem ähneln, alles scheint vom Kontext oder der ›Hinsicht‹ abzuhängen, wobei Kontexte und Hinsichten wieder unübersehbar vielfältig und unauslotbar erscheinen. Auf einem solchen Terrain kann die Theorie nichts gewinnen. Was aber, wenn sie nicht die Wahl hat, weil die Ähnlichkeit aus dem Gegenstand nicht zu elimi- nieren ist? Dieser Widerspruch war der Startpunkt meines Projekts. Der zweite war die Tatsache, dass dem Horror durchaus auch eine Lust an der Ähnlichkeit gegenübersteht. Wer zur Ähnlichkeit recherchiert, wird auf ein überbordend vielgestaltiges, dabei aber ungeheuer interessantes Feld von Materialien, Beispielen und Aspekten stoßen. Das Bildmaterial, das ich in meinen Text eingeschaltet habe, mag davon einen Eindruck geben; Ähnlichkeit jedenfalls ist nichts, woran die Medien ausschließlich ›leiden‹. 273 Und schließlich gab es, als dritten Punkt, noch die Schwierigkeit mit der Semiotik. Auch diese habe ich anfangs kurz umrissen: So offenkundig es die Medien mit der Sphäre des Symbolischen zu tun haben, so offenkundig in- adäquat erscheinen die Begriffe, die die klassische Semiotik als Instrumente bereitstellt. Wenn der Begriff des ›Zeichens‹ auf dem Terrain von Fotografie und Film schlicht scheitert, oder wenn die Formalsprachen, Form und For- malisierung in semiotischen Modellen nicht plausibel gefasst werden können, muss die Medienwissenschaft nach Alternativen suchen. Was es gibt und was sich anbietet, ist die Schematheorie. Und exakt hier schlägt die Ähnlichkeit von einer Schwierigkeit in eine Hoffnung um: Wenn Schemabildung von Ähnlichkeit abhängig und auf Ähn- lichkeit als ihre Basis angewiesen ist, dann scheint die Ähnlichkeit – positiv – Funktion zu übernehmen. Und zwar mit allen ihren Eigenheiten, die gerade noch als Defekt erschienen: Denn möglicherweise eben ist die ›Unschärfe‹ nicht eine Schwäche, sondern eine bestimmte Form von Organisation; und es entsteht der Anreiz nachzuzeichnen, wie die Regel aussieht, die Ähnlichkeit und Schemabildung miteinander verbindet. In der Schematheorie könnte die Semiotik eine neue Basis finden. Eine Basis, die wesentlich robuster ist als jeder Zeichenbegriff; und dies vor allem, weil das Schemakonzept mühelos alle Medien umgreift. Im Zusammenspiel von Ähnlichkeit und Schemabildung – das wäre meine These – zeichnen sich die Umrisse einer neugefassten Semiotik ab. Sehen wir also, welche Mosaiksteine meine Überlegung zu diesem Projekt beisteuern kann. 2. Schema, Wahrnehmung, Medien Das erste Ergebnis, und ein unmittelbarer Output der Schematheorie, ist der Brückenschlag zwischen Wahrnehmung und Medien. Innerhalb der Sche- matheorie ist es absolut selbstverständlich, den Schemabegriff auf beiden Seiten in Anschlag zu bringen: für Wahrnehmungsschemata und ›mentale Repräsentationen‹,1 Phänomene also, die man dem Inneren der Subjekte, 1 Schlicht, Tobias; Smortchkova, Joulia (Hg.): Mentale Repräsentationen. Grundlagentexte. Berlin: Suhrkamp 2018. 274 der Psychologie, zurechnen würde, und genauso eben für Bildstereotypen, die Wörter der Sprache oder Probleme der Form, also Medienphänomene im äußeren Raum. In der Medienwissenschaft ist dieser Brückenschlag keineswegs selbstver- ständlich. Das berechtigte Interesse, die Medien zunächst von ihrer materiellen Seite zu fassen,2 und eine vorschnelle ›Psychologisierung‹ zu vermeiden,3 ist in den Konsens eines etwas vordergründigen Materialismus gemündet. Man favorisiert Kulturtechniken, ›Akteure‹, Praktiken, Technik und Signifikanten – all das also, was man für materiell beobachtbar hält – und belächelt ›weiche‹ Dinge wie Menschen,4 ›Bedeutung‹ und Signifikat. Mit der wiederentdeckten Medienanthropologie und der Affektforschung allerdings hat es immer auch andere Tendenzen gegeben. Der Schemabegriff stellt die Frage neu. In meinen Augen muss die Medien- wissenschaft ein Interesse haben, beide Räume – den materiellen Außenraum und das, was sich in den Köpfen und Körpern der Menschen abspielt – in anschlussfähigen Termen zu fassen. Medien, die von Menschen unabhängig wären, gibt es nicht; und der Schemabegriff scheint mir geeignet, die Wech- selbeziehung zwischen beiden transparenter zu machen. Als zweites ist interessant am Schemabegriff, dass er mit der Wahrneh- mung die Funktion der Medien für Welterschließung und Erkenntnis in den Mittelpunkt stellt. Dies steht, ich habe es gesagt, der selbstverständlichen Ori- entierung auf ›Kommunikation‹ entgegen, die nach wie vor (explizit oder implizit) viele Medientheorien bestimmt;5 und dass Medien – ähnlich eben wie die Wahrnehmung, eingebunden in die Wahrnehmung und in Wech- 2 Vgl.: Gumbrecht, Hans Ulrich; Pfeiffer, K. Ludwig (Hg.): Materialität der Kommunikation. Frankfurt a. M.: Suhrkamp 1988. 3 …den Vorwurf der Psychologisierung hat man schon de Saussures Konzept der ›assoziativen Achsen‹ gemacht… 4 …die z. B. Kittler in der Geste des Anti-Humanisten gerne ›sogenannte‹ genannt hat… 5 Explizit etwa in den Kommunikationswissenschaften, die den Bezug im Namen tragen; die vielen Formen impliziter Bezugnahme werden gezeigt z. B. in: – Peters, John Durham: Speaking into the Air. A History of the Idea of Communication. Chicago/London: University of Chicago Press 2000 (EV.:1999);  –  Czitrom, Daniel J.: Media and the American Mind. From Morse to McLuhan. Chapel Hill: University of North Carolina Press 1984, S.  91 ff. (EV., 1982); – Mattelart Armand: The Invention of Communication. Minneapolis/London 1996 (EV., frz.: 1994). 275 selbeziehung zu ihr – die Welt erschließen und unser Verhältnis zur Welt wesentlich mitbestimmen, bedeutet auch für das Fach eine Umorientierung. In der Leidenschaft für die ANT und der Tatsache, dass man wissenschafts- und erkenntnistheoretische Fragen zunehmend einbezieht, kündigt sich diese Umorientierung an; möglicherweise aber stellt sich die Frage allgemeiner; und möglicherweise braucht die Medienwissenschaft ein eigenes Set von Begriffen, um die mediale Welterschließung zu modellieren. Der Begriff des Schemas, denke ich, könnte einer von ihnen sein. Und drittens eben die Ähnlichkeit. Im Begriff des Schemas ist – anders etwa als in dem des Zeichens – Ähnlichkeit immer schon mitgedacht, und damit die Frage, welche produktiv-funktionale Rolle die Ähnlichkeit übernimmt. Die Tatsache, dass Schemabildung Komplexität reduziert und der überwältigend komplexen Welt, die es zu begreifen gilt, Struktur abringt, ist geeignet, den Fokus unseres Medienverständnisses zu verschieben. Komplexitätsreduktion und den Aufbau von Struktur würde wahrscheinlich niemand leugnen; im Mittelpunkt eines allgemeineren Medienverständnisses stehen sie bislang nicht. Argumentiert man mit Mustern und Schemata, wird deutlich, dass Wahr- nehmung kein Vorgang nur in der Gegenwart ist, sondern Gedächtnis und Erfahrung immer schon einbegreift. Auch dies kann zum Modell für ein verändertes Verständnis der Medien werden. Sobald man die Medien als ein Biotop für die Schemabildung begreift, ist man gezwungen, die Zeitachse mit einzubeziehen und den Prozess zu betrachten, in dem die Schemata ihre Grenzen, ihre ›Identität‹, ihre Kontur und ihre Relationen gewinnen. Damit geht es um länger laufende Medienprozesse. Und möglicherweise ist der Zusammenhang zwischen Wahrnehmung und materiellen Medientechniken noch direkter: Ganz offenbar, hatte ich im vierten Kapitel geschrieben, sind es ähnliche Mechanismen, die Mutter Natur zunächst unserem Wahrnehmungsapparat eingeschrieben hat, und die die menschliche Geschichte dann als ›Medien‹ im Raum der Kultur installiert. Oder möglicher- weise imitieren und verlängern die Medien, was in den Mechanismen unserer Wahrnehmung vorgeformt ist. Schemabildung und Ähnlichkeit scheinen in beiden Sphären dominante Kräfte zu sein. Sie etablieren einen Zyklus, der Subjekte und materielle Medien zugleich involviert. Unsere Wahrnehmung, unser Zugang zur Welt ist – zu- mindest in einer ihrer Dimensionen – mediengestützt; Wahrnehmung und 276 Medien operieren parallel und miteinander verschränkt, und bahnen sich über die Schemabildung (die Feststellung und Fixierung von Ähnlichkeit) ihren Zugang zur Welt. 3. Identität und Differenz Der Bereich des Ähnlichen, hatte ich gesagt, ist aufgespannt zwischen den Polen der Identität und der Differenz; ähnlich kann nur sein, was weder vollständig identisch noch vollständig verschieden ist. Wenden wir uns also auch diesen beiden Kategorien noch einmal zu. Rahmen war die Frage, wie Schemata und Muster sich überhaupt heraus- bilden können. Wenn Ähnlichkeit ›weich‹ und ›unscharf‹ ist und wenn die Schemabildung in der Ähnlichkeit ihre Basis hat, wird man erklären müssen, wie Schemata dennoch Grenzen, ›Identität‹ und Kontur gewinnen. Bei der ›Identität‹ der Schemata, das ist in meiner Überlegung sicherlich deutlich geworden, kann es sich nur um eine pragmatisch reduzierte Identität handeln, die man sich – ebenfalls prozessual – als abhängig vom Spiel der Ähnlichkeit, Identität und Differenz vorstellen muss. Wenn Deleuze unterstellt, die Tradition der philosophischen Ontologie habe der Identität immer Vorrang gegeben,6 um sie dann mit einer heroischen Geste vom Thron zu stoßen, dann ist dies – ganz offenbar – nicht die Identität, die hier interessiert.7 6 Deleuze, Gilles: Differenz und Wiederholung. München: Fink 1992, S. 33, 55, 76… (EV., frz: 1968). 7 Weit eher geht es mir, wie gesagt, um Wiedererkennen und ›Rekognition‹, die Deleuze ebenfalls klar verwirft: »Niemals hat die Rekognition anderes als das Wiedererkennbare und Wiedererkannte geheiligt, niemals hat die Form anderes als Konformitäten eingegeben. Und wenn die Philosophie auf einen Gemeinsinn als ihre implizite Voraussetzung zurückgeht, wozu braucht der Gemeinsinn dann die Philosophie, er, der – leider! – tagtäglich beweist, daß er sie nach seiner Fasson zurichten kann? Eine doppelte, zum Ruin führende Gefahr für die Philosophie. Einerseits ist es offenkundig, daß die Rekognitionsakte existieren und einen großen Teil unseres täglichen Lebens einnehmen: Das ist ein Tisch, das ist ein Apfel, das ist ein Wachsstück […]. Wer aber kann glauben, daß hierin das Schicksal des Denkens auf dem Spiel steht und daß wir denken, wenn wir erkennen? […] Wir sagten, man müsse das Bild des Denkens hinsichtlich seiner rechtmäßigen Ansprüche und nicht den tatsächlichen Einwänden zufolge beurteilen. Was aber diesem Bild des Denkens zum Vorwurf gemacht 277 Und dasselbe, denke ich, gilt für die Differenz. Wenn Deleuze zum Pro- gramm seines Buches schreibt: »Die Differenz und die Wiederholung sind an die Stelle des Identischen und des Negativen, der Identität und des Wider- spruchs getreten,«8 dann würde ich – zugegeben aus der Froschperspektive des Nicht-Philosophen – sagen: Wieso sollte das so sein? Wieso sollte die Differenz in dieser Weise Vorrang genießen? Sind nicht alle fünf – Differenz, Wiederholung, Identität, Negativität und Widerspruch – in gleichem Maße erklärungsbedürftig? Und zwar erklärungsbedürftig nicht auf den Höhen der Philosophie, sondern zunächst funktional, im Versuch, in der Beobachtung medialer Prozesse ihr Zusammenspiel zu beschreiben? Dies war der Grund, meine Überlegung exakt auf jene Rekognition (das Wiedererkennen) zu fokus- sieren, die Deleuze eine »Extrapolation besonders insignifikanter Tatsachen, […] die alltägliche Banalität höchstpersönlich«9 nennt. Ergebnis meiner Überlegung war, dass im Prozess der Schemabildung die Ähnlichkeit nicht bleibt, was sie ist. Ich hatte die Schemabildung als abhängig von der Wiederholung, als einen Zyklus beschrieben, der in jedem Durchlauf über Ähnlichkeit und Unähnlichkeit, ›Identität‹ und Differenz aufs Neue ent- scheidet. Resultat ist, dass sich am Pol der ›Identität‹ die möglichst ähnlichen Fälle sammeln (bzw. die, die man als möglichst ähnlich betrachtet), so dass als Zusammenfassung dieser ähnlichen Fälle ein Schema entsteht. Was weniger ähnlich oder unähnlich ist, – das war der zweite entscheidende Punkt – wird aussortiert und an andere Schemata überwiesen. Weniger ähnlich oder unähnlich meint Differenz; was weniger ähnlich oder unähnlich ist, wird unterschieden. Und auch die Differenz wird man sich – diesseits der philoso- phischen Überlegung – als eine pragmatisch reduzierte vorstellen müssen. werden muß, liegt eben darin, daß es sein vermeintliches Recht auf die Extrapolation ge- wisser Tatsachen, auf die Extrapolation besonders insignifikanter Tatsachen, auf die alltäg- liche Banalität höchstpersönlich, die Rekognition, gegründet hat, als ob das Denken seine Modelle nicht in ferneren und riskanteren Abenteuern suchen dürfte.« (Deleuze, Differenz und Wiederholung, a. a. O., S. 176). Wenn aber die Rekognitionsakte »existieren und einen großen Teil unseres täglichen Lebens einnehmen« – wäre dies nicht Grund genug, sich für die Rekognition, die Rolle des Wiedererkennens für das Erkennen, zu interessieren? Das Wiedererkennen mag Teil unserer Alltagserfahrung sein. Was die Theorie der Medien angeht, aber ist ihre Rolle ungeklärt. Und mit ihr eben die ›Identität‹. 8 Deleuze, ebd., S. 11. 9 Ich habe die Stelle in FN 7 zitiert… 278 ›Identität‹ und Differenz, Attraktion und Abstoßung wirken darin zusam- men, dass die Schemata mit jedem neuen Fall, jedem Durchlauf des Zyklus an Stabilität gewinnen, ihre Grenzen und ihre Identität stärken. Die Schemata entstehen in einem Prozess der Verhärtung. Und mit den Schemata entsteht der semantische Raum, in dem diese Schemata – relational positioniert – ihre jeweiligen ›Orte‹ haben.10 Etwas riskant könnte man sagen, dass es sich um eine Artikulation zweiter Ordnung handelt; zweiter Ordnung, weil man von ›Artikulation‹ zunächst auf der Ebene der materiellen Einzelereignisse sprechen würde, und riskant, inso- fern es sicherlich sinnvoll ist, den Begriff auf diese Ebene zu beschränken… Die Schemata verhärten sich, aber sie ähneln der Ähnlichkeit, insofern auch sie – zumindest relativ – ›weich‹ bleiben. Von einem Schema spricht man dann, wenn keiner der einzelnen Fälle, die unter ein Schema fallen, das Schema vollständig erfüllt. Im Begriff des Schemas also ist – exakt wie in dem der Ähnlichkeit – eine gewisse ›Unschärfe‹ immer schon mitgedacht. 4. Zeichen Und an diesem Punkt kommen nun endlich die Zeichen ins Spiel. Wenn meine Überlegung eine semiotische ist oder den Anspruch hat, zu einer neuen Se- miotik zumindest Bausteine beitragen zu wollen, dann wird sie dem Stier ins Horn kneifen und einen Vorschlag auch zum zentralen Konzept des Zeichens machen müssen. Und die entscheidenden Punkte sind schon genannt. Die Schemabildung ist ein Prozess der Typisierung und der Verhärtung. Die Feststellung von Ähn- lichkeit favorisiert nicht nur bestimmte Aspekte und schließt das Unähnliche aus, sondern schafft auch eine neue Entität – das Schema eben –, das als ein Quasi-Ding in die Welt kommt und ein Eigenleben beginnt. Und wenn die Typisierung und Verhärtung weit vorangeschritten sind, würde man von einem ›Zeichen‹ sprechen. Zeichen halten fest und sistieren – nun 10 …in meinem elften Kapitel hatte ich davor gewarnt, semantische Relationen umstandslos (oder metaphorisch) topologisch zu fassen… 279 in tatsächlich dinghafter Form –, was einmal Urteile und Hypothesen über Ähnlichkeiten waren. Das erlaubt es, diese Sonder-Dinge – die Zeichen – in den Diskurs zu- rückzuspielen und im Diskurs mit ihnen zu operieren. Als Platzhalter, als konventionalisiert-verhärtet-vorgefasste Urteile über Ähnlichkeit fungieren sie wie ein Fertigteil: Alle Urteile über Ähnlichkeit, die im Zeichen schon getroffen sind, müssen live im Diskurs nicht mehr getroffen werden. Und gleichzeitig, das ist die Dialektik, werden die Hypothesen über Ähnlichkeit, die das Zeichen enthält, in jeder neuen Verwendungssituation neu erprobt. Mein Vorschlag also ist, den Begriff des Schemas ernster als den des Zei- chens zu nehmen und Zeichen als eine Form von Schemata anzusehen, die besonders verhärtet sind. Die Bestimmung bewährt sich, insofern sie nicht nur den Brückenschlag zwischen Wahrnehmung, technischen Bildern (Fotografie und Film) und expli- ziten Zeichensystemen, wie etwa Schrift und Sprache, ermöglicht, sondern sie erlaubt es auch, den Unterschied dieser Medien zu fassen: denn möglicherweise gibt es die technischen Bilder, Fotografie und Film, nur, weil sie eben weniger verhärtet als die sprachlichen Zeichen sind. Indem sie – das war der Punkt in meinem vierten Kapitel – Konkreta präsentieren, zeigen sie Schemabildung in actu; und sie machen den Prozess sichtbar, den man Begriffen und Zeichen nicht mehr ansehen kann. 5. Noch einmal, genauer… Möglicherweise aber ist es gut, die These noch einmal etwas mehr im Detail zu betrachten. Zeichen entstehen wie Schemata im Prozess der Verhärtung. Erst wenn die Schemata ein bestimmtes Maß der Verhärtung erreichen, wenn ihre Identität soweit gefestigt und sie von anderen Schemata ausreichend weit differenziert und abgesetzt sind, können aus den Schemata Zeichen werden. Zeichen also sind Schemata, die besonders hoch typisiert und stabil konven- tionalisiert sind. Und Zeichen sind dadurch gekennzeichnet, dass man dem Schema ein Etikett aufgeklebt hat. Man hat einen materiellen Signifikanten gewählt, der nun für das Schema steht. 280 Von diesem Moment an kann das zum Zeichen gewordene Schema (das bis dahin seinen prekären, verteilten Ort in den Köpfen der Vielen hatte) als ein selbstständiges Ding auftreten. Als ein materieller Signifikant tritt es – Ding unter Dingen – in den gesellschaftlichen Umlauf ein; und einmal reifiziert kann das Schema, das nun ein Zeichen ist, alle Eigenschaften von Dingen in Anspruch nehmen: eine materielle Existenz im Außenraum, Manipulierbar- keit, materielle Persistenz (Dauer), intersubjektive Zugänglichkeit und andere Qualitäten mehr. In der Sphäre der Zeichen (und das heißt der Medien) setzt sich, was für die Schemata gesagt wurde, fort: Es regiert die gleiche Dialektik zwischen Identifizieren und Differenzieren; nun ist es das einzelne Zeichen, auf dem sich die Inhalte sammeln und das via Unterscheidung von den anderen Zeichen Abstand nimmt. Es gilt die gleiche Zyklizität; auch Zeichen sind auf Wiederholung an- gewiesen, eingebunden in Zyklen, die Einzelereignis und Schema/Zeichen verbinden; auch hier gibt es Kumulation und ›Verdichtung‹. Nun aber sind es die Diskurse, in denen sich das Spiel von Identifizieren und Differenzieren entfaltet und an denen sich das Zeichen (als Produkt von Kumulation) nährt; im Fall des Schemas waren dies Wahrnehmung, Ereignis oder ›Erfahrung‹. Deutlicher als im Fall des Schemas ist es bereits symbolisch vorstrukturiertes Material, das in die Kumulation eingeht. Und gleichzeitig wird hier der entscheidende Unterschied deutlich, der die Zeichen von den Schemata trennt: Ich habe es in meinem neunten Kapitel beschrieben: Im Fall des Zeichens erscheint die Trennung von den anderen Zeichen immer schon garantiert. Der räumliche Abstand, der weiße Leerraum, der z. B. die Zeichen der Schrift gegeneinander freistellt, scheint – gemeinsam mit dem hohen Grad der Typisierung – die ›Identität‹ der Zeichen zu garan- tieren; Grundlage dafür, dass wir wie selbstverständlich annehmen, dass die Schrift aus ›Zeichen‹ besteht. In Fotografie und Film gibt es solche weißen Leerräume nicht, die Gliede- rung des Bildes ist materiell nicht vorgegeben, und es bleibt Sache der Rezipie- renden, z. B. ›Gegenstände‹ zu isolieren. Entsprechend wehrt sich die Intuition, hier von ›Zeichen‹ zu sprechen, und entsprechend deutlich ist die Semiotik der 1960er Jahre am Projekt, solche Zeichen dennoch zu zeigen, gescheitert. Deshalb mein Vorschlag, statt den des Zeichens den allgemeineren Begriff des Schemas 281 in Anschlag zu bringen. Und ausgehend vom Schemabegriff zu beschreiben, was die systematischen Voraussetzungen dafür sind, dass Rezipierende Bilder im Prozess des Verstehens eben dennoch zerlegen. Und gleichzeitig wird man sich vergegenwärtigen müssen, dass die scheinbar klare Gliederung auch im Fall der Schrift weniger evident ist, als man den- ken sollte. Denn zwar ist in der Struktur des Signifikantenmaterials (in den Leerräumen zwischen den einzelnen Zeichen) eine Gliederung immer schon garantiert, und zwar sind die Zeichen hoch typisiert und scheinen unproble- matisch ›Identität‹ behaupten zu können – all dies aber blendet die Tatsache aus, dass letztlich auch die Zeichen von der Zeitachse abhängig bleiben, ein Produkt der Geschichte und der Verhärtung sind. Und zwar in mehrfacher Hinsicht. Mediengeschichtlich, insofern die Sche- mabildung unendlich viel weiter – bis in den Raum der Naturgeschichte – zu- rückreicht und historisch die Grundlage der Herausbildung von Zeichen bildet; definitorisch/historisch, insofern sich – folgt man meiner These – Schemata zu Zeichen ›verhärten‹. Und schließlich auch prinzipiell, insofern Zeichen alle Eigenheiten der Schemabildung bewahren: Denn auch Zeichen können, dem Anschein materieller Stabilität zum Trotz, nur eine sehr relative Stabilität oder Identität für sich beanspruchen; da sie vom Diskurs abhängig bleiben, und der Diskurs mit jeder Aktualisierung des Zeichens (mit jedem Durchlauf des Zy- klus) in das Zeichen zurückschreibt, können sie der drohenden Verschiebung nur das Eigengewicht entgegensetzen, das sie in den vergangenen Zyklen, in Kumulation und Verdichtung gewonnen haben. Es ist, so denke ich, ein entscheidender Gewinn des skizzierten Schema- konzepts, dass es auch den Zeichenbegriff wieder an die Zeitachse bindet, dynamisiert und verflüssigt. Hierin vor allem wird deutlich, dass die behauptete ›Identität‹ eben keineswegs eine ewige ist. 6. Mimesis Überlegungen zur Mimesis haben nur an wenigen Stellen meines Textes eine Rolle gespielt, obwohl sie im Kontext der Ähnlichkeit naheliegen. Nun aller- dings bietet sich Gelegenheit, auch zu dieser geradezu einschüchternd schwie- rigen Frage zumindest eine Einzelthese zu wagen. 282 Mimesis ist eine klassische Kategorie schon der antiken Ästhetik und wird oft – verkürzt – als ›Nachahmung‹ verstanden. Abgeleitet vom μῖμος, dem Darsteller im Theater, hat man die Kunst insgesamt als mimetisch betrachtet, wobei der Begriff viele Bedeutungsfacetten hat und in der Antike durchaus auch Darstellungen ohne Vorbild, also ohne ›Nachahmung‹, mit umfasst. Immer dann aber, wenn es tatsächlich um Nachahmung geht, kommt – selbstverständlich – die Ähnlichkeit mit ins Spiel. Das Portrait wird daran gemessen, ob es dem Portraitierten ›ähnlich‹ ist, und von einem Fernsehkrimi verlangt man, dass er ›realistisch‹ sei, bestimmte Aspekte der Alltagserfahrung also aufgreift und in den Raum der Fiktion übernimmt. Mit der Mimesis ist immer die Frage verbunden, auf welche Weise sich die Kunst und die Medien auf die Welt beziehen. Damit steht die Mimesis für einen sehr prekären Typus von Ähnlichkeit, weil die Nachahmung die Grenze zwischen dem Nicht-Symbolischen und dem Symbolischen überspringt. Und in der Moderne hat man nahezu alle Elemente, die hier eine Rolle spielen, verworfen: Mit der Abstraktion schien die bildende Kunst das Terrain der ›Nachahmung‹ zu verlassen; die Kunsttheorie wandte sich von Vorstellungen wie der ›Widerspiegelung‹11 ab; in der Semiotik wurden Signifikat und Referenz demontiert, und die Frage nach dem Weltbezug der Zeichen erst für naiv erklärt und schließlich tabuisiert. Die Medienwissenschaft übernahm die Gewissheit, dass Zeichen sich nur noch auf andere Zeichen und nicht mehr auf Dinge der Welt beziehen, oder bestritt, gestützt auf eine (missverstandene?) Diskursanalyse und die Performativitätstheorie, dass man zwischen Symbolischem und Außersymbolischem überhaupt unterscheiden sollte. So bedenkenswert die Argumente als kritische sind, so wenig scheint mir das Problem der Referenz damit aus der Welt geschafft. Die schwierige Frage, welche Relation die Zeichen zur Welt unterhalten, erweist sich als hartnäckig vital, und kümmert sich nicht darum, ob die Theorie gültige Antworten hat. Sehr schlichte Antworten allerdings scheiden in der Tat aus. Schien es lange plausibel, etwa arbiträre von ikonischen Zeichen zu unterscheiden, und die 11 Die These einer ›Widerspiegelung‹ hatte z. B. Lukacs vertreten (L., Georg: Ästhetik. In: Werke Bd. 11 und 12, Neuwied/Berlin: Luchterhand 1963) und den Zorn buchstäblich hunderter von Autoren (von denen nur ein Teil das Buch überhaupt gelesen hatte) auf sich gezogen. 283 ersteren als ›gesellschaftlich vereinbart‹ und die zweiten darüber zu bestimmen, dass – etwa in der Fotografie – die Abbildung dem Abgebildeten ähnelt, so lässt sich dies sicher nicht halten.12 Wenn es also um Ähnlichkeit geht, und wenn ich in meinem Text auf einer ›mimetischen‹ Dimension beharrt habe, dann sicherlich nicht in diesem Sinn. Es muss um eine weniger direkte Ähnlichkeit gehen. Was also kann man über diese weniger direkte Ähnlichkeit sagen? Wenn ich von ›Ähnlichkeit‹ gesprochen habe, dann zunächst in Vermei- dung der fraglichen Grenze, d. h. mit Blick auf Elemente, die entweder alle symbolisch oder alle außersymbolisch sind. Ich möchte diese Ähnlichkeit ›horizontal‹ nennen, im Gegensatz zu einer ›vertikalen‹ Ähnlichkeit, die die Grenze quert. (Die Grenze selbst definitorisch aufrecht zu erhalten allerdings halte ich für unumgänglich). Mimesis und Nachahmung wären dem ›vertikalen‹ Typ zuzuordnen. Was aber ist dann durch meine Beschränkung gewonnen? Fallen Mimesis und Weltbezug aus meiner Überlegung dann nicht einfach heraus? In der Tat denke ich, dass nur ein indirekter Weg von der horizontalen zur vertikalen Ähnlichkeit (und zur Mimesis) führt. Wenn die Wahrnehmung zwischen zwei Elementen, die sie im Wahrnehmungsfeld vorfindet, Ähnlichkeit 12 »Die natürliche Ähnlichkeit eines Bildes mit der Wirklichkeit, die es darstellt, ist theoretisch durch den Begriff ›ikonisches Zeichen‹ ausgedrückt. Nun wird dieser Begriff immer wieder einer Revision unterzogen [...]. [...] Die Naturgesetzlichkeit des ikonischen Zeichens, die uns unanfechtbar erschien im Gegensatz zur Willkür des sprachlichen Zeichens, bricht zusammen und läßt in uns den Verdacht zurück, daß auch das ikonische Zeichen gänzlich willkürlich, konventionell und unbegründet ist.« (Eco, Umberto: Die Gliederung des filmischen Code. In: Knilli, Friedrich (Hg.): Semiotik des Films. München: Fischer Athenäum 1971, S. 70−93, hier S. 73 f, (Hervorh. H. W.)). 284 feststellt, dann bleibt diese Ähnlichkeit ›horizontal‹. Wenn diese Wahrnehmung sich wiederholt und sich Schritt für Schritt zu einem Schema verfestigt, aber wird sie die Grenze irgendwann überqueren, einfach deshalb, weil Schemata selbst eine Form des Symbolischen sind. Horizontale Ähnlichkeit, das wäre meine These, schlägt in vertikale Ähnlichkeit um. Die oben versuchte Skizze wäre entsprechend zu modifizieren: So gefasst nun ist die vertikale Ähnlichkeit in keiner Weise darauf angewiesen, dass die Zeichen und das Bezeichnete sich tatsächlich ›ähneln‹ (und schon gar nicht einzelne Dinge und einzelne Zeichen, wie dies die ›Ikonizität‹ unterstellt). Die Behauptung der ›Ähnlichkeit‹ vielmehr betrifft die Struktur: Der Realitäts- bezug der Zeichen und Schemata besteht darin, dass sie Ähnlichkeit proto- kollieren. Schemabildung arbeitet Ähnlichkeit in Schemata um. Was entsteht, ist ein System differenzieller Schemata, das am Pol der ›Identität‹ Ähnlichkeit, und am Pol der ›Differenz‹ Unterscheidungen protokolliert. Identität und Differenz verhärten sich in der Wiederholung; und in der Wech- selwirkung zwischen Identitäten und Differenzen artikuliert sich das Netz symbolischer Repräsentationen, das – als Ganzes betrachtet – eine sehr große Zahl von Identitäten und Differenzen enthält: 285 Ausschließlich dieses Netz kann beanspruchen, Realität (die Sphäre des Au- ßersymbolischen) zu repräsentieren und ›mimetisch‹ zu sein. Und dies eben auch nur deshalb, weil so unendlich viele Wahrnehmungen, Beobachtungen, Denkakte und Unterscheidungen – in verdichteter Form – in seine Struktur eingegangen, in seiner Struktur niedergelegt worden sind. Ob das Netz die Realität adäquat oder inadäquat repräsentiert, bleibt da- hingestellt. Da der Weg indirekt über die Schemabildung verläuft, aber kann es sich in jedem Fall nur um eine »unsinnliche Ähnlichkeit« handeln. 8. Der Prozess der Semiose Das Semiotische, die Welt der Zeichen, setzt nicht auf der Welt, wie sie ist, sondern auf den Wahrnehmungsschemata, und allgemeiner: auf Schematisie- rungsprozessen, auf. Die Zeichen profitieren davon, dass die Welt immer schon eine strukturierte und schematisierte ist; und sie treiben diese Strukturierung und Schematisierung weiter, indem sie die Schemata selbst reifizieren. Mit den materiellen Signifikanten versieht man die Schemata mit dinghaft-stabilen Etiketten, um sie festzuschreiben und ihre ›Identität‹ zu fixieren. Und weil Zeichen abhängig sind vom Zeichengebrauch (und damit wieder von Iterationen), setzt sich auch die Doppelbewegung in der Sphäre der Zeichen fort: Jede einzelne Iteration kommt der Identität und der Stabilität des einzel- nen Zeichens und seiner Differenzierung gegenüber anderen Zeichen zugute. 286 Und schließlich geht auch der abstrakte Charakter der Zeichen auf die Sche- matisierung zurück: Wenn es möglich ist, mithilfe einer relativ geringen Zahl von Zeichen eine sehr komplexe Welt zu erschließen, dann nur deshalb, weil die Zeichen hoch typisiert, schematischer und abstrakter als das Bezeichnete sind. Auch die Abstraktion ist Resultat des hier skizzierten Konventionalisierungs- und Typisierungsprozesses; und so entsteht die Möglichkeit, auch Probleme der Form und spezifisch ›abstrakte‹ Systeme wie die Formalsprachen oder auch die Musik13 in anschlussfähigen Termen zu diskutieren. Das ist – in meinen Augen – der Grundmechanismus der Semiose,14 die Regel, auf der alles, was mit Zeichen zu tun hat, fußt. 9. Ähnlichkeit Was nun bedeutet dies – quasi umgekehrt – für die Ähnlichkeit? Ich denke, dass auch hierauf nun eine Antwort möglich ist. Die Semiose nämlich hat die Pointe, dass sie das Feld des Ähnlichen in Identität und Differenz aufspaltet und zerlegt. Wenn die Theorie die Ähnlichkeit verwirft und Identität und Differenz favorisiert,15 also vollzieht sie nur nach, was innerhalb der Medien selbst sich abspielt, was – seit es Medien gibt – der hauptsächliche Prozess der Medien, ihr Kennzeichen, ihre eigentliche Leistung ist: Die Medien arbeiten ständig Ähnlichkeit in Identität und Differenz um. Wenn Ähnlichkeit bedrohlich ist, schwirrend-ambig und kaum theoriefähig, müssen Identität und Differenz als ein sicheres Bollwerk erscheinen. Schema- bildung, Zeichenprozesse und Zeichensysteme, die, wie ich gezeigt habe, in ihrem Funktionieren von Ähnlichkeit abhängig sind, stehen deshalb gleichzeitig für die Überwindung der Ähnlichkeit; für deren Verwandlung in etwas Festes, das nicht mehr bedrohlich oder nicht mehr ganz so bedrohlich ist. 13 … was zu klären sicherlich eine eigene, mehr als interessante Aufgabe wäre … 14 Noch einmal: ›Mechanismus‹, ich habe es mehrfach gesagt, ist eine Metapher, weil der Zu- sammenhang – selbstverständlich – kein mechanischer ist; sie soll den Blick auf die Tatsache lenken, dass es um Regularitäten geht; um ein Zusammenspiel vieler Faktoren, die funktional miteinander verbunden sind, und das selbst einen stabil konventionalisierten Charakter hat. (Im selben Sinn hat etwa Freud von einem ›Psychischen Apparat‹ gesprochen …). 15 … Differenz mehr als Identität; das war die These in meinem dritten Kapitel. 287 Und gleichzeitig ist diese Lösung scheinhaft, weil die Ähnlichkeit – kaum gebannt – wie das Verdrängte zurückkehrt. Zum einen, insofern es eine tat- sächliche ›Identität‹ nicht gibt, weil Identität nichts als ein Grenzwert im Spektrum der Ähnlichkeit ist, und im Vorgang des Identifizierens immer etwas übrig bleibt, was eben doch unähnlich bleibt und jede ›Identität‹ unterläuft; zum zweiten weil für die Differenz – auch wenn dies strittiger ist – letztlich dasselbe gilt; und schließlich, insofern die Iterationen die Zeichen keineswegs nur stabilisieren; denn jede neue Iteration, das war das Argument Derridas, setzt das Zeichen den Anfechtungen eines neuen Kontextes aus, was das Spiel von Identität und Differenz neu eröffnet. Wenn an all dem etwas dran ist, entstehen Zeichen aus dem Material der Ähnlichkeit, die sie gleichzeitig hinter sich zurücklassen und vergessen machen. Identität und Differenz sind das Resultat einer Überakzentuierung; ›Identität‹ übertreibt den Aspekt der Ähnlichkeit, bis zumindest scheinbar jede Spur von Differenz sich verflüchtigt; ›Differenz‹ überakzentuiert die Unterschiede, die die Dinge voneinander trennen, auch wenn sie in anderer Hinsicht ähnlich sind.16 Als Übertreibung/Überakzentuierung sind Identität und Differenz weniger stabil als gedacht. Die Ähnlichkeit sucht sie heim. Auch in dieser Hinsicht erweist sich die Ähnlichkeit als überraschend vital… 10. Medien In den Mittelpunkt des Medialen – und man wird dies noch einmal hervor- heben müssen, weil es in meinem Fach keineswegs Konsens oder Standard ist – rücken damit Schema und Zeichen. Nicht Kommunikation oder Tech- nik, nicht die Einzel-Medien, die in ihrer Verschiedenheit immer wieder die Aufmerksamkeit auf sich ziehen, nicht die Regeln der Nachrichtentechnik, die ›Information‹ oder ›das Digitale‹, sondern allein die gemeinsame/übergreifende Eigenschaft, mit Schematisierung zu operieren, macht die Medien aus. 16 »Rosch et al. (1976) argue that the distribution of features among concepts results in natural clusters that maximize within-category similarity and minimize between-category similarity.« (Ramscar, Michael; Port, Robert: Categorization (without categories). In: Dabrowska, E.; Divjak, D. (Hg.): Handbook of Cognitive Linguistics. Berlin/ Boston: de Gruyter Mouton, S. 75−99, S. 81 (Hervorh. H. W.)). Die Stelle wurde im Kapitel ›Identität‹ schon zitiert. 288 Medien, das wäre meine Schlussthese, organisieren Ähnlichkeit. Oder ge- nauer: 1. Medien sind gesellschaftliche Maschinen, die Komplexität reduzieren, in- dem sie Ähnlichkeit beobachten, schematisieren / typisieren und dem Diskurs typisiert – als Zeichenset – wieder zur Verfügung stellen. 2. Medien bannen das Unheimliche, das der Ähnlichkeit anhaftet, indem sie diese in Identität und Differenz aufspalten, durch die Schaffung von Zeichen als Quasi-Objekten, durch Konventionalisierung und Reifizierung. 3. Und gleichzeitig stellt jeder neue Text, jedes neue Bild, jeder Algorithmus die Frage neu und setzt das Spiel zwischen ähnlich und unähnlich, Identität und Differenz auch gegen die etablierten Zeichen immer wieder in Gang. 289 Postskriptum: Grenzen der Ähnlichkeit Mein Buch hat versucht, den Begriff der Ähnlichkeit stark zu machen. Ich wollte zeigen, dass das Konzept für das Verständnis medialer Prozesse unverzichtbar ist, und dafür plädieren, die Ähnlichkeit in den Baukasten medientheoretischer Konzepte aufzunehmen. Gerade wenn man einen Begriff stark machen will aber werden gleichzeitig auch bestimmte Grenzen deutlich, und dies gilt für die Ähnlichkeit selbst wie für das eigene Vorgehen. Und ich möchte nun, im Postskriptum, einige dieser Grenzen zumindest andiskutieren. Wenn, um ein Beispiel zu nennen, immer wieder von einem ›Mechanismus‹ die Rede war, der Ähnlichkeit, Identität und Differenz miteinander verbin- det, – suggeriert dies nicht, dass die Sache letztendlich ›läuft‹? Dass das Spiel zwischen Akkumulation und Differenzierung, Identität und Differenz sich selbst reguliert und insofern nicht völlig fehlgehen kann? Ist das Bild, das mein Buch entwirft, nicht bei weitem zu affirmativ?1 Oder konkreter: Wenn ›Identitäre‹ Identität auf den Straßen zu einem Kampfbegriff machen, während die Linke, ungleich sympathischer, die Differenz zu ihrem Feldzeichen wählt – kann man dann über Identität und Differenz spre- chen, als seien dies neutrale Begriffe? Ist diese Neutralität nicht Anmaßung und/oder Schein?2 1 Dank für den Einwand an Heike Klippel. 2 Abb.: © Ataraxis1492, Wikimedia Commons, CC BY-SA 3.0; https://commons.wikimedia. org/wiki/File:Demonstration_against_Morten_Kj%C3%A6rum_in_Vienna.jpg. 291 In der Tat besteht, wenn man selbstregulierende Prozesse beschreibt, immer die Gefahr, dass dies in Vorstellungen eines Gelingens, oder doch wenigstens eines stabilisierten Gleichgewichts mündet.3 Und das wäre nicht nur im Fall der Ähnlichkeit sicher fatal. Allerdings halte ich diese Folgerung nicht für zwingend. Die Beobachtung zeigt, dass auch solche gesellschaftlichen Prozesse, die vollständig automatisiert, habitualisiert oder regelhaft ablaufen, dennoch häufig Resultate haben, die niemandem recht sind, und die selbst die unmit- telbar Beteiligten als ungewollt, abwegig oder inadäquat einstufen würden. Die Existenz von Automatismen4 anzuerkennen und den Versuch zu machen, diese theoretisch zu modellieren, also heißt nicht, sich auf die Seite der Au- tomatismen zu schlagen. Konkret für die Ähnlichkeit: Auch wenn die Neigung, Ähnlichkeit fest- zustellen, fester Bestandteil der menschlichen Wahrnehmung ist, heißt dies nicht, dass der Eindruck von Ähnlichkeit nicht trügen, und Prozesse der Schemabildung nicht vollständig fehlgehen können. Fast im Gegenteil. Der Begriff des ›Schemas‹ wird ganz überwiegend pejorativ verwendet, woran man ablesen kann, dass der Einwand in den Begriff selbst Eingang gefunden hat. Wer mit dem Schemabegriff arbeitet, wird ihn von diesen pejorativen Konno- tationen überhaupt erst einmal freistellen müssen; und dasselbe gilt für viele verwandte Begriffe, wie den der Stereotypen, des Vorwissens oder Vorurteils, der Gewohnheit oder der Konvention. Keineswegs also muss jede Wahrnehmung von Ähnlichkeit ›richtig‹ sein oder gelingen. Urteile über Ähnlichkeit können verzerrt oder vollständig inad- äquat sein, die Schemabildung kann – individuell wie kollektiv – zu absurden Resultaten führen; das drastischste Beispiel sind nationalistische, chauvinisti- sche oder rassistische Stereotypen. Zumindest hierin haben die pejorativen Konnotationen recht. Und noch einmal zur Methode: Wenn ich mit ›Mechanismen‹ oder gesell- schaftlichen Automatismen argumentiere, dann um bestimmte, sehr populä- re Alternativkonzepte zu vermeiden. Beispiel sei die kurrente Rede, soziale 3 Das berühmteste Beispiel ist die ›unsichtbare Hand‹… 4 Vgl. das gleichnamige Graduiertenkolleg der Universität Paderborn; https://www.uni-pa- derborn.de/graduiertenkolleg-automatismen. 292 Strukturen seien »gesellschaftlich konstruiert«5 – ein in meinen Augen wirklich grausiger Begriff, der zwar sehr richtig fragt, woher die Strukturen, die man vorfindet, jeweils stammen, in der Wortwahl aber gleichzeitig die Vorstellung nahelegt, diese gingen auf bewusste Planung, auf ›Gestaltung‹, oder Praktiken, die für die Beteiligten luzide wären, zurück. Oder aber zumindest das ›Ma- terial‹, mit dem konstruiert würde, läge offen zutage. All dies aber ist meist nicht der Fall.6 Und dasselbe gilt für die verbreitete Vorstellung, symbolische Prozesse würden ›ausgehandelt‹; oder – mit den Cultural Studies formuliert – der Be- deutungskonstitution läge ein struggle for meaning zugrunde. Auch dies ist sicherlich richtig, greift aber ebenso sicher zu kurz, weil hier der Vorgang als ein rein präsentischer vorgestellt wird. Es wird die Tatsache übersprun- gen, dass Bedeutung (das Set stabilisierter Schemata oder Konventionen, der Code) das aufgehäufte Resultat von Vergangenheit ist; dass eine Unzahl von Aushandlungsakten in der Vergangenheit in ihre Struktur eingegangen ist und ihr ihre spezifische Form gegeben hat. Spricht man von ›Aushandeln‹ also wird das Eigengewicht negiert, mit der die Konvention den gegenwärtigen Praxen gegenübertritt. Hier, denke ich, leistet die Vorstellung einer regelhaft- gesetzmäßigen ›Verdichtung‹ mehr. Gesetzmäßigkeiten, Regeln, Mechanismen – das gebe ich gerne zu – sind im Raum der Kultur andere als in dem der Natur. Und es ist eine Schwierigkeit mechanistischer Metaphern, dass sie häufig mit der Vorstellung einer quasi- mechanischen Kausalität sich verbinden. Dennoch würde ich daran festhalten, dass es Regeln und Gesetzmäßigkeiten7 auch in kulturellen Prozessen gibt, und dass es eine der Aufgaben der Medien- und Kulturwissenschaften ist, solche Regeln zu zeigen. Eine zweite Gefahr, die mit dem skizzierten Konzept von Ähnlichkeit sicher verbunden ist, ist die einer Ontologisierung. Gerade wenn man mit Mechanis- men der Wahrnehmung argumentiert und annimmt, dass diese in den Raum 5 Vgl. z. B.: Degele, Nina: Einführung in die Techniksoziologie. München: Fink/UTB 2002, S. 58 ff., 98−103. 6 Zudem ist auch die ›Konstruktion‹, ich kann es mir nicht verkneifen, eine mechanistische Metapher. 7 Auch das ›Gesetz‹ ist eine Metapher, entlehnt aus dem Rechtswesen, etwa wenn die Natur- wissenschaft von ihren ›Gesetzen‹ spricht. 293 der Kultur, der Medien und Zeichenprozesse hinein sich verlängern, dann liegt die Vorstellung nahe, das eine ginge quasi bruchlos in das andere über. Das Problem verstärkt sich, wenn man – wie provisorisch auch immer – annimmt, dass Ähnlichkeit nicht allein eine Kategorie der Wahrnehmung ist, sondern dass es Ähnlichkeit auch auf der Seite der Referenten gibt.8 Hier wäre festzuhalten, dass die These allein auf die Mechanismen der Ähnlichkeit abzielt, nicht aber auf den Inhalt dessen, was ähnlich, oder eben nicht ähnlich ist. Auch in meinen Augen gibt es keine Ähnlichkeit, die von den Referenten bruchlos in die Sphäre des Symbolischen durchgereicht würde. Wieder ganz im Gegenteil: In meinem Schlusskapitel habe ich gezeigt, dass Weltbezug daran gebunden ist, dass im Prozess der Schemabildung horizontale Ähnlichkeit in vertikale umschlägt. Dies macht deutlich, dass das Vorgefundene umgearbeitet wird. Und in der Folge, dass die Ähnlichkeit, die die Schemata und Zeichen behaupten, niemals ›unmittelbar‹ die der Referenten ist. Nach einer anderen Seite hin allerdings hat der Ontologievorwurf Recht: Ich glaube in der Tat, dass die Medienwissenschaft die Frage nach Bedeutung und Weltbezug der Zeichen nicht – wie lange geschehen – ausblenden oder tabuisieren kann. Ich glaube keineswegs, dass Zeichen sich ausschließlich auf andere Zeichen beziehen, oder dass sich hierdurch die Frage nach dem Welt- bezug der Zeichen erledigt. Auch das ist ein Grund, warum ich den Begriff der ›Konstruktion‹ für unsinnig halte: ›Konstruktion‹ suggeriert – ebenso wie das verbreitete, verkürzte Verständnis von Arbitrarität als einer willkürlichen Setzung – eine Freiheit der Wahl, die in meinen Augen so nicht besteht. Wenn es tatsächlich weitgehend blinde Mechanismen sind, die die Zeichen über sehr lange Fristen mit Bedeutung anreichern, dann mag zwar der konkret gewählte Signifikant ›willkürlich‹ sein, keineswegs aber der Gesamtprozess, der zu Zeichen, die Bedeutung und Weltbezug haben, führt. Und so löchrig oder vorläufig alle Antworten sind, so wenig kann die Frage das Terrain, das die klassische Ontologie einmal einnahm, schlicht vermeiden. Und schließlich gestehe ich zu, dass die Einwände der Philosophen, die ich zu Beginn referiert habe, selbstverständlich weiter Bestand haben. Ähnlichkeit bleibt eine ›weiche‹ Kategorie, selbst dann, wenn man bereit ist, meiner These zu folgen, dass man bestimmte ihrer Mechanismen beschreiben kann. Und noch 8 Vgl. Kap. 5. 294 mehr gilt dies für die einzelnen Argumente: So habe ich das Problem, dass die Feststellung von Ähnlichkeit abhängig von der Perspektive, und damit vom Standort, den konkreten Umständen9 und den Interessen des Beobachtenden ist, kaum berührt. Allenfalls meine Überlegung zu den Merkmalen, an denen Ähnlichkeit sich bemisst, geht in diese Richtung, denn wenn Ähnlichkeit im- pliziert, dass die Aufmerksamkeit sich jeweils nur auf wenige Merkmale richtet, kann man fragen, was die Aufmerksamkeit, die Hinsicht und die Auswahl der Merkmale steuert. Offen ist die Frage Luhmanns nach dem Innen und Außen der Unter- scheidung, die ebenfalls eine nach Standort und Perspektive ist;10 und ebenso die sehr weitreichende These Kimmichs, dass es sich bei der Ähnlichkeit um die Figur eines »Kontinuierlichen, Übergänglichen« handelt.11 Hier rächt sich meine Suche nach ›Mechanismen‹ ganz offenbar: Wäre doch ›übergänglich‹ gerade das, was den Mechanismen entgeht. Und mühelos ließe sich eine be- liebige Anzahl weiterer offener Fragen finden. Die wohl schwierigste und weitreichendste, zumindest in meinen Augen, ist, wie man sich das Ineinanderverflochtensein von konkreten, situierten Praktiken und Diskursen (dem ›struggle for meaning‹) und den ›Mechanis- men‹, dem Apparat von Regeln, Codes und Konventionen konkret vorstellen kann. Klar scheint mir, dass die zweiten eine Art Abzug, eine ›Verdichtung‹ der ersteren sind. Das aber beantwortet die Frage möglicherweise zu generell; wenn Ähnlichkeit also täuschen kann, wenn es – das zeigt das Beispiel der ›Identitären‹ – möglich ist, Ähnlichkeit nur zu behaupten, zu suggerieren oder gar künstlich zu produzieren, dann muss eine verzerrte Wahrnehmung in misslingende Geschichte und in misslungene Zeichen, Codes, Konventionen und Regeln münden. Vielleicht also bleibt es dabei, dass Ähnlichkeit etwas genuin ›Unheimliches‹ ist… 9 »…circumstances alter similarities…«; die Goodman-Stelle wurde oben zitiert (Kap. 2). 10 Kap. 11. 11 Kap. 2. 295 Abbildungen Cover: Abb_1: Collage: H. W.; Idee: Blog Bowiebranchia: Green framed in orange; https://bowiebranchia.tumblr.com/post/174180246067/green-framed-in-orange. Photo Bowie: © Phil Backhouse 2004; herzlichen Dank für die Genehmigung der Reproduktion. Photo Meeresschnecke: © Nature Picture Library / Alamy Stock Photo; Reprod. gen. 1. Einleitung: Abb_1−2: ©: Hans Eijkelboom; herzlichen Dank für die Genehmigung der Reproduktion. Abb_3: Video: Prestige Life Real Estate: Burj Al Babas Summer View  –  constructional update – villas in Turkey; https://www.youtube.com/watch?v=LzGqIRGAEUI — Bildstrecke: Bowie: Abb_1: https://bowiebranchia.tumblr.com/post/187988819572/bold-in-white-nudi-bowie Abb_2: https://bowiebranchia.tumblr.com/post/182988413067/luminous-blues-and-a- burgundy-cap-nudi-bowie Abb_3: https://bowiebranchia.tumblr.com/post/186893591832/slugs-and-spots-nudi- bowie Abb_4: https://bowiebranchia.tumblr.com/post/182304721617/maximalism Abb_5: https://bowiebranchia.tumblr.com/post/131179538587/swamp-thing-style Abb_6: https://bowiebranchia.tumblr.com/post/182737570237/pantone-predicted-this- and-now-perhaps-the-most — Bildstrecke: Zwillinge, Doppelgänger, Partnerlook, Herr und Hund: Abb_1−2: Google Bildersuche: Zwillinge. Abb_3−10: Video: What’s happening on the Internet: Musical.ly: Lisa and Lena  –  Best of Compilation 2016; https://www.youtube.com/watch?v=diJWyKLMQh8 Abb_11: © Laura Adams, Ecke Wunderland; Dank f. d. Gen. d. Reproduktion. Abb_12: https://www.gradplato.com/kategorien/portraits-all/eineiige-zwillinge-oder-nur- verwandte-porter-und-stout Abb_13: https://www.gala.de/lifestyle/galaxy/abigail---brittany-hensel--siamesische-zwil- linge-haben-eine-interessante-berufswahl-getroffen-21464514.html 296 Abb_14−16: Google Bildersuche: Doppelgänger. Abb_17−18: https://www.instagram.com/bonpon511/ Abb_19: https://malteklein.de/product/paerchen-hoodie-king-queen-negativ-individuali- sierbar-mit-wunschnummer-mann-frau-paar-pullover-zum-bedrucken-partner- look-fuer-sie-ihn-schwarz-grau-blau-rot/ Abb_20: © onlyfashionluxury; https://www.pinterest.de/pin/503347695844490310/ Abb_21: © Pitti Uomo Abb_22: © Wolfgang Vogelsang; Dank f. d. Gen. d. Reproduktion. Abb_23−24: Google Bildersuche: Ähnlichkeit, Herr und Hund. 3. Faszination am Unklaren: Abb_1−6: Eigene Darstellung 4. Eine erste Skizze zur Ähnlichkeit: Abb_1−4: Eigene Darstellung Abb_5: Pixabay: Malachi Witt Abb_6: Pixabay: Nenad Maric Abb_7: Pixabay: StockSnap Abb_8: Pixabay: StockSnap Abb_9: Pixabay: Pexels Abb_10: Pixabay: Skeeze Abb_11: Pixabay: StockSnap Abb_12: Pixabay: StartupStockPhotos Abb_13: Pixabay: Free-Photos Abb_14−15: Eigene Darstellung Abb_16: © MVTec Software; Dank f. d. Gen. d. Reproduktion Abb_17−22: Video: Fei Fei Li: How we teach computers to understand pictures; https://www.youtube.com/watch?v=40riCqvRoMs, Min: 05:00ff. Abb_23−26: Video: Joseph Redmon: How computers learn to recognize objects instantly; https://www.youtube.com/watch?v=Cgxsv1riJhI, Min 3:10ff. — Bildstrecke: Wiederholung: Abb_1: Video: Funny and Genius T-Shirt Pairs, https://www.youtube.com/ watch?v=PvDpRZ3nC1w Abb_2: https://de.wikipedia.org/wiki/Replikation Abb_3: https://www.guitarcenter.com/MXR/M169-Carbon-Copy-Analog-Delay-Guitar- Effects-Pedal.gc Abb_4: Deutsche Fotothek, CC BY-SA 3.0 de, https://commons.wikimedia.org/w/index. php?curid=7957762 Abb_5: Polygraph, CC BY-SA 3.0, https://de.wikipedia.org/w/index.php?curid=1177854 Abb_6: USAF  –  nationalmuseum.af.mil, https://commons.wikimedia.org/w/index. php?curid=3442673 297 Abb_7: Pixabay: Igor Ovsyannykov Abb_8: https://www.sembo.de/d/hotel-212123_manuela_hotel_bodrum Abb_9: © Andreas Hebestreit; http://www.symbolforschung.ch/hebestreit_ornament.html. Dank f. d. Gen. d. Reproduktion. Abb_10−11: © Wim Lustenhouwer Abb_12: © Ta Neter Foundation 5. Ähnlichkeit und Kontext: Abb_1: unbek. Abb_2: https://www.pro-dalmatian.de/der-dalmatiner/ Abb_3: http://www.herzfleck-dalmatiner.de/Zuchtstätte_Dalmatiner vom Roten Herzfleck. htm Abb_4: Pixabay; TheOtherKev Abb_5: https://www.guter-hund.de/hunderassen/dalmatiner/ Abb_6: http://www.herzfleck-dalmatiner.de/Unsere Hunde_Dalmatiner vom Roten Herz- fleck.htm Abb_7: Pixabay; Susanne Jutzeler, suju-foto Abb_8−9: Eigene Darstellung auf der Basis von: Pixabay; Alexas Fotos Abb_10: Pixabay; Hermann Traub Abb_11: Pixabay; Peggy und Marco Lachmann-Anke Abb_12: Pixabay; Mabel Amber Abb_13: © Can Stock Photo: Jag_cz; Reprod. gen. Abb_14: Eigene Darstellung auf Basis von s. o. Abb_15: unbek. Abb_16−17: Eigene Darstellung 6. Tarnung, Mimese, Anverwandlung an den Kontext Abb_1: © Dirk Pape-Lange; https://www.libellen.tv/beschreibung/tarnung.html, Dank f. d. Gen. d. Reprod. Abb_2: © Sandilya Theuerkauf; http://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/1/12/ LeafInsect.jpg Abb_3: Pixabay; Anrita1705 Abb_4: Pixabay; Harry Fabel Abb_5: Pixabay; colibri5 Abb_6: © Thomas Schoch; https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=2197299; Dank f. d. Gen. d. Reprod. Abb_7: Pixabay; Taken Abb_8: Pixabay; Andreas Schau Abb_9: © Richard Robinson; Greenpeace-Magazin Abb_10: © Helmut Bernhardt; https://naturfotografen-forum.de/o474626-Ein%20Tarnzelt, Dank f. d. Gen. d. Reprod. 298 Abb_11: http://www.seepferdchen-und-meer.de/niedere/garnelen-co/krabben-krebse/ composcia-retusa-dekorateur krabbe Abb_12: © Michael Mayer; https://www.michaelmayer-wildtierfotografie.de/tarnung-in- der-wildtierfotografie.html. Dank f. d. Gen. d. Reproduktion. Abb_13: https://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/7/71/Maskowanie.JPEG Abb_14: © James L. Yarboro; https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=2455936 Abb_15: https://www.amazon.de/PRHomeProducts/dp/B01EVHEZJY Abb_16: http://www.hubertus-fieldsports.de/wissen/wp-content/uploads/2010/01/ Blog_0340.jpg Abb_17: https://www.outdoorvalue.co.uk/99184-nitehawk-camouflage-kids-ghillie-suit. html Abb_18−24: © Liu Bolin Abb_25−30: Video: Things Matched Their Surroundings Too Well; https://www.youtube.com/watch?v=utXSKq4orsI — Bildstrecke: Kunst nachstellen: Abb_1−6: Video: Getty Museum Challenge – making art in isolation. https://www.youtube.com/watch?v=n2nsKJS1Asw 7. Ähnlich – inwiefern? Abb_1−2: Eigene Darstellung 8. Ähnlichkeit und Ordnung: Abb_1−4: © Ursus Wehrli: Kunst Aufräumen, Verlag Kein & Aber. Herzlichen Dank für die Genehmigung der Reproduktion. — Bildstrecke: Hans Eijkelboom: Abb_1−7: © Hans Eijkelboom; herzlichen Dank für die Genehmigung der Reproduktion. 9. Schemabildung: Abb_1: © Karl Grammer; Dank f. d. Gen. d. Reproduktion. Abb_2−6: Eigene Darstellung — Bildstrecke: Trump / Scaramucci: Abb_1−8: Video: The Daily Show, Comedy Central, 24. 7. 17; https://www.youtube.com/ watch?v=_IPykdnv0fg 10. Ähnlichkeit, Identität und Differenz: Abb_1−17: Eigene Darstellung 299 Abb_18: © Nature Reviews Molecular Cell Biology, https://www.researchgate.net/figure/Cel- lular-reprogramming-as-navigation-through-a-complex-attractor-landscapeIn-a- complex_fig1_26797458; Reprod. genehmigt. Abb_19: © Ali Ghaderi; ders.: A mathematical theory for mixing of particulate materials, PhD thesis, University of Surrey, 2006. https://www.researchgate.net/figure/5-A- Heterogeneity-landscape-the-arrows-denote-the-directions-in-which-the-mix- ture_fig9_262876747; Dank f. d. Gen. d. Reprod. Abb_20: Eigene Darstellung Abb_21: Eigene Darstellung auf Basis der Abb. Ghaderi. Abb_18: Grafik rechts: © Algorithmic Solutions http://www.algorithmic-solutions.info/leda_guide/images/voronoi_diagram.gif Dank f. d. Gen. d. Reproduktion; Grafik links: Eigene Darstellung. 11. Trennen, Unterscheiden, Analysieren: Abb_1: Eigene Darstellung Abb_2: © Staatliche Museen zu Berlin – Vorderasiatisches Museum, Foto: Olaf M. Teßmer. Dank f. d. Gen. d. Reproduktion. — Bildstrecke: Diskursanalyse: Abb_1−4: https://www.dwds.de/ 12. Identität und Selbstähnlichkeit: Abb_1−15: Video: Hugo Cornellier: Von 12 bis verheiratet – Ich machte jeden Tag ein Foto; https://www.youtube.com/watch?v=65nfbW-27ps Abb_16−24: © Irina Werning; http://irinawerning.com/gallery/ back-to-the-future-thumbs/; herzlichen Dank für die Genehmigung der Reproduktion. Abb_25: https://gizmodo.com/the-evolution-of-steve-jobs-clothing-5830132 Abb_26: © Linda Nylind, Elle Hunt Abb_27: unbek. Abb_28: unbek. Abb_29: Pixabay; Hebi B. Abb_30: https://www.internetworld.de/e-commerce/alibaba/alipay-erlaubt-bezahlen-ge- sichtserkennung-1345173.html Abb_31: http://german.china.org.cn/txt/2018-11/28/content_74217303.htm Abb_32−33: https://www.wired.com/2010/09/fractal-patterns-in- nature/?pid=179&viewall=true Abb_34: https://www.hobivesanatdunyasi.com/fraktal-bir-yuzyilin-imgeleri.html Abb_35−40: © Alexey Popov; https://www.zahl-art.de/mandelbrot-menge/; Dank f. d. Gen. d. Reproduktion. Abb_41: https://coderdojo-linz.github.io/trainingsanleitungen/web/svg-fraktalbaum.html; Dank f. d. Gen. d. Reproduktion. 300 Abb_42: https://www.energeticmedizin.com/ingeniumbioniksystem/diverses/fraktal/index. html Abb_43: © Sven Fauth: Abstrakte Digitale Fraktale Kunst; https://www.fraktale-kunstwerke.de/2016/08/13/fraktal-des-monats-august/ — Bildstrecke: Ulric Collette: Abb_1−6: © Ulric Collette; http://www.geneticportraits.ca/; herzlichen Dank für die Geneh- migung der Reproduktion. — Bildstrecke: Julien Patry: Abb_1−6: © Julien Patry: Berlin Classified; https://www.youtube.com/ watch?v=qV6pAEaNgZc; herzlichen Dank für die Genehmigung der Reproduk- tion. 14. Ähnlichkeit und Formalisierung Abb_1−12: Eigene Darstellung Abb_13: Ifrah, Georges: Universalgeschichte der Zahlen. Frankfurt/NY: Campus 1991, S. 35. — Bildstrecke: Dad Abb_1−6: Video: Dad Who’s Been Trolling Daughter By Recreating Her Racy Selfies; https://www.youtube.com/watch?v=-MZLhIW5mPM. 15. Ähnlichkeit, Semantik und Form: Abb_1: Eigene Darstellung — Bildstrecke: Fälschung: Abb_1−2: © Michael Wolf; https://www.tagesspiegel.de/kultur/chinas-kopisten-stadt-der- faelscher/5766994.html Abb_3: © Vera Hartmann Photography; Dank f. d. Gen. d. Reproduktion. Abb_4: Hessisches Staatsarchiv Marburg, HStAM Bestand K Nr. 426 (Ausschnitt) Dank f. d. Gen. d. Reproduktion. Abb_5: https://www.berliner-kurier.de/news/panorama/usa-das-ist-die-schlechteste-num- mernschild-faelschung-der-welt-23672064 Abb_6: © CanStockPhoto, Reprod. gen. Abb_7: http://www.fotokurs-bremen.de/tag/fotografie Abb_8: https://www.ovb-online.de/weltspiegel/kultur-tv/faelschung-faelschung-4835883. html Abb_9: https://www.thueringer-allgemeine.de/web/zgt/politik/detail/-/specific/Foto-von- Massen-auf-AfD-Demo-in-Erfurt-ist-eine-dreiste-Faelschung-306844346 301 Abb_10: https://www.br.de/br-fernsehen/sendungen/kunst-und-krempel/schatzkammer/ musikinstrumente/kunst-krempel-stradivari-faelschung-100.html Abb_11: https://www.konstruktionspraxis.vogel.de/negativ-preis-plagiarius-praemiert- besonders-dreiste-faelschungen-a-521822/ Abb_12: © Michael Schaller; https://www.thailand-spezialisten.com/2016/03/07/ gef%C3%A4lschte-markenartikel-in-thailand-kaufen/; Dank f. d. Gen. d. Repro- duktion. Abb_13: http://www.stop-piracy.ch/presse/bilder-zum-downloaden Abb_14: http://www.humor.li/bilder/neu/detail/63307 Abb_15: © Kadmos-Verlag Abb_16: unbek. Abb_17: http://www.ghettoredhot.com/real-or-fake/ 16. Schluss: Verhärtete Ähnlichkeit: Abs_1−4: Eigene Darstellung Postscriptum: Abb_1: © Ataraxis1492, Wikimedia Commons, CC BY-SA 3.0; https://commons.wikime- dia.org/wiki/File:Demonstration_against_Morten_Kj%C3%A6rum_in_Vienna. jpg 302 Literatur Adelmann, Ralf: Listen und Rankings: Über Taxonomien des Populären. Bielefeld: Transcript 2021. Adorno, Theodor W.: Ästhetische Theorie. In: Ges. Schriften, Bd. 7, Frankfurt  a. M.: Suhr- kamp 1970. Adorno, Theodor W.: Negative Dialektik. In: Ges. Schriften, Bd. 6, Frankfurt a. M.: Suhrkamp 1982 (EV.: 1966). Anderson, John R.: The Adaptive Nature of Human Categorization. In: Psychological Review, Vol. 98 (1991), Nr. 3, S. 409−429. Arbib, Michael A.; Conklin, E. Jeffrey; Hill, Jane: From Schema Theory to Language. NY/ Oxford: Oxford UP 1987. Armary, Pauline; Dokic, Jérôme; Sander, Emmanuel: The Problem of Context for Simi- larity: An Insight from Analogical Cognition. In: Philosophies 2018, 3, 39; doi:10.3390/ philosophies3040039. 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